Lazaros Miliopoulos Atlantische Zivilisation und transatlantisches Verhältnis
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Atlantische Zivili...
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Lazaros Miliopoulos Atlantische Zivilisation und transatlantisches Verhältnis
Lazaros Miliopoulos
Atlantische Zivilisation und transatlantisches Verhältnis Politische Idee und Wirklichkeit
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15292-9
Meinen E ltern
Inhalt
Vorwort .................................................................................................................................................. 15
Einfiihrung in das Thema 1.
Einleitung .....................................................................................................................................
17
Erkenntnisinteresse und erkenntnisleitende Fragestellungen ............................................. 2.1 Die Suche nach ,,Sicherheit durch Identit~it" und die Rolle Huntingtons ................. 2.2 Die Identit~it des ,,modernen Menschen" im Widerstreit: Peter L. Berger und Ulrich Beck ............................................................................................................................ 2.3 Die normative, zivilisatorische, geographische und politische Weitreiche des Westens und die Akmalit~it der deskriptiven Perspektive Oswald Spenglers ............ 2.4 Die M6glichkeit der weitergehenden Politisierung .........................................................
23 23 25 28 30
Stand der Forschung: Der Begriff der ,,Atlantischen Zivilisation" i m Lichte der Geschichtsphilosophie und des geschichtswissenschaftlichen Forschungsstandes ........ 32 Ziel der Arbeit: Theorie der ,,Atlantischen Zivilisation" als ,,politische Idee" m d e r Tradition des politischen Atlantizismus seit 1939/47 .......................................................... 38 5.
Zusammenfassung ...................................................................................................................... 44
6.
Aufbau ........................................................................................................................................... 45
II
Einleitende Begriffsabgrenzungen Zur Operationalisierbarkeit des Atlantikbegriffes in Abgrenzung zum Begriff des , , W e s t e n s " . ...................................................................................................................................
49
2.
Abgrenzung des Zivilisationsbegriffes vom Moralbegriff ................................................... 50
III
Theoretischer Bezugsrahmen und methodologischer Problemaufriss
1.
Methodologische Abgrenzung v o m einseitigen Systemstrukturalismus ........................... 55 Das Problem der Verbindung ,,westlicher Freiheit" mit dem Prinzip des Werteneutralismus ....................................................................................................................... 59 2.1 Die Herausforderung eines wermeutralen Freiheitsbegriffes durch den terroristischen Islamismus .................................................................................................. 59
8
Inhalt 2.2 Das grundsiitzliche Problem eines wertneutralen Freiheitsbegriffes in existentieller Hinsicht nach Eric Voegelin ............................................................................................... 64 2.3 Das Problem eines wertneutralen Freiheitsbegriffes in philosophischer Hinsicht nach Eric Voegelin ............................................................................................................... 66 2.4 Kulturkritische Relevanz der philosophischen K_ritik am ,,westlichen" Werteneutralismus ................................................................................................................ 68 Methodologische Schlussfolgerungen und Probleme ........................................................... 3.1 Die historische Herleitung des Begriffs des Westens .................................................... 3.2 Der Begriff des Westens im Kontext eines historischen Essentialismus: H o m e r und Herodot ......................................................................................................................... 3.3 Der Begriff der ,,Atlantischen Zivilisation" als ideelles Angebot und dazugeh6rige Fragestellungen ..................................................................................................................... 3.4 Die ,,Atlantische Zivilisation" als politische Idee und bildliches Symbol: Ein projektierender ,,Mythos" des Westens? ........................................................................... 3.5 Das Essentialismusproblem ................................................................................................ 3.6 Das Empirieproblem aus geschichtswissenschaftlicher und positivistischer Sicht .. Problemerwiderung .................................................................................................................... 4.1 Die zentrale Bedeutung der Idealtypusanalytik ............................................................... 4.2 Das Empirieproblem aus der Sichtweise der Hermeneutik und die synthetische Erkenntniskraft als geschichtswissenschaftliches Sinnkriterium .................................. 4.3 Das Empirieproblem aus der Sichtweise der Politikwissenschaft ............................... a) Der nicht-empirische Gehalt des Begriffs des Politischen als eigener Gegenstand ............................................................................................................................ b) Das Problem der Relevanz von Ideen und Werten in der Politik .......................... 4.4 Identitiitsprojektierende und ideologische Folgerungen aus der Essentialismuskritik .............................................................................................................. a) Posthistorische Mythen universaler Idealismusnegation (Fukuyama, Bolz) .......... b) Die anfessentialistische Betonung ,,projektiver Identitiit" bei Ulrich Beck und die menschenrechtsuniversalistische Partikularismuskritik ........................................... 4.5 Antworten .............................................................................................................................. a) Das kantische ,,Als-Ob-Modell" als theoretische Begriindung menschlichen ,,Angewiesenseins" auf Ideen ............................................................................................. b) Die Begrfindung des Partikularismus im Kontext der Eigenrealitiit des Politischen .............................................................................................................................. c) ,,Kosmopolitischer Skeptizismus" und ,,geltungstheoretischer Kontextualismus" als resultierende theoretische Pr~imissen ....................................... d) M6glichkeiten und Grenzen der Vereinbarung von kollektivem Stolz und individueller Freiheit ............................................................................................................
5.
Abschliel3ende Anmerkungen zur identit~itspolitischen Rolle der Eliten .......................
69 69 70 71 72 74 75 76 76 77 78 78 80 82 83 84 87 87 89 94 98 101
Inhalt IV
9
Der Zivilisationsbegriff Das singuldre Zivilisationsverstiindnis: Die positiv oder negativ normativierte und als universalisierbar a n g e n o m m e n e Singularzivilisation ........................................................... 1.1 D e r kulturalistische Zivilisationsbegriff .......................................................................... a) D e r Kulturbegriff ........................................................................................................... b) D e r Zivilisationsbegriff im radikalkulturalistischen Ansatz ................................... c) Steht der Kulturalismus dem westlichen Zivilisationsbegriff entgegen? ............. 1.2 Angelsiichsische und franz6sische Versionen einer imperialen Singularzivilisation ............................................................................................................... 1.3 Zivilisationsidee, Christentum, ,,politische Religionen" und die Idee der Zivilreligion ..........................................................................................................................
2.
103 103 103 104 106 108 111
Singulares Zivilisationsverst~indnis im soziogenetischen Ansatz von N o r b e r t Elias .... 115 Das plurale Zivilisationsverstiindnis ...................................................................................... 3.1 D e r morphologisch-kulturalistische Ansatz seit Spengler und T o y n b e e .................. 3.2 D e r anthropologische Ansatz und die Theorie der ,,Geozivilisationen" als Basis eines politisch-technisch-kulturellen Zivilisationsbegriffes ......................................... 3.3 Natur und Zivilisation zwischen Kulturrelativismus, n o r m a t i v e m Pluralismus und Universalismus .................................................................................................................... a) Die anthropologische Igxitik am Relativismus nach R o b e r t B. E d g e r t o n ............ b) Das ,,kulmrsimative" Sein des Menschen und das Entgrenzungspostulat der ,,reflexiven Modernisierung" ............................................................................................ c) Die Identitiitsformel der antirelativistischen Kulturanthropologie nach Richard A. Shweder .......................................................................................................................... d) Die Verfallstheorie von Brooks Adams .....................................................................
118 118 120 123 123 125 129 132
V
Die ideologische Dimension des singul~iren Zivilisationsbegriffs
1.
D e r radikalliberale T r a u m von der ,,Weltzivilisation" ........................................................
135
Liberales Zivilisationsverstiindnis und ideologisches K a m p f e l d des 19. j ahrhunderts ........................................................................................................................
137
M o d e m e Zivilisation, Marxismus, Totalitarismus: Zwischen ,,siikularisierter Gnosis", Dialektik der Aufldiirung und ,,gnostischem W a h n " im 20. J a h r h u n d e r t ...... 140 Strukturelle Gewalt westlicher Zivilisation und die ,,kommunikative Rationalitiit" nach Habermas ..........................................................................................................................
VI
145
Varianten des atlantischen Mythos und heutige Bedeutungen Platonischer Ursprung: Begriff, Wirkung und Bedeutung des Ur-Atlantizismus .......... 149 1.1 Begriff und Wirkung .......................................................................................................... 149
10
Inhalt 1.2 Die Bedeutung fiir den Westen nach Eric Voegelin .................................................... a) Symbol westlicher Denkimaginationskraft: Das erfundene Bild dutch Versenkung in den Mythos der Idee des Guten als Abbild Amerikas ...................... b) Das Prinzip der Verbindung von Idee und Wirklichkeit im Sinne der ,,Teilnahme" der Idee an der Wirklichkeit .....................................................................
153 153 157
Antiplatonische Variante: Die wissenschaftsutopische Umdeutung m d e r Neuzeit ..... 159 2.1 Francis Bacons ,,Nova Atlantis". ...................................................................................... 159 2.2 Die Bedeutung fiir den Westen: Angewandte Forschung zum Zwecke allgemeiner Wohlfahrt und technischer Fortschrittsoptimismus ............................... 160 Die fnktionale Variante: Nordischer Atlantismythos und okkultistische Pervertierung im 20. Jahrhundert ..................................................................................................................... Die Variante des differenzierten Neoplatonismus: Dynamisierung atlantischer Phantasie durch revolution~ire All- und Raumrealisierung im 15. Jahrhundert ............. 4.1 Die Entdeckung des Kolumbus als planetarische Raumrevolution .......................... a) Entstehungsbedingungen ............................................................................................ b) Herausbildung eines ,,transatlantischen Sozius" und Dynamisierung des Raumes ................................................................................................................................. c) Machtgewinn, Machtverlust und innerweltliche Identitiitsbildung Europas ...... d) Die Entfesselung menschlicher Phantasie im platonischen Rahmen ................... 4.2 Die erkenntnistheoretischen und wissenschaftlichen Folgen der Allraumrevolution - ein lexikalischer lJberblick ........................................................... 4.3 Die kulmrelle Hochbliite der neuen europiiischen Zivilisation .................................. 4.4 Geistige Voraussetzungen im griechisch-r6mischen Denken und die christliche Dimension der planetarischen Raumrevolution ........................................................... Die technizistische Variante: Die Dynamisierung des Antiplatonismus und die Verabsolutierung naturwissenschaftlicher Denkungsart als Entfremdungsprozess ..... 5.1 Die Entfesselung menschlicher Phantasie im surrealistischen Sinne, Weltentfremdung und die Politisierung der technischen Zivilisation ....................... 5.2 Die heutige Bedeutung: ,,Atlantische Zivilisation" als konsumistisches und technizistisches Modell und Bollwerk westlicher Idealismusnegation? .................... 5.3 Polifische Entgegnung und normative Gegenposition ................................................
162
164 165 165 167 169 170 172 179 181
186 186 190 194
VII Begriffe ,,Atlantischer Zivilisation" Der geozivilisatorische Begriff: Nukleus 1492 ~ o e c k m a n n , Verlinden, Femfindez-Armesto) .................................................................................................................
199
Der historische Begriff: ,,Atlantische Zivilisation" als Frucht und Folge der ,,Atlantischen Revolution" 1760-1800 im Sinne eines (offenen?) Epochenbegriffs ..... 2.1 Die ,,Atlantische Revolution" als Kulminationspunkt ................................................. 2.2 Die Kxitik am europ~iischen Charakter Amerikas ......................................................... 2.3 Die amerikanische Verfassung als Gegenargument .....................................................
202 203 205 207
Inhalt
11 a) Mischverfassungsorientierte Erfmdung des pr~isidentiellen Regierungssystems als euroatlantischer Angelpunkt ........................................................................................ b) Der europiiische Hintergrund amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit: Zur Y-d;,irung der Begriffe ,,Mischverfassung, Republik, D e m o k r a t i e " . ............................. c) Fazit ................................................................................................................................. 2.4 Die Doppelrevolutionsthese im Widerstreit .................................................................. 2.5 Zur Kliirung des m o d e m e n Demokratiebegriffs in europiiisch-atlantischer Geistestradition ...................................................................................................................
3.
Die ,,Atlantische Zivilisation" als politischer Begriff (Arendt, Schabert) ........................
207 210 213 216 227 229
VIII G e s c h i c h t e I: Der v o r m o d e r n e Gehalt ideenhistorischer E x i s t e n z des W e s t e n s 1.
Geographische Voraussetzungen ............................................................................................
233
2.
,,Weltachsenzeit" (500 v.Chr.) und hellenische Wissenschaft ............................................
235
Das r6misch-christliche Erbe ................................................................................................... 3.I Erstmalige Repriisentation einer einheitlichen Existenz des Westens und der moderne Gehalt des trinitarischen Christentums ......................................................... 3.2 K a m p f und Trennung zwischen Kirche und Staat ....................................................... 3.3 Die Christentumsinterpretafon von Hannah Arendt .................................................. 3.4 Versuche der Wiederverg6ttlichung der Welt und der G n o s f z i s m u s im christlichen Zeitalter nach der Interpretation Eric Voegelins ....................................
242
Neue Untertypen der Repriisentation westlicher Existenz von der Spiitantike bis zum Mittelalter ........................................................................................................................... 4.1 Das mittelalterliche Europa im Zivilisations- und Geschichtsvergleich: Dynamische Offenheit der Machtkonstellation in diachroner Perspektive ............. 4.2 Staatliche und rechtliche Zentralisierung und die Entstehung der souveriinen und monarchisch regierten Nationalstaaten ........................................................................... 4.3 Keltisches und germanisches Stiidtewesen, der Kommunalismus und die Dynamik des Kapitalismus ............................................................................................... 4.4 Pax sit c h r i s t i a n a - Kurze Anmerkung zum Komplex ,,ICrieg und Friede" ............
242 245 246 248
251 251 255 260 262
Die geistige Dimension der Entwicklung des europiiischen Zivilisationssystems im sp~iten Mittelalter ........................................................................................................................ 262 5.1 Freiheitstradition und Rechtsstaat in genossenschaftlichen Staatsvorstellungen im Deutschen Reich und in Grol3britannien ....................................................................... 262 5.2 Die radikale Trennung zwischen Glauben und Wissen und die m o d e m e Wissenschaft seit ca. 1250 ................................................................................................. 264 Islam und Judentum in der Zivilisationsbildung des Westens zwischen Mittelalter und Neuzeit ................................................................................................................................ 6.1 D e r Islam und die ,,westliche Christenheit" im Mittelalter ......................................... 6.2 Anmerkungen zum Verhiiltnis zwischen Judentum und Christenmm .....................
265 265 267
12
Inhalt
IX
G e s c h i c h t e II: D i e Atlantische Revolution und der m o d e r n e W e s t e n
1.
Die amerikanische Revolution in aflantischer Perspektive .................................................
272
2.
Die Ursachen der Amerikanischen Revolution ....................................................................
273
Klassische und m o d e m e Dimensionen des amerikanischen Republikanismus ............. 3.1 Die Rolle der griechischen politischen Philosophie im amerikanischen Ordnungs- und Verfassungsfindungsprozess ............................................................. 3.2 Die Position von J o h n Adams, die Prioritiit der freiheitlichen Verfassung im Kontext nationaler Souveriinitiit und die Posterioritiit der Volkssouver~initiit ........ 3.3 Klassische Regierungsformelemente der Republik im m o d e r n e n Verfassungsstaat ................................................................................................................... 3.4 Der Freiheitsbegriff als Legitimationsquelle zwischen v o r m o d e r n e m und m o d e m e m Verstiindnis und die Tradition Machiavellis .............................................. 3.5 Zwischenfazit: Die klassische U m r a h m u n g des amerikanischen Republikanismus ................................................................................................................. 3.6 Die Aristokratiedebatte zwischen Adams und Jefferson als Beispiel fiir die Bedeutung des klassischen Verstiindnisses im amerikanischen Republikanismus .. 3.7 Das neue Element: Der moderne Verfassungsprozeduralismus und die Verbindung von Republikanismus und Technologie ................................................... 3.8 Weitere Streitpunkte ........................................................................................................... a) Der Republikanismus als Ausfluss 6konomischer Interessen? Eine kurze Anmerkung .......................................................................................................................... b) Freiheitsbegriff, Indianerbekiimpfung und die Sklaverei ........................................
276
Das Zeitalter der sich demokratisierenden Nationalstaaten im atlantischen Raum zwischen dem 18. und dem 20. J ahrhundert ........................................................................ 4.1 Die Rolle der Nation in der atlantischen Zivilisationsgemeinschaft ......................... 4.2 Die USA als Nation und der atlantische Charakter amerikanischer Nationalstaatlichkeit ...........................................................................................................
276 280 287 290 296 303 308 312 312 312
317 317 322
Das H e r a u f k o m m e n des europiiischen Totalitarismus zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert ................................................................................................................................. 5.1 Die gnostische Verkorrumpierung der westlichen Entwicklung im Hochzeitalter der Ideologien ..................................................................................................................... 5.2 Die Rolle der USA zwischen Atlantischer und Industrieller Revolution und die soziale Frage in Europa .....................................................................................................
335
Weltbiirgerkrieg 1917-1945 und Wendejahre: Die Politisierung der westlichen Zivilisation im Kalten Kxieg ....................................................................................................
339
Die geopolitische Auseinandersetzung im Atlantischen Raum zwischen Raumrevolution und 20. Jahrhundert ....................................................................................
342
332 332
Inhalt X
13 Politische Systeme und GeseUschaften des Westens im ph~inomenologischen Querschnitt Demokratische, recht~che und wirtschaftliche Verfassungen .......................................... 347 1.1 Institutionen ........................................................................................................................ 347 1.2 Partizipation u n d Werteinstellungen ............................................................................... 352 Die westlichen Systeme u n d Gesellschaften in globaler Perspektive u n d die ,,pazifische H e r a u s f o r d e r u n g " ................................................................................................ 353 Innerwestliche Grundsatzfragen im transatlantischen Widerstreit .................................. 3.1 D e m o k r a t i e u n d Elite ........................................................................................................ a) Die Existenz v o n Parteien u n d die Frage der Demokrafisierung westlicher Systeme ................................................................................................................................. b) Liberale Kxitik ................................................................................................................. c) Elitentheoretische Krifik ............................................................................................... 3.2 D e r inneramerikanische W e r t e k o n f l i k t - eine G e f a h r fiir den liberalen Westen? .. 3.3 Die Frage der Kulturrevolution ...................................................................................... a) Die Vergesellschaftung des Politischen ..................................................................... b) Die Frage des Patriotismus u n d die europiiische Immigrationsfrage ................... c) Die Frage des H e r o i s m u s ............................................................................................. d) Die Frage der Religiositiit ............................................................................................. e) Fragen des Rechts .......................................................................................................... f) Das P r o b l e m inszenierter Gewalt in der westlichen Medienrealitiit ...................... 3.4 Die positive Seite der inneratlantischen P r o b l e m d i m e n s i o n e n ..................................
.
358 358 358 362 366 368 371 374 377 379 383 388 389 392
Resfimee: Die Frage der kulturellen Substanz Amerikas und des Westens u n d der H e d o n i s m u s ............................................................................................................................... 393
XI
Der Westen im Lichte der Theorie Intemationaler Beziehungen und geopolitischer Betrachtungen
1.
Internationale Regimebildung: Die aktuellen Positionierungen der Theorieschulen .... 409
2.
Westliche Reghnebildung u n d europiiische Integration ..................................................... 415
3.
Fazit ............................................................................................................................................. 418
XlI
Perspektiven des transatlantischen VerhSltnisses
1.
Zwischen Y-duft u n d Zerwiirfnis: Das P r o b l e m der Machtasymmetrie .......................... 422 Ideologisierung der Aul3enpolitik: Europ~iische und amerikanische Illusionen ............. 427 2.1 Europiiische Tr{iume u n d das P r o b l e m des Moralismus ............................................. 427 2.2 Amerikanische Triiume und das P r o b l e m des Missionarismus .................................. 429
14
Inhalt
3.
D i e G e f a h r e n eines europiiisch-amerikanischen A u s e i n a n d e r d r i f t e n s ............................ 436
4.
D i e Position des skeptischen Realismus ...............................................................................
438
Praktische F o l g e r u n g e n ............................................................................................................ 5.1 Nachbarschaftspolitik: ,,Atlantische Zivilisation" u n d Russland ............................... 5.2 Islampolitik u n d T e r r o r i s m u s b e k ~ i m p f u n g .................................................................... 5.3 Die A u s g e s t a l t u n g der Europ~iischen Verteidigung ..................................................... a) Kritische B e s t a n d s a u f n a h m e ........................................................................................ b) Anti-atlantische O p t i o n e n ............................................................................................ c) Atlantische O p t i o n e n .................................................................................................... 5.4 Politisierungsperspektiven der atlantischen Sicherheitsallianz (Karl W. D e u t s c h , H a n s J. M o r g e n t h a u ) .......................................................................................................... 5.5 Rfickschau z u m Abschluss: Die europiiischen Fehler ..................................................
441 441 442 449 449 452 453 456 462
XlII Schlussbetrachtung 1.
B e f u n d e .......................................................................................................................................
469
2.
Schlussfolgerungen ...................................................................................................................
471
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................
479
Vorwort
Diese Studie ist die leicht iiberarbeitete Fassung der Dissertationsschrift mit dem Titel ,,Der Begriff der Atlantischen Zivilisation als politische Idee". Die Arbeit wurde im Sommersemester 2006 von der Philosophischen Fakult~it der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universit;,it Bonn angenommen. Sie entstand im Wesentlichen zwischen 2002 und 2005 am Seminar fiir Politische Wissenschaft der Universitiit Bonn, heute Institut fiir Politische Wissenschaft und Soziologie. Zu besonderem Dank bin ich meinen beiden Gutachtem Prof. Dr. Frank Decker und Prof. Dr. Christian Hacke verpf~chtet, die das Dissertationsvorhaben erm6glicht und meine Arbeit mit regem Zuspruch betreut und begleitet haben. Prof. Decker m6chte ich im Besonderen danken fiir seine Ratschliige und die optimalen Rahmenbedingungen, unter denen ich diese Arbeit vollenden konnte. Mein besonderer Dank gilt auch Dr. Volker Kronenberg ffir seine tatkriiftige Unterstiitzung als Vorsitzender der Priifungskommission und fiir seine ideelle Begleitung wiihrend meines Promotionsstudiums. Prof. Dr. Tilman Mayer danke ich ebenfalls sehr herzlich fiir zahlreiche Impulse und Hilfestellungen, die er mir in vielfacher Form vermitteln konnte. Lieber Dank gebiihrt Prof. Dr. Manfred Funke, der reich in Studium und Lehre sehr gepriigt hat und von dem ich viel gelernt habe, ebenso meinen stiindigen geistigen Wegbegleitern Jiirgen Peters und Pater Miron. Mein weiterer Dank gilt stud. phil. Marcel Solar und stud. phil. Dominik Rudolf, ohne deren tatkr~iftiges Zutun bei der Literaturbeschaffung einiges beschwerlicher gewesen w~ire. Tiefer Dank geb/ihrt meiner lieben Katja, nicht nur dafiir, dass sie da ist, ffir Ihre Geduld und Energie, sondern auch fiir die miihevolle und sorgf;iltige K_leinarbeit, der Sie sich beim Durchlesen des Manuskripts fiir diese Druckfassung unterzogen hat. Alle verbleibenden Miingel gehen natiirlich zu meinen Lasten. Liebend danken m6chte ich meinem Bruder, der mit Rat und Tat zur Seite stand. Mein ganz pers6nlicher Dank gebiihrt vor allem meinen Eltern, die stets an meiner Seite waren und mir viel Kraft gaben. Ihnen m6chte ich die Arbeit geme widmen.
Bonn, im September 2006
Lazaros Miliopoulos
I. Einffihrung in das T h e m a
1. Einleitung Es ist ein Gefiihl starker zivilisatorischer Verbundenheit, welches durch die Tat eines ganz neuartigen, suizidalen Massenterrorismus am 11. September 2001, dem Tag der Attacke auf die USA, schlagartig ins Bewusstsein der Menschen in den ,,westlichen Gesellschaften" geriickt ist. Auch wenn dieses Geffihl seit den heftigen Auseinandersetzungen um den Irakkrieg 2003 wieder abgekfihlt ist, ja vereinzelt gar in seiner Berechtigung in Frage gestellt wird, kann weiterhin festgehalten werden, dass sich die Akteure des neuen internationalen Terrorismus grunds~itzlich zum ,,Feind des Westens" erkliiren. Die Anschl~ige des 11. Septembers 2001 haben zugleich Schlagworten wie ,,GlobaF~sierung", ,,Interdependenz", ,,global village" und ,,Transnationalit~t" eine ,,dunkle Sinndeutung" gegeben und den internationalen Beziehungen ,,einen neuen, beunruhigenden Charakter" verliehen. 1 Doch was am Ende als emotionales Destillat fiir die Feinde der Terroristen in ,,positiver" Hinsicht iibrigbleibt, ist das Empfinden, einer Zivilisationsgemeinschaft anzugeh6ren, die den Terroristen Anlass zur Feindschaft gegen den ,,Westen" gibt. Welche Realit~it besitzt abet jene zivilisatorische Existenz des Westens? Und warum ist sie bei den Terroristen in dieser Form - als Feindbegriff- derart ,,politisch"? Anscheinend entspricht der politische Gehalt des Westens, wie ihn die Terroristen anzunehmen scheinen, fiberhaupt nicht dem vorzufindenden Modus der zivilisatorischen Realitiit des Westens, einer Realitiit, yon der wir annehmen k6nnen, dass es sie gibt. Wenn es sich also um keine politische Realit~it im vollgiiltigen Sinne handelt: Hat die zivilisatorische Realitiit des Westens dann iiberhaupt das Potential, eine derart substantielle politische Realit~it zu sein? Und aus welchen Griinden wiire es erwiigenswert, das Potential, wenn es denn gegeben ist, in eine reale politische Kraft zu iiberfiihren? Bei der letzten Frage schliel3t nun das erkenntnisleitende Interesse dieser Arbeit an. Es geht um die Frage der Identit~it des modemen, westlichen Menschen und der westlichen Welt vor dem Hintergrund des Neuen Internationalen Terrorismus. Die Identitiit ist aufgrund des Modemitiitsmerkmals und erst recht aufgrund undeterminierter postmoderner Merkmale der ,,westlichen Welt" an sich schon iiuBerst schwierig im Sinne einer einheitlichen Identit~it zu beantworten. Jedenfalls stellt sich m Verbindung mit dem neuen Feind des Westens nicht nut die Frage der Identitiit auf neue Weise (aufgrund der ge~inderten Bedingungen), sondern es stellt sich auch die Frage des Schutzes der existentiellen Voraussetzungen dieser Identitiit. Zum ersten wie zum zweiten Punkt bleibt festzuhalten, dass die Identitiitsfrage des Westens unter den veriinderten Bedingungen die Frage nach der Notwendigkeit einer ,,Politisierung" oder politischen Substantialisierung des Begriffs und der zivilisatorischen Realit~it des Westens impliziert. Die Hypothese, welche diese Notwendigkeit bejaht, lautet also: Braucht der 1Christian Hacke,AuJ~en-und Sicherheitspolitik,in: HerfriedM~inkler,Politikwissenschaft.Ein Grundkurs,Hamburg 2003, S. 324-373, 358f.
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Kapitel I
,,Westen" heute eine ,,Identitiit", so mfisste diese nicht nur eme zivilisatorische oder historische sein, sondern zugleich eine politische. Die Frage, die hieran anschliegt, ist die Frage der M6glichkeit: Inwieweit kann - erst recht nach den Verwerfungen wiihrend des Irakkrieges 2003 emer zivilisatorischen Realitiit des Westens (der , , W e s t e n " als gemeinsame Lebensform und Zivilisation) fiberhaupt ein politischer Rang zugeordnet werden? Dieser politische Rang wiire mindestens zu bestimmen als die ,,Einheit des Westens" m einem ,,eigenstiindigen" und ,,gesamtpolitischen" Werte- und Symbolkontext. Zur Aufgabe der politischen Symbolik geh6rte die ,,Aufgabe der gegenseitigen Vermittlung von gemeinsamen Werten". 2 Im Maximalfall wiire der Symbolkontext der Kern eines institutionellen Kontextes westlicher Politik als Ausfluss einer alle Politikbereiche umschliefienden gesamtpolitischen Strategie. Seit dem Irakkrieg 2003, den zahlreichen extralegalen MaBnahmen gegen ,,feindliche Kombattanten" im Rahmen des amerikanischen Antiterrornotstandes und dem Aufkommen eines neuen amerikanischen Missionarismus 3 wird nun jedoch nach fiber ffinfzig Jahren die Einheit des Westens nach innen wie nach auBen ernsthaft relativiert oder in Abrede gestellt. Das antitotalitiire Moment des inzwischen iiuBerst blutigen Irakkrieges ist in der Zwischenzeit- trotz aller berechtigten ICritik- in allen bedeutsamen, europ~iischen Debatten mehr und mehr m Vergessenheit geraten. Wenn es die ,,westliche Zivilisation" als vorpolitische Einheit wirklich gibt, stellt sich daher die Frage, ob mit den jfingsten Entwicklungen die grundlegenden Normen jener Zivilisation wirldich noch geteilt werden oder ob sie auf eine derart verschiedene Art und Weise vertretbar sind, dass wit zwischen dem , , e i n e n " und dem ,,anderen Westen" differenzieren mfissen. 4 Ein bildiches Symbol oder gar ein ,,Mythos des Westens" im Sinne einer ,,Atlantischen Zivilisation" wiire damit als Konzept schlicht hinf~illig oder zu ,,revolution~ir", denn ,,before there can be a shift in our policies [between the USA and Europe], there must be a shift in our imaginations. ''5 Die Perspektive, die nun aber hypothetisch angenommen wird, lautet, dass die Relativierung einer im universalhistorischen Vergleich kulturhistorisch zweifelsohne gegebenen euroamerikanischen Werteeinheit erneut eine Entfremdungserscheinung innerhalb des Westens selbst darstellt, die heute daraus resultiert, dass die einzige Voraussetzung daffir, sich der gegebenen Werteeinheit bewusst zu werden und sie daraufhin vielleicht sogar in politische Handlung umzuwandeln, nicht mehr gegeben ist. Die Voraussetzung besteht darin, endlich wieder alle amerikanischen E r s c h e i n u n g e n - auch die gesellschaftspolitischen- so aufzugreifen, dass sich europiiisches Denken selbst darin erkennt. Aus intellektueller Antriebslosigkeit heraus, so k6nnte vielleicht bemiingelt werden, wird gar nicht wahrgenommen, wie , , k u l m r e u r o p S i s c h " die kritisierten, ja geradezu stigmatisierten Erscheinungen in den USA eigentlich sind bzw. welchen Anteil europiiisches Denken an allem Amerikanischen ffir sich beanspruchen kann. Danach wird aber m vielen intellektuellen Zirkeln in Europa fiberhaupt nicht mehr gefragt. Danach zu suchen, sich in ahem Amerikanischen wiederzuerkennen, sei es noch so problematisch aus einer ganz subjektiven Warte heraus, war indes die fruchtbare Kunst eines Tocquevil-
2 Stephanie Schick, ,,Ein Freund, ein guter Freund, das ist das S&&ste, was esgibt aufder Welt". Anna~erungen an die Bedeutung yon Freunds&aft aus kommunitarfstischer Per~ektive, in: Anton Hauler / Werner Kremp / Susanne Popp (Hg.),Die USA als historisch-polilische und kulturelle Herausforderung. Vermittlungsversuche,Trier 2003, S. 13-24, 20. 3 Vgl. Gerhard Besier / Gerhard Lindemann, Im Namen der Freiheit. Die amedkanische Mirsion, G6ttingen 2006. Vgl. zur Tradition Kurt R. Spillmann,Amerfkas Ideologie des Friedens. UrJpr~'nge, Formwandlungen und geschichtliche Auswirkungen des ameKkanischen Glaubens an den Mythos yon einerft#dlichen Weltordnung, Bern 1984. 4Vgl.Jfirgen Habermas, DergeJ~altene Westen, Frankfurt a.M. 2004. s David Calleo, The AtlanticFantasy: The U.S., N A T O andEurope, Maryland 1970, S. X.
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le. 6 Zugleich erlauben die Unterschiede ja genau jenen Grad an Selbstkritik, den die Freiheit braucht, um iiberleben zu k6nnen. Der Spiegel, der den ,,distanzierten Blick" auf sich selbst erlaubt, ist immer der andere Tell des Zivilisationszusammenhangs. v Europa braucht Amerika, um die Distanz zu sich selbst aufzubringen, und Amerika Europa aus genau dem gleichen Grund. 8 Ist vielleicht ,,Europa", gedacht als reiner, unlzistorischer Konstruktivismus, basierend auf der Stunde Null eines negativen Griindungsmythos 9, sich seiner eigenen Wertigkeit nicht mehr bewusst? Trauten wit uns aber wieder an eine philosophische Begriindung der Einheit des Westens heran, so stellte sich die Frage des konkreten Symbols, sobald die Frage gestellt wiirde: Wie kann die philosophische Wirklichkeit politisch realisiert werden? Es geht beim Begriff der ,,Atlantischen Zivilisation", das sei vorausgeschickt, nun nicht datum, nur Zivilisationsforschung zu betreiben und eine euro-amerikanische Wertegemeinsamkeit zu ergriinden. Das ist schon oft zu Geniige getan worden. Eine minimale Wertegemeinsamkeit auf internationaler Ebene alleine reicht nicht, um aus ihr eine politische Solidaritiit abzuleiten (sonst hiitte es z.B. im Europa des 19. Jahrhunderts keine innereuropiiischen Kriege geben dfirfenl~ Drei Dinge miissen nach aller - europiiischen- Erfahrung hinzukommen, um gemeinsame Werte zu Voraussetzungen solidarischen Handelns zu machen und eine konsistente ,,Wertegemeinschaft" zu erm6glichen11: Die Beseitigung der Rivalit~itvon Staatsriisons Die Schaffung iihnlicher oder gleicher Staatsverfassungen Und schliel31ichder politische Wille, die gegebenen Gemeinsamkeiten untereinander feierlich zu best~itigen, um auf dieser Basis Politiken zu koordirtieren, gemeinsame Aktionen zu ilaitiieren, die eigenen Wertsetzungen durchgehend zu CiberprCifen,gegenseitig zu vermitteln und im Bedarfsfall neuartige Werte zu setzen sowie Regelungenund Organisationsstmkturen durchzusetzen. Gerade beim letzten Punkt wird sich zeigen miissen, inwieweit die atlantische bzw. ,,westliche Wertegemeinsamkeit" politische Wirkung im Sinne einer wahrhaft interessen- und wertezentrierten solidarfschen Aktionsgemeinschaft zeitigen kann. Da letzteres zu wiinschen wiire, geht es in diesem Buch datum, fiber die ,,Wertegemeinsamkeit" hinaus zu gehen und genau jene Operationalisierung der gegebenen zivilisatorischen K o m p o n e n t e systematisch anzustreben, die es braucht, um dem Begriff der ,,Wertegemeinschaft" einen mehr als nur rhetorischen Klang zu geben. Es geht darum, der ,,Zivilisation" mit Hilfe eines bildlichen Symbols, gar vielleicht eines politischen Mythos, ein wirklich allgemeinpolitisches Prof'tl zu geben und es nicht bei einem ,,biindnispolitischen" Proffl zu belassen, das immer hiiufiger ,,nach dem Ende des Kalten K_rieges" als obsolet denunziert wird. Die praktische Zielsetzung ist also eine ,,Politisiemng" des Westens im Sinne der Herbeifiihrung einer atlantischen Willens- und Aktionseinheit, i.e. einer atlantischen Handlungsmaxime, Handlungseinheit und Handlungselite. Es geht auch darum, bestimmte romantische Traditionen Europas aus ihrem A n f Amerikanismus zu befreien, ohne selbst eine Vers6hnung yon Romantik und Amerikanismus 6 Vgl. Alexis Clerel de Tocqueville, Die Demokratie in Amerika. Eine Auswahl, hg. v. Friedrich August Frhr. vonder Hey&e, Regensburg 1955. 7 Vgl. exemplarisch Lucien Febvre et. aI. (Hg.), Le Nouveau Monde et l'Europe, Neuchfitel 1955. Vgl. Tilo Schabert, Die Atlantfirche Zivilisation. Uber die Entstehung der einen Welt des Wes/ens, in: Peter Haungs (Hg.), Europ~Tsierung Europas?, Baden-Baden 1989, S. 41-54, 54. 9 Auf Deutschland bezogen kann z.B. dieser Mythos in einer diskurstheoretischen Einbettung betrachtet werden bei JCirgen Habermas, Die Normalita't einer Berliner Republik, Frankfurt a.M. 1995. 10 Die Argumentation stammt von Barry Buzan, From International to World Society? English School Theo~ and the Social Slructure of Globalk'ation, Cambridge 2004, S. 146. 11Vgl. im folgenden ebd., S. 146f.
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bzw. Atlantizismus herbeifiihren zu wollen. Das Ziel ist nicht die Romantisierung des Transatlantizismus, s o n d e m dessen politische Substantialisierung in einem Voegelinschen Sinne12: D e r W e s t e n soll nicht nur als ,,Repriisentant seiner eigenen Existenz" oder gar als Repriisentant eines rein iisthetischen Ideals, sondern als ,,Repriisentant einer W a h r h e i t " in E r s c h e i n u n g treten. I-Liebei handelt es sich nicht u m eine ,,absolute Wahrheit", sondern u m die , , L e i d e n s c h a f t fiir eine Wahrheit" im politischen R a u m bzw. u m die 15berzeugung von einer Sache, die im politischen R a u m als sinnvoll erachtet werden kann. D e r Westen wiirde sich just in d e m Mom e n t eine ,,politische O r d n u n g " verschaffen, in d e m er erreicht, dass sich seine ,,Repriisentation der Wahrheit" dutch Verteidigungsf':ihigkeit u n d U b e r z e u g u n g (peitho) i m I n n e r e n durchsetzt und sein Wahrheitsbegriff sich zugleich mit einer kosmischen O r d n u n g vertriige, die als solche me , , b e w i e s e n " , sondern nur religi6s ,,geglaubt" oder vernunfttheoretisch und philosophisch e r k l o m m e n werden kann. ,,Politische O r d n u n g e n " sind insofern u n v o l l k o m m e n und uniiberwindlich endlich, ein Schutzsystem, ein Bet~iubungsmittel gegen die Angst vor der Sinnlosigkeit. D e r W e s t e n besitzt n u n als Gesamtzivilisation zweifelsohne das Potential, eine Repr~isentanz im Sinne einer ,,Repriisentation v o n Existenz u n d Wahrheit" zu entfalten, unabhiingig davon, wie weit m a n heute davon entfernt ist. Die O p t i o n einer ,,Atlantischen Zivilisation" wird also i m m e r offen stehen, weil sich Amerikaner und Europ~ier nicht einfach in u n u m k e h r barer F o r m v o n ihrem historischen K o n t e x t verabschieden k6nnen. Die Frage, ob ein ,,Verbindlichkeitssprung ''13 im Sinne einer ,,Atlantischen Zivilisation" erfolgen soll, will der Verfasser v o n vorneherein positiv beantworten. Es geht u m nichts weniger als die m e h r und m e h r verlorengehende kulmrelle I ~ a m m e r zwischen Amerika u n d Europa. Die als ,,Kulturbruch" charakterisierte E r o s i o n der kulturellen Verankerung des Atlantizismus wird nicht nur v o n W e r n e r Weidenfeld als eine ernsthafte Gefahr des westlichen Z u s a m m e n h a l t s u n d der westlichen Oberlebensf'~ihigkeit angesehen. 14 Die Notwendigkeit, diese A n t w o r t e n als Alternative zu anderen W e s t k o n z e p t i o n e n zu entwickeln ist in Zeiten eines transatlantischen ,,Kulturbruchs" m e h r denn je gegeben. Die K o n z e p t i o n e n v o n Jiirgen Habermas, Jacques Derrida o d e r - in einer anderen Spielklasse - eines Harald Mi,iller 15 bieten genauso wenig zufrieden stellende A n t w o r t e n auf das P r o b l e m wie der demokratiepolitisch missionarische Eifer 16 einer bestimmten, in den USA traditionell verwurzelten biindnisskeptischen F o r m 17 des amerikanischen
12Vgl. im folgenden Eric Voegelin, Die Neue Wissenschaftder Politik. Eine Einfiihrund~ hg. yon Peter J. Opitz, ND M/inchen 2004; Ders., Ordnung und Geschichte. Band X." Aufder Suche nach Ordnung, hg. von Paul Caringella und Gilbert Weiss, M/inchen 2004. 13Wemer Weidenfeld, Abschied yon der liebgewonnenenRoutine, in: Zeitschrift fCirKulturaustausch, 42. Jg. 2/98, S. 26-29, 27. 14Vgl. ebd., S. 26-29. 15 M/iller fordert notfalls konfrontativ gegen Amerika gerichtete europS_ische Weltordnungsvisionen ein (vgl. Haratd M/iller, Supermacht in der Sackgasse? Die Welfordnung nach dem 11. September, Bonn 2003, S. 144f.). Leiser, abet dennoch europ~istisch verengt argumentiert Tzvetan Todorov, Die verhinderte Weltma&t. Refelexionen eines Europderr, M/inchen 2003. 16Vgl. zur Gefahr aus einer liberalen, abet grundsS_tzlichdemokratieskeptischen Sichtweise heraus insbesondere Fareed Zakaria, The Future of Freedom. IlliberalDemocra~ at Home and Abroad, New York 2003. iv Vgl. insbesondere George Washingtons Abschiedsrede vom 17. September 1796: ,,Warum unser Schicksal mit dem irgend eines Teiles von Europa verflechten und unser G1/ick in Plackereien europ~iischen Ehrgeizes, europS_ischer Feindschaften, Interessen, Launen oder Gr613en verwickeln? - Die richtige Politik f/ir uns ist, an dauernden B/indnissen mit irgendeinem Teil der Cibrigen Welt gl/ic-ldich vorbeizukommen (...). Wit mCissen immer darauf achten, uns dutch entsprechende Einrichtungen in einer achmnggebietenden Verteidigungsstellung zu halten; dann dCirfen wit auch in aul3ergew6hnlichen schwierigen Lagen auf vor/ibergehende BCindnisse n-fit Sicherheit vertrauen." (zitiert nach Fritz Wagner, USA. Geburt und Aufstieg der Neuen Welt- Ges&ichte in Zeitdokumenten 1607-1865, M/inchen 1947, S. 162f.); vgl. ferner die Ausf/ihrungen Wagners ebd., S. 169ff.
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Neokonservativismus. 18 In einem alternativen Sinne wie in diesem Buch wird der Begriff ,,Atlantische Zivilisation" heute schon von einigen Seiten gebraucht, z.B. von David Calleo oder auch in D e u t s c h l a n d in vereinzelten publizistischen Artikeln best i mmt er Politikwissenschaftlet. 19 D o c h eine solche politische Idee darf nicht auf Sand gebaut sein. Es k 6 n n t e ja i m m e r h i n sein, dass die ,,transatlantische Partnerschaft" mit dem Wegfall der B e d r o h u n g ihren G e m e i n samkeit stiftenden Sinn verloren hat; es ist nicht auszuschlielBen, dass sie sich in Z ukunft an den a u f k o m m e n d e n Rivalitiiten aufreiben wird. A b e t war die eigentliche Grundlage der Partnerschaft nicht doch v o n kulturellem Wert und subkutaner Dauerhaftigkeit, so dass sie seit der Zeitenwende 1990 auch politisch hiitte umgemiinzt werden k6nnen? Die dafiir nowendige politische Idee muss auf einer Imagination aufbauen, die der Begriff der ,,Atlantischen Zivilisation" erm6glicht. Dabei ist die Imagination vor d e m H i n t e r g r u n d eines europ~iischen Erfahrungsstoffes, bestehend aus einem gewaltoffenen Surrealismus, kein Selbstzweck. Die m o d e m e n Grol3verbrechen der , , w e s t l i c h e n " Menschheit waren allesamt Folgen einer m o d e m e n ,,Entfesselung der Phantasie". Im D e n k e n des 18. u n d 19. Jahrhunderts wurde alle Macht fiir Phantasie gefordert, bis schliel31ich im 20. J a h r h u n d e r t auch in der Praxis ,,der Stolz, der H o c h m u t [und] die Eifersucht" die ,,Vemunft als Herrin der Phantasie" vertrieben haben. 2~ D e r v o r m o d e r n e , christliche oder antike Vernunftbegriff wurde als ,,naiv", , , u n n i i t z " oder ,,inhaltslos" abgetan. D e r N e n n e r blieb dabei der gleiche: Die Phantasie sollte im R a h m e n eines letztlich surrealistischen Freiheitsverstiindnisses 21 entfesselt werden. N u r wenn die Imagination kein Selbstzweck ist, k6nnte die imaginative Kraft des Begriffes ,,Atlantische Zivilisation" die groge Chance darstellen, den Westen nicht nut neu, phantasievoller u n d berauschender, sondern vor allen D i n g e n besser zu denken und auf diesem Wege ein Gefiihl des a n g e me s s e n e n Pathos fiir ihn zu erm6glichen. ,,Natiirlich wiire es falsch, daraus nun den Schluss zu ziehen, dass eine Freiheit [..] menschlicher Imagination nur erfahren kann, wer ein Gewalttiiter ist. ''22 Jede ,,Entfesselung" der Phantasie zu niederen Zwecken ist v o n einer Moti-
18Habermas greift diesen zu Recht an, aber bewertet ihn zugleich fiber: vgl.Jfirgen Habermas, Was bedeutet der Denkmalsturz? l,/erschlie/~enMr nicht die Augen vor der Revolution der Weltordnung: Die normative Autoritat Amerikas liegt in Tru'mmern, h~: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. April 2003, S. 33. Habermas wfirde den Vorwurf der 0berbewermng wohl als ,,Trivialisiemng" verstehen: ,,Funktionen wie die geostrategische von Machtsphiiren und Ressourcen (...) m6gen eine ideologiekritische Betrachtung aufdriingen. Abet diese konventionellen Erkliimngen trivialisieren den noch vor anderthatb Jahren unvorstellbaren Bmch mit Normen, denen die Vereinigten Staaten bisher verpflichtet waren." Dass sich ,,vor anderthalb Jahren" der gr613teTerrorangriff aller Zeiten in den USA abgespielt hatte, deutet Habermas nut an. Doch noch entscheidender erscheint dem Verfasser dieser Arbeit zu betonen, dass das, was Habermas als ,,Trivialisierang" bezeichnet, genau jenes formuliert, was aus einer realistischen Perspektive der einzig wirklichkeitsadiiquate Weg ist, die amerikanische Politik zu erNiiren oder gar zu verstehen. 19Vgl. beispielsweiseJfirgen Chrobog, Debatte iiber die Grundlagen der Atlantischen Zivilisation, in: Frankfurter Allgemeine Zeimng, 2.7.2001; Ludger Kfihnhardt, Editorial." Atlantische Gemeins&aft brauchtgrundlegende Erneuerung, in: ZEIreport Nr. 11, Juli 2002, S. 1; Christian Hacke, Deutschland darf nichtJunio~oartner Frankreichs bMben. Das Land muss Zu seiner klassis&en GMc/.gewicht~politik Z~schen Paris und Washington Wdickfinden, in: Die Welt, 14. Juli 2004; vgl. mit Bezug auf Hacke femer Tim B. Mfiller, Au/~enpolitik als missionarischer Trip. Pla'doyerfiir einen neuen Realismu~:"Eine Tagung in M~nchen untersucht, was der Pra'sident der Vereinigten Staaten yon HansJ. Morgenthau lernen k&nte, in: Sfiddeutsche Zeitung, 3. November 2004, S. 15; Matthias Oppermann, Die Kunst des Wirklichen. Was isl in der Politik schon realistisch? Eine Miin&ener Tagung iiber Hans j. Morgenthau, in: Frankfurter Allgemeine Zeimng, 2. November 2004, S. 37. 20 Vgl. aui3erordentlich beeindruckend: Tilo Schabert, Modernita't und Geschichte. Das E,\Joeriment der modernen Zivilisation, Wfirzburg 1990, S. 75-85, insbsd. S. 77. al Vgl. dazu und in Bezug auf anhaltende Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die sich gegenwiirtig verstiirken: Tilo Schabert, Gewalt und Humanita't. Oberphilosophis&e undpolitis&e Mani/estationen yon Modernita't, Freiburg i.Br. 1978, S. 293305. ~_2Vgl. ebd., S. 297.
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vation abhiingig, die jeglicher Phantasie im Wesentlichen entgegensteht. Vor der Phantasie Angst zu haben, wiire indes der schlechteste aller Riickschliisse, den man ziehen kann. 23 In der Frage der philosophischen Basis der Imagination will sich der Autor als ,,Beutesammler" erweisen, wie er nach der ,,Nova Atlantis" von Francis Bacon beschrieben wird: Wiihrend in Bensalem der ,,JSger" fiir transdiszipliniire Fragen, der ,,Pionier" fiir die Experimentideen, der , , K o m p i l a t o r " fiir die Experimentberechnungen, der ,,Wohltiiter" fiir die praktische A n w e n d u n g des Wissens zust;,indig ist und der ,,Lichth;findler" in fremde Liinder f'~ihrt, u m dort Informationen zu sammeln und die Erfmder und Experimentierer die materielle Basis des Wohlergehens sichern, ist der ,,Beutesammler" (oder ,,RSuber '~ dafiir zustiindig, die in Biichern festgehaltenen Kenntnisschiitze zu sichern. 24 Und ein Letztes erscheint noch wichtig: D e r Autor will sich nicht scheuen, i m m e r wieder explizit die Frage aufzuwerfen, ob er mit seinem Ansatz nicht einem ,,vorget~mschten" Idealismus aufsitzt, getreu dem Ausspruch Charles de Gaulles, dass der , , A t l a n t i z i s m u s " nichts weiteres sei als ,,will to power ... cloaked in idealism. ''2s Die Frage, ob und wenn ja, inwiefem das zutrifft, muss immer bedacht werden, damit der allgemeinen Erkenntnis Geniige getan wird, dass eine ,,politische Imagination" nicht auf Sand gebaut werden darf, wenn sie denn einen Sinn haben soll. Die Position des Autors hierbei fuBt auf zwei A n n a h m e n : Z u m ersten sieht er es als berechtigt und militiir-, macht- und geopolitisch sogar als unabdingbar an, darauf hinzuweisen, dass amerikanische AuBenpolitik und die (angebliche oder wirkliche) Zielsetzung des Schutzes einer westlichen Wertegemeinschaft analytisch voneinander geschieden werden miissen. Ein indirekter Z u s a m m e n h a n g zwischen amerikanischer Aul3en- und Geopolitik sowie iibernationaler Zivilisations- oder gar Wertegemeinschaft besteht natiirlich trotzdem gleichsam auf einer zweiten Ebene, die auf die erste zuriickwirkt. Die zweite A n n a h m e lautet, dass es in dem Moment, in dem diese beiden E b e n e n nicht voneinander geschieden werden, zu einem ,,blinden Atlantizismus" k o m m e n kann, der de facto nicht von einem missionarischen, ,,amerikanischen ''26 Unilateralismus unterschieden werden k6nnte, dem die Amerikaner als einzig verbliebene Weltmacht mehr und m e h r anheim fallen. 2v Eine solche ,,Vision" wiirde sich durch bereitwillige und unhinterfragte U n t e r o r d n u n g der Europiier im Sinne eines akzeptierten und gutgeheil3enen Vasallentums unter den politischen Willen eines ,,Neuen R o m s " auszeichnen. Die atlantischen G e m e i n s a m k e i t s b e k u n d u n g e n wiirden sich in einem solchen K o n t e x t auf sehr gef'~ihrliche Weise den Solidaritiitsbekundungen der ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes anniihern: Solidaritiitsbekundungen ohne jegliche gesellschaftliche und kulturelle Basis.
23 ,,Alle echten Konservativen sind dieser Uberzeugung: Phantasie ist das wichtigste Verm6gen des Menschen" (Friedrich Heer, DerKonse~ative und die Reaktion, in: Die Neue Rundschau, 69. Jg. 1958, S. 490-527, 497. 24 Vgl. Francis Bacon, Neu-At/anti3; hg. yon Hans Schulze, Berlin 1959, S. 99f. Daneben gibt es in einer Rekapitulationsphase wissenschafflicher Fortgiinge noch die ,,Leuchten", die ,,Pffopfer" und die ,,Naturinterpreten". 25 zitiert nach David Calleo, The Atlantic Fantasy: The U.S., NATO and Europe, Maryland 1970, S. 100 (iihnlich Eberhard Straub, q,"erwestlichung'als Er~ehungsprogramm, in: Rainer Zitelmann / Karlheinz Weil3mann / Michael Grol3heim (Hg.), Westbindung. Chancen und FOsikenfigrDeutschland, Frankfurt a.M. / Berlin 1993, S. 323-342, 327). 26 In gewisser Weise ist der Zivilisationsmissionarismuszahlreicher Amerikaner des 20. Jahrhunderts (mit Abstrichen auch der Missionarismus Wilsons, Roosevelts und Bushs jr.) ja geradezu ,,unamerikanisch": Sind die USA im Inneren nicht aus ,,Machtmisstrauen, Diktamrfurcht, Korrumpierungsangst und Ablehnung stehender Heere", also aus einem tiefgreifenden Vorkehrungsbewusstseinheraus entstanden, statt aus einem Blickavinkelder optimistischen und staatsautoritiiren Zukunftsverhe~ung im Sinne eines harmonieorientierten Perfektionismus, der an die Vervollkommnungsfiihigkeit der Menschen glaubt? (vgl. zu diesem Aspekt auch Margarita Mathiopoulos, Amerika: Das E~,Joerimentdes Fortschritts. Ein VergMch despolitischen Denkens in Amerika und Europa, Paderbom/M/inchen u.a. 1987, S. 143). 27Vgl. Peter Bender, DasAmerikanische und das Rb'mischeImperium, in: Merkur 617/618 (9/10, 54. Jg.), S. 890-900, 898f.
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Es geht aber nicht um Vasallenmm als Leitprinzip, so sehr es auch eine klare Tendenz gibt, dass dieses mit jeder Zunahme des machtpolitischen Vorsprungs der USA gegenfiber allen anderen eine reale Notwendigkeit der Weltpolitik darstellen k6nnte. Es geht auch nicht um einen noch darfiber hinausgehenden, unhinterfragten ,,Hurra-Amerikanismus ''28, sondern darum, eine ,,historisch-kulmrelle Verbindung des europ~iischen und amerikanischen Zivilisationsmodells ''29 zu l i n d e n - m der Tradition etwa Arendts, Morgenthaus, Mannheims, Carl Joachim Friedrichs, Voegelins, Fraenkels, Bergstraessers, Golo Manns und Brachers. Ganz allgemein gesprochen bedeutet das auch, dass die Vorstellung von der ,,Notwendigkeit einer zuk~nftigen europ~iischen Einheit" zum Muster einer ,,Atlantischen Zivilisation" geh6ren muss - e r s t recht angesichts einer ,,amerikanischen Gefahr" im Falle eines moralistischen Unilateralismus amerikanischer AuBenpolitik und eines v611ig ungebundenen auBenpolitischen ,,American Exceptionalism". Die Alte Welt ist sozusagen dazu angehalten, sich zu einigen, um sich der Neuen Welt weiterhin 6ffnen zu k6nnen 3~ um nicht von einer Neuen Welt, die vielleicht ins Geschichtslose schlittern k6nnte, fiberw~iltigt zu werden. Solange die Alte Welt sich in der Neuen nicht mehr erkennt, verf'~illt sie jedoch selbst ins Geschichtslose: Daher geht es auch um eine ,,Europ~iisierung Europas"31, allerdings nicht in einem marxistischen oder rein europ~iistischen Sinne, sondem in einem geradezu klassischen, der das historische, politisch als solches immer noch wirksame Amerika auch als ,,Nation Europa" begreift. Es handelt sich hier also um eine Riickbesinnung. Ein politischer Atlantizismus kann also nut auf eine ann~ihernd symmetrische transatlantische Aktionseinheit beruhen. Einen Atlantizismus z.B. aus einer historisch zweifelhaften ,,Dankesschuld" heraus zu begrfinden kann zwar emsthafte und vielleicht sogar verstehbare Motive verbergen, l~iuft aber auf eine Aufl6sung einer transatlantischen Handlungsmaxime hinaus, da ,,Dankbarkeit" politisch nichts weiter bedeuten kann als Unterordnung. Gerade das hat aber nichts mehr mit einem starken Atlantizismus zu tun, so dass die Unterscheidung zwischen einem blinden und verldtschten sowie einem reellen Atlantizismus schon einmal vorab zur Kl~irung des Motivgedankens ffihren sollte.
2. Erkenntnisinteresse und erkenntnisleitende Fragestellungen 2.1 Die Suche nach ,,Sicherheit durch Identita't"und die Rolle Huntingtons
Die Funktionen eines politisch identifizierbaren Werte- und Symbolbezugs einer ,,Einheit des Westens" sind in den vorhergehenden Ausfiihrungen schon benannt worden: eine identit~itspolifsche und eine sicherheitspolitische im weitesten Sinne, also unter Einschluss der Frage ,,Sicherheit durch Identit~it". Die letztgenannte Funktion kann defmiert werden als die Schaflung der M6glichkeit als westliche ,,Gesamteinheit" extremistischen Anfeindungen gegenfiber nicht mehr sprach- und geistlos zu bleiben und damit in einem viel umfassenderen Sinne beschiitzt zu sein.
28 Margarita Mathiopoulos, Amerika: Das Ex~e,iment de.; Fortschritts. Ein VergMch des pol#ischen Denkens in Amerika und Europa, Paderborn/M/~nchenu.a. 1987, S. 167. 29Ebd., S. 166. 30Das kann auch im Sinne yon Herbert George Wells, Die Zukunft in Ame,ika, Stockholm 1911, S. 399f., verstanden werden; kulturpessimistischgewendet:Edouard Rod, Reflets d'Amerique, Paris 1905, S. 95f. bzw. 113. 31 Vgl. Margarita Mathiopoulos, Ame,ika: Das Ex~e,iment des Forlschdtts. Ein Vergleich despolitischen Denkens in Ame,ika und Europa, Paderborn/MCmchenu.a. 1987, S. 169.
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Kapitel I
D e m n a c h erscheint es heute anmal3end zu glauben, ein politisches Verstiindnis des ,,Westens" w~ire ein genuines M o m e n t weltpolitischer Ordnungsstiftung, vielleicht gar verstanden als unabdingbare Voraussetzung eines ,,kulturellen Dialogs", der den milit~irischen K a m p f gegen einen antiwestlichen Terrorismus ersetzen k6nnte oder unbedingt flankieren miisste. Das neue westliche Wertebewusstsein sollte sich damit begniigen, sich als eine produktive Reaktion auf den Terrorismus zu verstehen und sich als ein wichtiges Element zur Verhinderung eines geistigen Verblassens des Westens anzusehen. ,,Indem wir wahrnehmen, wie andere unter Berufung auf ihre Kultur und Identitiit die uns so selbstverstiindliche Demokratie als Ganzes oder einzelne ihrer Elemente zuriickweisen, werden wir auf die Besinnung und Reflexion unserer eigenen kulturellen und politischen Identit~it im Rahmen der westlichen Demokratie zuriickverwiesen. ''32 Es geht insofern im weitesten Sinne um eine Verteidigungsperspektive und zugleich um eine geistige Mobilmachung, die durchaus den Nebeneffekt haben kann, den ,,kulturellen Dialog" zu erleichtem statt zu erschweren, wenn die Wertmal3st~ibe an die freiheitlichen und pluralistisch wirkenden Errungenschaften gekoppelt bleiben, ohne f r e n c h kulturelle Inklusionen zu verleugnen. 33 Das Wort ,,Verteidigungsperspektive" solI indes nicht suggerieten, dass dem Westen ernsthaft grol3e B16cke als Feinde in der Weltpolitik entgegenstehen, set es die ,,islamische Zivilisation" oder die ,,konfuzianische Zivilisation" oder schlicht der , , R e s t " . 34 China h~itte zwar das Machtpotential, sich als Kernstaat einer Grol3zivilisation dem Westen in einem imperialen Sinne auch kulturell entgegenzusetzen, doch gibt es keine stichhaltige ideenllistorische Herleitung dafiir, dass dies in absehbarer Zukunft wirklich passieren k6nnte. Allerdings bedeutet die Absenz eines derartigen Kemstaates nicht, dass der Westen nicht in seinem kulturellen Kern und mit klarer eliminatorischer Zielsetzung angefeindet wird, und zwar in der Tat auf eine ganz neuartige - kulturalistische - Art und Weise. Der politische Islamismus hat hier die Rolle des Avantgardisten iibemommen. Wenn es richtig ist, dass es im politischen Handeln des ,,Westens" heute darum gehen muss, Zerrbilder in aul3erwestlichen Kulturr{iumen zu korrigieren, dann geht es immer auch darum aufzuzeigen, warum der Westen mehr darstellt als radikalen Materialismus und moralische Verderbnis. W~ihrend es bet der Beseitigung von Zerrbildem des Islam im Westen darum geht, auch die ,,positiven" Aspekte der islamischen Zivilisation in den Vordergrund zu riicken, so muss doch das gleiche mit der ,,westlichen Zivilisation" erfolgen. 35 Hier kann Huntingtons Ansatz in seinem Buch ,,Kampf der Kulturen" durchaus als erste wichfge, wenn auch in mancherlei Hinsicht konkretisierungs- und ergiinzungsbediirftige Grundlage herangezogen werden. 36
32Michael Th. Greven, Einfiihrungsvortrag: Demokralie- eine Kultur des Westens, in: Michael Greven (Hg.), Demokratie - eine Kultur des Westens? 20. Wissenschqftlicher Kongre/f der deutschen Vereinigungfigr Politische Wissenschqfi, Opladen 1998, S. 19-35, 29. 33Vgl. auch Wolfgang Schiiuble, Scheitert der Westen? Deutschland und die Neue Weltordnunj~ M/inchen 2003, S. 181. Damit steht Sch~iubles Buch im gewissen Gegensatz zu Joschka Fischer, Die Riickkehr der Geschichte. Die Welt nach dem 11. September und die Erneuerung des Westens, K61n 2005: Fischer fasst das Islamismusph{inomenkaum als kulturelles,sondem als Modernisierungsproblem auf und stellt seinen Begriff des Atlantizismus auf den Boden einer universalistischen Menschenrechtsorthodoxie. 34 Diese Kritik scheint berechtigt (vgl. z.B. Stephanie Lawson, Introduction. A New Agenda for International Relations?, in: Dies. (Hg.), The New Agenda for International Relations. From Polarization to Globalization in World Politics?, Cambridge 2002, S. 3-18, 13). 3s Vgl. Udo Steinbach, Interessen und Handlungsmb'glichkeiten Deutschlands im Nahen und Mittleren Osten, in: Joachim ICrause, Kooperative Sicherheitspolitik. Strategische Ziele und Interessen, in: Karl Kaiser / Joachim K_rause(Hg.), Deutschlands neue Aufdenpolitik. Band 3: Interessen und Strategien, Mfinchen 1996, S. 189-194, 193. 36 Vgl. Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, MCinchen 2002; Bassam Tibi, Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion uvischen VernunJt und Fundamentalismus, Hamburg 1995.
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In Bezug auf Huntington sollte in diesem Zusammenhang auch einmal die pazifierende und dialogische Komponente seines Werkes zur Kenntnis genommen und gewiirdigt werden. Ohne Huntingtons Prognose eines ,,Kampfes der Kulturen" w~ire me vor diesem Kampf, gewamt worden. Und Huntington selbst hat im ()brigen in Bezug auf die Warnungen den Anfang gesetzt. So wurde in kritischen Situation immer wieder vor einem ,,Kampf der Kultuten" yon westlicher Seite aus dann immer gewarnt, wenn die Gefahr am grfl3ten war, dass dieser Kampf ausbricht, i.e. nach entsprechend terroristischen Anschliigen mit dem Versuch einer kulturellen Legitimationsaneignung. Es scheint hilfreich sich vorzustellen, wie (nicht nut) die amerikanische C)ffentlichkeit auf Terroranschliige reagiert h~itte ohne eine entsprechende Sensibilisierung und Immunisierung, die in der Heraufbeschwfrung und der damit einhergehenden Kritik des ,,Kampfes der Kulturen" liegt. So betonte George W. Bush in seiner Rede am 20. September 2001, dass er den Glauben der Muslime respektiere und dass er die Terroristen nut als Verriiter am muslimischen Glauben betrachten kfnne. Entsprechend warnten und wamen nach islamistischen Anschl~igen westliche Politiker aller Couleur immer wieder vor einem ,,Kampf der Kulturen". Das Szenario yon Huntington zeitigt also eine nicht zu unterschiitzende Immunisierungsfunktion: Es ist e b e n - in einem wertneutralen S i n n e - nicht selbstverstiindlich, dass Ausschreitungen und Gewalttaten gegen Ausl~inder, vor ahem gegen Araber und Muslime, in nur begrenzter Weise den Anschliigen - ob in New York, Madrid oder L o n d o n - folgten. Der diesbeziigliche Beitrag yon Huntingtons Schreckenszenario sollte unter diesem Aspekt mit besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden.
2.2 Die Identitdt des ,,modernen Menschen "im Widerstreit: Peter L. Berger und Ulrich Beck
Identit~itspolitische Fragen erf'fillen nun nicht nur eine sicherheitspolitische Funktion, sondern noch einen ganz eigenen Kern, womit beim Begriff der ,,Atlantischen Zivilisation" die identit~itspolitische Funktion eines politisch identifizierbaren Werte- und Symbolbezugs einer ,,Einheit des Westens" angeschnitten ist. Diese Funktion bezieht sich aufgrund des Modernit~itsgehalts des gesamten ,,Westens" auf das ffir die Moderne typische ,,Unbehagen in der Modernit~it". Im Falle einer modemen positiven Idenftiit des Westens miisste vermittels einer reflektierten Reanimation eines iibernationalen Ehrbegriffs im Sinne einer ,,Ehre des Westens" einero Privatismus und Hyperindividualismus des ,,heimatlos"37 gewordenen ,,Westlers" gegenfiber den mehr und mehr nut noch als technokratischen und anonym begriffenen, weil ,,~iul3erlichen", ,,femen", und vfllig verregelten Institutionen in einem kulturellen Sinne ,,Einhalt" geboten werden. Institutionen def'mieren wit als formal gesetzte Normen und informelle Regeln, die verhaltenssteuemd wirken, unabhiingig davon, ob sie einen Zweck oder eine Funktion in etwas haben, was aul3erhalb yon ihnen liegt. Und unter dem Begriff der ,,Heimatlosigkeit" lassen sich dabei nach Peter L. Berger Erscheinungen ,,prekiirer Identit~it" des modemen Menschen zusammenfassen, die sich aus Spannungs-, Angst, Anomie- und Entfremdungszust~inden, aus Rollendistanzen, aus ,,impression management", hinausgeschobenen Vitalbedfirfnissen, pluralen Lebenswelten und Identitiiten sowie s~ikularisierenden Momenten zusammensetzen. Die prekiire Situation folgt aus einer Widersprfichlichkeit der Modemit~it heraus: ,,Auf der einen Seite ist die moderne Identitiit unabgeschlossen transitorisch, fortlaufendemWandel ausgesetzt. Auf der anderen Seiteist ein subjektivesReich der Identitiitder haupts~ichlicheHalt des Individuumsin der Wirk37Vgl. Peter L. Berger / Brigitte Berger / Hansffied Kellner, Das Unbehagenin der Modernitat, Frankfurt a.M. / New York 1975, S. 74.
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Kapitel I lichkeit. Etwas sich fortwiihrend Wandelndes soll das ens realissimum sein. Es ist deshalb nicht s dass der moderne Mensch an einerpermanenten Identita'tskrise leidet, ein Zustand, der zu starker Nervositiit f/ihrt"38
Traditionale Institutionen 39 n e h m e n dutch die Regelungssysteme mnerhalb biirokratisierter, sachlich-neutraler Systeme fiir das individuelle ,,Privatleben" des Querschnitts des m o d e r n e n Menschen stark an Bedeutung ab. Das jedoch weiterhin hmreichend bestehende Verlangen des Einzelnen nach einer sinnerfiillten 6ffentlichen O r d n u n g 4~ mag es von b e s t i m m t e n postmodernen Theoretikern auch bestritten werden 41, finder im K o n t e x t althergebrachter Modernisierungsparadigmata auch keine befriedigende Antwort. Die klassischen Paradigrnata der Aufkliirung gingen davon aus, dass der Mensch durch immer kompliziertere Technologien im Endeffekt nut noch ,,entlastet" wird, und z w a r - und spiitestens das stellt eine l}bertreibung d a r - als Voraussetzung seiner (individuellen) Befreiung im Sinne der individuellen ,,Selbstverwirklichung". Anfang der siebziger J ahre formulierte es die Bergersche Wissenssoziologie in Riickgriff auf Arnold Gehlens Institutionenlehre folgendermaBen: ,,Es scheint uns klar zu sein, dass die ungeziigelte Begeisterung fiir die totale Befreiung des Ich v o n d e r ,Unterdriickung' der Institutionen gewisse grundlegende Erfordernisse des Menschen nicht in R e c h n u n g stellt, insbesondere die der Ordnung". 42 Gerade angesichts der Furcht des m o d e r n e n Menschen vor der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz wirkt eine konsistente ,,politische O r d n u n g " unter Einschluss eines 6ffentlichen Wahrheitsbegriffes oder entsprechenden Wahrzeichens auch nach Voegelin in starker Weise entlastend. Eine derartige O r d n u n g beantwortet zwar nicht die Frage nach dem Sinn, gibt dem m o d e r n e n Menschen aber die Symbolisierung eines Sinns an die Hand, mit der seine Verwirrung in konkreter Symbolik politisch geziihmt und aufgefangen werden kann; die Verwirrung des m o d e m e n Menschen dariiber, dass das M o m e n t der existentiellen U n o r d n u n g etwas Unnatiirliches sein muss angesichts der frappanten Bestiindigkeit natiirlicher Abliiufe, von denen er sich anscheinend entfremdet h a t - sei es die Bestiindigkeit des Wechsels der J ahreszeiten, des Klimas, des Wachsens und Vergehens, der G e b u r t und des Todes, der Regelm~iBigkeit der Bewegung der Gestirne oder )~hnliches. 43 N a c h Peter L. Berger ist nun ,,die Grundkonstitution des Menschen [..] so beschaffen, dass er so gut wie unvermeidlich wieder Institutionen konstruieren wird, die ihm eine geordnete Wirklichkeit bieten. Eine Riickkehr zu Institutionen wird ipso facto eine Riickkehr zur E h r e sein. ''44 Die Wiederherstellung der Voraussetzungen von , , O r d n u n g " und , , O f f e n t l i c h k e i t " durch die reflektierte Rekonstruktion v o n ,,Ehre" k6nnte sich nun in einer postulierten ,,Ehre des Westens" auf besonders sensible Weise realisieren. Jedenfalls sollte nicht nut aus einer konservativen oder rechten Perspektive die ,,Spekulation" erlaubt sein, ,,dass eine Wiederent38 Peter L. Berger / Brigitte Berger / Hansfried Kellner, Das Unbehagen in der Modernita't, Frankfurt a.M. / New York 1975, S. 71. 39 Der Traditionalbegriff ist im Sinne Max Webers zu verstehen, so wie er den Traditionsbegriff in der Herrschaftssoziologie definiert: ,,Traditional soll eine Herrschaft heiBen, wenn ihre Legitimitiit sich stiitzt und geglaubt wird auf Grund der Heiligkeit alt/iberkommener (,von jeher bestehender') Ordnungen und Herrengewalten." (vgl. Max Weber, Wirtschafi und Gesellschaft. Grundriss der verstehendenSo~ologie, ND Neu Isenburg 2005, S. 167). 40 Vgl. Peter L. Berger / Brigitte Berger / Hansfried Kellner, Das Unbehagen in der Modern#a?, Frankfurt a.M. / New York 1975, S. 71. 41 Vgl. dazu die Ausfiihrungen iiber die ,,Postmodeme" bei Hans van der Loo / Willem van Reijen, Modernisierung. Projekt undParado-c, 2. Aufl., Miinchen 1997, S. 283f. 42 Peter L. Berger / Brigitte Berger / Hansfried Kellner, Das Unbehagen in der Modernita't, Frankfurt a.M. / New York 1975, S. 84. 43Vgl. Dietmar Herz, Die platonische Philosophie als Schb'pfeffnpolitischer Ordnung. Die Platon-Inte~retation yon Eric Voegelin, in: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte. Band VI: Platon, hg. von Dietmar Herz, M{inchen 2002, S. 343-389, 346. 44 Peter L. Berger / Brigitte Berger / Hansfried Kellner, Das Unbehagen in der Modernitd't, Frankfurt a.M. / New York 1975, S. 85.
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deckung der Ehre in der kiinftigen Entwicklung der modernen Gesellschaft sowohl empirisch plausibel als auch moralisch wiinschenswert ist. ''45 Dass dieser Gedanke fiber die ,,konservatir e " oder ,,rechte" Begrifflichkeit yon ,,Ehre" hinausgeht, versteht sich yon selbst, sobald realistischerweise vor Augen gefiihrt wtirde, dass die Rekonstruktion des Ehrbegriffs ,,schwerlich in Gestalt einer regressiven Restauration traditioneller Kodexe vor sich gehen wird. ''46 ,,Das spezielle ethische K_riteriumf/it alle kiinftigen Instimtionen und f/ir die Ehrenkodexe, die sie im Gefolge haben werden, wird sein, ob sie die Entdeckung der menschlichen Wfirde (...) in sich integrieren und stabilisieren k6nnen. ' ~ 4 7 Hier k6nnte also die politische Substantialisierung oder gar Instimtionalisierung des ,,Westens", der ja zugleich ffir die ,,menschliche Wiirde" steht, vermittels einer geistigen Herleitung oder Konstruktion eines entsprechenden ,,Ehrbegriffs" die beste Gewiihr bieten. Eine Identitiitsstiftung indes, die z.B. aufgrund der Tatsache, dass der Identitiitsbegriff in der Tat ein Krisenbegriff der Moderne ist 48, diese Identitiit an rein , , m o d a l e n " Begriffen wie , , G e m e i n s c h a f t " oder , , G e m e i n s c h a s festmacht, ohne ,,Identit~it" positiv ffillen zu wollen fiber Begriffe wie z.B. ,,Wfirde" und ,,Freiheit", wiire am Ende vielleicht anf~illiger ffir phobische oder ,,negatorische" Retardationen als man es bei ,,gefahrlich essentialistisch" anmutenden Identitiitskonstruktionen mit inhaltlicher Ffillung oft vermutet. Die mit der inhaltlichen Ffillung einhergehende ,,Essentialisierung" ist ja zugleich eine, die m ihrer Wirkungsweise von den Inhalten abhiingt. Gerade Letztere werden aber in betont anti-essentiellen Ansiitzen nicht fair genug wahrgenommen. 49 Mit Bezug auf den Zivilisationsbegriff hat das dann die Folge, dass dieser schon als solcher als ,,gefahrlich essentialistisch" stigmatisiert wird, ,,historisch kontaminiert durch die Bedeutungsschichten des kulturellen Imperialismus, Eurozentrismus, ja sogar Rassismus. ''s~ Es ist bezeichnend, dass einem beim Begriff der ,,Zivilisation" als allererstes nicht die nun einmal westlich fiberlieferten ,,zivilisatorische Werte" einfallen, well diese kulturell und herkunftshistorisch bstimmt sind. Hier entbl6Ben sich die solcherart aggressiv gestimmten Kritiker des metaphysischen Realismus als die eigentlichen- sowohl unhistorischen als auch giinzlich k u l t u r f e i n d l i c h e n - Dogmatiker: So begrfindet Ulrich Beck seine grundsiitzliche Ablehnung des Zivilisationsbegriffes damit, dass dieser Begriff einem ,,kulturellen Indeterminismus" widerspreche, der aber doch letztlich selbst nichts darstellt als eine ideologische Doktrin. Dieser Doktrin setzt Beck die Vorstellung entgegen, dass der Zivilisationsbegriff eine Real_it{it der Ersten Moderne wiederbelebe, die in seinen Augen anscheinend nur als ,,imperiale" oder ,,koloniale" in Erscheinung tritt. Begriffe wie ,,Wfirde", ,,Ehre", ,,Freiheit", ja sogar ,,Liebe", von denen sich ja auch Ulrich Beck in sehr vermittelter Weise leiten liisst, haben keine zivilisatorische Realitiit zu sein: Umso bedauerlicher, als es ja gerade diese Werte sind, die mit Hilfe des Zivilisationsbegriffes einer Essentialisierung unterzogen werden, was ihre gesell-
4s Peter L. Berger / Brigitte Berger / Hansffied Kellner, Das Unbehagen in der Modernita't, Frankfurt a.M. / New York 1975, S. 85. 46Ebd. 4vEbd. 48Vgl. ebd. 49 Vgl. sehr sch6n die Kritik am pauschalen Anti-Essentialismus yon Karl Popper, der jede Form des Essentialismus als ideologisches Strukturmerk:mal einer in der Tat problematischen ,,geschlossenen Gesellschaft" charakterisiert, bei Armin Pfahl-Traughber, Klassische Totalitarismuskonzepteauf dem Pdfstand- Darstellung und Kritik der Ansa'tze yon Arendt, Friedrich, Popper und Voegelin, in: Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie, 16. Jahrgang 2004, Baden-Baden 2004, S. 31-58, 41f. so Vgl. Ulrich Beck / Edgar Grande, Das kosmopolitischeEuropa. Gesellschaftund Politik in der Zweiten Moderne, Frankfurt a.M. 2004, S. 198 und 200fi
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Kapitel I
schaftliche Kraft fiberhaupt erst wieder praktisch erwirken k6nnte, ja sogar fiber die nun einmal gegebenen Zivilisationsgrenzen hinaus; also genau fiber jene kulturellen Grenzen hinaus, von denen Ulrich Beck glaubt, dass sie durch den Zivilisationsbegriff ,,klammheimlich essentialisiert" werden. Beck nimmt zwar die Art und Weise sowie morphologische Abschottung der Zivilisationseinteilung Huntingtons berechtigterweise zum kritischen MaBstab, setzt diese jedoch mit jeglichem Zivilisationsverstiindnis insgesamt gleich, als ob Huntington der renommierteste aller Zivilisationstheoretiker sei.
2.3 Die normative, zivilisatorfsche, geographische undpolitische Weitreiche des Westens und die Aktualitdt der deskrfptiven Perspektive Oswald Spenglers Die Frage, die sich in Bezug auf die M6glichkeit einer sicherheits- und identitiitspolitischen Substantivierung, i.e. eine Politisierung des Westens zun~ichst einmal stellt, ist die, was heute schon mit dem Begriff des ,,Westens" in einem politischen Kontext gemeint ist. Gehen wit zun~ichst einmal vom Alltagsgebrauch m der politischen Sprache aus, so sehen wir die entwickelten Industriestaaten Amerikas und Europas als integrativen Bestandteil des ,,politischen Westens" an. Der Begriff des Westens beinhaltet hierbei eine interessenpolitische, zivilisatorische sowie ideengeschichtlich-normative Grundverbundenheit zwischen den Nationen des entsprechenden geographischen Grol3raumes. Die normativen Elemente, die vor dem Hintergrund der ,,westlichen Geschichte" auf der Hand liegen, sind das personale Unverduflerlichkeitspostulat (Mensch als Zweck) als die allgemeingfiltigste N o r m des ,,Westens" und eine Tradition der ,,Freiheit". Was daraus als Lebens- und Kulturraum resultiert, ist mit der systematischen Implementierung elementarer Bfirger-, Personen- und Menschenrechte und/oder der christlich-personalistischen Religion ausgeffillt. Die normative Grenzziehung ist grundsiitzlich nicht geographisch beschriinkt, hiingt also normativ v o n d e r Frage ab, ob eine bestimmte, der Menschenwfirde vorausgehende Freiheitstradition, gegeben ist oder nicht. Diese besagt, dass Freiheit nur dann qualitativ gegeben ist, wenn dem Willen zum Handlungsakt ein Erkenntniswille vorausgeht, der wiederum die M6glichkeit und die Uberlegung der Wahl zwischen Handlungsakten m6glich macht. Damit schliel3t sich zugleich ein Kreis, da Freiheit nichts anderes ist, als genau diese Wahl zu haben. Da Erkenntniswille die Pflicht voraussetzt, nicht das zu tun, was man sich Oeidenschaftlich) wfinscht, ist Freiheit natiirlich unm6glich nur auf der Basis der reinen Wfinschbarkeiten erreichbar: Diese Entdeckung ist eine der wichtigsten aller abendliindischen Errungenschaften. Freiheit ist nut m6glich, wenn die Wahl m6glich ist. Die Wahl ist nur m6glich, wenn Erkenntnis vorhanden ist. Freiheit ist nut tatsiichlich gegeben, wenn der Wahl die Tat dutch den wirklichen Willen zur Tat folgt. Der Wille wiederum kann genauso wie die Suche nach der M6glichkeit der Wahl nur einer Pflicht des Menschen entspringen, es niimlich so zu tun, wie es sich ffir einen Menschen, der fiber den Instinkten stehen kann, nun einmal wesenhaft ,,geziemt". Ohne das Geffihl der Verpflichtung, das Richtige zu tun und durch die M6glichkeit der Wahl das Richtige herausfmden zu wollen, kann es keine Freiheit geben. Alles andere ist immer nur das, was als ,,Freiheit" verkauft wird, aber nichts anderes darstellt als die Unterwerfung des ,,Menschen" unter das tierische Primat instinktiver Begehrlichkeiten. Letzteres kann durchaus angenehm, ja genussvoll sein; mit Freiheit hat der sich zum Tier machende Mensch allerdings nichts gemein. 51
sl Vgl., sehr sch6n zusammengefasst,MichaelNovak, VMon einesAmerikaners. Europa und Amerika im globalenZusammenhane~in: Die politischeMeinungNr. 422 (01/2005), S. 25-32, 27f.
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Geographisch ist es nun auch vor normativer Folie augenscheinlich, dass dutch die Grenzziehung auf der Basis der vorgezeichneten Wertestruktur (christlich s2 (iberlieferte Unantastbarkeit der Menschenw/.irde / qualitative Freiheit 53 / Pflicht zur Menschenwiirde 54 / Herausbildung einer V61kerrechtsstruktur 55) historfsch eindeutig der friihauf ,,kulturstaatlich" konfigurierte Raum Nordamerika - Europa - Australien, in den institutionellen IJberlieferungen der Raum Nordamerika - Westeuropa - Australien, vielleicht noch Mitteleuropa oder gar Mittel- und Osteuropa, abgesteckt ist. Bildlich gedacht wird dieser Lebensraum immer auf den Begriff des ,,Westens" gebracht. Auch wenn sich nach dem Irakkrieg eine hiervon abweichende Differenzierung zwischen Amerika und Europa in Bezug auf den Begriff des ,,politischen Westens" vereinzelt breit m a c h t - was in dieser Form und Intensitiit nach 1945 ganz neu i s t - so hat sich die ideengeschichtliche Basis nicht ver~indert. Dass nun nicht nur die interessenpolitische, sondern auch die innerzivilisatorische Grundverbundenheit zwischen Amerika und Europa bestritten wird, k6nnte sich - vor diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund - als fahrliissig erweisen, ganz gleich, ob nun das zivilisatorische Element als eine technische Lebensform oder als die gr6Btdimensionierte Entit{it menschlicher Kulturformen definiert wird. Da die detaillierte Definition des Zivilisationsbegriffs im starken MaBe v o n d e r jeweiligen Theorie abh~ingig ist, soil es in der Einleitung zun~ichst bei dieser Begriffsanniiherung bleiben. Die Definition des Begriffes der Zivilisation wird im theoretischen Teil der Arbeit zu leisten sein. D o c h schon auf der Basis der nunmehr erfolgten ersten Begriffsann~iherung l~isst sich die vereinzelt in Mode gekommene Anzweiflung der innerzivilisatorischen Grundverbundenheit zwischen Amerika und Europa zumindest in Frage steilen. Das soll hier mit einem kurzen Exkurs fiber Oswald Spengler geschehen. Nicht einmal dieser namhafte deutsche Zivilisationsdenker, der ,,deutsche Kultur" so sehr im Gegensatz zur ,,angelsiichsischen Zivilisation" sah, konnte es zu Wege bringen, die innerzivilisatorische Grundverbundenheit zumindest zwischen Angelsachsen und Deutschen ernsthaft zu bestreiten. Er kontrastierte zwar das , , p r e u B i s c h e " mit dem ,,englischen Weltgeffihl", wie er es nannte, wusste aber, dass sich diese grundverschiedene, auf gegenseitigen K_rieg gestimmten ,,Weltgefi,ihle" des ,,Wikingers" und ,,Freih~ndlers" auf der einen und des ,,Ordensritters" und ,,Verwaltungsbeamten" auf der anderen Seite innerhalb eines abendliindischen ,,Kulturk6rpers" bewegten. 56 Nicht einmal Spengler hat die historische Dimension eines ,,abendliindischen" Zivilisationsbegriffs amputieren und aus dem Begriff einen reinen, v611ig unhistorischen Zukunftsbegriff machen k6nnen, obwohl er einen scharfen politischen Gegensatz zwischen Einzelgliedern der , , a b e n d l ~ n d i s c h e n " Zivilisation konstatierte. Einen ,,zivilisatorischen" Qualit;,itsunterschied erster G(ite aus rein gegenwartsbezogenen politischen Interessen- und Wertegegensiitzen zwischen Amerika und Europa zu konstruieren, wiirde in diesem Sinne jeglicher begriffsgeschichtlichen und etymologischen Grundlage zivilisatorischer Verbundenheit entbehren.
s2 Vgl. insbesondere Nikolaus Lobkowicz, Was ist eine Person?, in: Karl Graf Ballestrem / Hans Buchheim / Manfred H~itdch / Heinz H~irten (Hg.), So~alethik und PoliK;che Bildung. Festschriftj'ur Bernhard Sutor gum 65. Geburtstag, Paderbom u.a. 1995, S. 39-52. s3 Vgl. insbesondere Raymond Aron, Uber die Freiheiten. Essay, Frankfurt a.M. 1968. s4 ,,Man muss sie doch wenigstens einmal gesehen haben, bevor man sie ins gesetzliche Glaubensbekenntnis aufnimmt." (Botho Straui3, Anschwellender Bocksgesang, in: Heimo Schwilk / Ulrich Schacht (Hg.), Die selbstbewusste Nation. ,,Anschwellender Bocksgesang"und weitere Beitrdge Zu einer deutschen Debatte, Frankfurt a.M. 1994, S. 19-40, 24.) 5s Vgl. Ernst Reibstein, Va'lkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis- Band l: l/on der Antike bis wr Aufklarung, Freiburg 1958, S. 3. s6 Vgl. Oswald Spengler, Preu.ffentumundSo~alismus, M(inchen 1919, S. 31 und 50.
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Im Ubrigen sind im Unterschied zu Wemer Sombarts Wort von den ,,Kr~imern und Kriegem" im Biichlein von den ,,Hiindlern und Helden ''sT bei Spengler nicht nur die ,,Ordensritter" (also die Deutschen), sondem eben auch die ,,Wildnger" (also die Angelsachsen) die wahren ,,Helden". Ihre letzte ,,Grol3tat", die Kolonisierung Nordamerikas, hielt Spengler in gemeinsamen, abendliindischen Ehren. sg Nicht einmal der Zweite Weltkrieg kann somit bedeuten, dass die eine ,,westliche Zivilisation" als ,,abendliindischer Kulmrk6rper", schlicht vorhanden in ideengeschichtlicher Hinsicht, widerlegt wurde. Wie soil er dann heute, wo ein Krieg zwischen Amerika und Europa wohl trotz Bush, Cheney, Schr6der und Chirac in weiter Ferne liegt, widerlegt sein? Den Zweiten Weltkrieg haben ja am Ende - entgegen der Prognosen (und wohl auch nationalistischen Hoffnungen) Spenglers 59 - bekanntlich die ,,Freih~mdler" gewonnen, und es sei dahingestellt, ob aus dem Grunde, dass die deutschen ,,Preul3en" mit H i t l e r - einem zweiten Nero statt Augustus - 6berhaupt gar nicht zum Zuge kamen oder sich schlicht selbst erledigten. Seit 1945 sind damit, k6nnte man nun metaphorisch behaupten, Amerikaner an die Stelle der britischen ,,Wildnger" und ,,Freih~indler" und ,,Briisseler Europ~ier" an die Stelle der deutschen ,,Verwalmngsbeamten" getreten. Den Part der ,,Ordensritter"/,ibernehmen indes vielleicht noch die europiiischen Nationalisten, ansonsten ist Europa nicht mehr sehr heroisch gestimmt. Jedenfalls sind ,,Amerika" und ,,Europa" als Nachlassverwalter des abendliindischen Kulmrk6rpers die beiden neuen Zivilisationspfeiler der westlichen Hemisphiire. Daher haben wir zun~ichst einmal vom gel~iufigen transatlantischen Kontext des Begriffs Westen auszugehen. Wie wird nun, gesetzt dem Fall es ist erwiinscht, eine Politisierung in diesem Kontext iiberhaupt erm6glicht?
2.4 Die Mb'glichkeit der weitergehenden Politisierung
Wenn nun nach der M6glichkeit einer geistig potenten, und damit der eigenen zivilisatorischen Tradition angemessenen ,,Politisierung" gefragt wird, k6nnte es angesichts der neuen terroristischen Retardationen, aber auch der westlichen Identitiitssehnsiichte, nicht mehr ausreichen, wenn die westliche Zivilisation ihre Wertigkeit alleine mit dem Projekt der Moderne und deren durchaus vorhandenen Errungenschaften (Wissenschaft, Leistung und technischer Fortschritt) verbindet, weil diese Komponenten keine ausreichenden Bindekriifte entfalten k6nnen, um der zivilisatorischen Gemeinsamkeit einen politischen Wert beizumessen. Eine derartig kulturneutrale Definition einer westlichen Zivilisation wiirde der Tiefe und Ambivalenz dieser Zivilisation nicht gerecht werden: Modeme Errungenschaften wie Wissenschaft, Leismng und technischer Fortschritt, saint einer schillernden Konsumgesellschaft sind zwar ,,typisch westlich" und damit auch keineswegs ,,iiberholt" bzw. politisch annullierbar oder iiberwindbar. Doch eine politische Annullierung ist auch gar nicht n6tig, um die politisch relevanten Tiefenschichten westlicher Zivilisation zu eruieren. Im Gegenteil wird sogar bei den Konsumerscheinungen nach den ideellen Wertigkeiten gefragt werden miissen - solange sich diese Erscheinungen selbst nicht explizit kulmrlos machen, indem sie als instrumentalisierte Waffen gegen ihre eigenen historischen und sittlichen Voraussetzungen von interessierter Seite radikal in Stellung
57Vgl. Wemer Sombart,Hdndler und Helden. PaMotischeBesinnungen, Miinchen /Leipzig 1915, S. 81. sa Vgl. MichaelTh6ndl, Wie eft stirbt das Abendland? Oswald Spenglers These vom zweifachen Un/ergang, in: Archiv fiir Kulturgeschichte, Bd. 2004, Heft 1, S. 441-461,458. s9 Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlande.~. Umrkse einer Mo~hologie der Weltgesc/.dchte, 15. Aufl., M/inchen 2000, S. 1144.
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gebracht werden. Es geht bei jeglichem Konsumverhalten nicht immer nur um das Materielle, und ideelle Wertigkeiten ,,abendliindischer Priigung" sind sogar dort ausfmdig zu machen, wo sie vielleicht gar nicht vermutet werden, z.B. im Bereich einer vitalistischen Freiziigigkeit, einer permissiven Freude am Leben und an der K6rperlichkeit. Doch was ist mit der politisch relevanten Tiefenstruktur westlicher Zivilisation gemeint? Ein nationeniibergreifender Zivilisationsbegriff muss, unabhiingig von den Ph{inomenen einer wissenschaftlich-technischen Herstellungszivilisation, in dem Moment, in dem der historische Zivilisationsbegriff politisch werden soll, den religi6sen und kulturellen Kern inkludieren, welcher ohnehin die unabdingbare Voraussetzung fiir alle Phiinomene der ,,typisch westlichen" Freiheit und Lebenslust ist; sei diese Lebenslust dann in dieser oder jenen Auspriigung , , s c h l e c h t " oder ,,gut", st6rend oder erfrischend, banal, modisch, sentimental oder doch von einer gewissen Giite, einem emotional beriihrenden Reiz. Nur die religi6sen und kulturellen Wurzeln k6nnen also zu einem ernstzunehmenden, auch normativen Zivilisationsverst;,indnis fiihren, das auch wirklich die Bindungen entfalten kann, welche die ,,westliche Zivilisation" mit einer politischen Form und einem politischen Freiheitsverst~indnis identifizierbar macht, weil nur diese Bindungen die typisch westliche Individualitiit mit kultureller Partikularitiit iiberhaupt vereinbar machen. Nur auf diese Weise der Erfragung kultureller Voraussetzungen kann von einem essentiellen Gehalt des ,,Westens" iiberhaupt gesprochen werden. Der normative Aspekt, wie er diesbeziiglich auf ganz verschiedene Weise von Philosophen wie Hannah Arendt, Leo Strauss und Eric Voegelin entwickelt wurde, liegt dabei darin, dass in der politischen Erfahrungswelt des Westens der ,,gemeinsame geistige Grund" entdeckt werden kann, ,,welcher der Analyse der gesclfichtlich-sozialen Welt einen operativen Begriff von Humanitiit vermittelt. ''6~ Die heute zunehmend in Vergessenheit geratene Erkenntnis, dass konsistente Ordnungsbildung jeglicher Art immer auch die Betiitigung eines gemeinsamen Willensgehaltes voraussetzt 61, wiirde so wieder zur Geltung kommen und die ,,westliche Zivilisation" innerlich stabilisieren. Zugleich miisste die westlich tradierte Auffassung der , , O r d n u n g " wieder in den Mittelpunkt riicken: Politische Ordnung als Ausfluss einer ,,Suche des Menschen nach einer adiiquaten Symbolisierung des Sinns ''62 und als ,,Bedingung der M6glichkeit, erstrebenswerte Ziele zu verwirklichen". 63 Die Voraussetzung dieser Ordnungswissenschaft ist und bleibt im Ubrigen das Bestreben ,,die Idee von der Kontinuitiit antiker Denkformen in der angelsiichsischen politischen Ideenwelt und der in ihr griindenden institutionellen Ordnung ''64 nicht auszublenden, sondern sie endlich wieder st~irker ins Bewusstsein zu tragen. Als gr613ter Irrtum der modernen Politik- und Sozialwissenschaft k6nnte sich heute herausstellen, dass konsistente und notwendige ,,Ordnung" alleine durch ein blo13 verniinftiges und zugleich geschichts- und traditionsloses Sich-,Vertragen' einer ,,Vielheit" entstehen k6nne. Dieser Vorstellung wird die Angewiesenheit jeglicher anzustrebenden ,,Ordnung" auf
6oJ/irgen Gebhardt, Uber das Studium der politischen Ideen in philosophisch-historfscher Absicht, in: Udo Bermbach (Hg.), Politische Theoriengeschichte. Probleme einer Teildis~plin der Politischen W~rsenschqft, Opladen 1984, S. 126-160, 145. 61Vgl. Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934. 62bzw. ,,Suche nach der Wahrheit der menschlichenExistenz" (Dietmar Her5 Die platonische Philosophie als Sch6pferin politischer Ordnung, Die Platon-Interpretationyon Eric Voegelin, in: Eric Voegelin, Ordnung und Geschichte. Band VI: Platon, hg. yon Dietmar Her5 Miinchen 2002, S. 343-389, 349). 63 Dietmar Herz, Die wohlerwogene Republik. Das konstitutionelle Denken des politisch-philosophischen Ia'beralismus, Paderbom u.a. 1999, S. 25; vgl. femer Ernst Wolfgang B6ckenf6rde, Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Re&tJphilosophie, StaatstheoKe und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1992, S. 60. 64J/irgen Gebhardt, Ober das Studium der politischen Ideen in philosophisch-historischer Absichl, in: Udo Bermbach (Hg.), Politische TheoKengeschichte. Probleme einer Teildis~plin der Politischen Wissenschafi, Opladen 1984, S. 126-160, 145.
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Kapitel I
,,menschliche Bedingtheit in geistig-politischer Existenz ''65 entgegengesetzt; eine Bedingtheit, v o n der m a n sich im Ubrigen nur unter I n k a u f n a h m e des Verlustes eines brauchbaren Erfahrungsstoffes dessen, was ,,wir" i m Westen als , , H u m a n i t 5 t " entdeckt haben, , , b e f r e i e n " oder ,,16sen" kann. Besonders problematisch erscheint die wissenschaftliche B e h a n d l u n g politischen D e n k e n s u n d politischer Theoriegeschichte u n d Theorie durch Wissenschaftler, die der menschlichen Bedingtheit in geistig-politischer Existenz anscheinend nur wenig abgewinnen k f n n e n . Hier erstaunt doch i m m e r wieder, so hat es einmal V o e g e l m - E x e g e t Jfirgen G e b h a r d t treffend auf den P u n k t gebracht, ,,ein unreflektierter Empiriebegriff sowie die Unklarheit fiber die eigenen ideengeschichtlichen Voraussetzungen, w e n n es u m die Analyse geschichtlichsozialer Wirklichkeit geht. ''66
3. Stand der Forschung: Der Begriff der ,,Atlantischen Zivilisation" im Lichte der Geschichtsphilosophie und des geschichtswissenschaftlichen Forschungsstandes In A n l e h n u n g an Eric Voegelin u n d andere Ordnungswissenschaftler sowie in Weiterffihrung v o n H a n n a h Arendts Zukunftsprojektion ,,Atlantische Zivilisation ''67 u n d in Ankniipfung an eine Reihe anderer Denker, die diesen Begriff in erster Linie historisch gebraucht haben - so z.B. R o b e r t R. Palmer, Historiker an der Princeton University u n d Jacques G o d e c h o t , Historiker an der Universit~it T o u l o u s e - k6nnte n u n ein derartiges ordnungswissenschaftliches u n d philosophisches Verstiindnis des ,,Westens" ganz klar aus der abendEindischen Tradition griechisch-rfmischer, christlicher (also nicht n u t genuin , , w e s t l i c h e r " i m engen geographischen Sinne) u n d (seit Jefferson, W a s h i n g t o n und Adams) aus der Tradition europ;,iisch-atlantischer Kulturgeschichte gespeist sein und zugleich als Versuch gelten, an die Traditionen einer , , A t lantischen Revolution" bzw. ,,Okzidentalen Revolution" (Heinz Gollwitzer) anzukniipfen68:
65 J/irgen Gebhardt, Ober das Studium der politischen Ideen in philosophisch-historfscher Absicht, in: Udo Bermbach (Hg.), Politische Theorfengeschichle.Probleme einer Teildis~J)lin der Politischen Wissenschaft, Opladen 1984, S. 126-160, S. 151. 66 Ebd., S. 154. Ein Beispiel daffr ist die EinfCihmngvon JCirgen Hartmann, Wozupolitische Theorfe? Eine krftische Einfiihrungfiir Studierende und Lehrende der PolilikMssenschaft, Opladen / Wiesbaden 1997. Der Autor w/irde eine Kritik in dem hier vollzogenen Sinne wahrscheinlich v611ig unbek/immert als einen naserCimpfenden ,,Bildungsroyalismus" o.ii. ~itisieren. 67Vgl. Hannah Arendt, Ober die Revolution, 4. Aufl., M/inchen 2000, insbsd. S. 277-362. 6s Vgl. Robert Palmer, Das Zeitalter der d~mokratischen Revolution, Frankfurt a.M. 1970; Jacques Godechot, France and the Atlantic Revolution of the Eighteenth Centu~, 1770-1799, New York 1977; Jacques Godechot/Robert Palmer, Le Problame de l'Atlantique du XVIIIame au XXame Siacle, in: Hans Ebert (Hg.), Rela~oni del X Congresso Interna~onale di Scienze Storiche (= Storia Contemporanea V), Florenz 1955; deutsche 0bersetzung: Jacques Godechot / Robert Palmer, Das Problem des Atlantiks vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, in: Ernst Schulin (Hg.), Universalgeschichte, K61n 1974, S. 295-317; Heinz Gollwitzer, Geschichte des wellpolitischen Denkens, Band 1: Vom Zeitalter der Entdeckungen bis zum Beginn des Imperialismus, Gfttingen 1972, S. 253f., 282 und 218 (Begriff der ,,okzidentalen Revolution"); vgl. femerhin (insbesondere zu den Akzeptanzproblemen in der Historikerzunft der f/infziger Jahre) Bernard Bailyn, Atlantic Histo{7. Concepts and ContourJ, Cambridge / London 2005, S. 24-30; Andreas Eckert, Gr~raum Atlanlik. Eine neue methodische Idee der Geschichtswissenschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Juni 2005; Alexander Schwan, Deutschland und der Westen - eine wieder aktuelle Diskusdon, in: Klaus W. Hempfer / Alexander Schwan (Hg.), Grundlagen derpolitischen Kultur des Westens. Ringvorlesung an der Freien Univerrita't Berlin, Berlin / New York 1987, S. 7-26, 13ff; Thomas Nipperdey, Der Umbruch zur bil'rgerlichen Gesellschaft seit der Amerikanischen und Fran@'sischen Revolution, in: Klaus W. Hempfer / Alexander Schwan (big.), Grundlagen derpolitischen Kultur des Wesfens. Ringvorlesung an der Freien UniversiMt Berlin, Berlin / New York 1987, S. 169189, 170. In diesem Kontext gebraucht den Begriff auch Hartmut Wasser, Die groJYe Vision: Thomas Je~erson und der amerikanische Westen, Wiesbaden 2004, S. 56. K_ritischgegen Palmer und Godechot aus sozialistischer Sichtweise Immanuel Wallerstein, The Modern World System III. The Second Era of Great Exy)ansion ~ the Capitalist World-Economy 1730-1840s, San Diego u.a. 1989, S. 1-54, insbsd. 38ff.
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,,Bei aller W/_irdigung der sehr erheblichen nationalen Verschiedenheiten erlaubt uns die Bezugnahme auf den ,Westen' als eine Gesittungsgemeinschaft und zusammengeh6rige gesellschaftliche Gr6Be, die revolution{iren Erhebungen in Europa und Amerika unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammenzufassen. In den politisch, wirtschaftlich und sozial fortgeschrittenen Liindern diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans hatten groBe Teile der nichtprivilegierten Bev61kerungsschichten einen Reifezustand erreicht, der die Fortfiihrung der bisherigen Regierungsweise und die Aufrechterhaltung der bis dahin geltenden Gesellschaftsordnung nicht mehr zuliefi. Diese Tatsache ist der gemeinsame Nenner fiir die amerikanische, die franz6sische und die ihnen zugeordneten kleineten Revolutionen. ''69 D e r Begriff ,,Atlantische Zivilisation" fmdet sich in diesem Z u s a m m e n h a n g auch bei Tilo Schabert, Jacques F r e y m o n d , sehr p r o g r a m m a t i s c h u n d visioniir bei inspirierenden A d - H o c E n t w i i r f e n v o n G e l e h r t e n u n d Politikern, wie z.B. R o b e r t Strausz-HupS, Christian Hacke, L u d g e r K i i h n h a r d t , Jiirgen Ch~:obog oder W e m e r K r e m p . 7~ In diesem publizistischen u n d politischen Sinne wird der Begriff heute jedoch i n s b e s o n d e r e im englischsprachigen R a u m gebraucht. 71 Als vision~irer A u s d r u c k einer friedlichen, westlichen K o m m e r z - u n d Populiirkulm r fmdet sich der Begriff auch bei W o l f J o b s t Siedler 72 u n d (als ,,euro-atlantische Zivilisation") bei Vitclav Havel, W l o d z i m i e r z Cimoszewicz, Vikor J u s c h t s c h e n k o u n d a n d e r e n mitteleuropiiischen P o l i t i k e m (auch bei ausgewiesenen L i n k e n bis hin zu I o n Iliescu) 73, aus n e o k o n s e r v a t i v e r Sichtweise bei Michael N o v a k u n d D a v i d F r u m 74 sowie in einem eher historischen K o n t e x t bei Jacques Pirenne, Charles Verlinden, Felipe F e m f i n d e z - A r m e s t o , Michael K r a u s (City Universi69 Heinz Gollwitzer, Geschichte des weltpolilischen Denkens, Band 1: Vom Zeitalter der Entdeckungen bis zum Beginn des Imperialismus, G6ttingen 1972, S. 253f. 70 Vgl. Robert Strausz-Hup~ / James E. Dougherty / William R. Kintner, Building the Atlantic World, New York / Eavanston / London 1963, S. 10f. und 13; J~irgen Chrobog, Debatte iiber die Grundlagen der Atlantischen Zivilisation, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.7.2001" Ludger Kiihnhardt, EditoriaL" Atlantis&e Gemeinschaft brau&t grundlegende Erneuerung, in: ZEIreporl Nr. 11, Juli 2002, S. 1; unter vielen: Christian Hacke, Deutschland darf nicht Junioq)artner Frankreichs bhiben. Das Land muss Zu seiner klassischen Gleictgewichtff)olitik ~schen Paris und Washington wriickfinden, in: Die Welt, 14. Juli 2004; Tilo Schabert, Die Atlantische ZMlisation. ([Tberdie Entstehung der einen Welt des Westens, in: Peter Haungs (Hg.), Europa'isierung Europas?, Baden-Baden 1989, S. 41-54. Vgl. zu Christian Hacke ferner Tim B. MOiler, AuJ~enpolitik als missionarischer Trip. Pla'doyerfih einen neuen Realismus: Eine Tagung in Miinchen untersucht, was der Pr;4sident der Vereinigten Staaten yon HansJ. Mongenlhau lernen k&nte, in: S/iddeutsche Zeitung, 3. November 2004, S. 15; Matthias Oppermann, Die Kunst &s Wirklichen. Was ist in der Politik schon nalistisch? Eine Miin&ener Ta~,ung iiber Hans J. Morgenlhau, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. November 2004, S. 37; Ders., Die EntscheidungJ'ur die politische Wes&indung nach 1945, in: Rainer Zitelmann / Karlheinz WeiBmann / Michael GroBheim (Hg.), Westbindung. Chancen und IO'sikenJ~r Deutschland, Frankfurt a.M. / Berlin 1993, S. 129-150, 148; Werner Kremp / Gerd Mielke (Hg.), Atlantischepolitische Kultur- Dimensionen und Pera]oekliven,Trier 1996; Wemer Kremp / Berthold Mayer (Hg.), Religion und Zivilreligion im Atlantischen Biindnis, Trier 2001; Vgl. ferner Klaus W. Hempfer / Alexander Schwan (Hg.), Grundlagen derpolithchen Kultur des WeshnJ, Berlin / New York 1987; Peter Bender, WeltmachtAmerika. Das Neue Rom, 3. Aufl., Stuttgart 2003, S. 262f. 71 Vgl. auch die Ausfiihrungen in Charles A. Beard / Mary R. Beard, The Amerhan Spirit. A Study of the Idea of Civilization in the United States, Nachdruck / 2. Aufl., New York 1971, S. 20f.). Vgl. auf den Kalten Krieg bezogen David Calleo, The Atlantic Fantasy: The U.S., N A T O and Europe, Maryland 1970, S. 103; vgl. ferner als ,,graue Literatur" den Beitrag einer Studentin aus Wisconsin: Erin S. LaPorte, Is the Omaha milkman welcomed here? Our values? Where? The trouble with many, many Atlantic Axrodations. . ., in: http://www.uwm.edu/People//laporte/Atlantic.service/atlantic.assns2.htm, 2.8.2004, 20:44 Uhr; auf der ,,gleichen intellektuellen Ebene" den Artikel eines gewissen Linksaktivisten namens Rafael Leyre, der den Begriff absolut negativ gebraucht: Rafael Leyre, A n Essay on Violence, Tradition and Modernity, in: http://www, essayvtm,netfirms, corn/index, htm#toc, unter folgendem Kapitel (,,Modernity"): http://www.essayvtm.netfirms.com/Modernity.htm#Modernity,17.8.2004, 17:47 Uhr. 72 Vgl. WolfJobst Siedler, Deutschland, ein GlaJ])erlenJ?iel,in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. August 1994, S. 26. 73 Vgl. unter vielen: V~clav Havel, The Cge& Republic and lhe Great Historic" Challenge, in: The Congress of Prague, ed. Gerald Frost / William E. Odom, Washington 1997, S. 161f., zitiert nach: Stanley Kober, N A T O E~qoansion Flashpoint Nr. 3, in: Foreign Policy Briefing Nr. 48 (Cato Institute), 11. Februar 1998, S. 1-21, 8 (Kober bewertet den Begriff kritisch). 74 Michael Novak, North Atlantic Community, European Community. Divergent Paths and common values in Old Europe and the United States, in: National Review Online (http://www.nationalreview.com). Auszug einer Rede vor der Hayek Foundation am 3. Juli 2003 in PreBburg).
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ty N e w York), Frederick Tolles, D.W. Meinig und Ernst Nolte. 7s Als Feindbegriff sogar k6nnen wir die ,,Atlantische Zivilisation" interessanterweise bei sektiererischen , , E u r a s i e r n " w i e Alexander Dugin v o r f m d e n 76 oder auch in der Betitelung eines prosowjetischen, kommunistischen Gesellschaftsgem~ildes v o n Andrfi F o u g e r o n aus d e m Jahre 1953, des fiihrenden Vertreters eines ,,sozialistischen Realismus" in Frankreich, das unter d e m Titel ,,Civilisation Atlantique" im L o n d o n e r Tare (Modern) M u s e u m besichtigt werden kann. A n s c h e i n e n d kann die ,,Atlantische Zivilisation" im politischen Sinne als ein Geriist verstanden werden, dass mit verschiedenen ideologischen Standpunkten vereinbar ist. Als politisches Projekt hatte sie z.B. auch Barry Goldwater, der streitbare ,,Vater des amerikanischen Konservativismus", in einer Rede vor der 28. National C o n v e n t i o n als damaliger Priisidentschaftskandidat der Republikanischen Partei der USA 1964, damals n o c h in einem antikommunistischen Kontext, auf folgende sehr einfache F o r m e l gebracht: ,,I can see and I suggest that all thoughtful man must contemplate the flowering of an Atlantic civilization, the whole world of Europe unified and free, trading openly across the world. This is a goal far, far more meaningful than a moon shot.''v7
K n a p p vierzig Jahre spiiter schrieb Michael Novak, einer der proftliertesten, n u n m e h r neokonservativen K 6 p f e in den USA: "To speak of E u r o p e is also to speak of the extension of its noble and distinctive civilization of the N o r t h Atlantic, so as to include those far-off children of Europe: Canada and the United States. ''Ta Z u s a m m e n f a s s e n d kann festgehalten werden, dass mit d e m Begriff der Atlantischen Zivilisation in einem politischen K o n t e x t die neue ordnungspolitische Situation, wie sie seit 1945 im Westen existiert, eine symbolische und zugleich projektiv offene Artikulation fmdet: Diese neue ordnungspolitische Situation hat Charles Taylor folgendermal3en zusammengefasst: ,,Die Stabilitiit westlicher D e m o k r a t i e n resultiert aus einer endlich erreichten V e r s c h m e l z u n g von
7s Vgl. als ersten summarischen Oberblick Bernard Bailyn, Atlantic Histo~7. Concepts and Contours, Cambridge / London 2005, S. 4-56; Andreas Eckert, GroJ~raum Atlantik. Eine neue methodische Idee der Geschichtswissenschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Juni 2005; vgl. im Einzelnen: Tilo Schabert, Die Atlantische Zivilisation. Uber die Entstehung der einen Welt des" Westens, in: Peter Haungs (Hg.), EuropaTsierung Europas?, Baden-Baden 1989, S. 41-54; der Begriff ,,Atlantische Zivilisation" wird ferner programmatisch und theoretisch emsthaft verwendet bei Jacques Pirenne, Die groJ~en Striimungen in der Weltges&ichte. Von der Antike bis zum Abschluss des Zweiten Weltkrieges- Band 3, Bern 1949, S. 704-719 (,,Die Schaffung einer atlantischen Zivilisation dutch die Ausdehnung des Liberalismus in den Vereinigten Staaten und in Sfidamerika"); Charles Verlinden, Les Origines de la Civilisation Atlantique. De la Renaissance ~ l'Age des Lumiares, Neuchfitel / Paris 1966; Jacques Freymond, Die Atlantische Welt, in: Golo Mann / Alfred Heul3 / August Nitschke (Hg.), Propyla'en Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, Band X, Berlin / Frankfurt a.M. 1986, S. 223-299, 226; Felipe Fern~indezArmesto, Civilizations, Basingstoke/Oxford 2000, S. 487-555; Ders., Millennium. Die Weltges&ichte unseresJahrtausends, 5. Aufl., M/inchen 1998, S. 18f.; Michael Kraus, The Atlantic Civilization. Eighteenth-Centu{7 Origins, Ithaca/New York 1949; Frederick Tolles, Quakers and the Atlantic Culture, New York 1960; Kurt von Boeckmann, Vom Kulturreich des Meeres, Berlin 1924, S. 336-385; Ernst Nolte, Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?, Mfinchen 1998, S. 497-515; Felipe Fem~indez-Armesto, Before Columbus. E:,Joloration and Colonization from the Mediterranean to the Atlantic, 1229-1492, Philadelphia 1987, S. lf." D.W. Meinig, The Shaping of America. A GeographicalPerJpective on 500 Years of Histo.ry - I/ol. 1: Atlantic America 1492-1802, New Haven / London 1986, S. 1-76 und 257-267 (dazu gesellt sich noch Bd. 2: Continental America, New Haven / London 1993)' Holger Afflerbach verwendet die Begriffe ,,atlantische Welt" und ,,atlantische Gesellschaft" (vgl. Holger Afflerbach, Das enlfesselte Meer. Die Geschichte des Atlantik, Mfinchen 2001). Vgl. femerhin aus asiatischer Perspektive Gary Y. ONhiro, Common Ground, Princeton 2001, S. 16f. 76 Vgl. Sergej Duvanov, Eurasism as a philosophy q/justifjing inferiority, in: Central Asia Bulletin, 29 November 2001, s. http: //iicas. org/english/an_en_03_l 2_01.htm. ~7Zitiert nach http://www.washingtonpost.com/wp-srv/politics/daily/may98/goldwaterspeech.htm va Vgl. Michael N ovak, North Atlantic Community, European Community. Divergent Paths and common values in Old Europe and the United States, in: National Review Online (http://www.nationalreview.com), 23. Juli 2003, 10:45 a.m. (Auszug einer Rede vor der Hayek Foundation am 3. Juli 2003 in Prel3burg).
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nationaler Identit~it u n d u n d freien Regimes, so dass heute atlantische L~inder stolz darauf sind, eine d e m o k r a t i s c h e Zivilisation zu teilen. ''79 N e b e n der eher seltenen V e r w e n d u n g des Begriffs in e i n e m politischen K o n t e x t florieren in N o r d a m e r i k a gescl~ichtswissenschaftliche S t u d i e n p r o g r a m m e in ,,Atlantic H i s t o r y " u n d ,,Atlantic Civilization", die sich zu den universalhistorischen B e t r a c h t u n g e n ,,westlicher Zivilisation" y o n A r n o l d j. T o y n b e e u n d William Caroll q u i g l e y (essentialistisch) 80, T h o m a s Sowell (kulturalistisch) 81, H a n s Freyer (traditionell) 82, William H. McNeill (dynamischkonstruktivistisch) 83, F e r n a n d Braudel (strukturalistisch) 84 I m m a n u e l Wallerstein (sozialistisch) 85, L e f t e n Stavros Stavrianos (narrativ), Douglass Cecil N o r t h (statistisch u n d 6 k o n o misch) s6, D a v i d S. L a n d e s (kapitalistisch-traditionell) 87, D a v i d Gress (geschichtsphilosophisch, interpretativ) ss, J.M. Roberts (popul~ir) s9 u n d J o h n U. N e f (sozialhistorisch) 90 hinzugesellten. Die Studieng~inge w e r d e n i n s b e s o n d e r e am History D e p a r t m e n t der Florida International University in Miami u n d am D e p a r t m e n t of History der University of Prince E d w a r d Island in C h a r l o t t e t o w n in K a n a d a angeboten. Die v o m groBen US-Historiker B e r n a r d Bailyn ins L e b e n gerufene, vitale u n d institutionalisierte atlantische G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g 91, fmdet jedoch in E u r o p a bedauerlicherweise k a u m P e n d a n t s , ganz zu schweigen v o n politikwissenschaftlichen Ans~itzen. Die atlantische G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g ist in den U S A u m B e r n a r d Bailyn so weit gediehen, dass sie sich inzwischen in k o m p l e t t e n M o n o g r a p h i e n u n d Qualifnkationsarbeiten
79 Charles Taylor, Die Debat/e .~schen Liberalismus und Kommunitarismus, in: Axel Honneth (Hg.), Kommunitaffsmus. Eine Debat/e iiber die moralgchen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt / New York 1994, S. 103-130. so Vgl. Arnold j. Toynbee, Der Gang der Weltgeschichte.A~tieg und Verfall der Kul/uren, 3. Aufl., Stuttgart 1955; William Caroll Quigley, Tile Evolu/ion of Civiliza/ions. An Introduc/ion to HistoricalAna~sis, Indianapolis 1979; Oswald Spengler, Der Un/epgang des"Abendlandes. Umd~:reeinerMo~hologie der Weltgeschichte, 15. Aufl., Mfinchen 2000. 81 Vgl. Thomas Sowell, Races and Culture. A World View, New York 1994. 82Vgl. Hans Freyer, Weltges&ichteEuropas, 2. Aufl., Stuttgart 1954. 83Vgl. William H. McNeill, The Rise of the West. A Histo~ of the Human Community," with a Relro~pectiveEssay, Chicago 2001; Ders., The Rise of the West. After Twenty-Five Years, in: Stephen K. Sanderson (Hg.), Civiliza/ions and World Systems, Walnut Creek / London / New Delhi 1995, S. 303-320. 84Vgl. Femand Braudel, Die Geschichte der Zivilisation. 15.-18. Jahrhundert, Mfinchen 1979. 85Vgl. Immanuel Wallerstein, The Modern World System I. Capitalist Agriculture and the Origins of the European World-Economy in the Sixteenth Centu~, New York u.a. 1974; Ders., The Modern World System II. Mercantilism and the Consolidation of the European World-Economy 1600-1750, New York u.a. 1980; Ders., The Modern World System III. The Second Era of Great Ea,Joansion of the Capitalis/ World-Economy 1730-1840s, San Diego u.a. 1989. 86Vgl. Douglass Cecil North, The Rise ~the Western World. A New Economic Histo,ry, Cambridge 1973. 87 Vgl. David S. Landes, Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind, Berlin 1999 (vgl. auch, Nathan Rosenberg / LE Birdzell, How ~he West Grew Rich. The Economic Transformation of the Industrial World, New York / London 1986); Leften Stavros Stavrianos, A Global Histo~. From Prehisto~ to the Present, 4. Aufl., Englewood Cliffs 1988. 88Vgl. David Gress, From Plato to NATO. The Idea ~the West and its Opponents, London u.a. 1998. 89 Vgl. J.M. Roberts, DerTriumph desAbendlandes, Dfisseldorf/Wien 1986. 90Vgl. John U. Net', War and Human Progress. An Essay on the Rise of Industrial Civilization, New York 1963. 91 Vgl. Bernard Bailyn, Atlantic Histo~. Concepts and Contours, Cambridge / London 2005; Bernard Bailyn, The Idea of Atlan/ic I-Iisto~, in: Itinerario, Bd. 20 (1996), S. 19-44; David Armitage, Three Concepts ~AtlanticHisto~, in: David Armitage / MichaelJ. Braddick (Hg.), The British Atlantic World 1500-1800, Basingstoke / New York 2002, S. 11-27; H. Hale Bellot, Atlantic Histo.ry, in: History Bd. 31 (1946), S. 61f.; Jack P. Greene, Beyond Power:.Paradigm Subversion and Reformulation and the Re-Creation g the Ear~ Modern Atlantic, in: Ders, Inte~reting Early America. HistoriographicalEssays, Charlottesville (Va.) 1996, S. 17-42; Paul Butel, The Atlantic, New York 1999; Wichtige Einzeluntersuchungen u.a. sind: Daniel Walker Howe, American I-Igto~ in an Atlantic Context, Oxford 1993; Daniel T. Rodgers, Atlantic Corsa~ngs.Social Politics in a Progressive Age, Cambridge (Mass.) 1998; Kevin H. O'Rourke / Jeffrey O. Williamson, Globalization and Histo~: The Evolution of a Nineteenth-Centu{2 Atlantic Economy, Cambridge (Mass.) 1999; Alison Games, Migration and the Origins"of the English Atlantic World, Cambridge (Mass.) 1999; David Eltis, Atlantic I-Iisto~ in Global Per~ective, in: Itinerario - European Journal of Overseas History, Bd. XXIII (1999), S. 141-161; Alison Games, Tea&ing Atlantic Histo~, in: ebd., S. 162-173.
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Kapitel I
kritisch selbst reflektiert u n d e n t s p r e c h e n d f r a g m e n t i e r t . So u n t e r s c h e i d e t e i n e r i h r e r P r o t a g o n i s t e n , D a v i d A r m i t a g e y o n d e r C o l u m b i a U n i v e r s i t y , z w i s c h e n vier T r a d i f i o n s s t r i i n g e n u n d drei I d e a l t y p e n b i s h e r i g e r a t l a n t i s c h e r G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g : Traditionsstra'nge: White (and Green9e) Atlantic Histo{793: der klassische und immer noch wichtigste Traditionsstrang, der sich auf die Idee einer ,,Atlantischen Zivilisation" als Ergebnis einer abendliindischen Geschichtsentwic "~ung mit atlantischem Kulminationspunkt im Zeitalter der transatlantischen Aufkliirung bezieht. Der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg k6nnen als politische Motivationswurzel dieser Wissenschaftstradition gelten. In der vorliegenden Arbeit wird yon diesem Traditionsstrang ausgegangen. Black Atlantic Histo{7: Die politische Motivationswurzel setzt hier nach dem amerikanischen B/irgerDieg an. Die entsprechenden Werke am Ende des 19. Jahrhunderts 94 werden im Verlaufe der Herausbildung der durch den Zweiten Weltkrieg und Kalten Krieg motivierten atlantischen Geschichtsschreibung reanimiert, erweitert und fortentwickelt sowie in kritischer Reservehalmng gegen/iber der ,,White Atlantic History" - nicht ganz zu Unrecht und rnit gewissem Erfolg- als zentraler Bestandteil einer atlantischen Geschichtsschreibung eingefordert. 9s Red Atlantic Histo{7: dieser marxistische Strang bezieht sich auf die Geschichte der multinationalen, -ethnischen und kulturellen ,,ArbeiterHasse" im Rahmen eines ,,atlantischen Kapitalismus". 96 Atlantic Histo~: dieser Strang reflektiert und vereinigt alle drei o.g. Traditionsstriinge miteinander. 9v Idealtypen98 Circum-Atlantic Histo~: transnationale Geschichtsschreibung, d.h. die internen und extemen Einfl~sse, Wirkungen und Bedeutungen des transatlantischen Denkens und Handelns betreffend in Bezug auf die Nationalstaaten und Gesellschaften innerhalb eines atlantischen Zivilisationsraumes - yon diesem Idealtypus wird in der vorliegenden Arbeit ausgegangen, allerdings nicht nut in einem ereignis- oder strukmrhistorischen 99, sondem hauptsiichlich in einem ideengeschichtlichen Kontext.100
92 In dieser strittigen und eher fragw/.irdigen Eventualbezeichnung findet sich ein besonders betonter Bezug auf entsprechende Besonderheiten der amerikanisch-irischen Geschichte (vgl. David Armitage, Three Concepts of Atlantic Histo~, in: David Armitage / Michael J. Braddick (fig.), The British Atlantic World 1500-1800, Basingstoke / New York 2002, S. 11-27, 14). 93 Vgl. Victoria de Grazia, The White Atlantic. American Market Culture in the Making of Twentieth-Centu~ Europe, Cambridge (Mass.) 2003. 94 Vgl. die Literaturangaben bei David Armitage, Three Concepts of Atlantic History, in: David Armitage / Michael J. Braddick (Hg.), The British Atlantic World 1500-1800, Basingstoke / New York 2002, S. 11-27, 14, Fn. 10 (aufgef/ihrt auf S. 251). 95 Vgl. Paul Gilroy, The Black Atlantic. Modernity and Double CondousnesJ, Cambridge (Mass.) 1993; Eric Williams, Capitalism and Slaveu, London 1944; Philip D. Curtin, The Atlantic Slave Trade. A Census, Wisconsin (Mad.) 1969; John Thornton, Africa and Africans in the Making of the Atlantic World 1400-1800, 2. Aufl., Cambridge 1999; David Eltis, The Rise of African Slaveu in the Americas, Cambridge 2000; Deborah Gray White, WES', There is a Black Atlantic, in: Itinerario European Journal of Overseas History, Bd. XXIII (1999), S. 127-140. 96 Vgl. Peter Linebaugh / Marcus Rediker, The Many-Headed Hydra. Sailors, Slaves, Commoners, and the Hidden I-Iisto{y of the Revolutiona{7 Atlantic, Boston (Mass.) 2000;. 9v Vgl. z.B. Joseph Roach, Cities of the Death. Circum-Atlantic Performance, New York 1996. 98 Vgl. ilTl folgenden David Armitage, Three Concepts of Atlantic Histo{7, in: David krmitage / Michael J. Braddick (Hg.), The British Atlantic World 1500-1800, Basingstoke / New York 2002, S. 11-27, 15-25. 99 Vgl. u.a. David Armitage / Michael J. Braddick (Hg.), The British Atlantic World 1500-1800, Basingstoke / New York 2002; Alison Games, Migration and the Origins of the English Atlantic World, Cambridge (Mass.) 1999; Ian K. Steele, The English Atlantic. A n Ex2oloration of Communication and Community 1675-1740, New York 1981; Bernard Bailyn, Voyagers to the West. A Passage in the Peopling of America on the Eve of the American Revolution, New York 1987; Kenneth G. Davies, The North Atlantic World in the Seventeenth Centu{y, Oxford 1974; Hugh Thomas, The Slave Trade. The Story of the Atlantic Slave Trade, New York 1997; Kees van der Pijl, Imperialism and Class Formation in the North Atlantic Area, Amsterdam 1983. 100 Vgl. bisher u.a. John G. A. Pocock, The Ma&iavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975; Bernard Bailyn, The Ideological Origins of the American Revolution, 13. Aufl., Cambridge (Mass.) 1967.
Einf/ihrung in das Thema
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Trans-Atlantic Histo~: internationale Geschichtsschreibung, d.h die internen und externen Einfliisse, Wirkungen und Bedeutungen der atlantischen Staatenwelt betreffend in Bezug auf die Nationalstaaten und intemational-vergleichende Geschichtsschreibung in einem atlantischen Kontext.101 Cis-Atlantic Histo{7: nationale oder regionale Geschichtsschreibungen in einem atlantischen Kontext. 1~
I m Vergleich zur atlantischen G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g in den U S A u n d auch in E u r o p a , w o sich n e b e n G o d e c h o t , P a l m e r u n d Verlinden i n s b e s o n d e r e die Wirtschaftshistoriker Max Silb e r s c h m i d t 1~ (Universitiit Ziirich) u n d Vitorino MagalhS_es G o d i n h o aus P o r t u g a l 1~ sowie die Historiker Pierre C h a u n u (Frankreich) l~ Charles Verlinden u n d Jacques Pirenne 106 (beide Belgien) h e r v o r g e t a n haben, w a r u n d ist die Situation in D e u t s c h l a n d , mit einigen p o t e n 6 e l l e n Lichtblicken in der G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t (z.B. die Vergleichende G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t u n d transnationale G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g an der Universit~it in K o n s t a n z ) diesbeziiglich eher defizitiir. N o r d a m e r i k a p r o g r a m m e u n d k o m p a r a t i v e Geschichtsstudiengiinge h a b e n zwar durchaus ,,atlantische G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g " als einen Bestandteil unter vielen, abet eben nicht als H a u p t g e g e n s t a n d , wie dies in A m e r i k a hiiufig der Fall ist. Allerdings hat sich in den letzten J ahren der Historiker T h o m a s Fr6schl mit A r b e i t e n aus d e m Bereich der atlantischen G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g hervorgetan, l~ D a n e b e n gibt es eine iiuBerst instruktive kurze A b h a n d lung des Historikers H o r s t P i e t s c h m a n n iiber die ,,Geschichte des atlantischen Systems 15801830".108 Schautafel: ,,Atlantische" Studienga'nge und -programme, die sich in Nordamerika und Gr~britannien finden: Harvard International Seminar on Atlantic History unter der Leitung yon Bernard Bailyn (Cambridge, MA, USA); Carleton University, Committee on Atlantic Studies (USA); Atlantic World Workshop at New York University (USA); College of the Carolinas, Florida International University, PhD program, Atlantic Civilization (USA); College of the Carolinas, Carolina Low Country & Atlantic World (USA); New York University, PhD programs, Atlantic History, African Diaspora History (USA); University of Michigan Atlantic Studies Initiative (USA); UNC Chapel Hill, Transatlantic Masters Program (USA); University of Pittsburgh, Program in Atlantic History (USA); University of Texas at Arlington, Program in Transatlantic History (USA); Yale University, Gilder Lehrman Center for the Study of Slavery,
,01 Vgl. wirtschaftshistorisch Ralph Davis, The Rise of the Atlantic Economies, London 1973. Vgl. fernerhin Claudia Schnurmann, Atlantische Welten. Englander und Niederla'nder im amerikanisch-atlantischen Raum, Wien 1998. 102Vgl. z.B. Huguette und Pierre Chaunu, Seville et l'Atlantique 1504-1650, 8 Bde., Paris 1955-59; David Harris Sacks, The Widening Gate. Bristol and the Atlantic Economy 1450-1700, Berkeley (Calif.) 1991; David Hancock, Citizens of the World. London Merchants and the Integration of the British Atlantic Community 1735-1785, Cambridge 1995; Fran-~n W. ICnight / Peggy Liss (Hg.), Atlantic Port Cities. Economy, Culture, and Society in the Atlantic World I650-1850, Knoxville (Tenn.) 1991; Pieter C. Emmet / William W. Klooster, The Dutch Atlantic, I600-1800: Eo,~ansion without Empire, in: I6nerario - European Journal of Overseas History, Bd. XXIII (1999), S. 48-69; Sylvia MarzagaUi, The French Atlantic, in: ebd., S. 70-83; Carla Rahn Philipps, The Iberian Atlantic, in: ebd., S. 84-106. 103 Vgl. Max Silberschmidt, WirtschaftshistorischeA~ekte der Neueren Geschichte. Die atlantische Gemeins&aft, in: Historische Zeitschrift, 171 (1951), S. 245-261. Vgl. zu Silberschmidts politischen Sichtweise eines ,,One-World-Atlantizismus" Ders., The United States and Europe. FOvak and Partners, London 1972. ,04 Vgl. Vitorino Magalh~es Godinho, Problames d'&onomie atlantique. Le Portugal, lesflottes du sucre et lesflottes de l'or (16701770), in: Annales, Economies, Soci&&, Civilisations, Nr. 5 (1950), S. 184-197. ,0s Vgl. Huguette und Pierre Chaunu, Seville et l'Atlantique 1504-1650, 8 Bde., Paris 1955-59. Vgl. zu Chaunu auch Bernard Bailyn, Atlantic Histou. Conceptsand Contours, Cambridge / London 2005, S. 31f. 106Vgl. Jacques Pirenne, Die groJYenStrh'mungen in der Weltgeschichte. Von der Antike bis zum Abschluss des Zweiten WeltkriegesBand 3, Bern 1949, S. 321-1012 (,,Die Bildung einer atlantisch-maritimen und liberalen Kultur 1789-1830'~ insbesondere auch S. 704-719 (,,Die Schaffung einer atlantischen Zivilisation dutch die Ausdehnung des Liberalismus in den Vereinigten Staaten und in SCidamerika"). 10v Vgl. Thomas Fr6schl, Um 1776/81: Atlantische Revolution, in: Anette V61ker-Rasor (Hg.), Fr~he Neuzeit, Miinchen 2000, S. 107-124. Eine Monographie von Fr6schl zu den ,,USA in atlantischer Perspektive" steht im Studien-Verlag kurz vor der Erscheinung (November 2006). ,08 Vgl. Horst Pietschmann, Geschichte des atlantischen Systems, 1580 - 1830. Ein historischer Versuch zur Erkla'rung der ,,Globalisierung'~ienseits nationalgeschichtlicherPerspektiven, Hamburg 1998.
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Kapitel I
Resistance, and Abolition, Yale Center for International and Area Studies (USA); Lehigh University, The Atlantic World (1500-1900), History Dept. (USA); Brown University, Transatlantic Studies, Department of Hispanic Studies (USA); University of Birmingham, MA in Transatlantic Studies (UK); University of Central Lancashire, MA in Transatlantic Studies (UK); University of Dundee, Institute for Transatlantic, European, and American Studies (ITEAS) (VI