WEGE ZUR ARCHITEKTUR
2004
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PETER ZUMTHOR
ATMOSPHÄREN
Architektonische Umgebungen Die Dinge um mich herum
L- FSB...
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WEGE ZUR ARCHITEKTUR
2004
1
PETER ZUMTHOR
ATMOSPHÄREN
Architektonische Umgebungen Die Dinge um mich herum
L- FSB
J M W Turner 1844 zu John Ruskin
Vortrag am 1. Juni 2003 in der Kunstscheune, Schloß Wendlinghausen Wege durch das Land - Literatur- und Musikfest in Ostwestfalen-Lippe
Wege zur Architektur
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Editorial
<Mir gefällt die Vorstellung, mit einem Haus zum atmosphärischen Reichtum eines Ortes beizutragen, an den sich ein Passant oder Bewohner gerne erinnert>, sagt Peter Zumthor. Über sprach der Schweizer Architekt während des Literatur- und Musikfestes <Wege durch das Land> am 1. Juni 2003 an einem passenden Ort: Schloß Wendlinghausen, an dem die Ideale der Renaissance - Schönheit und Harmonie, Dauerhaftigkeit und Annehmlichkeit- in bestechender Reinheit verwirklicht wurden. Peter Zumthor schätzt Orte und Häuser, die den Menschen aufheben, ihn gut wohnen lassen und unauffällig unterstützen. Seine Bauten beeindrucken durch körperhafte Präsenz, Schlichtheit, Handwerklichkeit und Empfindsamkeit für Materialien.
Mit seinem Vortrag begann eine Zusammenarbeit zwischen dem Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe und dem Unternehmen Franz Schneider Brakel, die über eine finanzielle Unterstützung des Literatur- und Musikfestes <Wege durch das Land> hinausreicht und sichtbaren Ausdruck in dieser Publikation findet, die als limitierter Privatdruck von FSB herausgegeben wird und nicht im
Arnold Böcklin (1827-190ll Die Toteninsel (Erste Fassung), 1880 Depositum der Gottfried Keller-Stiftung 1920
© Kunstmuseum Basel, Martin Bühler
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Wege zur Architektur
Editorial
Handel erhältlich ist. Um die Spontaneität und Direktheit der Rede zu erhalten, wurde der vor mehr als 400 Zuhörern frei gehaltene Vortrag für die Drucklegung nur leicht redigiert. Bewußt wurde die Güte der herkömmlichen Rechtschreibung beibehalten.
Das Literatur- und Musikfest <Wege durch das La'nd> unter der künstlerischen Leitung von Dr. Brigitte LabsEhlert ist eine exquisite Reihe, die poetische Orte in Ostwestfalen und Künste beziehungsreich miteinander verknüpft. Es sind gedankliche Wagnisse, die in Worten und Tönen Gestalt annehmen. Immer von der Lokalität den Ausgang nehmend, an eine Person, ein literarisches Ereignis oder ein Motiv anknüpfend, dieses über die Zeiten und Nationen variierend, vorgetragen von den besten Schauspielern, international renomm ierten Schriftstellern und Musikern, begleitet von Tanztheater, Ausstellung und Gesprächen. Der Vortrag von Peter Zumthor war eingebettet in ein Programm, das angeregt von der Architektur Schloß Wendlinghausens nach dem Maß der Schönheit fragte mit Madrigalen aus dem Italien des 16. Jahrhunderts, strahlender Raummusik von Markus Stockhausen und Tara Bouman sowie im kunstvollen
Wege zur Architektur
Editorial
Roman der dänischen Autorin Inger Christensen über die Fresken von Andrea Mantegna; der Schauspieler Udo Samel führte auf den Spuren von Goethes Italienischer Reise zu Bauten Palladios. Dazu gedacht, das Alte mit dem Neuen zusammenzubringen, werden auch in den nächsten Jahren an architektonisch interessanten historischen Gebäuden Architekten unserer Tage über ihre Ethik des Entwerfens und Bauens sprechen. <Wege zur Architektur> erhalten eine Fortsetzung.
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Peter Zumthor
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Atmosphären
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Der Titel leitet sich daher: Mich interessiert - denn natürlicherweise muß mich das interessieren - schon lange: Was ist das eigentlich: Architektonische Qualität? Es ist für mich relativ einfach zu sagen. Architektonische Qual ität ist nicht - für mich -, in Architekturführern vorzukommen oder in der Architekturgeschichte vorzukommen oder publiziert zu werden usw. Architektonische Qualität, das kann sich bei mir nur darum handeln, daß ich von einem Bauwerk berührt bin. Was zum Teufel berührt mich denn an diesen Bauwerken? Und wie kann ich das entwerfen? Wie kann ich etwas entwerfen wie den Raum auf dieser Fotografie hier - das ist eine persönliche Ikone von mir, ich habe das Gebäude nie gesehen, ich glaube, das gibt es gar nicht mehr, und ich schaue es wahnsinnig gerne an. Wie kann man solche Dinge entwerfen, die eine derart schöne, selbstverständliche Präsenz haben, die mich immer wieder berührt. Ein Begriff dazu ist die Atmosphäre. Wir kennen das ja alle: Wir sehen einen Menschen und haben einen ersten Eindruck von ihm. Und ich habe gelernt: vertraue dem nicht, du mußt dem Menschen eine Chance geben. Jetzt bin ich ein bißchen älter und ich muß sagen, ich bin
John Russell Pope (1874-1937) Union Station or Broad Street Station, Riehmond, VA (1919) Aus: Arehiteeture in Ameriea, by G. E. Kidder Smith Ameriean Heritage Publishing Co. Ine. New York 1976
Peter Zumthor
Atmosphären
doch wieder beim ersten Eindruck. Ein bißchen ist es für mich so auch mit der Architektur. Ich komme in ein Gebäude, sehe einen Raum und bekomme die Atmosphäre mit, und in Sekundenbruchteilen habe ich ein Gefühl für das, was ist. Atmosphäre spricht die emotionale Wahrnehmung an, das ist die Wahrnehmung, die unglaublich rasch funktioniert, die wir Menschen offenbar haben, um zu überleben. Wir werden ja nicht jedesmal, in jeder Situation irgendwie lang denken wollen, ob uns das gefällt oder nicht, ob wir davonspringen müssen oder nicht. Da ist etwas in uns, das uns sofort viel sagt. Sofortiges Verständnis, sofortige Berührung, sofortige Ablehnung. Also anders als dieses lineare Denken, das wir auch haben und das ich auch liebe, von A nach B mit dem Kopf, und wo wir uns das dann alles zurechtlegen müssen. Die emotionale Wahrnehmung kennen wir natürlich in der Musik. Der erste Satz dieser Bratschensonate von Brahms, der Einstieg der Viola - nach zwei Sekunden ist das Gefühl da! (Sonate Nr. 2 in Es-Dur für Viola und Klavier) Und ich weiß nicht, warum. Und ein bißchen ist das auch so in der Architektur. Nicht so stark wie in der größten der Künste, der Musik, aber es ist da.
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Ernst Brunner, Backtag in Vrin, Brottragen (1942)
© Sammlung Ernst Brunner, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel
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Peter Zumthor
Atmosphären
Ich lese Ihnen etwas vor, was ich aufgeschrieben habe in meinem Notizbuch zu diesem Thema. Um zu sehen, was das denn ist. Das ist Gründonnerstag 2003. Das bin ich. Ich sitze da, ein Platz in der Sonne, große Arkade, lang, hoch, schön in der Sonne. Der Platz - Häuserfront, Kirche, Monumente - als Panorama vor mir. Die Wand des Cafes im Rücken. Die richtige Dichte von Menschen. Ein Blumenmarkt.Sonne. Elf Uhr. Die gegenüberliegende Platzwand im Schatten, angenehm bläuI ich. Wu nderbare Geräusche: nahe Gespräche, Schritte auf dem Platz, Stein, Vögel, leichtes Gemurmel der Menge, keine Autos, kein Motorenlärm, entfernte Baugeräusche ab und zu. Die beginnenden Feiertage haben die Schritte der Menschen bereits verlangsamt, stelle ich mir vor. Zwei Nonnen - das ist wieder Wirklichkeit, ohne Vorstellung - zwei Nonnen, gestikulierend, gehen quer über den Platz, leichtfüßig, leicht wehende Hauben, jede trägt eine Plastiktasche. Temperatur: angenehm frisch, warm. Ich sitze in der Arkade, auf einem bleichgrün gepolsterten Sofa, die Bronzefigur auf dem hohen Sockel vor mir auf dem Platz dreht mir den Rücken zu und schaut wie ich auf die zweitürmige Kirche. Die Doppeltürme der Kirche haben ungleiche
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Diözesanmuseum Kolumba, Köln, Deutschland. Im Bau
Peter Zumthor
Atmosphären
Helme, beginnen unten gleich und werden gegen oben hin individueller. Einer ist höher und hat eine um die Helmspitze gelegte Goldkrone. Bald wird B von rechts schräg über den Platz auf mich zukommen. Nun, was hat mich da berührt? Alles. Alles, die Dinge, die Menschen, die Luft, Geräusche, Ton, Farben, materielle Präsenzen, Texturen, auch Formen. Formen, die ich verstehen kann. Formen, die ich versuchen kann zu lesen. Formen, die ich als schön empfinde. Und was hat mich da noch berührt? Meine Stimmung, meine Gefühle, meine Erwartung damals, als ich da saß. Und es kommt mir dieser berühmte englische Satz in den Sinn, der auf Platon verweist: . Das heißt: Alles ist nur in mir. Aber dann mache ich das Experiment, ich nehme den Platz weg. Und ich habe nicht mehr die gleichen Gefühle. Einfaches Experiment, entschuldigen Sie die Simplizität meines Denkens. Aber ich nehme jetzt den Platz weg - und meine Gefühle verschwinden. Ich hätte diese Gefühle so damals nie gehabt ohne diese Atmosphäre des Platzes. Logisch. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen den Menschen und den Dingen. Damit habe ich zu tun als Architekt. Und ich denke, das ist meine Leidenschaft.
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Vincenzo Scamozzi (1548-1616) Palazzo Trissino Baston, Innenhof, Vicenza (1592)
Peter Zumthor
Die Magie des Realen
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Es gibt eine Magie des Realen. Ich kenne sehr wohl die
Hans Baumgartner (1911-1996)
Magie des Gedankens. Und die Leidenschaft des schö-
Studentenwohnheim,
nen Gedankens. Aber hier spreche ich von dem, was ich häufig unglaublicher finde: die Magie des Wirklichen und des Realen.
Frage. Ich frage mich als Architekt: . Hat zu tun mit Nähe und Distal'1z. Klassische Architekten würden sagen: Maßstab. Aber das tönt zu akademisch, ich meine das mehr körperlich als Maßstab und Dimensionen. Das betrifft verschiedene Aspekte, die Größe, die Dimension, der Maßstab, die Masse des Bauwerks gegenüber mir. Es ist größer als ich, es ist viel größer als ich. Oder Dinge im Bauwerk sind kleiner als ich. Türfallen, Scharniere oder Zwischenteile, Türen. Kennen Sie diese schlanke, hohe Tür, wo alle Leute gut aussehen, wenn sie durchkommen? Kennen Sie die etwas langweilige breitliche Tür, diese flatschige? Kennen Sie die einschüchternden großen Portale, wo vielleicht der, der öffnet, gut aussieht oder stolz? Das heißt, die Größe und die Masse und die Schwere der Dinge. Die dünne Tür und die dicke Tür. Die dicke Mauer und die dünne Mauer. Kennen Sie diese Gebäude? Ich bin fasziniert von diesen Gebäuden. Ich versuche immer, solche zu
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Domino de Pingus Winery, Penafiel, Spanien. Projekt
Peter Zumthor
Stufen der Intimität
machen, wo Innenform, also leerer ,Raum innen, nicht gleich ist mit der Außenform. Wo Sie also nicht einen Grundriß nehmen können und einfach Striche reinzeichnen können, so, das sind jetzt alles die Wände, zwölf Zentimeter, und diese Unterteilung ergibt außen und innen, sondern wo verborgene Massen innen sind, die Sie nicht erkennen. Das ist wie ein ausgehöhlter Kirchturm, wo Sie im Gemäuer hochsteigen. Das ist ein Beispiel von Tausenden, die etwas mit diesem Gewicht und der Größe zu tun haben. So groß wie ich, kleiner als ich. Und interessant ist ja, daß Dinge, die größer sind als ich, mich einschüchtern können, staatliche Repräsentation, Bank aus dem 19. Jahrhundert oder irgend so etwas, Säulen usw. Oder, gestern gehört, Villa Rotonda von Palladio, ein großes monumentales Ding, wenn ich aber selber innen stehe, bin ich nicht einge/
schüchtert, sondern fühle mich eigentlich fast erhaben, wenn ich dieses altmodische Wort gebrauchen darf. Die Umgebung schüchtert mich nicht ein, sondern macht mich irgendwie größer oder läßt mich freier atmen oder - ich weiß nicht, wie ich das Gefühl nennen soll, Sie wissen, was ich meine. Es gibt beides, erstaunlicherweise. Man kann also nicht einfach sagen, klar, groß ist
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Vincenzo Scamozzi (1548-1616) Villa Rocca Pisana (1575)
Peter Zumthor
Stufen der Intimität
schlecht, es fehlt der menschliche Maßstab. Das hört man manchmal so in Laiengesprächen, auch von Architekten. Menschlicher Maßstab heißt dann, etwa so groß wie wir. Aber das ist nicht so einfach. Und dann, was dazugehört, zu dieser Weite, Nähe, Distanz von mir und den Bauwerken, - ich denke immer gerne daran, etwas für mich allein zu machen, für eine Person allein. Ich allein, für mich allein oder für mich in der Gruppe, ganz andere Geschichte. Haben Sie dieses schöne Studentencafe vorhin gesehen? Und jetzt dieses wunderbare Gebäude von Le Corbusier auf dem Bild. Ich wäre stolz, ich hätte das gemacht. Also, ich, für mich allein, für mich und andere in der Gruppe, oder für mich in der Masse. Fußballstadion. Okay. Palast. Und diese Dinge, finde ich, die muß man denken. Und ich glaube, die kann ich gut denken, die kann ich alle gut denken. Das einzige, wo ich große Probleme habe, das würde ich aber auch gerne können, das muß ich Ihnen sagen, wo ich das aber nicht schaffe, ist beim Wolkenkratzer. Ich schaffe das nicht, mir vorzustellen, ich und viele, 5000 oder ich
nicht wie viele, in einem Wolkenkratzer,
wie ich das/ machen müßte, daß ich mich gut fühle mit all denen zusammen, mit diesem Hochhaus. Was ich in
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Le Corbusier (1887 -1965) Villa Sarabhai, Ahmedabad 1955
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Das Licht auf den Dingen
Peter Zumthor
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der Regel sehe bei Hochhäusern, ist eine Außenform, die eine Sprache spricht mit der Stadt usw., die gut oder schlecht oder was auch immer ist. Ein Gefühl, das ich mir sehr wohl vorstellen kann, ist ein Fußballstadion für 50000 Personen, das mit diesem Kessel kann eine unglaublich schöne Geschichte sein. Gestern. Vicenza, das Olympische Theater. Haben wir auch gehört von unserem Herrn Goethe, der hat das alles schon viel, viel früher gesehen. Und der schaut ja hin, das ist das Fantastische bei ihm, der schaut hin. Okay, das sind diese Stufen der Intimität, die mich noch immer umtreiben.
Das letzte. Als ich diese Dinge vor ein paar Monaten aufgeschrieben habe, saß ich in der Stube, bei mir im Wohnzimmer und habe mich gefragt: Was fehlt dir noch? Ist das jetzt alles? Sind das so deine Themen? Und dann habe ich es plötzlich gesehen. War relativ einfach. . Ich habe mir das mal fünf Minuten lang angeschaut, wie es bei mir im Wohnzimmer wirklich ausschaut. Wie das Licht ist. Und das ist fanta?tisch! Das ist bei Ihnen sicher gleich. Wo das Licht überall wie die
und wie. Wo die Schatten waren. Und
stumpf waren oder funkelnd oder
Toni Molkerei, Zürich 2002
© Jules Spinatsch
Peter Zumthor
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Das licht auf den Dingen
aus der Tiefe kamen. Dann habe ich es später gesehen,
Im Arbeitsraum von
da hat mir Walter De Maria, Künstler in Amerika, eine
Peter Zumthor
neue Arbeit gezeigt für Japan, das wird eine riesige Halle, zwei-, dreimal so groß wie die Scheune hier. Vorne offen und nach hinten ganz dunkel. Und dort liegen zwei oder drei riesige Steinbälle, aus massivem Stein, riesige Kugeln. Ganz hinten waren Stäbe aus Holz, überzogen mit Blattgold. Und dieses Blattgold - das wissen wir alle längst, aber es hat mich wieder berührt, als ich es gesehen habe - dieses Blattgold hat aus der Tiefe, aus der Schwärze des Raumes geleuchtet! Das heißt, dieses Gold scheint die Eigenschaft zu haben, geringste Mengen von licht ganz hinten im Dunkel auffangen zu können und abzustrahlen.
Es gibt zwei lieblingsideen, denen ich in diesem Zusammenhang immer wieder nachhänge. Denn wir machen kein Gebäude und holen am Schluß den Elektroplaner und sagen: Okay, wo wollen wir da noch Leuchten setzen und wie wollen wir das Ding ausleuchten? Sondern ,diese Vorstellung ist von Anfang an dabei. Die eine lieblingsvorstellung ist die: das Gebäude zunächst als zu denken und dann nachher, wie in
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Peter Zumthor
Das Licht auf den Dingen
einem Aushöhlungsprozeß, Lichter zu setzen, Licht einsickern zu lassen. Und dann kommt schon die zweite Lieblingsidee - das ist alles sehr logisch, das sind keine Geheimnisse, das macht jeder. Die zweite Lieblingsidee ist, die Materialien und Oberflächen bewußt ins Licht zu setzen. Und dann zu schauen, wie die reflektieren. Also mit diesem Bewußtsein, wie das reflektiert, die Materialien zu wählen und so ein stimmiges Ding zu machen. Das beelendet mich sehr, hier in dieser wunderschönen Gegend, gestern und heute zu sehen, wie viele Häuser kein Licht mehr von außen haben in dieser wunderschönen Landschaft, wo die Natur, das Sonnenlicht von einer umwerfenden Schönheit ist. Und dann diese stumpfen Häuser - ich weiß nicht, was es ist, ich weiß nicht, was die da anstreichen. Und dann sieht man, daß sie alle tot sind. Jedes zehnte Haus hat noch eine alte Ecke, wo es plötzlich wieder leuchtet oder wo irgendwie wieder etwas kommt. Und das ist so schön, Materialien zu wählen, Stoffe, Kleider, die schön im Licht stehen, und so die Kombination zu machen. Bei diesem Thema des Tageslichtes und des Kunstlichtes, ich muß es Ihnen gestehen, daß das Tageslicht, das Licht auf den Dingen mich manchmal so berührt, daß ich darin manchmal
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Pavillon Louise Bourgeois, Dia Center for the Arts, Beacon, NY, USA. Projekt
Peter Zumthor
Das Licht auf den Dingen
fast etwas Spirituelles zu spüren glaube. Wenn die Sonne am Morgen wieder aufgeht - was ich immer wieder bewundere, das ist wirklich fantastisch, die kommt jeden Morgen'wieder-und sie beleuchtet die Dinge wieder, dann meine ich, dieses Licht, das kommt nicht von dieser Welt! Ich verstehe dieses Licht nicht. Ich habe da das Gefühl, es gibt etwas Größeres, das ich nicht verstehe. Ich bin sehr froh, ich bin unendlich dankbar, daß es das gibt. Auch heute, da, wenn wir wieder nach draußen gehen. Und daß ich dieses Licht habe als Architekt, das ist tausendmal besser als Kunstlicht.
Sehen Sie, jetzt bin ich eigentlich durch. Und wieder frage ich mich: War das jetzt alles? Und ich muß Ihnen noch etwas gestehen: Ich muß Ihnen drei kleine Anhänge machen. Ich glaube, die neun Dinge, von denen ich jetzt gesprochen habe, das waren Arbeits- und Denkansätze von mir oder von uns im Büro, vielleicht ein bißchen idiosynkratisch, kann schon sein. Aber die sind einigermaßen, denke ich, objektivierbar. Aber was ich jetzt sage, das hat mehr mit mir persönlich zu tun und ist vielleicht noch weniger objektivierbar als viele Dinge, von denen ich vorhin gesprochen habe. Aber wenn
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Kapelle Bruder Klaus.
Peter Zumthor
Architektur als Umgebung
ich über meine Arbeit rede, muß ich schon sagen, was mich halt bewegt. Und da gibt es noch drei Dinge.
Die erste Überschreitung, die erste Transzendenz hier, für mich, wäre: . Das gefällt mir sehr gut, die Vorstellung, daß ich ein Gebäude mache, einen großen Gebäudekomplex oder einen kleinen, und dieser wird Teil einer Umgebung. Ganz im Handkeschen Sinne. (Peter Handke hat die Umgebung, die physische Um-Gebung, verschiedentlich beschrieben, so im Interviewband .) Und dies ist die Umgebung von Menschen, für mich oder meistens auch nicht für mich, und wird Teil von deren Leben, Kinder wachsen da auf. Vielleicht erinnern sie sich 25 Jahre später unbewußt an irgendein Gebäude, eine Ecke, eine Straße, einen Platz, keine Ahnung vom Architekten, ist auch nicht wichtig. Aber die Vorstellung, daß die Dinge da sind - auch ich erinnere mich an viele Dinge in der Welt, gebaut, die ich nicht verantwortet habe, die mich aber berührt, bewegt, erleichtert, die mir geholfen haben. Es gibt mir ein viel schöneres Gefühl, mir vorzustellen, dieses Gebäude wird in 25, 30 Jahren vielleicht von jemandem erinnert
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Kapelle Bruder Klaus.
Peter Zumthor
Stimmigkeit
werden. Vielleicht weil er da seine erste Jugendliebe geküßt hat. Spielt keine Rolle, warum. Um das deutlich zu machen, das gefällt mir viel besser als die Vorstellung, dieses Gebäude wird in 35 Jahren noch immer im Architekturlexikon vorkommen. Das ist eine ganz andere Ebene. Und die zweite hilft mir nicht beim Entwerfen. Das war die erste Transzendenz, dieser Versuch, Architektur als Umgebung. Vielleicht hat es am Ende ein bißchen, das muß ich vermutlich zugeben, vielleicht hat es ein bißchen mit Liebe zu tun. Ich liebe Architektur, ich liebe die gebauten Umgebungen und ich glaube, ich liebe es, wenn die Leute das auch lieben. Ich muß das zugeben, es freut mich, wenn es mir gelingen würde, Dinge zu schaffen, die andere Leute lieben.
Zweiter Anhang. Wie habe ich den überschrieben? <Stimmigkeit>. Das ist auch mehr ein Gefühl. Das heißt, alle diese Überlegungen des Machens und Herstellens von Architektur, die auch noch eine ganz andere Ebene, eine professionelle Ebene haben, von der ich hier gar nicht spreche. Ich finde, das ist Büroalltag oder so, da kann man in der Uni und im Büro darüber sprechen oder. Das ist mehr Didaktik. Ich denke, alle diese Dinge, die
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Projekt für ein Berghotel, Tschlin, Graubünden, Schweiz.
Peter Zumthor
Stimmigkeit
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Entscheidungen, die ich fälle - das sind ja tausend Ent-
Projekt für ein Berghotel,
scheide-dich-Fälle, die jeder Architekt fällt, die würde
Tschlin, Graubünden, Schweiz.
ich gerne im Gebrauch aufheben. Also, das größte Kompliment für mich ist, wenn man mir an einem Gebäude keine Form ablesen kann und sagt: Aha, da hast du jetzt eine super-coole Form machen wollen, sondern wenn alles seine Erklärung findet im Gebrauch. Das wäre schon das schönste Kompliment. Und da bin ic.h ja nicht alleine in der Architektur, das ist eine uralte Tradition, auch in der Schriftstellerei, beim Schreiben usw. Und in der Kunst. Aber ich denke, ein alter schöner Ausdruck dafür ist: Die Dinge sind dann zu sich gekommen, sind bei sich. Weil sie dann das sind, was sie sein wollen. Und Architektur ist gemacht für uns zum Gebrauchen. Es ist keine freie Kunst. Ich finde, es ist auch die vornehmste Aufgabe der Architektur, daß sie eine Gebrauchskunst ist. Aber eben das Schönste, die Dinge sind zu sich gekommen, sind stimmig. Und dann verweist alles aufeinander und Sie können das nicht auseinandernehmen. Der Ort, der Gebrauch und die Form. Die Form verweist auf den Ort, der Ort ist so und der Gebrauch ist so und so.
Peter Zumthor
Stimmigkeit
Und jetzt fehlt aber noch etwas, und das ist jetzt wirklich das letzte, es ist jetzt schon da, irgendwie. Jetzt habe ich es also geschafft, in neun Punkten und zwei Anhängen nicht über die Form zu reden. Sie spüren das sehr stark, das ist eine Leidenschaft von mir und die hilft mir auch sehr beim Arbeiten. Wir arbeiten nicht an der Form, wir arbeiten an all den anderen Dingen. Am Klang, an den Geräuschen, an den Materialien, an der Konstruktion, an der Anatomie usw. Der Körper der Architektur, ganz aril Anfang, ist Konstruktion, Anatomie, Logik des Konstruierens. Wir arbeiten an all diesen Dingen und schauen immer gleichzeitig auf den Ort und den Gebrauch. Etwas anderes habe ich nicht zu tun, das ist der Ort, den kann ich beeinflussen oder nicht, und das ist der Gebrauch. In der Regel haben wir ein großes Modell oder eine Zeichnung, meistens ein Modell, und das kommt halt dann vor, daß irgendetwas von daher stimmt, von vielen Dingen her stimmt, dann schaue ich es an und sage: Ja, stimmt zwar alles, ist aber nicht schön! Das heißt, ich schaue die Dinge schlußendlich schon an. Und ich glaube, wenn die Arbeit geglückt ist, haben die eine Form angenommen, von der ich dann häufig nach langer Arbeit überrascht bin. Von der ich
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Diözesanmuseum Kolumba, Köln, Deutschland. Im Bau
Peter Zumthor
Die schöne Gestalt
denke: Hätte ich nie, nie daran denken können, daß das so wird, von Anfang an. Das ist nur möglich jetzt nach all diesen Jahren manchmal - slow architecture. Ich habe dann große Freude, bin auch stolz. Aber, wenn es dann am Schluß nicht schön ausschaut, also für mich nicht- ich sage jetzt bewußt einfach nur schön, es gibt Bücher über Ästhetik, - wenn mich diese Form nicht anrührt, dann gehe ich wieder ganz zurück und beginne wieder von vorne. Das heißt, mein Schlußkapitel oder mein letztes Ziel ist vermutlich dann halt schon: . Ich finde sie wieder vielleicht in Ikonen, manchmal finde ich sie wieder in Stilleben, die mir helfen zu sehen, wie irgendetwas seine Form gefunden hat, aber auch in Werkzeugen des Alltags, in Literatur und in Musikstücken. Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
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Diözesanmuseum Kolumba, Köln, Deutschland. Im Bau
Wege zur Architektur 1 Herausgeber FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co
© Peter Zumthor, Haldenstein (Text) © Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe, Detmold (für diese Ausgabe) Fotonachweise siehe Marginalien Die Aufnahmen der Architekturmodelle stellte das Atel ier Zumthor zur Verfügung Buchgestaltung, Satz und Herstellung: Ernst-Reinhardt Ehlert Gesetzt aus der Trade Gothic und Traffic. Druck: Druckerei Bösmann GmbH, Detmold. Einband: Bödiger Buchbinderei GmbH, Langenhagen Einmaliger limitierter Privatdruck von Franz Schneider Brakel GmbH + Co Dezember 2004