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0,
d.h. a
= g,
und somit bekanntlich
Die Folge der Nenner qn besitzt dieselbe GesetzmaBigkeit wie die Folge der FibonacciZahlen in, die LEONARDO VON PISA (genannt Fibonacci) 1202 eingefUhrt hat.
Die Folge der Fibonacci-Zahlen Die Fibonacci-Zahlen beschreiben die Anzahl der Kaninchenpaare, die ausgehend von einem einzigen Kaninchenpaar im Laufe der Zeit zur Welt gebracht werden. Dabei setzt man voraus, dass jedes Paar im Monat ein neues Paar zur Welt bringt und die neugeborenen Kaninchen zwei Monate nach ihrer Geburt gebaren konnen. Man erhalt fur das erste Jahr die Zahlen
1,1,2,3,5,8,13,21,34,55,89,144.
12
1. REELLE ZAHLEN
Fur weitere "Anwendungen" der Fibonacci-Zahlen verweisen wir auf die Literatur am Ende dieses Abschnitts. Fur die Folge der Fibonacci-Zahlen stellte J. KEPLER 1608 die Rekursionsfomel fo = 0,
!I =
1,
und
fn+2 = fn
+ fn+l' n E No.
auf und erkannte, dass die Folge (fit )nEN konvergiert und den Grenzwert 9 besitzt. Er benutzte natUrlich noch nicht unsere Formelsprache. Genauer schreibt er am 12. Mai 1608 in einem Brief (zit. nach der Ubers. in [CvD]): In der Geometrie ist ein Verhaltnis durch zwei Groi3en bestimmt; eine Proportion besteht in der Ubereinstimmung der Verhaltnisse. Zu einer Proportion gehoren also vier Groi3en. Wenn die beiden mittleren gleich sind, so enthalt man eine stetige Proportion; diese enthalt in Wirklichkeit drei Groi3en, der Anlage nach vier. Unter den stetigen Proportionen existiert eine einzige ausgezeichnete Art , die gottliche Proportion, wobei von den drei Groi3en die zwei kleineren zusammen die groBere ergeben, oder wO ein Ganzes so in zwei Teile zerlegt wird, dass zwischen den Teilen und dem Ganzen einen stetige Proportion besteht darin, dass aus dem groi3eren Teil und dem Ganzen wieder einen gleiche Proportion gebildet werden kann; was vorher der groi3ere Teil war, wird dabei der kleiner; was vorher das Ganze war, wird der groBere Teil, und die Summe beider spielt nun die Rolle des Ganzen. Das geht unendlich weiter, immer bleibt die gottliche Proportion bestehen .... Nun kann aber die gottliche Proportion durch Zahlen nicht vollkommen ausgedriickt werden; sie kann jedoch in der Weise ausgedriickt werden, dass wir durch einen unendlichen Prozess ihr immer naher kommen, wobei wir bei der Zeichnung des Quadrats immer nur einen Fehlbetrag von einer Einheit haben. Fangen wir mit den kleinsten Zahlen an. Die kleinste zerlegbare Zahl ist 2, sie hat die Teile 1 und 1; von diesen bilde der eine den kleineren, der andere den groBeren Teil in der Proportion, so dass man die Glieder 1, 1, 2 erhalt. Ware dadurch die gottliche Proportion vollkommen ausgedriickt, so miisste das Rechteek aus den auBeren Gliedern gleich dem Quadrat des mittleren Gliedes sein. Es ist jedoeh urn 1 zu groB. leh fahre nun fort, indem ieh den groi3eren Teil 1 zu dem Ganzen 2 addiere; ich erhalte 3, so dass nun die Glieder 1, 2, 3 sind. Hier ist das Reehteek aus den aui3eren Gliedern 3, das Quadrat des mittleren Gliedes 4. leh fahre wiederum fort und addiere den groBeren Teil 2 zu Ganzen 3, so dass das neue Ganze 5 ist; die Glieder sind nun 2, 3, 5. Das Reehteek aus den auBeren Gliedern 2, 5 ist 10, das Quadrat des mittleren 9. Ebenso addiere ieh 3 und 5, ieh erhalte 8. Fiinfmal 5 ist 25, dreimal 8 ist 24. So ist immer der Fehlbetrag bei dem einen gleich dem Ubersehui3 beim anderen .... So bewirkt das einemal der Ubersehui3, das anderemal der Fehlbetrag beim Reehteek, dass wir nie vollkommen die gottliehe Proportion ausdriieken. Und doeh kommen wir immer naher an sie heran, je ofter wir die Zusammensetzung vornehmen.
Den Zusammenhang mit dem obigen Kettenbruch fand der schottische Mathematiker R. SIMSON im Jahr 1753. Die geschlossene Darstellung in der Form
hat 1718 DE MorVRE angegeben; sie wird oft nach J.P.M. BINET benannt, der sie 1843 wieder entdeckte. Johannes Kepler
* 27.12.1571 Weil der Stadt / t 15.11.1630 Regensburg Mathematiker, Astronom und Naturforscher, ab 1594 Landschaftsmathematiker in Graz, 1601 Hofastronom und kaiserlicher Mathematiker in Prag, 1612 Landschaftsmathematiker in Linz und 1628 in Wallensteins Diensten. Seine Untersuchungen zum goldenen Schnitt und den platonischen K6rpern sind wesentlicher Bestandteil seiner "Weltharmonik". Beruhmt wurde er durch die gesetzmiiJ3ige Erfassung der Planetenbewegungen.
1.1 DER GOLD ENE SCHNITT
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Wiihrend es zu jedem n ~ 2 ein regelmaBiges n-Eck gibt, existieren nur 5 regulare Polyeder, d.h. von ebenen Flachen begrenzte konvexe Karper, deren Seitenflachen von kongruenten regelmaBigen n-Ecken gebildet werden, von denen in jeder Ecke die gleiche Anzahl zusammen trefl'en: das Tetraeder (4 gleichseitige Dreiecke), der Wiirfel oder Hexaeder (6 Quadrate), das Oktaeder (8 gleichseitige Dreiecke), das Dodekaeder (12 regelmaBige Funfecke) und das Ikosaeder (20 gleichseitige Dreiecke).
Fig. 1.4
Es gibt nur 5 regelmaBige Polyeder Da in jeder Polyederecke mindestens drei n-Ecke zusammenkommen mussen und die Summe der dabei auftretenden Innenwinkel CPn = 1l' kleiner als 21l' sein muss, kannen dies bei n = 3 (CP3 = ~) nur 3,4 oder 5 Dreiecke sein, bei n = 4 (CP4 = ~) nur 3 Vierecke und bei n = 5 (CP5 = 35") nur 3 Funfecke - die Falle n ~ 6 sind ausgeschlossen, da daflir 3cpn ~ 21l' gilt.
2:
Die Entdeckung, dass sich auch alle flinf Falle realisieren lassen, wird THEAITETOS zugeschrieben. Die so entstandenen Karper werden aber als platonische Korper bezeichnet, da sie PLATON im "Timaios" zur Grundlage seines Welt systems machte (siehe [Top] fur einen guten historischen Uberblick). Werden diese in eine Kugel vom Radius r=1 einbeschrieben, so erhalt man (durch mehrmalige Anwendung des Satzes von Pythagoras) als Kantenlange a der einzelnen Begrenzungsflachen • beim Tetraeder a = • beim Wurfel a =
2[i,
.Is,
• beim Oktaeder a = /2, • beim Dodekaeder a = ~
k.
• und beim Ikosaeder: a = Diese Werte und die Konstruktion der platonischen K6rper findet man in Buch XIII
14
1. REELLE ZAHLEN
der "Elemente" von EUKLID, die spater durch zwei weitere Bucher mit zusatzlichen Eigenschaften erganzt wurden. Die Konstruktion eines Tetraeders und eines Wurfels sind sehr einfach. Auch ein Ikosaeder (mit r = ";2 + g) lasst sich nach L. PACIOL! (1509) leicht konstruieren (siehe Fig. 1.5). Seine 12 Eckpunkte sind gegeben durch die Koordinaten (0, ±g, ±l), (±g, ±l, 0) und (±1, 0, ±g). Urn die beiden letzten Karper, das Oktaeder bzw. das Dodekaeder, zu konstruieren, muss man nur beim Wurfel bzw. beim Ikosaeder die Mittelpunkte der Begrenzungsflachen miteinander verbinden.
Fig. 1.5 In der Tradition PLATONS stand auch KEPLER, als er in seinem Erstlingswerk "Mysterium Cosmographicum" (siehe [KepI]) einen Weltentwurf auf der Grundlage der platonischen Karper schuf und sich trotz seiner spateren Theorie der Planetenbewegung nie ganz davon las en konnte: Die Planeten bewegen sich auf Kreisbahnen urn die Sonne, deren Radien die von Spharen sind, in die die platonischen Karper ein- und umbeschrieben sind; siehe Fig. 1.6 (die rechte Figur zeigt einen vergraBerten Ausschnitt).
Fig. 1.6 Auch wenn die platonischen Karper bei der Beschreibung der Welt anderen Modellen weichen mussten, so spielen sie doch weiterhin eine mysteriase Rolle in der Mathematik durch ihre Symmetriegruppen, die sich wiederfinden in der Klassifikation soleh unterschiedlicher Strukturen wie Invarianten algebraischer Gleichungen, algebraische Singularitaten, Singularitaten von Kaustiken und Wellenfronten und einfache Lie'sche Gruppen.
15
1.1 DER GOLDENE SCHNITT
Eine andere Anwendung der Zahl 9 des goldenen Schnittes, die eng mit dem Fiinfeck zusammenhangt, wurde 1973 von dem englischen Mathematiker R. PENROSE entdeckt. Mit Hilfe zweier einfacher Schablonen (urspriingllch benotigte er sechs), dem Drachen und dem Pfeil, gelang es ihm, eine nicht periodische Ptlasterung der Ebene zu konstruieren. Einen Ausschnitt einer solchen Ptlasterung zeigt Fig. 1.7.
Fig. 1.7 Man kann zeigen, dass es iiberabzahlbar viele solche Ptlasterungen der Ebene gibt. Einen erst en Uberblick iiber Penrose-Ptlasterungen bieten [Gar] und [BP], umfassender wird das Thema "Ptlasterungen" in [Sen] behandelt. Weitere Anwendungen des goldenen Schnittes findet man in [BP]. Aufgaben
= 1 ist. Zeigen Sie: sin ~ = ~~, sin TIi = ~y'2=g = ~, cos ~ = ~, cos TIi = hl2 + g. Die Folge (bn)nENo sei induktiv definiert durch bo = 1 und bn+1 = VI + bn fUr
1. Berechnen Sie die Seite So des Funfecks, wenn der Radius des Umkreises r 2.
3.
n E No. Man zeige: 9 = limn--+oo bn .
4. Zeigen Sie, dass fur die funfte Einheitswurzel ( gilt.
= e21Ti / 5
die Beziehung (~2-=-«~
=9
5. Fur die Folge (fn)nEN der Fibonacci-Zahlen beweise man: (i) l-Lx2
(ii) 2:~=1
= 1_(X1+x2) = 2:~=0 fn+1xn fnln+2
Ixl < h.
= 2:~=0 M~+2 = 2:~=o(-I)n(an+2 -
1
(iii) fn
fUr
an)
= l.
o
= det
fUr n ? 2, wobei die Matrix n-l Zeilen und Spalten
o
1
besitzt. (iv) (J. KEPLER (1608) und G.D. CASSINI (1680)) fn-dn+l - f~ Aus (i) und der Identitat l-Lx2 = (h-x)(9+ X ) = 9~h (h~x Koeffizientenvergleich) die Binet'schen Formeln fUr in her.
= (_I)n fUr n E N.
+ 9~X)
leite man (mittels
1. REELLE ZAHLEN
16
6. Man beweise die Binet'schen Formeln mittels vollstandiger Induktion.
7. Man konstruiere ausgehend vom regelmaBigen Fiinfeck ein regelmaBiges Fiinfzehneck, d.h. einen Winkel von 24°. 8. Zeigen Sie mit der in Fig. 1.2b angedeuteten Wechselwegnahme (griech. "Antiphairesis"), die auf die Rekursionsformeln Sn+l
= dn
d n +1
= Sn -
-
1
Sn
< 2" s n
Sn+l
fiihrt, dass das Verhaltnis !!rl. der Streckenlangen eine irrationale Zahl ist. 80
Fig. 1.8 Auf einer alten babylonischen Tontafel (siehe Fig. 1.8, links) findet man in Keilschrift (im Sexagesimalsystem) die Zahl 24 1; 24, 51, 10 = 1 + 60
51
10
+ 602 + 60 3
als Naherung fiir das Verhaltnis der Diagonalen- zur Kantenlange eines Quadrats. In der Skizze (Fig. 1.8, rechts) erkennt man links oben die Kantenlange 30, unterhalb der Diagonalen deren Lange und auf der Diagonalen das Verhaltnis. Stellen Sie diese Zahl im Dezimalsystem dar und bestimmen Sie eine vergleichbare Naherung mit Hilfe obiger Rekursionsformeln bzw. nach dem Quadratwurzelalgorithmus, der auf der binomischen Formel (a + b? = a2 + 2ab + b2 = a2 + (2a + b)b beruht. Erinnerung: Man fasst die Ziffern des Radikanden c beginnend mit den Einern in Zweiergruppen zusammen und sucht zunachst die groBte in der Zahl enthaltene Quadratzahl a2 . Sodann wird die groBte Zahl b1 bestimmt, fiir die noch (2a + bdb 1 ::;; c - a2 gilt. Mit der Differenz rl = c - a2 - (2a + b1)b 1 wird dann genauso verfahren, wobei jetzt a + b1 an die Stelle von a tritt, d.h. man sucht b2 mit (2(a + b1 ) + b2 )b2 ::;; rl usw. 1st r keine Quadratzahl, so werden wie bei der schriftlichen Division Nullen erganzt, diesmal allerdings in Zweierpackchen.
1.1 DER GOLDENE SCHNITT
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Literaturhinweise [Bck] Becker, O. (Hrsg.): Zur Geschichte der Griechischen Mathematik, Wiss. Buchges., Darmstadt, 1965 Sammlung einiger der wichtigsten Artikel namhafter Mathematikhistoriker zur Geschichte der griechischen Mathematik. Zur Entdeckung der inkommensurablen Grollen siehe auch Das Mathematische Denken der Antike von O. Becker (Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen, 1957) sowie The Evolution of the Euclidean Elements von W.R. Knorr (D. Reidel, Dordrecht, 1975).
[BP] Beutelspacher, A., Petri, B.: Der Goldene Schnitt, B·I·Wissenschaftsverlag, Mannheim, 1995 2 Die Autoren illustrieren Theorie und "Anwendung" des goldenen Schnitts in Mathematik, Kunst und Natur. Neben klassischen Themen werden auch Penrose-Pflasterungen und Fraktale behandelt.
[CvD] Caspar, M., von Dyck, W.: Johannes Kepler in seinen Brie/en, 2 Bde., Oldenbourg, Munchen, 1930 Zwei inti me Kenner des Werks und des Lebens von KEPLER geben eine Auswahl seiner Briefe in deutscher Ubersetzung.
[Cig] Cigler, J.: Grundideen der Mathematik, B·I·Wissenschaftsverlag, Mannheim, 1992 Der Autor versucht die Grundideen der Mathematik an Beispielen aus der Algebra, der Zahlentheorie und der Geometrie zu vermitteln. Auch zu Grundlagenfragen wie der konstruktiven Behandlung der reellen Zahlen und der Nichtstandard-Analysis nimmt er Stellung.
[CG] Conway, J.H., Guy, R.K.: Zahlenzauber, Birkhauser, Basel, 1997 Dies ist ein Buch fUr aile, die sich fUr den Zauber der (natiiriichen) Zahlen bereits begeistern konnen oder diesen erst neu entdecken mochten. Ohne Beweise werden u.a. Eigenschaften der Fibonacci-Zahlen und anderer Zahlenfolgen vorgestellt sowie die verschiedener irrationaler Zahlen.
[Cox] Coxeter, H.S.M.: Unvergangliche Geometrie, Birkha,user, Basel, 1981 2 Ein bereits klassisches Werk zur Geometrie, besonders fiir Studierende des Lehramtsstudiengangs
[Euk] Euklid : Die Elemente, dt. von C. Thaer, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 235, H. Deutsch, Frankfurt, 19973 Die "Stoicheia" von EUKLID waren fUr mehr als 2000 Jahre das wichtigste mathematische Werk.
[Eul] Euler, L.: Zur Theorie komplexer Funktionen, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 261, Harri Deutsch, Frankfurt, 1996 2 Die Sammlung von Ausziigen aus EULERS Werk enthaJt insbesondere seine Herieitung der Formel von MOIVRE.
[Gar] Gardner, M.: Mathematische Spiele, Spektrum der Wissenschaften 1979, Heft 11, 22-33. PopuHirwissenschaftlicher Artikel zum Thema Penrose-Pfiasterungen
[KepI] Kepler, J.: Das Weltgeheimnis, dt. von M. Caspar, Filser, Augsburg, 1923 Das "Mysterium Cosmographicum", das Erstlingswerk KEPLERS, erschien zuerst 1596 sowie in zweiter Auflage mit kritischen Anmerkungen von Seiten des Autors im Jahr 1621.
[Kep2] Kepler, J.: Weltharmonik, dt. von M. Caspar, Oldenbourg, Munchen, 1997 In der "Harmonice Mundi" von 1619 entwarf KEPLER sein platonisches Weltbild.
[Sen] Senechal, M.: Quasicrystals and Geometry, Cambridge Univ. Press, Cambridge, 1995 Neben periodischen und aperiodischen Pflasterungen (oder Parkettierungen) der Ebene werden auch aperiodische "Packungen" des Raums behandelt.
[Top] Toepell, M.: Platonische Korper in Antike und Neuzeit, MU 1991, Heft 4, 45-79 Reich illustrierter Uberblick iiber die Geschichte der platonischen Korper, zur Verwendung in der Schule geeignet.
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1. REELLE ZAHLEN
1.2
Kettenbriiche Das bisher gesagte kommt bereits in mehreren Schriften der Mathematicker vor, und dient iiberhaupt dahin, dass man einen durch grossere Zahlen ausgedriickten Bruch, der sich nicht genau auf kleinere Zahlen bringen llillt, dergestalt auf kleinere Zahlen bringe, dass er durch keine kleinere genauer getroffen wird. Da man auf diese Art mehrentheils eine ganze Reihe von Briichen findet, wovon je der folgende genauer, dabey aber durch grossere Zahlen ausgedriickt ist; so behiilt man dabey die Wahl, zu bestimmen, ob man sich mit einem kleineren begniigen konne, oder einen durch grossere Zahlen ausgedruckten dafiir nehmen wolte. In physischen oder practischen Dingen rallt dieses desto bequemer, weil man da ohehin an keine geometrische Schiirfe gedencken kann. - Johann Heinrich Lambert
1m vorigen Abschnitt haben wir eine Kettenbruchdarstellung der Zahl 9 gegeben. Wir wollen hier die elementarsten Resultate dieser Theorie vorstellen. Wir beginnen mit dem euklidischen Algorithmus, der es erlaubt, den gr6Bten gemeinsamen Teiler ggT(p, q) zweier natiirlicher Zahlen p und q zu bestimmen. Diese arithmetische Form der Wechselwegnahme (vgl. 1.1, Aufgabe 8) findet sich zuerst in Buch VII der "Elemente", war aber in der geometrischen Form schon friiher bekannt.
Der euklidische Algorithmus fUr ggT(p,q) 1st p > q, so gilt P = boq + a1 mit Zahlen bo E N und 0 ~ a1 < q = ao. Weiter ist ao = b1a1 + a2 mit 0 ~ a2 < a1 usw. bis schlieBlich an -1 = bnan + anH mit an+1 = O. Dann ist an = ggT(p, q).
Gleichzeitig haben wir die Kettenbruchdarstellung von
~
gewonnen:
P a1 a l I I 1 a2 1 - = bo + - = bo + = bo + - b a2 =: bo + I-b + 1q ao b1a1 + a2 1 + -a,1 a1
= ... = bo + ..!. + ..!. + ... + ~ + 1
b1
1
1
b2
1
1
bn
1
1
anH an
1.
Ein Kettenbruch dieser Form heiBt ein endlicher regelmafiiger Kettenbruch. Wir schreiben dafiir nach P. G. LEJEUNE DIRICHLET (1854) auch
Beispiel 1. Es ist ~ =
5/3
= ~ =
H 1,
3
18
1
1
64 - 3 + ill - 3 + 64
~
= [1;2,3,4] und
17~9
1+1
= [0; 1, 1, 2],
1
6+1..£ -
'0
1 3 + ;;-;-'-6+
= [2;2,2,2,2,2].
2+1
1
----;-1-
3+~
2+I
= [0; 3, 6, 2, 2],
19
1.2 KETTENBRUCHE 1st
~
= [bo; b1 , ... ,bn ], so konnen wir fUr k = 1, ... ,n die Naherungsbruche
betrachten. Mit Po
= bo, qo = 1 sowie P-l = 1 und q-l = °gilt dafUr
Es ist namlich
und induktiv folgt
bk+lbkPk-l bk+lbkqk-l
+ bk+1Pk-2 + Pk-l
+ bk+lqk-2 + qk-l
bk+lPk bk+lqk
+ Pk-l + qk-l .
Fur zwei rekursiv definierte Folgen (Pk)kEN und (qk)kEN wie oben gilt femer
(++) fur k = 0, ... ,n - 1 (insbesondere sind Pn und qn teilerfremd). Man sieht dies wieder leicht an der Matrixdarstellung 1 ( Pk+ Pk
1) (
o
Pk Pk-l
l) ... (b 1)
o
O
1
0
.
Wir wollen nun eine beliebige reelle Zahl a in einen regelmafJigen Kettenbruch entwickeln. Wie wir schon am Beispiel a = g gesehen haben, wird dies vermutlich fUr eine irrationale Zahl ein unendlicher Kettenbruch sein, d.h. a = [b o;b 1 ,b2 , ... ] mit einer nicht abbrechenden Folge (bn)nEN o' Fur irrationale Zahlen, die bei den Griechen stets in Form geometrischer GroBen bzw. als Verhaltnisse solcher auftraten (als Langen bzw. Flachen- und Rauminhalte), hat EUKLID (in Buch V und Buch X der "Elemente") die von EUDOXOS entwickelte Proportionenlehre herangezogen - wir gehen darauf in Abschnitt 2.1 naher ein. Erst der persische Mathematiker OMAR KHAYYAM hat 1077 die Wechselwegnahme wieder aufgegriffen und damit irrationale Zahlen unabhangig von jeglicher geometrischen Interpretation als eigenstandige Objekte aufgefasst. Ausgehend von zwei (geometrischen) GroBen A und B interpretiert er deren Verhaltnis ~ als eine rein abstrakte GroBe, die nicht anschaulich sondem nur logisch fassbar ist (siehe [OK]; hier zitiert nach [Jus]): Wir wollen sie auffassen als eine durch den Verst and von all dem losgelOste und zu den Zahlen gehorende GroBe, jedoch nicht zu den absoluten und echten Zahlen, da das Verh1iltnis von A zu B h1infig anch
20
1. REELLE ZAHLEN
nicht zahlenmaBig sein kann, d.h., dass man keine zwei Zahlen linden kann, deren Verhaltnis diesem Verhaltnis gleich ware.
Grundlage fUr diese moderne Sichtweise war die hoch entwickelte numerische Fertigkeit, die die arabischen und persischen Mathematiker bei der Losung kubischer Gleichungen oder etwa der naherungsweisen Berechnung von Wurzeln und auch von 7r zeigten (vgl. [Jus]). In Europa hat sich dieser Zahlbegriff erst im Anschluss an R. DESCARTES' "Geometrie" (vgl. [Des2]) durchgesetzt, in der dieser die geometrische Interpretation htiherer algebraischer Potenzen aufgab und sie auf eine eindimensionale Einheit bezog. Vorher wurden die Koeffizienten in Gleichungen wie x 3 + ax = b mit entsprechenden Dimensionen versehen, urn die Homogenitat zu erhalten. Das heiBt, es war a von der Form c2 und b eine dreidimensionale GroBe, da man nicht Langen, Flachen- und Rauminhalte direkt vergleichen konnte. Schon vor 1630 bemerkte DESCARTES in den "Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft"(siehe [Des1]): Es ist auch zu beachten, dass unter der Anzahl der Verhaltnisse die in kontinuierlicher Reihe aufeinander folgenden Proportionen verstanden werden sollen, die man sonst in der gemeinen Algebra durch mehrere Dimensionen und Gestalten auszudriicken versucht, deren erste man Wurzel, deren zweite Quadrat, deren dritte Kubus, deren vierte man Biquadrat u.s.w. nennt. leh muss gestehen, von diesen Bezeichnungen selbst lange Zeit getauscht worden zu sein. Nichts schien namlich meiner Einbildungskraft klarer vorgestellt werden zu konnen als, nachst Linie und Quadrat, der Kubus und andere nach ihrem Vorbild ausgedachte Figuren, und mit ihrer Hilfe habe ich immerhin eine ganze Reihe von Problemen gelost. Aber schlieBlich entdeckte ich nach vielen Versuchen, dass ich durch diese Vorstellungsweise niemals etwas entdeckt hatte, das ich ohne sie nicht weit leichter und deutlicher hatte erkennen konnen, und dass dergleichen Bezeichnungen iiberhaupt abgelehnt werden miissen, damit sie nicht den Begriff verwirren, weil ja dieselbe GroBe, selbst wenn man sie Kubus oder Biquadrat nennt, der vorgehenden Regel zufolge dennoch immer nur als Linie oder FIache der Einbildungskraft vorgelegt werden darf. Es ist hier folglich ganz besonders zu beachten, dass Wurzel, Quadrat, Kubus, u.s.w. nichts anderes sind als in kontinuierlicher Proportion stehende GroBen, denen nach Voraussetzung stets jene angenommene Einheit vorgesetzt ist ...
Allgemein anerkannt wurde diese Auffassung gegen Ende des 17. Jahrhunderts als etwa
I. NEWTON 1684 in seiner" Universal Arithmetick" (lat. veroffentlicht 1707, engl. 1720)
feststellte: By Number we understand not so much a Multitude of Unity, as the abstracted Ration of any Quantity to another Quantity of the same Kind, which we take for Unity. And this is threefold; integer, fracted, and surd: An Integer is what is measured by Unity, a Fraction, that which is a submultiple Part of Unity measures, and a Surd, to which Unity is incommensurable.
Zur Definition der Folge (bn)nENo fUr eine irrationale Zahl a set zen wir bo = raj. Dann ist 0 < a - [aJ < 1, also alta) > 1, und wir erhalten
Die Kettenbruchentwicklung einer irrationalen Zahl Es sei a eine irrationale Zahl, bo = [a] und ao = a - [a]. Fur n :;?: 1 definieren wir induktiv .l.. = bn+ 1 + _1_ mit bn+ 1 = [an] und an+1 > an a n +l 1, so dass a = [b o; b1 , ... , bn+ 1 , an+1]
= [bo; b1 , b2 , .. .].
Wir erhalten so zunachst einen formalen Kettenbruch [b o; b1 , b2 , ...J und mtissen zeigen, = [bo;b1 , ... , bnJ gegen dass die wie oben definierte Folge der Naherungsbrtiche Cn = I!!!. h
21
1.2 KETTENBRUCHE
a konvergiert. Diese genugen wieder den Rekursionsformel (+), und sie erfullen auch (++). Wir erhal ten also insbesondere ( _l)n-l Pn Pn-l
sowie qn ~ in folgt
= in-l + in-2
~
n, da bn
~
1 (hier ist in die n-te Fibonacci-Zahl). Es
n+m
n+m (Pk _ Pk-l) ~" 1 qk qk-l ~ ~ k(k - 1)' k=n+l k=n+l
I_I "~
I
Pn+m _ Pn qn+m qn -
I
d.h. (l!!!.)nEN ist eine Cauchy-Folge und damit konvergent gegen eine Zahl x E JR. Wir qn k6nnen aber noch mehr aussagen: Es ist Pn qn
Pn-2 qn-2
Pnqn-2 - Pn-2qn qnqn-2 (bnPn-l
+ Pn-2)qn-2
- Pn-2(bnqn-l qnqn-2
bn(Pn-lqn-2 - Pn-2qn-d qnqn-2
so dass Co
+ qn-2)
bn(-l)n qnqn-2
< C2 < ... < C2n < ... < C2n+ 1 < ... < C3 < Cl
fUr jedes n ~ 2 gilt. Die Intervalle [C2n, c2n+d bilden also eine Intervallschachtelung, deren Schnittmenge nur aus {x} besteht. Wir mussen nur noch x = a zeigen. Nach Konstruktion ist aber bo < a = [bo;b1,al] < [bo;b 1] = Cl und ebenso fUr n ~ 1 [bo; b1,···, b2n] < a
= [bo; b1,· .. , b2n+1, a2n+1] < [bo; b1, ... , b2n+1]'
Wir wollen die Fehlerabschiitzung fur die Niiherungsbruche noch genauer untersuchen. Daher Es ist a = [bo; b1, ... , bn , an] und mit an = [b n+1; bn+2, ... ] folgt a = anPn!Pn-l. anqn qn-l gilt
also
la -
cnl = I qn-11l a - cn-ll < la - cn-ll, anqn d.h., jeder weitere Niiherungsbruch liefert eine bessere Approximation als der vorhergehende. Insbesondere erhalt man mit (*) den folgenden Approximationssatz, den J.-L. LAGRANGE 1798 bewiesen hat:
Approximationssatz von Lagrange
Die Naherungsbruche schiitzungen
l!!!. qn
einer irrationalen Zahl a genugen den Ab-
1 1 - - - < Ia -Pn - I 0, n E N, konvergiert genau dann, wenn er endlich ist oder wenn qnqn+1 --7 00 fUr n --7 00, bzw. wenn L~=I bn divergiert.
Wir uberlassen dem Leser den Beweis als Ubungsaufgabe. Da wir hier nur bn E N vorausgesetzt haben, ist das Kriterium fUr einen nicht abbrechenden Kettenbruch natiirlich erfUllt, und der Grenzwert a ist eine irrationale Zahl. Es ist niimlich aqn - Pn
+ Pn-I = anPn + qn anqn qn-I anPnqn
Pn
+ Pn-Iqn - anqnPn anqn + qn-I
Pnqn-I
nach (++), und die rechte Seite wird fur groBes n beliebig klein. Ware a = ~, so ware laqn - Pnl = IqnPI~rnql ~ I~I' und man hatte einen Widerspruch. Das Konvergenzkriterium wird natiirlich erst interessant, wenn man beliebige (positive) reelle Zahlen bn zulasst, insbesondere auch unbestimmte Potenzen xn (analog zur Bildung von Potenzreihen). Wir wollen dies aber hier nicht weiter verfolgen.
Der Satz uber die beste Approximation gilt auch fUr rationale Zahlen. Bereits lange vor LAGRANGE hat man dies mehr oder weniger bewusst ausgenutzt und zwar aus praktischem Interesse. Beispiele 2. So hat CR. HUYGENS seit 1680 Naherungsbriiche der Kettenbruchentwicklungen von rationalen Zahlen mit sehr groBen Zahlern und Nennern, die als Verhaltnisse der Umlaufzeiten von Planet en urn die Sonne auftreten, benutzt, urn die Anzahl der benotigten Zahne eines Zahnrades in einem mechanischen Modell moglichst gering zu halten. Zum Beispiel bewegen sich die Erde und der Saturn in einem Jahr urn die Winkel 360° bzw. urn 12°13'34" auf ihrer Bahn, also im Verhaltnis 1~~~i!l. Fur diese Zahl, mit der Kettenbruchentwicklung [29; 2, 2,1,6,3,2,1,1,2,20]' benutzt HUYGENS 1685 die Naherung [29; 2, 2,1 J = 2~6. Wahrend das Zahnrad fur den treibenden Motor 7 Zahne besitzt hat das Zahnrad fur den Saturn 206 Zahne. Die Approximation ist so gut, dass in 1444 Jahren das Saturnrad nur urn einen Zahn weiter gedreht werden muss. Damit verwandt ist das Problem einen moglichst genaue Kalender zu erstellen. 3. Da das tropische Jahr (die Umlaufzeit der Erde urn die Sonne) urn 5 Stunden 48 Minuten und 46 Sekunden langer ist als 365 Tage, muss die Differenz durch EinfUgen von Schalttagen aufgefangen werden. Bei einer mittleren Tageslange von 24 Stunden oder 86400 Sekunden betragt die Differenz gerade S26oiio60 Tage. Die Kettenbruchentwicklung dieser Zahlliefert die folgenden Naherungsbruche: 1 7 8 31 163 10463 4'29' 33' 128'673'43200'
1. REELLE ZAHLEN
24
Auf der erst en Naherung basiert der julianische Kalender, den J. CAESAR am 1. Januar 45 v.u.Z. auf Anraten des alexandrinischen Astronomen SOSIGENES einflihrte: alle 4 Jahre wird ein Schalttag eingeschoben. Der dritte Naherungsbruch liegt dem persischen Kalender zugrunde, den OMAR KHAYYAM 1079 einflihrte. Seine GesetzmaBigkeit weicht aber zu stark von dem christlichen Kirchenkalender ab, als dass er libernommen werden konnte. Einen modifizierten julianischen Kalender hat die griechisch-orthodoxe Kirche 1924 eingeflihrt. Dessen Schalttagregelung, die von dem serbischen Astronom M. MILANKOVITCH stammt, flihrt fast auf den sechsten Naherungbruch: Alle vier Jahre wird ein Schalttag eingefligt, bei den vollen Jahrhunderten jedoch nur, falls diese bei Division durch 9 den Rest 2 oder 6 lassen, was auf den Bruch ~~~~6 hinauslauft. Dieser Kalender ist daher genauer als der bei uns gebrauchliche gregorianische Kalender, bei dem bei den vollen Jahrhunderten nur die durch 400 teilbaren einen Schalttag erhalten. Der hier auftretende Bruch laBt sich aber nicht mittels Kettenbrlichen erklaren (siehe dazu [Dut]). Der alteste agyptische Kalender, der babylonische und heute noch der mohammedanische Kalender beruhen auf dem Mondzyklus, nach dem bekanntlich auch das christliche Osterfest bestimmt wird. Um diesen mit dem durch den Sonnenzykel bestimmten Wechsel der Jahreszeiten in Einklang zu bringen, ist eine andere Schaltregelung natig. Wir besprechen diese zusammen mit der periodischen Erscheinung von Sonnen- und Mondfinsternissen in Aufgabe 6.
:;0
Wir wollen nun die Kettenbruchentwicklung irrationaler Zahlen genauer bestimmen. = Jb2+T, so gilt a2 = b2 + 1, also
In einigen konkreten Fallen ist dies sehr einfach. 1st a ab + a2 = a(a + b)
= ab + b2 + 1 = b(a + b) + 1
bzw.
a
1
= b + -b-' +a
und es folgt durch sukzessives Einsetzen von a, dass a = [b; 2b, 2b, ...J gilt. Wir kiirzen diesen periodischen Kettenbruch mit a = [b; 2b] abo Allgemeiner betrachten wir periodische Kettenbrliche der Form [b o; b1 , •.. ,bk-l] oder noch allgemeiner [bo; b1 , ... ,bk-l, bk, ... ,bkH-d. Erstere lassen sich leicht berechnen. Es ist a = [b o; b1 , ... ,b k- 1 ] = [b o; b1 , ... ,b k- 1 , ak] und dabei ak = [b o; b1 , ... ,bk- 1 ] = a, so dass akPk-l + Pk-2 a= , akqk-l + qk-2 also a
= ak der quadratischen Gleichung qk_lX2
+ (qk-2
- Pk-dx - Pk-2
=0
genligt. Wegen a > bo ist a die positive Lasung dieser Gleichung, die durch a=
Pk-l - qk-2
qk_2)2
+ 4qk-lPk-2
2qk-l
= p+Vd. Bei einem allgemeinen periodischen Kettenq = [b o; b1 , ... , bk- 1 , ak] mit ak = [b k ; •.• , bk+£-l] also
gegeben ist, also von der Form a bruch gilt a
+ V(Pk-l -
----------~~~------------------
1.2 KETTENBRUCHE
25
so dass a ebenfalls von der Form a = P+qVd ist. Damit erhalten wir als Ergebnis:
Hauptsatz iiber periodische Kettenbriiche
Jeder periodische Kettenbruch stellt eine quadratische Irrationalzahl der Form a = P+qVd dar. Umgekehrt liisst sich jede quadratische Irrationalzahl in einen periodischen Kettenbruch entwickeln lasst.
Die erste Aussage wurde 1737 von EULER bewiesen. Sie wurde 1770 von LAGRANGE durch die zweite Aussage erganzt, wofiir man einen Beweis etwa bei [Lan] oder [Per] findet; fiir einen Spezialfall vgl. Aufgabe 8. Fiir algebraische Zahlen h6heren Grades (vgl. Abschnitt 1.3) gibt es keine vergleichbare Aussage. Auch lasst sich an der Gestalt des zugehOrigen Kettenbruchs nicht erkennen, ob eine Zahl algebraisch oder transzendent ist. Zum Beispiel besitzt 7r nach J .R. LAMBERT (1770) die Entwicklung 7r
= [3;7,15,1,292,1,1,1,2,1,3,1,14,2,1,1,2,2,2,2,1,84,2,1,1,15,3,13, .. J,
von der CR. RUYGENS aber bereits 1687 die erst en 17 "Stellen" auf der Grundlage der soweit bekannten Dezimalbruchentwicklung berechnet hatte; die ebenso unregelmaBige Kettenbruchentwicklung von ?'2 findet man in [Lan]. Die rationale Approximation der "Kreiszahl" 7r, die wir im nachsten Kapitel auf geometrischem Weg herleiten werden, ist der erste Naherungsbruch dieser Kettenbruchentwicklung. Erstaunlich ist die noch bessere Approximation durch den nachsten Naherungsbruch ~~~, die der chinesische Mathematiker TSU-CHU'NG-CHIH bereits urn 500 (u.Z.) angegeben hat. Es ist nicht bekannt, wie er darauf gekommen ist. Heute werden statt Kettenbruchentwicklungen oder geometrisch begriindeten Approximationsverfahren schnell konvergente Reihen zur Berechnung von 7r benutzt, die sich gut auf einem Computer implementieren lassen. Wir wollen hier nicht auf die vielen und immer genaueren rationalen Approximationen der Zahl 7r eingehen, da dies anderweitig schon oft geschildert wurde (vgl. [BBB] sowie [Bee] und [Mad]). Schone Darstellungen erhalt man jedoch, wenn man allgemeine Kettenbrilche zulasst:
¥
Allgemeine Kettenbriiche
Ein allgemeiner Kettenbruch hat die Form a=bo +
-al I + -a21 + ... + -an I + ....
I b1
I b2
I bn
Fiir dessen Naherungsbriiche erhiilt man ausgehend von P-l q-l = 0 und Po = bo die Rekursionsformel
= 1 = qo,
26
1. REELLE ZAHLEN
HierfUr ist die Konvergenz nicht automatisch garantiert. Man kann aber wie oben induktiv die Beziehung
beweisen und erhiiJt fur aufeinander folgende Naherungsbruche die Relationen Pk _ Pk-l qk qk-l
= (_1)k-l ala2·· .ak, qk-l qk
die fUr Konvergenzbetrachtungen herangezogen werden konnen. Wir wollen auf Konvergenzkriterien nicht naher eingehen (siehe dazu [Per]), sondern nur Spezialfalle betrachten, bei denen man die Konvergenz leicht entscheidet.
Beispiel 4. Fur v'a 2 + b mit 0 < b < 2a + 1 erhalt man die folgende Entwicklung, die bereits R. BOMBELLI 1572 in einem speziellen Zahlenbeispiel angegeben hat:
Satz Fur ganze Zahlen a und b mit 0
via
2
+ b = a + ~ I + ~ I + ....
Man beachtet dazu, dass man fur x x(a
< b < 2a + 1 gilt 12a
12a
= v'a2 + b die Identitat
+ x) = ax + x 2 = ax + a 2 + b = a(a + x) + b
= a + a!x erhalt. Die Konvergenz folgt mit (**) aus der Konvergenz der . . 2:00 bk bk (2a)k 1 unendhchen Relhe k-l - - , da - - ~ ~2 )2 -, = (2 )k-'· und damit x
-
qkqk-'
qkqk-'
a
a
Man sieht, dass v'f7 eine besonders einfache Kettenbruchentwicklung besitzt und damit auch eine kurze geometrische Beschreibung der Wechselwegnahme erlaubt. Dagegen besitzt die von v'f9 eine Periode der Lange 6. Dies ist moglicherweise eine andere Erklarung dafur, dass THEODOROS Vn nur fUr n ~ 17 untersuchte.
Leonhard Euler * 15.4.1707 Basel / t 18.9.1783 St. Petersburg seit 1727 in St. Petersburg, 1731 Professor fUr Physik, 1733 fUr Mathematik, 1741 - 1766 an der PreuBischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, seit 1759 deren Leiter, 1766 wieder in St. Petersburg. Er wirkte in allen Bereichen der Analysis und der mathematischen Physik und verfasste darliber mehrere Lehrbucher, die "Anleitung zur Algebra" sogar nach volliger Erblindung. Sein monumentales Gesamtwerk umfasst mehr als 70 Bande.
1.2
27
KETTENBRUCHE
Wir wollen schliei3lich einen Zusammenhang herstellen zwischen konvergenten Kettenbriichen und konvergenten alternierenden Reihen. Und zwar sollen die Partialsummen Sn = l:~=I(-I)k-It einer alternierenden unendlichen Reihe mit Cn E N als Naherungsbriiche eines verallgemeinerten Kettenbruchs geschrieben werden: Sn = fu, n E N. qn Wir behaupten, dass sn
ci = -1 I + - - I + -c~- I + ... + C;'_l I I CI I C2 - CI I C3 - c2 I Cn - Cn-l
gilt. Es folgt dann die von
EULER
(x)
1748 gefundene
Kettenbruchdarstellung einer alternierenden Reihe
~ L..,(-I) k-l -1= -1 I + -ci- I + -c~- I + ....
I CI
Ck
k=l
I C2 -
I C3 -
CI
C2
Zum Beweis von (x) mittels vollstandiger Induktion schreiben wir Sn
) n - l -CI ) = -1 (1C - -I + ... + (-1 CI
C2
Cn
und die rechte Seite von (x) in der Form
Ferner setzen wir beweisen ist 1-
CXI
-.!:..L
CXk
Ck+l
+ CXICX2
-
=
...
fUr k
=
1, ... , n - 1, so dass die folgende Identitat zu
+ (_I)n-I cxl ··· CXn-1
11 11
+ -CXI- I + -CX2- I + ... + 11- CXI
11 -
CX2
CXn-1
11 -
CXn-1
.
Nun gilt 1-
CXI
+ CXICX2
-
...
+ (_I)n-I cxI ... CXn-1
= 1- cxI(l- CX2 + ... + (-1)n-2 cx2 ••• CXn-l) = 1 wobei wir x
= CXI
und (nach Induktionsvoraussetzung) CX2
y= - 11 - CX2
I + ... +
CXn-1
11 -
CXn-1
x 1 ~ y'
28
1. REELLE ZAHLEN
gesetzt haben. Der Induktionsschritt und damit die Behauptung folgt dann, wenn 1 1 - x-1+ y
1 = ---:::-1 + 1-~+Y
gezeigt ist. Dies bestlitigt man aber sofort durch Ausmultiplizieren. Als Anwendung erhalten wir Kettenbruchentwicklungen von log 2 und von erinnern wir an die zugehorigen alternierenden Reihen:
n-1 (_I)k
7r
4 = L2k1 k==O
+
log 2 =
und
L n
i.
Dazu
(_I)k-1 k
k==1
Die erste Reihe wird oft nach G.W. LEIBNIZ benannt, der von seiner Entdeckung im Jahr 1673 so begeistert war, dass er bei der Veroffentlichung 1682 den romischen Dichter VERGIL zitierte: Numero Deus impare gaudet - An den ungeraden Zahlen erfreut sich der Gott.
Sie war den fUhrenden englischen Mathematikern zu dieser Zeit allerdings schon bekannt und sogar urn 1410 schon dem indischen Mathematiker und Astronom MADHAVA (siehe [BBB]). Die zweite Reihe besaB P. MENGOLI bereits 1648 bevor N. MERCATOR 1668 die Potenzreihenentwicklung von log (1 + x) veroffentlichte und die anderer elementarer Funktionen von J. GREGORY und I. NEWTON gefunden wurden. Wir geben eine kurze gemeinsame Herleitung fur beide Reihen. Fur das Integral In = fo1T/4tannx dx erhlilt man mit der Substitution y dy = (1 + tan 2 x) dx) die Rekursionsformel
In
+ In+2 =
1
1T/4
tan n x(I
+ tan 2 x)
dx
=
11
yn dy
= tan x
1
= --.
D O n
+1
Da In monoton fallend in n ist, folgt damit 1 --1 = In
n-
+ In- 2 > 2In > In + In+2
1 = --1'
n+
Andererseits liefert wiederholte Anwendung der Rekursionsformel
I 2n
= -1- 2n - 1
und
hn+1
I 2n - 2
= ... = -1- - -1- + ... ± 1 'f -7r 2n - 1
2n - 3
1 1 1 = -2n1 - + ... ± - 'f -log 2. 2n - 2 2 2
Es folgt also
1 n-1 (_l)k 2(2n + 1) < 1 2k + 1 -
L
k==O
7r
1
41 < 2(2n -1)
4
(also
29
1.2 KETTENBRUCHE und
1
n
4(n+l) 1. Dann gilt q';,. ~ la - ~ I fUr alle ~ E IQ. Insbesondere folgt daraus
und damit q:"+n ~ ~, also 2 ~ qm+n ~ c'. Es ist aber a = limn-too ~, und da a nicht rational ist, existieren unendlich viele verschiedene Nenner qn. Das ist ein Widerspruch zur Beschranktheit. Beispiel Fur q E N, q? 2 ist a = qn = qn! ist, gilt ~1
Pn
2:::=1 -? transzendent. Mit 1
q2
1
a - qn = ~ qk! < q(n+1)! q2 _ 1 ~ (qn!)n+~' k=n+1
~: = 2:~=1
qk, wobei
n? 2.
Die Voraussetzungen des obigen Kriteriums sind also erfUllt. Insbesondere ist
L 10~n! = 0,1100010000000000000000010 ... 00
n=l
eine transzendente Zahl. Dieses Beispiel von LIOUVILLE (1844) war die erste konkrete transzendente Zahl. Wir haben im vorigen Abschnitt bereits erwahnt, dass man die Irrationalitat von e und 7f anhand geeigneter nicht abbrechender Kettenbruchentwicklungen begrtinden kann. Dies wurde fUr 1737 von EULER fur e und 1766 von LAMBERT fUr 7f bemerkt. LAMBERT schrei bt 1770 dazu (vgl. [Lam]):
1.3 TRANSZENDENTE ZAHLEN
37
Da demnach die Tangente eines jeden rationalen Bogens irrational ist, so ist hinwiederum auch der Bogen einer jeden rationalen Tangente irrational.. .. Wir haben in den trigonometrischen Tabellen eine einzige rationale Tangente, nemlich die von 45 Gr., welche dem Halbmesser gleich, und demnach =1 ist. Damit ist also der Bogen von 45 Gr. und folglich auch der Bogen von 90, 180,360 Gr. irrational, oder diese Bogen haben zu dem Halbmesser des Circuls kein rationales VerhaltniB.
)~ ..~ .
' ' ~-1
'J •
.
.... . ,"..
i ·.~ tI
~.~~ '
'4 f~ \
...
Johann Heinrich Lambert * 26.8.1728 Miilhausen / t 25.9.1777 Berlin Autodidakt, ab 1748 Hauslehrer in der Schweiz, ab 1765 Mitglied der PreuBischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, 1770 als Oberbaurat in preuBischem Staatsdienst in Berlin. Seine geometrischen Untersuchungen reichten von der reinen Mathematik (projektive und nichteuklidische Geometrie) bis zu Anwendungen in der Astronomie, Geodasie, Kartographie und im Instrumentenbau.
Man kennt heute auch element are Beweise, die ohne die Theorie der Kettenbrtiche auskommen. Der ktirzeste Beweis fUr e, der von J .B.J. DE FOURIER stammen soll, geht aus von der Darstellung ~ = L~=2 ( -l)n;h .
Irrationalitat von e Ware ~
= ~,
so hatte man nach Multiplikation von (-1 )q+1 q! mit
L~=2( -l)n;h
(-1)Q+1(P(q-1)!-t(-lt q!) =_1__ 1 ±" ', n=2 n! q+1 (q+1)(q+2) wobei der Wert der alternierenden Reihe der rechten Seite zwischen dem ersten Reihenterm und der Summe der ersten beiden Reihenterme, also zwischen 0 und 1 liegt. Die linke Seite ist aber ganzzahlig.
LIOUVILLE hat auf diese Weise 1840 sogar zeigen konnen, dass e und e2 keine quadratischen Irrationalitaten sind.
Joseph Liouville * 24.3.1809 Saint-Orner / t 8.9.1882 Paris lehrte 1833 Mathematik und Mechanik an der Ecole Centrale in Paris, 1838 Professor fUr Analysis und Mechanik an der Ecole Poly technique, lehrte 1837 - 1843 auch mathematische Physik am College de France, 1851 - 1879 dort Inhaber des Lehrstuhls fUr Mathematik, nebenher 1857 - 1874 auch des Lehrstuhls fUr Mechanik an der Pariser Universitat. Er lieferte u.a. Beitrage zur Differentialgeometrie und zur mathematischen Physik und arbeitete tiber Differentialgleichungen.
38
1. REELLE ZAHLEN
Elementare Beweise fur 7r sind schon schwieriger. Die folgende Variante eines Beweises von 1. NIVEN aus dem Jahr 1946 zeigt sogar die Irrationalitat von 7r 2 und damit natlirlich auch die von 7r selbst. Man nimmt 7r 2 % mit a, bEN an, wahlt n E N mit 7r~!n < 1 und betrachtet die Funktion 1 1 2n .
= _xn(1- x)n = -
f(x)
mit
Cj
f(k) (0)
n!
~ c·x],
n!L
j=n
J
= n, ... ,2n. Fur k < n und k > 2n ist f(k)(O) = 0 und fUr n ~ k ~ 2n ist = ~Ck ganzzahlig. Wegen f(l- x) = f(x) nehmen also alle Ableitungen von f n.
E 'l,j
in 0 und 1 nur ganzzahlige Werte an. Wenn wir n
F(x)
= bn L( _1)k7r 2n - 2k f(2kl(x) k=O
setzen, so sind auch F(O) und F(l) ganzzahlig. Nun ist
d~ (F' (x) sin 7rX -
7r
F(x) cos 7rx)
= (F" (x) + 7r 2 F(x)) sin 7rX
= bn7r 2n+2f(x) sin 7rX = 7r 2an f(x) sin 7rX, also 1=
7r
11
an f(x) sin 7rX dx = F(O)
+ F(l)
eine ganze Zahl. Da 0 < f(x) < ihfUr 0 < x < 1 gilt, ist aber 0 < I < 7r~!n < 1, und wir haben einen Widerspruch. Mit einer leichten Modifikation dieses Beweises kann man zeigen, dass ea fUr jede rationale Zahl 0: i= 0 irrational ist (vgl. Aufgabe 2). Der Beweis der Transzendenz von e gelang erst CH. HERMITE 1873 und der von 7r und damit der Nachweis dafUr, dass die Kreisfiache nicht mit Zirkel und Lineal in ein Quadrat gleichen Flacheninhalts verwandelt werden kann, darauf aufbauend F. VON LINDEMANN im Jahr 1882. Carl Louis Ferdinand von Lindemann
* 12.4.1852 Hannover / t 6.3.1939 Munchen
SchUler von F. Klein in Erlangen, 1877 Professor in Freiburg, 1883 in Konigsberg und seit 1893 bis zur Emeritierung 1923 an der Universitat in Munchen. Er arbeitete in verschiedenen Gebieten der reinen Mathematik (Difi"erentialgeometrie, algebraische Geometrie und Zahlentheorie) sowie in der Physik und der Astronomie, allerdings mit weniger spektakularem Erfolg. Ferner lieferte er Beitrage zur Geschichte der Mathematik (platonische Korper).
1.3 TRANSZENDENTE ZAHLEN
39
Man kann diese Resultate als Spezialfalle aus einer allgemeinen Aussage von K. WEIERSTRASS (1885) gewinnen. Danach ist fUr jede algebraische Zahl c E emit c i- 0 die Zahl e C transzendent. Fiir c = 1 bzw. c = 21fi erhalt man gerade die Transzendenz von e bzw. von 1f - da 1 nicht transzendent ist, kann 1f nicht algebraisch sein. Aile drei Arbeiten sind abgedruckt in [BBB]. In Band 43 (1893) der Zeitschrift Mathematische Annalen findet man hintereinander von D. HILBERT, A. HURWITZ bzw. P. GORDAN drei kurze Beweise fiir die Transzendenz von e und 1f; die erste Arbeit enthalt HILBERTS entscheidende Idee, die beiden anderen bieten Vereinfachungen.
David Hilbert * 23.1.1862 Konigsberg / t 14.2.1943 Gottingen 1886 Privatdozent und Extraordinarius in Konigsberg, 1893 Professor, 1895 bis zur Emeritierung 1930 Professor in Gottingen. Er lieferte wesentliche Beitrage zu fast allen Gebieten der Mathematik, neben der Analysis (Differential- und Integralgleichungen und Funktionalanalysis) vor allem in der Zahlentheorie, der Geometrie (bekannt sind seine "Grundlagen der Geometrie") sowie in der mathematischen Physik und in der mathematischen Logik und Grundlagenforschung. Man wahlt jetzt die Hilfsfunktionen
f(x)
= -1- x P- 1 (1- x)P(2 (p - I)!
und
=L
x)P ... (n - x)P
r
F(x)
f(k)(x)
k=O
mit r
= (n + l)p -
1, wobei n den Grad eines Polynoms P(x)
= 'L7=o ajxi
angibt, das
e als Nullstelle besitzt, und peine Primzaill ist mit p > max{n,ao}. Die Leibnizregel zeigt, dass F(j) ffir j = 1, ... ,n eine ganze, durch p teilbare Zaill ist, da in f(k) (j) alle
Terme verschwinden, die Potenzen (j - x)l mit £ < P enthalten. Andererseits ist F(O) ebenfalls ganz aber nicht durch p teilbar ist. Denn die Ableitungen f(k) (0) verschwinden fUr k < p -1, enthalten pals Faktor fUr k > p, wahrend sich f(p-l) (0) = (n!)P nach der Voraussetzung fiber p nicht durch p teilen liisst. Nun ist d dx(e-XF(x)) =e-X(F'(x)-F(x))
also
It e- Xf(x) dx = F(O) - e- j F(j) fUr j = 1, ... , n und daher
:t j=l
bzw.
= -e-Xf(x),
ajF(j)
=
:t j=l
ajei F(O) -
:t l ajei
j=l
0
j
e- x f(x) dx
40
1.
REELLE ZAHLEN
/' (j(j+1)···(Hn)Y . d d er Betrag der reehten S· vvegen If( x )1 "" (p-1)! Wir eite b e1·Ie b·Ig kl· em, wenn man p nur hinreichend groB wiihlt. Da die linke Seite ganzzahlig ist, muss sie versehwinden. Das ist aber ein Widersprueh, da alle Summanden bis auf aoF(O) dureh p teilbar sind. UT
Wir nehmen nun an, Z1 = i7r sei Nullstelle eines Polynoms P(z) = L: n=1 ajz j mit ganzzahligen Koeffizienten aj, wobei ao =f. 0 =f. an, Z2, ... ,Zn seien die uhrigen Nullstellen. Dann gilt o= (1 + eZ1 ) ... (1 + eZn ) = 1 + e/31 + ... + e/3N, wobei die f3j Summen, insbesondere also symmetrisehe Polynome in den Zk sind. Nun besagt der Hauptsatz uber symmetrische Funktionen, den wir hier nieht beweisen wollen (vgl. [vdW]), dass ein solches Polynom als Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten in den elementarsymmetrisehen Funktionen
gesehrieben werden kann. Ferner gilt bekanntlieh ak = an (-l)n-kun_ k (der so genannte Vieta'sche Wurzelsatz). Daher sind die nicht versehwindenden Terme 131, . .. ,13M Nullstellen eines Polynoms Q(z) a = N - M + 1 folgt
= L:~1 bkZk mit bk E :1.:, wobei bo =f. 0 =f. bM, und mit
a + e/31
+ ... + e/3M = O.
Wir setzen nun
f(x)
1 = (p _1)!a~M+1)P-IxP-1(f31 -
X)P(f32 - x)P ... (13M - x)P
und F(x) = L:~=o f(k)(x) mit r = (M + l)p - 1. Dann sind wieder die F(f3j) fUr j = 1, ... , M ganze, durch p teilbare Zahlen und F(O) ist ebenfalls ganz aber nieht durch p teilbar. Analog zu oben erhalten wir
und naeh Addition
bzw.
aF(O) fur hinreiehend groBes p
+
M
L F(f3j)
= 0
j=1
> a. Dies ist ein Widersprueh. Wir fassen zusammen:
Die Euler'sche Zahl e und die Kreiszahl
7r
sind beide transzendent.
41
1.3 TRANSZENDENTE ZAHLEN
1m Jahre 1900 formulierte D. HILBERT 23 Probleme, von denen einige, wie etwa das 3. Problem (siehe Abschnitt 2.3), sehr schnell gelost wurden, andere dagegen bis heute unge15st geblieben sind. Dazu gehort das 8. Problem liber die Lage der Nullstellen der Riemann'schen Zetafunktion, die u.a. Aufschluss liber die Verteilung der Primzahlen gibt. Die Aufgabe im 7. Problem bestand im Nachweis, dass Potenzen der Form af3 mit algebraischer Basis 0 =f. a =f. 1 und algebraisch irrationalem Exponenten fJ stets transzendent sind. Hierzu sagt HILBERT: Wenn in einem gleichschenkligen Dreieck das Verhiiltnis vom Basiswinkel zum Winkel an der Spitze algebmisch aber nicht mtional ist, so ist das Verhiiltnis zwischen Basis und Schenkel stets tmnszendent. Trotz der Einfachheit dieser Aussage und der Ahnlichkeit mit den von HERMITE und LINDEMANN geliisten Problemen halte ich doch den Beweis dieses Satzes fiir au13ert schwierig, ebenso wie etwa den Nachweis dafiir, dass die Potenz a i3 fiir eine algebmische Basis a und einen algebmisch irmtionalen Exponenten f3, z.B. die Zahl 2.;2 oder e" = i- 2i , stets eine tmnszendente oder auch nur eine irmtionale Zahl darstellt.
Diese von HILBERT als Satz ausgesprochene Vermutung konnte in ihrer vollen Starke bewiesen werden und zwar 1934 von A. GELFOND und unabhangig 1935 von TH. SCHNEIDER. Insbesondere sind also die beiden von Hilbert angefUhrten Zahlen 2V2 und eIT tatsachlich transzendent (siehe dazu etwa [Niv]). Dagegen ist liber we bis heute noch nichts bekannt, und von ew und e + w weiB man nicht einmal, ob sie irrational sind. Es gibt noch viele weitere interessante reelle Zahlen liber deren Status, rational, algebraisch irrational oder transzendent zu sein, noch nichts bekannt ist. Die soeben erwahnt Zetafunktion ist fUr reelles 8 > 1 definiert durch die unendliche Reihe 00
((8)
1
= "~ns -. n=l
Flir gerades 8 = 2k E N, kann man zeigen, etwa indem man gewisse Fourier-Reihen im Punkt 0 auswertet, dass die von EULER 1735 gefundenen Beziehungen
gelten - hier sind B2k E Q die so genannten Bernoulli-Zahlen, die uns in Abschnitt 2.1 noch begegnen werden. Da nach dem Satz von GELFOND und SCHNEIDER insbesondere alle ganzzahligen Potenzen wk , kEN, transzendent sind, ist auch ((2k) stets eine transzendente Zahl. Dagegen weiB man liber die Werte ((2k+ 1) fUr kEN recht wenig. Es war eine groBe Uberraschung, als R. APERY 1978 anklindigte, einen Beweis fUr die Irrationalitat von ((3) zu besitzen - was in der Tat stimmte (vgl. [vdP]). Uber ((2k+ 1) fUr k ~ 2 ist aber noch nichts bekannt, geschweige denn darliber, ob all diese Werte der Zetafunktion transzendent sind. Aufgaben 1. Zeigen Sie:
(a) 1st a E lE. eine positive algebraische Zahl, so ist auch
.;a algebraisch.
(b) 1st a E lE. algebraisch und r E Q, so sind auch a + r und ar algebraisch.
42
1. REELLE ZAHLEN
(b) Die Zahlen V2 + V3 und V2(1 geeignete Potenzen dieser Zahlen.)
+ V3)
sind algebraisch. (Hinweis: Man betrachte
2. Zeigen Sie: (a) Das Polynom fn(x) = ~xn(m - x)n, m E Z, n E N, und all seine n. Ableitungen haben in x = 0 und x = m ganzzahlige Werte. (b) Fur In
= JoaeXfn(x)
dx mit a> 0 und F(x) In
Foigern Sie, dass ea fUr rationales a Hinweis: Es genugt, den Fall a
= L.j)o(-l)jfAj )(x)
gilt
= ea F(a) - F(O). f= 0 nicht rational sein kann.
= m E Z zu betrachten.
3. Mit Hilfe des Dirichlet'schen Schubfachprinzips beweise man den folgenden Approximationssatz von KRONECKER: Es sei 0 ~ a < 271" und ;". irrational. Dann ist fUr jede komplexe Zahl z mit Izl = 1 die Menge {Zk = e,ka z IkE Z} dicht in der Einheitskreislinie Sl = {z EC Ilzl = I}. Hinweis: Man beachte, dass die Punkte Zk paarweise verschieden sind und zerlege Sl fUr vorgegebenes n in n kongruente Kreisbogen. 4. Es sei K c ~ ein Korper, d.h. eine unter Summen-, Differenz-, Produkt- und Inversenbildung abgeschlossene nichtleere Teilmenge. Zeigen Sie: Fur c E K, c> 0, mit ,jC f/. Kist K (,jC), die Menge aller reellen Zahlen der Form a + b,jC mit a, b E K, ebenfalls ein Korper. 5. Beweisen Sie die Ungleichung
7I"e
< e".
Hinweis: Man betrachte die Hilfsfunktion f(x)
= x1fx.
Literaturhinweise
[BBB] Berggren, L., Borwein, J., Borwein, P.: Pi: A Source Book, Springer, Berlin, 1997 siehe Abschnitt 1.2
[Lam] Lambert, J.H.: Opera Mathematica, Bde. I,ll, Orell Fussli, Zurich, 1946 & 1948 Enthalt die wichtigsten Arbeiten LAMBERTS - leider nicht seine Arbeiten zur Kartographie
[Niv] Niven, 1.: Irrational Numbers. Math. Assoc. of America, Washington, 19673 Dies ist eine elementare Einfiihrung in die Theorie der Kettenbriiche und in die Theorie der transzendenten Zahlen. Als Erganzung im Hinblick auf die zahlentheoretischen Anwendungen siehe auch An Introduction to the Theory of Numbers von 1. Niven, H.S. Zuckerman und H.L. Montgomery (J. Wiley & Sons, New York, 1991 5 ), wovon eine friihere Auflage auch in deutscher Ubersetzung vorliegt.
[vdP] van der Poorten, A.: A proof that Euler missed ... , Math. Intelligencer 1 (1979) 195-203 Hier werden die von APERY gelassenen Beweisliicken gefiilit.
[vdW] van der Waerden, B.L.: Algebra I, Springer, Berlin, 19939 Der Klassiker der modernen Algebra
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS
1.4
43
Konstruktive Analysis An den vielen Existenztheoremen der Mathematik ist jeweils nicht das Theorem das Wertvolle, sondern die im Beweis gefiihrte Konstruktion; ohne sie ist der Satz ein leerer Schatten. - Hermann Wey/
Wir haben in den bisherigen Abschnitten gezeigt, wie man reelle Zahlen mit beliebiger Genauigkeit durch rationale approximieren kann. Neben den rationalen Zahlen selbst haben wir irrationale und darunter algebraische oder transzendente Zahlen gefunden. Wir wollen an dieser Stelle einiges tiber die grundsatzliche Problematik des Begriffs der reellen Zahl anmerken. Es gibt zwei unterschiedliche Standpunkte beztiglich der reellen Zahlen: • aus klassischer geometrischer (oder moderner formalistischer) Sicht werden reelle Zahlen, wie etwa J2, als Punkte der Zahlengeraden (oder als Elemente des axiomatisch gegebenen Korpers I.) angesehen, • aus arithmetischer Sicht werden sie andererseits als Grenzwerte von Folgen rationaler Zahlen definiert. Der erste, auch platonisch genannte Standpunkt legt es nahe, die reelle Zahl als Element einer fertig vorliegenden (aktual unendlichen) Menge aufzufassen: Die Existenz der Zahl J2 scheint offensichtlich, wenn man das geometrische Bild eines Quadrats mit einer eingezeichneten Diagonalen vor Augen hat. Geht man jedoch daran, diese Zahl auf dem Zahlenstrahl zu lokalisieren, d.h. ihre Lage beztiglich fixierter Marken, wie 0, 1, 2 usw., zu bestimmen, so kommt man nicht umhin, sie zu konstruieren. Dabei ist die reelle Zahl gegeben durch die Folge der Naherungsbrtiche (in Form einer Kettenbruchoder einer Dezimalbruchentwicklung). Diese liegt nun nicht fertig vor, sie kann aber zumindest theoretisch bis zu einer beliebigen Genauigkeit fortgefiihrt werden. In dieser Form ist die Zahl als potentiell-unendliche Menge gegeben. Es soll hier jedoch nicht unerwahnt bleiben, dass auch diesem Prozess praktische Grenzen gesetzt sind. Obwohl man inzwischen bereits tiber 200 Milliarden Dezimalstellen von 7r berechnet hat (Y. KANADA (1999)), wird man wohl nie bis zur 1080. Stelle (das ist mehr als die heute vermutete Anzahl von Teilchen im Universum) kommen konnen. Die platonische Sichtweise geht sogar noch dartiber hinaus, indem sie ein mathematisches Universum voraussetzt, dessen Elemente die Mathematiker im Laufe der Zeit nach und nach entdecken. In einem solchen Universum liegt dann etwa die Zahl 7r mit ihren unendlich vielen Dezimalstellen als ganzes vor. Einige Mathematiker - dazu gehOren die Intuitionisten (L.J .E. BROUWER und seine Schule) und die Konstruktivisten (u.a. E. BISHOP) - teilen diese Ansicht nicht. Ftir sie sind die mathematischen Begriffe ausschlieBlich Erfindungen des menschlichen Geistes. Sie werden teils von konkreten Gegenstanden durch Abstraktion abgeleitet, teils durch Konstruktion aus bereits vorhandenen Begriffen erzeugt. Ihre scheinbar objektive Existenz erlangen sie nur dadurch, dass sie dem einzelnen Mathematiker als Teil der bereits vorhandenen menschlichen Kultur entgegentreten, in die sie seit Anbeginn eingebunden sind und die sie mit tragen. Wir wollen die philosophische Frage nach der Existenz mathematischer Gegenstande hier nicht weiter verfolgen, die beiden unterschiedlichen innermathematischen Auffassungen von den reellen Zahlen jedoch anhand bekannter Resultate der Analysis erlautern. Dabei handelt es sich urn so genannte Existenzsatze, wie etwa den
44
1. REELLE ZAHLEN
Zwischenwertsatz oder den Satz vom Maximum fUr stetige Funktionen uber einem kompakten Intervall.
Zwischenwertsatz
Es sei [a, bJ C lR ein kompaktes Intervall und f : [a, bJ -t lR eine stetige Funktion mit f(a) < 0 < f(b). Dann besitzt f im offenen Intervall (a, b) eine Nullstelle, d.h., es existiert ein Xo E (a, b) mit f(xo) = O.
Die diesem Satz zugrunde liegende Auffassung von Stetigkeit, Luckenlosigkeit oder Zusammenhang des reellen Kontinuums reicht zuruck bis zu den Anfangen der abendlandischen Philosophie. So sagt PLATON im "Parmenides" (zitiert nach [BckJ, worin die historische Entwicklung der mathematischen Grundlagen ausfUhrlich dokumentiert wird): Wem aber GraBe und Kleinheit zukommt, dem kommt auch Gleichheit zu, zwischen diesen beiden liegend .... Denn nicht ginge man yom GraBeren zum Kleineren tiber, ehe man zum Dazwischenliegenden kommt; dieses dtirfte aber wohl das Gleiche sein.
Man kann hierin den Zwischenwertsatz fUr monoton fallende Funktionen sehen. Fur ein Polynom y = x2m+l + Ax2m + Bx 2m - 1 + ... + N "beweist" EULER 1749 den Zwischenwertsatz wie folgt: Daher wird diese Gleichung so viele reelle Wurzeln haben, wie es Orte gibt, an denen der Wert y verschwindet, was dort stattfindet, wo die K urve die A bszissenachse schneidet; so dass die Anzahl der reellen Wurzeln gleich der Anzahl der Schnitte der Kurve mit der Achse ist, auf der man die Abszissen nirnrnt. Urn daher die Anzahl dieser Schnitte zu errnitteln, nehmen wir zunachst die Abszisse x positiv und unendlich graB an, x = 00, und es ist klar, dass dann y = 002m+l = 00 wird, woraus folgt, dass sich der Zweig der Kurve, der positiven unendlichen Abszissen entspricht, oberhalb der Achse befindet, da ja seine Werte y positiv sind. Nimmt man nun aber die Abszissen negativ und auch unendlich an, x = -00, so wird y = (_00)2m+l = -00; also werden die Werte dort negativ, und der Zweig der Kurve wird sich unterhalb der Achse befinden. Da dieser Zweig mit dem oberhalb der Achse gelegenen stetig zusammenhangt, muss unabdingbar die Kurve einen Teil der Achse tiberschreiten, und wenn sie dies in rnehreren Punkten tut, so muss deren Anzahl ungerade sein. Daraus folgt, dass die vorliegende G lei chung notwendigerweise wenigstens eine reelle Wurzel besitzt, und falls sie mehrere besitzt, dass deren Anzahl immer ungerade sein wird.
Bereits LEIBNIZ hat in einem unveroffentlichten Manuskript bemerkt, dass die Konstruktionen in EUKLIDS "Elementen" einer genaueren Begrundung bedurfen. Schon bei der Konstruktion eines gleichseitigen Dreiecks ABC, wozu man ausgehend von den Punkten A und B Kreise urn A durch B bzw. urn B durch A schlagt, habe er stillschweigend ohne Beweis angenommen, dass sich diese in einem Punkt C schneiden. Und allgemeiner, wenn irgendeine stetige Linie auf einer Flache liegt, zum Teil innerhalb, zum Teil aufierhalb eines StUcks dieser Flache, so schneidet sie irgendwo dessen Rand. U nd wenn irgendeine stetige Flache zum Teil innerhalb zum Teil aufierhalb irgendeines Karpers liegt, so schneidet sie notwendigerweise den umliegenden Karper.
Fur LEIBNIZ ist dies eine Folge seiner Definition des Begriffs Kontinuum: Kontinuurn ist ein Ganzes, von dern je zwei beJiebige Teile, die es zusammen ausrnachen ... , irgend etwas gemeinsam haben, und, wenn sie sich nicht tiberdecken oder kein Teil gemeinsam haben ... , alsdann wenigstens eine gemeinsame Begrenzung besitzen.
An anderem Ort notiert er, wobei bereits die moderne topologische Definition des Begriffs Zusammenhang anklingt:
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS
45
Gottfried Wilhelm Leibniz
* 1.7.1646 Leipzig / t 14.11.1716 Hannover Mathematiker, Philosoph und Naturforscher, 1672 in diplomatischem Auftrag des Mainzer KurfUrsten in Paris, seit 1676 Bibliothekar und juristischer Berater des Herzogs in Hannover, veranlasste 1700 die Grundung der PreuBischen Akademie in Berlin. Er begrundete 1673 bis 1676 unabhiingig von Newton die Differentialrechnung (den Differentialkalkul), konstruierte 1674 eine Rechenmaschine entwickelte das binare Zahlensystem. A ist ein Kontinuum, wenn je zwei Teile B und C, die A aussehOpfen, irgend ein Teil D gemeinsam haben oder wenn eines der beiden, B oder C, leer ist (inexistens).
Es ist erst viel spater erkannt worden, dass diese Eigenschaft fUr die elementargeometrischen Objekte wie Gerade oder Kreis axiomatisch gefordert werden muss bzw. aus deren analytischen Beschreibung folgt. Jahrhunderte lang galt es als selbstverstandlich, dass eine "SchluBgleichung" von ungerader Ordnung stets eine reelle Losung besitzt fUr die dritter Ordnung wurde es durch die Losungformeln von S. DEL FERRO, N. TARTAGLIA und G. CARDANO garantiert (vgl. Aufgabe 1) - und fUr eine beliebige genau so viele Losungen wie ihr Grad angibt (A. GIRARD (1629)). Es galt nur, eine moglichst genaue Berechnung der Nullstellen durchzufuhren oder bei Gleichungen hoherer als vierter Ordnung nachzuweisen, dass alle Nullstellen in der Form a + bH darstellbar sind. So hat S. STEVIN 1594 am speziellen Beispiel x 3 = 300x + 33900000 eine Methode zur Berechnung einer Nullstelle demonstriert, die sich leicht auf beliebige Polynome ungerader Ordnung ubertragen lasst. Er setzte nacheinander die Werte x = 100,200,300,400 ein und stellte fest, dass in den ersten drei Fallen die rechte, im vierten Fall die linke Seite die groBere ist. Er betrachtete dann x = 310,320,330, anschlieBend x = 321,322,323,324, wobei sich jedes Mal fUr den letzten Werte die GroBenverhaltnisse umkehrten, und ebenso in Schritten von fa, l~O und so fort. AbschlieBend bemerkte er: Und indem man so beliebig weit fortnihrt, approximiert man sie mit jeder geforderten Genauigkeit.
Auf diese Weise konnte er die als existent angenommene Nullstelle einschachteln und mit beliebiger Genauigkeit berechnen, und zwar als Dezimalbruch beliebiger Lange. Erst GAUSS stellte 1799 die Frage nach der Existenz der Nullstelle: Woher wir wissen konnen, dass die Schlussgleiehung wirklieh eine Wurzel habe? Ob es nicht eintreten konne, dass weder dieser Sehlussgleichung noeh der vorgelegten irgend eine Grosse im gesammtem Bereiche der reellen und imaginaren Grossen geniige?
Aber auch sein (1797 gefundener) Beweis ist in dieser Hinsicht noch nicht zufrieden stellend und selbst 1815 bemerkt er noch: Es ist aber bekannt, dass eine solche Gleichung ungeraden Grades sieher IOsbar ist, und zwar durch eine reelle Wurzel.
Obwohl es B. BOLZANO 1817 fur notig befunden hat auch dies "rein analytisch" zu beweisen, ergab sich die vollstandige Klarung jedoch erst mit der "SchOpfung" der reellen Zahlen durch R. DEDEKIND (1858/72), G. CANTOR (1870/72), CH. MERAY (1869/72), K. WEIERSTRASS (seit 1861) und P. BACHMANN (1892) bzw. mit der axiomatischen Setzung durch HILBERT im Jahr 1899 (siehe [Ebb]). Urn den Zwischenwertsatz zu
46
1. REELLE ZAHLEN
Bernard Placidus Johann Nepomuk Bolzano * 5.10.1781 Prag / t 18.12.1848 Prag Philosoph, Theologe (geweihter Priester) und Mathematiker, 1805 Professor fur Theologie in Prag, wurde 1819 des Amtes enthoben und erhielt Publikationsverbot. Er lebte ab 1823 auf dem Lande und widmete sich mathematischen Studien, deren Ergebnisse grof.ltenteils jedoch erst posthum publiziert wurden - darunter etwa das Beispiel fur eine stetige nirgends differenzierbare Funktion und Ansatze fUr eine Theorie der reellen Zahlen. erfUllen, benotigt man neb en den rationalen Zahlen weitere Zahlen, die man sich anschaulich als Punkte der Zahlengeraden gegeben denken kann. Zu ihrer Beschreibung und zum Nachweis der Giiltigkeit der ublichen Rechengesetze, die naturlich weiterhin gelten sollen, benotigt man die Charakterisierung etwa durch Dedekind'sche Schnitte, Cauchy-Folgen oder Intervallschachtelungen. Es war die intellektuelle Leistung der soeben genannten Mathematiker, dass man umgekehrt mit diesen Methoden die einzelnen reellen Zahlen als neue fiktive Objekte konstruieren kann. DEDEKIND, der nach eigenem Bekunden bereits 1858 die entscheidende Idee gehabt hat, schreibt 1872: Will man nun, was doch der Wunsch ist, aile Erscheinungen in der Geraden auch arithmetisch verfolgen, so reichen dazu die rationalen Zahlen nicht aus, und es wird daher unumganglich notwendig, das Instrument R, welches durch die Sch6pfung der rationalen Zahlen konstruiert war, wesentlich zu verfeinern durch eine Sch6pfung von neuen Zahlen der Art, dass das Gebiet der Zahlen dieselbe Vollstandigkeit oder, wie wir gleich sagen wollen, dieselbe S t e t i g k e i t gewinnt, wie die gerade Linie.
J uHus Wilhelm Richard Dedekind * 6.10.1831 Braunschweig / t 12.2.1916 Braunschweig 1858 Professor am Polytechnikum in Zurich, 1862 bis zur Emiritierung 1894 am Polytechnikum in Braunschweig. Seine Hauptarbeitsgebiete waren die Algebra und die algebraische Zahlentheorie, wo er den Begriff des (Zahl-)Korpers einfuhrteo Er benutzte bereits 1858 den abstrakten Gruppenbegriff. Durch seine Schriften zur Grundlegung des Zahlbegriffs und durch den regen briefiichen Austausch mit Cantor war er auch an der Entstehung der Mengenlehre beteiligt. Wir wollen die verschiedenen moglichen Konstruktionen hier nicht naher durchfUhren, sondern verweisen dazu etwa auf [HSJ. Jedenfalls werden dadurch auf mengentheoretischer Grundlage die etwa axiomatisch gegebenen reellen Zahlen nicht zu einem "leeren Schatten" . Man kann nun daran gehen, den Zwischenwertsatz zu beweisen. In der klassischen Analysis gibt es verschiedene - grundsatzlich aber aquivalente - Beweise fUr diesen Satz, je nachdem, welche der so eben erwahnten Charakterisierungen man fUr die Vollstandigkeit der Menge der reellen Zahlen gewahlt hat. Der anschaulich vielleicht einsichtigste wird durch das obige Beispiel von STEVIN nahe gelegt und beruht auf Intervallschachtelung. Er verlauft etwa wie folgt: Man untersuche, ob f(~) kleiner, groBer oder gleich 0 ist. 1m letzten Fall ist man bereits fertig. 1st f( at b ) < 0, so betrachte man f auf dem Intervall [at b , b], im anderen
47
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS
at
Fall auf dem Intervall [a, b ]. Indem man immer wieder den Funktionswert von f in der jeweiligen Intervallmitte inspiziert, erhalt man so ein Intervall der halben Lange, das im vorangehenden enthalten ist, d.h. eine Intervallschachtelung. Bricht das Verfahren nicht ab, so bilden die Endpunkte der Intervallfolge zwei Cauchy-Folgen, die gegen denselben Grenzwert Xo konvergieren. OfIensichtlich konvergieren die Folgen der Funktionswerte aufgrund der Stetigkeit von f gegen 0, so dass in der Tat f(xo) = 0 gilt. Der Konstruktivist kann so nicht ohne weiteres schlieBen. Fur ihn ist die Nullstelle Xo erst dann gegeben, wenn ein efIektives Verfahren fUr ihre Berechnung vorliegt. Dies ist aber i.a. nicht der Fall. Wir geben dafur ein Beispiel:
Beispiel 1. Fur eine reelle Zahl a wird wie folgt auf [-1, 1] eine stetige Funktion fa definiert. Es sei fa(±l) = ±1, fa (± = a, und dazwischen seien die Punkte (-1, -1), (-~, a), (~, a) und (1,1) jeweils geradlinig verbunden (siehe Fig. 1.10).
D
-1
-1
Fig. 1.10 Wir konstruieren nun eine reelle Zahl a, so dass fUr fa bereits der erste Schritt im obigen Beweis des Zwischenwertsatzes nicht durchgefUhrt werden kann, da sich nicht entscheiden lasst, ob fa(O) = 0 oder fa(O) f:. 0 gilt . • Wir setzen a = L~=3 an3- n , wobei an = 0, falls 2n sich als Summe zweier ungerader Primzahlen schreiben lasst, und an = (_l)n, falls dies nicht der Fall ist. Die Zahlen an, und damit auch die Partialsummen von a, sind wohldefiniert, denn man kann fur jedes n E N die Zerlegbarkeit von 2n in endlich vielen Schritten entscheiden. OfIensichtlich ist die derart definierte unendliche Reihe konvergent. Die Aussage a = 0 ist aquivalent mit an = 0 fUr alle n E N, und dies ist die von CHR. GOLDBACH 1742 gegenuber EULER geauBerte Vermutung, die bis heute weder bewiesen noch widerlegt ist. Es ist also bis heute nicht entschieden, ob a = 0 ist oder a f:. 0 und welches Vorzeichen a dann hat. Obwohl man die Funktionswerte von fa bis auf jede beliebig vorgegebene Genauigkeit berechnen kann, ist nichts uber die Lage einer moglichen Nullstelle Xo bekannt, solange die Goldbach'sche Vermutung noch nicht entschieden ist. Fur den klassischen Mathematiker besteht dieses Problem nicht, denn er beruft sich auf den Grundsatz des" tertium non datur", den Satz vom ausgeschlossenen Dritten: Von einer mathematischen Aussage A und ihrer Negation '" A ist stets genau eine wahr. Das heiBt, im vorliegenden Fall kann er, obwohl er nicht weiB, ob fa(O) > 0, fa(O) = 0 oder fa(O) < 0 ist, genau eine der drei Moglichkeiten rein hypothetisch
48
1. REELLE ZAHLEN
annehmen und damit weiter schlieBen. t Das Ergebnis ist eine reine Existenzaussage; es sagt nichts uber die Lage der Nullstelle Xo aus. Fur den Konstruktivisten ist von den Aussagen A oder rv A auch h6chstens eine der beiden wahr. Mindestens eine ist jedoch erst dann wahr, wenn die entsprechende Aussage auch bewiesen ist. Man sieht dies an einem einfachen Beispiel. Die Frage, ob es zwei irrationale Zahlen 0: und f3 gebe, so dass 0:f3 rational ist, ist klassisch leicht zu beweisen. 1st etwa .j2..J2 rational, so kann man 0: = f3 = .j2 wahlen. Andernfalls wahlt man 0: = .j2..J2 und f3 = .j2. Man hat hier eine reine Existenzaussage getroffen worden, ohne dass eine der beiden M5glichkeiten effektiv entschieden wurde. Fur den konstruktiven Mathematiker ist das Problem aber erst ge15st, wenn die beiden irrationalen Zahlen tatsachlich angegeben werden k5nnen. Zunachst mussen wir konstruktiv beweisen, dass .j2 tatsachlich irrational ist, d.h. verschieden von jeder rationalen Zahl. Der klassische Beweis aus Abschnitt 1.1 zeigt nur, dass .j2 nicht rational ist. Nun besteht fUr eine gegebene reelle Zahl i.a. nicht die Alternative rational oder irrational zu sein. Wie wir im vorigen Abschnitt bemerkt haben, ist konstruktiv nicht entschieden, ob etwa e + 7r rational oder irrational ist. 1m Fall von .j2 schlieBen wir wie folgt: Fur jede rationale Zahl r < 0 oder r > 2 ist sicher r #- .j2 und fur 0 ::; r = ~ ::; 2 ist
Nun k5nnen wir die obige Frage mit Hilfe des tief liegenden Satzes von GELFOND und SCHNEIDER beantworten, der ahnlich wie die Transzendenzbeweise des vorigen Abschnitts aufgrund der benutzten Abschatzungen insbesondere die Irrationalitat beinhaltet. Im allgemeinen ist die Anwendung des Satzes yom ausgeschlossenen Dritten nur erlaubt bei Aussagen, die endliche Mengen betreffen, denn dann kann man die endlich vielen Elemente einzeln hernehmen. Fur unendliche Mengen ist eine Entscheidung i.a. aber nicht effektiv durchfUhrbar, insbesondere dann nicht, wenn die Wahrheit einer Aussage A von der gesamten Menge abhangt. Wir k5nnen hier nicht weiter auf die Grundlagenprobleme eingehen, die der Mathematik aus der unbedarften Handhabung des Mengenbegriffs erwachsen; siehe dazu die Literaturhinweise im Ausblick. Wir mussen aber noch den Zahlbegriff genauer fassen. In der konstruktiven Analysis von E. BISHOP ist eine reelle Zahl x gegeben als eine Cauchy-Folge rationaler Zahlen, (Xn)nEf\!, zusammen mit einer explizit berechenbaren Folge natUrlicher Zahlen, (NkhEN, so dass IXn -
gilt. Zwei reelle Zahlen x
1
xml ::; k
fur aile n,m? Nk
= (Xn)nEN und Y = (Yn)nEN stimmen uberein, wenn
Streng genommen muss auch der klassische Mathematiker hier vorsichtig sein, falls er sich auf eine axiomatische Grundlage stiitzt. Die Vermutung von GOLDBACH konnte zu den Aussagen gehoren, deren Existenz K. GODEL 1931 eingeraumt hat: 1st ein Axiomensystem, das die Arithmetik umfasst, widerspruchsfrei, so gibt es wahre Aussagen, die sich innerhalb dieses Systems weder beweisen noch widerlegen lassen.
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS
49
gilt, wobei (MkhEN wieder eine explizit berechenbare Folge natiirlicher Zahlen ist. In [BB] betrachtet er (mit derselben Relation fUr Gleichheit) nur Folgen, die die Bedingung
IX n
-
1
xml ~ n
1
+ -m
erfUllen - in [Tas] wird stattdessen
gefordert. Dies ergibt aufgrund der gewahlten Gleichheitsrelation aber dieselben reellen Zahlen. Auf den ersten Blick unterscheidet sich diese Definition nicht von der klassischen, der technische Mehraufwand in der konstruktiven Analysis ist aber erheblich, und selbst in den einfachen Rechenoperationen wie Addition und Multiplikation sowie dem Nachweis der ublichen Rechenregeln muss man sehr sorgfaltig vorgehen. Wir konnen diese technischen Fragen hier nicht im Detail behandeln - wir verweisen dazu auf [BB] -, wollen aber einige Konsequenzen diskutieren.
I · '-' . ,. .' '.
Errett Albert Bishop
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* 14.7.1928 Newton/Kansas / t 14.4.1983 La Jolla ab 1954 an der University of California in Berkeley, 1962 Professor, 1965 Professor an der University of California in San Diego. Seine Hauptarbeitsgebiete waren die Funktionentheorie mehrerer Variabler und die Theorie der kommutativen Banachalgebren, einem Teilgebiet der Funktionalanalysis, bevor er sich der konstruktiven Analysis verschrieb und 1967 seine "Foundations of Constructive Analysis" veroffentlichte.
Durch die Forderung, dass die Folgen (NkhEN bzw. (MkhEN explizit berechenbar sein miissen, sind implizite Definitionen ausgeschlossen. So ware Xo, die kleinste Nullstelle der Funktion fa klassisch eine sinnvoll definierte reelle Zahl, konstruktivistisch ist dies jedoch sinnlos. Dies hat einige gravierende Unterschiede zur Folge. So gibt es reelle Zahlen, fUr die die Trichotomie x < 0 oder x > 0 oder x = 0 nicht entscheidbar ist. Dabei bedeutet x > 0, dass xn ~ -to gilt fUr alle n ~ m, wobei k und m explizit konstruierbare natiirliche Zahlen sind. Insbesondere existieren reelle Zahlen, die keine Dezimalbruch- oder Kettenbruchentwicklung zulassen. Ein Beispiel einer solchen Zahl ist x = 1 - a mit a aus Beispiel 1. Alles was man uber eine beliebige reelle Zahl x aussagen kann ist Folgendes: Sind zwei reelle Zahlen a und b gegeben mit a < b, so gilt a < x oder x < b. Andererseits verliert die Menge der reellen Zahlen ihre atomistische Struktur, kommt also der geometrischen Vorstellung als ein Kontinuum wieder naher. Es ist nicht moglich die reelle "Gerade" in zwei disjunkte Intervalle zu zerlegen, wie im klassischen Sinn etwa in (-00,0) und [0,(0). Folglich ist es auch nicht mehr moglich, bekannte Funktionen wie die durch f(x) = 1 fUr x ~ 0 und f(x) = 0 fUr x < 0 definierte Treppenfunktion f zu betrachten, denn etwa fur die Zahl a konnte man den Funktionswert f(a) nicht konstruktiv angeben. Ja es ist sogar fraglich, ob man uberhaupt eine unstetige Funktion konstruieren kann.
50
1. REELLE ZAHLEN
Ahnlich wie beim Zwischenwertsatz verMlt es sich bei dem folgenden Satz von K. (1861).
WEIERSTRASS
Satz vom Maximum
Es sei [a, b] c Rein kompaktes Intervall und f : [a, b] --+ Reine stetige Funktion. Dann nimmt f im Intervall [a, b] ihr Maximum an, d.h., es existiert ein Xo E [a, b] mit f(xo) ? f(x) fUr alle x E [a, b].
Der Beweis besteht aus zwei Schritten. Zunachst zeigt man, dass f([a, b]) ein Infimum und ein Supremum besitzt, und im zweiten Schritt muss man einen Punkt Xo finden, in dem etwa das Supremum angenommen wird. Fur die erste Aussage weist man die Eigenschaft der totalen Beschranktheit nach: zu jeder Zahl n E N existieren endlich viele Punkte Xl, ... ,Xk E [a, b], so dass
gilt. Dies folgt sofort, wenn man f als gleichmaBig stetig voraussetzt, d.h., wenn man zu c > 0 ein 0 = o(c) > 0 finden kann mit If(x) - f(Y)1 < c, falls nur Ix - yl < O. Man wahlt dann Xj = a+~(b-a) mit b-;",a < o(~). 1st nun Cn = max{f(xd, ... ,f(Xk)} und Mn = max{ CI, ... ,Cn }, so ist die Folge (Mn)nE]\j monoton wachsend und beschrankt durch Ml + 1. Sie ist eine Cauchy-Folge, denn Mn :,;; Mm < Mn + ~ fUr alle m ? n, und fUr den Grenzwert M gilt
M
= n--+oo lim Mn = sup f([a, b]).
Fur x E [a, b] gilt namlich
f(x) < Mn
1 n
1 n
+ - :,;; M + -
fUr jedes
n E N,
also f(x) :,;; M, und offensichtlich ist M die kleinste obere Schranke. Soweit ware auch ein Konstruktivist mit dem Beweis einverstanden. Man muss jetzt noch zeigen, dass die gleichmiillige Stetigkeit aus der Stetigkeit folgt und dass M = f(xo) fUr ein Xo E [a, b] gilt. Beides beruht auf dem Satz von BolzanoWeierstmp, der besagt, dass jede Folge (Xn)nE]\j in [a, b] einen Haufungspunkt besitzt. Fur die zweite Aussage betrachtet man eine Folge Xn E [a, b] mit f(xn) = Mn. Fur einen Haufungspunkt Xo = limk--+oo x nk gilt dann f(xo) = limk--+oo f(x nk ) = M aufgrund der Stetigkeit von f. Fur die gleichmaBige Stetigkeit schlieBt man indirekt. Ware sie nicht erfiillt, so gabe es ein c > 0 und zu jedem n E N Punkte Xn , Yn E [a, b] mit IX n -Ynl < ~ und If(xn) - f(Yn)1 ? c. Nach Ubergang zu einer konvergenten Teilfolge von (Xn)nE]\j k6nnen wir diese als konvergent annehmen. Dann gilt auch lim Yn
n---+oo
= n---+oo lim Xn = XO,
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS
51
aber
fur hinreichend groBes n. Das widerspricht der Stetigkeit von
f
im Punkt Xo.
Analog hat man die Aussage, dass eine stetige Funktion auf einem kompakten Intervall [a, b] ihr Minimum annimmt, und es bedarf keiner groBen A.nderung, entsprechende Aussagen fur eine stetige reellwertige Funktion zu beweisen, die auf einer kompakten Teilmenge von C definiert ist, etwa auf einem Rechteck [a, b] x [c, d] oder einem Kreis Br(O) = {z E C Ilzl ~ r}. Den fundamentalen Satz von BOLZANO (1830) und WEIERSTRASS (1865/1874) liisst der Konstruktivist aber nicht gelten. Man beweist ihn ublicherweise (wie oben den Zwischenwertsatz) mit der Intervallhalbierungsmethode, indem man jeweils eine Intervallhiilfte auswiihlt, die noch unendlich viele Folgenglieder enthalt. Eine solche Auswahl kann aber i.a. nur hypothetisch getroffen werden (siehe oben), wenn nicht nach endlich vielen Schritten entschieden ist, dass nur eine der beiden unendlich viele Folgenglieder enthiilt. Man konstruiert leicht eine stetige Funktion, fur die der Punkt Xo nicht angegeben werden kann. Beispiel 2. Mit der reellen Zahl a aus dem vorigen Beispiel sei ga : [-1,1] ---+ folgt definiert. Es sei
~
wie
Verbindet man diese Punkte gradlinig (siehe Fig. 1.11), so erhiilt man eine stetige Funktion.
-1
-!
0
1
'2
Fig. 1.11
Die Funktion ga besitzt ein Supremum, niimlich max{l, 1 + a}; es ist aber nicht klar, oder im Punkt angenommen wird. Der Konstruktivist kann ob dieses im Punkt entsprechende Siitze nur in der folgenden Form fUr eine gleichmaBig stetige Funktion f : [a, b] ---+ ~ aussprechen (fur die etwas aufwendigen Beweise verweisen wir auf [BB]):
-!
!
(1) Gilt f(a) < 0 und f(b) > 0, so existiert zu jedem c > 0 ein Xo E (a, b) mit
If(xo)1 < c. (2) 1st M = sup f([a, b]), so existiert zu jedem c > 0 ein Xo E [a, b] mit f(xo) > M - c. Analog existiert fur m = inf f([a, b]) zu jedem c > 0 ein Xo E [a, b] mit f(xo) < m + c.
52
1. REELLE ZAHLEN
Dies hat natiirlich Konsequenzen fiir andere Satze, die man mit Hilfe des Satzes vom Maximum oder mit dem Zwischenwertsatz beweist. Zum Beispiel kann man den Mittelwertsatz der Differentialrechnung von LAGRANGE (1797) fiir beliebige differenzierbare Funktionen konstruktiv nur in der folgenden abgeschwachten Version beweisen.
Mittelwertsatz Es sei [a, b] c ~ ein kompaktes Intervall und f : [a, b] --* ~ eine differenzierbare Funktion, d.h., es gebe eine gleichmaBig stetige Funktion f' : [a, b] --* ~ und eine Funktion 8 : Iltt --* Iltt, so dass zu vorgegebenem E > stets
°
If(Y) - f(x) - f'(x)(y - x)1 ~ ElY - xl, Dann existiert zu jedem
E
°
falls
Iy - xl ~ 8(E).
> ein Xo E [a, b] mit
If(b) - f(a) - !,(xo)(b - a)1 ~ E.
Der Satz enthiilt als Spezialfall den Satz von Rolle (1690): • Gilt f(a)
= f(b),
so existiert zu E >
°
ein Xo E [a,b] mit 1f'(xo)1 ~ E.
°
Die wiederum starkere klassische Aussage des Satzes von Rolle, f' (xo) = fiir ein Xo E [a,b], erhiilt man hieraus, indem man fiir eine Folge (Xn)nEN mit If(xn)1 ~ ~, n E N, nach dem Satz von Bolzano-WeierstraB einen Haufungspunkt Xo wiihlt. Umgekehrt geniigt es bekanntlich fiir den Beweis des Mittelwertsatzes, zuerst den Satz von Rolle zu beweisen und diesen dann auf die Funktion
g(x) = (x - a) (J(b) - f(a)) - f(x)(b - a),
x E [a,b],
anzuwenden. Wir miissen also nur die obige konstruktive Version des Satzes von Rolle beweisen. Klassisch folgt der Satz von Rolle direkt mit dem Satz vom Maximum: 1st f(x) > f(a) fiir ein x E [a, b], so nimmt f sein Maximum in einem Punkt Xo E (a, b) an und fUr y #- Xo folgt
f(y) - f(xo) { ;;:: 0, y - Xo ~ 0,
y < Xo, y > Xo,
also f' (xo) = 0. Der konstruktive Beweis ist etwas aufwendiger. Betrachte m = inf{If'(x)11 x E [a,b]}.
°
1st m = 0, so folgt die Behauptung mit der Aussage (2). 1st m > und ohne Einschrankung f'(a) ;;:: m, so folgt auch f'(x) ;;:: m fUr alle x E [a,b], denn sonst gabe es
53
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS
nach der Aussage (1) ein y mit If'(y)1 < m entgegen der Definition von m. Wir wahlen nun Punkt a = Xl ~ X2 ~ ... ~ Xn = b mit Xk+l - Xk ~ J(~). Dann folgt n-l
0= f(b) - f(a)
=L
(J(Xk+l) - f(Xk))
k=O
n-l
=L
n-l
!'(Xk)(Xk+l - Xk)
k=O
~
(J(xk+d - f(Xk) - !'(Xk) (Xk+1 - Xk))
k=O
n-l
L m(Xk+l -
n-l
Xk) -
k=O
Es muss also m
+L
L ; (Xk+l -
Xk)
=;
(b - a) > O.
k=O
= 0 sein, und dafur folgt die Behauptung.
Fur beliebige stetige oder differenzierbare Funktionen k6nnen also konstruktiv nur schwachere Aussagen bewiesen werden. Fur alle in der Praxis vorkommenden Funktionen bleiben sie jedoch uneingeschrankt richtig. Fuhrt man in diesen Fallen einen konstruktiven Beweis durch, so erhalt man oft uber die reine Existenzaussage hinaus auch numerische Verfahren zur Bestimmung der gesuchten Werte wie Nullstellen oder Extrema. Dies ist das Hauptanliegen BISHOPS: Our program is simple: to give numerical meaning to as much as possible of classical abstract analysis.
Wir geben dafiir ein Beispiel:
Beispiel 3. Die reelle Zahl I wird heute ublicherweise (nach R. BALTZER) als kleinste positive Nullstelle der Cosinus-Funktion definiert, wobei diese als Potenzreihe
2n
L( -It (x2n.)' 00
COSX =
n=O
gegeben ist: Es ist cos 0 = 1 und
aufgrund der Fehlerabschiitzung fur eine Leibniz-Reihe. Als stetige Funktion besitzt der Cosinus nach dem Zwischenwertsatz also eine Nullstelle Xo E (0,2), und wie man leicht sieht - die Menge der Nullstellen in [0,2] ist kompakt -, gibt es eine kleinste. Konstruktiv mussen wir I als Grenzwert einer Cauchy-Folge bestimmen. Wir definieren dazu Xl = 1 und induktiv
Xn+l = Xn
+ COSXn, n
Wir zeigen zunachst cosx > 0 fur 0 ~ x wachsend. In der Tat gilt dies fur 0 ~ x ~ 00
cos X
=~
~ Xl
~
1.
Xn , n E N. Dann ist (Xn)nEN monoton
= 1:
(x2n x2n+2) (2n)! - (2n+2)!
1
~ 1-"2 > O.
54
1. REELLE ZAHLEN
1st Xn < X ~ Xn+l und Xn+l -Xn 1, und somit COSX
= COSXn -
= COSXn > 0, so folgt Isinxnl < 1, da cos2 x+sin2 x = {X sint dt > COSXn - (Xn+l - xn)
JXn
=0
fUr Xn < x < Xn+l. Damit folgt induktiv die Zwischenbehauptung. Ferner ist dann nach dem Mittelwertsatz die Sinus-Funktion monoton wachsend auf [O,X n ], also insbesondere sinxn ? sinO = 0 und sinx? sin 1 fUr 1 ~ x ~ Xn , n E No Ebenfalls nach dem Mittelwertsatz existiert fUr n ? 2 und c > 0 ein x E [Xn-l, xnl mit
ICOSXn -
COSXn_l
+ sinx(xn -
xn-l)1
< c,
so dass Xn+l - Xn
= Xn ~
Xn-l
+ COSXn -
COSXn-l
Xn - Xn-l - sin x(xn - Xn-l) + c ~ (xn - x n-l)(l - sin 1) + c.
Da die linke Seite nicht von c abhangt, folgt
und induktiv Wir wollen nun zeigen, dass jedes reelle Polynom ungerader Ordnung eine reelle Nullstelle besitzt. Es sei also P(x) = Li~i;l akxk, x E R, mit Koeffizienten ak E lR und ohne Einschrankung a2n+l > o. Fur x =f. 0 gilt dann P () x
= x 2n+l ( a2n+l +
a2n ao ) --;; + ... + x2n+l '
und es gibt ein R > 0, so dass fur Ixi ? R IP(X)I
= IxI2n+lla2n+l
+ a2n + ... + ~I X x2n+l
erfiillt ist, also insbesondere P( - R) < 0 und P(R) > O. Mit dem klassischen Zwischenwertsatz waren wir jetzt fertig. Fur einen konstruktiven Beweis nut zen wir aus, dass es ein mEN gibt mit IP(x)1 + IP'(x)1 + ... + IP(m)(x)1
> 0 fUr alle x
E [-R,Rl
55
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS - in der Tat ist ja p(2n+l)(x) folgenden Satz zu beweisen:
= a2n+l(2n + I)! > O. Es genugt also offensichtlich den
Zwischenwertsatz (konstruktiv) Es sei [a, b] C lR ein kompaktes Intervall und f : [a, b] ~ lR eine stetige F'unktion mit f(a) < 0 < f(b). Existiert ein mEN, so dass
If(x)1 so besitzt
+ 1f'(x)1 + ... + If(m)(x)1 > 0
fUr alle
x E [a, b],
f eine Nullstelle Xo in (a, b).
Wir zeigen, dass aufgrund der Bedingung an die Summe der Betrage der Ableitungen in jedem Teilintervall [a,;3] C [a, b] ein ~ existiert mit f(~) =I- O. Dann konnen wir wie beim klassischen Beweis verfahren und eine Folge von Intervallen definieren, an deren Endpunkte die Funktionswerte jeweils verschiedene Vorzeichen besitzen. Obwohl i.a. nicht immer ein Intervallmittelpunkt als einer der Endpunkte gewahlt werden kann, lasst es sich jedoch einrichten, dass die Intervalllangen gegen 0 konvergieren und die Folgen der rechten bzw. der linken Endpunkte somit jeweils eine Cauchy-Folge bildet. Der gemeinsame Grenzwert ist dann die gesuchte Nullstelle. Zum Beweis der obigen Aussage genugt es, den Fall m = 1 zu betrachten. Der allgemeine Fall folgt dann rekursiv: 1st If(k) (x) I > 0 in einem Teilintervall von [a, ;3], so ist dann auch f(k-l) (x) =Ioin einem eventuell kleineren Teilintervall usw .. Alternativ kann man die Taylorformel (vgl. Aufgabe 2) verwenden. Fur Xo = konnen wir nun 0.E. (man betrachte sonst - f) f'(xo) > 0 und damit aufgrund der Stetigkeit
"'t,B
f' (xo)
~ l' ~o)
fur
x E [xo - 8, Xo + 8] C [a,;3]
fUr ein 8 > 0 annehmen. Nach dem Mittelwertsatz existiert Ferner zu [xo - 8, Xo + 8] mit If(xo + 8) - f(xo) - f'(x)81 :( E.
E
> 0 ein x
E
Da f'(x)8 ~ !'(~o)O unabhangig von E gilt, folgt f(xo) < f(xo + 8), und man kann eine rationale Zahl r =I- 0 finden mit f(xo) < r < f(xo + 8). Je nachdem, ob r > 0 oder r < 0 gilt, folgt f(xo + 8) > 0 oder f(xo) < 0, insgesamt also die Behauptung. Der etwas kompliziertere Beweis ist notig, da man nicht einfach indirekt schlieBen kann. Aus konstruktiver Sicht ist f(x) = 0 keine Alternative zu f(x) =I- 0, wie die Zahl a aus Beispiel 1 zeigt. Akzeptiert man jedoch den Satz von ausgeschlossenen Dritten, so folgt aus der Annahme f(x) == 0 sofort If(x)1 + 1f'(x)1 + ... + If(m)(x)1 == 0 entgegen der Voraussetzung. Der Zwischenwertsatz fUr reelle Polynome ungerader Ordnung garantiert nur eine Nullstelle. Da er keinen Aufschluss uber die Anzahl der reellen Nullstellen gibt, hat man lange nach geeigneten Kriterien dafur gesucht. So hat bereits R. DESCARTES 1637
56
1. REELLE ZAHLEN
in seiner "Geometrie" ohne Beweis eine Regel mitgeteilt, die zumindest eine obere Abschatzung liefert: Ferner liisst sich hiernach feststellen, wie viele wahre und wie viele falsche Wurzeln eine Gleichung haben kann; es k6nnen niimlich so viele wahre Wurzeln vorhanden sein, als die Anzahl der Wechsel der Vorzeichen + und - betriigt, und so viele falsche, wie oft zwei Zeichen + oder zwei Zeichen aufeinander folgen.
Genauer betrachtet man fur ein Polynom P(x) = 2:;:'=0 akxk mit reellen Koeffizienten f:. 0 f:. ao, die Teilfolge (ak,)j=l, ... ,r der nicht verschwindenden Koeffizienten und dafUr
ak, wobei am
1 r-l
V
= V(ao, ... , am) = "2 L (1 -
sgn (akj akj+l))'
j=1
die Anzahl der Vorzeichenwechsel. 1st nun P die Anzahl der positiven Nullstellen mit Vielfachheiten gezahlt, so ist V ~ P und V - P gerade (vgl. Aufgabe 4). In dieser Version hat C.F. GAUSS 1828 die Regel zuerst bewiesen. Ein weiter gehendes Kriterium stammt von J.B.J. DE FOURIER (vgl. ebenfalls Aufgabe 4). Vollstandig gelost wurde das Problem durch den folgenden Satz von J. C.F. STURM (1829). Ihm zugrunde liegt der euklidische Divisionsalgorithmus fUr Polynome: Sind P(x) und F(x) Poly nome mit deg F ~ deg P, so existieren Polynome Q(x) und R(x) mit
P(x)
= F(x)
Q(x) - R(x),
wobei deg R < deg F. Wie im Falle ganzer Zahlen kann man damit insbesondere den grofiten gemeinsamen Teiler zweier Polynome ermitteln. Besitzt ein Polynom P(x) mehrfache Nullstellen, so sind diese gleichzeitig Nullstellen von P'(x), d.h. P(x) und P'{x) besitzen dann gemeinsame Linearfaktoren. Hat P nur einfache Nullstellen, so ist der g.g.T. von P(x) und P'(x) eine Konstante.
Satz von Sturm
Fur ein reelles Polynom P(x) mit einfachen Nullstellen sei Po = P, PI = P', und sukzessive seien Polynome Pk, k = 1, ... , r -1 definiert durch
wobei Pr(x) :::::: C f:. 0 gilt. Bezeichnet V(x) = V(po(x), ... Pr(x)) die Anzahl der Vorzeichenwechsel der Sturm'schen Kette Po(x), .. . ,Pr(x), so enthalt fUr a < b mit P(a) f:. 0 f:. P(b) das Intervall (a, b) genau V(a) - V(b) Nullstellen. Aufgrund der Annahme Pr(x) = c f:. 0 und der rekursiven Definition der Pk konnen keine zwei aufeinander folgenden Polynome Pj und Pj +! im selben Punkt x E (a, b) verschwinden. 1st nun Pk(x) = 0 fUr ein 1 ~ k ~ r - 1, so gilt
1.4
57
KONSTRUKTIVE ANALYSIS
d.h. Pk- i (x) und PHi (X) haben unterschiedliches Vorzeichen. Da dies auch in einer Umgebung von x gilt, andert sich V(x) nicht, wenn man mit wachsendem x eine Nullstelle von Pk durchquert. Durchlauft x jedoch eine Nullstelle von P = Po, so andert Po(x) sein Vorzeichen, Pi (x) dagegen nicht, da die Nullstellen als einfach vorausgesetzt wurden. 1st P etwa streng monoton fallend nahe der Nullstelle x, so ist sgn (P(y)PI(y))
= -1
fUr
y < x und
sgn (P(y)PI(y))
=1
fUr
y > x,
und analog verMlt es sich fiir monoton wachsendes P. In jedem Fall erniedrigt sich also der Wert von V(x) urn 1 beim Durchgang durch eine Nullstelle von P. Damit ist der Satz bewiesen.
Jacques Charles Frant;ois Sturm * 15.9.1803 Genf / t 18.12.1855 Paris 1825 Hauslehrer in Genf, anschlieBend in Paris, 1830 Professor am College Rollin in Paris, 1840 Prof. fUr Mathematik an der Ecole Polytechnique, spater auch noch Inhaber des Lehrstuhls fUr Mechanik an der Sorbonne. Seine wichtigsten Arbeiten betreffen neben denen zur (numerischen) Auflosung von Gleichungen die Existenz und Verteilung der Eigenwerte bei Rand-Eigenwertproblemen fiir Differentialgleichungen 2. Ordnung (Sturm-Liouville-Theorie). Durch die Differenz V(a) - V(b) wird also die Anzahl der einfachen Nullstellen gezahlt. Besitzt das Polynom P(x) mehrfache Nullstellen, so ist, wie oben bemerkt wurde, P,. = ±ggT(P, Pi) ein nicht konstantes Polynom, das als Faktor in allen Pk auftritt. Setzt man dann Pk = fiir k = 0, ... , r, so besitzen die Pk dieselben Nullstellen jedoch mit der Vielfachheit 1. Urn die Anzahl der Nullstellen von P (ohne Vielfachheiten) zu ermitteln, muss man den Satz von Sturm nur auf Po anwenden. Obwohl die Kette Po, ... , P,. La. nicht den Voraussetzungen des Satzes geniigt, kann man aber trotzdem die Anzahl der Vorzeichenwechsel damit bestimmen, denn es gilt offensichtlich V(po(x), ... P,.(x)) = V(Po(x), ... Pr(x)), falls x keine Nullstelle ist. Dariiber hinaus ist es nicht notig, den Divisionsalgorithmus bis zum g.g.T. durchzufUhren. Fur den Beweis genugt die Bedingung, dass P,. nicht verschwindet, sein Vorzeichen also nicht andert. Damit wird den etwaigen nicht zeriegbaren quadratischen Faktoren x 2 + ax + b Rechnung getragen.
*
Wir werden in den folgenden Kapiteln die Voraussetzungen stets so eng wahlen, dass alle Aussagen auch konstruktiv beweisbar sind. Die auftretenden Funktionen werden daher nicht nur als stetig, sondern dariiber hinaus als hinreichend oft differenzierbar vorausgesetzt. In der Praxis bedeutet dies keine Einschrankung, denn man kann jede auf einem kompakten Intervall [a, b] stetige Funktion f : [a, b] --+ ~ gleichmaBig durch Polynome approximieren. Mit Hilfe der Transformation x = a + (b - a)y kann man sich dabei auf den Fall [a, b] = [0,1] beschranken. Wir wahlen ferner fUr eine gleichmaBig stetige Funktion f : [0,1] --+ ~ eine Schranke M > 0, d.h. setzen If(x)1 ~ M fUr alle x E [0,1] voraus, und bezeichnen den Stetigkeitsmodul J(c) wieder kurz mit J.
58
1. REELLE ZAHLEN
Approximationssatz von Weierstrafi
f : [0,1] --+ ffi. gleichmaBig stetig, und fUr n E Z+ sei das n-te Bernstein'sche Polynom Bn(J) definiert durch
Es sei
Dann gilt fur vorgegebenes
E
> 0 die Abschatzung M
If(x) - Bn(J)(x)1 ~ E+ 2n8 2 ,
x E [0,1]'
d.h. If(x) - Bn(J)(x) I ~ 2E fur n ? ~. Der Satz wurde 1885 von WEIERSTRASS formuliert und bewiesen. Inzwischen gibt es verschiedene Verallgemeinerungen (siehe die anschlieBenden Bemerkungen) und ebenso eine Vielzahl von unterschiedlichen Beweisen. Zum Beispiel kann man die Funktion f zunachst durch eine stuckweise affin-lineare Funktion approximieren. Eine solche lasst sich aber rein algebraisch aus Translationen der Betragsfunktion zusammensetzen, so dass letztendlich nur diese approximiert werden muss. Wir wollen dies hier nicht weiter verfolgen und auch nicht den ursprunglichen Beweis von WEIERSTRASS prasentieren, sondern den vielleicht einfachsten und direktesten, der 1912 von S. BERNSTEIN gefunden worden ist. Karl Theodor Wilhelm Weierstrafi * 31.10.1815 Ostenfelde / t 19.2.1897 Berlin 1841 bis 1856 als Gymnasiallehrer an verschiedenen Schulen tatig, 1856 Professor am Gewerbeinstitut in Berlin, 1864 Professor an der Berliner Universitat, seit 1856 Mitglied der PreuBischen Akademie in Berlin. Er leistete wesentliche Beitrage zur Grundlegung der reellen und der komplexen Analysis (Funktionentheorie) und wirkte dabei besonders durch seine vorbildlichen Vorlesungen, die er mit der sprichwortlichen" WeierstraB'schen Strenge" entwarf. Wir bemerken vorweg, dass die Bernstein'schen Polynome selbst fur Polynome nur eine Approximation liefern. Genauer gilt fUr die Monome fm(x) = x m, m = 0,1,2
Bn(Jo)(x)
=
t
(~)xk(1- x)n-k = (x + 1- xt = 1,
(0)
k=O
(n - 1) xJ(1. xt- J.= x,
n-l =x L.
j=O
J
1-
(1)
1.4 KONSTRUKTIVE ANALYSIS sowie wegen (!)2 n
59
= n-l k((k-l )) + l! und einer ahnlicher Rechnung n n n- 1 n n n -1 1 Bn(h)(x) = __ x 2 + -x. n n
(2)
Nach diesen Vorbemerkungen k6nnen wir den Approximationssatz leicht beweisen. Mit (0) folgt
If(x) - Bn(f)(x)1
~
t
If(x) -
k=l
f(~) I (~)xk(1- x)n-k
L If(X)-f(~)I(~)Xk(l-xt-k
Ik/n-xl md~. Die Exhaustionsmethode wurde als Beweistechnik noch bis ins 17. Jahrhundert benutzt, wenn auch die zu beweisenden Resultate oft heuristisch gefunden wurden. Dazu gehOren vor allem die Flacheninhalts- und Volumenberechnungen von KEPLER, der auf exakte Beweise ganz verzichtete (siehe [Kep] und [Wie]). Einblicke in die Werkstatt eines Mathematikers gibt schon ARCHIMEDES in seiner beriihmten Schrift iiber die "Methodenlehre", die erst 1906 wieder aufgefundenen wurde. Darin beschreibt er, wie man auf mechanischem Weg mit Hilfe der Hebelgesetze die Schwerpunkte und damit die Inhalte von Flachen und Korpern (durch Vergleich mit bekannten) bestimmen kann; siehe dazu [Arc] sowie [vdW] und [Fiih]. Wir wollen hier zeigen, wie ARCHIMEDES mit der Exhaustionsmethode den Flacheninhalt eines Parabelsegments bestimmt hat, genauer, ein dazu fiachengleiches Dreieck gefunden hat. Wir skizzieren dies kurz in der Sprache der analytischen Geometrie, die ARCHIMEDES allerdings noch nicht zur VerfUgung stand - sie wurde erst im 17. Jahrhundert von P. DE FERMAT und R. DESCARTES erfunden. ARCHIMEDES argumentierte noch rein geometrisch.
c
o
, - - - - - - - - r - - - - - - - - - - " , B=(a,a 2 )
D
A=(a,O)
Fig. 2.5
2.1 QUADRATUR UND INTEGRATION
71
Der gesuchte Inhalt der Flache zwischen der Parabel und der Geraden durch die Punkte (±a, a2 ) ist definiert (!) als Grenzwert der Flacheninhalte, die man nach AusschOpfen mit Dreiecken erhalt. Aus Symmetriegrunden genugt es, sich auf den ersten Quadranten zu beschranken. Man hat dann !:lOBC = ~a· a2 , addiert !:lOEB sowie !:lOE'E und !:lEE" B und so fort. Nun ist
= 4!:lOEB = 16(!:lOE' E + !:lEE" B)
!:lOBC
usw., denn DF=FG=2DE=2EF,
so dass !:lEBF = ~!:lFBG und !:lOEF = ~!:lOFG, also !:lOEB
= ~!:lABG = ~!:lOGC = ~!:lOBC.
Es folgt F
) = !:lOBC-1 = -!:lOBC 4 = !:lOBC ( 1 + -1 + -1 + ... = D. 1
4
16
1- 4
3
ARCHIMEDES geht allerdings noch nicht so weit, die unendliche Reihe aufzusummieren, also den Grenzwert zu betrachten. Urn die Gleichheit F = D der beiden Flacheninhalte zu beweisen, schlieBt er indirekt. Er zeigt indirekt, dass die Annahmen F < D bzw. F > D jeweils zu einem Widerspruch fUhren. 1st
so folgt Fn+1
1
1
= Fn + !:lOBC 4n+1 = !:lOBC + 4Fn
also Fn = D -l4~ !:lOBC. Ware nun D < F, so ware D < Fn < D fUr ein hinreichend groBes n, da zwischen die endliche Vereinigung von Dreiecken und die Parabel noch weitere solche Dreiecke eingeschoben werden konnen. Ebenso fUhrt die Annahme F < D auf Fn < F < D = Fn < D, was wiederum ein Widerspruch ist.
-lIn
Archimedes * urn 287 v.u.Z. Syrakus / t 212 v.u.Z. Syrakus Mathematiker und Ingenieur. Er stellte u.a. die Hebelgesetze auf, entdeckte das Prinzip des hydrostatischen Auftriebs, erfand den Flaschenzug und konstruierte verschiedene Kriegsmaschinen. Von den mathematischen Werken ist neben denen zur Inhaltsbestimmung von Korpern und Oberflachen noch die "Sandrechnung" erhalten, in der er die GroBe des Kosmos anhand groBer Zahlen beschreibt. Systematischer und der modernen Vorgehensweise besser angepasst, ist dies im zweiten Beweis dargestellt, der ebenfalls auf ARCHIMEDES zuruck geht. Hier berechnet er den Flacheninhalt unter der Parabel, also zwischen der Kurve und der x-Achse. Dazu wird
72
2. INTEGRALRECHNUNG
die Strecke OA in n gleiche Teile geteilt (bei fortgesetzter Halbierung etwa n = 2k) und der gesuchte Flacheninhalt F durch eine Summe von Rechteckflachen (siehe Fig. 2.6)
Tn
= -;;a (a)2 -;; + -;;a (2a)2 --;;- + ... + -;;a (na)2 -:;;:
bzw.
Sn=~02+~(~)2 + ... +~((n-1)a)2, n
n n
nach unten bzw. oben abgeschatzt: Sn
n
n
< F < Tn.
Fig. 2.6 Bildet man Tn - Sn, so erhaIt man Tn - Sn Mit der Abkiirzung
= *(~)2 = *
--+ 0 fUr n gegen unendlich.
erhalten wir Tn = (~)3(12 + 22 + ... + n 2) = (~)3S2(n) und Sn = (~)3 S2(n - 1), also lim n -4oo Tn = lim n -4oo Sn = ~a3, da bekanntlich S2(n) = ~n(n + 1)(2n + 1). Das so eben beschriebene Verfahren kann man nun auch auf die hoheren Potenzfunktionen f(x) = xm anwenden (ja aufjede monoton wachsende Funktion). Man erhalt dann Tn = (~)m+1Sm(n) sowie Sn = (~)mHSm(n - 1) und muss nur die Summen Sm(n) bestimmen. Diesen allgemeineren Fall haben urn 1635 F.B. CAVALIERI fUr m = 3 bis 9 und B. PASCAL, G.P. DE ROBERVAL sowie P. DE FERMAT fUr beliebiges mEN behandelt; vgl. [Edw].
Pierre de Fermat * 20.8.1601 Beaumont-de-Lomagne / t 12.1.1665 Castres Anwalt und Parlamentsrat in Toulouse. Neben seinen Beitragen zur analytischen Geometrie und den Vorarbeiten zur Infinitesimalrechnung wurde er vor allem durch seine zahlentheoretischen Satze und Vermutungen bekannt, die er vor allem im Briefwechsel mit anderen Mathematikern mitteilte, teilweise aber auch erst in seinem Nachlass zu finden sind. DarUber hinaus hat er Beitrage zur Wahrscheinlichkeitsrechnung geliefert.
73
2.1 QUADRATUR UND INTEGRATION
Sie alle benutzten dazu im wesentlichen die Darstellung von Sm(n) als Polynom in n vom Grad m + 1 mit hOchstem Koeffizienten m~1. Mit der binomischen Formel erhalt man zum Beispielleicht die folgende Rekursionsformel von B. PASCAL (1654):
Rekursionsformel fiir Potenzsummen Fur die Potenzsummen Sm(n)
(n + l)m+1 -1 =
= 1m + 2m + ... + nm gilt
~ (m~;: l)sk(n),
denn es ist
t ( m+l )Sk(n)=tt( m+l )£k=tt( m+l )£k m-k+l m-k+l m-k+l k=O k=O £=1 [=1 k=O n
=L ((£ + l)mH -
r+1)
= (n + l)mH -
1.
£=1
Lost man hier nach Sm (n) auf, so erhiUt man
Sm(n)
= ~lnmH + Pm(n), m+
wobei Pm ein Polynom vom Grad mist. Ohne dieses Polynom explizit zu kennen, erhalten wir daraus bereits das bekannte Resultat
1 a m+ loo xm dx = __ m+ 1 a
1,
denn es ist etwa lim Tn = lim n--+oo
n--+oo
(~)m+1 Sm(n) n
= lim (_I_a m+1 + amH Pm(n)) = _1_a m+1. n--+oo m + 1 n m +1 m +1
Bereits 1631 hat J. FAULHABER eine geschlossene Formel fur Sm(n) angegeben, die 1705 von JAKOB BERNOULLI genauer untersucht wurde. Es gilt
n m+1 ! n m ~ Sm (n ) -- m 1+2 + L...J + k=2
(m k+ 1) B knm+1-k ,
74
2. INTEGRALRECHNUNG
wobei sich die so genannten Bernoulli-Zahlen Bn rekursiv berechnen lassen: Es ist Bo = 1 und fur n ? 1 gilt
t(n;l)Bk=O,
-t,
k=O
-to,
i,
also etwa Bl = B2 = B4 = B6 = -12. Insbesondere ist B2n E Q fur n E N. Man kann zeigen ~vgl. Aufgabe 2), dass B 2n +1 = 0 ist fur n E N. Damit ist die Quadratur der Flache unter dem Parabelbogen aquivalent zur Integration der zugeh6rigen Parabelfunktion. Schon FERMAT hat fur die Integration der Potenzfunktionen statt aquidistanter und damit arithmetischer Zerlegung des Integrationsintervalls auch eine nach geometrischer Progression fortschreitende Zerlegung benutzt. Damit kann man die Potenzfunktionen x T fur beliebiges positives r integrieren. Fur eine Zahl 0 < e < 1 (nahe 1) wahlt man die Zerlegungspunkte ekb, kENo, und erhalt als Approximation fur das Integral (siehe Fig. 2.7) 00
k=O
=bn +1 Fur
1- e
e
1- n +1
.
e -+ 1 folgt dann (mit l'Hospital) J: CPO -+ n~l bn +1.
Fig. 2.7 Fur negative Potenzen muss man wiederum anders vorgehen. Man wahlt etwa zur Berechnung von ~ dx die Zerlegungspunkte bk / m , k = 0, ... ,m. Dann folgt
J:
L b-(k-l)/m(bk/ m m
b(k-l)/m)
k=l
und mit m -+
00
erhalten wir
f
1
b
1 - dx X
= log b,
= m(b1 / m -1),
2.1 QUADRATUR UND INTEGRATION
75
das bekannte Resultat, das G. DE SAINT-VINCENT 1647 (auf etwas anderem Weg) gefunden hat. Fur allgemeinere Funktionen ist die obige Approximationsmethode in den wenigsten Fallen praktisch durchfUhrbar. Daruber hinaus ist die Approximation durch Rechtecke der Darstellung der Funktion in cartesischen Koordinaten angepasst. Liegt eine Funktion, wie etwa beim Kreis, in Polarkoordinaten vor, so kann man den gesuchten Flacheninhalt eher durch Dreiecksapproximation ermitteln. Die Weiterentwicklung dieser Integrationstechniken, die insbesondere den Zusammenhang zwischen Integration und Differentiation offenbarten, fUhrte dazu, dass man die Quadratur der Flache unter einem Funktionsgraphen auf die Integration der jeweiligen Funktion zuruck fUhrte, was gegebenenfalls durch Auffinden einer zugehorigen Stammfunktion bewerkstelligt werden konnte. Dies wird durch den Hauptsatz der Differentialund Integralrechnung ausgedruckt.
Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 1st f : [a, b] -+ lR (gleichmaBig) stetig, so existiert fUr jedes x E [a, b] das Integral F(x) = f(x) dx und die dadurch definierte Funktion Fist eine Stammfunktion von f, d.h. F'(x) = f(x) fUr x E [a,b]. Fur jede Stammfunktion F von f gilt daruber hinaus
J:
lab f(x) dx = F(b) -
F(a).
Ein geometrischer Beweis dieser Aussagen wurde fUr stetige monotone Funktionen 1667 von I. BARROW gefunden und 1670 veroffentlicht. Die analytische Version findet sich aber schon 1666 in den Manuskripten seines Schiilers I. NEWTON. Unabhangig davon ist 1677 auch G.W. LEIBNIZ dazu gekommen. Der Beweis ist einfach, sobald alle vorkommenden Begriffe geklart sind. Aufgrund der Voraussetzung der gleichmaBigen Stetigkeit folgt sogleich die Konvergenz der Folge
Sn(f)
b - a n-l
b- a
= --;- I: f( a + j--;-), j=O
denn wegen ISn(f) - Sm(f) I :(; ISn(f) - Snml annehmen und erhalten
ISn(f)-Sm(f)I:(;
+ ISnm(f) - Sm (f) I konnen wir m = kn
b- a I b- a b- a -I:I: f(a+jk-) -f(a+ij-)I :(;c(b-a), m m m n-l k-l
j=O ;=0
J:
f(x) dx wird dann falls b-;.a < 8(c) ist, dem Stetigkeitsmodul von f. Das Integral definiert als der Grenzwert dieser Folge. 1st f monoton wachsend (fallend), so ist Sn(f) gerade eine Untersumme (Obersumme). Wie oben kann man hier auch andere Zerlegungen des Intervalls [a, b] wahlen und f statt an dem linken Intervallende an beliebigen
76
2. INTEGRALRECHNUNG
Stellen innerhalb der einzelnen Teilintervalle auswerten. Die weiteren Einzelheiten fur den Beweis des Hauptsatzes durfen wir hier als bekannt voraussetzen. Das hier definierte Integral ist der Klasse der stetigen Funktionen angepasst. Auf die weitere Entwicklung der Integrationstheorie, insbesondere durch H. LEBESGUE, der, angeregt durch die Theorie der Fourier-Reihen, fur eine groBe Klasse von Funktionen den Begriff der Integrierbarkeit erklaren konnte, wollen wir hier nicht eingehen. Die Definition des Integrals einer Funktion f lasst sich auch numerisch fur die Quadratur verwenden, da die approximierenden Summen leicht ausgewertet werden konnen. Hier bedarf es nur einer genaueren Analyse des auftretenden Fehlers. Grob gesprochen, ist er proportional zur Schwankung von f auf den Teilintervallen. Fur differenzierbare Funktionen und Aproximationen durch trapezformige Flachen lassen sich diese Fehler aber erheblich verringern. Genauer ersetzt man dann fUr eine positive Funktion f : [a, b] --+ ~ das Integral uber dem Intervall [a, b] durch den Inhalt des Trapezes unter der Sehne durch (a, f(a)) und (b, f(b)) bzw. der Tangente an der Zwischenstelle c = ~(a + b), und erhalt damit die
Sehnentrapez- bzw. Tangententrapezregel
j f(x) dx = - (J(a) + f(b)) (b - a) + Rs 1
b
2
a
bzw.
jb f(x) dx
+ Rt .
= f(c)(b - a)
Man beachte hier, dass die Steigung der Tangente aufgrund der Formel fUr den Flacheninhalt eines Trapezes keine Rolle spielt. Fur Abschatzung des Fehlers setzen wir f als zweimal stetig differenzierbar voraus. Mit
Fs(x)
x-b
x-a a'
= f(a) a _ b + f(b) b -
dem Interpolationspolynom von LAGRANGE, gewinnen wir die Darstellung
f(x) = Fs(x) und daraus wegen
+ Ts(X)
j Fs(x) dx = ~ (J(a) + f(b)) (b - a) b
2
a
J:
die Sehnentrapezformel mit dem Restterm Rs = Ts(X) dx. Nun gilt Ts(a) Ts(b), so dass wir f(x) = Fs(x) - (x - a)(x - b)fs(x) schreiben konnen. Fur festes a
g(t)
< x < b besitzt
= f(t)
dann die Hilfsfunktion
- Fs(t) - (t - a)(t - b)fs(x)
=0 =
77
2.1 QUADRATUR UND INTEGRATION
die Nullstellen t = a, b und x. Aufgrund des Satzes von ROLLE hat g' mindestens zwei Nullstellen und gil somit mindestens eine Nullstelle to E (a, b). Es folgt
0= g"(tO) = f"(to) - 2!rs(x), also rs(x) = ~f"(to), und wir erhalten mit M = die Abschatzung
IRsl
~
sUPa';;;x';;;b
M [b I(x _ a)(x - b)1 dx 2 Ja
1f"(x)1 fUr den Restterm Rs
= M2 (b 1
a?
1m Fall der Tangententrapezregel betrachten wir die Taylor-Entwicklung von Punkt c, d.h. 1 f(x) = f(c) + f'(c)(x - c) + 2f"(~)(x - C)2
f
urn den
mit einem Punkt ~ E [a, b]. Mit M wie oben erhiilt man nach Integration die Tangententrapezformel mit der Restgliedabschiitzung
IRtl
~
M [b(
2 Ja
2 M( 3 x - c) dx = 24 b - a) .
Eine bessere Approximation erzielt man natiirlich durch Zerlegung des Intervalls. 1st
a = ao < al < ... < an = b eine solche etwa iiquidistante Zerlegung mit aj - aj-l = h und Cj = ~(aj-l + aj) fur j = 1, ... , n, so hat man die summierte Sehnentmpezregel bzw. summierte Tangententmpezregel
bzw.
Hier gilt fur die Restgliedterme
Wir haben nur den einfachsten Fall einer allgemeineren Methode vorgestellt. Bei dieser von I. NEWTON 1671 begrundeten und von R. COTES 1711 weiter entwickelten Methode werden auch Interpolationpolynome h6herer Ordnung integriert. Wir erwiihnen nur noch die bekannteste so gewonnene Quadraturformel, die Simpson-Regel, benannt nach TH. SIMPSON, der sie 1743 wieder entdeckte. Sie war aber bereits 1639 E. CAVALIERI und 1668 J. GREGORY bekannt (vgl. auch 2.3, Aufgabe 10). Dabei betrachtet man ein quadratisches Interpolationspolynom an den Stellen a, b und c = b und erhiilt (vgl. Aufgabe 8) fUr eine viermal stetig differenzierbare Funktion
at
l
a
b
f(x) dx
= -b-a (J(a) + 4f(c) + f(b)) + R 6
78
2. INTEGRALRECHNUNG
mit der erstaunlichen Restgliedabschiitzung
Zum Abschluss betrachten wir noch einmal die Summenformel von BERNOULLI, d.h.
und fragen, ob es auch fur andere Funktionen als die Potenzfunktionen f(x) = xm eine Formel fur L:~=l f(k) gibt. Wie L. EULER 1732 und C. MACLAURIN 1737 gezeigt haben, ist dies in der Tat der Fall. Urn die von ihnen bewiesene Summenformel formulieren zu konnen, benotigen wir die Bernoulli'schen Polynome B k , k ? 0, die definiert sind durch
Fur diese gilt offensichtlich
Bk(O)
= Bk = Bk(1)
und femer ist B 1(1)
und
= -Bl(O) = ~.
B~(x)
= kBk_1(X)
fur k? 2,
SchlieBlich set zen wir noch
Euler-Maclaurin 'sche Summenformel
Fur natiirliche Zahlen m Funktion f auf [m, n] gilt n
L
j=m
f(j)
r
'h(X))2 dx fur>. E JR, wobei man ohne Einschrankung I: h(x)2 dx > 0 annehmen darf. HierfUr erhalt man durch Ausmultiplizieren
0::;; lb (g(x) - >'h(x)) 2 dx lb g(X)2 dx + >.2l bh(X)2 dx - 2>.lb g(x)h(x) dx
84
2. INTEGRALRECHNUNG
I:
I:
I:
und, wenn man A = g(x)h(x) dx/ h(x)2 dx setzt und mit h(X)2 dx durchmultipliziert, die Behauptung. Die Ungleichung wurde 1885 von H.A. SCHWARZ benutzt, aber bereits 1859 von V.J. BUNJAKOWSKI bewiesen, eine analoge Ungleichung fur endliche Summen stammt von A.-L. CAUCHY. In der Funktionalanalysis bildet sie zusammen mit dem Orthogonalitiitsbegriff, der im niichsten Abschnitt im Zusammenhang mit Fourier-Reihen eine wichtige Rolle spielt, einen der Grundpfeiler der Theorie der Hilbert-Riiume, wobei sie in abstrakter Form fUr ein Skalarprodukt formuliert wird. Damit wird es moglich, trotz der ansonsten abstrakten Begriffsbildung eine geometrische Terminologie einzufuhren, die viele Gedankengiinge durchsichtiger macht, da sie sich eng an die euklidische Geometrie anlehnt. 7. Ublicherweise wird die Logarithmusfunktion als Umkehrfunktion der Exponentialfunktion erkliirt. Wir haben dies implizit oben benutzt: Fur jedes b > 0 ist log b = limh--to i(b h - 1), da bh = e h10g b. Dabei wird die Ableitung der Exponentialfunktion in 0 benutzt. Beginnt man die Infinitesimalrechnung mit der Integralrechnung, so kann man umgekehrt den Logarithmus auch durch log x = L(x) = x dt fUr x > 0 definieren. Um dies einzusehen, zeige man im einzelnen:
Il t
= IxXY t dt. Fur x, y > 0 gilt L(xy) = L(x) + L(y), insbesondere L(~) = -L(x).
(a) Fur y > 0 gilt L(y) (b)
(c) Fur x> 0 gilt L(x) :::; x-I, d.h., List insbesondere stetig. (d) Es gibt eine Zahl e
> 0 mit L(e)
= l.
Folgern Sie daraus: Fur x> 0 gilt L(e X ) = x, d.h. L(x) = loge x. dass es sich bei e um die Euler'sche Zahl handelt, kann hier nicht gefolgert werden. Hinweis: Man zeige mittels (b) zuniichst L(xn) damit L(x p / q ) = ~L(x) fur ~ E 1Ql.
= nL(x)
fUr x
> 0 und n E Z sowie
8. Leiten Sie die Simpson-Regel her und beweisen sie die Restgliedabschiitzung dafur sowie die der summierten Trapezregeln. Hinweis: Zur Restgliedabschiitzung bei der Simpson-Regel betrachte man fur x E (a, b) mit x -I- c das kubische Interpolationspolynom
Px(t) = f(a) (t - x)(t - b)(t - c) + f(x) (t - a)(t - b)(t - c) ~-~~-0~-~
~-~~-0~-~
+ f(c) (t - a)(t - x)(t - b) + f(b) (t - a)(t - x)(t - c) (c - a)(c - x)(c - b)
(b - a)(b - x)(b - c)
und die Hilfsfunktion
g(t)
= f(t)
- Px(t) - r(x)(t - x)(t - a)(t - b)(t - c).
Literaturhinweise [Arc] Archimedes: Werke, dt. von A. Czwalina, F. Rudio & J.L. Heiberg, Wiss. Buchges., Darmstadt, 1963 Die Ausgabe enthiilt aile erhaltenen Werke von ARCHIMEDES in deutscher Ubersetzung. Die von Czwalina ins Deutsche iibertragenen Arbeiten wurden urn 1900 als Ostwalds Klassiker veroffentlicht. Sie sind zusarnrnengefasst in Abhandlungen, Ostwalds Klassiker, Band 201, erschienen irn Rarri Deutsch Verlag, Frankfurt a.M., 1996
2.1 QUADRATUR UND INTEGRATION
85
[Edw] Edwards, C.H.: The Historical Development of the Calculus, Springer, New York, 1979 Ausfiihrliche Darstellung der Geschichte der Analysis von den Anflingen bis ins 20. Jahrhundert (Nichtstandard-Analysis)
[Fuh] Fuhrer, L.: Zum Gehalt der elementaren Integralrechnung in ideengeschichtlicher Sicht, MU 1981, Heft 5, 7-60 Ausgezeichneter Uberblick uber die Entwicklung der (geometrischen) Integralrechnung, der den moglichen Einsatz der genetischen Methode von TOEPLITZ im Unterricht unterstutzt.
[HaS] Hasse, H., Scholz, H.: Die Grundlagenkrisis der Griechischen Mathematik, PanVerlag Kurt Metzner, Berlin-Charlottenburg, 1928 Die Autoren untersuchen, wieso die Griechen die irrationalen Zahlen nicht einfiihren konnten bzw. nicht einfiihren wollten.
[Kep] Kepler, J.: Neue Stereometrie der Fusser, dt. von R. Klug, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. Nr. 165, Akad. Verlagsges., Leipzig, 1987 (Neudruck) Dies ist ein Auszug aus "Nova Stereometria doliorum vinariorum" in deutscher Ubersetzung, wobei der nichtmathematische Teil ganz und im mathematischen leider die Beweise weggelassen worden sind (siehe dazu unten [WieJ). Von dem praktischen Teil hat KEPLER allerdings selbst einen Auszug in "deutscher" Sprache veroffentlicht - man findet ihn in seinen gesammelten Werken.
[Scr] Scriba, C.J.: Welche Kreismonde sind elementar quadrierbar? Die 2400juhrige Geschichte eines Problems bis zur endgultigen Losung in den Jahren 1933/1947, Mitteil. Math. Gesell. Hamburg 11 (1988) Heft 5, 517 - 539 Der Autor schildert ausfiihrlich das genannte Problem. Er zahlt es zusammen mit den drei bekannteren Konstruktionsproblemen (siehe Abschnitt 3.1) zu den klassischen Problemen. In diesem grofieren Zusammenhang wird es vom selben Autor auch in dem Artikel On the So-called 'Classical Problems' in the History of Mathematics in Cahier d'Histoire & de Philosophie des Sciences No. 21, 1981, pp. 73-99 behandelt.
[vdW] van der Waerden, B.L.: Erwachende WissenschaJt, Birkhauser, Basel, 1956 Das Buch ist eine meisterhafte Darstellung der vorgriechischen und insbesondere der griechischen Mathematik. In einem zweiten Band hat der Autor auch "Die Anfange der Astronomie" beschrieben. Ferner ist von ihm das Buch Die Pythagorer, Artemis, Zurich, 1979, erschienen, in dem er nicht nur die mathematischen Leistungen dieser Bruderschaft wtirdigt, sondern auch deren religiose und philosophische Vorstellungen vermittelt. In seinem letzten Buch Geometry and Algebra in Ancient Civilisations, Springer, Berlin, 1983, hat er neuere Kenntnisse tiber die Geschichte der antiken Mathematik vorgestellt, insbesondere den altindischen Einfluss auf die griechische Mathematik.
[Wail Waismann, F.: Einfiihrung in das mathematische Denken, dtv, Miinchen, 1970 3 Allgemein verstandliche Einfiihrung in die Grundbegriffe der Analysis, insbesondere den Zahlbegriff, von einem Vertreter des "Wiener Kreises".
[Wie] Wieleitner, H.: Keplers "Archimedische Stereometrie", Unterrichtsbl. f. Math. u. Naturw. 36 (1930), 176-185 und Uber Keplers "Neue Stereometrie der Fusser", KeplerFestschrift 1. Teil (Hrsg. K. StOckl), 279-313, Regensburg, 1930 Der Autor gibt eine detaillierte Beschreibung des oben zitierten Werks, wobei die in der deutschen Ubersetzung fehlenden Beweise zum Teil erganzt und kommentiert werden.
86
2.2
2. INTEGRALRECHNUNG
Bogenlange und Windungszahlen Der bequemste Weg zur Rektifikation der Kurven ist ... der, dass man das Integral aus der Quadratwurzel der Quadratsumme von dx und dy nimmt. Diese Methode lasst sich aber nur bei solchen Kurven bequem anwenden, deren Natur durch eine Relation der Ordinaten zu den Abzissen gegeben ist. ~ Johann Bernoulli
Der Begriff der Bogenliinge, den wir in diesem Abschnitt einfiihren wollen, griindet sich auf den Satz des Pythagoras. Mit diesem kann man im Rahmen der analytischen Geometrie die Lange einer Strecke zwischen zwei Punkten durch deren Koordinatendifferenzen ausdriicken. Dies lag bereits den Uberlegungen im Abschnitt 1.1 zugrunde, d.h. der Berechnung der Lange der Diagonale im Quadrat oder beim regelmaBigen Fiinfeck. Man definiert dann die (Bogen-)Lange eines Polygonzugs als die Summe der Langen der einzelnen Strecken, aus denen er zusammengesetzt ist. Urn dies an einem einfachen Beispiel zu erlautern, beginnen wir noch einmal mit dem regelmaBigen Zehneck der Seitenlange 810, einbeschrieben in einen Kreis vom Radius r = 1.
o
B=(l,O)
Fig. 2.10 Hier ist a
= 36°, und aufgrund der A.hnlichkeit der eingezeichneten Dreiecke gilt 1 810
810
1-
810'
also 810 = ~ (v's -1) = 9 -1. Das Zehneck ist also konstruierbar und dieselbe Konstruktion liefert sofort auch das regelmaBige Fiinfeck. Am einfachsten ist die Konstruktion des regelmaBigen Sechsecks. Dazu tragt man auf der Kreisperipherie mit einem Zirkel nacheinander (insgesamt fiinfmal) den Kreisradius r abo Die Seitenlange ist also gleich 86 = r = 1. Sofort erhalt man daraus das regelmaBige (d.h. gleichseitige) Dreieck. Umgekehrt erhalt man aus einem bereits konstruierten regelmaBigen n-Eck das regelmaBige 2n-Eck durch Halbieren der Seiten und der dazugehorigen KreisbOgen. Insbesondere konnen wir also ausgehend vom Durchmesser, dem "regelmaBigen Zweieck" wie ANTIPHON durch fortgesetzte Halbierung das regelmaBige 2n -Eck konstruieren. Sein Umfang, d.h. die Lange des geschlossenen Polygonzuges, ist dann gegeben durch E 2 n = 2n 82n. Wir wollen hier ARCHIMEDES folgend eine Beziehung zwischen den Seitenlangen 8 n und 82n herleiten und zeigen, wie man damit den Umfang des Einheitskreises durch Polygonapproximation bestimmen kann.
87
2.2 BOGENLANGE UND WINDUNGSZAHLEN 1st
Sn
die Seitenlange des n-Ecks, so gilt
denn es ist DE = 2DC, also
S2n
.6.ABD -2-2-2-
= DB und AB = 2. Es folgt
-- 1-=1 -BD·AD = -AB·CD 2 2
wegen AD = AB -DB, AB = 2,
S2n
-
= BD und
Sn
-
= 2CD, und daher
Nach Lasung dieser quadratischen Gleichung fUr s~n folgt die Behauptung. Mit S4 erhalten wir sukzessive fUr n ~ 3
mit insgesamt n - 1 Quadratwurzeln und damit E 2 n 2n-Ecks.
=
= J2
2n S2n als den Umfang des
Analog betrachtet man wie BRYSON das umbeschriebene n-Eck mit der Seitenlange tn und dem Umfang Un = ntn. Eine ahnliche Rechnung liefert dann fUr die Seiten der umbeschriebenen regelmaBigen 2n-Ecke die Langen 2tn
A~--------~------~r-~
E
Fig. 2.11 Wir wollen nun En und Un vergleichen. Es ist
88
2. INTEGRALRECHNUNG
Eine genauere Abschatzung erhalten wir wie folgt. Die Flache AOB'D ist gegeben durch
AOB'D=!.I.!t =!/l+(tn)2.Sn 2 2 n 2V 2 2' d.h.
s~,(1 + !,f.)
=
t;, und damit E~ (1 + ~) = U~, so dass E n - Jl
0 konstant ist. Setzt man hier x = r cos r.p und y = r sin r.p, so erhalt man sofort die Polarkoordinatendarstellung r
3asinr.pcosr.p = -.,,------'-----'-sin3 r.p + cos 3 r.p
Eine Parameterdarstellungc(t), t E (-1,00) bzw. t E (-00,-1), erhalt man, indem man t = ~ substituiert. Es folgt dann sehr leicht durch Aufi6sen nach x bzw. y fUr die beiden Komponenten:
Cl(t)
3~
= -1+t -3
und C2(t)
3a~
= -1+t -3'
Damit k6nnen wir den Flacheninhalt F des Blattes berechnen. Man muss 0 wahlen und erhalt nach einfacher Rechnung F
1
roo
= "210
9a 2 t 2 (1 + t3)2 dt
3
= "2a 2
1
00
1
du u 2 du
~
t ~ 00
3
= "2 a2 .
Die Quadratur des cartesischen Blattes gelang P. DE FERMAT 1657, wobei er bereits die Methode der partiellen Integration benutzte. Auf geometrischem Weg fand eRR. HUYGENS 1692 den Flacheninhalt. In einem Brief an L'HosPITAL schrieb er (hier ist n = 3a): Ich finde den Flacheninhalt des Blattes ABC H als AC.
inn oder als ~ des Quadrates des Durchmessers
Er weist dabei auch auf die wahre Gestalt der Kurve hin (siehe Fig. 2.16), die DESCARTES falschlicherweise als mehrblattrig annahm.
Fig. 2.16
2.2 BOGENLANGE UND WINDUNGSZAHLEN
95
1st eine Kurve in Polarkoordinaten gegeben durch r = f(ip) ~ 0, a ~ ip ~ {3, mit stiickweise stetig differenzierbarem f, so erhalt man sogleich auch die
Leibniz'sche Sektorformel in Polarkoordinaten Fur die durch die Kurve und die Strahlen ip = a und ip = {3 begrenzte FHiche gilt 1 r~
F
F=
~
f(ip? dip.
= ip hat man die Parametrisierung c(t) = (r(t) cos t, r(t) sin t), und es folgt
f:
Denn mit t
= "21a
(rcost(rsint + rcost) - rsint(rcost - rsint)) dt =
~
f:
r(t? dt.
In dieser Form wurde die Sektorformel bereits 1668 von J. GREGORY und 1670 von I. BARROW benutzt. Die Bogenlangen weiterer spezieller Kurven bzw. die Inhalte der davon umschlossenen Flachen sollen in den Ubungsaufgaben bestimmt werden. An dieser Stelle wollen wir noch auf ein klassisches Problem eingehen, die isoperimetrische Aufgabe der sagenhaften Konigin DIDO, der Grunderin von Karthago, die bei der Ansiedlung in Nordafrika soviel Land erwerben konnte, wie man mit einer Ochsenhaut umspannen kann. Sie lieB die Haut in Streifen schneiden, zu einem langen geschlossenen Seil zusammenknupfen und dieses in moglichst gunstiger Form auslegen (siehe [HTJ). Gesucht ist also eine geschlossene Kurve, die bei gegebener Lange den groBten Flacheninhalt einschlieBt. Man weiB schon lange, dass es sich bei einer solchen Kurve nur urn einen Kreis handeln kann. Ein "Beweis" geht zuruck auf ZENODOROS, einen anderen, anschaulich einsichtigen hat 1836 J. STEINER gegeben; siehe [Pol]. STEINERS geometrischen Uberlegungen zeigen aber nur, dass fUr eine Kurve, die kein Kreis ist, der Flacheninhalt nicht optimal ist und durch geeignete Variation noch vergroBert werden kann. Wie Beispiele von Variationsaufgaben von WEIERSTASS zeigen, ist es aber nicht ohne weiteres klar, ob uberhaupt eine Losung des Problems existiert. Dies stellte erst H.A. SCHWARZ 1884 sicher. Wir geben hier einen einfachen Beweis, des sen Grundidee von A. HURWITZ (1901) stammt.
Adolf Hurwitz * 26.3.1859 Hildesheim / t 18.11.1919 Zurich studierte in Miinchen, Berlin und Leibzig, 1882 Privatdozent in Gottingen, 1884 Professor in Konigsberg, 1892 Professor fUr Hohere Mathematik am Polytechnikum in Zurich. Neben analytischen Fragestellungen, etwa im Bereich der Differentialgleichungen und der Funktionentheorie, speziell der elliptischen Funktionen, beschaftigte er sich besonders mit geometrischen und zahlentheoretischen Problemen (Kettenbriiche, diophantische Gleichungen) .
96
2. INTEGRALRECHNUNG
Als mogliche geschlossene Kurven c = Cl + iC2 wollen wir dabei aIle stetig differenzierbaren zugelassen. Man kann aber zeigen, dass dabei keine Kurven verloren gehen, das isoperimetrische Problem also in der Tat gelost wird. Wie in [SzN] gezeigt wird, liisst der folgende Beweis in der Tat auch aIle stetigen geschlossenen Kurven zu, fUr die uberhaupt eine Bogenliinge erkliirt werden kann; man benotigt dann jedoch weit stiirkere Hilfsmittel der Analysis. Die Bogenliinge L = L(c) = I021[ Ic(t)1 dt ist also fur alle in Frage kommenden Kurven konstant, wiihrend der gesuchte Fliicheninhalt
maximiert werden soIl. Eventuell nach Umparametrisierung oder ausgehend von der Parametrisierung nach der Bogenliinge s und der Substitution t = 2;: s, konnen wir ferner
annehmen, so dass
wird, wobei an = 2~ I~1[ c(t)e- int dt, nEZ, die Fourier-KoeJfizienten von c bezeichnen, bzw. ina n , nEZ, die der stetigen Funktion c. Beachte dabei, dass nach partieller Integration und aufgrund der 27r-Periodizitiit -1 27r
1
2 1[
0
c(t)e- mt dt = -in 27r .
1
2 1[
0
c(t)e- mt dt = ina n .
gilt. Ferner haben wir die Parsevalsche Identitiit benutzt, die wir sogleich beweisen werden. Fur eine stetige 27r-periodische Funktion f mit den Fourier-Koeffizienten an ist dies die Beziehung
(P) und fur eine weitere solche Funktion g mit den Fourier-Koeffizienten bn , n E N, gilt allgemeiner 2 1[ 1 _ 27r in f(t) g(t) dt = Lan bn , nEZ o
r
wie man leicht mit Hilfe der Polarisierungs-Identitiit
zw = ~(Iz + wl 2 +
*+
iwl2 -Iz - wl 2 -
fUr komplexe Zahlen z, w erhiilt. Es folgt also
*-
iwl2)
97
2.2 BOGENLANGE UND WINDUNGSZAHLEN Da fUr n E Z stets n 2
-
n ~ 0 gilt, folgt daraus sofort
Die Isoperimetrische U ngleichung
L2 ~ 4nP.
Ferner sieht man, dass Gleichheit nur eintreten kann, wenn an = 0 fUr n f- 0,1. In diesem Fall ist c von der Form c( t) = ao + al eit , 0 ::;; t ::;; 21f, d.h. die Parametrisierung eines Kreises. Wir mUssen noch die Parseval'sche Identitat (P) fUr eine stetige 21f-periodische Funktion fund die zugehOrigen Fourier-Koeffizienten an beweisen. Wir bemerken zunachst, dass die Reihe in (P) tatsachlich konvergiert, denn fUr jedes N E N gilt die so genannte Bessel'sche Ungleichung
Das wesentliche Hilfsmittel fUr alle Rechnungen in der Theorie der Fourier-Reihen sind die Orthogonalitiitsrelationen
~ {2Tr ei(n-m)t 21f
Jo
dt
= tJnm ,
die oft nach L. EULER benannt werden. Sie lassen sich leicht verifizieren. Sind nun bn E ee, Inl ::;; N, beliebig, so folgt aufgrund der Orthogonalitatsrelationen und der Definition der Fourier-Koeffizienten
insbesondere fUr bn = an also die Bessel'sche Ungleichung. 1st f selbst eine endliche Fourier-Reihe, so gilt die Parseval'sche Identitat, wie man leicht mit Hilfe der Orthogonalitatsrelationen zeigt. Eine beliebige 21f-periodische Funktion f k6nnen wir nach
98
2. INTEGRALRECHNUNG
WEIERSTRASS durch eine endliche Fourier-Reihe g(t) = L:lnl~N bneint gleichmaBig approximieren, d.h. zu vorgegebenem c > 0 existiert ein solches 9 mit If(t) - g(t)1 ~ c fUr 0 ~ t ~ 27f. Es folgt daher 1
o~
27f
~
27f
1
10r
If(tW dt -
10r
If(t)12 dt +
27r
o
27r
L
lanl2
L
Ibn - anl2 -
Inl~N
Inl~N
~ 2~ 127r V(t) - L o
= 27f1 10r
27r
L
lanl2
Inl~N
bneint/2 dt
Inl~N
If(t) - g(t)12 dt ~ c 2
und damit ebenfalls die Behauptung. Wie wir schon angedeutet haben, stellt das isoperimetrische Problem eine Variationsaufgabe dar. Fur deren Losung benotigt man in der Regel analytische Methoden, auf die wir hier nicht eingehen konnen; siehe dazu etwa [eR]. Wir wollen aber zumindest einige verwandte Probleme nennen, die meist physikalischer Natur sind. So hat LORD RAYLEIGH 1877 vermutet, dass von allen schwingenden homogenen Membranen gleichen Flacheninhalts die kreisformige den tiefsten Grundton erzeugt. Er ist durch viele Versuche mit nahezu kreisfOrmigen Membranen darauf gekommen, konnte es aber nicht beweisen. Erst 1923/24 haben G. FABER und E. KRAHN einen Beweis dafiir erbracht. Die isoperimetrische Ungleichung lOst naturlich auch die Aufgabe die Kurve kurzesten Umfangs zu finden, die einen gegebenen Flacheninhalt umschlieBt. Wir wollen nun die Windungszahl (oder den Index) bzgl. 0 fUr eine geschlossene Kurve c: [a, b] --+ ~2 \ {O} definieren. Da 0 rt c([a, b]) gilt, ist deren Radialprojektion auf den Einheitskreis wohldefiniert: f: [a,b]--+ 51 = {x E ~2 Illxll = I} = {z E 0, so dass
gilt. Genauer wollen wir ein Anfangswertproblem lasen, d.h. wir suchen eine stetig differenzierbare Funktion u: [a,b]-+ ~ mit u(t) = I(t,u(t)), t E [a,b], deren Graph durch einen vorgegebenen Punkt (to, xo) E [a, b] x ~ verlauft, also u(to) = Xo erfiillt.
Satz von Picard-Lindelof Geniigt die stetige Funktion 1 : [a, b] x ~ -+ ~ einer LipschitzBedingung bzgl. der zweiten Variablen, so besitzt das Anfangswertproblem x = I(t,x), x(to) = Xo genau eine Lasung.
Zum Beweis konstruiert man sukzessive eine Folge stetig differenzierbarer Funktionen und zeigt, dass diese gleichmaBig gegen die gesuchte Lasung konvergiert. Man beginnt mit uo(t) == Xo und setzt fiir n E N
Un(t)
= Xo + it I(S,Un-I(S))
ds, t E [a,b].
to
Offensichtlich ist Un stetig differenzierbar, und es gilt
IUn+1 (t) - un(t)1
~ it II(s, un(s)) to
~ Lft Iun(s) -
I(s, Un-I (s)) I ds
Un-l(s)1 ds
to
~
flir
to < t.
Lit -
Wahlt man a > 0 mit q
tol
sup Iun(s) - un-l(s)1
to";;s";;t
= La
< 1, so folgt auf dem Intervall 1+
[a, b] n [to, to + a] die gleichmaBige Abschatzung
wobei Ilu n - un-III = SUPtEI Iun(t) - un-l(t)1 gesetzt ist. Dieselbe Abschatzung gilt auch auf dem Intervall L = [a, b] n [to - a, to], insgesamt also auf I = 1+ UL. Induktiv folgt dann
Ilun+m - unll ~ Ilun+m - un+m-Ill + ... + IIUn+1 - unll ~ (qm + ... + q)llu n - un-III ~ qn-I(qm + ... + q)lluI n 1 - qm
= q -l--lluI - uoll· -q
- uoll
126
2. INTEGRALRECHNUNG
Daher ist Un eine gleichmafiige Cauchy-Folge, die nach einem bekannten Satz gegen eine stetige Funktion u : 1-+ R konvergiert. Es gilt dann
u(t)
= n--+oo lim un(t) = Xo + lim n-too = Xo +
It
It to
f(s,un(s)) ds
lim f(s,un(s)) ds
~n~oo
= Xo +
It ~
f(s,u(s)) ds,
so dass u insbesondere stetig differenzierbar ist, und damit, wie man durch Ableiten leicht bestatigt, auf dem Intervall I der Differentialgleichung genugt. Man erhalt eine eindeutige Lasung auf [a, b], indem man das Ausgangsintervall [a, b] in Teilintervalle der Lange ~ 2a zerlegt und sukzessive die Lasungen geeigneter Anfangswertprobleme aneinander setzt.
Bemerkungen 1. Man kann den Satz auch fur Funktionen f : [a, b] x [e, d] -+ R beweisen. Der Beweis wird dann etwas technischer. Ferner lasst er sich leicht auf ein Differentialgleichungssystem ubertragen. Dabei sind u und f durch vektorwertige Funktionen zu ersetzen und die Betrage I . I jeweils durch den euklidischen Abstand. 2. Die Beweismethode der sukzessiven Approximation wird in der Regel nach E. PICARD (1890) und E. LINDELOF (1894) benannt, wurde aber auch schon 1830 von J. LIOUVILLE benutzt. Sie liefert auch den Fixpunktsatz von S. BANACH (1920) fur eine kontrahierende Selbstabbildung 9 eines vollstandigen metrischen Raums X (mit der Metrik d): Zu 9 : X -+ X mit d(g(x),g(y)) ~ qd(x,y), x,y E X, fur ein 0 ~ q < 1, existiert genau ein Xo E X mit g(xo) = Xo. 3. Ein anderer konstruktiver Beweis geht zuruck auf L. EULER (1768), der die gesuchte Lasung durch Polygonzuge approximierte, deren Steigungen auf den einzelnen Teilintervallen jeweils durch den Wert von f im linken Intervallendpunkt bestimmt sind:
c lR offene Intervalle, (to, xo) E I x J, und f : I x J -+ lR sei stetig. 1st [to, to + a] C I und to < t1 < ... < tn = to + a eine Zerlegung, so wird ein Euler'seher Polygonzug definiert durch die stuckweise affin-lineare Funktion U z mit
Es seien I, J
= Xo + (t - to)f(to,xo), to ~ t ~ iI, uz(t) = u(tj) + (t - tj)f(tj,u(tj)), tj ~ t ~ tj+l' j uz(t)
= 0, ... ,n-1.
Fig. 2.36
127
2.4 GEWOHNLICHE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN
Die Fig. 2.36 zeigt (mit unterschiedlicher Skalierung der Achsen) die Lasung u(t) = t 2 der einfachen Differentialgleichung ::i; = 2t sowie zwei Euler'sche Polygonzuge Ul bzw. U2 zu den aquidistanten Zerlegungen Zl = {O, 0.75, 1.5} bzw. Z2 = {O, 0.3, ... , 1.5}. Indem man die Zerlegungen immer feiner wahlt, erhalt man eine Folge Un von Polygonzugen, die, wie A.-L. CAUCHY 1824 (unter etwas starkeren Voraussetzungen, R. LIPSCHITZ 1876 unter den angegebenen) in seinen Vorlesungen gezeigt hat, gegen die Lasung U konvergiert. Dieses Verfahren ist sogar fur numerische Zwecke geeignet und entspricht der Quadratur mittels Trapezregel. Setzt man nur die Stetigkeit von f voraus, so lasst sich immer noch die Existenz einer Lasung zeigen (G. PEANO (1886)). Diese ist aber i.a. nicht eindeutig bestimmt, und sie kann auch nicht konstruktiv gewonnen werden. Fur weitere Einzelheiten verweisen wir auf [Ama]. Das Ziel der Mathematiker des 18. Jahrhunderts war es, Differentialgleichungen maglichst durch Quadratur zu integrieren, d.h. die Lasungen in "geschlossener Form" durch Integrale elementarer Funktionen auszudrucken. Dabei versteht man unter den elementaren Funktionen all diejenigen, die sich mittels algebraischer Operationen (inklusive Wurzelziehen) aus Polynomen, trigonometrischen Funktionen sowie Exponentialfunktion und Logarithmen zusammensetzen lassen. Wir haben oben bemerkt, und J. LIOUVILLE hat dies 1835 bewiesen, dass die elliptischen Integrale nicht zu den elementaren Funktionen gehOren. Die einfachste Differentialgleichung, die sich (ebenfalls nach LIOUVILLE (1841)) nicht durch Quadratur lasen lasst, ist y' = x 2 + y2. An dieser haben sich schon die Gebruder BERNOULLI 1694 vergeblich versucht. Als Ausweg hat JAKOB BERNOULLI 1703 den Weg uber Potenzreihenansatz gewahlt. Mit der formalen Potenzreihe y(x) = L:~=o anx n erhielt er durch Einsetzen und Koeffizientenvergleich die allgemeine Lasung x3
y(x)
=3
2xll + 3.3.7 + 3·3·3·7 ·11 X7
13x 15 + 3·3·3·3·5·7·7.11
+ ....
Heute kann man diese Funktion mit Hilfe von so genannten Bessel-Funktionen ausdrucken, die ihrerseits durch Potenzreihen definiert sind. Die nach F. W. BESSEL benannten Funktionen treten unter anderem bei zweidimensionalen Schwingungsproblemen, genauer bei schwingenden kreisfarmigen Membranen, auf und spielen somit eine ahnliche Rolle in der Physik wie die trigonometrischen Funktionen, die die schwingende Saite beschreiben. Mehr dazu findet man etwa in [Heu]. Aufgaben
1. Zeigen Sie, dass durch die Gleichung r(t) = k(H~":l:e(t)) fur 0 < E < 1 eine Ellipse, fur E = 1 eine Parabel und fUr E > 1 ein Hyperbelast beschrieben wird. 1m Fall der Ellipse bestimme man die jeweiligen Halbachsen. 2. Es seien I C lE. ein Intervall und a, b : I -+ lE. stetige Funktionen. Fur die inhomogene lineare Differentialgleichung ::i;
+ a(t)x = b(t)
leite man eine allgemeine Losungsformel her. Dazu benutze man zunachst im homogenen Fall b = 0 die Methode der Trennung der Veranderlichen und im allgemeinen Fall
128
2. INTEGRALRECHNUNG
die Methode der Variation der Konstanten. Das heifit, mit einer nicht trivialen Lasung u der homogenen Gleichung setze man eine Lasung der Form v(t) = c(t)u(t) an. (Die erste Methode findet man schon in den Veraffentlichungen von G.W. LEIBNIZ zur Differential- und Integralrechnung (siehe [Lei]) sowie in den Notizen [Ber] von JOH. BERNOULLI aus den Jahren 1691/92, die dem ersten Lehrbuch zur Analysis, der "Analyse des infiniment petits" von G.F .A. DE L'HoSPITAL (1696), zugrunde lagen. Die zweite Methode wurde - im vorliegenden Beispiel - ebenfalls zuerst von J OH. BERNOULLI 1697 angewandt. Sie wird heute oft J .-L. LAGRANGE zugesprochen, der sie in allgemeineren Situationen benutzte.) 3. Fur a, b E R betrachte man die homogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung + + bx = O.
x ax
Man bestimme alle Lasungen durch einen Ansatz (nach L. EULER) der Form u(t) c(t)e At mit>.. E C.
=
4. Zeigen Sie: Der harmonische Oszillator besitzt die Schwingungsdauer T = 27l'/f 5. Stellen Sie die Differentialgleichung auf, die die Traktrix aus Abschnitt 2.2, Aufgabe 6 als Lasung besitzt. Verfizieren Sie die dort angegebene Lasung.
Literaturhinweise [Ama] Amann, H.: Gewohnliche Differentialgleichungen, W. de Gruyter, Berlin, 1995 2 Eine Darstellung der modernen Theorie der gew6hnlichen DifferentiaIgleichungen (oder dynamischen Systeme), in der besonders der qualitative Aspekt betont wird.
[Arn] Arnol'd, V.I.: Huygens and Barrow, Newton and Hooke, Birkhauser, Basel, 1990 Der Autor beleuchtet die Hintergriinde, die zur Entdeckung des Gravitationsgesetzes gefiihrt haben. Dabei erflihrt man auch einiges iiber die Charaktere der beteiligten Person und die Auseinandersetzungen zwischen ihnen.
[Ber] Bernoulli, Joh.: Die erste Integralrechnung, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 194, dt. von G. Kowalewski, Akad. Verlagsges., Leipzig, 1914 Zusammen mit der "Differentialrechnung" von 1691/92 (Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 211, dt. von P. Schafheitlein, ebd. 1924) bilden diese Vorlesungsaufzeichnungen die Grundlage des oben erwahnten Analysisbuches von L'HoSPITAL.
[HW] Hairer, E., Wanner, G.: Analysis by its History, Springer, Berlin, 19972 Die Autoren versuchen die Analysis in ihrer historischen Entwicklung im Anschluss an NEWTON und LEIBNIZ darzustellen. Viele Aufgaben sind den OriginaIarbeiten der BERNOULLIS und EULERS entnommen und daher fiir den Studienanfanger teilweise zu anspruchsvoll.
[Heu] Heuser, H.: Gewohnliche Differentialgleichungen, Teubner, Stuttgart, 1991 2 Das Buch bietet die klassische Theorie der gew6hnlichen Differentialgleichungen, gewiirzt mit Beispielen aus den unterschiedlichsten Bereichen und allerlei Anekdoten.
[Lei] Leibniz, G.W.: Uber die Analysis des Unendlichen, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 162, dt. von G. Kowalewski, Akad. Verlagsges., Leipzig, 1908 (Nachdruck bei H. Deutsch, Frankfurt, 1996) Hiermit liegt (in deutscher Ubersetzung) eine Auswahl der wichtigsten Arbeiten LEIBNIzens zur Analysis vor. Sie sind fast aIle in der von ihm mit herausgegebenen Zeitschrift "Acta Eruditorum" erschienen. Der Nachdruck bei H. Deutsch, Frankfurt, 1996, enthlilt auch Band 164 NEWTONS "Abhandlung iiber die Quadratur von Kurven".
[Sim] Simmons, G.F.: Differential Equations with Applications and Historical Notes, McGraw-Hill, New York, 1972 Wie das vorige Buch zeichnet sich auch dieses vor allem durch seine historischen Anmerkungen aus.
Kapitel 3 Differentialrechnung 3.1
Ebene Kurven Multiply every Term of the Equation by the Index of the Power of each Quantity contained in that Term, and in each Multiplication change the Root of the Power into its Fluxion; and then the Aggregate of all the Products under their proper Signs will be the new Equation. - Isaac Newton
Der abstrakte F\mktionsbegriff ist erst relativ spat entstanden. Die erst en Ansatze findet man in philosophischer Sprache bei N. ORESME, der mathematische F\mktionsbegriff entwickelte sich im Anschluss an die Erfindung der analytischen Geometrie, und wurde zuerst 1673 von G.W. LEIBNIZ explizit formuliert. Aber auch danach wurden nur spezielle Klassen von Funktionen betrachtet, im wesentlichen die elementaren Funktion und solche, die sich in Form einer Potenzreihe oder eines parameterabhiingigen Integrals (wie etwa die Gamma-Funktion) darstellen lassen. Mit dem Studium der Fourier-Reihen entsteht dann bei L. EULER und ganz explizit 1837 bei P .G. LEJEUNE DIRICHLET die heute gebrauchliche allgemeine Definition der Funktion als eindeutige Zuordnungsvorschrift. Viel alter als der Begriff der Funktion ist der der Kurve. Kuryen traten schon in der Antike als geometrische Objekte auf, und man stellte sie sich als mechanisch erzeugt vor, etwa durch Bewegung eines Punktes. Zur Vereinfachung der Darstellung benutzen wir im folgenden die Sprache der analytischen Geometrie. Darin lassen sich die gebrauchlichsten ebenen Kurven in impliziter Form f(x,y) = 0 schreiben, wobei f ein Polynom in den Variablen x und y ist, also f(x, y)
=
L
akfxkyf
O~k+f~m
mit in der Regel ganzzahligen Koeffizienten akf (von LEIBNIZ algebraische K urven genannt). Die iiltesten Beispiele sind die Gerade y - ax - b = 0 und der Kreis x 2 + y2 _ r2 = O. Andere (algebraische) Kurven wurden bei der Beschiiftigung mit drei beruhmten klassischen Problemen entdeckt (vgl. [vdW] und [Kno]) , - dem delis chen Problem der Wurfelverdoppelung, - der Quadratur des Kreises und - der Dreiteilung eines beliebigen Winkels a. Man versuchte diese auf rein geometrischem Weg zu losen, wobei zur Konstruktion als Hilfsmittel nur Zirkel und Lineal zugelassen wurden. Damit erhalt man jedoch nur die Schnittpunkte von Geraden und Kreisen, und es zeigte sich bald, dass dies nicht ausreichte, urn die gestellten Probleme zu lOsen. Das erste liiuft auf die Losung der kubischen Gleichung x 3 - 2 = 0 hinaus, also die Konstruktion der Zahl ~, das zweite auf die Konstruktion der Zahl IT, und bei dem dritten muss man die Losung der kubischen Gleichung 4x 3 - 3x - c = 0 finden, die man mit (3 = x = cos(3 und c = cosa aus cos 3(3 = 4 cos3 (3 - 3 cos (3
I'
erhiilt. Obwohl der strenge Beweis fur die UnWsbarkeit dieser Probleme erst im 19. Jahrhundert gefunden wurde (ein direkter Beweis ohne tiefere algebraische Hilfsmittel ist in Aufgabe 9 skizziert), erahnten dies die Griechen bereits und behalfen sich mit H. Schröder, Wege zur Analysis © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2001
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
130
anderen Konstruktionen. MENAICHMOS (um 350 v.u.Z.), der angebliche Erfinder der Kegelschnitte, bestimmte die Schnittpunkte der Parabeln mit den Gleichungen y2 = 2x und x 2 = y. Diese fUhren nach Elimination von y auf die Gleichung 2x = X4 mit der positiven Lasung x = ?'2. Auch die Dreiteilung des Winkels konnte mit Kegelschnitten bewerkstelligt werden. Um 1070 erklarte der OMAR KHAYYAM wohl als erster, dass Gleichungen 3. Grades nicht mit Hilfe der Eigenschaften des Kreises, d.h. mit quadratischen Wurzeln ge15st werden kannen: Der Beweis dieser Arten kann nur mit Hilfe der Eigenschaften der Kegelschnitte erbracht werden.
Fur die Konstruktion der transzendenten Zahl 7r reichen diese und sogar h5here algebraische Kurven natiirlich nicht aus, aber sie gelingt mit Hilfe der Quadratix des HIPPIAS (um 425 v.u.Z.), einer transzendenten Kurve.
c
D
A
s
B
Fig. 3.1 Bewegt sich in dem Quadrat ABCD die Gerade DC mit konstanter Geschwindigkeit nach unten und dreht sich gleichzeitig der Strahl AD mit konstanter Winkelgeschwindigkeit, so beschreibt der Schnittpunkt Q = (x, y) = (r, 'P) eine Kurve, die Quadratix. Hier ist also y proportional zu 'P. HIPPIAS gelang damit die Dreiteilung des Winkels, denn man muss bei gegebenem 'P nur die zugeh6rige Strecke y dritteln. Dazu musste man jedoch die Kurve bereits konstruiert haben. Dies gelingt jedoch nur fUr einzelne Kurvenpunkte, etwa indem man den Winkel 'P = 'i sukzessive halbiert und entsprechend die Strecke BC = 1. dass mit der Quadratix auch die Quadratur des Kreises gelingt, hat DEINOSTRATOS (um 350 v.u.Z.) erkannt. 1st BC = 1, so entspricht y = 1 dem Wert 'P = ~. Dann folgt aber
y= xtan'P = xtan (~y)
bzw.
2 'P r=--7r sin 'P '
und fur 'P ~ 0 wird x = AS = ~. Andere klassische Kurven sind die Kissoide des DIOKLES (Efeukurve) mit der Gleichung y2(2a - x) - x 3 = 0 bzw.
r
= 2asin'Ptan'P,
die dieser urn 180 v.u.Z. zur Wiirfelverdopplung benutzte, Bowie die Konchoide (Muschelkurve) des NIKOMEDES (um 1&0 v.u.Z.) mit der Gleichung ( r _ _ a_)2
cos'P
= b2,
131
3.1 EBENE KURVEN
die ebenfalls zur Wurfelverdoppelung aber auch zur Winkeldreiteilung benutzt wurde (siehe hierzu [vdW] oder [Yah]). Die Namen leiten sich ab von dem Efeublatt bzw. der Muschel, die man in den Kurven erkennen kann.
a+b
x
Konchoide
Kissoide
Fig. 3.2 Zur Wurfelverdopplung bestimmt man den Schnittpunkt der Kissoide mit der Geraden durch (0, a) und (2a, 0). Dafur gilt nach dem Strahlensatz
und fUr einen Wurfel der Kantenlange y hat der Wurfel mit doppeltem Volumen die Kantenlange x = {fiy. Mit der Kissoide verwandt ist die Strophoide (x
+ a)x 2 + (x -
a)y2
= O.
Man erhiilt beide offensichtlich als Sonderfalle der Gleichung (x
+ b)x 2 + (x -
a)y2
= O.
Spater wurden ganze Familien von Kurven untersucht, die nach ahnlichen Prinzipen konstruiert werden k5nnen und daher als Kissoiden bzw. Konchoiden bezeichnet werden. Wir erwahnen hier nur noch die Epizyklen, die HIPPARCHOS (um 130 v.u.Z.) und K. PTOLEMAIOS (um 150) zur Beschreibung der Planetenbahnen benutzten. Sie gehOren wie die Zykloiden und die Hypozykloiden zu den Radkurven und entstehen als Bahnkurve eines Punktes, der sich auf einer Radspeiche befindet (oder auf deren Verlangerung), wenn man dieses auf einer Geraden (Zykloide) oder im Innern (Hypozykloide) bzw. AuBeren (Epizykloide) eines Kreises gleitfrei abrollt. Zahlreiche andere Kurven wurden im 17. Jahrhundert entdeckt, als man begann analytische Hilfsmittel einzusetzen (siehe [Lor] und [SD] sowie [Gra] fur viele computergenerierte Bilder).
132
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Fig. 3.3 Ein besonders sch6nes Beispiel liefern die Cassini'schen Kurven, die sich der Astronom G.D. CASSINI 1680 ausdachte, urn "die wahren Bewegungen der Sonne und ihre verschiedenen Entfernungen von der Erde" zu veranschaulichen:
Fig. 3.4 Sie bestehen aus all den Punkten, fUr die das Produkt der Abstande von den Brennpunkten (-a, 0) und (a,O) konstant gleich c2 ist. Sie enthalten insbesondere fUr a = c = 1 die Lemniskate von JAKOB BERNOULLI, die wir schon im vorigen Kapitel (2.2, Aufgabe 4) kennen gelernt haben. In diesem Abschnitt wollen wir herausfinden, wie man mit Hilfe der Differentialrechnung die Gestalt solcher Kurven genauer ermitteln kann. Ein Problem, das schon lange vor der Erfindung der Differentialrechnung untersucht wurde, ist das "Tangentenproblem". Fur eine gegebene Kurve ist in jedem Punkt die Tangente an die Kurve zu bestimmen, d.h. die Gerade, die in der Nahe des gegebenen Punktes keine weiteren Schnittpunkte mit der Kurve besitzt. 1m Fall der Kegelschnitte wurde dieses Problem bereits im Altertum auf geometrischem Weg ge16st. Fur den Kreis ist die Konstruktion der Tangente einfach: Sie steht senkrecht auf der Geraden durch den gegebenen
133
3.1 EBENE KURVEN
Punkt und den Kreismittelpunkt. 1m Fall der Ellipse, die als geometriseher Ort aller Punkte gegeben ist, fur die die Summe der Abstande von zwei festen Punkten, den Brennpunkten der Ellipse, konstant ist, nutzt man aus, dass die Tangente mit den Verbindungslinien des Punktes und den Brennpunkten gleiehe Winkel bildet.
Fig. 3.5
Urn dies einzusehen, betraehten wir die Tangente als bereits gegeben. Dann besitzt von allen Punkten der Tangente der Beruhrpunkt mit der Ellipse den kleinsten Gesamtabstand von den beiden Brennpunkten. Man erhalt ihn, wenn man einen der Brennpunkte mit dem Bildpunkt des an der Tangente gespiegelten anderen Brennpunkts geradlinig verbindet. Die Weehselwinkel an der Verbindungsgeraden und der Tangente sind aber gleich. Sofort naeh der VerBffentliehung der "Geometrie" von R. DESCARTES bemuhte man sieh, das Tangentenproblem fUr die darin besehriebenen Kurven zu IBsen. Noeh vor der eigentliehen Begrundung der Differentialreehnung dureh NEWTON und LEIBNIZ haben versehiedene Mathematiker auf algebraisehem Weg fur implizite Kurven der Form
f(x, y)
L
=
aktxkyt
=0
O"::;k+£"::;m
die Tangentengleichungen hergeleitet. Hier ist zunaehst P. DE FERMAT zu nennen, der bereits 1625 in der Lage war, Extremwerte von Polynomen dadureh zu finden, dass er die Punkte bestimmte, in denen die Funktionswerte sich kaum andern, wenn man die unabhiingige Variable variiert. Mit anderen Worten bestimmte er die Werte, fUr die die Ableitung versehwindet. Den allgemeinen Fall haben R.F. DE SLUSE (1657) und J. HUDDE (1658) behandelt. Isaac Barrow
* Okt.1630 London / t 4.5.1677 London
Mathematiker und Theologe, 1662 Professor fUr Geometrie in London, 1663 Professor fUr Mathematik in Cambridge, ubergab 1669 seinen Lehrstuhl an Newton und wurde Hofprediger. Er gilt als einer der wiehtigsten Vorlaufer der Infinitesimalreehnung, indem er in seinen "Lectiones Geometrieae" von 1670 ein Aquivalent des Hauptsatzes der Differentialund Integralreehnung fUr monotone Funktionen mit geometrisehen Methoden hergeleitet hat.
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
134
Ahnlich wie FERMAT im Fall von y - xn = 0 hat auch I. BARROW (1670) fiir x, y die benachbarten Punkte x + e, y + a eingesetzt und aus
die Beziehung
L
akl(kxk-lyle + Cxkyl-1a)
=0
O:;;kH:;;m
erhalten, indem er die Differenz beider Seiten gebildet, die binomische Formel angewandt und die Terme von hOherer Ordnung in e und a vernachlassigt hat. Dies entspricht natiirlich der heutigen Vorstellung von der Tangente als "Grenzwert" von Sekanten, bei denen die Schnittpunkte mit der Kurve zusammenfallen. Aus der letzten Gleichung erhiilt man sofort fUr die Steigung m der Tangente im Punkt (x, y)
Oft wurde auch der Ausdruck ~ betrachtet, die Lange der so genannten Subtangente, die definiert ist als die Strecke auf der x-Achse zwischen der Abszisse x und dem Schnittpunkt der Tangente mit der x-Achse.
a=arc an m
x
Fig. 3.6 Man erkennt ohne weiteres, dass der Zahler bzw. Nenner gerade die Ableitung von f nach einer der beiden Variablen ist, wobei die andere festgehalten wird. Dies motiviert den Begriff der "partiellen Ableitung" fUr eine Funktion mehrere Variabler, den wir anschlieBend einfUhren werden. Wir werden uns dabei auf zwei Variable beschranken, obwohl sich die wesentlichen Resultate auch fur n ~ 2 Variable in entsprechender Weise formulieren und beweisen lassen. Wir konnen nun die Nullstellenmenge f(x, y) = 0 als Niveau- oder Hohenlinie des Graphen r f der Funktion f : G -t ]R (G C ]R2 eine offene Menge) ansehen, d.h. als
3.1
135
EBENE KURVEN
f-l(C)
= ((x,y)
E G I f(x,y)
= c} fUr c = 0.
Definition Wir sagen f sei partiell diJJerenzierbar, falls die Funktionen t t-+ f(x, t) und t t-+ f(t,y) fUr festes x bzw. y differenzierbar sind, d.h. falls die partiellen Ableitungen
8d(x, y) = dd
I
t t=x
f(t, y) und 82f(x, y) = dd
I
t t=y
f(x, t)
existieren. Daruberhinaus heiBt f stetig partiell diJJerenzierbar, falls 8j f stetig ist fUr j = 1,2.
Da es sich hier nur urn gewohnliche Ableitungen von Funktionen einer Variablen handelt, bleiben alle Rechenregeln der Differentialrechnung gUltig. Insbesondere sind alle Polynome in zwei Variablen stetig partiell differenzierbar. Es treten jedoch auch Unterschiede auf: Wahrend eine partiell differenzierbare Funktion auch in jeder Variablen stetig ist, folgt nicht die Stetigkeit der Funktion selbst, wie das Beispiel
f(x, y)
= { O~+y2' ~
(x, y) -I (0,0), (x, y) = (0,0),
zeigt (vgl. Fig. 3.7).
Fig. 3.7 Die Funktion ist in allen Punkten partiell differenzierbar - im Nullpunkt, da f(·, 0) = °stetig = f(O, .), jedoch nicht stetig in (0,0), denn f(x, x) = 1 fUr alle x -I 0. 1st f jedoch partiell differenzierbar, so ist f auch stetig: Fur h, k mit Ihl + Ikl < c folgt E~
zunachst nach dem Mittelwertsatz
f(x
+ h,y + k)-
f(x,y)
= f(x + h,y + k) -
f(x,y
+ k)+ f(x,y + k) -
=81f(x+~lh,y+k)h+82f(x,y+~2k)k
f(x,y)
136
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
mit 191 ,19 2 E (0,1). Da die 8j f stetig sind und damit insbesondere beschrankt nahe (x,y), konnen wir die rechte Seite abschatzen durch M(lhl + Ikl) ~ ME, wobei M unabhangig von E gewahlt werden kann.
°
1st f stetig partiell differenzierbar, so wollen wir die Tangente an die Kurve f(x,y) = im Punkt (xo, Yo) bestimmen. 1st die Kurve selbst eine Gerade, f(x, y) = ax+by+c = 0, so konnen wir die Daten a bzw. b aus f zuruckgewinnen, indem wir f nach x bzw. y differenzieren. Es gilt dann
f(x,y)
= 81 f(xo,yo)x +82f(xo,yo)Y+c = 0,
also c = -8I!(xo, Yo)xo - 82f(xo, Yo)Yo, und es folgt
f(x, y)
= 8I!(xo, yo)(x -
xo)
+ 82f(xo, Yo) (y - Yo) = 0.
Diese Formel gilt offensichtlich auch, falls f der Graph einer stetig differenzierbaren Abbildung gist, d.h., falls f(x, y) = y - g(x) = gilt. Dann ist namlich
°
81 f(xo, yo)(x - xo)
+ 82f(xo, Yo)(Y -
Yo)
=y-
Yo - gl(XO)(X - xo)
=
°
die Gleichung der Tangente in (xo, Yo). Unter Umstanden konnen wir den allgemeinen Fall auf diesen zuruckfUhren. Dies leistet der Satz uber implizite Funktionen. Satz fiber implizite Funktionen Es sei f : G --+ lE. stetig partiell differenzierbar, es gelte 82f(xo, Yo) i= 0. Dann existiert ein 0 > bestimmte stetig differenzierbare Funktion 9 : I = mit (x,g(x)) E G und f(x,g(x)) = fUr alle gl(X) = -~(x,g(x)).
= 0,
und
0)
IR.
°(xound- eine eindeutig + --+
°
f(xo,yo)
0, Xo
x E I. Ferner gilt
°
Zum Beweis konnen wir 82f(xo, Yo) > annehmen (sonst betrachte -1). Dann gilt dies fUr alle (x,y) E I x J c G mit I = (xo - o,xo + 0) und J = [Yo - E,Yo + E]. Fur jedes x E I ist nun f(x,·) streng monoton wachsend in J. Wahlt man nun noch o = O(E) > 0, so dass f(x, Yo - E) < und f(x, Yo +E) > fUr alle x E I gilt, so folgt fUr festes x E I nach dem Zwischenwertsatz die Existenz eines y = g(x) mit f(x,g(x)) = 0, und aufgrund der strengen Monotonie ist dieses y eindeutig bestimmt. Die Abbildung gist stetig in Xo, denn obiges E kann belie big klein gewahlt werden, wahrend fur das zugehOrige 0 = O(E) dann Ig(x) - Yol < E ausfallt, sobald Ix - xol < 0 ist. Da auch jeder andere Punkt (x,g(x)) fUr x E I den Voraussetzungen des Satzes genugt, ist 9 insgesamt stetig. Es bleibt zu zeigen, dass 9 stetig differenzierbar ist. 1st x E lund h i= 0, mit x + hE I, so gilt mit k = g(x + h) - g(x)
°
°
O=f(x+h,g(x+h)) =f(x+h,g(x)+k) = f(x,g(x)) + (J(x + h,g(x) + k) - f(x + h,g(x))) + (J(x + h,g(x)) - f(x,g(x))) = f(x,g(x)) + 81 f(x + 1'hh,g(x))h + o2f(x + h,g(x) + 192k)k,
3.1
137
EBENE KURVEN
°
wenn man auf die beiden Klammern in der zweiten Zeile jeweils den Mittelwertsatz anwendet. Wegen f(x,g(x)) = folgt damit aber
g(x + h) - g(x)
od(x + 191 h,g(x)) 02f(x + h,g(x) + 192k) ,
h
°
°
und da mit h -+ auch k -+ aufgrund der Stetigkeit von g, folgt die Behauptung aufgrund der Stetigkeit der partiellen Ableitungen. Liegt diese Situation vor, so gilt y erhalten wir die Gleichung
= g(x),
y = g(xo) + g'(xo)(x - xo)
und fUr die Tangente im Punkt (xo,Yo)
= Yo - ~~~ (xo,g(Xo))(x - xo),
also wiederum
Die Tangentengleichung
od(xo, Yo)(x - xo)
+ 02f(xo, Yo)(Y -
Yo) = 0.
°
1st 02f(xo, Yo) = aber od(xo, Yo) i- 0, so schlieBt man analog, indem man die RoUen von x und y vertauscht. Man erhalt dann lokal eine eindeutige F\mktion h mit f(h(y), y) = 0. Verschwinden beide partielle Ableitungen, so liegt ein so genannter singularer Punkt vor. In diesem Fall muss, wie wir sehen werden, keine eindeutige Tangente existieren.
Beispiel 1. Wir betrachten die Lemniskate
f(x, y) = (x 2 + y2? _ 2(x 2 _ y2) = 0. Hier ist od = 4x(x 2 + y2) - 4x und 02f = 4y(x 2 + y2) + 4y = 4y(x 2 + y2 + 1), und letztere verschwindet genau fUr y = 0. Ftir y i- konnen wir also eine Funktion y = g(x) finden. Aufgrund der speziellen Gestalt des Polynoms konnen wir diese Funktion sogar explizit angeben, indem wir die quadratische Gleichung fUr y2 16sen. Es folgt y =
°
±/./4x2 + 1 - (x 2 + 1). 1st y = 0, also x 2 = 2 oder x
°
= 0, so finden wir od(±V2, 0) =
±4V2 i- und od(O, 0) = 0. 1m erst en Fall ist eine Aufiosung moglich. In (0,0) liegt ein singularer Punkt vor. Wie im Falle einer Variablen wird die genaue Gestalt der Kurve nahe des singularen Punktes eventuell durch hohere Ableitungen erhellt. Wir werden darauf im nachsten Abschnitt zurtickkommen. Den ersten allgemeinen Beweis des Satzes tiber implizite Funktionen hat U. DINI 1876/77 in seinen Vorlesungen gegeben (vgl. auch [GP]). Er wird heute meist durch Iteration bewiesen. Setzt man
g(x, y)
= y - Ehf(xo, YO)-l f(x, y),
3.
138
DIFFERENTIALRECHNUNG
so erhiiJt man nahe (xo,yo) eine Kontraktion und kann iterativ einen Fixpunkt u(x) bestimmen. Diese Funktion lost dann das urspriingliche Problem. Fiir analytische Funktionen kann man die gesuchte Funktion als Potenzreihe ansetzen und deren Koeffizienten durch Koeffizientenvergleich ermitteln. Man erhiilt so eine formale Potenzreihe, die die Gleichung lOst, und muss nur noch deren Konvergenz nachweisen. Es sei etwa l(x, y) = 2:i,j)O aijxiyj mit 1(0,0) = aoo = 0 und 821(0,0) = aOI i- 0 also g(x, y) = 2:i ,)·>0 bijxiyj mit boo = 0 = bOl und bij = _!!:!.i.. sonst. Fiir eine Potenzreihe /" aOI j v(x) = 2:j)O ajx sei v(j) (x) = ajxj. Die Koeffizienten der formalen (bzw. zunachst nur fiir x = 0 konvergenten) Potenzreihe u(x) = 2:j)O u(j) = 2:j)O CjX j erhalt man dann induktiv durch Koeffizientenvergleich wie folgt: U(O)
=0
k
und
U(k+1) (x)
= g(x, 2: CjXj)(k+I) ,
k~
o.
j=O
Die Ck sind also Polynome mit positiven ganzzahligen Koeffizienten in den CI, ... , Ck-l und den bij mit i + j ~ k + 1. Zum Beweis der Konvergenz benutzen wir das Majorantenkriterium. Ohne Einschrankung sei 9 absolut konvergent fiir x = 1 = Y und A = 2:i,j)O Ib ij I· Ftir die Potenzreihe
gilt dann g(x, y)
= y genau dann, wenn (A + 1)y2 - Y + I~X = O. Ftir kleines Ixl besitzt
J
diese quadratische Gleichung zwei reelle Losungen V± = 2(AI+I) ± 4(A~1)2 - l~xx, die sich als Komposition von Potenzreihen in x wieder als soiehe darstellen lassen. Sei etwa v_(x) = 2: j )1 djx j . Da die Koeffizienten dj denselben Rekursionsformeln gentigen wie die Cj nur mit den Koeffizienten von h anstatt denen von 9 und stets Ib ij I ~ A gilt, folgt auch ICjl ~ dj und damit die Konvergenz von u(x). Der Satz tiber implizite Funktionen (fUr Potenzreihen) lasst sich auch als Spezialfall aus dem folgenden Resultat herieiten, dem so genannten WeierstrajJ'schen Vorbereitungssatz.
Vorbereitungssatz von Weierstrafl Es sei l(x, y) = 2:i,j)O aijxiyj eine nahe (0,0) konvergente Potenzreihe mit 1(0,0) = 0, und es gelte 1(0, y) = ymg(y) ftir eine Potenzreihe 9 mit g(O) i- O. Dann existiert ein eindeutig bestimmtes "Polynom" in y, P(x, y)
= ym + al (x)ym-l + ... + am-l (x)y + am(x).
dessen Koeffizienten aj Potenzreihen in x sind, und eine nahe (0,0) konvergente Potenzreihe h(x, y) mit l(x, y) = P(x, y) . h(x, y).
139
3.1 EBENE KURVEN
°
Mit dem Vorbereitungssatz wird das Studium der Nullstellenmenge f(x,y) = einer Potenzreihe auf die eines WeierstrajJ-Polynoms P(x, y) zuruckgefUhrt. K. WEIERSTASS hat den Satz seit 1860 zu diesem Zweck in seinen Vorlesungen uber Funktionentheorie benutzt - er gilt sinngemaB naturlich auch fUr komplexe Variable. Zum Beweis verwenden wir den folgenden Divisionssatz, den H. SPATH 1929 gefunden hat: Unter den obigen Voraussetzungen an f existiert zu jeder nahe (0,0) konvergenten Potenzreihe b( x, y) eine Potenzreihe c( x, y) und ein eindeutig bestimmtes Polynom R(x, y) = al (x)ym-l + ... + am(x) (mit nahe konvergenten Koeffizienten aj), so dass
°
b(x,y)
= f(x, y)c(x, y) -
R(x,y).
Der Vorbereitungssatz folgt dann sofort fUr b(x,y) = ym, denn dann ist
f(x, y)c(x, y) = P(x, y) = ym
+ R(x, y)
und wegen
+ R(O, y)
f(O, y)c(O, y) = ymg(O)c(O, y) = ym muss c(O,O) k6nnen.
= g(O)-1
=j:.
°gelten, so dass wir h(x,y) = c(X,y)-1 nahe (0,0) setzen
Zum Beweis des Divisionssatzes nehmen wir f(x, y) fUr
°: :; j
c(x, y)
= ~i,j~O aijxiyj
an mit aOj
=
°
:::; m - 1 und 0.E. aOm = 1 an sowie b(x, y) = ~i,j~O bijxiyj und set zen
= ~i,j~O CijXiyj
an. 1st dann
f(x,y)c(x,y) so muss f3ij
= bij fUr alle i k
f3ki =
~
=L i,j?;O
°
gelten, falls j
i
f3ijX i yj,
~
m. Explizit folgt
i
k-l i
L L Cijak-i,i-j = L CkjaO,l-j + L L Cijak-i,i-j i=O j=O
= ck,i-m +
j=O
i-m-l
L
j=O
i=O j=O
k-l i
CkjaO,i-j
+L
L Cijak-i,i-j
i=Oj=O
und damit, wenn man C durch C+ m ersetzt und f3k,Hm
Ck,l
= bk,Hm -
i-I
k-lHm
j=O
i=O j=O
= bk,Hm beachtet,
L CkjaO,Hm-j + L L Cijak-i,Hm-j·
Die Koeffizienten von C sind also rekursiv eindeutig bestimmt. Wir zeigen noch, dass sie den Abschatzungen fur geeignete Konstanten M, rl, r2 > 1 genugen, denn dann konvergiert die zugeh6rige Potenzreihe c fUr Ixl :::; .;; und Iyl :::; ~. Die gesuchten Ungleichungen erhalten wir
3.
140 induktiv mit den obigen Rekursionsformeln. 1st laijl Icool = Ibkol ~ C2 und induktiv £-1
!ckel ~ C2 + C1
C1 und Ibijl
~
C 2 , so folgt
k-lHm
L ICkjl + C L L 1
j=O
i=O j=O
£-1
~ C2 + C1
~
DIFFERENTIALRECHNUNG
!cijl
k-l £+m
L M rfr~ + C L L M rH 1
j=O
i=O j=O
£-1
£+m
= C2 + CIMrfr~-1 L r 2j + C1 L j=O
k-l
r~r~-1
j=O
r£
rHm+l
r2 - 1
r2 - 1
L r1
i
i=O
< C2 + C1Mrf-_2- + C1M-2_-
rk 1
(rl - 1) (r2 - 1)
.
Wiihlt man nun zuerst r2 und dann rl hinreichend groB, so wird C 1 r:;+1 2 1 -C+ -C+ --=--1 Mrfr~
r2-1
rl-
1 '" , /'
0-..
und damit folgt die gewiinschte Abschatzung sowie insgesamt die Behauptung. Schon NEWTON hat 1669 die Potenzreihenmethode benutzt, ohne jedoch eine detaillierte Konvergenzbetrachtung anzustellen. Er hat ferner auch algebraische Funktionen in der Nahe eines singularen Punktes betrachtet und dann y als eine Potenzreihe nach gebrochenen Potenzen in x angesetzt. Wir wollen dies an einigen Beispielen erlautern. Isaac Newton * 4.1.1643 Woolsthorpe / t 31.3.1727 London Mathematiker, Physiker und Astronom, 1669 bis 1701 Professor fUr Mathematik in Cambridge, 1699 koniglicher Miinzmeister in London, ab 1703 Prasident der Royal Society. Er begriindete mit seinem Werk "Philosophiae naturalis principia mathematica" die theoretische Physik. Den groBten Teil seiner mathematischen Arbeiten hat er nicht veroffentlicht. Die urn 1665 von ihm entwickelte und 1671 im Manuskript ausgearbeitete Fluxionsrechnung erschien erst posthum 1736.
2. Wir betrachten zunachst den Fall eines homogenen Polynoms f(x, y) Li+j=n aijxiyj mit aij E lR fUr i + j = n E N. Setzt man hier y = tx, so folgt
Beispiele
i+j=n mit dem Polynom P(t) =
Ak E C gilt nun P(t)
=
i+j=n
L7=0 an-j,jt j yom Grad m ~ n. Mit paarweise verschiedenen
= C ITk(t - Ad Lk £k = m k ,
f(x, y)
= cxn - m II (y k
also AkX)£k.
3.1
141
EBENE KURVEN
Die Nullstellenmenge f(x,y) zerfallt also in eine Vereinigung von Geraden y = )..kX fUr )..k E lR und x = 0, falls n > m. 1st n = m und Im)..k i- 0 fUr alle k, so treten )..k und Xk paarweise auf, und (y - )..kX)(y - Xk x) = y2 - 2Re)..k + l)..klx2 = 0 besteht aus dem isolierten Punkt (0,0).
*.
3. 1st f(x, y) = EpHqj=n aijxiyj ein quasi-homogenes Polynom mit den Gewichten p, q E N, so set zen wir y = txlL mit J-l = Dann folgt
f(x,tx lL ) =
L
pHqj=n wobei r = i
+ J-lj =
~.
aijxi+lLjt j = x T
L
aijt j = xTP(t),
pi+qj=n
1st to eine Nullstelle von P(t), so lost u(x) = toxlL die implizite
Gleichung, d.h. f(x,u(x)) = 0 fUr alle x ~ O. Das einfachste Beispiel ist f(x,y) = x P - yq fUr zwei teilerfremde naturliche Zahlen p, q (hier ist J-l = ~ und n = p. In Abhangigkeit von p und q gibt es "qualitativ" drei verschiedene mogliche Falle (siehe Fig. 3.8).
Fig. 3.8 Fur ein allgemeines Polynom f(x, y) = Ei+f(n aijxiyj betrachtet man den Trager fl(f) = {(i,j) E Z~ I aij =1= O}, das zugehOrige Newton-Diagramm (von diesem zuerst 1671 verwendet). Der Rand aC(j) der konvexen Rulle C(j) von UPELl(f)P+ lffi.~ wird als Newton-Polygon von f bezeichnet.
Fig. 3.9 Dieses setzt sich zusammen aus endlich vielen Geradenstiicken. Rat eine davon die Steigung 0, so konnen wir eine Potenz yrn abspalten und erhalten f(x, y) = yrn h (x, y).
142
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Wenn das Newton-Polygon keinen Punkt der Form (0, m) enthalt, so konnen wir analog eine Potenz xk abspalten. Wir konnen danach also annehmen, dass das Newton-Polygon zwei Punkte (0, m) und (k,O) jeweils mit minimalem m bzw. k verbindet. Es enthiHt dann mindestens ein GeradenstUck etwa der Steigung - ~. Wir machen den Ansatz Y = tx IJ und erhalten
0= f(x, tx IJ ) =
L
aijxi+IJjtj
=
L
=XVg(t)+
L
aijXVt j
+
i+IJj=v
i+j~n
L
aijxi+IJjtj
i+IJj>v
aijxi+IJjtj.
i+IJj>v 1st g(to) = 0, so ist UI(X) = toxIJ die erste Naherung einer Losung u. Besitzt das Polynom g(t) keine reelle Nullstelle und gilt dies auch fur kein weiteres Geradenstuck, so ist (0,0) ein isolierter Punkt der Nullstellenmenge f(x, y) = 0. Fur komplexe Kurven f (z, w) = Omit z, wEe kann dieser Fall naturlich nicht eintreten. Man kann die NaherungslOsung
xi(to
+ YI)
UI
wie folgt verbessern: Man setzt
Xl
= xq 1
fUr {t
=
£q sowie Y
=
und erhalt
°= f(x, y) = f(xi, xi(to + yd) = xt (g(to
+ YI) +
L
aijX~q+Pj-qv (to + YI)j)
i+IJj>v
Hier ist h(O,Yl) = L,i+IJj~vaij(to +Yl)j ein Polynom yom Grad:::;; m und h(O,O) = g(to) = 0. Wir konnen also so weiter verfahren: Sind mit fo = f, mo = m und Xo = X die Polynome !k bereits definiert, fUr die fk(O, Yk) den Grad mk :::;; mk-l hat, so setzt man Xk+l = X~/qk fur geeignetes {tk = ~: und Yk = X~k (tk + Yk+l) fur geeignetes tk i= 0. Damit kann man dann rekursiv eine NaherungslOsung Uk berechnen
Bricht dieses Approximationsverfahren ab, man hat dann fk(Xk,Yk) = Y';kg(Xk,Yk) mit g(O,O) i= 0, so ist u(x) ein Polynom in x l / n fUr ein n E N. Andernfalls kann man zeigen, dass die Nenner der Exponenten stationar werden, d.h. man erhalt {tk E N und qk = 1 fur k ~ ko E N. Ferner kann man zeigen, dass schlieBlich mk = 1 gilt, so dass man den Satz uber implizite Funktionen anwenden kann. Damit wird U eine konvergente Potenzreihe in x l / n fUr ein n E N, eine so genannte Puiseux-Reihe (nach V.A. PurSEUX, der sie 1850 in diesem Zusammenhang genauer studierte). Wir wollen dies hier nicht beweisen (vgl. dazu [BK] und [Bur]), sondern an einem Beispiel demonstrieren.
Beispiel 4. Es sei f (x, y) (vgl. 2.2, Beispiel 4).
= x 3 + y3 -
3axy, d.h. f (x, y)
=
°
das cartesische Blatt
143
3.1 EBENE KURVEN
Das Newton-Polygon besteht hier aus zwei Geraden mit den Steigungen -2 bzw. -~.
Fig. 3.10 1m ersten Fall ist J.t
=~
und der Ansatz y
= tx 1/ 2 fiihrt auf
also g(t) = t(t 2 - 3a) mit den Nullstellen tl,2 = ±v'3a (und t = 0). Damit erhalten wir in erster Naherung die Losungen U+,l(X) = v'3ax 1/ 2 und U-,l(X) = -v'3axl/2. 1m zweiten Fall ist J.t = 2, und y = tx2 fuhrt auf
also g(t) = 1 - 3at, d.h. to = 31a' Dies entspricht einem weiteren Losungszweig U mit erster Naherung Ul(X) = iax2. Verfahrt man wie oben, so erhalt man als nachste Naherungen U±,2(X) = ±v'3axl/2 - -Jax 2 bzw. U2(X) = 31ax2 + (3~)4X5. Wir uberlassen dies dem Leser als Ubungsaufgabe (vgl. Aufgabe 7). Auch transzendente ebene Kurven kann man mit der Potenzreihenmethode behandeln. So hat 1. NEWTON bei der Rektifikation des Kreises die Binomialreihe fur x2 gliedweise integriert und die Arcussinus-Reihe erhalten. Durch Reihenumkehr gewinnt er daraus mittels unvollstandiger Induktion die bekannte Sinus-Reihe. Weit schwieriger gestaltet sich die Aufiosung der Gleichung y - x sin y = c, die nach J. KEPLER benannt wird. Wir wollen zunachst ihren historischen Ursprung kurz erlautern. In Abschnitt 2.4 haben wir gezeigt, dass die Planetenbewegung durch eine implizite Gleichung beschrieben wird, etwa im Fall der Ellipse durch
vI -
r(1
+ c cos B) = a(l -
c2 )
mit 0 < c < 1. Nach dem Flachensatz (2. Kepler'sches Gesetz) ist die Laufzeit t des Planet en proportional zum Flacheninhalt des Ellipsensektors, der durch den Winkel B bestimmt wird. Unser Ziel ist es, die Umkehrfunktion B(t) moglichst explizit zu bestimmen. Nun besteht eine eindeutige Beziehung zwischen B und dem Zentriwinkel i.{J, der der Fig. 3.11 zu entnehmen ist.
144
3. DIFFERENTIALRECHNUNG pI
1 - - - - - - - ' - - - - - - '__---1 II a
Fig. 3.11 Fur die x-Koordinate des Planeten P erhiUt man einerseits x = a cos r.p und andererseits
x = af: + r cos (), d.h. nach Einsetzen die Beziehung cosr.p=f:+
(1 - f:2) cos () 1 + f: cos ()
oder nach Umformung cos ()(1 - f: cos r.p) = cos r.p - f:. Benutzt man noch die Beziehungen 1 + cos () = 2 cos2 ~ und 1- cos () = 2 sin 2 ~, so folgt 2() 1-cos() 1+f:1-cosr.p 1+f: 2r.p tan - = = -= - - tan 2 1 + cos () 1 - f: 1 + cos r.p 1 - f: 2'
und es genugt, r.p in Abhangigkeit von t zu bestimmen. Mit dem Flachensatz erhalt man nun fUr die Flacheninhalte der in 3.11 eingezeichneten Sektoren und des Dreiecks S(OIIP')
= Ll(P'OS) + S(IISP') = Ll(P'OS) + ~S(IISP).
Mit der Umlaufzeit U des Planeten, beginnend am Perihel II, ist die GroBe M = t 2J verknupft, die in der Himmelsmechanik als mittlere Anomalie bezeichnet wird; r.p heiBt dort die exzentrische Anomalie E, und () ist die wahre Anomalie W, die es zu berechnen gilt. Mit diesen Bezeichnungen erhalt man fUr die Flacheninhalte daher 2 r.p a 7r27r
a 1 . aM = -r.p = -af:· asmr.p + --ab7r 2 2 b 27r ' 2
d.h. mit E statt r.p die Kepler'sche Gleichung E - f:sinE
= M.
J. KEPLER hat die Gleichung 1609 naherungsweise gelOst. Auch I. NEWTON hat 1687 in den "Philosophiae naturalis principia mathematica" eine NaherungslOsung gefunden, die, obwohl in geometrischer Sprache formuliert, auf dem nach ihm benannten Naherungsverfahren beruht; vgl. [Cha] fUr eine modernisierte Darstellung. Eine Losung mit
145
3.1 EBENE KURVEN
Hilfe von Potenzreihen hat J.-L. LAGRANGE 1770/71 gegeben. Diese wollen wir kurz skizzieren. Wir betrachten dazu allgemeiner eine Gleichung der Form
y = a + xf(y) mit einer Funktion f, die in der Nahe von y = a E ~ eine Potenzreihenentwicklung besitzt. Wir suchen eine Potenzreihe y = g(x) mit g(x) = a + xf(g(x)) in der Niihe von x = O. Nun liisst sich die implizite Gleichung
F(x,y,z)
= xf(y) + z - Y = 0
in der Niihe von (0, a, a) nach y aufiasen, da 82 F(0, a, a) eindeutige Lasung y = g(x, z) gilt
-1 =J. O. Fur die lokal
81 F 81 g(0, a) = - 82 F (0, a, a) = f(a) = f(a)8 2 g(0, a). Davon ausgehend folgt aber induktiv
g(nl(o) = dn- 1 I (j(yt) dyn-1 y=a fur n ? 1. Man benutzt hierbei ein Resultat, das wir erst im niichsten Abschnitt beweisen: die partiellen Ableitungen nach y und z, hintereinander ausgefuhrt, vertauschen. Wie weiter oben bemerkt, ist 9 sogar eine Potenzreihe in x und a. Damit erhalten wir nach einer Methode von P.-S. LAPLACE (1774) die
U mkehrformel von Lagrange
Fur eine nahe y = a konvergente Potenzreihe f(y) besitzt die Gleichung y = a + xf(y) die in der Niihe von x = 0 konvergente Lasung dn -
1
= a + n=l L dyn-1 Iy=a (j(yt);. n. 00
g(x)
n
Speziell auf das Kepler-Problem angewandt, erhiilt man
wenn man f(y)n
= sinn y = (eiy-;r iY )n nach der binomischen Formel berechnet und
anschlieBend (n-1)-mal an der Stelle y = M differenziert. Leider gilt diese Entwicklung, wie P .-S. LAPLACE 1774 bereits erkannt hat, nicht fur alle Ellipsen: der Konvergenzradius ist durch die mysteriose Zahl 0.6627434193 ... gegeben. Fur die Planeten unseres
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
146
Sonnensystems, fUr die die Exzentrizitat zwischen 0.007 (Venus) und 0.25 (Pluto) liegt, ist sie jedoch anwendbar. Man kann alternativ auch eine Entwicklung als Fourier-Reihe herleiten, bei der in die Koeffizienten die Bessel-Funktionen eingehen:
+L 00
E= M
2
;;/n(nc) sin(nM).
n=l
Diese Reihe, die man ebenfalls bereits bei LAGRANGE findet, konvergiert ftir alle c < l. Ubrigens ist F .W. BESSEL 1816/17 in diesem Zusammenhang auf die spater nach ihm benannten Funktionen gestoBen und A.-L. CAUCHY ist durch die Beschaftigung mit der Keplerschen Gleichung zur Theorie der komplexen Funktionen gefUhrt worden. Der russische Mathematiker V.1. ARNOL'D schreibt in [Arn] dazu: This equation plays an important part in the history of mathematics .... Such fundamental mathematical concepts and results as Bessel functions, Fourier series, the topological index of a vector field, and the "principle of the argument" of the theory of functions of a complex variable also first appeared in the investigation of Kepler's eqution.
Eine weitere Anwendung des Umkehrsatzes von LAGRANGE betrifft die Lasung der Gleichung x=ym+ y =y(l+ym-l) =yh(y), die sich in der angegebenen Form schreiben lasst, wenn man a
= 0 und
f(y)
= hly)
setzt. Berechnet man wie oben die Taylor-Koeffizienten g(n)(o), so erhalt man die Lasung
die J. LAMBERT bereits 1758 angegeben hat. Genauer ist
_1_ = (1 h(y)n
+ ym-l)-n
=
~ ~
k=O
(-n)yk(m-l) k
aufgrund der binomischen Reihe, und durch gliedweise Differentiation an der Stelle y = 0 folgt die Behauptung (vgl. Aufgabe 10). Wir haben hier keine Aussagen tiber die Konvergenz der allgemeinen Reihe von LAGRANGE oder der Reihe von LAMBERT getroffen. Letztere stellt nur fUr y nahe Null eine Lasung dar. dass man so nicht alle Lasungen der Gleichung ym + y = x erhalt, ist schon im Fall m = 2 ersichtlich, beim dem sie nur die Wurzel y = ~ (VI + 4x - 1) liefert - die zweite Wurzel, y = - ~ (VI + 4x + 1), erhalt man nicht. Wir haben in Abschnitt 1.4 gesehen, wie der Ubergang zu komplexen Zahlen zum richtigen Verstandnis tiber das Lasungsverhalten polynomialer Gleichungen gefUhrt hat. Auch das Konvergenzverhalten reeller Potenzreihen kann man erst richtig verstehen, wenn man auch komplexe Variable benutzt. lasst man auch bei algebraischen Gleichungen zweier Variabler komplexe Zahlen zu, so eroffnet sich ein weites Feld, die algebraische Geometrie. Wir konnen darauf jedoch nicht weiter eingehen, da man nicht ohne tiefere Hilfsmittel der Funktionentheorie und der Topologie auskommt. Eine erste Einftihrung bietet [BK].
147
3.1 EBENE KURVEN
Oft kann man den Verlauf einer Kurve besser erkennen, wenn sie als differenzierbare Kurve C : [a, b] --+ G C ~2 in parametrisierter Form vorliegt. Die Tangente im Punkt c(t), t E (a, b), ist dann gegeben durch die Richtungsableitung c(t), oder in physikalischer Interpretation durch den Geschwindigkeitsvektor an die Kurve, die man sich durch Bewegung eines Punkts gemaB der Funktion c(t) erzeugt denkt. Dies entspricht im wesentlichen NEWTONS Zugang zur Differentialrechnung (1666). Er fasste die VariabIen x und y als Funktionen der Zeit t aufund differenzierte die Gleichung I(x,y) = 0 nach t. 1m Fall eines Polynoms erhielt er
Urn dies zu rechtfertigen und den Zusammenhang mit den obigen Uberlegungen herzustellen, benutzen wir die Kettenregel, die wir im Beweis des Satzes iiber implizite Funktionen in einem Spezialfall mitbewiesen haben: Die Kettenregel 1st I : G --+ so gilt
~
stetig differenzierbar und c : [a, b] --+ G differenzierbar,
Zum Beweis wahlt man h =f. 0 mit t+ hE (a, b) und setzt kj Dann folgt mit dem Mittelwertsatz
I (c( t + h))
-
I (c( t)) = I (Cl (t) + kl' C2 (t) + k2)
-
= Cj(t+ h) -Cj(t), j = 1,2.
I (Cl (t), C2 (t) )
= f (Cl (t) + kl' C2 (t) + k2) - f (Cl (t), C2 (t) + k2) I (Cl (t), C2(t) + k2) - f (Cl (t), C2(t)) = ad (Cl (t) + {}lk1 , C2(t) + k2) kl + ad (Cl (t), C2(t) + {}2k2) k2 und damit die Behauptung im Grenziibergang h --+ O. Denn c;(Hhtcj(t) = --+ Cj(t), j = 1,2, und die ajl sind stetig.
¥
Cj
ist differenzierbar, also
Fiir eine ebene Kurve gilt nun I(c(t)) = 0, a ( t ( b, und damit
Dies erlaubt auch eine geometrische Interpretation des Vektors grad I(c(t))
= (ad,82 1) (c(t));
er steht senkrecht auf dem Tangentenvektor und ist daher die Normale an die Kurve im Punkt c(t) - er wird als Gradient bezeichnet. Die Gleichung der Normalen im Punkt (xo,Yo) lautet demnach 8 1(xo, Yo) y- Yo = a21 f( xo, Yo ) (x - xo),
3.
148
falls 8d(xo, Yo)
=1=
DIFFERENTIALRECHNUNG
0, und allgemein
Die N ormalengleichung
8d(xo, yo)(y - Yo) - 82f(xo, yo)(x - xo)
= O.
Beispiel 5. Fur die Kurve
f(x,y)
= (x + b)x2 + (x -
a)y2
=0
mit a, b E ]R erhalten wir
Damit kann man die Tangenten- bzw. Normalengleichungen fUr jeden nicht singularen Punkt sofort angeben; singular ist nur der Nullpunkt (0,0). Rier hilft die folgende Parametrisierung weiter: Wir set zen t = ~ und erhalten mit
so £ort x
at' -b I = ""f+i2' a so C
at 2
I
-
b
(t) - - 1 + t2 '
fUr t E llt Diese Parametrisierung liefert auch fur x ist
. c(t)
=
= 0 die richtigen Werte. Weiterhin
( a + b at 2 - b 2 a+b ) 2t (1 + t2)2' 1 + t2 + 2t (1 + t2)2 ,
also c(t) =1= 0 fUr aile t, auBer im speziellen Fall b = 0, der Kissoide. Raben a und b verschiedenes Vorzeichen, so ist der Nullpunkt isolierter Punkt, haben sie gleiches Vorzeichen, so wird er zweimal durchlaufen, und zwar mit unterschiedlichen Richtungsableitungen; es liegt ein Doppelpunkt VOL Die vertikale Gerade spielt auch im allgemeinen Fall eine besondere Rolle. Sie ist Asymptote der Kurve, d.h., die Kurve nahert sich dieser Geraden fUr t -+ ±oo. 1m allgemeinen wird eine Asymptote wie folgt bestimmt: 1st C : (a, b) -+ ]R2 gegeben und gilt etwa fUr t -+ b • C2 (t) -+ ±oo und Cl (t) -+ a, so ist x = a eine vertikale Asymtote, • Cl(t) -+ ±oo und C2(t) -+ a, so ist y = a eine horizontale Asymtote, • Cl ( t) -+ 00 und C2 ( t) -+ 00 und existieren die Grenzwerte m = limHa ~~ und
m
= limHa (C2(t) - mCl (t)), so ist y = mx + C eine Asymtote. Entsprechendes gilt fUr Cj(t) -+ ±oo und gegebenenfalls fUr t -+ b. Liegt eine algebraische Kurve in impliziter Form f(x, y) = 0 vor, so substituiert man
C
149
3.1 EBENE KURVEN
y = mx + e (oder x = my + e), ordnet f(x,mx + e) = 0 (bzw. f(my + e,y) nach fallenden Potenzen in x (bzw. y) und ermittelt m und e aus den Koeffizienten der beiden hOchsten Potenzen, die fur x -+ ±oo (bzw. y -+ ±oo) verschwinden mussen.
Beispiele 6. Die Kissoide, die Konchoide und die Strophoide haben jeweils eine vertikale Asymptote, die Kissoide bei x
= 2a, die anderen bei x = a.
7. Das cartesische Blatt hat eine Asymptote. In der Parameterdarstellung e wird limt-+_lle(t)1 = 00, und es folgt
Ferner ist lim (C2(t)
t--+-l
+ e2(t))
= lim 3at 1 + t3 = -a, t--+-l 1+ t
also y = -x - a die gesuchte Asymptote. In der impliziten Form fuhrt der Ansatz x 3 + (mx
+ e)3 - 3ax(mx + c) = 0 auf x 3(1 + m 3) + (3m 2e - 3am)x 2 + (3me 2 - 3ae)x + e3 = 0,
also ebenfalls m
= -1 und e = -a.
Das asymptotische Verhalten einer algebraischen Kurve f(x, y) = 0 fUr x, y -+ ±oo ist von NEWTON 1695 (engl. veroffentl. 1710 als "Curves"; vgl. [New]) zum Ausgangspunkt einer Klassifikation der Kubiken, d.h. der Polynome f yom Grad 3, gemacht worden. Neben dem cartesischen Blatt und der Neil'schen Parabel fand er noch 70 andere Kurventypen - 6 weitere hat er ubersehen. Wir verweisen dazu auf [New] sowie auf [BK]. Ein weiteres Charakteristikum einer Kurve ist die Krummung r;,. Sie wird fUr eine zweimal stetig differenzierbare Kurve e : [a, b] -+ ]R2 in einem nicht singularen Punkt e(t)
= arctan ~~m, den die Richtungsableitung mit der x-Achse bildet, in Abhangigkeit von der Bogenlange s(t) = J: Ilc(u)11 du
definiert als die Anderung des Winkels ¢(t)
c(t)
(siehe Fig. 3.12), d.h.
r;,(t)
d ¢ = -d ¢(t) = -;-. s s
Fig. 3.12
150
3.
DIFFERENTIALRECHNUNG
Beispiel 8. Wir betrachten die allgemeine logarithmische Spirale
r( rp) = ae'P cot.p,
rp E
~.
Hier ist a > 0 eine Konstante und der ebenfalls konstante Winkel 'Ij; E (0,1r) ist der Winkel, den der Radiusvektor mit der Tangente bildet (siehe Fig. 3.13). Man rechnet leicht nach (vgl. 2.2, Aufgabe 2), dass die Bogenlange der logarithmischen Spirale durch
s(cp) gegeben ist. Es folgt
= -/!-j'P sm'lj;
etcot.p
dt
=
-00
r(rp) cos'lj;
¥. = cos 'Ij;, wegen ~~ = r cot 'Ij; also Ii,
= .!!:..- (rp + 'Ij;) = drp = drp dr = sin 'Ij; . ds
ds
dr ds
r
p r
Fig. 3.13 Nun ist (nach der Ketten- und der Quotientenregel)
und mit s(t) =
Ilc(t)11 folgt
Die Kriimmung C1C2 -
Ii,
C1C2
det (c, c)
= (CI + c~)3/2 = IIcl1 3
.
3.1
151
EBENE KURVEN
Besonders einfach wird die Formel, wenn c regular und nach der Bogenlange parametrisiert ist. 1st c reguliir, d.h. Ilc(t)11 =j:. 0 fUr alle t, so kann man die Bogenlange s(t) als Parameter wahlen. Diese spezielle Parametrisierung nach der Bogenlange stammt von EULER (1775). Wir nennen sie die natilrliche Parametrisierung einer Kurve. Als Funktion von s hat man dann Ilc(s)11 == 1 und somit f.llc(s)lf = 2(c(s),c(s)) = 0, d.h., die Vektoren c und cstehen senkrecht aufeinander. Mit der Drehmatrix J
= (~ ~1)
und dem Einheitsnormalenvektor n = J c wird
I\; = det (c, c) = (c, Jc) = Ilcll( II~II' Jc). Es gilt also
II\;(s)1 = Ilc(s)11 und das Vorzeichen von I\; ist positiv oder negativ, je nachdem ob cin die Richtung von n zeigt oder in die entgegengesetzte, d.h., je nachdem ob die Kurve eine Links- oder eine Rechtskurve beschreibt. Bei beliebiger Parametrisierung wird der Einheitstangentenvektor durch t = n%rr definiert und n = Jt gesetzt. Man kann (mit der Kettenregel) leicht zeigen, dass I\;(t) nicht von der Wahl der Parametrisierung abhangt, d.h. I\; (c( t)) geschrieben werden kann. FUr einen Kreis vom Radius r > 0, also c(t) = (~+ rcost,1] + rsint), t E lR, gilt I\;(t) = ~,wie man leicht bestatigt. Durchlauft man den Kreis in umgekehrter Richtung, so erhalt man I\;(t) = -~. Umgekehrt wollen wir zeigen, dass fUr eine zweimal stetig differenzierbare Kurve c injedem nicht singularen Punkt c(to) genau ein Kreis existiert, der die Kurve in c(to) beruhrt (dort also dieselbe Tangente besitzt) und die Krummung I\;(c(to)) hat. Ohne Einschrankung dUrfen wir to = 0 und c(O) = 0 annehmen. Gesucht ist also ein Kreis
k(t)
= (~+ pcos(t + rp),1] + psin(t + rp))
vom Radius p mit k(O) = 0, k(O) = Q:c(O) fUr ein Q: E ~ und pl\;(O) = 1. Aus der ersten Gleichung folgt ~ = -r cos rp und 1] = -r sin rp und aus der letzten r = 1«0)' so dass nur rp zu bestimmen ist. Aus der zweiten Gleichung folgt aber k(O) = (-rsinrp,rcosrp) =
Q:C(O) und daraus rp setzen ist.
= -arctan~~I~l
wobei rp
= ±i
fUr C2(0)
= 0 und Cl(O)~O
zu
Wir nennen den so bestimmten Kreis den Krummungskreis im Punkt (xo, Yo) und seinen Radius p = ~ den Krummungsradius der Kurve c in diesem Punkt. FUr den Mittelpunkt (~, 1]) dieses KrUmmungskreises erhalten wir also:
152
3. DIFFERENTIALRECRNUNG
d.h.
Die Kriimmungskreismittelpunkte
Den geometrischen Ort aller Krummungskreismittelpunkte einer Kurve bezeichnet man nach CR. HUYGENS (1673) als deren Evolute. 1st die Kurve C nach ihrer Bogenlange parametrisiert, so besitzt die Evolute Cev die Darstellung Cev
= C + -K1 J C. = C + PJ'c.
Beispiele 9. Wir k5nnen jetzt die Behauptung aus Abschnitt 2.4 beweisen, dass die Evolute einer Zykloide wiederum eine Zykloide ist. In der Tat erhalt man fUr c(t) = ret - sint, 1- cost), tEl., sofort durch Differentiation als Evolute die Kurve
Cev(t) = ret + sint, -1 + cost) = (n!', -2r) also cev(t) Zykloide.
= (rll', -2r) + c(t - 11'),
+ r((t -11') -
sin(t -11'), 1- cos(t -11')),
eine urn 11' verschobene, in (rll', -2r) startende
10. Wir wollen noch die Evolute einer Parabel y = ax 2 + b bestimmen. Hier liefert die Parametrisierung c(t) = (t,at 2 + b), t E lR, fur die Evolute sofort
also eine semikubische Parabel. 1st die Kurve als Graph einer Funktion f gegeben (was wir nach dem Satz uber implizite Funktionen ohne weiteres annehmen durfen), so kann man die Krummungskreismittelpunkte auch nach der folgenden Idee von I. NEWTON (1671) bestimmen. Dazu beachtet man, dass der Krummungskreismittelpunkt fUr den Kurvenpunkt (xo, f(xo)) auf der Normalen an die Kurve, y = f(xo) - f'(~O) (x - xo), liegt. Der Schnittpunkt mit der Normalen in einem benachbarten Kurvenpunkt (xo + h, f(xo + h)) ist dann gerade der gesuchte Krummungskreismittelpunkt (~, 11), wenn man h -+ 0 gehen lasst. Es muss also 11 = f(xo) - f'(~O) (~ - xo) gelten und als Funktion von Xo muss 11 in ~ einen stationaren Punkt besitzen, also
dy dxo sofort ~
-Xo
=
=f
I
(xo)
*"
(~)
= 0 erfUllen.
f"(xo)
+ f'(xo)2 (x -
(1 + l' (XO)2) l' (xo) f"(xo)
xo)
Nun folgt aber aus 1
+ f'(XO) = 0,
153
3.1 EBENE KURVEN und damit fUr den Betrag der Krummung
Wir erhalten auch das Vorzeichen der Krummung, wenn wir die Normale so orientieren, dass sie aus der Tangente durch Drehung urn i entsteht. Ihr Vorzeichen stimmt dann mit dem von f" (xo) uberein. Sieht man den Ubergang von einer Kurve zu ihrer Evoluten als eine Art Ableitung an, so stellt sich die Frage nach der Umkehrung. 1st eine gegebene Kurve stets die Evolute einer anderen Kurve? Dies ist in der Tat der Fall. Wie bei der Integration, ist eine solche Kurve - sie wird als Involute bezeichnet - jedoch nicht eindeutig bestimmt. Bevor wir diese Involuten bestimmen, sehen wir uns die Kurve Cev etwas genauer an. Fur eine naturlich parametrisierte Kurve C ist Cev i.a. nicht naturlich parametrisiert. Fur die BogenUinge (J von Cev und den Einheitstangentenvektor tev = II~::II gilt vielmehr
o-tev =
:s
(c(s) + pJc(s)) = c(s) + pJc(s) + jJJc(s)
= t(s) -
pll:t(s)
+ pn(s) = pn,
da J2 der Multiplikation mit -1 entspricht. Es gilt also 0- = ±p, d.h. (J = a ± p mit einer Konstanten a. Ohne Einschrankung k6nnen wir hier (J = a + p wahlen. Dann folgt tev = n und wegen Cev = C + pn die Beziehung C = Cev - ptev . Eine Involute Cen einer gegebenen naturlich parametrisierten Kurve C besitzt dann mit einer willkurlichen Konstanten a die Parametrisierung
Cen(s)
= c(s) + (a - s)c(s).
Wir k6nnen also die Kurve C aus der Evoluten Cev rein geometrisch rekonstruieren bzw. zu vorgegebener Kurve auch die gesuchte Involute. Dazu denkt man sich die Evolute (oder die Ausgangskurve) mit einem Faden belegt, den man von einem Punkt der Evolute (bzw. der Ausgangskurve) aus abwickelt. Der Endpunkt des strafi'en Fadens beschreibt die gesuchte Kurve, eine so genannte Evolvente - dieser Begriff stammt ebenfalls von HUYGENs. Bisher haben wir ausschlieBlich differenzierbare Kurven betrachtet. Mit dem Aufkommen der Fourier-Reihen wurde der Funktions- und damit auch der Kurvenbegriffweiter gefasst. Man untersuchte auch beliebige stetige Kurven. Urn einen ersten Eindruck von der Vielfalt der dabei vorkommenden Phiinomene zu geben, beschreiben wir die zuerst von G. PEANO (1890) und von D. HILBERT (1891) konstruierten stetigen Kurven. Sie haben eine stetige Kurve c: [0, 1]-t [0,1] x [0, 1] konstruiert, deren Bild das ganze Quadrat [0, 1] x [0, 1] ausfullt. Man geht aus von einer stetigen Kurve cp : [0, 1] -t [0, 1] x [0, 1], die die Punkte cp(o) = (0,0) und cp(1) = (1,0) miteinander verbindet. Verm6ge der Operation (cp)
°~ t ~ ~,
~ ~ t ~ ~, ~ ~ t ~ ~, ~ ~ t ~ 1,
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
154
wird eine neue Kurve Cl = (c) : [0,1] -+ [0,1] x [0, 1] mit der Eigenschaft Cl (0) = (0,0) und Cl (1) = (1,0) definiert.
Fig. 3.14 Man definiert nun induktiv Cn = (cn-d fUr n ?: 2. Die wesentliche Eigenschaft des Operators besteht darin, dass fUr zwei Ausgangskurven i.p und 1/J mit dem Abstand max{IIi.p(t) -1/J(t)111 0 ~ t ~ I} ~ M die Bildkurven den Abstand max{II(i.p)(t) - (1/J)(t)111 0 ~ t ~ I} ~ besitzen, man mit 1/J
= Cm
M
2
nach n Schritten also
erhalt. Die F\mktionenfolge (Cn)nEN konvergiert also gleichmiillig auf [0,1]' und die Grenzfunktion C besitzt die gewtinschten Eigenschaften: sie ist stetig und surjektiv. Die Stetigkeit ist offensichtlich und die Surjektivitat sieht man wie folgt ein: 1st (x, y) E [0,1] x [0,1], so existiert nach Konstruktion eine Folge (tn)nEN mit lim n -+ oo cn(t n ) = (x, y). Aufgrund der Kompaktheit von [0,1] besitzt die Folge (tn)nEN eine konvergente Teilfolge (tn. hEN, und fUr deren Grenzwert t E [0, 1] gilt
denn C ist gleichmaBig stetig, und (Cn)nEN konvergiert gleichmaf3ig. Da E > 0 beliebig gewahlt werden kann, folgt c(t) = (x, y). Man kann sogar zeigen, dass die Komponenten Cj, j = 1,2 der stetigen Kurve beide nirgends differenzierbar sind. Einen Beweis hierfUr und mehr tiber flachen- oder raumftillende Kurven findet man in [Sag]. Aufgaben 1. Man lose die Quadratur des Kreises mit Hilfe der archimedischen Spirale, die in Polarkoordinaten durch r = ai.p gegeben ist.
2. Zeigen Sie: (a) Der Inhalt der Flache, die von der Kissoide und der Geraden x = 2a begrenzt wird, betragt 37ra 2 (CH. HUYGENS (1658)). (b) Das Volumen des Korpers, den man erhalt wenn man diese Flache urn die Gerade x = 2a rotiert, betragt 27r 2 a3 (R. DE SLUSE (1668)). (c) Der Flacheninhalt des "Efeublattes" betragt (27r - 4)a 2 . 3. Man diskutiere die Kurve, die durch die Gleichung
3.1 EBENE KURVEN
155
gegeben ist (die Lemniskate von GERONO, die G. DE ST. VINCENT 1647 zuerst untersucht hat). 4. Man bestimme die Evolute fur die Ellipse ~2 + ~ = 1 (d.h. c(t) = (acost,bsint), t :::; 2IT) und fUr die allgemeine logarithmische Spirale r = ae'P cot 'IjJ. 2
°: :;
2
5. Man bestimme die Evolute der Funktion y = a cosh ~ sowie die Kurve, die man erhalt, wenn man die Krummungskreisradien in negativer Richtung auf der Normalen abtragt. 6. Folgern Sie den Satz uber implizite Funktionen fur Potenzreihen aus dem WeierstraB'schen Vorbereitungssatz. 7. Man verifiziere die in Beispiel 4 angegebenen zweiten Naherungen.
°nahe
8. Bestimmen Sie Puiseux-Reihen u(x) fur die Kurvenzweige von f(x, y) (x, y) = (0,0) fur (a) f(x, y) = x4 + y4 _ y3 (b) f(x, y) = x4 + y4 _ y2.
9. Eine Konstruktion mit Zirkel und Lineal in endlich vielen Schritten ist algebraisch gegeben durch eine endliche Kette Q = Ko C Kl C ... C Kn von Karpern, wobei Kj+l = Kj(..jCj) mit Cj E K j , ..jCj ~ K j , j = 0, ... , n - 1 (vgl. 1.3, Aufgabe 5). Beweisen Sie mit den folgenden Schritten, dass die Dreiteilung des Winkels von 60° mit Zirkel und Lineal nicht durchfuhrbar ist. (a) Die kubische Gleichung x 3 - 3x - 1 = beachte cos 60° = ~ - besitzt drei reelle Lasungen. (b) 1st a + by'c E K (y'c) Lasung von x 3 - 3x - 1 = 0, wobei y'c ~ K, so ist auch a - by'c eine Lasung. (c) Die kubische Gleichung x 3 - 3x - 1 = besitzt keine rationale Lasung. Behandeln Sie analog das Problem der Wurfelverdopplung sowie das der Konstruktion eines regelmaBigen Siebenecks. Diese Methode stammt von E. LANDAU (1897).
°-
°
10. Beweisen Sie, dass man durch die oben angegebene Reihe von eine Lasung der Gleichung x = y + ym erhiilt.
LAMBERT
in der Tat
°
11. Zeigen Sie: (a) Die Funktion E, die die Kepler'sche Gleichung fur festes < E < 1 lOst, ist als Funktion in M monoton wachsend. (b) Die Funktion E sin E ist (als Funktion in M) ungerade und 2IT-periodisch. (c) Die Funktion E lasst sich in der Form 00
E(M)
= M + Lan sin(nM) n=l
darstellen, wobei die Fourier-Koeffizienten an durch
an
= -2
nIT
1" 0
cos(nt - nEsint) dt,
nEN
gegeben sind. Hinweis: Man bestimme zuniichst die Fourier-Koeffizienten der Ableitung
jfr.
156
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
(Wie oben bemerkt, gilt an = ~Jn(nE). Die Integraldarstellung ist die ursprungliche Definition der Bessel-Funktionen I n ; die Reihendarstellung
=L 00
In(x)
k=O
(_I)k
k!(k + n)!
(X)2k+n
2
'
fUr die Koeffizienten ist fUr n :( 3 allerdings schon von J.-L. LAGRANGE gegeben worden. Wir verweisen etwa auf [Heu] fUr den Zusammenhang und die Rolle, die die Bessel-Funktionen in der Theorie der Differentialgleichungen spielen.) 12. Diskutieren Sie die Kurve, die parametrisiert wird durch
Zeigen Sie dabei im einzelnen: (a) Der Krummungsradius ist umgekehrt proportional zur Bogenlange - man vergleiche die entsprechenden GroBen bei der logarithmischen Spirale. (b) Die Kurve hat in (0,0) einen Wendepunkt und beschreibt fur t > 0 ein Links-, fUr < 0 eine Rechtskurve.
t
(c) Die Kurve ist punktsymmetrisch zu (0, 0) und windet sich fUr t --+ 00 spiralformig gegen einen Punkt (xo, Yo) im ersten Quadranten (bzw. fUr t --+ -00 gegen (-xo, -Yo)) - E. CESARO bezeichnete sie daher 1886 als Klothoide. Hinweis: Man zeige, dass die Flacheninhalte der aufeinanderfolgenden "Wellenberge und -taler" monoton gegen 0 gehen, und verwende das Leibniz-Kriterium. (Mit Kurven, die das Krummungsverhalten wie in (a) zeigen, hat sich bereits JAK. BERNOULLI beschaftigt, ohne jedoch ihre explizite Gestalt bestimmen zu konnen. Dies gelang erst 1744 L. EULER, wobei er durch Integration die angegebene Parameterdarstellung fand. Er hat dann 1781 auch ihre Konvergenz fUr t --+ 00 nachgewiesen und dabei Xo = Yo = ~fo gezeigt; vgl. [Eul]. Die uneigentlichen Integrale heiBen nach A.J. FRESNEL auch Fresnel'sche Integrale. Dieser untersuchte sie 1818 im Zusammenhang mit Beugungserscheinungen des Lichts. In diesem Zusammenhang hat der Physiker A.M. CORNU 1874 auch zuerst eine geometrische Beschreibung der Kurve gegeben; sie heiBt daher auch Comu'sche Spirale. Heute werden KlothoidenbOgen aufgrund ihrer Krummungseigenschaften beim Bau von Autobahnauffahrten benutzt, urn den Krummungsunterschied zwischen Geraden und Kreisbogen zu glatten. Ferner finden sie bei Kurvenlinealen Verwendung.)
Literaturhinweise [Arn] Arnol'd, V.I.: Huygens and Barrow, Newton and Hooke, Birkhauser, Basel, 1990 siehe Abschnitt 2.4
[BK] Brieskorn, E., Knorrer, H.: Ebene algebraische Kurven, Birkhiiuser, Basel, 1981 Dies ist die beste Einfiihrung in die moderne algebraische Geometrie.
[Bur] Burau, W.: Algebraische Kurven und Fliichen, Band 1: Algebraische Kurven der Ebene, Sammlung Goschen Band 435, W. de Gruyter, Berlin, 1962 Einfiihrung in die klassische algebraische Geometrie der Kurven
3.1
EBENE KURVEN
157
[Cha] Chandrasekhar, S.: Newton's Principia for the Common Reader, Clarendon Press, Oxford, 1995 Obwohl NEWTONS "Principia" sogar in deutscher Ubersetzung vorliegen - Mathematische Prinzipien der Naturlehre, hrsg. von J. Ph. Wolfers, Wiss. Buchges. Darmstadt, 1963 - ist der Text heute fiir den mathematischen (und physikalischen) Laien sehr schwer zu lesen. Das Buch gibt eine moderne Darstellung der wichtigsten Passagen mit vielen Kommentaren.
[Eul] Euler, L.: Zur Theorie komplexer Funktionen, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 261, Harri Deutsch, Frankfurt, 19962 siehe Abschnitt 1.1
[GP] Genocchi, A., Peano, G.: Differentialrechnung und Grundzuge der Integralrechnung, Turin, 1884, dt. von G. Bohlmann und A. Schepp, Teubner, Leipzig, 1899 siehe Abschnitt 3.2
[Gra] Gray, A.: Modern Differential Geometry of Curves and Surfaces with Mathematica®, CRC Press, Boca Raton, 1998 Elementare Einfiihrung in die Differentialgeometrie mit vielen Bildern, die mit Hilfe des ComputerAlgebra-Programms MATHEMATICA erstellt wurden. Das Buch enthalt ferner eine Vielzahl kurzer biographischer Notizen und Bildnissen von Mathematikern.
[Heu] Heuser, H.: Gewohnliche Differentialgleichungen, Teubner, Stuttgart, 1991 2 siehe Abschnitt 2.4
[Kno] Knorr, W.R.: The Ancient Tradition of Geometric Problems, Birkhauser, Boston, 1986 Eine eingehende Studie tiber den Ursprung der drei klassischen Probleme der Geometrie
[Lor] Loria, G.: Spezielle algebraische und transzendente ebene Kurven, Teubner, Leipzig, 1902 Ein fast enzyclopadisches Werk zur Theorie und zur Geschichte ebener Kurven
[New] Newton, 1.: The Mathematical Works of Isaac Newton, Vol. I,ll, ed. D.T. Whiteside, Johnson Reprint Corp., New York, 1967 Die beiden Bande enthalten eine Auswahl seiner wichtigsten mathematischen Schriften in englischer Sprache (Band 1 die Arbeiten zur Analysis (Reihenlehre und Fluxionsrechnung), Band 2 u.a. ·die Klassifikation kubischer Kurven). Ausfiihrlicher ist die Werkausgabe Mathematical Papers, 8 Bande, Cambridge Univ. Press, Cambridge, 1967-1981, yom selben Herausgeber.
[Sag] Sagan, H.: Space-Filling Curves, Springer, Berlin, 1994 siehe Abschnitt 2.2
[SD] Schupp, H., Dabrock, H.: Hohere Kurven, B-I·Wissenschaftsverlag, Mannheim, 1995 Es werden die ebenen Kurven (mit ihren Anwendung in der Technik) dargestellt, die in der Schule besprochen werden konnten.
[Vah] Vahlen, Th.: Konstruktionen und Approximationen, Teubner, Leipzig, 1911 Das Buch beschaftigt sich mit der Frage geometrischer Konstruktionen mit Zirkel und Lineal sowie auch anderer Hilfsmittel. 1m Fall der Quadratur des Kreises, der Winkeldreiteilung oder der Konstruktion von regelmaBigen Vielecken werden auch Naherungskonstruktionen vorgestellt.
[vdW] van der Waerden, B.L.: Erwachende Wissenschajt, Birkhiiuser, Basel, 1956 siehe Abschnitt 2.1
158
3.2
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Extremwerte und Singularit§.ten Rein gar nichts ereignet sich in der Welt, worin nicht ein Gesetz des Maximums oder Minimums zutage tritt. - Leonhard Euler
Wie bei Funktionen einer Variablen k6nnen auch fUr Funktionen von zwei (und mehr) Variablen hOhere Ableitungen erklart werden, falls ad und 021 wieder differenzierbar sind. Dann besitzt ad die Ableitungen all I = 01 (ad) und 02d = 02 (ad), und analog sind 022/ und 0121 definiert. Wir sagen I sei n-mal stetig partiell difJerenzierbar (oder kurz stetig difJerenzierbar), falls Oil ... in-J stetig partiell differenzierbar ist. Polynome etwa sind n-mal stetig partiell differenzierbar fiir jedes n E N.
Beispiel 1. Fiir die Funktion I(x, y)
= x 3 + y3 -
od(x, y) = 3x 2 - 3ay, 021 oll/(x,y) = 6x, 0221 = 6y, 012/(X,y) = -3a = 02I/.
3axy erhalten wir
= 3y2 - 3ax,
Es rallt auf, dass 0121 und 02d hier iibereinstimmen. dass dies allgemeiner gilt, hat bereits L. EULER 1734 bemerkt, und H.A. SCHWARZ hat es 1873 streng bewiesen:
Satz von Schwarz 1st
I : G -+ JR zweimal stetig partiell differenzierbar, so gilt 812 /(X, y)
=
821/(x, y)
fiir alle (x,y) E G. Fiir den Beweis k6nnen wir G = (-E, E) X (-E, E) annehmen. Ferner reicht es 0.E., dies im Punkt (0,0) nachzuweisen. Wir wahlen nun zu n E N mit ~ < E die Funktion In: (-E,E) -+ JR, die durch
In(x)
= I(x,~)
- l(x,O)
definiert ist. Dann gilt nach dem Mittelwertsatz
zunachst fUr ein ~n E (O,~) und dann fUr ein
7]n
E (0, ~). Es folgt
3.2 EXTREMWERTE UNO SINGULARITATEN
159
Karl Hermann Amandus Schwarz * 25.1.1843 Hermsdorf / t 30.11.1921 Berlin nach dem Studium bei Weierstraf3 in Berlin 1867 zunachst in Halle, 1869 Professor an der ETH in Zurich, 1875 in Gottingen, 1892 Nachfolger von WeierstraB in Berlin. Sein Hauptarbeitsgebiet war die Analysis, wo er Beitrage zur Funktionentheorie, insbesondere uber konforme Abbildungen und zur Potentialtheorie, zur Variationsrechnung (isoperimetrische Eigenschaften der Kugel) sowie zur Eigenwerttheorie partieller Differentialgleichungen lieferte. und analog
fUr geeignete ~n,iin E (0,
*). Es gilt also
und da die partiellen Ableitungen in (0,0) stetig sind, folgt die Gleichheit auch im Nullpunkt. dass hier auf die Stetigkeit der zweiten partiellen Ableitungen nicht verzichtet werden kann, zeigt das Beispiel von Aufgabe 2, das von G. PEANO (1884) stammt. Wir erinnern an ein bekanntes Resultat aus der Differentialrechnung fUr Funktionen einer Variablen: 1st f zweimal stetig differenzierbar auf dem Intervall [a, bJ und c E (a, b) mit f'(c) und f"(c) > 0, so besitzt f in c ein relatives Minimum.
=0
Wir wollen dies auf Funktionen zweier Variablen ausdehnen. Definition 1st f : G C ]R2 -+ ]R gegeben, so besitzt f in dem inneren Punkt a E G ein striktes lokales Minimum, falls ein 8 > 0 existiert, so dass f(x) < f(a) fUr aIle x E Bo(a) gilt.
SinngemaB definiert man ein striktes lokales Maximum. 1st
f zweimal stetig differenzierbar und ist a E G ein innerer Punkt, so ist auch g(s)
= f(a1 + scost,a2 + ssint)
zweimal stetig differenzierbar in (-8,8) fUr festes t E [0,11"]. Nach der Kettenregel gilt
g'(s) gl/(s)
= ad cost + 02f sint, = ouf cos2 t + 20121 costsint + 0221sin2 t,
160
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
wobei wir den Satz von Schwarz ausgenutzt haben. Das Studium dieser beiden Ableitungen wird uns den folgenden Satz liefern.
Kriterium mr lokale Extrema Besitzt die stetig differenzierbare Funktion f : G C ]R2 --+ ]R in dem inneren Punkt a E G ein relatives lokales Extremum, so gilt
8d(a)
= 0 = 82f(a).
1st umgekehrt diese Bedingungen erfullt, zierbar und gilt
f
zweimal stetig differen-
so liegt in a ein relatives lokales Minimum vor, falls 8l1f(a) > 0, bzw. ein relatives lokales Maximum, falls 8l1f(a) < O. 1st dagegen
so liegt kein Extremum vor sondern ein Sattelpunkt, d.h. es existieren tl, t2, so dass g fur tl ein striktes relatives Minimum in 0 und fUr t2 ein striktes relatives Maximum in 0 besitzt. Besitzt einerseits f in a etwa ein relatives Minimum, so gilt g(s) chend klein. Es folgt notwendigerweise
g'(O)
< g(O) fUr lsi hinrei-
= 8d(a) cost + 8d(a) sin t = 0,
und da wir t beliebig wahlen k6nnen (etwa t
= 0 oder t = I)'
folgt
(+ ) 1st nun umgekehrt 8d(a)
= 82f(a) = 0, so folgt g'(O) = 0, und es ist g"(O) > 0, falls
Nach dem obigen eindimensionalen Resultat ist dies ein hinreichendes Kriterium dafUr, dass f in a ein striktes relatives Minimum besitzt. 1st sin t = 0, so gilt (*) nur fUr 8l1f(a) > 0, ist sint #- 0, so folgt (*), falls zusatzlich
gilt oder dazu dazu aquivalent
(8 12 f(a))2 - 811 f(a)8 22 f(a) < O.
3.2
161
EXTREMWERTE UND SINGULARITATEN
Mit quadratischer Erganzung erhiilt man namlich dann fUr (*)
811 f( a) cos 2 t + 2812 f( a) sin t cos t + 822 f( a) sin2 t 2
812 f(a). 822 f(a) . 2 ) sm t cos t + 811 f(a) sm t
= 811 f(a) ( cos t + 2 811 f(a)
812f(a) . sm t
= 811 f(a) ( cos t + 811 f(a)
)2
812f(a) . )2 822 f(a). 2 ) - 811 f(a) (( 81lf(a) smt - 81lf(a) sm t > O. Die Bedingungen lassen sich auch kUrzer mit Hilfe der so genannten Hesse-Matrix
formulieren. Diese ist symmetrisch, und es gilt daher gerade det H(f)(a)
= (8 12 f(a))2
- 811 f(a)8 22 f(a).
Fig. 3.15 Typische Beispiele sind die Funktionen J± (x, y) = ± (x 2 + y2) bzw. f s (x, y) = x 2 _ y2. Die ersten beiden haben in (0,0) in Abhiingigkeit vom Vorzeichen ein Maximum oder Minimum, wahrend fs in (0,0) einen Sattelpunkt besitzt; siehe Fig. 3.15. Gilt (+), aber
so ist zunachst keine Aussage moglich. Wie im eindimensionalen Fall kann die Gestalt der Funktion in der Nahe von a eventuell durch hOhere Ableitungen ermittelt werden. Zum Beispiel konnen mehrfache Sattelpunkte auftreten, wie etwa beim so genannten Affensattel. Dieser wird beschrieben durch die Funktion
162
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Fig. 3.16 Wie die Fig. 3.16 zeigt, lasst er im Gegensatz zum gewohnlichen Sattel auch Platz fur den Affenschwanz. Beispiele 2. Die hinreichende Bedingung ist starker als die Bedingung, dass die Funktion f bezuglich jeder Richtung in a ein striktes Minimum besitzt. Dazu hat G. PEANO ein Beispiel gegeben. Die Funktion
f(x, y)
= (y2 -
2X)(y2 - x)
= 2X2 _ 3xy2 + y4
°
hat (0,0) als singularen Punkt. Man rechnet leicht nach, dass fur festes t und fur g wie oben g"(O) = 4cos 2 t gilt. 1st t -I- ~ + k7r, so ist g"(O) > und es liegt ein striktes Minimum vor. Der Fall t = ~ + k7r entspricht der Funktion f(O, y) = y4, und diese hat
-V;
ebenfalls ein striktes Minimum in (0,0). Da f(~y2,y) = und f(2 y2,y) = 3y4 gilt, sieht man, dass in jeder Umgebung von (0,0) positive und negative Funktionswerte existieren, also kein Extremum vorliegen kann. Guiseppe Peano
* 27.8.1858 Spinetta / t 20.4.1939 Thrin
Mathematiker und Logiker, 1890 Professor in Turin. Neben seinen Beitragen zur Analysis wurde er durch seine Arbeiten uber die Grundlagen der Mathematik bekannt, in denen er eine stark formalisierte Sprache benutzte. Er formulierte das noch heute verwendete Axiomensystem fur die Menge der naturlichen Zahlen und lieferte eine axiomatische Begrundung der linearen Algebra; dabei pragte er speziell den Begriff der Dimension eines Vektorraums. 3. Bei der Funktion aus Beispiel 1 sind die Bedingungen (+) genau in (0,0) und (a, a) erfUllt. 1st a > 0, so erhalten wir
(812 f(a,a))2 - 8 11 f(a,a)82d(a)
= -27a2
0, d.h. es liegt ein striktes Minimum VOL Der Nullpunkt ist ein Sattelpunkt, denn fUr die Einschrankungen auf die Diagonale bzw. auf die Gegendiagonale erhalten wir
f(x, x)
= 2x3 -
3ax 2,
bzw.
f(x, -x)
= 3ax 2,
163
3.2 EXTREMWERTE UND SINGULARITATEN welche in x
= 0 ein striktes relatives Maximum bzw.
Minimum haben.
Das hinreichende Kriterium fUr relative Extrema wurde 1759 von J.- 1. LAGRANGE gefunden. Von ihm (1788) stammt auch die folgende Vorgehensweise, die es erlaubt, Extremwerte einer Funktion von zwei Variablen unter Nebenbedingungen zu bestimmen. Er schreibt (siehe [Lag]): Es kommt im Aligemeinen nur darauf an, dass man, wenn eine Function mehrerer veranderlicher Gr6ssen ein Maximum oder Minimum sein soli, und zwischen den veranderlichen Gr6ssen eine, oder mehrere Bedingungs-Gleichungen gegeben sind, die Grossen, welche Nuli sein solien, jede mit einer beJiebigen unbestimmten Gr6ssen multiplicirt, die Producte zu der gegebenen Grosse addiert und von der Summe das Maximum oder Minimum auf die nemliche Weise sucht, als wenn die Gr6ssen ganzJich von einander unabhangig waren. Die Gleichungen, welche man auf diese Weise findet, verbunden mit den Bedingungs-Gleichungen, dienen zur Bestimmung der unbekannten Gr6ssen.
Dabei ist neb en einer zweimal stetig differenzierbaren Funktion f : G --+ JR eine zweimal stetig differenzierbare Kurve g(x, y) = 0 gegeben, und man sucht Extrema von f unter der Nebenbedingung g(x,y) = 0, d.h. Extrema der Einschrankung fly-l(o).lasst sich g mit Hilfe des Satzes uber implizite Funktionen auflosen, d.h. gilt g(x, h(x)) = 0 fur eine geeignete Funktion h, so erhalt man die gesuchten Extrema, indem man die Funktion ft(x) = f(x,h(x)) betrachtet, die nur von einer Variablen abhangt. Ebenso verfahrt man, wenn fUr die Kurve ein Parametrisierung c : [a, b] --+ G vorliegt: Man betrachtet dann h(t) = f(c(t)) und erhalt als notwendige Bedingung fUr ein Extremum im Punkt (xo, Yo) = c(to) E G !h(to)
= 8t!(xo, YO)Cl (to) + 82 f(xo, YO)C2(tO) = o.
In einem solchen Punkt muss also grad f(xo, Yo) senkrecht stehen auf c(to), d.h. es mussen grad f(xo, Yo) und grad g(xo, Yo) parallel sein: Es existiert eine reelle Zahl .>.., ein so genannter Lagrange-Multiplikator, mit grad f(xo, Yo)
= .>.. grad g(xo, Yo).
Zusammen mit der Nebenbedingung g(xo,yo) = 0 fUhrt diese Bedingung auf drei Bestimmungsgleichungen fur die drei Unbekannten xo, Yo und ,\. Fuhrt man zusatzlich die Lagrange-Funktion
L(x, y,.>..)
= f(x, y) -
.>..g(x, y),
(x, y) E G,'>" E JR,
ein (eine Funktion von drei Variablen), so kann man obige Bedingung kurz wie folgt schreiben. Kriterium fUr Extrema unter Nebenbedingungen Liegt fUr eine stetig differenzierbare Funktion f : G --+ JR im Punkt (xo, Yo) E Gunter der Nebenbedingung g(xo, Yo) = 0 ein lokales Extremum vor, so gilt fUr die zugehOrige Lagrange-Funktion L die Bedingung
3.
164
DIFFERENTIALRECHNUNG
Das Kriterium ist natiirlich nicht hinreichend; im Einzelfall ist stets zu iiberpriifen, ob dann tatsachlich ein Extremum vorliegt. Man kann auch hinreichende Kriterien formulieren, wir wollen darauf aber nicht weiter eingehen.
Beispiel 4. Unter allen rechtwinkligen Dreiecken mit gegebener Hypothenuse c ist das mit groBtem Flacheninhalt zu finden. Wir bezeichnen die Katheten mit x bzw. y, haben also die Funktion I(x,y) = ~xy, X,Y > 0, zu maximieren. Die Nebenbedingung ist, bei Einschrankung auf rechtwinklige Dreiecke, durch g(x, y) = x 2 + y2 - c2 = 0 gegeben. Die Lagrange-Funktion lautet also
und wir erhalten
und daraus sofort x
= y = 1 c,
also das gleichschenklige Dreieck.
Alle bisherigen Uberlegungen lassen sich auch auf Funktionen von mehr als zwei Variablen iibertragen, ja sogar auf unendlich viele Variable. Wir wollen dies hier nicht im einzelnen ausfiihren, sondern mit einer einfachen Anwendung illustrieren.
Beispiel 5. Gesucht wird das Dreieck groBtmoglichen Flacheninhalts, das sich in einen Kreis vom Radius 1 einbeschreiben lasst. Dazu zerlegen wir ein Dreieck in die drei Dreiecke, die man erhalt, wenn man jeden Eckpunkt mit dem Kreismittelpunkt verbindet. Bezeichnen 0:1,0:2 und 0:3 die drei Zentriwinkel, so ist der Flacheninhalt
zu maximieren unter der Nebenbedingung Funktion
0:1
+ 0:2 + 0:3
27r. Mit der Lagrange-
erhalt man sofort aus grad L(o:, A) = 0 die 4 Bedingungen cos O:i = A, i = 1,2,3, und 0:1 + 0:2 + 0:3 = - 27r. Also muss 0:1 = 0:2 = 0:3 = 23" gelten, d.h. das gesuchte Dreieck ist ein gleichseitiges. Damit erhalt man sofort auch eine Antwort auf die Frage nach dem einbeschriebenen n-Eck mit groBtmoglichem Flacheninhalt. Es muss ein regelmaBiges n-Eck sein. Wie man solche Probleme ohne analytische HilfsmittellOst, findet man in [Niv] oder [Tik]. Wir haben schon an einigen Stellen die Einschrankungen einer Funktion 1 in radialer Richtung betrachtet und dabei gesehen, dass deren Verhalten keinen vollstandigen Aufschluss iiber die Funktion geben. Die Stetigkeit folgt nicht aus der partiellen Differenzierbarkeit, ja nicht einmal aus der radialen Differenzierbarkeit, wie das folgende Beispiel zeigt.
Xi:t2
Beispiel 6. Es sei 1 : ]R2 ---+ ]R definiert durch I(x, y) = fUr (x, y) i= (0,0) und 1(0,0) = (0,0). Dann ist 1 in jedem Punkt (x, y) i= (0,0) stetig partiell differenzierbar
3.2
165
EXTREMWERTE UND SINGULARITATEN
Fig. 3.17 (sogar beliebig oft). 1m Nullpunkt ist i- 0 gilt
f
radial differenzierbar: Fur (x, y)
i-
(0,0) und
t
1 tx 2y -(f(tx,ty) - f(O,O)) = 2 2 2 -+ 0 t t x +y fUr t -+ 0 (beachte dabei f(x, 0) = 0). Jedoch ist f in (0,0) nicht stetig, wie man leicht anhand von f(x, cx 2) = 1-:'c2 erkennt.
Allgemeiner kann man fUr jeden Punkt a E G und einen Vektor v E ~2 in a die Richtungsableitung in Richtung v definieren als den Grenzwert
ovf(a)
. 1 = hrp(f(a + tv) -
to t
f(a)),
falls dieser existiert. Die partiellen Ableitungen erhalt man speziell fUr v = e1 = (1,0) bzw. v = e2 = (0,1). Es gibt noch einen weiteren Differenzierbarkeitsbegriff, der "zwischen" der partiellen Differenzierbarkeit und der stetigen partiellen Differenzierbarkeit liegt. Er liefert die eigentliche naturliche Verallgemeinerung der Ableitung fUr Funktionen von zwei (und mehr) Variablen. Er wurde 1887 von O. STOLZ eingefUhrt: Definition
Eine Funktion f : G -+ ~ total difJerenzierbar im Punkt a E G, falls eine lineare Abbildung A : ~2 -+ ~ existiert und eine stetige Funktion r : G -+ ~ mit rea) = 0, so dass
f(x)
= f(a) + A(x -
a)
+ r(x)llx - all
(x)
fUr alle x E G gilt. Nun ist A(v) fUr v E ~2 von der Form A(v) = m1v1 +m2v2 mit (m1,m2) E ~2. Dieser Vektor ist eindeutig bestimmt und ist gegeben durch den Gradienten grad f(a). Wiihlt man niimlich x = a + tej mit t i- 0, so folgt f(x) - f(a) = tmj + r(x)t, also mj
. 1 = t--+O hm - (f(a + tej) t
f(a))
= ojf(a).
166
3.
DIFFERENTIALRECHNUNG
Insbesondere ist eine total differenzierbare Funktion partiell differenzierbar (sogar in jeder Richtung: Ov f (a) = A(v)), und aus (x) folgt sofort, dass f im Punkt a auch stetig ist. Die totale Differenzierbarkeit ist also eine starkere Eigenschaft als die partielle Differenzierbarkeit. 1st f allerdings stetig partiell differenzierbar, so ist f auch total differenzierbar. In diesem Fall konnen wir mit Hilfe des Mittelwertsatzes
f(x) - f(a)
= f(XI,X2) - f(al,x2) + f(al,x2) - f(al,a2) =od(6, X2)(XI - al) + od(al, 6)(X2 - a2) =od(al, a2)(xI - ad + od(al, a2)(x2 - a2) + r(x)llx - all = (grad f(a), x - a) + r(x)llx - all
schreiben, wobei
rex)
1
= Ilx _ all ((olf(6,X2) -
od(al,a2))(xl - al)
+ (o2f(al,6) - od(al, a2))(x2 - a2). Wegen IXj - ajl ~ Ilx - all und wegen ~j(x) --+ aj fUr Xj --+ aj folgt dann aber rex) --+ 0 ftir x --+ a aufgrund der Stetigkeit der partiellen Ableitungen, also die totale Differenzierbarkeit. Der Graph der affin-linearen Approximation
ist eine affine Ebene im ~3. Sie heiBt die Tangentialhyperebene an den Graphen von im Punkt (a,f(a)).
f
Hat man zwei Funktionen lI, 12 : G --+ ~, so heiBt die vektorwertige Funktion f = (lI, h) total differenzierbar, falls es eine lineare Abbildung A : ~2 --+ ~2 und eine stetige Funktion r : G --+ ~2 mit denselben Eigenschaften wie in der Definition gibt. Dies gilt insbesondere, falls jede Komponente von f stetig partiell differenzierbar ist. Die lineare Abbildung A Uisst sich dann durch die lakobi-Matrix l(j)(a) darstellen, deren Spalten durch die Gradienten von II und 12 gebildet werden:
SinngemaB kann man auch die totale Differenzierbarkeit von Abbildungen f : G --+ ~m fUr G c ~n erklaren. Wir wollen dies nicht naher ausfUhren, sondern nur noch eine Verallgemeinerung des Satzes tiber implizite Funktionen formulieren und beweisen. Zunachst stellt man fest, dass sich dieser Satz inklusive Beweis sofort auf eine stetig partiell differenzierbare Funktion f : G --+ ~ tibertragen lasst, wobei G eine offene Teilmenge des ~n+1 ist. SinngemaB wie im Fall zweier Variabler bezeichnet okf(x) die partielle Ableitung von f nach der k-ten Koordinate von x = (Xl, ... , x n , Xn+l) =
(x',xn+d: • Es sei a
= (al, ... ,an+l) E G und f(a) = 0 sowie on+d(a) i- o. Dann existiert ein 6 > 0 und eine eindeutig bestimmte stetig differenzierbare Funktion 9 : I --+ ~ mit (x', g(x' )) E G und f(x ' , g(x)) = 0 fUr aile x' E h = (al -6, al +6) x··· x (an -6, an +6).
3.2
167
EXTREMWERTE UND SINGULARITATEN
Wir betrachten jetzt eine stetig partiell differenzierbare Abbildung f = (ft, h) : G -t ]R2 und im Punkt (a, b) E G c ]Rn+2 gelte f(a, b) = 0, wobei a = (al,"" an) und b = (b l , b2 ). Wir wollen dann in der impliziten Gleichung f(x, y) = 0 wieder die Koordinaten Y = (Yl, Y2) eindeutig als Funktion von x = (Xl, ... , Xn) darstellen. Wie wir sehen werden, spielen dafiir nur die partiellen Ableitungen nach Yj, j = 1,2 eine Rolle, die wir daher mit 8j , j = 1,2 bezeichnen.
Satz iiber implizite Funktionen 1st J(a, b) =
(~~j~ ~~j~)
regular, d.h. gilt det J(a, b) -f:. 0, so
existiert ein 8 > 0 und eine eindeutig bestimmte stetig partiell differenzierbare Abbildung 9 : Iii -t ]R2, so dass (x,g(x)) E G und f(x,g(x)) =OfiirxE!o.
Zum Beweis konnen wir o. E. 8212(a, b) -f:. 0 annehmen. Dann existiert nach der Vorbemerkung ein 8 > 0 und eine Funktion g : I J x (b l - 8, bl + 8) -t ]R mit
12(x,Yl,g(x,Yl)) = 0 und ferner ist 8lg = -~. Wir betrachten nun die Gleichung
in einer Umgebung von (a, bl)' Hier ist
_ . 8l 12(a, b) 8d(a, bt} = 8dl (a, b) + 82ft (a, b)8lg(a, bl ) = 8dl (a, b) - 82ft (a, b) 8212(a, b) =
(8 h (a, b)8 h(a, b) l
2
82 h (a, b)81 h(a, b)) / 82 h(a, b)
= det J(a, b)/82 h(a, b) -f:. 0, und erneute Anwendung der Vorbemerkung liefert eine Funktion gl : 10 -t
]R
mit
sowie Die Behauptung folgt dann, wenn wir g2(X) = g(X,gl(X)) fUr X E 10 setzen. Wendet man diesen Satz auf die implizite Gleichung
f(x,y) an fUr eine Abbildung h : G C
=x -
]R2 -t ]R2,
a E G nicht verschwindet, so folgt x
h(y)
=0
fUr die det
(~~~~ ~~~ ~~~~~~D
im Punkt
= h(g(x)) fUr x E Iii fUr eine stetig differenzierbare
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
168
Funktion g : h -+ G. Dies ist der
Satz fiber inverse Funktionen Es sei h : G C ~2 -+ ~2 stetig partiell differenzierbar und die Jakobi. J(h)() M atnx a
=
(lhhl(a) o2hl(a)
Olh 2(a)). I'" P k o2h2(a) sel regu ar 1m un t a E
G. Dann existiert ein 6 > 0 und eine offene Umgebung U von a, so dass hlu : U -+ 16 bijektiv ist mit einer stetig differenzierbaren Umkehrabbildung g : h -+ u.
Zur Ermittlung von Extrema benotigt man wie im Fall von Funktionen einer Variablen oft auch nichtlineare Approximationen in der Form einer Taylor-Entwicklung. Diese kann leicht aus der Taylor-Entwicklung der Funktion g(s) = f(al + s cos t, a2 + s sin t) mittels Kettenregel gewonnen werden. Wenn wir x = a + h, d.h., hi = s cos t und hz = s sin t setzen, so erhalten wir etwa als Taylor-Polynom dritter Ordnung
f(x) = f(a)
+ otf(a)h l + o2f(a)h2
+ ~(ol1f(a)hi + 2fhzf(a)hlhz + oZ2f(a)hD + ~(o111f(a)hi + 30112 f(a)hih2 + 30122f(a)hlh~ + a.222f(a)h~). Wir wollen dies hier nicht vertiefen, sondern noch einmal auf algebraische Kurven zu sprechen kommen. Betrachtet man diese als Hohenlinien einer Funktion zweier VariabIer, so konnen wir mit den bisher gewonnenen Bedingungen fUr Extrema bereits einige Phanomene erklaren, die bei singularen Punkten auftreten. 1st f(xo, Yo) = 0 und grad f(xo, Yo) = 0 sowie Ll
= (oI2f(xo,yo))z -
ollf(xo,Yo)ozzf(xo,Yo) < 0
erfUllt, so ist (xo, Yo) ein isolierter Punkt (oder Einsiedlerpunkt) , da die Funktion f dort ein isoliertes Extremum besitzt. Gilt Ll > 0 (der Graph hat einen Sattelpunkt), so besitzt die Kurve einen Doppelpunkt, in dem sich zwei Tangenten schneiden. Man kann die Tangentensteigungen m = dann aus der Gleichung
r,
ermitteln: 1st o2zf(xo, Yo)
i- 0,
IF ).
so erhalt man als Losung der quadratischen Gleichung
m = - ~12~I'''O'Yo\ ± 822 XO,YO Ais Beispiele hierfUr haben wir den Punkt (0,0) bei 22 XO,YO der Lemniskate und der Strophoide. 1st 822 f(xo, yo) = 0, so ist eine Tangente vertikal (hi = 0 oder m = 00). Dieser Fall tritt etwa beim cartesischen Blatt auf.
1st Ll = 0, ohne dass alle zweiten Ableitungen verschwinden, so fallen die beiden Tangenten zusammen. Man erhalt eine Spitze (auch Kuspe oder Riickkehrpunkt) wie
3.2 EXTREMWERTE UND SINGULARITATEN
169
bei der semikubischen Parabel oder einen Berilhrpunkt wie bei der Kurve X4 - y2 bei der sich die beiden Parabeln y = ±x2 im Punkt (0,0) beruhren.
= 0,
Verschwinden alle zweiten Ableitungen in dem singularen Punkt, so k6nnen h6here Ableitung herangezogen werden. Wir geben dafUr ein Beispiel: Beispiel 7. Die Funktion f(x,y) = (x 2 + y2)2 + 2X(y2 - x 2) besitzt den Gradienten
i, 1")
der in den Punkten (0, 0) und G, 0) sowie (- ± verschwindet. Von diesen liegt nur der erste auf der Kurve f(x, y) = O. Fur die ubrigen Punkte liefert unser Kriterium jeweils ein lokales Minimum (siehe Skizze). 1m Punkt (0,0) verschwinden auch alle zweiten Ableitungen. Wir erhalten die Steigungen der Tangenten an die Kurve im Punkt (0,0), indem wir das Taylor-Polynom dritter Ordnung gleich 0 set zen und wie oben nach m = ~ aufl6sen: -12hr
+2 hIh~ = 0
liefert hI = 0, d.h. m = 00, sowie m = ±1. Insgesamt gibt es drei Tangenten, also drei Zweige, die sich im Nullpunkt schneiden. Es liegt ein Tripelpunkt vor.
Fig. 3.18 Fur die Zeppelinkurve f(x, y) = 0 findet man leicht die Parametrisierung c(t) (CI(t),tc2(t)) mit CI(t) = 2 (t;S) 2 , t E~, und es folgt fUr die Flache:
Zum Abschluss wollen wir das qualitative Verhalten einer Funktion f : G -+ ~ in der Nahe eines singularen Punktes a E G C ~2 studieren. Dies bedeutet, dass wir geeignete neue Koordinaten (u, v) suchen, in denen die Funktion f eine einfache Gestalt besitzt. Genauer suchen wir einen Diffeomorphismus
0 und c E lE. Konstante sind.
J:
Fig. 3.25
180
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Der Kurvenbogen zwischen t
= 0 und t = s besitzt die Bogenlange
L(c[[o,sj) =
r
10
Jr2
+ c2 dt = sJr2 + c2
=
~s
mit 0:- 1 = vr2 + c2. Man beachte, dass dies die Lange der Geraden ist, die man erhalt, wenn man den Zylindermantel, auf dem die Schraubenlinie verlauft, in die Ebene abwickelt. Parametrisiert man die Schraubenlinie nach der Bogenlange, so erhalt man also c(s) = (r coso:s,r sino:s, co:s) , s E llt Wie bei ebenen Kurven ist auch bei Raumkurven die Krummung ein wichtiges Charakteristikum. Hinzu kommt die Torsion oder Windung. Diese werden wir folgt definiert. Die Krilmmung einer naturlich parametrisierten Kurve c : [a, b] ---+ 1.3 ist durch
II;(S)
= [[c(s)[[,
s E [a, b],
gegeben, wobei II;(S) wiederum nur von c(s) abhangt. 1st II;(S) ::f- 0, so liegt der Vektor c(s) in der zum Tangentialvektor t(s) = c(s) senkrechten Ebene, der so genannten Normalebene im Punkt c(s), denn es gilt
~ [[t(S)[[2 = ~c(s) . c(s) =
0=
2c(s) . c(s).
Durch n = lI;- l Cwird dann der Hauptnormalenvektor definiert, d.h. c = II;n. Zusammen mit c x c spannt er die Normalebene auf, falls c und c linear unabhangig sind. Dann ist c x c::f- 0, und wir k6nnen die Binormale b = II~~~II betrachten, sowie die Torsion T(S), die durch b(s) = -T(s)n(s) definiert ist. Dazu bemerken wir, dass
b senkrecht auf b steht
und wegen
. d . b = - t x n = t x n + t x Ii = t x Ii
ds
auch senkrecht auf t und damit ein Vielfaches von n ist. Wir k6nnen die Torsion daher auch in der Form T = -b . n = n· (Ii x t) schreiben und erhalten wegen
schlieBlich T
= 1I;-2(C x c) . 'c' = 11;-2 det (c, C, 'c}
Die von t und n aufgespannte Ebene wird als Schmiegeebene bezeichnet und die von t und b aufgespannte als die rektiJizierende Ebene. Die Schmiegeebene findet sich bereits bei JOH. BERNOULLI, wurde aber zusammen mit der Windung einer Raumkurve und der rektifizierenden Ebene erst 1802 von M.A. LANCRET, einem SchUler von G. MONGE, eingehend studiert. Nattirlich wurden die Krummung und die Torsion (wie die Kriimmung ebener Kurven) zuniichst geometrisch interpretiert und zwar
181
3.3 KURVEN UND FLACHEN 1M RAUM
als Anderung des Tangentialvektors bzw. Anderung der Schmiegeebene. Bezeichnet ¢(h) den Winkel, den die Vektoren c(s) und c(s + h) miteinander bilden, so gilt ",(s) = limh-+o 1rp~h) I, und wenn 'ljJ(h) den Winkel zwischen b(s) und b(s+h) bezeichnet,
¥
so folgt T(S) = limh-+O (vgl. Aufgabe 2). Ais fundamental fUr das Studium einer Raumkurve haben sich die folgenden Differentialgleichungen von J .-F. FRENET (1847) und J.A. SERRET (1850) erwiesen (J.M.C. BARTELS und seinem SchUler K.E. SENFF waren sie allerdings bereits 1831 bekannt; vgl. dazu [Rei]). Sie lassen sich besonders einfach formulieren, wenn man das von J.-G. DARBOUX in seinem vierbandigen Werk uber die allgemeine Theorie der Flachen (1887) eingefUhrte begleitende Dreibein einer Raumkurve benutzt, das aus den Einheitsvektoren t, n und b besteht.
Die F'renet-Serret'schen Formeln
dt ds
dn ds
",(s)n(s)
= -",(s)t(s)
db ds
+T(s)b(s)
- T(s)n(s)
Hier gelten die erste und dritte Gleichung aufgrund unserer Definition. Wegen n folgt die zweite aus den anderen beiden, da dann
Ii = b x t + b x
t = -Tn x t + ",b
= bx t
xn
gilt. Bemerkungen 1. Anders als im ebenen Fall ist die Krummung einer Raumkurve stets positiv. Wahrend in der Ebene das Paar t, n orientiert werden kann in Ubereinstimmung mit der Orientierung der beiden Koordinatenachsen ~ positiv bei Drehung gegen, negativ bei Drehung im Uhrzeigersinn ~ ist dies im Raum nicht moglich. Erst die drei Vektoren t, n und b besitzen eine (in der gegebenen Reihenfolge positive) Orientierung. 2. 1st die Kurve nicht nach der Bogenlange parametrisiert, so zeigt die Kettenregel, dass ( ) _ Ilc(t) x c(t)11
'" t -
Ilc(t)113
gilt, und fUr die Torsion erhaIt man dann
T(t)
=
det (c(t),c(t), 'C(t))
IIC(t)
X
c(t)112
.
Beispiele 1. (Fortsetzung) Die Krummung und die Torsion der Helix sind konstant. Man erhalt sehr leicht r
'" = -2--2 r +c
C
--. und T =r2-+ c2
182
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Insbesondere ist fUr die Helix auch das Verhiiltnis
~
= ~ konstant.
2. Die Viviani'sche Kurve, die durch Schnitt der Sphare vom Radius 2a mit dem Zylinder mit der Gleichung (Xl - a? + x~ = a2 entsteht, besitzt die Parametrisierung
c(t)
= (a(l +cost),asint,2asin~),
0
~ t ~ 7r,
wie man durch Einsetzen leicht bestatigt. Mit Hilfe der Formeln in Bemerkung 2 zeigt man, dass 6 cos )13 + 3 cos s ) und 7(S) - --;---"-----:I\,(s = a(3+coss)3/2 - a(13 + 3coss)
!
gilt. Durch die Formeln von Frenet-Serret ist eine Raumkurve bei vorgegebenen Funktionen I\, und 7 im wesentlichen eindeutig bestimmt. Genugen zwei Raumkurven diesen Gleichungen mit denselben Funktionen I\, und 7, so ktinnen sie durch eine euklidische Bewegung ineinander uberfUhrt werden. (siehe Aufgabe 3). Dies folgt aus dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz fur Differentialgleichungen. Die Formeln bilden namlich ein System von 9linearen Differentialgleichungen, lassen sich mit t = (Xl,X2,X3), n = (X4,X5,X6) und b = (X7,X8,X9) also in der Form i; = xA mit einer (9 x 9)-Matrix A schreiben. Fur gegebene stetige Funktionen 1\,,7 : [a,b] -+ ~ (I\,(s) > 0) genugt die rechte Seite f(s,x) = xA(s) einer Lipschitz-Bedingung, und damit existiert eine eindeutige Ltisung des Anfangswertproblems mit x(a) = Xo = (to, no, bo). Die gesuchte Raumkurve c erhalt man dann als Integral
c(s)
= c(a) +
1 8
t(u) du,
a~s
~ b.
Die Beschreibung von gekrummten Flachen mittels lokaler Karten ist motiviert durch die vielfaltigen Projektionsmethoden, derer man sich in der Geodasie (Kartographie) oder der Astronomie bedient hat, und damit zumindest im Fall der Sphiire S2 viel alter. Die beiden altesten Projektionsarten sind die stereographische Projektion (siehe Fig. 3.26) und die orthogonale Projektion (siehe Fig. 3.27). Die erste hat bereits K. PTOLEMAIDS in seinem "Planisphaerium" beschrieben, und auch die orthogonale Projektion auf Koordinatenebenen findet man in einem anderen seiner Werke, den "Analemma". Inwieweit diese Verfahren von ihm selbst stammen oder von dem griechischen Astronom HIPPARCHOS von Nikaia, von dem er vieles ubernommen hat, ktinnen wir heute jedoch nicht mehr entscheiden. Bei der stereographischen Projektion verbindet man den Nordpol (bzw. den Sudpol) mit einem anderen Punkt der Sphiire S2 und bestimmt den Schnittpunkt der so definierten Geraden mit der Aquatorebene, d.h., man definiert
Die stereographische Projektion
3.3
183
KURVEN UND FLACHEN 1M RAUM
fUr x
= (X1,X2,X3)
E UN, wenn N
= (0,0,1) den Nordpol bezeichnet. ·0
Fig. 3.26 Die K arie (Us, 'P s) wird sinngemaB definiert. Die beiden Karten (UN, 'P N) und (Us, 'P s ) sind vertraglich und ergeben zusammen einen Atlas von S2. Das bedeutet, dass die Mengen UN und Us die Sphiire S2 uberdecken und dass die so genannten Ubergangsabbildungen 'Ps 0 'PN1 und 'PN 0 'P-;/ : ]R2 \ {O} -+ ]R2 \ {O} differenzierbar sind. Urn dies einzusehen, betrachten wir etwa die Parametrisierung x( u, v) = 'PN1(u, v), (u, v) E ]R2, von UN C S2. DafUr gilt 2u X1(U,V) = u2 +v2 + l'
X2 (u, v) X3(U,V) fur (u, v) E
]R2.
Mit 'Ps(x)
2v
= u2 + v2 + 1 ' u 2 + v 2 -1
=
U
2
2
+v + 1
= (1 + X3)-1(X + X3S), 'Ps 0 'PN1(U,V)
= (u 2 + v2)-1(U,V)
oder in komplexer Schreibweise, wenn man z -1
x E Us, folgt
'Ps 0 'PN (z)
= u + iv setzt,
Z = W' z i- O.
Oft projeziert man nicht auf die A.quatorialebene, sondern auf eine Tangentialebene (siehe Aufgabe 8). Bei der orthogonalen Projektion auf die Koordinatenebenen (siehe Fig. 3.27) benotigt man 6 Karten fUr einen Atlas. Wir uberlassen die Beschreibung der einzelnen Karten und der zugehOrigen Ubergangsabbildungen dem Leser (Aufgabe 4). Allgemein besteht eine Flache § aus einer Teilmenge des ]R3, fUr die jeder Punkt Xo E § in einem FlachenstUck U c § liegt. Das heii3t, zu jedem Xo E § gibt es eine differenzierbare Abbildung x: V -+ U C]R3 mit Xo = x(uo,vo) fUr ein (uo,vo) E V,
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
184
die lokale Parametrisierung. Dabei ist V eine zusammenhangende Teilmenge von ~2 zumeist von der Form V = I x J mit Intervallen I, J. Der Punkt Xo kann dabei in mehreren Flachenstlicken liegen. Die Parametrisierung von Flachen durch differenzierbare Funktionen geht auf EULER (1771) zurlick, nachdem er bereits 1760 mit Untersuchungen zur Krlimmung von Flachen, die als Graph einer Funktion gegeben sind, begonnen hatte. Mit einer lokalen Parametrisierung x erhalten wir eine Schar von Raumkurven, die alle in $ verlaufen, indem wir jeweils eine der Variablen u oder v festhalten: Cu = x(u,·) bzw. Cv = x(·, v).
Fig. 3.27
Beispiele 3. Den Torus T2 vom Durchmesser 2(a + r) und der Dicke 2r (0 < r < a) erhalt man mit Hilfe der Parametrisierung x (u, v)
= ((r cos u + a) cos v, (r cos u + a) sin v, r sin u),
0 ~ u, v ~ 2'if .
4. Eine Parametrisierung von S2 ist gegeben durch
x(u,v) = (cosucosv,sinucosv,sinv),
-'if
~ u ~ 'if, -~ ~ V ~~.
Hier heiBen die Kugelkoordinaten u und v die Lange bzw. Breite und werden liblicherweise mit>. bzw. (3 bezeichnet. Flir festes v ist Cv ein Breitenkreis, und fUr festes u erhalten wir den Langenhalbkreis (oder Meridian) Cu. Wir nennen U ein regulares Flachenstiick, wenn die Tangentialvektoren Xu = g~ und Xv = ~~ an die K urven Cv bzw. cu , fUr jeden Punkt (u, v) linear unabhangig sind, d.h. stets Xu x Xv i- 0 gilt, und wenn die Abbildung X injektiv ist. Die Flache F heiBt regular, wenn jeder Punkt in einem regularen Flachenstlick liegt. Der Normalenvektor im Punkt Xo bezliglich x wird dann definiert als nx (xo) = II~: ~~: II und die Ebene, auf der dieser senkrecht steht, heiBt die Tangentialebene an F in Xo. In der Tat enthiilt diese alle Tangentialvektoren an regulare Kurven in F, die durch Xo laufen. Eine solche Kurve ist namlich das Bild einer ebenen Kurve unter x, lasst sich also in der Form c(t) = x(u(t),v(t)) schreiben, wobei u(O) = Uo und v(O) = Vo gilt, und es folgt mit der Kettenregel
185
3.3 KURVEN UND FLACHEN 1M RAUM
Liegt Xo in den Flachenstucken U I und U 2 mit den Parametrisierungen Xl und X2, so gilt nXI (xo) = ±nX2 (xo) , denn dann gibt es einen Diffeomorphismus 7r : XlI (U I nU2 ) -+ X;-I(UI n U 2 ) mit X2(U2,V2) = X2(rp(UI,VI)) = XI(UI,VI), so dass XI UI X XlVI
=
(
8U2 X2U2 8UI
8V2 )
+ X2V2 8 U I
= det Drp( UI, VI )X2U2
X
(8V2 X2V2 8 U 2
8V2 )
+ X2V2 8U2
X X2V2
gilt, d.h.
nXI (Xo) = sgn det Drp(xll(xo))nx2(xo). Unabhangig vom Vorzeichen ist die Tangentialebene daher wohldefiniert. In den vorigen beiden Beispielen ist die Parametrisierung X jeweils nicht injektiv, und im Fall von 8 2 gilt Xu X Xv
= (cosucos 2 v,sinucos2 v,sinucosv),
d.h. Xu x Xv = 0 fur V = ±~. Trotzdem sind beides regulare Flachen, denn man kann die Abbildungen X einschranken und fur die fehlenden Punkte ein zweites Flachenstuck betrachten. 1m Fall des Torus wahlt man etwa 0 < U,V < 27r und fur die zweite Parametrisierung den Parameterbereich -7r < U,V < 7r. Der Winkel zwischen zwei Flachenkurven in einem Schnittpunkt ist definitionsgemai3 der Winkel den die entsprechenden Tangentialvektoren miteinander bilden.
Beispiel 5. Die Schraubenlinie c( t) = (cos t, sin t, t), tEl., (als Kurve auf dem Zylinder vom Radius 1) bildet mit jedem Kreis Cd ( t) = (cos t, sin t, d), tEl., den konstanten Winkel C'Cd) 7r rp = arccos ( Icllcdl = arccos v'2 = 4"'
(1)
Man sagt sie sei eine Loxodrome des Zylinders - die Bezeichnung stammt von W. SNELLIUS (1624).
Gerhard Mercator
* 5.3.1512 Rupelmonde / t 2.12.1594 Duisburg
studierte ab 1530 in Lowen (Louvain) Philosophie, Theolagie, Mathematik und Astronomie, seit 1552 Kosmograph des Herzogs von Julich in Duisburg. Er gilt als Begrunder der modemen Kartographie, indem er zahlreiche Landkarten sowie Globen erstellte, insbesondere 1569 seine beruhmte Weltkarte, bei der er die nach ihm benannte Projektion verwendet. Sein ab 1585 herausgegebener Atlas umfasste 107 Karten. Ein wichtiges Problem im Zusammenhang mit der Navigation best and fUr die Seefahrer des 15. und 16. Jhdts. darin, einen konstanten Kurs, d.h. eine Loxodrome auf der Sphare zu finden. P. NUNES, der dies 1537 erkannte, versuchte als erster die bis dahin gebrauchlichen Kartenentwurfe nach PTOLEMAIOS unter diesem Aspekt zu verbessem. Dies gelang aber erst G. MERCATOR mit seiner Weltkarte von 1569.
186
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Fig. 3.28 Bei dieser so genannten Mercator-Projektion werden die Loxodromen auf Geraden abgebildet. MERCATOR ging aus von einer zentralen Zylinderprojektion (siehe Fig. 3.28) und variierte dafiir die Breitenverzerrung. Es dauerte aber noch lange bis die von ihm gefundene Projektion auch mathematisch behandelt werden konnte. Man fand
D(f3)
= 1/3 sectdt= 1/3 -1d t o
0
cost
fiir den Abstand vom Aquator und H . BOND vermutete 1645, dass
D(f3)
= log
1
tan
(~ + ~)
1
gilt. Aber erst J. GREGORY und I. BARROW konnten dies 1668 beweisen. In der Tat gilt dt / d(t + ~) / d(t + ~) / cost = sin(t+~) = sin(~+~)cos(~+~) = /
(! ~4) I·
ds 2 = log I tan s I = log 1tan + tanscos s 2
Die Entfernungsberechnung langs einer Loxodrome gelang nach LEIBNIzens vergeblichen Versuchen schlieBlich JAK. BERNOULLI (1691).
Jakob Bernoulli * 27.12.1654 Basel / t 16.8.1705 Basel 1687 Professor fur Mathematik in Basel. Er verhalf zusammen mit seinem jungeren Bruder Johann der Leibniz'schen Differentialrechnung zum Sieg uber die Newton'sche Fluxionsrechnung. Dabei erzielte er viele wichtige Ergebnisse in der Theorie der Differentialgleichungen, begrundete (zusammen mit Johann) die Variationsrechnung und legte in der "Ars conjectandi" die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
3.3
187
KURVEN UND FLACH EN 1M RAUM
Da die Abwicklung eines Kreiszylinders auf die Ebene keine Schwierigkeiten bereitet, k5nnen wir Zylinderkoordinaten benutzen:
Die Mercator-Projektion
'PM: UM fUr x
= S2 \ {N,S} -+ [-1T,1T]
= (cos Acos (3, sin Acos (3, sin (3)
X
lR, 'PM(X)
E UM
= ()..,D((3))
.
Fur die Umkehrfunktion XM: [-1T,1T] x lR gilt
XM(U,V)
1 cos v
= --h-(cOSU, sinu, sinh v),
-1T::;; u::;; 1T,V E lR,
denn es ist
(3 log ( tan ( "2
+ 4"1T)) = 2"1log
Die Gerade mit dem Winkel
0:
(11 +_ sin sin (3) (3 = arsinh(tan (3) = artanh(sin (3).
zur u-Achse wird dadurch auf die Kurve
c(t) = XM(tCOSO:, tsino:), abgebildet. Diese bildet den konstanten Winkel
i-
t E lR, 0:
mit jedem Meridian.
Fig. 3.29 Dazu zeigen wir, dass die Abbildung XM konform ist, d.h. winkeltreu, was wiederum aus der Tatsache folgt, dass die (2 x 3)-Matrix A
= (:~)
die Bedingung
188
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
erfullt mit c( u, v) E R und der (2 x 2)-Einheitsmatrix 12 . Es folgt dann wegen
xA. yA namlich
= xA(yA)T = xAAT YT
xA·yA
x·y
ixAiiyAi
ixiiyi
fUr aIle Tangentialvektoren in einem Punkt (u,v) EVe R2. Nun ist
AAT = (xu. Xu xv· Xu
xu· Xv ) xv· Xv
und im vorliegenden Fall folgt AAT = c2 (u, v)12 mit c( u, v) = COS~2 v. Die Eintrage der Matrix AAT werden nach GAUSS (1827) ublicherweise mit
E = Xu . Xu,
F = Xu . Xv
und
G = xv· Xv
bezeichnet. Diese GraBen spielen auch eine Rolle bei der Berechnung der Bogenlange einer Flachenkurve c = x( u(·), v(·)) : [a, b] -+ §. Mit c(t) = xuu(t) +xvv(t) und obigen Abkurzungen folgt
L(c) =
lb
iic(t)1! dt =
lb
JEu 2 + 2Fuv + Gv 2 dt.
Mit dieser Formel lasst sich dann leicht die Lange einer Loxodromen berechnen. Fur die Mercator-Projektion erhalt man E = cos~2 v = G und F = 0, und damit ist L(ci[OT])= rTiiciidt=
,
10
10r
T
ht. cos tsma
)=~(arctan(eTSina)-:::4)· sma
Insbesondere hat die Loxodrome, die sich fUr 0 < a < ~ spiralfarmig urn Nordund Sudpol windet und dabei jeden Meridian unendlich oft schneidet, die endliche Lange L(ci(-oo,oo)) = si~ a· Weitere Anwendung finden die GraBen E, Fund G bei der Flacheninhaltsberechnung. Betrachtet man eine Weltkarte, die nach der Mercator-Projektion gefertigt ist (siehe etwa [Sch] oder [BS]) , so stellt man fest, dass die Regionen nahe der Pole unnatiirlich groB erscheinen. Die Mercator-Projektion ist nicht flachentreu. Die einfachste flachentreue Kartenprojektion, die orthographische Projektion, hat 1772 J .H. LAMBERT geschaffen. Dabei projeziert man die Kugel einfach parallel zur Aquatorebene auf einen umbeschriebenen Zylinder.
Die orthographische Projektion 'PL: UL
fur
X
= 82 \
{N,8}
-+ [-Jr,Jr] x [-1,1], 'Pdx) = (A,sinti)
= (cos A cos ti, sin Acos ti, sin ti) E UL.
189
3.3 KURVEN UND FLACHEN 1M RAUM
Fig. 3.30 Mit der Formel fiir den Oberflacheninhalt von Rotationskorpern folgt sofort, dass der Mantel einer Kugelschicht und des sen Bild auf dem Zylinder denselben Flacheninhalt besitzen. Fur eine allgemeine Flache $ haben wir den Flacheninhalt bisher noch nicht erklart. Der nahe liegende Zugang mittels Approximation durch Polyederflachen fiihrt nicht ohne weiteres zum Ziel, denn H.A. SCHWARZ hat gezeigt, dass man einem Kreiszylinder ein Polyeder von beliebig groBem Flacheninhalt einbeschreiben kann. Einem Zylinder vom Radius r und der Hohe h sei wie in Fig. 3.30 Skizze ein Polyeder einbeschrieben, das aus 2nm Dreiecken besteht. Mit elementarer Geometrie sieht man leicht, dass jedes der Dreiecke den Flacheninhalt
F(t.) hat. Wegen 1 - cos ~
= rsin ~Jr2 (1 - cos ~r + (~r
= 2 sin2 ;n folgt also fur die Gesamtflache F = 2m sin'::'n · /4r2m2 sin4 ~ + h2 n,m 2n'
V
und fiir n, m --t 00 hangt deren Verhalten von ~ ab (vgl. Aufgabe 6). Obwohl sich bei Verfeinerung der Unterteilung das Polyeder dem Zylindermantel annahert, konvergiert der Normalenvektor der Polyederflachen La. nicht gegen den Normalenvektor der Zylinderflache und damit auch nicht die zugehorigen Tangentialebenen. Wahrend dies im Fall der Polygonapproximation von Kurven (aufgrund des Mittelwertsatzes) automatisch erfiillt ist, muss man dies bei der Polyederapproximation von Flachen fordern, d.h. nur solche Polyederfolgen zulassen, die dies erfiillen. 1st die Parametrisierung x eines Flachenstiicks U von der Form x : V = [a, b] x [c, d] --t U C $ , so wahlt man Zerlegungen a = Uo < UI < ... < Un = b und c = Vo < VI < ... < Vm = d. Vier benachbarte Gitterpunkte auf der Flache spannen dann i.a. kein planares Viereck auf, sind jedoch Vereinigung zweier Dreiecke t.~ , deren jeweiliger Flacheninhalt durch _
1
F(t.ij)
= 211 (x(Ui,Vj-l) -X(Ui-I ,Vj - I))
F(t.t)
= ~11(x(Ui-I'Vj) -X(Ui,Vj)) x (x(ui ,vj-d -x(ui,Vj))11
x (x(Ui-l ,Vj) -X(Ui-I,Vj-I))11
190
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
gegeben ist. Schreibt man die euklidische Norm und das Vektorprodukt aus und wendet auf jeden der vorkommenden Faktoren den Mittelwertsatz an, so sieht man, dass die Summe dieser Flacheninhalte fur eine geeignete Zerlegungsfolge gegen das Integral
F(U)
=/
Iv Ilxu
x xvii dudv
konvergiert. Dadurch wird nahe gelegt, den Fliicheninhalt von U durch diese Integral zu definieren. Aufgrund der Identitat von J.-L. LAGRANGE (vgl. Aufgabe 1 (a)) erhalten wir somit fur den FHicheninhalt eines Fliichenstiicks
F(U)
=/
Iv ,jEG - F2 dudv = / Iv Va dudv.
Wird eine regulare Flache g; nicht durch ein einzelnes solches Flachenstuck uberdeckt, wobei mehrfache Uberdeckung einzelner Punkte oder Kurven keine Rolle spielt, so muss man die Flache in geeignete aneinandergrenzende Flachenstiicke zerlegen. Wir betrachten nur Flachen, fUr die dies mit endlich vielen Flachenstucken moglich ist. Beispiele 6. In den Kugelkoordinaten aus Beispiel 4 gilt E = cos 2 {3, F = 0 und G = 1, also Va = ,jEG - F2 = cos{3. Die Viviani'sche Kurve wird dann im erst en Oktanten 0 ~ >., {3 ~ ~ durch die Gleichung >. = {3 beschrieben, und wir erhalten als Inhalt des zugehorigen Fensters
F
= fo" /2 fof3 cos {3d>.d{3 = ~ -
1.
Damit haben wir (nach VIVIANI) das oben erwahnte Problem ge16st. Man kann aus einer Halbkugel vier gleich groBe Fenster ausschneiden, so dass der Flacheninhalt der verbleibenden Kuppel gerade gleich 4 ist, also quadrierbar. 7. Fur die Parametrisierung des Torus aus Beispiel 3 erhalt man E = r2, F = 0 und G = (a + r cos u? Damit k5nnen wir leicht den Flacheninhalt bestimmen; es ist
Neben den winkel- und flachentreuen Projektionen oder Parametrisierungen spielen die langentreuen (oder Isometrien) eine wichtige Rolle. Eine Parametrisierung ist genau dann langentreu, wenn fUr A
= (Xu(( u, v))) Xv u,v
stets AAT
= 12 gilt.
Offensichtlich ist dies
hinlanglich, und umgekehrt muss bei einer isometrischen Parametrisierung fur eine Kurve c(t) = x(u(t),v(t)), t E [a,b], stets
lb Ilc(t)11 = lb dt
,ju(t)2 + v(t)2 dt
3.3
191
KURVEN UND FLACHEN 1M RAUM
gelten. Da dies auch injedem Teilintervall von [a, b] gilt, kann in keinem Punkt Ju(t)2 + v(t)2 sein, d.h., es ist
(u,v)AAT(u,V)T
Ilc(t)ll-f.
= u2 + v2 = (u,v)I2(u,v)T.
Durch Polarisierung (oder spezielle Wahl von (u, v)) erhiilt man die Behauptung. Die Isometrien sind besonders schwer zu realisieren. Wir werden im nachsten Abschnitt zeigen, dass dafUr eine Flache nicht "in sich gekrummt" sein darf. Insbesondere gibt es daher fUr die Sphare keine langentreuen Karten. Wir haben hier nur die Sphare und den Torus als konkrete Flachen kennen gelernt. 1m nachsten Abschnitt werden wir zwar noch einige weitere Beispiele geben, fUr ein umfangreicheres Sortiment von Raumkurven und Flachen mussen wir aber auf die Literatur verweisen; siehe [Gra]. Aufgaben 1. Fur zwei Vektoren x = (Xl,X2,X3) und Y = (Yl,Y2,Y3) E ~3 haben wir in 2.4 das innere Produkt x . Y (oder (x, y)) durch
x .Y
= (x, y) = XIYl + X2Y2 + X3Y3
definiert und das auBere durch x xY
= (X2Y3 -
X3Y2,X3Yl - XIY3,XIY2 - X2Yl).
Der Winkel 1> E [0,7r] zwischen x und Y wird dann implizit definiert durch x· Y
wobei
IIxl1 2 =
= Ilxllllyll
cos 1>,
x . x. Zeigen Sie:
(a) Fur Vektoren x, Y, z, w E ~3 gilt x x (y x z)
= (x· z)y -
(x· y)z.
insbesondere besteht die Lagrange-Identitiit (x x y) . (z x w) = (x . z) (y . w) - (x . w) (y . z).
Leiten Sie daraus die Ungleichung von Cauchy-Schwarz her:
Ix· yl
~
Ilxli IiYII·
(b) Der Vektor x x Y besitzt die Lange Ilx x yll = Ilxll IiYII sin 1>. Dies ist gerade der Flacheninhalt des von x und Y aufgespannten Parallelogramms. 2. Leiten Sie die geometrische Interpretation der Krummung und der Torsion einer Raumkurve her und beweisen Sie die Formeln in der Bemerkung 2. 3. Zeigen Sie: (a) 1st x(s) = (t(s), n(s), b(s)) eine Lasung des Systems von Differentialgleichungen, das durch die Frenet-Serret'schen Formeln gegeben ist, so bilden die Komponenten stets ein orientiertes Dreibein. (b) 1st B E SO(3) eine orientierungserhaltende orthogonale Matrix, so ist y(s)
= (t(s)B, n(s)B, b(s)B)
192
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
eine Lasung des Anfangswertproblems mit y(a) = (toB, noB, boB). 4. Bestimmen Sie einen Atlas fur S2, bestehend aus 6 Karten, indem Sie die Sphare langs der Koordinatenachsen auf die jeweilige darauf senkrecht stehende Koordinatenebene projezieren. 5. Zeigen Sie, dass die Parametrisierung x genau dann winkeltreu ist, wenn die Matrix
AAT
= (; ~)
mit A
= (::)
ein positives Vielfaches von 12 ist.
6. Diskutieren Sie das Verhalten von Fn,m fUr n, m --+ 00 im SCHWARz'schen Beispiel in Abhangigkeit von n und m. 7. Man zeige, dass die Loxodrome der Neigung a gegen die Breitenkreise durch die stereographische Projektion vom Nordpol aus auf die logarithmische Spirale r( 'P) = ae'P cot a, 'P E JR, abgebildet wird. 8. Geben Sie eine analytische Beschreibung fUr die stereographische Projektion der S2 auf die Tangentialebene im Nordpol. 9. Geben Sie eine Parametrisierung der Kurve von ARCHYTAS als Schnitt des Zylinders x 2 + y2 = 2x mit dem Torus x 2 + y2 + Z2 = 2y!x 2 + y2. Finden Sie ferner den Schnittpunkt mit dem Kreiskegel x 2 + y2 + z2 = 4x 2 und 15sen Sie so das delische Problem. 10. In der Funktionentheorie betrachtet man komplexe Funktionen f : G --+ C (definiert in einer offenen Teilmenge G c q, die in G komplex differenzierbar (man sagt auch komplex analytisch oder holomorph) sind, d.h. fUr die f' (z) = lim W - H f(w2=~(z) existiert (siehe [Nee]). Zeigen Sie: (a) Eine Abbildung f = u + iv : G --+ emit u = Re fund v = Imf ist genau dann komplex differenzierbar in G, wenn u und v dort stetig differenzierbar sind und die Cauchy-Riemann'schen Differentialgleichungen
au ov ox -oy
und
au oy
-
ov ox
erfUllen. Hinweis: Man zeige zunachst, dass u und v als reelle Abbildungen dann total differenzierbar sind und fUr die aus den Ableitungen gebildete Matrix A ==
(~~~ ~~~)
die
Relationen 01 u = 02V und /hu = -01 V bestehen. (b) Jede komplex differenzierbare Abbildung ist (als reelle Abbildung) konform und orientierungserhaltend, d.h. sogar orientierte Winkel werden erhalten. (c) Die Ubergangsabbildungen der stereographischen Projektion sind konform, jedoch nicht orientierungserhaltend. 11. Auf einen kegelfarmigen Berg soll eine StraBe fuhren, die uberall dieselbe konstante Steigung besitzt. Bestimmen Sie die Gleichung der zugehOrigen idealisierten Kurve. 12. Zeigen Sie, dass die stereographische Projektion winkeltreu ist. Welche Kurven auf der Sphare 8 2 besitzen konstanten Neigungswinkel gegen alle Meridiane ? 13. Es sei 9 die Zahl des goldenen Schnittes, h = 1/9 und ( = e2rrij5 eine fUnfte Einheitswurzel. Zeigen Sie, dass die Punkte _g(k E IC und (k / 9 E IC, k = 0, ... ,4, unter der Umkehrung der stereographischen Projektion zusammen mit dem Nord- und Sudpol der Einheitssphare die Eckpunkte eines einbeschriebenen Ikosaeders bilden.
193
3.3 KURVEN UND FLACHEN 1M RAUM
Fig. 3.31 Zeigen Sie ferner, dass die Kreise und Geraden der Figur 3.31 (vom Radius ../2 + 9 bzw . ../2 - h) auf GroBkreise abgebildet werden, die die radiale Projektion der Kanten des Ikosaeders sowie des Dodekaeders enthalten. 14. Zeigen Sie: Das System von Kreisen und Geraden aus Fig. 3.31 ist invariant unter den Abbildungen z f-t (z und z f-t lh-h~ = ~ - 9 von C U {oo} in sich. Auf der Einheitssphare entsprechen diesen die t)rehung urn 72° urn die Nord-Siid-Achse bzw. urn 180° urn die Achse durch die Mittelpunkte zweier "gegeniiberliegender" Kanten des Ikosaeders.
Literaturhinweise [BS] Bagrow, L., Skelton, R.A.: Meister der Kartographie, Propylaen Verlag, Berlin, 1985 5 Ein reich bebildertes Werk zur Geschichte der Kartenkunst. Es enthiilt u.a. die Weltkarte MERCATORs von 1569.
[Gra] Gray, A.: Modern Differential Geometry of Curves and Surfaces with Mathematica®, CRC Press, Boca Raton, 1998 siehe Abschnitt 3.1
[Nee] Needham, T.: Visual Complex Analysis, Oxford Univ. Press, Oxford, 1998 Das Buch ist eine sehr empfehlenswerte Einfiihrung in die komplexe Analysis (Funktionentheorie). Der Schwerpunkt liegt auf der Geometrie der komplexen Zahlen und den geometrischen Abbildungseigenschaften komplexwertiger Funktionen. Dabei werden auch viele Aspekte der Differentialgeometrie aus der Sicht der Funktionentheorie beleuchtet.
[Rei] Reich, K.: Die Geschichte der Differentialgeometrie von Gaufl bis Riemann (18281868), Archive Hist. Exact Sci. 11 (1973) 273-382 Sehr detaillierte Studie mit umfangreicher Bibliographie zur Entwicklung der Differentialgeometrie im genannten Zeitraum. Flir den daran anschlief3enden bis zur mathematischen Begrlindung der Relativitiitstheorie hat die Autorin ein Buch veroffentlicht: Die Entwicklung des Tensorkalkiils, Birkhiiuser, 1993.
[Sch] Schroder, E.: Kartenentwurfe der Erde, Harri Deutsch, Thun, 1988 Das Buch bietet die differentiaigeometrischen Grundiagen der Kartographie und enthiiit die wichtigsten Projektionsmethoden.
194
3.4
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Die Geometrie der FHichen Die Vergleichung der Area auf der krummen Flache mit der entsprechenden Amplitudo fiihrt auf den Begriff von dem, was wir das Kriimmungsmass der Flache nennen. - Carl Friedrich GaujJ
1m vorigen Abschnitt haben wir Flachen im ]R3 mit Hilfe lokaler Parametrisierungen studiert. In diesem letzten Abschnitt wollen wir "innere" Eigenschaften untersuchen, d.h. solche, die nicht von den gewahlten Parametrisierungen abhangen. Dabei handelt es sich sowohl urn lokale Eigenschaften, wie die Krummung, als auch urn globale Eigenschaften, wie die Orientierung und die Gesamtkrummung. Abgesehen von einigen wenigen Zusatzen stammen die im Folgenden beschriebenen Begriffe alle von C.F. GAUSS (1827).
Carl Friedrich GauB
* 30.4.1777 Braunschweig / t 23.2.1855 G6ttingen
Mathematiker, Astronom und Physiker, 1792 Stipendiat am Collegium Carolinum in Braunschweig (heutige TH), 1795 Studium in G6ttingen, 1799 Promotion in Helmstedt, 1807 Professor fUr Astronomie und Direktor der Sternwarte in G6ttingen. Er arbeitete auf allen Gebieten der reinen und angewandten Mathematik. Viele seiner Erkenntnisse, wie etwa zur Funktionentheorie oder zur nichteuklidischen Geometrie, wurden aber erst aus dem Nachlass bekannt. Sowohl fUr die Orientierung als auch fUr die Krummung spielt der Normalenvektor eine entscheidende Rolle. Die Frage nach der Orientierung entsteht erst beim Vergleich zweier Parametrisierungen Xl : VI ---+ UI und X2 : V2 ---+ U2: Fur einen Punkt Xo E UI nUl gilt nx,(xo) = ±nX2 (xo). Eine Flache heiBt orientierbar, wenn sie sich durch Flachenstucke Ui uberdecken lasst mit Parametrisierungen Xi : Vi ---+ Ui , fUr die in Ui n Uj i= 0 stets nx , (Xo) = nx; (xo) gilt. Da nx, eine stetige Funktion auf Ui ist, genugt es, dies in einem Punkt Xo E Ui n Uj nachzuprufen, falls Ui n Uj zusammenhangend ist. Insbesondere ist jede Flache orientierbar, die sich durch zwei Flachenstucke UI und U2 mit zusammenhangendem U1 n U2 uberdecken lasst. Gilt namlich nl(xO) = -n2(xO), so kann man bei X2 : V2 ---+ U2 mit V2 = I2 X J2 (ggf. nach Translation) das Intervall h von der Form J2 = [-c, cJ annehmen und dann X2 ersetzen durch X2 mit X2(U, v) = X2(U, -v). Wird eine Flache von einer Funktion x: V ---+ U parametrisiert, wobei einzelne Punkte mehrfach uberdeckt sein durfen, so ist U orientierbar, falls auch nx (xo) wohldefiniert ist. Beispiele 1. Die oben beschrieben Modifikation muss man z.B. bei der Sphare vornehmen, wenn man diese mit den Flachenstucken UN und Us der stereographischen Projektion uberdeckt. Wahlt man jedoch die nicht injektive Parametrisierung mittels geographischer Koordinaten, so folgt nx (xo) = Xo fUr jeden Punkt Xo E 52. Genauso weist man sehr leicht die Orientierbarkeit des Torus T2 nacho 2. Das Mobius-Band, gefuuden 1858 von A.F. MOBIUS und J.B. LISTING, ist das Bild der Parametrisierung x: [0,211"J x [-~, ~J ---+ lE.3 mit
x(u,v)
= ((I+vsin~) cosu, (l+vsin~) sinu,vcos~).
3.4 DIE GEOMETRIE DER FLACHEN
195
Eine einfache Rechnung, die wir dem Leser uberlassen, zeigt Xu X Xv
U. u . U) (u,O ) = ( cosuCOS2',SlllUCOS2',-Slll2'
und damit
nx(x(O,O))
= (1,0,0) = -nx (x(27l', 0)).
Daher ist das Mobius-Band nicht orientierbar.
Fig. 3.32 Nachdem MOBIUS (in einer Arbeit aus dem Jahr 1865) die bekannte Konstruktion mit Hilfe eines rechteckigen Papierstreifens, bei dem die kurzen gegenuberliegenden Kanten nach einer Drehung urn 180 0 verklebt werden, beschrieben hat, stellt er fest: Die ... entstandene FHiche hat nur eine Grenzlinie, ... Auch hat diese FHiche nur eine Seitej denn wenn man sie - urn dieses noch auf andere Weise vorstellig zu machen - von einer beliebigen Stelle aus mit einer Farbe zu liberstreichen anfangt und damit fortfahrt, ohne mit dem Pinsel liber die Grenzlinie hinaus auf die andere Seite liberzugehen, so werden nichtsdestoweniger zuletzt an jeder Stelle die zwei daselbst gegenliberliegenden Seiten der FHiche gefarbt sein.
Das Mobius-Band ist ein Beispiel einer Regelftiiche, d.h. wird erzeugt durch Bewegung eines GeradenstUckes im Raum. Ein anderes typisches Beispiel ist das Helicoid (oder die Schraubenfliiche) gegeben durch die Parametrisierung x(U,v)
= (vcosu,vsinu,cu),
u,v E JR.
Diese Flache schneidet den Zylinder vom Radius 1 gerade in der Helix aus Beispiel 1.
Fig. 3.33
196
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Wir wollen nun die Krummung von Flachen genauer untersuchen. Dazu benutzen wir Kurven, die auf der Flache verlaufen. 1st U ein FlachenstUck mit der zweimal stetig differenzierbaren Parametrisierung x : V -t U und c(s) = x( u(s), v(s)), s E [a, b], eine natUrlich parametrisierte Kurve, ebenfalls zweimal stetig differenzierbar, so nennen wir c(s) den Krilmmungsvektor im Punkt Xo = c(s). Dessen Betrag ist gerade die Krummung von c im Punkt Xo. Statt des ublichen begleitenden Dreibeins wahlen wir jetzt das Dreibein, das von den Vektoren nx (xo), t(xo) und nx(xo) x t(xo) gebildet wird. Da c(s) senkrecht auft(xo) steht, erhalten wir
c(s) mit
I\:n(s) Iig(S)
= I\:n(s)nx(xo) + I\:g (s)nx (xo)
= c(s) . nx(xo), = c(s) . nx(xo) x t(xo) = det
x t(xo)
(c(s),c(s), nx(xo)),
der so genannten Normalkrummung bzw. der geodiitischen Krilmmung. Letztere ist die Krummung von c innerhalb der Flache, die Normalkrummung dagegen sollte Aufschluss uber die Krummung der Flache im Raum geben. Wir wollen sie daher genauer untersuchen. Wegen c = xuu + xvv folgt
lin
= (xuuu2 + 2xuvuv + xvv v2 + xuu + xvii) . nx = (xuu . nx )u 2 + 2(xuv . nx)uv + (xvv . nx)v 2 = Lu 2 + 2Muv + Nv 2,
wobei L, M und N die von R. HOPPE zuerst 1876 verwendeten Abkurzungen fUr die entsprechenden inneren Produkte sind. 1st c nicht nach der Bogenlange parametrisiert, so erhalt man wegen = Ic(t)1
¥t
Die N ormalkriimmung .2 . . .2. 2 Lu 2 + 2Muv + N v 2 I\:n(t) = (Lu +2Muv+Nv )/lcl = E·2 2F"· G·2· u + uv + v
Zahler und Nenner der rechten Seite sind jeweils Bilinearformen in u und v. Sie werden ublicherweise mit J(u,v) bzw. IJ(u,v) bezeichnet und heiBen die erste bzw. zweite Fundamentalform der Flache im Punkt Xo. Die Koeffizienten E, Fund G bzw. L, M und N sind nur abhangig von Xo = c(t). Dies hat wesentliche Konsequenzen fUr die Theorie der Flachen, die wir hier ohne Beweis nur referieren wollen (vgl. etwa [Klz]). Fur ein FlachenstUck mit der Parametrisierung x genugen die Vektoren xu, Xv und nx gewissen linearen partiellen Differentialgleichungen, deren Koeffizienten nur von den Fundamentalgrof3en E, Fund G und deren partiellen Ableitungen abhangen, den Gleichungen von GAUSS (1828)
Xuu Xuv Xvv
= rl1 Xu + r'A Xv + Lnx = rl2xu + r[2Xv + Mnx = ri2 X + ri2XV + Nnx U
3.4 DIE GEOMETRIE DER FLACHEN
197
sowie zwei weiteren fur die Ableitungen von nx von J. WEINGARTEN (1861). Sie spielen fur die FHichen eine iihnliche Rolle wie die Formeln von Frenet-Serret fUr die Raumkurven: Sind zweimal stetig differenzierbare Funktionen E, Fund G und einmal stetig differenzierbare Funktionen L, M und N von u, v in einer Umgebung V von (ua, va) gegeben mit EG - F2 > 0, E, F > 0 und zusatzlich gewissen von GAUSS (1827) und G. MAINARDI (1856) und D . CODAZZI (1859) gefundenen Vertraglichkeitsrelationen zwischen E, F, G, L, M, N und deren Ableitungen, so gibt es abgesehen von der Lage im R3 genau ein Flachenstuck, das durch eine dreimal stetig differenzierbare Abbildung x : Va --+ U parametrisiert wird (mit (ua, va) E Va C V) und die vorgegebenen GroBen als erste und zweite FundamentalgroBen besitzt (Hauptsatz von O. BONNET (1867); vgl. wiederum [Rei]) . Eine der Vertraglichkeitsrelationen besagt, dass sich die GroBe LN - M2 allein durch die ersten FundamentalgroBen E, Fund G und deren partiellen Ableitungen ausdrucken lasst. Wie wir gleich sehen werden, bestimmt diese GroBe gerade die so genannte Gaufi'sche Krummung der Flache und man erhalt das von GAUSS als Theorema Egregium (herausragender Satz) bezeichnete Resultat, dass die GauB'sche Krummung einer Flache unter Isometrien, d.h. abstandstreuen Abbildungen invariant bleibt. Sie ist also eine innere Eigenschaft der Flache, unabhangig von der Krummung im Raum beschreibt sie, wie die Flache in sich gekrummt ist. Pierre Ossian Bonnet * 22.12.1819 Montpellier / t 22.6.1892 Paris begann als Ingenieur, 1844 Privatlehrer an der Ecole Normale Superieur in Paris, lehrte gleichzeitig an der Ecole Poly technique in Paris, 1878 Professor fUr physikalische Astronomie an der Sorbonne, 1883 Nachfolger LIOUVILLES im Bureau des Longitude, Mitglied der Academie des Sciences. Er arbeitete vor allem uber Fragen der Differentialgeometrie (speziell uber Minimalflachen) und deren Anwendungen. Auf ihn geht auch der heute ubliche Beweis des Mittelwertsatzes der Differentialrechnung zuruck.
Die Normalkrummung "'n(t) im Punkt Xa ist nur von der Richtung der Kurve c abhangig und nimmt als stetige Funktion dieser Richtung ein Maximum und ein Minimum an. Urn diese zu bestimmen mussen wir die Funktion (u,v) = III(U,v u,v unter der Nebenbedingung u 2 + v 2 = 1 minimieren bzw. maximieren. Da sie jedoch in radialer Richtung konstant ist, mussen wir keine Lagrange-Multiplikatoren benutzen. Nun liefert die Berechnung des Gradienten (u, v) (nach der Quotientenregel) die notwendigen Bedingungen
oder wegen
!f = '"
llu - "'lu
= 0 = IIv -
",Iv.
Ausgeschrieben erhalten wir ein lineares Gleichungssystem fUr u und v, das genau dann eine nicht triviale Losung besitzt, wenn die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwindet, d.h. det ( L - ",E
M - ",F
M - "'F) = 0 N - ",G
198
3.
DIFFERENTIALRECHNUNG
gilt. In der ersten Arbeit zur Krummung von Flachen uberhaupt hat EULER 1760 so die beiden Extremwerte von ~, die so genannten Hauptkrummungen ~1 und ~2, eingefuhrt. Sie sind also Lasungen der quadratischen Gleichung
die wir auch in der Form ~2 -2H~+K
=
°
schreiben. Die GraBen H und K heiBen Die mittlere Kriimmung und die Gau6'sche Kriimmung 1
H
= 2(~1 + ~2) =
K
= ~1~2 =
EN + GL - 2FM 2(EG _ F2)
LN - M2 EG - F2
1
= -(LN 9
1
= 2g (EN + GL - 2FM) 2
M ).
Je nach dem Vorzeichen von LN - M2 besitzt die Flache im Punkt Xo positive, negative oder verschwindende Krummung. Wir geben Beispiele fur jeden Fall: Beispiel 3. Der Graph der F'unktion f(u,v) = au 2 + 2buv + cv 2 , X,Y E JR2 ist eine regulare Flache mit der Parametrisierung x( u, v) = (u, v, f (u, v)), u, v E JR. Eine einfache Rechnung fUr den Punkt Xo = (0,0,0) zeigt, dass dort L = 2a, M = 2b und N = 2c gilt. Speziell fUr f( u, v) = u 2 + v 2 ist K > 0, fUr f( u, v) = u 2 - v 2 ist K > 0 und fUr f( u, v) = u 2 ist K = 0. Abgeleitet von dieser Situation fUhrt man folgende Begriffe ein.
Definition Ein Flachenpunkt Xo heiBt - elliptischer Punkt, falls K > 0, - hyperbolischer Punkt, falls K < 0, - parabolischer Punkt, falls K = gilt und nicht alle GraBen L, M und N verschwinden. Ein elliptischer oder ein parabolischer Punkt heiBt Nabelpunkt, falls X;1 = ~2 gilt.
°
Beispiele 4. Auf dem Torus T2 (siehe Fig. 2.28) gibt es elliptische Punkte, hyperbolische Punkte und parabolische Punkte (aber keine Nabelpunkte). Genauer folgt mit der Parametrisierung aus 3.3, Beispiel 3, dass Xo = ((r cos Uo
+ a) cos vo, (r cos Uo + a) sin vo, r sin uo)
°
- elliptisch ist fUr cos Uo > 0, - hyperbolisch ist fur cos Uo < und - parabolisch ist fur cos Uo = 0.
3.4 DIE
199
GEOMETRIE DER FLACHEN
5. Alle Punkte der Sphare 8 2 sind elliptische Nabelpunkte, denn die die Sphare besitzt die konstante Normalenkrtimmung 1. Die Punkte der Ebene sind parabolische Nabelpunkte, denn die Ebene besitzt die konstante Normalenkrtimmung O. Die GauB'sche Krtimmung dient zur Unterscheidung zwischen euklidischer und nichteuklidischer Geometrie. Wahrend die Winkelsumme in einem ebenen Dreieck stets 180° betragt, hangt sie beim spharischen Dreieck, wie wir noch sehen werden, auch yom Flacheninhalt ab - z.B. betragt sie bei dem durch GroBkreise begrenzten Oktanten 270°. 6. Eine Flache mit konstanter negativer Krtimmung ist die so genannte Pseudosphare, die durch Rotation der Traktix entsteht. Als Parametrisierung kann man
x(u,v)
cosu sinu = ( --h-' --h-' v cos v cos v
) tanh v ,
0:::; u :::; 27r, 0 < v,
wahlen. Eine einfache aber langwierige Rechnung, die wir dem Leser tiberlassen, zeigt, dass die GauB'sche Krtimmung konstant K = -1 ist.
Fig. 3.34 GAUSS hat die Krtimmung K ursprtinglich anders eingefiihrt (siehe das Eingangszitat aus dem Jahr 1825). 1st x : V -+ U C ~3 die Parametrisierung eines Flachenstucks, so ist das Bild der Abbildung nx : V -+ ~3 ein Flachenstuck (j c 8 2 • Fur einen Punkt Xo = x(uo,vo) E U definiert GAUSS dann die Krummung durch
K( Xo )
= 1· F(nx(BE(uO,VO)))
Im~~~~--~~
HO
x(BE(uo,vo))
Aufgrund der Definition der Flacheninhalte folgt dies aus der Beziehung die in jedem Flachenpunkt Xo gilt (vgl. Aufgabe 3). Wir kommen nun zur geodatischen Krtimmung einer Kurve c : [a, b] -+ U, die wir (nattirlich parametrisiert) in der Form c(s) = x(u(s),v(s)) schreiben. Es ist
I),g(s) = (c(s) x c(s)) . nx(xo). Druckt man dies aus mit xu, Xv und deren Ableitungen, so ben6tigt man die inneren Produkte von Xu bzw. Xv mit denen ihrer Ableitungen, etwa (vgl. Aufgabe 4) 1
1
xu' Xuu = "2(xu . xu)u = "2Eu.
200
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
Setzt man diese ein, so folgt ~g
= (rlZl u3+ (2r{z - rl1)uZv + (ri2 - 2rl2)uvZ- ri2V3 + uv - iiv)y'g = (u(v + r{lU z+ 2r{2UV + ri2V2) - v(ii + rldu 2+ 2rl2uv + ri2V 2))y'g.
Hier treten wieder die Koeffizienten ri~ auf, die nur von E, F, G und deren Ableitungen abhiingen. Sie werden heute meist nach E.B. CHRISTOFFEL (1869) als ChristoffelSymbole bezeichnet (fUr ihre explizite Gestalt siehe Aufgabe 4). Eine Kurve, fUr die ~g identisch verschwindet, nennt man eine Geodiitische. Mit der Definition der geodatischen Krummung und den GauB'schen Gleichungen folgt, dass das Verschwinden der beiden Klammerausdrucke in der letzten Formel notwendig und hinreichend fUr das Vorliegen eine Geodatischen ist. Da es sich hierbei urn zwei Differentialgleichungen zweiter Ordnung handelt, ist deren Lasung durch Vorgabe von u(O), v(O), u(O) und V(O) eindeutig bestimmt, d.h. durch jeden Punkt der Flache gibt es zu jeder Richtung genau eine Geodatische. In der Variationsrechnung zeigt man, dass die Kurven minimaler Bogenlange stets Geodatische sind. Man kann zeigen (siehe etwa [Klz]) , dass sich stets eine Parametrisierung x von U wahlen lasst, fUr die die Kurven x(·, vo) und x(uo,·) fur jeden Punkt (uo, vo) orthogonal sind. Dann gilt F = 0 und die obige Formel vereinfacht sich. Bezeichnen ~u und ~v die geodatischen Kriimmungen der Koordinatenlinien x(·, vo) bzw. x(uo,·) und 8(s) den Winkel zwischen c(s) und xu, so gilt die folgende Formel von J. LIOUVILLE (1850): Formel von Liouville
~g
= e+ ~u cos 8 + ~v sin 8
2::;a
2:::;e·
Explizit sind ~u = und ~v = Wir betrachten nun eine geschlossene Kurve ohne Doppelpunkte, die stiickweise regular und naturlich parametrisiert ist. Dann kannen wir das Integral von ~g langs 'Y = c([a, b]) betrachten, wobei 'Y so durchlaufen wird, dass das davon umschlossene Gebiet beim Blick aus der Normalenrichtung stets links liegt. Wir erhalten
i ~g lb ~g(s) lb e lb (~u ~v = lb e + lb (~uJEu + ~vv'Gv) = lb e Iv (~vv'G) ! (~uJE)) =
ds +
ds =
cos 8 +
ds
ds
sin 8) ds
ds
+/
-
(:u
dudv,
nach dem Satz von G. GREEN (vgl. Aufgabe 5). Dabei ist V das von x- 1 (,,() umschlossene Gebiet. Setzt man obige Werte fUr ~u und ~v ein, so folgt mit U = x(V)
1 =l ')' ~g
a
=
i
b •
8 ds
d8 -
J. r (a 2VEG + a VEG JIv VEe = i JL +
Jv au K
Gu
dudv
av
Ev )
d8 -
dudv K.
201
3.4 DIE GEOMETRIE DER FLACHEN
1st C eine reguliiTe Kurve, so gilt f'Y dB = 271". Fur eine stuckweise regulare Kurve liefert das Integral die Zuwachse von B langs der regularen Kurvenstucke. Es gilt also
1= dB
271" -
Lai' i
'Y
wobei ai Aufienwinkel von c im singularen Punkt C(Si) bezeichnet. Insgesamt erhalten wir die
Formel von GauB-Bonnet
i Jfu Kg
+
K
= 271" -
~ai.
GAUSS hat diese Formel 1825 (wahrscheinlich schon 1816 oder sogar fruher) fUr geodatische Dreiecke bewiesen, d.h. nur Kurven betrachtet, die aus drei Kurvenstlicken bestehen, deren geodatische Krummung jeweils identisch verschwindet. Fur spharische Polygonzuge hat T. HARRIOT schon 1603 festgestellt: Addiere aile Winkel eines beJiebigen spharischen Polygons. Ziehe von der Summe 180 0 ab, sovielmal, wie es moglich ist. Die Halfte des UbriggebJiebenen ist gleich dem Areal des spharischen Polygons.
Insbesondere folgt, dass die Summe der Innenwinkel eines spharischen geodatischen Dreiecks stets grofier als 180 0 ist und bei geodatischen Dreieck auf der Pseudosphare stets kleiner als 180 0 . GAUSS formuliert dies 1825 wie folgt: Die Summe der drei Winkel eines Dreiecks, welches auf einer beliebigen krummen Flache durch kiirzeste Linien gebildet wird, ist gleich der Summe von 180 0 und dem Inhalt des Dreiecks auf der Hiilfskugel, dessen Begrenzung durch die Punkte L gebildet wird, welche den Punkten in der Begrenzung jenes Dreiecks entsprechen, und zwar so, dass der gedachte Inhalt des Dreiecks als positiv oder negativ anzusehen ist, je nachdem es von seiner Begrenzung in demselben Sinn umgeben wird wie die Figur oder im entgegengesetzten.
Die allgemeine Formel stammt von O. BONNET (1848). Hat man eine geschlossene orientierbare Flache § c ]R3, so kann man diese derart in endlich viele geodatische Vielecke (etwa Dreiecke) flj zerlegen, dass jede Seite eines Vielecks wieder an eine Seite eines Vielecks stOBt. Bildet man dann die Totalkriimmung ff§ K, so erhalt man mit der Formel von GauB-Bonnet
wobei {3ji = 71" - aji die Innenwinkel im Dreieck flj bezeichnet. Da jede Seite eines Vielecks zweimal gezahlt wird und sich die Innenwinkel, die in einer Ecke zusammentreffen zu 271" addieren, erhalt man
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
202
wobei ao die Anzahl der Ecken, a1 die der Kanten und a2 der Vielecke angibt. Sind die Seiten der Vielecke keine Geodatischen, so fUhrt die Formel von GauB-Bonnet trotzdem zum selben Ergebnis, da sich die Beitrage der geodatischen Kriimmung ebenfalls wegheben: jede Seite wird zweimal aber mit entgegengesetzter Orientierung durchlaufen. Die alternierende Summe der rechten Seite ist also unabhangig von der Art der Zerlegung - sie wird die Euler-Charakteristik der Flache genannt und mit x(§) bezeichnet. Wir erhalten also den
Satz von GauB-Bonnet 1st § C
]R3
eine orientierbare, geschlossene Flache, so gilt
IIff
K = 21lX(§)·
Damit lasst sich die Totalkriimmung einer orientierbaren, geschlossenen Flache rein kombinatorisch berechnen. Beispiele 7. In die Sphare lassen sich die platonischen Karper einbeschreiben. Projeziert man diese radial auf die Sphare, so erhalt man eine Zerlegung derselben in geodatische Vielecke. Es folgt etwa anhand des Tetraeders X(S2) = 4 - 6 + 4 = 2, was andererseits wegen K = 1 und der Oberflachenformel durch den Satz von GauB-Bonnet bestatigt wird. Umgekehrt erhalten wir mit der gleichen Projektion den Euler'schen Polyedersatz:
Euler'scher Polyedersatz Jedes konvexe Polyeder besitzt die Euler-Charakteristik 2.
Insbesondere liefert dieser die Tatsache, dass es genau 5 regulare Polyeder gibt. 1st E die Anzahl der Ecken, K die der Kanten und F die der Flachen, so gilt E - K + F = 2. 1st jede Flache ein regelmaf3iges n-Eck und treffen an jeder Ecke r Kanten zusammen, so muss rE = 2K = nF gelten, und wir erhalten nach Einsetzen und Division durch K 1
1
r
n
- +-
1 1 = - +-. 2 K
Da stets n ? 3 und r ? 3 gelten muss und r und n nicht beide grafier als 3 sein kannen, bleiben nur die Falle n = 3 und r = 3. 1m Fall n = 3 hat man nur die Maglichkeiten r = 3,4 oder 5 mit K = 6,12 oder 30, die dem Tetraeder, dem Oktaeder bzw. dem Ikosaeder entsprechen. Analog lasst der Fall r = 4 nur die entsprechenden Werte fUr n und K zu, also das Tetraeder, den Wiirfel und das Dodekaeder. Der urspriingliche Beweis von EULER (1752) verlief natiirlich anders. Wir empfehlen [Lak], das neben der Entwicklung des Polyedersatzes im Laufe der Zeit eine sehr
3.4 DIE GEOMETRIE DER FLACHEN
203
interessante Studie zur Entwicklung mathematischer Ideen und Beweise enthalt. Ein polyedrisches Analogon des Satzes von GauB-Bonnet hat DESCARTES wahrscheinlich schon 1629 besessen. Definiert man fUr ein Polyeder die Kriimmung in einem Punkt als den planaren Exzess, die Differenz zwischen 21l' und der Summe der in dem Punkt zusammentreffenden ebenen Winkel, so verschwindet diese in allen Punkten auBer in den Eckpunkten. Die Gesamtkrtimmung addiert sich dann aber wieder zu 41l'. 8. Der Torus T2 besitzt die Gesamtkriimmung 0, denn man kann ihn mit zwei Schnitten in ein Rechteck zeriegen, von dem nur zwei Kanten und eine Ecke gezahlt werden. Damit beenden wir unseren Uberblick tiber die Differentialgeometrie, weisen aber noch kurz auf die Weiterentwicklungen hin, die durch den Habilitationsvortrag von B. RIEMANN 1854 eingeleitet wurden. Er verallgemeinerte den GauB'schen Kriimmungsbegriff auch auf hoherdimensionale Raume. Damit waren insbesondere auch dreidimensionaIe gekriimmte Raume denkbar, die es A. EINSTEIN 1915 ermoglichten ein vollig neue Physik zu entwerfen und das herkommlich von GALILEI, KEPLER und NEWTON geschaffene Weltbild zu revolutionieren. Aber noch immer trifft ftir unsere Vorstellungen yom Kosmos zu, was GALILEI 1623 geschrieben hat: Die Philosophie (der Natur) ist in jenem grofiartigen Buch niedergeschrieben, das standig vor unseren Augen Jiegt (ich meine das Weltall). Aber man kann es nicht verstehen wenn man nicht zuvor die Sprache und die Buchstaben lernt, in denen es geschrieben ist. Es ist geschrieben in der Sprache der Mathematik, und die Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die man als Mensch unmoglich ein Wort davon verstehen kann.
Aufgaben 1. Ftihren Sie die Rechnungen in den Beispielen detailliert aus.
2. Man bestimme die GauB'sche Krtimmung in allen Punkten des Torus T2 und bestatige die Behauptungen in Beispiel 4. 3. Beweisen Sie die Beziehung
Hinweis: Man beachte, dass der Vektor der linken Seite parallel zu nx ist und benutze zur Bestimmung des Skalierungsfaktors die Identitaten
Xu . nxu
= - L, XV . nxv = - N, XV . nxu = - M = Xu . nxv .
4. (a) Beweisen Sie die folgenden Identitaten: 1
Xu· Xuu
= 2Eu,
Xv· Xvv
= 2Gv,
1
Xu· Xuv
1
= 2Ev, 1
Xv· Xuv = 2Gu,
1
Xu . Xvv = Fv - 2Gu, 1
Xv· Xuu = Fu - 2Ev.
(b) Zeigen Sie, dass die Christoffel-Symbole sich wie folgt darstellen:
rl1 = (GEu + FEv - 2FFu)/(2g), r'A = (2EFu - FEu - EEv)/(2g), rl2= (GEv - FGu)/(2g), r[2 = (EG u - FEv)/(2g), ri2 = (2GFv - GGu - FGv)/(2g), ri2 = (FGu + EGv - 2FFv)/(2g).
204
3. DIFFERENTIALRECHNUNG
(c) Verifizieren Sie damit die Formel fUr die geodatische Krummung sowie die GauB'schen Gleichungen.
5. Es seien P, Q : [a, b] x [c, dJ -+
]R stetig und stetig partiell differenzierbar. 1st c : I -+ eine stetige, stUckweise stetig differenzierbare Kurve mit c(I) = I = a([a, b] x [c, dJ) und Orientierung gegen den Uhrzeigersinn, so wird das Kurvenintegral
]R2
!
mit
(P
0
c, Q 0 c) . c dt
J1 P( u, v) du + Q(u, v) dv bezeichnet. Beweisen Sie die Green'sche Formel
!
P(u, v) du
+ Q(u, v)
dv
=
JL(~~ -~~)
dudv
(a) fUr das Rechteck R = [a, b] x [c, dJ, (b) fUr ein Vieleck R mit achsenparallelen Kanten. 6. Zeigen Sie: (a) Die Geodatischen der Sphare sind gerade die GroBkreise. (b) Es gibt keine langentreue Karte der Sphare. Hinweis: Man darf benutzen, dass die kurzesten Verbindungen zwischen zwei Punkten sind stets Geodatische sind.
7. Beweisen Sie die Formel von Liouville. 8. Zeigen Sie, dass sich zwei Punkte auf einem Zylinder durch unendlich viele Geodatische unterschiedlicher Lange verbinden lassen, falls sie nicht auf gleicher Hohe liegen. Literaturhinweise
[Gau] GauB, C.F.: Allgemeine Fliichentheorie, Ostwalds Klass. d. exakt. Wiss. 5, dt. von A. Wangerin, Akad. Verlagsges., Leipzig, 1921 5 Dies ist die deutsche Ubersetzung des richtungsweisenden Werks: Disquisitiones generales circa superficies curvas von 1827. Der deutschsprachigen Anzeige dazu und einem Entwurf aus dem Jahr 1825 (vgl. Werke 8, S. 435) entstammen auch die oben angefiihrten Zitate.
[Jos] Jost, J.: Differentialgeometrie und Minimalfliichen, Springer, Berlin, 1994 Moderne Einfiihrung in die Differentialgeometrie mit dem Schwerpunkt MinimalfHichen
[Lak] Lakatos, 1.: Beweise und Widerlegungen, Vieweg, Braunschweig, 1979 Dies ist eine fiir die neuere Philosophie der Mathematik bedeutsame U ntersuchung des Euler'schen Polyedersatzes. Anhand dieses "Satzes"wird der Prozess des Aufstellens von Vermutungen, deren Beweis oder deren Verwerfung geschildert - eine Absage an die Absolutheit mathematischer Ideen und Begriffe.
[Klz] Klotzek, B.: Einfuhrung in die Differentialgeometrie, Harri Deutsch Verlag, frankfurt a.M., 1997 Elementare Einfiihrung in die klassische Differentialgeometrie
[Rei] Reich, K.: Die Geschichte der Differentialgeometrie von GaufJ bis Riemann (18281868), Archive Hist. Exact Sci. 11 (1973) 273-382 siehe vorigen A bschnitt
[Str] Struik, D.J.: Outline of a history of differential geometry I,ll, Isis 19 (1933) 92-120 und 20 (1933/34) 161-191 Der renommierte Differentialgeometer und Mathematikhistoriker skizziert die Geschichte der Differentialgeometrie von NEWTON und LEIBNIZ bis etwa 1900.
Ausblick Kein Mensch erkllirt die Ratsel der Natur, Kein Mensch setzt einen Schritt nur aus der Spur, Die seine Art ihm vorschrieb, und es bleibt Der griiBte Meister doch ein Lehrling nur. Von allen, die auf Erden ich gekannt, lch nur zwei Arten Menschen gliicklich fand: Den, der der Welt Geheimnis tief erforscht, Dnd den, der nicht ein Wort davon verst and. - Omar Khayyam
An dieser Stelle sollen einige Themen angesprochen werden, die direkt an die in den ersten drei Kapitel behandelten anschlieBen und mit modernen Entwicklungen der Analysis oder angrenzenden Bereichen zusammenhangen: • Algebraische Gleichungen und K urven gibt einen ersten Eindruck davon, wie die geometrische Analysis auch in der Zahlentheorie zum Tragen kommt - bis hin zum "Fermatschen Problem". • Singularitiiten und Knoten zeigt, wie analytische Probleme der komplexen Analysis zu topologischen Fragestellungen flihren. • Singularitiiten und Katastrophen hat als Ausgangspunkt die Theorie der Singularitaten reellen Funktionen. • Chaos und Fraktale beschreibt den mathematischen Hintergrund der "Chaostheorie". • Nichtstandard-Analysis enthalt Hinweise zu einem methodisch alternativen Zugang zur Analysis, dem der "Infinitesimalrechnung". • Die Einheit der Mathematik wird am Problem der Auflosung algebraischer Gleichungen flinfter Ordnung illustriert.
Natiirlich konnen diese Themen hier nur kurz angerissen werden. Fiir ein eingehenderes Studium wird daher (wie schon vorher) auf die beigefligte Literatur verwiesen. Algebraische Gleichungen und Kurven
Der Zahlbegriff wird heute - zumindest in den Vorlesungen flir Studienanfanger - axiomatisch gefasst. Das vorliegende Buch hat jedoch gezeigt, dass er sich erst allmahlich, im Wechselspiel von geometrischen und arithmetischen Fragestellungen entwickelt hat. Dabei stand zunachst die Arithmetik im Vordergrund. Den Hauptinhalt der altesten erhaltenen vorgriechischen mathematischen Aufzeichnungen aus Babylon und Agypten aber auch aus Indien und China bilden Aufgaben, in denen nach ganzzahligen oder rationalen Losungen von Gleichungen gefragt wird. Nach Ansicht von M.F. ATIYAH ist die Suche nach den Losungen von Gleichungen auch heute noch das zentrale Thema der Mathematik. Er sagte 1975 in einem Vortrag iiber "Global Geometry" (Proc. Royal Soc. London A 347 (1976) 291-299): If a biologist is someone who studies plants and animals; what does a mathematician study? The
answer should surprise no-one - he studies equations; first, at the lowest level, algebraic equations and then, at a higher level, differential equations.
Wahrend Differentialgleichungen erst mit der Entstehung der Analysis am Ende des 17. Jahrhunderts auikamen, stehen algebraische Gleichungen am Ursprung der Mathematik. Zunachst sind sie mit geometrischen Fragestellungen verkniipft und treten
206
AUSBLICK
in geometrischer Einkleidung auf, aber mit DIOPHANT (ca. 3. Jhdt. u.Z.) werden sie als eigenstiindige Objekte behandelt. Heute bezeichnet man daher als diophantische Gleichung eine algebraische Gleichung der Form P(Xl, ... , xm)
= 0,
wobei P ein Polynom in m Variablen mit ganzzahligen Koeffizienten ist. Die Hauptaufgabe besteht darin, ganzzahlige oder zumindest rationale Lasungen so1cher Gleichungen zu finden. Prominente Beispiele in zwei Variablen x und y sind etwa die Kreisgleichung
und die kubische Gleichung X3
+ y2 = l.
Allgemeiner kann man im ersten Fall statt des Kreises jede quadratische Form betrachten und im zweiten jede kubische algebraische Kurve wie etwa die semikubische Parabel, das cartesische Blatt oder die Kurven in Fig. A.1. In der Sprache der Geometrie sucht man dann nach rationalen Punkten ~ d.h. Punkten mit rationalen Koordinaten ~ auf diesen Kurven.
Fig. A.I Die einfachsten diophantischen Gleichungen sind von der Form ax+by=1
mit teilerfremden positiven ganzen Zahlen a und b. Betrachtet man die Kettenbruchentwicklung i!:.b = [bo; b1 , ••• ,bml = Pm, so gilt a = Pm und b = qm und wegen qm
hat man mit Xo = (_I)m~lqm_l und Yo = (_I)mPm_l eine Lasung. Alle anderen Lasungen erhiilt man daraus in der Form x
= Xo + kb
und
y
= Yo -
ka,
Fur eine quadratische diophantische Gleichung der Form
k E Z.
207
AUSBLICK
mit d E Z, eine so genannte "Pell'sche Gleichung", hat man im Fall d ~ 1 oder d = k2 , eine Quadratzahl, nur die Losungen x = ±1 und y = o. 1st d > 1 keine Quadratzahl, so zeigt man mit Hilfe der periodischen Kettenbruchentwicklung
dass man in
-"'-n. Yn
= Pn=-l qnm-l
alle positiven teilerfremden Lasungen hat, insbesondere also
unendlich viele. Hier ist n E N fUr gerades m und n (vgl. [Per] oder [SO]).
= 2k mit
kEN fUr ungerades m
Ein Beispiel einer diophantischen Gleichung hOherer Ordnung ist etwa
Diese tritt auf im Zusammenhang mit dem beruhmten zahlentheoretischen Problem von P. DE FERMAT, ganze Zahlen a, b und e mit abe:f:. 0 zu finden, die die Gleichung
erfUllen; Division durch en fUhrt sofort auf obige Gleichung. 1m Fall n = 2 kennt man alle ganzzahligen Lasungen. Es sind die pythagoreischen Zahlentripel (a, b, c) wie etwa (3,4,5) oder (8,15, 17). Bereits die Babylonier kannten wahrscheinlich ein Verfahren, nach dem sie solche Zahlen erzeugen konnten, denn eine noch erhaltene Keilschrifttafel listet eine ganze Reihe davon auf. In der Tat liefern die binomischen Formeln solche Zahlen, wenn man a = n 2 -m 2 , b = 2nm und e = n 2+m2 fUr n, mEN setzt. Dividiert man wie oben durch e2 und setzt t = ~, so erhiilt man die rationalen Zahlen 1 - t2 -1 + t2
und
2t
1 + t2 '
die der Kreisgleichung genugen. Diese Formeln (fUr t E R) liefern aber gerade die rationale Parametrisierung des Kreises Sl vermage der stereographischen Projektion yom "Nordpol" aus; insbesondere erhiilt man durch Einsetzen rationaler Werte bis auf (0,1) alle rationalen Punkte auf dem Kreis. Man findet nach der gleichen Methode auf jeder Kurve, die eine rationale Parametrisierung zuliisst, unendlich viele rationale Punkte, so etwa auf den kubischen Kurven y2 = x 3 oder x 3 + y3 = 3axy mit a E Q. Solche Kurven oder Gleichungen heiBen rational. Bereits DIOPHANT hat in seiner "Arithmatika" durch Substitution spezieller Geradengleichungen ausgehend von zwei bekannten Lasung einer gegebenen kubischen Gleichung eine dritte Lasung bestimmt. Den wahren geometrischen Sachverhalt hat aber erst NEWTON erkannt: 1st ein rationaler Punkt bekannt, so kann man die Tangente in diesem Punkt nehmen und erhiilt einen weiteren rationalen Punkt, indem man die Tangente mit der kubischen Kurve schneidet. 1m Fall einer vertikalen Tangente muss man einen "unendlich fernen" Punkt hinzunehmen. Dies wird dadurch erreicht, dass man von der affinen Kurve zu einer "projektiven Kurve" ubergeht, indem man x und y durch ~ und ~ ersetzt und die Gleichung mit zn, n der Grad der Gleichung, multipliziert. H. POINCARE hat 1901 erkannt, dass man auf diese Weise eine Addition auf der Menge der rationalen Punkte einfUhren kann. Dabei wird fUr zwei Punkte P und Q die Summe P + Q definiert durch das Spiegelbild (bzgl. der x-Achse) des Schnittpunktes
AUSBLICK
208
der Kurve mit der Geraden durch P und Q (vgl. Fig. A.l, links). Er zeigte, dass diese Operation eine Gruppenstruktur auf der Menge der rationalen Punkte definiert, und vermutete daruber hinaus, dass diese Gruppe im Fall einer so genannten "elliptischen Gleichung" endlich erzeugt sei. Dies wurde 1921 von L.J. MORDELL bestatigt. MORDELL vermutete weiter, dass fur Kurven hOheren "Geschlechts" diese Gruppe in der Tat endlich sei. Insbesondere hatte das Fermatsche Problem fUr jedes n hOchstens endlich viele Lasungen. Die Mordell'sche Vermutung wurde 1983 von G. FALTINGS bewiesen, die eigentliche Fermatsche Vermutung blieb aber noch weitere 10 Jahre offen. Sie hatte ganze Generationen von Mathematikern (und Nichtmathematikern) beschaftigt und obwohl FERMAT die Un16sbarkeit fUr n = 4 und EULER fur n = 3 zeigen konnten, widerstand sie allen weiteren Bemuhungen. Auf die lange Geschichte des Fermatschen Problems und die daraus erwachsenen mathematischen Methoden und Theorien kannen wir hier nicht eingehen; vgl. dazu [SO], [Wei] und [Rib]. Der Schlussstein in diesem Gebaude wurde 1993 von A. WILES gesetzt - genau genommen nach einigen Nachbesserungen zusammen mit seinem SchUler R. TAYLOR erst 1995. Einen Uberblick daruber sowie eine Skizze der Beweisidee geben [Cox] und [Gou], ausfUhrlicher ist jedoch [vdP]. Wir erwahnen hier nur den letzten Schritt, der das Problem in Beziehung setzt zu den kubischen Kurven. 1m Jahr 1986 zeigte G. FREY, dass eine nicht triviale Lasung (a, b, c) fur eine Primzahl n = p auf die "elliptische Kurve" y2 = x(x - aP)(x - cP) fuhren wurde und dass diese gewisse Eigenschaften besiiJ3e, die einer noch nicht bewiesenen Vermutung von A. WElL, Y. TANIYAMA und G. SHIMURA widersprechen. lndem WILES diese Vermutung in einem Spezialfall, der fur die Anwendung auf die obige Kurve aber ausreicht, beweisen konnte, ist das Fermatsche Problem gelast. Wir kannen auf diese speziellen Eigenschaften nicht naher eingehen, wollen aber die Begriffe "elliptisch" und "Geschlecht" noch niiher erliiutern. Der erste kommt durch die Beziehung mit dem Begriff der elliptischen Funktion (bzw. Integrals) zustande und der zweite ist topologischen Ursprungs. Elliptische lntegrale traten zuerst bei der Rektifizierung der Ellipse (daher der Name) und der Lemniskate auf (vgl. Abschnitt 2.2), sodann bei der Berechnung der Schwingungsdauer des mathematischen Pendels (vgl. Abschnitt 2.4). Man kann zeigen, dass sich die kubischen Kurven der Form y2
= p(x) = x(x -
0 -f:. a -f:. (3 -f:. 0,
a)(x - (3),
sowie auch einige vierter Ordnung durch elliptische Funktionen parametrisieren lassen. Diese Kurven werden dann als elliptische Kurven bezeichnet. Analog zur Kreislinie, bei der man in der Parametrisierung x = sin t und y = cos t den Parameter t als t
= arcsin(x) = r
1 (x)
schreiben kann und mit der Umkehrfunktion x
= f(t)
und
f
=
1'" o
du ~ 1- u 2
dann y
= f'(t)
209
AUSBLICK erhalt, kann man auch im Fall der elliptischen Kurve x wenn man das elliptische Integral
= g(t) und y = l(t) schreiben,
benutzt. Die Funktionen 9 und g' weisen noch weitere Parallelen zu den trigonometrischen Funktionen f = sin und f' = cos auf. 1m Laufe des 18. Jahrhunderts fanden G.C. FAGANO und L. EULER beim Studium der Lemniskate das zum Additionstheorem arcsin(x)
+ arcsin(y) = arcsin (xJ1=Y2 + y~)
der Arcussinus-Funktion analoge Additionstheorem
und C.F. GAUSS entdeckte die Periodizitiit der Umkehrfunktion sowie die doppelte Periodizitiit ihrer Fortsetzung in die komplexe Ebene. Die Parametrisierung elliptischer Kurven mit Hilfe elliptischer Integrale kannte wahrscheinlich C.G.J. JACOBI, sie wurde aber erst von 1864 von A. CLEBSCH, dem Herausgeber seiner gesammelten Werke, veroffentlicht. Fur das kubische Polynom
nimmt das entsprechende Additionstheorem die Form
t' 10
du vp(u)
t2
+ 10
du vp(u)
t 3 du
= 10
vp(u)
an. Hier ist fUr gegebene Xl, X2 der dritte Wert X3 gerade die x- Koordinate des Schnittpunktes P3 der Geraden durch zwei Punkte Pl = (Xl, Yl) und P2 = (X2' Y2) auf y2 = p(x) mit der Kurve. Als Umkehrfunktion dieses elliptischen Integrals erhiilt man die so genannte Weierstraft'sche p-Funktion, die als komplexe Funktion doppelt periodisch ist und eine wesentliche Rolle in der Funktionentheorie spielt. Genauer kann man die historische Entwicklung in [Still nachlesen.
Fig. A.2 Zur Erkliirung des zweiten Begriffs, dem Geschlecht, muss man die entsprechenden komplexen Kurven betrachten. Man kann dann zeigen (siehe dazu etwa [BK]) , dass die nicht singuliiren projektiven Kurven jeweils kompakte unberandete zweidimensionale Fliichen bilden, die im Falle rationaler Kurven topologisch einer Sphiire entsprechen,
210
AUSBLICK
im Fall elliptischer Kurven einem Torus und fur Polynome p hoherer Ordnung und ohne mehrfache Nullstellen einer Flache yom Geschlecht 9 ? 2, d.h. einem "Torus" mit 9 Lochern (vgl. Fig. A.2 fur 9 = 2). Die topologische Klassifikation algebraischer Kurven mit Singularitaten ist etwas komplizierter. Einen ersten Eindruck hiervon gibt wiederum [BK].
Singularitaten und Knoten Wir wollen uns jetzt der lokalen Struktur einer algebraischen Kurve in der Nahe einer Singularitat zuwenden. So heiBt es in [BK]: Eine Singularitat innerhalb einer Gesamtheit ist eine Stelle der Einzigartigkeit, der Besonderheit, der Entartung, der Unbestimmtheit oder der Unendlichkeit. Aile diese Grundbedeutungen hangen eng miteinander zusammen.
1st P = (zo, wo) ein singularer Punkt der komplexen Kurve C, so betrachtet man den Schnitt von C mit einer Sphare 5~ = {(z,w) E CZ liz - zol2 + Iw - wol 2 = e} mit Mittelpunkt P und Radius e. 1st e hinreichend klein, so ist dies eine eindimensionale Teilmenge, d.h. eine reelle Kurve, die wir uns als Raumkurve vorstellen konnen, wenn wir von einen Punkt entfernen, der nicht auf der Kurve liegt: 1st o.B.d.A. P = (0,0) und (O,e) f/- C, so erhalt man diese Raumkurve als Bild unter der stereographischen Projektion von (0, e) aus auf ~3 = {(z, w) E (:2 I Re w = O}. In reellen Koordinaten s, t, u gilt dann e (s,t,u) = R (Re z,Imz, Imw) e- e w
5:
bzw. umgekehrt
Als Beispiele betrachten wir die Kurven C1 bzw. C2 , die durch die Gleichungen zw = w2 bzw. w 2 = Z3 gegeben sind. Beide enthalten nicht den Punkt (0,1), so dass wir e = 1 wahlen konnen. Die erste Kurve ist die Vereinigung der komplexen Geraden z = w und w = 0, und man erhalt als Schnittmengen sofort durch Einsetzen die beiden Kurven S2 + t 2 = 1 und (s - 1)2 + 2t2 = 2, d.h. einen Kreis und eine Ellipse. Diese sind jedoch wie in der rechten Fig. A.3 verschlungen - aus optischen Grunden haben wir statt der Kurven eine diese umgebende Rohre gezeichnet. Die zweite algebraische Kurve gestattet die Parametrisierung (v 2 ,v 3 ), v E (:, und es gilt (v 2 ,v3 ) E 53 genau dann, wenn Ivl = 6, wobei 6> Omit 64 + 66 = 1 = e 2 • Man erhalt also zunachst die geschlossene Kurve
die auf dem "Torus" 5J x 5 J 3/2 verlauft. Unter stereographischer Projektion geht dieser uber in eine Torusfiache im ~3 und die geschlossene Kurve in einen so genannten " Torusknoten" , der sich im vorliegenden Fall zweimal urn die u- Achse und dreimal urn die Seele des Torus windet (vgl. Fig. A.3 links).
AUSBLICK
211
Fig. A.3 Fur die Singularitaten von Kurven h6heren Geschlechts erhalt man auf diese Weise ebenfalls Knoten, die aber komplizierter sind und wie im erst en Beispiel auch noch ineinander verschlungen sein konnen, ohne dass man sie voneinander trennen kann. Letzteres tritt dann ein, wenn das Polynom nicht irreduzibel ist, d.h. noch in Polynome niedrigeren Grades faktorisiert werden kann. Allgemein versteht man unter einem K noten K das Bild einer stetigen injektiven Abbildung c : 8 1 -+ 8 3 , versehen mit der durch c und der naturlichen Orientierung von 8 1 induzierten Orientierung. Zwei Knoten K1 und K2 heiBen dann aquivalent, wenn es einen Homoomorphismus h : 8 3 -+ 8 3 gibt mit h(K1 ) = K 2 , der die Orientierung der beiden Knoten respektiert. Ebenso heiBen die Nullstellenmengen Cp und C q zweier komplexer Polynome p und q in der Nahe der Punkte P E Cp und Q E Cq aquivalent, wenn es einen Homoomorphismus zwischen Umgebungen U von P und V von Q gibt, der Un Cp auf V n Cq abbildet. Wir erwahnen hier nur, dass die Klassifikation dieser allgemeineren Torusknoten auf den Puiseux-Entwicklungen der in der Singularitat zusammentreffenden Kurvenzweige beruht (siehe [BK]). Genauer gilt fUr zwei irreduzible Polynome p und q: Die Kurven Cp und Cq sind genau dann aquivalent in der Niihe zweier singularer Punkte, wenn die Puiseux-Entwicklungen jeweiliger Kurvenzweige dieselben Exponenten besitzen bzw. genau dann, wenn die entsprechenden Torusknoten Kp und Kq aquivalent sind. Vor der Entdeckung dieses Zusammenhangs zwischen Knoten und Singularitaten algebraischer Kurven durch W. WIRTINGER urn 1900 - seine Ideen wurden ausgearbeitet und 1928 von seinem SchUler K. BRAUNER veroffentlicht - wurden Knoten bereits lange vorher studiert. Schon GAUSS und des sen SchUler LISTING, der 1847 den Begriff "Topologie" einfUhrte, hatten sich mit Knoten und Umschlingungen beschaftigt, wobei GAussens Motive physikalischen Fragestellungen entsprangen. Angeregt durch LORD KELVINS "Vortextheorie" der Atome begann P.G. TAIT sich urn 1875 mit Knoten zu beschaftigen und erzielte eine erste Klassifikation, wobei er einen Knoten so in einer Ebene ausbreitet, dass er moglichst wenig Uberkreuzungen aufweist, deren Anzahl er dem Knoten dann zuordnet. Ob solche Knoten tatsachlich nichttrivial waren, war noch nicht gewahrleistet. Dies konnte erst H. TIETZE 1908 beweisen. Zur Unterscheidung von Knoten fiihrte M. DEHN 1910 die "Knotengruppe" als Invariante ein und 1914 zeigte er, dass der Kleeblattknoten aus Fig. A.3 zu seinem Spiegelbild nicht aquivalent ist (siehe [Sti2]). Hier ist die Aquivalenz in einem starken Sinne zu verstehen: man fordert, dass der Homoomorphismus h : 8 3 -+ 8 3 stetig durch Homoomorphismen in die identische Abbildung deformiert werden kann.
212
AUSBLICK
Urn die Definition der Knotengruppe zu verstehen, betrachten wir zunachst die topologische Struktur von C \ {O} und C \ {± 1}. Beiden Mengen kann man eine Gruppe zuordnen, die jeweils aus Homotopieklassen geschlossener Wege besteht, die in einem festen Punkt starten und enden. In Abschnitt 2.2 haben wir gezeigt, dass man jedem geschlossenen Weg in C \ {O} eine Windungszahl zuordnen, die fiir homotope Wege dieselbe ist. Man kann auch umgekehrt zeigen, dass zwei Wege mit derselben Windungszahl homotop sind. Die Gruppe der Homotopieklassen geschlossener Wege - die Verkniipfung entsteht durch Hintereinanderschaltung reprasentierender Wege - bildet dann eine zu Z isomorphe Gruppe. Analog betrachtet man die Homotopieklassen geschlossener Wege in C \ {±1} mit derselben Verkniipfung. Die so definierte Gruppe ist jetzt aber nicht mehr kommutativ, da es etwa bei der Achterkurve, die in 0 startet und die beiden Punkte +1 und -1 umkreist, sehr wohl darauf ankommt welcher der Punkte zuerst (und in welcher Richtung) umschlungen wird. Die Knotengruppe G(K) eines Knotens K C S3 wird nun definiert als die Gruppe der Homotopieklassen geschlossener Wege in S3 \ K, die aIle in einem fest en Punkt (z,w) E S3 \ K (etwa dem Nordpol) starten und enden. Sie ist im allgemeinen ebenfalls nicht kommutativ: 1m Fall des trivialen Knotens Sl C S3 ist G(Sl) isomorph zu Z unabhangig von der Orientierung, im Fall des Kleeblattknotens wird die Knotengruppe von zwei Elementen a und b erzeugt, die der Relation a2 = b3 geniigen (siehe [Sti2]). 1m Jahr 1923 hat J. W. ALEXANDER ein nach ihm benanntes Polynom in einer Variablen als neue lnvariante eingefiihrt, das 1970 von J .H. CONWAY zu einer starkeren Polynom-Invarianten modifiziert wurde. Die Knotentheorie hat in den achziger Jahren einen erneuten Aufschwung erlebt, einmal durch die neuen mathematischen Hilfsmittel, die eine genauere Klassifikation erlauben - die Polynome von V.F.R. JONES (1984) und die sogenannten HOMFLY-Polynome (1985) erlauben die Unterscheidung zwischen Kleeblattknoten und des sen Spiegelbild - zum anderen durch ihre Bedeutung fUr die theoretische Physik. Wir verweisen auf [Ada] und [Kau] fiir eine Einfiihrung in diese neuen Entwicklungen. Singularitaten und Katastrophen
Etwa zehn Jahre vorher sorgten die Singularitaten reeller Funktionen fUr Aufsehen. Wahrend die Theorie der Singularitaten seit NEWTON eine wesentliche Rolle in der algebraischen Geometrie spieite, hat sie urn 1970 auch auBerhalb der Mathematik fUr Furore gesorgt. Nachdem R. TROM 1968 ihre Anwendbarkeit auf alle physikalischen und sogar biologischen Vorgange postulierte, die aprupte Veranderungen aufweisen, hat E.C. ZEEMAN sie auch auf soziologische und i:ikonomische Vorgiinge ausgedehnt und unter dem Namen "Katastrophentheorie" als eine universell anwendbare Theorie gepriesen; vgl. [Tho] und [Zee]. Eine eher niichterne Bewertung ihrer Anwendbarkeit gibt V.l. ARNOL'D in [Arn]. Die Grundidee der Katastrophentheorie besteht darin, dass aIle natiirlichen Phanomene durch dynamische Systeme, d.h. durch Systeme von Differentialgleichungen, beschrieben werden ki:innen und zwar, soweit sie iiberhaupt beobachtbar sind, durch stabile Ruhelagen solcher Systeme oder durch Ubergang von einer solchen stabilen Ruhelage in eine andere, falls eine auBerer Einfiuss wirksam wird. 1m einfachsten Fall ist etwa ein Gradientenfeld gegeben, dessen stabile Ruhelagen gerade die Minima der zugehOrigen Potentialfunktion sind. Die erste Aufgabe besteht nun darin, typische parametrisierte
213
AUSBLICK
Familien von Potentialfunktionen zu finden und die Anderung der Minimia der einzelnen Funktionen bei Variation des Parameters zu beschreiben. Angeregt hierzu wurde R. THOM vor allem durch eine Arbeit von H. WHITNEY (1955), in der die typischen SingulariUiten beschrieben werden, die bei der (differenzierbaren) Abbildung einer Fliiche in eine Ebene auftreten. Dieser zeigte, dass eine Umgebung eines Punktes der Flache auf dreierlei Weise angebildet werden kann, entweder regular, d.h. diffeomorph auf eine Umgebung des Bildpunktes, oder singular wie in Fig. AA. Die Urbilder der Punkte auf den Zweigen der semikubischen Parabel nannte er Falten-Singularitiiten, den der Spitze eine Kuspen-Singularitiit (kurz Falte bzw. Kuspe). Andererseits enthalt die Flache aus Fig. AA alle Informationen liber die Minima (und Maxima) der Familie h(x;u,v) = X44 +u x22 +v unter Variation des Parameters (u,v) E]R2 nahe (0,0). Sie wird beschrieben durch die implizite Gleichung x3
+ ux + v = 0,
die so genannte "Katastrophenfiache", und fUr gegebene u und v gibt x gerade die Lage der lokalen Extrema an. 1m Bereich, der liber dem Inneren der semikubischen Parabel, der "Singularitatenmenge", liegt, hat man zwei Minima und ein Maximum, im auBeren Bereich ein Minimum, liber den beiden Asten fallen zwei der drei Extrema zusammen und liber der Spitze alle drei. Der Fall der Falte tritt schon bei der Familie h (x; u) = x33 + ux auf. Hier ist die Katastrophenmenge die Kurve x 2 + u = in ]R2, die auf die u-Achse projeziert wird.
°
Fig. AA THOM ist nun einen Schritt weiter gegangen und hat auch Singularitaten betrachtet, die sich auf diese Weise durch hochstens 4 Parameter entfalten lassen. Er hat eine endliche Liste von Aquivalenzklassen, die Thom'schen Elementarkatastrophen. Dabei heiBen zwei Funktionen fund g, jeweils mit Singularitat in 0, aquivalent, falls g( u) = f 0 'P(u) mit einem Diffeomorphismus 'P nahe gilt. Auch bei hochstens 5 Parametern kommt man zu endlich vielen Elementarkatastrophen. Es gibt 3 dreiparametrige Familien, 2 vierparametrige und 4 flinfparametrige. Bei mehr Parametern ist die Klassifikation nicht mehr diskret. Bei 3 oder mehr Parametern lassen sich die zugehorigen Katastrophenmengen nicht mehr darstellen, man betrachtet dann nur die Singularitatenmenge oder zweidimensionale Schnitte davon.
°
214
AUSBLICK
Fig. A.5 Wir skizzieren hier nur SingulariUitenmengen der Familien
h(x;u,v,w)
x5
x3
="5 +u 3
x2 +v2 +wx,
dem so genannten Schwalbenschwanz (links), und
f4(X;U,V,w)
= x 3 + y3 + wxy -
ux - vy,
dem hyper-bolischen N abelpunkt (rechts), sowie
f5(X; u, v, w) = x 3 - 3xy2
+ w(x 2 + y2) - UX - vy,
dem elliptischen Nabelpunkt (in der Mitte). Weitere Bilder findet man bei [Cal], insbesondere fUr x6 X4 x3 x2 f6(X;U,V,w) = 6 + t"4 +u 3 + v 2 + WX, den so genannten Schmetter-ling, und fUr
h(x; u, v, w)
= y4 + x2y + tx 2 + wy2 -
UX - vy,
den pambolischen Nabelpunkt. Wir konnen auf die vielf1iJtigen Anwendungen hier nicht eingehen, sondern verweisen auf [Zee] und [Tho] sowie auf [PS]. Chaos nnd Fraktale
Wir wollen nun kurz die so genannte "Chaostheorie" ansprechen, von der meist nicht viel mehr bekannt ist als die ansprechenden graphischen Darstellungen von "Fraktalen". Die mathematischen Grundlagen, die zu solchen Bildern fUhren, bleiben meist auBen vor, obwohl sie schon mit elementaren Kenntnissen der komplexen Analysis oder der Theorie der gewohnlichen Differentialgleichungen zu verstehen sind. Gerade die Chaostheorie hat "Mathematik" fUr die breite Offentlichkeit wieder interessant gemacht. Viele Popularisierungen benutzen den visuellen Reiz der Fraktale. DarUber hinaus werden die fraktalen und chaotischen Muster zur Beschreibung natUrlicher Phanomene herangezogen und auch von nicht entsprechend mathematisch Vorgebildeten benutzt. Die damit einhergehende Fehleinschatzung der Chaostheorie als einer "Theorie fUr Alles" wird ahnlich wie bei der Katastrophentheorie (oder der Kybernetik in den fUnfziger Jahren)
215
AUSBLICK
durch die iiberzogenen Erwartungen unterstiitzt, die einige Mathematiker in sie gesetzt haben. Die Rolle von R. THOM spielt bei der Chaostheorie B.B. MANDELBROT mit seinem Buch [Man], wahrend H.O. PEITGEN die missionarische Arbeit iibernommen hat. Aber auch hier gilt der Spruch: Eine Theorie, die alles erklart, erklart nichts. Erst eine eingehende und niichterne Betrachtung des mathematischen Hintergrundes wird zeigen, was davon Bestand hat. Wir stellen hier zunachst eine nichtlineare Differentialgleichung vor, die aufgrund ihres Losungsverhaltens am Anfang der modernen Chaostheorie steht. Zuvor betrachten wir jedoch den so genannten Van der Pol-Oszillator, eine Abwandlung des harmonischen Oszillators aus Abschnitt 2.4, bei dem zusatzlich eine nichtlineare Dampfung wirkt.
x + f-l(x 2 -
c)i;
+ x = 0,
c, f-l
> O.
Diese Differentialgleichung wurde 1926 von B. VAN DER POL zur Beschreibung der Oszillationen einer Elektronenrohre herangezogen. Sie lasst sich nicht explizit IOsen, man kann dies jedoch numerisch etwa nach der Polygonzugmethode bewerkstelligen. Da eine numerische Losungeiner Differentialgleichung aufgrund der auftretenden Rundungsfehler und der endlichen Stellenzahl nur eine Approximation sein kann, muss sichergestellt werden, dass die Losungen nicht storungsanfallig sind. Dies ist nach einem Satz aus der Theorie der Differentialgleichungen stets der Fall, solange man sich auf ein endliches Zeitintervall beschrankt. Beim van der Pol-Oszillator gilt dies aber auch fUr beliebig groBe Zeitintervalle, er ist stabil unter Storungen; Fig. A.6 zeigt eine typische Losungskurve.
Fig. A.6 Der Nullpunkt der (x, i;)- Phasenebene reprasentiert die Nulllosung. Jede andere Losung strebt fUr t -+ 00 gegen eine geschlossene Kurve, einen so genannten "Attraktor", deren Form von f-l und c abhangt. Die Kurve selbst ist das Bild einer periodischen Losung und hat fiir kleines f-l nahezu die Form eines Kreises yom Radius .;c. Der "Einzugsbereich" eines solchen Attraktors, sein "Becken", besteht aus all den Punkten x, fiir die die Losung, die zur Zeit t = 0 im Punkt x beginnt, fiir t -+ 00 gegen den Attraktor strebt. Variiert man den Parameter c und laBt dabei auch c :::; 0 zu, so erfahren die konstante Losung x = 0 und die periodische Lasung eine so genannte
216
AUSBLICK
"Hopf-Bifurkation" - nach E. HOPF, der dieses Phanomen 1942 zuerst studierte: Fur c -+ 0 zieht sich der periodische Attraktor zusammen zu einem Punkt und wird fUr c < 0 ein punktformiger Attraktor. Anders verMlt es sich bei dem folgenden System nicht linearer Differentialgleichungen erster ordnung , das 1963 von dem Metereologen E.N. LORENZ aufgestellt wurde, urn das Phanomen der Wettervorhersage mathematisch zu modellieren.
x = -(J"X + (J"Y iJ i
= -xz + rx = xy - bz
y
mit (J" = 10, b = 8/3 und r = 28. Bereits dieses einfache idealisierte Modell der Konvektionsstromungen in der Erdatmosphare zeigt, dass eine hinreichend genaue Wettervorhersage nicht moglich ist. Die Losungen weisen eine sensitive Abhangigkeit von der Wahl der Anfangsbedingungen auf. Obwohl die Losungen der Differentialgleichung stetig (oder sogar differenzierbar) von den Anfangswerten abhangen, impliziert dies nicht die Vorhersagbarkeit. Mit anderen Worten konnen wir nicht vorhersagen, durch welchen Punkt (x(t), y(t), z(t)) T eine Integralkurve zur Zeit t lauft, wenn sie zur Zeit t = 0 in einem wohl bekannten Punkt startet. Man sagt, das Langzeitverhalten sei "chaotisch" . Das Phanomen lasst sich anschaulich durch das Verhalten einer Motte beschreiben, die urn zwei Lichtquellen kreist und sich nicht fUr eine entscheiden kann. Fur eine Weile kreist sie urn die eine Lampe, nach unvorhersagbarer Zeit urn die andere, dann wieder urn die erste und so fort in unregelmaBigem Wechsel. Notiert man die Folge der abwechselnden Umkreisungen, so erhalt man zum Beispiel 3, 27, 45, 2, 1876, .... Wahlt man einen zweiten Anfangswert sehr nahe bei dem ersten, so kann diese Folge vollig unterschiedlich sein, etwa 2, 3, 5, 7, 11, ....
Fig. A.7 Die Punktmenge, der die Losungen fUr t -+ Attraktor" .
00
zustreben ist ein so genannter "seltsamer
AUSBLICK
217
Wahrend Differentialgleichung die kontinuierliche (zeitliche) Entwicklung eines "dynamischen Systems" beschreiben, kann man auch deren Zustande in diskreten Momentaufnahmen festhalten, d.h. diskrete dynamische Systeme betrachten. Die typischen Beispiele hierfUr sind Iterationsprozesse, gegeben durch ein Folge Zn, n E N, die nach einem festen Bildungsgesetz definiert ist. Als Beispiele haben wir bereits die Folgen der Naherungsbrliche von Kettenbruchentwicklungen kennen gelernt. Ein anderer wichtiger Iterationsprozess ist das Naherungsverfahren von NEWTON zur Bestimmung der Nullstelle einer differenzierbaren F'unktion j. Dabei definiert man induktiv, beginnend mit einem Startwert Zo, die Iterationsfolge Zn durch
Wir lassen hier auch komplexe F'unktionen zu, wobei die Ableitung wie im Reellen als Grenzwert der Differenzenquotienten definiert wird. Unter geeigneten Voraussetzungen an j, konvergiert die Iterationsfolge gegen einen Fixpunkt Z = (z), den man als Attraktor des diskreten dynamischen Systems ansehen kann: 1st j ein Polynom und Z E 0, also E streng monton
239
LOSUNGEN - ERGEBNISSE
Wegen E(M) + 27r = M + 27r - Esin (E(M) + 27r) folgt E(M + 27r) = E(M) + 27r mit (a) sowie E(O) = 0 und E(7r) = 7r. Als Umkehrfunktion der ungeraden Funktion Mist E ebenfalls ungerade. (c) Nach (b) kann man E(M) - M = L:~=1 an sin(nM) ansetzen und erhiilt fur die Ableitung :~ - 1 = L:~=1 bn cos(nM) mit bn = nan. Nun ist
bn
2
f"
= :;;: 10
dE (dM -1) cos(nM) dM
= -2171" cos(nM) 7r
0
dE
2
f"
= :;;: 10
= 27r 171" cos(nE 0
dE dM cos(nM) dM
nE sin E) dE.
12. (a) Durch Differentiation erhiilt man sofort 7rt2
7rt 2 )
c(t)=a7r 3 / 2 t ( -sin(T),cos(T)' wegen s = a~ also K = a2 7r 2 s. Die logarithmischen Spirale r( rp)
= e'P
liisst sich parametrisieren durch
Nach 2.2, Aufgabe 2 besitzt sie die Bogenliinge s(t) = V2e t , wenn man ab t = -00 rechnet und die Krummung K(t) = d.h., Krummung und Bogenliinge sind umgekehrt proportional.
0e-t,
(b) ist klar. (c) Offensichtlich gilt c( -t) = -c(t), t E lffi., und damit die erste Aussage. Zum Beweis der zweiten Aussage genugt es, (nach der Substitution u = vV2) die Konvergenz von
zu zeigen - fur das zweite Integral schlieBt dann man analog. Wegen v'k+1- Vk = ~+Vk und Isin 7rv 21 ~ 1 bilden die Integrale in der Summe eine Nullfolge, so dass fUr die Anwendung des Leibniz-Kriteriums nur die Monotonie nachzuweisen ist. Nach der Substitution x = v 2 ist aber
jVk
Vk+1
Isin 7rv 21 dv
I sin 7rXI = -211k+1 ---;;;:k
und somit folgt die Montonie aus der Monotonie von Ziihlers.
yX
dx,
Jx und der 7r-Periodizitiit des
Abschnitt 3.2
= ±~h. = -y, also 82 d(0,0) = -1, und 82 1(x,0) = x, also 8 12 1(0,0) = 1.
1. Es ist 1(0, y) :::::: 0 und 1(x, 0) :::::: 0 aber 1(h, ±h)
2. Es ist 81 1(0,y)
240
LOSUNGSHINWEISE
3. Fur das Rechteck mit den Kantenlangen x, y ? 0 gilt F = xy ? 0 und x 2 + y2 Fur ist grad L(x, y, A)
= (y + 2AX, x + 2AY, x 2 + y2 -
4r2)
= 4r2.
= 0,
falls A = -~, d.h. x = y.
3:
4. Es ist = r 2 h zu maximieren unter der Nebenbedingung M r2(r2 + h2) = C > O. Fur
folgt grad L(r, h, A)
= (2rh + 4Ar 3 + 2rAh 2, r2 + 2r2 Ah, r2(r2 + h2) -
also aus der zweiten Komponenten A = die notwendige Bedingung r
V
= 7rrs
= Ih 3 .
=
21h •
bzw. ~ =
c),
Mit der ersten Komponenten erhalt man
V"i h. Dieses Verhaltnis liefert das maximale Volumen J;S)
5. Der Ansatz y = tx fiihrt auf x = 2 2 , d.h. die behauptete Parametrisierung. Zur Berechnung der Flachenintegrale beachte
so dass
Hierfiir verwendet man die Rekursionsformel /
dt
(1
+ t 2)k =
t (2k - 2)(1
2k - 3 / 2 (1
+ t 2)k-l + 2k -
dt
+ t 2)k-l .
Fur den Inhalt der groBen Schleife (hier ist -1 ~ t ~ 1) erhalt man kleinen also ~ - ~.
;£ + ~, fur jede der
6. Es ist F2 als Funktion von (a, b, c) unter der Nebenbedingung a + b + c = 2s zu maximieren. Man erhalt als Lasung a = b = c = d.h. ein gleichseitiges Dreieck.
¥,
7. Setzt man die Lagrange-Funktion als
L(x)
= xAx T
-
A(lxl2 -
1)
an, so kann man grad L in der Form grad L(x, A)
= (2xA -
2AX, Ixl 2 -1)
241
L6SUNGEN - ERGEBNISSE
schreiben, d.h., die Lagrange-Multiplikatoren sind gerade die Eigenwerte der Matrix A. Diese sind gegeben durch die Nullstellen des Polynoms P()..) = det (A - )..In). Die Losungsvektoren x sind die Einheitsvektoren, die zum Nullraum von A - )"In gehOren. In denen des kleinsten Eigenwerts liegt ein Minimum vor, in denen des grofiten ein Maximum. Speziell im Fall der 2 x 2-Matrix A P()..)
= (a -
= (~ ~)
folgt
)..)(e - )..) - b2 = )..2
-
(a + c)
+ (ae - b2)
mit den Nullstellen
8. (a) Aus der Taylor-Formel mit Integralrestglied erhalt man die angegebene Darstellung f(x) = xk (e + g(x)). Man kann dann u = x Vic + g(x)1 setzen, da Ig(x)1 < lei fUr x nahe 0. (b) Nach (a) kann man f(x) 4u 3 = 2cp(u)cp'(u) und damit
= xk
annehmen. Ware etwa u 4
12u 2 = 2cp'(u? also insbesondere cp'(O) behandelt.
= 0,
= cp(U)2,
so hatte man
+ 2cp(U)cp"(U),
d.h. einen Widerspruch. Der allgemeine Fall wird analog
9. Wir zeigen induktiv:
Der Fall n = 1 ist klar und wenn man diesen, die Induktionsannahme und den Satz von Schwarz benutzt, so folgt fUr n ? 1:
g(n+l)(o)
= Eh (0;-1((f 0
g)n02g)) (O,a)
= 0;-1 (n(l 0 gt- 1(I' 0 g)01g02g + (I 0 gt8281g) (0, a) =8~-1((n + 1)(f 0 g)n(f' 0 g)(82g? + (f 0 g)82 82g)(0,a) = 8;((fog)n+ 182g)(O,a). Abschnitt 3.3 1. (a) Die erste Komponente der rechten Seite berechnet sich zu (X1 Z 1
+ X2 Z 2 + X3 Z3)Y1
-
(X1Y1
+ X2Y2 + X3Y3)Zl = X2(YIZ2
- Y2 Z 1) -
= X2(Y x zh -
X3(Y3 Z 1 - YIZ3)
X3(X
x zh
und Analoges gilt fUr die beiden anderen Komponenten. Damit und wegen (x x y) . z = det (x, y, z) folgt sofort die Lagrange-Identitat:
(x x y) . (z x w)
= det (x, y, z x w) = - (x x (z x w)) = -(x· w)(z· y) + (x· z)(w· y).
.Y
242
LOSUNGSHINWEISE
Speziell mit z
= y und w = x erhiilt man
(x· y)(y . x)
-llxl1 2 lIyl12 = (x X y) . (y
x x)
= -llx X Yl12 ~ 0
und damit die Ungleichung von Cauchy-Schwarz. (b) Nach (a) gilt
Ilx x Yl12 = (x X y). (x x y) = IIxl1 2IIyl12 - (x. y)2 = IIxl1 2 IIyl12 - IIxl1 2 IIyl12 cos24> = IIxl1 2 IIyl12
sin24>.
Wiihlt man 0.E. X3 = 0 = Y3, so folgt Ilx x yll = IX2Y2 -X2Yll. Dies ist der Fliicheninhalt des von x und y aufgespannten Parallelogramms. 2. Bezeichnet 8 die Bogenliinge der reguliiren Kurve c und ' kurzfristig die Ableitung nach 8, so gilt c = 1 0 8 fUr eine nattirlich parametrisierte Kurve I, d.h. 111'(8)11 = 1. Es gilt dann
c(t)
= 1'(8)8,
c(t)
= 1"(8)82 + 1'(8)8
und ·c·(t)
= 1'1/(8)8 3 + 31"(8)88 + 1'(8)8·,
und es folgt
Ilc(t) x c(t)11 = 111'(8) x 1"(8)11 = 1111/( )11 = (I()) = ((t)) IIcl1 3 111'(8)113 8 ~ 8 ~C mit den Rechenregeln fUr das iiuBere Produkt sowie
nach den Rechenregeln fUr Determinanten. Fur eine nattirlich parametrisierte Kurve c ist
~(8) = Ilc(8) x c(8)11 = ~~ 1~lllc(8)
X
(C(8
+ h) -
1
C(8)) II 1
= ~~ lhIl sin 4>(h)1 Ilc(8) II Ilc(8 + h)11 = ~~ lhIl sin 4>(h)l· Wegen limh-+o Si:tJ~)
= 1 folgt die Behauptung. Analog ist
. ISin'lj!(h) I . 1 ~~ h = ~~ lhIllb(8) x
. (b(8 + h) - b(8))11 = lib x bll = Irilib x nil·
3. (a) Mit den Bezeichnungen Cl = t, C2 = n und C3 = b betrachte man Cj . Ck fUr 1 ~ j, k ~ 3. Aufgrund der Frenet-Serret'schen Formeln genugen diese Funktionen einem System linearen Differentialgleichungen, sind also nach Vorgabe des Anfangswertes Cj . Ck (a) = 8jk eindeutig bestimmt. Genauere Auswertung der rechten Seite des Differentialgleichungssytems zeigt, dass Cj . Ck(8) == 8jk eine Lasung ist. Die Vektoren Cl (8), C2 (8) und C3 (8) bilden daher stets ein orthonormales Dreibein. Dieses ist auch durchgiingig gleichorientiert, da det (cJ, cJ, cn (8) eine stetige Funktion ist. (b) Das
243
L6SUNGEN - ERGEBNISSE
folgt mit dem Eindeutigkeitssatz, da die Komponenten von y(s) ebenfalls die FrenetSerret'schen Formeln erfUllen. 4. FUr die sechs Halbspharen Ujk = {x E 8 2 definiert man O}, j = 1,2,3,
k
= 0,1,
Mit ,g
= jg(c x c)· (xu x xv), nachdem man hierfur die Lagrange-Identitat benutzt hat.
5. (a) Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung ist
j'rJ (ouoQ - oPoJ dudv = jd (Q(b,v) - Q(a,v)) dv - Ib (P(u,d) - P(u,c)) duo R
c
a
Andererseits k6nnen wir c von der folgenden Form annehmen: I
(a+(b-a)t,C)' ()_ { (b,c+(d-c)(t-l)), ct -, ((a+(b-a)(3-t),d), (a,c+(d-c)(4-t)),
= [0,4] und
o(
t ( 1, 1 ( t ( 2,
2 ( t ( 3, 3 ( t (4.
248
LOSUNGSHINWEISE
Es folgt dann etwa
1 3
(PO c,Q 0 c)· e(t) dt
=
1 3
P(a+ (b - a)(3 - t),d)(a - b) dt
=
-l
b
P(u, d) du,
wenn man u = a + (b - a)(3 - t) setzt. (b) Da sich jedes Vieleck mit achsenparallelen Seiten in Rechtecke zerlegen laBt, von denen je zwei banachbarte genau eine Kante entgegengesetzter Orientierung gemeinsam haben, wird man sofort auf den Teil (a) zuruckgefUhrt. 6. (a) Da durch jede Punkt genau eine Geodatische mit vorgegebener Richtung geht, ist nur zu zeigen, dass GroBkreise Geodatische sind. Fur den Aquator
co(t) = (cost,sint,O), gilt Co
0:::; t:::;21f,
= -co, so dass 1\;9(S)
= det
(co(s), i:o(s), eo(s))
=0
erfUlit ist. Jeder andere GroBkreis lasst sich als Bco mit einer orthogonalen Abbildung B der Determinante det B = 1 schreiben. DafUr folgt also ebenfalls det (Bco, Bi:o, Bco) = det Bdet (co,i:o,co) = O. (b) Gabe es eine langentreue Abbildung x : V -+ U C 52, so ware das Bild eines ebenen Dreiecks ein spharisches Dreieck, dessen Seiten durch Geodatische gebildet wurden. Nach GauB-Bonnet ware die Winkelsumme dieses Dreieck groBer als 1f. Dies ist ein Widerspruch, da eine langentreue Abbildung auch winkeltreu ist.
Je
7. Wegen F = 0 und iL = erhalt man zunachst die angegebenen Werte fur I\;u und I\;v aus der Formel fUr 1\;9' indem man die Christoffel-Symbole aus Aufgabe 4 benutzt. Ferner ist cos
= Jee. Xu = VEiL
und
sin
= Jelle x xull = vev.
Letzteres gilt zunachst fUr 0 :::; :::; 1f mit Ivl statt V, sodann aber fUr beliebiges wenn man das Vorzeichen von v berucksichtigt und die Orientierung {xu, xv} zugrunde legt. Die Formel folgt nun durch Differenzieren der Identitat cos 1f = Xu nach der Bogenlange s und anschlieBender Division durch sin .
Jee.
8. Bei der Parametrisierung x( u, v) = (r cos u, r sin u, v), 0 :::; u :::; 21f, V E ~, verschwinden aile Christoffel-Symbole, und man erhalt die Differentialgleichungen ii = 0 = ii. Geodatische etwa durch den Punkt (r, 0, 0) sind also von der Form
c(t)
= (rcosat,rsinat,bt),
t
E~.
Aufgrund der Normierung Ilell = 1, muss hierbei noch a 2 r2 + b2 = 1 gelten. Fur einen anderen Punkt (r cos Q, r sin Q, h) bestimmt man a und b durch Einsetzen: b = o:':;k7r und a = o:+2k1f mit k E Z.
yfr 2(O:+2k7r)2+h 2
N amen- nnd Sachverzeichnis
Abbildung, konforme 187
Abel, Niels Henrik (1802 - 1829) 217
Bartels, Johann Martin Christian (1769 - 1836) 181
Affensattel 161
Bernoulli, Daniel (1700 - 1784) 67
Ahmes 66
Bernoulli, Jakob (1654 - 1705) 73, 78, 102, 127, 132, 156, 186
Alexander, James Waddell (1888 - 1971) 212 Alexander-Polynom 212
Bernoulli, Johann (1667 - 1748) 65,86, 101, 127f, 180
Algorithmus, euklidischer 18
Bernoulli-Zahlen 74
Anfangswertproblem 116
Bernstein, Sergi Natanovich (1880 - 1966) 58f
Anomalie, exzentrische 143
Beriihrpunkt 169
-, mittlere 143 -, wahre 143 Antiphon
(~
400 v.u.Z.) 68, 86
Bessel, Friedrich Wilhelm (1784 - 1846) 100,127, 146 Bessel-Funktionen 127
Apery, Roger (1916 - 1994) 41
Binormale 180
Approximation, sukzessive 126
Binet, Jacques Philippe Marie (1786 - 1856) 12
Approximationssatz von Kronecker 42
Bishop, Errett Albert (1928 - 1983) 43, 48f, 53
- von Lagrange 21
Blatt, cartesisches 94
- von WeierstraB 58
Bogenlange 86
Archimedes von Syrakrus (~287 - 212 v.u.Z.) 32, 65, 70f, 86, 88, 105, 108, 111 Archytas von Tarent (~ 430 - ~ 345) 178, 192
Bolzano, Bernard Placidus Johann Nepomuk (1781 - 1848) 45f, 51
Argand, Jean Robert (1768 - 1822) 60
Bond, Henry
Aristoteles (384 - 322 v.u.Z.) 6, 90 Arnol'd, Vladimir Igorevich (* 1937) 146, 212 Asymptote 148 Atiyah, Michael Francis (* 1929) 205 Atlas 183 Attraktor 215 -, seltsamer 216 Aufgabe, isoperimetrische 95 Axiom der MeBbarkeit (archimedisches) 69 Bachmann, Paul Gustav Heinrich (1837 - 1920) 45 Baltzer, Heinrich Richard (1818 - 1887) 53
Bombelli, Rafael (1526 - 1572) 26 (~
1600 - 1678) 186
Bonnet, Pierre Ossian (1819 - 1892) 199, 201 Brauner, Karl (1897 - 1952) 211 Brioschi, Francesco (1824 - 1897) 222f Brouncker, William Lord (1620 - 1684) 29 Brouwer, Luitzen Egbertus Jan (1881 - 1966) 43 Bryson
(~
400 v.u.Z.) 68, 87
Budan de Boislaurent, Ferdinand (1761 - 1840) 64
Fran~ois
Desire
Bunjakowski, Viktor Jakowlewitsch (1804 - 1889) 84 Caesar, Gaius Julius (100 - 44 v.u.Z.) 24
Banach, Stefan (1892 - 1945) 126
Cantor, Georg Ferdinand Ludwig Philipp (1845-1918) 45
Barrow, Isaac (1630 - 1677) 75, 95, 133f, 186
Cardano, Girolamo (1501 - 1576) 45, 63
250
NAMEN- UND SACHVERZEICHNIS
Carnot, Lazare Nicolas Marguerite (1753 - 1823) 92 Cassini, Gian (Jean) Domenico (1625 - 1712) 15, 132 Cauchy, Augustin-Louis (1789 - 1857) 84, 101, 127, 146, 219
Dorodnow, Anatoli Wasiliewich (* 1908) 68 Drehimpuls 116 Dreibein, begleitendes 181 Ebene, rektifizierende 180 Einheitsnormalenvektor 151
Cavalieri, Bonaventura (1598 - 1647) 72, 77, 106f
Einheitstangentenvektor 151
Cavalier'isches Prinzip 107, 110
Einsiedlerpunkt 168
Cesaro, Ernesto (1859 - 1906) 156
Einstein, Albert (1879-1955) 203
Chaostheorie 214f
Einzugsbereich 215
Christoffel, Elwin Bruno (1829-1900) 200
Eisenstein, Ferdinand Gotthold Max (1823 - 1852) 221
Christoffel-Symbole 200 Clairaut, Alexis-Claude (1713 - 1765) 179 Clebsch, Alfred Rudolf Friedrich (1833 - 1872) 209 Codazzi, Delfino (1824 - 1873) 197 Conway, John Horton 212 Cornu, Alfred Marie (1841 - 1902) 156 Cotes, Roger (1682 - 1716) 77 D'Alembert, Jean Ie Rond (1717 - 1783) 60 Darboux, Jean-Gaston (1842 - 1917) 181
Elementarkatastrophe, Thom'sche 213 Epizykel 131 Eudoxos von Knidos 178
(~
400 - 347 v.u.Z.) 19,69,
Euklid (=Eukleides) 44, 68f, 107
~
300 v.u.Z.) 6, 8, 13, 19,
Euler, Leonhard (1707 - 1783) 8, 10, 25ff, 29, 36, 41, 44, 47, 61, 78f, 97, 101, 126, 128f, 151, 156, 158, 184, 198, 202, 208f, 219, 224 Euler-Charakteristik 198 Euler-Mascheroni-Konstante 79
Dedekind, Julius Wilhelm Richard (1831 - 1916) 6, 45f
Euler'sche Zahl (e) 29, 40
Deformation, stetige 99
Evolute 152
Dehn, Max Wilhelm (1878 - 1952) 106, 211
Evolvente 153
Deinostratos
Exhaustionsmethode 68
(~
350 v.u.Z.) 130
De Moivre, Abraham (1667 - 1754) 8, 12
Faber, Georg (1877 - 1966) 98
De Moivresche Formel 8
Fagano, Giulio Carlo (1682 - 1766) 209
Descartes (du Perron), Rene (1596 - 1650) 2f, 20, 55, 63, 70, 94, 101, 133, 178, 203
Faltings, Gerd (* 1954) 208
Falten-Singularitat 213
Dido 95
Fassregel, Kepler'sche 114
Diedergruppe 222
Faulhaber, Johannes (1580 - 1635) 73
Differentialgleichung, inhomogene lineare (zweiter Ordnung) 127f
Fermat, Pierre de (1601 - 1665) 2, 9f, 70, 72, 74, 94, 133f, 177f, 207f, 224
-, nicht lineare autonome 116
Ferrari, Ludovico (1522 - 1565) 63
-, Cauchy-Riemann'sche 192
del Ferro, Scipione (1465 - 1526) 45, 63
differenzierbar, total 165 -, partiell 135
Fibonacci = Leonardo von Pisa (~ 1170 - ~ 1240) 11
-, -, stetig 135
Fibonacci-Zahlen 11
-, -, -, n-mal 158
Fixpunktsatz, Banachscher 126
Dini, Ulisse (1845 - 1918) 137
Flache, orientierbare 194
Diokles (~ 200 v.u.Z.) 130 Diophant (3. Jhdt. u.Z.) 205, 208
-, regulare 184 Flacheninhalt 65
Divisionssatz 139
-, orientierter 91
Doppelpunkt 148, 168
Flachenstiick, regulares 184
251
NAMEN- UND SACHVERZEICHNIS
Formel, Cardano'sche 63
Green, George (1793 - 1841) 200
-, Green'sche 204 -, Stirling'sche 81
Gregory, James (1637 - 1675) 28, 77, 95, 186 Gruppe, zyklische 222
- von de Moivre 8
Harriot, Thomas
- von GauB-Bonnet 201
Hasse, Helmut (1898 - 1979) 69 Hauptkrlimmung 198 Hauptnormalenvektor 180 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 75 - liber periodische Kettenbrliche 25 - liber symmetrische Funktionen 40
- von Liouville 200 Fourier, Jean-Baptiste Joseph de (1768 - 1830) 37, 56, 63f Fourier-Koeffizienten 96 Fourier-Reihe 97 Fraktal214 Frenet, Jean-Frederic (1816 - 1900) 181 Frenicle de Bessy, Bernard (1605 - 1675) 9
(~
1560 - 1621) 102,201
Helicoid 195 Helix 179 Henrici, Peter K. (1923 - 1987) 219
Fresnel, Augustin Jean (1788 - 1827) 156
Hermes, Johann Gustav (1846 - 1912) 10
Frey, Gerhard (* 1944) 208
Hermite, Charles (1822 - 1901) 38,222
Fundamentalform, erste 196
Heron von Alexandria (?) 7, 175 Heuraet, Hendrick van (1633 - 1660) 90
-, zweite 196 Fundamentalsatz der Algebra 60 Funktion, element are 127 -, holomorphe 192 -, komplex analytische 192 Galilei, Galileo (1564 - 1642) 101, 115, 123, 203 Galois, Evariste (1811 - 1832) 221 Galoisgruppe 222 Gaufl, Carl Friedrich (1777 - 1855) 2f, 9f, 45, 56, 60ff, 92, 100ff, 106, 188, 194, 196f, 199, 201, 209, 211 Gelfond, Alexander Ossipowitsch (1906 - 1968) 41 Geodatische 200 Gerling, Christian Ludwig (1788-1864) 106 Gerono, Camille Christoph (1799 - 1891) 155 Geschlecht 208 Gesetze, Kepler'sche 117 Girard, Albert (1595 - 1632) 45 Gleichung, diophantische 206 -, elliptische 208 -, Kepler'sche 143 -, Pell'sche 207 -, rationale 207
Hilbert, David (1862 - 1943) 39, 41, 45, 106, 153, 219, 223 Hipparchos von Nikaia (~ 190 - 127 v.u.Z.) 131, 177, 182 Hippasos von Metapont (~ 450 v.u.Z.) 5, 7 Hippias von Elis (~ 400 v.u.Z.) 130 Hippokrates von Chios Hippopede 178
(~
430 v.u.Z.) 66f, 68
HOMFLY-Polynom 212 Homotopie 99 Homotopieinvarianz 99 Hopf, Eberhard (1902 - 1983) 216 Hopf-Bifurkation 216 Hoppe, Reinhold (1816-1900) 196 Hudde, Johann (Jan) (1628 - 1704) 133 Hurwitz, Adolf (1859-1919) 39, 95 Huygens, Christiaan (1629 - 1695) 23,25,94, 123, 152ff Hypozykloide 131 Ibn al-Haitham, Abu cAlI ai-Hasan ibn ai-Hasan (~ 965 - ~ 1040) 82 Identitat, Parseval'sche 96 Ikosaeder 13 Index 98
Gordan, Paul Albert (1837-1912) 39, 223
Integral, elliptisches 102, 121 -, Fresnel'sches 156 Integralkurve, maximale 116 Interpolationsformel von Lagrange 62
Gradient 147
Interpolationspolynom von Lagrange 76
Godel, Kurt Friedrich (1906 - 1978) 48, 219 Goldbach, Christian (1690 - 1764) 47
252
NAMEN- UND SACHVERZEICHNIS
Involute 153
Kurve, algebraische 129
Isometrie 190
-, Cassini'sche 132
Jacobi, Carl Gustav Jacob (1804 - 1851) 209
-, elliptische 208
Jones, Vaughan Frederick Randal (* 1952) 212
-, projektive 207
Jones-Polynom 212
-, rationale 207
Julia, Gaston Maurice (1893 - 1978) 217
-, reguliire 151
Julia-Menge 217
-, transzendente 130
Kanada, Yasumasa 43
-, Viviani'sche 178
Karsten, Wenceslaus Johann Gustav (1732 - 1787) 106
Kuspe 168
Karte 183 Katastrophenfiache 213
Lagrange Joseph-Louis (1736 - 1813) 21ff, 25, 52, 62, 76, 128, 144f, 163, 176, 190, 221, 224
Katastrophenmenge 213
Lagrange-Funktion 163
Kepler, Johannes (1571 - 1630) 5, 9, 12, 14f, 70, 111, 114f, 143, 203
Lagrange-Multiplikator 163
Kette, Sturm'sche 56 Kettenbruch, allgemeiner 25
Kuspen-Singularitat 213
Lagrange-Identitat 191 Lambert, Johann Heinrich (1728 - 1777) 18, 25, 29f, 36f, 146, 155, 188
-, periodischer 24
Lancret, Michel Ange (1774 - 1807) 180
-, regelmaBiger 19
Landau, Edmund Georg Hermann (1877 - 1938) 67, 155
-, -, endlicher 18 Kettenregel 147 Kiepert, Friedrich Wilhelm August Ludwig (1846 - 1934) 223 Kissoide 130 Klein, Christian Felix (1849 - 1925) 1, 22, 222 Klothoide 156 Knoten 211
Laplace, Pierre-Simon (1749 - 1827) 145 Laugwitz, Detlef (1932-2000) 219 Lebesgue, Henri Leon (1875 - 1941) 3, 76 Legendre, Adrien-Marie (1752 - 1833) 30f Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646 - 1716) 28, 44f, 75, 93, 101, 103, 128f, 133, 186, 219 Lejeune Dirichlet, Johann Peter Gustav (1805 - 1859) 18, 129
Knotengruppe 211
Lemniskate 102, 132, 155
Koch, Nils Fabian Helge von (1870 - 1924) 103
L'Hospital, Guillaume Fran