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Mark � ark Hellmann � lmann Nr. 26 � 26
C.W. Bach �
Anselmus, der � Teufelsmönch �
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London. Der Mann hastete durch die verschlungenen Gänge der UBahn-Station. Seine Schritte hallten dumpf von den Betonwänden wider. Gehetzt schaute sich der Keuchende immer wieder um, doch er konnte keinen Verfolger entdecken. Als er den heranrauschenden Zug hörte, stürmte er regelrecht die Treppe hinunter. Gleichzeitig mit ihm kam er unten an. Einige Fahrgäste stiegen aus, er drängte mit anderen hinein. Sekunden später schlossen sich die Türen, und der Zug beschleunigte. Der Mann fand nur noch einen Stehplatz, atmete dennoch erleichtert auf. Er fühlte sich sicher. Doch zu früh! Entsetzt weiteten sich seine Augen, als er das leise Zischen vernahm. Da streckte der Teufel bereits die Klauen nach ihm aus… *** »Nein! Bitte nicht!!« schrie der Mann und streckte abwehrend eine Hand aus. Die Menschen um ihn herum starrten ihn verständnislos an. Aber gleich darauf schenkte man ihm nicht mehr die geringste Beachtung. In einer Weltstadt wie London gehörten verrückte Typen eben zum Stadtbild. Verzweifelt versuchte der Mann, seine Hand aus der Lederschlaufe zu befreien. Als es ihm endlich gelungen war, wirbelte er herum, um in den vorderen Teil des Zuges zu fliehen. Doch da prallte er erschrocken zurück! Ein Mann und eine Frau verstellten ihm den Weg. Sie sagten nichts. Sie standen nur da und starrten ihn mit ihren bleichen Gesichtern an. Sie trugen schwarze Kleidung und hatten sich schwarze Kreuze auf die Stirn gemalt. Kreuze, die auf dem Kopf standen! 3 �
Der Mann schrie entsetzt und drehte sich wieder um. Die Gestalt am hinteren Ende des Wagens versetzte ihn erneut in Angst und Schrecken. Sie kam langsam näher. Es war ein Mönch. Er trug eine schlichte, braune Kutte, deren Kapuze er tief in die Stirn gezogen hatte. Um die Hüfte hatte der Mönch eine Kordel geschlungen, an der ein speckiger Lederbeutel hing. Der Mann begann zu zittern. Er klammerte sich an einer Haltestange fest. »Bitte! Ich flehe dich an! Tu es nicht! Bitte nicht!« kreischte er. Seine Stimme überschlug sich. Tränen rannen über seine Wangen. Kalte, gnadenlose Augen starrten ihm unter der Kapuze entgegen. Das Gesicht des Mönchs lag weitgehend im Schatten. Kaum einer der Reisenden konnte ihn genau erkennen. Eine dürre, knochige Hand schob sich in den Lederbeutel. Als sie wieder zum Vorschein kam, waren die Finger mit einer grobkörnigen Pulverschicht bedeckt. Der Mönch führte die Hand an die Lippen und blies das Zeug davon. Die Pulverwolke legte sich über das Gesicht des verängstigten Mannes, der sofort den Kopf sinken ließ und Mund und Augen schloß, doch nicht schnell genug. Einen Teil des Pulvers atmete er ein, worauf er entsetzlich husten mußte. Noch hielt er sich an der Haltestange fest, wenn auch mühsam. Als er den Kopf wieder hob und aus tränenverschleierten Augen aufsah, war der seltsame Mönch verschwunden. Auch die beiden schwarzgekleideten Gestalten waren nicht mehr zu sehen. Der Mann atmete tief durch. Es war der letzte Atemzug seines Lebens! Rauch drang ihm aus Mund, Nase und Augen. Im nächsten Moment schlugen Flammen aus seinem Körper und verwandelten den Mann in eine lebende Fackel! Seine gellenden Schreie erfüllten den Waggon. Er taumelte und 4 �
schlug um sich. Sein Körper wurde von den Flammen vollständig eingehüllt. Das schreck- und schmerzerfüllte Gesicht des Mannes verzerrte sich zu einer Fratze und bot einen furchtbaren Anblick. Im Wagen entstand Panik. Menschen sprangen auf, stießen gegeneinander und versuchten, von dem brennenden, kreischenden Mann wegzukommen. Dabei gerieten einige der Reisenden mit der lebenden Fackel in Berührung und fingen ihrerseits Feuer. Die Flammen fraßen sich durch die Waggons. Brennende Menschen hieben in ihrer Verzweiflung gegen Scheiben und Türen, um dem Feuertod zu entgehen. Augenblicke später raste der U-Bahn-Zug in den Bahnhof Holborn. Die Reisenden auf den Bahnsteigen wichen entsetzt zurück, als sie die menschlichen Fackeln in den Waggons bemerkten. Die Türen öffneten sich. Feuerwände schossen aus den Waggons und verwandelten den Bahnsteig in ein flammendes Inferno… * Auf dem U-Bahnhof Holborn wimmelte es von Notärzten, Feuerwehrleuten und Polizeibeamten. Eine junge Frau stand etwas abseits und beobachtete die Bemühungen der Einsatzkräfte, die Verletzten zu versorgen und die Toten zu bergen. Auf der Trage, die man an ihr vorbeischleppte, lag ein Körper unter einer grauen Wolldecke. Der Körper bewegte sich. Ein verkohlter Arm fiel unter der Decke hervor und baumelte vor der jungen Frau hin und her. An einem verbrannten Finger blinkte schwach ein riesiger Rubinring. Detective Sergeant Harriet Plummer trat hinzu und zog die 5 �
Decke vom Gesicht des Toten. Es war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Beamtin war einiges gewohnt, aber dieser Anblick ging ihr gewaltig an die Nieren. Hastig deckte sie den Leichnam wieder zu und wandte sich ab. »Und? Ist er es?« fragte Inspector Barry Prince. Mit Ende Vierzig hatte er bereits weißes Haar und erinnerte mit seinen gütigen Gesichtszügen eher an einen Priester als an einen Polizeibeamten. Harriet Plummer nickte. »Freddie Sanders. Der Eiserne Freddie. So haben sie ihn genannt.« Harriet schluckte. »Er war wohl doch nicht so eisern, wie alle behauptet haben.« »Wo setzen wir an?« Harriet Plummer schaute auf. In ihren blauen Augen spiegelten sich Zorn und Entschlossenheit. »Ich werde mir die Bande kaufen, Chef. Das bin ich Freddie schuldig. Ohne ihn wüßten wir nicht mal, in welcher Gegend sich diese Fanatiker verkriechen. Er hat es einfach verdient, daß wir die Mistkerle schnappen!« »Machen Sie mal halblang, Harriet.« Der Inspektor legte ihr die Hand auf die Schulter. »Wir haben keine Beweise. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß diese Leute Dutzende von Menschen in einer vollbesetzten U-Bahn in Brand stecken? Häuser abfackeln, ja. Das kann ich gerade noch nachvollziehen. Aber so was hier?« Er schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir, Chef. Die Kerle stecken auch hinter diesem Anschlag. Und ich werde dafür sorgen, daß so was nicht noch mal vorkommt.« »Keine Alleingänge, Harriet! Sie sind kein weiblicher Dirty Harry!« warnte der Scotland Yard Inspector und spielte damit auf die bekannteste Rolle des kernigen Schauspielers Clint Eastwood an, nämlich die Rolle eines einzelgängerischen Polizisten. Harriet Plummer antwortete nicht. Sie schaute nur grimmig 6 �
vor sich hin. Zwei Stunden später durchstreifte sie Kneipen und Bars im berüchtigten Londoner Stadtteil Soho, traf Informanten und stellte ihre Fragen. Der Eiserne Freddie hatte viele Freunde gehabt. Sie alle zeigten sich von seinem Tod betroffen und waren gerne bereit, Harriet Plummer mit Informationen zu versorgen. Gegen Abend hatte sie einen Namen: Ben Mason. Es war bereits dunkel, als Detective Sergeant Plummer ihre Wohnung betrat und sich umzog. Sie schlüpfte in dunkle Jeans, einen dünnen, schwarzen Pullover und Cowboystiefel. Sie würde in dieser Nacht durch die zwielichtigen Viertel Londons streifen und sich nach diesem mysteriösen Ben Mason umschauen. Beim Umziehen hörte sie ihren Anrufbeantworter ab. »Harriet? Hier ist Danny! Danny, der Jockey«, klang es aus dem Gerät. »Ich hab' gehört, Sie suchen nach den Typen, die Freddie abserviert haben. Die Nummer ist ein wenig zu groß für Sie, Harriet. Ben Mason ist gefährlich. Wenn Sie sich Mason unbedingt schnappen wollen, sollten sie mit einer Armee anrücken. Der Kerl hat es faustdick – aaaah!« Der Kriminalbeamtin lief es eiskalt über den Rücken. Offenbar hatte Danny, der Jockey selbst diesen Ben Mason unterschätzt. »Hüten – sie sich – vor – Mason!« Die keuchende Stimme des Informanten war kaum noch zu verstehend »Der Teufel – Camden – Bayham Street!« Pause. »Nein! Nicht! Ihr dürft das nicht tun! Bitte – Neeeiiin!!« Harriet Plummers Nackenhaare sträubten sich, als sie ein aggressives Fauchen und Dannys unmenschliche Schmerzensschreie hörte. Dann schaltete das Band ab. Im selben Moment ging das Licht aus! Harriet Plummer erstarrte. Sie huschte zur Tür und betätigte den Lichtschalter. Vergeblich. Die junge Frau glitt zum Fenster und schob den Vorhang bei7 �
seite. Still lag die Straße da. Die Laternen tauchten sie in helles Licht. Auch in den übrigen Häusern brannte Licht. Der Stromausfall beschränkte sich also auf das Haus, in dem Harriet Plummers Wohnung lag. Mit einem dumpfen Geräusch preßte sich ein bleiches Gesicht gegen die Scheibe. Harriet Plummer wich schreiend zurück. Auf der Stirn des Gesichts zeichnete sich ein schwarzes, invertiertes Kruzifix ab. Der Mund war weit aufgerissen. Ein häßliches Kichern klang durch die Scheibe. Die Türklingel summte. Harriet fuhr herum. Fäuste pochten gegen die Tür. Sie lief hin und schaute durch den Spion. Zwei verzerrte, bleiche Gesichter blickten ihr entgegen. Ein Mann und eine Frau. Auch sie trugen die Kreuze auf der Stirn. Umgedrehte Kreuze! Ein Zeichen des Antichrists. Des Teufels! Harriet hatte im Rahmen eines Seminars über Sekten von diesem Satanszeichen gehört. Sie hatte es also mit Teufelsbeschwörern zu tun. Congratulations, Harriet! Du suchst dir aber auch immer die dicksten Dinger raus! dachte sie. Von draußen kratzte der bleiche Kerl an der Fensterscheibe. »Harriet!« rief eine dumpfe Stimme. »Harriet Plummer! Mach auf, Harriet! Laß uns rein! Wir wollen nur mit dir reden!« Hämisches Lachen ertönte, gefolgt von den pochenden Schlägen gegen die Tür. »Ich bin bewaffnet und habe die Polizei verständigt!« Das Gelächter vor dem Fenster wurde lauter und höhnischer. »Lügnerin!« schrie es zurück. »Du bist allein, und niemand kommt dir zu Hilfe. Öffne die Tür! Mach es dir und uns nicht so schwer, Harriet!« Ein heftiger Schlag ließ die Wohnungstür erzittern. Sie versuchten offensichtlich, die Tür aufzubrechen. Harriet wirbelte herum und richtete die Waffe auf die Tür. »Verschwindet! Ich schieße!« schrie sie. 8 �
Hinter ihr zersplitterte die Fensterscheibe. Harriet reagierte sofort und so, wie man es ihr auf der Polizeischule eingetrichtert hatte. Sie fuhr herum und feuerte. Die Kugel rammte in die Schulter des Bleichen, der sich eben anschickte, über den Fensterrahmen zu steigen. Er prallte gegen den Rahmen, fiel nach vorn und blieb zwischen den Scherben liegen. Harriet Plummer wartete nicht, bis sich die beiden unheimlichen Besucher vor der Tür gefangen hatten. Sie riß die Tür auf und preßte die Mündung des Revolvers gegen die Stirn des Mannes. »Also gut, mein Freund! Du willst es auf die harte Tour. Das kannst du haben«, preßte sie zwischen den zusammengekniffenen Lippen hervor. Sie stieß den Mann gegen die Wand. Das Mädchen neben ihm starrte die Polizistin haßerfüllt an, unternahm jedoch nichts. »Was soll das Theater?« fuhr Harriet den Bleichen an und verstärkte den Druck des Revolvers. »Der Meister – schickt uns. Du stellst zu viele Fragen, Harriet. Hüte dich vor dem Zorn – des Meisters! Das – sollen wir – dir sagen«, stammelte der Bleiche. Der Detective Sergeant grinste. »Ich bin schon richtig gespannt, euren Meister kennenzulernen. Mal sehen, was der Kerl davon hält, wenn ich ihn nach Scotland Yard einlade.« »Seine Macht – ist unermeßlich! Du hast – keine Chance!« »Laß das meine Sorge sein, mein Junge!« Mit geübten Griffen schlang Harriet eine stählerne Acht um das Handgelenk des Satansjüngers und fesselte ihn an das Treppengeländer. Über Handy rief sie die Zentrale bei Scotland Yard und bat darum, die drei Bleichgesichter abzuholen. Bevor sie die fünf Stufen zur Haustür hinunterging, ließ Harriet das Mädchen auf den Revolver blicken. »Laß dir nicht einfallen, dich vom Fleck zu rühren, Kleine«, sagte sie. »Wenn du stif9 �
ten gehst und ich dich wieder einfangen muß, wird es wesentlich unangenehmer für dich!« Wie der Blitz war Harriet Plummer durch die Tür, saß in ihrem grünen Mini und jagte die Straße hinunter. Ihr Ziel hieß Camden Town im Nordwesten Londons. Langsam ließ sie den Mini-Cooper in der Bayham Street in der Nähe der alten Stallungen und Schlachthöfe ausrollen. Camden Town war ein Stadtteil, in dem sich Straßenhändler, Künstler und Arbeitslose ein Stelldichein gaben. Viele lebten hier von der Hand in den Mund. Was lag also näher für Ben Mason, als hier eine Gruppe religiöser Fanatiker um sich zu scharen. Zulauf hatte er genug, denn es wimmelte hier von Leuten ohne Perspektive. Harriet beobachtete die dunkle Straße. Nur zwei Laternen erhellten die Umgebung notdürftig. Alte Backsteinhäuser und hohe Mauern, hinter denen dunkle Hinterhöfe lagen, säumten die Straße. Nichts regte sich. Die junge Polizistin bekam allmählich Zweifel an der Qualität der Informationen, die man ihr über Taylor gegeben hatte. Vielleicht war alles ein Schuß in den Ofen. Weit vor ihr, an der nächsten Straßenkreuzung, bewegte sich etwas. Eine dunkel gekleidete Gestalt huschte über die Straße und verschwand um eine Hausecke. Harriet wurde aufmerksam und schaute auf die LCD-Anzeige am Armaturenbrett. Kurz vor Mitternacht. Na, wenn das nicht paßt, dachte sie. In wenigen Minuten ist Geisterstunde! Eine weitere Gestalt rannte über die Fahrbahn. Lautlos, wie ein Schatten, verschwand sie hinter der Ecke. Harriet rief Scotland Yard an und gab einen kurzen Lagebericht ab. Zwei Minuten später lief sie zu der Straßenecke, hinter der die beiden Gestalten verschwunden waren. Hier sah es genauso trostlos aus. Kaum ein Licht brannte. Hohe 10 �
Backsteinmauern und baufällige Häuser zu beiden Seiten der Straße. Langsam ging Harriet weiter. In einem Hinterhof raschelte es. Die Polizistin warf sich herum und preßte sich an die Wand. Ihr Puls raste. Vorsichtig schaute sie in den Hof. Nichts regte sich. Die Hand am Griff des Revolvers, trat Harriet Plummer in den Hinterhof. Es war stockdunkel, und so dauerte es eine Weile, bis sich Harriets Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. In dem Hof stand die Hitze des Tages, es hatte sich kaum abgekühlt. Am gegenüberliegenden Ende des Hofs erkannte die Polizistin schwach die Umrisse einer schmalen Treppe, die zu einer Kellertür führte. Schritt für Schritt bewegte sie sich darauf zu. Mit wenigen Schritten hatte Harriet die Distanz zurückgelegt, huschte die Treppe hinunter und drückte die Klinke. Die Eisentür schwang mit einem leisen Quietschen auf . Die Polizistin tastete sich an der Kellerwand entlang und stand plötzlich vor einer weiteren Tür, die sich ebenso leicht und zudem noch geräuschlos öffnen ließ. Ein leiser Singsang drang an ihr Ohr. Harriet schlich vorwärts und wäre beinahe die Treppe hinuntergefallen, die vor ihr in die Tiefe führte. Reflexartig warf sie sich gegen die Wand und gewann ihr Gleichgewicht zurück. Schweiß rann ihr über das Gesicht. Am Fuß der Treppe konnte sie unter einer Holztür schwachen Lichtschein erkennen. Sachte drückte sie die Tür auf. Vor ihr lag ein riesiges Kellergewölbe. In der Mitte des Raums befand sich ein langer, niederer Tisch, um den mit schwarzen, flackernden Kerzen ein Kreis mit einem Pentagramm gezogen war. Um diesen Kreis herum wiegten sich etwa ein Dutzend nackte, bleiche Männer und Frauen, die auf der Stirn das obligatorische schwarze Kreuz trugen. Hinter dem Tisch standen zwei Männer. Einer von ihnen war groß, stämmig und ebenfalls nackt. Seine Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Speichel lief aus 11 �
seinen Mundwinkeln und tropfte über das kantige Kinn. Er hatte die Augen geschlossen und die Arme erhoben und befand sich offenbar in Trance. Neben ihm stand – ein Mönch! Harriet sah ein junges Mädchen, nicht älter als siebzehn oder achtzehn, das diese Fanatiker splitternackt an den Tisch gefesselt hatten. Am Kopfende des Tisches lag ein Schwert mit gewellter Klinge, die in ihrer Form an eine zuckende Flamme erinnerte. Daneben befand sich eine Bronzeschale mit zahlreichen Verzierungen. Das Mädchen auf dem Opfertisch schrie verzweifelt und bäumte sich auf, als die knochendürren Finger des Mönchs über ihren Körper strichen… Harriet hatte genug gesehen. »Ben Mason! Sie sind vorläufig festgenommen. Legen Sie die Hände auf den Kopf und treten sie an die Wand!« rief sie und sprang nach vorn, die Waffe im Anschlag. Der unheimliche Singsang brach unvermittelt ab. Ausdruckslose Gesichter wandten sich der Polizistin zu. Der breitschultrige Mann senkte den Kopf und öffnete die Augen. »Wen haben wir denn da? Hohen Besuch, wie ich sehe. Wollen Sie unserem Reigen beitreten, Gnädigste?« Ben Masons Stimme triefte vor Hohn. Seine Blicke schienen sich in Harriets Kopf zu bohren. Die Polizistin ignorierte seine Bemerkungen. »Ich glaube, ich hatte Ihnen eine Anweisung gegeben, Mason!« »Sie gefallen mir, wenn Sie so energisch sind, Detective Sergeant Plummer«, meinte Mason süffisant und grinste breit, wobei er zwei Reihen spitz zugefeilter Zähne entblößte. »Und wie lautet die Anklage?« »Anschuldigung, Mason«, korrigierte Harriet. »Noch sind wir nicht vor Gericht. Aber wenn es soweit ist, werden Sie sicherlich wegen vorsätzlicher Brandstiftung und Mord hinter Gittern 12 �
wandern. Wegen Ihnen sind heute sechs Menschen gestorben. Vierzehn schweben in Lebensgefahr, und Dutzende mußten stationär behandelt werden. Wahrscheinlich sind Sie auch für den Tod von Danny, dem Jockey, verantwortlich. Und jetzt stellen Sie sich endlich an die Wand, Mann!« Mason grinste noch immer. »Ah, Danny! Der Gute hatte ein zu großes Maul und wußte nicht, wann es besser war, es zu halten. Aber sonst ein ganz passabler Kerl«, meinte Ben Mason. Harriet wunderte sich noch über Masons kaum wahrnehmbaren Akzent, als der Mönch zum ersten Mal sprach. Seine Stimme klang dumpf und rauh. »Ergreift sie! Wir werden dem Herrn der Hölle heute zwei Gaben darbringen!« Die Polizistin richtete ihre Waffe auf den Mönch. »Halten Sie die Klappe! Runter mit der Kapuze! Und dann stellen Sie sich ebenfalls an die Wand, Mister!« befahl sie. Langsam hoben sich die knochigen Hände des Mönchs und schoben die Kapuze nach hinten. Detective Sergeant Harriet Plummer schrie gellend. Sie reagierte zu spät, als sich die Satansjünger auf sie stürzten und sie entwaffneten. Dann fiel die junge Polizistin in den Abgrund der Bewußtlosigkeit. * Der unheimliche Singsang dröhnte in Harriets Kopf und holte sie aus der Ohnmacht zurück. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Kleine Lichtpunkte flirrten vor ihren Augen. Es waren die flackernden Kerzenflämmchen, wie sie gleich darauf feststellte. Sie fror. Sie konnte ihre Arme nicht bewegen. Als sie sich umsah, bemerkte sie, daß man sie an einen Stützpfeiler gefesselt hatte. Sie trug nur noch ihren Slip. Ihre restlichen Anziehsachen hatte man in eine Ecke des Gewölbes gewor13 �
fen. Schatten tanzten an den Wänden. Die gewellte Klinge des Schwertes glitt über den Körper des gefesselten Mädchen und hinterließ eine hauchdünne Blutspur. Das Mädchen schrie gequält auf und weinte. Harriet zerrte in ohnmächtiger Wut an ihren Fesseln. »Wenn dieses Opfer vollbracht ist, kehre ich endlich in meine Heimat zurück«, grollte der unheimliche Mönch. »Ihr habt mich gerufen, doch ich kam nur zu euch, um neue Kraft zu schöpfen. Mephistos Gnade ist groß. Meine Heimat wartet auf mich. Dort werde ich mein Werk im Sinne des Gehörnten fortführen!« »Nimm mich mit!« bat Ben Mason. Der Mönch musterte ihn lange. Er hatte die Kapuze wieder übergestreift und in die Stirn gezogen. Seine knochige Rechte zuckte vor und packte Ben Masons Gesicht. Der breitschultrige Mann stand wie festgewachsen vor dem Ordensmann. »Warum nicht? Viele Jahre sind vergangen. Vielleicht kannst du mir in der Heimat nützlich sein!« Ben Mason kam frei. Sein Gesicht schmerzte, aber er ließ sich nichts anmerken. Mit einem dankbaren Lächeln auf den Lippen verbeugte er sich. »Ich danke dir, Meister. Wollen wir jetzt zur Opferung schreiten?« Die nackten Satansjünger hatten sich gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt und wiegten sich in Ekstase. Ben Mason reichte dem unheimlichen Mönch das Flammenschwert und hielt die bronzene Schale bereit. »So sei dir die Ehre zuteil, dieses Opfer unserem Herrn und Meister, Mephisto, dem Beherrscher der Hölle und Fürsten der Finsternis, zu weihen. Sei gepriesen, Satanas!« »Sei gepriesen, Satanas!!!« riefen die Teufelsjünger. Ihr Ruf hallte als vielfältiges Echo durch den Raum. Harriet verfluchte sich, daß sie keine Verstärkung mitgenom14 �
men hatte. Sie schrie ihre Wut hinaus, als sich die Flammenklinge hob. Ben Mason setzte die Schale ab und trat an Harriet Plummer heran. Seine Finger strichen über ihren Körper. Seine Lippen waren von Speichel bedeckt. »Sei nicht so ungeduldig, meine Süße! Du kommst gleich nach ihr dran!« säuselte er und preßte seine schleimigen Lippen auf Harriets Mund. Der Polizistin wurde übel. Sie würgte. Ihr Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Der Satanspriester lachte schrill und wandte sich ab. Tränen standen in seinen Augen. Er lachte immer noch, als er seinen massigen Körper an die Seite des Mönchs schob und die Schale aufnahm. »Vollziehen wir das Opfer, Meister!« rief er. Die Schwertklinge sauste auf das kreischende Mädchen nieder! »Polizei! Keiner rührt sich!« Der Befehl ging im Krachen eines Schusses unter. Die Kugel prellte Mason die Schale aus der Hand und warf ihn gegen den Mönch. Das Schwert kam aus der Richtung und hieb gegen die Kante des Tisches. Beamte in Zivil und Uniformierte von der Metropolitan Police stürmten in das Gewölbe, allen voran Inspector Barry Prince. Seine weißen Haare leuchteten im zuckenden Schein der Kerzen. »Legt ihnen Handschellen an, und dann ab mit ihnen!« rief er und hastete zu Harriet Plummer, die zitternd an dem Pfeiler stand. Ihre Augen schimmerten feucht. »Sorry, Chef, aber ich wollte nur mal nachsehen. Ich konnte ja nicht ahnen, daß ich gleich einen Volltreffer landen würde«, versuchte sie sich zu entschuldigen. Prince schnitt mit einem Taschenmesser die Fesseln durch. »Wenn Sie nicht in Ihrer Wohnung überfallen worden wären, sähen Sie jetzt alt aus, Harriet«, brummte er. »Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter und Ihr Telefonat aus Camden Town sagten mir genug.« 15 �
Harriet Plummer lächelte und strich ihrem Chef sanft über die Wange. Inspector Barry Prince räusperte sich. »Sie sollten sich jetzt was anziehen, Sergeant, sonst können Sie sich vor den Annäherungsversuchen der Kollegen nicht mehr retten.« Die Satansjünger leisteten zwar Widerstand, der jedoch rasch gebrochen wurde. In dem allgemeinen Durcheinander zogen sich Ben Mason und der unheimliche Mönch in eine Ecke zurück. Der Ordensmann murmelte Beschwörungen und griff in seinen Lederbeutel. »Passen Sie auf, Chef! Die beiden hauen ab!« schrie Harriet Plummer, hob ihren Revolver auf und warf sich den beiden Männern entgegen. Die Luft um den Mönch und seinen Begleiter begann zu flirren. Rasch klammerte sich Ben Mason an der Kutte des Mönchs fest. Die Umrisse der beiden Männer waberten. Ihre Gestalten wurden durchscheinend. Die Faust des Mönchs öffnete sich. Er blies Harriet Plummer eine Pulverwolke entgegen und löste sich gemeinsam mit dem Satanspriester auf. Inspector Barry Prince hechtete auf Harriet und flog mit ihr zur Seite. Hart krachten sie auf den Boden. Dort, wo die Pulverkörnchen auftrafen, sprangen sofort grelle Flammen hoch. Die Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, um das Feuer zu löschen… * »Und nun folgt der Wetterbericht von Meteo-Consult: Das Hochdruckgebiet Herta wird auch weiterhin unser Wetter bestimmen. Ein Ende des warmen Wetters ist derzeit nicht in Sicht…« Die Stimme aus dem Radiowecker fuhr mit aktuellen Meldungen fort. »…Erfurt. Nach der Brandkatastrophe im Erfurter Kaisersaal am vergangenen Mittwoch herrscht immer noch Unklarheit über die Ursache des Feuers. Zeugenaussagen zufolge soll 16 �
sich ein Tanzkleid entzündet haben. Die Polizei konnte dies bisher jedoch nicht bestätigen. Auch die Tatsache, daß der Saal kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde, gibt der Polizei weiterhin Rätsel auf. Bei dem Feuer fanden vier Menschen den Tod, zweiundzwanzig Verletzte wurden mit zum Teil erheblichen Verbrennungen in die Universitätsklinik eingeliefert…« Ich hatte von dem Feuer im Kaisersaal gehört. Auch mir kamen die Umstände des Brandes, soweit sie bekannt waren, äußerst seltsam vor. Als Journalist fand der Unglücksfall an sich mein berufliches Interesse. Doch als Kämpfer gegen die Mächte der Finsternis, der ich nun mal war, bekam jeder unerklärliche, seltsame Vorfall eine besondere Bedeutung für mich. In meinem Inneren schrillten bereits wieder sämtliche Alarmglocken. Wenn die Hölle für dieses Desaster verantwortlich zeichnete, würde es wahrscheinlich nicht bei einem Brand bleiben. Doch ich konnte nicht hinter jedem Unglück einen Angriff des Teufels vermuten. Das wurde langsam zu einer fixen Idee. Ich wollte erst mal abwarten, wie sich die Sache entwickelte. »Kannst du dem Kerl nicht mal den Saft abdrehen?« murmelte die Frau neben mir. Tessa Hayden wälzte ihren braungebrannten Körper herum und zog ein Kissen über ihren Kopf. »Wie kann man mitten in der Nacht soviel labern?« »Von wegen mitten in der Nacht. Es ist halb acht, mein Schatz«, sagte ich fröhlich. »Das hat dir der Spinner aus dem Radio in den Kopf gesetzt!« kam Tessas gedämpfte Stimme unter dem Kissen hervor. »Stell jetzt endlich die Kiste ab!« Ich tat, wie mir befohlen. »Hätten Madame sonst noch einen Wunsch?« »Meine Ruhe!« Ich ließ meine Finger sanft über ihren braungebrannten Rücken gleiten. Sie streckte sich und stöhnte wohlig. Ich zog die Hand 17 �
zurück. »Nicht aufhören!« rief sie. »Das tut gut. Mach weiter!« »Ich dachte, du wolltest deine Ruhe haben.« »Du mußt ja dabei nicht unbedingt reden…« Auch wieder wahr. Ich streichelte sie ganz sacht und bedeckte ihren Rücken mit Küssen. Tessa räkelte sich und drehte sie um. »Was ist denn jetzt?« fragte ich und betrachtete sie forschend von vorn. »Weitermachen!« war Tessas einziger Kommentar. »Wenn sich unsere Konversation künftig nur auf einzelne Wörter beschränkt, ist das unserer Beziehung aber nicht sehr förderlich«, meinte ich. »Da kann ich ja gleich Selbstgespräche führen.« »Laber nicht. Tu es!« Das tat ich dann auch und brachte Tessa dazu, Dinge zu sagen, die eine Wohltat für mein männliches Ego waren. Erschöpft und verschwitzt fielen wir beide anschließend in die Kissen zurück. Wir waren beide nicht ganz fit, hatten bei Freunden einen Geburtstag gefeiert. Es war ein feuchtfröhlicher Abend geworden. Tessa hatte sich jetzt wieder an mich geschmiegt und war noch mal eingeschlafen. Auch mir wurden die Augenlider schwer. Bei der Hitze, die sich wieder aufbaute, kein Wunder. Ich spürte noch, wie sich Tessas Arm über meine Brust legte, dann war ich eingeschlafen. Mit einem Ruck öffnete ich die Augen und mußte mich einen Moment lang, zurechtfinden. Ich konnte nicht lange geschlafen haben, denn ich fühlte mich nach wie vor matt und erschöpft. Mein Schlafzimmer kam mir fremd vor, ich hätte jedoch nicht sagen können, warum dem so war. Langsam rollte ich mich aus dem Bett. Ich war allein im Schlafzimmer. »Tessa?« rief ich, erhielt jedoch keine Antwort. »Tessa, 18 �
wo bist du?« Mit müden Schritten tappte ich ins Bad und ließ mir kaltes Wasser über den Kopf laufen. Mein Mund war trocken. Ich gurgelte mit kaltem Wasser, aber das half nicht viel. Ich verspürte brennenden Durst. In der Küche leerte ich ein Glas Orangensaft auf einen Zug. Das Brennen in meiner Kehle ließ kaum nach. Meine Füße begannen zu kribbeln. Mir wurde heiß. Schwindelgefühle packten mich. Die Hitzewallung kroch von meinen Füßen über meinen ganzen Körper. Ich gab mich nicht mehr mit dem Glas zufrieden, sondern setzte die Safttüte an und trank in gierigen Zügen. Das Getränk war eiskalt gewesen, doch ich spürte die Kühle nicht. Mir schien es, als würde ich innerlich verdorren. Die abgebildeten Orangen auf der Safttüte wurden groß und strahlten wie gleißende Sonnenbälle. Das grelle Licht schmerzte in meinen Augen, aber es gelang mir nicht, die Lider zu schließen. Ich nahm die Saftpackung von meinen Lippen und starrte sie verständnislos an. Der Durst brachte mich fast um den Verstand. Selbst die Safttüte schien unerträglich heiß zu werden. In den grellen Lichtkreisen zeigte sich ein breites Gesicht mit stechenden Augen. Spitz zugefeilte Zähne ginsten mich an. Und dann ging die Safttüte in Flammen auf! Mit einem Entsetzensschrei schleuderte ich den brennenden Karton in das Spülbecken. Ich drehte den Wasserkran auf, um die Flammen zu löschen, aber damit erreichte ich genau das Gegenteil. Es war, als hätte ich buchstäblich Öl auf das Feuer geschüttet. Die Flammen schossen hoch und züngelten auf mich zu. In dem Flammenmeer erkannte ich plötzlich die Umrisse einer Gestalt. Dunkel und verzerrt hob sie sich aus den orangegelben Flammen hervor, kam auf mich zu. Ich hob den Arm schützend 19 �
vor das Gesicht. Die Hitze war kaum zu ertragen. Die Gestalt aus dem Feuer kam immer näher. Jetzt sah ich sie ganz deutlich. Es war ein Mönch! Er trug eine dunkelbraune Leinenkutte. Die Kapuze war tief in die Stirn gezogen und verdeckte sein Gesicht. Um die Hüften trug der Ordensmann eine helle Kordel, an der ein Lederbeutel hing. »Wer – wer bist du?« fragte ich stockend. Der Mönch hielt den Kopf gesenkt. Und doch war es mir, als würden mich seine Augen permanent beobachten. Ein heiseres Kichern ertönte, das zu einem haßerfüllten Lachen wurde. »Mark! Was ist denn hier los? Willst du die Bude abfackeln?« fragte Tessa Hayden und stand auf einmal neben mir. Sie starrte gebannt in die Flammen, deren Licht über ihren nackten Körper tanzte. Das Lachen des Mönchs wurde noch lauter, schallte uns aus den Flammen entgegen und erfüllte die gesamte Küche. Wie in Trance verfolgte ich seine Bewegungen, als er eine knochendürre Hand in den Beutel schob, etwas herausholte und auf seine Handfläche blies. Dutzende kleiner Lichtpunkte lösten sich aus den Flammen, sausten auf uns zu und senkten sich über Tessa Hayden. Sekundenlang verharrte der Mönch, bevor er sich umdrehte, in die Flammenwand zurückschritt und sich auflöste. Dafür gellten Tessas schrille Schmerzensschreie neben mir auf. Ich löste meinen Blick von der Flammenwand, schaute zu meiner Freundin hinüber und erstarrte vor Schreck. Tessa Hayden brannte lichterloh! Ihr Körper wurde vollständig von den Flammen eingehüllt. Ihre markerschütternden Schreie schmerzten in meinen Ohren. Tessa taumelte als lebende Fackel durch die Küche und schlug um sich, als ob sie damit dem Feuer Einhalt gebieten konnte. Eiskalte Angst hielt mich gepackt. »Tessa! Mein Gott, Tessa!« 20 �
stammelte ich und weinte. Heiße Tränen liefen über meine Wangen und verdampften sofort. Ich war unschlüssig, wußte nicht, wie ich meiner Freundin helfen sollte. Es zerriß mir fast das Herz, ihre gequälte Gestalt vor mir wanken zu sehen und ihre Schreie zu hören, ohne etwas unternehmen zu können. Endlich, nach qualvollen Sekunden der Unentschlossenheit, schüttelte ich den Kopf, hob Tessa Haydens brennenden Körper auf, trug ihn ins Schlafzimmer, riß ein Leintuch vom Bett und versuchte, die Flammen zu ersticken. Tessa wälzte sich unter dem Leintuch hin und her und schluchzte. Tausend Gedanken zuckten mir in diesen Sekunden durch den Kopf. Ich hoffte und betete. Der Anblick, der mich erwartete, wenn ich das Leintuch wegnahm, würde nicht sehr schön sein. »Mark! Hör auf damit, du Verrückter! Laß mich endlich los! Hörst du nicht, Mark?« Tessas Stimme klang zunächst gedämpft, wurde aber immer deutlicher und brachte mich schließlich zur Vernunft. Benommen starrte ich meine Freundin an. Halb bedeckt von einem Leintuch, lag sie auf dem Futonbett. Ich kniete über ihr, hatte eine Hand in dem Tuch verkrallt und die andere zum Schlag erhoben. Wie durch einen Schleier sah ich Tessas Gesicht. Es war hübsch wie eh und je. Auch ihr Körper war unversehrt. Selbst die kurzen, braun-brünetten Haare zeigten keine Spur einer Verbrennung. Erleichtert atmete ich auf und ließ mich zur Seite fallen. So lag ich eine ganze Weile da, ohne etwas zu sagen. Das Brennen in meiner Kehle verschwand allmählich. Ich fühlte kalten Schweiß auf meiner Haut. »Du hattest wieder einen deiner Träume«, stellte Tessa fest. Diese Träume traten in sporadischen Abständen bei mir auf. Nur schwach konnte ich mich dann an das Geträumte erinnern, wußte nur noch, daß Tessa offenbar in Flammen gestanden hatte 21 �
und ich ihr helfen wollte. Bisher war es mir noch nicht gelungen, den Grund für diese Träume herauszufinden. Tessa Hayden streichelte mich sacht und vertrieb meine düsteren Gedanken. »Willst du darüber reden?« fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Kann mich kaum erinnern«, gab ich zurück. »Aber du kennst das ja.« »Du solltest wirklich mal einen Therapeuten aufsuchen, Mark. Diese Träume müssen einen Grund haben. Vielleicht kann man mit Tiefenhypnose…« »Laß mich bloß mit diesen Seelenklempnern in Ruhe«, unterbrach ich sie. »Das fehlte noch, daß ich stundenlang auf einer Ledercouch liege und einem gelangweilten Seelenforscher meine intimsten Geheimnisse verrate.« Ihr Finger malte Kreise auf meiner Brust. »Was für Geheimnisse denn, Mark? Ich dachte, ich sei der einzige Gegenstand deiner intimen Wünsche.« »Klar, mein Schatz!« flötete ich und nahm sie in die Arme. Sie schloß die Augen und genoß meine Berührungen sichtlich… * Tessa brauste auf ihrer Suzuki ins Büro, und ich betrat wenig später die Redaktionsräume der Weimarer Rundschau. Max Unruh, mein Chef bei der Rundschau, schwitzte vor sich hin. »Nagst du mal wieder am Hungertuch, Mark?« fragte er, als ich in sein Büro stiefelte. »Was würdest du wohl tun, wenn du den guten Onkel Max nicht hättest, der dich immer mit lukrativen Aufträgen versorgt?« »Wahrscheinlich vor dem Nationaltheater zwischen den Gevattern Goethe und Schiller sitzen, die Hand aufhalten und…« 22 �
»Schwitzen«, warf der Chefredakteur ein. Max Unruh erhob sich hinter den Papierbergen auf seinem Schreibtisch und meinte: »Du könntest einen Auftrag übernehmen, an den sich sonst keiner ranwagt.« »Ein heißes Eisen?« »So könnte man es auch nennen, Mark. Du hast von der Geschichte in Erfurt gehört?« »Der Brand im Kaisersaal?« fragte ich. »Klar. Die Nachrichten sind voll davon.« »Ich glaube, das wäre genau das Richtige für dich, Mark. Die Polizei kommt nicht weiter, und die Zeugenaussagen widersprechen sich. Warum fährst du nicht hin und gehst der Sache mal auf den Grund? Meine Nase sagt mir, daß der Brand und vor allem seine Hintergründe eine erstklassige Story für unsere Zeitung bieten.« »Okay, Chef. Ich schaue mich in Erfurt um«, versprach ich. Die Fahrt nach Erfurt dauerte eine knappe halbe Stunde. Das Kultur- und Kongreßzentrum, in dem sich der Kaisersaal befand, war für die Dauer der polizeilichen Ermittlungen weiträumig abgeriegelt worden. Mit meinem Presseausweis erhielt ich Zutritt und begab mich zum Eingang des Saals. Wie ich aus den Nachrichten bereits erfahren hatte, war der Saal selbst kaum beschädigt worden. An den Wänden waren einige schwarze Stellen zu sehen, und zwei Vorhänge waren von den Flammen angesengt worden. Mehr nicht. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte ein großer, stämmiger Mann mit graumeliertem Kurzhaarschnitt und breitem Lächeln. Er streckte mir eine gewaltige Pranke entgegen. »Gerhard B. Maurer, Brandschutzinspektor«, stellte er sich vor. »Bezirksschornsteinfeger wäre wohl zutreffender, nicht?« fragte ich. Er lachte dröhnend. »Ich ziehe den Inspektor vor«, meinte er. 23 �
»Da denkt man nicht gleich daran, daß ich die Hälfte meiner Zeit mit schwarzen Klamotten und rußverschmiertem Gesicht rumlaufe.« »Können Sie mir Näheres über den Brand erzählen?« fragte ich. Er hob eine buschige Augenbraue. »Presse?« wollte er wissen. Ich hielt ihm meinen Ausweis unter die Nase. »Nun, viel gibt es nicht zu berichten, Herr – äh – Hellmann«, sagte er und kratzte seinen breiten Schädel. »Bei einer Tanzveranstaltung der Tanzformation Quick-Step e.V. brach ein Feuer aus, bei dem vier Menschen getötet und mehrere Anwesende verletzt wurden. Wie Sie sehen, hält sich der Sachschaden in Grenzen.« Der Schornsteinfeger wies in den Raum. Er klang genauso sachlich und emotionslos wie der Nachrichtensprecher aus dem Radio. »Wie ist das Feuer denn entstanden, Herr Maurer?« Maurer hob die Schultern. Sein hellgrauer Anzug schien aus den Nähten zu platzen. »Genaues wissen wir noch nicht, Herr Hellmann. Offenbar hat ein Tanzkleid Feuer gefangen. Manche sagen, es habe sich an einer brennenden Zigarette entzündet. Andere behaupten, es sei mit einem Feuerzeug in Berührung gekommen. Es muß ein ziemliches Gedränge geherrscht haben. Und die neueste Mode wird eben nicht aus feuerfestem Material hergestellt. Noch nicht.« Er schaute auf die Uhr. »Haben Sie sonst noch Fragen? Ich sollte mich allmählich wieder der Untersuchung widmen.« Ich versenkte meine Hand erneut in seiner Pranke und bedankte mich für seine Auskünfte. »Keine Ursache, Herr Hellmann. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.« Mit einem breiten Grinsen verabschiedete er sich. Ich fuhr in die Universitätsklinik, um mit den Verletzten zu sprechen, doch die meisten von ihnen lagen auf der Intensivstation. Der Zutritt wurde mir verweigert. Als nächstes erfragte ich 24 �
bei der Stadtverwaltung die Adresse des Tanzvereins und suchte die Geschäftsräume im Norden der Stadt auf. Im Büro traf ich auf ein grauhaariges Männchen Anfang Fünfzig, eine üppige Frau gleichen Alters und eine junge Blondine, deren linker Arm dick verbunden war. »Wir haben Ihren Kollegen bereits alles ausführlich geschildert, junger Mann. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie uns nicht mehr belästigen würden«, sagte das Männchen, nachdem ich mich vorgestellt hatte. »Ich komme aus Weimar, habe also mit der hiesigen Journalie nichts zu tun, Meister«, entgegnete ich. »Und ich wäre Ihnen überaus dankbar, wenn Sie auch mir so genau wie möglich von dem Vorfall erzählen würden.« Das Männchen warf der Üppigen einen fragenden Blick zu. Die zuckte mit den Schultern. Der Grauhaarige holte tief Luft. »Wir hatten eine Sommergala im Kaisersaal. Der Raum war proppenvoll, die Paare drängten sich auf der Tanzfläche. Plötzlich stand eine Tänzerin in hellen Flammen. Das heißt, ihr Kleid stand in Flammen.« »Warum wurde das Feuer nicht sofort gelöscht?« hakte ich nach. »Das wurde doch versucht, junger Mann!« rief das Männchen und rang die schmalen Hände. »Jemand kam mit einer Flasche Mineralwasser und schüttete es über die Unglückliche.« »Und?« »Die Flammen schlugen sofort hoch, als hätte man Benzin auf das Kleid geschüttet! Verstehen Sie, dann erst wurden Umstehende von den Flammen erfaßt!« »Haben Sie eine Erklärung dafür, Meister?« »Es gibt keine Erklärung!« stieß er hervor. »Jedenfalls keine logische. Wir wissen nicht, wieso das Kleid plötzlich brannte. Wir wissen auch nicht, warum sich die Flammen durch das 25 �
Mineralwasser nicht bändigen ließen. Es ist furchtbar. Katastrophal!« »Könnte es sein, daß Ihnen jemand übel mitspielen wollte? Haben Sie Feinde?« Das Männchen schaute mich ungläubig an. »Das ist wohl nicht Ihr Ernst, oder? Nennen Sie mir einen Tanzverein, nur einen einzigen, der Feinde hat! Sie können es nicht.« Er schaute theatralisch nach oben. »Tanzen ist etwas – etwas Göttliches«, hauchte er. »Eine Kunst! Die Schönheit des Tanzes, der rhythmischen Bewegung des Körpers zur Musik, übt seit Jahrhunderten einen besonderen Reiz auf die Menschen aus. Der Tanz ist etwas Anmutiges, etwas Anschmiegsames! Wie könnte dabei Haß oder Gewalt aufkommen?« »Unter den geladenen Gästen waren Persönlichkeiten von Rang und Namen aus der hiesigen Landes- und Kommunalpolitik. Könnte ein Terroranschlag vorliegen?« Ich wollte alle Möglichkeiten abdecken. »Völlig undenkbar! Wieso sollte jemand gerade während einer Tanzveranstaltung auf die Idee kommen, einen Anschlag zu verüben? Auf der anderen Seite hätten wir es wahrscheinlich bei dem Gedränge nicht mal bemerkt, wenn jemand so was vorgehabt hätte.« Der Grauhaarige rieb sich zweifelnd über die dünne Nasenwurzel. »Aber ich bin dennoch sicher, daß kein Terrorakt in Frage kommt.« Ich bedankte mich und wandte mich dem Ausgang zu. »Warten Sie!« rief die Blondine. »Mir ist da gerade was eingefallen.« Ich blieb abwartend an der Tür stehen. Die Blondine sprang von der Schreibtischkante und lief am Fenster vorbei auf mich zu. Die Gardine vor dem offenen Fenster bauschte sich leicht nach innen. Das bleiche Gesicht, das plötzlich im Fenster auftauchte, beachtete zuerst niemand. Dann gab die bleiche Gestalt einen 26 �
Zischlaut von sich. Die Blondine schaute zum Fenster und blieb erschrocken stehen. Ich beobachtete, wie sich der Mund des Bleichen zu einem Grinsen verzog. Ein Finger legte sich sanft auf die Lippen. Der Bleiche holte tief Luft und blies das Mädchen an. Es war wie eine Vorahnung, eine Art sechster Sinn, der mich zum Handeln bewog. Ich hechtete mich auf sie und packte ihren Körper in dem Augenblick, als er in Flammen aufging! Das grauhaarige Männchen schrie vor Entsetzen. Ich fiel mit der brennenden Blondine zu Boden und warf mich über sie, um die Flammen zu ersticken. Die üppige Frau rannte nach draußen und kehrte Augenblicke später mit einer Decke in den Händen zurück. Die Flammen waren nicht zu bändigen. Sie schlugen aus Mund, Nase und Augenhöhlen des Mädchens. Ihr Geschrei war unmenschlich. Ich richtete mich auf. Meine Kleidung hatte ebenfalls Feuer gefangen. Rasch drückte ich es mit der Decke aus. Hilflos mußte ich mit ansehen, wie die Blondine von innen heraus verbrannte. Der Bleiche! schrie es in meinem Kopf. Du mußt dir den Bleichen schnappen! Sofort wirbelte ich herum, rannte aus dem Haus und schaute die Straße hinauf und hinunter. Passanten eilten an mir vorbei. Weiter oben, an der nächsten Kreuzung, sah ich eine dunkel gekleidete Gestalt um die Ecke huschen. Ich hetzte sofort hinterher. Als ich die Kreuzung erreicht hatte, bemerkte ich den Bleichen weit vor mir, wie er die Fahrbahn überquerte und auf die Grünanlagen am Ufer der Gera zustrebte. Ich nahm wenig Rücksicht auf den Verkehr, wich einigen Autos nur um Haaresbreite aus, rollte mich über eine Motorhaube ab, um einem Aufprall zu entgehen, und handelte mir einige handfeste Flüche ein. Endlich hatte ich die Grünanlagen vor mir und rannte zwischen Büschen und Bäumen hindurch. Nichts hielt mich mehr 27 �
auf. Ich kam dem Bleichen merklich näher. Gehetzt blickte er sich um. »Stehenbleiben!« brüllte ich. »Sie entkommen mir ja doch nicht, Mann!« So schien es jedenfalls. Einen Moment später sah es ganz anders aus, als neben mir Büsche und Bäume explosionsartig in Flammen aufgingen. Durch den Druck wurde ich von den Beinen gerissen und lag plötzlich inmitten einer undurchdringlichen Feuerhölle! * Mit etwas Verspätung traf Hauptkommissar Peter Langenbach auf dem Erfurter Hauptbahnhof ein und eilte nach Gleis sechs, wo soeben ein ICE aus dem Bahnhof rauschte. Langenbach fluchte leise vor sich hin. Er hastete den Bahnsteig entlang, den die meisten ankommenden Reisenden bereits verlassen hatten. »Suchen Sie mich?« fragte eine angenehme, dunkle Frauenstimme. Langenbach drehte sich um und sah sich einer attraktiven, jungen Frau mit kurzen, blonden Haaren gegenüber, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einer Bank saß und ihn anlächelte. »Detective Sergeant Plummer?« fragte der Hauptkommissar, um ganz sicherzugehen. Die Blondine nickte und stand auf. »Ich bitte um Verzeihung, daß ich mich verspätet habe, Sergeant.« Peter Langenbachs Stimme klang rauh. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Alles hatte er erwartet, nur nicht, daß der Besuch aus London so hübsch war. Er streckte die Hand aus. »Hauptkommissar Peter Langenbach, Kripo Weimar. Darf ich Sie in Deutschland willkommen heißen, Sergeant?« Harriet Plummer erwiderte seinen festen Händedruck. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Kommissar. Harriet Plummer, Scotland Yard. Freunde nennen mich Harriet.« 28 �
»Dann müssen Sie mich Pit nennen«, sagte der Hauptkommissar. »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug?« »Ja, danke. Die Zugreise nach Erfurt war auch bequem. Von mir aus können wir gleich loslegen.« »Wenn es Ihnen recht ist, würde ich Sie gerne zuerst in Ihr Hotel bringen«, schlug er vor. »Es liegt sozusagen auf dem Weg.« Der Hauptkommissar hatte für Harriet Plummer ein Zimmer im Dorint-Hotel reservieren lassen, das mit allen Schikanen ausgestattet war. »Ich ziehe mich nur rasch um und wäre Ihnen verbünden, wenn wir dann den Tatort besichtigen könnten«, sagte sie und komplimentierte Pit aus dem Zimmer. Sie trug eine leichte, sandfarbene Hose, eine passende Bluse und ihre Handtasche, als sie wenig später das Hotel verließen. Bis zum Kaisersaal war es nicht weit. Sie hätten laufen können, doch Peter Langenbach zog den Wagen vor. »Es gibt kaum Spuren, Harriet«, sagte Langenbach. »Sie sehen, der Raum hat so gut wie nichts abbekommen. Morgen werden die Instandsetzungsarbeiten beginnen, und am Wochenende findet bereits die nächste Veranstaltung statt.« »Als ob nichts geschehen wäre. Es ist traurig«, murmelte Harriet. »Ich stimme Ihnen zu. Man tendiert leider dazu, dramatische Ereignisse so schnell wie möglich zu vergessen.« »Können wir mit einigen Zeugen sprechen?« Langenbach schüttelte den Kopf. »Bedaure. Die Verletzten liegen auf der Intensivstation. Wir müssen abwarten, bis sie vernehmungsfähig sind. Die übrigen Zeugenaussagen können Sie im Büro einsehen. Es wird jedoch nicht viel bringen. Unseren Ermittlungen waren sie jedenfalls nicht dienlich.« Der Weimarer Hauptkommissar war nach Erfurt beordert worden, um die Kol29 �
legen zu unterstützen. Gemeinsam mit Tessa Hayden hatte er sich in einen Fall gestürzt, dessen Tragweite noch nicht absehbar war. Peter Langenbach war bereit gewesen, jede Hilfe anzunehmen, die er bekommen konnte, als sich Scotland Yard bei ihm gemeldet hatte. Sie fuhren zum Polizeipräsidium, das in einem historischen Gebäude in der Andreasstraße, nicht weit vom Dom, untergebracht war. Aufmerksam studierte Harriet Plummer die Akten. Der deutsche Kollege hatte recht. Die Zeugenaussagen waren wirklich nicht sehr aufschlußreich. Nach einer Weile schloß Harriet den Ordner und lehnte sich zurück. »Die Veranstaltung wurde von einer Tanzschule durchgeführt, nicht wahr?« fragte sie. »Ja, eine Art Verein zur Förderung des Tanzes. Wir haben uns dort bereits umgesehen.« »Ich würde gerne nochmals mit dem Vorsitzenden sprechen«, sagte die Engländerin. »Ich werde einen Termin für Sie abstimmen lassen.« Pit griff zum Telefon. »Jetzt sofort, wenn Sie nichts dagegen haben.« Pit legte den Hörer wieder auf. »Ich bin nicht sicher, ob wir jemanden antreffen, wenn wir unangemeldet dort auftauchen«, sagte er zweifelnd. Harriet schenkte ihm ein hinterlistiges Lächeln. »Der Überraschungseffekt kann manchmal sehr hilfreich sein, Kollege.« Peter Langenbach lenkte den Dienstwagen in die Kronenburggasse und ließ ihn am Straßenrand ausrollen. Ein paar Meter vor ihm bemerkte er zwei Streifenwagen, die halb auf dem Gehsteig geparkt waren. Eilig führte er Harriet Plummer auf die Geschäftsräume des Tanzvereins zu. Aus einem Fenster drangen Rauchfahnen. Es stank nach verbranntem Fleisch. Pit Langenbach würgte und hielt sich hastig ein Taschentuch vor Mund 30 �
und Nase. Harriet wurde blaß und folgte seinem Beispiel. Sie betraten das Gebäude und begegneten einem Uniformierten, der einen Feuerlöscher in der Hand hielt. Der Hauptkommissar zückte seinen Ausweis. »Was ist hier los?« »Brandfall mit Todesfolge, Herr Hauptkommissar. Wir konnten das Feuer löschen, doch dem Mädchen war nicht mehr zu helfen.« »Wurde die Feuerwehr verständigt?« »Einsatzleiter und Brandschutzinspektor sind unterwegs, Herr Hauptkommissar.« Pit Langenbach nickte dankend und ging in das Büro. Ein grauhaariges Männchen kauerte in einer Ecke des Raums. Neben ihm stand eine üppige Frau und hielt seine Hand. Auf dem Boden lag die Tote, über deren Körper man eine Decke ausgebreitet hatte. Pit ging in die Knie und schob die Decke zurück. Harriet Plummer gab ein würgendes Geräusch von sich und wandte sich hastig ab, schaute jedoch gleich wieder auf den schrecklich zugerichteten Körper. Pit ließ die Decke zurückfallen. Er bat das Männchen und die Frau nach draußen, um ohne Taschentuch vor dem Mund mit ihnen reden zu können. »Also, Herrschaften, wie ist das passiert?« »Nun, da war dieser Journalist«, begann das Männchen. »Er kam ganz überraschend und stellte Fragen über den Brand im Kaisersaal. Wir hatten gerade eine Besprechung mit einer unserer besten Tänzerinnen, und ich war ziemlich verärgert über den Besuch des Reporters. Mir kam die ganze Fragerei überflüssig vor, weil ich seinen Kollegen bereits alles haarklein berichtet hatte.« »Kommen Sie zur Sache, Mann! Was hat das mit diesem Feuer bei Ihnen zu tun?« »Das weiß ich auch nicht so genau. Der Journalist wollte 31 �
gerade gehen, als Martina, unsere Tänzerin, ihn zurückrief. Sie war bei dem Brand im Kaisersaal verletzt worden. Sie sagte, ihr sei etwas zu dem Brand eingefallen, und sie wollte mit dem Reporter offenbar nach draußen gehen. Und dann ist es passiert.« »Was ist passiert? Mann, spannen Sie mich nicht auf die Folter!« »Sie fing Feuer«, beantwortete Harriet Plummer die Frage. Pit Langenbach fuhr herum und starrte seine Londoner Kollegin verständnislos an. »Genau, Herr Kommissar. Genau so war es. Martina ging am Fenster entlang und stand plötzlich in Flammen!« rief das Männchen. »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen? Ein Mensch kann doch nicht so mir nichts, dir nichts in Flammen aufgehen!« knurrte Hauptkommissar Langenbach unwillig. »Aber wenn es doch so war!« wehrte sich das Männchen. »Der Mann von der Zeitung hat sich auf sie geworfen, um sie zu retten, aber es ist ihm nicht gelungen. Er hat sich beinahe selbst verbrannt. Dann ist er wie der Blitz hinausgerannt, und weg war er.« »Diesen Reporter sollten wir uns mal vornehmen«, schlug Detective Sergeant Plummer vor. »Wie hieß er denn, und von welcher Zeitung kam er?« »Hellmann war sein Name. Aus Weimar, hat er gesagt.« Die üppige Frau meldete sich zum ersten Mal zu Wort. Na, herzlichen Glückwunsch! Kein Wunder, daß ich mir die Zähne ausbeiße, wenn Freund Mark seine Finger im Spiel hat! dachte Pit Langenbach. »In welche Richtung ist er gelaufen?« fragte er. »Da, die Straße rauf! Hinter dem Bleichen her.« Die Üppige zeigte nach links. 32 �
Hauptkommissar Langenbach schaute die Straße entlang und macht ein paar Schritte auf den Dienstwagen zu, als er unvermittelt stoppte. »Was für ein Bleicher denn?« fragte er und drehte sich zu der üppigen Frau um. »Irgendsoein bleicher Kerl, der zum Fenster hereingeschaut hat, bevor Martina – na, Sie wissen schon.« »Menschenskind, und das sagen Sie erst jetzt?!« brüllte Langenbach und rannte los. »Kommen Sie!« schrie er der Engländerin zu und warf sich hinter das Steuer des Dienstwagens. Mit quietschenden Pneus raste er die Kronenburggasse hoch. »Was ist denn in Sie gefahren?« rief Harriet. »Erkläre ich Ihnen später!« An der nächsten Kreuzung legte Langenbach eine Vollbremsung hin. Er schaute nach links und rechts, konnte jedoch nichts entdecken. Also gab er Gas und raste geradeaus weiter in die Pfeiffersgasse. Sie passierten einen Grünstreifen, der zu den Anlagen am Flußufer gehörte. »Dort drüben!« rief Harriet Plummer und deutete nach links. Zwischen den Bäumen leuchtete es hell. Pit Langenbach trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Er folgte der Straße bis zum Flußufer und raste dort in die Anlagen hinein. Sie kamen dem grellen Lichtschein immer näher und erkannten endlich die Ursache. Büsche und Bäume standen in hellen Flammen! * Die schier unerträgliche Hitze der Feuerwand schien meinen Körper zu durchdringen und von innen auszutrocknen. Das Atmen fiel mir schwer. Flach lag ich auf dem Boden und schnappte nach Luft. Immer höher loderten die Flammen. Sie schienen über das Gras zu mir her zu kriechen. 33 �
Undeutlich konnte ich vor mir den bleichen, schwarzgekleideten Mann sehen, den ich bis hierher verfolgt hatte. Seine Umrisse zerfaserten in der vor Hitze flirrenden Luft. Ich biß die Zähne zusammen, daß sie schmerzhaft knirschten, stemmte mich hoch und rannte taumelnd und tief geduckt los. Mein Hemd begann zu qualmen. Ich riß es mir kurz entschlossen vom Leib. Ich war wohl selten zuvor so schnell gelaufen wie in diesem Augenblick. In ihrer Gier nach Sauerstoff pumpten meine Lungen die heiße Luft durch den Körper. Ich holte die letzten Kraftreserven aus mir heraus. Hinter mir schloß sich die Flammenwand mit einem häßlichen Fauchen und folgte mir. Der Bleiche fühlte sich offenbar sicher, denn er hatte sein Tempo verlangsamt und joggte lässig dem Flußufer entgegen. Ich holte rasch auf. Als er hinter sich mein lautes Keuchen und meine Schritte vernahm, legte er einen Zahn zu, aber es war bereits zu spät. Dachte ich. Sogleich wurde ich eines Besseren belehrt. Sie waren zu viert. Drei Männer und eine Frau. Und auch sie hatten bleiche Gesichter mit einem großen, auf dem Kopf stehenden Kreuz auf der Stirn. Sie sprangen hinter Büschen hervor und stellten sich mir in den Weg. Ich überlegte nicht lange und hielt auch nicht in meinem Sprint inne. Eine der blassen Gestalten rammte ich mit der Schulter aus dem Weg und fegte eine zweite mit einem Faustschlag von den Beinen. Die beiden anderen kamen nicht an mich heran, dafür war ich zu schnell. Der Mann, dem ich folgte, stieß einen alarmierten Schrei aus und stellte sich zum Kampf. Seine Faust kam von unten und ohne Vorwarnung. Ich ließ sie in meine Handfläche knallen und drückte zu. »Du bist ein ganz ausgeschlafenes Kerlchen, was?« sagte ich. »Ich zeig dir jetzt mal, wie so was funktioniert.« Seine Fingerknöchel knackten, als 34 �
ich seine Faust zusammenpreßte. Blitzschnell drehte ich das Handgelenk herum, steppte zur Seite und bog seinen Arm nach hinten. Bevor der Bleiche wußte, wie ihm geschah, hatte ich ihm die Beine unter dem Körper weggezogen und kniete auf ihm. »Jetzt hast du wieder was dazugelernt, Junge. Los, wir wollen deine Freunde nicht zu lange warten lassen.« Ich zog ihn hoch und stieß ihn vor mir her. Wir brauchten nicht weit zu gehen. Das unheimliche Quartett der Bleichgesichter stand wenige Schritte vor uns und starrte mich haßerfüllt an. Der Größte der vier jungen Leute trat einen Schritt vor, murmelte etwas, hob beide Hände und drehte sie leicht. Dann schleuderte er sie nach beiden Seiten. Eine Explosion hätte keine größere Wirkung haben können. Bäume und Sträucher wurden innerhalb von Sekunden vollständig von Flammen umhüllt. Hinter uns brodelte das Flußwasser. Dampf stieg von den Wasserblasen auf. »Willkommen in der Hölle!« rief der Bleichgesichtige vor mir und lachte. »Damit beeindruckst du mich nicht, Blaßkopf! Sag mir lieber, was das Freudenfeuer soll!« forderte ich. »Der Meister hat es nicht gern, wenn man ihm zu nahe kommt«, zischte der Angesprochene. »Und deswegen machen wir dir ein Feuer unterm Arsch, damit dir die Lust am Rumschnüffeln vergeht!« »Du bist ein ordinärer Mensch, weißt du das?« meinte ich. »Hat dir deine Mutter nicht eingetrichtert, dich höflicher zu benehmen?« Der Bleiche antwortete nicht, sondern fuchtelte wieder mit seinen Händen durch die Luft. »Im übrigen hast du einen Fehler begangen, Großmaul«, fügte ich hinzu. »Welchen Fehler?« »Ich wäre wohl nie drauf gekommen, nach einem Meister zu suchen, der für das Feuerwerk verantwortlich ist. Ihr habt mich erst richtig neugierig gemacht. Wo steckt er denn, euer großer 35 �
Herr und Gebieter?« Der Bleiche hielt in seinen komischen Verrenkungen inne und starrte mich einen Moment lang an, bis ihm der Sinn meiner Worte dämmerte. »Du verdammter…« brachte er noch heraus, dann schleuderte ich meinen Gefangenen mit voller Wucht in seine Arme. Beide Männer gingen zu Boden. Dafür griffen die drei übrigen Gestalten an. Ich wehrte sie mit Tritten und Schlägen ab. Nun gehöre ich ja nicht zu den Leuten, die Frauen schlagen, deshalb packte ich die schlanke, bleiche Frau und warf sie mit Schwung zur Seite. Der Anführer des Quartetts kam wieder auf die Beine, deutete mit den Fingern auf mich und murmelte eine Beschwörungsformel, die ich nicht verstand. Zwei Flammenblitze zuckten mir aus seinen Fingern entgegen, trafen mich an der Brust und rissen mich von den Beinen. Stechende Schmerzen jagten durch meinen Körper. »Du hast die Mächte der Hölle herausgefordert, Elender!« zischte er und baute sich breitbeinig vor mir auf. »Der Meister ist erzürnt. Er will seine Rache haben, und er wird sie bekommen. Mit unserer Hilfe. Du aber wirst schmoren im ewigen Feuer der Hölle!« Seine Stimme war zu einem Kreischen geworden. Er streckte die Arme aus, zeigte mir seine Handflächen und legte die Spitzen von Daumen und Zeigefinger beider Hände gegeneinander. »Brenne, Verfluchter!« * Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Ich hörte das röhrende Aufheulen eines Motors. Zwischen den brennenden Bäumen schoß ein PKW auf uns zu. Flammen waren auf der Motorhaube und dem Dach des Wagens zu sehen. Noch während ich den Wagen heranrollen sah, rutschte ich zwischen den gespreizten 36 �
Beinen des Bleichen hindurch und rollte mich zur Seite. Den peitschenden Schuß, der in diesem Moment aufklang, bekam ich nur am Rande mit. Dafür sah ich, wie ein Ruck durch den Körper des Bleichen ging. Eine Feuersäule wuchs an der Stelle hoch, an der ich eben noch gelegen hatte. Der Bleiche taumelte und fiel direkt in die Flammensäule! Sein Körper wurde Teil der Säule und von den Flammen vollständig umhüllt. Schreiend und um sich schlagend rannte der brennende Flammenmann zum Flußufer, stürzte in die brodelnden Fluten und versank. »Polizei! Stehenbleiben!« Es war eine Frauenstimme, die den Befehl rief. Die bleichen Gestalten störten sich nicht daran. Sie gingen stiften. Warum sie die Polizistin nicht mit einem Flammengruß bedachten, war mir schleierhaft. Neben mir tauchte mein Freund und Spezi Pit Langenbach auf und reichte mir die Hand, die ich dankbar ergriff. »Du kennst doch das alte Sprichwort: Wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um«, sagte er tadelnd. »Ich hätte dir aber schon ein wenig mehr Vernunft zugetraut, Mark.« »Konnte ja nicht ahnen, daß für mich schon ein Platz im Fegefeuer reserviert ist«, verteidigte ich mich. Ich beobachtete eine Blondine, die mit einem Revolver im Anschlag zum Ufer ging. Langsam folgten wir ihr. Die Frau richtete ihre Waffe auf die Wasserfläche, auf der eben die letzten Blasen zerplatzten. Von dem bleichen Flammenwerfer war nichts zu sehen. »Das war aber nicht gerade nach Vorschrift, Frau Kollegin«, sagte Pit Langenbach. »Wie kommen Sie dazu, hier mit einer Kanone in der Tasche anzutanzen?« Die Frau drehte sich um und senkte den Revolver. »Sorry, Hauptkommissar. Aber ich dachte, es sei besser, wenn ich meine eigene Waffe hätte.« 37 �
Ich schaute von Pit zu der Blondine und wieder zurück. »Ich höre immer Kollegin. Wer ist die Dame?« fragte ich. »Detective Sergeant Harriet Plummer, New Scotland Yard. Sergeant, das ist Mark Hellmann, ein guter Freund. Er ist übrigens der Journalist, von dem im Büro des Tanzvereins die Rede war.« Die Engländerin nickte mir lächelnd zu. »Freut mich. Sie können mich Harriet nennen. Und bedanken Sie sich ja nicht dafür, daß ich dem Kerl eine Kugel verpaßt habe. So was gehört zu meinem Job.« »Was führt Sie nach Erfurt, Harriet?« erkundigte ich mich. »Bei uns in London hat es auch gebrannt. So wie in diesem Kaisersaal. Ich gehe davon aus, daß es sich um denselben Täter handelt.« »Irgendwelche Anhaltspunkte, wer dieser Täter ist?« fragte ich. »Ich glaube nicht, daß ich darüber mit einem Vertreter der Presse diskutiere«, sagte sie kühl und wandte sich ab. Pit Langenbach grinste. »Die Kleine hat ganz schön Haare auf den Zähnen, was?« raunte er mir zu. Harriet Plummer war ein paar Schritte am Ufer entlanggegangen, hatte jedoch nicht die geringste Spur des bleichen Killers entdeckt. Sie drehte sich um und sah ungeduldig zu uns herüber. Bevor Pit oder ich reagieren konnten, schoß der schwarzgekleidete Körper aus dem Wasser und warf sich auf die Engländerin. Der Bleiche sah grauenhaft aus. Sein Körper wies starke Verbrennungen auf. Sein Gesicht war eine blasenübersäte Maske des Grauens! Nur das schwarze Kreuz auf der Stirn schien zu leuchten und war auch durch das Wasser nicht abgewaschen worden. Mit einem Ruck hob er Harriet Plummer hoch und zerrte sie ins Wasser. Pit Langenbach hatte seine Dienstpistole bereits in der Hand. »Ich kann nicht schießen!« entfuhr es ihm. »Ich 38 �
könnte Harriet treffen.« »Gib her!« sagte ich, nahm ihm die SIG Sauer aus der Hand und rannte los. Ich feuerte im Laufen. Rücksicht nahm ich dabei nicht, denn ich wollte dem Kerl keine Gelegenheit geben, wieder seinen Feuerzauber zu inszenieren. Die Neun-Millimeter-Geschosse rammten in seine Brust und stießen ihn von Harriet Plummer weg. Die Polizistin kletterte behende auf das Ufer, während sich der Bleiche zwischen den Felsen um einen festen Stand bemühte. Drei Kugeln waren ihm dicht nebeneinander in die Brust gefahren. Seine Hand strich über die Einschußlöcher. Er schaute auf die Handfläche und drehte sie dann nach außen. Kein Blut war zu sehen! Er lachte heiser, hustete und spuckte mir die Kugeln wieder entgegen! Die drei Geschosse wurden von einer Flammenzunge begleitet. Ich warf mich zu Boden. Nur knapp zischten die feurigen Todesboten über mich hinweg. So war diesem Feuerspucker nicht beizukommen. Der Kerl hatte im wahrsten Sinn des Wortes die Hölle im Leib. Nur befand sich meine Ausrüstung zur Dämonenbekämpfung im Einsatzkoffer, und der wiederum lag im Kofferraum meines BMW! Der Kerl begnügte sich nicht damit, die Kugeln auszuspucken, sondern sandte Harriet und mir einen Flammengruß zu, bevor er wieder mit den Händen herumfuchtelte. Er traf uns jedoch nicht. Harriet Plummer riß ihren Revolver heraus. »Weg mit der Waffe, Harriet!« brüllte ich. »Damit kriegen Sie ihn nicht klein!« Ich legte Pits Dienstwaffe auf den Boden, preßte meinen magischen Siegelring auf das siebenzackige Mal an meiner Brust und flüsterte die Worte: »Gib mir die Kraft!« Ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Brustkorb. Der Siegelring vibrierte, wurde 39 �
heiß und sandte einen grellen Strahl aus. Mit diesem Lichtstrahl malte ich die Runen des Futhark-Alphabets für das keltische Wort Waffe auf den Pistolenlauf. Kleine blaue Flämmchen, die an elektronische Entladungen erinnerten, liefen an der Pistole entlang und tauchten sie in ein kaltes, blaues Licht. Der Bleiche riß die Arme hoch und schrie. »Fahrt zur Hölle!« Er holte tief Luft. »Verschluck dich nicht, Blaßnase!« knurrte ich, zog die Pistole hoch und feuerte. Er kam nicht mehr dazu, seinen Feueratem auszustoßen. Es war nicht schön anzusehen, was die magisch aufgeladenen Geschosse bei ihm anrichteten. Er hob die Arme, riß sie auseinander, kreischte und starb. Eine Detonation, die jeden Trickspezialisten aus Hollywood vor Neid hätte erblassen lassen, erschütterte den Fluß. Als sich die Fluten beruhigt hatten, war von dem Bleichen nichts mehr zu sehen. »Was, zum Teufel, war denn das?« fragte Harriet Plummer. Die Engländerin war total verwirrt. »Das, meine Liebe, war etwas, wovon ihr bei Scotland Yard sicher auch ein wenig gebrauchen könntet. Man nennt es Magie«, erwiderte ich grinsend. * Tessa Hayden brauste auf ihrer Suzuki durch Erfurt und tauchte in der Szene unter. Sie befragte Prostituierte am Stadtrand, Obdachlose im Hauptbahnhof und mischte sich unter die jungen Leute in den beiden Freizeitreffs von Erfurt. Im Jugendcafe des Freizeittreffs Petersberg wurde die Fahnderin schließlich fündig. An diesem Nachmittag fand die Pizza-Party statt, ein beliebtes Event, bei dem man sich für wenig Geld den Bauch mit 40 �
schmackhaften Pizzen vollschlagen konnte. Die Bude war rammelvoll. Auch Tessa langte kräftig zu. In dem Gedränge war ihr ein junges Paar aufgefallen. Beide schätzte sie auf sechzehn oder siebzehn. Sie trugen überwiegend schwarze Kleidung. Die Strumpfhose des Mädchens wies über die gesamte Länge des Beines Löcher auf. An den bloßen Stellen hatte sich die Kleine düstere Motive auf die Haut gemalt. Spinnennetze, Fledermäuse und ein Pentagramm. Das an sich war nichts Ungewöhnliches. Viele Jugendliche wollten den Zwängen des Alltags entfliehen und staffierten sich auf besondere Weise aus, um aufzufallen und Aufmerksamkeit zu erregen. Auch diese beiden Kids paßten in das Schema. Sie trugen Piercings an Augenbrauen, Nase, Lippen und Zunge und wahrscheinlich auch an einigen anderen Stellen. Das Mädchen hatte ihre Lippen schwarz geschminkt und auch ihre Wangen mit Spinnennetzen versehen. »Hey, sagt mal, eure Piercings sind echt scharf, Leute«, machte sich Tessa an die beiden heran. Sie hatte drei Portionen Pizza auf einen großen Teller legen lassen und schob den Teller zu den beiden Kids hinüber. »Wollt ihr einen Happen?« »Zisch ab, Alte«, knurrte der Junge. »Wenn ich eines nicht abkann, ist es eine Tussi, die mich vollsülzt.« »Nun flipp mal nicht gleich aus, Macker! Ich wollte doch bloß wissen, wo man so geile Piercings kriegt«, wehrte sich Tessa. Der Junge schaute seine Begleiterin an. »Hat die eben Macker gesagt? Hast du das auch gehört? Ich habe es ganz deutlich gehört.« Er langte blitzschnell über den Tisch, packte Tessa am Kragen ihres T-Shirts und zog sie nach vorn. »Paß mal auf, Tante. Du könntest meine Alte sein. Bist du aber nicht. Also hast du auch kein Recht, mich blöd anzumachen. Am besten, du schiebst deinen Arsch zur Tür raus und kommst mir nicht mehr unter die Augen, sonst verpaß ich dir ein Piercing, wie du noch 41 �
keins gehabt hast. Hast du das jetzt endlich gerafft?« Tessa erwiderte seinen Blick aus kalten, braunen Augen. Lässig hob sie die Hand, packte den Daumen des Jungen und bog ihn bis zum Anschlag nach hinten, so daß sie dem Großmaul beinahe die Hand brach. »Okay, Süßer, du kommst dir wohl mächtig cool vor, was? Aber ich sag' dir was: Das einzig Coole an dir ist der Luftzug, der reinkommt, wenn du rausgehst. So, und was möchte dir die liebe Tante wohl mit dieser Lektion beibringen? Ganz einfach: Faß nie eine Frau an, wenn du nicht ganz sicher bist, daß sie auf einen Loser wie dich abfährt.« Dem Jungen fiel die Kinnlade nach unten. Er spürte nicht den Schmerz an seiner Hand, sondern starrte Tessa fassungslos an. So hatte wohl noch keine mit ihm gesprochen, und ein Mädchen schon gar nicht. Die Fahnderin legte einen Finger unter sein Kinn und schob es nach oben. »Also, für ganz Lahmarschige noch mal von vorn. Wo kann ich mich piercen lassen?« Und damit hatte sie die beiden endlich soweit, daß sie den Mund aufmachten, um ein paar vernünftige Sätze von sich zu geben. Sie empfahlen Tessa ein Tattoo-Studio in der Innenstadt. »Sagt mal, wart ihr eigentlich auch dabei, als neulich der Kaisersaal abgefackelt ist?« »Sehen wir etwa so aus, als würden wir auf so 'ne Prolo-Fete gehen?« kam die Gegenfrage des Jungen. »Soll ja ein ganz schönes Feuerchen gewesen sein, wie man hört.« »Die Leute labern viel zuviel.« »Wo geht man denn hin, wenn man nachts noch Bock auf Action hat?« »Bist wohl 'ne durchgeknallte Prolo-Braut, die ihr Leben satt hat, was? Versuch's mal im MAD. Das ist zwar auch ein Nobelschuppen, aber immerhin wird es hier erträglicher, wenn du die 42 �
Fliege gemacht hast.« Womit Tessa das Stichwort für ihren Abgang bekommen hatte. In der Diskothek MAD wurde Tessas Geduld auf eine harte Probe gestellt. Sie saß an der Bar und beobachtete, wie sich die leicht bekleideten Leiber der Tanzenden zum Techno-Gehämmer wiegten. Fehlanzeige in der Disco. Die Fahnderin verließ den Tanzschuppen und stemmte die Hände in die Hüften. Es war zum Ausrasten. Den ganzen Tag hatte sie sich um die Ohren geschlagen, und wofür? Sie bemerkte die drei grellgeschminkten Gestalten erst, als sie schon fast um die nächste Straßenecke verschwunden waren. Zwei Frauen und ein Mann. Sie trugen pechschwarze Kleidung und hatten ihre Gesichter weiß geschminkt. Nachdenklich schaute ihnen Tessa nach. Irgendwas hatte ihr an den drei Figuren nicht gefallen. Aber was? Eine der beiden Frauen schaute kurz zu ihr herüber, bevor sie um die Ecke bog. Plötzlich wußte die Fahnderin, was ihr beim Anblick der drei Schwarzgekleideten aufgestoßen war. Das Kreuz! Alle drei trügen umgedrehte schwarze Kreuze auf der Stirn! Tessa Haydens Herzschlag beschleunigte sich. Sie erinnerte sich an eine ähnliche Situation, als sie in Cottbus einen dämonischen Sichelmörder gejagt hatte. Damals war sie auch auf das umgedrehte Kreuz, ein Zeichen des Teufels, gestoßen. Die Fahnderin wußte, was sie zu tun hatte. Ohne weiteres Zögern folgte sie dem merkwürdigen Trio. Der Weg führte in eine Erfurter Wohngegend außerhalb des Stadtzentrums. Man fand hier noch vereinzelte Eckkneipen und alte Mietskasernen, aber auch Neubauten. Die drei Leute, denen Tessa folgte, kannten sich hier offenbar aus. Zielstrebig bogen sie in eine Straße ein, die eine Steigung hinaufführte. Im letzten 43 �
Drittel der Straße zweigte linker Hand ein Seitenweg ab, der gerade breit genug für einen PKW war. Der Seitenweg lag vollständig im Dunkel. Er führte ziemlich steil bergauf. So leise wie möglich huschte Tessa hinter dem Trio her. In der Dunkelheit waren die drei Verfolgten kaum auszumachen. Der Weg wurde von Wohnhäusern und einem niedrigen Metallgeländer begrenzt, hinter dem Laubbäume aufragten. Es war drückend schwül. Tessa lief der Schweiß über den Körper. Sie hastete weiter den Hang hinauf. Auf der Kuppe erreichte Tessa plötzlich eine ebene Querstraße, und von den drei Verfolgten war weit und breit nichts zu sehen. Sie drehte sich um – und starrte in das bleiche, grinsende Gesicht einer jungen Frau! Die Fahnderin trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Verdammt, tu das nie wieder!« rief sie. »Davon kann man ja hops gehen!« Sie trat einen weiteren Schritt nach hinten und prallte gegen die beiden anderen bleichen Gestalten, die sich hinter Tessa aufgestellt hatten. »Ihr seid wohl nicht ganz dicht, einen so zu erschrecken!« rief sie und wich zur Seite aus. Mit einem Schritt stand der bleichgesichtige Mann vor Tessa. »Warum schnüffelst du uns nach?« fragte er mit heiserer Stimme. Seine Hand schoß vor und faßte Tessa am Kinn. »Antworte! Warum spionierst du uns hinterher?« Tessa kickte dem großen Mann gegen das Schienbein, machte eine halbe Drehung und rammte ihm den Ellbogen in die Rippen. »Schnappt sie euch!« keuchte der Mann mit schmerzverzerrter Stimme. »Dem Meister wird sie Rede und Antwort stehen!« Tessa sprang hoch und empfing eine der beiden Frauen mit einem gestreckten Karatetritt. Sie stieß die andere Frau zur Seite und rannte den Abhang hinunter. Hinter sich hörte sie bald die Schritte der Verfolger. 44 �
Aus der Jägerin war eine Gejagte geworden! * Tessa Hayden hatte einen beachtlichen Vorsprung herausgeholt. Ihr Herzschlag raste. Sie hatte den Fuß des Abhanges fast erreicht. Ihre Hand tastete nach dem Griff der Dienstpistole im Schulterhalfter. Trotz der unangenehmen Situation, es mit drei Gegnern gleichzeitig aufnehmen zu müssen, schreckte die Fahnderin vor einem Gebrauch der Schußwaffe zurück. Sie wußte nicht, ob ihre Gegner bewaffnet waren. Und sie hatte im Grunde genommen nichts gegen sie in der Hand, außer daß sie seltsam aussahen. Aber das allein rechtfertigte nicht, daß sie ihre Waffe einsetzte. Der Schatten stieß sich von einer Gartenmauer ab und sauste auf Tessa zu. Sie bemerkte ihn zu spät, duckte sich zwar noch, konnte dem Aufprall jedoch nicht entgehen. Das Gewicht des Mannes und die Wucht des Aufpralls trieben sie quer über die Straße und rammten sie gegen das Metallgeländer. Tessa stöhnte. Der Angreifer richtete sich vor ihr auf. Tessa starrte in ein bleiches Gesicht mit invertiertem Kreuz. O nein! Jetzt hab ich wohl das ganze Wespennest aufgescheucht! befürchtete sie. Mit einem Schlag trieb sie den Gegner zur Seite und versuchte erneut zu flüchten, doch es war zu spät. Sie kamen von allen Seiten. Schwarzgekleidete Gestalten, die mit ihren grell geschminkten Gesichtern an lebende Tote erinnerten. Der Mann, den Tessa auf der Hügelkuppe zusammengeschlagen hatte, näherte sich ihr. »Du wirst mit uns kommen müssen, Schätzchen. Ob du willst oder nicht!« Mit geübten Griffen tasteten sie Tessas Körper ab und entwaffneten sie. Dann stießen sie die Fahnderin den Steilhang hinauf. Oben angekommen, ging es nach links. Sie folgten der Straße bis 45 �
zu einem Bungalow mit großzügigem Garten. Die Fahnderin wurde gepackt und auf eine Rasenfläche geschleift, auf der eine einsame Gestalt stand. »Auf die Knie, Schnüfflerin!« zischte der großgewachsene Bleiche und drückte Tessa nach unten. Die einsame Gestalt drehte sich um und schritt gemächlich über den Rasen. Einige Schritte vor Tessa blieb sie stehen. »Sie ist uns gefolgt, Meister! Sie hat versucht, uns nachzuspionieren! Wir haben sie hierher gebracht, um sie deiner Strafe zuzuführen.« Die Stimme des Bleichen klang ehrfürchtig. Tessa starrte in die Dunkelheit. Vor ihr schälte sich eine große, hagere Gestalt aus dem Schatten. Es war ein Mönch! Mit geneigtem Haupt blieb er vor Tessa stehen. »Unwürdige, was wolltest du in Erfahrung bringen?« dröhnte ihr eine dumpfe Stimme entgegen. »Nichts. Ich bin nur zufällig in dieser Gegend.« »Sie lügt, Meister!« schrie eines der Mädchen, denen Tessa gefolgt war. »Glaube ihr kein Wort!« »Ich denke, deine Neugier wird in dieser Nacht befriedigt werden«, grollte der Mönch. »In dieser Nacht werde ich einen weiteren Beweis meiner Macht liefern. Es wird erst der Beginn meiner Rache sein! Diese Stadt gehört mir!« Sein dumpfes Grollen ging in einen heiseren Schrei über, als der Mönch beide Arme zum Himmel streckte. »Hören Sie, ich bin Polizistin! Sie begehen einen gewaltigen Fehler, wenn Sie mich festhalten. Wenn Sie mich sofort freilassen, könnten Sie eine Menge Pluspunkte auf Ihrem Konto sammeln«, versuchte Tessa Hayden ihr Glück, obwohl sie selbst an einem Erfolg zweifelte. »So, Polizistin?« Der Mönch beugte sich nieder und strich mit knochiger Hand über Tessas Haar. Plötzlich übte die Hand einen 46 �
gewaltigen Druck auf Tessas Kopf aus, hielt ihn wie in einer Schraubzwinge und bog ihn nach hinten, so daß Tessa zu dem unheimlichen Mönch aufschauen mußte. »Ich hatte schon mal mit einer Polizistin zu tun. Es ist noch gar nicht lange her. Sie hatte Glück.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ganz im Gegensatz zu dir, Unwürdige!« Mit einem Ruck gab er Tessa frei. »Was – was habt ihr vor?« fragte sie. »Ich werde diese Stadt büßen lassen.« »Büßen? Für was?« »Was kümmert es dich, Unwürdige? Diese Stadt wird die Kraft des Höllenfeuers spüren. Sie wird nach Erleichterung lechzen und um Gnade flehen. Die Menschen dieser Stadt werden vor mir zittern und auf den Knien liegen, bevor die alles verzehrenden Flammen über sie hereinbrechen!« »O mein Gott!« stieß Tessa Hayden ungläubig hervor. »Ihr – seid verantwortlich für den Brand im Kaisersaal?« »Das Feuer im Tanzsaal war erst der Auftakt. Die Menschen dieser Stadt sind dazu verdammt, von den Flammen der Hölle verschlungen zu werden!« Der Mönch wandte sich um. »Schafft sie nach unten!« befahl er. Ohne ein weiteres Wort wurde Tessa Hayden in ein Gewölbe unter dem Garten gebracht, wo man sie in einer Ecke ankettete. Eine flackernde schwarze Kerze erhellte den Raum soweit, daß Tessa einen aus rauhen Steinen errichteten Altar erkennen konnte. Der unheimliche Mönch begab sich zu ihr. »Gefällt dir unser Opfertisch?« fragte er. »Bald wirst du die Ehre haben, auf diesem Tisch zu Ehren des Höllenfürsten geopfert zu werden.« Der Mönch drehte sich halb um. »Nun wird diese Stadt eine weitere Kostprobe meiner Macht erhalten«, sagte er. Seine rauhe Stimme hallte. »Danach werde ich…« »Meister!« wurde er unterbrochen. Ein breitschultriger, stämmiger Mann trat auf ihn zu. Er war verschwitzt und mußte sich 47 �
sehr beeilt haben, um den Mönch noch anzutreffen, bevor der das Anwesen verließ. »Ich bringe wichtige Neuigkeiten!« Er zog den Mönch auf die Seite und flüsterte auf ihn ein. »Verflucht! Tausendmal verflucht! Unfähiges Pack!« schrie der Mönch. Seine Stimme bebte vor Wut. »Sie hatte blondes, kurzes Haar, sagst du?« Der Stämmige nickte. »So ist sie mir tatsächlich bis hierher gefolgt! Es wird mir besonderes Vergnügen bereiten, sie meinen Zorn spüren zu lassen. Und ein blonder Jüngling war bei ihr?« »Ja, Meister. Der Kerl hat einen Ring benutzt, um einen deiner treuen Diener zu töten. Er ist stark und jung. Das Höllenfeuer konnte ihm nichts anhaben!« »Schweig! Niemand ist dem Höllenfeuer gewachsen. Hörst du? Niemand!« Der Mönch schritt auf und ab. »Ich habe von einem blonden Hünen gehört, den man den Träger des Rings nennt. In manchen Kreisen der Hölle nennt man seinen Namen hinter vorgehaltener Hand. Selbst Belial, der große Dämon, leckt seine Wunden, die ihm dieser Streiter zugefügt haben soll. Ob es sich um ein und denselben Mann handelt?« »Denkbar wäre es, Meister!« »Nun, ich werde ihm ein heißes Ende bereiten!« Der Mönch lachte siegessicher. »Er, der geglaubt hat, Belial vernichtet zu haben, wird in den Flammen des ewigen Feuers schmoren! Doch zuerst soll diese Stadt vor mir zittern!« Mark! Nur er kann sie noch aufhalten! ging es durch Tessa Haydens Kopf. »Ihr werdet Mark Hellmann niemals besiegen. Niemals, hört ihr?« Der Mönch fuhr herum. »Ah, du kennst den blonden Jüngling!« dröhnte seine Stimme. »Um so besser. Wenn es ihm gelingen sollte, meinem Zorn zu entgehen, wird er sich freiwillig in unsere Hände begeben. Ich sehe, du bist von unschätzbarem 48 �
Wert, mein Täubchen!« Er trat auf sie zu und beugte sich nieder. Tessa, was Dümmeres als dich gibt es nicht mehr! Laß dir die Haare blond färben, sei willig und mach ein Praktikum beim Film! Die Fahnderin hätte sich in den Hintern treten können vor Wut. »Du sollst erfahren, was dich und deinen blonden Jüngling erwartet, mein Täubchen! Du wirst dir wünschen, nie meinen Weg gekreuzt zu haben!« Der unheimliche Mönch kicherte und schob die Kapuze zurück. Das schwache Licht der flackernden Kerze reichte aus, um die Fahnderin erkennen zu lassen, was sich unter der Kapuze verbarg. Und Tessa Hayden schrie sich die Seele aus dem Leib… * Wir saßen in der Polizeikantine und sprachen über die Ereignisse vom Nachmittag. Harriet Plummer hatte darauf bestanden, sich die Opfer des Kaisersaal-Brandes in der Pathologie anzusehen und Einsicht in die Untersuchungsergebnisse zu nehmen. Allerdings hatte sie dabei außer einem nervösen Magen nichts erreicht. »Wir müssen herausfinden, wo diese Typen mit den bleichen Gesichtern herkommen. Wenn wir den Schlupfwinkel der Bande haben, geht uns auch Ben Mason ins Netz«, sagte die Engländerin. »Ben Mason? Wer bitte ist Ben Mason?« fragten Pit und ich einstimmig. »Er steckte hinter dem Anschlag in London«, erklärte die Harriet. »Ich – äh – wir hatten sie bis zu einem Gewölbe in Camden Town verfolgt. Als wir eine Art Schwarze Messe unterbrachen, gelang Ben Mason und einem unbekannten Mönch die Flucht.« Ich schaute nachdenklich auf mein Glas Mineralwasser. »Die49 �
ser Mönch, wie hat der ausgesehen?« fragte ich. »Er war groß und hager. Bekleidet war er mit einer abgetragenen braunen Kutte. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen«, antwortete Harriet Plummer. »Er war also nicht bewaffnet. Wie konnte er dann entkommen?« »Er war sehr wohl bewaffnet. Mit einem Schwert, dessen Klinge die Form einer Flammenzunge hatte. Und sein Verschwinden können wir uns nicht erklären. Ben Mason faßte ihn an, und von da an fehlt jede Spur von den beiden.« Ich nickte. »Weil sie sich in Luft aufgelöst haben.« »Weil sie sich – was? Das ist nicht Ihr Ernst, Mark! Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um Opfer Ihrer makabren Scherze zu werden!« Pit legte seine Hand auf ihren Arm. »Das ist kein Scherz, Harriet. Er meint es ernst.« »Es stimmt, Harriet. Sie sollten endlich begreifen, daß wir es hier nicht mit normalen Verbrechern zu tun haben. Menschen, die urplötzlich Feuer fangen. Bäume und Sträucher, die ohne erkennbaren Grund in Flammen aufgehen. Und ein Mann, dessen Atem wie ein Flammenwerfer wirkt. Glauben Sie wirklich, daß man diesen Fall mit kriminalistischem Spürsinn lösen kann, Miss Sherlock?« Harriet Plummer warf mir einen eingeschnappten Blick zu und geruhte zu schweigen. »Ich wollte Sie nicht beleidigen, Harriet. Aber ich habe schon mehrfach Unerklärliche Dinge dieser Art erlebt. Glauben Sie mir, Harriet, es gibt das Böse. Und ich bin sicher, daß es heute in Erfurt zuschlägt, wie es auch vor ein paar Wochen in London zugeschlagen hat.« »Was können wir dagegen tun?« »Sie liegen richtig, wenn Sie denken, daß wir über die Blaß50 �
köpfe an den Mönch und diesen Mason herankommen. Aber da liegt die Schwierigkeit. Wir kennen diese Leute nicht. Sie sind nicht aktenkundig. Wir wissen nicht, ob es sich um eine Sekte, um Fanatiker, Verrückte oder einfach nur Helfershelfer des Bösen handelt«, sagte ich. »Damit bleibt uns dann nur noch eines übrig: Abwarten, bis sie wieder in Aktion treten«, meinte Pit betrübt. »Oder wir könnten sie provozieren«, schlug ich vor. Pit warf mir einen zweifelnden Blick zu. »Du bist gut. Ich soll wohl mit einem Schild durch die Gegend laufen, auf dem steht: Feuerspucker, kommt raus, wir suchen euch!« »Nicht ganz, Pit. Aber du könntest dir das Gesicht weiß anmalen, ein schwarzes Kreuz verkehrt herum auf die Stirn kritzeln und durch die Stadt laufen. Das lockt die Kerle bestimmt aus ihrem Versteck.« Pit atmete tief ein und lief langsam rot an. Er zog sein Handy aus der Tasche. »Wen rufen Sie denn an, Pit?« wollte Harriet wissen. »Die Männer mit den Zwangsjacken. Die sollen diesen Schwachsinnigen abholen und in eine Gummizelle stecken. Ich mach' mich doch nicht zum Affen und latsche als Bleichgesicht durch die Stadt!« »Weißt du was Besseres?« Harriet Plummer lehnte sich zurück und schaute ernst auf den Tisch. »Ich denke, wir sollten es versuchen. Es könnte klappen. Wenn nur einer dieser Brandstifter mit uns Kontakt aufnimmt, wären wir schon einen Schritt weiter«, meinte sie und sah auf. »Ich bin dabei!« erklärte sie entschlossen. Pit Langenbach blieb die Spucke weg. Aber er mußte einsehen, daß es die einzige Möglichkeit war, rasch an die bleichgesichtigen Killer heranzukommen. Wir brachten Harriet Plummer ins Hotel und vereinbarten, sie 51 �
gegen neun wieder abzuholen. Das Schminken wollten wir im Präsidium erledigen. »Aber das eine sage ich dir, Mark. Wenn dein Plan nicht klappt und ich mich zum Gespött der Leute mache, kündige ich dir die Freundschaft!« knurrte Pit, dem der Plan immer noch nicht zusagte. Es ging auf Mitternacht zu, als wir uns auf die Straße wagten. Pit und Harriet trugen schwarze Kleidung und hatten sich die Gesichter von einer Visagistin bleich schminken lassen. Mit viel Geschick hatte die Maskenbildnerin auch die schwarzen Kreuze aufgemalt. Ich selbst war ungeschminkt und würde mich im Hintergrund halten, um den echten Bleichgesichtern unauffällig folgen zu können. Unser Einsatzgebiet war nicht weit entfernt. Auf dem Domplatz herrschte um diese Zeit noch reger Betrieb. Die Tische der Bistros, Restaurants und Straßencafes in der Nähe des Platzes waren voll besetzt. Die laue Sommernacht sorgte für reißenden Umsatz in der Gastronomie. Ich stand über Walkie-talkie mit Harriet und Pit in Verbindung. Aus meinem Einsatzkoffer hatte ich beide mit Weihwasserflakons und geweihten Kreuzen versorgt, falls sie dem Mönch begegnen sollten. Außerdem hatte ich Harriet meine Pistole gegeben und Magazine mit geweihten Silberkugeln verteilt. Ich selbst beschränkte mich auf den armenischen Silberdolch. Falls es hart auf hart kam, würde ich mir etwas einfallen lassen. Ich saß bei meiner dritten Apfelschorle, und es hatte sich immer noch nichts getan. Pit und die Engländerin hatten sich unter das Volk gemischt und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Oder auch nicht. Ich sah den Bleichen zuerst, aber nur für einen Sekundenbruchteil. Dann war er wieder in der Menge verschwunden. »Sichtkontakt!« sagte ich leise in das Funkgerät. Pit bestätigte durch zweimaliges Drücken der Sprechtaste. Von Harriet kam keine 52 �
Antwort. Ich funkte sie direkt an. Nichts. Wie von der Tarantel gestochen, spritzte ich hoch und rannte auf den Domplatz. Der Bleiche, den ich gesehen hatte, bewegte sich vor einer gewaltigen Zuschauermenge und zog eine Schau als Feuerschlucker ab. Ausgerechnet als Feuerschlucker! Die Zuschauer waren begeistert. Eben hob der Bleiche zwei brennende Jonglierstäbe und richtete sie auf sein Publikum. »Neeiinnn« brüllte ich und bahnte mir mit Brachialgewalt einen Weg durch die Menge… * Sergeant Plummer bewegte sich katzengleich in der Menschenmenge. Die Passanten nahmen kaum Notiz von ihr. Es war fast wie in London. Je verrückter die Menschen auftraten, desto alltäglicher wirkten sie. Für die Abendspaziergänger war sie nur eine von vielen Jugendlichen, die ihren Lebensstil übertrieben verwirklichten. Hin und wieder bemerkte sie Peter Langenbach in der Menge. Sie mußte unwillkürlich lächeln. Der gute Hauptkommissar fühlte sich in der Rolle eines bleichen Teufelsanbeters sichtlich unwohl. Sie selbst hatte keine Probleme damit, grell geschminkt als Lockvogel zu agieren. Wenn die Aktion erfolgreich verlief, hatte sie große Chancen, Ben Mason und den geheimnisvollen Mönch zu stellen. Und das allein zählte. »Halb eins am Fischmarkt!« raunte jemand hinter ihr. Harriet wandte sich um und sah gerade noch eine blasse Gestalt in der Menge untertauchen. Harriet Plummer kämpfte mit sich. Sollte sie Pit und Mark benachrichtigen oder dem Satansjünger folgen? Sie entschied sich für den Satansjünger. Der Kerl durfte ihr nicht entwischen. Sollte er sich direkt zum Treffpunkt begeben, konnte sie von dort aus immer noch Bescheid geben. 53 �
Mit geschmeidigen Bewegungen wich die Polizistin den Passanten aus und bemühte sich, den Kontaktmann der Teufelsjünger nicht aus den Augen zu verlieren. Er drängte sich durch eine Zuschauergruppe, nickte einem bleichgeschminkten Jongleur kurz zu und verließ den Domplatz. Harriet blieb ihm dicht auf den Fersen. Die Gegend jenseits des Domplatzes war dunkel und kaum belebt. Straßenlaternen breiteten ihr fahles Licht über der Fahrbahn aus. Harriet drückte sich in einen Hauseingang und wartete, bis der Satansjünger weit vor ihr kaum noch zu erkennen war, bevor sie die Verfolgung fortsetzte. Der Mann passierte eine kleine Kirche. Er vermied dabei die unmittelbare Nähe des Gotteshauses, sondern trat auf die Fahrbahn. Die Nähe der Kirche schien ihm Unbehagen zu bereiten. Harriet Plummer lief im Schatten der Kirche weiter. Mehrmals preßte sie sich flach gegen den dunklen Bau, um von dem Satansjünger vor ihr nicht entdeckt zu werden. Ein grelles Licht, das Harriet an das Blitzlicht einer Kamera erinnerte, zuckte aus einer dunklen Einfahrt auf, als Harriet an der Kirche vorbei war. Die blonde Polizistin war einen Moment lang geblendet und wich zur Seite aus. Sie dachte an einen Autofahrer, der seine Scheinwerfer aufgeblendet hatte. Es war kein Autofahrer. Es war auch kein Blitzlicht. Als Harriet erkannte, was es war, blieb ihr fast das Herz stehen. In der Hofeinfahrt waberte ein riesiges, pulsierendes Flammengebilde. Das Licht, das von den Flammen ausging, schmerzte in den Augen. Als drei, vier schlangengleiche Feuerzungen über den Boden zuckten und auf den Gehsteig schossen, wußte Harriet, was sie vor sich hatte. Einen riesigen Feuerkraken, der seifte flammenden Tentakel gierig nach ihr ausstreckte! Detective Sergeant Plummer sprang mit einem Schrei zurück, 54 �
aber nicht schnell genug. Ein Tentakel wickelte sich um ihren Knöchel. Harriet geriet ins Schwanken und verlor das Gleichgewicht. Ihren Fall bremste sie mit den Armen ab, lag auf dem Rücken und rutschte in die Hofeinfahrt. Jetzt hatte auch ein zweiter Fangarm zugepackt. Ein dritter Tentakel zuckte auf ihren Kopf zu. Wenn er deinen Hals erreicht, bist du tot! machte sich Harriet klar. Ebenso klar war ihr nun aber auch, daß dieses flammende Gebilde auf keinen Fall irdischen Ursprungs sein konnte. Harriet erinnerte sich an Mark Hellmanns Worte über die Macht des Bösen. Und das Böse bekämpfte man am besten mit einer geweihten Waffe. Hastig kramte sie den Weihwasserflakon aus der Tasche und holte aus. Ein Flammenarm schlängelte sich um ihr Handgelenk. Der andere Fangarm wickelte sich um ihren Hals und drückte erbarmungslos zu. Harriet wurde höllisch heiß. Seltsamerweise verbrannten die Flammen sie nicht. Vielmehr schienen sie nur darauf aus zu sein, Harriet in das Maul des Flammenkraken zu ziehen, um ihr dort einen furchtbaren, qualvollen Tod zu bereiten. Die blonde Polizistin wehrte sich verzweifelt, aber unaufhaltsam wurde sie in die Hofeinfahrt hineingezerrt. Mit der freien Hand entkorkte sie den Flakon. Sie bekam kaum noch Luft. Ein schreckliches Gefühl der Hilflosigkeit breitete sich in ihr aus. Harriet Plummer hatte Angst wie nie zuvor in ihrem Leben. Schwarze Schleier tanzten vor ihren Augen und wurden von orangefarbenen Lichtblitzen durchzogen. Harriet merkte, daß sie kurz davor war, das Bewußtsein zu verlieren. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen die drohende Bewußtlosigkeit an, riß immer wieder die Augen auf und versuchte, den Kopf zu schütteln. Das wurde ihr jedoch durch die Umklammerung des brennenden Fangarms erschwert. Ich will nicht sterben! rebellierte Harriet Plummer. Ich gebe nicht auf. Du kriegst mich nicht, wer oder 55 �
was immer du auch bist! Ein heftiger Ruck ging durch ihren Körper, als die Tentakel sie auf die Beine rissen, so daß sie direkt auf den infernalischen Krakenkopf blickte. Die Hitze traf ihr Gesicht wie ein Keulenschlag. Ein Ruck noch, und sie würde in dem gewaltigen Maul des Kraken landen, das sich inmitten des Flammenmeers öffnete. »Du – schaffst mich nicht!!« stieß Harriet Plummer mit ihrem letzten Atem hervor und schleuderte den Weihwasserflakon mitten in das Krakenmaul. Die Fangarme hoben die zappelnde Polizistin hoch und schoben sie auf den Krakenkopf zu. Detective Sergeant Harriet Plummer schloß in diesen Sekunden mit ihrem Leben ab. Finde dich damit ab, Harriet! Es ist aus! Hart kam Harriet Plummer auf dem Boden auf und rollte sich gekonnt über die Schulter ab. Benommen blieb sie liegen und holte tief Luft. Der Druck um ihre Brust war gewichen, sie konnte frei atmen. Die laue Nachtluft kam ihr vor wie ein Geschenk des Himmels. Verwirrt blickte sie auf. Zischend war das geweihte Wasser im Maul des Feuerkraken verpufft und hatte volle Wirkung entfaltet. In tausend kleinen Lichtkaskaden zerplatzte der Krakenschädel. Die Fangarme lösten sich auf. Den Höllenkraken gab es nicht mehr. »Thank you, Mark!« flüsterte die Engländerin. »Ich schulde dir was!« Ohne Zeit zu verlieren, kam sie auf die Beine und hastete aus der Hofeinfahrt. Sie rannte dem Bleichen hinterher. Wenn sie schnell genug war, konnte sie ihn vielleicht noch erwischen. Sie war sicher, daß der Kerl für das Erscheinen der Höllenkreatur verantwortlich war. Die blonde Polizistin hastete weiter durch die dunkle Straße und kam an einen freien Platz. Fischmarkt, stand auf einem Stra56 �
ßenschild. Sie drückte sich in einen Hauseingang und funkte Mark Hellmann an. Keine Antwort. Nicht mal statisches Knistern. Sie versuchte es erneut, doch das Ergebnis blieb gleich. Das Walkie-talkie blieb stumm. Harriet hörte Schritte in der Nacht und spähte vorsichtig zum Platz hinüber. Es wimmelte von schwarzgekleideten Gestalten mit bleichen Gesichtern. Wie Ratten krochen sie aus ihren Löchern, um sich auf dem Fischmarkt zu versammeln. Eine kleine Gruppe Satansjünger schritt an Harriet vorbei, ohne sie zu bemerken. Die Polizistin schloß sich ihnen an. Auf dem Platz entstand Gedränge. Eine breitschultrige Gestalt war auf den Sockel eines Denkmals geklettert und hob beide Arme. »Brüder und Schwestern!« hallte die Stimme des Mannes über den Platz. Die Satansjünger verstummten. »Wir sind dem Ruf unseres Meisters gefolgt und haben uns hier zusammengefunden, weil wir in dieser Nacht dieser Stadt die Macht des Meisters demonstrieren wollen! Die Menschen in Erfurt werden erkennen, daß unserem Meister bedingungsloser Gehorsam gebührt! Diese Stadt wird in Flammen ersticken und uns zu Füßen liegen! Brenne, Erfurt!« »Brenne, Erfurt!« Der vielstimmige Schrei brandete über den Platz und wurde zu einem Sprechgesang. Harriet erhielt einen Rippenstoß von einem Nebenmann, der bemerkt hatte, daß sie nicht in den Sprechgesang eingestimmt hatte. Hastig beeilte sich Harriet, die beiden Worte zu rufen. »Meine Brüder und Schwestern! Ihr wißt, was ihr zu tun habt. Was auf dem Domplatz seinen Anfang nahm, wird sich in der gesamten Stadt fortsetzen. Der Meister wird euer Werk loben!« Die Stimme des breitschultrigen Redners kam Harriet bekannt vor. Irgendwoher kenne ich diese Stimme, grübelte sie. Und der Kerl da vorn ist mir auch schon begegnet! Aber wo? 57 �
»Geht nun hin, Brüder und Schwestern, und führt aus, was der Meister befohlen hat. Zeigt dieser Stadt die Macht der Hölle! Laßt sie zittern vor Angst!« Ben Mason! Harriet Plummer bekam beinahe einen Anfall. Der Mann beim Denkmal war – Ben Mason, der Satanspriester aus London! Aber hier waren zu viele Satansjünger versammelt. Harriet würde nicht mal in die Nähe des Mannes kommen, ohne in die Hände der bleichgesichtigen Brandstifter zu geraten. »Diese Stadt soll die Angst spüren, wie jene Frau, die vor kurzem erst Angst verspürte, bevor sie zu uns stieß! Sie, die dem Zorn des Meisters entging, wagte sich in unsere Mitte, Brüder und Schwestern! Auch sie soll den eiskalten Hauch der Furcht fühlen, bevor das Höllenfeuer sie verschlingt!« Die Worte des Teufelspriesters riefen wütendes Gemurmel und Raunen hervor. Der Mann, den die Engländerin als Ben Mason identifiziert hatte, hob beide Arme, streckte einen davon aus und deutete in die Menge. »Zeigt dieser Frau, Brüder und Schwestern, was es heißt, Angst zu verspüren! Zeigt ihr, was Todesangst ist!« Die Satansjünger starrten sich gegenseitig an und traten zurück. Die Menge teilte sich und bildete eine Gasse. Die ausgestreckte Hand des Satanspriesters deutete auf das Ende der Gasse, an deren Ende eine blonde Frau stand. Harriet Plummer! Die Polizistin schaute in die Runde und sah nur haßerfüllte Fratzen. Wie, zum Teufel, haben die mich erkannt? fragte sie sich. Ihre Hand zuckte zum Pistolengriff. Harriet Plummer richtete die Waffe auf den breitschultrigen Mann, der immer noch auf sie zeigte. »Scotland Yard!« rief sie. »Ben Mason, Sie sind verhaftet!« Ben Mason warf den Kopf zurück. Sein höhnisches Lachen erfüllte die Nacht. Im selben Moment schloß sich die Gasse, und 58 �
Sergeant Harriet Plummer ging in der Menge der Satansjünger unter… * Ich schaffte es nicht mehr! Aus den brennenden Jonglierstäben zuckten Feuerschlangen in die Menge der Zuschauer. Kleidung fing Feuer. Menschen schrien gequält und schmerzerfüllt auf. Panik drohte auszubrechen. Beherzte Zuschauer rissen die lodernden Opfer zu Boden und bemühten sich, die Flammen zu ersticken. Mit einem wuchtigen Karatetritt fegte ich den teuflischen Feuerschlucker von den Beinen. Sofort sprang er wieder hoch und griff mich an. Ich steppte zur Seite. Die Jonglierstäbe schossen ins Leere. Der Blaßkopf fuhr herum, da hatten sich die beiden Stäbe bereits selbständig gemacht. Mein Karatetritt hatte sie dem Feuerschlucker aus den Händen geprellt. Sein Blick fiel auf seine leeren Hände. Ich rammte ihm meinen Fuß gegen den Brustkorb. Bleichgesicht verdrehte die Augen und sank zu Boden. Sein Mund klappte auf, sein Kopf lag unnatürlich schief. Ich bemerkte den Rauch, der aus Ohren und Mund quoll, konnte jedoch nichts mehr für den Bleichen tun. Mit dem Arm schirmte ich mein Gesicht ab, als der lebende Molotowcocktail explodierte und den Platz in eine Flammenhölle verwandelte. Die Zuschauer waren glücklicherweise zurückgetreten, so daß die Flammen nicht auf sie übergreifen konnten. Ich lief zu den Verletzten, die zuvor von den magischen Feuerschlangen getroffen worden waren. »Halten Sie sich, von Leuten fern, die geschminkt sind wie er!« rief ich und deutete auf das, was von dem dämonischen Brandstifter übrig war. »Weitersa59 �
gen!« Über Handy alarmierte ich Polizei und Rettungskräfte. Dann funkte ich Pit an. »Hier bricht gleich eine Massenpanik aus!« schrie die Stimme des Hauptkommissars aus dem Funkgerät. »Ich hab einen der Kerle erwischt, aber er hat hier ein Lokal in Brand gesteckt!« Ich hob den Kopf und sah auf der anderen Seite des Platzes Flammen aus einem Fenster schlagen. »Bleib, wo du bist! Ich komm zu dir rüber!« rief ich und sprintete quer über den Domplatz. Menschen hasteten durcheinander. Frauen kauerten weinend auf dem Boden. Pit versuchte, zwei von ihnen zu beruhigen. Der Brandanschlag hatte ein Bistro getroffen. »Wie viele Tote?« fragte ich kurz. »Keine. Dafür haben wir jede Menge Verletzte und Leute, die unter Schock stehen.« »Informiere die Zentrale, Pit. Ich habe das Gefühl, daß die Feuerwehr in dieser Nacht in Erfurt nicht zur Ruhe kommt.« »Wir müssen die Leute hier vom Platz schaffen«, erklärte Pit, als er seine Meldung beendet hatte. »Diese Verrückten können jederzeit wieder zuschlagen!« »Aber auch überall«, gab ich zu bedenken. »Wenn wir den Platz räumen, fackeln sie eben einen anderen Teil der Stadt ab. Solange wir ihren Anführer nicht gefunden haben, droht der Stadt die Vernichtung durch das Höllenfeuer!« »Du machst mir vielleicht Spaß! Und wo sollen wir deiner Meinung nach diesen Feuerteufel suchen?« »Kein Kommentar!« Wir begannen damit, die Leute aufzufordern, den Domplatz und die umliegenden Restaurants und Cafes zu verlassen. »Die Mühe könnt ihr euch sparen!« rief jemand hinter uns. Wir drehten uns um und standen einer Gruppe bleichgesichtiger Satansjünger gegenüber. Das Feuer aus dem Bistro warf einen 60 �
zuckenden Schein über ihre Gesichter und verzerrte sie. Deutlich hoben sich die schwarzen, umgedrehten Kruzifixe von der Stirn ab. Pit Langenbach riß die Pistole heraus und richtete sie auf den Sprecher. »Kriminalpolizei! Sie sind festgenommen!« Der Hauptkommissar näherte sich den Teufelsjüngern. Mühsam bahnte sich ein Löschzug der Berufsfeuerwehr einen Weg durch die umherhastenden Menschen. Der Bleiche, der uns angesprochen hatte, lächelte nur und drehte den Kopf. Mit unbewegten Gesichtern beobachtete die Gruppe, wie das Löschfahrzeug im Schrittempo her anrollte. Der Bleiche hob die Hand. Seine Begleiter taten es ihm nach. Gemeinsam deuteten sie auf das Einsatzfahrzeug. »Zeigt ihnen, wie schwach und hilfslos sie sind!« rief der Blaßkopf. »Pit! Der Löschzug!« brüllte ich und flog auf die Satansjünger zu. Mein Körper prallte gegen die Schwarzgekleideten und riß einige von ihnen um. Das Wort Rücksicht kannte ich jetzt nicht mehr. Hier ging es um Menschenleben, und für diese Besessenen zählte das Leben unschuldiger Menschen überhaupt nichts. Mein Tritt traf einen Blaßkopf am Knie. Der Mann schrie vor Schmerz und ging zu Boden. Ich ließ meine Fäuste kreisen, schickte Männer und Frauen von den Füßen. Eine Frau sprang in meinen Rücken und krallte sich in meinem Haar fest. Eine zweite sprang mich von vorn an. Ich konnte den Wortführer der Gruppe nicht mehr erreichen. Die beiden bleichen Weibsbilder benahmen sich wie die Furien, fauchten, kratzen und hieben auf mich ein. Unterdessen zeigte sich der Sprecher der Satansjünger überhaupt nicht beeindruckt. Er tat genau das, was er sich vorgenommen hatte. Er murmelte eine Beschwörungsformel, die mit dem Ruf »Brenne, Erfurt!« endete. Kaum war der Ruf verklun61 �
gen, als eine Feuersäule unter dem Löschzug emporschoß und das Fahrzeug einhüllte. Eine gewaltige Detonation erschütterte den Domplatz. Das Chaos war perfekt. Lebende Fackeln rannten umher. Brennende Autoteile sausten wie Feuerbomben durch die Luft zu hören. Es bedurfte nur noch einer und krachten zwischen die Gäste vor den kleinen Anstrengung, und dieser Blaßumliegenden Lokalen und in die Schaufenster und Eingänge. Ich wurde von Pit Langenbach getrennt. Die beiden hysterischen Weiber hingen an mir wie die Kletten. Ein großer, bleichgesichtiger Kerl wuchs vor mir aus dem Boden und hämmerte mit seiner Faust auf mich ein. Ich hatte endgültig genug. Meine Anspannung entlud sich in einem heiseren Schrei. Ich wirbelte um die eigene Achse und ließ mich gegen den großen Blaßkopf fallen. Die weiblichen Teufelsjünger kreischten. Eine verlor ihren Halt an meinem Körper. Die andere packte ich bei den Haaren, zog sie ruckartig von mir weg und schaltete sie mit einem gezielten Handkantenschlag aus. Dann räumte ich unter den übrigen Satansjüngern auf. Ich war ständig in Bewegung und teilte nach allen Seiten Schläge aus. Der Bleiche, der den Löschzug in Luft gejagt hatte, wollte mir ebenfalls einen feurigen Gruß zukommen lassen, hatte aber Pech. Wie der Blitz war ich bei ihm, versetzte ihm ein paar handfeste Maulschellen und brach ihm mit einer raschen Drehung die Hand. Der Kerl gab ein schrilles Fauchen von sich und spuckte Gift und Galle. Ich packte ihn mit beiden Fäusten und stemmte ihn hoch über meinen Kopf. »Wo – finde ich – deinen Meister?«, fragte ich stockend. In diesem Moment, im Angesicht der schrecklichen Szenen, die sich in meiner Nähe abspielten, stand ich kurz vor einer Explosion. Mit einem Mal trat alles um mich herum zurück. Ich sah nur noch die hell lodernden Flammen vor mir und den zappelnden, schreienden Satansjünger über mir. Es war, als hätten wir uns 62 �
von dem übrigen Chaos losgelöst. Selbst die Geräusche der prasselnden Flammen und schreienden Menschen waren kaum noch zu hören. Es bedurfte nur noch einer kleinen Anstrengung, und dieser Blaßkopf würde niemanden mehr töten. »Mark!« Die Stimme war plötzlich da. Laut, hallend, glockenhell. Ich erinnerte mich an das kleine Mädchen, das mir schon mal begegnet war, als ich das Gift eines dämonischen Skorpions im Körper gehabt hatte und beinahe daran zugrunde gegangen wäre. Dieses Mädchen war meine Schwester, an deren Namen ich mich nicht erinnern konnte. Mir war schleierhaft, warum sie ausgerechnet jetzt nach mir rief. Sie, die längst im Reich der Toten weilte. »Mark! Bruderherz! Du darfst es nicht tun!« rief sie eindringlich. »Er hat den Tod verdient! Siehst du nicht, wieviel Leid er unter die Menschen gebracht hat? Ich schicke ihn in die Hölle, wo er hingehört!« begehrte ich auf. »Mark, du bist der Träger des Rings! Du bist dazu auserwählt, Unheil und Leid abzuwenden. Es liegt nicht an dir, zu richten!« »Wieso erinnerst du mich gerade jetzt daran, Schwesterchen? Warum setzt du dich für diesen Abschaum ein?« brüllte ich. »Du warst immer ein gerechter Mensch, Mark. Schon als Kind ging dir Gerechtigkeit und Menschlichkeit über alles. Hast du das wirklich vergessen?« »Er verdient keine Menschlichkeit!« »Er ist ein Mensch! Er ist zwar schwach und ein Sklave böser Mächte, doch er ist ein Mensch! Du darfst ihn nicht richten, Mark! Schone sein Leben!« Sie hatte recht. Die Worte meiner Schwester, die aus dem Nichts erklungen waren, öffneten mir die Augen. Und sie machten mir deutlich, daß ich im Begriff war, mich mit den mordlüsternen Satansjüngern auf eine Stufe zu stellen. Aber ich war der Träger des Rings! »Ich werde ihn 63 �
verschonen, Schwester! Auch wenn es mir verdammt schwer fällt!« »Ich wußte es, Bruder! Und ich danke dir. Du kannst nicht über deinen Schatten springen, Mark! Vergiß nie, daß du auserwählt bist! Denk an deine Aufgabe. Und denke daran, daß meine Liebe dich immer begleiten und dir immer Kraft geben wird…« Ihre glockenhelle Stimme verklang im Nichts. »Warte! Es gibt so vieles…« Ich sprach nicht weiter. Die grauenhaften Geräusche kehrten zurück und erfüllten die Luft. Ich hörte den Satansjünger kreischen und spürte seine zappelnden Bewegungen. Welch ein Narr war ich gewesen! Um ein Haar wäre ich zum Mörder geworden! Aber der Satansjünger sollte nicht so leicht davonkommen. »Gib mir endlich eine Antwort!« schrie ich. »Wo ist dein Meister?« Der Bleiche schwieg beharrlich. Hinter mir hörte ich Peter Langenbachs Schrei. »Mark! Sie wollen mich…« Seine Stimme brach ab. Ich ließ den Satansjünger fallen und nahm ihm mit einem Kinnhaken jegliches Interesse an dem Durcheinander auf dem Domplatz. Als ich mich nach Pit umschaute, stockte mir der Atem. Eine aufgebrachte Menschenmenge hielt Hauptkommissar Peter Langenbach gepackt und schob ihn auf den Eingang eines brennenden Lokals zu. »Du sollst sehen, was wir mit Brandstiftern wie dir machen! Dir wird gleich ganz schön heiß unter dem Hintern!« schrie ein Mann. Sie wollten Pit Langenbach lynchen! * Ich konnte die Erregung und Verbitterung dieser Menschen ver64 �
stehen. Sie sahen das Inferno ringsum und hatten erkannt, daß Leute mit bleichen Gesichtern und umgedrehten Kreuzen auf der Stirn daran die Schuld trugen. Und Peter Langenbach hatte nun mal ein bleiches Gesicht und trug das Kreuz auf der Stirn! Was lag also näher, als Pit zum Sündenbock abzustempeln? Der Hauptkommissar stemmte sich verzweifelt gegen den harten Griff des Mobs, kam jedoch nicht dagegen an. Schläge prasselten auf ihn nieder, während er zu dem lodernden Eingang geschleppt wurde. Kurz entschlossen ergriff ich einen Bistrostuhl und benutze ihn als Keule und Rammbock. Meine Hiebe krachten der wütenden Meute in den Rücken und in die Seite, stießen sie auseinander und schafften mir so die Möglichkeit, Pit zu erreichen. »So, Leute, ihr habt euren Spaß gehabt!« rief ich und ließ den nächstbesten Mann in die Mündung meiner SIG Sauer blicken. »Und jetzt verschwindet ihr besser von hier!« Unbeweglich standen sie vor mir und starrten mich an. »Schwingt eure Ärsche hier weg, verdammt noch mal!« brüllte ich. Das wirkte. Pit kam frei, und die Meute zerstreute sich zusehends. »Danke, Mark! Ich hab' mich schon im Feuer brutzeln sehen.« Pit Langenbach stützte sich auf mich. »Diesmal hätten sie es fast geschafft, was?« »Fast. Haben sie aber nicht«, gab ich zurück. »Herr Hauptkommissar?« Ein Uniformierter mit Stahlhelm, Schlagstock und Plexiglasschild tauchte neben uns auf. »Kommissar Dobler, SEK Erfurt«, stellte er sich vor. »Wir sind uns mal vor einiger Zeit begegnet. Sind Sie verletzt?« Pit schüttelte den Kopf. »Wie sieht es in der Stadt aus?« »Es kommen laufend Meldungen über Brände aus allen Teilen der Stadt. Die Zahl der Toten ist verhältnismäßig gering, doch wir haben jede Menge Verletzte. Die Rettungskräfte sind pau65 �
senlos im Einsatz.« »Ich möchte bloß wissen, was diese Verrückten mit den Anschlägen bezwecken«, meinte Pit. »Bürger der Stadt Erfurt!« schallte eine durchdringende Stimme über den Platz. »Von heute nacht an wird eure Stadt nie mehr so sein wie bisher! Erfurt wird mir gehören. Und auch ihr werdet nur noch einem Herrn gehorchen, nämlich mir!« »Ich denke, damit hast du eine Antwort auf deine Frage«, raunte ich Pit zu und schaute mich suchend um. Oben auf der Freitreppe, die zum Dom St. Marien führte, sah ich ihn dann. Umringt von einer Schar bleichgesichtiger Gestalten stand er hoch aufgerichtet da – der unheimliche Mönch, von dem Harriet Plummer erzählt hatte! Und er sah genauso aus, wie ihn Harriet beschrieben hatte. Die dunkelbraune, abgetragenen Kutte, der speckige Lederbeutel, die von einer hellen Kordel gehalten wurde, und die Kapuze, die das Gesicht des Mönchs verbarg. Aber auch ich kannte den unheimlichen Mönch. Er war mir im Traum erschienen und hatte Tessa Hayden in Brand gesetzt! »Hört mich an, elende Menschenwürmer! In diesem Moment habt ihr eure Stadt verloren! Sie gehört jetzt mir!« Seine Stimme war so durchdringend, daß die Menschen auf dem Domplatz verharrten und ängstlich zum Dom hinaufschauten. Ich gab Pit ein Zeichen und eilte zum Fuß der Treppe. »Ich allein werde euer Meister sein! Ich allein werde die Stadt beherrschen. Aber Erfurt wird erst der Beginn sein! Ich werde meine Macht ausweiten, und niemand wird mich aufhalten! Niemand!« »Bist du da so sicher, Mönch?« rief ich. »Ah, der blonde Jüngling, dem es gelungen ist, meiner Macht zu entgehen!« Der Mönch, dessen Gestalt im zuckenden Feuerschein noch unheimlicher und drohender wirkte, wandte sich zu 66 �
mir um. »Du bist also der Träger des Rings, jener gefürchtete Mann, dessen Namen manche nur zu flüstern wagen. Auf mich wirkst du nicht anders als diese armseligen Kreaturen, die hier vor mir zittern!« »Immerhin konnte mir dein Höllenfeuer nichts anhaben, Mönch!« »Das wird sich bald ändern! Auch du kannst die alles verzehrenden Flammen der Hölle nicht aufhalten, Hellmann!« »Was hast du schon bewiesen, Mönch? Du hast ein paar Häuser abgefackelt und viele Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Wenn das deine vielgerühmte Macht ist, beeindruckt sie mich wenig.« »Du Elender!« brüllte der Mönch. »Wie kannst du es wagen, meine Macht anzuzweifeln? Wie kannst du es wagen, mich vor all diesen Würmern so herabwürdigend zu behandeln? Du sollst spüren, was ich in meinem Zorn zu tun vermag!« »Danke, kein Interesse«, gab ich zurück, riß die Pistole hoch und feuerte. Der Spuk ging mir zu weit. Es war schon zuviel geschehen. Jetzt war Schluß! Die Kugeln fetzten in den hageren Körper des Mönchs, schüttelten ihn durch, warfen ihn gegen die Satansjünger. Die bleichgesichtigen Teufelsanbeter stützten den Mönch und verhinderten, daß er fiel. Das Unglaubliche geschah. Die Silberkugeln hatten den dämonischen Ordensbruder zwar voll getroffen, doch sie vernichteten ihn nicht! »Verdammt, wieso zerfällt der Kerl nicht zu Staub?« fluchte Pit Langenbach. »Frag mich was Leichteres, Alter.« Das heisere Lachen des Dämonenmönchs war zunächst nur ein Kichern, dann wurde es lauter und hallte über den Platz. »Du glaubst doch wohl nicht, mir mit deinem lächerlichen Spielzeug 67 �
beikommen zu können, Hellmann! Wenn das alles ist, was dir einfällt, kannst du gleich deine Sachen packen und dich in irgendeinem Winkel der Stadt verkriechen. Auch die Menschen in jener Stadt auf der Insel mußten erkennen, daß sie nichts gegen mich unternehmen können!« England! Er sprach von London! Wieso erwähnte er jetzt gerade die Themsestadt? Und wo, verdammt noch mal, steckte Harriet? »Du vermißt das kleine Weibsbild von der Insel, nicht wahr?« Die Stimme des Mönchs triefte vor Hohn. »Nun, sie dürfte bereits meinen Dienern Gesellschaft leisten. Die Frau hat Mut. Das hat sie schon in ihrer Heimat gezeigt. Wir werden sehen, wieviel sie vertragen kann, bevor sie um Gnade fleht.« »Was willst du, Mönch? Wieso bringst du soviel Unheil über diese Stadt?« »Diese Stadt gehört schon lange mir. Sie wußte es nur hoch nicht. Schon vor vielen Jahren zitterten die Menschen dieser Stadt vor mir. Und auch heute wird es wieder so sein. Mein Zorn wird sie in Atem halten und ihnen den Schlaf rauben. Mit Mephistos Hilfe werde ich diese Stadt zu einem Stützpfeiler der Hölle machen, zu einer uneinnehmbaren Bastion. Von hier aus wird die Hölle ihren Siegeszug antreten. Und auch du wirst hilflos dabei zusehen müssen, Träger des Rings!« Er bohrte mit seinen langen, spindeldürren Fingern in den Einschußlöchern herum, bis er gefunden hatte, was er suchte. »Nimm denn die Beweise deiner erbärmlichen Kraft wieder zurück, Hellmann! Sie stören mich nur!« rief er und warf die silbernen Geschosse nach unten. Wie kleine Granaten detonierten die Silberkugeln, als sie um uns herum auf den Boden und gegen die Kirchenmauer prallten. Wir kauerten uns hinter einen Steinsockel, um den Wurfgeschossen zu entgehen. 68 �
Der Mönch schob seine Hand in den Lederbeutel und holte ein glitzerndes, grobkörniges Pulver hervor. »Noch werde ich nicht das Heiligste dieser Stadt zerstören. Doch alle Menschenwürmer, die sich auf diesem Platz befinden, werden bald von den Flammen der Hölle verschlungen! Sie alle wollten sich gegen mich stellen. Ihr Tod wird den Bewohnern dieser Stadt zeigen, was es heißt, meinen Willen zu mißachten!« Er hob die Hand und richtete sie über die Brüstung der Treppe auf die schreckerstarrte Zuschauermenge. »Brenne, Erfurt!« stimmte er an, und die Blaßköpfe an seiner Seite wiederholten lauthals den Ruf ihres Meisters. »Nein! Das lasse ich nicht zu!« schrie ich, rannte die Stufen hoch und zog den armenischen Silberdolch. »Stirb, Mönch!« Im Laufen schleuderte ich den Dolch. Die silberne Klinge blinkte matt und flirrte durch die Luft. Der Dolch fand sein Ziel, doch nicht das, worauf ich gezielt hatte. Mit einem dumpfen Geräusch fuhr er in die Brust eines Satansjüngers, der sich schützend vor den Mönch geworfen hatte. Fassungslos beobachtete ich, wie der Bleiche leblos zusammenbrach. Achtlos schob ihn der Mönch mit dem Fuß zu Seite und wandte sich wieder den Menschen auf dem Platz zu. Im nächsten Augenblick stieß der Dämonenmönch ein unmenschliches Brüllen aus! Der Schrei ging im ersten Ton einer Glocke unter. Es war ein reiner, heller Klang, der vom mittleren Glockenturm des Doms ertönte. Das Geläute erfüllte mit seiner reinigenden Kraft die Nacht, war weithin hörbar und schien bis ins Innerste der Menschen vorzudringen. Der Dämonenmönch ließ das Pulver zu Boden schweben, hielt sich die Ohren zu und wand sich vor Schmerzen. Ähnlich erging es den Satansjüngern. Sie brachen in die Knie und bäumten sich auf, als würde sie ein unerträglicher Schmerz durchzucken. Es war die berühmte Mater Gloriosa, eine der größten Kirchen69 �
glocken der Welt, die ihren reinen Klang verbreitete und die Menschen mit Kraft erfüllte. Der Dämonenmönch tobte wie ein Berserker. Er stieß seine Fäuste drohend dem Glockenturm entgegen. »Dieses eine Mal noch wirst du läuten! Deine Vernichtung steht bevor!« schrie er, wobei seine Stimme kaum zu hören war. »Ich werde – wiederkommen – und diese – Stadt – Aaaah!!« Ein gräßlicher Schrei beendete seinen Satz. Die Umrisse des dämonischen Ordensmannes zerfaserten, wurden durchscheinend. Ich hetzte die Freitreppe hinauf, doch ich kam zu spät. Der Mönch löste sich in Luft auf und war verschwunden, bevor ich den letzten Treppenabsatz erreicht hatte. Bedrückt zog ich den Silberdolch aus der Brust des toten Satansjüngers. Sein Tod war so sinnlos gewesen. * Dunkelheit umgab sie. Die einsame Fackel an der Wand war erloschen. Irgendwo kratzte etwas über den Boden. Ratten? Lieber Gott, bitte laß es keine Ratten sein! Die Viecher waren einfach ekelhaft. Der Eisenring um Handgelenk und Hals schmerzte. Sie hatte peinlich darauf geachtet, sich nicht die Haut aufzuscheuern, doch an einigen Stellen hatte sie es nicht verhindern können. Tessa Hayden kauerte auf dem kalten Boden und wagte nicht, sich übermäßig zu bewegen. Allmählich wurden ihre Glieder steif. Bald würde sie Krämpfe bekommen. Sie hörte Schritte. Dumpfe, hallende Schritte, die sich langsam näherten. Hoffnung keimte in Tessa auf, doch bald verwarf sie den Gedanken an Hilfe wieder. Wer konnte wissen, wo sie gefangengehalten wurde? Nicht mal Mark hatte eine Ahnung, wo sie sich befand. 70 �
Die Tür öffnete sich. Geblendet schloß Tessa die Augen. Schritte und ein dumpfer Aufprall waren zu hören, dann rammte die Tür wieder zu. Schritte entfernten sich. Stille. Tessa schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie befand sich in einer ausweglosen Situation. Nichts und niemand konnte ihr helfen. Als Fahnderin gab sie zwar nicht so schnell auf, selbst wenn es hart auf hart kam. Aber diesmal war sie mit ihrem Latein am Ende. Die bleichgesichtigen Satansjünger waren in der Überzahl, und gegen den unheimlichen Mönch hatte sie von vornherein keine Chance. Seufzend lehnte sie sich zurück und dachte an Mark. Sie dachte an die Abenteuer, die sie gemeinsam bestanden hatten. Sie dachte daran, daß ihm bis jetzt noch jedesmal eine Lösung eingefallen war, wenn sie sich in einer dämonischen Falle befunden hatten. Doch diesmal war es anders. Mark war weit weg. Zu weit, um ihr helfen zu können. »Hallo? Ist da jemand?« fragte eine leise Stimme. Tessa kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Sie wagte kaum zu atmen. Krieg ich jetzt vielleicht auch noch Besuch von Gespenstern? fragte sie sich. »Hallo! Antworten Sie bitte. Wer sind Sie?« Das war keine Geisterstimme. Das klang nach einer verwirrten, ängstlichen Frau! »Ich bin hier drüben. Sie haben mich an die Wand gekettet«, antwortete Tessa Hayden mit rauher Stimme. Etwas schabte über den Steinboden und berührte Tessas Knöchel. Mit einem leisen Schrei wich sie ganz an die Wand zurück und kauerte sich nieder. Wieder erklang das schabende Geräusch, dann fühlte sie eine Hand, die an ihrem Körper entlangtastete und Tessas Hand berührte. Jemand ließ sich neben der Fahnderin nieder. »Ich heiße Harriet Plummer und bin von der Polizei«, sagte die 71 �
Stimme. »Ihrem Namen nach aber nicht von der hiesigen«, meinte Tessa. »Scotland Yard. Ich bin Engländerin und soll die örtliche Polizei unterstützen.« »Na prima. So wird das mit der Unterstützung aber nichts, Kollegin. Tessa Hayden, Kripo Weimar.« Sie drückten einander die Hand. Harriet tastete Tessa ab, zog ein Taschentuch hervor und riß es in zwei Hälften. »Hier, klemm dir das unter die Fesseln. Damit schonst du die Haut ein wenig.« Das Du kam automatisch und schien selbstverständlich. »Danke. Sag mal, woher sprichst du eigentlich so gut Deutsch? Lernt man das beim Yard?« »Meine Mutter ist Deutsche. Ich bin in Bremen geboren«, erklärte Harriet. Sie schwiegen. Nur ihre Atemzüge durchbrachen die Stille. »Kennst du Pit Langenbach?« fragte Harriet nach einer Weile. »Wie kommst du denn darauf?« »Du bist doch in Weimar bei der Kripo. Ich dachte, du hättest schon von ihm gehört.« »Kannst du laut sagen. Er ist mein Chef. Wieso fragst du?« »Wir waren zusammen hinter den Teufelsanbetern her. Wenn ich das Weihwasser nicht gehabt hätte, wäre ich jetzt nur noch ein Häufchen Asche. Sie haben mir eine Falle gestellt und wollten mich verbrennen.« Tessa Hayden glaubte, sich verhört zu haben. »Weihwasser? Wie kommst du denn dazu?« fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. »Mark hat darauf bestanden, daß ich Weihwasser und eine Pistole mit Silberkugeln einstecke. Die haben sie mir allerdings abgenommen.« Also war doch noch nicht alles verloren! Mark und der Haupt72 �
kommissar standen bestimmt mit Harriet in Verbindung und wußten, in welcher Gegend sie sich befand. Tessa sprach die Engländerin darauf an. »Sorry«, sagte Harriet Plummer. »Das Walkie-talkie funktionierte nicht. Ich bin den Brandstiftern auf eigene Faust zum Fischmarkt gefolgt. Mark und Pit haben keine Ahnung, was mir zugestoßen ist.« Tessa verspürte ein unangenehmes Stechen in der Magengrube. Die Enttäuschung war groß. Tränen schimmerten in ihren Augen. Lange sagten sie nichts. Harriet hatte sich an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen. »Was dieser Mönch wohl vorhat?« fragte sie in die Stille hinein. »Mit seinem Flammenterror muß er irgendwas bezwecken. Wenn man ihn nicht bald unschädlich macht, kann er ganz Erfurt in Schutt und Asche legen.« »Man wird ihn nicht schnappen«, gab Tessa ruhig zurück. »Wieso?« »Weil er mit der Hölle im Bunde steht. Er hat die Kraft des Bösen. Glaub mir, Harriet, wenn Mark es bisher nicht geschafft hat, den Kerl zu erledigen, wird es niemandem gelingen.« »Du scheinst dich in diesen Dingen gut auszukennen«, meinte Harriet Plummer. »Gut genug, um zu wissen, wovon ich rede. Mark Hellmann ist der einzige, der etwas gegen diesen Teufelsmönch unternehmen kann.« Quälend langsam kroch die Zeit dahin. Irgendwann polterten Schritte heran, die Tür wurde aufgestoßen und eine Fackel entzündet. »He, geht das nicht ein bißchen rücksichtsvoller?« maulte Tessa und kniff die Augen zusammen. »Klappe, Schätzchen!« brummte der Satansjünger. Vor ihnen flirrte die Luft. Umrisse begannen sich abzuzeichnen. Wenig später stand der Dämonenmönch vor ihnen. Kaum hatte er sich materialisiert, knickte er in den Knien ein und sank 73 �
zu Boden. Der breitschultrige, stämmige Satanspriester stürzte zur Tür herein und half dem Mönch hoch. »Die Glocke!« hauchte der Mönch. »Die verdammte Glocke bereitet mir Schmerzen. Dazu noch die Schußwunden. Hilf mir an die Wand!« Der Satanspriester lehnte den Mönch in einer Ecke gegen die Wand und brachte ihm etwas zu trinken. Mit rasselndem Atem sammelte der Mönch seine Kräfte. »Hast dir an Mark wohl deine faulen Zähne ausgebissen, was?« fragte Tessa Hayden höhnisch. »Das letzte Mal, als ich Mark Hellmann sah, war er drauf und dran, vom Höllenfeuer verzehrt zu werden. Wenn nur die verdammte Glocke nicht gewesen wäre!« »Wenn du Mark auch nur ein Haar gekrümmt hast, Mönch, sorge ich dafür, daß du in deinem eigenen Feuer schmorst!« zischte Tessa. Der unheimliche Mönch lachte heiser und stemmte sich mit Hilfe des Satanspriesters hoch. »Du machst mir Spaß, mein Täubchen! So was wie du fehlt mir noch in meiner Sammlung. Die Frauen, die ich bisher hatte, waren wie fromme Lämmer. So zahm, so willenlos. Du bist anders, Täubchen. Du bist widerspenstig und voller Kampfgeist! Es wird mir Vergnügen bereiten, deinen Willen zu brechen!« Der Satanspriester führte seinen Meister zu den beiden Frauen. Der Mönch flüsterte dem stämmigen Mann etwas ins Ohr. »Aber Meister!« rief der Priester. »Ich will nicht allein hierbleiben! Laß mich mitkommen!« Der Mönch legte Ben Mason die knochige Hand auf die Schulter. »Glaube mir, ich brauche dich hier. Du sollst alles für meine Rückkehr vorbereiten. Ich will mich zuerst um diesen Hellmann kümmern, dann werde ich die Stadt unterjochen. Du weißt, was zu tun ist!« 74 �
Ben Mason senkte den Kopf. »Sehr wohl, Meister. Wie du befiehlst, so soll es geschehen!« sagte er demütig. »Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann«, lobte der Mönch. Er wandte sich den beiden Frauen zu. »Wir werden eine kleine Reise unternehmen, meine Täubchen. Seid ihr bereit, mich zu begleiten?« »Du kannst mir den Buckel runterrutschen, Mönch. Ich bleibe schön hier und rühre mich nicht vom Fleck, bis Mark…« »Du wirst keine andere Wahl haben, Täubchen. Du wirst mit mir kommen!« »Versuch mal, mich zu zwingen, Kuttenmann!« Tessa spannte ihre Muskeln und ballte ihre Fäuste. Der Mönch schloß die Augen, breitete die Arme wie zum Segen über den Frauen aus und murmelte unverständliche Worte. Der Raum um Tessa zerfaserte. Die Luft flimmerte. Die umstehenden Gestalten rückten in den Hintergrund und waren nur noch undeutlich zu erkennen. Tessa starrte den Mönch an, dessen Gestalt durchscheinend wurde. Sie schaute zu Harriet und bemerkte an ihr das gleiche Phänomen. Plötzlich dämmerte Tessa, was mit ihnen geschah. »Nein! Ich will nicht! Ich werde auf keinen Fall mit dir kommen.« Sie klammerte sich an die Kette und den Eisenring fest. Vor ihr tat sich ein bodenloser, dunkler Abgrund auf. Die Luft begann zu brausen und nahm einen violetten Schimmer an. »Ich will hierbleiben! Hörst du, ich will nicht mitkommen! Ich – will – niicchhtt…!« Das letzte Wort wurde zu einem verhallenden Schrei, als Tessa Hayden kopfüber in den schwarzen Schacht stürzte. Sie fror, als sie zu sich kam. Kalte, feuchte Steinwände umgaben sie. Rostige Eisenringe umschlossen ihre Handgelenke. Sie schaute sich um und sah Harriet Plummer, die ebenfalls an eine Wand gekettet worden war. In einer Ecke des Raums bemerkte 75 �
Tessa flackernden Lichtschein. Ein Becken mit glühenden Kohlen stand in der Ecke. Flammen schlugen von den Kohlen hoch. Knarrend öffnete sich eine schwere Tür. Ein Mönch und ein muskelbepackter Kapuzenträger traten ein. Der Ordensmann blieb vor Tessa stehen, während der Kapuzenmann zum Kohlebecken ging und eine Eisenzange in die Glut stieß. Ein häßliches Grinsen lag auf dem Gesicht des Mönchs. Er strich sich sanft über sein Ziegenbärtchen. »Nun, meine Liebe? Wie gefällt es dir hier?« »Wo bin ich hier?« »An einem Ort, wo man dir Gefügigkeit beibringen wird. Später werden wir dann unseren Spaß miteinander haben, mein Täubchen!« Der Kapuzenträger kam herbeigewatschelt und zog die Maske vom Kopf. Sein Gesicht war an Häßlichkeit kaum zu überbieten. Wahnsinn und teuflische Vorfreude spiegelten sich in seiner Fratze. Der Folterknecht grinste Tessa an und schob seine schleimige Zunge zwischen den fauligen Zähnen hervor, bevor er seine Kapuze wieder über den Kopf zog. »Beginne!« kam der herrische Befehl des Mönchs. Die Pranken des Folterknechts rissen Tessa Haydens T-Shirt entzwei. In Fetzen hing es ihr vom Körper. Mit schreckgeweiteten Augen schaute sie zu, wie der Folterknecht zum Kohlebecken trat und die glühende Eisenzange heraushob. Als sich die weißglühende Zange der Fahnderin näherte, erfüllten Tessas gellende Schreie den Folterkeller… * »Ich muß Ihnen wohl nicht erst sagen, was Sie durch Ihr eigenmächtiges Handeln angerichtet haben, meine Herren!« Staatsanwalt Benjamin Meinhardt lehnte seine massige, breitschultrige � 76 �
Gestalt im Sessel zurück. Der kantige Schädel war in ständiger Bewegung. Die grauen Augen musterten uns kalt. »Ich habe hier erste Berichte der Feuerwehr und des Brandschutzinspektors vorliegen«, fuhr der Staatsanwalt fort. »In mehreren Stadteilen hat es letzte Nacht gebrannt. Die Feuerwehr war ununterbrochen im Einsatz. Das genaue Ausmaß der Schäden ist noch nicht abzusehen. Meine Herren, durch Ihre eigenwillige Aktion wäre beinahe ganz Erfurt ein Raub der Flammen geworden! Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?« Die mächtige Faust des Staatsanwalts hämmerte auf den Tisch, daß die Kaffeetassen schepperten. Wir saßen im Konferenzzimmer des Erfurter Polizeipräsidiums. Polizeirat Weniger hatte die Besprechung bei Tagesanbruch anberaumt. Außer den Dezernatsleitern, den Einsatzleitern der örtlichen Feuerwehren und des Sondereinsatzkommandos waren Vertreter des Katastrophenschutzes und ein Geistlicher zugegen. Pit Langenbach setzte zu einer Antwort auf die Frage des Staatsanwalts an, doch Meinhardt erstickte den Versuch im Keim. »Sagen Sie nichts, Hauptkommissar! Ich bitte Sie, sagen Sie nichts! Denn alles, was Sie jetzt als Entschuldigung vorbringen wollen, würde meinen Blutdruck in schwindelnde Höhen treiben! Sie, meine Herren, sind für die Katastrophe da draußen mit verantwortlich, ist Ihnen das klar? Ihnen haben wir mit zu ›verdanken‹, daß in Erfurt Zustände wie vor über fünfzig Jahren herrschen!« Pit schaute mich hilflos an und schloß den Mund. »Wir haben Sie hergebeten, Herr Hauptkommissar, weil Sie einen außerordentlich guten Ruf genießen. Nach dem, was Sie sich vergangene Nacht geleistet haben, dürfte Ihre Karriere einem raschen und unrühmlichen Ende zustreben!« Der Staatsanwalt war nicht zu halten. »Ich denke, es wäre besser, wenn Sie 77 �
sich nach Weimar zurückbegeben und nie mehr in Erscheinung treten! Melden Sie sich auf Ihrer Direktion doch einfach krank, oder gehen Sie in den vorzeitigen Ruhestand.« Pit platzte der Kragen. Jetzt war es an ihm, die Faust auf den Tisch zu hämmern. Mit zornrotem Gesicht sprang er auf. Sein Stuhl kippte um. »Es reicht, Meinhardt!« brüllte er. »Sie sitzen hier und bringen nur Anschuldigungen vor, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie wir dieser Gefahr gemeinsam begegnen können. Ich habe Ihre Vorwürfe satt. Mark Hellmann und ich haben Kopf und Kragen riskiert, um Erfurt vor dem Untergang zu bewahren! Aber alles, was Sie können, ist hier rumsitzen und uns als Sündenböcke abzustempeln! Hätten Sie da draußen Ihren Kopf hingehalten? Ich möchte es bezweifeln. Sie sind auch einer von diesen Sesselfurzern, die sich beugen, anstatt sich zu wehren. Hauptsache, Sie können einen Schuldigen vorweisen und stehen vor der Presse gut da!« »Was maßen Sie sich an, Langenbach?« Der Staatsanwalt kochte vor Wut. »Sie werden beleidigend. Ich werde Ihnen ein Disziplinarverfahren anhängen. Sie wagen es, mich hier vor allen Anwesenden der Feigheit zu beschuldigen. Das wird Ihnen leid tun, darauf können Sie Gift nehmen. Und was Ihren Freund, Herrn Hellmann, angeht, so werde ich dafür sorgen, daß er für alle Schäden, die er verursacht hat, haftbar gemacht wird. Wahrscheinlich warten auch diverse Klagen wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und groben Unfugs auf ihn. Von einer Anklage wegen Totschlags ganz zu schweigen. Genügt das?« Meinhardt wandte sich an den Polizeirat. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese beiden Individuen von der Besprechung und dem weiteren Verlauf der Ermittlungen ausschließen würden, Herr Weniger.« Ich hatte genug. Diese Bürokraten, die sich hinter ihren Akten vergruben, wenn es brenzlig wurde, und hinterher das große 78 �
Wort führten, hatte ich schon lange gefressen. Benjamin Meinhardt kam mir gerade recht. Ich beugte mich über den Tisch, packte Meinhardt an seinem Schlips und zog ihn zu mir heran. »Jetzt hören Sie mal gut zu, mein Freund, denn ich sage es nur einmal. Ihre Anschuldigungen sind vollkommen aus der Luft gegriffen. Sie wissen genauso gut wie jeder hier am Tisch, daß Hauptkommissar Langenbach und ich die einzigen waren, die etwas gegen den Terror der Brandstifter unternommen haben, bevor das SEK eintraf. Sie wissen, daß man Pit beinahe gelyncht hätte. Und Sie wissen, daß auch Ihre herkömmlichen Polizeimethoden nichts gegen die Brandstifter ausrichten konnten«, blaffte ich ihn an. »Bevor Sie nicht selbst in vorderster Front gegen die Brandstifter vorgegangen sind, halten Sie also besser Ihr Schandmaul und bleiben auf Ihrem fetten Hintern sitzen, bis alles vorbei ist.« Ich setzte noch einen drauf. »Und wenn ich erfahren sollte, daß Sie Ihre Drohungen gegen Herrn Langenbach und mich wahr machen, komme ich Sie persönlich im Gericht besuchen. Denn dann haben Sie mich erst richtig sauer gemacht. Und wünschen Sie sich nicht, mich zu erleben, wenn ich sauer bin! Ich denke, wir haben uns verstanden – mein Freund!« Ich ließ die Krawatte los, und Meinhardt landete unsanft auf dem Stuhl. Er war blaß geworden und rückte seinen Krawattenknoten zurecht. Polizeirat Weniger erhob sich. Ein Lächeln spielte um seinen Mund. »Nun, Herr Hellmann hat es ein wenig – unorthodox ausgedrückt, aber er hat recht. Herr Meinhardt, Ihre Vorhaltungen sind wirklich haltlos und übertrieben.« »Das ist noch arg untertrieben«, murmelte Pit. »Herr Langenbach, ich darf Sie bitten, mich nicht zu unterbrechen. Ich bin der Ansicht, daß die Schuldzuweisungen der Staatsanwaltschaft gegen Sie und Herrn Hellmann ungerechtfer79 �
tigt sind. Selbstverständlich wird keine Anlage erhoben und auch kein Disziplinarverfahren eingeleitet. Vorrangig sollten wir jedoch unsere Unstimmigkeiten beiseite schieben und uns tatsächlich Gedanken machen, wie wir die Gefahr abwenden können.« Eine hitzige Diskussion setzte ein. Benjamin Meinhardt warf uns feindselige Blicke zu, sobald wir etwas zu sagen hatten. Jeder noch so brauchbare Vorschlag wurde von ihm mit kritischen Worten vernichtet. Er war und blieb eben ein rechthaberischer, tatenloser, karrieregeiler Sesselfurzer… »So kommen wir nicht weiter, meine Herren!« meinte Polizeirat Weniger. »Wir müssen zu einer konkreten Einigung kommen.« »Ich habe den Eindruck, Herr Polizeirat, daß der Staatsanwalt mit allen Mitteln versucht, konstruktive Vorschläge zu unterminieren. Damit schadet er nicht nur der Stadt, sondern auch den Menschen, die in dieser Stadt leben«, sagte ich. »Ich habe mir Gedanken gemacht und würde gerne einige Vorschläge mit Ihnen diskutieren. Allerdings ohne Einwand der Staatsanwaltschaft.« »Das ist doch die Höhe!« brüskierte sich Meinhardt. »Seit wann können Zivilisten einen ganzen Polizeiapparat nach ihrer Pfeife tanzen lassen?« »Seit diese Zivilisten als Berater der Polizeiorgane zugelassen sind und dafür honoriert werden«, gab ich zurück. »Was in Berlin und anderen Städten anerkannt ist, können Sie nicht so ohne weiteres in Frage stellen, Meinhardt. Oder wollen Sie die Kollegen als inkompetent bezeichnen?« Meinhardt schmollte. »Jetzt, da dieser Punkt geklärt ist, können wir wohl sachlich an die Angelegenheit herangehen«, meinte der Polizeirat. »Ihre Vorschläge bitte, Herr Hellmann.« 80 �
Ich erhob mich. »Wir wissen, wer hinter den Anschlägen steckt. Es ist eine Gruppe Menschen mit bleichen Gesichtern, die ein umgedrehtes Kreuz auf der Stirn tragen. Das invertierte Kruzifix ist das Zeichen des Antichristen, sprich: des Teufels. Deshalb haben Pit und ich diese Menschen als Satansjünger bezeichnet. Diese Satansjünger werden offenbar von zwei Männern angeführt. Einem Satanspriester namens Ben Mason, der aus England stammt, und einem Mönch.« »Und woher wollen Sie das alles wissen?« fragte Meinhardt mit spöttischem Unterton dazwischen. »Wir haben nicht nur die halbe Stadt demoliert, sondern auch Ermittlungen angestellt, Staatsanwalt. Dabei wurden wir von einer Kollegin von Scotland Yard unterstützt, wie Sie wissen«, sagte ich zynisch. »Ah ja, die Kollegin aus England. Und was macht die Dame jetzt? Tee trinken?« »Sie ist spurlos verschwunden. Nach Lage der Dinge müssen wir davon ausgehen, daß sie sich in den Händen der Gegner befindet.« »Ebenso wie Kommissarin Tessa Hayden«, mischte sich Pit ein. »Sie war mit verdeckten Ermittlungen beauftragt. Auch von ihr fehlt jede Spur.« »Die beiden werden sich wohl zu einem Damenkränzchen zurückgezogen haben«, brummte Meinhardt. »Noch so eine Bemerkung, Staatsanwalt, und ich gehe mit Ihnen vor die Tür. Hier geht es um Menschenleben, falls Sie das noch nicht begriffen haben sollten. Unter Umständen auch um Ihres!« zischte ich. »Meine Herren, ich bitte Sie!« ermahnte uns Weniger. »Was schlagen Sie also vor?« »Zunächst sollten wir die Rettungskräfte verstärken. Feuerwehren und Notärzte aus Nachbarstädten sollten in Bereitschaft 81 �
stehen. Ich gehe davon aus, daß die Satansjünger vorwiegend bei Nacht zuschlagen, wir dürfen aber nicht vergessen, daß sie auch am Tag eine Gefahr darstellen.« Ich ging zu einem riesigen Stadtplan, der an einer Tafel befestigt worden war. »Die Satansjünger haben meiner Ansicht nach nur eines im Sinn: Die Stadt so schnell wie möglich unter ihre Kontrolle zu bringen. Das bedeutet, daß sie an möglichst vielen Orten gleichzeitig Feuer legen werden. Dabei werden sie sich Gebäude aussuchen, die von ihrer Beschaffenheit für ein Großfeuer ideal sind. Historische Bauwerke, alte Mietskasernen, Holzbauten, Tiefgaragen, Lagerhallen.« »Deshalb haben sie auch auf dem Domplatz zugeschlagen, weil der sich besonders gut für ein Großfeuer eignet, was?« kam Staatsanwalt Meinhardts zweifelnder Einwand. »Der Anschlag auf dem Domplatz war erst der Auftakt, Meinhardt. Sozusagen eine Demonstration der Macht. Und Leute wie Sie nehmen so was natürlich nicht ernst.« Pit Langenbach stand nun ebenfalls auf und ergriff das Wort. »Wir haben uns nun überlegt, daß wir kleine Gruppen von SEKMännern und Mitarbeitern des Katastrophenschutzes in der Nähe aller geeigneten Gebäude postieren. Sobald verdächtige Personen gesichtet werden, schlagen wir sofort zu. Natürlich können wir nicht alle potentielle Brandstellen überwachen, aber wir können den Schaden so gering wie möglich halten.« »Sollten wir nicht den Versammlungsort dieser – Sekte ausfindig machen?« fragte Polizeirat Weniger. Ich nickte. »Dazu ist es wichtig, daß uns dieser Ben Mason ins Netz geht. Wenn wir ihn haben, ist die Bande so gut wie zerschlagen. Dann bleibt nur noch der Mönch.« »Aber den Berichten zufolge hat sich der Mönch – in Luft aufgelöst«, sagte Weniger zögernd. »Wie stehen Sie dazu?« »Das kann ich bestätigen«, meldete sich Kommissar Dobler 82 �
vom SEK zu Wort. »Er löste sich vor unseren Augen auf, wurde quasi unsichtbar. Einfach so.« Er schnippte mit den Fingern. »Und genau das ist der springende Punkt, meine Herren!« rief ich. »Menschen und Bäume, die plötzlich in Flammen aufgehen. Ein Mönch, der gegen geweihte Silberkugeln immun ist und sich in Luft auflöst. Das sind Phänomene, die darauf hindeuten, daß Schwarze Magie im Spiel ist.« »Ich bitte Sie, Hellmann!« warf der Staatsanwalt ein. »Schwarze Magie. So ein Mumpitz! Fragen Sie doch mal bei Siegfried und Roy in Las Vegas nach. Vielleicht haben die den ominösen Mönch einfach weggezaubert. Simsalabim und ab die Post! Nächstens tauchen dann die weißen Tiger hier auf!« Ich ignorierte den großmäuligen Staatsanwalt. »Der Mönch verschwand erst, als die Glocke zu läuten begann. Hier sind wir Herrn Pastor Kronzucker übrigens zu großem Dank verpflichtet. Der Mönch teilte uns mit, daß er das Heiligste der Stadt Erfurt vernichten wolle. Und was ist das heiligste Gut der Stadt?« Ratlose Gesichter blickten mir entgegen. Bis auf eines. Pastor Friedhelm Kronzucker nickte wissend. »Der Dom?« versuchte es ein Dezernatsleiter. »Beinahe, Herr Kollege. Es ist die Mater Gloriosa. Jene Glocke, die vergangene Nacht unzähligen Menschen auf dem Domplatz das Leben rettete.« Apropos Glocke, vor kurzem hatte ich schon einmal mit einer zu tun gehabt. Pastor Kronzucker war Mitte Vierzig, schlank und kräftig. Er kam an meine Seite. »Ich stimme Ihnen zu, Herr Hellmann. Die Gloriosa behütet seit fünfhundert Jahren diese Stadt. Es ranken sich viele Legenden um die Glocke, die zu den größten und klangreinsten Kirchenglocken der Welt gehört. Eine Legende besagt, daß es nicht einmal dem Teufel selbst gelungen ist, die Glocke zu zerstören.« »Wenn dieser Mönch nun ein Abgesandter der Hölle ist und in 83 �
dieser Legende nur ein Körnchen Wahrheit steckt, ist es durchaus denkbar, daß die Glocke dem höllischen Mönch Schmerzen bereitete und ihn dazu veranlaßte, sich aufzulösen. Herr Langenbach und ich werden in dieser Richtung ermitteln. Ich benötige dazu Ihre Hilfe, Pastor.« »Mit anderen Worten, Sie und Langenbach jagen Gespenstern oder Hirngespinsten nach, während Ihre Kollegen die Drecksarbeit erledigen dürfen«, sagte Meinhardt. »Tolle Strategie, das muß ich schon sagen!« Polizeirat Weniger schloß die Sitzung. »Ich denke, wir sollten aufgrund der Vorschläge der Herren Langenbach und Hellmann einen Einsatzplan ausarbeiten. Ich wünsche uns allen, meine Herren, daß wir die Angelegenheit schnellstens zu einem Abschluß bringen.« Er drückte Pit und mir die Hand, wünschte uns Glück und verließ den Raum. Staatsanwalt Meinhardt raffte seine Papiere zusammen und stampfte zur Tür. Ich hielt ihn auf. »Beten Sie, Meinhardt«, raunte ich ihm zu. »Beten Sie, daß unser Plan gelingt. Wenn nicht, wird Ihnen bald ganz schön heiß werden. Und niemand wird Ihnen helfen können!« Einen Moment lang glaubte ich, Angst in seinen Augen zu sehen, dann wieselte er an mir vorbei und war verschwunden. Pit und ich schlossen uns Pastor Kronzucker an und begaben uns auf direktem Weg in den Dom St. Marien, wo wir wenig später die Gloriosa mit ehrfürchtigen Blicken bestaunten. * »Sie stammt aus dem Jahre 1497«, erklärte der Pastor. Matt glänzte die große, knapp zwölf Tonnen schwere Glocke über uns im Gestühl des Glockenturms. »Damals war das so eine Sache mit der Glockengießerei«, fuhr der Pastor fort. »Über Jahrzehnte 84 �
hinweg hatte man versucht, eine Glocke für den Mariendom zu schaffen, doch alle Glocken wurden zerstört. Das schrieb man dem Teufel zu. Erst im Jahre 1497 war das Werk vollbracht, eine Glocke zu gießen, die nicht von der Hölle zerstört wurde.« »Sie wissen aber gut über die Geschichte der Glocke Bescheid«, sagte ich. »Es ist eine interessante Geschichte, wie Sie zugeben müssen«, meinte der Kirchenmann. »Sind Sie bei Ihrem Geschichtsstudium zufällig auch auf einen Mönch gestoßen, der hier sein Unwesen getrieben haben könnte?« fragte Pit. »Nicht zufällig«, antwortete Pastor Kronzucker. »In der Tat ist in den alten Schriften von einem Mönch die Rede, und zwar immer dann, wenn eine der Glocken zerstört wurde. Das Schlimmste dabei ist jedoch, daß auch bei der großen Feuersbrunst im fünfzehnten Jahrhundert ein Mönch in Erfurt auftauchte, dem man die Schuld an der Katastrophe gab.« »Sie denken an Parallelen?« »Es ist schon ein merkwürdiger Zufall, daß heute wie damals ein Mönch die Schuld an der Brandkatastrophe tragen soll. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht an einen Zufall.« »Ich auch nicht, Pastor. Wann brach das Feuer aus, von dem Sie sprachen?« wollte ich wissen. »Warten Sie.« Er überlegte. »Ja, genau. Es war im Jahre 1472. Am 19. Juni. Zwei Drittel der Stadt fielen damals den Flammen zum Opfer.« »Weiß man Näheres über den Mönch?« Pastor Kronzucker schüttelte den Kopf. »Leider nein. Woher er kam und ob er wirklich das Feuer gelegt hatte, ist nicht bekannt.« Ich begab mich in das Archiv von St. Marien und nahm Einsicht in einige alte Dokumente, um mich selbst zu überzeugen. 85 �
Es war, wie der Pastor sagte. Nirgends fand sich ein Hinweis auf den Namen oder die Herkunft des Mönchs. Resigniert schüttelte ich den Kopf und schaute Pit Langenbach ratlos an. Insgeheim war ich überzeugt, daß der Mönch von damals in unserer Zeit Angst und Schrecken verbreitete, doch beweisen konnte ich es nicht. Ich konnte ihn nicht mal ansprechen, wenn er mir erneut gegenüberstand. »Hilf mir, Mark!« Plötzlich hing der Hilferuf im Raum. Verzerrt zwar, wie bei einem schlecht eingestellten Transistorradio, aber verständlich. »Hilf – Mark!« »Was war denn das?« fragte der Pastor, der die Worte ebenfalls gehört hatte. Pit schaute mich alarmiert an und formte mit den Lippen einen Namen, ohne ihn auszusprechen. Ich nickte. Es war Tessa! Ohne jeden Zweifel. »Der Mönch! Er hat – mich – Harriet!« Die Stimme wurde mehrmals unterbrochen, wurde lauter und verklang wieder. »Hilfe! Er is – Teufel!« »Mein Gott!« hauchte Pastor Kronzucker und schaute schockiert drein. »Wo, Tessa?« rief ich. »Wo seid ihr?« Keine Antwort. »Tessa, melde dich! Ich muß wissen, wo ihr seid!« Alles blieb still. Ich war enttäuscht. Tessa hatte Kontakt mit mir aufgenommen. Wie sie das geschafft hatte, war mir schleierhaft und im Prinzip auch nicht wichtig. Aber wie sollte ich sie finden, wenn ich keinen Anhaltspunkt hatte, wo ich suchen sollte? »Folter – Schmerzen! Wir sind – Folterkammer – Kloster!« Da war die Stimme wieder! »Eine Folterkammer in einem Kloster?« rief ich. »Welches Kloster?« »Hilf uns – Mark!!« Sie schrie meinen Namen in höchster Ver86 �
zweiflung. Dann war es still. Und es blieb still. »Aus. Vorbei. Sie antwortet nicht mehr«, sagte ich leise, nachdem mehrere Versuche, Tessa zu rufen, fehlgeschlagen waren. »Kannst du was damit anfangen?« fragte Pit. »Sie hat von einem Kloster und einer Folterkammer gesprochen. Folterkammern gab es im Mittelalter. Und in der Gegend um Erfurt gab es mehrere Klöster«, überlegte ich. »Also müssen wir annehmen, daß der Mönch sie ins Mittelalter verschleppt hat. In seine Zeit.« »Wenn du sie zurückholen willst, komme ich mit!« »Nein, Pit. Du bleibst hier. Ich schätze, daß es ziemlich knapp wird. Wenn ich mit Tessa und Harriet zurückkomme und der Mönch dicht hinter mir ist, wäre es mir lieber, wenn du uns hier in Empfang nimmst.« Es war meinem Freund und Kampfgenossen zwar nicht recht, aber er stimmte doch zu. »Wann geht es los?« »Jetzt sofort«, sagte ich. »Vorhin, im Glockenturm, habe ich eine Nische bemerkt. Wozu ist sie gut, Pastor?« »Es war wohl früher eine Art Unterstand für die sogenannten Läutemänner, die für das Glockengeläut zuständig waren«, antwortete Kronzucker. »Also, nichts wie hin«, sagte ich und eilte aus dem Raum. Die geräumige Nische befand sich auf halber Höhe des mittleren Glockenturms, direkt neben einer hölzernen Plattform, von der eine schmale Treppe weiter nach oben führte. Ich begab mich in die Nische und zog mich aus. »Was – was haben Sie denn vor, um Himmels Willen?« fragte der überraschte Pastor, als ich nackt in der Mitte der Nische stand. »Er macht bloß eine kleine Reise – ins Mittelalter«, informierte Pit den Geistlichen, drückte mir die Hand und trat zurück. »Und er will nicht, daß seine Kleider hier durcheinandergewirbelt 87 �
werden, deshalb – aber das kapieren Sie ja doch nicht.« Ich kniete mich hin, aktivierte den Siegelring an dem Hexenmal auf meiner Brust und zeichnete mit dem hellen Strahl, den der Ring aussandte, das Runenwort Reise auf die Holzplanken. Die Leuchtschrift würde bald verblassen und schließlich ganz verschwinden. Ein rasender Schmerz zuckte durch meinen Kopf. Sphärenklänge erfüllten die Luft. Ein Strudel aus Spektralfarben wirbelte um mich her. Ich sah den stilisierten Drachen, der sich aus meinem Ring löste, sein Maul weit aufriß und mich verschlingen wollte. Wie schon bei meinen bisherigen Zeitreisen, öffnete sich vor mir der bodenlose, dunkle Schacht, und ich stürzte kopfüber hinein. * Das Drachenmaul schien mich auszuspeien. Die Sphärenklänge wurden leiser und waren bald nicht mehr zu hören. Mit einem dumpfen Poltern kam ich auf dem Boden auf und rollte über die Schulter ab. Ich spürte harten Holzboden unter mir. Irgendwo hörte ich rauhe Männerstimmen durcheinanderreden. Benommen richtete ich mich auf. Ich lag auf dem breiten Absatz einer Holztreppe. Kühle Nachtluft wehte um mich herum. Ich hob den Kopf und sah über mir – eine mächtige Glocke! Ich befand mich im Glockenturm von St. Marien! Zwischen groben Stützbalken hindurch konnte ich weit über Stadt und Land schauen. Unter mir breiteten sich die kleinen Häuser der Stadt Erfurt aus. Flackerndes Fackellicht erhellte die engen Gassen und kopfsteingepflasterten Straßen. Vor manchen Häusern schaukelten Laternen im Wind. Ich schob mich leise die Treppe hinunter und näherte mich 88 �
dem Stimmengewirr. Vier Männer saßen in einer Art Aufenthaltsraum, der Ähnlichkeit mit der Nische im Glockenturm des Doms hatte, wo ich meine Zeitreise begonnen hatte. Zwei von ihnen trugen einfache Gewänder, die beiden anderen waren mit Stiefeln, Leinenhose und Lederwams bekleidet und sahen aus wie Turmwächter. Wenn ich mich auf die Suche nach dem Mönch und seinen Gefangenen machen wollte, mußte ich schleunigst an Kleidung herankommen. Ich schlich zum nächsten Treppenabsatz hinunter und entdeckte eine ähnliche Nische mit zwei Stühlen. Rasch ergriff ich einen Stuhl und warf ihn gegen die Wand. »He, habt ihr das gehört?« rief eine rauhe Stimme. »Ach, laß nur, Gevatter. Die Nacht ist jung. Es wird eine Eule gewesen sein – oder eine Taube. Du wirst noch mehr solche Geräusche hören, wenn du erst ein Weilchen hier bist.« »Ich sehe doch lieber nach. Man soll keinen Grund haben, Türmer-Franz zu tadeln, weil er nachlässig war.« »Tu, was du nicht lassen kannst, Franz. Bleibt uns eben ein Schoppen mehr!« Die anderen lachten, während schwere Schritte die Stufen herabtrampelten. Der Turmwächter stand im Eingang der Nische und hob eine Laterne. Dunkel zeichnete sich seine Gestalt ab. »Holla, wer da?« rief er. Ich preßte mich an die Wand neben dem Eingang und atmete flach. »So will ich doch mal sehen, ob es ein Kauz oder ein Täubchen war«, murmelte Türmer-Franz und stiefelte in die Nische. Und fing sich prompt ein paar Fausthiebe ein, die ihn eine Weile schnarchen ließen. Hastig zog ich ihm die Klamotten aus und streifte sie mir über. Er war etwas kleiner als ich, und die Stiefel waren mir eine Nummer zu eng, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Auf Zehenspitzen eilte ich die Treppe hinunter und schlüpfte durch eine Seitenpforte auf die 89 �
Straße. Auf der breiten Freitreppe vor dem Dom lungerten Bettler herum. Ich schritt die Freitreppe hinunter und suchte mir ein altes Bettelweib aus, an dessen Seite ein junges, hübsches Mädchen mit schmutzigem Gesicht kauerte. In den Taschen des Lederwamses hatte ich Münzen gefunden und klimperte damit herum. »Ein Almosen, Herr! Habt Erbarmen! Nur ein Almosen für ein Stück Brot!« hauchte die zitternde Stimme der Alten, während sie ihre gichtkrummen Finger nach mir ausstreckte. Ich ging neben den beiden Frauen in die Hocke. Die Alte starrte weiter geradeaus. »Ich habe hier einige Taler und Pfennige in meiner Tasche, Mütterchen«, raunte ich. »Du sollst sie haben.« »Habt Dank, Herr! Aber ein Taler genügt, um zwei hungrige Mäuler zu stopfen.« »Ich möchte etwas von dir wissen, Mütterchen.« »Ich bin alt. Ich weiß nichts.« »Ich suche einen Mönch. Er ist groß, hager und scheint vom Bösen umgeben. Ist dir solch ein Mann in der Stadt aufgefallen?« Der Kopf der alten Bettlerin ruckte herum. In der Dunkelheit sah ich nur das Weiße in ihren blicklosen Augen leuchten. Es verlieh ihrem runzligen Gesicht das Aussehen einer Hexe. Ich mußte unwillkürlich schlucken. »Hütet Euch vor diesem Manne, Herr!« hauchte ihr zahnloser Mund. »Er ist nicht nur vom Bösen umgeben. Er vereinigt die Kraft der Hölle in sich. Er ist das Böse!« »Ich weiß, Alte. Und doch muß ich ihn finden.« »Laßt meine Großmutter in Frieden, edler Herr, ich bitte Euch. Sie ist alt und blind. – Hütet Euch vor dem Mönch. Mehr kann sie Euch nicht sagen, Herr«, bat das Mädchen. »Sei still, Marianne. Der junge Herr hat gefragt, und ich werde 90 �
ihm antworten«, sagte die Alte. Sie hielt mir die offene Hand hin. »Doch erst, wenn er sein Versprechen eingelöst hat.« Ich zählte fünf Goldstücke in ihre Hand. Blitzschnell reichte sie dem Mädchen das Geld. »Ich warte, Mütterchen«, sagte ich ruhig. Die Alte starrte in die Nacht hinaus. Ihre blinden Augen schienen noch intensiver zu leuchten. »Er wird den Zorn der Hölle über diese Stadt bringen«, krächzte sie. »Viele werden sterben, denn die Behüterin der Stadt, die Ruhmreiche, wird sie nicht warnen.« »Das ist nicht, was ich wissen wollte, Alte. Wo finde ich den Mönch?« »Ihr braucht ihn nicht zu suchen, Herr. Er wird Euch finden. Er wird uns alle finden und das Böse verbreiten.« Ich war verwirrt. Die Alte wußte über den höllischen Ordensbruder Bescheid, aber sie sprach in Rätseln. Mir brannte die Zeit unter den Nägeln. Verdammt noch mal, ich wußte Tessa und Harriet in der Gewalt dieses Sendboten der Hölle, und die Alte rückte nicht mit der Sprache raus! Es war zum Ausrasten! »Sie kann Euch nicht mehr sagen, Herr! Bitte, schont sie jetzt«, sagte das Mädchen an ihrer Seite erneut. »Wenn der Mönch das Böse über die Stadt bringt, wie du sagst, wieso bleibt ihr dann hier?« fragte ich. »Wir können unserem Schicksal nicht entfliehen«, kam die heisere Antwort der Alten. »Was sie meint, ist, daß wir ohne Geld in der Tasche nirgends eine neue Heimat finden können, Herr«, sagte Marianne. »Die wenigen Taler, die Ihr uns geschenkt habt, reichen gerade, um uns für ein paar Wochen vor dem Verhungern zu bewahren.« Ich sah ein, daß ich von den beiden keine weiteren Hinweise erhalten würde. Mit einem enttäuschten Seufzer erhob ich mich und reichte dem Mädchen die restlichen Münzen. »Seht zu, daß 91 �
ihr die Stadt so rasch wie möglich verlaßt«, riet ich den beiden. »Vielleicht kommt ihr in einem Dorf unter. Du hast ein ruhigeres Leben verdient, Mütterchen.« Mein nächstes Ziel war das Augustinerkloster. Vielleicht erfuhr ich dort etwas über den Mönch. »Gott möge dich behüten, mein Junge«, hörte ich den gehauchten Segen der alten Bettlerin, als ich mich eilig entfernte. Irgendwo hallte der Ruf des Nachtwächters durch die Straßen der Stadt. Ich rannte durch die dunklen Gassen und klopfte schwer atmend am Tor des Augustinerklosters an. Es dauerte eine Weile, bis ein kleines Fenster im Klostertor geöffnet wurde. »Was ist Euer Begehr?« fragte eine sanfte Stimme. »Ich bin Markus Hellmann«, nannte ich meinen Namen. »Eine weite Reise führte mich hierher, um etwas über einen Mönch zu erfahren.« »Es ist mitten in der Nacht, Herr Markus. Kommt am Morgen wieder, und unser Tor wird Euch offenstehen.« »Wartet, Bruder!« rief ich, als er das Fenster schließen wollte. »Es geht um Leben und Tod. Ich flehe Euch an, laßt mich mit Eurem Bruder Chronisten sprechen!« Der Ordensbruder überlegte lange. Schließlich schob er doch den schweren Riegel zurück. »Tretet ein, Herr Markus. Ich werde sehen, ob Bruder Bernhard bereit ist, Euch anzuhören.« Bruder Bernhard war ein kleiner Mann mit rundem Bauch, den er immerfort streichelte. Es war schon ein Hohn, daß hier die Mönche in Saus und Braus lebten, während am Dom eine alte Frau und ihre Enkelin fast verhungerten. »Was kann ich für Euch tun, Herr Markus?« fragte der dicke Mönch mit einer Fistelstimme. »Ich habe eine weite Reise hinter mir, Bruder. Allerdings nicht aus fernen Landen, sondern aus dieser Stadt.« Bruder Bernhard hob die Augenbrauen. »Es war eine Reise durch die Zeit«, sagte 92 �
ich. Der dicke Ordensbruder musterte mich zweifelnd. »Ich verfolge einen Mönch, der mit dem Bösen im Bunde steht«, fügte ich rasch hinzu, als sich der Chronist des Klosters erheben wollte. »Er hat von Mephistopheles, von Satanas, dem Höllenfürsten, die Macht erhalten, eine ganze Stadt zu unterjochen. Diese Stadt, Bruder. Er hat zwei Frauen entführt und hierher gebracht, um mich in eine Falle zu locken. Ich muß wissen, wo ich diesen Mönch finden kann.« »Da Ihr behauptet, durch die Zeiten gereist zu sein, müßt Ihr selbst der Zauberei mächtig sein, Markus. Laßt dies besser nicht verlauten, sonst endet Ihr noch auf dem Scheiterhaufen!« »Ich muß diesen teuflischen Mönch finden, Bruder Bernhard. Das Leben vieler Menschen hängt davon ab. Und das Schicksal dieser Stadt!« Bruder Bernhard betrachtete mich lange und aufmerksam. Seine Unterlippe schob sich vor, und seine Hände rieben ohne Unterlaß über den gewaltigen Bauch. Ich merkte, wie es sichtlich in ihm arbeitete. »Es gibt da einen Brüder des Zisterzienserordens«, sagte Bernhard endlich. »Er wurde vor einigen Wochen ausgestoßen. Seitdem zieht er durch die Lande und bittet um Almosen. Doch seltsamerweise scheint überall, wo er auftaucht, das Unheil ebenfalls Einzug zu halten. Es geht das Gerücht, daß sogar der Knöcherne, der Sensenmann selbst, neben ihm herlaufen soll.« Das ist er! Das muß er einfach sein! ging es mir durch den Kopf. Meine Anspannung wuchs. »Wo finde ich ihn?« fragte ich heiser. »Er kommt und geht, wie es ihm beliebt, mein Sohn«, sagte Bruder Bernhard. »Niemand weiß, wo sich Bruder Anselmus verborgen hält. Doch wenn er wirklich mit der Hölle verbündet ist, wie wollt Ihr dann gegen ihn ankommen?« »Wenn es soweit ist, werde ich einen Weg finden, Bruder«, 93 �
sagte ich. »Zunächst muß ich die beiden Frauen aus seinen Händen befreien!« Bruder Bernhard erhob sich schwerfällig. »Ruht Euch nun ein wenig aus, Herr Markus. So schwer es Euch auch fällt. Im Morgengrauen werde ich einen Boten zu den umliegenden Klöstern schicken und Erkundigungen einziehen. Bis zum Abend werden wir sicherlich den letzten bekannten Aufenthaltsort des Abtrünnigen kennen.« Er legte mir seine fleischige Hand auf die Schulter. Die Tür zur Bibliothek flog auf und stieß mit einem lauten Knall gegen die Wand. Ein Mönch trat mit einer blakenden Fackel in den Raum. Sein Gesicht war aschfahl. »Bruder Bernhard, verzeih die Störung. Aber – aber es ist…« »Komm zu Atem, Bruder! Du bist ja ganz aufgeregt! Was ist denn geschehen?« Besorgnis lag in der Stimme des dicken Mönchs. »Der Dom! St. Marien! Folge mir und sieh selbst!« stieß der Fackelträger hervor. Wir hasteten hinter ihm ausgetretene Steinstufen hoch, bis wir einen Blick auf die Stadt werfen konnten. Aus dem mittleren Turm des Doms St. Marien schlugen lodernde Flammen! Brennende Trümmer stürzten auf die umliegenden Häuser. Es war ein Bild des Grauens. »Der Mönch! Anselmus hat zugeschlagen!« stieß ich hervor. Mit langen Schritten hetzte ich aus dem Kloster und rannte die Straße hinauf. Als ich auf dem Domplatz eintraf, standen die Häuser ringsum in hellen Flammen. Rasch griff die Feuersbrunst auf weitere Häuser über. Jetzt erlebte ich das schreckliche Ausmaß der Katastrophe mit, die Erfurt im fünfzehnten Jahrhundert heimgesucht hatte. Es war die Nacht des 19. Juni 1472, und Erfurt brannte!
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* � Schreiende Menschen hasteten durcheinander. Familien versuchten, ihre wenige Habe zu retten. Den meisten gelang es jedoch nicht. Sie mußten sich mit dem begnügen, was sie am Leib trugen. Ich rannte zum Dom. Eine Frau stieß mit mir zusammen. Ich schob sie zur Seite und wollte schon weiterhasten, als ich sie genauer ansah. Es war Marianne, die Enkelin der alten Bettlerin. »Wo ist deine Großmutter?« rief ich, um das Geschrei zu übertönen. »Dort, an der Mauer. Sie hat mich weggeschickt!« »Komm mit!« schrie ich, rannte zu dem zusammengesunkenen Bündel, das sich als die alte Bettlerin entpuppte, raffte die Alte hoch und hastete um den Dom herum. Ich wußte von meinem Studium her, daß sich in der Nähe des Doms Stallungen befanden. Tatsächlich stieß ich nach wenigen Schritten auf ein paar Pferde, die ängstlich tänzelten und schrill wieherten. Ich legte die Alte an der Stallwand ab, packte das Zaumzeug einer Stute und beruhigte das Tier. Mit raschen Griffen hob ich die Alte auf den Pferderücken. Hinter ihr schwang sich das Mädchen behende hinauf. »Wenn ihr dieser Straße folgt, kommt ihr zu einem Seitentor. Versucht dort, die Stadt zu verlassen. Viel Glück!« Tränen schimmerten in den dunklen Augen des Mädchens. »Habt Dank, Herr! Und auch Euch viel Glück!« rief sie. Dann gab ich dem Pferd einen Klaps auf die Kruppe und sah ihnen nach, wie sie in der Nacht verschwanden. Hinter ihnen gingen die Stallungen in Flammen auf. Ich kehrte zum Domplatz zurück und rannte die Freitreppe hoch. »Der Mönch hat den Glockenturm angezündet! Es ist die Strafe Gottes! Die Gloriosa hat uns nicht gewarnt. Der Fluch des 95 �
Teufels erfüllt sich!« So schrien die Menschen durcheinander. Ich überschaute das Chaos. Weit entfernt, in der Nähe der Stadtmauer, erkannte ich eine große, hagere Gestalt in einer Mönchskutte. Das war er. Das war Anselmus, der Teufelsmönch! Ich schickte mich an, die Treppe zu verlassen und ihm zu folgen, als es über mir ohrenbetäubend krachte. »Die Glocke!« schrie jemand. »Die Glocke bricht durch!« Balkenstücke krachten neben und vor mir zu Boden. Ich warf mich durch die Tür des Glockenturms und begegnete den vier Männern, die ich bei meiner Ankunft angetroffen hatte. TürmerFranz, den ich niedergeschlagen hatte, schwankte noch unter den Nachwirkungen der Tracht Prügel. Die anderen drei krümmten sich auf der ersten Plattform und husteten. Beißender Rauch hinderte sie am Atmen. Ich sprintete die Stufen hoch, hob einen nach dem anderen am Kragen hoch und schob sie auf die Treppe zu. »Raus hier!« schrie ich. »Die Glocke fällt!« Den benommenen Türmer hievte ich mir über die Schulter und trieb seine drei Kameraden zur Eile an. Über uns krachte das Gebälk. Ein ohrenbetäubendes Tosen erfüllte den Turm. Wir hatten den Fuß der Treppe fast erreicht, als die Männer stehenblieben und erschrocken nach oben blickten. Auch ich hob den Kopf. Die tonnenschwere Kirchenglocke war durch die enorme Hitze teilweise deformiert und hatte sich aus der Halterung gelöst. Das eherne Ungetüm stürzte uns entgegen! Sie brach durch das Balkenwerk und riß die Treppe mit sich. Ich warf mich gegen die drei schreckerstarrten Gestalten, stolperte mit ihnen die Stufen hinunter und trieb sie durch die Tür ins Freie, während hinter uns die Glocke niederkrachte. Der Boden erzitterte, Risse zeigten sich in der Turmmauer, Steine lösten sich. Ich trieb die Menschen vor mir die Freitreppe hinun96 �
ter. Ohne mich weiter um sie zu kümmern, hastete ich dorthin, wo ich den Teufelsmönch ausgemacht hatte. Eine aufgebrachte Menschenmenge war mir zuvorgekommen. »Auf der Steigerhöhe haben wir ihn aufgegriffen!« riefen ein paar Männer. »Er hat zugesehen, wie unsere Stadt brennt, und dabei getanzt, gesungen und gelacht! Dieser Teufel! Er wird im Feuer schmoren, wie er viele Unschuldige in den Flammen sterben ließ!« Ich konnte nicht verhindern, daß sie ihn an mir vorbei in den Folterturm schleppten. Bevor sich die Tore des Folterturms hinter seiner hageren Gestalt schlossen, starrte er mich mit haßerfüllten Augen an und ließ ein höhnisches Lachen hören. Ich verharrte in der Nähe des Turms. Es schien sich wirklich alles gegen mich verschworen zu haben. Wenn man Anselmus folterte und hinrichtete, würde ich niemals erfahren, wo Tessa und Harriet gefangengehalten wurden. Es dauerte nur einen halben Tag. Man hatte ihn noch in der Nacht einer peinlichen Befragung unterzogen und ihn zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Noch brannten ganze Teile der Stadt, als man den abtrünnigen Mönch an die Stätte seines teuflischen Siegestanzes brachte, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Nackt und zerschunden wurde der hagere Mönch durch die Straßen getrieben. Auf der Steigerhöhe, unweit der Stadt, fesselte man ihn an einen Pfahl, der mit Reisig umgeben war. Steine und Äste hagelten gegen seinen Körper. Der Mönch hatte nur ein spöttisches Lächeln für die Menschenmenge übrig. »Mönch, der du dich Anselmus nennst und einst dem ehrwürdigen Orden der Zisterzienser angehörtest, du wurdest für schuldig befunden, dich mit Satanas, dem Höllenfürsten verbündet und das vernichtende Feuer der Hölle über die Stadt Erfurt gebracht zu haben! So höre denn dein Urteil: Von diesem Tage an bist du der Würde des heiligen Ordens enthoben. Du wirst 97 �
den reinigenden Flammen der Gerechtigkeit übergeben, auf daß deine schwarze Seele aus den Fängen des Teufels befreiet werde und du die Gnade Gottes erlangest! Verkündet zu Erfurt am zwanzigsten Tage im sechsten Monat Anno Domini 1472!« Die Stimme des Herolds, der die Urteilsschrift verlas, war bis in die hintersten Reihen zu hören. Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich. Der Mönch sollte den Flammentod sterben, und ich konnte nichts dagegen tun! Anselmus spuckte vor dem Herold aus. Sein gellendes Gelächter hallte über den Platz. »Ihr Narren! Die Hölle gab mir die Kraft, eure ruhmreiche Glocke zu zerstören und Rache an dieser Stadt zu nehmen, die mich für unwürdig befand, ein Leben als Ordensmann zu führen! Euer reinigendes Feuer kann mir nichts anhaben!« Aufgeregtes Gemurmel ging durch die Reihen der Zuschauer. »Der Fluch! Er hat den Fluch aufleben lassen. Der Teufel hat geschworen, daß die Ruhmreiche nicht für immer ihr segensreiches Geläut über der Stadt erklingen lassen wird, und der Mönch hat es wahrgemacht! Wir sind verdammt! Alle sind wir verdammt!« schrie ein Mann und verstärkte die Angst der aufgeregten Menschenmenge. »Genug, Teufelsmönch! Wir überantworten dich den Flammen der Gerechtigkeit!« brüllte der Herold, ließ sich eine Fackel reichen und stieß sie zwischen die aufgeschichteten Reisigbündel. Das Feuer fand sofort Nahrung und flammte hoch auf. Anselmus lachte ununterbrochen. Und dann bemerkte ich, wie die Luft um ihn herum zu flirren begann. Es war keine Luftspiegelung durch die Hitze des Feuers, wie ich zunächst angenommen hatte. Nein, der Mönch entzog sich seiner Hinrichtung. Er löste sich auf! »Du entkommst mir nicht, Anselmus!« brüllte ich, stieß einige Zuschauer grob zur Seite, setzte alles auf eine Karte und stürzte 98 �
mich in die Flammen. Der Schmerz war da, aber ich nahm ihn nur unbewußt wahr. Meine Arme schlangen sich um den hageren Leib des Teufelsmönchs. Ich hörte ihn wütend auf brüllen, dann wurde es dunkel. * »Hast du starke Schmerzen?« fragte Harriet Plummer leise. Ihre Stimme war kaum zu verstehen. Der muskelbepackte Folterknecht sollte nicht hören, daß sie sich unterhielten. Tessa Hayden schüttelte den Kopf. »Es geht. Ich hab nur einen Wahnsinnsdurst. Aber dieser Fettsack denkt ja nicht dran, uns was zu Trinken zu geben!« Der Folterknecht hatte Tessa entkleidet und sie auf eine Streckbank gebunden. Hier lag sie schon seit Stunden. Ihr nackter Körper war schweißüberströmt. Sie konnte nur flach atmen. Handund Fußgelenke waren von den groben Hanfseilen aufgescheuert. Harriet Plummer war nicht viel besser dran. Sie war auf einen quadratischen Rahmen gespannt worden, der hinter dem glühenden Kohlebecken stand. Die Hitze, die von dem Becken abstrahlte, war kaum zu ertragen. Harriet hatte befürchtet, daß man sie foltern wollte, um Tessa gefügig zu machen, doch sie hatte sich geirrt. Auch Tessa war noch nicht gefoltert worden. Der Mönch hatte sie lediglich einschüchtern wollen. Nur das Spannen der Fesseln auf dem Folterbett hatte ihr Gliederschmerzen bereitet. Der Teufelsmönch hatte sich an den Qualen der beiden Frauen ergötzt. Doch es war der Zeitpunkt gekommen, wo er in die glühenden Kohlen gestarrt und dann mit dem häßlichen Folterknecht geflüstert hatte. »Ich fürchte, ich muß euch beide eine Weile allein lassen, meine Täubchen«, sagte er und strich mit 99 �
den dürren Fingern über Tessas Körper. Der Fahnderin wurde übel. »Euer Freund Mark Hellmann ist euch gefolgt, wie ich es geplant hatte. Leider hat er einen Fehler gemacht und ist ein paar Jahre zu weit in die Vergangenheit gereist. Aber das macht nichts. Ganz im Gegenteil.« Ein diabolisches Grinsen verzerrte sein Gesicht. »Er macht es mir sogar leichter. Noch in dieser Nacht wird er in einer brennenden Stadt einen furchtbaren Tod erleiden!« Zum Abschied strich er über Harriets Gesicht. »Es wird mir ein besonderes Vergnügen bereiten, meine Kleine, wenn sich mein muskulöser Freund nachher besonders um dein Wohlergehen bemühen wird.« Die Engländerin drehte angewidert den Kopf weg. Der Mönch schritt zu Tessa und strich ihr sanft über den Bauch, daß sich ihre Muskeln schmerzhaft zusammenzogen. »Ich freue mich schon auf deine Schreie, mein Täubchen!« Der Teufelsmönch murmelte eine leise Beschwörungsformel und löste sich auf. Harriet hatte endgültig genug. »He, Fettsack, gib uns Wasser! Oder willst du, daß wir verdursten, bevor dein Meister zurückkommt?« schrie sie. Das Muskelpaket erhob sich schwerfällig von seinem Schemel, ergriff einen Wassereimer und tappte zur Streckbank. Mit einer Kelle schüttete er Wasser in Tessa Haydens Gesicht. Gierig leckte die Fahnderin das brackige Wasser auf. Dafür mußte sie die Berührungen einer rauhen Hand über sich ergehen lassen. Fast hätte sie die wenigen Schlucke Wasser wieder von sich gegeben. Der Folterknecht kicherte. Er hatte auf seine Kapuze verzichtet, um den beiden Frauen den Anblick seiner häßlichen Fratze nicht zu ersparen. Langsam watschelte er zu Harriet. Die Holzkelle glitt über ihre heiße Haut. Harriet Plummer sah das Wasser in der Kelle und leckte sich gierig über die trockenen Lippen. Die 100 �
Berührungen mit der Kelle brachten sie fast um den Verstand. »Wie hast du mich genannt? Fettsack?« flüsterte der Folterknecht. Seine wulstigen Lippen bewegten sich kaum. »Hier hast du dein Wasser!« Er kippte die Kelle. Ganz langsam. Tropfenweise schüttete er das Wasser über die glühenden Kohlen. Wasserdampf zischte auf und hüllte Harriet Plummer ein. »Du Schwein! Du gottverdammtes, gemeines Schwein!« schrie sie und bekam einen Weinkrampf. »Beruhige dich, Harriet! Laß dich von diesem Fettwanst nicht fertigmachen. Mark wird uns hier raushauen, das weiß ich!« Tessa Hayden bemühte sich, die Kollegin zu beruhigen. Harriet durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. »Wie kannst du das wissen? Du hast ihn zwar gerufen, aber woher weißt du, ob er dich gehört hat?« »Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand zu mir gesprochen. Es war einfach diese furchtbare Angst, als mich der Mönch mit der glühenden Zange foltern wollte. Außerdem hast du gehört, was der Mönch gesagt hat. Mark hat einen Zeitsprung gewagt.« »Ja, aber er ist nicht hier. Vergiß es, Tessa. Gegen diesen Teufel kann niemand etwas ausrichten. Er ist zu stark. Und wenn ich daran denke, was noch alles auf uns wartet…« Harriet Plummer ließ den Kopf hängen. »Wenn ich es nur schon hinter mir hätte«, flüsterte sie. Die beiden Frauen hatten jegliches Gefühl für Zeit verloren, als ein eigentümliches Rauschen den Folterkeller erfüllte. Aus dem Nichts prallten zwei menschliche Gestalten auf den rauhen Boden der Folterkammer. Sofort sprang eine der Gestalten auf die Beine und stürzte zu dem Folterknecht. Ein mittelalterlich gekleideter, großer Mann rollte über den Boden und richtete sich benommen neben der Streckbank auf. Dieser Mann war ich! Ich kniete mich hin und schaute mich um. Mein Blick fiel auf 101 �
Tessa Hayden, die mir zaghaft zulächelte. Tränen der Dankbarkeit schimmerten in ihren Augen. An der gegenüberliegenden Wand erkannte ich durch die Glut eines Kohlebeckens Harriet Plummers nackte Gestalt. Rasende Wut packte mich. Dieser teuflische Mönch hatte es gewagt, die beiden Frauen schlimmsten Qualen auszusetzen! Wer konnte sagen, was er alles mit ihnen angestellt hatte! Ich kam auf die Beine und erhielt im selben Moment einen mörderischen Hieb vor die Brust, der mich meterweit nach hinten schleuderte und gegen die Wand krachen ließ. Ich hatte das Gefühl, jeder Knochen in meinem Leib würde einzeln brechen. Benommen öffnete ich die Augen und sah eine Ausgeburt an Häßlichkeit auf mich zu walzen. Gegen seine Muskeln nahm sich Arnold Schwarzenegger wie ein Fliegengewicht aus. In seinen mächtigen Pranken hielt er eine Art Keule, aus der wohl später der Baseballschläger entstanden war. Der Prügel war mit einer nagelbesetzten Eisenkappe versehen. Weit holte das Muskelpaket aus. Der Schlag rammte dicht über meinem Kopf gegen die Wand. Funken sprühten. Ich war an der Wand entlanggerutscht und so dem Schlag ausgewichen. Der Folterknecht brüllte vor Wut. Ich ließ mich zur Seite fallen und riß den Fuß hoch. Mein Stiefel traf ihn über der linken Brust und brach ihm das Schlüsselbein. Der Muskelmann schien den Schmerz überhaupt nicht zu spüren. Er stierte mich an, wischte sich über seine schleimtriefende Nase und zuckte probehalber mit dem linken Brustmuskel, um zu testen, ob noch alles in Ordnung war. Dann stürzte er sich auf mich! Ich lag auf dem Rücken und ließ ihn kommen. Beide Füße trafen ihn in die Magengrube. Ich hebelte ihn über mich hinweg und rollte mich aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. Sein massiger Körper krachte auf einen Folterstuhl, der unter 102 �
ihm zusammenbrach. Ich kam hoch, wartete auf ihn und empfing ihn mit einem Karatetritt gegen die Brust, dem ich einen Tritt unter das Kinn folgen ließ. Der Häßliche bekam glasige Augen und brabbelte vor sich hin. »Vorsicht, Mark! Hinter dir!« schrie Tessa. Ihre Warnung kam zu spät. Plötzlich fühlte ich etwas Kaltes, Spitzes in meinem Nacken. »Es ist vorbei, Träger des Rings!« sagte Bruder Anselmus leise, und ich hörte den Triumph in seiner Stimme. Ich drehte mich langsam um. Er stand vor mir, in seine Kutte gekleidet, die Kapuze tief in die Stirn gezogen. In der Hand hielt er ein Schwert, dessen Klinge aussah wie eine züngelnde Flamme. Die Spitze zeigte auf meine Kehle. Ein winziger Stoß genügte, und »ich war erledigt!« »Dein Mut ist bemerkenswert, Hellmann! Aber er reicht nicht aus, um mir ernsthafte Probleme zu bereiten. Nun wirst du mit deinen beiden Täubchen sterben. In einem mittelalterlichen Folterkeller wirst du furchtbare Schmerzen erleiden, bis ich dir erlaube, endlich zur Hölle zu fahren. Und dort wartet eine Ewigkeit voller Qualen auf dich!« »Du hast die beiden Frauen nur hergebracht, um mich in eine Falle zu locken. Das ist dir gelungen. Also laß sie frei, Anselmus!« Der Mönch lachte. »Du machst mir Spaß, Hellmann! Die beiden Täubchen haben mich gereizt, meinen Zorn heraufbeschworen. Ich werde sie zu meinem Vergnügen noch ein wenig hierbehalten. Sie gefallen mir. Was dich angeht, Hellmann, so wirst du ihnen beweisen können, wieviel Schmerz du aushalten kannst. Wenn du zu schreien beginnst, werden die beiden Täubchen einsehen, was für einen Schwächling sie zum Freund hatten.« Bevor ich antworten konnte, klammerten sich zwei muskulöse Arme wie Schraubstöcke um meinen Körper. Ich wurde hochge103 �
hoben und an die Wand gezerrt. Anselmus hielt mich mit dem Schwert in Schach, während mich der Folterknecht an die Wand kettete. Ein Eisenring legte sich um meinen Hals. Meine Hände wurden vor dem Körper von zwei Ketten umschlossen, die an meinen Seiten in der Wand verankert waren. Nur die Beine hatte ich noch frei. Aber so, wie ich die Lage einschätzte, würde das nicht mehr lange der Fall sein. Das Muskelpaket schlurfte zu dem Kohlebecken und schob diverse Foltereisen in die Glut. Er stierte zu mir her und rieb sich voller Vorfreude die dicken Hände. Anselmus senkte das Flammenschwert. »Während sich mein Freund hier zur Einstimmung mit der Engländerin beschäftigt, werde ich mich um die Vollendung meiner Aufgabe kümmern. Sie haben es erneut gewagt, eine Glocke zu gießen, obwohl Mephistos Fluch auf dieser Stadt liegt. Diese Narren! Selbst aus dem großen Feuer vor fünfundzwanzig Jahren haben sie keine Lehren gezogen. Aber die Ruhmreiche, diese verdammte Glocke, wird nicht lange im Turm des Doms hängen. Dafür werde ich sorgen! Mephistos Fluch wird sich erfüllen!« Lachend verschwand der Höllenmönch. Ich war mit den zwei Frauen und dem Folterknecht allein. Mit leisem Klirren zog der Häßliche ein glühendes Eisen aus den Kohlen und näherte sich kichernd der englischen Polizistin. Ich zerrte an den Ketten, aber ich hätte meine Kräfte sparen können. Ich konnte Harriet Plummer nicht helfen. Sie hob den Kopf. Ihre Augen weiteten sich. Die weißglühende Spitze näherte sich ihrem Gesicht. Und Harriet Plummer schrie ihre Angst hinaus… * Hauptkommissar Peter Langenbach hatte den Pastor instruiert, � 104 �
was zu tun war, wenn sein Freund Mark Hellmann mit den beiden Frauen zurückkehrte. Er war zwar immer noch sauer, daß Mark ihn nicht mitgenommen hatte, aber hier wurde er auch gebraucht. Er hatte aus dem Hotel Ersatzkleidung für Tessa Hayden und Harriet Plummer besorgt und dem Pastor überreicht. Friedhelm Kronzucker würde im Glockenturm warten. Langenbach kümmerte sich um die Wachen, die an potentiellen Angriffspunkten postiert wurden. Die Männer hatten genaue Anweisungen, wie sie sich den bleichgesichtigen Brandstiftern gegenüber zu verhalten hatten. »Meinen Sie nicht, daß so viele Wachtposten etwas übertrieben sind?« fragte Gerhard B. Maurer. Der breitschultrige Brandschutzinspektor hievte seinen stämmigen Körper vor dem Rathaus aus seinem Passat. »Die Stadt wirkt ja wie eine Festung.« »Wir haben auch so was wie einen Belagerungszustand, Herr Maurer«, gab Pit Langenbach zurück. »Sehen Sie, diese Brandstifter schrecken vor nichts zurück. Sie können überall zuschlagen. Wahrscheinlich werden sie an mehreren Orten gleichzeitig auftauchen. Wir wollen möglichst gut vorbereitet sein.« »Ist mir ja auch nicht unrecht, Chef. Je mehr Sie von den Kerlen erwischen, desto weniger bekomme ich zu tun.« »Keine Sorge, Maurer. Sie werden schon noch genug Arbeit bekommen. Wir können schließlich nicht alle Plätze bewachen.« »Wo liegen denn die Schwachstellen?« Pit Langenbach breitete eine Faltkarte aus. Außer ihm, den Einsatzleitern, Polizeirat Weniger und Staatsanwalt Meinhardt gehörte jetzt auch der Brandschutzinspektor zu dem kleinen Kreis der Eingeweihten, die über die Verteilung der Posten und die Schwachstellen Bescheid wußten. Der Staatsanwalt hatte natürlich den Einsatzplan entschieden abgelehnt, doch er war überstimmt worden. »Kann ich irgendwas tun, um Sie zu unterstützen?« fragte 105 �
Maurer. Pit überlegte. »Nehmen Sie ein paar Ihrer Leute und postieren Sie sich beim Dom. Dort befinden sich zwar bereits etliche Posten, aber ich glaube, am Dom können wir nicht genug Leute haben. Kontrollieren Sie bitte in dreißigminütigem Abstand die Posten.« Maurer nickte und stieg wieder in seinen Wagen. »Und danke, Herr Maurer.« »Schon gut. Ich drehe nicht gerne Däumchen!« Pit nahm Rücksprache mit dem Polizeirat und begab sich anschließend wieder in den mittleren Turm von St. Marien. »Hat sich was getan?« fragte er. »Nichts«, gab Pastor Kronzucker zurück. »Könnten Sie mich ablösen? Ich möchte im Dom nach dem Rechten sehen.« »Selbstverständlich, Pastor. Nur zu.« Die Inspektion des Doms nahm länger in Anspruch, als Kronzucker gedacht hatte. Es war bereits Abend, als er die letzten Betenden höflich, aber bestimmt bat, das Gotteshaus für diesen Tag zu verlassen. Er hatte Angst. Seine Familie befand sich in einer kleinen Stube hinter dem Altarraum. Hier waren sie vorläufig sicher, falls der Feuerteufel doch die Stadt heimsuchen sollte. Kronzucker vertraute darauf, daß der Dom einem Großfeuer standhalten würde. Außerdem war er bestens gesichert. Davon hatte er sich selbst überzeugt. Er schaute kurz nach seiner Frau und den beiden Kindern, bevor er das Kirchenschiff durchschritt und durch eine kleine Pforte zu den Glockentürmen zurückkehren wollte. »Pastor!« rief eine leise Stimme. Kronzucker stutzte. Er drehte sich um und schaute sich suchend in dem gewaltigen Innenraum des Doms um. Niemand war zu sehen. »Wird dir heiß, Pastor?« Die Stimme klang provozierend. »Wer ist da?« rief Kronzucker und schritt den Mittelgang entlang. 106 �
»Was sind wir neugierig, Pfaffe!« Der Pastor wurde wütend. Wenn es diesen Kerlen wider Erwarten gelungen war, in die Kirche einzudringen, würde er sie eigenhändig hinauswerfen. Er hatte keine Angst vor diesen hirnlosen Brandstiftern. Und wenn Gewalt nötig war, um die Kirche von diesem Gesindel zu befreien, war Kronzucker durchaus bereit, im Namen Gottes seine Fäuste zu schwingen. »Kalt, ganz kalt. Jetzt wird es wärmer! Du kommst deiner Sache näher, Pastor!« Die unsichtbaren Satansjünger spielten mit ihm. Kronzucker streifte sein Sakko ab und ballte die Fäuste. »Kommt raus, ihr Feiglinge! Verstecken kann sich jeder!« »Haben wir etwa Mut bekommen, Pastor? Mal sehen, wie mutig du bist, wenn wir deine Kirche abfackeln!« Die Stimme kam von den Beichtstühlen her. Kronzucker lief um die vorderen Kirchenbänke herum, sprang zu den Beichtstühlen und riß eine Tür auf. Der Beichtstuhl war leer! In fliegender Hast durchsuchte Friedhelm Kronzucker die übrigen Beichtstühle. Alle waren leer. »Angeschmiert, Pastor!« rief die höhnische Stimme. Kronzucker stützte sich an den Beichtstühlen ab und schüttelte den Kopf. Diese Kerle trieben ihr Spiel mit ihm. Allein war er ihnen nicht gewachsen. Er würde den Hauptkommissar verständigen. Entschlossen drehte er sich um, und starrte in die bleiche Fratze eines Satansjüngers. »Buh!« machte der und lachte sich halb kränk. Kronzuckers Fäuste zuckten vor, packten den Satansjünger am Kragen und schüttelten ihn. »Was fällt Ihnen ein? Sie sind krank, Mann! Wir werden sehen, ob Sie noch lachen, wenn ich Sie den Behörden übergebe!« brüllte der Pastor, daß es in den Ohren schmerzte. 107 �
»Ich glaube kaum, daß Sie diesen Schritt gehen werden, Pastor!« sagte eine ruhige Männerstimme vom Altarraum her. Kronzucker wandte den Kopf. Ein großer, breitschultriger Mann mit bleichem Gesicht schob Ellen Kronzucker vor sich her. »Friedhelm, sie – haben die – Kinder!« stammelte die Frau des Pastors. Kronzucker gab den Brandstifter frei. »So ist es gut, Pastor! Und jetzt gehen wir gemeinsam zu Ihrem Freund, dem Hauptkommissar! Wir wollen doch sicherstellen, daß mein Meister sein Versprechen halten kann, nicht wahr? Er will das Heiligste dieser Stadt vernichten. In dieser Nacht wird die Gloriosa zum letzten Mal läuten!« rief Ben Mason, übergab Ellen Kronzucker an einen seiner Jünger und schob den Kirchenmann vor sich her. »Keine Müdigkeit vorschützen, Pastor. Es dauert nicht mehr lange. Und wir wollen den Hauptkommissar doch nicht warten lassen, was?« »Ist unten alles in Ordnung, Pastor?« rief Pit Langenbach, als er die Schritte auf der Holztreppe hörte. »Unten läuft alles wie geschmiert, Kommissar! Es könnte gar nicht besser laufen«, bekam er zur Antwort. Sekunden später wußte Pit Langenbach, daß die Stadt Erfurt dem Untergang geweiht war… * »He, Fettsack!« rief ich. Der Muskelprotz stutzte. Die glühende Eisenspitze blieb vor Harriets Gesicht in der Luft hängen. »Versuch es mit mir, Fettbacke! Ich will endlich wissen, was wirklich in dir steckt!« »Bin nicht – fett!« Der Schrei des Folterknechts kam tief aus der Kehle und begann als heiseres Grollen. »Vielleicht nicht. Aber deine Häßlichkeit ist kaum zu überbie108 �
ten, Schweinebacke!« »Bin nicht – häßlich!« brüllte der Muskelprotz. Tränen der Wut strömten aus seinen Knopfaugen. Mit einer ungeduldigen Handbewegung schob er das Kohlebecken auf die Seite. Er schien die Hitze überhaupt nicht zu spüren. Mit stampfenden Schritten kam er zu mir und schwang das Foltereisen. Er schwang es nicht lange. Ein Tritt fegte ihm das Eisen aus der Hand. Ich schwang mich hoch, legte beide Beine wie eine Klammer um seinen Kopf und drückte zu. Gleichzeitig zog ich den Kerl zu mir heran. Der Folterknecht wurde von meinem Angriff völlig überrascht. Er packte zwar meine Beine, um sie von seinem Schädel wegzuzerren, doch bis er seine ganze Kraft einsetzte, stand er bereits dicht vor mir. Ich zog ihm den Dolch aus dem Gürtel und setzte ihm die Klinge an die Kehle. »Ganz ruhig, Alter!« zischte ich. »Jetzt bist du nur fett und häßlich. Wenn du auch noch tot sein willst, dann mach nur so weiter. Überleg es dir!« Sein Griff an meinen Beinen lockerte sich. Stocksteif blieb er stehen. Er schien nicht so ganz erfassen zu können, was mit ihm geschah. »Nimm jetzt ganz langsam den Schlüssel vom Gürtel und öffne die Ketten«, befahl ich. »Aber laß dir keine Dummheiten einfallen, Dicker. Ich bin mächtig aufgeregt. Du willst doch nicht, daß meine Hand zittert – oder?« Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Seine Wurstfinger krochen zu dem Schlüsselbund an seiner Hüfte, hakten ihn los und hoben ihn hoch. »Den Ring zuerst!« herrschte ich ihn an. Unendlich langsam löste er die Halsfessel. Ich deutete auf die Hände. Er befreite mich auch von diesen Ketten. Ich trieb ihn gegen die Wand und legte ihm den Halsring an. Er war zu eng für seine dicken Halsmuskeln. Der Folterknecht 109 �
würgte. Ich trat zurück. »Wenn du ganz ruhig stehen bleibst, spürst du den Ring kaum. Ich kann dir leider nicht länger Gesellschaft leisten, mein Freund!« Jetzt war Eile geboten. Ich durchschnitt Tessas Fesseln und half ihr von der Streckbank. Sie klappte in meinen Armen zusammen. »Ich – hab gewußt, daß du – kommst«, stammelte sie. Ich stützte sie und führte sie zu Harriet Plummer hinüber. Augenblicke später hielt ich auch die Engländerin im Arm. Sie bedeckte mein Gesicht mit Küssen und weinte hemmungslos. »Nicht so stürmisch, Harriet«, murmelte ich. »Tessa ist imstande und läßt dich hier zurück.« Als Antwort bekam ich auch einen langen Kuß von Tessa Hayden. »Jetzt aber nichts wie weg«, sagte ich, nahm die beiden an der Hand und rannte zur Kerkertür. Wir liefen ausgetretene Steinstufen hinauf. Hinter uns hörte ich das Röcheln und Brüllen des Folterknechts, der wie besessen an dem Eisenring zerrte. Als wir die Treppe hinter uns hatten, hasteten wir einen langen Kreuzgang entlang. »Wir sind hier in einem Kloster, nicht wahr?« fragte ich. »Die Überreste des Klosters, aus dem er einst verbannt wurde«, bestätigte Tessa. »Das hat er uns jedenfalls erzählt.« »Wie praktisch. Er hat sich gleich eine eigene Folterkammer hier eingerichtet.« »Wir sind nicht die einzigen Frauen, die ihm zum Opfer fielen, Mark. Der Kerl ist schlimmer als der Teufel.« Der Kreuzgang endete vor uns. »Ich glaube, wir sind weit genug. Wohin, Mylady?« fragte ich Harriet. Sie grinste. »Nach Hause, James. Verzeihung, Mark!« antwortete sie. Irgendwo ertönte das furchtbare Gebrüll des unheimlichen Mönchs. »Sie haben sie gegossen! Ich kann sie nicht zerstören! Sie haben das Erz gesegnet, als es noch flüssig war, und sie dann 110 �
gegossen! Verflucht! Dreimal verflucht! Die Glocke ist zu stark!« Sekunden vergingen. Als wir bereits auf dem Boden knieten und ich den Siegelring aktivierte, vernahmen wir sein Wutgeschrei aus den Tiefen des Folterkellers. Er hatte unsere Flucht entdeckt. Ich schrieb die Runen des Wortes Reise auf den Steinboden, nahm die beiden Frauen an den Händen und hörte die trampelnden Schritte des Mönchs. Im nächsten Moment öffnete sich das Drachenmaul, und der bodenlose Schacht nahm uns auf. * Wir purzelten auf dem harten Dielenboden durcheinander. Die Holzbretter knirschten unter unserem Aufprall. Ich rollte mich ab und kam langsam hoch. Mein Blick wurde klar. Von Pit Langenbach war nichts zu sehen. Verdammt, wo treibt sich der Kerl wieder rum? Immer, wenn man ihn braucht, hat er was anderes vor! Das waren zwar unfaire Gedanken, denn auf Pit war normalerweise Verlaß. Aber die letzten Stunden hatten mich ganz schön gefordert, und ich war einfach genervt. Ich kam fluchend auf die Beine und schaute mich um. Im Dunkeln zeichnete sich die Gestalt meines Kumpels Pit undeutlich ab. »Mensch, wo bleibt der Willkommensgruß, Alter?« maulte ich und schlüpfte in meine Hose, die ich von dem an der Wand liegenden Kleiderbündel gezogen hatte. »Herzlich willkommen!« bekam ich zur Antwort, aber nicht von Pit. Ich schaute erneut zu meinem Freund und Kampfgenossen hinüber. Jetzt erste bemerkte ich seine Pistole, die am Eingang der Nische auf dem Boden lag. Hinter Pit schälte sich eine bleiche, grinsende Fratze aus der Dunkelheit! »Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie sich jetzt nicht mehr bewegen würden, 111 �
Herrschaften. Die Damen bieten übrigens einen überaus reizvollen Anblick!« Tessa Hayden und Harriet Plummer standen in der Mitte der Nische. Ihre nackten Körper hoben sich matt von der Dunkelheit ab. »Was soll das?« fragte ich wütend. »Damit kommst du nicht durch, Satansjünger. Gib auf!« »Tun Sie um Gottes Willen, was er sagt!« rief Pastor Kronzucker. »Sie haben meine Frau und die Kinder!« Das waren ja schöne Aussichten. In diesem Fall kam ich wohl immer wieder vom Regen in die Traufe. »Und jetzt?« fragte ich. »Fackelt ihr jetzt den Dom ab?« »Das überlasse ich dem Meister«, sagte der Satansjünger und trat mit dem Pastor vor. Seine bleiche Fratze verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. Die Lippen entblößten zwei Reihen spitz zugefeilter Zähne. »Du hast hoch gespielt, Hellmann. Und verloren!« sagte der Satansjünger höhnisch. Ich kannte dieses Gesicht, hatte es schon mal gesehen. Es war mir in meinem Alptraum begegnet! »Dein Meister wird auf sich warten lassen«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen. »Ich hab ihm in seinem Folterkeller ganz schön zugesetzt.« »Der Bluff zieht nicht, Hellmann. Ich weiß, daß er dir dicht auf den Fersen ist. Heute nacht wird Erfurt ihm gehören, und niemand wird etwas daran ändern!« »Warten wir es ab.« Ich schob mich langsam nach vorn. »Bleiben Sie stehen, Hellmann! Bitte, bleiben Sie, wo Sie sind! Sie bringen meine Familie um!« Die Stimme des Pastors überschlug sich. Ich blieb stehen. »So ist es brav, Hellmann! Wir warten jetzt auf den Meister, und dann erlebst du ein Feuerwerk, wie du noch keins gesehen hast.« Der Spitzzahn überlegte kurz. »Los, wir gehen jetzt runter 112 �
in die Kirche. Hier oben ist es mir zu eng!« Langsam schob ich mich an ihm vorbei. Pit gesellte sich zu mir. Der Spitzzahn hielt den Pastor fest umklammert. Ich konnte nicht riskieren, daß er den Kirchenmann in Brand steckte. Und die Familie des Pastors wollte ich auch nicht gefährden. »Dürfen die Frauen ihre Kleider mitnehmen?« fragte ich. »Sie sollen so gehen, wie sie sind. Meine Jungs möchten auch mal was Nettes zu Gesicht bekommen.« »Du hast wohl vor gar nichts Respekt, Teufelsjünger. Zwei splitternackte Frauen in einer Kirche. Aber wenn du unbedingt darauf bestehst, bitte. Sie können sich ja unten anziehen.« »Aber erst, wenn ich es ihnen erlaube!« Er grinste wieder. »Es wird ihnen sowieso nichts mehr helfen. Da, wo sie hingehen, brauchen sie keine Klamotten.« Er bewegte den Kopf. »Los, Beeilung!« Tessa ergriff ihr Kleiderbündel und schob sich an ihm vorbei. Harriet zögerte. »Ich – ich kann das nicht«, stammelte sie. Der Spitzzahn wurde ungeduldig. »Hör mal, Puppe, wenn du nicht gleich deinen hübschen Hintern hier rausbewegst, gehst du nirgendwo mehr hin. Ist das klar?« Die Engländerin nickte, hob ihre Kleider auf und ging mit kleinen Schritten vor. Am Eingang stolperte sie, verlor das Gleichgewicht und ließ das Kleiderbündel fallen. »Die ist zu dämlich zum Laufen! Mach endlich hin, Alte!« schrie der Satansjünger. Harriet raffte ihre Kleider zusammen und stolperte an dem Spitzzahn vorbei. Der stieß sie in den Rücken und ließ sie gegen mich fallen. Ich stützte die Engländerin. Gemeinsam stiegen wir die Stufen hinunter und betraten das Kirchenschiff. »Kommt mal her, Jungs, hier gibt es was für euch zu sehen! Ein Striptease in umgekehrter Reihenfolge!« schrie Spitzzahn. Die bleichgesichtigen Brandstifter kamen hinter Nischen hervor, aus dem Beichtstuhl und aus dem Altarraum. Sie hatten tatsächlich 113 �
die Familie des Pastors in ihrer Gewalt. Friedhelm Kronzucker lief zu Frau und Kindern und umarmte sie. »Jetzt könnt ihr euch anziehen«, sagte Spitzzahn. »Aber in Zeitlupe!« Tessa und Harriet griffen nach ihrer Unterwäsche. Im selben Augenblick schwang das riesige Kirchenportal des Doms krachend nach innen! Im Eingang zeichnete sich eine hagere, großgewachsene Gestalt ab. Die dunkle Kutte ließ sie noch unheimlicher erscheinen. Anselmus, der Feuerteufel, war gekommen! »Es ist soweit, meine Brüder und Schwestern!« rief er. Seine heisere Stimme hallte durch das Kirchenschiff. »Jetzt wird diese Stadt meine Macht anerkennen oder untergehen!« Die Satansjünger wieselten zu ihm hin. »Tut euer Werk, Brüder und Schwestern! Tut, wie ich euch geheißen!« Der breitschultrige Mann mit den spitzen Zähnen ging dem Mönch entgegen. »Was machen wir mit dem Pastor und den anderen?« fragte er. »Ah, der Kirchenmann! Du hast es gewagt, die verdammte Glocke zu läuten und mir Schmerzen zu bereiten. Nun sollst du Schmerzen verspüren!« Das Flammenschwert zeigte auf Friedhelm Kronzucker. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Flammen züngelten an seinen Beinen hoch und fraßen sich nach oben. »Pit, rasch!« brüllte ich. Der Hauptkommissar warf sich sofort auf den Pastor, rollte ihn hinter den Altar, fetzte sein Hemd vom Körper und erstickte die Flammen. »Spürt meinen Zorn! Spürt das Feuer der Hölle!« schrie Anselmus und zielte mit seinem Flammenschwert auf uns. Ich stürzte mich auf die Familie des Pastors und brachte sie hinter dem Altar in Deckung. Feuerlanzen zuckten auf uns zu. Das Flam114 �
menschwert war der verlängerte Arm des Teufelsmönchs. Tessa und Harriet duckten sich hinter Kirchenbänke. Die Flammen verfehlten ihr Ziel. Überall in der Kirche schossen kleine Feuer hoch. Ein irres Gelächter brandete auf. »Brenne, Erfurt!« schrie Anselmus. Seine Schritte hallten auf dem Steinboden. Der Spitzzahn rannte hinter dem Mönch her. Sie strebten der kleinen Pforte zu, die zu den Glockentürmen führte. Er will das Heiligste der Stadt zerstören! Die Gloriosa! Ich wußte, daß Anselmus nichts wichtiger war, als Mephistos Fluch zu vollenden, um seine Macht für alle Zeiten zu festigen. Die Mater Gloriosa sollte in einem gigantischen Feuer vernichtet werden. Das war ihm sogar noch wichtiger als mein Tod. »Er will die Glocke zerstören! Wir müssen ihn aufhalten!« schrie ich und rannte zu der Pforte. Pit war mir dicht auf den Fersen. Es kam auf jede Sekunde an! * Die Satansjünger leisteten ganze Arbeit! Überall in Erfurt loderten die Feuer auf. Hauptsächlich betroffen waren ausgerechnet die Schwachstellen, an denen keine Wachen postiert werden konnten. Doch die Einsatzkräfte waren ebenfalls auf Zack. Polizeirat Weniger persönlich koordinierte die Einsätze. Er hatte einen Krisenstab um sich geschart und gab über Funk seine Anweisungen. In der Einsatzzentrale herrschte Hochspannung. »Hat sich der Staatsanwalt schon gemeldet?« fragte er während einer kurzen Ruhepause. »Nicht die Bohne. Er ist wie vom Erdboden verschluckt!« Feiges Aas! dachte Weniger. Hätte dir Hellmann damals nur 115 �
die Schnauze poliert! Seine Gedanken kehrten zu Hauptkommissar Langenbach und Mark Hellmann zurück. Hoffentlich schafften es die beiden, dem Terror ein Ende zu bereiten. »Es geht wieder los, Herr Polizeirat! Sie greifen das Rathaus an!« »Alle verfügbaren SEK-Kräfte zum Rathaus. Und keine Rücksichtnahme, meine Herren! Verhindern Sie ein Feuer. Mit allen Mitteln!« Die Einsatzkräfte schlugen zurück. Selbst als die Satansjünger versuchten, ihre Widersacher direkt mit magischen Beschwörungen in Brand zu setzen, ließen sich ihre Gegner davon nicht beeindrucken. Immer mehr Satansjünger wurden festgenommen. Am Rathaus entbrannte eine regelrechte Straßenschlacht, die jedoch ebenfalls zu Gunsten der Polizei entschieden wurde. Eine rasch anberaumte Vernehmung führte dazu, daß der Versammlungsort der Satansjünger bekannt wurde. Polizeirat Weniger raste in einem Dienstfahrzeug vor dem Mannschaftswagen des SEK her. Das Wohnhaus und der dazugehörige Kellerraum wurden gestürmt. Man fand die Eisenfesseln, einen Altar aus rauhen Steinquadern, auf dem noch Blutspuren zu sehen waren, und im Garten die bedauernswerten Opfer, die der Teufelsmönch dem Höllenfürsten geweiht hatte. »Zurück in die Stadt!« ordnete Weniger an. »Jetzt machen wir das Pack endgültig fertig!« Bevor er in seinen Wagen stieg, schaute er auf die brennende Stadt nieder. »Es ist schlimm. Aber es hätte viel schlimmer kommen können«, murmelte er. Sein Blick fiel auf den majestätischen Dom und die Glockentürme. »Läute, Gloriosa, läute für deine Stadt und ihre Menschen!« Er gab das Zeichen zur Abfahrt. Unterwegs beorderte er sämtliche verfügbaren Einsatzkräfte zum Dom. Was immer auch in dieser Nacht noch geschah, der Dom mußte gerettet werden! 116 �
* � Ich hetzte die Treppenstufen hoch. Über mir polterten Anselmus und sein Begleiter über die Treppe. Ich holte auf. Und dann sah ich ihn vor mir. Er stand auf der obersten Plattform. Mit hocherhobenen Armen starrte er auf die Glocke, die ihm und dem Teufel so lange getrotzt hatte. »Diesmal erwischt es dich. Mephistos Fluch wird sich erfüllen! Fünfhundert Jahre sind genug!« »Nein, Anselmus! Du wirst die Glocke nicht bezwingen! Sie ist stärker als du!« rief ich. Der Teufelsmönch wirbelte herum. »Was faselst du da, Träger des Rings? Sieh dich um in dieser Stadt. Sieh die Häuser, wie sie in Flammen stehen. Sieh, wie Erfurt stirbt!« »Du irrst dich, Anselmus. Deine Gefolgsleute haben versagt. Ihre ganze Magie hat nicht gewirkt. Die Stadt ist gerettet, und du weißt es. Du bist am Ende, Mönch!« Ich bekam keine Antwort. Dafür sprang mir jemand in den Rücken und riß mich zur Seite. Pit Langenbach wollte eingreifen, doch ein Flammenstoß aus Anselmus' Schwert traf ihn und fegte ihn die Treppe hinunter. Ich drehte halb den Kopf und erkannte den Satansjünger mit den spitzen Zähnen. Aber durch all die Schminke erkannte ich auch, wem die grauenhafte Fratze gehörte. Gerhard B. Maurer wollte seine Beißer in meinen Hals schlagen! Das war denn doch zuviel des Guten. »Du solltest den Zahnarzt wechseln, mein Bester!« zischte ich und drückte seinen Kopf zurück. Mit einem zornigen Knurren verstärkte er seine Kräfte. Ich gab Maurer einen kräftigen Hieb auf die Nase. Der Kerl brüllte vor Schmerz. Wir rollten über den Boden, krachten gegen 117 �
die Wände, umklammerten gegenseitig unsere Kehlen. Der Helfer des Mönchs hatte Muskeln wie Drahtseile. Und er kämpfte mit der Kraft des Besessenen. Und dann machte ich einen Fehler. Ich riß meinen Gegner hoch und bewegte mich dabei zu nah auf die Treppe zu. Maurer trieb mich nach hinten. Mein Fuß stieß ins Leere! Ich verlor das Gleichgewicht. Mit einer verzweifelten Kraftanstrengung warf ich mich nach vorn, drängte mich gegen meinen stämmigen Gegner und stieß ihn zur Seite. Ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen, aber jetzt drohten wir beide die Treppe hinunterzusegeln. »Ben Mason!« hallte ein Schrei von unten auf. Gerhard B. Maurer stockte. Ein Schuß peitschte laut durch das Glockengestühl. Maurer zuckte zusammen und fiel gegen mich. Anselmus, der sich wieder der Glocke zugewandt hatte, wirbelte zu uns herum. Er schob seine Hand in den Lederbeutel, holte die Pulverkörnchen heraus und deutete auf uns. Er mußte bemerkt haben, daß auf seinen Jünger kein Verlaß mehr war. Sein Feuerzauber sollte mich treffen. Ich riß den zusammengesunkenen Körper des Spitzzahns herum. Die Pulverkörner flirrten durch die Luft und senkten sich über den Körper des Satanspriesters! In Sekundenbruchteilen war er von Flammen eingehüllt. Maurer bäumte sich auf und kreischte markerschütternd. Er taumelte auf die Treppe zu, erreichte sie jedoch nicht mehr. Sein massiger Körper brach durch das Geländer an der Plattform. Schreiend stürzte der brennende Satanspriester in die Tiefe. Detective Sergeant Harriet Plummer hielt Pit Langenbachs Dienstwaffe in der Hand, die sie an sich genommen hatte, als sie in der Nische gestolpert war. Neben ihr kauerte Pit auf dem Boden. Die Feuerlanze des Mönchs hatte keinen größeren Schaden bei ihm angerichtet. Harriet und Tessa hatten die Flammen 118 �
rasch erstickt. »Mark! Der Mönch!« schrie Tessa. Ich fuhr herum, stürzte auf die oberste Plattform und warf mich auf Anselmus, bevor er seine Beschwörung beenden konnte. Meine Hände krallten sich in die Kutte und rissen den hageren Mönch von den Beinen. Er hieb mit dem Flammenschwert nach mir. »Du wirst mich nicht aufhalten, Hellmann!« stieß er keuchend hervor. Er schlug erneut nach mir, doch geschickt wich ich der Klinge aus. Dann hebelte ich seinen Arm unter und zwang ihn, die Klinge fallen zu lassen. Seine knochige Hand packte meine Kehle und bog meinen Kopf zurück. Ich griff ebenfalls zu, erwischte ihn jedoch nicht richtig. Meine Finger zogen ihm die Kapuze vom Kopf. Ich erlebte einen der schrecklichsten Augenblicke meines Lebens! Selten zuvor hatte sich mir ein scheußlicherer Anblick geboten. Der kahle, rußgeschwärzte Kopf wirkte wie ein Totenschädel. Schiefe Zähne grinsten mich an. Rotglühende Augen lagen tief in den schwarzen Höhlen. Anselmus lachte. »So sehe ich aus, seit man mich damals auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollte, Hellmann! Kein schöner Anblick, nicht wahr? Aber du wirst bald genauso aussehen!« Er lachte wieder und pustete mich an. Ich warf mit letzter Kraft den Kopf zur Seite, stieß den hageren Mönch von mir und fiel zu Boden. Die Flammen seines feurigen Atems trafen nicht mich, sondern das Gebälk. Sofort züngelten die Flammen an den Balken entlang. »Löscht das Feuer!« schrie ich und wollte mich wieder auf den Mönch stürzen. Ein harter Tritt traf mich voll. Ich sackte zusammen. Anselmus schickte meinen Freunden seine Pulverkörner entgegen. Er ließ sie nicht auf die oberste Plattform gelangen. Das Feuer würde bald um sich greifen. »Holt Feuerlöscher!« rief 119 �
ich. »Tut irgendwas, aber haltet das Feuer auf!« Anselmus kicherte gehässig. Vor den Füßen der beiden Frauen loderten magische Feuersäulen von den Treppenstufen hoch. »Ihr bleibt schön hier, meine Täubchen. Gemeinsam mit dieser verfluchten Glocke sollt ihr brennen!« Der Mönch wandte sich ein letztes Mal der Glocke zu und hob die Arme. Wenige Augenblicke noch, und alles war aus! Auf Händen und Knien schob ich mich nach vorn und packte das Flammenschwert. »Anselmus!« schrie ich. »Du wolltest viele Menschen durch deine höllische Macht vernichten. Jetzt wirst du selbst ein Opfer deiner höllischen Kräfte!« Ich holte aus. »Das Ewige Feuer wartet, du Bestie!« Anselmus drehte sich um. Er langte wieder in seinen Beutel und legte beide Hände aneinander, wie ich das schon bei seinen Jüngern gesehen hatte. Diesmal wollte er uns, und vor allem mir, den Rest geben. Im selben Moment kam ich auf die Füße, stürzte mich auf Anselmus und rammte ihm das Flammenschwert tief in die hagere Brust. Mein Schwung war so groß, daß ich den teuflischen Mönch gegen das brennende Gebälk trieb und ihn dort buchstäblich festnagelte. Ich wich zurück. Der Dämonenmönch krallte seine knochigen Hände um den Schwertgriff und versuchte, sich zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Die Flammen griffen auf ihn über und verzehrten den höllischen Mönch. Was vor fünfhundert Jahren begonnen worden war, wurde jetzt vollendet. Anselmus, der Feuerteufel, der so viel Leid über Erfurt gebracht hatte, war Opfer seines eigenen Werkzeugs geworden! Nichts blieb von ihm übrig. Nicht mal sein Schwert. Müde schritten wir die Treppen hinunter, nachdem wir die Flammen im Glockengebälk erstickt hatten. Als wir aus dem Portal von St. Marien traten, sahen wir nur noch vereinzelte Feuerstellen in der Stadt. Pastor Friedhelm 120 �
Kronzucker betätigte den Mechanismus, und über uns läuteten die Glocken. Weithin war das Geläute im Land zu hören. Am hellsten und schönsten aber war der Klang der Mater Gloriosa. * Polizeirat Weniger beglückwünschte uns und brachte seinen Dank zum Ausdruck. Es war gelungen, die übrigen Satansjünger zu stellen. Mit der Vernichtung des Teufelsmönchs war der Bann gebrochen. Verwirrt waren sie in der Stadt herumgeirrt. Sie erinnerten sich an nichts. Wir fanden die traurigen Überreste von Gerhard Maurer im Treppenschacht. Das Feuer war wohl durch den Sturz in die Tiefe weitgehend erloschen und hatte seinen Körper nur zum Teil in Mitleidenschaft gezogen. »Jetzt weiß ich auch, wieso mir sein Akzent in London so zu schaffen machte«, meinte Harriet Plummer. »Er war Deutscher. Den Namen Ben Mason hatte er sich zugelegt, um in London seine Satansmessen abhalten zu können. Darauf hätte ich auch gleich kommen können. Mason ist das englische Wort für Maurer.« »Und der Vorname?« fragte Pit. »In London hatte er einen Paß auf den Namen Benjamin Gary Mason. Ich bin überzeugt, daß sein zweiter deutscher Vorname Benjamin lautet.« Sie kniete sich nieder und kramte in der teilweise verkohlten Kleidung des Satanspriesters herum. »Hier, das ist wohl der letzte Beweis«, sagte sie und erhob sich. Auf ihrer Handfläche lagen die Kunststoffkronen, mit denen Maurer seine spitzen Zähne verdeckt hatte. »Okay, Miss Sherlock, Sie haben gewonnen«, sagte ich. »Scotland Yard ist eben doch die beste Polizeitruppe der Welt.« »Die zweitbeste«, murmelte Pit. »Wieso?« 121 �
»Du vergißt, daß ich in Weimar sitze, mein Lieber!« »Bescheidenheit war wohl noch nie deine Stärke, was?« Wir ließen es uns nicht nehmen, Detective Sergeant Plummer Weimar und Umgebung zu zeigen. Vor allem die Thüringer Küche hatte es ihr angetan. Auch ein Abstecher nach Leipzig, Dresden und Berlin war noch drin. »Und was schlägt der große Held für den Rest des angebrochenen Abends vor?« fragte Tessa, als wir ziemlich müde in meine Wohnung zurückkehrten, nachdem wir Harriet Plummer in Berlin in den Flieger gesetzt hatten. »Ich könnte dir zeigen, wie das Feuer der Liebe mich verzehrt.« »Hör mir bloß mit Feuer auf.« »Aber was ist, wenn du heißt wirst und dein Herz in Flammen steht?« »Hör auf, Mark!« »Aber Schatz. Ich sorge dafür, daß du garantiert jeden Eiswürfel zum Schmelzen bringst. Dir wird so heiß, daß du deine Klamotten nicht mehr ertragen kannst und…« Sie küßte mich. Wild und leidenschaftlich. Es wurde heiß. Und heißer. Unsere Klamotten waren wirklich überflüssig. Sie küßte mich immer noch, als sie mich ins Bad schob und in die Duschkabine steigen ließ. Sie küßte mich auch noch, als sie hinter mir an der Armatur herumfummelte. Sie küßte mich nicht mehr, als das eiskalte Wasser auf mich niederprasselte und das Feuer der Liebe erst mal zum Erlöschen brachte. Aber nicht für lange. ENDE
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»Ich bin Dracomar, der mächtige Blutdruide!« rief der Entstellte und schlug sich mit seiner dürren Faust an die halbzerfetzte Brust. Mit Schlapphut und schwarzem Umhang hatte er wieder seine gewohnte Gestalt angenommen. »Generationen von Menschenwürmern haben vor mir gezittert! Und trotzdem hältst du mich seit dieser Geschichte in Weimar gefangen wie einen Sklaven. Warum nur, o mächtiger Mephisto?« In Band 27 seiner immer beliebter werdenden HorrorSerie Autor C.W.Bach
Dracomars Rückkehr � Nachwuchs-Dämonenjäger Mark Hellmann muß Lehrgeld bezahlen. In seinem ersten Fall gaubte er, den Blutdruiden erledigt zu haben. Ein folgenschwerer Irrtum!
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