Atlan - Minizyklus 05
Dunkelstern
Nr. 05
AMENSOON in Not von Michael Berger
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atla...
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Atlan - Minizyklus 05
Dunkelstern
Nr. 05
AMENSOON in Not von Michael Berger
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atlan, der unsterbliche Arkonide, ist gemein sam mit der geheimnisvollen Varganin Kythara auf die Fährte der »Lordrichter von Garb« gestoßen, die mit riesigen Armeen ihrer »Garbyor«-Völker und geraubter var ganischer Technologie an vielen Orten des Universums wirken. Zunächst wurden sie in der Southside der Milchstraße mit ihnen konfrontiert, und nun stehen sie in der Kleingalaxis »Dwingeloo« wieder im Kampf gegen die unheimlichen Invasoren. Zwar haben sie Unterstützung durch Cappin-Raumer, die aus Gruelfin hierher gelangt sind, doch die Macht des Feindes ist überwältigend. Und so gerät die AMENSOON IN NOT …
AMENSOON in Not
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide bricht zu einer Dschungelexpedition auf.
Kythara - Die Varganin kämpft um ihr Raumschiff.
Gorgh-12 - Der Hyperwissenschaftler erweist sich als wertvoller Helfer.
Kalarthras - Kytharas ehemaliger Geliebter kümmert sich um die Instandsetzung der AMENSOON.
1. Notlandung mit Hindernissen 7. Juni 1225 NGZ Die Schockwelle traf uns mit voller Wucht. Die AMENSOON erzitterte unter den Energien der gewaltigen Strukturer schütterungen, die das Sonnensystem durch eilten. Sie setzten der Außenhaut des Schif fes mehr zu als die Treffer der GarbyorRaumer zuvor, die uns wie eine Meute wil der Hunde durch den Hyperraum gehetzt hatten. Die Schirme hatten bereits unter dem fortwährenden Beschuss der feindlichen Kampfschiffe ihre maximale Belastbarkeit erreicht. Kythara setzte zur Notlandung an. Es blieb uns keine andere Wahl, wollten wir unsere Haut noch retten. »Schwarze Substanz materialisiert wei ter«, stellte Kythara fest. »Die Strukturer schütterungen werden immer stärker! Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit!« Trotz der besorgniserregenden Ereignisse klang ihre Stimme erstaunlich ruhig. »Wem sagst du das!«, gab ich zurück. Die angeschlagene AMENSOON erzitterte und bebte. Und ich konnte für den Moment nicht mehr tun, als einen Fluch auszustoßen, wäh rend Kythara das Oktaederschiff lenkte. »Und dabei bin ich mir noch nicht mal si cher, dass uns dort unten etwas Besseres er wartet!« Kythara saß in ihrem Pilotensessel und fi xierte mich. »Was meinst du damit?« Weitere Erschütterungen erfassten das goldene Doppelpyramidenschiff. Wir wur den durchgeschüttelt, als befänden wir uns in einem Hurrikan kosmischen Ausmaßes. Wie lange würde die AMENSOON diese Kräfte, die permanent auf sie einwirkten, noch aushalten?
Wie lange würden wir es aushalten? Nur der Tatsache, dass ich noch immer ange schnallt in meinem Kontursessel neben Ky thara saß, hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht wie ein Pingpongball umhergewirbelt wurde. In Notrufen der Garbyor-Schiffe wurde der Planet als Sothin bezeichnet. Wo die AMENSOON bereits litt, musste die Lage an Bord der technisch nicht ganz so weit entwickelten Golfballraumer schlich weg katastrophal sein. Auch die Funknach richten, die wir auffingen, bestätigten das. Derzeit hatten die Gabyor keine Möglich keit, auf uns zu feuern. Gorgh-12, der insektoide Wissenschaftler, klammerte sich förmlich an seinem Pult fest und hatte die Beine fest gegen den Boden gestemmt. Nichts schien ihn umhauen zu können, solange er nur bei seinen Messin strumenten bleiben konnte. Er klackte ein paarmal mit den Maulzangen, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen, und verkündete dann den aktuellen Zwischenstand seiner Messungen: »Es scheint, dass die meisten Garbyor-Raumer bereits vernichtet sind.« Auf dem Holoschirm verschwanden so eben die letzten fünf Schiffe, indem sie in den Hyperraum wechselten. Es waren keine Verfolger mehr zu sehen. Alle anderen schienen von den Strukturerschütterungen und hyperenergetischen Ausbrüchen, die die Schwarze Substanz begleiteten, zerrieben und buchstäblich zerfetzt worden zu sein. Was für eine überaus glückliche Entwick lung, findest du nicht?, wisperte mein Extra sinn. Erst spielen sie Katz und Maus mit uns, als würden die Lordrichter den Hyperraum absolut beherrschen, und jetzt … Ich stimmte zu. Wann immer wir in den Überlichtflug übergegangen waren, hatten wir stets nur einen bestimmten Korridor nut
4 zen können. Es war beinahe so, als hätten die Garbyor uns einen bestimmten Flucht weg aufzwingen wollten. Sobald wir den Hyperraum auch nur für Sekunden verlassen hatten, waren ihre Kampfschiffe gleich wie der um uns. »Haben wir inzwischen neue Ortungser gebnisse hinsichtlich des Systems?«, wollte Kythara wissen. »Wartet.« Gorgh-12 rief ein paar neue Daten ab, die die empfindlichen Schiffssen soren aufgefangen hatten. »Gelbe Sonne vom Typ G7V, acht Trabanten. Adäquate Umweltbedingungen nur auf Planet II, So thin genannt von den Gabyor: Sonnenentfer nung: 136,037 Millionen Kilometer, Durch messer: 13.823 Kilometer, Sauerstoffatmo sphäre, Schwerkraft: 1,08 Gravos, Umlauf: 303,94 Tage zu 25,9 Stunden, Achsneigung: 34 Grad, Wasser-zu-Land-Verteilung zwei zu eins, vier Hauptkontinente; ein Mond von 555 Kilometern Durchmesser in einem Ab stand von 207.000 Kilometern.« Eine durchaus erdähnliche Welt also, die uns dort unten zu erwarten schien. »Ich erkenne keinen Grund, dort nicht zu landen,« sagte Kythara. »Vielleicht bedeutet dieser Planet nur für die Garbyor-Schiffe ei ne Gefahr. Aus einem Grund, den wir nicht kennen.« »Oder den wir kennen lernen werden. Und das vielleicht schneller, als uns lieb ist!«, orakelte ich. Die einzige Person, die sich bislang noch nicht zu Wort gemeldet hatte, war Kalar thras. Aber ich war ganz froh, dass er den Mund hielt. So oder so war er für uns bisher keine große Hilfe gewesen. Der Planet stürzte plötzlich wie ein riesi ger Ball auf uns zu. Beunruhigt registrierte ich, dass der eingeleitete Bremsvorgang al les andere als ordnungsgemäß verlief. »Die Instrumente spielen verrückt! Was ist da los?« Ich versuchte zu begreifen, was vor sich ging. Die Daten waren korrekt. Sie zeigten den ordnungsgemäßen Bremsvor gang an. Und doch beschleunigten wir!
Michael Berger Wenn wir weiter an Tempo gewannen, würden wir unweigerlich auf Sothin zer schellen! Auch Kythara hatte die Gefahr erfasst. Ich spürte, wie ihre aufkommende Panik meine eigenen Gedanken überflutete. Es währte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Derart be sorgt hatte ich sie selten erlebt. Das blausti chige Licht, das normalerweise aus den Deckenplatten und indirekt angebrachten Leuchtkörpern jeden unserer Schritte an Bord begleitete, flackerte. Auch dies ein Zeichen, dass wir uns nicht darauf verlassen konnten, dass die Selbstreparaturmechanis men der AMENSOON in jedem Fall funk tionierten. Das stroboskopisch zuckende Licht ver lieh den edlen Zügen der Varganin einen lei chenhaften, kalten Schimmer. Ich wusste, dass sie ihre volle Konzentra tion benötigte, die sich nun einzig und allein auf den Landevorgang beschränkte. Ange spannt saß sie in ihrem Pilotensessel und be diente das umfangreiche Schaltpult. Ihre schlanken Finger huschten wie die einer Klavierspielerin darüber. Varganenraumer waren von jeher auf ex treme Robustheit angelegt. Sie waren gefer tigt worden für Expeditionen, die sie in die unendliche Weite fremder Universen führen würden. Das Außenmaterial bestand aus so lidem goldenem Varganstahl. Aber all dies nützte uns jetzt nichts. Wir trudelten weiter auf Sothin zu. Selbst Var ganstahl würde bei einem ungeschützten Aufprall zerschellen wie eine Nussschale. Tausend Gedanken rasten gleichzeitig durch meinen Kopf. Vor allen Dingen aber: Was bedeutete relative Unsterblichkeit ange sichts des nahenden Endes? Die letzte Sekunde, die letzte bewusste Empfindung, dieser eine Moment machte al les Vorherige bedeutungslos. Er einte den Hunderttausendjährigen und den im Kind bett sterbenden Säugling. Als Arkonide hatte ich dennoch nicht den geringsten Zweifel zu überleben. Auch Ky
AMENSOON in Not thara war potenziell unsterblich. Ich konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt. »Wie viele Minuten noch bis zum Auf schlag?« Die Varganin brauchte nicht auf ihre In strumente zu schauen. »Noch einundneunzig Sekunden«, kam prompt die Antwort. »Die Energieversor gung tendiert gegen null. Ich kann mir das nach wie vor nicht erklären. Es kann nicht allein an den Treffern liegen, die die AMENSOON abbekommen hat.« Sie schien tatsächlich ratlos. Ich hatte meine Begleiterin selten so angespannt gese hen. Doch selbst jetzt, im Angesicht des Aufpralls, agierte sie präzise und mit kon trollierter Souveränität. Ich wusste, dass die Energieversorgung von achtundvierzig leistungsfähigen Fusi onsreaktoren gewährleistet wurde. Daher gab es keinen Grund, sich jemals Gedanken machen zu müssen. Aber im Leben gibt es für alles ein erstes Mal! … noch siebzig Sekunden! Ein neuerlicher Ruck ging durch den Raumer. Ich wurde in meinem Sessel hin und her geschleudert. Den anderen erging es nicht besser. In nächsten Moment schien die Varganin das Schiff wieder unter Kontrolle gebracht zu haben. Die Fallgeschwindigkeit verrin gerte sich. Ich versuchte zu begreifen, was soeben passiert war. Ich kam auf keine Lösung. War es das, was die Garbyor-Schiffe so gefürch tet hatten? Vielleicht waren sie weit anfälli ger für das, was von Sothin ausging, als die AMENSOON. Das war die einzige Erklä rung, die mir logisch erschien. Aber sie war zu simpel. »Jedenfalls haben wir erreicht, was wir wollten«, sagte ich. »Wir haben die anderen endgültig abgehängt!« »Ja, es scheint, als böte uns Sothin Schutz, sofern wir den Anflug heil überste hen.«
5 Im nächsten Moment wurde klar, was Ky thara meinte. Sie hatte erneut den Landean flug auf der sonnenabgewandten Seite ein geleitet. Sie versuchte, auf dem nördlichsten der vier Kontinente zu landen. Die Erho lungspause, die uns vergönnt war, erwies sich nur von kurzer Dauer. Erneut materialisierte Schwarze Substanz nahe der Sonne, die 136 Millionen Kilome ter von uns entfernt war. Wieder wurde die AMENSOON von den Erschütterungen der Raum-Zeit-Struktur durchgeschüttelt. Es waren vor allen Dingen die Schutzschirme, die mir nach wie vor Sorgen bereiteten. Un ser Doppelpyramidenschiff verfügte in der oberen Pyramide über acht Schutzschirmge neratoren. Sechs davon waren bis auf Mini malfunktion geschwächt. Ursache waren keineswegs die normalen Kräfte, die beim Eintreten in die Atmosphä re wirkten. Diese wurden nach wie vor er folgreich abgewehrt. Es lag ausschließlich an den hyperphysikalischen Einflüssen, de nen selbst unsere Schutzschilde nicht ge wachsen waren. Das Schiff stöhnte und zitterte. Ich spürte die Vibrationen durch meine Bordstiefel hindurch. Wie ein Elektroschock erfassten sie meinen gesamten Körper. Mehr und mehr hatte ich den Eindruck, dass wir die Kontrolle über die AMEN SOON verloren. Selbst in den Augen des In sektoiden glaubte ich so etwas wie eine Re gung zu erkennen. Du glaubst es nur, korrigierte mein Extra sinn. Gorghs Klauen-Endglieder tickten nervös auf den Schaltfeldern und Schiebereglern herum. »Ich kann sie kaum mehr steuern«, bestä tigte Kythara meine Befürchtung. »Verflucht!« Ich schaute auf die Schirme. Wir näherten uns Sothin mit unverminderter Geschwin digkeit. »Es scheint, dass wir von irgendetwas dort unten angezogen werden!«, setzte sie hinzu. »Gorgh, was hältst du davon?«
6 »In der Tat. Wir …« Seine Worte wurden abrupt unterbrochen. Abermals ging ein brutaler Ruck durch die AMENSOON. Wieder wurden wir mächtig durchgeschüttelt. Aber durch den unabsicht lichen Bremsvorgang war der Absturz aber mals verhindert worden. »Irgendjemand scheint sich einen Spaß daraus zu machen, uns an der Nase herum zuführen«, sagte Kythara. »Sämtliche Steue rungsinstrumente sind ausgefallen. Wir ha ben eindeutig die Kontrolle über die AMEN SOON verloren.« Ich sah es selbst. Sothins Oberfläche lag nun gestochen scharf vor uns und füllte sämtliche Monitoren aus. Wir schwebten wie eine Feder sanft darauf zu. »Das ist … unglaublich!«, entfuhr es Gor gh. »Es scheint, als würde die AMENSOON magisch von einem bestimmten Punkt auf Sothin angezogen.« Ich konzentrierte mich auf die Planeteno berfläche. Doch mit bloßem Auge war nichts Merkwürdiges zu erkennen. Aufgeregt betätigte der Insektoide seine Tastaturen. Mehr und mehr hatte ich den Eindruck, dass die Instrumente längst seiner Kontrolle entglitten waren. Dein Eindruck ist richtig, bestätigte mein Extrasinn. »Funktionieren wenigstens die Taster noch?«, fragte Kythara. Gorgh nickte. Er schien zerknirscht, weil er es sich selbst nicht erklären konnte, wa rum die Instrumente derart versagten. »Die meisten Orter und Taster verzeichnen Total ausfall. Die wenigen, die noch halbwegs funktionieren, zeigen ein Gebiet von einigen hundert Metern Durchmesser an.« Seine Mandibeln zuckten und unterstrichen die Dramatik seiner Aussage. »Das reicht allemal zur Landung«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. Wir landen nicht, wir werden zur Lan dung gezwungen, berichtigte mich mein Lo giksektor. Im Gegensatz zu meinem Extrasinn ließ sich der Insektoide nicht provozieren. »Ich
Michael Berger kann nicht erkennen, was dort unten genau vor sich geht. Die Daten, die die Orter emp fangen, sind zu verzerrt. Jedenfalls scheint das Gebiet, auf das wir uns zubewegen, ge prägt von einem ziemlich wirren hyperphy sikalischen Feldlinienbündel.« »Heißt das, dass uns dort unten ebenfalls Schwarze Substanz erwartet?«, fragte ich. Das würde bedeuten, dass wir vom Regen in die Traufe gerieten. Der Insektoide schüttelte energisch den Kopf. »Die Emissionen scheinen denen der Schwarzen Substanz zu ähneln …« »Also doch!«, fluchte ich. Allmählich wurde immer klarer, warum uns die Garby or-Schiffe ziehen ließen. »Ich sagte, sie ähneln Schwarzer Sub stanz, aber sie sind nicht identisch mit ihr.« Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Eine neuartige Version der Schwar zen Substanz mochte nicht weniger Gefah ren bieten als die uns bislang bekannte. »Seht euch das mal an!« Der Ruf Kytha ras ließ mich herumwirbeln. Die Monitoren zeigten ein rätselhaftes Schauspiel. Obwohl wir uns der Oberfläche immer weiter näherten, schien sich das Ge biet unter uns mit jedem weiteren Meter pro portional auszudehnen. »Ich wage zu behaupten, dass es auf So thin eine Menge interessanter Phänomene zu entdecken gibt, wenn wir erst mal dort unten gelandet sind«, sagte ich. Vorausgesetzt, wir überstehen die Lan dung, ergänzte mein Extrasinn. Wir alle schauten wie gebannt nach drau ßen. Es war ein zutiefst irritierendes Schau spiel, das sich uns bot. Als würde Sothin sich vor unseren Augen aufblasen wie ein gewaltiger Ballon. Und wir konnten nach wie vor nicht einen Finger rühren, um so schnell wie möglich mit der AMENSOON das Weite zu suchen. Selbst die aufgeregten, von dem gewohnten Rascheln begleiteten Bewegungen Gorghs waren eingefroren. Er hatte wohl eingesehen, dass er mittels her kömmlicher Steuerung nicht mehr viel be wirken konnte. Sogar das hereinkommende
AMENSOON in Not Datenmaterial interessierte ihn im Moment weniger als der mysteriöse Anblick, der sich uns in natura bot. »Das ist mehr als seltsam«, sagte ich. »Für eine Sauerstoffwelt ist Sothin von sei ner Größe her durchaus standardmäßig. Aber die Proportionen scheinen irgendwie nicht mehr zu stimmen!« Wir überflogen soeben eine Art Canyon. Die gewaltigen Felsen waren deutlich zu er kennen. Doch selbst mir stockte der Atem angesichts der unergründlichen Schluchten, die irgendwo in schwarzen Tiefen unseren Blicken verborgen waren. »Es muss dort ge waltige Höhenunterschiede geben.« Es war ein gleichermaßen grandioser wie er schreckender Anblick. Vor allen Dingen, da sich nach wie vor die Welt vor unseren Au gen weiter zu vergrößern schien. »Unter normalen Umständen mussten wir längst gelandet sein«, stellte Kythara fest. »Oder zerschellt«, ergänzte ich. »Da ist mir dieser Schwebezustand weitaus lieber.« »Du weißt, was ich meine«, sprach Ky thara mit leicht gereiztem Unterton weiter. »Nach wie vor scheint der Gegner, der uns zu sich herabzieht, mit uns zu spielen. Ich habe das Gefühl, er genießt jeden winzigen Zentimeter, den wir in seinen Klauen sind.« Auch mir kam es so vor, als dehne sich nicht nur Sothin vor uns aus, sondern auch jede einzelne Sekunde. Die Zeit war ange sichts dessen, was mit uns geschah, bedeu tungslos geworden. Die karge, gewaltige Felsenformation machte einem satten Grün Platz. Ich weiger te mich zu glauben, was ich dort erblickte. Die Bäume waren mit bloßem Auge zu er kennen. Doch sie ragten derart hoch in den Himmel, dass es sie einfach nicht geben durfte. Jedenfalls nicht auf einem Sauerstoffpla neten, dessen Durchmesser gerade mal vier zehntausend Kilometer betrug. Es gab nur eine Erklärung dafür: »Die Instrumente haben uns falsche Daten angezeigt«, sagte ich. »Wahrscheinlich ha ben sie schon vor unserem Landeanflug ver
7 rückt gespielt. Jedenfalls muss Sothin um ei niges größer sein als angezeigt. Hunderte Male größer!« »Nicht nur Sothin ist größer, alles auf ihm scheint riesiger zu sein als sonst wo in die sem Universum. Ich habe noch nie solch ge waltige Schluchten und riesige Bäume gese hen«, bestätigte Kythara. Oder wir sind geschrumpft, bot der Extra sinn eine einfache Lösung an. Unfug!, gab ich zurück. Das hätten wir gemerkt! Nach wie vor war jeder zurückgelegte Ki lometer, den wir uns wie auf einem Leit strahl Sothin näherten, nur mit einer mini malen Änderung des Bodenabstands verbun den. Ich hatte den Eindruck, dass sich die AMENSOON zwar bewegte, aber Sothin sich mit fast ebensolcher Schnelligkeit von uns entfernte, sodass wir dem Planeten wie in Zeitlupe näher kamen. Ich versuchte mich zu entspannen. Natür lich war es eine Pseudosicherheit, aber zu mindest körperlich weniger anstrengend als das Auf und Ab der letzten Stunden. Meine Hände, die noch die Lehnen des Sitzes um klammert hielten, entkrampften sich. Dennoch benötigte ich nicht den Extra sinn, um zu wissen, dass es eine trügerische Ruhe war. Vielleicht war es nicht mehr als eine Erholungspause, bevor die Achterbahn fahrt weiterging. »Ich habe hier einige interessante Ver gleichsmessungen«, meldete sich der Insek toide zu Wort. Ich hatte kaum bemerkt, dass er sich wie der seinen Bildschirmen zugewandt hatte. »Nach meinen Berechnungen sind die Bäume dort unten Hunderte von Metern, vielleicht sogar Kilometern hoch!« Das Kni stern, das seine Worte begleitete, klang der art aufgeregt, das er kaum zu verstehen war. Das gibt es nicht, kommentierte mein Ex trasinn. Sothin ist nicht so groß, dass dort derart riesige Vegetation gedeihen kann. Er irrt sich. Oder ich hatte Recht, und wir sind verkleinert worden. Währenddessen war Gorgh pausenlos mit
8 der Ortung bemüht. Aber anstatt wie üblich Vergrößerungen des Zielgebiets zu projizie ren, waren es nun ständig neue Verkleine rungen, damit wir uns überhaupt ein Bild machen konnten. Mittlerweile stand die Landung unmittel bar bevor. Wir rauschten direkt an den ge waltigen Bäumen vorbei. Zum Glück ohne mit diesen Riesen zu kollidieren. Wahr scheinlich hätten wir uns wie in einem Netz darin verfangen. Sanft setzte die AMENSOON auf. Wir hatten Bodenkontakt! Unwillkürlich ließ ich die angehaltene Luft aus meinem Brustkorb entweichen. »Das ist das erste Mal, dass ich die AMENSOON zur Landung gebracht habe, ohne einen einzigen Finger zu rühren«, stell te Kythara sachlich fest. Dennoch war auch ihr die Erleichterung anzumerken. Erleichterung, gepaart mit Zweifeln und Vorsicht. Wer verfügte über derartige Kräfte, dass er ein ganzes Raumschiff entführen konnte? Und vor allen Dingen: Was bezweckte unser unsichtbarer Gegner damit? Die Holos zeigten, dass inzwischen ein ausgewachsener Hypersturm über unseren Köpfen im Sonnensystem hinwegbrauste. Gorgh war wieder wild damit beschäftigt, Ordnung in das Chaos seiner ihm nur wider strebend gehorchenden Schalttafeln zu brin gen. Seine Schädelantennen zuckten. »Sieht so aus, meine Freunde, als wären sämtliche auf Hyperbasis arbeitenden Aggregate durch den Hypersturm beeinträchtigt.« »Das heißt, uns droht ein totaler Energie ausfall«, sagte ich. Was heißt droht?, ergänzte süffisant mein Extrasinn. Er ist mehr oder weniger schon eingetreten. »Und wie ist es um die Mechanik be stellt?«, fragte die Varganin. Der Wissenschaftler betätigte pausenlos weitere Schieber und Regler. Er war in sei nem Element. »Kein Problem«, wisperte er schließlich aufgeregt. »Läuft wie geschmiert sozusa-
Michael Berger gen.« »Bestens, dann lass die Hüllensegmente ausfahren, damit die AMENSOON sicheren Stand hat. Mich wundert ehrlich, dass der Sturm uns noch nicht wieder erfasst hat.« »Weil wir uns noch immer in der Hand der fremden Kraft befinden«, antwortete ich. »Ich weiß. Es war eher eine rhetorische Bemerkung, mein Lieber. Ich sollte mich klarer ausdrücken: Ich frage mich, wie lange uns unser unsichtbarer Gastgeber noch Schutz gewährt vor dem Sturm.« »Typisch weibliche Logik«, konnte ich mir nicht verkneifen zu erwidern. »Immer vom Schlechtesten auszugehen. Warum soll te uns unser Gastgeber erst retten und uns dann dem Sturm preisgeben? Wenn er unse re Vernichtung wollte, hätte er uns gleich dort oben gelassen.« »Typisch männliche Logik«, konterte die Varganin. »Ihr denkt nie weiter als einen Schritt voraus. Wir Frauen verfügen da über weit mehr Intelligenz. Wie beim Schachspiel sind wir in der Lage, auch mehrere Züge vorauszukalkulieren.« »Intelligenz? Welch gewichtiges Wort für etwas, für das ihr nichts könnt. Ich würde es schlicht und einfach Intuition nennen.« Wir kamen nicht mehr dazu, unseren Dis put fortzusetzen. Gorgh unterbrach uns mit seinem aufgeregten Zischen und Knistern. »Die ausklappbaren Hüllensegmente sind ausgefahren. Die AMENSOON steht auf si cheren Füßen.« Wie sicher, das wird sich noch zeigen, zweifelte mein Extrasinn. Wenigstens für den Moment änderte dies nichts an meinem wieder erwachten Opti mismus. Gute alte Mechanik! Auf sie war auch dann Verlass, wenn alles andere längst den Geist aufgegeben hatte. Wenigstens hat te unser Oktaederraumer nun trotz des Aus falls der Kraftfeldpolster sicheren Stand. »Wie steht's um die Garbyor-Schiffe?«, fragte Kythara, wie um meinen aufkeimen den Optimismus zu bremsen. »Besteht die Gefahr, dass uns vielleicht doch noch eines von ihnen gefolgt ist?«
AMENSOON in Not Diese Möglichkeit wäre in der Tat nicht auszudenken gewesen. Wir lagen zwar nicht auf dem Rücken, aber alles in allem erinner te unser Doppelpyramidenschiff an einen bewegungsunfähigen Käfer, der schutzlos den Attacken seiner Gegner ausgesetzt war. »Ich kann nichts mehr feststellen«, ant wortete Gorgh. Er drehte die Regler höher, sodass auch wir es vernahmen. Aus dem Hy perfunk kam nur noch wildes, statisches Zi schen und Rauschen. Ein ungezügeltes aku stisches Chaos, das ein Abbild dessen war, was sich dort oben abspielte. »Kein Garby or-Golfball in Sicht- oder Hörweite«, er gänzte der Wissenschaftler geflissentlich. »Wie wir schon vermuteten: Die meisten von ihnen sind wahrscheinlich vernichtet worden. Spätestens mit dem Ausbruch des Hypersturms dürfte sich das Problem Garby or für uns vorläufig erledigt haben.« »Und wenn dieser Kraftstrahl, der uns hergeleitet hat, nicht nur uns erwischt hat, sondern auch einen ihrer Golfball-Raumer?« »Rein hypothetisch möglich. Nur wäre er dann nicht schon ebenso hier gelandet wie wir?« »Du hast Recht«, sagte ich. »Wir hätten seinen Aufprall längst schon zu spüren be kommen.« Selbst der Logiksektor hielt die Gefahr, dass uns Garbyor-Schiffe folgten, zum ge genwärtigen Zeitpunkt für recht unwahr scheinlich. Allerdings war sie nur für den Augenblick gebannt. Die Notrufe der Garby or-Schiffe hatten sicherlich nicht allein wir empfangen. Garantiert war es bloß eine Fra ge der Zeit, bis entsprechender Entsatz ein traf. »Wenn ich eure ziemlich einfältige Fach simpelei mal stören dürfte«, schaltete sich Kythara ein. »Mich würde interessieren, was uns hier unten erwartet!« »Einen Moment«, versprach der insektoi de Wissenschaftler. Allerdings spannte er uns danach immer noch ein paar Sekunden lang auf die Folter. Schließlich entfuhr ihm ein erstaunter Ausruf. »Ich habe es mit kon ventioneller Ortung versucht«, haspelte er in
9 höchster Erregung, während seine Mandi beln unkontrolliert hin und her zuckten. »Die Ergebnisse sind kaum zu glauben. Es … es …« Der Rest ging in unverständli chem Knistern unter, so außer sich war der Insektoide. Ich ermahnte ihn, sich zu beruhi gen und Klartext zu reden. »Entschuldigung, natürlich! Was wollte ich sagen? Die Ergebnisse lassen keinen Zweifel. Die Ortung hat hier unten zahlrei che tierische Lebensformen erfasst!« »Hast du denn etwas anderes erwartet?«, fragte ich. Immerhin verfügte Sothin über Bedingungen, die jener Arkons oder der Er de recht ähnlich waren. »Ich war noch nicht zu Ende!«, sagte der Wissenschaftler leicht eingeschnappt. »Das Besondere ist, dass es sich um außerge wöhnlich große Lebensformen handelt.« »Wie groß?« »Unmöglich, es zu bestimmen. Sie schei nen noch während der Ortung weiter zu wachsen.« Ich musste daran denken, dass er zuvor von kilometerhohen Bäumen gesprochen hatte. Lebewesen dieser Kategorie waren in der Tat unvorstellbar! »Gibt es Anzeichen dafür, dass es Ansied lungen gibt? Dörfer, Städte?« Der Insektoide betrachtete seine Holos und schüttelte den Kopf. »Nichts, alles deutet darauf hin, dass So thin bislang nur tierische Lebensformen her vorgebracht hat. Keine Hinweise auf irgend eine Art von Zivilisation. Geschweige denn technischer Zivilisation.« »Außergewöhnlich große Lebensformen«, zitierte Kythara den Wissenschaftler. »Was ist davon zu halten?« Sie sah mich an, wollte meine Einschät zung der Situation erfahren. Ich konnte ihr die Besorgnis leider auch nicht nehmen. »Wenn ich allein mit Logik an das Pro blem herangehe, bleibt als einzige Erklä rung, dass Sothin einen variablen Größen faktor besitzt, in der Art einer RaumZeit-Faltenspiegelung vielleicht.« »Eine ziemlich schwache Einschätzung,
10 Atlan. Auf die Ortungsdaten können wir uns verlassen. Mehr als auf unseren Verstand oder unsere Sinne.« Der Wissenschaftler nickte eifrig, wie um ihre Worte zu unterstreichen. »Also schön, aber wie erklärt ihr euch, dass die Daten einmal von einem Planeten von nicht einmal vierzehntausend Kilome tern Durchmesser ausgehen und allein ein Baum schon mehrere Kilometer hoch sein soll? Abgesehen von den tierischen Lebens formen.« »Wir haben es anscheinend mit einem Planeten der Paradoxe zu tun«, schaltete sich der schweigsame Kalarthras ein. »Was immer wir herausfinden werden, es wird un ser Denken auf den Kopf stellen.« »Tut mir Leid, wenn ich jetzt ausnahms weise mal euren Disput unterbrechen muss«, schaltete sich der Wissenschaftler wieder ein. »Aber da ist noch etwas: Die AMEN SOON verliert ständig weiter an Energie!« »Unmöglich!«, entfuhr es der Varganin. »Wofür sollte die Energie draufgehen? Wir stecken hier fest!« »Die Generatoren arbeiten einwandfrei. Zumindest die, die nicht beschädigt sind. Aber der Energieausstoß versickert in un sichtbare Gefilde. Fragt mich nicht, wohin.« Der Wissenschaftler war sichtlich ratlos. Meine Besorgnis wuchs. Von meinem an fänglichen Optimismus war nichts mehr vor handen. Irgendetwas saugte uns die Energie aus. Wieder kam mir der Vergleich mit dem Käfer in den Sinn. Nur dass ich nicht mehr das Bild vor Au gen hatte, wie er hilflos auf dem Rücken lag, sondern wie eine fette Spinne genüsslich sein Inneres aussaugte. Ich kam nicht mehr dazu, meiner Besorg nis Ausdruck zu verleihen. Eine weitere bru tale Schockwelle erfasste die AMENSOON. Es war das eingetreten, was wir befürchtet hatten: Unser unsichtbarer Gastgeber hatte uns aus seiner Obhut entlassen und warf uns den entfesselten Naturkräften zum Fraß vor. Ein Orkan kosmischen Ausmaßes tobte über Sothin hinweg, ein wahrhaft apokalyp-
Michael Berger tischer Sturm, der alles mit sich zu reißen drohte. Der Boden erbebte. »Verdammt, was …!«, schrie ich. Meine weiteren Worte gingen in einem brüllenden Toben unter. Ich wurde trotz meiner Gurte nach vorne geschleudert. Mein Kopf prallte ungeschützt auf die Armaturen. Blut spritz te. Dunkelheit erfüllte meinen Geist.
2. Erwachen »Kythara!«, rief ich verzweifelt. »Kytha ra!« Ich bäumte mich auf. Eine Hand umfasste meine Schulter und drückte mich sanft zurück auf mein Lager. »Es ist alles in Ordnung. Beruhige dich«, hörte ich eine Stimme nahe an meinem Ohr. Ich öffnete die Augen und erkannte Ky thara. Ihre hüftlange Goldlockenmähne und ihre schimmernde Bronzehaut waren unverwech selbar. Vor allen Dingen aber der Blick aus ihren goldenen Augen, mit dem sie mich be dachte. Ich glaubte darin so etwas wie einen Anflug von Amüsiertheit zu erkennen. Ich hatte einen seltsamen Traum gehabt! Darin war Kythara vor meinen Augen von einem riesigen Ast erschlagen worden. Ich lag in meiner Kabine. Die Anspan nungen der letzten Wochen und Stunden hatte mein Unterbewusstsein in diesem Traum verarbeitet. Hatte ich etwa laut Kytharas Namen geru fen? »Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte ich alarmiert. Ich sprang von meiner Liege auf, aber ein fürchterlicher Schmerz im Kopf ließ mich augenblicklich erstarren. »Du solltest es mit deiner Aktionslust nicht gleich übertreiben«, sagte die Varga nin. Hörte ich da etwa Besorgnis aus ihrer Stimme heraus? »Du bist bei der Landung mit dem Kopf auf die Armaturen geknallt. Wir waren wohl alle ein paar Stunden außer Gefecht gesetzt. Als Erster ist Gorgh aufgewacht. Er brütet
AMENSOON in Not bereit wieder über seinen Instrumenten.« Natürlich, wie hatte ich es verdrängen können? Die Notlandung, der Hypersturm, unsere Machtlosigkeit angesichts eines un sichtbaren, übermächtigen Gegners … und dann die Dunkelheit, als der Sturm die AMENSOON mit voller Breitseite erwischt hatte. Die Notbeleuchtung, die in meiner Kabine eingeschaltet war, ließ Schlimmes vermuten. Zuletzt hatte Gorgh davon gesprochen, dass die AMENSOON pausenlos Energie verlor. »Du solltest noch etwas ruhen«, schlug Kythara vor. »In deinem Zustand bist du uns keine große Hilfe.« »Wie steht's um die AMENSOON?«, ver langte ich zu wissen. »Die meisten Aggregate und Geräte sind funktionsuntüchtig. Die Holoprojektoren sind ebenfalls ausgefallen.« »Was ist mit dem Bordrechner?« »Die Selbstreparatur sollte bereits laufen, aber ohne Energie … Schwer zu sagen.« »Mit anderen Worten: Wir sind lahm ge legt worden.« »Nur die AMENSOON, nicht wir. Bevor wir aber aktiv werden, solltest du dich ein wenig ausruhen, du bist schließlich nicht mehr der Jüngste, und ich habe keine Lust, ein Männerlazarett aufzumachen.« »Versuch nicht, lustig zu wirken«, erwi derte ich. »Das steht dir weitaus weniger gut als Gucky.« Sie wirkte überrascht. »Wer?« »Tut nichts zur Sache«, winkte ich lässig ab und schloss demonstrativ die Augen. Es konnte nichts schaden, wenn auch ich ihr von Zeit zu Zeit einmal ein Rätsel aufgab. Das lenkte sie vielleicht sogar von den Ge danken an ihren ehemaligen Geliebten Ka larthras ab. »Schlaf gut, ich kümmere mich so lange um Kalarthras.« Ha!, machte mein Extrasinn.
3. Kontakt Ich hatte eine Stunde geruht und fühlte
11 mich erfrischt – was sicherlich zum großen Teil meinem Zellaktivator zu verdanken war. Da Kythara sich nicht wieder gemeldet hatte, beschloss ich, dass es Zeit wurde, mir mit eigenen Augen einen Überblick über die Lage an Bord zu verschaffen. Ich sprang von meiner Liege und riss den Verband ab. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass außer einer beträchtlichen Beule nicht mehr viel zu sehen war. Ich überlegte, ob ich mir eine Dusche gönnen sollte, doch meine Neugier war stär ker als mein Reinlichkeitsdrang. Außerdem konnte man nie wissen, ob wir nicht jegliche Energie und jeden Wassertropfen noch brau chen würden. Also schlüpfte ich in meine Bordkleidung und begab mich in Richtung Hauptzentrale der AMENSOON. Der Hauptkorridor lag wie meine Kabine in schummrigem Halbdunkel. Noch nicht ein mal die Servorobots waren in Aktion. Offen sichtlich bezog sich der Energieausfall auf sämtliche Bereiche und Aktivitäten. Kythara hatte mir die Lage weniger dramatisch ge schildert, als sie war. Weil sie wusste, dass du sonst sofort auf gesprungen wärst. In deinem Zustand wärst du ihr jedoch keine große Hilfe gewesen, frotzelte der Extrasinn. Ich hatte nicht das geringste Verständnis für seine Sticheleien. Stattdessen machte ich mir Vorwürfe, dass ich geschlafen hatte. Wertvolle Zeit war inzwischen verstrichen! Mit meinen Gedanken beschäftigt, hörte ich plötzlich entfernte Stimmen. Sie kamen aus dem Aufenthaltsraum. Kythara und Ka larthras! Irgendetwas an dem Tonfall ließ mich aufhorchen und innehalten. Ich weiß nicht, was mich bewog, die bei den zu belauschen. Ich kam mir nicht ganz redlich dabei vor. Andererseits war ich neu gierig, was die beiden zu bereden hatten. Vor allen Dingen machte mich stutzig, dass sie sich nicht in der Zentrale aufhielten und Gorgh in seinem Bemühen unterstütz ten, die Energieversorgung wiederherzustel len. Ich schritt langsam näher, wobei ich mich
12 bemühte, keinen allzu heimlichen Eindruck zu machen. Wenn die beiden mich entdeck ten, wäre mir das mehr als unangenehm ge wesen. Wenige Meter vor dem Aufenthalts raum blieb ich im Gang stehen. Die Schatten verbargen mich ihren Blicken. Allenfalls mochten sie mich spüren. Wie alle Varganen konnten sie Gedanken erfassen, doch sie waren offensichtlich zu sehr in ihrem Gespräch vertieft. Sie unter hielten sich in ihrer eigenen Sprache. Obwohl ich kaum ein Wort verstand, war es die Art ihrer Konversation, die mich hell hörig machte. Sie saßen sich gegenüber und hielten einander über den Tisch hinweg an den Händen. Sie machten einen sehr vertrau ten Eindruck. Schließlich kannte jeder den jeweils anderen seit Jahrhunderttausenden. Geliebte oder nicht – musste da nicht auto matisch eine gewisse Vertrautheit entstehen? Ah, ich weiß, worauf du hinauswillst, kommentierte der Extrasinn hämisch. Du meinst wie Bruder und Schwester. Aller dings scheinen mir die beiden weit intimer miteinander umzugehen. In der Tat hörte sich der Klang ihrer Spra che fast zärtlich an. Leider verstand ich nur Bruchteile davon, aber ich wagte nicht, noch näher zu treten. Langsam, Schritt für Schritt, zog ich mich zurück. Mein Tatendrang war verflogen. Stattdes sen grübelte ich wieder, während ich meine Schritte auf Umwegen abermals in Richtung Hauptzentrale lenkte, um nicht erneut am Aufenthaltsraum vorbeizukommen. Mochten die beiden weiter miteinander turteln. Das konnte mir doch völlig egal sein! Ich ballte die Hände bei dem Gedan ken an Kalarthras. Wer war er denn schon? Ein jahrtausendealter Vargane, na und? Je mand, der schon einmal in Dwingeloo gewe sen war – aber was besagte das schon? Was hatte er, das ich nicht hatte? Als ich die Hauptzentrale erreichte, stand Gorgh-12 mit dem Rücken zu mir über die Tastaturen und Schaltfelder gebeugt. Seine vier Arme, die in viergliedrigen Zangen en deten, waren in ständiger Bewegung und
Michael Berger huschten geschäftig über die Armaturen. Er musste meine Anwesenheit gespürt ha ben, denn unvermittelt drehte er sich um und wandte mir seinen spitzen Kopf zu. Seine Mandibeln zuckten erfreut, während seine metallisch blau schimmernden runden Facet tenaugen gewohnt ausdruckslos erschienen. »Ah, Atlan, ich bin froh, dass es dir wie der besser geht. Ich kann deinen Beistand brauchen. Irgendwie bin ich am Ende mei ner Weisheit angelangt.« Das Knistern und Rascheln, das seine Worte begleitete, drück te den Grad seiner Erregung aus. »Tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen konnte«, sagte ich zerknirscht. »Aber die un freiwillige Ruhe hat mir gut getan. Ich fühle mich wie neugeboren.« »Kein Wunder, mein Freund, dass du dich so schnell regenerieren konntest. Schließlich hat sich Kythara um deine Genesung ge kümmert.« »Was soll die Anspielung?«, gab ich schroffer zurück, als ich es wollte. »Kythara scheint sich mehr um Kalarthras zu sorgen als um das Schiff.« Es war offensichtlich, dass Gorgh mit meiner Reaktion wenig anfangen konnte. Er hatte ja nicht gesehen, was ich gesehen hat te. Außerdem waren ihm so profane Gefühle wie menschliche Eifersucht völlig fremd. Seine Insektenmentalität war zwar durchaus fähig, individuelle Empfindungen zu haben und auszudrücken, aber im Großen und Ganzen überwog bei dem Daorghor der Hang, in Gruppen und Kollektiven zu den ken. Für den Hyperphysiker waren Kythara und ich sein neues Kollektiv, dem er sich angeschlossen hatte und dessen Gesamtin teressen über denen des Einzelnen standen. So etwas wie Eifersucht hatte darin keinen Platz. Ich wusste, dass ich darüber mit ihm nicht zu reden brauchte. Er würde es nicht einmal begreifen. »Entschuldige, dass ich dich so angefah ren habe«, sagte ich versöhnlich. »Aber die Situation macht mich unruhig.« »Das ist reichlich … emotional. Aber ich verstehe es.« Er bezog meine Aussage auf
AMENSOON in Not
13
die AMENSOON, was mir ganz recht war. Seine langen Antennenfühler richteten sich wieder auf, als er mir in knappen Worten den Zustand des Schiffes beschrieb. Es war im Grunde das, was mir bereits Kythara mit geteilt hatte. Wir lagen wie Fische auf dem Trockenen. Warteten darauf, dass uns ir gendwer einsammelte. »Lass mich mal einen Blick darauf wer fen«, bat ich und verschaffte mir einen Überblick. Es sah wirklich nicht gut aus. Das Verlässlichste war noch die Notbe leuchtung, die in Form bioaktiver Schichten unter der transparenten Innenwandlackie rung bestand. Mit Hilfe spezieller Enzyme waren diese Mikrolebewesen in der Lage, sich von der Versorgungsmasse äußerst sparsam zu ernähren, wobei die Ausschei dungen ihrer Stoffwechselprozesse jenes dif fuse Licht erzeugten, das nun das Innere der AMENSOON durchflutete. Ansonsten lag die gesamte Versorgung brach. Die meisten Geräte waren außer Be trieb. Statt der Holoprojektionen starrten wir in schwarze Monitoren. Der Bordrechner blieb stumm. Ich war froh, dass ich nun eine Aufgabe hatte, in die ich mich vertiefen konnte.
* Nach einer Stunde hatten Gorgh und ich es geschafft, genügend Energie aus den Speichern abzurufen. »Wer sagt es denn!«, knurrte ich zufrie den, als ich die Rückmeldung bekam, dass keine Energie mehr abfloss. Das Loch war gestopft. Zumindest vorerst. Auch Gorgh war sichtlich erfreut. Das Rascheln seiner Gelenke erinnerte an einen Laubhaufen, durch den ein Windstoß fuhr. »Kythara wird hocherfreut sein, wenn wir ihr diese gute Nachricht überbringen!«, sag te er überschwänglich. Meine gute Laune verschwand. Hast du das Problem etwa zu verdrängen versucht?, erkannte mein Extrasinn.
Nein, ich frage mich nur, was die beiden seit über einer Stunde Wichtiges zu bespre chen haben. Zumindest Kytharas Hilfe hätte ich hier sehr gut brauchen können, vertei digte ich mich. In Gedanken stieß ich einen altarkonidi schen Fluch aus, als mir im gleichen Mo ment bewusst wurde, dass ich mich noch im mer selbst belog. Hatte ich das nötig? Ein Jubelschrei Gorghs konfrontierte mich wieder mit den realen Problemen, die wir hatten. »Der Bordrechner fährt hoch!«, rief er glücklich. »Wir haben wieder genug Ener gie, um wenigstens die wichtigsten Funktio nen abzurufen!« Mit seinen Klauen betätigte er weitere Regler und Tasten. »Prima«, sagte ich und überließ ihm das Schaltpult. »Als Nächstes würde mich inter essieren, wie es dort draußen aussieht. Das dürfte doch jetzt möglich sein, oder?« »Ich bin mir nicht sicher, ob der Energief luss bereits konstant genug ist, um das zu überstehen«, gab Gorgh zu bedenken. »Notfalls müssen wir wieder von vorn be ginnen.« Ich blieb stur. Nur zu gut wusste ich, dass der insektoide Wissenschaftler lie ber auf Nummer sicher ging, als auch nur ein geringfügiges Risiko einzugehen. Was mich anging, ich hatte mich bereits für den risikoreichen Weg entschieden. Ich musste wissen, was dort draußen vor sich ging. Und das konnte ich nur, wenn die Au ßenbeobachtung gewährleistet war. »Auf deine Verantwortung«, sagte Gorgh. Wenigstens dies konnte er sich nicht ver kneifen zu antworten. Aber zumindest ver suchte er mich nicht mehr vom Gegenteil zu überzeugen. Im nächsten Augenblick flammte die rie sige Panoramagalerie auf und erfüllte die Schaltzentrale mit einem grünlichen Licht, das sich auf den zahlreichen Monitoren wie derholte. »Was ist denn das?«, fragte ich verwirrt. Ich wusste mit der grünen Masse, die die AMONSOON augenscheinlich umgab, nichts anzufangen.
14 Die Ortung blendete eine Verkleinerung des seltsamen Gebildes und schließlich die Maße ein. »Das gibt es nicht«, entfuhr es mir. »Anscheinend funktionieren die Geräte wohl doch noch nicht exakt.« »Sie arbeiten fehlerfrei«, widersprach mir Gorgh. Die Bilder zeigten eine gewaltige Schnei se im Unterholz. Ansonsten waren wir von riesigen Bäumen umgeben. Von Bäumen, die kilometerweit in den Himmel ragten. »Hast du so etwas schon einmal gese hen?«, fragte ich Gorgh. Er gab ein Rascheln von sich, das ich nicht genau deuten konnte. Wahrscheinlich war er ebenso ergriffen von dem Anblick wie ich. Immerhin ließ er sich dazu herab, sich mir zuzuwenden. Plötzlich wurde das Schiff von einer gewaltigen Erschütterung erfasst. Ohne Vorwarnung wurde ich quer durch den Raum geschleudert. Unsanft kam ich auf dem Boden auf. Es gelang mir gera de noch, mich einigermaßen abzurollen und an einem Vorsprung festzuhalten, bevor ich weiter durchgeschüttelt wurde. Gorgh erging es kaum besser. Er schlitterte an mir vorbei. Ein, zwei Sekunden blieb ich ruhig liegen und atmete tief durch, während ich einen Körpercheck machte. Du hast Glück, dass du dir nichts gebro chen hast, attestierte mir der Extrasinn. Dei ne Sorglosigkeit wird dir noch mal zum Ver hängnis werden. Die AMENSOON hatte gehörige Schief lage. Ich sprang wieder auf die Füße, rutsch te aber gleich wieder hin und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Offensichtlich waren einige der ausklappbaren Hüllenseg mente beschädigt. Meine erste Sorge galt Gorgh. Ich kämpfte gegen die Schräglage an und robbte mich zu ihm heran. Gorgh stöhn te und hielt sich das linke Mittelglied, das in verzerrtem Winkel von seinem Körper ab stand. »Bist du verletzt?«, fragte ich besorgt. Er winkte ab: »Später! Kümmere dich um das Schiff!«
Michael Berger Ich rutschte wieder zurück in Richtung der Pulte. Mein Blick huschte über die Mo nitoren. Monströse, spinnenartige Kreaturen be wegten sich auf die AMENSOON zu. Ich konnte es kaum glauben, dass die Monitoren sie in Verkleinerung zeigten. In Wirklichkeit mussten diese Wesen mehrere hundert Me ter groß sein. Sie erreichten mühelos die Hö he unseres Schiffes! Und sie wirkten eindeutig nicht wie die friedlichsten Botschafter ihres Planeten! Of fensichtlich war es ihnen zu verdanken, dass die AMENSOON nicht mehr auf festen Fü ßen stand. Ein langes haariges Bein tauchte im Blickfeld der Orter auf, dann war für einen Augenblick ein furchteinflößendes Kieferpaar zu erkennen. Eines der Spinnen wesen hatte sich auf der oberen Hälfte unse res Doppelpyramidenschiffes niedergelassen und suchte nach einer passenden Möglich keit, uns zu knacken. Ich wurde von Kythara und Kalarthras ab gelenkt, die sich mittlerweile bis zur Zentra le vorgekämpft hatten. Mit einem Blick er fasste die Varganin die Lage und robbte sich an meine Seite. Kalarthras kümmerte sich unterdessen um Gorgh. »Glaubst du noch immer, dass uns hier keine Gefahr droht?«, fragte die Varganin sarkastisch. »Manchmal ist es besser, man sieht seinen Feinden ins Auge«, gab ich kryptisch zu rück. Sie bedachte mich mit einem merkwürdi gen Blick, den ich nicht zu deuten wusste. Hatte sie mich bemerkt, als ich sie und Ka larthras belauscht hatte? Mehr denn je fragte ich mich, was die beiden miteinander be sprochen hatten. »Glaubst du, mit philosophischen Sophi stereien die Situation schadlos zu überste hen?«, fragte sie. »Damit will ich sagen, dass wir schnell et was unternehmen sollten, bevor es diesen sothinischen Arachnoiden gelingt, einen Zu gang zu uns zu finden.« »Du vergisst, dass die AMENSOON aus
AMENSOON in Not Varganstahl besteht.« »Keineswegs. Aber ich kenne auch keine Spinnen, auf welcher Welt auch immer sie beheimatet sein mögen, die in Rudeln ja gen.« Auf den Monitoren waren mindestens fünf der Bestien zu sehen. Da sie das gleiche Grün-Braun aufwiesen wie ihre Umgebung, waren sie trotz ihrer Größe kaum auszuma chen. »Ich habe mich bisher nicht tiefer gehend mit Spinnen befasst«, musste Kythara zuge ben. Allerdings bewahrte sie sich dabei den spöttischen Unterton, der mich rasend mach te. »Weil ihr Varganen nur auf euresgleichen fixiert seid«, antwortete ich. »Fakt ist, dass die allermeisten Spinnen ihr Leben allein verbringen und nur anlässlich der Paarung auf Artgenossen treffen.« »Dein Wissen in allen Ehren, aber die Tiere dort draußen scheinen nicht auf dem gleichen Stand zu sein. Denn wie du selbst siehst, haben wir es hier mit einem Rudel zu tun. Ich habe allerdings keine Sorge, dass wir es mit ihnen nicht aufnehmen können.« Ein Zittern erfasste das Schiff. Abermals kamen riesige Klauen ins Blickfeld der Orter. »Oder sollen wir darauf warten, dass sie die AMENSOON mit einem potenziellen Paarungspartner verwechseln?« »Nur zu«, sagte ich. »Während ihr be schäftigt wart, habe ich zusammen mit Gor gh einige Reparaturen vornehmen können.« »Das heißt?« »Zumindest die energetisch autarken Waffensysteme sind abrufbereit. Thermo strahl- und Desintegratorwirkung.« »Gut gemacht«, lobte die Varganin. »Das dürfte reichen, um uns diese Biester vom Leib zu halten!« Kythara zögerte keinen Augenblick länger als nötig. Sie nahm auf dem Pilotensessel Platz. Es war keine Zeit mehr für Gespräche. »Feuer frei!«, sagte sie grimmig und sorg te eigenhändig für den Abschuss. Zwei der Spinnenmonster zerplatzten in einem regel rechten Funken- und Feuerregen. Die Ener
15 gien, die dort draußen freigesetzt wurden, brachten auch die beiden anderen Riesen spinnen zum Wanken. Kythara feuerte eine weitere Salve, sodass ein weiterer unserer Angreifer zu Boden ging. Sein Körper schlug eine gewaltige Schneise in den Wald. Der vierte Arachnoide flüchtete. Mehrere seiner Beine waren eingeknickt. Es wirkte überaus grotesk, auf welche Weise dieses Monster Reißaus nahm. »Da war es nur noch eins«, sagte ich. »Was machen wir mit ihm?« Ich deutete nach oben, wo es sich der letz te verbliebene Angreifer noch immer be quem gemacht hatte. Er verhielt sich völlig still. »Anscheinend besitzen diese Wesen auch so etwas wie Intelligenz. Er will uns glauben machen, dass er verschwunden sei. Dabei wartet er wahrscheinlich nur darauf, dass wir uns zeigen.« »Und? Warum tun wir's dann nicht?«, fragte Kythara herausfordernd. Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du darauf bestehst …« Aber sie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist zu gefährlich. Uns fällt schon etwas Besse res ein.« »Du hast doch nicht etwa Angst um mich?«, fragte ich spitz. »Ich hatte sowieso vor, mal ein bisschen frische Luft zu schnuppern.« »Du willst nicht wirklich zu diesem Un tier dort raus?«, mischte sich Gorgh in unser Gespräch. Er gab ein undefinierbares Ge räusch von sich, das wahrscheinlich sein Schaudern ausdrücken sollte. »Abgesehen davon ist es pure Energieverschwendung.« »Nur ein kurzer Ausflug«, beruhigte ich ihn. »Was immer uns dort draußen erwartet: Es ist besser, wenn wir erst einen Kund schafter schicken. Außerdem ist es zu ge fährlich, mit den Bordwaffen auf ihn zu schießen. Dazu ist er der AMENSOON zu nah!« »Dein Mut in allen Ehren«, meldete sich Kalarthras zu Wort, »aber …« »Wenn lieber du gehen möchtest, sag
16 es!«, forderte ich ihn heraus. Er senkte den Kopf und wandte sich wieder der Aufgabe zu, Gorghs Klaue zu verbinden. Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Zentrale, indem ich gegen die Schräglage ankämpfte, und schlüpfte in meinen vargani schen Kampfanzug. Nachdem ich mich von dem golden schimmernden Metall umhüllt fühlte, erfasste mich das vertraute Gefühl von Sicherheit, gepaart mit einem gesteiger ten Drang an Unternehmungslust – um nicht zu sagen Draufgängertum. Jedenfalls würde mich ein kurzer Ausflug von den Gedanken, die mich quälten, ablenken. Ich schloss den Anzug, hielt aber den durchsichtigen Klapphelm noch im Nacken gefaltet. Während ich mich vorsichtig zu rück in die Zentrale begab, überprüfte ich automatisch Deflektoren, energetische Vra gon-Schutzschirme und die Waffen. Die ganze Zeit über hatte sich der Angrei fer, der es sich auf der AMENSOON einge richtet hatte, still verhalten. »Du weißt, dass du es nur tust, weil du al lein es möchtest«, betonte die Varganin und sandte mir einen kurzen, besorgten Gedan kenstoß. »Ich weiß nicht, was dich verärgert hat, aber irgendetwas scheine ich verbrochen zu haben.« »Pure Einbildung«, antwortete ich, war aber peinlich berührt davon, dass sie mich mittlerweile augenscheinlich so gut kannte. Und ich nicht einmal ansatzweise begonnen hatte, sie zu verstehen. »Wir geben dir Feuerschutz – jedenfalls so gut wir das vermögen. Es scheint, dass wir wieder mehr Energie verlieren, als die Generatoren erzeugen.« Ich band meine Haare im Nacken zusam men und zog mir den Helm über. »Zeigen wir diesem Arachnoiden, wer hier das Sagen hat«, versprach ich. »Viel Glück!«, hörte ich Gorgh sagen. Ihm ging es anscheinend wieder besser. Sei ne Klaue war notdürftig verbunden. Ich ver ließ die Zentrale, stützte mich an den Wän den ab und robbte an den Antigravschächten vorbei. Vor der Schleuse erwarteten mich
Michael Berger vier Kugelroboter. Gute Arbeit, dachte ich. Also hatte Gorgh doch mehr instand setzen können, als ich ge hofft hatte. Auch wenn ich es nie zugegeben hätte: Ich war froh, dass ich nicht allein dort rausmusste. Die Roboter würden mir den Rücken freihalten! Mit ihren eingefahrenen Tentakelarmen schwebten die goldenen kleinen Kugeln be wegungslos auf ihren Prallfeldern vor der Schleuse. Noch waren sämtliche Aufrü stungseinrichtungen, die im aktivierten Zu stand die Robots in regelrechte Kampfma schinen verwandelten, unsichtbar in den Ku gelkörpern integriert. Zwischen den Positro niken der Robots und meinem Anzug erfolg te ein permanenter Datenaustausch. »Danke, Gorgh!«, sagte ich, und ein Kni stern, das ich als Antwort deutete, folgte. »Danke nicht nur Gorgh«, hörte ich Ky thara. »Wir anderen waren in der Zwischen zeit auch nicht untätig.« Ich hielt es nicht für nötig, darauf zu ant worten. Nicht untätig ist gut, dachte ich. Du hast allen Grund, ein schlechtes Ge wissen zu haben, meldete sich der Extrasinn. Während du an irgendeine Verschwörung glaubtest, haben die beiden genau wie du und Gorgh alles darangesetzt, die AMEN SOON wieder flottzukriegen. Und warum haben sie mir kein Wort da von erzählt? Weil du von Anfang an die beleidigte Le berwurst gespielt hast. Sie kamen ja gar nicht dazu, etwas zu sagen. Du hast Kythara ganz schön vor den Kopf gestoßen. Ich mache es wieder gut, versprochen! Indem du wie ein Weltraum-Rambo hin ausstürmst und den einsamen unverstande nen Helden mimst? Glaub nicht, dass sich Kythara von derartig infantilen Spielchen beeindrucken lässt. Ich ignorierte den Extrasinn und konzen trierte mich wieder auf meine eigentliche Aufgabe, indem ich in den Kampfmodus schaltete. Vor mir öffneten sich die Segmente der inneren Schleusentore. Ich schwebte vor
AMENSOON in Not wärts in die Hangarschleuse; die Robots folgten mir automatisch. Im Innern meines Helms spiegelten sich die Bilder der Nahbe obachtung. Ich erkannte die AMENSOON und auf ihrem Rücken den riesigen Arach noiden. Seine spindeldürren Beine zitterten leicht wie unter einer großen Anspannung. Sein kugelförmiger Körper hatte den oberen Teil unseres Schiffes verdeckt. Aber so in aktiv wie vermutet war der Bursche gar nicht: Aus seinem Kiefer tropfte permanent eine schleimige Flüssigkeit. Sie tropfte auf die Außenhaut der AMENSOON und hinter ließ dort dampfende Krater. Nicht, dass ich mir darüber große Sorgen machte. Dazu wa ren es viel zu wenige. Aber steter Tropfen höhlte den Stein! Ich gab meine Beobachtung an die Zen trale weiter. »Sei vorsichtig«, hörte ich Kythara sagen. »Wer weiß, was es mit dieser Flüssigkeit für eine Bewandtnis hat. Wir wissen nicht, ob sie nicht auch die Anzüge angreifen kann.« »Ich werde es herausbekommen«, ver sprach ich. Meine Gedankenbefehle ließen halbautomatisch die Schutzschirme aufbau en. Innerhalb weniger Sekunden war ich un sichtbar. Ich schwebte aus der Schleuse hinaus. Die Roboter folgten mir in genau kalkuliertem Abstand. Kaum war ich draußen, bildeten sie einen schützenden Kreis um mich. Die Internortung zeigte mir die Innenfläche des Schirms und die Position der fünf Kugeln. Die Schleuse des Hangars schloss sich hinter mir. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Ich um rundete zunächst einmal die AMENSOON und machte mir ein genaues Bild von der Lage. Dabei konnte ich nur das bestätigen, was wir auch zuvor schon gesehen hatten: Wir waren in einem Riesenwald abgestürzt. Das Gewirr aus Zweigen, Ästen und Stäm men bildete ein durchaus durchdringliches Labyrinth für mich. Allein einer dieser Zweige musste fünf Meter im Umfang mes sen. Dementsprechend riesig waren die Lücken dazwischen. Sowohl die AMEN
17 SOON als auch unsere Geschosse hatten ge waltige Schneisen geschaffen. Ich schoss in die Höhe, sodass ich einige hundert Meter über dem Arachnoiden zum Stehen kam. Noch hatte er nichts bemerkt. Ich ließ die Robots ausschwärmen. Sie um kreisten das Spinnentier wie lästige Mücken. Nur dass sie für das Vieh wahrscheinlich noch kleiner wirkten. »Feuer frei!«, befahl ich, während ich aus meinen Energiestrahler-Stäben Thermo- und Paralysestrahlen auf das Monster abschoss. Gleichzeitig eröffneten die Kugelrobots das Feuer. Das Ergebnis war weniger eindrucksvoll, als ich gedacht hatte. Zwar konnte ich mit bloßen Augen die gewaltigen Wunden erkennen, die die Ge schosse verursachten, aber für unseren Geg ner schienen es nicht mehr als kleine Einsti che zu sein. Unglaublich, mit welchem hartnäckigen Burschen wir es hier zu tun hatten! »Wir müssen näher ran!«, befahl ich. »Mehr Energie!« Blitzschnell reagierten die Steuergehirne der Varg-Maschinen, bei de nen es sich um hochleistungsfähige Positro niken handelte. Sie schnellten auf unseren Gegner zu und überschütteten ihn mit einer wahren Flut an Energiestrahlen aus ihren Tentakel-Projektoren. Und allmählich zeigte der Arachnoide Wirkung! Sein gewaltiges Kopfteil schnellte hin und her und versuchte zu ergründen, woher der Beschuss kam. Sein Hinterteil fuhr in die Höhe, und ein dicker Strahl kam herausge schossen. Er erwischte einen der Kugelro bots wie eine klebrige Zunge und brachte ihn ins Trudeln. Ich sah, wie er auf der Au ßenhaut der AMENSOON zerschellte und in einem Glutball aufging. Zu spät erkannte ich, was da vor sich ging. Aber dann hatte ich es begriffen. »Zurück!«, brüllte ich. Für zwei weitere Ku gelrobots war es zu spät. Auch sie trafen die taudicken klebrigen Gebilde, die nichts an deres waren als Spinnenfäden. Auch in dieser Hinsicht hatten die sothini
18 schen Arachnoiden nichts gemein mit allen mir bekannten Artgenossen. Ich jedenfalls hatte noch nie davon gehört, dass sie ihre Fäden wie Peitschen ausschnellen lassen konnten. Aber wie bei den irdischen Spin nen schien es sich um ein Sekret zu handeln, das in den Warzen zu Fäden gesponnen wur de und sich erst an der Luft verfestigte. Blitzschnell hatte die Spinne ein radähnli ches Netz gesponnen, in dem die zwei Ro boter festklebten. Aber was noch schlimmer war: Das Netz überspannte auch unseren Raumer. Der Arachnoide war dabei, die AMEN SOON regelrecht einzuspinnen! »Nehmt das verdammte Netz unter Be schuss!«, befahl ich den verbliebenen zwei Kugelrobotern. Sie feuerten auf das Netz, wobei die Kunst darin lag, nicht unser Schiff zu treffen. Aber sie hatten Erfolg – zumin dest teilweise. Das Sekret erwies sich als weit zerstörungsanfälliger als die Spinne selbst. Es ging augenblicklich in Flammen auf und setzte sich wie eine Zündschnur fort. Das Problem war, dass ihr Verursacher pau senlos weiteres Sekret ausstieß. Ich selbst katapultierte mich bis unter die Drüsen, die dieses Teufelszeug produzierten. Da geschah es. Eine faustgroße Spinne be fand sich plötzlich direkt in meinem Blick feld. Offensichtlich saß sie direkt auf der Außenseite meines Helms. Ich blickte direkt auf ihren weichen, borstigen Unterleib. Ich versuchte, sie abzuschütteln, aber sie schien wie festgeklebt. Im nächsten Moment bahnte sich eine weitere Spinne direkt in mein Sichtfeld. Ich schaltete auf Internor tung und sah mit aufkommender Panik, dass mein gesamter Anzug von schwarzen, wim melnden Spinnen übersät war. Ich hatte nie gewusst, dass Arachnopho bie für mich einmal mehr als nur eine wis senschaftliche Bezeichnung sein würde. Ich empfand plötzlich einen abgrundtiefen Ekel. Mein Körper begann zu zittern, als ich mir vorstellte, dass auch nur eine von ihnen den Zugang in meinen Anzug finden würde. »Was ist mit dir los?«, hörte ich Kytharas
Michael Berger besorgte Stimme. »Alles in Ordnung bei dir?« »So weit ja«, gab ich zurück. Ich dachte nicht daran, ihr gegenüber Schwäche zu zei gen. Schweiß perlte auf meiner Stirn. Ich spürte, wie es mir überall kribbelte. Es widerspricht jeglicher Erfahrung und Logik, dass sie eindringen können, bestätigte mein Extrasinn. Dennoch hätte ich schwören können, dass in dem gleichen Augenblick an meinem linken Bein etwas hochkrabbelte. Ich spürte, wie mein Atem schneller wurde. »Komm sofort wieder zurück an Bord!«, hörte ich Kythara rufen. Ich ignorierte sie. Es war nicht nur eine Spinne, es waren mehrere! Als Nächstes spürte ich sie auch an dem anderen Bein – und an den Armen. Ich schüttelte und wand mich, war aber machtlos in meinem Anzug. Die Spinnen mussten mich längst unter sich begraben haben. Sämtliche Geräte zeig ten mir allein ihre zuckenden Glieder und Leiber. Ich zwang mich zur Ruhe, versuchte die Panik zu unterdrücken. Was, wenn es nur ei ne Illusion war? Das hieße, dass die Riesen spinne weit gefährlicher war als angenom men. Dass sie imstande war, die Urängste ihrer Angreifer aufzunehmen und sie ihnen wie einen Spiegel vorzuhalten! Dieser Gedanke verscheuchte zwar nicht den wimmelnden Spinnenhaufen aus mei nem Blickfeld, aber er ließ mich handeln. Ich befahl den beiden noch funktionstüch tigen Varg-Kugeln, auf die Warzendrüsen zu feuern. Gleichzeitig ignorierte ich sämtliche aufkommenden Panikattacken und konzen trierte mich allein auf die Zielkreuze für die stabförmigen Handwaffen im Innern meines Helms. Mit einem Kampfschrei auf den Lip pen katapultierte ich mich vorwärts – direkt auf das Monster zu. Es war ein reiner Blindflug, während ich aus allen Rohren feuerte. Und es gelang. Von einem Moment zum anderen hatte ich wieder freie Sicht. Die vie len winzigen Spinnen, von denen ich mich überschüttet geglaubt hatte, waren von ei
AMENSOON in Not nem Moment auf den anderen verschwun den. Mein Wille hatte sich als stärker erwie sen als die Psycho-Waffe meines Gegners. Ich feuerte meine Thermostrahler direkt in die Drüsen hinein. Die Roboter waren be reits näher dran und versenkten ebenfalls Treffer auf Treffer. Ich wollte schon resignieren, als endlich ein erster Erfolg sichtbar wurde: Der Sekret strom versiegte von einem Moment auf den anderen. Stattdessen spritzte eine blutige Masse heraus. Ich flog einen Looping, um nicht davon getroffen zu werden. Im nächsten Moment sprang die Spinne von der AMENSOON herunter. Das Schiff schwankte gefährlich hin und her, aber es konnte sich halten. Ich vermochte mir nicht auszumalen, welche Erschütterungen dies im Inneren ausmachen musste. Das Spinnenmonster zuckte unkontrolliert umher und säbelte dabei weitere Bäume um. »Hinterher!«, befahl ich den Kugelrobots. »Treibt es so weit wie möglich von der AMENSOON weg!« Ich selbst glaubte meine Mission erledigt zu haben. »Alles in Ordnung bei euch dort unten?«, fragte ich über Funk. »So weit ja. Die letzte Erschütterung war allerdings heftig. Was habt ihr da oben ge trieben?« In kurzen Worten klärte ich Kythara dar über auf. »Ich lande jetzt erst mal wieder«, sagte ich. »Die Robots werden schon allein zu rechtkommen.« »Mir wäre lieber, du würdest sie zurück beordern. Wir haben schon zu viele Verluste …« »Wenn du willst, rufe du sie zurück«, sag te ich barsch. »Ich selbst halte es für richtig, dass sie uns dieses Monstrum weiter vom Hals halten!« Nanu? Seit wann so empfindlich?, wun derte sich der Extrasinn. Du solltest mal aus spannen. Oder ist das immer noch der trotzi ge, eingeschnappte Atlan? Unsinn, sagte ich, aber muss sie denn al les besser wissen? Ausspannen wäre im Üb
19 rigen gar nicht schlecht. Abgesehen von sei nen Bewohnern scheint Sothin ja dafür gera dezu paradiesische Möglichkeit zu bieten!
4. In der Falle Meinen Empfang an Bord konnte man nicht unbedingt euphorisch nennen. Gorgh hatte sich zurückgezogen, sogar der Insek toide brauchte hin und wieder Erholungs pausen. Zuvor jedoch war es ihm gelungen, die AMENSOON wieder aus ihrer Schrägla ge zu befreien. Kythara war damit beschäftigt, den Zu stand der Geräte weiter zu überprüfen und zu stabilisieren, wobei ihr von Kalarthras as sistiert wurde. »Ich bin zurück«, verkündete ich stolz, als ich die Zentrale betrat. »Schön für dich«, gab Kalarthras zurück. »Es ist genügend Arbeit da, such dir eine aus.« Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Wie konnte er es wagen, mich …? »Ich bin unversehrt zurück!«, sagte ich nachdrücklich. »Aus großer Gefahr!« »In die du dich freiwillig begeben hast«, nahm mir Kythara den Wind aus den Segeln. »Aber wir sind sehr erleichtert, dass es dir gut geht. Könntest du das Segment X der Reaktorkontrolle der Hauptpositronik rekali brieren? Das wäre uns eine große Hilfe.« Ich versuchte, das Zittern in meiner Stim me zu unterdrücken. »Selbstverständlich. Wenn ihr mir nur netterweise mitteilen wür det, wo und womit ich zu Werke gehen soll?« Kythara blickte sich zu mir um. Betrof fenheit zeichnete sich auf ihren Zügen ab. »Oh, verzeih mir, Atlan. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass du keiner von uns bist. Kalarthras wird dir helfen, so lernst du auch mehr über die AMENSOON als reine Leistungsdaten bei voller Kapazität. Wir hätten das schon längst machen sollen. Mein Fehler.« Noch ehe ich meinen Mund öffnen konn te, um unserem Gespräch endgültig wieder
20 jeden Anflug von Bissigkeit zu nehmen, er hob sich Kalarthras. »Mach dir keine Um stände. Wenn ich es dem Arkoniden erst ausführlich erklären muss, verschenken wir nur Zeit, die wir gar nicht haben. Ich erledi ge das rasch selbst.« Der Vargane warf mir einen scharfen Blick zu und begab sich an ein Wandpaneel mit einer Zweigstelle des Hauptrechners. Mir blieb der Mund offen stehen. Kalar thras – der, der bisher am wenigsten Sinn volles zu unserer Expedition beigetragen hat! – ließ mich aussehen wie das berühmte fünfte Rad am Wagen. »Wenn ich störe, dann sagt es ruhig«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. Kythara drehte sich um und schenkte mir ihr bezauberndstes Lächeln. »Jeder hier tut, was er am besten kann. Kalarthras, Gorgh und ich versuchen das Schiff zu retten und das Energieniveau wiederherzustellen, und du gehst in einer unnötigen Selbstmordakti on nach draußen und verpulverst das bis schen, das wir noch hatten. Ich würde das nicht als stören bezeichnen.« Peng! Das saß. Ich entgegnete nichts dar auf. Stattdessen erkundigte ich mich nach dem Zustand des Schiffes. »Während du dort draußen warst, ist es mir mit Kalarthras' Hilfe gelungen, den Energieabfall weiter zu kompensieren.« »Und was heißt das genau?«, wollte ich wissen. »Der Ausstoß der Fusionsreaktoren und der Masse-Energie-Konverter versickert weiterhin zu einem hohen Prozentsatz – wir haben nach wie vor keine Erklärung dafür. Auf Maximallast hochgefahren, ist es uns wenigstens gelungen, das konventionelle Prallfeld des Kombischirms zu aktivieren.« »Gute Nachrichten!«, musste ich zugeben und nahm unaufgefordert neben ihrem Ses sel Platz. »Ich habe ein paar interessante Ent deckungen gemacht«, fuhr Kythara fort. »Erstens wimmelt es auf Sothin von Leben. Unsere Spinnen scheinen nicht die einzigen Bewohner zu sein. Wir müssen uns also auf
Michael Berger weitere Angriffe gefasst machen. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob diese Lebewe sen so etwas wie Intelligenz besitzen. Wenn, dann zumindest auf einem sehr geringen Ni veau.« Ich berichtete ihr in kurzen Worten von den halluzinatorischen Fähigkeiten des Arachnoiden. »Interessant.« Das war alles, nur dieses eine Wort. Nun ja, ihr hattet in der jüngeren Ver gangenheit schließlich mit genügend illusio nistischen Einflüssen zu tun … da darfst du nicht erwarten, dass sie angesichts deiner Spinnenerfahrung in Ekstase ausbricht. »Du sprachst von mehreren Entdeckun gen. Was hast du noch herausgefunden?« »Wir sind dabei, eine gezielte Ortung durchzuführen …« »Was heißt wir?«, fragte ich skeptisch. »Kalarthras, Gorgh und ich. Was ist denn bloß los mit dir?« Du solltest deine infantile Eifersucht ab sofort unterlassen, ermahnte mich der Extra sinn. Eure Situation ist nicht gerade dazu angetan, sie auch noch durch derartige Emotionen falsch zu beurteilen. Unsere Situation ist auch deine Situation, erinnerte ich ihn. Eben darum! Trotzdem konnte ich mir einen letzten Einwand nicht verkneifen. In meinen Augen war er nur zu berechtigt: »Der damit verbun dene Energieaufwand ist viel zu groß. Wir haben auf Sothin nichts verloren. Das einzi ge Ziel, das wir verfolgen sollten, ist, so schnell wie möglich wieder von hier zu ver schwinden.« Sie sah mich irritiert an, schüttelte dann verwundert den Kopf. »Ich glaub's fast nicht. Du bist doch immer der Erste, der kei ner Gefahr aus dem Wege geht. Der das Abenteuer geradezu sucht. Und jetzt willst du mir erzählen, dass du kneifen willst? Was steckt wirklich dahinter, Arkonide?« Ich zögerte. Während ich noch nach einer Antwort rang, fuhr sie fort: »Außerdem ist es nicht so einfach, von hier wieder zu ver
AMENSOON in Not schwinden, wie du weißt. Die AMENSOON kann aus eigener Kraft nicht starten. Also er scheint es nur logisch, alle Energie darauf zu verwenden, unsere Feinde zu erkunden – be vor sie das mit uns tun.« Sie hat Recht, sagte der Logiksektor. Viel leicht solltest du es ihr einfach mal sagen. »Also schön«, druckste ich herum. »Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Ihr werdet euch sicherlich eure Gedanken ge macht haben.« Sie schenkte mir ein Lächeln. Diesmal hatte ich das Gefühl, dass es ehrlich war. »Es freut mich, dass wir wieder einer Mei nung sind, Atlan.« Dann wandte sie sich wieder den Armatu ren zu. Mit höchster Sorgfalt bediente sie die Regler und Instrumente, während ich ihr as sistierte. Kalarthras hielt sich vornehm zu rück. Irgendwann verabschiedete er sich, um seine Kabine aufzusuchen. Kaum hatte er die Zentrale verlassen, meldete die Ortung ein erfasstes Zielobjekt. Anders als die zuvor entdeckten tierischen und pflanzlichen Lebensformen sowie geo logischen Besonderheiten war es von einem immensen Energiefeld umgeben. Nicht umgeben, berichtigte mich der Ex trasinn. Es ist reine Energie! Im nächsten Moment hatten die Orter es wieder verloren. »Das gibt es doch nicht!«, wunderte sich Kythara, ehe ich selbst mein Erstaunen zum Ausdruck bringen konnte. Ihre schlanken Finger huschten über die Instrumente. Schließlich hatte sie die Energiequelle wie der geortet. Es dauerte nur Sekunden, und sie entzog sich uns ein weiteres Mal. »Verflucht«, knirschte ich. »Die Orter?« »Die funktionieren einwandfrei. Es liegt an der Emissionsquelle. Sie scheint beson ders gut getarnt zu sein. Sobald wir sie im Visier unserer Orter haben, reagiert sie dar auf.« »Kannst du feststellen, ob es sich um die Energiequelle selbst handelt oder um einen anderweitigen Schutzmechanismus?«, fragte ich ehrlich verblüfft.
21 »Du denkst an so etwas wie Murloth? Ei ne Quelle mit Eigenbewusstsein? Nein, das kann ich ausschließen. Wir haben es nicht mit einer varganischen Psi-Quelle zu tun. Was immer es ist, es ist eindeutig anderen Ursprungs.« Abermals studierte sie die An zeigen und Kontrollen. »Den empfangenen Daten zufolge handelt es sich um dieselbe Energiequelle, die wir schon bei unserem Anflug gemessen haben.« »Also um jene hyperphysikalischen Feld linienbündel, deren Emissionen denen der Schwarzen Substanz ähneln und denen wir letztendlich unsere unfreiwillige Landung hier verdanken.« »Ja. Allerdings betrug das geortete Gebiet bei unserem Anflug wenige hundert Meter im Durchmesser.« Sie machte eine Pause – nicht, um die Spannung zu erhöhen, sondern weil es ihr offensichtlich selbst unglaublich vorkam, was folgte: »Nun beträgt der Durchmesser desselben Gebiets mehrere hundert Kilometer!« »Das klingt genauso unwahrscheinlich wie alles, was wir bisher hier herausgefun den haben«, sagte ich. Es sei denn, meine Ursprungshypothese stimmt, meldete sich mein Extrasinn. Frag sie. Ich seufzte. »Kannst du feststellen, ob sich unsere Umgebung vergrößert hat oder ob wir verkleinert wurden? Das würde die Diskrepanz erklären.« Kythara runzelte die Stirn. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber bis auf die Reskalierung der Ortungsergebnisse deutet nichts darauf hin. Alle anderen Parameter sind normal. Ich kann es nicht ausschließen, aber es ist nur eine Möglichkeit unter vie len.« Sie windet sich, merkte der Extrasinn an. Sie lässt bewusst offen, ob es sich nicht doch um einen ihr bekannten Verkleinerungseffekt handelt wie bei der Reise zwischen Stan dardraum und Mikrokosmos. »Vielen, die wir nicht kennen, meinst du«, griente ich. »Na schön. Kannst du abschätzen, ob wir es mit einer
22 noch weiter fortschreitenden ›Reskalierung‹ zu tun haben oder ob der Prozess abge schlossen ist?« »Der Prozess ist zum Stillstand gekom men. Die Randausläufer der Energiequelle befinden sich ungefähr fünfhundert Kilome ter weit entfernt. Das Zentrum dürfte sich in siebenhundertfünfzig Kilometern Entfer nung befinden.« »Also ganz in der Nähe sozusagen.« Sie schmunzelte vergnügt. »Das klingt wieder ganz nach dem altvertrauten Atlan, den ich kenne und schätze.« Ich nickte. »Wenn wir es schon geortet haben, sollten wir nicht versäumen, es unter die Lupe zu nehmen. Eine Energie, die die AMENSOON mit ihrem Bannstrahl zur Landung zu zwingen vermag, erweckt mein unbedingtes Interesse.« Ich wandte mich wieder meinen eigenen Pulten zu, während Kythara sich darauf kon zentrierte, die Energiequelle nicht wieder aus der Ortung zu verlieren. Die Messungen, die ich ausführte, bein halteten den Raum über uns. Ich hatte keine Lust, weitere Überraschungen zu erleben. Da oben tat sich tatsächlich etwas! »Da braut sich einiges zusammen«, stellte ich fest und schaltete die Anzeigen parallel auf ihren Schirm. »Die Sonne!« »Die Sonne pulsiert! Die Messungen zei gen Schwarze Protuberanzen!« »Genau wie beim Dunkelstern«, bestätig te Kythara. Auch beim Dunkelstern waren fremdarti ge Riesenprotuberanzen ausgestoßen wor den. Es handelte sich dabei um eine nicht eindeutig einzuschätzende Substanz, die weit ins All vorzudringen vermochte und sich in mehreren Millionen Kilometern Di stanz zu einer diffusen Akkretionsscheibe formierte, die an mehreren Stellen planeten große Verklumpungen aufwies. »Heißt das, hier entsteht ein weiterer Dunkelstern?«, fragte ich mehr mich selbst als Kythara. Auch sie würde mir diese Frage nicht beantworten können. Eine weitere Be fragung der Ortungsergebnisse ergab er-
Michael Berger staunliche Parallelen! »Die Orter erfassen die gleichen hype renergetischen Entladungen wie bei der Schwarzen Substanz«, sagte ich hastig. »Die Folge sind transitionsähnliche Strukturer schütterungen und Entmaterialisationen.« Vereinzelt kam es parallel zu den Schwar zen Protuberanzen zu hyperenergetischen Überschlägen, bei denen vergleichbar einer Sonnenzapfung Energie vom Dunkelstern zu dem Körper floss und hier entweder gespei chert wurde oder über merkwürdige Dimen sionsdurchbrüche in unbekannte Gefilde verschwand. Elektrisiert wertete ich den hereinkom menden Datenstrom aus. »Die Energieentla dungen nehmen mit jeder Sekunde zu. Wenn es uns nicht gelingt, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, werden wir wohl mit ansehen, wie Sothins Sonne explodiert.« »Eine Supernova?« Ich nickte. »Behalte es im Auge«, sagte Kythara. »Ich werde …« Sie beendete das, was sie hatte sagen wol len, mitten im Satz. »Was ist das schon wie der?«, entfuhr es ihr. Die Orter hatten einen weiteren Angreifer erfasst. Kythara schaltete einige Ausschnitt vergrößerungen ein. Was sich mir da aus verschiedenen Perspektiven präsentierte, ließ selbst mir den Atem stocken. »Dagegen waren deine Spinnen wahre Kuscheltiere«, sagte Kythara. Das Ding, das auf die AMENSOON zu stampfte, erinnerte an ein Maschiere-Viel – nur war es viel größer als dieses auf dem Planeten Last Hope beheimatete Extremle bewesen. Es hatte die Form eines Kochens. Der mächtige, einem zerklüfteten Gebirge gleichende Körper wurde von zahlreichen Beinen getragen. Ich zählte über vier Dut zend. Der dreieckige Kopf saß wie unter dem Panzer einer Schildkröte am vorderen Körperende. Die Messergebnisse zeigten, dass das monströse Lebewesen über zweihundert Me ter groß sein musste. Seine Seitenlänge be trug eintausend Meter.
AMENSOON in Not »Es wird uns einfach platt walzen!«, er kannte ich. »Es scheint es nicht direkt auf uns abgese hen zu haben«, sagte Kythara. »Es folgt ein fach der Schneise, die die Arachnoiden ge schlagen haben.« »Ein sturer Bursche«, pflichtete ich ihr bei. Ich verspürte nicht die geringste Lust auf einen weiteren Ausflug. Abgesehen davon hättest du gegen diesen Riesen keine Chance, erkannte der Logik sektor. Ein Strahl aus den Thermowaffen würde ihn noch nicht mal ernsthaft verlet zen. »Na, ist dir die Abenteuerlust abhanden gekommen?«, fragte Kythara. Ich ging nicht auf ihren leichten Spott ein. Zu genau er kannte ich, dass sie sich diesmal echte Sor gen machte. »Was schlägst du vor?«, fragte ich. Ich schaute auf die Ortungsergebnisse. Wir hatten exakt noch eine halbe Minute Zeit, uns eine Lösung einfallen zu lassen. Die Uhr tickte. Der Boden und mit ihm die AMENSOON vibrierte unter den stämmigen Schritten des Wesens. »Ich bin mir nicht sicher, ob die Thermo strahler es besiegen können«, zweifelte Ky thara. »Sie können nur einen Bruchteil ihrer Leistung abrufen.« Zwanzig Sekunden. »Wir haben nur einen einzigen Versuch«, sagte ich. »Danach spielt es keine Rolle mehr, wie viel Energie wir überhaupt noch brauchen. Wir sollten alles hineinlegen, was wir haben!« Wir sahen uns tief in die Augen. Wussten, dass wir in diesem Moment beide das Glei che dachten … Zehn Sekunden. Die AMENSOON erbebte. Ich nickte, während ich mit kühler Präzi sion das Monster ins Visier nahm. Dann be tätigte ich den Auslöser. Das Schiff vibrierte, als die gewaltigen Energieentladungen der Thermostrahler in solch unmittelbarer Umgebung der AMEN
23 SOON eingesetzt wurden. Fast hatte ich das Gefühl, wir hätten die Waffen auf uns selbst abgefeuert, so durchgreifend waren die Fol gen. Das titanenhafte Wesen bäumte sich auf und brüllte markerschütternd. Als es mit al len Füßen wieder auf den Boden kam, er bebte die AMENSOON erneut. Für einige Augenblicke wirkte das Mon ster orientierungslos. In der nächsten Sekun de setzte es seinen Weg unbeirrt fort. Aber nicht mehr auf unser Doppelpyrami denschiff zu! Sondern direkt daran vorbei. Der neuen Schneise folgend, die ich soeben mit den Thermostrahlern in den Urwald gebrannt hatte! Kythara und ich warfen uns einen trium phierenden Blick zu. »Es hat funktioniert!«, sagte ich befrie digt. »Wir hätten ihn niemals zur Strecke bringen können. Aber er scheint so tumb, dass er allein dem roten Teppich folgt, den wir für ihn ausgebreitet haben.« »Wir haben genug dafür gezahlt«, erin nerte Kythara. »Die Energieleistung muss erst wieder hochgefahren werden.« Nach der Euphorie, dass wir auch diesen Angriff gemeistert hatten, machte sich Resi gnation in mir breit. Nenn es lieber Realismus, schlug mein Extrasinn vor. Wie auch immer man es nannte, wir saßen nach wie vor in der Falle. Oder wenn ich an meine erste Konfrontation zurückdachte: wie die Fliege im Spinnennetz. Die ersten Zusammenstöße mit sothini schen Lebensformen waren nicht dazu ange tan, übermütig zu werden. Früher oder spä ter würden wir vielleicht auf etwas stoßen, was noch riesiger wäre. Noch gefährlicher. Und noch gerissener. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir angesichts unserer Handi caps den Kürzeren ziehen würden. Wir hatten zwei Kämpfe gewonnen, aber angesichts unserer prekären Energieversor gung konnte es so nicht dauerhaft weiterge hen. Schon der nächste Zwischenfall konnte
24 uns das Leben oder zumindest die AMEN SOON kosten – was im Endeffekt auf das Gleiche hinauslief. »In dir arbeitet es. Das sehe ich dir doch an«, sagte Kythara. »Ich denke, dass wir soeben nur mit Mühe und Not davongekommen sind. Wir müssen endlich etwas unternehmen!« »Und was schlägst du vor? Angriff ist die beste Verteidigung – so lautet doch ein irdi sches Sprichwort, das auch eure Rasse schon so oft beinahe bis an den Rand der Vernich tung geleitet hat, oder?« »In mindestens ebenso vielen Fällen hat uns diese Maxime rechtzeitig aktiv werden lassen. Wir können diese philosophisch-histori sche Diskussion gerne zu einem geeigneten Zeitpunkt in aller Ausführlichkeit führen. Außerdem werde ich niemanden von euch in Gefahr bringen. Ich werde allein aufbrechen, um diese geheimnisvolle Energiequelle aus zumachen, der wir unsere Landung hier zu verdanken haben.« Kythara sah mich an, als hätte sie es mit einem Kranken zu tun. »Aha, also doch wie der auf eigene Faust. Ich dachte, davon bist du dort draußen bekehrt worden?« Ich hatte an ihrer Erwiderung einige Momente zu schlucken. Warum nahm sie es nicht einfach so hin, wie ich es für richtig hielt? Typisch varganische Arroganz! Gegen typisch arkonidische Sturheit, kommentierte der Extrasinn. »Du hast ja Recht«, gab ich zu. »Aber Gorgh ist hier an Bord besser aufgehoben, als mir in diesem Dschungel dort draußen den Rücken freizuhalten. Dabei wäre er auf grund seiner Insektennatur sicherlich der Richtige!« »Ich dachte nicht an Gorgh.« Ich lachte auf. »Verzeihung, aber Kalar thras kann ich nun wirklich nicht dabei brau chen. Er ist immer noch viel zu geschwächt. Ich werde nicht die Zeit haben, mich als Kindermädchen zu betätigen.« Natürlich wusste ich, dass sie nicht an Ka larthras dachte, sondern an sich. Nichts anderes hatte ich gehofft.
Michael Berger
5. Aufbruch 7. Juni 1225 NGZ Wir verloren keine unnötige Zeit. Nach dem die Fronten so weit geklärt waren, in formierten wir die anderen von unserem Entschluss. »Ich würde euch gerne begleiten«, sagte Kalarthras. »Aber ich fürchte, in meinem Zustand wäre ich euch wirklich keine große Hilfe.« Dem konnte ich insgeheim nur zustim men. Weniger glücklich mit der Situation war Gorgh. Seine Antennen hingen herab – für mich ein Zeichen von Trübsal. »Ihr geht ein unkalkulierbares Risiko ein. Die Energie schwankungen der AMENSOON sind be trächtlich. Wir können euch von hier aus keine große Unterstützung bieten. Der rät selhafte Energieabfluss betrifft im Übrigen sämtliche Ausrüstung.« Kythara sah mich an. »Hast du das ge wusst?« Ich nickte und wusste genau, was Gorgh damit sagen wollte. »Als ich draußen war und den Arachnoiden angriff, habe ich es so fort gespürt: Der Kampfanzug funktionierte nicht wie sonst. Ich kam mir langsam und behäbig darin vor. Kurz bevor ich wieder die Schleuse betrat, setzten seine Funktionen für eine Sekunde ganz aus. Ich wollte euch nicht damit beunruhigen …« Kythara setzte ein entschlossenes Gesicht auf. »Wir werden uns trotzdem nicht von unserem Entschluss abbringen lassen. Am besten, wir schonen unsere Energiereserven so lange wie möglich, bis wir das Ziel er reicht haben!«
* Es war wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Nur dass diesmal Kythara an meiner Seite aus dem Schott hinausschwebte. Wir verzichte ten sowohl auf Funkverkehr als auf alle son stigen Energie raubenden Aktivitäten. Unse
AMENSOON in Not re Anzüge waren auf Minimalfunktion her untergeschaltet. Behutsam landeten wir auf sothinischem Boden. Er war an dieser Stelle mit Geröll übersät. Von hier unten erwiesen sich die Schneisen, die durch die vorangegangenen Verwüstun gen verursacht worden waren, als kilometer breites Niemandsland. Trotzdem schien der uns umgebende Urwald so nah, als musste man nur die Hand ausstrecken, um ihn zu er reichen. Es lag einfach an seiner ungeheuren Dimension, an deren Anblick ich mich erst noch gewöhnen musste. Selbst unser ge strandetes achthundert Meter hohes Doppel pyramidenschiff wirkte dagegen wie ein Spielzeug. Angesichts der Riesengewächse kam ich mir wie eine Ameise vor. Kythara und ich klappten unsere Helme nach hinten. Zum ersten Mal atmete ich die sothinische Luft ein. Sie schien etwas weni ger sauerstoffreich als auf der Erde zu sein. Die Strukturerschütterungen hatten auch auf Sothin Spuren hinterlassen. Geknickte Bäume, verwüstete Flächen, der beißende Gestank verbrannter Erde. Entferntes Donnergrollen ließ den Boden unter unseren Füßen ein aufs andere Mal erzittern. Ein wahrer atmosphärischer Sturm musste über den Planeten hinweggefegt sein. Im Moment hatte sich die Atmosphäre wieder beruhigt. Wenn die Situation nicht so überaus ernst gewesen wäre, hätte ich mich auf die bevor stehende Mission sogar gefreut. Im ersten Teil würde es sich um ein ultimatives Über lebenstraining mit geringst möglicher Ener gieverschwendung handeln, dessen war ich mir bewusst. Was uns am Ziel unserer Expe dition erwartete, konnte ich nur mutmaßen. Ich konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt. »Also los!«, sagte Kythara und ging vor an. Die goldenen varganischen Kampfanzü ge hatten wir so eingestellt, dass sie nur we nig mehr als sich selbst trugen. Ein wenig unterstützten sie unseren Lauf, sodass wir schneller vorankamen als normale Fußgän ger.
25 Kythara hatte errechnet, dass wir knapp vierzehn Tage unterwegs sein würden, um den Mittelpunkt der fremden Energiequelle zu erreichen. Voraussetzung war, dass wir jeden Tag zwischen fünfzig und sechzig Ki lometer zurücklegen würden. Dies war si cherlich eine optimistische Schätzung, denn niemand konnte voraussagen, was uns erst im Dickicht des Urwaldes erwarten würde. Nach einer halben Stunde hatten wir den Waldrand erreicht. »Sieh dich noch einmal zum Abschied um«, sagte ich. »So schnell werden wir die AMENSOON nicht wiedersehen.« Wenn überhaupt, kommentierte der Extra sinn. Wir nahmen uns einen Augenblick die Zeit, einen letzten Blick auf das VarganenRaumschiff zu werfen. Funkverkehr war ab jetzt tabu. Er würde zu viel an Energiereser ven rauben. Wir hatten uns darauf verstän digt, nur im äußersten Notfall per Funk mit einander zu kommunizieren. »Hoffentlich kommen Gorgh und Kalar thras gut zurecht«, sagte ich. »Sie werden zwei Wochen lang alle Hände voll zu tun haben, das Schiff gegen alle möglichen An greifer zu verteidigen.« »Mach dir darum keine Sorgen. Uns steht sehr viel weniger an Feuerkraft zur Verfü gung als den beiden. Trotzdem freut es mich, dass du derart optimistisch in die Zu kunft schaust. Du gehst jetzt bereits davon aus, dass es uns gelingen wird, diese Ener giequelle zu zerstören. Aber was ist, wenn wir unverrichteter Dinge wieder umkehren müssen?« »Daran denke ich in der Tat nicht«, ant wortete ich. »Es würde mich auf der Stelle entmutigen.«
* Am Anfang kamen wir relativ gut voran. In der Waffenkammer der AMENSOON waren wir auf machetenähnliche Geräte aus Varganstahl gestoßen. Die benutzten wir nun.
26 Doch nach und nach wurde das Dickicht immer undurchdringlicher. »Bist du sicher, dass es die beste Mög lichkeit ist, der Energiequelle auf direktem Weg zu folgen?«, fragte ich, während ich mich vorwärts kämpfte. Kythara schaute auf ihren halbautomati schen Kompass. »Die Luftlinie ist nun mal der schnellste Weg. Hast du einen besseren Vorschlag?« Ich schwieg. Natürlich hatte ich keine bessere Idee. Es mochte gut sein, dass es Pfade gab, die um diesen Wald herumführ ten. Doch wir hatten zu wenig Messungen und Ortungen durchführen können, um uns ein Bild von der gesamten Umgebung ma chen zu können. So konnte ich nur hoffen, dass es nicht die ganzen Tage durch dieses Unterholz gehen würde. Abgesehen davon, dass Kytharas Zeitplan damit ad absurdum geführt werden würde. »Was würde ich darum geben, uns mit dem Thermostrahler eine Bresche freizu brennen!«, sagte ich seufzend. »Untersteh dich. Die Strahler werden wir ausschließlich zu unserer Verteidigung be nutzen.« »Danke für die Aufklärung.« Die nächsten Stunden brachen wir uns Seite an Seite schweigend einen Pfad durch das Unterholz. Ich hatte das Gefühl, dass es mit jedem Meter noch dichter wurde. Aber es hatte auch einen Vorteil: Von weiteren Riesentieren blieben wir verschont. Ab und zu erzitterte unter uns der Boden, wenn einer der sothinischen Giganten in weiter Ferne vorüberzog. Dafür schien es über unseren Köpfen von tierischem Leben zu wimmeln. Vögel kreischten, unbekannte Spezies fiepten und rasselten um die Wette. Doch es spielte sich alles hoch über uns ab. Zu hoch für uns, als dass wir auch nur einen dieser Urwaldbe wohner zu Gesicht bekamen. Mehrfach liefen uns Rieseninsekten über den Weg. Die meisten waren nicht größer als wir selbst. Sie erwiesen sich als nicht weiter gefährlich und flüchteten sofort vor
Michael Berger uns. Ich war beruhigt, dass es auf Sothin auch Lebewesen gab, die nicht in den Him mel ragten. Hatte ich die Luft außerhalb des Urwalds regelrecht genossen, so war sie nun stickig und brütend heiß. Die Kühlaggregate meines Kampfanzugs wagte ich nicht einzuschalten. Ein Blick auf Kythara zeigte mir, dass kein einziger Schweißtropfen auf ihrer Stirn stand. Wir waren nun bald fünf Stunden unter wegs. Sie registrierte sofort, dass ich sie beob achtete. »Wenn du eine Rast brauchst, sag Be scheid«, meinte sie nur. Ich knurrte nur: »Ladies first!« und stapf te weiter. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Füße. Jeder einzelne Schritt wollte gut be dacht sein. Mehrmals war ich bereits in sch lingpflanzenähnliche Wurzeln geraten, die ich erst hatte zerschneiden müssen, bevor ich mich aus ihren klebrigen Griffen hatte befreien können. Da plötzlich bemerkte ich, dass das Un terholz zurückwich und ein schmaler Pfad sichtbar wurde. Er war gerade mal so groß, dass wir hintereinander gehen konnten. Aber noch zögerte ich, ihn zu benutzen. »Was ist los?«, fragte Kythara in meinem Rücken. »Warum gehst du nicht weiter?« Ich kniete mich nieder und bemerkte die dünne Schleimspur, die den Pfad wie ein un sichtbarer Film überzog. Ich ließ einen Handschuhfinger darüber gleiten und schnüffelte daran. Der Schleim roch völlig neutral. »Möchte wissen, was das zu bedeuten hat«, murmelte ich. »Was auch immer es verursacht hat, es führt genau in die Richtung, in die wir gehen müssen. Also los, Arkonide!« Ich zögerte noch immer. »Und wenn es eine Falle ist?« Kythara schüttelte den Kopf. »Du witterst überall einen Hinterhalt, was? Die Wahrheit ist, dass niemand auch nur vermuten wird,
AMENSOON in Not dass wir diesen Irrsinn hier auf uns nehmen! Wer, bitte schön, sollte uns wohl hier im Ur wald eine Falle stellen wollen? Wir haben mit ganz anderen Gefahren zu kämpfen.« »Wenn die Lordrichter uns diese Falle auf Sothin gestellt haben, so sind sie noch zu ganz anderen Dingen fähig!« Ich besah mir die sich beidseits des Pfa des auftürmenden Sträucher genauer. Sie wirkten an den Seiten wie mit einem Rasier messer gestutzt. Als hätte jemand – oder et was – diesen Pfad mit chirurgischer, aber brutaler Präzision durch sie hindurchge schält. Dieses Ding musste ungefähr unsere Größe haben, denn knapp über unseren Köp fen war das Blätterwerk unversehrt geblie ben. Obwohl der Boden unter unseren Füßen leicht rutschig war, ging es unverhältnismä ßig schneller voran. Wir hatten nichts weiter zu tun, als dem Weg zu folgen. Je tiefer wir in den Wald eindrangen, um so mehr seiner Bewohner bekamen wir zu Gesicht. Zumeist waren es Insekten in allen nur denkbaren schillernden Farben. Die mei sten waren größer als wir, schienen aber un gefährlich zu sein. Einmal kreuzte ein tau sendfüßlerähnliches Geschöpf unseren Weg. Größere Tiere bekamen wir nach wie vor nicht zu Gesicht, aber es war offensichtlich, dass sie diesen Wald ebenfalls bevölkerten. Einmal begannen die Bäume über uns zu schwanken. Hoch oben, unsichtbar für unse re Augen, hangelte sich offensichtlich ein riesenhafter Körper durchs Geäst. Die Bäu me ächzten unter seinem Gewicht. Ein fürchterlicher, alles betäubender Schrei war zu vernehmen. Kythara und ich hielten uns die Ohren zu. Dann war es vor über. Wir folgten dem Schleimpfad mehrere Kilometer weit, bis auch Kythara endlich ei ne erste Rast vorschlug. »Einverstanden«, keuchte ich. Ich hatte bereits sehnlich darauf gewartet. Ich schlug ein paar Zweige beiseite, da ich keine Lust hatte, mich direkt auf den Schleim zu setzen, und ließ mich erschöpft
27 auf den Grasboden fallen. Neben mir tat Ky thara das Gleiche. Ich warf einen Blick auf ihr ebenmäßiges Gesicht. Es war gerötet und von der Strapa ze leicht gezeichnet. Dennoch kam sie mir in diesem erhitzten Zustand fast noch schöner und begehrenswerter vor. Ihre goldenen Locken hatte sie zu einem Pferdeschwanz auf dem Rücken gebändigt. Auch das stand ihr überaus gut. Mäßige deine Phantasien, tadelte mich der Extrasinn. Du solltest dich ganz auf das Ziel konzentrieren. Aber genau das tue ich doch!, verteidigte ich mich. Kythara schien meinen Blick bemerkt zu haben. Sie strich sich mit einer anmutigen Bewegung eine Strähne aus der Stirn. »Da haben wir uns ganz schön was zuge mutet, Arkonide, oder?« Ich nickte. »Ich frage mich nur, ob das, was uns am Ende dieser Strapazen erwartet, meine Vermutung bestätigt.« »Es ist nicht nur deine Vermutung. Aber wenn wirklich die Lordrichter eine derartige Energiequelle installiert haben, stellt sich als weitere Frage, ob die Falle, in die wir ge tappt sind, für uns gedacht war.« »Ich habe da keinen Zweifel. Die Garby or-Raumer haben uns so konsequent in Richtung Sothin getrieben, dass ich an kei nen Zufall mehr glaube. Dass es die meisten von ihnen selbst erwischt hat, bestätigt nur, dass die Lordrichter alles daransetzen, uns zu vernichten.« Es war ein Augenblick seltener Eintracht zwischen uns. Ich nahm einen Schluck aus dem Wasserbehälter. Auch Kythara trank in kleinen, wohldosierten Schlucken. Natürlich war es nicht nur Wasser, das wir zu uns nah men. Es war mit zahlreichen Zusätzen verse hen, die uns innerhalb von Sekunden wieder munter machten. Wir gönnten uns noch zehn Minuten Ru he, dann sprangen wir wieder auf die Beine. Die Pause hatte Kythara genutzt, um noch einmal ihre Messungen mit dem von uns eingeschlagenen Kurs zu vergleichen. Nach
28 wie vor führte der Schleimpfad in die richti ge Richtung. Je weiter wir gingen, umso rutschiger und schmieriger wurde der Untergrund. Einmal rutschte Kythara aus, konnte sich aber noch eben an einem Zweig festhalten. Ich ging wieder in die Hocke und betastete abermals den Schleim. Er war tatsächlich von anderer Konsistenz und schien frisch zu sein. Das konnte nur eins bedeuten. »Mich würde nicht wundern, wenn wir gleich auf die Kreatur stoßen, die diesen Pfad hier angelegt hat«, warnte ich meine Begleiterin und zog meinen Thermostrahler. »Denk daran! Schießen nur im äußersten Notfall!« Ich nickte, während ich mich vorsichtiger als bisher vorwärts bewegte. Im nächsten Moment sah ich eine hu schende Bewegung – etwas Schwarzes, Schleimiges, bevor es sich schon wieder meinem Blick entzog. »Es befindet sich direkt vor uns!«, flüster te ich. Ich beschleunigte meinen Schritt, wo bei ich darauf achtete, nicht das geringste Geräusch zu machen. Dann erkannte ich, was diesen Pfad verur sacht hatte: Es war ein Wesen, das entfernt einer Schnecke glich. Zumindest trug es ein Schneckenhaus mit sich. Das Tier war je doch mehr hoch als breit und wirkte daher eigenartig zusammengepresst. Auf dem Schneckenhaus befanden sich unzählige me terlange Tentakel, die in rasiermesserscharfe zweikrallige Scheren ausliefen. Die Scheren waren unablässig damit beschäftigt, das Un terholz zu zerschneiden und den Pfad zu vergrößern, auf dem sich das Wesen träge dahinschlängelte. Es beachtete uns nicht weiter. Vielleicht hatte es uns auch noch gar nicht bemerkt, da wir uns in seinem Rücken befanden. »Es scheint uns zumindest nicht feindlich gesinnt«, stellte ich leise fest. »Trotzdem sollten wir ihm aus dem Weg gehen«, sagte Kythara. »Ich habe keine Lust, die Wirksamkeit dieser Scheren mit der Festigkeit unserer Anzüge in Konkur-
Michael Berger renz treten zu lassen.« »Du sprichst mir aus der Seele.« Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ein Bersten ertönte und von oben aus dem Astgeflecht etwas herabgestoßen kam. Instinktiv warf ich mich zu Boden. Neben mir spürte ich Kythara. Für einen Augenblick erkannte ich zwi schen den Ästen eine riesige rosafarben glänzende Zunge, die mit mehreren Zahnrei hen bewehrt war. Im nächsten Moment hatte die Zunge das schneckenähnliche Tier er fasst. Es klebte förmlich daran fest! Dann schnellte die Zunge nach oben zurück und war verschwunden. »Was war denn das?«, entfuhr es mir. »Still!«, ermahnte mich Kythara und gab mir einen Schlag, der mich zu Boden pres ste. Abermals schlängelte sich die Zunge durch das Geäst, fuhr suchend den Pfad ent lang und leckte den Schleim auf. Vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, robbten Kythara und ich uns seitwärts in die schützenden Sträucher. Nur wenige Sekun den später leckte die Zunge genau an der Stelle entlang, an der wir gelegen hatten. Sie verfolgte den gesamten Pfad zurück und war bald unseren Blicken entschwunden. »Wenn das nur die Zunge war, möchte ich nicht wissen, wem sie gehörte«, sagte ich aufatmend. »Um ein Haar hätte es uns mit eingesammelt.« »Es war nicht die Zunge«, verbesserte mich Kythara, »sondern offensichtlich nur deren äußerste Spitze.« Ich hievte mich hoch und half anschlie ßend Kythara auf die Beine. Sie ergriff mei nen Arm. »Ab jetzt müssen wir uns wieder selbst einen Weg bahnen«, sagte ich und nahm die Machete zur Hand. Dann begann die Schinderei aufs Neue! »Pst!«, verlangte Kythara nach einer Wei le. »Ich höre wieder etwas!« Ich spitzte ebenfalls die Ohren, jedoch dauerte es einige Sekunden länger, bis auch ich es vernahm. Ein weiteres Bersten und Knacken der Zweige verriet einen weiteren
AMENSOON in Not Ankömmling. Wir duckten uns und warteten ab. Minuten vergingen. Es fiel mir zuneh mend schwerer, mich still zu verhalten. Am liebsten hätte ich mich der unbekannten Kreatur entgegengestellt. Endlich tat sich etwas zwischen den Zweigen, und ein monströser, mit Fühlern versehener Kopf war zu sehen. Es handelte sich um ein zweites der Schneckenwesen, das die Spur des ersten kreuzte. Seine Tenta kel schnitten sich wie eine Heckenschere den Weg frei. Es hinterließ die gleiche schleimige Spur wie sein Artgenosse. Von ihm ging keine Gefahr aus, aber mir schwante Übles. Kaum hatte ich den Gedan ken formuliert, zuckte von oben erneut die Zunge herab und entführte auch dieses Schneckenwesen vor unseren Augen. »Wir sollten zusehen, dass wir von hier verschwinden«, schlug ich vor. »Nicht die schlechteste Idee, Arkonide«, willigte Kythara nur zu bereitwillig ein. Auch an ihr war der neuerliche Angriff aus der Luft nicht spurlos vorübergegangen. Sie zeigte Nerven.
6. Nachtruhe 8. Juni 1225 NGZ »Hast du das eben auch gehört, Atlan?« Es war mitten in der Nacht. Ich schreckte hoch. Um uns herum waren die ganze Zeit über die verschiedensten Geräusche zu hö ren gewesen. Die nächtlichen Bewohner des Dschungels waren zum Leben erwacht. Es war ein einziges heimliches Rascheln, Zie pen und Fauchen. Immer wieder bewegte sich hoch oben im Blätterdach etwas vor wärts. Irgendwann war ich dennoch einge schlafen. Wir hatten ein provisorisches Lager er richtet. In Kytharas Ausrüstung befand sich eine Art Moskitonetz, das sich selbständig entfaltete und uns in seinem Inneren Schutz bot. Die geringe elektrische Spannung, die es verströmte, hielt offensichtlich alle klei neren Wesen davon ab, uns einen nächtli
29 chen Besuch abzustatten. Ich war in einen wunderbar erholsamen Tiefschlaf gefallen. »Was soll ich gehört haben?«, murmelte ich verschlafen. »Das geht doch schon die ganze Zeit so!« Ich lauschte, aber außer den mir mittler weile schon vertrauten Stimmen der Dschungelbewohner konnte ich nichts ver nehmen. »Es klingt wie ein hohes Fiepen«, beharr te Kythara. »Oder ein Piepsen! Du musst ge nau hinhören!« Ich konzentrierte mich mit allen Sinnen auf einen derartigen Ton. Tatsächlich hatte ich nach einer Weile ein seltsames Pfeifen im Ohr, das alle anderen Geräusche überla gerte. Es nistete sich wie ein Schmarotzer in meinen Gehörgängen ein. »Es handelt sich um einen Ultraschallton im 200-Kilohertz-Bereich«, stellte Kythara nach einem Blick auf ihre Instrumente fest. »Das kann nicht stimmen!«, widersprach ich. Wir wussten beide, dass wir höchstens in der Lage waren, Frequenzen im Bereich des Ultraschalls von 20 Kilohertz wahrzu nehmen. Sie zuckte mit den Schultern. »Frag mich nicht, warum es so ist. Auf Sothin scheint al les anders. Vielleicht werden diese Frequen zen von einem solch riesigen Wesen ausge stoßen, dass sie derart verstärkt werden, dass sogar wir sie wahrnehmen.« Ein Kreischen unterbrach unseren Disput. Es ging uns derart durch Mark und Bein, dass wir aufsprangen und automatisch unse re Kampfpositionen einnahmen. Im nächsten Moment brach etwas von oben durch das Gehölz. Ich erblickte zwei riesige, wagenradgroße, rot glühende Au gen, nadelspitze Zähne und einen schwarzen höhlengroßen Schlund, der uns zu verschlin gen drohte. Ich zielte auf die Augen. »Nicht schießen!«, rief Kythara. Dann war es direkt über uns, eine einzige zuckende schwarze Masse purer Zerstö rungswut. Unser Netz wurde emporgehoben
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und weggewirbelt. Ich sah, wie sich Schwin gen entfalteten, die größer waren als ein Hochhaus. Mit einem triumphierenden Schrei erhob sich das Monster wieder in die Lüfte. Innerhalb von Sekunden war der Spuk verschwunden. »Eine Riesenfledermaus!«, erkannte ich. »Aber warum hat sie uns verschont?« »Sie hatte es auf das Abwehrnetz abgese hen«, sagte Kythara. »Wahrscheinlich ist sie von den schwachen elektrischen Impulsen angelockt worden.« »Das Netz sind wir jetzt jedenfalls los«, stellte ich fest. Mit der Nachtruhe würde es damit vorbei sein. »Ich habe zwar noch ein Ersatznetz mit, aber es scheint mir zu gefährlich, es zu be nutzen. Vielleicht ist die Fledermaus noch in der Nähe.« »Oder dort oben sitzen noch weitere ihrer Artgenossen, die in diesem Moment auf uns herabstarren.« »Wie auch immer: Sie scheinen auf jegli che Art von Energie und Masse zu reagie ren. Wir sollten alles vermeiden, was ihre Aufmerksamkeit erregen könnte.« Beide dachten wir nicht mehr an Schlaf. Zu sehr war uns der neuerliche Angriff in die Knochen gefahren. Ungeduldig warteten wir darauf, dass es Tag wurde. Beim ersten Anzeichen der Dämmerung setzten wir unseren Marsch fort.
7. Entdeckung 10. Juni 1225 NGZ Nach weiteren zwei Tagen waren wir mit unseren Kräften nahezu am Ende. Ich wus ste nicht, wie viel Tausende oder gar Zehn tausende von Stauden, Stämmen, Ästen und sonstigen Pflanzen ich aus dem Weg ge schnitten hatte, um uns einen Weg zu bah nen. Alle paar Minuten wechselten wir uns ab, damit sich der andere erholen konnte. Mehrmals waren wir weiteren Konfronta tionen ausgesetzt gewesen und hatten die meisten nur um Haaresbreite überstanden.
Fast alles hier war riesiger als wir selbst. Die Nächte waren eine einzige Tortur, weil wir es nicht mehr wagten, das Netz aufzuspan nen. Wir schliefen zusammengerollt unter Büschen und in Erdmulden und mussten er tragen, dass all das wimmelnde Ungeziefer, das kleiner als wir war, über unsere Leiber krabbelte. Einmal hatte Kythara versucht, mit der AMENSOON Kontakt aufzunehmen, aber außer einem Knacken und Rauschen war nichts zu hören gewesen. Wir waren uns selbst überlassen – mit der Ungewissheit, ob unser Raumschiff überhaupt noch existierte oder nicht längst von einem weiteren Ur waldriesen niedergestampft worden war. »So schaffen wir es nie, bis zu der Ener giequelle vorzudringen«, sagte ich schließ lich. »Wir müssen den halben Wald abhol zen!« »Ich gebe zu, ich habe es mir nicht so schwierig vorgestellt«, antwortete Kythara. »Doch es gibt keine andere Möglichkeit! Um uns herum existiert nur dieser Wald. Es gibt keine angelegten Wege hindurch.« »Aber es gibt andere Mittel und Wege, um hindurchzugelangen!«, sagte ich grim mig und hob den Thermostrahler. Sie funkelte mich zornig an. »Glaubst du wirklich, mir macht das Ganze Spaß? Schieß dir den Weg frei, wenn du glaubst, dass du damit weit kommst! Wir können ja Wetten darauf abschließen, wie lange die Energie reicht. Und wie hoch die Gefahr ist, dass du einen Waldbrand auslöst.« Zerknirscht steckte ich die Waffe zurück. »Du hast ja Recht«, sagte ich. Ich wusste ebenso wie sie, dass wir mit der vorhande nen Energie haushalten mussten. Im Gegen satz zur AMENSOON konnten wir die ein mal verpuffte Energie nicht pausenlos er neuern. Zudem hatte ich den Eindruck, dass die Quelle, die unsere Energie absaugte, mit jedem Meter, den wir uns ihr näherten, an Stärke gewann. Mehrmals war es passiert, dass die Energie in unseren Anzüge für mehrere Sekunden ganz erloschen war. Wie ein Kurzschluss.
AMENSOON in Not »Warte mal«, sagte sie plötzlich. »Ich ha be hier einen Empfang!« Sie konzentrierte sich auf die Anzugpositronik. »He!«, protestierte ich. »Sagtest du nicht gerade noch etwas von Energiesparen?« Wenn sie mit der Positronik kommuni zierte, hieß das, dass sie eine höhere Ener gieleistung abrief als ich, der ich in dieser Hinsicht geradezu blind und taub war. »Ich empfange einen schwachen elektro nischen Impuls ungefähr einen Kilometer östlich von uns«, klärte mich Kythara schließlich auf. »Wir sollten nachsehen, was es ist.« »Behalte es im Auge und lass uns lieber unseren Weg fortsetzen«, widersprach ich. Ich hatte nicht die geringste Lust, wegen ei nes Phantoms vergeblich einen Kilometer Wald zu roden. Schwacher elektronischer Impuls. Das konnte alles und nichts bedeuten. »Dann trennen wir uns eben«, sagte Ky thara stur. »Du schlägst schon mal den Weg voraus frei, und ich schau mir mal an, was dort drüben ist. Anschließend komme ich nach.« Ich schüttelte den Kopf. »Das steht nicht zur Diskussion. Vielleicht ist es eine Falle. Aber schön, wenn du auf deinem Dickkopf bestehst, machen wir diesen Umweg. Da nach wird es sowieso Zeit, uns ein Nachtla ger einzurichten.« Sie schenkte mir ein dankbares Lächeln. Im nächsten Moment konzentrierte sie sich wieder auf ihre Anzugpositronik. Ich schwor, sie dafür noch zur Rechenschaft zu ziehen, dass sie mir in dieser Hinsicht kei nen reinen Wein eingeschenkt hatte. Kythara kämpfte sich voran, immer den Impulsen folgend. »Sie werden mit jedem Meter deutlicher. Ich glaube, ich weiß mittlerweile, auf was wir stoßen werden!« »Danke, dass du es mir auch irgendwann sagen wirst, Herrin«, sagte ich. Ich spürte, wie mir ihr Verhalten auf die Nerven ging. Du bist nur kribbelig, weil du nicht selbst das Ruder übernehmen kannst, erkannte der
31 Extrasinn. Geduld war noch nie mehr als nur ein Wort mit sechs Buchstaben für dich. »Lass dich überraschen, Arkonide«, spannte mich Kythara weiter auf die Folter. Ich schwieg eisern, um mir keine weiteren Blößen zu geben. Natürlich hätte ich genau wie sie meine Anzugpositronik hochfahren können, aber ich dachte nicht daran. Es wäre in der Tat unklug gewesen. Es reichte, wenn einer von uns mehr hören und sehen konnte als der andere. Ich verlagerte meinen ganzen Frust in die Machete, mit der ich eine Bresche für uns schlug. Schließlich trennten uns nur noch wenige Dutzend Meter von dem Ding, das Kytharas Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Sie gab mir zu verstehen, mich ruhig zu verhal ten. Wir gingen zu Boden und robbten uns weiter vorwärts. Etwas Goldenes blitzte zwischen den Bü schen auf. Dann hatte auch ich erkannt, um was es sich handelte. Ich sprang auf die Füße und näherte mich dem Objekt. Vorsicht war nicht mehr angebracht. Wir waren auf einen unserer Kugelrobots gestoßen! »Es muss sich um einen der Robots han deln, die ich der Riesenspinne hinterherge schickt habe«, erkannte ich. Da das Energie system zusammengebrochen war, hatten wir die beiden Robots abgeschrieben. Wie ver mutet waren sie irgendwann einfach abge stürzt, nachdem auch ihre Energie von der fremden Kraftquelle aufgesaugt worden war. Meine erste Wiedersehensfreude währte nicht lang, nachdem ich mir diese Tatsache bewusst machte. Er war nichts weiter als ei ne leere Hülle, die uns nicht viel nützen würde. Dennoch untersuchte ich ihn. Auch Ky thara nahm eine erste Messung vor. »Ganz stumm ist er nicht«, sagte sie schließlich. Ich nickte, denn auch ich konnte ein leich tes Vibrieren wahrnehmen, wenn ich meine Hände auf das goldene Metall legte. Kythara öffnete eine seitliche, zuvor mei
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nen Blicken verborgene Klappe an seiner Außenseite. Dutzende von Schaltkreisen wa ren zu erkennen. »Glaubst du, wir können ihn reparieren?«, fragte ich skeptisch. »Ich weiß es nicht«, murmelte die Varga nin und vertiefte sich wieder in sein Inneres. »Ich könnte zumindest seine Notenergiere serven abrufen und auf ein Minimum akti vieren. Keine Ahnung, wie lange es vorhal ten wird.« Meine Hoffnung wuchs. »Er muss ja kei ne Wundertaten vollbringen«, sagte ich. »Dafür sind schließlich wir zuständig. Es würde reichen, wenn er uns den Weg frei schlagen könnte.« »Genau daran habe ich gedacht«, grinste Kythara. Nach einer halben Stunde hatte sie den Robot tatsächlich wieder so weit hinbekom men, dass er sich auf seinen Tentakelarmen fortbewegen konnte. Kythara gab die ent sprechenden Programmierungen von Hand ein, um möglichst keine Übertragungsener gie zu vergeuden. »Es kann losgehen«, sagte sie. Der Kugelrobot bewegte sich vorwärts. Er stapfte schnurgerade in die ihm einprogram mierte Richtung. Dabei bahnte er sich mit sechs seiner acht Tentakelarme einen Weg durch den Urwald. Varganenstahl zerschnitt das Holz, als wäre es Butter. Wir hatten nichts weiter zu tun, als ihm zu folgen und mit unseren Kräften hauszuhalten. Und kamen sogar noch viel schneller vor an als die Tage zuvor. Die Tortur war vorüber. Das Leben be gann wieder Spaß zu machen!
8. Der Schacht 11. Juni 1225 NGZ Der Schacht öffnete sich derart plötzlich vor unseren Füßen, dass ich fast hineinge stolpert wäre, während der Kugelrobot sich mühelos mit seinen Tentakeln darüber han gelte. Kythara prallte auf mich.
»Eine hübsche Falle!«, stellte ich fest. Der Schacht war von Schlingpflanzen überwu chert und führte senkrecht in die Tiefe. Sei ne Öffnung war nahezu kreisförmig. Ich ließ mich auf alle viere fallen und robbte mich direkt bis an den Rand heran. Als ich hinabschaute, blickte ich in Finster nis. Es war nicht auszuloten, wie tief er hin abreichte. Ein eisiger Hauch drang von unten herauf. »Glaubst du, dass er natürlichen Ur sprungs ist?«, fragte Kythara. »Ich bin mir nicht sicher. Die Ränder scheinen mir ungewöhnlich glatt und eben zu sein.« Und da war noch etwas. Ein fäulnisartiger Geruch drang an meine Nase. Mein Warn impuls schlug augenblicklich an. Ich kroch zurück und meinte zu Kythara: »Wir sollten zusehen, dass wir von hier ver schwinden. Was auch immer dort unten lau ert, es riecht alles andere als einladend.« Kythara nickte. Wir umrundeten die Öff nung, die im Durchmesser mehr als zwei Meter aufwies, und folgten dem Kugelrobot. Ich war vorsichtiger geworden und be dachte jeden Schritt, den ich tat. Nicht umsonst! Wir waren kaum zwei Mi nuten gegangen, als wir auf eine weitere Öffnung stießen. Diesmal vermied ich es, hineinzublicken. Wir hielten uns von dem Loch fern und gingen weiter. Nach exakt weiteren zwei Minuten öffne te sich ein dritter Schacht vor uns. »Das Ganze hat System«, erkannte ich. »Die Löcher sind in einer ganz bestimmten Entfernung voneinander angelegt.« »Also doch intelligentes Leben?« »Um unser Lieblingsthema wieder aufzu rollen: Auch Spinnen folgen beim Netzbau einem ganz bestimmten Muster. Nimm zum Beispiel das Radnetz …« »Dann lass uns weitergehen, ehe wir auf eine Raubspinne treffen!«, unterbrach mich Kythara. »Los, weiter!« »Wollen wir wetten, wann wir auf den nächsten Schacht stoßen?«, fragte ich. »Du hast Recht«, meinte Kythara. »Es ist
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zu gefährlich, diese Route weiter zu benut zen. Wir nehmen einfach einen Parallel weg.« Der Robot folgte uns automatisch. Er be fand sich zwar in einer Art Dämmerzustand, aber es reichte allemal, auf geringfügige Veränderungen zu reagieren, ohne dass wir ihn ständig neu programmieren mussten. Der Umweg, den wir in Kauf nahmen, war nur gering. Aber umsonst. Nachdem wir weitere Minuten gelaufen waren, entdeckten wir ein weiteres halb überwuchertes Loch. »Sie befinden sich hier überall!«, stellte ich fest. »Das ganze Gebiet hier ist durchlö chert wie ein Schweizer Käse! Wahrschein lich ist der ganze Boden unterhöhlt.« Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich mir vorstellte, was für Kreaturen unter unseren Füßen hausen mochten. »Unter normalen Umständen würde ich mir einen dieser Schächte gerne genauer an sehen«, sagte Kythara. »Ich bewege mich nicht gern auf unbekanntem Terrain.« »Ich kann dir nur zustimmen«, sagte ich und blickte unbehaglich in die unbekannte Tiefe.
* Auch am nächsten Tag stießen wir auf weitere Schächte. Wir konnten das Chrono meter danach stellen. Die Verteilung der Schächte folgte einem exakt berechneten System. Sie waren linear und parallel ange legt. Trotz der Unterstützung des Robots ka men wir auf diese Weise nur langsam voran. Zwar glaubten wir einen Weg erwischt zu haben, der parallel zu dem lag, auf dem sich die Schächte befanden, aber wir waren vor sichtig genug, vor jedem unserer Schritte den Boden genau abzusuchen. Die zusätzliche Konzentration war ebenso anstrengend wie der Fußmarsch selbst. Ge gen Abend legten wir völlig erschöpft eine weitere Rast ein.
Nachdem wir uns verpflegt hatten, legten wir uns auf unsere Thermomatten. Kythara fiel sofort in einen Erschöpfungsschlaf, wäh rend ich wie jeden Abend den Geräuschen des Dschungels lauschte. Was für Kreaturen mochten da weit über unseren Köpfen hausen? Wie riesig waren sie? Hier unten auf dem Boden schienen sich tatsächlich nur die winzigsten Bewoh ner Sothins zu verlaufen. Mit diesem beruhigenden Gedanken sch lief auch ich irgendwann ein.
* Nach dem kargen Frühstück waren wir bereits zwei Stunden wieder unterwegs ge wesen, als die Schächte unversehens aus blieben. Wir suchten angestrengt die Umge bung ab, stießen aber auf keine weiteren Öffnungen. »Sieht so aus, als würden wir jetzt nie mehr erfahren, was es damit auf sich hatte«, stellte ich erleichtert fest. Ich sollte mich täuschen! Nach weiteren Stunden diesmal etwas leichteren Marsches standen wir vor einem weiteren Problem, das sich vor uns auftürm te. Und das im buchstäblichen Sinne! Unser Weg endete vor einem Berg, der sich fast senkrecht erhob und uns den Weg versperrte. Es war nicht auszumachen, wie hoch er war, da er sich irgendwo oben im Blätterdach verlor. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte Ky thara. »Klug erkannt«, pflichtete ich ihr bei. »Wir können versuchen, ihn zu umrunden oder ihn zu besteigen.« Kythara überlegte. »Wir haben in den letzten Stunden viel Zeit gewonnen und lie gen im Limit. Es würde mich interessieren, ob man von dort oben etwas erkennen kann.« »Wie weit sind wir denn von der Energie quelle entfernt?« »Die Hälfte unseres Weges dürften wir
34 geschafft haben. Aus der Höhe könnte ich eine genauere Ortung vornehmen. Außer dem könnten wir noch mal versuchen, ob wir von dort oben einen Kontakt zur AMENSOON hinbekommen.« »Überzeugt«, sagte ich. »Und was ist mit dem Kugelrobot? Hat er genügend Energie, um uns dort hinaufzufolgen?« »Genug, um mühelos hinaufzuschwe ben«, antwortete Kythara. »Aber nach wie vor plädiere ich dafür, dass wir jegliche un nötige Energieverschwendung vermeiden, um für den entscheidenden Moment gerüstet zu sein. Ich gebe ihm den Befehl, sich einen Weg um den Berg herum zu suchen, damit er auf der anderen Seite auf uns wartet.« Wir sahen dem Kugelrobot zu, wie er in den Büschen verschwand. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl, ihn nicht mehr an unserer Seite zu haben. Danach machten wir uns an den Aufstieg. Der Berg bestand aus einer festen Erd schicht, die mit unzähligen Löchern übersät war. Sie waren wie geschaffen dafür, dass unsere Finger und Füße darin Halt fanden. Dennoch gestaltete sich der Aufstieg an der steilen Wand als mühsam. Nach dreißig Me tern hatten wir eine Terrasse erreicht und konnten erst einmal nach Luft schnappen. Wenn ich nach oben schaute, wo sich die Spitze irgendwo oben im Geäst der Ur waldriesen verlor, kam mir das Erreichte un glaublich gering vor – als stünden wir noch immer ganz am Anfang. Kythara versuchte abermals Funkkontakt mit der AMENSOON herzustellen. Es er wies sich infolge der atmosphärischen Stö rungen als unmöglich. Noch schwieriger war es, durch den Berg hindurch eine Ortung hinzubekommen. »Wir müssen noch höher«, sagte ich. Ich seufzte. Auch ich konnte mir das Leben ein facher vorstellen. Aber wir hatten keine an dere Wahl. Ich raffte mich auf, um erneut den An stieg anzugehen, und griff in eine der Berg mulden, um mich hochzuziehen – als ein brennender Schmerz meine Finger zurück-
Michael Berger zucken ließ. Ich fluchte lauthals. Innerhalb von Sekunden färbte sich meine Hand blutrot. Der Schmerz ließ mich die Zähne zusammenbeißen. Kythara reagierte blitzschnell. Wie aus dem Nichts hervorgezaubert lag plötzlich ei ne Ampulle in ihren Händen, die sie auf meinen Arm drückte. »Ein Antiserum«, sagte sie. »Es wird jeg liches Gift sofort eliminieren.« Tatsächlich ebbte der Schmerz augen blicklich ab. Ich starrte in das Loch, in das ich meine Finger gesteckt hatte. »Was mag das gewesen sein?«, fragte ich. Bevor Kythara irgendeine Vermutung äu ßern konnte, schoss plötzlich ein Fühler aus dem Loch heraus. Er war mindestens arm dick und vibrierte leicht in unsere Richtung. »Irgendwie erinnert mich das Ding an un seren Freund Gorgh«, sagte ich. »Nur scheint uns dieser Zeitgenosse nicht allzu freundlich gesinnt.« »Du würdest wahrscheinlich genauso rea gieren, wenn du in seiner Situation wärst«, gab Kythara zu bedenken. »Ich möchte das nicht mit ihm ausdisku tieren«, sagte ich, während ich blitzschnell den Thermostrahler zog und abdrückte. Der Strahl brannte sich durch die Erdschicht des Berges und schuf ein metergroßes Loch. »Was soll das?«, fauchte Kythara. »Um ein Haar hättest du mich getroffen!« Dann folgte sie meinem Blick und ver stummte, als sie erkannte, was mich zum Gebrauch der Waffe gezwungen hatte. Das Wesen war gut fünf Meter lang und erinnerte tatsächlich an ein Insekt. Sein wei cher orangefarbener Leib war zweigeteilt und mit sechs Beinen bestückt. Der fast qua dratische Kopf war mit Fühlern und langen, kräftigen Mandibeln versehen. Vorn auf der Stirn befand sich als Fortsatz eine Drüse, aus der das Insekt soeben eine Flüssigkeit hatte verspritzen wollen. Nun sickerte der sekret artige Schleim an seinem Kopf herab. Das Ergebnis war verheerend: Das Sekret wirkte wie Salzsäure und zerfraß seinen Verursa
AMENSOON in Not cher innerhalb von Sekunden. »Er brach plötzlich aus der Wand und stand direkt hinter dir!«, sagte ich. »Wahrscheinlich ist der ganze Berg voll von ihnen! Riesentermiten!« Genau daran erinnert auch der Berg – an einen Termitenbau, schwätzte der Extrasinn klug daher. Danke für die rechtzeitige Information!, gab ich zurück. Sie hätte kaum einen Unterschied bedeu tet. Ihr wärt so oder so hinaufgeklettert. Vorsichtig bewegten wir uns von der Wand weg. »Vermutlich beobachten sie uns aus den Löchern heraus. Wir sollten zuse hen, dass wir so rasch wie möglich wieder hinuntergelangen.« Kythara nickte, aber da sah ich bereits die Bescherung. Von unten kam ein ganzes Heer der Termiten auf uns zugeklettert. Ein Blick nach oben belehrte uns, dass uns auch dieser Weg versperrt war. Auch von dort kamen etliche Riesentermiten auf flinken Beinen herabgekrabbelt. »Solche Biester ernähren sich normaler weise nur von Pilzen«, sagte ich. »Allerdings sind sie normalerweise auch deutlich kleiner.« »Fein, dann könntest du sie ja darüber aufklären, dass wir nicht im Geringsten an ihrer Pilzzucht Interesse haben.« »Sie halten uns für Feinde, die ihren Bau zerstören wollen. Garantiert werden sie uns ihrer Königin zum Fraß vorwerfen wollen.« »Ich dachte, sie essen nur Pilze?« »Eine Termitenkönigin wird fünf- bis vierzigmal so groß wie die normalen Arbei ter und Soldaten. Daher wird sie der einen oder anderen Nahrungsmittelergänzung nicht abgeneigt sein.« Die von unten herankletternden Termiten waren nur noch wenige Meter entfernt. »Also schön, verschwinden wir«, ent schied Kythara. »Auch wenn es wehtut.« Ich wusste, was sie meinte. Die Energie, die wir jetzt bei unserer Flucht benötigten, würde uns an unserem Zielort fehlen. Sie stieß sich vom Boden ab und ließ sich
35 von ihrem Anzug in den Himmel katapultie ren. Ich folgte ihr nur wenige Sekunden spä ter. Es war höchste Zeit. Aus der Luft erkannte ich, dass der ganze Termitenstaat in hellster Aufregung war. Der Berg lebte. Er war unter ihren wimmelnden Leibern geradezu begraben. Nun wusste ich auch, was die Schächte zu bedeuten hatten, auf die wir die letzten Tage immer wieder gestoßen waren. Es handelte sich um nichts anderes als die Notausgänge und Belüftungsanlagen eines Termitenhü gels. Wahrscheinlich gab es noch viel mehr von ihnen hier im Umkreis. Nach drei Kilometern hatten wir die Berg spitze erreicht. Selbst hier oben hielten eini ge der Termiten Wache und gerieten in Auf regung, als sie uns bemerkten. Aus ihren Drüsen schossen sie ihre Sekrete nach uns ab. Es gelang uns, ihnen durch geschickte Ausweichmanöver zu entgehen. Dann hatten wir die Spitze überflogen und waren außer Reichweite. Plötzlich gab mir Kythara zu verstehen, dass ich den Funk aktivieren sollte. Ich tat es, und was ich hörte, trieben mir die Freu dentränen in die Augen. »Ich höre dich, Kythara, die AMEN SOON und wir sind wohlauf. Aber was ist mit euch? Wo seid ihr?« Begleitet wurde die Stimme von dem für Gorgh typischen Knistern. Er schien in größter Aufregung, uns zu hören. In raschen Worten erklärte ihm Kythara unsere Lage, während ich es kaum erwarten konnte, Genaueres über den Zustand unseres Doppelpyramidenschiffes zu erfahren. Wohlauf war mir ein zu allgemeiner Aus druck. »Wie steht's mit der Energie?«, schaltete ich mich dazwischen. »Wir sind weiterhin fieberhaft dabei, alles zu reparieren und sämtliche möglichen Schlupflöcher dichtzumachen. Wir verlieren aber nach wie vor Energie! Es geschieht wellenweise – mal mehr, mal weniger. Im
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Moment eher weniger. Leider konnten wir bisher keine großen Energiereserven anle gen, weil wir uns einige Male nach allen Kräften weiterer Angriffe erwehren mus sten. Kann ich irgendwas für euch tun?« »Ein Beiboot könntest du für uns flottma chen und mit einem Fiktivtransmitter und ein paar ordentlichen Bomben bestücken«, sagte ich. »Am sichersten wäre es, du schickst sie gleich ins Zielgebiet, bis wir sie abrufen.« Gorgh wirkte verwirrt. Natürlich wusste er mit dem Begriff Fiktivtransmitter nichts anzufangen. Schließlich sagte er: »Die Bei boote sind nach wie vor funktionsuntüchtig, und ein Gerät mit der von dir ausgesproche nen Bezeichnung existiert nicht. Aber ich könnte versuchen, ein paar Kugelroboter zu aktivieren und ins Zielgebiet zu schicken – allerdings kann es sein, dass die Energie da zu nicht ausreicht.« »Versuch es!«, sagte ich und schaltete den Funk ab. Ich überließ es Kythara, mit Gorgh die weiteren Einzelheiten zu bereden. Erleichtert, dass wir der Gefahr entronnen waren, frustriert über den unfreiwilligen Energieverbrauch, vor allen Dingen aber glücklich, endlich ein Lebenszeichen von der AMENSOON empfangen zu haben, kehrten wir auf den Erdboden zurück. Mit einem weiteren Funkbefehl rief Ky thara den Kugelrobot heran, der uns beglei tete. Mit optimistischeren Gefühlen als zuvor setzten wir den Weg fort.
9. Am schwarzen See 14. Juni 1225 NGZ »Es sieht düster aus«, stellte Kythara am nächsten Tag fest. Eine weitere Barriere ver hinderte unser Weiterkommen. Vor uns er streckte sich bis zum Horizont ein tief schwarzer See. Es war kurz vor der Dämme rung, und eigentlich hatten wir uns ein ge eignetes Nachtlager suchen wollen. »Warum übernachten wir nicht hier in der Nähe des Ufers«, schlug ich vor. »Bis mor-
gen früh wird uns schon etwas einfallen. Notfalls müssen wir schwimmen.« Kythara nickte. Ihr schönes Gesicht war auch heute, am Ende eines langen Tages marsches, von den Strapazen gezeichnet. Ih re schimmernde Bronzehaut war mit einem Schweißfilm überzogen, obwohl sie von ih rer Natur aus eher unempfindlich gegenüber Hitze war. Doch das, was uns körperlich ab verlangt wurde, zeigte auch bei ihr allmäh lich Wirkung. Insgeheim zog ich den Hut vor der Varganin. Sie hatte in den letzten Tagen nicht ein einziges Mal Schwäche ge zeigt. Wir richteten uns ein Lager in der Nähe des Sees ein, während das immergrüne Licht, das uns den ganzen Tag über begleite te, allmählich schwand und der Dunkelheit Platz machte. »Unter anderen Umständen wäre dieser Platz sogar ganz idyllisch«, stellte ich fest. Kythara sah mir tief in die Augen, ver suchte zu ergründen, was ich damit meinte, und entschied sich dann dafür, mich mit leichtem Spott zu sticheln. »Seit wann hast du einen Sinn für Roman tik, Arkonide?« Ich erwiderte nichts, sondern machte mir meine eigenen Gedanken darauf. Was wus ste ich schon darüber, welche Spielarten der Romantik Varganen bevorzugten? An diesem Abend schlief ich schnell ein. Längst hatte auch ich mich an die Geräusche gewöhnt, die mit der Dämmerung einsetz ten. Es war mitten in der Nacht, als ich auf schreckte. Es war totenstill. Ich horchte in die Dunkelheit hinein. Was hatte mich aufgeweckt? Rechts von mir lag Kythara in ihren Schlafsack gehüllt. Zu ihren Füßen wachte der Kugelrobot. Leise erhob ich mich, um sie nicht zu stö ren, und begab mich ein paar Schritte von der Schlafstelle weg. Da fiel mein Blick auf die schwarze Oberfläche des Sees, dessen Ufer nur knapp zwanzig Meter von uns ent
AMENSOON in Not fernt lag. Ein schwaches Leuchten ging von ihm aus. Neugierig trat ich näher heran, bis ich das Ufer erreicht hatte. Das Wasser wirkte noch immer wie Tinte, doch tief unten erkannte ich einzelne Lich ter. Sie erinnerten mich an Irrlichter, die übers Moor schwebten und einsame Wande rer in Angst und Schrecken versetzten. Mich faszinierten sie eher. Um was han delte es sich? Leuchtwesen? Oder waren es allein physikalische Phänomene? Noch während ich sie betrachtete, hatte ich das Gefühl, dass sie auf mich reagierten. Die Kreise, die sie zogen, bewegten sich auf mich zu. Auch kamen sie näher zur Oberflä che. Ich folgte mit meinen Blicken ihren flackernden Bewegungen und wartete ab, während sie sich immer mehr näherten. Seltsamerweise hatte ich nicht die gering ste Befürchtung, dass von ihnen so etwas wie Gefahr ausgehen könnte. Es war, als schaute ich in den Himmel mit seinen unzähligen Sternen. Seit wie vielen Tagen hatte ich diesen An blick schon nicht mehr genossen? Als Arkonide fühlte ich mich erst richtig wohl, wenn ich über einem Planeten schwebte, mit der Unendlichkeit um mich herum. Die Lichter erinnerten mich daran, mach ten mich auf eine gewisse Weise wehmütig. Ich hatte das Gefühl, in ihnen zu versin ken. Komm zu uns, lockten die Flammen, hier gehörst du hin! Hör nicht auf sie!, warnte der Extrasinn. Du weißt nicht, was sie vorhaben! Ich ignorierte ihn. Wie ferngesteuert setz te ich einen Schritt vor den anderen, bis das schwarze Wasser meine Füße benetzte. Ich zögerte, aber die Stimmen wurden fordernder. Wir legen dir das Universum zu Füßen, Arkonide. Es wartet hier unten auf dich! Ich bewegte mich weiter in das Wasser hinein. Es war so schwarz, dass mein Körper dort, wo er aus der Schwärze ragte, wie ab
37 geschnitten wirkte. In meinem Anzug spürte ich keine Kälte oder Wärme. Erst als die schwarze Flüssig keit über meinem Kopf zusammenschwapp te, erkannte ich, wie angenehm warm sie war. Es ging steil bergab. Ich spürte, wie ich tiefer und tiefer sank. Ich fühlte mich gebor gen und krümmte mich zusammen wie in ei nem Mutterleib. Die Lichter begleiteten mich auf meinem Weg in die Tiefe. Da erblickte ich vor mir einen Körper. Ich schwebte darauf zu. Das Wesen kam mir be kannt vor. Als ich sein Gesicht sah, erkannte ich, dass es meine eigenen Züge trug. Es hatte die Augen geschlossen, und ein kämp ferischer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Wie ist das möglich?, fragte ich. Wie kommt ein Doppelgänger von mir hier in diesen See? Fasziniert schaute ich der Gestalt zu, wäh rend ich weiter in die Tiefe schwebte und sie immer kleiner wurde und sich schließlich meinen Blicken entzog. Dafür kamen nun weitere Leiber in mein Blickfeld. Der ganze See war voll von ihnen. Die flackernden Lichter meißelten sie aus der Finsternis her aus. Es waren unzählige meiner Doppelgän ger, doch keiner war identisch mit dem an deren. Wie Augenblicksaufnahmen ent stammten sie verschiedenen Zeiten. Und je tiefer ich sank, desto jünger wur den sie. Es war eine faszinierende Ent deckungsreise in meine eigene Vergangen heit. Ein junger, draufgängerischer Atlan mit siegessicherem Grinsen schwebte heran. Ich gab das Grinsen zurück und sank tiefer. Immer tiefer. Was, so fragte ich mich voller Spannung, würde ich auf dem Grunde des Sees ent decken? Meine eigene Geburt? Meine – Wiedergeburt? Wenn du nicht sofort zur Besinnung kommst, wirst du dein eigenes Sterben erle ben!, hörte ich plötzlich den Extrasinn don nernd in meinen Gedanken. Gleichzeitig
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fühlte ich mich durchgeschüttelt. Jemand versetzte mir harte Schläge auf den Rücken. Ich bekam keine Luft mehr. Etwas bahnte sich meine Speiseröhre hinauf, und ich er brach mich. Blitze explodierten vor meinen Augen. Dann hatte die Wirklichkeit mich wieder. Ich befand mich am Ufer des schwarzen Sees. Kythara hielt mich im Arm und be trachtete mich besorgt. »Ich wusste nicht, dass du auch schlaf wandelst, Arkonide«, sagte sie. Ich fluchte, während meine Lebensgeister allmählich wieder erwachten. »Ich bin nicht geschlafwandelt«, sagte ich. »Diese ver dammten Lichter!« »Ich sehe nichts«, antwortete Kythara ver wundert. In knappen Worten erzählte ich ihr, was mir widerfahren war. »Wahrscheinlich eine tierische Lebens form, die ihr Opfer mit Hilfe von Hypnose zu sich lockt«, mutmaßte Kythara. »Allerdings scheinen mir nur anfällige Natu ren dafür gefährdet, sonst hätten sie es ja auch bei mir versucht.« »Ich bin mentalstabilisiert! Das ist doch alles … unmöglich!« »Du brauchst dich nicht zu bedanken.« »Entschuldige. Es ist nur … nur …« »Außerdem gebührt der Dank ohnehin unserem Robot. Er hat mich aufgeweckt, und ich habe ihn dir hinterhergeschickt. Er hat dich aus dem Wasser gefischt. Jedenfalls bin ich froh, dass ich die Reise nicht allein fortsetzen muss.« Sie schenkte mir ein wei teres unnachahmliches Lächeln. »Du solltest besser auf dich aufpassen, Arkonide.« »Es reicht, wenn du das tust«, sagte ich. Es drückte all meine Dankbarkeit aus, die ich in diesem Moment für sie empfand.
10. Heimliche Verfolger 17. Juni 1225 NGZ Immer wieder sah ich mich um. Kythara fiel meine Nervosität auf. »Was ist los mit dir?«
Ich hob die Schultern. Sollte ich ihr sa gen, dass ich das Gefühl hatte, dass uns je mand folgte? Aber ich war mir nicht sicher … »Ich will mich nur vergewissern, dass du noch hinter mir bist«, gab ich zurück und schritt weiter voran, während der Kugelro bot uns mit unnachahmlichem Gleichmut den Weg ebnete. Wir waren in den letzten Tagen keinen weiteren Angriffen mehr ausgesetzt gewe sen. Wann immer wir auf Bewohner des Dschungels stießen, gingen wir ihnen aus dem Weg. Oder sie uns. Insofern fühlten wir uns sicher. Es war ei ne trügerische Sicherheit. Jederzeit mochte ein weiterer, unvorbereiteter Angriff erfol gen. Wieder sah ich mich um. »Du machst mich nervös«, schimpfte Ky thara. »Wie wäre es, wenn du hinter mir gehst?« Ich ließ sie an mir vorbei und bildete statt ihr die Nachhut. Nach unseren Berechnungen würden wir die geheimnisvolle Energiequelle in drei Ta gen erreicht haben. Es war also durchaus wahrscheinlich, dass sich bereits in dieser Gegend erste Späher befanden. Dennoch: Sooft ich mich umschaute, sah ich niemanden. Es blieb bei dem Gefühl, das ich hatte. Und dem vertraute ich mehr als al lem anderen. Es hatte mich selten getrogen. Nach weiteren zwei Stunden war ich mir sicher, dass ich mich nicht täuschte. Als ich mich abermals blitzschnell umgedreht hatte, war es mir zum ersten Mal gelungen, einen kurzen Blick auf unseren Verfolger zu erha schen. Ich erkannte ein Büschel braunen Fells. Bevor ich es genauer betrachten konn te, war es schon wieder hinter einem Baum stamm verschwunden. Ich machte Kythara darauf aufmerksam. »Wir werden verfolgt«, sagte ich. »Ich weiß«, gab sie zu meiner Verwunde rung zurück. »Schon seit dem frühen Mor gen. Ich bin mir nicht sicher, wer sie sind
AMENSOON in Not oder was sie vorhaben. Vielleicht beobach ten sie uns auch nur, solange wir uns auf ih rem Gebiet aufhalten.« »Hübsche Theorie«, sagte ich. »Lass uns weitergehen, bevor sie es sich anders überle gen.« Wir stapften weiter voran, kamen aber nicht weit. Der Kugelrobot blieb plötzlich mitten in der Bewegung stehen. Kythara trat an ihn heran und untersuchte ihn kurz. »Das war's wohl«, sagte sie. »Null Ener gie. Je näher wir dem Kraftfeld kommen, umso wirksamer zieht es die Energie von uns ab.« »Dann müssen wir wohl wieder selbst Hand anlegen. Leider.« Ich zog die Machete aus meinem Gürtel. Es war, als würde ich ein Zeichen damit setzen. Ein kreischender Lärm erfüllte plötzlich den Dschungel. Aus dem Hinterhalt kamen Dutzende von fellbedeckten Gestalten auf uns zugesprungen. Sie waren doppelt so groß wie wir und bewegten sich auf zwei Beinen in rasender Geschwindigkeit vor wärts. Irgendwie erinnerten sie mich an eine Mischung aus Affen und Kängurus. Ich warf mich zu Boden und zog meine Stabwaffe. »Nicht schießen!«, rief Kythara mir zu. Aber ich erkannte es selbst: Sie hatten es gar nicht auf einen Angriff abgesehen. Sie huschten mit kreischenden, schnatternden Lauten an uns vorbei. Der ganze Spuk währte höchstens eine halbe Minute, dann war das ganze Rudel im Dickicht vor uns verschwunden. »Das waren unsere Verfolger«, sagte Ky thara und erhob sich vom Boden. »Ja, aber was hat sie derart in Panik ver setzt?« Der Boden vibrierte plötzlich. Das Ber sten von Stämmen oder ganzen Bäumen war zu vernehmen. Das Immergrün über unseren Köpfen verdunkelte sich. »Vielleicht sollten wir zusehen, dass wir ihnen folgen«, schlug ich vor. »Sie scheinen im Gegensatz zu uns zu wissen, was da auf uns zurollt.«
39 »Zu spät!«, schrie Kythara und warf sich erneut zu Boden. Sie fand Zuflucht in einer kleinen Mulde unter einem Busch. Ich war mit einem Sprung neben ihr. Beide wussten wir, dass das Dickicht uns nur eine trügeri sche Sicherheit bot. Der Boden erzitterte immer heftiger. Um uns herum tobte ein wahres Inferno aus ab brechenden Ästen und stürzenden Bäumen. Weitere Dschungelbewohner suchten panik artig das Weite. Die meisten von ihnen hatte ich in all den Tagen nicht einmal zu Gesicht bekommen: Käfer, Ameisen, vieles, was wie eine Kreuzung aus mehreren Spezies aussah. Die meisten von ihnen waren kleiner als wir. Aber flinker. Dann rollte es über uns hinweg. Es war noch riesiger als das Ding, das mich an ein Marschiere-Viel erinnert hatte. Ich riskierte einen Blick hinauf und sah, dass es sich ir gendwo oben im Himmel verlor. Dafür war es unendlich lang. Der schuppige, in schim mernden Facetten schimmernde Körper erin nerte an den einer Schlange. Und genau wie eine Schlange bewegte es seinen beinlosen Rumpf mit Hilfe der langen, biegsamen Wirbelsäule fort. Wir pressten uns eng in der Mulde zusam men. Sie gab uns insofern Schutz, als das Chaos uns nicht platt zu walzen vermochte. Nach einer Viertelstunde war es vorüber. Aufatmend sahen wir das hintere Schwanzstück im Wald verschwinden. Es bahnte sich einen Weg in die Richtung, in die auch wir mussten. Zumindest meine Ma chete konnte ich erst mal wieder einstecken. Wir erhoben uns, noch immer gezeichnet von der Konfrontation mit einem Wesen, dessen Größe so unfassbar war, dass uns der Atem gestockt hatte. Ich schwankte auf die Stelle zu, an der unser Kugelrobot seinen Geist aufgegeben hatte. Jetzt befand sich dort eine platt ge walzte, golden glänzende Scheibe. Härtester Varganenstahl mühelos zu Schrott gepresst, dachte ich erschaudernd. Wenn ich es mir recht überlegte, war es nur purer Zufall, dass wir noch lebten.
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11. Die Kuppel 20. Juni 1225 NGZ »Wir haben es tatsächlich geschafft«, sag te Kythara zufrieden. »Wir haben es geschafft, uns bis hierher durchzukämpfen«, sagte ich. »Jetzt fängt un ser Job erst richtig an.« Beide schauten wir mit gemischten Ge fühlen auf den riesigen Kuppelbau, der sich in einigen Kilometern Entfernung vor uns in den Himmel türmte. Es war ein so giganti sches Bauwerk, dass sein Scheitelpunkt für uns nicht sichtbar irgendwo oben in den Wolken Sothins verschwand. Unsere Anzüge und Waffen waren prak tisch wirkungslos. So war selbst eine auch nur ungefähre Ortung unmöglich. Wir hatten zu viel Energiereserven auf dem Weg hier her verbraucht. Der Rest war einfach abge saugt worden. Der Boden erzitterte unter einer Schock welle. Seit ein paar Stunden schon hatten wir Energieausstöße in dieser Form regi striert. Sie schienen ihren Ursprung in jener Kuppel zu haben. »Ich frage mich, wie wir mit bloßen Hän den dagegen ankämpfen können«, sagte ich fatalistisch. »Wir haben ja noch unsere Ma cheten!« »Dein Galgenhumor in allen Ehren, At lan. Aber wie wär's mit etwas Optimismus?« Ich sah sie misstrauisch an. »Du ver schweigst mir doch wieder etwas, oder?« »Wieder?« Ich hatte plötzlich an ihr heimliches Ge spräch mit Kalarthras gedacht, verwarf die sen Gedanken jedoch sofort wieder. »Lenk jetzt nicht ab!« »Also gut«, sagte sie. »Ich habe soeben Kontakt mit zwei Kugelrobots aufgenom men, die Gorgh uns nachgeschickt hat. Sie werden gleich hier sein!« Fünf Minuten später kamen die Robots herangeflogen. Ein kurzer Check genügte, um uns davon zu vergewissern, dass sie prallvoll mit aufgetankter Energie waren.
Sie hatten nur wenig auf dem Flug hierher verloren. Wie ich Gorgh kannte, hatte er wahrscheinlich aus jedem Quäntchen der AMENSOON etwas herausgequetscht, um uns so gut wie möglich zu helfen. Wir zapf ten die Energie, die wir verloren hatten, von ihnen ab und waren wieder kampfbereit. Ich schwang mich in die Höhe. Es war ein befreiendes Gefühl, mich zum ersten Mal seit Tagen nicht mehr ausschließlich zu Fuß fortbewegen zu müssen. »He, nicht so übermütig!«, rief Kythara. »Wir sollten trotzdem mit der Energie haus halten!« Diesmal widersprach ich ihr: »Wenn du mich fragst, wir sollten so schnell wie mög lich in diese Kuppel eindringen, bevor sie uns unsere Kräfte wieder aussaugen. Wir ha ben nur diese eine Chance!« »Wo du Recht hast, hast du Recht, Arko nide«, stimmte sie mir zu und schwang sich ebenfalls in die Höhe. Die goldenen Kugelroboter folgten uns mit eingefahrenen Tentakelarmen. Zwischen ihren Positroniken und unseren Anzügen herrschte nun ein reger Austausch unhörba rer Signale. Eine weitere Schockwelle ließ uns kurz in der Luft taumeln. »Die Ausbrüche erfolgen in immer kürze ren Abständen«, stellte ich fest. Ich schaltete den Anzug in den KampfModus. Kythara tat es mir nach. Ihr Blick tastete das gigantische Bauwerk ab, das vor uns in den Himmel ragte. »Ich hätte nie gedacht, dass es so aus sichtslos für uns werden würde, Atlan.« »Aussichtslos ist es erst dann, wenn die Schlacht verloren ist«, sagte ich. »Und noch steht uns der Kampf bevor.« Die Helme waren nach vorne geklappt, die Scheitelkämme gebläht, und in den Rückenbuckeln sorgten nun die angelaufe nen Minireaktoren für die nötige Schub- und Kampfkraft. Wir waren bereit! Unsere Gedankenbefehle ließen die Or tungsanlagen sowie die Deflektoren hoch
AMENSOON in Not fahren. Somit waren wir praktisch unsicht bar. Zugleich bekam ich die Messungen des Bauwerks vor mir auf den Schirm geliefert. »Liest du das auch?«, entfuhr es mir. »Der Scheitelpunkt der Kuppel befindet sich fünfundzwanzig Kilometer über uns! Allein am Boden erreicht die Kuppel einen Durch messer von fünf Kilometern!« »Gigantisch – wie alles auf Sothin!« »Ja, und damit wären wir wieder beim entscheidenden Punkt: Nur Sothin selbst ist alles andere als ein Riesenplanet!« Wir schwebten auf die Kuppel zu, ohne dass uns irgendjemand in die Quere kam. Unsere Deflektoren leisteten ganze Arbeit. Wir hielten direkt auf einen gewaltigen, of fenen Torbogen zu. Auch er besaß überdi mensionale Ausmaße. Laut unseren Ortun gen war er drei Kilometer breit und mehr als sechs Kilometer hoch. Nichts und niemand war hier, der ihn si cherte. Offenbar vertraute man allein darauf, dass potentiellen Feinden, lange bevor sie die Kuppel erreicht hätten, die Energie ab handen gekommen sein würde. Ohne Schwierigkeiten schwebten wir über die Schwelle hinweg. Wir befanden uns im Inneren der Kuppel! Doch uns war nicht nach Freudensprüngen zumute. »Mir gefällt das nicht. Niemand zu se hen«, sagte ich. »Wenn ich nicht wusste, dass die geheim nisvolle Kraftquelle, die uns gezwungen hat, zu landen, sich hier befindet, würde ich ver muten, dass dieses Gebäude vor kurzem von seinen Bewohnern aufgegeben wurde«, pflichtete mir Kythara bei. Angespannt flogen wir langsam weiter, immer bereit, einem möglichen Angriff au genblicklich zu begegnen. Unter uns befand sich eine flache Metallebene, die sich Kilo meter für Kilometer in monotoner Gleich mäßigkeit erstreckte. Von der Kuppeldecke verbreiteten gigantische Lampen eine schat tenlose Helligkeit. Schließlich hatten wir den Mittelpunkt der
41 Kuppel erreicht. Vor uns erhob sich eine seltsame Formation aus zwölf zuckerhutarti gen Gebilden, die kreisförmig angeordnet waren. Der gesamte Kreis wies einen Durch messer von dreißig Kilometern auf. Meine Messungen ergaben, dass die ein zelnen Gebilde genauso titanenhaft waren wie die Kuppel selbst. Jedes erreichte eine Höhe von fünfzehn Kilometern bei einem Basisdurchmesser von etwas mehr als fünf Kilometern. Langsam und vorsichtig näherten wir uns den Objekten. Kythara setzte zur Landung an und setzte auf dem Boden auf. Wir schal teten die Deflektoren ab, um Energie zu spa ren. Direkt vor uns erhob sich eines der hü nenhaften Bauwerke. Ich sicherte noch einmal rundum und lan dete genau neben ihr. Die Stille gefiel mir immer weniger. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, um was es sich handelt«, musste Kythara zuge ben, während sie mit der Hand über die har te Oberfläche strich. Die rätselhaften Berge bestanden aus ei nem transparenten Material, in dessen Inne rem Partikel einer pechschwarzen Masse wogten. »Diese schwarzen Flocken scheinen stän dig umeinander zu quirlen«, stellte ich fest. Die »Flocken« waren gut einen Meter groß und erinnerten in ihrer vielarmigen, verästel ten und höchst ästhetischen Form tatsächlich an Schnee. »Wenn du mich fragst«, fuhr ich fort, »handelt es sich um nichts anderes als Schwarze Substanz.« »Und diese Kuppeln sind die Speicher da für!«, erkannte Kythara. »Wenn das der Fall ist, müssen in ihnen Unmengen Schwarzer Substanz gelagert sein!« »Achtung!«, schrie Kythara. Ich schaute automatisch nach oben. Aber nicht von dort drohte der Angriff! Kythara feuerte aus ihrem Energiestrahler eine Salve ab, die an mir vorbeizischte. Ich wirbelte herum.
42 Der Angreifer raste auf uns zu. Er war ge nauso gigantisch wie alles, was wir bisher auf Sothin erblickt hatten. Ich schätzte seine Größe auf zwei Kilometer. Die Thermo- und Paralysestrahlen schie nen ihm wenig auszumachen. Er schwankte noch nicht einmal. Das Wesen war nur bedingt humanoid ge formt. Die Beine erinnerten an dicke Säulen und endeten in Hornverdickungen wie paari ge Hufe. Rumpf, Bauch und Brust wirkten aufgebläht wie bei einem Sumoringer. Auch ich eröffnete das Feuer. Ebenso hat ten die Kugelrobots die Waffenprojektoren ihrer Tentakelarme ausgefahren und über schütteten den Angreifer mit einer regel rechten Energieflut. Die meisten Treffer prallten an seinen Hornplatten, die den größten Teil des Kör pers bedeckten, ab. Es war nicht schwierig, zwischen die Hornplatten zu zielen, die sich bei seinen Bewegungen öffneten. Darunter waren ockerfarbene Muskeln zu erkennen. Das Monster schrie auf, als ich es genau zwischen zwei Brustplatten in der Brust er wischt hatte. Kurz geriet es ins Wanken. Auch die Kugelrobots gaben ihre Schüsse nun präziser ab. Strahl um Strahl traf das ti tanenhafte Wesen in sein ungeschütztes Fleisch. Endlich wankte es zurück, wobei es wütende Laute von sich gab. »Für ihn sind es wahrscheinlich nur Na delstiche«, sagte ich. »Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass er sich davon lange zurückhalten lässt!« Von vier Seiten nahmen wir das Wesen in die Zange. Es schlug wild mit seinen vorde ren Extremitäten um sich. Es waren tentake lähnliche Arme, die dreiviertel so lang wa ren wie sein Körper. Statt Finger besaß die ses Untier sieben Hautlappen, mit denen es unkontrolliert nach uns ausschlug. In dem trichterartigen Mund erkannte ich wie bei einem Haifisch mehrere Zahnringe, die nur darauf warteten, sich in unser Fleisch zu versenken. »Das bringt nicht allzu viel«, hörte ich Kythara über Funk. »Wir verschleudern nur
Michael Berger unsere ganze Energie an diesem Koloss.« »Was schlägst du vor?« »Die Kugelrobots könnten ihn allein hier aufhalten, während wir …« Ich hörte nicht mehr, was sie hatte sagen wollen. Eine weitere, gewaltige Schockwelle erschütterte die gesamte Kuppel. Von dem Druck wurden wir hinweggeschleudert, als wären wir kleine Staubflusen. Nur ein Teil meines Bewusstseins bekam mit, dass eine der zuckerhutartigen Säulen aufbrach und Schwarze Substanz daraus wie ein Lavastrom hervorschoss. Für einige Sekunden verlor ich das Be wusstsein, während die Anzugpositronik die Steuerung übernahm. Als ich die Augen wieder aufschlug, schwebte Kythara an mei ner Seite. Sie sah mich besorgt an. »Alles wieder in Ordnung?« Ich nickte, obwohl ich noch immer einen benommenen Schädel hatte. In meinen Ohren klingelte und rauschte es. »Was ist mit unserem Angreifer pas siert?«, fragte ich als Erstes. Kythara wies in Richtung der Säulen. »Wir sollten es uns genauer ansehen«, sagte sie. Wir flogen auf die zerstörte Säule zu. Das seltsame Wesen, das uns angegriffen hatte, schien erledigt. Es war unter der Masse Schwarzer Substanz zusammengesunken und lag leblos auf dem metallenen Boden. Irgendwie wirkte es kleiner. Ich betrachtete es genauer. Die blaugrau en, runden Augen waren im Tode geöffnet. Sie saßen in ovalen Vertiefungen in halber Kopfhöhe an den Seitenkanten des Schädels. Der Schädel selbst war nur vorne von kanti gen Ausmaßen geprägt. Nach hinten hin en dete er lang gestreckt in einer leicht ge krümmten, hornartigen Verlängerung. Aus der Nähe sahen seine Zähne noch ge fährlicher aus. Das trichterartige Maul war weit ausgestülpt und entblößte die nadelspit zen Zahnreihen. Drei senkrechte Schlitze in der Mitte des Gesichtes entsprachen der Na se.
AMENSOON in Not »Alles in allem kein schöner Anblick«, sagte ich. »Was mag er hier zu suchen ge habt haben?« Du achtest auf die falschen Dinge, rief mich der Logiksektor zur Ordnung. Sieh dir die Kreatur noch einmal genau an! Kythara und ich nahmen eine provisori sche Untersuchung des Geschöpfs und der schwarzen Masse vor, aber mit unseren be schränkten Mitteln war keine genaue Analy se möglich. Das, was uns die Geräte anzeig ten, war alles andere als ergiebig. »Was glaubst du, um was es sich han delt?«, fragte ich. »Eindeutig um Schwarze Substanz. Ich vermute, dass es sich tatsächlich um eine Experimentieranlage der Lordrichter han delt. Sie haben sie hier errichtet, um auf So thin in aller Ruhe ihre Testreihen durchzu führen.« »Letztlich ist die Energie, die von hier ausgeht, für unsere erzwungene Landung auf Sothin verantwortlich«, überlegte ich. »Ich bin überzeugt davon, dass sie uns ganz be wusst diese Falle gestellt haben.« Kythara sah zur Seite. »Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss …« Ich griff nach ihrem Kinn und drehte es in meine Richtung. »Du brauchst dich nicht ab zuwenden. Ich weiß, was du mir sagen willst.« »Tatsächlich? Wie hast du es herausbe kommen?« Ich ließ mein bestes Arkonadel-Lächeln aufblitzen, blasiert und erhaben. »Deine Re aktion auf meine Frage an Bord der AMEN SOON. Natürlich kam dir das Erlebte merk würdig vertraut vor, du hast Vergleichbares schon selbst erlebt.« Kythara nickte zögernd. »Eigentlich nicht. Nicht so jedenfalls. Aber es gab Indizien. Die Lordrichter versuchen offenbar, mit der Schwarzen Substanz Objekte des Standardu niversums zu manipulieren, um sie der Na tur des Mikrokosmos anzupassen.« Siehst du!, triumphierte der Extrasinn. Hör demnächst früher auf mich! »Also sind wir tatsächlich verkleinert
43 worden«, fasste ich zusammen. »Mit wel cher Tendenz?« »Umkehrbar, würde ich sagen. Dazu müs sen wir aber unbedingt herausfinden, was es mit dieser Substanz auf sich hat«, sagte Ky thara. »Es wäre überaus bedauerlich, wenn wir nicht alles versuchen würden, um dem Geheimnis dieser Forschungsanlage auf den Grund zu gehen. Wenn die Lordrichter hier tatsächlich in die angedachte Richtung expe rimentieren, könnten sie sogar meinen Hei matkosmos bedrohen!« Ich nickte grimmig. »Wenn es nach mir geht, bedrohen sie niemanden mehr. Wir müssen sie nur zu fassen kriegen.« Wir machten uns daran, den Stoff zu un tersuchen, doch er schien nur eine Teilstoff lichkeit aufzuweisen, die mit unseren Mess instrumenten kaum zu erfassen war. Die ein zelnen Partikel flimmerten vor meinen Au gen, schienen wie von Dunst überdeckt oder in eine fremde Dimension entrückt. Schließlich setzte Kythara ihre PsiFähigkeiten ein. Sie konzentrierte sich auf eine der Flocken. Ich sah, wie ihr Blick der Flocke folgte und glasig wurde. Plötzlich sackte sie nach vorn in meine Arme, hing wie leblos darin. Im gleichen Moment erbebte abermals der Boden unter meinen Füßen. Eine weitere ge waltige Schockwelle schleuderte mich in die Luft. Alles, was ich tun konnte, war, Kytha ra an mich zu pressen. Diesmal verlor ich nicht das Bewusstsein. Ich sah, wie auch die anderen zuckerhutarti gen Gebilde aufplatzten. Die Luft erbebte unter den Schockwellen und Strukturer schütterungen. Ich wurde wie eine leblose Puppe durch die Luft katapultiert. Nur verschwommen bekam ich mit, dass die Kugelrobots unter einem Strom Schwar zer Substanz begraben wurden. Ich steuerte gegen die gewaltigen Ener giekräfte an und versuchte, Richtung Aus gang zu fliegen, aber mit Kythara in den Ar men schien ich mich nur wie Blei bewegen zu können. Die Kettenreaktion nahm unterdessen im
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mer zerstörerische Ausmaße an. Der Boden platzte auf, Metall verbog sich und schmolz innerhalb von Sekunden. Schwarze Schwaden und Nebelwolken um hüllten mich, raubten mir jegliche Sicht. Ich wusste nicht, wie lange unsere Anzü ge diesen Energieausstößen unbeschadet wi derstehen konnten. Die Schutzschilde ächz ten unter den Schockwellen. Der Torbogen lag noch in weiter Ferne … Da entlud sich eine weitere hyperenergeti sche Eruption von apokalyptischen Ausma ßen. Ich presste Kythara noch fester an mich. Wenn wir schon untergingen, dann gemeinsam! Welch tröstlicher, sentimentaler Gedanke, spottete der Extrasinn. Ich konnte nicht mehr darauf reagieren. Ein Funken sprühendes Gewitter umgab mich. Schockwelle auf Schockwelle donner te über mich hinweg. Dann verlor ich für ein weiteres Mal das Bewusstsein.
* Als ich die Augen aufschlug, lag ich im Freien. Kythara lag neben mir, die Augen noch geschlossen. Ich stülpte ihren Helm nach hinten, suchte nach einem Lebenszei chen. Ihr Atem ging schwach. Ihre Brust hob und senkte sich nur unmerklich. Ich sah mich um. Die Kuppelstation erglühte wie eine Son ne. Ich befürchtete, sie könnte jeden Augen blick explodieren. Ich schüttelte Kythara. »Wir müssen hier weg!«, rief ich. »Bevor uns das ganze Ding um die Ohren fliegt!« Sie schlug tatsächlich die Augen auf. In nerhalb von Augenblicken erfasste sie, was vorging. »Antriebe auf Höchstleistung und los!«, schrie ich. Es war zu spät! Die Kuppel erstrahlte in einem gleißenden Licht. Geblendet schloss ich die Augen, er wartete das Ende. Ein donnerlautes Grollen
verkündete, dass das Gebäude am Einstür zen war. Eine weitere Schockwelle warf uns zu Boden. Im nächsten Moment war es vorüber. So unvermittelt, dass ich glaubte zu träumen. Der gleißende Lichtschein war ver schwunden. Ebenso wie die Kuppel selbst. Dafür begann sich unsere Umwelt rapide zu verändern. Die Bäume um uns schrumpf ten innerhalb von Sekunden, wurden zu Hal men. Die Felsen, die uns umgaben, verwan delten sich in winzige Steinchen. Erdhügel in kaum wahrnehmbare Körnchen. Der Schrumpfungsprozess wurde umge kehrt! Innerhalb von Sekunden sah unsere Um gebung völlig anders aus. Nichts wirkte mehr riesenhaft und befremdlich. Alles hatte seine normale Größe wieder. Wir hatten un sere normale Größe wieder! Kythara sah sich ebenso verwundert um wie ich. »Wir waren winziger als Ameisen. Wir hatten Recht mit unserer Vermutung!« Ich erinnerte mich, wie uns die Messun gen plötzlich verrückt erschienen waren. Es war alles unbegreiflich gewesen. Jetzt ergab alles einen Sinn! Schon mehrmals in meinem Leben hatte ich dies erlebt: Erinnerungen stiegen plötz lich in mir hoch und liefen innerhalb von Se kunden vor meinem geistigen Auge ab. Da mals hatte es Rhodans Flaggschiff, die CREST II, im Fallensystem der Hohlwelt Horror erwischt. »Potenzialverdichter!«, stieß ich aus und Kythara zeitgleich: »Umsetzer!« Im Prinzip meinten wir das Gleiche: Die CREST hatte nach Einsatz des Potenzialver dichters statt eintausendfünfhundert Metern im Durchmesser gerade noch eineinhalb Meter gemessen, ich selbst zwei Millimeter. Ein Potenzialverdichter komprimierte nicht einfach nur, sondern veränderte die Struktur jedes einzelnen Atoms. Der Umsetzer der Varganen erzielte einen ähnlichen Effekt. Er ermöglichte den Über gang vom Mikro- in den Makrokosmos und
AMENSOON in Not zurück und war seinerzeit mit dem Stein der Weisen gleichgesetzt worden. Allerdings ar beitete er nicht wie ein Potenzialverdichter, sondern eher wie ein Drugun-Umsetzer – je nes vermutlich der Technologie der Kosmo kraten entstammende Spezialgerät, das sich beispielsweise dezentralisiert in allen Kos mischen Burgen der Sieben Mächtigen be funden hatte. Aber dies alles war jetzt wenig von Be deutung. Die Frage war nicht, wie die Ver kleinerung geschaffen worden war, sondern zu welchem Zweck. Es ließ uns zu viel der Ehre angedeihen, wenn wir vermuteten, die Lordrichter betrieben diesen Aufwand aus schließlich für uns. Welchen Zweck verfolg ten sie? Ging es ihnen um Transportkapazi täten oder Geheimstützpunkte? Oder hatte alles mit den Varganen zu tun, wie ich be reits während unserer Odyssee über die Var ganenwelten der Milchstraße und angesichts der Lage von VARXODON geargwöhnt hatte? Die Antwort würde nur die Zukunft erge ben … »Lass uns zurück zur AMENSOON ge hen«, schlug Kythara vor. »Es ist schließlich nur ein kleiner Fußmarsch.« Ich fuhr herum und traute meinen Augen kaum: Der goldene Oktaederraumer erhob sich in alter vertrauter Pracht und Größe nur wenige hundert Meter von uns entfernt. Exakt siebenhundertfünfzig Meter, dozier te der Logiksektor. Die Kuppel war in Wahrheit nie weiter von der AMENSOON entfernt. Während wir unseren Anzügen den Be fehl zum Start gaben, musste ich trotzdem noch etwas wissen: »Was ist eigentlich in dem Zustand genau passiert, in dem du dei ne Parakräfte zum Einsatz gebracht hast?« »Ich würde ja gerne behaupten, dass es mir bewusst gelungen ist, die gesamte Kup pel zum Verschwinden zu bringen, aber es ist nicht so. Ich kann mich an nichts erin nern. Ich vermute allerdings, dass es durch den Einsatz meiner Parakräfte zu einer Art Verpuffung gekommen ist, die sich dann zu
45 der bekannten Kettenreaktion ausgeweitet hat. Jedenfalls hat es die Schwarze Substanz wieder vollständig in die Sonne transitieren lassen. Auch das ist nur eine Vermutung.« »Was zählt, ist das Ergebnis«, sagte ich zufrieden.
* Die Rückkehr zur AMENSOON war eine Sache von wenigen Minuten. Gorgh und Ka larthras erwarteten uns voller Ungeduld. Ich musste zugeben, dass ich sogar froh war, Kalarthras wiederzusehen. Rasch erzählten wir, was vorgefallen war, während die Maschinen bereits hochfuhren und Gorgh volle Funktionsbereitschaft si gnalisierte. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis der Raumer startete. Kythara und ich überließen es Gorgh und Kalarthras, alles Nötige dafür klarzumachen. Wir waren müde. Erschöpft wankte ich in meine Kabine. Ich ließ sogar die Bordstiefel an, als ich mich auf meine Liege fallen ließ. Jetzt erst merkte ich, wie die Strapazen der letzten vierzehn Tage an meinen Kräften gezehrt hatten. Augenblicklich fiel ich in einen tiefen Er schöpfungsschlaf.
12. Flucht 21. Juni 1225 NGZ Wir saßen zu viert in der Zentrale der AMENSOON – längst wieder in der vertrau ten Weite des Weltraums – und analysierten die vorgefallenen Geschehnisse. Vor allen Dingen kreisten unsere Fragen immer wie der um den seltsamen Energieverlust, der unseren Doppelpyramidenraumer auf Sothin lahm gelegt hatte. Gorgh brachte es auf den Punkt: »Wir können uns noch stundenlang den Kopf dar über zerbrechen, wir werden es wohl vorerst nicht erfahren. Mit der Zerstörung der Kup pelstation sind sämtliche Beweise vernich tet.«
46 »Auf jeden Fall scheint es offensichtlich, dass wir auf Sothin in eine Falle gelockt worden sind. Die Garbyor-Schiffe wussten dagegen genau, was uns dort erwartete. Des wegen haben sie beigedreht«, sagte Kythara. »Zumindest die, die nicht von den Struk turerschütterungen vernichtet wurden«, stimmte ich zu. »Ich nehme an, sie waren selbst zu überrascht von den Auswirkungen der Schwarzen Substanz. Sie ist ihnen außer Kontrolle geraten.« Aber da war noch ein weiteres Problem, das mich beschäftigte: »Wieso ist es uns vorher eigentlich nicht gelungen, die feindli chen Schiffe abzuschütteln?« Ich sah Gorgh an. »Deinen Aussagen zufolge ist es mit ih ren Ortungsfähigkeiten nicht weit her. Und trotzdem klebten sie an uns wie Mücken.« Der Logiksektor wurde eine Spur konkre ter: Du hast Kalarthras in Verdacht, nicht wahr? Von Anfang an war es so, oder? Zu meiner Verwunderung ergriff plötzlich Kalarthras das Wort: »Ich habe mich ge fragt, ob es mit meiner Person zusammen hängen könnte. Schließlich habe ich keiner lei Erinnerungen daran, was mir in den letz ten 50.000 Jahren widerfahren ist. Ich weiß nur, dass ich mich körperlich verändert habe …« Kythara bedachte ihn mit einem Blick, der sowohl Mitleid als auch. Skepsis aus drückte. »Ich glaube nicht, dass du ein Si cherheitsrisiko für uns bedeutest!« »Glauben heißt nicht wissen«, wandte ich ein. »Angesichts der offensichtlichen Versu che der Garbyor mit Schwarzer Substanz auf Sothin stellt sich mir die Frage, ob es nicht damit zusammenhängen könnte. Es ist durchaus möglich, Kalarthras, dass deine Veränderungen von Schwarzer Substanz hervorgerufen wurden. Vielleicht kann diese von den Garbyor angemessen werden.« »Ist das nicht alles sehr spekulativ, At lan?«, fuhr Kythara dazwischen. »Es wäre eine mögliche Erklärung«, gab mir Kalarthras Recht. »Die Garbyor be schäftigen sich bereits derart lange mit Schwarzer Substanz, dass sie weit mehr dar-
Michael Berger über wissen als alle anderen Völker.« »Wie auch immer«, meldete sich Gorgh 12 zu Wort. »Wir werden erst Klarheit dar über haben, wenn wir weitere Untersuchun gen angestellt haben.« Aus ihm sprach ganz und gar der Wissenschaftler, für den jegliche Spekulation Zeitverschwendung war. Ich dagegen ließ nicht locker. Ich spürte, dass wir einem entscheidenden Lösungsge danken auf der Spur waren. »Angenommen, es verhält sich wirklich so, dass die Garbyor Kalarthras anpeilen können, warum haben sie dann keinen Vernichtungsschlag gegen uns geführt? Sie hätten mehrfach die Gele genheit dazu gehabt. Stattdessen haben sie uns nur vor sich hergetrieben und uns in die Falle gelockt.« »Vielleicht hängt alles weniger mit Kalar thras als mit dir zusammen«, sagte Kythara. »Mit mir?« »Ich spekuliere nur mal – genau, wie du es gerade getan hast: Könnte es sein, dass dich die Lordrichter unbedingt lebend fassen wollen? Eventuell hast du ja in deiner Ver gangenheit irgendetwas erlebt oder erfahren, was mit den Lordrichtern oder dem Schwert der Ordnung in Verbindung steht?« Ich runzelte die Stirn. »Worauf willst du hinaus? Ich meine, wenn überhaupt, dann musste ich mir doch dessen bewusst sein, oder?« Ein wenig hatte ich das Gefühl, vor einem Tribunal zu stehen. Erst recht, als sich auch noch Gorgh einmischte: »Versteh uns nicht falsch«, sagte er mit aufgeregtem Knistern in der Stimme, »aber was Kythara sagt, klingt nicht uninteressant. Könnte es mit der Verkleinerung zu tun gehabt haben? Mit dem Mikrokosmos der Varganen?« Ich geriet ins Grübeln. Es war bekannt, dass die Truppen der Lordrichter intensiv darum bemüht waren, die Versunkenen Wel ten der Varganen für ihre Zwecke zu nutzen. Drehte es sich dabei in letzter Konsequenz um das Herkunftsuniversum, das mit dem Umsetzer vor mehr als 800.000 Jahren ver lassen worden war?
AMENSOON in Not
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* Stumm wies Kythara auf die Holos der Panoramagalerie. Auf ihren Ruf hin war ich aus meiner Kabine an ihre Seite gestürmt. »Zaqoor-Schiffe!«, fluchte ich. Ihre cha rakteristischen Golfball-Raumer standen wie eine schimmernde Perlenkette in einer Reihe und erwarteten uns. »Genau, wie wir es befürchtet haben«, sagte Kythara. »Offensichtlich haben sie uns exakt geortet.« »Ich frage mich allmählich, was sie wirk lich von uns wollen«, antwortete ich leise. Kytharas Finger bewegten sich mit viel fach geübter Routine über die Felder der Steuerung, während sie gleichzeitig die Mo nitoren im Auge behielt. Ein Ruck ging durch die AMENSOON, während sie die Richtung wechselte und gleichzeitig rasant an Geschwindigkeit gewann. Die Golfball-Raumer reagierten sofort und sprangen hinter uns her. »Das gleiche Spiel also wieder von vorn!«, knurrte ich. Mittlerweile hatte ich mich längst in dem Sessel neben Kythara festgeschnallt und unterstützte sie nach be sten Kräften. »Noch nicht schießen!«, sagte Kythara. »Vielleicht gelingt es uns ja diesmal, sie so abzuschütteln.« »Oder in die nächste von ihnen aufgestell te Falle zu tappen!« Mein Extrasinn protestierte, dass ich ihr nachgab, aber ich unterdrückte ihn. Die Or tung blendete unterdessen fortwährend neue Daten ein. »Es sind Dutzende von Schiffen!«, zirpte Gorgh-12 aufgeregt. Seine Antennen zuck ten. »Sie kommen von allen Seiten!« »Typischer Fall von Einkesselung«, er kannte ich. »Diesmal gehen sie kein Risiko mehr ein!« Das Panoramabild zeigte eindrucksvoll die Phalanx unserer Angreifer. »Mit dieser Machtdemonstration können sie nur eines im Sinn haben: uns endgültig
zu vernichten!« »Oder uns von vornherein zu zwingen aufzugeben«, widersprach Kythara. »Denk an das Gespräch, das wir hatten. Vielleicht wollen sie uns lebend!« Wir kamen nicht mehr dazu, die Diskussi on zu vertiefen. In diesem Moment eröffne ten die feindlichen Linien das Feuer auf uns. Mehrere Dutzend sonnengrelle Energie strahlen zischten auf die AMENSOON zu. Kythara vollführte wahre Kunststücke mit der AMENSOON. Gemeinsam mit der Po sitronik des Schiffes war sie unschlagbar. Sie drehte Loopings, wich den Geschützen aus, ließ das Raumschiff unversehens durch sacken, schlug Haken – und steigerte zwi schendurch immer wieder rasant die Ge schwindigkeit. Währenddessen feuerte ich Salve auf Sal ve auf unsere Verfolger ab. Unsere Strahlen fraßen sich in ihre Schutzschirme und zer störten sie mit gnadenloser Gewalt, als han delte es sich um Gazeschleier. Ein erster der Golfbälle ging in eine lo dernde Explosion auf, nachdem sich die Energie durch seine Wandung durchgefres sen hatte. Flammen und weiß glühende Energiebälle schufen ein atemberaubendes Feuerwerk der absoluten Vernichtung hinter uns. Die Detonation überflutete mit ihrer Helligkeit die Holos der Panoramagalerie. Ich hatte nur einen kurzen Blick dafür üb rig. Ein zweiter Golfball tauchte vor meinem Zielkreuz auf.
* Der zweite Golfball raste direkt auf uns zu. Und dann änderte er seinen Kurs. Gorgh-12 klapperte wie in Panik auf sei nen Bedienungsfeldern herum und rief wie der und wieder: »Die Sonne!« Auch wir anderen sahen das Desaster auf den Monitoren. Die Sonne Sothins, die sich die letzten Tage wieder normalisiert hatte, begann unversehens zu pulsieren. Sie blähte sich auf, um im nächsten Moment wieder zu
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kontrahieren. »Eine Supernova!«, erkannte ich. »Weg hier!« »Ich bereite schon alles vor für eine Flucht in den Hyperraum! Vollschub und maximale Geschwindigkeit!«, sagte Kythara mit einer Stimme, der nicht die geringste Nervosität anzumerken war. »In zweieinhalb Minuten sind wir hier verschwunden!« Gleichermaßen fasziniert wie erschau dernd blickten wir auf die Bildschirme, auf denen sich ein einzigartiges Schauspiel ab zeichnete: Außer Kontrolle geratene Schwarze Sub stanz materialisierte unter heftigen Schock wellen und hyperenergetischen Begleiteffek ten und Strukturerschütterungen. Sie ver sank in der Sonne, sodass der Prozess noch weiter beschleunigt wurde. Wahrscheinlich würde hier in einigen Minuten die Hölle los sein. Und das sprichwörtlich. In diesem Moment wechselte die AMEN SOON in den Hyperraum über. Wir waren gerettet. Vorerst. Doch ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis wir die Garbyor-Raumer wieder auf dem Hals hatten. Es war nichts anderes als ein Atemholen.
13. Der Plan 21. Juni 1225 NGZ Erzherzog Garbgursha wappnete sich ge gen das Gefühl, das ihn umfangen würde, sobald er den Konferenzraum betrat. Die Ausstrahlung der Macht, die von Lordrichter Yagul Mahuur ausging, war beinahe greif bar. Garbgursha überschritt nun die Schwelle. Das Gefühl von absoluter Macht durch drang ihn, Macht, die gegen ihn ebenso ver wendet werden konnte wie für ihn. Der Lor drichter präsentierte von sich einzig die Pro jektion einer eisglitzernden, zylindrischen Nebelwolke aus hauchdünnen Fädchen, zwei Meter im Durchmesser und dreieinhalb Meter hoch. Grob zeichnete sich darin eine
Silhouette mit ständig wechselnden Kontu ren ab. Dem Erzherzog reichte es. Er war sich nicht sicher, ob er jemals hinter diesen Schleier blicken wollte. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er diesen Anblick überleben würde. Besser in Dummheit leben als in Weisheit sterben, dachte er. Wie er diese Unterredungen hasste! Er hatte jedes Mal das Gefühl, wie ein kleiner Junge zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er konnte nur hoffen, dass es irgendwann vorbei sein und er wieder sein eigener Herr sein würde. Der Erzherzog aus dem Volk der Zaqoor, ein über zweieinhalb Meter großer, breit schultriger Humanoide und ursprünglich Mitglied der Leibgarde des Lordrichters, war alles andere als dafür geschaffen, zu kriechen. In zahllosen Schlachten hatte er sich als eisenharter, skrupelloser Feldherr bewährt. Aber es war ein Unterschied, ei nem Wesen aus Fleisch und Blut den Kopf abzuhacken oder vor einem Phantom zu ste hen. Wie jedes Mal, so fühlte er sich auch jetzt überaus beklommen und alles andere als wohl in seiner Haut. »Knie nieder!«, befahl der Lordrichter. Der Erzherzog befolgte die Anweisung. Die Präsenz des Lordrichters zwang jeden Gedanken an Widerstand hinfort. »Ich habe erfahren«, schnarrte Mahuur, »dass es uns endlich gelungen ist, in die Sta tion der Varganen einzudringen.« Der Erzherzog dachte kurz an den giganti schen Korallenstock innerhalb der Substanz verdickung der Akkretionsscheibe. Es han delte sich um ein Gebilde, das aus einer mondgroßen Lebensform entstanden war und dessen Komponenten und Teilbereiche bis in den Hyperraum reichten. »Doch wir haben Probleme, die Station unter unsere Kontrolle zu bekommen. Noch nicht einmal die Varganen können sie noch kontrollieren.« »Was soll ich tun, Gebieter?«, erkundigte sich Erzherzog Garbgursha. Er wusste, dass
AMENSOON in Not die Varganen seit langen Zeiten mit dem In stinktbewusstsein jener Lebensform körper lich und mental verschmolzen waren. Was konnten da die Garbyor ausrichten? »Wir haben Kontakt zu einigen Varganen aufgenommen. Aber der Umgang mit ihnen erweist sich als sehr schwierig. Vielleicht spielen sie uns auch nur vor, dass sie uns nicht unterstützen können. Doch das soll nicht dein Auftrag sein, nicht umsonst weilst du hier bei mir, unweit des Dunkelsterns.« Automatisch wandte der Erzherzog den Kopf und sah auf das Holofenster, das eine ganze Wand des großen Raums ausmachte. Der Dunkelstern war darauf als flammende blauweiße Riesensonne zu sehen, die an vie len Stellen merkwürdig abgedunkelt war und dementsprechend seinem Namen alle Ehre machte. Garbgursha wusste, dass es sich nicht um Sonnenflecken handelte, son dern um gewaltige Protuberanzen, viele Mil lionen Meter hoch, die in den Weltraum hin ausgeschleudert wurden. Wie immer schauderte es Garbgursha, wenn er dieses Bild betrachtete. Die Darstel lung wurde gefiltert, sodass sie den Betrach ter nicht blendete. Vereinzelt waren Schlie ren, kräftiges Wogen und Verdickungen dar in zu erkennen. Ab und zu wurde sie von ei ner Art Wetterleuchten durchzogen, als wür den in ihr starke energetische oder hype renergetische Entladungen toben. Garbgursha ertrug diesen Anblick nur we nige Augenblicke. Die Bedrohung, die von der Sonne ausging, traf ihn elementar. »Wir arbeiten daran, die Nebenwirkungen in den Griff zu bekommen«, sagte er und hörte selbst, wie zaghaft seine Stimme klang. »Nichts anderes erwartet das Schwert der Ordnung von dir. Ab einer bestimmten Kon zentration von Schwarzer Substanz verwan deln sich die befallenen Sterne in Superno vae und lassen ganze Sektoren raumzeitlich kollabieren. Wenn wir diesen Prozess erst unter Kontrolle haben, besitzen wir die mächtigste Waffe im Universum. Wir …« Der Lordrichter verstummte. Offensicht lich empfing er eine Nachricht. Erzherzog
49 Garbgursha hatte solche Situationen bereits öfters erlebt. Er verhielt sich mucksmäus chenstill, bis der Lordrichter wieder zu spre chen begann. Seine Stimme vibrierte vor un terdrückter Wut. »Die Sonne des Planeten Sothin hat sich in eine Supernova verwandelt und das Gros der dort stationierten Garbyor-Schiffe ver nichtet!« »Das … ist nicht möglich, Herr«, stam melte der Erzherzog. »Sothin sollte die AMENSOON fesseln und dann …« »Schweig! Was erzählst du mir Dinge, die ich selbst erdacht habe?« »Zumindest ist der Arkonide ausgeschal tet«, versuchte der Erzherzog die Scharte wieder auszuwetzen. »So? Dann weißt du mehr als ich!« Gra beskälte umwehte Garbgursha, und er fürch tete, sein letztes Stündlein habe geschlagen. »Atlan ist uns wieder einmal entkommen! Das ist ein weiterer Rückschlag für uns! Er war selbst einmal im Mikrokosmos der Var ganen und dort sogar in der Eisigen Sphäre. Auf diesen Erfahrungsschatz sollten wir Zu griff haben, um das Projekt Durchbruch schnellstmöglich erfolgreich zum Abschluss bringen zu können.« »Wir werden ihn in unsere Hand kriegen, das verspreche ich Euch, Herr!« »Davon gehe ich aus. Und genau deswe gen bist du hier. Bringe mir den Arkoni den!« Erzherzog Garbgursha erstarrte. Die Ge danken überschlugen sich in seinem Kopf. Er sollte schaffen, was allen anderen bisher unmöglich gewesen war? Das versprach ei ne Belohnung, wie sie sich kein Garbyor je mals zuvor hätte erhoffen können. »Habe ich freie Hand?« Der Lordrichter antwortete nicht sofort. Dann, zögernd fast: »Begrenzt. Worauf willst du hinaus?« Der Erzherzog grinste. »Veschnaron!« ENDE
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Die Varganen von Cramar von Michael Marcus Thurner Allmählich zeichnen sich die Pläne der Lordrichter zumindest schemenhaft für Atlan und Kythara ab. Geht es ihnen wirklich darum, mittels Schwarzer Substanz in den Mikrokosmos der Varganen einzudringen oder zumindest varganische Technologie beherrschbar zu ma chen? Und wie gelingt es ihnen scheinbar so spielerisch, die AMENSOON anzumessen und zu verfolgen? Kennen DIE VARGANEN VON CRAMAR die Antwort?