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Die Schreibweise entspricht der neuen Rechtschreibung Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier Umschlag- und Innenillustrationen: Julia Ginsbach, Blaubeuren Alle Rechte vorbehalten - Printed in Germany © KeRLE im Vertag Herder Freiburg, Wien 2001 Satz und Layout Barbara Herrmann, Freiburg Druck und Einband: Freiburger Graphische Betriebe 2001 ISBN3-451-70394-7
it dem ersten Glockenschlag war Finn hellwach. Eilig schleuderte er seine Bettdecke weg und schlich auf Zehenspitzen zur Zimmertür. Er öffnete sie einen Spaltbreit und lauschte in die Dunkelheit hinaus. Alles war ruhig, nur das durchdringende Schnarchen seines Vaters war laut zu hören: „Grrrrrschipuh!" Seine Eltern schliefen also. Mit dem dritten Glockenschlag hastete Finn den Flur entlang und die Treppe hinauf. Als er die Luke zum Dachboden behutsam anhob, flüsterte er be schwörend: „Bitte, bloß nicht quietschen!" Ängstlich blickte er auf das Scharnier, das sich leise ächzend bewegte. Nur noch ein ganz kleines Stück und die Öffnung wäre groß genug für ihn. -Aber da kam es: „Quietsch!" Schnell sprang Finn auf den Dachboden und schloss die Luke hinter sich. Er legte sein Ohr auf den Schlitz zwischen Luke und Boden und horchte angespannt. Das Schnarchen hatte aufgehört. Hatte das Quietschen seinen Vater geweckt? Doch nach ein paar bangen Sekunden ertönte wieder das geräuschvolle „Grrrrrschipuh!" Alles war also wieder in Ordnung!
„Puh, das hätte ins Auge gehen können!", seufzte Finn erleichtert Er blickte sich auf dem halbdunklen Dachboden um. Hier stand das ganze Gerumpel, das seine Eltern zwar nicht mehr brauchten, aber auch nicht wegwerfen wollten. Alte Schränke und Koffer, ein blinder Spiegel und altmodische Stühle waren mit einer dicken Staubschicht überzogen. Hinter einer monstermäßig großen Spinnwebe entdeckte Finn, was er suchte - die alte Wäschetruhe. Hastig eilte er auf sie zu. Doch bevor er sie erreichen konnte, passierte etwas Sonderbares. Etwas griff nach seinem Fuß und hielt ihn fest Finn verlor das Gleichgewicht, fiel vornüber und rutschte quer über den Boden. Da ertönte der zwölfte Glockenschlag und Finn knallte gegen die Wäschetruhe, deren Deckel gleichzeitig aufsprang. „Potztausend, was war denn das?", erklang eine Stimme und der Kopf eines Mädchens tauchte aus der Wäschetruhe auf. „Ich bin's nur, Amalia", antwortete Finn und befreite sich von der Wäscheleine, die sich um seinen Fuß geschlungen hatte. „Ich wollte dir noch schnell viel Glück wünschen, bevor du losfliegst. Deshalb hob' ich mich so beeilt und diese dämliche Wäscheleine übersehen." Amalia kletterte aus der Wäschetruhe und stand nun direkt im fahlen Mondlicht, das durch sie hindurchschien.
„Das ist aber lieb von dir", sagte sie lächelnd. „Ich bin ja so aufgeregt. Nach vierhundertfünfzig Jahren darf ich endlich den Aufnahmetest für die Gespensterschule machen. Hoffentlich ist die Prüfung nicht zu schwer!" „So gut wie du spuken kannst, schaffst du den Test mit links!", versicherte Finn. Amalia warf ihre langen schwarzen Haare in den Nacken und öffnete das Dachfenster. Nicht weit von ihr entfernt flog ein kleines Gespenst in einer grell roten Spielzeugkiste durch den Nachthimmel und winkte freundlich zum Fenster hinüber. Amalia grüßte majestätisch zurück.
„Es wird Zeit! Da drüben fliegt schon Konstanzia und die ist normalerweise immer zu spät dran", sagte Amalia und lief schnell zu ihrer Truhe. „Ich werde dir später alles ganz genau berichten!" „Ich warte auf dich! Klopf einfach an mein Fenster, dann mach ich dir sofort auf!", erwiderte Finn. Amalia hatte bereits in der Wäschetruhe Platz genommen und sich die Haare zu einem Zopf ge bunden. „Also, dann, drück mir die Daumen! Und gehab dich wohl!", rief sie Finn zu. Langsam erhob sich die Truhe vom Boden und schwebte zum Fenster. „In unserem Jahrhundert sagt man einfach nur Tschüss, Amalia", lachte Finn und winkte der ent schwindenden Wäschetruhe hinterher.
kam ihre Wäschetruhe vor dem Holterdipolter Haupteingang zum Stehen. Über dem großen Portal verkündete ein uraltes Messingschild:
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malia spähte durch die Nacht. Der Himmel war übersät mit unzähligen Kisten und Truhen, in denen kleine Gespenster dahinbrausten. Einige waren mit Scheinwerfern und Blinkern ausgestattet und die Gespenster, die es besonders eilig hatten, betätigten eifrig ihre Hupen. „Neumodischer Schnickschnack!", schimpfte Amalia leise vor sich hin. Nach einer kleinen Weile erblickte sie direkt unter sich die dunkle Silhouette einer großen Burg mit Zinnen - die Gespensterschule. Amalia drosselte ihre Fluggeschwindigkeit und setzte zur Landung an.
„Bewerber für den Aufnahmetest, bitte hier entlang!", erscholl die tiefe Stimme des Schuldirektors. Amalia führ erschreckt zusammen, kletterte aus der Wäschetruhe und folgte gemeinsam mit den anderen Ankömmlingen dem Schatten des Direktors in das Schulgebäude. Es ging unzählige Korridore und Gänge entlang, bis sie schließlich einen großen Saal erreichten. Er war durch Fackeln hell er-
leuchtet. Dicht drängten sich die Gespenster und tuschelten aufgeregt miteinander. Der Direktor hatte ein hölzernes Podest erklommen, von dem aus er den ganzen Saal gut überblicken konnte. Er räusperte sich laut und forderte mit erhobener Hand zur Ruhe auf. „Es gereicht mir zur Ehre, Sie alle heute Nacht zum Aufnahmetest an unserer Gespensterschule empfangen zu dürfen", begann er seine Rede. „Dieser Test beruht auf unserer achthundertjährigen Tradition. Allerdings müssen wir in diesem Jahr etwas Wesentliches verändern", sagte er und blickte sich lächelnd um. Amalia reckte den Hals und stellte sich auf ihre Zehenspitzen. Sie hatte den Direktor zwar hören, aber kaum sehen können. „Hiermit tue ich kund", fuhr der Direktor fort, „dass es dem ehrwürdigen Schulrat gefallen hat, einen Beschluss zu fassen. Zum ersten Mal in der langen Geschichte unserer Schule dürfen sich auch Gespenstermädchen der Prüfung unterziehen. Und ich kann sagen..." Direkt neben Amalia zischte eine Stimme: „Besemmelter Beschluss!" Amalia drehte sich um und blickte in das böse grinsende Gesicht eines Gespensterjungen. „Mäd chen haben auf der Gespensterschule nichts zu suchen!", fauchte der Junge Amalia entgegen.
„Und warum nicht?", fragte Amalia wütend. Sie kniff die Augen zusammen und musterte den Ge spensterjungen von oben bis unten. Er war sehr groß, fast einen Kopf größer als Amalia. Auf der Nase trug er einen altmodischen Kneifer, der ihn sehr arrogant wirken ließ. „Moment mal", überlegte Amalia. „Dich kenn ich doch. - Du bist doch...", angeekelt verzog Amalia den Mund, „Eduard! - Dieser widerliche, aufgeblasene Schnösel, der mir früher immer die Zöpfe ins Tintenfass getaucht hat!" „Stets zu Ihren Diensten!", erwiderte Eduard mit einer übertriebenen Verbeugung. „Demnach musst du Amalia sein. Das liebliche Töchterchen des Grafen Fidlin! Ich hätte dich nicht wieder erkannt Die Jahrhunderte sind nicht spurlos an dir vorübergegangen, meine Gute!", lachte Eduard höhnisch. „Und du möchtest Schlossgespenst wer den? Dass ich nicht lache!" Bevor Amalia etwas Geeignetes erwidern konnte, erklang die erboste Stimme des Direktors: „Was ist denn das für ein Getuschel? Silencium - Ruhe, bitte!" Eduard versteckte sich schnell hinter Amalia, so dass der Direktor ihn nicht sehen konnte. Von hinten raunte er Amalia ins Ohr: „Flieg wieder nach Hause. Die Aufnahmeprüfung schaffst du sowieso nicht!"
Dann schlich Eduard im Schutz der umstehenden Gespenster ungesehen davon. „Das werden wir ja noch sehen!", flüsterte Amalia in sich hinein. „Darf ich nun fortfahren?", fragte der Direktor ungehalten und blickte Amalia an. „Ich bin ein so respektloses Verhalten nicht gewöhnt! Sollten Sie mich noch ein Mal unterbrechen, so werden Sie von der Aufnahmeprüfung ausgeschlossen!" Amalia fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Vierhundertfünfzig Jahre lang hatte sie dieses Ekel paket von Eduard nicht gesehen. Aber ausgerechnet in dieser Nacht musste sie ihn wieder treffen. Und mal wieder hatte er es geschafft, Amalia den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. „Zur Aufnahmeprüfung", riss die Stimme des Di rektors Amalia aus ihren Gedanken, „immer zwei Gespenster müssen gegeneinander antreten. Sie erhalten dieselbe Aufgabe. Wer die Lösung he rausgefunden hat, sollte sich, so schnell wie eben möglich, wieder in der Schule einfinden. Denn -und das ist sehr, sehr wichtig -, denn nur derjenige der beiden, der als Erster wieder hier eintrifft, wird im kommenden Schuljahr zum Schlossgespenst ausgebildet werden." Ein missmutiges Raunen ging durch die Menge. „Habe ich mich verständlich ausgedrückt?", fragte der Direktor und ließ seinen prüfenden
Blick durch den Saal schweifen. Ein stummes, all gemeines Nicken war die Antwort „Gut Ich werde jetzt immer zwei Gespenster aufrufen, denen ich dann ihre Prüfungsaufgabe stellen werde", fuhr der Direktor fort. „Erst wenn alle, ich wiederhole, alle Gespenster ihre Aufgaben erhalten haben, dürfen Sie sich auf mein Zeichen hin entfernen." Er nickte bedächtig und entrollte eine dicke Pergamentrolle, setzte sich eine sternenförmige Brille auf die lange Nase und las vor: „Konstanzia von Nagel und Robert Kent, bitte heben Sie die Hände, damit ich Sie sehen kann!" Zwei Hände schössen in die Höhe. „Ihre Aufgabe lautet", verkündete der Direktor mit würdevoller Stimme. Jemand braucht Ihre Hilfe! Fragen Sie die Unke, wer es ist und was ihm fehlt!" Alle tuschelten aufgeregt durcheinander. Was war das nur für eine Aufgabe? „Auweia", dachte Amalia. „Das kann ja heiter werden!" „Ruhe, bitte!", rief der Direktor. „Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit" Er räusperte sich und dann sagte er: „Die Nächsten sind: Amalia Gräfin Fidlin und..."
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inen kleinen Moment", entschuldigte sich der „ Direktor. Ungeschickt hantierte er mit der Per gamentrolle herum. Es wollte ihm einfach nicht ge lingen, sie ein Stückchen weiter abzurollen. Amalia tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Steinboden. Sie wollte endlich wissen, gegen welches Gespenst sie antreten musste. Irgendwie hatte sie da ein ganz ungutes Gefühl. „So", verkündete da der Direktor zufrieden, nachdem er die Pergamentrolle gebändigt hatte, „es kann weitergehen. - Also, wo war ich stehen geblieben? Ah ja, Amalia Gräfin Fidlin und Eduard Freiherr von Holperdingen."
Amalia stöhnte unhörbar auf: „Hab ich mir's doch gedacht! - Bei allen guten Geistern und Gespenstern, warum ausgerechnet Eduard?"
Mit einem tiefen Seufzer zeigte Amalia auf. Der Direktor schob mit dem Zeigefinger seine Brille ein Stückchen die Nase hoch und ließ seinen prüfenden Blick lange auf Amalia ruhen. „Aha", sagte er nach einer Weile. „Unser Störenfried heißt also Amalia Gräfin Fidlin." Amalias Gesicht verfärbte sich giftgrün. Das hatte Eduard ja mal wieder super hingekriegt. Es hatte sich in all den Jahrhunderten also nichts geändert. Eduard machte den Unfug und sie war anschließend an allem schuld. Wütend schaute sie sich nach Eduard um. Mit seinem allerschönsten Sonntagslächeln gab er allerartigst Handzeichen und schaffte es tatsächlich, so auszusehen, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Der Direktor bestätigte mit einem stummen Nicken, dass er Eduard gesehen hatte, und senkte seine lange Nase wieder zum Pergament herunter. „Sie beide haben sich folgender Prüfungsaufgabe zu stellen", führ er fort „Suchen Sie das Fledermaus schloss und ergründen Sie sein Geheimnis! Bringen Sie ein Beweisstück mit!"
Amalia pfiff leise durch die Zähne. „Oh, Mann", flüsterte sie vor sich hin, „das wird nicht leicht werden! Wo, um alles in der Welt, gibt es ein Fleder mausschloss?" Darüber musste sie erst mal gründlich nachdenken. Da sich die meisten Gespenster um das Podest drängten, war der hintere Teil des Saales gespensterleer. Genau der richtige Ort zum Grübeln. Im Zickzack zwängte sich Amalia an den dicht an dicht stehenden Gespenstern vorbei. Der Direktor rief schon mit lauter Stimme die nächsten Prüfungskandidaten auf. Aber Amalia war so in ihre Gedanken versunken, dass sie ihn gar nicht mehr hörte.
Am Ende des Saales angekommen, warf sie sich mit voller Wucht in einen uralten Lehnstuhl, der vollständig mit Spinnweben überzogen war. Spinnweben machen Gespenstern nichts aus. Im Gegenteil, sie mögen sie sogar ausgesprochen gerne. Amalia wickelte sich gedankenverloren einige Spinnweben um die Finger. Um sie herum hingen zahlreiche Ölgemälde, auf denen die Wohltäter der Schule abgebildet waren. Plötzlich fing ein goldgerahmtes Bild, das eine Dame mit feuerrotem Haar darstellte, bedenklich an zu schaukeln. Es schien, als ob die Dame ein Tänzchen wagen wollte. Amalia zog nur gelangweilt eine Augenbraue hoch. Im Licht einer Fackel wurde plötzlich auch ein zweiter Lehnstuhl lebendig. Schwankend herhob er sich in die Luft, schwebte scheinbar unentschlossen hin und her, um dann donnernd auf den Boden zu krachen. „Hör auf mit dem Kinderkram. Wenn du mich er schrecken willst, musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen. Du Pfeife!", raunte Amalia leise vor sich hin. Woraufhin Eduard wie eine Bildstörung im Fernsehen langsam Gestalt annahm. „Du verstehst aber auch gar keinen Spaß, Teu erste!", sagte er, rückte den Stuhl neben sie und nahm Platz. „Was willst du?", platzte Amalia heraus. „Dir einen guten Rat geben! - Aber leise", zischte
Eduard, „ich glaube, der Direktor will etwas Wichtiges sagen. Oder möchtest du dir wieder Ärger einhandeln?" Amalia kniff die Augen zusammen und bedachte Eduard mit einem scharfen Blick. Gerne hätte sie ihm die passende Antwort gegeben. Aber diesmal hatte er Recht. Der Direktor war sowieso schon sauer auf sie. Deshalb hielt sie den Mund und konzentrierte sich auf seine Worte. „Zur Prüfungsordnung", erfüllte dessen Stimme den Raum. „Es ist jedem Gespenst erlaubt, die Hilfe eines Menschenkindes in Anspruch zu nehmen. Verboten hingegen ist es, neumodische technische Hilfsmittel einzusetzen. Dazu gehören Computer, Handys, Hilfsmotoren und Ähnliches." Bei der Aufzählung der verbotenen Hilfsmittel durchlief den Direktor ein Ekelschauder, so dass er sich mehrmals hintereinander kräftig schütteln musste. Moderne Technik war ihm einfach zuwider. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Amalia verstohlen, wie Eduard leise in sich hineinlächelte. Die Sache war klar! Amalia hätte ihre Wäschetruhe darauf verwettet, dass Eduard all die Dinge, die der Direktor gerade aufgezählt hatte, an Bord seiner Schatztruhe hatte. Der Direktor richtete sich zu seiner vollen Größe auf und verkündete abschließend: „Hiermit tue ich kund, dass die diesjährige Prüfung zur Aufnahme an der
Gespensterschule begonnen hat Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! - Sie dürfen sich jetzt entfernen!" Kaum hatte der Direktor dies gesagt, hasteten die Gespenster zurück ins Freie. Als Amalia sich vom Stuhl erheben wollte, stellte sich Eduard ihr in den Weg. „Würdest du mir die Ehre erweisen, dich zu deiner", er tat so, als ob er sein hämisches Lachen unter drücken wollte, „Wäschetruhe geleiten zu dürfen?" „Da wir den gleichen Weg haben, wird es sich wohl nicht vermeiden lassen, dass du mitkommst", erwiderte Amalia, schob Eduard zur Seite und verließ mit schnellen Schritten und hocherhobenem Kopf den großen Saal.
Von den Wänden der Gänge und Korridore hallte das aufgeregte Schreien und Rufen der vielen kleinen Gespenster wider, die alle dem Ausgang zustrebten. Jeder wollte als Erster seine Truhe erreichen. Eduard musste sich richtig anstrengen, um mit Amalia Schritt halten zu können. Eilig hastete er hinter ihr her. Nach einer Weile keuchte er: „Und?" „Was, und?", fragte Amalia, ohne sich nach Eduard umzusehen. Eduard schob ein kleines Nachtgespenst, das seinen Kopf abgenommen hatte, um sich besser im Ohr kratzen zu können, beiseite und erwiderte mit einem verschlagenen Blick: „Nimmst du ein Menschenkind mit?" „Was geht dich das an?", antwortete Amalia feindselig. „Also, ja", lachte Eduard zufrieden. „Das hob ich mir gleich gedacht! Von einem gewöhnlichen Hausgespenst, wie du eines bist, ist ja wohl auch nichts anderes zu erwarten. Und obendrein noch von einem Gespenstermädchen. Wir Poltergeister hingegen haben keine menschliche Hilfe nötig." Eduard blieb plötzlich stehen, nahm seinen Kneifer von der Nase und betrachtete ihn mit gewichtiger Miene. Sie hatten jetzt den Schlosshof erreicht, der in vollkommener Dunkelheit vor ihnen lag.
Dicke Wolkenbänke bedeckten den Himmel und ver schluckten das Mondlicht. In heller Aufregung rannten die Gespenster durcheinander. Es galt nun so schnell, wie eben nur möglich, die eigene Truhe zu finden und davonzubrausen. Als Amalia zu ihrer Wäschetruhe gehen wollte, hielt Eduard sie am Arm fest: „Nimm meinen guten Rat an, Amalia. Versuch erst gar nicht, die Aufgabe zu lösen. Du kleines Hausgespenst hast keine Chance gegen mich. Und ein dummes Menschenkind kann dir auch nicht weiterhelfen!" Er setzte sich seinen Kneifer wieder auf die Nase und sagte in mitleidigem Ton: „Ich meine es wirklich nur gut mit dir!" Amalia schüttelte seine Hand ab und raunte nur: „Zisch ab! Du nervst!" Eduard warf ihr einen abschätzigen Blick zu. „Na gut Wenn du unbedingt eine Niederlage einstecken willst, bitte. Aber sei nicht allzu traurig, wenn du gegen mich verlierst. Es muss ja auch einfache Hausgespenster geben, nicht wahr! Kopf hoch!" Eduard klopfte Amalia auf die Schulter, warf den Kopf hochmütig in den Nacken und schritt dann leicht federnden Schrittes von dannen.
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malia brauste in ihrer Wäschetruhe durch die dunkle Nacht Der Wind hatte zugenommen. Er rüttelte an den Ästen der Bäume und trieb die Wolken vor sich her. Aber das bemerkte Amalia gar nicht Sie musste immer noch an Eduard und seinen unverschämten Vorschlag denken. „Aufgeblasener Wicht", flüsterte Amalia vor sich hin. „Dir werde ich schon noch zeigen, was in einem Gespenstermädchen steckt! Pah! Wer zuletzt lacht, lacht am besten, wie meine Uroma immerzu sagen pflegte!" Doch was war das? Amalia drehte sich um und spähte in die Dunkelheit Sie war sich ganz sicher, dass sie ein ungewöhnliches Geräusch gehört hatte. Es hatte sich wie das Knattern eines Motors angehört, das sich schnell näherte. Jetzt war aber nichts mehr zu hören und außer den Bäumen und der verschlafenen Stadt war auch nichts zu sehen. Aber trotzdem wurde Amalia das Gefühl nicht los, dass ihr jemand auf den Fersen war. Und dann... Urplötzlich schoss etwas mit schlagenden Flügeln haarscharf an Amalias Kopf vorbei. Zu Tode erschreckt, zuckte sie zusammen und duckte sich tief
in die Wäschetruhe. Als sie
vorsichtig wieder auftauchte, erkannte
sie, was sie da so erschreckt hatte.
Erleichtert atmete sie auf. „Nur
eine Eule auf nächtlichem Beutezug!",
beruhigte sie sich selbst „Amalia,
du wirst alt und schreckhaft!"
Nach einer Weile hatte sie Finns Haus erreicht Amalia ließ ihre Wäschetruhe vor Finns Schlafzim merfenster auf der Stelle schweben und klopfte höflich an die Scheibe. „Finn, mach auf!", rief sie im Flüsterton. „Ich bin's, Amalia!" Das Fenster schwang auf und Amalia schwebte in Finns Schlafzimmer hinein. „Mensch, das hat aber lange gedauert", sagte Finn. „Und? Hast du bestanden? Jetzt erzähl schon, wie war's?" Amalia nahm auf dem Fensterbrett Platz, zog die Knie hoch und stöhnte auf: „Schrecklich! -Aber das erzähl ich dir, während du dich anziehst. Wir müssen uns sputen!" „Wieso wir?", fragte Finn und öffnete vollkommen verdattert seinen Kleiderschrank „Das erzähl ich dir ja jetzt Aber bitte beeile dich", drängte Amalia. Während Finn ein Hemd und eine Hose aus dem Kleiderschrank zog, begann Amalia ihren Bericht.
was sich in der Gespensterschule „Und jetzt rate, gegen wen ich antreten muss?", forderte sie Finn Schnell erzählte sie ihrem Freund, „Du hast es erfasst! Und Eduard ist kein leichter Gegner. Erstens pfuscht er ständig, und zweitens ist zugetragen hatte. er kein gewöhnliches Gespenst. Er ist nämlich ein halber Poltergeist", erklärte Amalia. auf. schnippte mit den Fingern FinnFinn schlüpfte in seine Hose und schaute Amalia und fragte: „Gegen fragend an: „Was istEduard?" denn so Besonderes an Pol tergeistern?" „Psst! - Moment!" Amalia hob die Hand und zischte leise. „Hast du auch gerade das Geräusch gehört?" Sie beugte sich vorsichtig aus dem Fenster und schaute sich suchend um. Als sie in der Dunkelheit nichts Ungewöhnliches entdecken konnte, wandte sie sich wieder Finn zu. „Ich fange schon an Gespenster zu sehen", lachte sie. „Was wollte ich eben erzählen? - Ach ja... Poltergeister. Sie sind sehr unangenehme Zeitgenossen. Denn sie sind totale Rüpel. Besonders schrecklich sind sie, wenn sie gute Laune haben. Dann lassen sie Stühle oder Tische schweben und schmeißen damit herum. Mit absoluter Vorliebe knallen sie Türen oder Fenster. Das Schlimmste an ihnen ist, das sie sich für supertoll halten. Sie meinen
sie wären die Einzigen, die richtig spuken könnten." Amalia blickte nachdenklich zur Deckenlampe hoch, die leicht schaukelte: „Das hätte ich beinahe vergessen. Sie schaukeln auch gerne an Lampen!" Sie knuffte Finn in die Seite, lachte und deutete zur Lampe hinauf: „Es könnte also gut sein, dass da oben ein Poltergeist an deiner Lampe hängt" Finn, der mittlerweile damit beschäftigt war, seine Schuhe zuzubinden, schaute auf: „Das ist unter Garantie kein Poltergeist. Das ist der Wind, der durchs offene Fenster hereinweht!"
Finn zog seine Jacke vom Stuhl und sagte: „O.K., soweit hab ich das verstanden. Aber warum ist Eduard ein halber Poltergeist?" „Tja, weißt du, ein normaler Poltergeist ist un sichtbar. Er kann keine Gestalt annehmen. Aber Eduard kann sich sichtbar machen", fuhr Amalia fort und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. „Eduard ist also halb Gespenst und halb Poltergeist Er kann alles, was Gespenster können. Und er kann alles, was Poltergeister können. Eduard hält sich deswegen für besonders schlau. Seine angeberische Art ist kaum auszuhalten." „Du hast mir immer noch nicht erzählt, welche Prüfungsaufgabe der Direktor dir und Eduard gestellt hat", sagte Finn und ließ eine Streichholzschachtel in seine Jackentasche gleiten. Bei einem mitternächtlichen Ausflug konnte sie vielleicht von Nutzen sein. „Suche das Fledermausschloss und ergründe sein Geheimnis! Bringe ein Beweisstück mit!", antwortete Amalia mit einem tiefen Seufzer. „Wau, das klingt ja echt cool", staunte Finn. „Findest du?", fragte Amalia und zog ungläubig eine Augenbraue hoch. „Ich weiß nur nicht, wo wir nach dem Fledermausschloss suchen sollen!" „Gut, dass du mich hast", lachte Finn vergnügt. „Denn ich weiß, wo wir mit der Suche beginnen können!"
„Ehrlich? Wo?", staunte Amalia. Sie stand jetzt direkt unter der Lampe, die immer noch hin und her schaukelte. „Zufällig ist mein Onkel Siegfried Fledermausfor scher. Wenn es ein Fledermausschloss gibt, dann weiß er, wo es ist", verkündete Finn stolz. Kaum hatte Finn den letzten Satz ausgesprochen, da hörte die Deckenlampe mit einem plötzlichen Ruck auf zu schaukeln. Amalia und Finn hatten es allerdings nicht bemerkt. „Das ist ja famos!", rief Amalia und klatschte in die Hände. „Dann mal los. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wo wohnt denn dein Onkel?" „Onkel Siegfried wohnt in der großen Felsenhöhle", erklärte Finn. „Kennst du die Felsenhöhle zufällig?" „Leider nicht. Bedaure", sagte Amalia. Da schlug die Lampe mit einem gewaltigen Knall gegen die Decke und ein lauter Plumps hallte durch das Zimmer. Amalia schrie kurz auf, denn irgendetwas Unsichtbares hatte ihre Hand gestreift. Und kurz darauf ertönte ein lautes, schadenfrohes Lachen. „Verflixt", fluchte Amalia ungehalten. „Das war Eduard. Ich habe mich also doch nicht getäuscht Er hat mich von der Gespensterschule bis hierher verfolgt und uns belauscht Los, Finn, schnell hinter her."
Die beiden Freunde sprangen hastig in die Wä schetruhe und sausten zum Fenster hinaus. Aber von Eduard und seiner Schatztruhe war weit und breit nichts zu sehen. „Wir müssen vor Eduard bei deinem Onkel ein treffen!", rief Amalia Finn zu und ließ die Wäschetruhe auf der Stelle schweben. „Also, wo geht's lang?" „Zum Wald!", befahl Finn. Amalia wendete die Wäschetruhe und schon sausten sie durch die Nacht Finn staunte nicht schlecht. Noch nie hatte er die Straße, in der er wohnte, aus der Luft gesehen. Das Haus seiner Eltern sah genauso klein aus, wie die Spielzeughäuser seiner Eisenbahn. Als der Wald in Sichtweite kam, sahen sie über den Baumkronen ein Blinklicht tanzen. Amalia beugte sich vor und kniff die Augen zu sammen. „Siehst du das Blinklicht?", fragte sie. „Das ist Eduard! Er hat sich wieder sichtbar gemacht. Wir müssen ihn einholen! Segel setzen!" Finn schaute sich entgeistert um. „Segel setzen? Wie denn? Wir sind doch auf keinem Segelschiff', rief er Amalia zu. Amalia kramte in der Wäschetruhe herum und holte einen dicken Stock heraus. „Hier, das ist unser Mastbaum", brüllte sie gegen den Wind an. „Im Boden der Wäschetruhe ist irgendwo ein Loch. Da musst du den Stock reinstecken."
Finn tat was Amalia ihm gesagt hatte. Während dessen holte Amalia aus einem Fach in der Wä schetruhe ein Bettlaken heraus. „Und das ist unser Segel", schrie sie und drückte Finn das Laken in die Hand. Jetzt hatte auch Eduard seine Verfolger be merkt Amalia konnte beobachten, wie er sich an seiner Schatzkiste zu schaffen machte. „Was führt der jetzt wieder im Schilde?", flüsterte sie. Laut fragte sie: „Hast du das Segel gesetzt?" „Moment noch", antwortete Finn. Da erfasste der Wind das Segel und die Wä schetruhe wurde schneller und schneller. Der Ab stand zwischen Eduard und seinen Verfolgern wurde immer kleiner. Doch plötzlich ertönte ein lauter Donnerknall und Funken sprühten aus Eduards Schatzkiste. Amalia und Finn sahen mit Entsetzen, wie die Schatztruhe ruckelte und zuckelte. Sie dachten schon, Eduard würde abstürzen. Doch dann war ein lautes Knattern zu hören und die Schatztruhe schoss wie der Blitz davon. Und Eduard und mit ihm seine Schatztruhe waren wie vom Erdboden verschluckt. Ungläubig starrten Amalia und Finn auf die Stelle, wo eben noch die Schatztruhe gewesen war. „Das darf ja wohl nicht wahr sein!", fluchte Amalia und schlug mit der Faust auf den Rand der Wäschetruhe. „Er hat tatsächlich einen Hilfsmotor.
Dabei sind moderne technische Hilfsmittel doch verboten! Ich könnte mich grün argem. Den holen wir so schnell nicht mehr ein." „Abwarten, Amalia, abwarten", sagte Finn. Amalia fluchte immer noch leise vor sich hin, als Finn die Hand ausstreckte und rief: „Wir sind da. Auf der Wiese da unten können wir landen!"
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ie beiden Freunde kletterten aus der Wäschetruhe. Amalia suchte mit den Augen die Wiese ab, dann stellte sie zufrieden fest: „Keine Spur von Eduard!" „Vielleicht haben wir ja Glück und er hat sich verflogen", mutmaßte Finn. „Das wäre grandios", freute sich Amalia. „Also, wo ist denn jetzt die Felsenhöhle?" „Sie liegt mitten im Wald. Ab jetzt müssen wird zu Fuß weiter", antwortete Finn. Und das war gar nicht so leicht. Denn im Wald war es so nachtschwarz, dass sie teilweise kaum die Hand vor Augen sehen konnten. Sie tasteten sich an den Bäumen entlang und zwängten sich durch dichte Sträucher. Ab und zu mussten sie sogar über umgefallene Baumstämme klettern. Finn fand es schon ein bisschen unheimlich, mitten in der Nacht durch den dunklen Wald zu schleichen. Die vielen fremden Geräusche machten ihn unruhig. Mal knackste irgendwo unter den Pfoten eines Tieres ein Ast Mal schrie ein Käuzchen. Finn war heilfroh, als er endlich einen gedämpften Lichtschein sah. „Da vorne ist die Felsenhöhle", rief Finn und zeigte auf das Licht.
„Na, endlich", stöhnte Amalia und wollte schon auf die Felsenhöhle zustürmen, als Finn sie plötzlich am Kleid festhielt. „Warte mal einen Moment, Amalia", sagte er. „Bevor wir zu meinem Onkel gehen, muss ich dir noch etwas sagen." Amalia blieb stehen und schaute Finn fragend an. „Bitte wundere dich nicht über meinen Onkel. Er ist, er ist, na ja, er ist ein bisschen seltsam", erklärte Finn verlegen. „Mein Vater sagt immer, das käme daher, dass mein Onkel schon so lange mit den Fledermäusen zusammenlebt" „Mach dir da mal keine Sorgen", lachte Amalia. „In meinem langen Gespensterleben habe ich schon viele seltsame Menschen gesehen!" Als Amalia hinter Finn die Höhle betrat, war sie dann aber doch erstaunt. An der Decke der Höhle hingen unzählige Fledermäuse. Mit den Köpfen nach unten baumelten sie dort und schienen zu schlafen. In der hintersten Ecke der Höhle brannte ein kleines Holzfeuer, über dem an einem Dreibein ein gusseiserner Kessel hing, aus dem Dampf und köstlicher Kakaogeruch aufstiegen. An den Höh lenwänden sah Amalia einige Fotos hängen, auf denen Fledermäuse beim Schlafen, beim Fliegen oder beim Jagen abgebildet waren. Aber nirgends war ein Bett oder etwas Ähnliches zu sehen. „Wo schläft denn dein Onkel?", wollte Amalia wissen.
Sie befürchtete schon, Finns Onkel müsste auf dem kalten, lehmigen Fußboden liegen. Doch Finn deutete mit dem ausgestreckten Finger in die entgegengesetzte Richtung - zur Höhlendecke. „Da oben!", antwortete er mit einem verlegenen Grinsen. „Ich sagte ja, er ist etwas seltsam. Er zieht es vor, genauso wie die Fledermäuse zu schlafen." Oben an der Decke inmitten der Fledermausschar, entdeckte Amalia eine waagerecht angebrachte Eisenstange, von der ein Seil herabhing. „Du meinst...?", setzte sie an. Ja, an dem Seil klettert er hoch und hängt sich dann mit den Füßen an die Stange. Dann schläft er kopfüber - wie die Fledermäuse", erklärte Finn. „Ist das denn nicht fürchterlich unbequem?", hakte Amalia mit einem zweifelnden Blick zur Decke nach. Finn schüttelte den Kopf. „Ich kann es mir zwar auch nicht vorstellen, aber Onkel Siegfried behauptet bequemer könnte man nicht schlafen. Außerdem sagt er, dass er das Leben der Fledermäuse nur richtig erforschen kann, wenn er genauso lebt wie sie. Bisher konnten wir ihn zum Glück noch davon abhalten, die Essgewohnheiten der Fledermäuse zu übernehmen!" „Na, dann", war alles, was Amalia auf diese Er klärung hin antworten konnte. „Da ist mein Onkel", sagte Finn und zeigt auf einen großen Holztisch.
Zuerst sah Amalia aber nur den nur den Tisch. Doch dann sah sie unter der Tischplatte einen dicken Po hervorlugen, der lustig von links nach rechts und zurück schwang. „Was macht dein Onkel denn unter dem Tisch?", fragte sie erstaunt Finn zuckte nur die Schultern. Dann rief er laut „Hallo, Onkel Siegfried!" Darauf erschollen ein dumpfer Knall und ein unterdrückter Fluch. Um ständlich krabbelte Onkel Siegfried rückwärts unter dem Tisch hervor. Mit einer Hand rieb er sich den Kopf, während er in der anderen ein Kehrblech hielt Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sagte: „Finn, mein Junge, schön dich zu sehen. Aber musst du mich denn so erschrecken?" Amalia klappte die Kinnlade runter. Unter größter Anstrengung versuchte sie, das Lachen zu un terdrücken. Onkel Siegfried konnte offensichtlich kein S sprechen. Jedes Mal, wenn er ein Wort aussprach, in dem ein S vorkam, erklang ein scharfes Zischen, aber kein S. Kein Zweifel, er lispelte höllisch. So ein komisches Lispeln hatte Amalia wirklich noch nie gehört „Entschuldige, Onkelchen", antwortete Finn. „Was machst du denn da unter dem Tisch?" Jeder normale Mensch hätte sich den Staub einfach mit der Hand abgeklopft. Aber Onkel Siegfried schlug mit seinem langen schwarzen Umhang wie eine
Fledermaus mit ihren Flügeln, um den Staub zu entfernen: „Ach, meine kleinen süßen Lieblinge sind eben erst von ihrem Nachtflug zurückgekehrt. Wenn sie hier so mit vollem Karacho hereindüsen, wirbeln sie recht viel Staub auf. Deshalb wollte ich gerade etwas Ordnung schaffen. - Aber, wie ich sehe, hast du einen Gast mitgebracht!" „Das ist Amalia, meine Freundin", erklärte Finn. Amalia starrte Onkel Siegfried mit tellergroßen Augen an. Sie betrachtete ihn von oben bis unten. Er hatte kein einziges Haar auf dem Kopf, sodass die großen, abstehenden Ohren einfach nicht zu übersehen waren. Aus dem spitzen, schnabelartigen Mund standen die beiden Schneidezähne wie bei einem Hasen hervor. Und die Gläser seiner Brille waren so dick, dass seine Augen dahinter riesengroß aussahen. Das alles verlieh ihm das witzige Aussehen einer zu dick und zu groß geratenen Fledermaus. Finn stieß Amalia in die Seite. Verdattert machte sie einen Knicks und sagte: „Amalia Gräfin Fidlin. Ich bin sehr erfreut, Ihre Be kanntschaft machen zu dürfen." „Ach, wie nett", säuselte Onkel Siegfried gerührt „Was für ein höfliches Kind. Aber setzt euch doch. Möchtet ihr einen Kakao haben?" Eine Tasse heißer Kakao war jetzt genau das Richtige. Als alle drei eine Tasse mit dampfendem Kakao vor
sich stehen hatten, fragte Onkel Siegfried lispelnd: „Was führt euch denn zu dieser nächtlichen Stunde zu mir?" Jetzt war's passiert Amalia konnte sich einfach nicht länger beherrschen. Diese Zischlaute waren aber auch zu komisch. Amalia brach in schallendes Gelächter aus, wobei sie sich wenig damenhaft mit den Handflächen auf die Schenkel schlug. Als sie aber Finns strafenden Blick sah, versuchte sie ihr La chen in einem gespielten Hustenanfall zu ersticken. Als sie sich wieder beruhigt hatte, wandte sich Finn seinem Onkel zu: „Wir sind auf der Suche nach dem Fledermausschloss. Weißt du, wo wir es finden können?" Vorsichtig pustete Finn in seine Tasse, um den heißen Kakao etwas abzukühlen. Bei dem Wort Fledermausschloss erscholl ein heller Schrei und eine Fledermaus fiel - plumps wie ein reifer Apfel - von der Decke auf Onkel Siegfrieds Schoss.
Jetzt hast du meinen armen Theodor erschreckt", schimpfte Onkel Siegfried und streichelte liebevoll den Kopf der Fledermaus. „Ja, wer bist du denn?", fragte Amalia interessiert. „Das ist Theodor. Die Lieblingsfledermaus meines Onkels", erklärte Finn. „Theodor ist superschlau. Und er versteht fast jedes Wort." Amalia nickte und trank mit abgespreiztem kleinen Finger einen Schluck Kakao. Dann stellte sie die Tasse wieder auf den Tisch und flüsterte leise: „Warum erschreckt er sich bei dem Wort Fledermausschloss?" Sorgenvoll legte Onkel Siegfried die Stirn in Falten. „Nun, dort geht es nicht mit rechten Dingen zu", sagte er. „Obwohl das Schloss den Namen Fledermaus trägt, trauen sich die Fledermäuse nicht dorthin. Ich bin noch nicht dazu gekommen, das Schloss zu erforschen. Aber irgendetwas Unheimliches geht dort vor sich." „Genau deshalb wollen wir dorthin. Wir wollen das Geheimnis des Fledermausschlosses ergründen", posaunte Finn mit wichtiger Miene. Wieder schrie Theodor hell auf und krabbelte unter den weiten Umhang von Onkel Siegfried. „Bitte, bitte", flehte Onkel Siegfried, „sprich doch dieses Wort nicht so laut aus."
„Tut mir Leid", entschuldigte sich Finn. „Wir müssen ganz schnell dorthin", sagte Amalia und drehte die Tasse in ihren Händen. „Wären Sie wohl so gütig und würden uns den kürzesten Weg zum Schloss beschreiben?" „Es ist gefährlich, sich nachts dort herumzutreiben. Das habe ich auch diesem Eduard gesagt Aber er wollte auch unbedingt zu dem Schloss", antwortete Onkel Siegfried lispelnd. „Was? Eduard war schon hier?", rief Amalia bestürzt aus. „Wann war das?" Onkel Kopf: Es ist „Nun, Siegfried so genaukratzte kann sich ich den das kahlen nicht sagen. schon eine Weile her. Nachdem ich ihm den Weg erklärt hatte, ist er sofort verschwunden. Er hat sich noch nicht mal bedankt Unhöflicher Junge!" Amalia warf Finn einen ernsten Blick zu. „Er war überhaupt sehr unhöflich", fuhr Onkel Siegfried kopfschüttelnd fort. „Wisst ihr, was er über Fledermäuse gesagt hat? Fledermäuse wären dumm und hässlich. Und dann hat er Theodor auch noch am Flügel gezogen!" „Na ja, schön sind Fledermäuse ja nun wirklich nicht", flüsterte Finn Amalia ins Ohr. Laut sagte er: „Das war wirklich nicht nett. Aber wie gesagt, wir haben es sehr eilig. Könntest du uns jetzt bitte den Weg erklären?"
„Wenn ihr unbedingt dorthin wollt, bitte!", sagte Onkel Siegfried und nippte wie ein Vögelchen mit seinem Schnabelmund an seinem Kakao. „Der Weg ist aber sehr schwer zu finden - vor allem jetzt, im Dunkeln. Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr vorsichtig seid!" „Sind wir! Versprochen!", antwortete Amalia schnell und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. „Mir fällt da gerade etwas ein", überlegte Onkel Siegfried laut und rollte vielsagend mit den Augen. „Ihr erreicht das Schloss viel schneller, wenn Theodor euch den Weg zeigt" Theodor lugte ängstlich unter Onkel Siegfrieds Umhang hervor. „Nur keine Angst, mein Liebling", beruhigte Onkel Siegfried die Fledermaus. „Du musst nicht bis zum Schloss fliegen. Es reicht, wenn du sie bis zum Berg mit den vier windschiefen Tannen bringst. Von dort aus können sie das Schloss sehen und brauchen keine Hilfe mehr." „Bitte, bitte, Theodor", flehte Amalia. „Du würdest uns sehr helfen!" Nach einem kurzen Moment krabbelte die Fle dermaus unter dem Umhang hervor und flatterte zur Höhle hinaus. „Vielen Dank für Ihre Hilfe", bedankte sich Amalia bei Onkel Siegfried, reichte ihm die Hand und machte einen Knicks. „Sie haben uns sehr geholfen!
Und schon rannten Amalia und Finn hinter Theodor her nach draußen. „Das Schloss ist leicht zu erkennen. Auf der Spitze des Südturmes ist eine große, steinerne Fledermaus angebracht", rief Onkel Siegfried den beiden noch hinterher. Mit einem Seufzer drehte er sich wieder zum Tisch um. Fragend betrachtete er seine Hand und drehte sie hin und her. Als Amalia ihm zum Abschied die Hand gereicht hatte, war ihre Hand durch seine hindurchgegangen. Er hatte keinen Händedruck gespürt, nur ein kurzes, kaltes Kribbeln. „Komisch", sagte er zu sich selbst „Sie war auch so seltsam angezogen - irgendwie sehr altmodisch! Und ein Knicks ist zwar sehr höflich, aber leider ist er auch total aus der Mode gekommen. Und ihr Gesicht war auffallend blass. Wenn ich es mir recht überlege, sah sie aus wie ein ... wie ein Gespenst - Aber das ist natürlich Unsinn! Schließlich gibt es keine Gespenster." Onkel Siegfried gähnte ausgiebig. Er war schon sehr müde und wollte ein kleines Nickerchen machen. Geschickt erklomm er das Seil, das von der Höhlendecke herunterbaumelte. Dann hängte er sich kopfüber mit den Füßen an die Eisenstange, schlug seinen Umhang ein und zog den Kopf zwischen die Schultern. Bald darauf war die Felsenhöhle erfüllt von einem tiefen, brummenden Schnarchen.
E
duard hat also immer noch einen ordentlichen „ Vorsprung", keuchte Amalia hinter Finn her. Sie rannten so schnell sie konnten durchs Gestrüpp zur Wäschetruhe zurück Theodor flatterte neben ihnen her. „Stimmt", antwortete Finn, „aber Eduard muss den Weg zum Fledermausschloss alleine finden. Das wird ihn viel Zeit kosten. Und wir haben das Glück, dass Theodor uns den Weg zeigt" Bei der Wäschetruhe angekommen, sprangen die beiden Freunde schnell hinein. Amalia rief Theodor zu: „Flieg einfach vor uns her. Wir folgen dir dann!" Mittlerweile hatten sich die Wolken wieder ver zogen und der Mond erhellte die Nacht Amalia und Finn flogen dicht hinter Theodor her. Es ging über den Wald und dann ein Stück den Fluss entlang. Finn beugte sich über den Rand der Wäschetruhe. Er konnte sehen, wie sich unter ihnen der Fluss entlangschlängelte. Dann wurde das Land unter ihnen hügliger und felsiger. Plötzlich bremste Amalia die Wäschetruhe so scharf ab, dass Finn mit voller Wucht gegen sie donnerte. „Aua!" Mit schmerzverzogenem Gesicht rieb er sich
die Nase. „Was sollte das denn?" „Ich musste so scharf bremsen, sonst wäre ich gegen Theodor geflogen. Er hat plötzlich gestoppt", antwortete Amalia. Dicht vor ihnen flog Theodor im Kreis und stieß einige helle Schreie aus. „Was will er nur?", fragte Finn. „Ich glaube, wir haben das Ziel unserer Reise fast erreicht", sagte Amalia. „Da hinten auf dem Berg sind die vier windschiefen Tannen." „Wo?", fragte Finn und beugte sich über den Rand der Wäschetruhe. „Na, da", antwortete Amalia ungeduldig und zeigte in die Dunkelheit . Jetzt sah auch Finn die vier windschiefen Bäume, hinter denen ein gewaltiger grauer Berg gespenstisch in den Himmel emporragte. Und oben, auf der Spitze des Berges, war... „Das Fledermausschloss", erschauderte Finn. „Das sieht aber unheimlich aus." Bei dem Wort Fledermausschloss stieß Theodor wieder einen Schrei aus. „Vielen, vielen Dank, Theodor! Was hätten wir ohne dich getan?", rief Amalia der Fledermaus zu. „Ab hier finden wir alleine weiter. Flieg du wieder nach Hause."
Das musste Amalia nicht zweimal sagen. Theodor machte kehrt und flatterte im fahlen Mondlicht davon. Ja, dann wollen wir mal", sagte Amalia und steuerte die Wäschetruhe in Richtung Fledermausschloss. Langsam umflogen die Freunde die Zinnen. Das Schloss sah wirklich unheimlich aus. Vom Wassergraben stiegen dichte Nebelschwaden auf und hüllten die grauen Steinmauern gespenstisch ein. Wer auch immer die Bewohner waren, sie mochten offensichtlich kein Licht. Denn das Schloss lag in vollkommener Dunkelheit. Auf einem der vier Türme hockte, wie zum Start bereif eine furchteinflößende, steinerne Fledermaus. Bei ihrem Anblick rückte Finn immer näher und näher an Amalia heran und umklammerte mit beiden Händen den Rand der Wäschetruhe. Er wurde das ungute Gefühl nicht los, dass die Fledermaus ihn mit ihren kalten, großen Augen beobachtete. Bei genauerer Betrachtung war er sich auf einmal auch gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich nur aus Stein war. „Kö-ö-nnten wir hier b-b-bbitte verschwinden?", flehte Finn zähneklappernd. „Wie es dir beliebt", antwortete Amalia und wendete die Truhe. „Ich habe gesehen, dass die Zugbrücke heruntergelassen ist Da haben wir wirklich Glück. Denn so können wir geradewegs ins Schloss
spazieren!" Sicher landete Amalia die Wäschetruhe vor der Zugbrücke, unter der das schwarze Wasser im Graben dümpelte. Mit einem Satz hüpfte Amalia auf die Wiese. Finn hingegen klammerte sich immer noch am Rand der Wäschetruhe fest als er Amalia plötzlich rufen hörte: „Komm her, Finn, schnell!" Er atmete einmal tief durch und rannte dann eilig zu Amalia. „Eduard ist hier", verkündete sie und deutete auf die traurigen Überreste dessen, was einmal eine prächtige Holzkiste gewesen war. Oben auf dem Haufen Holz glänzte ein kleiner Motor im Mondlicht.
„Das hier ist oder besser war Eduards Schatztruhe. Er hat wohl eine Bruchlandung hingelegt, der Gute", sagte Amalia mit einem schadenfrohen Grinsen. „Die Schatztruhe ist jedenfalls hin. Ich bin mal gespannt, wie Eduard hier wieder wegkommen möchte." Finn legte die Hand auf den Motor, zog sie aber sofort wieder zurück. „Autsch", rief er. „Das war heiß. Wenn der Motor noch so warm ist, kann Eduard noch nicht sehr lange hier sein." Suchend schaute sich Amalia um: „Er muss hier irgendwo stecken. Ab jetzt heißt es aufgepasst!" So leise wie möglich, schlichen die beiden die Zugbrücke entlang. Die Holzbohlen knarrten unter ihren Füßen. Finn wäre vor Schreck beinahe in den Wassergraben gefallen, als er von einer großen Ratte überholt wurde. Als Amalia sein entsetztes Gesicht sah, legte sie beschwörend einen Finger an ihre Lippen.
Zugbrücke endete an einem riesengroßen Die hölzernen Tor. „Wollen mal sehen, ob uns das Glück auch jetzt hold ist", raunte Amalia. Sie drückte gegen das Tor, das sofort nachgab und quietschend nach innen schwang. Mit einer Verbeugung drehte sich
Amalia zu Finn um: „Darf ich bitten?" Schnell huschten die beiden Freunde durch den kleinen Türspalt Sie befanden sich nun in einer großen Halle, die nur schwach vom Licht einer Fackel beleuchtet war. „Genauso hatte ich mir das vorgestellt", flüsterte Finn begeistert, der offensichtlich wieder Mut gefasst hatte. „Ritterrüstungen, Öl gemälde in schweren Goldrahmen und das Wichtigste - mit Holzplatten getäfelte Wände!" Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete Amalia, was Finn da veranstaltete. Er schritt an der Wand lang und drückte hier und da gegen die Holztafeln. „Was, um alles in der Welt tust du da?", fragte sie kopfschüttelnd. „Ich sage nur - Geheimgang!", raunte Finn ihr mit vielsagender Miene zu. „In meinen Büchern heißt es immer, dass hinter holzvertäfelten Wänden irgendwo der Eingang zu einem Geheimgang liegt" Amalia verdrehte nur gelangweilt die Augen: „Hör auf mit dem Unsinn. Das hilft uns doch nicht weiter. Sag mir lieber, wo wir langgehen sollen. Den linken Gang lang, oder den rechten, oder sollen wir der Treppe nach oben folgen?" „Man weiß nie, wozu man einen Geheimgang gebrauchen kann", wollte Finn Amalia belehren und grinste breit .Aber gut, lass mich mal nachdenken. Welcher Weg ist wohl der beste?“
Er lehnte sich gegen die Holzvertäfelung und machte eine Miene, als ob er angestrengt nachdenken würde. Wie aus dem Nichts tauchte da urplötzlich am Ende des linken Ganges ein Licht auf, das sich schwankend näherte. Als Amalia es bemerkte, zuckte sie vor Schreck zusammen und rief Finn mit gedämpfter Stimme zu: „Da hinten kommt jemand. Schnell, wir müssen uns verstecken. - Aber wo?" In heller Panik suchte sie die Eingangshalle nach einem geeigneten Versteck ab. Aber da war nichts, wo man sich auf die Schnelle hätte verstecken können. „Tu doch etwas, Finn", rief Amalia aufgeregt „Sonst ist es gleich aus mit uns!"
Finn verzweifelt vor. Amalia schüttelte nur stumm den Kopf. Plötzlich raste sie wie der Blitz auf Finn zu und rief gedämpft: „Die Holztafel mit der Fledermaus!" Finn wirbelte herum. Unmittelbar neben ihm prangte das eingravierte Bild einer Fledermaus auf näherte einer der Holztafeln. Schon stand Unaufhaltsam sich das Licht den beiden Amalia neben ihm und drückte mit ihrer flachen Hand aufFreunden. die Fledermaus. „Die Ritterrüstung?", schlug
Daraufhin ertönte ein leises Knarren und Quiet schen und, wie von Geisterhand geöffnet, schwang in der Holzvertäfelung eine Tür auf und gab den Eingang zu einem Gang frei. „Cool! Da ist ja wirklich ein Geheimgang", rief Finn erleichtert aus. Amalia und Finn huschten in den Gang und zogen leise die Tür hinter sich zu. Keinen Moment zu früh. Denn schon hatte das Licht die große Halle erreicht.
D sich
urch eine kleine Ritze konnten Amalia und Finn beobachten, was in der Halle vor sich ging. Nur auf Armeslänge von ihnen stand eine Gestalt. Sie hatte ihnen den Rücken zugewandt und hielt
überhaupt nicht zu sehen war. In einen viel zu engen abgewetzten Frack gezwängt, entfernt hielt sie in der linken Hand eine Fackel, während sie sich derartig gebückt, dass ihr auf der rechten Hand ein Tablett mitKopf einer Karaffe und Gläsern balancierte. Die beiden Freunde trauten sich kaum zu atmen. Stocksteif stand die Gestalt da und schnüffelte laut vor sich hin. „Komischer Geruch", erscholl da eine krächzende Stimme. „Es stinkt hier. Es stinkt nach Poltergeist Ja, eindeutig!" Amalia hauchte nur: „Eduard!" Als ob die Gestalt Amalias leises Flüstern gehört hätte, drehte sie sich mit einem Schwung zur Geheimtür um, wobei das Tablett gefährlich schwank te. Vor Entsetzen kniff Finn fest die Augen zu. Nach einer Weile traute er sich, vorsichtig mit einem Auge zu blinzeln. Er sah nun direkt in das Gesicht der Gestalt. Finn riss beide Augen weit auf und biss sich
sich auf die Zunge. Denn sonst wäre er in schallendes Gelächter ausgebrochen. Die Gestalt sah aber auch zu komisch aus. Auf dem mit Fell überzogenen Kopf prangten drei riesengroße Fle dermausohren, die traurig vorne über hingen. Das Gesicht selbst war putzig klein und mit flauschigem Pelz überzogen. Augen, Nase, Mund und die kleinen dicken Hängebäckchen erinnerten eindeutig an einen Hamster. Wieder begann die Gestalt zu schnüffeln, reckte das Hamsternäschen in die Luft und schlurfte ganz nah an die Geheimtür heran. Jetzt ist der Geruch weg!", brummelte die Gestalt fast traurig. „Na ja, muss mich sowieso sputen. Sonst wird die Herrschaft wieder ungehalten!" Dabei zuckte die Gestalt mit den Schultern und schlurfte zur Treppe. Finn und Amalia warteten, bis die Gestalt den obersten Treppenabsatz erreicht hatte und in der Dunkelheit verschwand. „Das war aber haarscharf", seufzte Finn und überprüfte, ob die Luft wirklich rein war. „Beinahe hätte dieses Westentaschenmonster uns erwischt" „Wie es sich für ein Schloss gehört, leben hier offensichtlich vornehme Herrschaften", erklärte Amalia. „Denn dieses Wesen ist eindeutig ein Diener. Ich muss allerdings zugeben, dass dieser Diener
etwas seltsam aussieht. Und außerdem scheint er eine sehr feine Nase zu haben. Er hat Eduard gerochen." „Stinken Poltergeister denn wirklich?", fragte Finn interessiert Ja, das kann man behaupten", antwortete Amalia. „Aber wie auch immer. Wir müssen weiter. Am besten schleichen wir hinter dem Diener her. Er wird uns den Weg zu den Bewohnern dieses Schlosses zeigen." Leise eilten sie die Treppe hoch. Ein gutes Stück von ihnen entfernt sahen sie den Diener im Schein seiner Fackel den dunklen Gang entlangschlurfen. In sicherer Entfernung schlichen sie auf Zehenspitzen hinter ihm her. „Wir sind jetzt in der Ahnengalerie", flüsterte Amalia und deutete auf die Wände. „Siehst du die vielen Gemälde? Das müssen die früheren Besitzer des Schlosses sein." Kaum hatte Amalia dies gesagt, begannen einige der Gemälde von den Wänden zu schweben. Im Kreis umtanzten sie schwankend die beiden Freunde und verstellten ihnen so den Weg. „Die scheinen uns aber nicht sonderlich zu mögen", meinte Finn, dessen Stimme vor Furcht zitterte. „Glaubst du, dass sie gefährlich sind?" Amalia kniff die Augen zusammen: „Ekelpaket, ich hob dir doch schon mal gesagt, dass du mir mit
schwebenden Gegenständen nichts anhaben kannst" Verständnislos starrte Finn Amalia an: „Was soll das denn jetzt?" Aber Amalia brauchte gar nicht zu antworten, denn schon erklang Eduards gedämpftes Gesehen „Wetten, dass wohl?" „Na dann probiere mal", forderte Amalia ihn kampfeslustig auf. Das hätte sie besser nicht getan. Denn schon ließ der unsichtbare Eduard einige der Gemälde mit lautem Getöse auf den Boden donnern, andere schmiss er mit voller Wucht gegen die Wände. Blitzschnell sprangen die beiden Freunde hinter einen Mauervorsprung. Wenn der Diener jetzt nach ihnen suchen und sie finden würde, wäre es aus mit ihnen. Aber der Diener schlurfte unbeirrt weiter. „Der ist unter Garantie stocktaub", wisperte Finn mit einem erleichterten Seufzer. Amalia stemmte die Arme in die Hüften. „Das war wohl nichts, Eduard", zischte sie aufgebracht „Du bist und bleibst ein hinterhältiges Scheusal!" Als Antwort erklang ein hämisches Gelächter, das laut von den Wänden widerhallte und sich schnell entfernte. Finn und Amalia hasteten eilig dem Diener hinterher. Aus sicherer Entfernung konnten sie beobachten, wie Er vor einer reich verzierten Holztür stehen blieb.
umständlich die Fackel in eine Wandhalterung neben der Tür, klopfte, wartete einen Moment und verschwand dann hinter der Tür, die krachend ins Schloss fiel. flüsterte Amalia, Unter Stöhnen steckte er während sie sich heranschlichen. „Die Herrschaft nimmt jetzt bestimmt ihr Nachtmahl ein. Irgendwie müssen wir da reinkommen!" „Ich schätze, der „Unddas wieistkommen wir da rein? Speisesaal", Ich meine, ohne dass uns jemand sieht?", fragte Finn. „Für mich allein wäre das kein Problem. Ich könnte durchs Schlüsselloch schlüpfen. Aber was machen wir mit dir?", überlegte Amalia laut „Ich will auf jeden Fall mit", stellte Finn klar. „Ich hob da eine Idee", flüsterte Amalia und schnippte mit den Fingern. „Komm mit! Meistens haben solche Säle noch einen Seiteneingang." Unter Amalias Führung schlichen sie auf Zehen spitzen den Gang weiter, bis dieser auf einen kleinen schmucklosen Korridor stieß. In diesen bogen sie nach links ein und erreichten nach ein paar Metern eine kleine, schmale Tür. Amalia schaute Finn
verschwörerisch an und legte einen Zeigefinger an die Lippen. Dann holte sie tief Luft und öffnete die Tür nur so weit, dass sie und Finn durch den schmalen Spalt ins Innere des Saales linsen konnten. Im Speisesaal stand ein riesig langer, schmaler, gedeckter Tisch, auf dem einige Kerzenleuchter standen. An der gegenüberliegenden Seite des Saales befand sich ein offener Kamin, in dem ein Holzfeuer prasselte.
Plötzlich öffnete sich schwungvoll die Tür des Haupteingangs und ein vornehm aussehender Herr in Begleitung einer feinen Dame trat ein. Beide trugen lange, schwarze Umhänge mit Stehkragen. Ihre Gesichter und ihre Lippen waren weiß wie die Wand. Der Herr geleitete die Dame an der Hand zum einen Tischende und nahm dann selbst an dem gegenüberliegenden Tischende Platz. Dann schnippte er gebieterisch mit den Fingern in die Luft. Daraufhin kam der Diener diensteifrig angeschossen und goss den beiden aus einer Karaffe eine blutrote Flüssigkeit in die Weingläser. Der Herr prostete der Dame zu, grinste breit und entblößte dabei lange, spitze Eckzähne. „Oh, ha", entfuhr es Amalia. „Das ist ja eine schöne Bescherung. - Vampire!" „Waaas?", stotterte Finn entsetzt „Wer? V-V-VVampire? Die sind doch gefährlich!" Schon wollte Finn in Panik die Flucht ergreifen, als Amalia ihn am Jackenzipfel zurückzog. „Psst, nicht so laut, zischte sie und deutete in den Saal. „Ist das nicht ein ganz ausgezeichneter Jahrgang, meine Liebe?", fragte der Vampir-Herr. „Ganz hervorragend, mein Bester", sagte die Vampir-Dame. „Welchen Jahrgang hast du denn heute für uns ausgesucht?"
„Dieser edle Tropfen stammt aus dem Jahr 1452“, erklärte der Vampir-Herr. Er griff nach dem Pfefferstreuer und fragte: .Auch etwas Pfeffer, meine Teuerste?" Die Vampir-Dame nippte noch einmal an ihrem Glas und schüttelte dann ablehnend den Kopf: „Vielen Dank, mein Guter. Ich bevorzuge den un verfälschten Geschmack." Finn fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er sah, wie die blassen Lippen der Vampire von Schluck zu Schluck immer roter und voller wurden. Der Diener hatte sich demütig in eine Ecke des Saales zurückgezogen. Mit einem verlegenen Räuspern trat er nun wieder an den Tisch. „Ehrenwerter Graf Dracula", krächzte er unterwür fig. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mir erlaube, das Wort an Sie zu richten. Aber ich habe etwas von größter Wichtigkeit zu melden." „Was ist denn, Rupert?", fragte Graf Dracula un gehalten. „Ich möchte jetzt ohne Störungen mit der Gräfin dinieren." „Bitte vielmals um Vergebung, aber ich habe in der großen Halle eindeutig den Gestank eines Poltergeistes wahrgenommen", berichtete der Diener. „Soll ich irgendwelche Suchmaßnahmen einleiten?" „Rupert, Rupert", stöhnte der Graf auf. „Poltergeister sind zwar lästig, aber vollkommen ungefährlich.
Suchmaßnahmen sind also nicht erforderlich. Belästige uns nicht weiter mit solchen Nichtigkeiten und lass uns jetzt in Ruhe speisen. - Du darfst dich entfernen!" „Stets zu Diensten", antwortete der Diener. Er machte eine so tiefe Verbeugung, dass seine Hamsterbäckchen fast den Boden berührten. Finn und Amalia hatten genug gesehen. Vorsichtig schlössen sie die Nebentür. „Graf und Gräfin Dracula", brachte Finn nur mit größter Anstrengung hervor. Seine Beine zitterten bedenklich. „Ich fass es nicht. Und demnach war das rote Zeugs, das sie getrunken haben..." „Blut, ganz richtig", sagte Amalia ungerührt. „Aber das ist ja nichts Neues. Vampire gibt es mindestens schon so lange wie Gespenster. Und jedermann weiß, dass sie am liebsten Menschenblut trinken." Mit einem Schlag wurde Finn leichenblass und führ sich nervös mit der zitternden Hand durch die Haare. „Komm, lass uns die Fliege machen, Amalia", bettelte er. „Vampire verstehen bestimmt keinen Spaß!" „Die sind jetzt erst mal mit ihrem Nachtmahl be schäftigt", wehrte Amalia ab. Sie dachte einen Moment angestrengt nach. „Wir müssen das Schloss weiter absuchen", meinte sie schließlich. „Das Geheimnis muss hier irgendwo verborgen sein. Können wir weiter?"
Finn nickte nur stumm. Nachdem sie unzählige Gänge und Räume er gebnislos abgesucht hatten, erreichten sie wieder die große Eingangshalle. „Und was nun?", fragte Finn, dem die Angst vor den Vampiren immer noch ins Gesicht geschrieben stand. „Tja, ich weiß auch nicht", sagte Amalia und zuckte die Schultern. Da fiel ihr Blick auf die Geheimtür. „Vielleicht bringt uns ja der Geheimgang zum Ziel. Komm, wir schauen mal nach, wo der hinführt." Finn nahm die Fackel aus ihrer Halterung und die beiden Freunde betraten den Geheimgang. „Ach, wie nett", rief Amalia. „Spinnweben in allen Größen. - Pass auf, Finn, der Boden ist sehr glitschig!"
Hocherhobenen Hauptes schritt Amalia durch die Spinnweben hindurch und schleckte sie genüsslich mit der Zunge von ihrem Gesicht ab. „Das ist ja widerlich", stieß Finn mit angeekeltem Gesicht aus. „Im Gegenteil", antwortete Amalia vergnügt kauend. „Probier doch mal! Spinnweben sind ein wahrer Genuss!" Mit dem Finger zog sie eine Spinnwebe von der Wand und hielt sie Finn unter die Nase. „Nein danke", lehnte Finn ab und drehte das Gesicht zur Seite. „Oh, nein", stöhnte er leise auf. „Hier sind ja auch Ratten. Ich kann diese Viecher nicht ausstehen!" „Die haben mehr Angst vor dir, als du vor ihnen", meinte Amalia und lachte. „Schau einfach nicht auf den Boden, dann siehst du sie auch nicht!" Da war plötzlich ein Zischen zu hören und die Fackel in Finns Hand erlosch. Um Finn und Amalia wurde es stockdunkel. „War das der Wind?", überlegte Finn laut „Welcher Wind denn? Hier ist es doch total windstill", antwortete Amalia. „Nein, das verdanken wir jemand anderem!" Jetzt sah auch Finn den Strahl einer Taschenlampe vor ihnen den Gang entlangflackern. Beide Freunde sagten gleichzeitig: „Eduard!"
„Dieser Eduard entwickelt sich zu einer Landplage", schimpfte Finn. „Wenn ich den in die Finger bekomme!" Langsam und vorsichtig tasteten sich die beiden Freunde weiter durch den nachtschwarzen Gang. Mit jedem Schritt in der Dunkelheit verstärkte sich Finns Gefühl, dass da auf dem Boden nicht nur Ratten herumflitzten. Aber bevor er Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, in was seine Füße da ständig versanken, hatten sie schon das Ende des Ganges erreicht und traten ins Freie. Hier lag der Schlosshof. Ein Ziehbrunnen und ein kleines Häuschen, dessen Wände komplett aus Glas waren, lagen im fahlen Mondlicht Aber von Eduard gab es keine Spur. „Hier sieht es nicht besonders geheimnisvoll aus", meinte Amalia enttäuscht Finn lehnte die Fackel an die Schlossmauer. „Komm, wir gucken mal nach, was es in dem Häuschen zu sehen gibt", schlug er vor und zog Amalia hinter sich her. „Da ist doch eh nur altes Gerumpel drin", pro testierte Amalia. „Das glaube ich nicht", widersprach Finn. „Das ist kein gewöhnlicher Schuppen. Ich glaube, das ist ein Gewächshaus. Vielleicht finden wir da etwas zu essen. Ich habe einen mordsmäßigen Hunger!“
„Ein was?", fragte Amalia, als sie in das Häuschen traten. „Genau wie ich gesagt habe - ein Gewächshaus", triumphierte Finn. „Schau nur, hier hat jemand Tomaten, Paprika und Rote Beete angepflanzt", erklärte er und zeigte auf die Gewächskästen. „Das ist ja schön und gut, aber es hilft uns leider gar nicht weiter", knurrte Amalia missmutig. „Wir vertrödeln hier unsere Zeit, während Eduard bestimmt schon das Geheimnis ergründet hat" Plötzlich schaute Finn Amalia fragend an: „Was war das gerade?" „Ich habe nichts gehört", sagte Amalia ungeduldig. „Nun komm schon endlich!" „Nein, sei mal leise!", flüsterte Finn und lauschte. „Da ruft doch jemand um Hilfe!"
H
i-iiiii-ilfe!", klang ein gellender Schrei über den „ Innenhof des Schlosses. Finn und Amalia stürmten aus dem Gewächshaus. Da war es schon wieder: „Hilfe, zu Hilfe!" „Wo kommt das her?", rief Amalia und ließ ihren Blick über den Innenhof schweifen. „Ich schätze, aus dem Brunnen!", schrie Finn und raste in Windeseile zum Ziehbrunnen hinüber. Er beugte sich über den Brunnenrand und spähte in die Tiefe. Ganz weit unten konnte er das schwache Licht einer Taschenlampe erkennen. „liiii, geh' weg! Lass mich in Ruhe!", erscholl die verzweifelte Stimme erneut „Du widerliche Kröte! Verschwinde! Hau ab!" Da huschte ein schadenfrohes Lächeln über Amalias Gesicht „Kein Zweifel!", sagte sie. „Da unten plantscht Eduard im Wasser. Poltergeister sind sehr gute Schwimmer. Aber sie ekeln sich ganz fürchterlich vor Kröten und ähnlichen Wassertieren." „Teuerste Amalia", brüllte Eduard da aus der Tiefe. „Bitte, bitte, sei doch so gütig und hol mich hier raus! Hier sind so viele widerliche Kröten!"
Amalia seufzte leise: „Zu gern würde ich Eduard noch ein bisschen schmoren lassen." „Ich tue auch, was ihr wollt, versprochen", schrie Eduard kläglich. „Nur holt mich hier raaaaaus!" „Du tust, was wir wollen?", brüllte Amalia trium phierend in die Tiefe. Ja, bei meiner Poltergeistehre", kreischte Eduard schrill zurück Nun hörten auch Amalia und Finn das Quaken der Kröten. Hunderte von Kröten mussten da unten im Brunnen hocken. Finn zog sich Schuhe und Jacke aus. Dann rollte er das Brunnenseil von der Winde ab. „Gut, Eduard, ich nehme dich beim Wort", antwortete Amalia und nickte Finn zu. Finn kletterte auf die Brunnenmauer und ließ sich am Seil in die Tiefe gleiten.
„Ich komme jetzt runter", rief er Eduard zu. Das Licht der Taschenlampe war ausgegangen, so dass Finn nun beim besten Willen nichts mehr sehen konnte. Er streckte eine Hand aus und befühlte das Innere der Brunnenmauer. Sie war eiskalt, mit Moos bewachsen und glitschig. „Oh, eile dich", winselte Eduard. Als Finn mit den Füßen das Wasser berührte, fragte er: „Eduard, wo bist du?" „Hier!", schniefte Eduard. Da spürte Finn eine Hand an seinem Knöchel. Finn löste seine rechte Hand vom Seil und tastete nach Eduard. „Gib mir deine Hand. Dann zieh ich dich hoch!", befahl er. Mit einem kräftigen Ruck zog er Eduard dann zu sich. „Halt dich an meinen Schultern fest", kommandierte Finn. Eduard stieß nur ein leises Schluchzen aus und tat, was Finn gesagt hatte. Mit Eduard auf dem Rücken kletterte Finn das Seil hoch. Nach einer Weile tauchten die beiden am Brunnenrand auf. Und Amalia half ihnen heraus. Eduard ließ sich auf den Boden plumpsen und lehnte sich erschöpft an den Brunnen. Er trompetete geräuschvoll in sein Taschentuch, dann strich er sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte zu Finn und Amalia auf. „Untertänigsten Dank", hauchte er und nieste fünfmal hintereinander.
„Es war ja so schrecklich in diesem finsteren Brunnen. Und dann auch noch diese unzähligen..." Eduard verstummte und begann hektisch auf seinem Bauch herumzuklopfen. Mit einem lauten lang gezogenem „Quak" sprang da plötzlich eine Kröte aus Eduards Hemd hervor und hüpfte in den Brunnen zurück Angeekelt verzog Eduard sein Gesicht und stöhnte leise: „Kröten! - Ich hasse sie!" Amalia konnte sich ein leises Grinsen nicht ver kneifen. „Was hast du eigentlich in dem Brunnen zu suchen gehabt?", fragte sie und schaute Eduard neugierig an. Wieder nieste Eduard ausgiebig: „Ha-a-tschi! -Blöde Frage", sagte er dann, während er sich wieder die Nase putzte. „Ich bin da bestimmt nicht freiwillig reingefallen! Ich wollte - ehm, ich wollte -ehm", stammelte Eduard, dem offensichtlich so schnell keine passende Erklärung einfallen wollte. „Ich wollte den Brunnen untersuchen. Deshalb hob ich mich über den Rand gebeugt Tja, und dann - plumps - lag ich drin!" „Aha", erwiderte Amalia misstrauisch. Sie war sich ziemlich sicher, dass Eduard aus einem anderen Grund in den Brunnen gefallen war. Misstrauisch und feindselig blinzelte Eduard Amalia an. „Und was habt ihr jetzt mit mir vor? Sperrt ihr mich jetzt in dem Häuschen da hinten ein?“, brachte er
unter ständigem Niesen hervor und nickte in Richtung Gewächshaus. „Nichts dergleichen", antwortete Amalia und warf Finn einen fragenden Blick zu. Finn zuckte mit den Schultern und wandte sich an Eduard: „Du hast uns versprochen zu tun, was wir von dir verlangen!" Ja, das ist wohl leider richtig", antwortete Eduard widerstrebend und schniefte wieder in sein Ta schentuch. „Ob es mir nun passt oder nicht, ich bin euch bedauerlicherweise zu Dank verpflichtet" „Also", begann Amalia. „Du sollst uns versprechen, nicht mehr so gemein und hinterhältig zu sein. Wir verlangen nichts anderes, als dass du dich fair verhältst!" Fassungslos starrte Eduard sie an. Das war ja noch schlimmer als eingesperrt zu werden. Denn für einen Poltergeist ist es die schlimmste Strafe der Welt,
wenn er nicht mehr gemein und hinterhältig sein darf. Kaum hörbar nuschelte Eduard mit gesenktem Kopf: „Versprochen!" „Bei deiner Ehre als Poltergeist?", hakte Amalia nach. Eduard räusperte sich und stieß zähneknirschend hervor: „Ich gelobe, bei meiner Ehre als Poltergeist, mich fair zu verhalten." Amalia nickte. „Gut, sagte sie. „Nachdem das geklärt ist, sollten wir dich so schnell wie möglich ins Warme schaffen. Du zitterst ja am ganzen Körper!" „Wärme nützt mir überhaupt nichts", stieß Eduard feindselig hervor. „Die hilft vielleicht bei gewöhnlichen Hausgespenstern wie dir! Poltergeistern hilft bei Erkältungen nur eines - Salatöl!" Obwohl Eduard sich redlich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen, konnte er nicht verbergen, dass er die Vorstellung Salatöl trinken zu müssen, fast genauso widerlich fand wie den Gedanken an Kröten. „Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir hier Salatöl auftreiben können", schlug Finn schadenfroh vor. „Ich glaube zwar nicht, dass Salatöl zur Stan dardausrüstung einer Vampir-Küche gehört, aber schauen können wir ja mal." „Gut", rief Amalia und rieb sich die Hände. „Auf, auf in die Küche!"
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m fahlen Mondlicht huschten die Kinder zum Geheimgang zurück „Ehrlich gesagt, hob ich ja nicht die geringste Lust. diesen düsteren Gang ohne ein Fünkchen Licht entlangschleichen zu müssen", zischte Finn mit ängstlicher Miene Amalia ins Ohr. Amalia zuckte die Schultern: „Tja, eine Fackel hätten wir ja, aber leider keine..." „Streichhölzer", vollendete Finn Amalias Satz und fuhr mit der Hand in seine Jackentasche. Zum Vorschein kam die Streichholzschachtel, die er von zu Hause mitgenommen hatte. „Ich hatte ganz vergessen, dass ich die dabei habe", rief er völlig begeistert aus. Jetzt können wir die Fackel... Wo ist sie denn? Ich habe sie doch eben an die Schlossmauer gelehnt!" „Weg", stellte Eduard mit einem verlegenen Lä cheln fest „Was soll das heißen, weg?", knurrte Finn und beäugte Eduard misstrauisch. „Na ja, ich hob mir gedacht, ohne Fackel kommt ihr nicht weit. Als ihr in dem kleinen Häuschen ver
schwunden ward, hob ich sie mir genommen und in den Brunnen geworfen", gab Eduard zögernd zu. „Du hinterhältiger, kleiner Wurm! Deshalb bist du also in den Brunnen gefallen! Na, warte...", brüllte Finn und wollte Eduard an den Kragen. Eduard schrie laut auf und suchte hinter Amalias Rücken Deckung. „Schluss jetzt", befahl Amalia mit gedämpfter Stimme. „Ihr habt wohl vergessen, dass wir es hier mit Vampiren zu tun haben. Die sind nicht so stock taub wie ihr Diener. Sie haben so gute Ohren, dass sie eine Spinne husten hören. Also seid leise!" „Und was nun?", fragte Finn blind vor Wut und warf die Streichholzschachtel achtlos weg. „Ohne Fackel nutzt die uns herzlich wenig!", schimpfte er. Eduard drehte und schraubte an seiner Ta schenlampe herum, aber da war nichts zu machen. Die Batterien waren im Brunnen nass geworden und daher unbrauchbar. „Die Taschenlampe können wir vorläufig ver gessen", sagte er bedauernd.
Amalia seufzte schwer und starrte nachdenklich in den dunklen Gang. „Dann muss es eben ohne Licht gehen", beschloss sie. „Ich gehe zuerst, dann kommst du, Finn, und zum Schluss du, Eduard. Jeder hält sich an seinem Vordermann fest. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir uns in der Dunkelheit verlieren." Finn war ganz schön mulmig zu Mute. Mit der linken Hand hielt er sich an Amalias Kleid fest und mit der rechten tastete er sich an der feuchten, be moosten Wand lang. Hinter ihm fluchte Eduard unterständigem Niesen und Schniefen. Vergeblich versuchte er, die Batterien seiner Taschenlampe an seinem nassen Hemd trocken zu putzen. Finn wurde das Gefühl nicht los, dass der Boden mit Tausenden von Käfern und Spinnen übersät war. Denn bei jedem Schritt versank sein Fuß in einer weichen, glibberigen Masse, die knirschend und schmatzend nachgab. Ein schnelles Rascheln ließ Finn erstarren. Was war das jetzt wieder? Er versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Da leuchteten unmittelbar vor ihm die rot glühenden Augen einer Ratte auf. Finn presste sich die Hand auf den Mund und kniff die Augen zu. Als er sie wieder öffnete, war die Ratte in der Finsternis verschwunden. Da stieß Amalia mit dem Fuß gegen etwas und ein hohles „Bum" ließ die Luft erzittern. Finn und Eduard
zuckten zusammen und wagten kaum zu atmen. „Ich glaube, wir haben das Ende des Ganges erreicht", flüsterte Amalia leise. Mit ausgestreckter Hand tastete sie in der Finsternis herum. Erst fühlte sie Holz und dann fand sie die Türklinke, die sie vorsichtig herunterdrückte. Es gab ein lautes Knarren und Ächzen und die Tür sprang auf. Schnell huschten die Kinder hindurch und fanden sich in der Eingangshalle wieder. Finn lehnte sich erleichtert an die Wand und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „Nie, nie, nie wieder werde ich einen Geheimgang betreten", verkündete er. Eduard fingerte ungerührt an seiner Taschenlampe herum und schenkte Finn nur ein herablassendes Lächeln. Jetzt übertreib mal nicht! War doch ganz witzig?", sagte er leichthin. „Hey, schaut mal! Meine Taschenlampe funktioniert endlich wieder!" Triumphierend ließ er den Schein der Taschenlampe über die Wände der Halle gleiten. Doch schon nach einem Moment verlosch das Licht, um im nächsten wieder flackernd und zuckend aufzuleuchten. „Nur auf den Boden leuchten, du Idiot", herrschte Finn ihn an. „Oder möchtest du, dass wir gleich die Blutsauger am Hals haben?"
„Oh, an mir sind Vampire überhaupt nicht inte ressiert", antwortete Eduard und nieste genüsslich. „Aber an dir hätten sie sicherlich ihre Freude." Er trat an Finn heran und unterzog Finns Hals einer genauen Untersuchung. „Vampire lieben schneeweiße Menschenhälse und zapffrisches Blut gilt bei ihnen als Delikatesse." Finn wurde kreideweiß und fasste sich unsicher an den Hals. Daraufhin brach Eduard in schallendes Gelächter aus. „Auch wenn wir nicht auf ihrem Speiseplan stehen, sind Vampire auch für uns gefährlich. Wenn ich dich daran erinnern darf, Eduard", mischte sich Amalia ein. „Wenn ein Vampir uns auch nur ein Mal mit seiner Hand berührt, können wir nie mehr spuken!" „Ist das wahr?", fragte Finn ungläubig.
Ja, und deshalb sollten wir keine großen Reden schwingen, sondern zusehen, dass wir weiterkom men", sagte Amalia. „Ich erwarte Vorschläge. Wo kann die Küche sein?" „Küchen sind immer im Erdgeschoss", stellte Eduard schniefend fest „Sehr richtig", sagte Finn, der Eduard nur ungern zustimmte, und zeigte den linken Gang hinunter. „Ich schätze, die Küche ist irgendwo dahinten. Schließlich ist der Diener vorhin mit seinem Tablett aus dieser Richtung gekommen!" „Klingt logisch", meinte Amalia. So leise wie möglich huschten sie den düsteren Gang entlang. Eduards Taschenlampe gab wegen des Wackelkontakts nur spärliches Licht Als sie an einem der vielen Fenster vorübereilten, hörten sie von draußen eine Stimme, die sie erzittern ließ. „Meine Teure, darf ich Ihnen die Hand reichen?" Kein Zweifel, das war die Stimme des Grafen Dracula. Fragend blickten sich die drei an und versteckten sich blitzschnell unter dem Fenstersims. „Ein kleiner Verdauungsflug zu dieser Stunde wäre doch etwas Herrliches, nicht wahr?", fragte Graf Dracula. Langsam tauchten die drei Köpfe am Fenstersims wieder auf. „Da drüben sind sie" hauchte Amalia fast unhörbar.
Gar nicht weit von den Kindern entfernt standen Graf und Gräfin Dracula vom fahlen Mondlicht beschienen auf einem Mauervorsprung. Sie breiteten ihre Umhänge aus und erhoben sich wie zwei riesengroße Fledermäuse in die Luft. Schnell zogen die Kinder wieder ihre Köpfe ein, denn das Grafenpaar steuerte direkt auf sie zu. Aber da schwangen sich die Vampire in die Höhe und flogen über das Schloss hinweg in Richtung Wald. „Puhh", stöhnte Eduard. „Das hätte ins Auge gehen können." „Bis auf den Diener sind wir jetzt erstmal allein im Schloss", sagte Amalia und richtete sich wieder auf. „Das ist unsere Chance - vorwärts!" Nach ein paar Metern stießen sie auf eine Tür, die nur angelehnt war. Im flackernden Schein einer einzigen Kerze konnten sie einen Tisch, drei Stühle, mehrere Schränke und Regale, einen gusseisernen Herd und sogar einen Kühlschrank erkennen.
„Da wären wir also", stellte Amalia zufrieden fest. Sofort fingen sie an, die Küche nach Salatöl abzusuchen. .Also, ich hätte nicht gedacht, dass Vampire so viele Gewürze brauchen", staunte Finn. Er stand vor einem Regal mit vielen unterschiedlichen Flaschen und Döschen. Laut las er vor, was auf den Etiketten stand: „Chilisauce, Paprikaextrakt, Tabasco. Hat einer von euch schon mal etwas von transsilvanischer Pfeffercreme gehört?", fragte Finn mit hochgezogenen Augenbrauen. „Transsilvanien ist die Heimat der Vampire", be lehrte ihn Amalia. „Hmmhmm", machte Finn und schüttelte sich vor Ekel. „Aber es wird noch besser: Peperonischoko lade und Kürnmelerdbeermarmelade. Igitt. Was machen die nur mit dem Zeug?" „Keine Ahnung! Vielleicht peppen sie das Men schenblut damit etwas auf. Es muss doch langweilig sein, immer nur Blut und dann auch noch immer mit demselben Geschmack zu schlürfen", vermutete Eduard. Mit größtem Vergnügen beobachtete er, wie bei dieser Vorstellung Finns Gesicht erst erbsengrün und dann schneeweiß wurde. Amalia öffnete den Kühlschrank und begutachtete den Inhalt. Dann zog sie eine Flasche hervor. „Salatöl ist in der ganzen Küche nicht aufzutreiben. Aber
schaut mal, was ich hier gefunden habe", sie drehte sich zu Finn und Eduard um. In ihrer Hand hielt sie eine Flasche, deren Inhalt blutrot schimmerte. Finn wechselte schon wieder die Gesichtsfarbe: „Meinst du - meinst du, das ist...", stöhnte er. Eduard entriss Amalia die Flasche. „Blut. Was denn sonst?", sagte er und begutachtete das Etikett, das auf der Flasche klebte. Darauf war ein Vampir mit wahnsinnig langen Eckzähnen und ausgebreitetem Umhang zu sehen und darunter stand geschrieben:
„Aha", folgerte Eduard begeistert „Dieses Blut haben sie also 1452 aus irgendeinem armen Menschen gesogen, abgefüllt und Peperoni hinzugegeben. Interessant, sehr interessant!" Dann zog Eduard den Korken aus der Flasche und hielt sie sich schnüffelnd unter die Nase. „Riecht gar nicht mal so schlecht -Na dann, Prost!", rief er Amalia und Finn zu. „Du willst das Zeug doch nicht ernsthaft trinken?", fragte Amalia entgeistert.
„Ihr Schwächlinge traut euch natürlich nicht", po saunte Eduard. „Aber ein echter Poltergeist fürchtet sich vor nichts!" „Außer vor Kröten", flüsterte Finn zwar leise, aber immerhin so laut, dass Eduard es hören konnte. Eduard schaute Finn grimmig an, holte tief Luft und nahm dann einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Sofort wurde sein Gesicht feuerrot Er hustete, würgte und spuckte mehrmals auf den Boden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er an Amalia und Finn vorbei und begann hektisch mit den Armen in der Luft zu rüdem. Er versuchte, etwas zu sagen, aber zu hören war nur ein klägliches Röcheln. „Na, Peperonigeschmack ist wohl nichts für dich", freute sich Finn. „Aber immerhin scheint das Zeug deine Erkältung blitzartig kuriert zu haben!" Eduard schüttelte verzweifelt den Kopf und zeigt immer wie der in Richtung Tür. Lauthals lachend drehten sich Amalia und Finn zur Tür um. Doch da blieb ihnen das Lachen im Halse stecken. Denn dort stand mit dem Tablett in der Hand Rupert, der Diener des Grafen Dracula. Sein Blick war starr auf Eduard geheftet Er schien Finn und Amalia gar nicht zu sehen. Nach einer Weile, die den Kindern wie eine Ewigkeit vorkam, stieß Rupert mit gefletschten Zähnen hervor:
„Da ist ja der Poltergeist!" Langsam, ganz langsam bewegte sich Rupert auf Eduard zu. Während Amalia und Finn sich vor lauter Angst nicht bewegen konnten, zitterte Eduard wie Espenlaub. Als Rupert unmittelbar vor Eduard stand, streckte er eine Hand aus und krächzte mit heiserer Stimme: „Und was hat unserem Poltergeist die Stimme ver schlagen?" Damit griff er nach der Flasche in Eduards Hand und betrachtete eingehend das Etikett „Ach, so", verkündete er verständnisvoll. „Ge schmacksrichtung Peperoni. Die ist wirklich nicht empfehlenswert. Einfach viel zu scharf!" Jetzt erst fiel Ruperts Blick auf Finn und Amalia. „Oh, da sind ja noch zwei Gäste", lachte er. „Und wie ich sehe, habt ihr Angst vor mir. Das schmeichelt mir zwar sehr, ist aber vollkommen unnötig." Eduard gestikulierte immer noch wild herum und zeigte jetzt immer wieder auf die Flasche in Ruperts Hand. „Auch der kleine Poltergeist braucht sich nicht vor mir zu fürchten", erklärte Rupert. „Normalerweise mag ich diese Art von Geistern nicht sonderlich, aber wie ich sehe, habt ihr drei das Geheimnis des Fledermausschlosses gelüftet. Und das macht mir dann auch einen Poltergeist sympathisch!"
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as haben wir?", riefen Amalia und Finn verständnislos. Na, ihr hob doch den Saft probiert", antwortete Rupert und stellte das Tablett auf dem Küchentisch ab. Amalia und Finn verstanden kein Wort. „Saft", keuchte Eduard. „Saft - Gemüsesaft - kein Blut!" „Eben", sagte Rupert. „Die Sache ist die, dass Vampire in Wahrheit kein Blut, sondern Gemüsesaft trinken!" „Das ist doch Blödsinn", entgegnete Amalia schroff: „Jedermann weiß doch, dass Vampire sich ausschließlich von Blut ernähren!" „Das denken zwar alle, aber es stimmt nicht", er klärte Rupert und ließ sich keuchend auf einem Kü chenstuhl nieder. „Ich werde es euch erklären: Vampire mögen keine menschliche Gesellschaft Sie sind am liebsten unter ihresgleichen. Deshalb haben sie sich überlegt, wie sie sich die Menschen vom
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Halse halten können. Was sie aber lieben, ist roter Gemüsesaft. Und da ist ihnen eine grandiose Idee gekommen. Sie haben überall herumerzählt, dass sie Blut, vorzugsweise frisches Menschenblut, trinken würden. Und die Sache hatte, wie ihr wisst, Erfolg. Kein Mensch traut sich in die Nähe von Vampiren, weil alle Angst haben, von den Vampiren zum Abendbrot ausgelutscht zu werden!" „Und in dem Gewächshaus ziehen sie heimlich das Gemüse, das sie für ihren Saft brauchen", kombinierte Finn erleichtert. Er war überglücklich zu hören, dass die Vampire an seinem Blut wohl doch kein Interesse hatten. „Genau. Hauptsächlich besteht der Gemüsesaft natürlich aus Tomaten, sonst wäre er nicht so rot Aber der Graf fügt noch verschiedene andere Ge müsesorten hinzu, um den Geschmack zu verfeinern. Er experimentiert eben gerne", sagte Rupert. „Und warum erzählen sie uns das alles?", fragte Amalia misstrauisch. Rupert machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung. „Mir geht diese ganze Heimlichtuerei schon seit Jahrhunderten gewaltig auf die Nerven", rechtfertigte er sich. „Außerdem fände ich es ganz nett, wenn wir mal Besuch bekämen. Immer nur Vampire um sich herum zu haben, ist auf die Dauer alles andere als lustig."
„Amalia", flüsterte Eduard, der seine Stimme mittlerweile wiedergefunden hatte, und deutete mit dem Kopf in Richtung Küchenfenster. „Es wird gleich dämmern!" „Ist es schon so spät?", rief Amalia erschrocken. „Dann müssen wir schnell weg hier! Dürfen wir zwei Flaschen mitnehmen?", fragte sie Rupert „Nehmt euch so viel mit, wie ihr wollt. Wir haben wirklich genug davon hier", stöhnte Rupert Amalia klemmte sich zwei Flaschen Graf Draculas Spezialmix unter den Arm. „Sie bekommen doch jetzt unseretwegen keinen Ärger?", erkundigte sich Finn mitfühlend bei dem Diener. „Ach, was", antwortete Rupert seelenruhig. „Wenn der Graf mich zur Strafe vertreiben würde, müsste er ja selber die Fußböden schrubben und das Gemüse putzen. Und da er Hausarbeit nicht ausstehen kann, ist er immer sehr freundlich zu mir!" Schnell verabschiedeten sich die drei von dem Diener. In Windeseile rannten sie den Gang zum Eingangstor zurück „Wau", rief Finn. „Wir haben tatsächlich das Ge heimnis des Fledermausschlosses geknackt!" „Freu dich mal nicht zu früh", mahnte Eduard. „Noch sind wir hier nicht raus. Der Graf und die Gräfin müssen jeden Augenblick von ihrem Nachtflug zurückkommen."
Ja", keuchte Amalia. „Sie fürchten die Morgen dämmerung noch mehr als wir. Denn sie zerfallen sofort zu Staub, sobald das Tageslicht auf sie fällt" Sie hatten jetzt das Eingangstor erreicht Amalia übergab Eduard eine Flasche und wollte gerade die Tür öffnen, als vom obersten Treppenabsatz die Stimme des Grafen Dracula auf sie herunterdonnerte. „Halt!", befahl er mit erhobener Hand. Mit wal lendem Umhang und gefletschten Vampirzähnen schritt er langsam und würdevoll die Treppe herunter. „Warum denn so eilig? Wir sind uns doch noch gar nicht vorgestellt worden!" Die Kinder erstarrten vor Schreck. Jetzt ist es aus mit uns", stöhnte Eduard vor Angst zitternd auf. „Ah, wie nett", fuhr der Graf fort „Ein Poltergeist ein Gespenst und nicht zuletzt ein Mensch!" Dabei starrte er gebannt auf Finns Hals und leckte sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen. Bei diesem Anblick gefror Finn förmlich das Blut in den Adern. Was war, wenn der Diener gelogen hatte, und Vampire doch ganz gerne Menschenblut tranken? „Und dazu auch noch so ein junger Mensch!", sagte der Graf und blieb auf der untersten Treppenstufe stehen. „Zapffrisches Menschenblut! Lecker!"
Amalia nahm ihren ganzen Mut zusammen und rief: „Wir haben Ihr Geheimnis entdeckt. Und wir wissen, dass Sie gar kein Menschenblut trinken. Also hören Sie mit dem Theater auf" Der Graf zögerte einen Moment Misstrauisch betrachtete er die Kinder und schien angestrengt nachzudenken. „Soso, ihr habt also spioniert! Re volution!", brüllte er mit donnernder Stimme. „Darauf steht das Todesurteil! Schließt mit eurem Leben ab." Mit Entsetzen sahen die Kinder, wie der Graf nun immer näher auf sie zukam. Mit einem durch und durch bösen Lächeln streckte er die Arme aus und verkündete: „Ihr beiden habt zum letzten Mal gespukt. Und du", damit wandte er sich mit funkelnden Augen Finn zu, „du kommst in die Folterkammer. Dann habe ich in regnerischen Nächten eine schöne Beschäftigung!" Die Kinder schrien verzweifelt auf und suchten nach einem Ausweg. Der Graf stand nun unmittelbar vor ihnen, mit seiner knochigen, kalkweißen Hand griff er nach Amalia. Nun passierte alles furchtbar schnell. Eduard sprang vor und warf sich mit ganzer Wucht gegen eine Ritterrüstung, die auf einem Sockel neben dem Eingangstor stand. Unter Krachen und Getöse fiel die Rüstung um und stürzte auf den Grafen, der taumelnd zu Boden fiel.
Amalia blickte Eduard erstaunt an. „Schnell, schnell! Gleich wird er wieder auf den Beinen sein!", schrie Eduard und zerrte Amalia und Finn mit sich zur Tür hinaus. „Verdammt sollt ihr sein", brüllte der Graf mit Zornesstimme hinter ihnen her. „Glaubt nur nicht, dass ihr mir entkommt! Früher oder später werden wir uns wiedertreffen!" Alle drei hechteten über die Zugbrücke hin zu Amalias Wäschetruhe. Finn und Amalia sprangen hinein, nur Eduard blieb zögernd stehen. „Worauf wartest du?", rief Amalia, die sich immer wieder zum Schloss umdrehte, um nachzuschauen, ob der Graf ihnen auf den Fersen war.
„Meine Schatztruhe ist bei der Landung zerschellt Ich kann hier nicht weg", erklärte Eduard den Tränen nahe. „Verschwindet", sagte er tapfer und reichte Finn die zweite Flasche von Graf Draculas Spezialmix. „Ich werde den Grafen aufhalten. Seht ihr zu, dass ihr sicher nach Hause kommt!" „Wir lassen dich hier auf gar keinen Fall zurück", bestimmte Finn. „Genau. Die Wäschetruhe ist groß genug für drei", sagte Amalia schnell. „Nun komm schon!" Eduard konnte sein Glück gar nicht fassen. Schnell schwang er sich in die Wäschetruhe und Amalia startete.
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ährend Finn, Amalia und Eduard durch die Morgendämmerung davonbrausten, hörten sie hinter sich die zeternde Stimme des Grafen Dracula: „Ich werde euch finden! Seid euch dessen gewiss! Keiner schnüffelt ungestraft in meinem Schloss herum!" Eduard beobachtete angespannt die Zugbrücke des Fledermausschlosses. Er war darauf gefasst, jeden Moment Alarm zu schlagen, wenn er den Grafen erblicken sollte. Aber bis auf das lauthalse Geschimpfe, das bald im Fahrtwind nicht mehr zu hören war, gab es keine Anzeichen dafür, dass der Graf versuchte sie einzuholen. Als sie das Schloss schon weit hinter sich gelassen hatten und am Himmel keine große Fledermaus aufgetaucht war, lehnte sich Eduard erleichtert zurück und verkündete: „Der Graf scheint uns nicht zu folgen. Wahrscheinlich ist es ihm zu riskant, das Schloss in der Morgendämmerung zu verlassen. Kann man ja auch verstehen, wenn man weiß, was ihm bei Sonnenlicht blühen würde."
„Aber er hat gesagt, dass er uns suchen wird", sagte Finn, der irgendwie immer noch nicht so recht daran glauben konnte, dass der Vampir lieber Gemüsesaft als Menschenblut trank. „Mach dir da mal keine Sorgen", beruhigte ihn Amalia. „Der weiß doch gar nicht, wie wir heißen und wo er uns finden kann. Lass ihn nur suchen, der findet uns doch nicht!" Vergnügt flog Amalia ein paar Schleifen und brüllte in die Wolken hinein: „Huhu, wir haben es geschafft!" Da fiel ihr etwas ein. Ruckartig drehte sie sich zu Eduard um. „Danke, Eduard", sagte sie. „Wofür bedankst du dich?", fragte Eduard erstaunt „Na, du hast mich vor Graf Dracula gerettet Wenn du nicht gewesen wärst dann wäre ich jetzt ein Gespenst das nicht mehr spuken kann", erklärte sie und wich dabei einem Baum aus, den sie zu spät gesehen hatte. „Oh, hob ich das?", fragte Eduard mit gespieltem Erstaunen. „Das muss wohl ein Versehen gewesen sein. Eigentlich wollte ich nur mich selber retten. Du weißt doch, Poltergeister denken immer nur an sich selbst". Auch wenn Eduard sich redlich bemühte, ein möglichst gleichgültiges Gesicht zu machen, konnte er nicht verbergen, wie stolz er darauf war, Amalia geholfen zu haben. Amalia musste leise in sich hineingrinsen.
„Auf jeden Fall war es ein tolles Abenteuer, das wir zusammen erlebt haben", meinte Finn gähnend. „Ich bin zwar totmüde, aber ich glaube, ich bin zu aufgeregt um zu schlafen!" Amalia betrachtete den Himmel, der langsam immer heller wurde. „Wir fliegen jetzt erst zu dir und laden dich ab. Dann fliegen Eduard und ich weiter zur Gespensterschule", informierte sie Finn. Plötzlich machte Eduard ein ganz trauriges Gesicht „Ach, ja, die Gespensterschule", stammelte er leise vor sich hin. Dann setzte er wieder eine gelangweilte Miene auf und erklärte laut: „Du brauchst mich nicht zur Gespensterschule mitzunehmen, Amalia. Ich will da gar nicht mehr hin!"
„Ich höre wohl nicht recht. Könntest du das, bitte, noch einmal wiederholen?", rief Amalia und legte sich wie eine schwerhörige Großmutter die Hand hinters Ohr. „Poltergeister mögen zwar gemein und hinterhältig sein, aber auch sie haben ihre Ehre. Und ich weiß, dass der Sieg nicht mein Verdienst ist, sondern eurer", verkündete Eduard, der stolz war, so ehrlich vor sich und den beiden anderen sein zu können. Hilfesuchend schaute Amalia Finn an, aber der verstand auch nicht, was plötzlich in Eduard gefahren war. „Nein, nein", wehrte Eduard mit erhobener Hand und heldenhafter Miene ab, „versucht nicht, mich umzustimmen. Ich habe gegen die Regeln verstoßen und ich habe mit unfairen Mitteln versucht, euch aufzuhalten." „Am Anfang hast du dich wirklich wie ein ver zogener Poltergeist aufgeführt", sagte Amalia. „Aber was wahr ist, muss auch wahr bleiben. Das Geheimnis haben wir gemeinsam gelöst, und deshalb wirst du mich zur Schule begleiten!" „Nein, kommt gar nicht in Frage", beharrte Eduard stolz auf seinem Standpunkt „Ich will nicht für etwas belohnt werden, das ich nicht selbst geschafft habe!" Das ist doch blanker Unsinn, Eduard", mischte Finn
Finn sich jetzt ein. „Weder Amalia noch ich hätten Graf Draculas Spezialmix probiert. Das heißt also, dass eigentlich du es warst, der das Geheimnis he rausbekommen hat" Eduard verschränkte die Arme vor der Brust und dachte angestrengt nach. Ja, wenn du das so siehst..." Eduard verzog den Mund zu dem altbe kannten hämischen Grinsen. „Ich wusste es schon immer, ich bin ein Genie. Poltergeister sind eben die besten..." „Du brauchst nicht gleich wieder zu übertreiben", versuchte Finn wütend, Eduards wieder auf flammenden Hochmut zu bremsen. „Wenn du uns nicht belauscht hättest, hättest du nie erfahren, wo das Fledermausschloss liegt. Und außerdem hätten wir das Geheimnis auch irgendwie allein geknackt!" Jetzt hört doch auf zu streiten!", stöhnte Amalia auf. „Es ist doch ganz klar, dass der Direktor uns beide aufnehmen muss. Und ich weiß auch schon, wie wir das machen. - Wir haben zwei Flaschen von Graf Draculas Spezialmix, also für jeden ein Beweisstück. Und wenn Eduard und ich dann auch noch gleichzeitig das Schulgebäude betreten, muss der Direktor uns beide aufnehmen!" „Famos, Amalia, ganz famos", lobte Eduard sie von oben herab. „Der Einfall könnte glatt von mir sein!"
erreicht Amalia hielt die Wäschetruhe vor Finns Zimmer in der Schwebe, damit Finn hinausklettern konnte. Er schwang sich aufs Fensterbrett und rief: Sie hatten jetzt Finns„Viel Zuhause Glück, ihr beiden! Und Bericht, ja?" Lächelnd nickte Amalia ihm zu und wendete. Finn kletterte in sein Zimmer und winkte den beiden hinterher, bis er die Wäschetruhe nicht mehr sehen konnte. Nachdem sie die Hälfte des Weges zur Ge morgen Nacht ihr mir fing Eduard an, spensterschule hintererstattet sich hatten, nervös hin und her zu rutschen. „Amalia", sagte er, „ich verspreche dir, dass ich nie wiedersagen werde, du wärst nur ein gewöhnliches Hausgespenst!" Und nach einem Moment fügte er noch ganz leise „Danke!" hinzu. Als Amalia die Wäschetruhe vor der Gespens terschule anhielt, krochen langsam die ersten Son nenstrahlen über die Wiese. Die beiden mussten im Schulgebäude verschwunden sein. bevor die Strahlen sie erreichten.
Sie standen vordem großen Eingangsportal, jeder mit einer Flasche Graf Draculas Spezialmix in der Hand. Amalia griff mit ihrer rechten Hand nach Eduards linker. „Na, dann wollen wir mal", sagte sie siegessicher. Sie blickte Eduard in die Augen und fragte: „Freunde?" lachte glücklich und rief begeistert: Eduard „Freunde!" Dann schwang das Tor auf und Amalia und Eduard betraten Hand in Hand die Gespensterschule. Sie verschwanden hinter der Tür, die leise ins Schloss fiel und auf der nun die Sonnenstrahlen tanzten.