Tatsachen 309
Hans Ahner
Zeppelin nordwärts
ISBN 3-327-00450-1 1. Auflage © Militärverlag der Deutschen Demokratisch...
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Tatsachen 309
Hans Ahner
Zeppelin nordwärts
ISBN 3-327-00450-1 1. Auflage © Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (VEB) - Berlin, 1987 Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Lektor: Rosemarie Trebeß Umschlaggestaltung: Hans Rade
Vor großer Fahrt Juli 1931. Die Luftschiffhalle Löwental zu Friedrichshafen blieb in diesem Monat für die sonst während der Liegezeiten des LZ 127 »Graf Zeppelin« üblichen Besichtigungen durch Touristen gesperrt. Etwas Ungewöhnliches schien sich anzubahnen. Doch in dem Bodenseestädtchen brauchte man nicht lange zu rätseln, auf welches Unternehmen der Luftriese vorbereitet wurde. Dafür sorgten die ausführlichen Berichte in den Zeitungen, und schließlich lebte man seit drei Jahrzehnten mit den Zeppelinen gewissermaßen auf Tuchfühlung. Die Älteren hatten noch die ersten Aufstiege der Zeppelinschen Luftschiffe, ihre Erfolge und auch ihre Niederlagen miterlebt, hatten dem neuen Luftriesen, dessen Bau im Frühsommer 1928 beendet und der am 9. Juli 1928 auf den Namen »Graf Zeppelin« getauft worden war, bei jeder Rückkehr von seinen Fahrten nach Nord- und Südamerika, nach der Schweiz, nach Italien und nach Ägypten zugejubelt. Vor zwei Jahren hatte »ihr« Zeppelin sogar die Erde umkreist und dabei 33 522 Kilometer zurückgelegt. Doch die bevorstehende Reise würde wohl alles Bisherige übertreffen: Man wollte sich in die Gefilde des ewigen Eises wagen. Noch nie war ein starres Zeppelin- Luftschiff in die Arktis vorgedrungen, obgleich sich der alte Graf Ferdinand von Zeppelin bereits 1910 mit einer solchen Fahrt beschäftigt hatte. Tropischen Regengüssen und Stürmen hatte der LZ 127 zwar bisher erfolgreich getrotzt, doch würde er sich in der Arktis mit ihren Nebelzonen, den Stürmen und Kältegraden behaupten können? Würde er sich überhaupt als brauchbares Luftfahrzeug bei der Erforschung der Arktis bewähren? Diese Frage beschäftigte vor allem die deutschen Besatzungsmitglieder. Sie hatten die Aufgabe, bei dieser Expedition das Luftschiff bis ins kleinste Detail unter arktischen Bedingungen zu erproben. Die sowjetischen Wissenschaftler hingegen hatten den Auftrag, bisher weitgehend unbekannte Gebiete, wie Franz-Joseph-Land, Nowaja Semlja, Sewernaja Semlja, die nördlichen Gebiete der Taimyr- Halbinsel und - wenn das Wetter günstig war - die Neu-Sibirischen Inseln zu erkun-
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den. Man würde Korrekturen der Karten von bislang ungenau erforschten Küsten und Inseln vornehmen, diese Gebiete vermessen und eventuell neues Land und neue Inseln entdecken. In wenigen Tagen könnten Ergebnisse erzielt werden, für die man auf herkömmliche Weise mit Schiffen, Hunden und Schlitten Monate, ja Jahre brauchte. Das außergewöhnliche Unternehmen machte umfangreiche Vorbereitungen notwendig. Im Interesse der wissenschaftlichen und der Pola rausrüstung mußte man mit jedem Kilo geizen. Deshalb wurden die Trennwände der 20 Passagiere fassenden Kabinen, die Edelholzverkle idung des eleganten Speise- und Aufenthaltsraumes sowie das gesamte Mobiliar, einschließlich der Betten, entfernt. Besatzung und Expeditionsteilnehmer erhielten Schlafsäcke. Es wurde ein wasserdichter Kabinenboden mit einer eingelassenen neuartigen 9linsigen ZeissWeitwinkel-Panorama-Kamera eingebaut, um damit die unbekannten Gebiete aerokartographisch aufnehmen zu können. Ein Objektiv dieser Kamera war genau senkrecht nach unten gerichtet, während die übrigen acht ringförmig um diese Linse mit starker Neigung zur Waagerechten angeordnet waren. Die Verzerrung der Aufnahmen würde daher nur gering sein. Die wissenschaftliche Aufgabenstellung machte auch den Einbau einer Ballonschleuse erforderlich. Auf dieser Reise sollten erstmalig in der Geschichte der Meteorologie Radiosonden zur Ermittlung von Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit, also zur Erforschung des Höhenwetters über der Arktis, von einem Luftfahrzeug aus aufgelassen werden. Das Luftschiff mußte auch auf dem Wasser niedergehen können. Deshalb wurde der übliche Landepuffer unter der Führer- und Passagiergondel gegen einen ähnlichen, jedoch schwimmfähigen ausgewechselt. Bei einer vorgesehenen Begegnung mit dem sowjetischen Eisbrecher und Forschungsschiff »Malygin« sollten Postsendungen ausgetauscht werden. Alle Vorbereitungen wurden ohne Hektik betrieben, und es blieb auch genügend Zeit, den umgebauten Kabinenboden mit dem neuen Schwimmer bei einer Probewasserung auf dem Bodensee zu prüfen. Inzwischen hatten sich in Friedrichshafen außer den 31 Besatzungsmitgliedern auch die 15 Expeditionsteilnehmer eingefunden, darunter der Arktisexperte Professor Rudolf Samoilowitsch, Direktor des Arkti-
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schen Instituts in Leningrad, der maßgeblichen Anteil an der Rettung der 1928 in der Arktis gescheiterten Nobile-Expedition durch den Eisbrecher »Krassin« hatte. Ihm oblag die wissenschaftliche Leitung der Expedition. Die Fahrtleitung hingegen übernahm der weltbekannte 62jährige deutsche Luftschiffkapitän Dr. Hugo Eckener, der bereits am 6. Februar 1911 das Luftschifführerpatent Nr. 10 erworben hatte und unter dessen Leitung seitdem die meisten bedeutenden Luftschiffahrten erfolgt waren; so unter anderem die Überquerung des Nordatlantiks durch einen deutschen Zeppelin, den LZ 126, im Oktober 1924. Zur sowjetischen Delegation gehörten außer Samoilowitsch der Aerologe Professor P. A. Moltschanow, der Erfinder der Radiosonde, die nun vom Luftschiff aus in den Äther geschickt werden sollte, Ingenieur Fjodor Assberg, ein Luftschiffexperte und erfahrener Arktisforscher, und der weltweit bekanntgewordene Funker und Kenner polarer Gebiete, Ernst Theodorowitsch Krenkel. Die deutsche Delegation setzte sich zusammen aus den Aerologen und Professoren Weickmann und Karolus, dem Generalsekretär der 1923 auf Initiative Fridtjof Nansens gegründeten Internationalen Gesellschaft zur Erforschung der Arktis mit Luftfahrzeugen »Aeroarctic«, Dr. Walter Bruns, dem Arzt Dr. Ludwig Kohl- Larsen, dem Aerogeodäten Dr.-Ing. Aschenbrenner und dem Dipl.-Ing. Basse. Den beiden letzteren oblag die Arbeit mit der Panorama-Kamera. Außerdem nahmen an der Fahrt der amerikanische Marineoffizier F. H. Smith und der Multimillionär Lincoln Ellsworth teil, der bereits bei mehreren Flügen in der Arktis dabeigewesen war - so zum Beispiel bei dem teilweise von ihm finanzierten Amundsen-Ellsworth-Nobile-Flug 1926 von Spitzbergen über den Nordpol nach Alaska. Ellsworth und Smith beabsichtigten, gemeinsam mit dem Schweden Dr. Ljungdahl erdmagnetische Beobachtungen durchzuführen. Da es die deutsche Reichsregierung ablehnte, zur Finanzierung der Zeppelin- Expedition beizutragen, steuerte Ellsworth abermals erhebliche Mittel bei. Den Hauptanteil leistete jedoch die sowjetische Regierung. Der Rest konnte durch 50 000 Sendungen Sammlerpost, die das Luftschiff an Bord nahm, aufgebracht werden. In der Presse war in den letzten Tagen vor dem Start ausführlich über
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die deutsch-sowjetische Arktisexpedition berichtet worden, man hatte Prognosen gestellt, Fahrtrouten angegeben, die einander widersprachen, und nicht zuletzt ließen mehrere Blätter nationalistische Töne laut werden, denn man liebte im Deutschland jener Zeit internationale Unternehmungen nicht sonderlich, schon gar nicht mit den »Russen«. Das Luftschiff »Graf Zeppelin« war in diesen Kreisen das metallgewordene Synonym für den deutschen Nationalismus geworden. Nach ihrer Ankunft in Friedrichshafen halfen alle Expeditionsteilnehmer beim Verladen der wissenschaftlichen Instrumente und Geräte, der Polarausrüstung und des Proviants. Bei einer solchen Reise mußte man durchaus damit rechnen, daß sie scheiterte. Deshalb wurde Proviant für vier Monate verstaut. Um für einen eventuellen Marsch über Eis und offenes Wasser gerüstet zu sein, wurden auch Kajaks, Schlitten, Kochgeräte, Werkzeuge, Waffen und Medikamente an Bord genommen. Am 23. Juli 1931 waren alle Fahrtvorbereitungen beendet. Rauschend strömte das Trag- und Brenngas in die je 17 Zellen aus Goldschläge rhaut, die in dem riesigen bis zu 30 Meter hohen Rumpf hingen. An den Zuleitungen bildeten sich Eiskristalle, die alsbald verdampften. Als das Luftschiff gefüllt war, wog man es mit Wasserballast aus und löste die Halteketten, mit denen ungefüllte Luftschiffe am Hallendach befestigt waren.
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Unterwegs nach Norden Am Freitag, dem 24. Juli 1931, nahm die Besatzung um 9.00 Uhr ihre Plätze ein. Die Expeditionsteilnehmer folgten ihr, und zuletzt stieg der Luftschifführer Dr. Eckener in die Führergondel, die er in den nächsten sieben Tagen, ebenso wie Professor Samoilowitsch, nur verlassen wü rde, um einige Stunden zu schlafen. Um 9.55 Uhr löste sich der silbergraue Luftriese, begleitet von den Jubelrufen der Zuschauer, majestätisch vom Boden. Wie immer beim Start bekamen einige der nahe stehenden Männer der Haltemannscha ften einen Schwall des Wasserballastes ab. Dröhnend setzten die fünf 12Zylinder-Maybach-Motoren ein, und langsam stieg das Luftschiff mit erhobenem Bug in »dynamischer« Fahr t empor. Ein solcher Aufstieg wird gewöhnlich beim Start oder sogenanntem schweren Schiff erforderlich, wenn die hebende Kraft des Gases allein nicht die gewünschte Wirkung zeigt. Um in solchem Falle steigen zu können, ist die volle Motorleistung bei gehobenem Bug notwendig, wodurch eine hebende Drachenwirkung erzielt wird. Ist das Schiff hingegen zu leicht und stellt sich durch Erwärmung des Traggases ein une rwünschter Auftrieb ein, senkt man den Bug durch das Tiefenruder und hält das Luftschiff mit Maschinenkraft in der gewünschten Höhe, um nicht Gas abblasen zu müssen und dadurch die Reichweite des Schiffes - ebenso wie bei übermäßigem Ballastabwurf - zu verringern. Befindet sich das Luftschiff jedoch im statischen Gleichgewicht, kann mit geringer Motorleistung gefahren und es können dabei sogar einzelne Triebwerke abgeschaltet werden. Das geschah während der Arktisfahrt dann auch häufig. Tief unter dem Luftschiff rollte die Dünung des Bodensees gegen die Hafenmauern. Die schwarzen Rauchfahnen der Dampfer zerflatterten in einer leichten Brise. Am Hafenbahnhof, auf den Promenaden und in den Kleinstadtstraßen winkten Tausende. Aus der Führergondel bot sich das märchenhafte Panorama der Schweizer Alpen. Der Kommandant und die Steuerleute kannten alle Gipfel: die Scesaplana, die Drei Schwestern, den Altmann, die hoch aufragenden Zacken des Säntis, den Tödli, 7
den Glärnisch und rechts in der Feme, kaum wahrzunehmen, den Rigi. Tief unter diesen Gipfeln duckten sich Dörfer und Weiler: Amriswill, Weinfelden, Bischofs zell, und wie sie alle hießen. Genau unter dem LZ 127 lag die Bucht von Manzell, von der einstmals im Jahre 1900 Graf Zeppelin mit seinem ersten Luftschiff aufgestiegen war. In knapp 300 Meter Höhe führte die Fahrt über Ulm und Nürnberg nach Berlin-Staaken. Hochsommerliches Wetter lag über dem Land. An Bord herrschte ausgelassene Stimmung. Einige Arktisneulinge ließen sich in der Polarbekleidung, die sie eigens dafür angelegt hatten, fotografieren. Die ausländischen Fahrtteilnehmer gaben sich der schönen Landschaft hin, die unter ihnen vorüberzog. Noch einmal wurden alle wissenschaftlichen Geräte geprüft.
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Luftschiffe über der Arktis Der deutsche Zeppelin LZ 127 war nicht das erste lenkbare Luftschiff, das in die Zonen des ewigen Eises vordrang. Sieht man vom unglückseligen Versuch des Schweden Andree ab, der 1897 mit seinen Begleitern Fraenkel und Strindberg in einem durch Hilfssegel und Leitseile völlig ungenügend lenkbaren Ballon von Spitzbergen zum Nordpol aufbrach, wobei er bei 82° 56' nördlicher Breite scheiterte, so darf der amerikanische Journalist Walter Wellmann das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, als erster Luftschiffer in der Arktis aufgestiegen zu sein. Man hat Wellmann gelegentlich - völlig unverdient - einen Scharlatan genannt, vielleic ht deshalb, weil er nach Art amerikanischer Journalisten seine Unternehmen schon vor Beginn sensationell in alle Welt hinausposaunte. Vor seinem ersten Aufstieg auf Spitzbergen erklärte er: »Wir sind die ersten, die versuchen, mit einem Luftschiff den Pol zu erreichen. Ob das Unternehmen glückt oder nicht, kann niemand voraussagen. Wenn es nicht gelingen sollte, so bleiben wir dennoch für alle Ze iten die ersten, die dieses Problem in Angriff genommen haben.« Einige erfolgreiche arktische Expeditionen hatte Wellmann zwischen 1894 und 1899 per Schiff sowie auf Skiern unternommen, so daß man ihm Erfahrung nicht absprechen konnte. 1906 ließ er in Paris das 60 Meter lange, unstarre Luftschiff »America« nach dem System Lebaudy bauen, mit dem er von der Dänen-Insel den Nordpol zu erreichen trachtete. Beide Versuche mit diesem zweimotorigen Luftschiff - 1906 und 1909 - scheiterten bereits nach kurzer Fahrt. Als Dr. Cook und Peary, was später umstritten wurde, inzwischen den Nordpol erreicht hatten, gab er weitere Versuche auf und wendete sich nunmehr dem Problem zu, mit einem Luftschiff den Atlantik zu überqueren. Doch auch das gelang ihm nicht. Nach Wellmanns Mißerfolgen begab sich im Sommer 1910 Graf Zeppelin in Begleitung des Meteorologen und Ballonfahrers Professor Hergesell nach Spitzbergen, um dort die meteorologischen Bedingungen für den Flug eines seiner Luftschiffe zu prüfen. An mehreren Stellen stiegen sie im Fesselballon auf. Nach ihrer Rückkehr veröffentlichte Hergesell in seinem Buch »Mit Graf Zeppelin nach Spitzbergen« die 9
sell in seinem Buch »Mit Graf Zeppelin nach Spitzbergen« die gewo nnenen Erkenntnisse. Demzufolge seien Zeppelinsche Luftschiffe prinzipiell für den Einsatz in arktischen Gefilden geeignet, doch seien ihre gegenwärtigen Leistungen, wie Geschwindigkeit, Zuladung, Reichweite und Fahrtdauer, für ein solches Unternehmen noch unzureichend. Nach Hergesells Auffassung und wahrscheinlich auch nach der des Grafen Zeppelin müßte ein solches Luftschiff eine Geschwindigkeit von mindestens 72 Kilometer pro Stunde und eine Fahrtdauer von 48 Stunden aufweisen, wollte es den Flug zum Pol erfolgreich absolvieren. Vermutlich verfolgte der alte Graf diesen Plan auch weiterhin und interessierte Dr. Hugo Eckener, den Mann, der sein Werk fortführen sollte, dafür. Aus Eckeners Tagebuchaufzeichnungen ist bekannt, daß er selbst in jenen Zeiten, in denen Deutschland kein eigenes Zeppelin- Luftschiff besaß, das war von 1920 bis 1928, dieses Vorhaben nicht aus den Augen verlor. Nach dem ersten Weltkrieg war die Luftschifftechnik so weit entwikkelt, daß man an eine Fahrt zum Nordpol denken konnte. Als erste bemühten sich amerikanische Luftschiffer, dieses Vorhaben zu verwirklichen. 1923 entstand in den USA das 207 Meter lange 61 300- m3 -StarrLuftschiff »Shenandoah« (indianisch: Sternentochter). Nach seinen ersten erfolgreichen Fahr ten plante man, mit ihm von Alaska über den Nordpol und zurück zu fliegen. Dieser Plan fand die Unterstützung des damaligen USA-Präsidenten Calvin Coolidge. Zunächst wurde das Luftschiff auf mehreren Langstreckenfahrten gründlich erprobt, doch als es schließlich im Sommer 1925 unter Leitung des später berühmten Arktis- und Antarktisfliegers Richard Evelyn Byrd seine große Polarreise antreten sollte, zog Coolidge seine Unterstützung ohne Begründung zurück und untersagte die Fahrt. Auf ihrer 57. Reise zerbrach die »Shenandoah« in der Luft in drei Teile und stürzte ab. Von den 43 Personen kam 14 ums Leben. Auch der berühmte norwegische Polarfahrer und Entdecker des Südpols, Roald Amundsen, bereitete eine Luftschiffexpedition vor. Seine Versuche, den Nordpol mit Flugzeugen zu erreichen, waren fehlgeschlagen. Vom norwegischen Aeroclub und dem Amerikaner Ellsworth finanziert, kaufte er in Italien das 106 Meter lange, halbstarre 19 000-
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m3 -Luftschiff N-1, das den Namen »Norge« erhielt. Sein Erbauer, der Italiener Umberto Nobile, sollte es steuern. Anfang Mai 1926 stand das Luftschiff in der Kingsbai auf Spitzbergen bereit zur Fahrt über den Nordpol. Doch am 9. Mai kam ihm jener Amerikaner Byrd, der bereits die »Shenandoah« führen sollte, zuvor. Gemeinsam mit Floyd Bennett flog er in einer dreimotorigen Fokker, ebenfalls von Kingsbai aus, zum Nordpol und zurück. Erst mehr als dreißig Jahre später stellte sich heraus, daß Byrd infolge eines Navigationsfehlers den Nordpol niemals erreicht hatte. Zwei Tage nach Byrds Flug stieg auch die »Norge« auf. Am 12. Mai erreichte sie tatsächlich den Nordpol und setzte die Fahrt über das gesamte Polarbecken hinweg bis zur Ortschaft Teller in Alaska fort. Die »Norge« war somit das erste Luftfahrzeug über dem Nordpol. Da es auf dieser Fahrt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem polarerfahrenen Amundsen und dem ehrgeizigen Nobile gekommen war, setzte der Italiener alles daran, eine eigene Polarexpedition auszurüsten. Im Mai 1928 stieg er mit dem Schwesterschiff der »Norge«, der ebenfalls halbstarren »Italia«, zu der ersten Fahrt von Kingsbai nach dem unerforschten Sewernaja Semlja auf. Nach sieben Stunden zwang ihn schlechtes Wetter jedoch zur Rückkehr. Die zweite Reise am 15. Mai verlief erfolgreicher, sie führte 68 Stunden lang über bis dahin unbekannte Gebiete, und beim dritten Flug erreichte er den Nordpol erneut. Allerdings havarierte das Luftschiff auf der Rückfahrt unter bis heute nicht geklärten Umständen bei 81° 20' nördlicher Breite und 20° östlicher Länge. Nobile und sechs seiner Gefährten wurden auf das Eis geschleudert, ein Mann kam dabei ums Leben. Nachdem die Führergondel abgerissen war, stieg das Wrack des Luftschiffes mit sechs Besatzungsmitgliedern wieder in die Luft und wurde niemals gefunden. Nach dieser Katastrophe setzte eine beispiellose internationale Re ttungsaktion ein, an der sich sechs Länder beteiligten. Dabei gelang es, unter maßgeblichem Einsatz des von Professor Samoilowitsch geleiteten sowjetischen Eisbrechers »Krassin« den überwiegenden Teil der Luftfa hrer zu retten. Auch Amundsen eilte mit einem französischen Latham-Flugboot zu Hilfe, doch der bedeutende norwegische Polarfo rscher kehrte von seinem Rettungsflug am 18. Juni 1928 nicht wieder
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zurück. Ebenso wie Amundsens Schicksal und das seiner Begleiter niemals aufgehellt wurde, blieben auch die Vorkommnisse um die NobileExpedition ungeklärt. Die Haltung Nobiles wurde später widersprüchlich dargestellt, wozu möglicherweise er selbst und andere Expeditionsteilnehmer durch ihre Berichte beigetragen haben mögen. In den folgenden Jahren stieg kein Luftschiff mehr in der Arktis auf, obwohl die »Aeroarctic« auch weiterhin daran interessiert blieb. Wie aus Tagebuchaufzeichnungen Dr. Eckeners hervorgeht, trug auch er sich mit dem Gedanken, eine Luftschiffahrt in die Arktis zu unternehmen, sie konnte aber zunächst nicht verwirklicht werden. Nun aber, im Juli 1931, war die deutsch-sowjetische ArktisExpedition angelaufen, und das Luftschiff »Graf Zeppelin« befand sich auf der Fahrt nach Berlin. Nach sechs Stunden ging es in Staaken nieder und wurde über Nacht am Landemast verankert. Die Ausrüstung wurde ergänzt. Traggas und Wasserballast mußten nachgefüllt werden, da Be rlin 400 Meter tiefer als Friedrichshafen liegt und das Luftschiff hier über einen um 4000 Kilogramm höheren Auftrieb verfügte. Den schönen Sommerabend verbrachten die 46 Fahrtteilnehmer bei einem gemeinsamen Abendessen im Freien, wo man Tische und Bänke aufgestellt hatte.
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Das Luftschiff »Graf Zeppelin« Am Sonnabend, dem 25. Juli 1931, sollte das Luftschiff aufsteigen, noch ehe die Sonne über den Horizont kriechen und das Traggas so erwärmen und damit ausdehnen würde, daß man davon wieder einiges durch die Überdruckventile würde abblasen müssen. Zudem hatten die »Wetterfrösche« einen sehr heißen Tag angekündigt. Das Schiff verfügte daher über sehr wenig freien Auftrieb, so daß es in Staaken von den kräftigen Armen der Haltemannschaften förmlich in die Luft gestoßen werden mußte. Daher stieg es mit der Kraft seiner fünf Motoren wiederum dynamisch auf. Die Reise führte über die Ostsee. Gegen 13.30 Uhr tauchte Gotland aus der in durchsichtigem Blau-Grün schimmernden See auf. Dünne weiße, geschwungene Linien verrieten den Betrachtern die Dünung. Eine Stunde später kreuzte der silbergraue Luftriese über dem altehrwürdigen Reval (heute Tallinn) mit seinen teils nadelspitzen und andererseits massigen mittelalterlichen Festungstürmen. Der Turm der Ola ikirche ragte fast bis zu dem tieffahrenden Luftschiff empor. »Graf Zeppelin« nahm Kurs auf den Finnischen Meerbusen, um der finnischen Hauptstadt Helsinki einen kurzen Besuch abzustatten. Zwar war dort keine Landung vorgesehen, doch die finnische Regierung hatte schon einige Male in Friedrichshafen um einen Besuch gebeten. Da Dr. Eckener diesem Wunsch bislang nicht nachkommen konnte, nahm er jetzt die Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher wahr. Den Fahrtteilnehmern bot sich aus 200 Meter Höhe ein zauberhafter Anblick der malerischen, von zahlreichen Inselchen umgebenen Stadt. Das Luftschiff zog einige Schleifen, und dann ging es der Sowjetunion entgegen. Jetzt besichtigten die Expeditionsteilnehmer in Begleitung wachfreier Besatzungsmitglieder das Luftschiff und erfuhren einiges über seine Entstehung, über Konstruktion und Ausrüstung. Um die Mitte der zwanziger Jahre hatte sich Dr. Eckener um den Neubau eines deutschen Zeppelins bemüht, der nicht für den kommerziellen Passagier- und Frachtdienst, sondern als Versuchs- und Forschungsluftschiff für einen späteren regelmäßigen Verkehr auf Lang13
strecken, insbesondere nach Übersee, vorgesehen werden sollte. Vergeblich hatte er mit der deutschen Reichsregierung verhandelt. Sie war nicht bereit, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Daher entschloß sich Eckener, das deutsche Volk aufzurufen, zum Bau des neuen Luftschiffes beizutragen. Die »Zeppelin- EckenerSpende« erbrachte 3,5 Millionen Reichsmark. Da diese Summe jedoch nicht ausreichte, stellte die Reichsregierung - offenbar beschämt durch die Spende des Volkes - das restliche erforderliche Geld nun doch noch zur Verfügung. So konnte 1927 der Bau des bislang größten Luftschiffes der Welt beginnen. Trotzdem war diese »Riesenzigarre« eine Kompromißlösung. Man konnte das Luftschiff nicht nach den vorliegenden Plänen bauen, sondern mußte es in Höhe und Länge der vorhandenen Halle in Friedrichshafen anpassen. Deshalb kam man den aerodynamischen Erfordernissen - Verhältnis von Länge zur Höhe - nur bedingt nach. So entstand ein 236,6 Meter langer Schiffskörper, dessen größter Durchmesser 30,5 Meter war. In 17 Gaszellen konnten 105 000 m3 Wasserstoffgas gespeichert werden. In der Mittelachse des Rumpfes sowie in seinem unteren Teil befanden sich vom Bug bis zum Heck zwei Laufgänge für die Mannschaften zur Bedienung und Überwachung des Schiffes. Als Antrieb dienten fünf 12-Zylinder-Maybach-Motoren von je 530 PS (400 kW) Leistung, die in einzelnen Gondeln unter dem Schiffskörper angebracht waren. Zwischen diesen Motorgondeln und dem Rumpf bestand ein Abstand von 2,5 Metern, damit eventuell austretendes Gas vom Fahrtwind weggeblasen und nicht durch Abgase oder Funken von den Motoren entzündet werden konnte. Um in die Motorgondeln zu gelangen, wurden vom Schiffskörper Aluminiumleitern ausgeklappt und verriegelt. Der Überstieg vom Schiff zur Gondel oder umgekehrt war auf diesen »windigen« Leitern natürlich nicht jedermanns Sache. Die Maschinisten mußten wegen des höllischen Lärms in den Motorgondeln alle zwei Stunden abgelöst werden. Die Triebwerke konnten sowohl mit einem Benzin-Benzol- Gemisch als auch erstmalig in der Geschichte der Luftschiffahrt mit einem Kraftgas, einer Zusammensetzung aus Kohlenwasserstoffen, betrieben wer-
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den. Das brachte gleichzeitig mehrere Vorteile: Da dieses Gas das spezifische Gewicht der Luft aufwies, nahm es keinen Einfluß auf den Auftrieb des Zeppelins, wie das bei der Verwendung des viel schwereren Benzin-Benzol-Gemisches der Fall war. Je mehr während der Fahrt von letzterem verbraucht wurde, um so leichter wurde das Schiff und zeigte das Bestreben, höher zu steigen, was wiederum zum Abblasen von Traggas führte. Während des Krieges glich man bei Überseefahrten diesen Gewichtsverlust aus, indem man über dem Wasser in umständlicher Prozedur Ballast aus der See aufnahm. Setzte man Kraftgas ein, mußte auf die Mitnahme des schweren Kraftstoffes ve rzichtet werden, und das filigrane Gerüst des Luftschiffes wurde so weniger belastet. Trotzdem wurde im LZ 127 bei jeder Fahrt eine kleine Sicherheitsreserve Benzin-Benzol-Gemisch mitgeführt. Gegen diese Neuerung hatte das deutsche Verkehrsministerium jedoch zunächst Bedenken erhoben, so daß das Kraftgas erst bei der dritten Fahrt des LZ 127 eingesetzt werden konnte. Auch dieses Gas war ebenso wie das Traggas - in 17 Zellen im unteren Rumpf gespeichert. Die Leermasse des Luftschiffes betrug 59 000 Kilogramm. Die Zuladung erreichte jedoch unter normalen atmosphärischen Bedingungen den kaum glaubhaften Wert von 30 000 Kilogramm. Mit 39 Besatzungsmitgliedern und 20 Passagieren sowie Post und Fracht betrug die Reichweite über 10 000 Kilometer. Eine solche Flugstrecke erreichten Flugzeuge erst viele Jahre später, von dem Verhältnis von Leermasse zu Zuladung gar nicht zu sprechen. Allerdings lag die Reisegeschwindigkeit des LZ 127 nur bei 100 bis 110 Kilometer pro Stunde. Als Höchs tgeschwindigkeit wurden 128 km/h ermittelt. An der vorderen Rumpfunterseite, dicht hinter dem Bug, befand sich die 30 Meter lange Führergondel, in der auch die Passagiere untergebracht waren. Im Gegensatz zu den Motorgondeln, die an einem Strebenwerk hingen, war sie direkt am Rumpf befestigt. In ihrem vorderen Teil lag der Steuerraum, aus dem von getrennten Steuerrädern, wie sie in Schiffen üblich sind, Höhen- und Seitenruder bedient wurden. Außerdem war sie mit den erforderlichen Bordgeräten sowie den Bedienungshebeln für die Gas- und Wasserventile (Ballast) ausgerüstet. Fielen diese Steuereinrichtungen einmal aus, konnte das Luftschiff auch
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durch einen Hilfssteuerstand aus der unteren Seitenflosse bedient werden. An den Steuerraum schlossen sich Funk- und Navigationsräume sowie eine elektrische Küche an. Dahinter lag der quadratische, der damaligen Zeit entsprechend mit Edelholz ausgekleidete Speise- und Aufenthaltsraum für 20 Passagiere. Von ihm führte ein Laufgang in den hinteren Teil der Go ndel, zu dessen beiden Seiten zehn Kabinen für jeweils zwei Passagiere lagen. Am 18. September war das Luftschiff, das als 117. in der Luftschiffwerft gebaut worden war, zu seiner ersten Fahrt aufgestiegen. Sie daue rte unter Führung von Dr. Eckener drei Stunden und 15 Minuten. Schon zwei Tage später erfolgte der zweite Aufstieg mit Pressevertretern an Bord. Er führte in neuneinhalb Stunden über 1000 Kilometer. Nach einigen weiteren Luftreisen stieg »Graf Zeppelin« am 10. Oktober 1928, drei Wochen nach seiner ersten Fahrt, zur Überquerung des Atlantiks nach Lakehurst (New York) auf. Obwohl die Bespannung einer Höhe nflosse bei einem heftigen Sturm über dem Ozean schwer beschädigt wurde, landete es planmäßig in den USA. Nun aber befand sich das Luftschiff LZ 127 als erstes in der Geschichte der Zeppeline auf dem Weg in die Arktis. Man kreuzte erneut, von Helsinki kommend, den Finnischen Meerbusen und näherte sich bei Narwa der sowjetischen Küste. Am Horizont erschienen, Mücken gleich, vier Punkte, die sich beim Näherkommen als sowjetische Flugzeuge erwiesen. Sie gaben dem Luftriesen bis Leningrad das Ehrengeleit. Dort landete er mit Hilfe von eigens für dieses Ereignis eingewiesenen Mannschaften und wurde sogleich an einem neu errichteten Ankermast festgemacht. Einige hunderttausend Zuschauer erlebten dieses erregende Schauspiel.
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Wie es zur Arktisexpedition kam Das einmalige Ereignis der Landung des »Graf Zeppelin« in Leningrad wurde mit einem Bankett gefeiert. Vertreter der Partei, des Stadtsowjets und Wissenschaftler begrüßten die Expeditionsteilnehmer und die Luftschiffbesatzung äußerst herzlich. Eckener dankte für die hervo rragende Unterstützung des Unternehmens durch die sowjetische Regierung und hob die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit als Notwendigkeit auf wissenschaftlich-technischem Gebiet hervor. In seiner Ansprache sagte er: »Wir freuen uns, in einem Land zu weilen, das ein soziales Experiment von welthistorischer Bedeutung anstellt und rastlos arbeitet, um das materielle und kulturelle Niveau der werktätigen Bevölkerung zu heben. Wir sind uns über die großen Erfolge im klaren, die die UdSSR trotz aller Schwierigkeiten erzielt hat.« Daß diese Worte keine bloße Höflichkeitsfloskel gegenüber den Gastgebern waren, sondern Eckeners innere Einstellung widerspiegelten, wird klar, wenn man sich mit der Persönlichkeit des weltbekannten Luftschiffkapitäns näher bekannt macht. 1868 in Flensburg geboren, studierte er in München und Leipzig Philosophie und Psychologie. Mit seiner Dissertation »Über Aufmerksamkeitsschwankungen bei geringen Sinnesreizen« promovierte er 1892 zum Dr. phil. Während seiner Militärzeit erhielt der junge Akademiker, der aus dem Bürgertum stammte, neue Impulse durch die Begegnung mit dem »gemeinen Mann«, wie er später schrieb. »Es werden dort soziale Probleme in Hülle und Fülle an einen herangetragen, wenn man nur halbwegs offene Augen und Ohren hat.« Vom Militär entlassen, wandte er sich daher dem Studium der Nationalökonomie zu, um später einmal auf diesem Gebiet Privatdozent zu werden. In dieser Zeit studierte er Werke wie »Rückblick aus dem Jahre 2000« von Edward Bellamy und August Bebels »Die Frau und der Sozialismus«. Als ihm deshalb sein Freund und späterer Schwager Friedrich Maaß, Herausgeber der »Flensburger Nachrichten«, seine Verständnislosigkeit ausdrückte, erwiderte Eckener: »Ich kann dich in dieser Hinsicht noch mehr erschrecken. Ich lese außerdem >Das Kapital< von Marx und die Schriften seines Freundes Engels. Engels, Bebel, Bellamy sind für mich 17
ten seines Freundes Engels. Engels, Bebel, Bellamy sind für mich Männer, in deren Gedankenwelt ich mich zurechtfinde, und du weißt doch, daß meine Ansichten von den herrschenden, rein kapitalistischen Te ndenzen in vielen Dingen abweichen; oft nicht nur das, sondern ihnen geradezu konträr laufen.« Bald begann Eckener, selbst ein Buch mit dem Titel »Die Mechanik des reinen Kapitalismus in ihren sozialen Auswirkungen« zu schreiben. Allerdings vollendete er nur ein Kapitel, da ihm das Luftschiff »dazw ischenkam«. 1905 wohnte Eckener als Journalist dem Aufstieg eines Zeppelins bei und schrieb darüber einen Beitrag in der »Frankfurter Zeitung«. Graf Zeppelin anerkannte die darin enthaltenen kritischen Vorschläge Eckeners und gewann ihn für die Mitarbeit. Von diesem Zeitpunkt an gehörte Dr. Eckeners Leben und Werk nur noch dem Zeppelin. Aber auch weiterhin bewahrte er sich seinen weltoffenen und später auc h antinationalistischen Geist. So erklärte er im Frühjahr 1925 vor Studenten der Prager Universität: »Wer Deutschland Gewalt predigt, predigt ihm seinen Untergang.« Diese und ähnliche Äußerungen brachten ihm immer wieder Anfeindungen aus nationalistischen Kreisen ein. Daß Dr. Eckener es im Jahre 1932 ablehnte, die Luftschiffhalle für eine Großkundgebung Hitlers zur Verfügung zu stellen, trug ihm keineswegs die Zuneigung der Faschisten ein, und es versteht sich fast von selbst, daß er trotz internationaler Anerkennung 1935 bei der Gründung der Deutschen Zeppelin- Reederei »kaltgestellt« wurde; indem man ihn auf Geheiß Görings zu ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden berief. Damit nutzten die Faschisten seinen Namen, obwohl ihm selbst jeder Einfluß auf den Einsatz des »Graf Zeppelin« und weiterer künftiger Luftschiffe genommen wurde. Von diesem Zeitpunkt an verschwand Dr. Eckener mehr und mehr in der »Versenkung«. Er starb am 14. August 1954 im Alter von 86 Jahren. Kurz vor seinem Tode lief sein Name jedoch noch einmal um die Welt, als er sich als Ehrenpräsident zur Vorbereitung der IV. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Völkerfreundschaft zur Verfügung stellte. Damit zog er sich den Unwillen der damaligen Regierung Adenauer zu. Auf den Vorwurf, ein kommunistisches Jugendtreffen zu unterstützen, erklärte er unmißverständlich: »Es scheint mir
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ein guter Gedanke zu sein, daß die sportliebende und besonders tatkräftige Jugend aus aller Welt sich in einem großangelegten Zusammentreffen bei Sport und Spie l - einer Art Jugendolympiade - begegnet und untereinander ausspricht, auch und gerade über politische und weltanschauliche Fragen.« Der welterfahrene und historisch weitsichtige Luftschiffpionier protestierte außerdem in einer Denkschrift an den Präsidenten des Bundestages gegen die Lesung der Pariser Verträge, mit denen die Aufstellung der Bundeswehr und ihr Weg in die NATO festgeschrieben wurden. Eckeners fortschrittliche Einstellung wird außerdem durch seinen persönlichen Einsatz bei der Befreiung des BRD-Friedenskämpfers und ehemals weltbekannten Mercedes-Autorennfahrers - des heutigen Präsidenten des Olympischen Komitees der DDR - Manfred von Brauchitsch manifestiert. Mit Recht trägt jetzt ein Flugsicherungsschiff der NVA den Namen »Hugo Eckener«. Es ist heute nicht genau bekannt, wie es zu der gemeinsamen deutschsowjetischen Luftschiffexpedition in die Arktis kam, doch man geht wohl in der Annahme kaum fehl, daß Dr. Eckener an ihrem Zustandekommen einen entscheidenden Anteil hatte. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen ist ersichtlich, daß er sich schon lange mit einer Arktisfahrt des Zeppelins beschäftigte. Dieses Vorhaben dürfte er mit großer Wahrscheinlichkeit vom alten, 1917 verstorbenen Grafen Ferdinand von Zeppelin übernommen haben. Bereits 1923/24 traf er mit dem nach seiner Ansicht damals erfahrensten Polarforscher, Roald Amundsen, zusammen, um mit ihm eine Arktisfahrt im Zeppelin zu erörtern. Doch Amundsen machte kein Hehl daraus, daß er bei einer arktischen Flugexpedition dem Flugzeug den Vorzug gab, obwohl er seinen Plan, 1922/23 den Nordpol von Alaska her nach Spitzbergen zu überfliegen, aufgeben mußte. Sein zweiter Versuch im Jahre 1925, den Nordpol von Spitzbergen mit zwei Dornier-Wal-Flugbooten zu erreichen, scheiterte ebenfalls. Daraufhin kam es zu einer erneuten Begegnung zwischen Eckener und Amundsen, der sich nun doch für ein Luftschiff entschieden hatte. Als in Deutschland bekannt wurde, daß sie eine gemeinsame Arktisfahrt planten, stieß Eckener auf die Ablehnung nationalistischer
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Kreise. Dort erinnerte man sich, daß Amundsen 1917 nach der Versenkung eines neutralen norwegischen Schiffes durch die deutsche Kriegsmarine sämtliche ihm vom deutschen Kaiser verliehenen Orden an den deutschen Botschafter in Norwegen mit folgendem Schreiben zurückgegeben hatte: »Ich werde diese Auszeichnungen niemals mehr tragen, weil der, der sie verliehen hat, mir Schrecken und Verachtung einflößt. Ich lege keinen Wert auf diese Orden.« Eckener konterte auf die feindseligen Äußerungen in Deutschland in deftiger Weise: »Es braucht ja nur ein Esel in die nationalistische Trompete zu stoßen, um des Erfolges sicher zu sein.« Eine Arktisfahrt mit dem Luftschiff wäre zu diesem Zeitpunkt aber auch gar nicht möglich gewesen, da es in Deutschland keinen Zeppelin gab. Als dann das Luftschiff »Graf Zeppelin« zur Verfügung stand, ve rsuchte der Gründer und Präsident der »Aeroarctic«, Fridtjof Nansen, es für eine Polarfahrt zu erhalten. Man wollte im II. Internationalen Pola rjahr 1932/33 eine Luftschiffahrt zum Nordpol unternehmen. 1930 starb Nansen, und als Nachfolger des Präsidenten der »Aeroarctic« wurde Dr. Eckener gewählt. Zu der geplanten Expedition 1932/33 sollte es trotzdem nicht kommen. Als 1929 die Sowjetregierung dem Zeppelin die Überfluggenehmigung der Sowjetunion beim Weltflug erteilte, ersuchte sie um einen Besuch des Luftschiffes in Moskau. Dieser konnte jedoch aus meteorologischen Gründen nicht verwirklicht werden, da vom Kaspischen Meer ein umfangreiches Tiefdruckgebiet nach Norden zog und das Luftschiff ins Leningrader Gebiet ausweichen mußte. Aber am 10. September 1930 stattete der Zeppelin dann doch der sowjetischen Hauptstadt einen Besuch ab. An Bord befanden sich damals außer 19 Besatzungsmitgliedern 23 Passagiere. Ehe »Graf Zeppelin« um 12.05 Uhr auf dem Chodynkafeld landete, kreuzte er zwei Stunden lang in etwa 150 Meter Höhe über dem Häusermeer Moskaus. Die Straßen Moskaus waren schwarz von Menschen, die dem deutschen Luftriesen zujubelten. Sehr wahrscheinlich sind im Verlaufe dieses Besuches Absprachen zu einer gemeinsamen deutsch-sowjetischen Arktisfahrt getroffen worden. Offensichtlich gibt es aber darüber keine Tagebuchaufzeichnungen bei Dr. Eckener. Auch die Fahrtteilnehmer, die später Bücher und Zeitschrif-
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tenaufsätze über die Expedition veröffentlichten, machten darüber keine Angaben.
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Kurswechsel Abermals nun hatten sich Tausende versammelt, als sich das Luftschiff am Sonntag, dem 26. Juli 1931, um 8.05 Uhr in Leningrad unter den Klängen einer Matrosenkapelle majestätisch in die Luft erhob. Hier waren noch Schinken, Preßkaviar und Mineralwasser als Geschenk sowjetischer Freunde an Bord gekommen, und nun ging »Graf Zeppelin« mit Betriebsmitteln für 105 Stunden auf große Fahrt in die Arktis. Am Abend vorher schien es, daß die Reise um einen Tag verschoben werden müßte, denn die Wettermeldungen hörten sich nicht gut an. Doch über Nacht hatte sich die Lage gebessert. In 300 Meter Höhe überquerten die Arktisfahrer die riesige Fläche des Ladogasees, danach folgte der Onegasee, an dessen Ufern große ovale Flöße lagen, die aus der Luft wie überdimensionale Lotosblätter wirkten. Später rückten die Tundra und mächtige Flüsse ins Blickfeld. Bis Archangelsk betrug die Außentemperatur erstaunlicherweise 20 Grad Celsius, aber von dieser Stadt an fiel sie merklich ab. Archangelsk an der Nördlichen Dwina, die in das von Mai bis Oktober eisfreie Weiße Meer mündet, erreichten sie um 16.00 Uhr. Wohin das Auge auch blickte, überall nur Holz. Baumstämme bedeckten die Mündung, lagerten an den Inselchen. Auf dem Festland befanden sich Holzlagerplätze, Sägewerke und natürlich Holzhäuser. Noch während das Luftschiff eine Ehrenschleife über der Stadt zog, empfing der sowjetische Funker Krenkel Wettermeldungen aus nördlichen Regionen. Während dieser Fahrt konnte er sich nur auf wenige Funkstationen stützen. Sie befanden sich auf Spitzbergen, der Hooker-Insel (FranzJoseph-Land), auf Nowaja Semlja und Dickson an der JenissejMündung. Ernst Krenkel kannte sich in diesen Gefilden aus. Er hatte schon vier Jahre auf Franz-Joseph-Land und Nowaja Semlja gearbeitet. Die Wettermeldungen verhießen nichts Gutes. Von Spitzbergen erstreckte sich über Franz-Joseph-Land und Nowaja Semlja bis zur Karasee ein arktisches Tiefdruckgebiet mit stürmischen Winden aus Nordwest bis West, das nach Osten wanderte. Dr. Eckener entschied sofort, die ursprünglich geplante Route nach dem noch unerforschten Sewerna22
ja Semlja und weiter nach den Neu-Sibirischen Inseln und zurück über Nowaja Semlja nach Franz-Joseph-Land in umgekehrter Richtung zu fahren. So nahm das Luftschiff über Archangelsk direkten Kurs nach Norden in Richtung Franz-Joseph-Land. Eckener war der Ansicht, daß bis zum Eintreffen des Zeppelins über diesem Archipel das Tiefdruckgebiet nach Osten abgezogen sei und günstiges Wetter herrschen würde. Er sollte recht behalten. Auch auf der weiteren Fahrt schätzte der erfahrene Luftschiffkapitän die Wetterentwicklung immer richtig ein. Wenn es erforderlich wurde, ließ er das Schiff mit allen fünf Motoren Schlechtwetterzonen davonlaufen, oder er verlangsamte im umgekehrten Falle die Fahrt, so daß es sich gelegentlich nur mit zwei Motoren vorwärts bewegte. Eckeners nunmehrige Entscheidung führte jedoch dazu, daß es zu der geplanten Begegnung und dem Postaustausch mit dem Eisbrecher »Malygin« im Franz-Joseph-Archipel nun schon am folgenden Nachmittag kommen würde. Dazu mußten sehr rasch die 50 000 Sammler-Postsendungen abgestempelt werden. Alles, was an Bord nicht mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt war, half dabei. Die Passagierkabine des Luftschiffes verwandelt e sich für die nächsten Stunden in ein fliegendes Postamt. Die Außentemperatur sank merklich, doch die elektrische Heizung verbreitete in der Kabine behagliche Wärme,. Um 20.25 Uhr überquerte das Luftschiff den Polarkreis. Aus diesem Anlaß gab es ein kleines Festmahl, und die postalische Tätigkeit wurde für kurze Zeit unterbrochen. Mit diffusem Zwielicht brach die erste Polarnacht herein. Gegen Mitternacht schimmerte in der Ferne das einsame Licht eines Leuchtturms. Rechts schwamm die Westspitze der verschneiten Halbinsel Kanin vorüber, und damit erreichte »Graf Zeppelin« die sich von der europäischen Nordküste bis Spitzbergen, Franz-Joseph-Land und Nowaja Semlja ausdehnende Barentssee. In ihrem westlichen Teil bleibt sie unter dem Einfluß des Golfstroms ständig eisfrei, sofern nicht gelegentlich aus nördlichen Zonen driftendes schmelzendes Treibeis auftritt. Als die Luftfahrer die See erreichten, war weit und breit kein Eis zu sehen, doch im konturenlosen Zwielicht erkannte man aus der Führergondel das östlich ziehende Tiefdruckgebiet mit seinen Wolkenbänken. Bald trommelten Böen auf das in 200 Meter Höhe 23
trommelten Böen auf das in 200 Meter Höhe fahrende Schiff, doch die Thermometer zeigten an, daß eine Vereisung des mächtigen Schiffskörpers nicht zu befürchten war. Sie hätte die Weiterfahrt unmöglich gemacht, weil die tonnenschwere Eislast das Schiff in die Tiefe drücken würde. Regen prasselte gegen die Kabinenscheiben, und das Schiff kam bei diesem Wind nur noch langsam voran. Kräftig aus Nordwest blasend, drehte der Wind im Laufe der Nacht auf Nord. Diese Tatsache zeigte an, daß das Tief - wie es Eckener richtig eingeschätzt hatte - nach Osten abzog. Ohne daß es dunkel wurde, vollzog sich der Übergang zum neuen Tag, dem 27. Juli. In den Morgenstunden breitete sich eine niedrige Nebelschicht über der See aus, die jedoch tief unter dem Luftschiff blieb. Riß sie gelegentlich einmal auf, war das immer noch eisfreie Meer zu sehen. Gegen 11.00 Uhr nahm Krenkel die erste Funkverbindung mit der in der Bucht Tichaja - Stille Bucht - der Hooker-Insel im Franz-JosephLand vor Anker gegangenen »Malygin« auf. Ihm gelang auch eine Verbindung zu dem norwegischen, ehemals britischen Forschungsschiff »Quest«. Bald tauchte unter den vereinzelten Nebelbänken das erste Eis auf. Würde der Nebel bis zur Ankunft bei Franz-Joseph-Land weichen? Eckener war zuversichtlich. Sein Vertreter an Bord, Luftschiffkapitän Ernst Lehmann, und auch Eckeners Sohn Knud, der als Diplomingenieur für die Technik des Luftschiffes verantwortlich war, stimmten ihm zu. Diese drei erfahrenen Zeppelin- Leute kannten sich im Wettergeschehen aus, und sie behielten auch diesmal recht. Am Nachmittag verlangsamte der Luftriese plötzlich die Fahrt, und bald schwebte er antriebslos in der Luft. Die vierflügligen Luftschrauben der Motoren waren zur Ruhe gekommen. Ein grotesker Anblick bei einem Luftfahrzeug. Gab es einen Grund dafür?
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Die Radiosonde Das erste große Experiment dieser Reise begann. Natürlich waren die Wissenschaftler seit dem Start in Leningrad nicht untätig gewesen. Professor Weickmann hatte beispielsweise schon mehrere Male Luftproben auf die Anzahl von Staubpartikelchen untersucht, und er war zu überraschenden Ergebnissen gelangt: Die Luftverschmutzung nahm nach Norden hin ständig ab. So lag sie über Sewernaja Semlja 173mal niedriger als über Leningrad. Doch das jetzige Experiment verfolgten alle Fahrtteilnehmer mit besonderer Spannung. Würde es gelingen? Ein mit 5 m3 Wasserstoffgas gefüllter Ballon mit einem zwei Kilogramm schweren Gerätesatz, der Radiosonde, zu der ein Kurzwellensender und Meßinstrumente gehö rten, fiel aus der Ballonschleuse an der Unterseite des Luftschiffes. Zunächst stürzte er nach unten, weil man ihn, damit er vom Luftschiff freikam, mit einem Sandsack beschwert hatte. In gehörigem Abstand vom »Graf Zeppelin« kappte eine automatische Vorrichtung den Sandsack. Damit wurde gleichzeitig der Sender in Betrieb gesetzt. Sofort begann der Ballon mit der Sonde im Schlepp zu steigen und entschwand den Blicken. Von nun an sendete die Radiosonde aus verschiedenen Höhen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck. Das hatte es in der Geschichte der Meteorologie noch nie gegeben. Obwohl man bei früheren Freiballonaufstiegen gegen Ende des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert bereits Messungen in der Luft vorgenommen hatte, erwiesen sich diese in den meisten Fällen als unzuverlässig und ermöglichten keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der oberen Atmosphäre. Erst mit der Entwicklung der Aerologie, einem neuen Teilgebiet der Meteorologie, Ende des 19. Jahrhunderts erhielt man genaueren Aufschluß darüber. Mit der Entwicklung der Funktechnik gelang dann ein großer Sprung nach vorn. In der Sowjetunion entwickelte Professor Moltschanow die nach ihm benannte Radiosonde. Ende Januar 1930 war ihm am Pawlowsker Observatorium bei Leningrad erstmals in der Welt der Aufstieg einer solchen Sonde gelungen. Von nun an war es möglich, die Bescha f25
fenheit der oberen Atmosphäre bis zu 30 Kilometer Höhe zu erkunden. Gegenwärtig werden täglich auf allen Meeren und Kontinenten von etwa 600 Aufstiegsorten derartige Radiosonden aufgelassen. Der Meteorologische Dienst der DDR verfügt über vier solcher Stellen, und zwar in Greifswald, in Lindenberg bei Beeskow, in Wahnsdorf bei Dresden und in Meiningen. Die Radiosonden steigen viermal täglich, um 0.00 Uhr, 6.00 Uhr, 12.00 Uhr und um 18.00 Uhr, auf und übermitteln die Ergebnisse direkt an die Zentrale Wetterdienststelle in Potsdam. Nach dem Platzen des Ballons kehren die wiederverwendbaren Radiosonden am Fallschirm zur Erde zurück. Der erste Aufstieg einer Sonde von einem Luftfahrzeug, dem »Graf Zeppelin«, wurde ein voller Erfolg. Die Professoren Moltschanow und Weickmann konnten mit einem Kurzwellenempfänger die Signale der Radiosonde bis zu einer Höhe von 16 300 Metern empfangen. Bei weiteren Aufstiegen während dieser Expedition wurden noch größere Höhen erreicht, so daß zum ersten Male umfangreiche Werte für die Bestimmung des Höhenwetters und seiner Entwicklung über arktischen Gebieten gewonnen werden konnten.
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Begegnung mit dem Eisbrecher »Malygin« Der von Krenkel aufgenommene Funkverkehr zwischen dem Eisbrecher »Malygin« riß nun nicht mehr ab. Als sie am Nachmittag den 78. Breitengrad erreichten, besserte sich die Sicht zusehends. Auf dem blaugrünen Meer tauchte die Packeisgrenze auf. Weiß und unerschlossen erstreckte sich diese Fläche bis zum Horizont. Eisberge und Eisschollen in mannigfaltigsten Formen zogen unter dem Luftriesen vo rüber. Das Krachen und Tosen der sich ablösenden Schollen drang bis zum Luftschiff herauf. Bald rückten die vereisten Flüssen ähnelnden Gletscher und die bis zu 620 Meter aufragenden Berge Franz-JosephLands ins Blickfeld. Der aus 187 Inseln bestehende Archipel - die meisten sind das ganze Jahr über vom Eis bedeckt - wurde 1873 durch die österreichisch-ungarische Arktisexpedition unter Leitung von Payer und Weyprecht entdeckt. Man benannte ihn nach dem damaligen Kaiser Franz Joseph. Dr. Eckener beabsichtigte, in der Tichaja-Bucht möglichst nahe bei der »Malygin« niederzugehen. Er hatte den Eisbrecher bereits entdeckt, und das Luftschiff zog eine weite Schleife über der Bucht. Vorsichtig setzte es gegen 17.30 Uhr auf dem kristallklaren, wenn auch nicht von Eisschollen freien Wasser auf. Die Schollen würden wohl kaum eine Gefahr bilden. Sofort wurden zwei Schwimmanker ausgeworfen, da aus der Luft leichte Strömungen zu erkennen waren. Die Arktis hielt ständig Überraschungen bereit! Während Bootsmann Schönherr im Zeppelin ein Schlauchboot kla rmachte, löste sich vom Eisbrecher bereits ein Boot. Rasch kam es näher. Luftschiffkapitän Ernst Lehmann schrieb später: »Ein Mann mit Pelzmütze steht hochaufgerichtet im Heck, ich erkenne durch das Fernglas den unglückseligen Mobile. Das Boot legt sich jenseits unserer Führergondel, wir reichen die für den Dampfer bestimmten Postsäcke und Fotos hinaus. Eine Hand streckt sich Nobile entgegen: die seines Polgefährten Ellsworth, der an unserer Forschungsreise teilnimmt. Beide sind sichtlich ergriffen, auch wir anderen fühlen die Tragik des Italieners, mit dem wir in Friedrichshafen so manches Fachgespräch geführt haben 27
...« Nobile hatte nach seiner gescheiterten Expedition Italien verlassen und war in die Sowjetunion gegangen. Und weiter schreibt Lehmann: »Die Eisschollen kommen gleich neugierigen Eisbären näher, Eckener wird unruhig, weil der Puffer auf dem wir schwimmen, nicht viel ve rtragen kann ...« Zu den vorgesehenen Freundschaftsbesuchen kam es deshalb nicht mehr. Alles mußte nun schnell gehen. Schon schossen die ersten Scho llen am Luftschiff vorbei, verschwanden unter seinem Rumpf. Einige Händedrucke, dann stieg der Zeppelin nach kaum 15 Minuten mit dröhnenden Motoren wieder auf. Sirenengeheul von der »Malygin«, Tüche rschwenken aus dem Luftschiff, noch eine Ehrenrunde über dem Eisbrecher, und dann ging es im Licht der Abendsonne quer über FranzJoseph-Land hinweg. Professor Samoilowitsch wich nicht aus der Führergondel. Was da unter ihm vorbeizog und für die Besatzungsmitglieder nichts als simples Eis war, gewann für ihn eine unschätzbare Bedeutung. Dr. Aschenbrenner und Diplomingenieur Basse arbeiteten unaufhörlich mit der Panorama-Kamera; kein Zipfelchen Land, kein Sund, keine Scholle entging ihren Objektiven. Schon vor der Begegnung mit der »Malygin« hatten sie, sobald sich der Nebel aufgelöst hatte, unter Samoilowitschs Leitung die südlichen Inseln von Franz-Joseph-Land aufgenommen. Dabei zeigte sich, daß die bisherigen Karten nicht stimmten. Inseln waren als Halbinseln eingezeichnet und umgekehrt. Alle vorhandenen kartographischen Unterlagen Franz-Joseph-Lands gingen immerhin noch auf die Expedition von 1873 zurück und waren seitdem nicht mehr korrigiert worden. Trotzdem hielten es die Luftschiffer für eine beachtliche Leistung, was die österreichisch- ungarische Expedition damals mit beschränkten Hilfsmitteln zustande gebracht hatte. Bald nach der Begegnung mit der »Malygin« stieg das Luftschiff auf 1100 Meter Höhe, um einen Überblick über das gesamte Gebiet zu gewinnen. Über dem Britischen Kanal stehend, überblickten die Luftfahrer den Archipel vom Kap Flora im Süden bis Kap Fligely im Norden und von Alexandra-Land im Westen bis zum Graham-Bell- Land im Osten. Samoilowitsch verglich unermüdlich die Karten mit den wirklichen
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Verhältnissen und vermerkte Notizen auf ihnen. Manchmal ließ er umkehren, um Detailaufnahmen zu machen. Dann ging das Luftschiff bis auf 100 Meter hinunter, und abermals setzte ein großes Fotografieren ein. Nicht nur die Panorama-Kamera arbeitete, auch aus den Kabine nfenstern heraus wurden mit Handkameras Aufnahmen gemacht, um die Beschaffenheit der Oberfläche, der Berge, der Gletscher und Eisfelder festzuhalten. Kein noch so kleines Inselchen entging den Forschern und den Objektiven ihrer Kameras. Unter anderem stellten sie fest, daß die an der westlichen Küste auf den Karten verzeichneten Inseln AlbertEduard und Garmsworth überhaupt nicht existierten. Nun drehte das Luftschiff nach Norden ab und nahm um 2.30 Uhr Kurs auf Kap Fligely, den nördlichsten Punkt Franz-Joseph-Lands. Im Lichte der Mitternachtssonne wirkte die bizarre Eislandschaft mit ihren Inseln, Bergen und Sunden geisterhaft. Die Jackson-Insel, auf der einstmals Nansen und sein Begleiter Johansen in einer Steinhütte einen langen arktischen Winter verbrachten, glitt unter dem Schiff vorüber, das sich mühelos seinen Weg über das Polargebiet bahnte. Um Mitternacht lag Kap Barok unter dem »Graf Zeppelin«. An Bord legte man ein kurzes Gedenken an den russischen Polarfahrer Georgi Jakowlewitsch Sedow ein, der 1914 nahe der Rudolf-Insel sein einsames Grab fand, als er sich mit Hunden und Schlitten auf den Weg zum Nordpol gemacht hatte. Dreißig Minuten später erreichte der Luftriese bei 81° 50' nördlicher Breite den nördlichsten Punkt der Fahrt, und die letzten Eilande von Franz-Joseph-Land, die Liv- und die Eva-Insel, die Nansen 1895 nach wochenlanger Eiswanderung erreicht hatte, wurden überquert. Als die Sonne am tiefsten Punkt über dem Horizont stand und der 28. Juli 1931, der fünfte Tag dieser Expedition, anbrach, schlug das Luftschiff östlichen Kurs ein.
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Unbekanntes Sewernaja Semlja Der Zeppelin fuhr nun über eine Strecke von 600 Kilometern am 81. Breitengrad entlang, auf dem man die Nordspitze von Sewernaja Semlja - Nordland - zu erreichen beabsichtigte. Über diese Insel, 1913 von der Expedition des russischen Kapitäns Wilkizki bei dem Versuch, den Nördlichen Seeweg von Wladiwostok aus zu bezwingen, entdeckt, war nicht viel bekannt. Damit wurde zugleich die Auffassung widerlegt, wonach Kap Tscheljuskin, der nördlichste Punkt des asiatischen Festlands, in das landfreie Polarmeer vorstößt. Die Meerenge zwischen der dem Kontinent vorgelagerten Insel erhielt den Namen ihres Entdeckers: Wilkizki-Straße. In der Zwischenzeit war Sewernaja Semlja so gut wie überhaupt nicht erforscht worden; erst jetzt, als sich das Luftschiff auf dem Wege nach dem jungfräulichen Nordland befand, bemühte sich seit Jahresfrist eine sowjetische Expedition, unter Leitung von Professor Urwanzew und der Polarforscherin Nina Demme, die Rätsel des geheimnisvollen Landes zu entschleiern. Die Teilnehmer der Luftschiffexpedition beabsichtigten eine Begegnung mit dieser Gruppe. In Leningrad hatte die Frau des Forschers ein Paket mit Büchern, Zeitungen und frischem Obst an Bord gegeben, das über dem Basislager Urwanzews abgeworfen werden sollte. Auf der Fahrt nach Nordland schlief keiner der an Bord befindlichen Wissenschaftler, galt es doch, unentwegt nach neuen Inseln Ausschau zu halten. Auch bemühten sie sich, nach Spuren des seit drei Jahren verschollenen Norwegers Roald Amundsen zu suchen und Reste des Nobile-Luftschiffes »Italia« aufzufinden, obgleich das in diesen Gefilden wenig wahrscheinlich erschien. Während dieses Fahrtabschnitts stieg das Luftschiff bald auf, bald ab, um eine während der letzten Tage getroffene Feststellung zu erhärten: Die Wissenschaftler hatten herausgefunden, daß zwischen 100 und 1200 Meter Höhe, entgegen allen physikalischen Gesetzen, eine gleichbleibende Temperatur von 7 Grad herrschte. Daraus schlossen sie, daß sich über dem Polarmeer unter dem Einfluß der Sommersonne ein Wärmepolster ausbreitete, von dem man bisher nichts gewußt hatte. Da aber bekannt war, daß sich die arktischen 30
Schlechtwetterzonen meistens in den Übergangsgebieten vom Festland zum Polarmeer bewegen, glaubte man nun, auch die günstigsten Wege für die Luftfahrt über der Arktis gefunden zu haben. Neben den Meteorologen blieben auch die Physiker nicht untätig. Schon seit der Abfahrt in Friedrichshafen führten der schwedische Wissenschaftler Dr. Ljungdahl und die Amerikaner Ellsworth und Smith unentwegt erdmagnetische Beobachtungen durch. In jeder Stunde registrierten sie 20 Minuten lang die Schwingungen des sogenannten Doppelkompasses. Ganze Hefte füllten sie mit den gewonnenen Angaben, die für Schiff- und Luftfahrt größte Bedeutung besaßen. Von Zeit zu Zeit unterbrach das Luftschiff auch auf diesem Abschnitt seine Fahrt, um die Radiosonden Professor Moltschanows aufzulassen. Schon jetzt stand fest: Diese internationale Arktisexpedition brachte eine Fülle ne uer Erkenntnisse für die Wissenschaft. Welche Opfer hatten frühere, erdgestützte Expeditionen bringen müssen, um auch nur einen kleinen Teil der Arktis zu entschleiern! Das Luftschiff hingegen eilte mühelos dahin; trotzdem zweifelten alle Fahrtteilnehmer von Anfang an nicht daran, daß auch diese Reise ein ungeheures Risiko darstellte. Wußte man, ob der mächtige Flugkörper, der den Stürmen eine riesige Angriffsfläche bot, den Gewalten der Natur standhalten könnte? Noch war allen das Schicksal der Nobile-Expedition in Erinnerung. In südlicheren Breiten hatte sich »Graf Zeppelin« zwar bislang in jeder Situation bewährt, doch die Arktis war auch für ihn absolute Terra incognita. Es kam auf genaueste Beobachtung des Wetters an, eine äußerst schwierige Aufgabe, da es nur wenige arktische Beobachtungsstationen gab. Es durfte keinesfalls in Wolkenzonen eingefahren werden, in denen Vereisung drohte. Natürlich war die Expedition auf einen langen arktischen Marsch per Schlitten und Boot im Notfall vorbereitet. Man hatte Proviant für Monate und den Arzt Dr. Ludwig Kohl- Larsen mit an Bord genommen, dem jetzt die Beobachtung der Eisformationen oblag. Während der Fahrt nach Sewernaja Semlja sandte Krenkel folgenden Funkspruch ab: »Zeppelin hat das Franz-Joseph-Land verlassen und befindet sich auf der Fahrt nach Sewernaja Semlja. Wetterverhältnisse ohne große Änderung.« Dieser Funkspruch drang nicht durch den Äther, und in Deutschland
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begann man das Ärgste zu befürchten. Kurz nach 6.00 Uhr, als man gerade das Frühstück einnahm, schallte eine Stimme durch die Führergondel: »Land in Sicht!« Sofort war die Mahlzeit vergessen, und alle sahen aus den Kabinenfenstern. Zu erkennen war eine teilweise von Nebelfetzen verhüllte Steilküste: die Nordspitze des geheimnisvollen, unerforschten Nordlands. Eckener hatte recht behalten. Man erreichte sie am 81. Breitengrad. Zu dem Nebel kam erschwerend hinzu, daß keine Karten existierten und manchmal nur die vermuteten Küstenverläufe, und das auch nur teilweise, jenseits der Wilkizki-Straße angegeben waren. Die Geographen und Geodäten an Bord bekamen daher erneut umfangreiche Arbeit. Obwohl es schon einige Versuche gegeben hatte, die Geheimnisse dieses von unabsehbaren Eismassen umgebenen Gebiets der Sowjetarktis zu entschleiern, war über das Nordland so gut wie nichts bekannt. Nachdem Nobiles Versuch, Sewernaja Semlja mit dem Luftschiff »Italia« zu erreichen, infolge schlechten Wetters aufgegeben werden mußte, wurde die Existenz dieses unbekannten Landes mitunter sogar ins Reich der Fabel verwiesen. Doch nun lag es in seiner ganzen Ausdehnung unter dem Zeppelin, obwohl der Nebelschleier von 100 bis 150 Meter Mächtigkeit kaum etwas erkennen ließ. Eine stumme Abwehr der Natur! Die Luftschiffer ließen sich nicht entmutigen. Sie überquerten das Nordkap. Gegen Osten lösten sich die brauenden Massen auf, und endlich wurde eine Erdsicht möglich. Das Luftschiff stieg bis auf 1500 Meter Höhe, um einen 1200 Meter hohen, völlig vereisten Gebirgszug zu überfliegen. Nun tat sich eine märchenhafte Sicht über die polare Gebirgslandschaft auf. Dieses Gebiet hatte noch keines Menschen Auge gesehen, geschweige denn betreten. Der Zeppelin fuhr wieder zur Westküste hinüber, die Sicht besserte sich etwas, aber niemand konnte feststellen, wo das Landeis aufhörte und das Meer begann. Doch endlich riß in der Schokalski-Straße der Nebel ab. Unter ihnen schien sich eine Bucht auszudehnen. Dann aber stellte sich heraus, daß es ein Sund war, der Sewernaja Semlja in zwei Inseln trennte. Und bereits ein Jahr später, als Urwanzews Expedition von Sewernaja Semlja zurückkehrte, teilte er mit, daß dieses geheimnisvolle Nordland sogar aus vier Inseln bestand, die die Bezeichnungen
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Oktoberrevolution, Bolschewik, Komsomol und Pionier erhielten. Urwanzews Forschungen hatten sich in diesem Falle als noch zuverlässiger als die Beobachtungen vom Luftschiff aus erwiesen, dessen Sicht durch zeitweiligen Nebel behindert gewesen war. Dennoch waren die umfangreichen Forschungsergebnisse aus der Luft, vor allem durch die fotografischen Aufnahmen, einmalig. Eine erdgebundene Forschergruppe hätte sie niemals erbringen können. Es gelang, Neuland auf den Film zu bannen. Unbekannte Berge und Täler wurden entdeckt. Das Vorhaben der Luftschiffer, der sowjetischen Expedition Professor Urwanzews zu begegnen, konnte jedoch nicht verwirklicht werden. Sie fanden trotz eifrigen Suchens im Nebel das Basislager nicht, über dem man mit dem Fallschirm das Paket abwerfen wollte.
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Erneuter Kurswechsel Nach der Erkundung von Sewernaja Semlja sollte die Fahrt nach den ebenfalls noch wenig bekannten Neu-Sibirischen Inseln weiterführen. Auf dem Weg dorthin baute sich ein umfangreiches Schlechtwettergebiet auf, das, so vermutete Dr. Eckener, die Inseln verhüllen würde. Aus diesem Grund entschloß er sich im Einvernehmen mit Professor Samo ilowitsch, Kurs auf die noch wenig erforschte Halbinsel Taimyr, also zum nördlichsten Teil des sowjetischen Festlands, zu nehmen. Am Nachmittag des 28. Juli passierte das Luftschiff die von dickem Eis verstopfte 56 Kilometer breite Wilkizki-Straße. An ihrer Küste entdeckten sie zum ersten Male Eisbären, die sich von dem niedrig fahrenden Luftriesen überhaupt nicht stören ließen. Bei der Überquerung der Wilkizki-Straße zeigte sich erneut die Überlegenheit der Luftfahrzeuge bei der Erkundung der Arktis. Das Luftschiff schaffte die Strecke in einer knappen Stunde, den vier früheren Expeditionen mit Schiffen, geleitet von Wilkizki, Nordenskjöld, Nansen und Amundsen, reichte dazu nicht einmal der kurze Polarsommer; sie mußten bei ihren Fahrten in dieser rauhen und unwirtlichen Eiswüste stets überwintern. Bereits bei der Ankunft über Kap Tsche ljuskin, dem nördlichsten Punkt des Festlands - das Luftschiff war in Erwartung von Gebirgen bis auf 1500 Meter Höhe gestiegen -, zeigte sich abermals, daß die vorha ndenen, äußerst ungenauen Karten der Korrektur bedurften. Für die Wissenschaftler gab es keine Ruhepause. Sie hatten für ihre Arbeit gute Bedingungen. Hier tat sich ein schöner Tag mit wolkenlosem azurblauem Himmel vor ihnen auf. Obwohl dieses Gebiet schon nicht mehr zu den polaren Zonen gehört, waren die sowjetischen Wissenschaftler daran interessiert, sein Inneres zu erkunden. Zunächst traf die Expedition auf das viele hundert Kilometer lange, bis zu 1300 Meter aufsteigende Byrranga-Gebirge, das man bislang für viel kleiner gehalten hatte. Ein öder, deprimierender Höhenrücken ohne jede Vegetation, nur hier und da von Schneehalden und -feldern unterbrochen, ohne Gletscher und Bergspitzen zog dicht unter dem Luftschiff vorüber. Neue unbekannte Bergketten tauchten auf. Wortlos registrierten die Forscher in emsiger 34
Arbeit alles, was sich bei diesem einmaligen Flug den Augen und Instrumenten bot. Stunden vergingen. Kurz nach 13.00 Uhr breitete sich vor dem Zeppelin ein mächtiger See aus. Man zweifelte, ob es der schon bekannte Taimyr-See sein könnte. Vom Taimyr-See wußte man nur, daß er etwa 50 Kilome ter lang sein sollte. »Wir erkannten seine grauen, ausdruckslosen Ufer«, schrieb Dr. Kohl-Larsen später. »Oft war er streckenweise eisfrei, ebensooft aber bedeckten ihn große zusammenhängende Eisfelder, die der Sommer kaum zum Verschwinden bringen wird. Graue und öde Halbinseln streckten sich vor. Kahle Eilande hoben sich aus der Flut und lagen wie die Panzer von Schildkröten in ihr.« Drei Stunden lang fuhr das Luftschiff über dem See dahin und konnte ihn mit 300 Kilometer Länge, also sechsmal so lang wie angenommen, vermessen. Dann fuhr es längs der nördlichen Gebirgsketten. Über der Tundra sank es bis auf 40 Meter Tiefe, um die Bodenbeschaffenheit in langsamer Fahrt genau auszumachen. Hätte ein einsamer Jäger in diesen unwirtlichen Gefilden den niedrig heranschwebenden Luftriesen von der Größe eines Ozeandampfers gesehen, er hätte ihn für ein gigant isches Fabelwesen aus einer Zauberwelt gehalten. Die Expeditionsteilnehmer hatten nun Gelegenheit, diese öden und verlassenen Zonen aus nächster Nähe zu betracht en. Der Boden war hauptsächlich mit Rentierflechten bedeckt, aber in diesem Sommermonat zeigten sich auch Alpenmohn und Polarvergißmeinnicht. Voge lschwärme schwirrten dahin, und gewaltige Herden wilder Rentiere flüchteten vor dem Luftschiff. Von Menschen keine Spur! Der 28. Juli neigte sich seinem Ende entgegen. Dunkelheit brauchten die Luftschiffer nicht zu fürchten, denn es gab sie auch hier nicht. Allmählich hatte sich ihr biologischer Rhythmus, die »innere Uhr«, auf den ungewöhnlichen Tagesablauf eingestellt. Wer gerade nichts zu tun hatte, schlief für einige Stunden, bis ihn die Gefährten zu neuen Beobachtungen weckten. Allmählich näherte sich das Luftschiff der gewaltigen JenissejMündung, und damit endlich wieder einer menschlichen Ansiedlung, der Wetterstation von Dickson-Hafen. Um 23.15 Uhr lag sie unter dem Luftschiff. Den größten Teil des Jahres ist die Mündung des Jenissej
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zugefroren, und deshalb konnten die sechs Männer der seit 1916 bestehenden Wetterstation nur im Sommer durch Schiffe versorgt werden. Als »Graf Zeppelin« über der einsamen Station eine Schleife zog, war gerade das Schiff angekommen, um der Besatzung dieses nördlichen Vorpostens der Sowjetunion Proviant für ein Jahr zu bringen. Durch Funksprüche unterrichtet, erwarteten die Bewohner den Luftriesen bereits. Als er über ihnen kreuzte, vollführten sie einen Freudentanz. Auch die Seeleute liefen auf das Schiffsdeck und winkten mit Tüchern. Das ungewöhnlichste Ereignis für diese in der Trostlosigkeit lebenden Menschen aber war, als vom Luftschiff Post, ein Packen neuester Zeitungen und das Paket für Professor Urwanzew an Fallschirmen abgeworfen wurden. Vielleicht würde es der Professor, der noch ein Jahr in der arktischen Unendlichkeit weilte, auf irgendeinem Weg erhalten. Ehe das Luftschiff auf die Karasee hinaus abdrehte, setzte Krenkel einen Funkspruch ab, der der Welt Nachricht vom Weg des Zeppelins geben sollte: »An Bord des >Grafen ZeppelinGraf ZeppelinGrafen ZeppelinAeroarctic< aber, die wissenschaftlieche Unternehmerin dieser Fahrt, wird nicht ruhen, bis sie, gestützt auf diesen ersten schönen Erfolg, der besonders widerspenstigen arktischen Natur ihre letzten Geheimnisse entrissen haben wird.« Die deutsch-sowjetische Arktis-Expedition von 1931 blieb leider die einzige, die ein Zeppelin- Luftschiff je unternommen hat. Für die damalige Zeit war sie eine überwältigende Manifestation internationaler Zusammenarbeit, insbesondere zwischen Deutschland und der Sowjetunion.
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