KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND
KULT URKUNDLICHE
HANS-WILHELM
HEFTE
SMOLIK
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND
KULT URKUNDLICHE
HANS-WILHELM
HEFTE
SMOLIK
WUNDERWELT DER INSEKTEN K L E I N E R S T R E I F Z U G D U R C H D I E NATUR
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN • I N N S B R U C K • BASEL
Das Leben erwacht Er ist wieder da, der uralte, der ewigjunge Zauberer, der Frühling! Weit schiebt er den Vorhang zurück, der die Bühne des Lebens verdunkelte. Ein einziger Wink, ein Lächeln — und schon erhellt sich der Himmel und wird zu einem seidenblauen Zelt. Breit fluten Licht und Wärme über die Welt. Die schlafende Erde seufzt, regt sich in saugenden Wurzeln und quellenden Keimen, dehnt sich in aufbrechenden Knospen und Blütenkätzchen, ermuntert sich im Umlauf der steigenden Säfte. Wie von einer Wünschelrute entdeckt und geweckt, drängen alle die Geschöpfe empor, die starr und steif in Höhlen und Löchern, die fest zusammengerollt in der klammen Erde, die warm eingepackt in Puppen und Kokons ruhten. Gleich Motoren springen ihre Herzen an, prallen sich die Adern, braust der Lebensodem wieder durch die Lungen, Kiemen und Tracheen. Ein zweiter Wink — und ungezählte Blütenaugen öffnen sich, Farben schimmern und leuchten, Duftwellen fluten über das Land, Insektenflügel blitzen und schwirren, und das erste Vogellied erklingt. Den kleinsten, den unscheinbarsten Winkel der Erde verzaubert der Frühling. Plötzlich ist jedes Fleckchen erfüllt von Werdewundern und Seinsrätseln der Pflanzen und Tiere. Und wir brauchen diesen Wundern und Rätseln nicht nachzujagen. Sie kommen zu uns! Wir begegnen ihnen allerorten. Und je stiller wir werden, um so lauter und eindringlicher werden sie zu uns sprechen, um so eher werden wir begreifen oder wenigstens erahnen, was sie uns sagen möchten. Wahrhaftig, ein Fingerhut voll fruchtbarer Erde, das kleinste Wiesenstück, ein einzelner Busch am Waldrand können uns mehr als die abertausend bunten Bilder einer Weltreise von den Kräften und 2
Gesetzen unserer Erde, von dem unaufhörlichen Kreislauf der Stoffe und Säfte, von den verborgenen Zusammenhängen aller Lebenserscheinungen erzählen! Denn auch auf dem kleinsten Raum tobt der Kampf um das nackte Leben, werden ausgeklügelte Kniffe, listenreiche Verstellungskünste und tödliche Waffen eingesetzt, wird verfolgt und geflüchtet, gespielt und gekämpft, gebaut und eingerissen, umsorgt und umhegt, gearbeitet und gezecht, gezeugt und getötet, gesungen und gelitten. Wir müssen nur lernen, wieder zu sehen, zu lauschen und zuzuhören.
Die Schmetterlinge t\ aum, daß die ersten Frühlingsblumen erblüht sind, sehen wir auch schon wieder Zitronenfalter, Füchse, Tagpfauenaugen und Trauermäntel fliegen. Die meisten Menschen glauben, daß es sich um frisch geschlüpfte Schmetterlinge handelt und daß ihre zerschlissenen Flügel und verblichenen Farben auf die Unbill des Frühjahrswetters zurückzuführen sind. In Wirklichkeit jedoch sind es „alte Hasen", die sich schon im frühen Herbst des vergangenen Jahres einen Schlupfwinkel hinter Baumrinden, unter dem Moos, in Gartenlauben und Scheunen suchten, die nicht selten sogar in die stillen Winkel unserer Wohnungen kamen. Dort haben sie ihre Flügel zusammengeklappt, sich mit ihren Beinen festgekrallt und haben den Winter verschlafen. Ja, sie haben noch fester geschlafen als die Murmeltiere, die Buche und die Fledermäuse. Man sollte es nicht für möglich halten, daß ein so zartes Geschöpf die Kälte und die Härte eines langen Winters zu überstehen vermöchte. Und doch ist es so! Jede zweite Generation dieser Schmetterlinge überwintert regelmäßig. Sie gefrieren zu steifen und glasspröden Gebilden, leben in einer unerklärlichen Welt zwischen Traum und Tod, werden vom Reif überzogen, und wachen doch wieder auf. Und schon am ersten schönen Tag fliegen sie los. Auch die Puppen der Segelfalter, der Schwalbenschwänze, der Weißlinge und Gelblinge überwintern gänzlich ungeschützt, hängen frei an Stämmen, Pfosten, Mauern, an niederen Gräsern, in Büschen, sind allen Wetterunbilden ausgesetzt, und dennoch schlüpfen nun bald aus ihnen die Falter. 3
Nicht weniger winterhart sind die Raupen und die Eier. Ja, es ist wahrhaftig so, daß das gründliche winterliche Durchfrieren bei vielen Insekten im Gegensatz zur landläufigen Meinung zu einer gesunden Entwicklung gehört. Um wieviel ärmer und lichtloser wäre die Welt ohne die Schmetterlinge, ohne diese bunten Schaukler und Gaukler! In ihnen hat sich die unerschöpfliche Erfindungsgabe der Natur selbst übertroffen. Ein Wunder sind allein schon die aus umgewandelten Haaren geschaffenen Schuppen, von denen rund eine Million die beiden Flügel bedecken. Und jede einzelne Schuppe ruht wieder auf zwanzig feinsten Gitterpfeilern, in denen sich die Lichtwellen unter den verschiedensten Winkeln brechen und bezaubernde Schillerfarben erzeugen. Eingelagerte braune, rote, gelbe und grüne Farbstoffe treten hinzu, sind so reizvoll verteilt, daß die herrlichsten Effekte erzielt werden. Große bunte Augen, lichte Monde, wundervolle Ornamente, geheimnisvolle Zeichen, gezackte Bänder, aneinandergereihte Punkte heben sich aus dem samtenen Grundton und entzücken uns immer wieder. Märchenhafte Antennen sind die vielfältig geformten, die peitschenartigen oder gefächerten, befiederten oder bekolbten Fühler, reich besetzt mit Zehntausenden und nochmals Zehntausenden winziger Riechkegelchen und Riechgruben. Auf kilometerweite Entfernungen erwittern die also ausgerüsteten männlichen Falter die Düfte der Weibchen, die diese aus besonderen kleinen Drüsen an den Hinterleibern mit Hilfe zierlicher Haarbüschel verstäuben. Düfte, die unsere groben Nasen überhaupt nicht wahrzunehmen vermögen und die dennoch den Luftraum gleich Lichtwellen durcheilen und die Falter zueinander führen. Selbst dann, wenn die Weibchen flügellos zur Welt kommen — was bei etlichen Spinnern und Spannern der Fall ist —, wenn sie also gleichsam als arme und unansehnliche Mädchen hinter dem Ofen hocken, werden sie gefunden. Denn je häßlicher und hilfloser sie sind, um so herrlicher duften sie, um so weiter strahlen die Duftwellen ihrer Drüsen durch den Raum. Da mögen die Weibchen der Sackspinner getrost so schüchtern sein, daß sie nicht einmal aus ihrem Schutzgehäuse zu kommen wagen, sie werden doch entdeckt und können alle heiraten. 4
Aus den Schmetterlingseiern schlüpfen nach wenigen Tagen die abenteuerlich gekleideten Raupen, die fressen, Fett speichern und sich dann verpuppen. In der Puppe vollzieht sich das Verwandlungswunder: Das Raupentier zerfließt, und es bildet sich der Schmetterling, der sich (siehe oben) in den Formen und Farben völlig ausgebildet aus der Puppe befreit. 5
Hat der männliche Falter ein Weibchen entdeckt, so beginnt auch er Duftwolken zu versprühen. Sein Parfüm ist kräftiger, mehr auf die Nähe ausgerichtet. Deshalb können wir es manchmal auch riechen. Doch wirbt er nicht nur mit Düften, sondern zugleich mit vielerlei Flugkünsten oder versteht es sogar, zu musizieren. Der große Totenkopf zum Beispiel pfeift dann laut und deutlich, das Nonnenmännchen zirpt und quiekt, und der Trauermantel reibt die Flügel knisternd aneinander. Sicherlich stehen auch die schönen Formen der Flügel und die verschiedenen farbigen Male auf ihnen im Dienste der Werbung. Denn die beiden großen Augen der Schmetterlinge, zusammengesetzt aus mehreren Tausend wundervoll geschliffener Facettenlinsen, von denen jede ein Einzelauge darstellt und eigene Sehzellen hat, erfassen bestimmt viele Einzelheiten des Partners. Das zurückgebildete dritte Auge auf der Stirn dagegen wird nur Licht und Schatten zu unterscheiden vermögen. Bald nach der Hochzeit legt das Weibchen seine Eier ab. Es heftet sie regelmäßig an die Futterpflanze der zukünftigen Raupen, birgt sie hier in Rindenspalten, zwischen Knospenschuppen, an den Blattunterseiten, legt sie in mehrfachen Ringen um dünne Zweige, leimt sie fest, bedeckt sie tarnend mit Haaren und Schuppen oder versteckt sie unter Gespinstschwämmen. Mit Hilfe des Geruchs weiß es diese Futterpflanzen unter den unzähligen anderen Pflanzen herauszufinden und erkennt sie deshalb auch, wenn sie noch unbelaubt sind. Die Weibchen der überwinternden Falter aber tragen die Eier in ihrem Leib über die harte Jahreszeit oder paaren sich erst im nächsten Frühjahr. Eine unerschöpfliche Fundgrube zierlichster Formen sind die Eier der Schmetterlinge für jeden Kunstgewerbler und bildenden Künstler. Da gibt es entzückende, fein gerippte, apart gekielte, vielfältig gefelderte und geriefte Kugeln, Tönnchen, Vasen, Kegel, Näpfe und Schüsselchen in den verschiedensten Farben. Oft stehen sie aufrecht und einzeln auf den Blättern, andere reihen sich zu regelmäßigen Mosaikmustern oder bilden kleine Häufchen, oder kleben gleich den Gliedern einer Kette an den Zweigen. Nicht selten sind es dreihundert bis vierhundert an der Zahl, die ein Weibchen legt. Und 6
meist sind sie so dünnhäutig, vor allem bei den Sommergenerationen, daß die Raupe durch ihre Haut schimmert. Die oft schon nach wenigen Tagen ausschlüpfenden Räupchen befreien sich mit Hilfe ihrer scharfen Kiefer und fressen zuerst einmal die Eischale auf. Bei den Spinnern bleiben sie dann zeitlebens" eine große Geschwisterfamilie, bergen sich tagsüber in gemeinsam bewohnten Gespinstnestern und ziehen nächtens in langen Prozessionen zum Fraß aus. Bei anderen Arten aber geht jede Raupe bald ihre eigenen Wege, denn der Appetit ist ungeheuer und das Fraßtempo unwahrscheinlich. Jede Raupe verzehrt täglich mindestens ebensoviel, wie sie selbst jeweils wiegt. Nach wenigen Wochen hat sie ihr Gewicht verzehntausendfacht. Mehrere Male wird ihr die Haut zu eng, schlüpft sie in ein neues und oft auch andersfarbiges Gewand. Damit sie gleich einer Maschine zu fressen vermag, befindet sich an ihrer Oberlippe eine Fraßführungskerbe, ganz ähnlich dem Steppfuß einer Nähmaschine, die verhindert, daß ihr der Blattrand entgleiten könnte. Mit ihren praktischen Klammerfüßen können sich die Raupen die tollsten Kletterpartien leisten, auf den schwankenden Zweigen sicher dahinlaufen, auf den im Winde flatternden Blättern herumturnen, über die Blattstiele balancieren. Im Notfall haben sie, besonders in ihrer Jugend, immer einen rettenden Faden bei sich, der sie vor dem Absturz bewahrt, mit dem sie sich aber auch von den Pflanzen abseilen können. Auf diese Weise kommen sie leicht von einer Futterpflanze zur anderen und können sich bei Gefahr schnell in Sicherheit bringen. An Gestalt und in der Gewandung sind viele Raupen geradezu abenteuerliche Geschöpfe. Sie überbieten sich gegenseitig mit bunten Warzen und bizarren Buckeln, tollen Zitzen und gekrümmten Hörnern, aufragenden Haarbüscheln und züngelnden Hinterleibsgabeln, bunten Harlekingewändern und erschreckenden Gesichtslarven. Eine Raupenversammlung steht in nichts einem Maskenball nach, auf dem sich die Teilnehmer außerdem noch in den unwahrscheinlichsten Verrenkungen und Grimassen gefallen. Da gibt es Fakire, die sich stundenlang starr und steif von ihrem Zweig aus in die Luft strekken. Da gibt es Narren, die sich katzenbuckelnd umherschnellen, sowie Verwandlungskünstler mit anschwellenden Köpfen und Leibern 7
sowie urplötzlich schreckenden Drohaugen. Und doch ist alles kein Spiel, sondern das Arsenal der Tarn-, Warn-, Schutz-, Verberg- und Schreckfarben und -formen und -Stellungen, das die Natur hier aufbietet, damit die Raupe ihre Aufgabe erfüllt. Sie soll ja die Baustoffe zusammentragen, die zur Erschaffung des Falters benötigt werden. Und die Raupe scheint ganz genau zu wissen, was alles für den geplanten Schmetterling gebraucht wird. Sie hört auf zu fressen, sobald sie genug Fett gespeichert hat, und verpuppt sich. In Wirklichkeit bilden sich zur rechten Zeit in ihrem Gehirn die sogenannten Verpuppungshormone, wandern durch ihren Leib und lösen alle die nun notwendigen Handlungen aus. Wäre der Raupe kurz vorher das Gehirn entfernt worden, so hätte sie immerzu weitergefressen. Und hätten wir irgendwo an ihrem Leib die Blutzirkulation unterbunden, so wäre genau von dieser Stelle aus die letzte Häutung unterblieben. In der Puppe geht nun das große Verwandlungswunder vor sich. Schon zu Lebzeiten der Raupe bildeten sich in der Zellschicht unter ihrer Haut die Organanlagen des Schmetterlings aus. Sie wucherten als sogenannte Imaginalscheiben immer üppiger heran, und hatten, als die Verpuppungshormone zu wirken begannen, ihre volle Verwandlungsreife erreicht. Sogar die Anlage der Flügel trug die Raupe schon in sich und schuf ihnen in Gestalt der Flügelscheiden — die wir ganz deutlich an der Puppenschote zu erkennen vermögen — genügend Raum zur Entfaltung. Das Raupentier zerfließt, und es ersteht der Schmetterling. Er befreit sich aus der Puppe, breitet ruckweise die noch geknitterten und gefalteten Flügel aus und glänzt und schimmert bald wie Samt und Seide. Dank der Raupe ist er von der ersten Stunde an ein vollkommenes Geschöpf, das nicht mehr zu wachsen und kaum noch zu fressen braucht. Wenige Tropfen Nektar, geringe Mengen Baumblut oder Wasser genügen ihm. Ja, manche Falter schlüpfen so reich ausgestattet, daß sie überhaupt keiner Nahrung mehr bedürfen. Ihre Rüssel sind verkümmert oder ganz zurückgebildet. Sie haben keine andere Aufgabe, als einen Partner zu suchen und sich zu paaren. In der Regel sterben die männlichen Falter dann bald darauf, während die Weibchen wiederum auf die Suche nach den Futterpflanzen der Raupen gehen, um dort ihre Eier abzulegen. 8
„Goldene Städte" I m m e r voller und üppiger prangt der Blumenflor in den Gärten, auf den Wiesen, an den Waldrändern und Bachufern. Über, allen Blüten funkeln und blitzen die farbigen Schwingen der Insekten. Brausendes Leben erfüllt auch schon wieder die dämmrigen, die goldenen Städte in den Körben und Kästen der Imker. Gleich kochenden Kratern speien die Fluglöcher die Nektar- und Pollensammlerinnen aus. Schwer beladen, mit dicken gelben Hosen, kehren sie wieder zurück. Wie dunkle Blitze schießen sie durch die Luft, besessen vom Sammelrausch, trunken vom Licht, von der Fülle der Beute, und verzehren rücksichtslos die Kraft, die in ihren heißen Körperchen glüht. In drei, spätestens vier Wochen taumeln sie sterbensmatt ins Gras, vergehen sie still. Im Stock aber füllen sich die Waben, schlüpfen in jeder Minute neue Bienen, wandert die Königin von Zelle zu Zelle, um die leergewordenen wieder mit ihren Eiern zu bestiften. Nach drei Tagen schlüpft aus dem länglichen, leicht sichelförmigen Ei, das einem weißlichen Stift gleicht, eine weiße Made, ein winziges Würmchen mit einem gewaltigen Appetit. In sechs Tagen nimmt sie mehr als das Fünfhundertfache zu. So gut bekommt ihr die unübertreffliche Säuglingsnahrung aus den gleich Milchbrüsten angeschwollenen Speicheldrüsen der Brutammen, die sie vom ersten Augenblick an betreuen. Später erhält sie eine festere, aus Blütenstaub und Nektar gemischte Honigkost. Sie ist bald so fett, daß sie die Zelle gänzlich ausfüllt und sich kaum noch zu rühren vermag. Und schon kommen die Arbeitsbienen und überbauen die sechseckige Zelle samt der Made mit einem wächsernen Deckelchen. Die Made selbst fertigt sich darunter ein dichtes seidiges Gespinst und verpuppt sich. Nach zwölf Tagen schon krabbelt sie dann als geflügelte Jungbiene aus der Zelle. Während ihrer Puppenruhe sorgen junge Arbeitsbienen dafür, daß im Brutnest immer eine gleichmäßige Temperatur von genau fünfunddreißig Grad Celsius herrscht. Wird es kühler, so erwärmen sie die Zellen mit ihren Leibern, wird es wärmer, so fächeln sie mit den Flügeln oder spucken Wassertröpfchen aus. Diese Arbeits9
bienen dienen als Federbett wie als Ventilator und Flüssigkeits-^ Zerstäuber zugleich. Gleich nach dem Schlüpfen putzt und striegelt sich das struppige Bienchen, reinigt seine Zelle peinlichst, leckt sie sauber und speichelt sie gut ein. Dann legt sie sich als Federbettchen auf die gedeckelten Brutzellen und verträumt die ersten beiden Tage ihres Lebens. Vom dritten Tage ab ist sie schon als Brutamme tätig, füttert, wie sie selber gefüttert wurde, die älteren Maden mit Honig, achtet darauf, daß sie immer sauber sind und legt sie oftmals regelrecht trocken. Nach weiteren drei Tagen schwellen ihre Speicheldrüsen an, wird sie nun zur Amme und widmet ihre Sorgfalt den jüngeren Maden, die sie gleichsam stillt. Am achten und neunten Tag wagt sie sich hin und wieder bis an das Flugloch und versucht wohl auch schon die ersten Probeflüge rund um den Stock. Dabei prägt sie sich dessen Form, Gestalt und Farbe sowie seine Lage und Umgebung gut ein. Vom zehnten Tage ab nimmt sie den heimkehrenden Sammlerinnen den eingebrachten Honig ab, verfüttert ihn entweder oder füllt ihn in die Vorratszellen und stampft in den Zellen den eingetragenen Pollen fest. Jetzt schwitzt sie auch schon feine Wachsschüppchen am Bauch aus und kann sich also tüchtig am Zellen- und Wabenbau betätigen. In dichter Kette hängt sie mit den anderen Baubienen am Gerüst, nimmt der Nachbarin die Wachsschüppchen vom Leib, durchkaut sie sorgsam, vermischt sie mit ihrem Speichel und klebt sie an die Wabenkante oder den Zellenrand. Ist die Bautätigkeit beendet, so macht sie sich als Straßenkehrer nützlich, schafft Bauabfälle, Unrat oder gestorbene Bienen aus dem Stock, fliegt mit ihnen ein Stück weg und läßt sie fallen. Jetzt kommen ihr bereits die- ersten Orientierungsflüge zugute, die sie bei dieser Gelegenheit weiter ausdehnt. Sie unternimmt also richtige kleine Ausflüge und Entdekkungsreisen, von denen sie aber weder Honig noch Blütenstaub mit heimbringt. Denn noch immer ist die Jungbiene keine Sammlerin, noch versteht sie nichts von Blüten und ihrem Mechanismus, noch steht ihr vom achtzehnten bis zum zwanzigsten Lebenstag der anstrengende und verantwortungsvolle Wächterdienst am Flugloch bevor. 10
Da muß sie jede heimkehrende Biene auf den Nestgeruch hin überprüfen, muß feststellen, ob sie auch wirklich zum Stock gehört. Denn es gibt unter den Honigbienen genügend Räuber und Diebe, die bei schlechtem Wetter in fremde Stöcke eindringen und dort Honig stehlen wollen. Da heißt es also scharf aufpassen. Und es" gibt eine ganze Anzahl von kleinen Schmarotzern, von Ameisen, Fliegen, Motten, Läusen und Milben, denen die „Goldenen Städte" als die reinsten Schlaraffenländer erscheinen. In der Nacht versucht der Totenkopffalter, an die Honigzellen zu gelangen. Oder es nagen sich Mäuse einen Gang in den Stock. Tagsüber treiben sich räuberische Hornissen oder gar der Bienenwolf, diese große Grabwespe, am Flugloch herum, die ihre Larven gern mit Bienenfleisch füttern. Jedes fremde Geschöpf, das sich dem Stock nähert, natürlich auch unbekannte unvorsichtige Menschen, werden von diesen Bienenwächtern stürmisch angeflogen und gestochen. Ohne Warnung und ohne Bedenken wird die gefürchtete Waffe eingesetzt, obwohl der mit einem feinen Widerhaken versehene Stachel in der Haut der Vögel, der Säugetiere und Menschen steckenbleibt und die sich heftig losreißende Biene dann so sehr verletzt, daß sie unweigerlich zugrunde geht. Nach dem Wächterdienst, also etwa vom zwanzigsten Lebenstag ab, ist dann endlich die große, die hohe Zeit der Arbeitsbiene gekommen. Nun darf sie hinaus, darf sie die Wunder der Blütenkelche erleben, wühlt sie sich ordentlich gierig in die kühlen, die seidigen, die duftenden Körbe und Trichter, Schalen und Schatullen, entdeckt die Nektarquellen und kommt goldbestäubt wieder hervor. Den Blütenstaub kämmt sie sich vom Leib, ballt ihn zu kleinen Klumpen und klebt ihn sich an die Hinterbeine. Den Nektar saugt sie mit dem Rüssel auf, sammelt ihn im Honigmagen und erbricht ihn im Stock in die Zellen. Und bald stellt sich heraus, ob sie sich in Zukunft zu den Honigoder Pollensammlerinnen gesellt, oder ob sie sich als Harzsammlerin spezialisiert oder etwa nur Wasserträgerin wird. Denn im Bienenstaat ist man durchaus für eine rationelle Arbeitsteilung, bevorzugt man Facharbeiter, geizt man praktisch mit Zeit und Kraft. Wir können uns gut vorstellen, daß die Sammelbiene trotz vererbter Instinkte und Blumenbilder doch erst gewisse Erfahrungen im Um11
Vor allem in der Lüneburger Heide wird noch die Korb-Imkerei betrieben. Die Strohkörbe (unten) sind dem hohlen Baum kunstvoll nachgebildet und gleichen der "Wohnung der Bienen im Urzustand. Der alte ehrwürdige Korb macht aber auch in der Heide mehr und mehr dem Kasten Platz (s. oben). 12
gang mit den oft recht verwickelten Bauarten der einzelnen Blüten sammeln muß, um ein langes Suchen nach den Nektarien und Staubgefäßen vermeiden zu können. Ebenso muß sie es erst lernen, sich selbst bis zur äußersten Tragfähigkeit ihres kleinen natürlichen Flugzeugs zu beladen, um nicht unterwegs zu Notlandungen, Verschnaufpausen und damit zu Zeitverlusten gezwungen zu sein. Die Tage, an denen günstiges Flugwetter herrscht und bestimmte reiche Weiden in voller Blüte stehen, sollen voll ausgenutzt werden können. Wie sehr sich die Sammlerinnen sputen müssen, das wird uns so richtig klar, wenn wir wissen, daß die einzelne Biene mindestens eintausend Kleeblüten befliegen muß, um ihren stecknadelkopfgroßen Honigmagen füllen zu können, und daß sie ihn sechzigmal daheim entleeren muß, um nur einen Fingerhut voll Honig einzuheimsen. Rund sieben Millionen Flugstunden sind notwendig, um ein Pfund Honig zusammenzutragen. Die abertausend Bienen, die dieses Pfund herbeischaffen, müssen dabei dreimal rund um die Erde fliegen. Darum ist es auch unbedingt notwendig, daß die Biene, die eine besonders ergiebige Weide gefunden hat, den anderen Sammelbienen unverzüglich und ganz genau den Standort derselben mitzuteilen und die Flugrichtung anzugeben vermag. Sie versäumt das auch nie, sondern verkündet ihre Entdeckung, unmittelbar nachdem sie ihre Fracht abgeladen hat. Ist die Weide nicht weiter als hundert Meter vom Stock entfernt, so tanzt sie den sogenannten Rundtanz, der die anderen Bienen zum Ausfliegen alarmieren soll. Sie tanzt, indem sie mit raschen und eigenartig trippelnden Schritten enge Kreise auf der Wabe dreht, dabei im ständigen Wechsel einmal nach rechts und einmal nach links abschwenkt und auf diese Weise ein bis zwei Kreisbogen beschreibt. Dadurch fällt sie natürlich auf, wird beachtet, und die ihr zunächst befindlichen Bienen werden von der Tanzlust angesteckt. Sie trippeln ihr nach, berühren sie mit den Fühlern, folgen ihren Schwenkungen, nehmen den Blütenduft wahr, der vom Körper der Tanzenden ausgeht, und wissen nun, daß es sich verlohnt, auszuschwärmen und die nächste Umgebung des Stockes abzusuchen. Auch sie tanzen dann zu Hause diesen Rundtanz, so daß immer mehr Sammlerinnen verständigt werden und die Ausbeute gesichert ist. 13
Ganz anders benimmt sich die heimgekehrte Biene, wenn die entdeckte Weide einen Anflug von mehr als hundert Metern erfordert. Dann genügt der einfache Alarm nicht mehr, dann muß sie auch den genauen Standort und den Anflugweg vermitteln. Das geschieht, indem die Biene auf der Wabe einen engen Halbkreis ausläuft, plötzlich aber scharf wendet, in gerader Linie zum Ausgangspunkt zurückkehrt und den zweiten Halbkreis nach der anderen Seite beschreibt. Beide Halbkreise runden sich auf diese Weise zu einem Kreisbogen, den eine gerade Linie durchschneidet. Mit anderen Worten: Sie beschreibt wie eine Eiskunstläuferin bei der „Pflichtübung" zuerst einen Halbkreis rechts herum, läuft wieder geradenwegs zum Ausgangspunkt zurück. Das wiederholt sie immer wieder, oft minutenlang, und stets schwänzelt sie dabei deutlich mit dem Hinterleib, wenn sie sich auf der Geraden befindet. Die im Stock befindlichen Bienen aber werden von diesem seltsamen Schwänzeltanz ebenfalls angesteckt, tanzen die Kreise und die Geraden genau nach und erfassen auf diese wunderbare Weise haargenau, wie weit die entdeckte Weide entfernt ist, in welcher Himmelsrichtung sie liegt und in welchem Winkel sie sich zwischen dem Sonnenstand und dem Bienenstock befindet. Das hört sich wie ein Märchen an, wurde aber in allen Einzelheiten erforscht und durch unzählige Experimente belegt. Die Entfernung erfahren die Mittänzer durch das Tempo des Tanzes. Je weiter der Weg ist, um so langsamer tanzt die Vortänzerin, um so gemächlicher bewegt sie sich besonders auf der Geraden. Bis auf Entfernungen von zwei, drei und vier Kilometern bestehen da die feinsten Tempounterschiede, die alle richtig aufgefaßt und verstanden werden. Den Winkel zwischen der Sonne und dem Stock kennzeichnet die Vortänzerin einfach durch die Richtung ihres geradlinigen Schwänzeltanzes. Sie läuft eine vertikale Gerade, wenn sich der Futterplatz in einer geraden Linie zwischen Stock und Sonne befindet. Und sie weicht im anderen Falle während des geradlinigen Schwänzeltanzes soviel nach rechts oder links ab, wie die Weide links oder rechts vom jeweiligen Sonnenstand liegt. Beschreiben läßt sich das alles freilich nur schwer. Man muß es schon einmal gesehen haben, um so recht zu begreifen, vor welchem Wunder wir hier stehen, mit welcher 14
Präzision diese Tierchen die verschiedenen Winkel erfassen und wiedergeben, wie märchenhaft ihr Zeitsinn entwickelt ist, wie genau sie Entfernungen und sogar die eventuell notwendigen Umwege zu beschreiben wissen. Selbstverständlich haben die Bienen auch die Blumenuhr im Kopf, nach der sich die einzelnen Blumen eröffnen und wieder schließen. Sie bleiben also gelassen im Stock und sparen ihre Kräfte, bis die rechte Stunde gekommen ist und sich ein Besuch verlohnt. Denn das zweckmäßige Bummeln verstehen die Bienen, die wir gern als die fleißigsten Tiere ansprechen, ebenso gut wie das emsige Arbeiten. Ihr Betätigungstrieb ist durchaus nicht so motorisch, daß sie nun auf alle Fälle ausfliegen und gleichsam aufs Geradewohl nach Blüten suchen. Nein, sie verlassen sich da oft ganz auf die zufälligen Entdeckungen besonders günstiger Weiden — deshalb ja die Tänze! — und werfen sich erst dann mit Eifer ins Sammelgeschäft. Diese Weiden werden dann aber auch so gründlich ausgebeutet, daß die Bienen unter allen Bestäubern die wesentlichste Rolle spielen. Wir sagen: die Biene ist blumentreu oder blütenstetig! Das heißt, sie besucht während der Obstbaumblüte eben vorwiegend Obstbäume, während der Kleeblüte die Kleefelder, während der Löwenzahnblüte die Wiesen, und sie ist dabei so stetig, so ausdauernd und gründlich wie kein anderes Insekt. Sonst aber kann auch die fleißigste Biene tagelang im Stock herumlungern, müßig gehen, vor sich hindösen und — wie während der Regentage — die Ruhe genießen. Nur die Königin kennt vom März bis zum Oktober keine Ruhepause. Als lebendige Legemaschine wandert sie langsam über die Waben und legt fast in jeder Minute ein Ei, an manchen Frühlingstagen bis zu eintausendfünfhundert Stück! Ihre Produktion entspricht täglich ihrem Gewicht, denn die Eier sind verhältnismäßig groß. Vier bis fünf Jahre lang dient sie auf diese Weise dem Staat, der durchschnittlich 30 000—40 000 Bienen umfaßt. Es ist selbstverständlich, daß die Königin sich um nichts anderes mehr kümmern kann, daß sie nicht einmal Zeit findet, sich sauber zu halten und zu Tisch zu gehen. Ein Hofstaat von Dienerinnen begleitet s'ie ständig, kämmt und striegelt sie sorgsam, füttert sie, liest ihr praktisch jeden Wunsch von den Augen ab. Sie aber hat nur 15
Augen für die leeren Zellen, prüft nach, ob sie gründlich gereinigt und ausgespeichelt sind, versenkt den Hinterleib in die Madenwiege, bestiftet sie in Sekundenschnelle und läuft schon weiter. Dabei geht sie sehr bedacht vor und hält eine strenge Ordnung ein. Nur die vorderen und die mittleren Waben interessieren sie, und hier wieder bestiftet sie lediglich die im mittleren Teil befindlichen Zellen. So reihen sich um die Brutzellen dann in konzentrierten Ringen die Pollenzellen und noch weiter außen die Honigzellen gleich der Reisbreimauer im Schlaraffenland des Märchens. Soll aus dem Ei eine Arbeitsbiene oder eine spätere Königin werden, so wird es vorher von der Königin befruchtet. Die Eier für die Drohnenzucht bleiben unbefruchtet. Auf diese Weise bestimmt also die Königin von sich aus das Geschlecht ihrer Kinder. Ob aber aus dem befruchteten Ei eine kleine Arbeitsbiene oder ein vollentwickeltes Weibchen wird, das bestimmen die pflegenden Ameisenammen. Und zwar bestimmen sie es lediglich durch das Verfüttern einer ganz besonders nahrhaften Speise — der sogenannten Königinnenspeise — an die Made und durch die Schaffung einer ungewöhnlich großen Zelle für das Riesenbaby. Auch die Drohnen brauchen größere Zellen, die erst einmal von den Arbeiterinnen hergestellt sein müssen, ehe sie die Königin bestiften kann. Es sind also die Arbeiterinnen, die da bestimmen, wie viele Königinnen und wie viele Drohnen aufgezogen werden sollen. Wir schauen hier das Wesen eines vielfältig geordneten Staatsgebildes. Die Königin ist nur ausführendes Organ im wahrsten Sinne des Wortes. Geführt und gelenkt wird das große Gemeinwesen von der Masse der Arbeitsbienen. Sie stellen das rechte Verhältnis zwischen Arbeitern, Drohnen und neuen Königinnen her, bauen das Reich, heimsen die Vorräte ein, pflegen den Nachwuchs, beeinflussen seinen Lebensweg, steuern die Übervölkerung durch das alljährliche Schwärmen und wählen sich nach dem Auszug der alten Königin mit einem Teil des Volkes wieder eine neue junge Königin. Diese neue Königin tötet als erste Amtshandlung die anderen herangewachsenen Königinnen, die noch in ihren Weiselzellen schlummern oder sich nicht herausgetraut haben. Diese unglücklichen Geschöpfe wurden nur aufgezogen, um eine Verwaisung des Staates durch unvorhergesehene Geschehnisse zu verhüten. Nun sind sie 16
Die Knopfhornwespe hat einen kreisrunden Deckel aus ihrem Puppengehäuse genagt und schlüpft fix und fertig ins Leben. überflüssig, genauso überflüssig, wie die vielen hundert Drohnen, die nach der Schwarmzeit bald aus dem Stock gewiesen werden. Wollen die faulen und fetten Burschen nicht gutwillig gehen, so werden sie gewaltsam zum Flugloch geschleppt oder zusammengestochen. Keiner von ihnen erlebt den Winter.
Bombusina, die Hummel Inzwischen ist der Mai schon bald wieder vorüber. Die Frühlingsblumen in den Wäldern, an den Wiesenrändern, den Bachufern und unter den Hecken haben ihre Schankstuben bereits geschlossen. Dafür blüht es nun um so üppiger auf den Wiesen und Feldern. Bombusina, die einsame Erdhummelkönigin, schwelgt in den Kleeund den Wickenblüten, besucht die weißen, roten und gelben Taub17
nesseln. Längst vergessen hat sie das Moosversteck, in dem sie starr und steif den langen Winter verschlief, und gut hat sie sich wieder herausgefuttert. Ihr samtschwarzer Pelz schimmert im Licht, hell leuchten die zwei gelben Querbinden und die schneeweiße Hinterleibsspitze. Und immer häufiger streift sie, sobald sie sich sattgetrunken hat, sehr niedrigen Flugs durch den Gräserwald. Bombusina ist auf der Suche nach einem Mausloch, fühlt sich von jeder dunklen Höhlung im Erdreich angezogen. Bis gegen Ende des Monats untersucht sie prüfend und wählend eine örtlichkeit um die andere. Dann endlich entschließt sie sich für den fast verschütteten Bau einer Feldmaus, dessen Schlupfloch kaum noch fingerstark ist. Er liegt an einem sonnigen Wiesenrain, ist fast einen Meter tief und enthält reichlich feinzerschlissenen und knistertrockenen Niststoff. Bombusina versieht die Wände der nur noch hühnereigroßen Mauskinderstube mit einem dichten Geflecht, das sie geschickt aus den vorgefundenen Halmen wirkt und filzt. Diese dicke Tapete wird die etwa eindringende Feuchtigkeit des Bodens aufsaugen und das Brutnest schön trocken halten. Den Boden glättet sie und bedeckt ihn mit einer dünnen Wachsschicht. Sie erfaßt das Wachs, das zwischen den Ringen ihres Hinterleibes hervortritt, mit den kräftigen Kiefern, knetet es lange und vermischt es reichlich mit Baumharz und Blütenstaub. Fast eine Woche lang dauern diese Vorbereitungen. Dann baut Bombusina aus purem gelblichem Wachs einen kleinen Ringwall und erhöht dessen Ränder, bis ein becherähnliches Gebilde entsteht. Sie schafft sich ihre erste Eizelle. Gleich darauf ist sie dabei, dicht am Eingang der Nisthöhle in ähnlicher Weise einen stattlichen Honigtopf zu bauen. Ihn füllt sie bis zum Rand mit Nektar und ist damit wiederum tagelang beschäftigt. Denn gut dreihundert Kleeblüten muß sie besuchen, ehe sie ihre Honigblase gefüllt hat und den Heimflug antritt. Sie schafft sich diesen Vorrat, um sich in der Folgezeit ganz der Bautätigkeit widmen zu können und um während kalter und regnerischer Tage nicht darben zu müssen. Danach erst bestiftet unsere zukünftige Hummelkönigin die Eizelle mit sieben Eiern und verschließt sie sorgfältig. Und schon beginnt sie an einer zweiten und dritten Eizelle zu schaffen. Mit jeder Minute muß sie geizen, um ihren großen Aufgaben gerecht 18
werden zu können. Zwei Tage später wendet sie sich wieder der ersten Eizelle zu. Es gilt jetzt, an die Wand der Zelle einen Pollennapf Zu stellen, der die Nahrung für die bald ausschlüpfenden Larven aufnehmen soll. Ist dieser Napf gefüllt, so muß er in die Wandung der Zelle einbezogen werden, die dadurch einen viel größeren Umfang annimmt. Die Larven bekommen also mehr Platz. In den nächsten elf Tagen wachsen sie derartig schnell, daß sich die Zelle nach allen Seiten ausbuckelt und ihre Wände zu bersten drohen. Den Pollenbrei haben sie schon nach wenigen Tagen verzehrt. Bombusina öffnet nun die bisher festverschlossene Larvenzelle und füttert die lebhaft gierende Brut mit Blütenstaub und Nektar. Vom ersten Morgengrauen an bis nach Untergang der Sonne ist sie unterwegs, um die benötigte Nahrung herbeizutragen. Ist das Wetter schlecht, so langt sie in den großen Vorratstopf am Schlupfloch. Dennoch schafft sie es nicht, die Brut im ausreichenden Maße zu versorgen. Gleichsam als Hungerformen verfertigen sich die Larven aus den Seidenfäden, die ihre Speicheldrüsen liefern, den Puppenkokon. Seite an Seite stehen diese Kokons aufrecht nebeneinander. Sie gleichen kleinen gelblichbraunen Schlangeneiern. Bombusina beleckt sie eifrig, damit sich keine Schimmelpilze ansetzen können. Dazwischen baut sie neue Eizellen, bestiftet sie, errichtet neue Pollentöpfe und füttert jetzt die Larvenbrut in den anderen Larvenzellen. Sie baut, leckt, füttert, legt trocken, trägt ein, hält die Erdhöhle sauber, verstärkt die Nesthülle, arbeitet ohne Unterlaß und Pause. Um Zeit und Kräfte zu sparen, nagt sie den Baustoff der ersten Ei- und Larvenzelle rings um die Puppen wieder ab, um ihn für neue Zellen verwenden zu können. Zuletzt stehen die Puppen frei in der Bruthöhle. Vom Tag der ersten Eiablage an ist Bombusina volle vier Wochen lang ganz allein die Seele und der Motor des zukünftigen Hummelstaates. Die zahllosen Instinkthandlungen laufen in ihr mit der Präzision eines unfehlbaren Uhrwerkes ab. Genau zwei Wochen nach der Verpuppung schlüpfen endlich die ersten sieben Hummelkinder aus ihren Kokons. Sie nagen einen kreisrunden Deckel aus den Kokons, krabbeln heraus, putzen sich und widmen sich bald darauf der Bau- und Sammeltätigkeit. Da sie als Larven so oft hungern mußten, sind sie nicht einmal halb so 19
groß wie ihre Mutter. Auch ihre Organe sind sehr verkümmert, so daß sie nur als Arbeiterinnen wirken können. Zuerst einmal reinigen sie ihre verlassenen seidenen Puppenwiegen, versehen sie mit einem kräftigen Wachsrand und benützen sie als Vorratsbehälter für den fleißig gesammelten Nektar. Andere Kokons nagen sie bis zur Hälfte ab und verwandeln sie auf diese Weise in niedere Pollentöpfe. Denn Nektar und Pollen werden nun in erhöhtem Maße für die Aufzucht der anderen Larven gebraucht. Die Hummelkönigin aber baut schon wieder neue Zellen. Im Laufe des Sommers versammelt sie vierhundert bis fünfhundert Kinder um sich. Nach und nach werden die Weibchen, die nun ausreichend Nahrung bekommen, immer größer, stärker und kräftiger. Darum wird es Zeit, nun auch für männliche Nachkommen zu sorgen. Im Frühherbst fliegen die großen Weibchen und die Drohnen aus, um sich zu paaren. Und nur diese wenigen befruchteten Weibchen kommen über den Winter. Bombusina selbst, die Drohnen und alle die kleinen fleißigen Arbeiterinnen rafft der Tod dahin. In der gleichen oder sehr ähnlichen Weise vollzieht sich das Leben aller unserer einheimischen Hummeln. Unterirdische Nester bauen vor allem die Erdhummel, die Steinhummel und die Gartenhummel. Die Wiesenhummel, die Mooshummel und die Ackerhummel dagegen nisten am liebsten oberirdisch unter Moospolstern, Grasbüscheln und niederen Zwergbüschen. Sie schaffen sich dort ein geschickt zusammengekratztes Gewölbe, tapezieren es mit einer harzigen Tapete und stellen oft noch Wächter vor das Schlupfloch. Ihre Staaten sind oft viel kleiner. Bei der Ackerhummel zum Beispiel, die auch gern in Mauerlücken, Gebäuden und Nistkästen baut, umfassen sie meist nicht mehr als vierzig bis fünfzig Hummeln. Übrigens verfügen alle weiblichen Hummeln genauso wie die weiblichen Bienen über einen kräftigen Giftstachel, mit dem sie sich bei Gefahr nachdrücklich verteidigen. Da ihr Stachel keinen Widerhaken hat, vermögen sie sogar mehrmals hintereinander zuzustechen. Das Gift wirkt mindestens so kräftig wie das der Bienen und Wespen. Allerdings sind die Hummeln weniger angriffslustig als die Bienen und Wespen. Außerdem müssen sie sich, um zustechen zu können, auf die Seite legen oder auf den Rücken werfen. Nur die männlichen Hummeln, die in der Regel erst im Sommer auftauchen, be20
An einem Ast hängt das Wespennest, dessen Doppelwände und Waben aus papierartigem Holzbrei bestehen. Unten Blick in die Waben mit frischgelegten Eiern.
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sitzen keinen Giftstachel. Wir erkennen sie meist an ihren größeren Augen, den längeren Fühlern und den etwas verwaschenen Zeichnungen. Es sind die Hummeln, die wir am frühen Morgen halb erstarrt in den Blüten finden. Denn die Hummeldrohnen kehren nach ihrem Ausflug nicht in das Nest zurück, sondern übernachten im Freien.
Wespenvolk Wirklich, ein Dutzend Augen könnten wir jetzt brauchen, um alles mitzubekommen, was um uns geschieht! Und so langsam packt uns die Entdeckerfreude, nehmen wir Geschöpfe wahr, die wir bewußt noch nie gesehen haben. Das überaus schlanke und stahlblaue Insekt zum Beispiel, das in diesem Augenblick mit knisternden gelblichen Flügeln heranschwirrt und sich knapp vor uns auf dem braunen Kiefernstamm niederläßt, ist unsere große schöne Kiefernholzwespe (Paururus juvencus). Gut drei Zentimeter mißt sie, hat lange rotgelbe Beine, große Augen und fadenförmige Fühler. Tastend und suchend läuft sie über die geschuppte Rinde, verharrt plötzlich, stellt sich fast auf den Kopf, zückt ihren langen gezähnelten Legebohrer aus den ihn bergenden Halbscheiden, setzt das haardünne Gebilde auf und treibt es langsam in das Holz. Millimeter um Millimeter versinkt das biegsame Wunderwerkzeug, das Säge, Bohrer, Sonde und Eierlegeröhre zugleich ist, unter dem erstaunlichen Druck des federnden Wespenleibes. Ein, zwei, drei Zentimeter dringt es ein, rutscht noch tiefer in den harten Stamm und verschwindet endlich gänzlich. Durch die Röhre gleitet das biegsame Ei und findet sein Bett mitten im Holz. Minutenlang hat die Wespe gebohrt, scheint aber gar nicht erschöpft zu sein, sondern zieht den Legebohrer gleich wieder zurück und begibt sich auf die Suche nach einer neuen Ansatzstelle. Ein geheimnisvoller Spürsinn sagt ihr, wo es sich zu bohren verlohnt. Und so schafft sie unermüdlich, bis sie alle ihre Eier untergebracht und damit ihre Aufgabe erfüllt hat. Aus den versenkten Eiern werden, wenn die Wespenmutter schon längst das Zeitliche gesegnet hat, weiße und augenlose Larven krie22
dien, sich durchs Holz fressen, sich frühestens nach Jahresfrist verpuppen und sich als fertig entwickelte Geschöpfe ein Schlupfloch in die Sonnenwelt nagen. Ebenso gut aber kann auch alle Mühe, Arbeit und Fürsorge des Holzwespenweibchens umsonst gewesen sein. Denn es gibt eine zarte schlanke Schlupfwespe, die über einen ebenso wunderbaren Legebohrer und einen noch großartigeren Spürsinn verfügt. Diese Holzschlupfwespe (Rhyssa persuasoria) wird ebenfalls gut drei Zentimeter lang, ist schwarz gefärbt, weißlich gefleckt und hat gleichfalls lange rotgelbe Beine. Sie hört und riecht die tief im Holz fressende Larve der Holzwespe, durchbohrt über ihr die dicke Rinde, treibt ihren Legestachel fünf bis sechs Zentimeter tief in den Stamm und weiß genau die dort scheinbar vor allen Feinden geborgene Larve zu treffen. Sie versenkt ihr Ei in den Leib der Ahnungslosen, die dann bei lebendigem Leib von der Schlupfwespenlarve ausgehöhlt und ausgefressen wird. Vor den Schlupfwespen, die in mehr als neunzigtausend Arten über die ganze Erde verbreitet sind, ist keine andere Insektenlarve sicher. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Raupe, Made oder Larve frei umherkriecht, ob sie im Holz oder in Blättern, Trieben, Blüten, Knospen und Früchten bohrt, in festen Gallen wohnt, in der Erde wühlt, in Kadavern und Exkrementen frißt, im Schlamm der Gewässer lebt, sich in Blattzigarren oder Gespinsten birgt, sich Schutzkleider anfertigt oder sonstweiche Tarnkünste beherrscht. Zwanzig bis dreißig Prozent aller Pflanzenschädlinge aus dem Insektenreich werden allein durch die Schlupfwespen vernichtet. Eine ähnliche wichtige Rolle im großen Insektenhaushalt der Natur spielen die vielen schlanken Grab- und Wegwespen. Sie überfallen Käfer und Fliegen, Bienen und Heuschrecken sowie Raupen, lähmen sie mit Giftstichen und schleppen sie dann in ihre Bruthöhlen. Dort legen sie ihr Ei auf das Opfer, verschließen die Bruthöhle, und ihre Larven leben von der frischen Fleischkonserve. Die Wegwespen dagegen tragen nur Spinnen als Larvenfutter ein. Hier, im Kiefernwald, wo wir soeben die Holzwespe beobachteten, lebt zum Beispiel die zwei Zentimeter große Vierpunktwegwespe (Pompilus quadripunctatus), die wir leicht an ihren sehr langen und schmalen, goldgelben und dunkel gesäumten Flügeln sowie den leuch23
tendgelben Flecken auf dem schwarzen Leib erkennen. Ebenso unverkennbar sind ihre Bewegungen. Sie läuft nämlich mit zitternden Flügeln über den Boden, hüpft nur hin und wieder flatternd empor und scharrt oft im Sand. Wir haben Glück! Kaum haben wir ihren Namen genannt, entdecken wir sie schon im stürmischen Angriff auf eine Kreuzspinne, die gerade an ihrem Netz baut. Und es scheint, als ob die Spinne sofort Bescheid weiß, welche Gefahr ihr droht. Wie ein geölter Blitz seilt sie sich ab, da sie hofft, der Wegwespe auf diese Weise entgehen zu können. Die aber kennt den Trick, hat die Spinne darum auch nicht aus den Augen verloren, sondern stürzt sich auf sie, wirft sie auf den Rücken, preßt sie an den Boden, steht rittlings über ihr und krümmt den Hinterleib zum Stich ein. Die weitgespreizten Giftklauen der Spinne machen sichtlich keinen Eindruck auf sie, obwohl sie ein einziger Biß töten würde. Wahrscheinlich weiß sie, daß die Spinne in ihrer höchsten Not und Bedrängnis regelmäßig darauf verfällt, sich tot zu stellen. Tatsächlich beißt die überrumpelte Spinne nicht zu. Und so trifft sie der Wespenstich mitten in den Mund und lähmt schlagartig ihre Kieferklauen. Vergeblich strampelt sie mit den Beinen, vergeblich versucht sie den Reiter abzuschütteln. Ein zweiter wohlgezielter Stich durchbohrt genau den Nervenknotenpunkt, der das Bewegungszentrum der Spinne darstellt. Nun ist sie stocksteif und gänzlich wehrlos. Die Wegwespe betrillert erregt ihr Opfer, betastet die gefährlichen Giftkiefer, packt zu und schleift die schwere Beute zu ihrer vorbereiteten Brutkammer. Sie schlüpft noch einmal hinein, als wolle sie nachsehen, ob da drinnen noch alles in Ordnung ist, dann zerrt sie die Beute schnell in die Höhle. Alsbald legt sie ihr Ei auf die Spinne und kommt schon wieder zum Vorschein. Eifrig scharrt sie ein wenig Sand über die Öffnung der Bruthöhle, so daß kein Lebewesen etwas von dieser unterirdischen Kinderstube ahnt. Dennoch hat die kämpferische und siegreiche Wegwespe die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn kaum, daß sie davonrennt, um nun ein größeres Verschlußstück für ihre Höhle zu suchen, schlüpft ein kleines Wespchen, ein prachtvolles Tierchen mit grünblau funkelndem Kopf und tiefrotem Hinterleib in die Bruthöhle, legt blitz24
schnell ebenfalls ein Ei auf die Spinne und wischt wie ein Geist wieder hinaus. Es ist ein Weibchen der schmarotzerischen Feuergoldwespe (Chrysis ignita), das vom Juni bis zum August fliegt. Wird es ausnahmsweise einmal von der Wegwespe bei der Eierschmuggelei entdeckt, so rollt es sich schnell asselartig zusammen und ist dann in seinem sehr harten Chitinpanzer unangreifbar. Die kleine Larve schlüpft beträchtlich eher als die Wegwespenlarve aus dem Ei, schwelgt in deren Fleischtöpfen und frißt sie zuletzt auch noch selbst auf. Und vielleicht entdecken wir wieder andere Wespen, kleine schwarzgelb getigerte Geschöpfe, die uns schon besser bekannt sind. Ähnliche Wespen haben uns schon oft umschwirrt, wenn wir im Garten am Kaffeetisch saßen. Sie flügelten um das Marmeladetöpfchen, nippten an den Gläserrändern, am süßen Obstkuchen, und wurden von uns halb ängstlich, halb respektvoll betrachtet. Ihr hoher Summton hat etwas Drohendes, Kampfbereites und Jähzorniges an sich, und wir wissen, daß sie nicht zögern, empfindlich zuzustechen. Sichtlich kommen sie alle aus dem dichten Birkenbusch am Waldrand. Schlagen wir doch einmal die Zweige vorsichtig zurück: Natürlich, da haben wir sie schon entdeckt, die Wespenburg! Nicht ganz apfelgroß ist sie und erinnert uns an eine kleine Hängelampe. Ein kräftiger, säulenartiger Aufhänger, an einem darüberliegenden Ast befestigt, trägt das ganze Gebilde. Die graue Außenhülle ist muschelförmig geschuppt und fühlt sich wie weiches Papier an. Von unten her schauen wir in die Öffnungen zahlreicher, im Kreis geordneter, regelmäßig sechseckiger Zellen. Zwei, drei Wespen sind gerade dabei, den Mantel der Wabe zu verlängern. Rückwärtslaufend tragen sie mit den Kiefern eine graue Masse in kleinen Portionen auf und ziehen sie unter Zuhilfenahme der Vorderbeine zu einer dünnen Lamelle aus. Wahrscheinlich wissen die meisten von uns schon, daß diese Masse aus geraspelten, durchgekauten und eingespeichelten Holzfasern besteht, die die Faltenwespe von alten Stämmen, Pfosten, Zäunen oder Telegrafenstangen schaben. Wir sehen hier also die ältesten Papierfabrikanten der Welt bei der Arbeit. Unbegreiflich, wie sich die Larven in diesen hängenden und unten offenen Zellen zu halten vermögen! 25
Nun, für die Wespen ist das gar kein Problem. Ihre Larven klammern sich mit dem Hinterleibsende wie mit einem Klammerhaken fest an die Zellendecke und hängen geruhsam wie ein dicker Klöppel in einer Glocke. Damit sie das aus Blütenhonig und Insektenfleisch gemischte Futter, das ihnen die Wespenammen zutragen, gemütlich verschlucken können, wölbt sich bei ihnen ein kleiner Sapperlatz hervor, auf den sie ihr Futter gepappt bekommen. Die mit einem seidigen und leicht gewölbten Gespinst verschlossenen Zellen bergen die bereits verpuppten Larven, die sich nun endlich fallenlassen konnten und ihrer Verwandlung entgegenschlummern. Begonnen hat das ganze wunderbare Wabengebilde die Wespenkönigin ganz allein. Denn wie bei den Hummeln, überleben nur die vollentwickelten und bereits befruchteten Wespenweibchen das große herbstliche Sterben, dem alle Arbeiterinnen und Männchen sowie die noch nicht ausgereiften Larven und Puppen zum Opfer fallen. Jeder Wespenstaat ist in unseren Breiten von nur einjähriger Dauer. Aber immer wieder legen die Königinnen bis in den Herbst hinein ihre Eier. Das von uns entdeckte Nest gehört der kleinen Waldwespe (Vespa silvestris), die höchstens zwei Zentimeter lang wird und Staaten von hundert bis zweihundert Tieren bildet. Ähnliche oberirdische Ballonnester bauen die Mittlere Wespe, die Sächsische Wespe und die Feldwespe oder Gallische Wespe. Unterirdische Nester bauen dagegen die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe, bei denen der Staat dreitausend bis fünftausend Tiere umfassen kann. Diese Nester erreichen dann die Größe eines Fußballes oder Medizinbalies und erstehen aus fünf bis sieben waagerecht untereinanderhängenden Waben. Auch die gefürchteten Hornissen zählen zu den Faltenwespen.
Wiesenmusikanten J a, sie hüpfen auch schon wieder durch die grünen Auen, die Grashopper, die Sprengsei, die Feld- und Laubheuschrecken, die grauen, braunen, grünen und gelben Wiesenmusikanten mit den langen Hinterhaxen und Fadenfühlern, den Miniaturpferdeköpfen und Nußknackerkiefern! Aus den Eiern, die von den Weibchen im Spätsommer des vergangenen Jahres mit Hilfe der oft schleppsäbel26
artigen Legeröhren der Erde anvertraut wurden, sind sie als winzige Ebenbilder ihrer Eltern geschlüpft. Die Heuschrecken — wie übrigens auch die Läuse, Wanzen, Schaben, Grillen und alle Urinsekten — kennen kein vorgeschaltetes Larvenstadium und keine Puppenruhe wie die hochentwickelten Ameisen, Bienen, Wespen, Käfer und Schmetterlinge. Sie wachsen vielmehr langsam heran, müssen sich oftmals häuten und bekommen erst im Laufe des Jahres ihre Flügel und mit ihnen ihre wunderlichen Musikinstrumente. Bis dahin sind sie stumme Hopser, unauffällige Grünzeugfresser und willkommene Leckerbissen für Vögel, Igel, Spitzmäuse, Laufkäfer und Spinnen. Haben sie es aber geschafft und alle Gefahren der freien Flur glücklich überstanden, dann stimmen sie ihre Geigen, dann ertönt das große hochsommerliche Wiesenkonzert. Es sind vor allem die Männchen, die so ausdauernd zu musizieren verstehen. Die Weibchen sind meist stumme Zuhörerinnen. Die großen Heupferde, die mitunter bis zu dreieinhalb Zentimeter langen Laubheuschrecken, die am liebsten in niederen Büschen herumturnen, erzeugen ihre schrillenden, schnurrenden und zirpenden Töne, indem sie mit dem linken über den rechten Flügel wetzen. An der Unterseite des linken Flügels befindet sich eine Schrillader, die gleich einer Feile feine Rillen hat. Die rechte Flügeldecke aber weist als Reibungsleiste eine scharfe Chitinkante auf. Wetzt nun die Laubheuschrecke mit der gerillten Ader über diese Kante, so versetzt sie kleine Spiegel in den Flügeln, die als Membranen dienen, in schwingende Bewegung und es entsteht das eigenartige Zirpen. Die kleinen Grashüpfer dagegen streichen mit den gezähnten Hinterschenkeln über die spröden Flügeldecken, sind also regelrechte Fiedler mit körpereigenen Geigen. Und die Grillen wetzen wieder mit den Flügeln, jedoch im Gegensatz zu den Laubheuschrecken mit dem rechten über den linken Flügel. Ihre Musik ist viel schriller und auch durchdringender. Da nun die Weibchen sichtlich auf die Lieder der Männchen reagieren, sich ihnen während des Vortrages wie magnetisch angezogen nähern, die Geiger aufgeregt mit den Fühlern betrillern, müssen sie zweifellos auch Ohren haben. So sagten sich wenigstens die Naturforscher und begaben sich auf die Suche nach diesen ver27
muteten Ohren. Sie mußten sehr lange suchen, irrten dabei viel und entdeckten sie endlich bei den Laubheuschrecken an den Vorderbeinen! Richtige kleine, von einer Haut überwölbte Trommelfelle sitzen dort, an die von innen her ein Nerv herantritt. Bei den Grashüpfern aber sitzen die Hörorgane am ersten Hinterleibsring. Seltsam! Aber am Kopf war bei den Heuschrecken wahrscheinlich kein Platz mehr für die Ohren gewesen.
Die Heuschrecken kennen keine vorgeschaltete Larvenzeit und keine Puppenruhe; sie müssen sich oftmals häuten und bekommen erst im Laufe des Jahres ihre Flügel und ihre Musikinstrumente. 28
Geraten die Grashopper in Not und Bedrängnis, so zögern sie nicht, sich selbst zu verstümmeln, indem sie dem Angreifer kurzentschlossen das gepackte Bein überlassen und sich aus dem Staube machen. Auch mit fünf Beinen läßt es sich schließlich noch leben, außerdem tut ihnen die Amputation gar nicht weh. Die Glieder sitzen so locker am Körper, daß sie sich gleichsam vor Angst lösen; zu ersetzen sind sie allerdings nicht, wohl aber wachsen den Heuschrecken abgebrochene Fühlerglieder und Füße wieder nach. Es sind also recht robuste Gesellen, diese Heuschrecken, dabei unwahrscheinlich zäh, wetterhart, und auch sonst nicht von Pappe. Mit ihren gefräßigen Kiefern können sie so anständig zwicken, daß selbst unsere Haut blutunterläuft. Und wer einmal den prasselnden Ansturm ihrer gefürchteten Verwandten, der Wanderheuschrecken, erlebt hat, den gruselt es, wenn,er nur ein Heupferd sieht. Der Überfall dieser Heere ist wahrhaftig fürchterlich. In riesigen, klirrenden und rasselnden Wolken, die die Sonne verdunkeln, kommen sie dahergestürmt, bedecken fußhoch den Boden, krabbeln wie wild übereinander und durcheinander, verletzen und verstümmeln sich, fressen sich gegenseitig auf, paaren sich dicht daneben und hinterlassen eine kahle Mondlandschaft und ein stinkendes Leichenfeld. Zwanzig Kilometer breit und hundert Kilometer lang sind nicht selten diese Schwärme. Sie bestehen aus Milliarden und aber Milliarden Tieren, verwüsten weite Ländereien, fressen Plantagen, Felder und Gärten in Sekundenschnelle ratzekahl, dringen auch in die Gebäude ein, bedecken die Dielen und Wände und spotten jedem Versuch, sie zu bekämpfen. In jeder einzelnen Heuschrecke scheinen drei Leben zu stecken, die man sechsmal totschlagen muß. Es war eines meiner schrecklichsten Jugenderlebnisse, als ich eines Tages entdecken mußte, daß eine von mir aufgespießte, vorher mit Äther getötete Laubheuschrecke, einer von den kräftigen Warzenbeißern, nach drei Tagen immer noch lebte. Ich kam mir wie der übelste Folterknecht vor und habe nie wieder versucht, mir eine Heuschreckensammlung anzulegen. Freilich sind — aber das soll keine Entschuldigung sein — die Insekten wohl überhaupt nicht schmerzempfindlich. Sie ertragen Verletzungen, Verstümmlungen und Wetterunbilden jedenfalls viel leichter als alle anderen Geschöpfe der Erde. Mit dem Spaten beim Um29
graben verletzte, ja glattweg halbierte Maulwurfsgrillen drehen sich um und fressen ihren eigenen zuckenden Hinterleib auf. Der abgetrennte Kopf einer Heuschrecke kaut gelassen weiter, als wäre nichts geschehen. Kämpfende Ameisen reißen sich die Glieder einzeln aus, beißen sich die Fühler ab, verstümmeln sich entsetzlich und lassen doch nicht vom Gegner. Bei den Fangschrecken verzehren die Weibchen die Männchen gleich nach der Paarung, ohne daß diese den Versuch machen, zu entfliehen oder irgendeine Schmerzempfindung verraten. Die Fangschrecken sind übrigens keine Verwandten der Heuschrekken, sondern der Termiten und Schaben. Die rund fünfzehnhundert Arten, die wir kennen, leben vor allem in den wärmeren Ländern und den Tropen. Nur die sogenannte Gottesanbeterin (Mantis religiosa) dringt immer stärker aus dem südeuropäischen Raum über die Bodenseepforte nach Süd- und Mitteldeutschland vor. Wir können sie am Kaiserstuhl bei Freiburg sowie in der Umgebung von Bad Kissingen und Frankfurt am Main entdecken. Sie ist sehr schlank, etwa fünf bis sieben Zentimeter lang und kriecht auf vier langen dünnen Beinen langsam durchs Gebüsch und Krautwerk sonniger Hänge. Das kleine, dreieckige, fast herzförmige und sehr bewegliche Köpfchen mit den beiden seitlichen, weit vorstehenden Facettenaugen und den drei unscheinbaren Nebenaugen auf der Stirn folgt aufmerksam den vorüberfliegenden Insekten. Auf Büschen, wo reicher Insektenverkehr herrscht, verharrt sie mit steil aufgerichteter Halsbrust und hoch erhobenen Vorderbeinen. Sie erstarrt in dieser Stellung und erinnert jetzt tatsächlich an das Bild eines betenden Büßers. In Wirklichkeit ist sie das Vorbild für den geduldig lauernden Ansitzräuber. Die wie betend erhobenen Vorderbeine sind Waffen, die sich würdig neben die mörderischen Schlageisen stellen können, die der Mensch ersann. Unbeweglich streckt sie die Gottesanbeterin in die Luft und blitzschnell schlägt sie mit ihnen zu, sobald sich ein ahnungsloses Beutetier nähert. Um diese Fangbeine weit vorschleudern zu können, zeichnen sie sich durch ein sehr langes muskulöses Hüftglied, einen kräftigen Schenkel und ein dünnes zuschnappendes Schienenglied aus. Das Ende der Schiene ist zu einem langen spitzen Dorn ausgezogen, zu einem 3C
Dolch, der das gepackte Tier durchbohrt. Die Unterseite von Schenkel und Schiene ist mit einer Doppelreihe starrender Stacheln besetzt. Beim Angriff strecken sich die drei Glieder der Fangbeine weit aus. Der Enddorn der Schiene dringt wie ein Enterhaken in den Leib des Opfers und reißt es zwischen die Zähne des nunmehr taschenmesserartig einschnappenden Schlageisens, das sich aus Schiene und Schenkel der Jägerin zusammensetzt. Tief dringen die Stacheln von unten und oben in den Körper des gefangenen Insekts, wobei die drei deutlich sichtbaren großen Schenkelstacheln wohl nicht nur festhalten, sondern ebenfalls noch verwunden. Ein Entrinnen aus diesem Fangeisen ist unmöglich. Ob Spinne oder Biene, Grashüpfer oder Laubheuschrecke, Käfer oder Falter, sie sind verloren und werden im nächsten Augenblick durch einen zielsicheren Genickbiß, der die Bewegungszentren lähmt, getötet und dann behaglich aufgefressen. Bei kleineren Beutetieren begnügt sich die Gottesanbeterin mit dem Vorschleudern der Fangbeine. Bei beachtlichen und wehrhaften Geschöpfen aber wirft sie sich in eine schreckenerregende Positur. Sie breitet dabei die Flügeldecken aus, spreizt sie fast waagerecht, erhebt die grüngerandeten und durchscheinenden Flügel gleich ruhenden Tagschmetterlingen und erzeugt mit dem sich spiralig einrollenden und über die Flügeladern streichenden Hinterleibsende ein puffendes Geräusch. Das Beutetier ist dann natürlich starr vor Staunen ob dieser urplötzlichen Verwandlung, glotzt die geschwellten Segel der anrauschenden Fregatte an und bleibt — wie erwartet — noch ein Weilchen hocken. Es ist wahrscheinlich auch ein bißchen eingeschüchtert und duckt sich nieder. Die Flügel der Gottesanbeterin dienen nur diesem schauspielerischen und bluffenden Zweck. Lediglich die kleineren Männchen, die sich an größere Insekten gar nicht heranwagen, können noch fliegen. Ihre Eier heftet die Mantis in mehreren hornigen Paketen an Steine, Äste und Pfähle. Die Larven schlüpfen als winzige Ebenbilder der Vollinsekten und mästen sich mit Blattläusen heran. In den Tropen besitzen die Fangschrecken oft die Gestalt von bunten Blütenblättern. Sie erreichen nicht selten die Länge von zehn bis fünf31
zehn Zentimetern und sind imstande, selbst junge Mäuse, Vögel und Eidechsen zu überwinden. Damit müssen wir unseren kleinen Streifzug durch das Wunderland der Insekten leider schon beenden. Aber sicherlich bietet sich die Gelegenheit, mit einem neuen Lesebogen auch den Spinnen und Käfern, den Mücken und den Fliegen einmal einen Besuch zu machen.
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