Windkraft: Eine Alternative, die keine ist Herausgegeben von Otfried Wolfrum Mit Beiträgen von Hans Ernst Ulrich Filbra...
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Windkraft: Eine Alternative, die keine ist Herausgegeben von Otfried Wolfrum Mit Beiträgen von Hans Ernst Ulrich Filbrandt Thomas Mock Walter Niemand und Otfried Wolfrum
Zweitausendeins
Inhalt
Originalausgabe. 1. Auflage, August 1997. Copyright © 1997 by Zweitausendeins, Postfach, D-60381 Frankfurt am Main. Fotos (in Reihenfolge): Copyright Michael Meerpohl, Inge Gehm, Süddeutscher Verlag/Hans-Günther Oed, dpa/Stefan Hesse, Inge Lemken (zwei Bilder). Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile. Der gewerbliche Weiterverkauf und der gewerbliche Verleih von Büchern, Platten, Videos oder anderen Sachen aus der Zweitausendeins-Produktion bedürfen in jedem Fall der schriftlichen Genehmigung durch die Geschäftsleitung vom Zweitausendeins Versand in Frankfurt. Lektorat: Ekkehard Kunze und Martin Weinmann, (Büro W), Wiesbaden. Umschlaggestaltung: Sabine Kauf &Fritz Fischer. Satz und Herstellung: Dieter Kohler & Bernd Leberfinger, Nördlingen. Reproarbeiten: Repro-Technik G. Mayr, Donauwörth. Druck: Wagner GmbH, Nördlingen. Einband: G. Lachenmaier, Reutlingen. Printed in Germany. Dieses Buch gibt es nur bei Zweitausendeins im Versand (Postfach, D-60381 Frankfurt am Main, Telefon 01805-23 2001, Fax 01805-24 2001) oder in den Zweitausendeins-Läden in Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Köln, München, Nürnberg, Saarbrücken, Stuttgart.
Vorwort des Herausgebers
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Einleitung: Windenergie - ein trügerisches Symbol der Hoffnung
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1. Was kann die Windenergie zur Energieversorgung der Bundesrepublik beitragen? 2. Was kann die Windenergie zur Vermeidung einer Klimakatastrophe beitragen? 3. Was kostet uns der Strom aus Windkraftanlagen und was wäre sein Marktwert? 4. Welche Lärmbelastungen gehen von Windkraftanlagen aus? 5. Wie verträgt sich der Schutz der Natur mit der Nutzung der Windenergie? 6. Wie können sich Kommunen und Betroffene auf dem Rechtsweg gegen Windkraftanlagen zur Wehr setzen?
31 56 68 83 111
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Ausblick und Zusammenfassung
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Anmerkungen Glossar Abkürzungsverzeichnis Die Autoren
223 235 239 241
In der Schweiz über buch 2000, Postfach 89, CH-8910 Affoltern a.A. ISBN 3-86150-238-0
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Vorwort des Herausgebers
Umweltschutz ist ein hochrangiges Politikfeld, und zwar zu Recht, da es um die Sicherung einer lebenswerten Zukunft geht. Um so unerträglicher ist es, wenn die hohe gesellschaftliche Akzeptanz in dieser existentiell wichtigen Aufgabe kollaborierend von Umweltpolitikern und Kapitalanlegern zum Machterhalt und zur Profitmaximierung mißbraucht wird. Das vorliegende Buch soll dazu beitragen, den Komplex Windenergienutzung vom Ballast der Ideologie, des Wunschdenkens und des materiellen Mißbrauchs zu befreien. Um zu einer objektiven - das heißt nur an technischen, ökologischen und ökonomischen Tatbeständen orientierten - Bewertung zu gelangen, bedarf es Autoren, die dazu über die notwendige persönliche Unabhängigkeit verfügen. Dies ist für diese Studie durch die Gewinnung kompetenter Fachleute gelungen, bei denen jeglicher Verdacht, sie könnten den Energieversorgungsunternehmen oder anderen Interessengruppen irgendwie nahestehen, völlig ausgeschlossen ist. Die Autoren fühlen sich allein der Vernunft, der Wahrheit und dem Erhalt der Natur verpflichtet. Das vorliegende Buch ist aus den Fragen und Antworten zur Windenergienutzung in Deutschland entstanden, einer Schrift des Herausgebers, und wurde auf den neuesten
Stand gebracht. Lediglich die Fragen einer Offshore-Aufstellung wie auch der neuen Megawatt-Turbinengenera11
tion sind nur am Rande berücksichtigt, weil dazu noch keine hinreichenden Erfahrungen und Daten vorliegen. Jedoch wurden die baurechtlichen Probleme aufgrund der veränderten Gesetzeslage ausführlich dargestellt. Gleiches gilt für die Wirtschaftlichkeit der Windenergienutzung, weil die Einspeisungsvergütung gesetzlich neu gestaltet werden soll. Was diese Technologie für Mensch und Natur bedeuten kann, wird hier erstmals umfassend gezeigt. Dieses Buch wendet sich an Bürgerinitiativen sowie einzelne Betroffene, die - von Politik und Verwaltung meist alleingelassen - sich von den Nachteilen und Gefahren der Windturbinen ein Bild machen möchten, und den Gemeinden bietet es argumentative Hilfestellung, ihre Planungshoheit zum Wohle ihrer Bürger und Bürgerinnen zu verteidigen. Dem Verlag Zweitausendeins sei für die Aufgeschlossenheit gedankt, die er diesem so aktuellen wie dringenden Problem entgegenbringt.
Modautal, Juni 1997
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Einleitung: Windenergie - ein trügerisches Symbol der Hoffnung
Die angeblichen Vorteile der Windenergie sind dem Bürger leicht zu vermitteln. Denn es liegt auf der Hand: Die fossilen Energieträger werden eines Tages verbraucht sein, und wie sollen dann spätere Generationen überleben, wenn wir nicht heute schon verantwortungsvoll und weitschauend Techniken entwickeln, um diejenigen Kräfte zu nutzen, die uns die Natur »kostenlos« und unerschöpflich bietet. Wenn dann auch noch versichert wird, daß es sich um eine »saubere« Energie handele, deren Gewinnung ohne Risiken und schädliche Folgen im Einklang mit der Natur geschehe, so erscheint die Nutzung der Windenergie als die ideale Lösung. Die Nutzung der Wasserkraft ist in Deutschland weitgehend ausgebaut; man ist daher dem Beispiel der Vereinigten Staaten und Dänemarks gefolgt und hat politisch auf die Windkraft als Hoffnungsträger gesetzt. Damit hatte man Erfolg, zumindest was die technische Realisierung anging. Heute steht Deutschland in der Erzeugung von Windstrom weltweit an der Spitze. Möglich wurde dies einmal durch eine beispiellose Subventionierung, andererseits durch eine Politik der Entwarnung, die im Prinzip von allen Parteien getragen wird: Die Windenergie sei die Energie der Zukunft. Daß der weltweit steigende Energieverbrauch gestoppt werden müsse, daß Einschränkungen wie das Tempolimit auf Autobahnen notwendig 13
seien, all das sei panisches Gerede. Mit der landesweiten Begeisterung für die Windkraft wird die Botschaft verkauft: Wir können weitermachen wie bisher. Einschränkungen im Energieverbrauch werden zwar angemahnt, ordnungspolitisch jedoch nicht durchgesetzt. Also geht die Energieverschwendung mit steigender Tendenz weiter, während die sich lustig drehenden »Windmühlen« weithin sichtbar signalisieren, daß die Zukunft gesichert sei. Die Akzeptanz seitens der Bevölkerung ist dementsprechend hoch, sie ist fast einmütig oder war es zumindest, solange Windturbinen nur Einzelerscheinungen in der Landschaft waren. Dies beweisen auch die gerne zitierten Umfragen bei Badegästen in Schleswig-Holstein in den Jahren 1990/91. Wird aber die Turbine zu einer Massenerscheinung, rückt sie an die Wohnhäuser heran oder etabliert sie sich in den Landschaftsschutzgebieten, verflüchtigt sich die Illusion, der Blick der Betroffenen wird schärfer, der Widerstand der Bürger und Bürgerinnen formiert sich. Von ökonomischen und ökologischen Fragestellungen einmal abgesehen, lautet die entscheidende Frage: Kann in Zukunft mit der Windenergie ein nennenswerter Anteil unseres Energiebedarfs gedeckt werden? Die Antwort ist eindeutig nein: Mit der Windenergie wird dies niemals erreicht werden, weil naturgesetzliche Gegebenheiten dagegenstehen, auf die der Mensch keinen Einfluß hat. Es ist vor allem die geringe Energiedichte der bewegten Luft, die bei der Höhe des Energiebedarfs einer modernen Industriegesellschaft die Windenergie als Alternative zur konventionellen Versorgung grundsätzlich ausschließt. Diese geringe Energiedichte zwingt die Konstrukteure zu 14
extrem großen Rotorflächen und Turmhöhen. Trotzdem ist die durchschnittlich abgegebene Leistung einer Turbine - und hier lassen sich viele durch die gigantischen Abmessungen täuschen - außerordentlich gering. Eine moderne Windkraftanlage von 600 Kilowatt (kW) Nennleistung ( Maximalleistung) hat eine Höhe von über 70 Metern (die Siegessäule in Berlin ist 68 Meter hoch) und belastet die Landschaft und die Menschen mit den Bewegungen eines Rotors, der eine Fläche fast halb so groß wie ein Fußballfeld überstreicht. Im Binnenland produziert eine solche Maschine pro Stunde durchschnittlich etwa 100 Kilowattstunden (kWh), was einer Leistung von etwa 140 PS entspricht. An der Küste ist es etwa die Hälfte mehr. Um eine einzige Standardlok der Deutschen Bahn AG mit Strom zu versorgen, werden mindestens 34 dieser Turbinen im Binnenland oder 24 an der Küste benötigt. Mit einer solchen Technologie läßt sich natürlich keine Wende in der Energiewirtschaft herbeiführen. Hinzu kommt, daß der Flächenverbrauch für die Windenergienutzung immens ist. Zwischen den Turbinen eines »Windparks« müssen Mindestabstände eingehalten werden, damit sie sich nicht gegenseitig den Wind »wegnehmen«. Man rechnet bei der jüngsten Turbinengeneration mit Mindestabständen von 170 bis 350 Metern. Dazu kommen nach außen vor allem Sicherheitsabstände zu Verkehrswegen und als Lärmschutzmaßnahme Mindestabstände zu Wohngebäuden. Eine 600-Kilowatt-Anlage beansprucht damit eine Fläche von mindestens 15 Hektar, eine Fläche, die dann nur noch sehr eingeschränkt und allenfalls für die Landwirtschaft nutzbar ist. Eine Flächenausweisung für Windkraftanlagen (WKA) kann auch aus diesem Grund sehr problematisch für eine Gemeinde sein, 15
weil sie sich für künftige Baulandausweisungen selbst blockiert; sogar Aufforstungen sind dann innerhalb eines Abstands von rund 300 Metern nicht mehr möglich. Deutschland ist ein dichtbesiedeltes Land mit einer engmaschigen Infrastruktur, und freie Flächen, groß genug für die erforderlichen Mindestabstände, sind knapp. Würde man alle geeigneten Flächen so dicht wie möglich mit Windkraftanlagen besetzen, könnte man nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) etwa 60 Milliarden Kilowattstunden Windstrom pro Jahr erzeugen. Dies wären rund 12 Prozent des Stromverbrauchs der BRD mit 500 Milliarden Kilowattstunden. Aber dieser Anteil ist niemals zu realisieren, weil keine Kommune bereit wäre, ihren gesamten beplanbaren Außenbereich der Windindustrie zu überlassen. Trotzdem verkünden unsere Politiker, daß diese 12 Prozent, zumindest längerfristig erreichbar wären. Diese Behauptung ist gleichermaßen dumm wie irreführend; es wird nämlich dabei das technische Potential der Windstromerzeugung, das heißt das maximal technisch Machbare, mit dem realisierbaren Potential, also dem, was später von der Bevölkerung toleriert wird, gleichgesetzt. Die Absurdität dieser Gleichsetzung wird durch folgende einfache Überlegung deutlich: Im vergangenen Jahr wurden 2,1 Milliarden Kilowattstunden Windstrom in die öffentlichen Netze eingespeist. Im gleichen Zeitraum betrug jedoch in Deutschland der Stromverbrauch rund 502 Milliarden Kilowattstunden. Die stolze Bilanz einer Energiepolitik, die für sich Weitblick und Verantwortung reklamiert, lautet damit: Nach sechs Jahren eines in der Welt einmalig forcierten Ausbaus der Windenergienutzung liefert der Windstrom ganze 4 Promille un16
seres Strombedarfs. Um das gesteckte Ziel von 12 Prozent zu erreichen, wäre das 30fache an Turbinen erforderlich. Niedrige Energiepreise: die heilige Kuh, die keiner schlachten will
»Während der Weltklimakonferenz in Berlin wurde laut > Frankfurter Allgemeine< ein Horrorszenarium bekannt: Wollte man auch nur die Hauptstadt einzig mit Windenergie versorgen, müßte man die ganze Ostseeküste von Flensburg bis Ahlbeck auf einer Länge von 550 Kilometern mit Windmühlen im Abstand von jeweils 50 Metern bestücken, zweireihig und 400 Meter tief ins Landesinnere gestaffelt. Um die -Jahrtausendwende sollen ähnliche Generatorenansammlungen 5 (in Worten: fünf) Prozent des niedersächsischen Strombedarfs decken. Zum Vergleich: Die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre rechnet mit unausgeschöpften Stromsparpotentialen von 70 (I) Prozent allein bei Elektrogeräten und 10 i n der Industrie. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts des derzeit nur 0,3 Prozent ausmachenden Anteils der Windkraft an der Netto-Stromerzeugung in der Bundesrepublik erweist sich das Öko-Argument der hoch subventionierten Windkraftbetreiber als Bastard aus Politik und Wirtschaft. Längst ist die Einspeisung des Stromüberschusses der privaten Windkraftnutzer in die Leitungen der Energiekonzerne zum Geschäft geworden. Das, nicht die Ökologie, ist der Motor des Booms. Statt dessen: die Energie verteuern, um wenigstens ihre Verschwendung einzudämmen? Ein Gedanke dies >aus dem Gruselkabinett der WeltverbessererVerspargelung< der Nordseeküste mit Windkraftanlagen. Sie hält es für möglich, 15 000 Megawatt Strom aus Windenergie zu gewinnen. Dazu bräuchte sie 30000 dieser Windmühlenmonster. Und als deren Standort die Küstenregion, weil dort der Wind so schön bläst. Wenn er bläst. Dummerweise ist diese Region der Lebensraum von 12 Milli onen Vögeln - Drehscheibe des ostatlantischen Vogelzuges zwischen Afrika und Arktis und zugleich Brutraum vieler hochgefährdeter Arten. Zu deren aller Schutz ging die Bundesrepublik gegenüber der europäischen Union rechtswirksame Verpflichtungen ein. Er wäre in großen Teilen dahin, käme es zur Verwirklichung dieser ohnehin schon weit gediehenen Verspargelung. Untersuchungen zeigen, daß die in Reihe stehenden Generatoren mit einer Nabenhöhe von bis zu 60 und einem Propellerradius von 33 Metern nebst ihren Lichtreflexen und dem Lärm der Rotoren wahre Schreckenszäune für die Vögel sind, zu denen sie bis zu einem halben Kilometer Abstand halten und die sie daran hindern, bei Hochwasser das Hinterland zur Nahrungssuche zu erreichen. Aber für Frau Greifahn scheinen diese Vogelscheuchen der besonderen Art die besagte Fahrradfabrik zu sein, gegen die der Naturschutz doch im Ernst nichts haben kann, schließlich will Niedersachsen mit der Windkraft einen Schrittweiterkommen auf dem Weg heraus aus der Kernenergie. Sie ließ erklären, die NPartuoscheüzgdniwePläsnihr
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>lästigüberarbeitenFälschung< riefen, verlautbarte Monika Griefahn indigniert, ihr Haus habe lediglich die Daten ihres Landesamtes mit denen des Wilhelmshavener Deutschen Windenergie-Institutes >zusammengeführtWindpark< für eine Ansammlung dieser Goliaths an einem Ort läßt grüßen.« Auszug aus: Die Woche, 22.9.1995, von Horst Stern
Als insgesamt gravierender sind jedoch die subletalen Beeinträchtigungen einzustufen. Die Vögel müssen ihre Flugroute ändern, sie müssen die Anlagen weiträumig umfliegen oder über sie hinwegfliegen. Das wirkt sich besonders dann ungünstig auf die körperliche Verfassung aus, wenn die Tiere durch Wanderung, Mauser oder Reproduktion geschwächt sind oder wegen widriger Witterungsbedingungen (hohe Fluten, Stürme, Kälte, Schnee, Eis) ihren Nahrungsbedarf nur mit Mühe decken können. Bekanntlich sinkt die Flug- und Zughöhe der Vögel bei starkem Wind. Beobachtungen aus Schleswig-Holstein ergaben eine mittlere Zughöhe zwischen 50 und 90 Meter über Land, das heißt exakt im Rotorbereich gängiger 23 Windenergieanlagen. Besonders scheu reagieren offenbar Limikolen (Watvögel) und Gänse auf Windenergieanlagen und umfliegen Windparks großräumig.', 23 116
Die niedrigen Flughöhen von Wasservögeln über dem Meer' und die international bedeutenden marinen Rast-, Nahtangs- und Mausergebiete in Nord- und Ostsee (z. B. für Seetaucher, Brandgans, Trauer-, Eis-, Eiderente)13, 42 zeigen, wie problematisch das Wattenmeer im Hinblick auf die Installation von Windenergieanlagen im OffshoreBereich ist. Bau, Betrieb und Unterhaltung von OffshoreWindenergieanlagen werden auch mit erheblichen Störungen benachbarter Rast- und Setzgebiete von Seehunden in Zusammenhang gebracht.19 ' Wat- und Wasservögel überqueren die Deiche ebenfalls oft in geringer Höhe, wenn sie zwischen den Nahrungsgründen im Wattenmeer und den (Hochwasser-)Rastplätzen im Binnenland wechseln. Angestammte Brutplätze werden von den Vögeln gemieden, wenn in der Nähe Windenergieanlagen installiert werden. Den Störungen in der Bauphase folgen dann durch den Betrieb akustische und optische Effekte (Schattenwurf der Rotoren). So haben zum Beispiel Kiebitze nach der Errichtung einer Großanlage (2 Megawatt) ihr Brutgebiet nicht wieder aufgesucht. 37 ' Rast- und Nahrungsplätze, die in Windparks oder in deren Nähe liegen, werden gemieden. Große Brachvögel und Goldregenpfeifer rasten vor allem auf Äckern im küstennahen Binnenland. Ihre Nahrungsgebiete liegen zum Teil im Wattenmeer. Diese Vogelarten meiden Windparks nachweislich: Die Hälfte der beobachteten Goldregenpfeifer hielt eine Distanz zwischen 400 und 500 Meter, der entsprechende Anteil der Brachvögel blieb den Anlagen gut 400 bis 450 Meter fern .41 Zu den direkten Folgen der Windenergienutzung kommen noch die Erschließung abgelegener und wenig besiedelter Gebiete (Wegebau) und die Unterhaltung und Wartung der 117
Anlagen hinzu. Und daß Windenergieanlagen als »ein Zeichen für direkte und umweltfreundliche Energienutzung« angeblich keine Überlandleitungen benötigen, ist schlichtweg falsch.` Das bestehende Leitungsnetz ist nicht auf die Anbindung (größerer) peripherer Stromerzeuger wie die Windparks ausgelegt. Der Bau neuer Freileitungen - mit den bekannten Folgen für die Vogelwelt - ist absehbar, so zum Beispiel für den seit Jahren mit Hinweis auf eine modellhafte Umweltverträglichkeitsstudie immer wieder angekündigten Windpark im Wybelsumer Polder bei Emden (50 Anlagen der 500-Kilowatt-Klasse).
Was passiert mit dem Landschaftsbild? Anders als die Verluste für den Naturhaushalt erschließen sich die Veränderungen des Landschaftsbildes durch Windenergieanlagen dem Betrachter unmittelbar und ohne naturwissenschaftliche Vorkenntnisse. Die gewachsene historische Kulturlandschaft wird schon an vielen Stellen von Einzelanlagen oder Windparks geprägt. Die Weite der Watten und Marschen erhält eine neue, industrielle Dimension." Windräder kann man hier noch aus 20 Kilometer Entfernung deutlich erkennen: vereinzelt, etwa mit Blick vom Festland auf die Ostfriesischen Inseln, oder - von See her - als optisch geschlossener Anlagenriegel entlang der Küste. Windenergieanlagen konkurrieren nun optisch mit den Leuchttürmen und Kirchen und dominieren diese traditionellen Wahrzeichen norddeutscher Kulturlandschaft. Die Anlagenhersteller preisen die Errichtung ihrer gigantischen Konstruktionen »in Harmonie mit der Landschaft« 118
an und suggerieren, »die farblich abgestuften Türme lassen sich ästhetisch in das jeweilige Landschaftsbild integrie14 ren«. Auch die »Leitlinie zur Anwendung der Eingriffsregelung des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes bei 29 der Errichtung von Windenergieanlagen« (im folgenden kurz: Leitlinie) ist von dem Gedanken beseelt, die »Farbgebung der Windenergieanlagen« so zu halten, daß »sie sich in den Naturraum möglichst unauffällig einordnen«. Eigentümer und Betreiber meinen gar, ein landschaftsgestalterisches Gutachten garantiere »die angemessene 35 Einbindung des Windparks in die Natur«. Ein Landschaftsgutachten zu Beginn der Windkraftnutzung hätte durchaus dazu beitragen können, daß sich die Konflikte gar nicht erst derart zuspitzen. Eine solche Ex pertise, im Auftrag des Landkreises Aurich und in der Hoffnung erstellt, »einen Beitrag zur Verbindung von Windenergienutzung und behutsamem Umgang mit der gerade in der Küstenregion besonders wertvollen und schönen Landschaft leisten zu können«, kommt um Jahre zu spät.` Als das Gutachten Ende 1995 erschien, drehten sich allein in der Krummhörn, der historischen Kulturlandschaft zwischen Emden und Norddeich, schon 120 Windräder; 80 weitere sind genehmigt und 75 geplant. Zumindest kommen die Gutachter zu der Erkenntnis, daß Baugenehmigungen erteilt wurden, »wo dies aus ästhetischen Überlegungen eigentlich nicht hätte geschehen dürfen«, und fordern sogar den Rückbau fehlplazierter Altanlagen. Solche Einsicht hätte man sich auch für den Naturhaushalt gewünscht, aber der spielt offenbar keine Rolle. So findet die »landschaftsästhetische« Studie neue »Suchräume« für Windparks selbst in geschützten und schutzwürdigen Gebieten! Sogar im Nationalpark »Nie119
dersächsisches Wattenmeer« sind Windenergieanlagen angeblich denkbar, außerhalb der Schutzgebiete zwar, doch in nächster Nähe der dazugehörigen Ruhezone."
Was nützt das Naturschutzgesetz? Das Beispiel Niedersachsen Die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege hat 7 der Gesetzgeber im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) wie folgt definiert: »Natur und Landschaft sind im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln, daß 1. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, 2. die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, 3. die Pflanzen und Tierwelt sowie 4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Lebensgrundlage des Menschen und als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft nachhaltig gesichert sind« (§ 1 Abs. 1 BNatSchG). Diesem Paragraphen unmittelbar nachgeschaltet ist ein Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 2 BNatSchG; § 1 Abs. Niedersächsisches Naturschutzgesetz 28 ), das »sonstige Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft« den im Gesetz zuvor genannten Zielen gegenüberstellt. Als »Anforderung der Allgemeinheit« konkurriert zum Beispiel die Nutzung der Windenergie mit den Zielen von Naturschutz und Landschaftspflege. Sie beeinträchtigt nicht nur die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, son120
dern auch die Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft.' Erst langsam erkennt die Gesellschaft die Auswirkungen der Windkrafteuphorie. Bei der Abwägung der Ziele von Naturschutz und Windkraftlobby wird aber bis heute meist und im Zweifel für die Windkraftnutzung entschieden. Anfang 1993 veröffentlichte das Deutsche WindenergieInstitut (DEWI) im Auftrag des Umweltministeriums einen Katalog »geeigneter Flächen als Grundlage der Standortsicherung von Windparks« auf der Basis der Windgeschwindigkeiten. Die Flächenanalyse wurde unter Berücksichtigung der Schutzgebiete (einschließlich Landschaftsschutzgebiete) und Vorranggebiete für Natur und Landschaft vorgenommen. So verblieb ein Standortpotential von durchschnittlich 15 Prozent der Landkreisflächen von Leer bis Stade, Platz genug für mehr als 12000 Megawatt installierter Leistung oder über 24000 Anlagen der 11 500-Kilowatt-Klasse. Damit war die Marschrichtung für die Nutzung der Windenergie bereits abgesprochen, bevor die Naturschutzverwaltung überhaupt zu Wort gekommen war. Aufgrund der Lektüre der »Windkraft-Bibel« des DEWI hatten viele Grundeigentümer, Planer und potentielle Betreiber ihre Claims schon abgesteckt, als im Juni 1993 das Umweltministerium endlich seine Leitlinie 29 präsentierte. Ein weiteres Jahr verstrich, bis das entscheidende Fachgutachten zur Abgrenzung »avifaunistisch wertvoller Bereiche von lokaler und höherer Bedeutung« erschien. Im Herbst 1993 hatten erste Entwürfe einer Karte der »avifaunistisch wertvollen Gebiete« noch Ausschlußgebiete und eine Pufferzone entlang der Küste vorgesehen. Dort sollten vorsorglich »zusammenhängende Feuchtgrünlandbereiche, 121
Lebensräume für Wiesenbrüter und Weißstorch, küstennahe Hochwasserfluchtplätze« und die »Küstenlinie und Wasserläufe mit Leitlinienfunktion« von Windenergieanlagen freibleiben. Die vorbildliche Vermeidungsstrategie des Landesamtes für Ökologie ging der obersten Naturschutzbehörde, dem Umweltministerium, zu weit. Es wies 28 seine Fachbehörde für Naturschutz (gemäß § 57 NNatG) an, diese »wahrscheinlichen Ausschlußgebiete« zu streichen und von dem Terminus »Ausschlußgebiet« gänzlich 30 abzusehen. Im August 1994 erschien die offizielle Kartenversion. Erleichtert registrierte die Windkraftlobby die Signale aus Hannover: »Von großer Bedeutung für die Windkraft war ferner der Abbau administrativer Hemmnisse. In den Genehmigungsverfahren haben die Belange des Naturschutzes in der Vergangenheit häufig zu einer Ablehnung von Bauanträgen für Windkraftanlagen geführt«?' Das sollte sich ändern. Die flächenhaften Vorsorgegebiete zerfielen zu einem Flickenteppich küstennaher Brut- und Rastgebiete. Dabei schnitten die Landkreise Leer und Friesland noch am besten ab. In Aurich und Wittmund verschwanden faunistisch wertvolle Bereiche - bei vergleichbarem Landschaftsinventar - fast vollständig von der Karte. Die Vermutung lag nahe, daß bestimmte, für den Natur- und Vogelschutz wertvolle Flächen für Windenergieanlagen freigehalten werden sollten. Heute stehen Windparks selbst in avifaunistisch national bedeutenden Rastgebieten (Westermarsch, Georgshof/Dornum, Landkreis Aurich). Auch mit strengen Schutzgebieten geht die Leitlinie nicht gerade rücksichtsvoll um. Selbst in Nationalparks und Naturschutzgebieten ist die Zulassung von Windenergie122
anlagen im Einzelfall möglich. Dabei beträgt der Flächenanteil von Naturschutzgebieten in den Küstenlandkreisen gerade zwischen 1,1 Prozent (Wittmund) und 4,2 Prozent (Cuxhaven)." Die gleiche Ausnahmeregelung gilt im Grundsatz für die »avifaunistisch wertvollen Bereiche von lokaler und höherer Bedeutung«. Schutzwürdige Gebiete, Vorranggebiete für Natur und Landschaft (gemäß Raumordnungsprogramm) sowie die nach internationalen Richtlinien und Übereinkommen (EU-Vogelschutz- und Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien; Ramsar-Konvention, Bonner und Berner Konventionen) geschützten Gebiete ohne konkreten landesgesetzlichen Schutz konnten sich nicht als Ausschlußgebiete für Windenergieanlagen qualifizieren. Das betrifft auch die bereits genannten Vorsorgeflächen. In Landschaftsschutzgebieten, wo laut Gesetz »Natur und Landschaft ganz oder teilweise besonderen Schutzes bedürfen« (§ 26 Abs. 1 NNatG), wird für Windparks »im Regelfall eine Entlassung der betreffenden Fläche aus 29 dem Schutz erforderlich werden«. Damit steht dem Abbau von Landschaftsschutzgebieten, deren Flächenanteil an der Küste bestenfalls 6,5 Prozent erreicht (Landkreis Friesland), 39 nichts mehr im Wege.
Greift die naturschutzgesetzliche Eingriffsregelung? Eingriffe im Sinne des Niedersächsischen Naturschutz-
gesetzes (NNatG) sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können (§ 7 NNatG). Die Eingriffsrege123
lung ist nicht auf Schutzgebiete beschränkt. Sie verpflichtet den Verursacher zum schonenden Umgang mit der Natur und Landschaft und zu deren Wiederherstellung bei Eingriffen. Bau und Betrieb von Windenergieanlagen unterliegen unbestritten der Eingriffsregelung. Ihre Auswirkungen sind zu minimieren (§ 8 NNatG) und auszugleichen. Die betroffenen Strukturen und Funktionen von Natur und Landschaft sind also wertgleich, raum- und zeitnah wiederherzustellen (§ 10 NNatG). In Anbetracht der erheblichen Probleme bei Verminderung, Ausgleich und Ersatz von Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes hat die Vermeidung dieser Eingriffe höchste Priorität. Eine Vermeidung oder Minimierung der Eingriffsfolgen von Windenergieanlagen ist am ehesten durch Konzentration an wenig sensiblen und an konfliktarmen Standorten zu erzielen. Die »farbliche Gestaltung« der Anlagen dürfte sich hingegen kaum als seriöse Vermeidung oder Verringerung der Eingriffsfolgen bewähren. Die Eingriffsregelung erfordert eine qualifizierte Erfassung und Bewertung der betroffenen Elemente des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes. Nur so sind sinnvolle und angemessene Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu entwickeln. Dennoch gibt es Ansätze, die Verpflichtung zur konkreten Kompensation pauschal mit 25 10 DM" oder 10 Quadratmetern »Ausgleichsfläche« pro installiertem Kilowatt zu umgehen. Die Leitlinie des niedersächsischen Umweltministeriums schlägt für das beeinträchtigte Landschaftsbild die Kaschierung anderer, landschaftsuntypischer Bauwerke oder die Wiederherstellung »naturraumtypischer vertikaler 2 Strukturen« vor. ' Sinnvoll erscheint tatsächlich die Be124
seitigung landschaftsfremder Strukturen, etwa die von Fichtenforsten in der Marsch. Unter Umständen würden dann aber die Windenergieanlagen noch mehr auffallen. In jedem Fall ist die ernsthafte Auseinandersetzung mit Ausgleichsmaßnahmen geboten, 15 um nicht - nach Abwägung - zu Ersatzmaßnahmen zu kommen, die möglicherweise unter die »5-Mühlen-Regelung« 28, 21,19 fallen das heißt schlichtweg entfallen. Als Ausgleich für den Eingriff in den Naturhaushalt sind zum Beispiel verlorengegangene Rast- oder Brutplätze gleichwertig, das heißt nach Arten, Bestandsgrößen und Funktionen identisch wiederherzustellen. Ist ein Eingriff nicht vermeidbar und auch nicht ausgleichbar, dann muß über seine Zulässigkeit entschieden werden. Dabei werden alle Anforderungen an Natur und Landschaft untereinander abgewogen. Nur wenn dabei die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege vorgehen, ist der Eingriff unzulässig. Einen solchen Vorrang billigt die Leitlinie »unter Zulassungsmöglichkeiten im Einzelfall« nur den streng geschützten und avifaunistisch wertvollen Gebieten zu." Verfechter der Windenergienutzung wollen nun glauben machen, jeder mögliche Beitrag zur Verringerung der C0 2 -AnreichugdEatmospäreizuglchnBta zum Naturschutz." Daß die Nutzung der Windkraft »weder Luftschadstoffe, Reststoffe, Abfälle, Abwärme abgibt noch ein atomares Risiko mit sich bringt«, müsse bereits in der Abwägung berücksichtigt werden, meint das niedersächsische Umweltministerium und stellt diese »positiven Umwelteffekte« den Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch Windenergieanlagen gegenüber." In diesem Sinne wurde sogar das Niedersächsische 125
Naturschutzgesetz geändert. Seit 1993 sind Gruppen von weniger als sechs Windenergieanlagen von Ersatzmaßnahmen für die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes be28 freit (5-Mühlen-Regelung) . Das klingt verdächtig nach einer »Windwirtschaftsklausel«, die offenbar analog zur berüchtigten Landwirtschaftsklausel die Nutzung einer Ressource zu Lasten von Natur und Landschaft begünstigen soll. Auf diese Weise wird der Irrglaube genährt, der Schutz von Natur und Landschaft habe im Zweifelsfall hinter dem Klimaschutz (durch Windenergieanlagen) zurückzustehen. Goldregenpfeifer, Große Brachvögel und andere Vogelarten werden den verminderten CO, -Anteil in der Atmosphäre indes kaum zu schätzen wissen, wenn ihre Flugwege versperrt und ihre Brut-, Rast- und Nahrungsplätze unter Windparks verschwunden sind. Fällt eine Abwägung zugunsten von Windenergieanlagen aus, dann kommen Ersatzmaßnahmen zum Zuge, die zerstörte Funktionen oder Werte an anderer Stelle des betroffenen Raumes in ähnlicher Weise wiederherstellen sollen (§ 12 NNatG). Der Schwierigkeit, bei Hunderten von Anlagen Ersatz zu leisten, ist der niedersächsische Gesetzgeber mit einer Sonderregelung aus dem Weg gegangen: für bis zu fünf Windenergieanlagen können Ersatzmaßnahmen entfallen. Auch für größere Anlagenkomplexe unterbleibt häufig eine adäquate Kompensation für die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Problematisch - auch für den Naturhaushalt - gestaltet sich allenthalben die Suche nach geeigneten Ersatzflächen. Zusammenhängende, störungsarme Gebiete vergleichbarer Ausdehnung und Wertigkeit sind längst Mangelware. So müht man sich um eine 126
»Wertsteigerung« auf kleinsten Flächen - etwa in Form extensiver Bodennutzung. 38 Signifikante Verbesserungen zum Beispiel von Grünlandhabitaten für Wiesenvögel sind jedoch nur mit großflächigem Ersatz erreichbar. Die Liste der Antragsunterlagen zur Eingriffsbeurteilung bei Windenergieanlagen enthält übrigens keinen Hinweis auf eine qualifizierte Beschreibung des Naturhaushaltes in 29 dem betroffenen Gebiet. So entstehen Gutachten, die völlig ohne quantitative Basis auskommen und entscheidende Daten, beispielsweise zum Rastvogelbestand, überhaupt nicht erfassen .17, 38 Entsprechend dürftig fallen dann die Kompensationsvorschläge aus.
Helfen Nationalparks und internationale Vereinbarungen? Wegen seiner weltweit einzigartigen Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt stehen weite Teile des Wattenmeeres an der Nordseeküste als Nationalparks unter Naturschutz. Diese Großschutzgebiete sollen die Gesamtheit des Lebensraumes Wattenmeer, dessen Dynamik und ungestörte Entwicklung sicherstellen. Viele menschliche Aktivitäten sind dort verboten. Auch von Windenergieanlagen ist der Nationalpark (vorbehaltlich der Einzelfallprüfung!) freizuhalten. Bislang existieren nur wenige Einzelanlagen. Doch mit zunehmender Nutzung der Windenergie im Küstenraum wächst die Sorge um die Schutzziele im Wattenmeer. 1991 vereinbarten deshalb die Teilnehmer der 6. Trilateralen Regierungskonferenz zum Schutz des Wattenmeeres (Esbjerg) als gemeinsames Ziel, »den grundsätzlich positiven Bei127
trag der Windenergie in bezug auf die Umwelt und den Naturschutz und außerdem den Schutz der Vögel und den Erhalt der Schönheit der Landschaft bei der Erzeugung von Windenergie anzuerkennen. Zu diesem Zweck verbieten sie den Bau von Windkraftanlagen im Wattenmeer auf der dem Meer zugewandten Seite der Deiche und der Küste.« Außerdem »berücksichtigen sie beim Bau von Windenergieanlagen auf den Inseln und in einer an das Wattenmeer angrenzenden Zone im Rahmen von Einzelfallprüfungen insbesondere den Erhalt und den Schutz des Gesamtcharakters des Wattenmeeres hinsichtlich Öko8 logie und landschaftlicher Schönheit«. Wie weit die Wirklichkeit von diesen Zielen entfernt ist, läßt der Auswertungsbericht 1994 erahnen, wenn er »erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung solcher Regelungen« feststellt.' Restriktionen der Windenergienutzung ergeben sich weiterhin aus den EU-Vogelschutz- und Flora-Fauna-HabitatRichtlinien und den Konventionen von Ramsar, Bonn und Bern. Diese Regelwerke befassen sich mit dem Schutz wildlebender Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensräumen im internationalen Kontext. An dieser Stelle sei kurz auf die EU-Vogelschutzrichtlinie 10 eingegangen. Der Anhang 1 der Richtlinie listet beispielsweise Arten auf, die vom Aussterben bedroht oder gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindlich sind. »Die Mitgliedsstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten ...« (Art. 4 Abs. 1). Solche »Besonderen Schutzgebiete« erstrecken sich in Deutschland zum Beispiel entlang der Küsten und Flüsse. Zu möglichen Nutzungsansprüchen 128
in derart geschützten Gebieten hatte der Europäische Gerichtshof 1991 in seinem »Leybucht-Urteil« ausgeführt: Für die Verkleinerung eines »Besonderen Schutzgebietes« können »wirtschaftliche und freizeitbedingte Erfordernisse nicht in Betracht kommen«.'$ Was für den Gebietsverlust bei Eindeichungen (Leybucht) gilt, dürfte auch für die Flächenreduktion durch Windenergieanlagen gelten. Heute stehen Windenergieanlagen auch in Vogellebensräumen, die als »Besonderes Schutzgebiet« ausgewiesen sind. Aus diesem Grund erwägen Naturschützer eine entsprechende Beschwerde bei der EU-Kommission.
Gibt es Versuche, das Naturschutzgesetz zu umgehen? Beispiel Windpark Leyhörn An der ostfriesischen Leybucht läuft seit 1985 das gegenwärtig größte deutsche Küstenschutzprojekt. Ein neuer Deich ragt nun wie eine Landzunge weit ins Wattenmeer hinein. In dem eingedeichten »Leyhörn« sollen strenge Naturschutzmaßnahmen greifen. Seit Planungsbeginn gilt dem exponierten Bauwerk aber auch das besondere Augenmerk der Windkraftlobby. Zunächst verweigerte der Landkreis Aurich in seinem »Regionalen Raumordnungsprogramm« die Einstufung des Leyhörns als Vorranggebiet für Natur und Landschaft. 24 Um die Chancen für einen Windpark auszuloten, ließ der Kreis 1991 und 1992 Zugphänologie und Flugverhalten der Vögel untersuchen.32 Die Ergebnisse der Studie hält die Verwaltung bis heute unter Verschluß. Wenn man weiß, welche herausragende Bedeutung die 129
Leybucht für die Vogelwelt hat, dann liegt die Vermutung nahe, daß der Untersuchungsbericht eben diese Tatsache unterstreicht und deshalb potentiellen WKA-Betreibern kaum Argumente liefert. Den nächsten Vorstoß ins Leyhörn wagte der Auricher WindenergieanlagenherstelElnerco.193wtdasGebivomLnpcht, um 50 Turbinen mit jeweils 1 Megawatt Leistung auf dem Deich zu errichten. Ein entsprechender Antrag lag schon auf dem Tisch des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums. Der Kritik der Naturschutzverbände folgte umgehend das Enercon-Dementi: Man habe gehofft, »den Standort Leybucht aus der öffentlichen Diskussion herausgenommen zu haben«. Wenn schon nicht Enercon, dann sollte auch niemand anders dort bauen dürfen. Auf dem Markt herrsche nämlich »eine geradezu aggressive Vorgehensweise unter einigen Windparkinteressenten und Anlagenherstellern, in bester Goldgräbermanier günstiges Gelände für weitere Windparks an sich zu reißen. Eines der Ziele ist 33 u. a. auch die Leybucht ...«, so der Anlagenbauer. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Im Herbst 1995 qualifizierte ein Gutachten zum Landschaftsbild das Leyhörn als »unmaßstäbliche Kunstlandschaft ohne kulturraumtypischen Charakter« und nahm es in eine Liste von »Suchräumen« für weitere Windparks auf. Zwar sei dort eine »Nutzung für Windenergieparks« wegen des Status Naturschutzgebiet »ungewiß«, allein die Darstellung in Text und Karte weckt alte Hoffnungen» Gerade die Eindeichung der Leybucht hatte die Grenzen von Eingriffen im Wattenmeer aufgezeigt. Selbst der Europäische Gerichtshof kritisierte 1991 die Maßnahme i m Grundsatz und erlaubte ihre Ausführung nur wegen der 130
angekündigten Kompensation und strenger Naturschutzmaßnahmen.' Auf die Windparkpläne und deren Auswirkungen reagierte die EU-Kommission bereits im Januar 1994 mit dem Hinweis, daß auch ein Windpark das »Besondere Schutzgebiet« nicht erheblich beeinträchtigen dürfe.
Beispiel Georgshof Seit 1994 steht der Windpark Georgshof bei Dornum. Dort läßt sich der Landkreis Aurich vom Betreiber 10 DM pro Kilowatt installierter Leistung für das beeinträchtigte Landschaftsbild bezahlen. Die 18 Anlagen mit je 500 Kilowatt kosten den Georgshof-Betreiber 90000 DM, ein Taschengeld im Vergleich zu den Anschaffungskosten von rund 1 Million DM pro Turbine." Mit diesem Geld sollen Grundstücke für den Naturschutz erworben werden. Quadratmeterpreise um 1,80 DM erlauben gerade einmal den Ankauf von 500 mal 100 Quadratmetern, wenn diese überhaupt, geschweige denn zusammenhängend zu bekommen sind. Eine etwa gleichgroße Fläche soll als Ersatz für die Beeinträchtigung des Naturhaushaltes hergerichtet werden. Diese Praxis ist höchst zweifelhaft, weil ein qualifizierter Bebauungsplan die Ersatzmaßnahmen im voraus und konkret festlegen muß. Die Möglichkeit des Freikaufs von naturschutzgesetzlichen Pflichten, eine moderne Form des Ablaßhandels, sieht das Naturschutzgesetz Niedersachsens nicht vor. Die Bereitstellung von 10 Hektar für einen Windpark, der 60 Hektar (mit Pufferzone etwa 300 Hektar) beansprucht, widerspricht eklatant der Eingriffs131
regelung. Bleibt zu ergänzen, daß der Windpark Georgshof mitten in einem Vogelrastgebiet von nationaler Bedeutung steht, das laut Leitlinie des niedersächsischen Umweltministeriums von Windenergieanlagen freibleiben sollte."
Beispiel Utgast Alles hatte ganz harmlos angefangen. Der Windpark Utgast 1 im Landkreis Wittmund mit 7 Anlagen wurde 1993 ohne große Hürden genehmigt. Das ökologische Begleitgutachten war mager. Zahlenmaterial für die Avi3 fauna fehlte, Rastbestände wurden nicht berücksichtigt. Dennoch passierte diese Planung die Aufsichtsbehörde in Oldenburg. Die Hoffnung, mit dem Verfahren den Bau von Windenergieanlagen auf der restlichen Gemeindefläche auszuschließen, erwies sich als trügerisch. Ein riesiger Windpark mit 100 Anlagen der 300-Kilowatt-Klasse (Utgast II) sollte folgen. Das gigantische Projekt reduzierte sich im Laufe der Zeit auf 41 Anlagen mit je 600 Kilowatt. Der »bisher größte Windpark Europas« ging im Herbst 1996 in Betrieb." Auch bei Utgast II taugte das ökologische Gutachten gar nichts. Das Ingenieurbüro nannte im Bauantrag keine einzige konkrete Ausgleichs38 und Ersatzmaßnahme, zeichnete aber gleichzeitig für Projektplanung und Bauleitung des Windparks verantwortlich. Utgast II beansprucht eine Fläche von etwa 400 Hektar einschließlich Pufferzone. Nach Auskunft des Landkreises Wittmund soll der Eingriff nun mit extensiver Landwirtschaft (verminderte Weideviehdichte, verzögerte Mahd) auf insgesamt 100 Hektar verstreuter Par132
zellen erreicht werden, während das Gutachten immerhin 175 Hektar als erforderlich errechnet hatte." Wesentliche Verbesserungen der Lebensbedingungen der betroffenen Avifauna, wie die Anhebung der Grund- und Grabenwasserstände, lassen sich auf diese Weise nicht realisieren. Für vier weitere Windparkstandorte im Landkreis Wittmund, die einschließlich Pufferzone etwa 500 Hektar beanspruchen, sind auf 70 Hektar undifferenzierte Kompensationsmaßnahmen vorgesehen. Hier war dasselbe Planungsbüro wie bei Utgast II tätig.
Beispiel Elbe-Leitdamm Große Teile des Küstenvorlandes gehören zu den Nationalparks und genießen insofern einen weitreichenden Schutz - auch in bezug auf den Bau von Windenergieanlagen. Mit Rücksicht auf den Schiffsverkehr blieb der überwiegende Teil der Flußmündungen von den Schutzbestimmungen ausgeklammert. Und genau dort setzten Planungen für Offshore-Windparks an. Frühe Pläne von 1991 sahen Anlagen auf Leitdämmen vor (Norddeich, Rysum), wurden jedoch mit Blick auf den Nationalpark abgelehnt. Im Verfahren befindet sich der Jadewindpark bei Wilhelmshaven (27 Anlagen mit jeweils 1,5 Megawatt). Ein weiteres Vorhaben dieser Art betrifft den Elbe-Leitdamm bei Cuxhaven. Nach Vorstellung eines Hamburger Unternehmers sollen dort 13 Anlagen der 1,5-Megawatt-Klasse entstehen. Der Leitdamm verläuft in unmittelbarer Nachbarschaft zum Nationalpark »Niedersächsisches Wattenmeer« und im Einzugsbereich der Nationalparks »Ham133
burgisches Wattenmeer« und »Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer«. Bei ersten Sondierungsgesprächen im niedersächsischen Umweltministerium wurden 1995 die Bedenken der Naturschutzfraktion vorgetragen. Die Leiter der drei betroffenen Wattenmeer-Nationalparks sprachen sich einhellig gegen das Vorhaben aus und wiesen auf nationale und internationale Naturschutzverpflichtungen hin. Vor allem befürchtete man Störungen der Vogelwelt, zum Beispiel für den weltweit größten Mauserplatz der Brandgans mit 100000 bis 150000 Tieren in der Außenelbe, aber auch die Seehundbestände wären von dem Vorhaben betroffen.` Die Niedersächsische Energie-Agentur versuchte gleichwohl, die Naturschutzverbände für das Vorhaben zu gewinnen und zwischen den Fronten zu vermitteln. Sie plädiert übrigens auch für die Ausdehnung 22 der Einspeisungsvergütung auf Offshore-Anlagen. Die Vogelwarte Helgoland (Wilhelmshaven) sollte ein avifaunistisches Gutachten erstellen. Doch dazu kam es nicht: Zu groß war der Erwartungsdruck der Auftraggeber und zu gering die Chance für eine objektive Darstellung der Avifauna in der Elbemündung. Aber das Projekt scheint immer noch nicht vom Tisch. Darauf deuten zumindest Untersuchungen hin, die sich mit den Auswirkungen der Cuxhavener Offshore-Anlagen auf das Schiffsradar befassen. Nach den begrenzten Vorstößen im küstennahen Raum nimmt nun der Druck der Windenergielobby auf den Offshore-Bereich zu. In der offenen See scheint es aber noch erhebliche technische Schwierigkeiten zu geben, was Material, Bau, Stromabführung und vor allem die Unterhaltung solcher Windenergieanlagen betrifft. Das wird sich sicherlich ändern. Welche Probleme dann aber für den 134
Naturhaushalt entstehen können, läßt sich für einige Vogelarten bereits heute absehen: Bestimmte marine Bereiche sind als Rast- und Nahrungsgebiet für Seevögel von 11, 42 existentieller Bedeutung. Und Seevögel überfliegen das Wasser in sehr geringer Höhe (oft unter 20 Meter)'. Auf europäischer Ebene ist man derzeit um die Umsetzung der EU-Vogelschutz- und Habitatrichtlinien innerhalb der Hoheitsgewässer bemüht. Forschungsvorhaben befassen sich - vor dem Hintergrund der Überfischung mit der Einrichtung störungsfreier Zonen in der Nordsee. 26 Eine Entlastung des Naturhaushaltes ist deshalb von einer Verlagerung der Windenergienutzung in den Offshore-Bereich kaum zu erwarten.
Schlußbetrachtung Am Ende des ersten Jahrzehnts boomender Windkraftnutzung bleiben Natur und Landschaft auf der Strecke. Politische Rahmenbedingungen, Landesprogramme und finanzielle Anreize zugunsten der Windenergienutzung haben in den kommunalen Entscheidungsgremien zu einem Realisierungsdruck geführt, dem Naturschutz und Landschaftspflege kaum standhalten können. Der Bau von Windenergieanlagen - so die landläufige Meinung - diene automatisch entweder dem Naturschutz oder aber dem Umweltschutz; gegebenenfalls müsse der Schutz von Arten und Lebensräumen dabei zurückstehen. In dieser Auffassung zeigt sich das mangelnde Verständnis für die ökologische Komponente des Umweltschutzes. Nicht die Einsicht in tiefere ökologische Zusammenhänge ist es also, sondern die Aussicht auf schnellen Profit, die 135
das Windmühlengeschäft katalysiert. Das Geschäft mit der Entlastung der Umwelt geht dann auf Kosten von Naturschutz und Landschaftspflege. Flächen mit herausragender faunistischer und landschaftlicher Bedeutung können nicht Windenergieanlagen aufnehmen, ohne daß Naturhaushalt und Landschaftsbild erheblich darunter leiden. Eine Suche nach konfliktfreien oder konfliktarmen Turbinen-Standorten hat es weder landesweit noch für naturräumliche Regionen gegeben. Die Instrumente der räumlichen Gesamtplanung haben hinsichtlich der Vermeidung bzw. Lösung des Konfliktes weitgehend versagt. Die Privilegierung von Windenergieanlagen im Baugesetzbuch dürfte die Lage weiter verschärfen. Für grundlegende Gestaltungsansätze ist es heute zumindest an der Nordseeküste zu spät. Dort hat der Windmühlenboom unübersehbare Tatsachen geschaffen, bloß deren endgültige Dimensionen sind noch nicht abzusehen. Wie die Praxis zeigt, verträgt sich der Naturschutz nicht mit der Windenergienutzung. In Deutschland, beim Windkraft-Weltmeister, ist ein Modus vivendi von Windenergienutzung und Naturschutz nicht in Sicht.
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6. Wie können sich Kommunen und Betroffene auf dem Rechtsweg gegen Windkraftanlagen zur Wehr setzen?
Überblick Da die Windkraftnutzung in Deutschland längst über die Planungs- und Experimentierphase hinaus ist und flächendeckende Programme vor der unmittelbaren Realisierung stehen, möchten wir im folgenden Kapitel vergleichsweise ausführlich erörtern, mit welchen Rechtsmitteln betroffene Einzelpersonen, Bürgerinitiativen und Gemeinden dem Bau von Windkraftanlagen entgegentreten können. Anders als beim Widerstand gegen den Bau von Atomreaktoren und Lagerstätten für Atomabfälle wird sich die politische Entscheidung über die Windenergie nicht an einigen Großprojekten wie Kalkar, Wackersdorf oder Gorleben zuspitzen: Hier geht es nicht um einige Dutzend hoch gefährlicher Atomfabriken, sondern um Zehntausende von WKAs, mit denen die Republik überzogen werden soll und die die ganze Landschaft verändern. Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern werden direkt, täglich und jahrzehntelang mit diesen Anlagen konfrontiert sein. Die Rechtslage darzustellen und für Laien nachvollziehbar zu erklären, ist nicht ganz einfach. Es geht um gesetzliche Bestimmungen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene. Außerdem sind in bezug auf den Ausbau der Windenergie in jüngster Zeit eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen modifiziert oder neu erlassen worden. 137
Wir konzentrieren uns auf zwei Komplexe. Im folgenden erörtern wir zunächst die Rechtsmittel von Gemeinden, hernach die Rechtsmittel, die betroffene Einzelpersonen einlegen können. Um einen Überblick zu geben, listen wir kurz auf, um welche Fragen es dabei im einzelnen gehen wird: Welche Rechtsmittel können Kommunen gegen den Bau einer Windkraftanlage einlegen? Die Raumordnungsplanung liegt in der Kompetenz der Bundesländer, als übergeordnetes landespolitisches Planungsinstrument kann sie mit der Planungshoheit und kommunalen Selbstbestimmung der Gemeinden kollidieren. Nach dem aktuellen Baugesetzbuch wird die Planung von Windenergieanlagen im sogenannten Außenbereich der Gemeinden vereinfacht (»privilegiert«). - Wie kann eine Gemeinde trotz der sogenannten Privi-
- Wie kann die Gemeinde Schadensersatzansprüche vermeiden?
Die immer größer dimensionierten und leistungsfähigeren Windkraftanlagen der 1,5-Megawatt-Klasse sind von der hinterherhinkenden Gesetzgebung noch gar nicht wahrgenommen worden. Wo immer solche Giganten in Natur- und Landschaftsschutzgebiete gestellt und dafür Ausgleichsmaßnahmen gefunden werden sollen, ist grundsätzlich zu fragen: - Wann muß eine Genehmigung aufgrund des geltenden Naturschutzes versagt werden?
Um den schnelleren und reibungsloseren Bau von Windkraftanlagen voranzutreiben, ist nicht nur deren baugesetzliche Privilegierung verfügt worden, auch die vorgesehenen Umweltverträglichkeitsprüfungen für eine solche Anlage sind entschärft worden. - Warum gibt es nur noch eingeschränkte Umweltver-
legierung ihre Planungshoheit ausschöpfen, und den Bau von Windkraftanlagen verhindern, insofern sie zum
träglichkeitsprüfungen vor Errichtung einer Windkraftanlage und was bedeutet dies für den Einzelfall?
Beispiel Bestimmungen des Natur- und Landschaftsschutzes, des Lärmschutzes sowie bestimmte Grundrechte der Bürger verletzt sieht?
Kommunen, die sich gegen den Bau von WKAs wehren, sollten ferner generell prüfen, - ob Landespolitik oder WKA-Betreiber gegen das kom-
- Verstößt die Privilegierung gegen das Grundgesetz und wäre sie damit verfassungswidrig? - Als Übergangsregelung gibt es in bestimmten Fällen auch die Möglichkeit, daß eine Gemeinde einen Genehmigungsantrag zurückstellen kann. - Trotz Privilegierung kann eine Gemeinde durch einen kommunalen Bebauungs- und Flächennutzungsplan die Genehmigung von Windkraftanlagen in bestimmten aus-
gewiesenen Gebieten blockieren oder auf ihrem Gebiet generell verhindern. 138
munale Selbstbestimmungsrecht verstoßen.
Welche Rechtsmittel können Individuen gegen den Bau einer Windkraftanlage einlegen? Betroffene Anwohner sind gut beraten, sich zunächst über Planungsstand und -bedingungen zu informieren. Oft müssen die schweigsamen Amtsstuben zum Reden gebracht werden, dabei können Sie sich - auf das Umweltinformationsgesetz stützen. Sind Sie in Ihren Rechten beeinträchtigt, können Sie sich 139
- mit einem Normenkontrollverfahren gemäß der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Ausweisung und Planung von Flächenfür Windkraftanlagen - oder unter Rückgriff auf das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme zur Wehr setzen.
Um Ihre Chancen vor Gericht zu verbessern und besser abwägen zu können, sollten Sie sich mit den Präzedenzfällen vertraut machen: - Wie haben die Gerichte bislang entschieden, was ist die neueste Rechtsprechung?
Windkraftwerke sind Lärmquellen. Ein prozeßrelevanter Text ist bei diesen Auseinandersetzungen - die Technische Anleitung Lärm. Bundeseinheitliche Abstandsregelungen, die bei der Genehmigung und Errichtung von WKAs verbindlich sind, gibt es (bislang) nicht. Deshalb muß immer wieder festgestellt und erstritten werden, - welche Mindestabstände zwischen Wohnbebauung und Windkraftanlagen einzuhalten sind. Beim Bau von WKAs werden die Betroffenen häufig vor vollendete Tatsachen gestellt. Wenn Sie bei Genehmigungsverfahren übergangen werden, - können Sie sich auf die Verwaltungsgerichtsordnung stützen. Sich gemeinsam zu wehren, Bürgerinitiativen, Einwohnerversammlungen, ein Bürgerbegehren und einen Bürgerentscheid zu organisieren, kann auch juristisch mehr bewegen als eine einzelne Stimme. Hier ist es nützlich, zu erfahren, - welche Hilfe die Bürgerbeteiligung gemäß Gemeindeordnung bietet. Wenn in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor Ihrer Haustür 140
eine Windkraftanlage installiert wird, die Ihnen für die nächsten Jahrzehnte die Sicht versperrt, ist das ein enteignungsgleicher Eingriff, der nach Entschädigung verlangt: - Mit welchen Immobilienwertverlusten muß in der Nachbarschaft geplanter oder errichteter WKAs gerechnet werden?
Mit der Windkraft sind in den letzten Jahren Geschäfte gemacht worden, die zumal bei der Kapitalbeschaffung durch Anlagefirmen nicht koscher sind. Deshalb ist es durchaus nicht unangebracht, zu prüfen, ob unlauterer Wettbewerb im Spiel ist: - Wie kann Anlegerschutz geltend gemacht werden? Schließlich werden WKAs oft auch in Gebieten installiert, wo das Wild vertrieben wird. Warum sollten sich Jagdpächter, deren Interessen verletzt werden, nicht am Schutz der Natur und der Landschaft beteiligen? Deshalb ist zu prüfen, - inwiefern werden durch die Errichtung einer Windkraftanlage die Rechte von Jagdpächtern verletzt?
Welche rechtlichen Wege hat die Kommune, den Bau von Windkraftanlagen einzuschränken oder zu untersagen? Die Vermeidung von Windkraftanlagen durch § 35 Baugesetzbuch Seit dem 1.1.1997 sind mit dem neu ins Baugesetzbuch (BauGB) eingefügten § 35 Abs. 1 Nr. 7 Windkraftanlagen privilegiert. Durch eine andere Einstufung sollen die sonst für den Außenbereich notwendigen Verfahren ver141
einfacht werden, andererseits kann den Gemeinden aber auch eine bessere Handhabe gegeben werden, solche Anlagen im Gemeindegebiet einzugrenzen oder sogar zu unterbinden. Hintergrund für die vermeintlich notwendige Einführung des Gesetzes war eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 16.6.1994. Dieses bestätigte die bisherige Beschränkung auch für Windkraftanlagen im Außenbereich, da solche Anlagen die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen. 50 Jahre lang war der Außenbereich eine »heilige Kuh«. In unserem dichtbesiedelten Land galt es, einen Rest von natürlichen Landschaften durch eine knappe und planerische Begrenzung von Bebauungen im Außenbereich zu erhalten. Aber mit dem Aufkommen der Windkraftanlagen sollte das alles plötzlich nicht mehr gelten. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde zum Anlaß genommen, ohne Not eine Gesetzesänderung herbeizuführen, u. a. mit der bis heute nicht nachgewiesenen Behauptung, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts würde ein weiteres Wachstum von Windenergieanlagen behindern. Daß dem nie so war, belegen die Genehmigungszahlen von 1995. In diesem Jahr wuchs die Anzahl der Windkraftanlagen sowohl prozentual wie auch absolut überproportional stark, trotz des angeblich hinderlichen Genehmigungsverfahrens nach altem Recht. Selbst 1996 wurden nur 15,6 Prozent weniger Nennleistung als im Rekordjahr 1995 installiert. Damit lagen die Zahlen noch erheblich über denen des Jahres 1994. Dieser Rückgang, der in Wirklichkeit erheblich geringer war, als er an die Wand gemalt wurde, läßt sich ebenfalls nicht auf die bisherige restriktive Rechtsprechung zur Einstufung von 142
Windkraftanlagen im Außenbereich zurückführen. Auch der angebliche Genehmigungsstau solcher Anlagen bei den Behörden aus dem Jahr 1996 läßt eher darauf schließen: - daß die Unsicherheit über den Fortbestand des Stromeinspeisungsgesetzes weiterwirkte, - daß aus Sorge um eine Änderung dieses Gesetzes besonders viele Anträge gestellt wurden, um möglichst noch unter die alte, geltende Regelung zu fallen und Ansprüche auf die Stromeinspeisungsvergütung nach heutiger Höhe sicherzustellen (im Vertrauen auf gesetzlichen Bestandsschutz für bereits errichtete oder genehmigte Altanlagen), - daß sich 1996 die ausgeprägte Schwäche der wirtschaftlichen Lage in Deutschland auch im investiven Bereich auswirkte und - daß auf das vereinfachte Genehmigungsverfahren (gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 7 BauGB) ab dem 1.1.1997 bewußt gewartet wurde, um Kosten zu sparen. Dabei können sich einzelne Gesichtspunkte durchaus widersprechen, da jeder Investor unterschiedliche Interessen verfolgt. Obwohl die Zahlen von 1995 bekannt waren, wurde das Gesetzgebungsverfahren weiter vorangetrieben. Hier scheint es sich um ein klassisches Beispiel für die Unumkehrbarkeit von einmal laufenden (Gesetzgebungs-)Verfahren zu handeln. Statt aufgrund neuer oder aktueller Erkenntnisse das Verfahren zu bremsen, ließ man es weiterlaufen, um sich keine Blößen zu geben, und zeigte sich gegenüber drängenden Interessengruppen sehr nachgiebig. Es ist kaum von der Hand zu weisen, daß auch und gerade mit diesem Gesetz einmal wieder für anderweitiges 143
Entgegenkommen gezahlt wurde. Alle Parteien glaubten, mit diesem Mainstream-Thema nichts falsch zu machen und zugleich ihre Klientel beruhigen zu können. Windkraft entpuppt sich bei näherer Betrachtung einmal mehr als kapitalistisches Anlage- und Spekulationsobjekt privater Interessenten zwecks Steigerung überwiegend privater Renditen auf Kosten des Steuerzahlers und zu Lasten von Natur, Landschaft, Heimat und der Bevölkerung vor Ort. Um solchen Interessen Grenzen zu setzen, bietet dieses Gesetz allerdings verschiedene Möglichkeiten. Diese sind abhängig vom jeweiligen Vorgehen der Bundesländer betreffend das vorangehende Raumordnungsverfahren bzw. den Regional- und/oder Raumordnungsplan. Das Problem einer einheitlichen Bewertung ist die in den Ländern ausgesprochen unterschiedliche Handhabe dieser Raumordnungsplanung. Sie führt schon jetzt zu einer bundesweiten Rechtszersplitterung. In Schleswig-Holstein zum Beispiel werden für die einzelnen Kreise sogar Megawatt-Leistungen vorgegeben (wobei hierin verfassungsrechtliche Vorbehalte evident scheinen), in RheinlandPfalz wird eine sehr eingehende und bemüht behutsame, aber politischen Vorgaben ausgelieferte Regionalplanung bei den zuständigen Bezirksregierungen vorangetrieben, und in Nordrhein-Westfalen wird einerseits durch das »Koordinationsbüro für Zukunftsenergien« und andererseits durch das Nordrhein-Westfälische Bauministerium noch vor Verabschiedung von Raumordnungsplänen nachhaltig auf die Kommunen eingewirkt, Flächen für Windkraftanlagen durch die Bauleitplanung bereitzustellen. (Flächen sind auszuweisen, Vorbehalte und Probleme werden zugunsten von Windkraftanlagen gelöst!) Die grund144
in Nordfriesland brodelt es
»Als besonders windstarke Region erhielt der Kreis Nordfriesland von Kiel die Auflage, bis zum Jahr 2010 Anlagen für die Produktion von 300 Megawatt pro Jahr zu installieren. (...) Dafür sind auf den rund 2000 Quadratkilometern Nordfriesslands über 400 Windmühlen aufgestellt worden, angetrieben
nicht so sehr durch den Wind oder die besonders ökologische
Einstellung der Bewohner, sondern durch Geld. > Hier herrscht WildwestDas geht an den Bauches entfremdet die Menschen ihrer HeimatNoch mehr Windmühlen akzeptieren unsere Leute nicht.< (...) Motor für den Windboom an der Küste, der nur zu oft das Kri-
minelle streifte, Gemeinden spaltete, Nachbarn entzweite, war und ist das deutsche Stromeinspeisungsgesetz von 1990, das die Stromgesellschaften dazu verpflichtet, aus Wind gewonnenen Strom zu einem viel höheren Preis i ns Netz zu
speisen als üblich. (...) Dank Stromsubvention und Steuerabschreibung sind die Anlagen zu hoch profitablen Betrieben geworden. Bei versprochenen, von Kritikern für realistisch gehaltenen Renditen von rund 20 Prozent stellen WKA für Bauern, die das Land zur Verfügung stellen, längst die >vierte Ernte< dar. >Eine WKA ist wie ein Sechser im Lotto.(« Auszug aus: Züricher Tages-Anzeiger 28.10.1996, von Emanuel La Roche
gesetzlich verankerte kommunale Selbstverwaltung wird auf dem Gebiet der kommunalen Gebietsplanung für Landesinteressen »benutzt« bzw. zur Erreichung landespolitischer Ziele instrumentalisiert, soweit sich Kommunen dazu hergeben und benutzen lassen. 145
Die Landesregierung zieht die Notbremse
»Verkehrte Welt in der Energiepolitik in Schleswig-Holstein: Ausgerechnet die rot-grüne Landesregierung hat der Windenergie vorübergehend eine Flaute beschert. (...) Ein Erlaß der Kieler Regierung verhindert vorerst die Genehmigung weiterer Windmühlen. Regierungssprecher Gerhard Hildenbrand begründete den Schritt mit dem Wildwuchs der Stromspargel vor allem an der Nordsee.(...) Bundestag und Bundesrat hatten im Sommer 1996 die Privilegierung der Windenergie beschlossen. Danach dürfen seit dem 1. Januar 1997 Windanlagen dort errichtet werden, wo die Gemeinde es im Außenbezirk zuläßt. Von 1999 an darf generell gebaut werden, wenn Gemeinden es nicht ausdrücklich in ihren Flächennutzungsplänen ausschließen. Die Akzeptanz der Windmühlen ist aber vor allem an der Westküste immer geringer geworden. (...) Die Gemeinden könnten sich zwar mit Flächennutzungsplänen wehren, aber deren Aufstellung ist teuer. (...) Mit dem jetzt bekannt gewordenen Erlaß schiebt die Regierung der Privilegierung einen Riegel vor. Danach sollen die Bauämter neue Windmühlen bis 1998 nur genehmigen, wenn deren Standort als >Windenergie-Eignungsraum< in einem sogenannten Regionalplan vorgesehen ist.« Auszug aus: Süddeutsche Zeitung 11./12.1.1997
Zwischen den Zeilen: geordneter Rückzug?
»Die Umweltminister der norddeutschen Länder wollen einheitliche Voraussetzungen für die Aufstellung von Windkraftanlagen. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich die Ressortchefs von Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gestern in Schwerin für eine kontrollierte Nutzung und den weiteren Ausbau der alternativen Energiequelle aus. >Die Phase naiver Befürwortung liegt aber hinter uns