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till und weihevoll ist der hohe, lichldurchllutete Saal der Gemäldegalerie Feierlich prunken an ucn Wanden die Goldrahmen, aut breiten Messingschildern liest man die königlichen Namen der großen Meister. Dunkel und ernst, besinnlich und heiter, voll religiöser Inbrunst oder überschäumend von Lebensfreude sind die Gestalten, sind Menschen und Landschalten der Bilder. Jedes Gemälde spricht seine eigene Sprache, hat seinen eigenen Stil, geprägt und durchdrungen von dem Geist des Künstlers, der es schul, von der Zeit, in der es entstand und —• von der Technik, in der es gemalt wurde. Mancher leuchtende Farbenreiz, ein seidiger Glanz der Oberlläche, der emailartige Schimmer des Untergrundes, die Unversehrtheit durch Zeit und äußere Einflüsse: das alles erschien noch unseren Vorvätern als ein verlorenes Geheimnis, als ein nie zu lösendes Rätsel. Erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts begann sich das Dunkel, das über der alten Meisterkunst lag, aufzuhellen. Die Kunstwissenschaftler erforschten mit modernen Mitteln die handwerkliche Technik der einzelnen Bilder, die Malkunst der Meister und die Arbeitsweise ganzer Malschulen und Stilepochen. Man erfuhr nun, wie die Alten je nach Art und Thema des geplanten Bildes die Farben wählten und mischten, wie sie den Untergrund vorbereiteten, wie sie Schatten und Lichter zu erstaunlicher Wirkung brachten und selbst in den Bildpartien ein- und desselben Gemäldes die Pinsel- und Zeichentechnik wechselten, wenn das Werk es verlangte. Spätere Künstlergenerationen nahmen sich nicht mehr die Zeit zu solch „umständlicher" Arbeit; man verachtete das solide, handwerkliche Können. Aber der mit sich selbst und seinem Werk ringende Künstler stand doch immer wieder in Ehrfurcht, von einem seltsamen Zauber angerührt, vor den Bildern der Meister, um von ihnen zu lernen. Es hat lange gedauert, bis man vom falschen Wege auf die alte, zuverlässige Straße der soliden Materialbehandlung und Z& einer Wohlüberlegten, handwerksgerechten Arbeitsweise zurückfand. Heute verbindet man Altes mit Neuem, von jedem das Beste nehmend; man weiß, daß_ die Technik, mit der ein Bild gemalt wird, mitbestimmend ist für die Art seiner Wirkung und für die Dauer seiner Erhaltung. 1
Die Annalen des Oströmisdien Reiches verzeichnen das Jahr 845 nach Christi Geburt. Auf das Häusermeer der Kaiserstadt Byzanz drückt die glutheiße Mittagssonne. Die Ränge des Circus Maximus, in dem sonst die Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen und die großartigen dramatischen Schaustellungen veranstaltet werden, sind bis zum letzten Platz, gefüllt. Eine ungeheure, brodelnde Spannung liegt über den Zehntausenden, den Zeugen einer großen, heiß umkämpften Entscheidung. Seit über hundert Jahren ringen die führenden Geister des weltweit emporgewachsenen Christentums um die Lösung der Frage, ob der große, einzige Gott und ob Christus, der Erlöser, im Bilde aus Stein oder Farbe mit irdischen Maßen dargestellt werden dürfen. Was in der geistigen Auseinandersetzung der Kirchenväter ein Kampf der Ideen ist, entartete in der gedankenlosen Masse des byzantinischen Volkes zur handgreiflichen Auseinandersetzung. „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen!" — Mit diesem Wort der Bibel als Kampfruf wurden Bilder zerstört und die heiligen Skulpturen an den Wegen und in den Gotteshäusern zertrümmert. Man mißhandelte die Maler und Bildhauer, die in Mosaik und Marmor fromme Werke geschaffen, und viele von ihnen wurden getötet. Manche flüchteten in das kulturfreundliche Rom, wo die religiöse Kunst von jeher eine ungefährdete Heimstatt hat. Aber nun hat die Kirche Ostroms ihr endgültiges Urteil gefällt. Die Kaiserin des mächtigen byzantinischen Reiches hat kraft ihrer absoluten Gesetzeshoheit bestimmt, daß die Ausübung der Kunst frei ist und daß Gott und die Heiligen ungehindert dargestellt werden dürfen. Fanfarenstöße verkünden der wartenden Menge die Ankunft Theodoras, der allmächtigen Herrscherin über Stadt und Reich Byzanz. Als die Kaiserin an die Brüstung der Loge tritt, legt sich die fieberhafte Erregung der streitenden Parteien. Theodora spricht, hell klingt die Frauenstimme und erfüllt den langgestreckten Bau: „ . . . Und so ist denn der große Bilderstreit, der seit 120 Jahren Unser Reich verwüstet hat, beendet. Der rechte Glaube hat über die Ungläubigen gesiegt, die Verehrung der Heiligen auf Bildern und Ikonen steht gemäß Unserem 3
Beschluß der Hingabe an Kreuz und Reliquien nicht nach. Der Gegner Unserer Rechtgläubigkeit, der Unsere heiligen Bilder nicht für verehrungswürdig erachtet, der gewesene Patriarch Anastasius wurde zum Tode verurteilt. Er wird — wie alle Gegner der Rechtgläubigkeit — hingerichtet. Tod und Verderben allen Bilderstürmern!" In der Geschichte des abendländischen Kunstschaffens ist dieser' Tag von Byzanz wie ein neuer Beginn. Die oströmische Kunst ist eine der stärksten Wurzeln der mittelalterlichen Kunstentwicklung, und ihre Nachwirkungen sind bis in die Neuzeit hinein zu verfolgen. Wie anders wäre die Entwicklung verlaufen, wenn sich Byzanz ebenso wie zwei Jahrhunderte später der Islam gegen die Darstellung von Figuren entschieden hätte und in einem reinen Dekorationsstil erstarrt wäre, ohne den lebendigen menschlichen Gestaltenreichtum, der eben die Reife und Fülle der Kunst des Abendlandes ausmacht. Nun hämmerten A also wieder die Gold- und Silberschmiede in den Gassen der reichen Kaiserstadt am Bosporus. Auf den Gerüsten, unter den Wänden und in den Kuppeln der Gotteshäuser und Palastgebäude nahmen die Mosaikkünstler ihre Arbeit wieder auf, und vor den hölzernen Bildtafeln standen wie vordem die Maler, um in überkommenen, streng vorgeschriebenen Formen Abbilder und Sinnbilder Gottes und der Heiligen zu schaffen. Ein befruchtender Strom floß von Ostrom in die Kulturländer des Westens, bis weit zum germanischen Norden. Die Malerei jener Zeit war dem Religiösen verhaftet. Malen war ebenso wie die Betrachtung und das Erlebnis des Gemalten ein Werk der Andbcht. BU in das hohe Mittelalter ist diese religiöse Gebundenheit das Kennzeichen wahren Künstlertums. Das M a l e r b u c h v o m B e r g e A t h o s berichtet sehr anschaulich von den Gepflogenheiten der Maler des 12. Jahrhunderts und von der Technik ihrer Kunst. Gebete, Fasten und Beichte gehen dem Malen voraus. Der Künstler fleht Gott um rechtes Gelingen an. Dann erst geht er in seine Werkstatt und bereitet das fromme Werk. Eine Holztafel wir4 in der Mitte vertieft und dient als Malfläche, oben und unten und an den Seiten bleibt ein Rand als Rahmen erhöht. Mit besonderer Sorgfalt wird der Malgrund behandelt; ist doch der Untergrund des Bildes für die Bildwirkung und Dauerhaftigkeit mindestens ebenso wichtig wie die Wahl der Farben. Wenn man die Farben einfach auf das Holz aufträgt, saugt der faserige 4
Untergrund die Feuchtigkeit ein und läßt die Malerei stumpf und verblichen erscheinen. Im Mittelalter verwendete man als Grundierungsmittel meist leuchtend weißen Kalk, den man mit Leim zu einer undurchlässigen Schicht verband. Immer wieder wurde die Grundfläche spiegelglatt geschliffen und eine Grundschicht über die andere gedeckt, bevor der erste Pinselstrich aufgetragen werden konnte. Das makellose, durch die Malfärben durchschimmernde Weiß der Tafel gab den Bildern ihre eigentümliche Leuchtkraft. Wie eine Art Reflektor wirkte das Grundweiß, und die Lichtstrahlen brachen sich an ihm wie an einem matten Spiegel. Je nach dem Thema und der gewünschten Stimmung konnte man die Wirkung des Gemäldes aber auch durch eine bestimmte Farbgebung des Untergrundes beeinflussen. Sehr ausgebildet war diese Technik bei den Malern des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, die das Mittel verschieden getönter Grundflächen hervorragend zu handhaben wußten, um die dunklen oder hellen Farben der Darstellung schon vom Malgrunde her zu unterbauen. Diese Arbeitsweise der Untermalung war lange Zeit eines der „Rätsel" alter Bildwerke. Die eigenartige, reizvoll schimmernde Farbwirkung jener Bilder beruht zum Teil auf der handwerklichen Kunst der Behandlung des Malgrundes. Jeder Maler machte sich seine Farben selbst zurecht. Mit dem „Reiber" zermahlte er sie zu feinem Staub, verdünnte Eidotter mit Wasser oder Essig und gewann, wenn er das Farbpulver in diese Eidotterpaste hineinmischte, die fertige Malfarbe. Die Meister hüteten die Methode der Farbenherstellung als ein kostbares Werkstattgeheimnis. Der eine setzte aus den Trieben von Feigenzweigen gewonnene Milch hinzu, ein anderer feinsten, gereinigten Honig, ein dritter verschiedene, lösliche Baumharze. Der Zusatz von öl war in der frühesten Zeit vielfach verboten, da öl als ein Erzeugnis menschlicher Tätigkeit für „unrein" galt. Bei der Darstellung von Heiligenfiguren ölgemischte Farben zu gebrauchen, erschien vielen Menschen jener Zeit wie eine Entweihung. Die Bildwerke in „Tempera"-Manier — so nennt man die Malweise mit Mischfarbe ohne öl (temperare, ital. = mischen) — haben einen matten, pastellartigen Ton, der manchmal fast kreidig wirkt. Es war ein Nachteil dieser Technik, daß die getrockneten Farben heller wurden als die nassen, und daß die Werke sehr den zerstörenden, atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt waren. Man überzog sie deshalb mit einer Eiweiß-
Schicht, die aber wieder ein gefährliches Nachdunkeln und Schwärzen zur Folge hatte. Später ging man deshalb dazu über, die Tempera-Untermalung mit öl- oder Harzfarben zu lasieren, d. h. durchsichtig zu überdecken. Dadurch behielten die Bilder ihre ursprüngliche, farbige Sattheit, sie wurden ansprechender und leuchtender.
Im Frühjahr des Jahres 1276 weidet ein, zehnjähriger Bub an den Hängen des Mugello-Tales nahe Florenz seine Schafe. Er hat sich an den Wegrain gesetzt und zeichnet mit einem spitzen Stein das Bild der Tiere, die behaglich vor ihm liegen, in den feuchten Sand. In seine Arbeit vertieft, bemerkt er den Wanderer :nnicht, der ihn schon eine Weile beobachtet hat und nun hinter ihn getreten ist. Als der Fremde scherzend sagt: „Du bist mir aber ein wachsamer Hirte!", fährt der Kleine zusammen und springt auf. „Zeichnest du öf^er?" fragt der Mann. „Ja, Herr", antwortet der Knabe und nennt seinen Namen. Einen Augenblick sieht der Fremde prüfend und wie abwägend in die klaren, dunklen Augen des Jungen und betrachtet aufmerksam die eingeritzten Bilder am Boden; dann läßt er sich nieder, zieht den Buben an seine Seite und läßt sich von ihm erzählen: vom Dorf und vom Elternhaus, von seiner Arbeit, seinen Schafen und seinen Malkünsten. Da verrät der Kleine schließlich sche\t und mit leisem Hoffen seinen großen, geheimen Herzenswunsch: Maler zu werden. Der Fremde sinnt eine Weile nach. Er ist aufgestanden und faßt den Knaben freundlich an der Schulter: „Ich bin der Maler Cimabue aus Florenz", sagt er, „wenn du Lust hast, und wenn dein Vater es erlaubt, kannst du zu mir in die Lehre kommen, Giotto di Bondone!" Wenige Jahre nach dieser Begegnung! Das erste Morgenlicht durchflutet die Werkstatt in Florenz, in der Meister Cimabue an einem Heiligenbilde malt. Cimabue ist ein Frühaufsteher; er liebt die stillen Morgenstunden, wenn die Lehrbuben noch schlafen. Die Farben für die Tagesarbeit sind angerieben, und nun tritt er vor das halbfertige Bild. Am unter-
sten Gewandzipfel St. Georgs setzt er den Pinsel an. Aber eine Fliege stört ihn; sie hat sich höchst respektlos auf der Nase des Heiligen niedergelassen. Cimabue knipst mit dem Finger, um das Tierchen aufzuscheuchen, aber es rührt sich nicht. Da endlich kommt der Meister dahinter, daß die Fliege von kecker Hand auf die Fläche gemalt ist. Cimabue ist empört, dann aber lacht er auf: „Giotto", murmelt er, „ich werde dir die Ohren langziehen, du Schlingel! Aber, weiß Gott, in dir steckt etwas, du wirst mich einmal in den Schatten stellen!" G i o t t o di B o n d o n e (1266 —1337), der Hirtenbub aus dem Mugello-Tal, ist tatsächlich einer der größten im Reiche der abendländischen Künstler geworden. Schon die Zeitgenossen, zu denen auch Dante zählte, erkannten sein Genie und waren über die Naturnähe seiner Bilder, die mit der starren byzantinischen Überlieferung ein Ende machten, fast bestürzt. Sein neuartiges, naturnahes Sehen war seiner Zeit wie eine Offenbarung. Giottos Technik ist uns aus zeitgenössischen Quellen vertraut. Sein Schüler Taddeo Caddi berichtete sehr eingehend darüber an seinen Freund Cennino Cennini, und dieser überlieferte, was er erfahren konnte, in seiner .trattato della pittura' der Nachwelt. Cimabue hatte die Ei-TemperaTechnik der Byzantiner in Italien eingeführt, und Giotto baute sie weiter aus. Als Malfläche für seine Tafelbilder wählte er eine völlig fettfreie Holzplatte, die er mehrfach leimte und mit Leinwand überzog. Darüber legte er in vielen dünnen Lagen einen Gipsleimgrund und schabte dann die blendend weiße Tafel glatt wie eine Marmorscheibe. Die Farben pflegte der Meister wie alle seine Zeitgenossen mit eigener Hand anzureiben; das verhältnismäßig grobkörnige Farbpulver wurde mit F.igelb und beigemischtem Saft junger Feigentriebe vermengt. Bevor er den Pinsel ansetzte, übertrug der Meister aus einer Zeichenskizze jede Einzelheit Strich für Strich in langwieriger Arbeit auf die weißleuchtende Tafel. Nun zog er die Zeichnung mit grüner Mischfarbe leicht nach und gab der ganzen Bildfläche eine einheitliche Tönung in „Veroneser grüner Erde", —• einem stumpfgrünen, hauchdünnen Farbstoff. Mit dem gleichen Veroneser Grün verdunkelte er die Schatten, während die Lichtpartien vom weißen Untergrund her hell heraustraten. So arbeitete der Künstler in drei abgestuften Tönen die Licht-, Schatten- und Mittelpartien deutlich heraus und führte das Bild allmählich aus. Dabei begann er mit den farbstarken Tönen, etwa einem leuchtenden Rot, einem strahlen7
den Blau. Gewänder und Architekturteile der Maierei waren fertiggestellt, bevor die Fleischpartien ausgemalt wurden. Der Hintergrund blieb bei Giotto meist blau. Er befreite damit die Malerei von dem fast zwangsläufigen Gold-Hintergrund der meisten mittelalterlichen Tafelbilder, in denen wie bei den byzantinischen Bildern und bei den russischen Ikonen die Heiligenfiguren in eine mystisch-jenseitige, raumlose Welt hineingestellt schienen. Das langsame übereinandermalen farblicher und tonlicher Mittelwerte, das übereinanderlegen einer dünnen Farbschicht über die andere, wie es von Giotto entwickelt worden war, hatte den Nachteil, daß die unteren Farben oft wieder aufgelöst wurden, wenn der Pinsel nicht leicht und rasch genug darüber hinging. Nur mit kurzen, schmalen Strichen konnte die jeweilige Farblage aufgetragen werden, und so erlaubte diese Technik kein schnelles Arbeiten. Zudem ließ sich auf diese Weise nicht die Weichheit und Frische der Farben erzielen, die die folgende Zeit, die Kunst der Renais- • sance, begehrte. Es war auch auf die Dauer sehr beschwerlich, in der Strichel-Manier des Giotto die zarten Färb- und Tonübergänge zu malen, die für die späteren Künstler so kennzeichnend sind. Der Kunstgeschichtsschreiber der Renaissancezeit, G i o r g i o V a s a r i (1511—1574) berichtet uns, daß die Maler verschiedene Versuche unternahmen, die Ei-TemperaFarben durch Zumischung anderer Bindemittel zu vervollkommnen. Er schreibt: „Unter vielen, welche diese und ähnliche Dinge umsonst versuchten, waren Alesso Baldovinetti, Pesello und viele andere, deren Werke alle nicht die gehoffte Schönheit und Vollkommenheit erlangten . . . Um dieser Dinge willen pflegte eine große Anzahl von Künstlern sich oft zu ver- v sammeln, sich zu beraten und zu streiten, ohne daß es Nutzen schaffte. Dasselbe Bedürfnis empfanden viele ausgezeichnete Geister, welche sich außerhalb Italiens in Frankreich, Spanien, Deutschland und anderen Ländern mit der Kunst der Malerei beschäftigten."
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Die Malerei mit Ei-Tempera-Farben hatte die Bildkunst des Mittelalters bis Giotto und bis in den Beginn des 15. Jahrhunderts beherrscht. Als in der großen Wende von der dem Jenseits zugewandten Gotik zur sinnenfrohen Renaissance die Bildthemen von den ernsten Heiligenfiguren mit dem einfarbigen, goldenen oder blauen Hintergrund zur lebendigen, farbigen, bunten Welt der Erde, zu den Menschen, Tieren und Pflanzen hinüberwechselten, da reichten die matten, verhüllenden Farben der Tempera-Manier nicht mehr aus., Man suchte nach anderen, abwechslungsreichen, stark getönten, leuchtenderen und auch abgestufteren Darstellungsmitteln, um der glühenden Vielfalt der natürlichen Farben der Außenwelt gerecht zu werden. Damals fand die Ölmalerei Eingang in die Werkstätten Europas. Lange Zeit sah man in den Brüdern van Eyck aus der Flamenstadt Brügge die Erfinder der neuen Maltechnik, weil Vasari in seinen Lebensbeschreibungen der Künstler der Renaissance diese Legende berichtet hat; aber wir wissen heute, daß schon das- frühe Mittelalter öl als Malmittel kannte. So findet sich zum Beispiel in den Schriften des Mönches Theophilus, der eines der bedeutendsten älteren Werke über die Maltechnik verfaßt hat (11.—12. Jahrh.), folgendes Rezept: „Nimm die Farben, welche du aufsetzen willst, reibe sie flüssig mit Leinöl ohne Wasser und mische damit die Farbe für die Gesichter und die Gewänder . . . " Diese Technik war aber wenig verbreitet und wurde kaum verwendet. Bei mittelalterlichen Heiligenfiguren war — wie an anderer Stelle schon gesagt wurde — die Verwendung von öl verpönt. Die Ölmalerei war also schon lange vor den Gebrüdern Jan und Hubert van Eyck bekannt (Jan 1390—1441, Hubert 1370— 1426). Die beiden Holländer haben diese Technik wieder aufgegriffen und vervollkommnet, und von ihrer Werkstatt aus verbreitete sich die Kenntnis der Farbbindung mit öl über die ganze europäische Kulturwelt, überall wurde sie begeistert begrüßt und emsig nachgeahmt. Ein • Lobgedicht in der umständlichen Sprache des Barock rühmt die Tat des dahin9
gegangenen Jan van Eyck. Der Dichter läßt Jan die folgenden . Verse sprechen: ., „Wie man mit dem öl die Farben artlich solte temperieren, hab ich endlich wol erfunden nach viel Arbeit und Nachspüren: Bruder Hubert und ganz Brügge sehen an mit Herzenslust und bewunderten die Kunst, die Apelles nicht gewußt. Billig werd ich hoch gepriesen, weil ich diese Kunst gewiesen. Doch was hilft der eitle Ruhm und das Lob der Welt, mich erfreut nur, daß ich leb im güldnen Himmelszelt." Sachlicher ist der erwähnte Bericht Vasaris über die angebliche Erfindung der Ölmalerei durch Jan van Eyck: „ . . . ein Maler in Flandern, Jan Eyck von Brügge, . . , machte den Versuch, verschiedene Arten von Farben in der Malerei "anzuwenden. Er fand Vergnügen an der Alchimie und mischte bei Bereitung seiner Firnisse (schnell trocknender Schutzschichten) und ähnlicher Dinge viele öle untereinander, wie sinnreiche^ Menschen auf allerlei Gedanken geraten. Unter anderem hatte er bei einem Bilde große Muhe aufgewendet und es mit Fleiß zu Ende geführt, zog den Firnis darüber und stellte es, wie es Brauch war, zum Trocknen in die Sonne. Weil jedoch die Hitze zu groß oder das Holz schlecht gefugt oder, nicht lange genug aufbewahrt war, sprang jene Tafel an den Stellen, wo man sie aneinander gefaßt hatte. Jan, welcher den Schaden besah, beschloß, so zu Werke zu gehen, daß ihn bei seinen Arbeiten nie wieder ein solches Mißgeschick treffen .könne, und da ihm der frühere Firnis nicht minder zum Überdruß geworden war als das Malen in Tempera, sann er, einen Firnis zu entdecken, der im Schatten trocknen könne und ihn der Notwendigkeit überhebe, seine Bilder der Sonne auszusetzen. Er versuchte vielerlei Dinge . . . und erkannte endlich, daß Lein- und Nußöl von allen, die er probierte, am leichtesten trockneten. Diese kochte er und fand so jenen Finjis, welchen er und alle Maler der Welt lange gewünscht hatten, . . . er stellte noch andere Versuche an und sah, daß alles sich viel leichter verbinden ließ als bei der Tempera." Van Eyck hat nicht in reiner öltechnik gearbeitet, wie man Jahrhunderte hindurch angenommen hat. Seine Bilder malte er auf folgende Weise: Zuerst trug er einen dichten Gipsgrund auf eine Holztafel auf. Darauf pauste er die Entwurf10
skizze und zog dann mit Tusche die Umrißzeichnung nach. Darüber legte er eine hauchdünne, durchsichtige Farbschicht, die sogenannte Imprimitur, von meist rötlicher oder gelblicher Tönung. Die Vorzeichnung war deutlich darunter erkennbar. Alle Bildpartien, die später im Licht liegen sollten, wurden mit Tempera-Weiß herausgehoben, in den Schattenpartien jedoch blieb die Imprimiturfarbe bestimmend. Waren Licht und Schatten richtig verteilt, so legte der Maler über die deutlich ausgearbeitete Zeichnung die reinen, unvermischten Farben („Lokalfarben"), das Rof eines Gewandes, das Blau des Himmels usw. in dünner Harzölfarbenlasur. Das klar umrissene Bild wurde so mit dem Gewand der Farbe „bekleidet". Diese Farbe durfte die Zeichnung nicht zudecken, oder verschmieren, sondern mußte sie deutlich hindurchscheinen lassen. Der Arbeitsgang konnte durch deckendes übermalen korrigiert werden, falls die Form doch Schaden erlitten haben sollte; so wurde Schicht auf Schicht gesetzt, bis zur Vollendung des Bildes. Die Malweise van Eycks war also eine Mischtechnik aus Tempera und Harzölfarben. Ihr Vorteil lag in der Widerstandsfähigkeit der Bilder gegenüber Witterungseinflüssen und in ihrer Unempfindlichkeit beim Transport. Als ebenso wichtig wie diese rein technischen Vorteile wurden aber auch bald die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten empfunden, die sich dem Maler hier darboten. Die Natur konnte wirklichkeitsgetreuer dargestellt werden als in der wenig wandlungsfähigen TemperaManier. In die nassen Ölfarben-Lasuren ließen sich nämlich spielend leicht mit feinen Pinseln Haare, Perlen, Edelsteine, die genaue Musterung eines Stoffes und die anatomischen Feinheiten des Körpers einzeichnen. Die kurzen, schmalen Striche der Temperafarbe grenzten sich auf der ölfläche schärfer ab als früher auf dem reinen Tempera-Untergrund. Außerdem begannen die Farben von sich aus zu leuchten und von innen her zu erstrahlen. Aus diesen Gründen ist es verständlich, daß alle Maler die neue Technik zu übernehmen suchten, zumal ein verhältnismäßig sparsamer Farbengebrauch in den einzelnen Schichten möglich war. Gute Farben waren damals sehr teuer, da sie teilweise aus kostbaren Naturstoffen hergestellt wurden. So erhielt das samtene Ultramarinblau der alten Bilder seinen zauberhaften Reiz durch die Beimischung von pulverisiertem Lapislazuli, einem Halbedelstein. Oft ließen sich die Meister 11
bestimmte Farbzusätze aus weiter Ferne herbeischaffen. Der Kunstgelehrte Joachim von Sandrart (1606—1688) berichtet folgendes'über die Blaufarbe für eine Kopie des Genter Altares der Gebrüder van Eyck, die erst nach deren Tode ausgeführt wurde und für den König Philipp von Spanien bestimmt war: „Nun war damals das beständige .Blau nicht leicht in Flandern zu haben, deswegen ließe man dasselbe bis von Venedig durch Anordnung des berühmten Tizians bringen, und hat dasjenige, welches an der Jungfer Maria Mantel verbraucht worden, allein 32 Dukaten gekostet." Das war damals eine große Summe Geldes. — Schnell verbreitete sich der Ruhm Jan van Eycks. Sandrart sagt darüber in seiner blumeareichen Barocksprache: „Dannenhero auch die weitfliegende Fama ihre Flügel in schneller Eyl geschwungen und der Schall dieser edlen Erfindung der Ölmalerei in alle Welt getragen hat mit großem Ruhm des Erfinders und gebührender Anreitzung zu schuldiger Danksagung." Es wird erzählt, daß van Eyck seine Technik zunächst geheim gehalten habe, und daß es erst dem Italiener A n t o n e l l o d a M e s s i n a (1430—1479) gelungen sei, sich das Vertrauen des alternden Malerfürsten zu erwerben und von ihm in die Kenntnis der neuen Malweise eingeführt zu werden. Bilder in öl wurden zu Schaustücken für Kunstbegeisterte und für Kunstschaffende, denen ein solch unerhörter Fortschritt in ihrem Handwerk wie ein Wunder erschien. Zeitgenossen berichten, daß ein Bild van Eycks, das von Florentinischen Kaufleuten dem König Alfons geschickt worden sei, allgemeine Bewunderung erregt habe, weil es mit Ölfarben gemalt war und mit Wasser abgewaschen werden konnte; es sei gegen jede Erschütterung unempfindlich gewesen. Der Ruhm des Bildes habe bald ganz Italien durcheilt, und daraufhin sei Antonello da Messina wissensdurstig nach Flandern aufgebrochen, um zu lernen, wie man solche Bilder malen könne. Kaum begreifen wir Heutigen eine Zeit, in der ein einziges Bild fast im ganzen Abendland von sich reden machte und einen Maler veranlaßte, durch halb Europa zu wandern, um dieses Bild betrachten und studieren zu können. In unserer Zeit der Bildergalerien, der vollendeten Bilddrucke und Kopien, in der Farben-Fotos und Reproduktionen alier Art uns ständig umgeben und die Sinne fast stumpf geworden sind selbst vor den größten Schöpfungen der Kunst, stehen wir staunend vor solch ent12
sagungsvollen Pilgergängen der Künstler; aber es war der gleiche Erlebnishunger, der immer wieder die Künstler in die Kunstlandschaften Italiens trieb und vor dreihundert Jahren den jungen Johann Sebastian Bach aus Mitteldeutschland an die Ostseeküste wandern ließ, um dort nur ein einziges Mal den großen Orgelmeister Buxtehude spielen zu hören. Ob nun wirklich Antonello da Messina als erster die neue Malweise von van Eyck übernahm, wie Vasari uns berichtet, läßt sich heute nicht mehr nachprüfen. Sicher ist, daß die van Eyck-Manier bald Allgemeingut und damit die übliche Malweise des 16. Jahrhunderts wurde. Die großen Meister der altdeutschen Schule, Dürer und Grünewald, Hans Baidung Grien und Albrecht Altdorfer, haben alle in der Öl-TemperaMischtechnik gearbeitet. Das gesamte deutsche Kunstschaffen dieser Zeit "war Ausdruck des herangereiften, reichen Bürgertums und diente, abgesehen von de£ rein sakralen Kirchenmalerei, vor allem zur. Repräsentation städtischen Lebens. Die wohlhabenden Kaufherren und würdigen Patrizier ließen sich in wohlgefälliger Haltung porträtieren. Die Maler entdeckten auch die Schönheit der Landschaft, und immer mehr traten die Bildthemen des Mittelalters, die Heiligengestalten, in den Hintergrund der landschaftlichen Szenerie zurück. Die weltlichen Bilder hatten meist kleines oder mittelgroßes Format. Diese Bildgrößen, die insbesondere durch die räumliche Beengtheit der Bürgerstuben bestimmt waren, erforderten die genaue Darstellung der Einzelheiten. Durch kleine, bleigefaßte Butzenscheiben drang das Licht gedämpft in die Räume, die oft verwinkelt und verschachtelt, niedrig und intim waren. Der Betrachter "sah die Bilder aus der Nähe und verlangte deshalb vom Maler ein liebevolles Versenken in das Detail.
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An der Lagune von Venedig, in der Via dei Bixi liegt eine stolze Villa tief in schattiges Gartengrün gebettet: Das prunkvolle Heim des Malerfürsten Tizian (1476—1576). Von den fernen Inseln klingen zuweilen gedämpftes Lachen und die Lieder der Gondolieri herüber. Im geräumigen Atelier, dessen Fenster gegen die Sonne geschützt sind, steht in prunkender Kleidung der hünenhafte Maler vor der Staffelei. Lange ruht sein Blick unbeweglich auf dem nahezu vollendeten Porträt des spanischen Gesandten, der sein Gast ist. Nun, da das Bildnis fast fertig ist, setzt der Meister mit kurzen, knappen Strichen noch einige wenige Lichter auf, Farbtupfen werden verstärkt, schnell und zielsicher sind die Bewegungen; da fliegen Pinsel und Palette zu Boden, mit den Fingerspitzen werden die Farben „vertrieben": Letzte Härten mildern sich, zu scharfe Akzente sind gedämpft: Das Bild ist vollendet. Während Tizian die Hände reinigt, erhebt sich der spanische Grande, tritt an die Staffelei, bückt sich und hebt den fortgeschleuderten Pinsel auf: „Wenn es mein hoher Kaiserlicher Herr, Karl der Fünfte, nicht für unter seiner Würde hielt, Euch den Pinsel aufzuheben und Euch amico carissimo, verehrter Freund, nannte, so gestattet mir, ein Gleiches zu tun. überlaßt mir den Pinsel zum Andenken!" — „Wenn es Euch etwas bedeutet, Exzellenz, so mögt Ihr ihn gerne behalten." Verwundert und fast .befremdet betrachtet der Gesandte den breiten, mit Farbe dick getränkten Pinsel. Ein kleines Lächeln geht über sein schmales Gesicht, als er sagt: „Ihr malt mit Pinseln, die so groß wie Besen sind, Meister, warum tut Ihr das?" Einen Augenblick lang überlegt Tizian, bevor er antwortet. „Weil ich nicht gewillt bin, Raffael oder Michelangelo nachzuahmen, weil ich meine eigenen Wege gehe!" Diese Anekdote gibt über Tizians kühne, großflächige Malweise Aufschluß, die allmählich auch von den anderen Malern der großen, beherrschenden Venetianischen Schule übernom-
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inen wurde/Italiens Kultur wurde von den großen Stadtstaaten bestimmt, die im Gegensatz zu den deutschen Städten kaum bürgerlichen Charakter trugen; hier gab der Adel den Ton an. Am hellsten strahlte Venedigs Ruhm weit über Italiens Grenzen hinaus; der Handel mit dem Orient hatte die Stadt reich gemacht. Die Macht dieses Stadtstaates in'Bildern zu verherrlichen, wurde die schönste Aufgabe der Maler. Wie jede Repräsentation staatlicher Kraft, so drängte auch hier die Prachtliebe ins große Bildformat. Die intime Mal-Technik van Eycks erwies sich aber dafür als ungeeignet. Man übernahm deshalb von den nordischen Malern alles Brauchbare, verband es jedoch mit den eigenen, lang erprobten Erfahrungen. Der große Abstand zwischen Betrachter und Bild, der sich aus den weiten Raumverhältnissen, der großzügigen Architektur und der lichtvollen Klarheit südlicher Innenräume ergab, ließ die Künstler weniger auf peinlich genaue Durchbildung von Eirlzelheiten achten. Sie beurteilten den Wert eines Bildes nach der umfassenden Gesamtwirkung. Die Bildteile mußten in großräumige Bildgefüge zusammenkomponiert und einem klaren, beherrschenden Bildaufbau untergeordnet sein. Das ließ sich am besten durch Hell-Dunkel-Gruopierungen erreichen, die das Bild rhythmisch belebten und gliederten. Ein dämmeriger Grundton legte sich über die Gemälde, die einzelnen Farben wurden gedämpfter. Die großen Formate verlangten auch eine starke, zerreißfeste Leinwand; meist wurde grobes Hanfleinen verwendet. Die Grundierung bestand nicht mehr aus weißem, mit lichtroter, durchsichtiger Imprimitur überzogenem Gips, sondern aus einem Gipsgrund, über den dunkle, graue bis rote, manchmal sogar schwarzrote Harzölfarbe gelegt war (Bolus-Grund). Der dunkle Bolus-Grund bildete für das werdende Bild die tonliche und farbliche Grundlage,- auf die alles abgestimmt wurde. Die Lichtpartien wurden stark deckend mit Weiß, Weißgrau und „Grüner Erde" herausgearbeitet. Man pflegte die jern verwendete Temperafarbe im Verhältnis 1 : 1 mit Eigelb anzureiben und das Doppelte an Ölfarbe zuzumischen, um sie lickflüssiger und damit deckender zu machen. Diese Farbe sonnte aber auch dünn, „schummernd", aufgetragen werden, so daß der dunkle Grund durch die darübergelegte weiße Schicht hindurchschimmerte. Auf diese Weise ließen sich feinst ibgestufte „optische Grautöne" erzielen, die durch unmitteljares Zusammenmischen der gewünschten Farbe nimals erIfl
reicht werden konnten. War die Untermaluny im optischen Grau fertig, so mußte die Natürlichkeit, das Leben, mit dem „Colorit" eingehaucht werden. In immer neu gestuften, genauestens abgewogenen Lasurschichten wurden die Farben aufgetragen. Von Tizian wird berichtet, er habe dreißig bis vierzig Lasuren ineinander gearbeitet und seinen Bildern auf diese Weise den geheimnisvollen Schmelz gegeben. Hatte Dürer große Sorgfalt auf eine genaue Übertragung der Zeichnung auf die Malfläche gelegt, so lehnte Tizian eine exakte zeichnerische Durchbildung des Malgrundes ab, da sie nur den freien Pinselzug hindere; auch hieraus läßt sich auf den stilistischen Wandel schließen, der vom „zeichnerischen" zum „malerischen" Sehen fortschritt, indem Einzelheiten zugunsten der Gesamtauffassung unterdrückt wurden. Tizians Malweise war für seine Nachfolger unantastbares Vorbild. Theotocopuli, El G r e c o (1451—1614) genannt, brachte die Venezianer Technik 'nach Spanien, V e l a z q u e z (1599—1660) bildete die Malweise frei für seine. Zwecke um, T i e p o 1 o (1696—1770) hat sie vielleicht als Letzter beherrscht.
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Während die Venezianer Schule allmählich ihren Höhepunkt überschritt, bildete sich eine Manier heraus, die dem Bedürfnis nach schnellerer Arbeit entsprach; „fa presto" wurde sie genannt, „mach, male schnell!" Man mischte die Farben an und trug sie sogleich auf den dunklen Bolus-Grund auf. Auf die langwierige Arbeit, Schattenpartien auf dem Untergrund kräftig herauszuarbeiten, wurde verzichtet. Sicherlich standen diese Bilder in frischem Zustand denen kaum nach, die-in Tizians Technik gemalt waren, aber im Laufe der Zeit „verseiften" die öle das Bleiweiß, machten es dunkel, so daß die Schatten in diesen Bildern heute körperlos und „ersoffen" wirken. Das „fa presto" setzte sich durch und war zu Zeiten des R u b e n s allgemein üblich. Der große Flame (1577—1640) erkannte jedoch die Mängel der roten Bolusgründe, wenn sie nicht weiß überdeckt waren, und kehrte kurzerhand zum weißen, nicht saugenden Gipsgrund zurück. Er überzog ihn streifig, lichtgrau, und skizzierte darauf verschwimmend mit Ockertönen die Zeichnung. Hierüber kam ein dünner Anstrich mit Essenzfirnis oder Balsam, in den hinein noch in feuchtem Zustand die Farben gesetzt wurden. Harzige, balsamähnliche Malmittel wie Venezianer Terpentin gaben den Farben zusammen mit eingedickten ölen anmutige Weichheit; der Strich wurde im Gegensatz zum scharfen Strich der Tempera auf öl nun von selbst weich und verschwimmend. Doch lehnte Rubens ein allzustarkes Verlaufen des Striches ab. Noch bekennt er sich nicht zur rein malerischen Ausdrucksweise späterer Zeiten. Er zieht deshalb Terpentin dem Spicköl vor, da Spicköl den Strich verlaufen macht und die Farben nachdunkeln läßt. Diese scheinbar so belanglose Feinheit, die nur der Fachmann recht verstehen kann, ist ein gutes Beispiel für die engen Beziehungen von Stilwillen und Wahl des Malmaterials. „Beginnt damit", hat Rubens gesagt, „daß ihr leicht eure Schatten malt." Dann wirken sie körperhaft und lebendig. Die Lichter müssen hingegen pastos (in dicker Farbgebung) aufgesetzt werden. „Man erzielt Erfolg, wenn man jeden Ton an seinen Platz setzt, einen neben den anderen, sie mit dem Pinsel wenig mischt und ohne Quälen leicht ineinander übergehen läßt." Kalte (blaue, grünliche) Töne liegen über war-
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inen (roten, gelblichen) und ergeben die berühmten Rubens sehen Perlmuttertöne. „Zum Schluß" — so sagt er — „kann man über die so vorbereitete Fläche zurückkehren und jene bestimmten Akzente aufsetzen, die immer das Kennzeichen großer Meister sind." Nicht selten hat sich der Meister darauf beschränkt, das Bild zu entwerfen, che handwerkliche Durchformung aber den Schülern zu überlassen, um schließlich nur den „letzten Schliff" zu geben. Aber diese übertragenen Arbeiten beweisen nur, wie sehr die Rubenssche Maltechnik von seinem persönlichen Stil bestimmt war; nur die Bilder, die ganz aus seiner Hand hervorgingen, haben jenen unnachahmlichen Reiz, den die Schüler selten erreichten. Die Niederländer und Engländer haben viel von Rubens gelernt. Man ging zum Teil eigene Wege, aber die Harzölfarbenmalerei ist ihnen allen gemeinsam. V a n D y c k (1599— 1641), R e y n o l d s (1723—1792), G a i n s b o r o u g h (1727— 1788), A d r i a n B r o u w e r (1605—1638), V e r m e e r v a n D e l f t (1632—1675) haben in dieser Technik gemalt, ihre Bilder konnten die zerstörende Gewalt der Zeiten überdauern und prangen heute noch wie einst in unverminderter Schönheit. Zugleich strebten einzelne Maler, denen diese schnelle Technik noch immer zu langwierig erschien, eine noch einfachere Malweise an. So hatte G e r a r d D o u (1613—1675) auf seiner Palette stets eine Reihe fertig gemischter Fleischtöne bereit, die sich immer wieder benützen ließen. Er wurde damit zum Vorläufer einer schematischen Atelier-malerei, die in Wilhelm v. Dietz (1839—1907) ihren bekanntesten Vertreter gefunden hat. Die wahrhaft großen Meister haben handwerkliche Fragen stets sehr ernst genommen, ihr einziger Maßstab war die vertiefte Wirkung des Bildes und das Bestreben, den Reiz der Farben über die Zeiten hinweg zu bewahren. Während Dou den bequemen Weg wählte, hat sein Lehrer R e m b r a n d t v a n R i j n (1606—1669) zeitlebens die malerische Technik fortentwickelt. Freilich, auch seine Bilder sind im Laufe der Zeit nachgedunkelt, und die Firnisschichten sind zuweilen bis zum heutigen Tage nicht getrocknet, wie sich bei einer Restaurierung der „Nachtwache" herausgestellt hat (braucht doch ein Ölbild bis zu 80 Jahre, um restlos durchzutrocknen), aber ein Vergleich von Rembrandts Bildern mit denen seiner Nachahmer zeigt, wie vollkommen das handwerkliche Können dieIfi
ses> großen Malers war. Rembrandts Gemälde — so haben seine Zeitgenossen im Scherz behauptet — könne man an der Nase aufheben, so dick seien sie gemalt. Das ist zwar übertrieben, kommt aber doch der Wirklichkeit nahe. Der Meister hat es indessen verstanden, die Farben so zu binden, daß sie ihre pralle Körperlichkeit, ihren Schmelz und ihren Reiz über die Jahrhunderte hinweg bewahrt haben. Sie sind nicht zusammengeschrumpft und eingetrocknet, wie es bei den Nachahmern, etwa bei E d l i n g e r (1741—1819) der Fall ist. Rembrandt verwendete stark harzige Malmittel, Venezianer Terpentin und Mastix, an der Sonne eingedickte öle und angeriebene Farben von grobem Korn, während seine Schüler zuviel öl gebrauchten, was die Farben allmählich zusammenschrumpfen und dunkel werden ließ. Rembrandt hat alle Möglichkeiten der Harzölfarbenmalerei ausgeschöpft, er hat mit breiten und spitzen Pinseln, mit Spachtel und Messern, sogar mit den Händen die Farbe aufgetragen und gemalt. Bei den „Staalmeesters" zum Beispiel scheinen die Fransen am Handschuh des Mannes, der rechts außen sitzt, bis in die Einzelheiten herausgearbeitet, sie sind aber nur mit dem Stil des umgekehrten Pinsels in die flüssige Farbe gekratzt. Farbliche Buntheit wurde bei Rembrandt immer mehr zugunsten einer vollkommenen Harmonie „befreundeter Farben", von Ockergelb bis Braun und Braunrot, und einer tonlichen Ausgeglichenheit gedämpft. Der malerische Stil hat in Rembrandts Werk vielleicht den Höhepunkt erreicht, dem nur noch Franz Hals und Velazquez verglichen werden können. Man hat im Zusammenhang mit dieser Maltechnik den modernen Begriff „Primamalerei" verwendet und wollte damit die frische Pinselführung und den deckenden Farbauftrag kennzeichnen. Wer sich aber mit der Technik der alten „Primamaler" vertraut gemacht hat, erkennt bald, daß die Malweise der eigentlichen „Primamalerei", die der Impressionismus einführte, sich von jener des 17. und 18. Jahrhunderts wohl unterscheidet. Die alte Primamalerei bewahrte das Prinzip des „optischen Grau" der früheren Schichtenmalerei insofern, als nicht selten mit Wasserfarben untermalt wurde, die dann lasierend mit harzigen Malmitteln überzogen wurden; in sie konnte mit Ölfarbe feucht hineingemalt werden, sodaß der graue, leicht modellierte Grund in den Schatten zur Wirkung kam. Was wir heute „Primamalerei" nennen, ist erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden. <M
. D e r Maler sei ein Herr, hatte ein Zeitgenosse Rembrandts gesagt, handwerkliche Betätigung sei seiner unwürdig. Dieser Grundsatz war schließlich Allgemeingut geworden, die großen Lehrwerkstätten der Meister hatten sich aufgelöst, rein schulmäßige Unterweisungen waren wichtiger als handwerkliche Lehrzeit geworden. „Mach schnell!" war das Gebot der Stunde, und wenig kümmerte sich der Maler darum, ob seine Bilder auch für die Zukunft beständig sein würden. Die solide Kenntnis der Materialien geriet bald in Vergessenheit, und die aufblühende Farbenindustrie sorgte dafür, daß sich kaum noch ein Künstler die Mühe machte, seine Farben selbst anzureiben. Es war so bequem, die erforderlichen Farben im Laden zu kaufen. Auch ließen sich die Tubenfarben leichter transportieren; in kleine Kästen verpackt, boten sie sich besonders dem Freilichtmaler geradezu von selbst an. Diese technische Entwicklung fiel folgerichtig zusammen mit einer Wandlung des Malstils und der künstlerischen Auffassung. Die Maler drängten aus den dumpfen Ateliers hinaus in die Landschaft, wo die Sonne flimmernd über den Feldern steht, wo der Farbenrausch des Blühens und Grünens das Malerauge verzaubert. In Frankreich besonders fanden sich die „Pleinairisten", die Freilichtmaler, zusammen und malten die Natur so, wie sie in Wirklichkeit ist. Die Stilrichtung nannte man „ I m p r e s s i o n i s m u s " , Eindrucks-Kunst. Wie der Pleinairist geistig ein Kind der modernen, schnellebigen, industrialisierten Zeit ist, so ist seine Arbeit im Freien ohne die Hilfe der Tubenfarbe, einem Produkt der modernen Industrie, nicht möglich. Schnell wie das wechselnde Licht, rasch wie die lebenden Menschen, denen man nicht ein Modellstehen abverlangen konnte, sprühend wie das Leben selbst mußte der Pinsel, mußte die Farbgebung sein. So verbot sich eine genaue, langwierige Untermalung, eine allmähliche, schichtenweise Vorbehandlung von selbst. Form und Farbauftrag mußten im gleichen Pinselstrich liegen, unmittelbar auf der weißen Leinwand mußten die Farbtupfer .sitzen". Diese schnelle Malweise gab t
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dem Bild etwas Duftig-Atmosphärisches. Die Impressionisten haben sich mit ihrer Malart, der „Primamalerei", eine Technik geschaffen, die allein für die neuen Ziele geeignet -war. • Oft als Außenseiter, vom Studium der Jurisprudenz und der Oekonomie zur Kunst gekommen, des leeren, akademischen Betriebs der Kunstinstitute überdrüssig, von keinem Lehrer unterrichtet, der noch die lebendige Tradition alter Meister" bewahrt hatte, waren sie alle mehr oder weniger maltechnische Autodidakten. Jeder machte es so, wie er es für richtig hielt. „Wie ich . . . male, weiß ich selbst nicht, ich setze mich mit einem frischen Malbrett vor den Gegenstand hin, der mich packt — ich sehe nach dem, was ich vor Augen habe — ich sage mir: aus dem frischen Brett muß etwas werden . . . ich komme unzufrieden zurück, ich stelle es fort, und> wenn ich mich etwas ausgeruht habe, seHe ich mit einer Art Angst danach . . . ich sehe in meiner Arbeit einen Widerglanz von dem, was mich packte, ich sehe, daß die Natur zu mir gesprochen, daß sie mir etwas erzählt hat, was ich in S c h n e 11 s c h r i t t aufgeschrieben habe. In meiner Schnellschrift mögen Worte sein, die nicht zu entziffern sind, Fehler oder Leeren, aber trotzdem liegt etwas von dem darin, was der Wald, der Strand oder die Figur mir sagten . . . " So schreibt V i n c e n t v a n G o g h (1853—1890) an seinen Bruder Theo. Und weiter schildert er, wie ein Bild entstanden ist: „Ich mußte, da der Eindruck nicht bleibt, schnell malen, die Figuren sind in einigen kräftigen Strichen mit breitem Pinsel in einem Zuge hingesetzt. Es überraschte mich, wie fest die Baumstämmchen im Hintergrund saßen, ich fing sie mit dem Pinsel an — doch weil der Boden des Bildes schon so stark mit Farbe bedeckt war, sank der Pinselstrich weg wie nichts —, da drückte ich Wurzeln und Stämme aus den Tuben darauf — und modellierte sie etwas mit dem Pinsel. Ja •— nun stehen sie darin, sprießen heraus, wurzeln mit Kraft darin. In gewissem Sinne bin ich froh, daß ich das Malen nicht gelernt habe. Vielleicht hätte ich dann gelernt, solche Wirkungen wie diese zu übersehen . . . " — An anderer Stelle sagt er: „Für den Boden brauchte ich anderthalb große Tuben Weiß — trotzdem ist der Boden sehr dunkel" . . . Und bei anderer Gelegenheit schreibt er: „Ich möchte meinen Auftrag für das Zinkweiß verdoppeln. Dieses Zinkweiß ist ein wenig schuld, daß das Zeug so langsam trocknet, aber es zu mischen, hat seine Vorteile." 21
Van Gogh, der als Beispiel für die mit ihm befreundeten Künstler, die großen Franzosen, gelten mag,, hat sich viel Gedanken über Farbtechnik gemacht. Er weiß von den Wirkungen des Klimas auf die Farben: „Ich hörte" — so schreibt er — „daß die Rubensbilder in Spanien unendlich viel reicher und farbiger bleiben als die im Norden. Die freistehenden, gemalten Ruinen bleiben hier weiß, während im Norden alles grau wird, schmutzig und schwarz." Primamalerei, wie sie van Gogh pflegte, verlangte kaum nach- farbiger Grundierung. Die Leinwand wurde weiß grundiert und unmittelbar mit Farben bedeckt. Dieser weiße Grund leuchtet bei C e z a n n e (1839—1906) noch stellenweise zwischen den Farben hindurch, da es dem Maler ratsamer erschien, lieber die weiße, neutrale Fläche unbedeckt zu lassen, als voreilig eine' falsche Farbe aufzusetzen, die das Ganze stören konnte und sich nur schwer entfernen ließ. Diese zunächst unbeabsichtigte, reizvolle Wirkung ist von modernen Malern bewußt übernommen und systematisch ausgebaut worden, sodaß der Malgrund wieder Bedeutung bekam. Unterschiedlicher Farbauftrag, der Wechsel von dünn- und dickgemalten (pastosen) Stellen, das Durchleuchten und freie Hervortreten des unberührten Malgrundes wurden in dem Augenblick besonders wichtig, als sich die Malerei vom impressionistischen zum e x p r e s s i o n i s t i s c h e n S t i l entwickelte und nun den Farben ein eigener Wert zugesprochen wurde. Nicht mehr bestrebt, die Wirklichkeit wiederzugeben, mit der Natur zu wetteifern, sondern all-ein bemüht, persönlichste Gefühle, seelische Spannungen in Formen und Farben auszudrücken, verzichtete der expressionistische Künstler darauf, Tiefenwirkungen vorzutäuschen. Ihm genügte für seine Absichten die Fläche. Diese Fläche galt es zu unterteilen. Hier spielte die Art des Materials, flas aus sich selbst heraus wirken konnte, eine hervorragende Rolle. So kamen beispielsweise P a b l o P i c a s s o (geb. 1881) und G e o r g e s B r a q u e (geb. 1882) dazu, Kies und Sandteile in die Grundiermasse einzubinden, um den Grund spröde und rauh zu machen, wodurch sich das Licht besser und abwechslungsreicher brechen kann und unbeständiger reflektiert wird. Braque kehrt den bisher üblichen weißen oder leicht getönten Grund in sein Gegenteil um, er malt zuweilen auf tiefschwarzem Grund, auf den er die Farben deckend so aufträgt, daß der schwarze Grund in dunklen Linien gerüstartig stehenbleibt, was dem Bild einen ganz eigenen Reiz verleiht. 77
Die genaue Kenntnis der Technik, mit der die alten Meister malten, der Farben, Harze, öle, die sie verwendeten und der besonderen Art des Bildaufbaues ermöglichen heute eine einwandfreie Feststellung der Echtheit von Gemälden. Zum mindesten kann man Rückschlüsse auf die Enstehungszeit des Werkes ziehen. Der Forscher kennt eine Reihe von Möglichkeiten, um hinter die „Fassade" eines Bildes zu schauen, ohne die Malschicht zu beschädigen. Eines der wichtigsten Mittel ist der Röntgenapparat. Die Röntgenstrahlen durchdringen das Bild, und was dem bloßen Auge verborgen blieb, wird sichtbar. Nicht nur der Fachmannr der „Experte", der Gemälde auf ihre Echtheit prüft, sondern auch der Kunsthistoriker macht dabei die interessantesten Entdeckungen. Als man das Bild von H a n s T h o m a (1839—1924) „Mädchen am Ufer" (Abb. S. 29) durchleuchtete, fand man einen ganz anderen Bildaufbau unter den darüber gelegten Farbschichten. Offenbar hatte die erste, poetische Fassung des Bildes mit Schwan und Engel dem Maler nicht mehr gefallen, und so faßte er später das Werk einfacher und natürlicher, ohne die stark romantisch gefärbten Beigaben. So hat man, um andere Beispiele zu nennen, unter Goyas Bild „Erster Kirchgang" ein „Konzert", unter Rembrandts „Titus" ein Frauenbildnis und unter Tizians Bildnis des Benedetto Varchi eine erste Fassung des gleichen Kopfes festgestellt. Bei der Untersuchung eines „Lachenden Kavaliers", der von einem Experten für holländische Malerei als ein Franz Hals bezeichnet worden war, stellte man unter den „alten" Farblagen durch Röntgenuntersuchung einen modernen Nagel fest; damit war das Bild als Fälschung erkannt. •— Die Röntgen-Untersuchung hat in Fragen der Echtheit oft entscheidende Antworten gegeben. Da hat die Frau eines Bielefelder Industriellen im Jahre 1936 für 132 000 Mark vier „Spitzwegs" erstanden und sie unvorsichtigerweise in die Nähe von Heizkörpern gehängt. Die Bilder warfen sich, — das war bei einem „Spitzweg" recht merkwürdig — man röntgte sie und erkannte sie sofort als Fälschun23
gen. Der Maler dieser „Spitzwegs" lebte in ärmlichen Verhältnissen und kopierte seit 1919 nach farbigen Drucken Spitzwegbilder auf Holzplatten, nachdem er die Spitzwegsche_Malweise in Münchener Museen gründlich studiert hatte. Er signierte die Kopien mit seinem Namen und war froh, daß ein Händler immer neue Aufträge brachte! Bei diesem Händler „entdecktet ein Elsässer Kunsthändler die Bilder, kaufte sie auf und brachte sie zu einem Münchener Restaurator, der die oberste, bemalte Schicht der modernen Sperrholzplatten ablöste und sie auf afrikanisches Okume-Holz klebte. Das Namenszeichen (die Signatur) des Kopierers wurde entfernt und das Bild neu als „Spitzweg" signiert. Es gimj alles glatt, zumal ein Professor dem die Bilder vorgelegt wurden, sie als „echte Spitzwegs" anerkannte und für jede der 54 gefälschten Kopien eine „Expertise", d. h. eine Echtheitsbescheinigung, ausstellte. Die Fälscher hatten aber das Pech, daß das Holz der Bilder sich über der Heizung verzog und der Bielefelder Spitzwegfreundin die Sache verdächtig geworden war. Neben der Röntgenuntersuchung war für die Entlarvung die Holzprüfung aufschlußreich; denn es ließ sich genau nachweisen, daß im Jahre 1885, als Spitzweg starb, noch keine Okume-Hölzer aus Afrika importiert worden waren. Das Hamburger Staatsinstitut für angewandte Botanik stellte an Hand der alten Hafenlisten fest, daß die ersten drei Tonnen Okume-Holz im Jahre 1891 eingeführt worden sind. Zu allen Zeiten hat es Fälscher gegeben. Im ägyptischen Altertum waren Gold und -Edelmetalle verlockend, und in manchen Pyramiden hat man Gold-Imitiationen aus billigem Material gefunden. Die Griechen versuchten schon, Werken zweitrangiger Künstler mehr Bedeutung und Wert zu geben, indem sie den Namen des großen Meisters Praxiteles eingruben. In der Renaissance begann die moderne Art der Kunstfälschung, als man Kunstwerke als Erzeugnisse großer Meister zu schätzen begann. Von nun an war die Gilde der Fälscher bemüht, Minderwertiges berühmten Namen unterzuschieben. Um dem Bilderschwindel auf die Spur zu kommen, hat man die verschiedensten Methoden entwickelt, die plumpe Fälschungen leicht entlarven, den Fälschern selbst aber nicht unbekannt bleiben und von ihnen mit einberechnet werden. Da hängte man früher die Bilder einfach wie Schinken in den Rauchfang, um ihnen die nötige „Antiquität" zu geben; um 24
Signaturen sind Echtheitszeichen für Gemälde. Zeichen von oben links nach unten rechts: Albrecht Altdorfer, Johann Baidung gen. Grien, Adriaen Brouwer, Gerhard Dou / Frans Hals, Lucas van Weyden, Rembrandt, Ruesdael i Schnarr von Carolsfeld, Hans Thoma, Philips Wouwerman, Gerhard Ter-Borcb
Gefälschte Signatur Ludwig Richters wird durch Lumineszenz-Bestrahlung durch ihre Härte erkennbar Die Signatur ist »eueren Datums
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Holzwurmlöcher vorzutäuschen, schoß man mit besonderem Schrot in das Holz der Rahmen. Ein Gemisch von Ruß, Leim und Tabakabsud machte die Leinwand „alt"; oder man kaufte beim Trödler alte Bilder und malte Fälschungen darüber. All diese einfachen Tricks lassen sich heute verhältnismäßig e i n fach durch moderne chemische Mittel, durch Röntgen-, Infrarotund Lumineszenzaufnahmen, durch Quarzoptik und Silberfilter feststellen. • Eine R ö n t g e n - A u f n a h m e durchleuchtet das Bild und gibt über Bildaufbau, Untermalung und Ergänzungen wertvolle Aufschlüsse; Unterschiede in der Malweise verschiedener Maler werden deutlich. Aber die Anwendung der Röntgenstrahlen ist nicht ganz ungefährlich; man behauptet, daß eine übermäßige Belichtung den Bildern schaden könne, was allerdings noch nicht ganz sicher erwiesen ist. — L u m'i n e s z e n z a u f n a h m e n können in filtriertem ultravioletten Licht gemacht werden und dienen dann zur Feststellung von Überarbeitungen .und zur Untersuchung der Signatur, ob diese zeitlich mit der Bildentstehung zusammenfällt oder später hinzugefügt wurde. Die späteren Ergänzungen erscheinen dunkel auf dem milchigtrüben, alten Bild. Allerdings benutzen die Fälscher oft Lumineszenzfirnisse, die nachträglich auf überarbeitete Stellen und Unterschriften aufgestrichen werden können und die neue Ubermalung im ultravioletten Licht unsichtbar machen. Wenn ein raffinierter Fälscher solche Firnisse verwendet, führt die Untersuchung nicht zur Aufklärung des Schwindels. Lumineszenzaufnahmen sind auch in nicht filtriertem Licht möglich; sie geben dann mitunter ergänzenden Aufschluß über Alter und Zustand des Bildes. I n f r a r o t - S t r a h l e n durchleuchten bekanntlich kilometerlange Nebelwände, ebenso dringt ihr langwelliges Licht durch mehrfache Firnis- und dünnere Farbschichten hindurch. Sie lassen den Bildaufbau bis zur Vorzeichnung auf dem Bildträger, dem Grund, sichtbar werden. Was völlig schwarz-braun vergilbte Firnisse dem Auge verbergen, wird in überraschender Weise durch Infrarot-Strahlen bloßgelegt. Bei der Freilegung der um 1500 gemalten Jerg Ratgeb-Fresken im Karmeliterkloster in Frankfurt am Main wurden Infrastrahlen erfolgreich verwendet. Noch bevor ein menschliches Auge die Freskomalereien unter dem modernen Anstrich erblicken konnte, 26
zeigten Infrarotaufnahmen, wie man bei der Freilegung vorzugehen habe, um die Fresken nicht zu beschädigen. Ultraviolette Strahlen verhalten sich verschiedenartig, wenn sie auf verschieden gealterte Bindemittel stoßen, sodaß man spätere übermalungen erkennen kann. Diese Stellen erscheinen unter der ultraviolett-strahlenden Q u a r z l a m p e wesentlich dunkler. Wenn unter der Quarzlampe eine weiße Farbe hellgrünlich aufleuchtet, so ist das untersuchte Bild — wenn es von einem der alten Meister gemalt sein soll- — eine Fälschung. Die grüne Farbe zeigt nämlich an, daß es sich um Zinkweiß handelt, das erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts Verwendung findet. Die Alten gebrauchten Bleiweiß, das von der Quarzlampe in brauner Färbung angezeigt wird. Auch die U n t e r s u c h u n g m i t d e m M i k r o s k o p gehört zu den optischen Hilfsmitteln, mit denen man sich gegen Fälschungen schützt. Mit Hilfe der mikroskopischen Fotografie hat man kleinste Bildteile stark vergrößert und auf den Vergrößerungen Technik und Pinselführung — die „Handschrift" des Malers — deutlich erkannt. Die verschiedenen Farbbestandteile, die man dem vom Rahmen verdeckten Bildrand entnimmt, werden durch chemische Methoden genauestens analysiert. Spektralanalytische Untersuchungen zeigen ebenfalls die Zusammensetzung der Farbschicht. Zusätzlich prüft man die Grob- und Feinkörnigkeit der Farben, da die alten, handgeriebenen wesentlich grobkörniger sind als die modernen Industriefarben.
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Von den 2500 Bildern, die Corot (1796—1875) a°mait hat, befinden sich 7800 — oder, wie manche sagen, 13 000 in Amerika!" So lautet ein alter Kunstwitz. ,Jeden Tag werden neue .Rembrandts' entdeckt" sagt Dr. de Wild, ein bekannter, holländischer Restaurator. Er hat 130 echte Werke des Meisters untersucht und unverhältnismäßig viel mehr falsche .Rembrandts' festgestellt. Der New Yorker Spezialist für Fälschungen Dr. Toch behauptet, daß die Zahl der Gemälde, die im Laufe der Zeit als .Rembrandts' gekauft worden sind, sechs bis zehn Mal größer sei als alles, was der Meister jemals habe malen können. Van Dyk werden an 2000 Bilder zugeschrieben, doch dürfte er kaum mehr als 70 gemalt haben. Aber man braucht gar nicht bis zu den Alten Meistern zurückzugehen; Direktor Sandberg vom Städtischen Museum in Amsterdam berichtet, daß ihm im August des Jahres 1948 mehrere hundert Zeichnungen und 80 Ölgemälde vorgelegt wurden, die angeblich von van Gogh stammen sollten und sämtlich gefälscht waren, sodaß sich der Museumsleiter gezwungen sah. die Staatsanwaltschaft dafür zu interessieren, um die -Fälscherbande auszuheben und das Werk van Goghs zu schützen. Ganz toll wird die Bilderfälscherei dann, wenn Bilder lebender Maler nachgeahmt werden. Die „Zezi de Montparnasse", wie Madame Claude Latour genannt wird, hat es in der Massenherstellung von „Picassos" und „Utrillos" weit gebracht. Sie produzierte die Bilder serienweise für 1000 Francs das Stück und gab sie an einen 22jährigen Mittelsmann weiter, der sie zum Teil für 70 000 Francs weiterverkaufte; wahrlich kein schlechter Handel! Im Jahre 1948 kam die Geschichte heraus, und die „Zezi" hatte sich in Paris vor Gericht zu verantworten. Das war dem Maler Utrillo, der als Zeuge erschienen war, fast peinlicher als der Zu den Bildern auf der gegenüberliegenden Seite: Ausschnitt aus dem Gemälde von Hans Thoma: „Mädchen am Ufer". Oben: Bildteil im heutigen Zustand. Unten: Die Röntgenaufnahme des gleichen Ausschnitts zeigt, daß der Maler das Bild ursprünglich mit mehr Einzelheiten angelegt hatte, die er später übermalte. /Aufn.: Doerner-Institut, München:
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Fälscherin, denn oft mußte et mehrmals hinsehen, bis er, feststellen konnte, ob er das Bild gemalt hatte, oder ob es eine Fälschung war. „Utrillo hat kein Talent", sagte Madame Latour, „ich male besser als er, es ist mir überhaupt möglich, einen jeden modernen Maler zu kopieren!" Zweifellos besitzt Amerika die meisten Bilderfälschungen, da der Markt für alte Gemälde in der Neuen Welt besonders gut ist. Man könnte in New York sicherlich ein stattliches Museum gefälschter Bilder eröffnen, und es gibt die kompliziertesten und ergötzlichsten Geschichten von Bilderschmuggel und Falschverkäufen. Vorhandene Expertisen beweisen an sich noch nichts, es kommt darauf an, wer sie ausgestellt hat und wann sie ausgeschrieben sind. Nicht selten haben Fälscher die Fachleute dadurch getäuscht, daß sie das Original auf eine Kopie desselben Bildes geklebt haben. Der Fachkundige sah das Original vor sich, schrieb eine Expertise aus und klebte sie hinten auf das Bild; später wurde das Original wieder vorsichtig von der Kopie gelöst, sodaß die Expertise nun auf der Kopie haftete, die falsch signiert und als echt verkauft wurde. Oder man sägte die Holztafel, auf die das Bild gemalt war, nach Anbringen der Expertise vorsichtig durch und erhielt dadurch eine leere Holzplatte mit Echtheitstestat und dazu das Original, das noch einmal beurkundet werden konnte. Besonders raffiniert war der Trick eines Rubensfälschers, der erfahren hatte, daß man, um Zoll zu sparen, echte Rubens als falsche ausgab, wenn sie nach Übersee gingen. Das Verfahren war einfach: die echte Signatur wurde mit Schimmel überzogen und am Bestimmungsort wieder entfernt. Die Zollbeamten kamen aber hinter die Schliche und achteten beim Verzollen von Bildern besonders auf die Schimmelflecke. Hierauf baute der Fälscher seinen Plan auf. Er überzog die falschen Bilder ebenfalls mit Schimmel, die Zollbeamten glaubten, einen guten Fund gemacht zu haben, und der Zoll für ein echtes Bild mußte gezahlt werden. Bei der Ankunft sorgte der Fälscher dafür, daß die Zeitungen auf die Entdeckung eines „echten" Rubens und die Bestrafung des Zollschwindlers zu -sprechen kamen, und er konnte gewiß sein, daß seine^ Fälschung, die auf so einfache Weise eine zollamtliche Expertise bekommen hatte, schnell einen Käufer finden würde. — Es entbehrt nicht einer grausamen Tragikomik, daß die Werke vieler Künstler, deren Leben Hunger und Elend war, 30
nach ihrem Tode so hoch im Kurs standen, daß sich Fälschungen tausendmal bezahlt machten. Van Gogh, der arme Teufel, hat zu Lebzeiten ein einziges Bild verkauft, heute werden in einem Monat gleich 80 Nachahmungen angeboten. Ist es nicht ein armseliges Zeichen dafür, wie wenig die. Menschen um der Freude willen, und wie sehr sie wegen des Geldwertes und wegen des äußeren Ruhmes die Kunst lieben! Man ehre die großen Meister, deren unsterbliches Werk immer wieder ein Ansporn ist, aber man vergesse die vielen nicht, die uns ohne berühmte Namen Schönes gegeben haben und es beständig tun. Einen Rembrandt oder Vermeer kann nicht jeder besitzen, und es gehört wenig dazu, ihre Werke zu bewundern, aber es zeugt von echtem Kunstverständnis und eigener Urteilsfähigkeit, für einen begnadeten Maler auch mit unbekanntem Namen in der Öffentlichkeit eine Lanze zu brechen.
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Manni
Digitally signed by Manni DN: cn=Manni, c=US Date: 2006.05.08 18:45:06 +01'00'
Diesen Lesebogen schrieb Heinrich D i.t tma r-
Der Kunstfreund findet in den folgenden Heften der Lux-Lesebogen eine wertvolle Ergänzung zu diesem Bericht über die Malkunst alter Meister: Heft 2 „Der junge Dürer", Heft 10 „Rembrandt", Heft 17. „Mit Pinsel, Feder, Gänsekiel", Hell 49 „Moderne Kunst".
LUX-LESEBOGEN Nr. 61 / Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundlidie Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-München, Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Budidruckerei Hans Holzmann. Bad Wörishofen
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