Klappentext Seit dem Tod ihrer Mutter hat es Buffy nicht leicht. Sie fühlt sich allein gelassen und die Probleme schein...
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Klappentext Seit dem Tod ihrer Mutter hat es Buffy nicht leicht. Sie fühlt sich allein gelassen und die Probleme scheinen überhand zu nehmen. Ihre Schwester Dawn hat Schwierigkeiten in der Schule, das Geld reicht hinten und vorne nicht und Buffy leidet an Zahnschmerzen. Doch an einen Besuch beim Arzt ist wegen des Lochs in der Haushaltskasse nicht zu denken... Nicht nur dass sie für ihre Schwester verantwortlich ist – nebenbei muss sie auch noch ihren Pflichten als Jägerin nachkommen und die Welt vor dem Bösen beschützen. Und dieses taucht plötzlich in Sunnydale in Form von winzigen Monstern auf. Diese kleinwüchsigen, elfenartigen Wesen scheinen anfangs noch harmlos und niedlich zu sein, richten dann jedoch unfassbares Unheil an...
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Rebecca Moesta
Welle der Verwüstung Aus dem Amerikanischen von Lynn Vetter und Antje Görnig
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind auch im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Das Buch »Buffy – Im Bann der Dämonen. Welle der Verwüstung« entstand nach der gleichnamigen Fernsehserie (Orig.: Buffy, The Vampire Slayer) von Joss Whedon, ausgestrahlt bei ProSieben. © des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher Genehmigung der ProSieben Television GmbH Erstveröffentlichung bei Pocket Books, eine Unternehmensgruppe von Simon & Schuster, New York 2002. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Buffy The Vampire Slayer. Little Things. TM
und © 2003 by Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved. Buffy, the Vampire Slayer ist ein eingetragenes Warenzeichen der Twentieth Century Fox Film Corporation. © der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2003 Alle Rechte vorbehalten. Redaktion: Sonja Erdmann Produktion: Wolfgang Arntz Umschlaggestaltung: Sens, Köln Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2002 Satz: Kalle Giese, Overath Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-3250-3
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Dieses Buch widme ich meinen beiden ältesten Freunden (die keineswegs zu den »Alten« gehören): Lisa Jan Parker Chrisman, die mich lehrte, Feen zu lieben, auch wenn sie manchmal ein wenig ungezogen sind, und Ann Cathleen Hanna Neumann, die schon immer wusste, dass ich einmal das tun würde, was wir uns alle wünschten, als wir noch Kinder waren. Ich danke euch beiden dafür, dass ihr mich mit ein paar der magischsten Büchern bekannt gemacht habt, die ich je gelesen habe.
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Prolog Drei Tage lang blies der warme Santa-Ana-Wind unaufhaltsam durch Südkalifornien. Er trieb eine Wolke von Blättern, Ästen und Fast-Food-Verpackungen vor sich her. In Sunnydale wurden Bäume entwurzelt, Mülleimer aus den Hauseinfahrten gewirbelt und durch die Straßen geschoben, während ihr Inhalt sich über die Gehwege verteilte. Fenster klapperten, Eingangstüren wurden zugeschlagen und wer seine Möbel auf der Veranda nicht angebunden hatte, der konnte sie im Garten des Nachbarn einsammeln. Am dritten Tag endlich ebbte der Sturm ab und gab den Blick frei auf einen stahlblauen Himmel. Doch der Sturm ließ mehr zurück als den Schmutz, den er aufgewirbelt hatte... Cherie Beeheim saß ganz alleine im Weatherly Park unter einer betagten und vom Sturm verschonten Eiche in der Dämmerung und wartete. Heute Nacht würde etwas Magisches geschehen. Sie genoss die erwartungsvolle Spannung. Als sie Schritte hinter sich vernahm, wirbelte sie herum, aber es war niemand da. Aus den Augenwinkeln sah sie eine rasche Bewegung, aber als sie sich danach umdrehte, war wieder nichts zu sehen. »Boo!« Cherie schrie auf, aber es war nur Josh, dem es gelungen war, einmal um den gigantischen Baum herumzuschleichen und sie zu überraschen. Wahrscheinlich kam er geradewegs vom Basketballtraining, denn sein Haar war feucht und er hatte eine Sporttasche bei sich. Ihr Herz schlug schneller, als sie Joshua Norton Clarke erblickte, einen verdammt hübschen Jungen aus den oberen Klassen ihrer Schule und ihr Date für diese Nacht. Seine sandfarbenen Haare passten hervorragend zu den blauen 6
Augen. Und er hatte Stil: Er trug einen Designer-Freizeitlook, der sicher nicht billig gewesen war. Josh war definitiv das Material, aus dem phantasievolle Mädchen ihre Träume bastelten. Sein Lächeln signalisierte, dass er mindestens zwei Jahre eine Zahnklammer getragen hatte. Es war so perfekt, dass jedes Mädchen auf der Schule geschmolzen wäre, inklusive Cherie. Und inklusive seiner bescheuerten Freundin Cara Crandall, diese verwöhnte, reiche Ziege. Magisch. Cherie riss sich zusammen. Heute Nacht würde alles perfekt laufen. Hatte sie nicht extra ihre Schuluniform gegen ihr schärfstes Outfit getauscht? Ihre Bluse war nicht nur ärmellos, sondern hatte auch ein gewagtes Dekolleté. Fließender Stoff, der genau die richtigen Stellen enthüllte, und ihr Minirock ließ garantiert jeden Jungen mit Blut in den Adern vergessen, dass andere weibliche Wesen auf diesem Planeten jemals existiert hatten. Das war schließlich das Letzte was Cherie von Josh im Augenblick wollte: dass er an andere Mädchen dachte. »Freust du dich, mich zu sehen?«, fragte Josh. Sie schüttelte ihr langes dunkles Haar und schenkte ihm einen traumhaften Augenaufschlag. Darin war sie unschlagbar. »Ich werde mir eine Strafe für dich ausdenken müssen, weil du mich so erschreckt hast«, neckte sie ihn. Sofort schenkte er ihr wieder sein geniales Lächeln. »Ich glaube, das kann ich wieder gutmachen. Komm mit.« Er fasste nach ihrer Hand. »Lass uns gehen.« Cherie ließ sich von der Eiche wegführen, weg von den Gehwegen, tiefer hinein in den Park. Ein paar verirrte Windböen streiften ihre Knöchel, während sie die Lichter der Straßen hinter sich ließen und in die Dunkelheit eintauchten. Sie kamen an knorrigen alten Bäumen vorbei, die sich gespenstisch gegen den Abendhimmel abhoben. Sie glaubte, ein Schimmern zu sehen, doch sie ignorierte es. Im Augenblick 7
interessierte sie nur Josh. Ihr Puls raste. Nicht weil sie Angst hatte, sondern weil es so aufregend war, etwas Verbotenes zu tun. Ihr Vater glaubte, sie sei in der Bibliothek, aber Cherie war schon nach einer Stunde Hausaufgaben dazu übergegangen, die Kleider zu wechseln. Sie hatte ihr Make-up aufgelegt und war zum Weatherly Park gelaufen. Inzwischen war es dunkel und sie streifte über die Wiese – sie, die sich noch nie getraut hatte, die offiziellen Wege zu verlassen – an der Hand eines Jungen, der streng genommen nicht einmal ihr Freund war. Noch nicht. Als Josh im dichten Unterholz anhielt, um sie zu küssen, versuchte Cherie nicht einmal so zu tun, als habe sie etwas dagegen. Das war der magische Moment, auf den sie gewartet, ja, gehofft hatte. Sie waren ganz allem. Niemand würde hier plötzlich auftauchen und sie beobachten. Das war der richtige Augenblick, sich zu küssen. Die Zeit blieb stehen. Ihre Körper schmiegten sich aneinander, suchten die Nähe. Als sie sich atemlos wieder lösten, schien der Mond durch die Zweige. Er war fast kreisrund. Ein Vollmond hätte das Ganze noch perfekter gemacht, aber Cherie war nicht nach Meckern zu Mute. Sie seufzte hingebungsvoll. »Wie romantisch.« Josh fasste das anscheinend als Kompliment auf, denn er antwortete: »Warte, es wird noch besser.« Er fischte ein verwaschenes gelbes Badehandtuch aus seiner Sporttasche und drapierte es auf der winzigen Lichtung. »Wenn Mademoiselle sich bitte setzen möchte?«, sagte er mit dem überzeugendsten französischen Akzent, den er zu Stande brachte, und deutete auf das Handtuch. Während sie sich setzte, achtete Cherie darauf, so viel wie möglich von ihren Beinen zu zeigen. Schließlich gehörten die mit zum Besten, was sie zu bieten hatte. Doch plötzlich zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Irgendetwas bewegte den Busch. Es war nur ein kleiner Zweig, den Josh mit 8
dem Ellbogen berührt hatte. Nicht mehr. Sei nicht so schreckhaft, schalt sie sich selbst. Sonst denkt er noch, die ganze Sache sei völlig neu für dich. Er musste ja nicht unbedingt wissen, dass dies ihr erstes Date war. Josh ließ sich neben ihr auf dem Boden nieder und zauberte noch ein paar Sachen aus dem Beutel. »Eh voilà!«, bemerkte er mit einem triumphierenden Grinsen. Im schummrigen Schein des Mondes erkannte sie eine Flasche Rotwein und zwei Gläser. Es waren allerdings keine Weingläser, sondern solche, in denen man Kindern normalerweise Saft servierte. Wein. Da war es wieder: das Verbotene. Mit seinen achtzehn Jahren war Josh auf jeden Fall näher an der Erlaubnis, Alkohol zu trinken, als Cherie, die erst vor zwei Wochen sechzehn geworden war. Sie wusste, ihr Vater wäre nicht gerade begeistert gewesen, aber das warme Gefühl in der Magengegend vertrieb alle Bedenken. Immerhin hatte sie sich nicht die ganze Mühe gemacht, um hier nur herumzusitzen wie bei einem Sonntagspicknick. Was auch immer heute Nacht geschehen würde, eins war sicher – es würde ihr Leben verändern. Er gab ihr einen Becher, auf dem Wilma Flintstone abgebildet war, und füllte ihn dann bis zum Rand mit Wein. Während er auch sich einschenkte, spürte Cherie plötzlich eine seltsame Nervosität in sich aufsteigen. Ihre Hand, die den Becher hielt, zuckte. Unvermittelt nahm sie einen großen Schluck, um zu verhindern, dass sie Wein verschüttete. Vielleicht auch einfach nur, um ihre Nerven zu beruhigen. Doch Josh füllte den Becher sofort wieder auf. Dann nahm er selbst einen großen Schluck, beugte sich zu ihr und presste seine feuchten Lippen auf die ihren. Cherie schloss unwillkürlich die Augen, deshalb sah sie den Lichtschein nur aus den Augenwinkeln. »Oh!« Sie richtete sich auf und holte tief Atem. 9
»He, was ist denn los?«, fragte Josh. »Ich... ich dachte, ich hätte ein Glühwürmchen gesehen. Ich liebe Glühwürmchen. Im Sommer in Wisconsin bei meiner Tante, wo wir immer den Nationalfeiertag verbringen, sehe ich jedes Jahr welche...« »Aber der Sommer ist vorbei und in Kalifornien gibt es außerdem keine Glühwürmchen«, unterbrach Josh sie. »Stimmt.« Cherie zuckte die Schultern und nahm noch einen Schluck Wein. »Vielleicht war es auch eine von diesen kleinen Taschenlampen«, vermutete Josh, plötzlich beunruhigt bei der Vorstellung, dass jemand sie stören könnte. »Ich sehe besser nach...« »Warte mal. Da ist es wieder.« Cherie deutete auf einen leuchtenden Punkt. »Und da ist noch eins.« Über dem Gebüsch tauchten winzige blinkende Lichter auf. »Was zum...«, flüsterte Josh. Er setzte den Becher ab und stand auf. Ein weiteres Licht tauchte hinter ihm auf und noch eins an seiner Schulter. »Hör mal«, sagte Cherie. Irgendwo in der Nähe erklang ein schwaches Summen, als schwirrten Bienen oder Hummeln um sie herum. Es klang nur etwas melodischer. Plötzlich waren diese kleinen Lichter überall. Cherie holte tief Luft, als sie glaubte, etwas zu erkennen. Der Becher glitt ihr aus der Hand und der blutrote Inhalt ergoss sich auf dem Handtuch, aber Cherie bemerkte es kaum. Eine winzige, perfekt geformte Figur schwebte vor ihrem Gesicht. Die kleine Frau war ausgesprochen hübsch und sah hundertprozentig menschlich aus. Nur war sie nicht größer als Cheries Zeigefinger und aus ihrem Rücken kamen zwei zarte Flügel hervor, die heftig schlugen – wie etwa bei einem Kolibri. Das kleine Ding trug ein Kleid in leuchtendem Grün, passend zu ihren Augen, und ihr goldenes Haar umschwebte den Körper wie eine leuchtende Aura. 10
»Eine... Fee?«, flüsterte Cherie. »Das ist Magie.« »Wie Tinkerbell«, sagte Josh. »Es müssen etwa zwanzig von ihnen sein.« Langsam und vorsichtig, um sie nicht zu vertreiben, hob Cherie die Hand und streckte sie der winzigen Nymphe entgegen. Der kleine leuchtende Körper näherte sich mit Bedacht, bis er die Hand zart berührte, und zog sich dann sekundenschnell wieder zurück. Cherie glaubte ein hohes, schrilles Gelächter zu hören. Drei der Feen in leuchtendem Gold, Silber und Apricot flogen um Cheries Kopf herum und berührten sanft ihr Haar. Sie ergriffen zart eine Strähne und zogen sie spielerisch über ihr Gesicht. Cherie kicherte vor Vergnügen. Zu ihrem Erstaunen nahm sich nun jede der Figürchen eine Strähne und sie webten sie ineinander, bis ihr Haar zu einem tadellosen Zopf geflochten war. Josh musste ebenfalls kichern. »He, jetzt ist einer von ihnen auf mir gelandet.« Cherie stand vorsichtig auf und betrachtete den kleinen Elf mit rabenschwarzem Haar, der auf Joshs Ohr hockte. Kurz darauf schwebten Dutzende dieser kleinen Wesen um sie herum und vollführten kleine Flugkunststücke. Vielleicht tat der Wein inzwischen seine Wirkung, oder es war die Magie dieser Nacht – Cherie konnte einfach nicht wegsehen. Um Josh bildete sich inzwischen ein zweiter Kreis dieser fliegenden Winzlinge. Die beiden Teenager beobachteten das Treiben wie hypnotisiert. Verzaubert. Der Abend nahm eine unerwartete Wende und einen Augenblick glaubte Cherie, sie und Josh seien vielleicht auf dem Badehandtuch eingeschlafen und träumten den gleichen Traum. Aber sie hatte niemals zuvor einen ähnlichen Traum gehabt. »Sie tanzen für uns!«, flüsterte Josh. »Es ist wundervoll«, stimmte Cherie zu. Ihre Stimme klang irgendwie fremd. Eigenartig, aber es schien, als tanzten die Feen und Elfen schneller und zogen ihre Kreise enger, bis sie 11
die beiden fast an der Schulter berührten. Der Tanz wurde immer wilder, die Bewegungen chaotischer. Cherie konnte sie kaum mehr auseinander halten. Sie starrte ins Leere, völlig gefangen von dem Geschehen um sie herum. Während die Feen vor ihrem Auge in wildem Rhythmus auftauchten und verschwanden, wurde Cherie langsam schwindelig. Einer der Elfen, ein winziger Mann, um dessen Kopf kirschrotes Haar loderte, ließ sich auf ihrer Schulter nieder. Das fühlte sich ebenso zauberhaft wie unheimlich an. Dann... »Autsch.« Cherie hörte ein Klatschen neben sich, dort wo Josh saß. »He, ich glaube einer von ihnen hat mich gestochen – oder gebissen.« Seine Stimme klang warm, aber matt. Er schien nicht beunruhigt zu sein. Cherie blinzelte in der Hoffung, der Schleier vor ihren Augen würde verschwinden. Jetzt erkannte sie, dass die kleinen Wesen sich verändert hatten. Ihre zarten, vorher durchsichtigen Schwingen waren von dunklen Adern durchzogen, und ihre Gesichter hatten ihre menschlichen Züge verloren. Auf ihrer Stirn waren Beulen erschienen und in ihren offenen Mündern konnte sie scharfe Zähne erkennen. Ein Stich in ihrem Nacken ließ sie erschaudern. Sie berührte die schmerzende Stelle und ertastete einen Stachel. Er war feucht. Sie blickte auf ihre Hand und bemerkte das Blut an ihren Fingern. Doch es schien sie nicht weiter zu stören. Die Nacht war magisch. Mehr und mehr Stacheln bohrten sich in ihre Haut. Josh stöhnte, aber er schrie nicht. Cherie versuchte, sich zu bewegen, doch dann vergaß sie, warum sie das hatte tun wollen. Der Schwarm hüllte die beiden nun vollkommen ein.
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1 Die Magic Box beherbergte vieles, was Buffys Leben angenehmer machte: ihre Schwester, ihren Wächter, ihre besten Freunde (außer Xander, der arbeitete noch um diese Zeit), warmes Licht, alte Bücher und den ganzen magischen Kram, den sie im Laden verkauften. Sie war für heute fertig mit dem Training und tauschte ihre Sportklamotten mit der Alltagskleidung. Eigentlich hätte sie sich wohl fühlen müssen, aber ein unbestimmter Schmerz quälte sie. Normalerweise hatte Schmerz für Jägerinnen keine Bedeutung. Glücklicherweise heilten die Wunden, die sie sich im Kampf oder während des Trainings zuzogen, schnell. Sie hatte keine Ahnung, woher dieses ungute Gefühl kam, aber vielleicht würde es so schnell verschwinden, wie es aufgetaucht war. Buffy traf ihre Freunde im Verkaufsraum der Magic Box. Giles sah zufrieden aus. Er hatte die Pflichten eines Wächters für heute erfüllt und war damit beschäftigt, eine Ladung Artefakte und magische Ausrüstungsgegenstände auszupacken, die gerade angekommen war. Tara, Willow und Dawn saßen um den Tisch herum, während Anya noch hinter dem Tresen stand und eifrig damit beschäftigt war, die Tageseinnahmen zu zählen. Das war Anyas erster richtiger Job, nachdem ihr Dasein als Rachedämon abgeschlossen war, und Buffy war nicht zum ersten Mal erstaunt über die Leidenschaft, mit der dieses ehemals dämonische, jetzt hundert Prozent menschliche Wesen sich dem Geschäft widmete. Als Buffy sich zu den Freunden an den Tisch setzte, war dort schon eine Diskussion im Gange. »Sieht aus, als würde es unserer Stirnrunzelexpertin heute gut gehen«, stellte sie fest. »Was gibt’s?« Willow gab Dawn einen sanften Stoß. »Sag’s ihr.« Buffy 13
nahm sich eine Möhre aus einem Sandwichpaket, das auf dem Tisch lag, und kaute darauf herum. »Ich höre.« »Ich kann nicht. Buffy wird böse auf mich sein«, flüsterte Dawn Willow zu. Sie schaute zu ihrer Schwester hinüber. »Versprich mir, dass du nicht böse sein wirst.« Buffy zog sich der Magen zusammen. Das war kein besonders viel versprechender Einstieg. Seit dem Tod ihrer Mutter vor nicht allzu langer Zeit war Buffy niemals sicher, ob sie sich besser wie eine Schwester verhalten oder versuchen sollte, Dawn die Mutter zu ersetzen. Sie konnte nie voraussehen, wie sie reagieren würde. »Ich bin ganz Ohr«, sagte Buffy. Dawn zappelte auf ihrem Stuhl herum. Dann nahm sie sich auch eine Möhre. Sie konnte Buffy nicht in die Augen sehen, als sie zu sprechen begann. »Wir werden nächsten Dienstag einen wichtigen Test in Geschichte schreiben und ich bin leider in letzter Zeit nicht so gut in der Schule wie früher.« Anya legte die Quittungen zur Seite und schaute mitfühlend zu Buffy hinüber. »Dawn hat eine Fünf«, sagte sie leise. Buffy sah aus, als müsse sie diese Nachrichten erst mal verdauen. Sie biss von der Möhre ab und kaute nachdenklich darauf herum. Eine Schmerzwelle stieg in ihrem Kiefer auf und bahnte sich ihren Weg bis unter die Schädeldecke. Sie keuchte, stieß sich vom Tisch ab und verschluckte sich fast an der Karotte. Ihr Zahn! Der war’s, der ihr Probleme bereitet hatte. Er war schon seit ein paar Tagen empfindlich gewesen. Buffy war davon ausgegangen, dass der Zahn sich wie üblich von selbst heilen würde, und hatte die ganze Sache ignoriert, wie so oft. Aber jetzt tat ihr der ganze Kiefer weh. Und wenn nun die Selbstheilungskräfte der Jägerin nicht bei den Zähnen wirkten? Buffy wurde plötzlich bewusst, dass ihre Krankenkasse Zahnbehandlungen nicht übernahm, und jetzt, wo Buffy mit dem College aufgehört hatte, konnte sie auch nicht mehr zum Gesundheitszentrum der Hochschule gehen. Sie presste die 14
Lippen aufeinander. Schade eigentlich, dass mit der Berufung zur Jägerin nicht automatisch eine Rundumversicherung geliefert wurde. Buffy wollte nicht, dass Dawn sich Sorgen machte. Sie würde das eben aushalten. Der pulsierende Schmerz würde vorübergehen. Er musste. »Siehst du? Ich hab dir doch gesagt, sie würde böse auf mich sein«, sagte Dawn zu Tara und Willow. »Es wäre besser gewesen, ich hätte nichts gesagt.« »Na ja, sie ist schließlich deine Schwester. Sie... sollte über diese Dinge informiert sein«, bemerkte Willow. »Buffy, sei bitte nicht böse.« Buffy schüttelte den Kopf und versuchte gegen den Schmerz anzukämpfen. »Ich bin nicht böse. Obwohl ich nicht begeistert bin, dass ich davon als Letzte erfahre. Ich bin vor allem enttäuscht.« Sie hielte inne und dachte über die genaue Wahl ihrer Worte nach. »Die Schule ist... sehr wichtig. Mitten im Jahr fünf zu stehen ist keine Katastrophe. Es ist mehr so was wie... eine rote Fahne, verstehst du? Nicht mehr. Du musst darauf reagieren. Ich meine, im Augenblick ist es nur ein kleines Loch, aber es könnte zu einem riesigen Graben werden, in dem du, äh... versinkst. Also müssen wir was dagegen unternehmen, bevor es schlimmer wird. Okay?« Dawn nickte. »Bis Montag habe ich ein ganzes langes Wochenende zum Lernen.« »Gut«, sagte Buffy. »Wir können es uns nicht leisten, dass aus Mücken Elefanten werden. Immerhin ist das hier die Problemlösungszentrale von Sunnydale, oder?« »Klar«, sagte Willow. »Tara und ich werden Dawn helfen.« Tara lächelte. »Das wird Spaß machen. Eigentlich wollten wir heute Abend ins Bronze gehen, aber das können wir auch ein anderes Mal machen. Dawn ist schließlich wichtiger. Was haltet ihr davon, wenn wir gleich damit anfangen?« Buffy entspannte sich. 15
»He, das hört sich doch an wie eine perfekte Lösung des Problems, Buffy«, sagte Giles, der gerade einen Umschlag mit Samenkörnern aus der heutigen Lieferung zog. Laut Frachtbrief stammten die Samen von einer seltsamen Pflanze, die einem berüchtigten dänischen Vampir gehört hatte. »Und wenn Tara und Willow mal Pause machen wollen, kann ich einspringen. Außer natürlich, es handelt sich um spezielle Details der amerikanischen Geschichte.« Dawn schüttelte den Kopf. »Kolonialzeit.« Giles zog die Brauen hoch. »Oh? Das ist wunderbar. Dann ist ja alles klar, das Problem kann als gelöst betrachtet werden.« Er holte Räucherwerk aus der Schachtel und sortierte es zu gleich großen Häufchen. »Na ja, es ist ein Anfang.« Buffy selbst war während ihrer Schulzeit keine große Leuchte in Geschichte gewesen. Deshalb war sie nicht sicher, ob sie ihrer Schwester eine große Hilfe sein konnte. Aber Willow und Tara liebten es, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Und Giles lebte praktisch mit der Nase in seinen Geschichtsbüchern. Trotzdem hatte Buffy das Gefühl, sie müsse ihre Schwester unterstützen. Die Glocke läutete, die Tür wurde geöffnet und Xander betrat den Laden. Er nahm alle drei Stufen hinunter zum Verkaufsraum auf einmal. Anya stürzte hinter dem Tresen hervor und begrüßte ihn begeistert mit einem Kuss. »Giles und ich haben heute 736 Dollar und 22 Cent eingenommen.« Xander grinste seine Freunde an, dann blickte er Anya mit einer gespielt ernsten Miene in die Augen: »Ähm, wir haben doch darüber gesprochen, oder?« Anya dachte einen Augenblick nach, dann begriff sie und sagte, als wiederhole sie etwas, was sie auswendig gelernt hatte: »Ich hatte einen sehr erfolgreichen Tag, finanziell gesehen. Wie war es bei dir, Xander?« Xander lächelte gnädig. »Grauenhaft. Ich habe fast elf Stunden damit verbracht, Dächer zu reparieren, die der Sturm 16
zerstört hat. Unser Terminkalender platzt aus allen Nähten. Man hat das Gefühl, immer wieder von vorne anzufangen. Aber es nützt ja nichts. Gegen den Wind ist kein Kraut gewachsen.« Willow presste die Lippen aufeinander. »Wie frustrierend.« »Stimmt«, bestätigte Xander. »Also habe ich mir überlegt, wie ich am besten ein bisschen Aggressionsabbau betreiben kann.« Anya blinzelte ihm zu. »Ich verstehe. Ich müsste zwar hier noch einiges erledigen, aber ich könnte wahrscheinlich eine Pause machen und –“ »Wow – wer geht mit auf Patrouille?«, unterbrach Xander. Buffy zögerte. »Wir waren gerade dabei, eine Strategie auszuarbeiten.« »Wobei wir einigermaßen erfolgreich waren«, bemerkte Willow. »Mach dir keine Sorgen, Buffy. Dawn ist in guten Händen.« »Ich weiß.« Buffy lächelte sarkastisch. »Hast du mich nicht auch durch die Schulzeit gebracht?« »Ich bestelle eine Pizza«, schlug Tara vor. »Dann können wir gleich anfangen, nebenbei etwas essen und verlieren keine Zeit. Und wenn wir fertig sind, bringen wir Dawn nach Hause.« »Danke, ihr seid echt die Besten«, sagte Buffy und blickte zu Xander hinüber. »Okay, ich bin dabei!« »He, das hatte ich irgendwie im Gefühl. Noch jemand?«, sagte Xander. »Ahn, kommst du auch mit? Eine kleine, gesunde Prügelei zum Feierabend.« »Nein, ich habe noch zu viel zu tun. Steuern für die Quartalsabrechnung, die Website updaten... Geht ihr zwei ruhig los und habt ein bisschen Spaß. Wir treffen uns dann später zu Hause. Du bist heute Morgen so früh weg gewesen, wir hatten noch gar keine Chance...« »...Nachtisch zu essen«, unterbrach Xander hastig. »Nach dem Frühstück. Ich musste heute früh aus dem Hause wegen 17
des Daches, das der Wind zerstört hat.« »Nachtisch?« Dawn schien fasziniert von dieser Vorstellung. »Warum bekomme ich keinen Nachtisch zum Frühstück?« »Was hältst du von Pfannkuchen?«, fragte Buffy. »Das ist so gut wie Nachtisch.« »Oder Waffeln?«, fügte Willow hinzu. »Und Kuchen mit Sahne ist zwar ein ungewöhnliches Frühstück, aber durchaus möglich«, bot Giles an, der sein Vergnügen an diesem Gespräch kaum verbergen konnte. Unterdessen legte er vorsichtig drei Kristalle auf die Seite, die perfekt zueinander passten. »Obwohl ich den Kuchen zum Tee bevorzuge, um ehrlich zu sein.« »Wie wär’s mit Donuts, oder süßen Teilchen?«, schlug Tara vor. »Siehst du?« Buffy lächelte ihre Schwester an. »Dazu ein paar süße Cornflakes, ein bisschen Gebäck und schon hast du ein ganzes Nachtischfest am frühen Morgen.« Anya schaute ungläubig von einem zum anderen. Sie hatte diesen Wie-beschränkt-kann-man-sein?-Ausdruck im Gesicht. »Xander hat nicht übers Essen gesprochen«, warf sie ein und glaubte, damit eine Neuigkeit zu verkünden. »Er meinte Sex.« Xander stieß einen Seufzer aus, senkte den Kopf und schlug sich an die Stirn, als werde er plötzlich von starken Kopfschmerzen geplagt. »Scharfsinn, dein Name ist – ganz bestimmt nicht Anya.« Buffy streifte ihre Lederjacke über. Es war zwar nicht kalt an diesem Frühlingsabend, aber sie trug gerne Leder. Es wirkte wie eine Schutzhaut, wenn Dämonen und Vampire sie in die Krallen bekamen oder gegen Häuserwände und auf den Boden schleuderten, was leider zum normalen Alltagsgeschäft gehörte. Sie ignorierte ihren Zahn, der weiterhin schmerzte, und griff nach ein paar Pflöcken, die sie in ihre Taschen steckte. »Es wird Zeit für Geschichte, Dawn«, forderte sie bestimmt. 18
Während Xander sich ebenfalls ein paar Pflöcke und eine Armbrust schnappte, wandte sich Buffy an Anya. »Ich werde deinen Fast-Food-Boy rechtzeitig zurückbringen, damit euch genug Zeit für den Nachtisch bleibt.« Und zu Xander: »Auf die Jagd!«
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2 Nachdem sie die Magic Box verlassen hatten, holten Xander und Buffy sich schnell ein paar Burger und begannen mit ihrem Rundgang. Obwohl Buffy vorsichtig auf der gesunden Seite kaute, schmerzte ihr Zahn stärker als zuvor. Deshalb teilte sie durchaus Xanders Bedürfnis, sich abzureagieren. Nachdem sie etwa eine Meile gelaufen waren, ging ihr Wunsch in Erfüllung. Ein paar Tyrlochdämonen lösten sich aus dem Schatten am Friedhof und stellten sich ihnen in den Weg. Sie hatten blaugrün gefleckte Haut und ausgeprägte Muskeln. Aus ihrer Stirn ragten scharfe Hörner. Xander betrachtete sie abschätzend. »Also... jetzt wissen wir endlich, wie die Kinder des Hulk und der Freiheitsstatue aussehen würden.« Einer der Dämonen brummte und hob in einer Drohgebärde seine Hand, an der sechs Finger mit endlos langen Krallen zu sehen waren. »Nur um hier klare Verhältnisse zu schaffen«, sagte Buffy und hielt ebenfalls einen Finger hoch, »seid ihr abgrundtief böse, wie ich vermute, oder habt ihr einfach nur Kommunikationsprobleme?« In Xanders Stimme klang nicht der leiseste Hauch mangelnder Ernsthaftigkeit mit, als er sagte: »Wir würden euch nämlich wirklich nur ungern aufgrund eines Missverständnisses umbringen.« Er spannte die Armbrust und schoss. Der größere der Dämonen stürzte mit erhobenen Klauen auf ihn zu. Xander schoss einen Pfeil ab, doch der Tyrloch fing ihn ab und rammte ihn in den Boden. Jetzt schlug Xander mit der Armbrust nach dem Angreifer und verletzte seine Pranken. »Du solltest es mal mit künstlichen Fingernägeln versuchen«, schlug Buffy vor. »Sie sind wirklich gar nicht so teuer und 20
angeblich der letzte Schrei.« Sie war bereit für den Angriff des zweiten Dämons. Als er auf sie zusprang, warf sie sich zur Seite. Während er an ihr vorbeitaumelte, verpasste sie ihm einen Tritt, der ihn zu Boden warf. Bevor er wieder auf die Füße kam, landete ihr Fuß mit einem eleganten, perfekt platzierten Tritt an seinem Kinn. Der Dämon nutzte die Gelegenheit zu einem Purzelbaum, der ihn wieder in eine aufrechte Haltung brachte. Bereit für den nächsten Angriff, warf Buffy kurz einen Blick auf ihren Freund, den sie hinter sich im Kampf mit dem anderen Dämon keuchen hörte. Erstaunt stellte sie fest, dass Xander inzwischen fast einen Block weit entfernt war. Buffys Gegner nutzte den unbeobachteten Augenblick, um ihr mit der flachen Hand einen Schlag ins Gesicht zu versetzen. Ihr kranker Zahn explodierte. Sie drehte sich und torkelte blind vor Schmerz. Ihr nächster Schlag verfehlte sein Ziel. Der Dämon nutzte ihre Orientierungslosigkeit zu seinem Vorteil. Er packte sie und warf sie zu Boden. Sie landete auf dem Gehweg und rutschte meterweit über den Beton. Zum Glück hatte sie die Lederjacke an. Während sie versuchte, sich zusammenzureißen und sich aufzurichten, murmelte sie: »Eine Jägerin zu sein versaut dir auf jeden Fall die Garderobe.« Der Tyrloch präsentierte noch einmal seine bedrohlichen Klauen und Zähne und sprang mit einem wilden Schrei auf sie zu. Buffy reagierte instinktiv. Sie ließ sich fallen, zog dabei einen Pflock aus der Tasche und versuchte, sich mit der anderen Hand abzufangen. Als das Maul der Kreatur direkt vor ihr war, stieß sie den Pflock mit aller Kraft hinein und trieb ihn tief in seine Kehle. Der Dämon explodierte augenblicklich und das übel riechende, blaugrüne Zeug, aus dem er bestand, wurde durch die Luft geschleudert. Es schien kein Ende zu nehmen. Buffy stand auf und wischte sich den Tyrlochschleim von der Jacke. Hinter ihr sagte jemand: »Alles schon wieder vorbei? Wie 21
schade.« Es war Spike. Buffy wirbelte herum und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verärgert sie war. Dem Vampir mit dem süffisanten Lächeln sollte es nicht so leicht fallen, sie auf diese Art und Weise zu überraschen. Er kam zu schnell zu dicht an sie heran. Das war nicht gut. »Was machst du denn hier?«, fragte sie unwirsch und biss die Zähne zusammen. Das bereute sie auf der Stelle, denn ihr Zahn reagierte sofort wieder mit einem heftigen Schmerz. Spike grinste selbstgefällig. »Zahnschmerzen, Liebes? Willst du einfach nur beweisen, wie hart du gegen dich selbst sein kannst, oder hilft der Schmerz dir beim Kämpfen?« »Keins von beiden«, gab sie barsch zurück. Seltsam, dass er diese Schwäche sofort erkannt hatte, obwohl es bisher noch keinem ihrer Freunde aufgefallen war. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht zum Zahnarzt gehen. Meine Mutter hat uns nicht versichert und Studentin bin ich auch nicht mehr.« Als ihr klar wurde, dass sie ihm mehr als jedem anderen erzählt hatte, fügte sie kühl hinzu; »Nicht, dass es dich etwas angehen würde.« Doch der mitfühlende Gesichtsausdruck des Vampirs ließ schon wieder den Zorn in ihr aufsteigen. »Versichert oder nicht, mein Schatz, das musst du machen lassen.« Spike enthüllte sein volles Gebiss mit einem sanften Lächeln. »Schließlich brauchen wir alle unsere Zähnchen, oder? Außerdem machst du alles noch schlimmer dadurch, dass du es ignorierst. Wenn du schon die Welt retten willst, dann pass wenigstens auf dich auf.« »Wo du gerade davon redest... oh!« Buffy sah sich beunruhigt nach Xander um. »Xander!« Spike schüttelte den Kopf. »Um den würde ich mir keine 22
Sorgen machen. Ich habe euch beide schon eine Weile beobachtet und es sah nicht so aus, als würde einer von euch Hilfe brauchen. Genau genommen hatte ich sogar das Gefühl, dass Xander durchaus seinen Spaß hat.« »Du hast uns ausspioniert? Von allen heimtückischen Blutsaugern...« »Ich muss dir was zeigen«, unterbrach Spike sie ruhig. »Was zum Beispiel? Deine Eckzähne?« Buffy keuchte. »Oder hast du vielleicht deine Gruft mit ein paar neuen Knochen dekoriert? Nein, danke!« Spike ließ sich nicht provozieren. »Nein, es ist im Weatherly Park. Und du musst es dir anschauen. Als Jägerin. Ich verspreche dir, es ist interessanter als dieser Haufen.« In diesem Augenblick ertönte ein triumphierender Schrei durch die Nacht. Gleich darauf erschien Xander neben Buffy mit einem zufriedenen Grinsen, das sehr nach einer erfolgreich beendeten Mission aussah. »Dämonen, stellt euch hinten an. Xan-Man ist unterwegs.« Dann bemerkte er Spike. »Und wir stehen auf zwei verschiedenen Seiten – nur zur Erinnerung!« Buffy schüttelte seufzend den Kopf. »Lass uns das auf später verschieben, okay? Spike will uns was zeigen und es geht um den Job.« Sie warf Spike einen bösen Blick zu. »Ich hoffe jedenfalls für dich, dass es so ist!« Spike lächelte vieldeutig. »Ich dachte, das solltest du dir anschauen, bevor die Cops die Leichen wegbringen.«
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3 Es war nicht weit zum Weatherly Park, und da Buffy das Tempo vorgab, waren sie kurz darauf schon am Ziel. Buffy war mehr als gespannt darauf herauszufinden, was Spike ihr so dringend zeigen wollte. Außerdem war klar, dass er nicht aufgeben würde, bis sie sich darum kümmerte. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass sie mit ihm zusammenarbeiten sollte, vor allem, seit Spike beschlossen hatte, Gefühle für sie zu entwickeln. Aber sie musste zugeben, dass er ihr oft genug half, und sie konnte es sich einfach nicht leisten, ihn völlig zu ignorieren. Als Jägerin hatte sie lernen müssen, mit jeder Art von Kreatur umzugehen. Auch mit Toten. Liebend gerne wäre sie Spike einen Schritt voraus gewesen – sowohl körperlich als auch geistig. Ihr war nicht ganz wohl bei der Vorstellung, dass sie keine Ahnung hatte, was sie erwartete. Als sie am Park ankamen deutete sie deshalb voraus und sagte auffordernd: »Deine Party!« Hier und da erhellten Straßenlaternen die Nacht und tauchten den Park in ein warmes Licht. Spikes lederner Trenchcoat umwehte ihn, als er vorausschritt, und ließ ihn wie einen Nachtfalter aussehen. Jenseits der Pfade verschwanden sie in einer ruhigen Ecke des Parks im Unterholz. Spike drängte sich zwischen zwei Büschen hindurch. Buffy und Xander folgten ihm. Xander reagierte sofort. »Uh! Sind sie...?« »Tot, ja. Das habe ich schon überprüft«, sagte Spike. Buffy starrte auf den Boden und versuchte zu verstehen, was sie da sah. Im Mondlicht erkannte sie ein Pärchen, das auf einem hellen Handtuch lag. Ihre Kehlen waren mit kleinen dunklen Punkten übersät, ebenso ihre Handgelenke und Schläfen, die Knie und Knöchel des Mädchens sowie ihre 24
nackten Beine. »Hat jemand Licht?«, fragte Buffy in die Nacht hinein und kniete nieder, um sich die Sache genauer anzusehen. Ein Feuerzeug klickte und erschien über dem Gesicht des männlichen Opfers. Buffy warf Spike einen zweifelnden Blick zu. »Ist das alles?« Inzwischen hatte Xander eine Taschenlampe hervorgezaubert. »Scheinwerfer habe ich leider keinen dabei, aber vielleicht tut’s ja auch die Kleine hier«, erklärte er souverän. »Immer vorbereitet sein, hab ich bei den Pfadfindern gelernt, als ich damals noch Mitglied sein durfte.« Spike nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und steckte das Feuerzeug wieder in die Manteltasche. Xander beleuchtete die beiden auf dem Boden liegenden Körper mit der Taschenlampe. Das Mädchen war eine exotische Schönheit. Sie hätte Mata Hari in einem alten Film spielen können. Der Junge war gut aussehend, ein Typ, für den Mädchen auf der Highschool schwärmen. Sonst war nichts Auffälliges an ihm. Buffy schüttelte bedächtig den Kopf. Jedes Mal, wenn sie glaubte, schon alles gesehen zu haben, wenn sie dachte, es gebe keine Überraschungen mehr für die Jägerin, bewies das Leben ihr das Gegenteil. Die kleinen dunklen Punkte an den Körpern der beiden waren winzige Wunden, an denen das Blut geronnen war. Buffy fühlte den Puls am Hals des Mädchens. Sie war zwar tot, aber ihr Körper war noch warm. Vor einer Stunde hätte man sie vielleicht noch retten können. Buffy hatte keine Ahnung, was diese Wunden verursacht haben könnte. Hatte es mit ihren Zahnschmerzen zu tun, dass ihre Instinkte sie nicht hierher geführt hatten? Hatte sie ihre Pflichten als Jägerin vernachlässigt? Sie ließ ihren Ärger an Spike aus. »Du hast mich also hierher gebracht, um mir zu zeigen, dass hier eine tödliche Pest wütet, oder was? Als ob wir in Sunnydale nicht schon genug Probleme hätten mit Vampiren, 25
Dämonen, Werwölfen! Jetzt gibt es auch noch riesige Moskitos! Hast du mal daran gedacht, dass das vielleicht nicht zu den Aufgaben der Jägerin gehört? Vielleicht fehlt hier einfach ein Kammerjäger.« »Jetzt hör aber auf, Liebling. Oder willst du mich erschlagen, weil ich dir die schlechte Nachricht überbracht habe?« Spike hob die Hand zur Verteidigung. »Hier stimmt was nicht und das weißt du ganz genau.« Er hatte Recht. Aber Buffy war noch nicht bereit, dies zuzugeben. Hier ging es nicht um Spike, sondern um den Tod und um ihren Job, die Unschuldigen zu beschützen. »Wissen wir also, wer die Opfer sind?« »Ich weiß nicht, wie sie heißen«, bemerkte Xander. »Aber ich kenne das Mädchen vom Sehen. Ich glaube, Willow kennt sie.« Spike blies den Rauch der Zigarette aus. »Wir könnten nachschauen, ob sie irgendwelche Papiere dabeihaben.« »Das hast du noch nicht getan?«, fragte Buffy ungläubig. Spike schüttelte den Kopf. »Ich habe sie vor ungefähr einer halben Stunde so gefunden, wie sie da liegen.« Buffy beugte sich über die Leichen, um sich die Stiche noch einmal genauer anzuschauen. Es waren unzählige kleine Einstiche, immer zwei nebeneinander. »Ich denke, wir können Drogen ausschließen«, fasste sie ihre Beobachtungen zusammen. »Und wenn es sich um giftige Insektenstiche handeln würde, dann müsste die Haut drum herum geschwollen sein.« »Genau«, bestätigte Spike. »Das wäre auch keine Erklärung für den Blutverlust.« Buffy berührte die Einstiche. »Es sieht gar nicht so aus, als hätten sie viel verloren. Ein paar Tropfen hier und da!« »Was ist denn damit?« Xander zeigte auf einen dunklen Fleck, der sich von dem hellen Handtuch abhob, auf dem das 26
Pärchen lag. »Burgunder«, stellte Spike fest und rümpfte spöttisch die Nase. »Ganz jung. Vor etwa vier Wochen abgefüllt, würde ich sagen.« Xander hob den Wilma-Flintstone-Becher auf und schnüffelte daran. »Ihr könnt sagen, was ihr wollt, aber bei der Auswahl der Trinkgefäße hat man Geschmack bewiesen. Obwohl ich selbst mehr für Betty Rubble schwärme. Was ist das?« Er zog einen kleinen Beutel hervor, kramte darin herum und förderte eine Hand voll Kondome zutage. »Dabei erzählt man immer, das liefe besser mit gutem weißen Zinfandel.« Buffy seufzte. »Die Sahneschnitte ist ein Casanova.« »Wer auch immer dieser junge Mann war – arm war er jedenfalls nicht«, stellte Xander fest. »Oh, wie kommst du denn darauf?« Obwohl Xander und der blonde Vampir meistens im Clinch miteinander lagen, klang in Spikes Frage ausnahmsweise echtes Interesse mit. Xander überlegte. »Also, sieh dir nur die Schuhe an. Mal abgesehen von den übrigen Klamotten. Die Schuhe kosten sicher hundertvierzig Dollar. Designerjeans hundertsechzig, Weste neunzig, T-Shirt fünfundsechzig... schlagendes Herz? Unbezahlbar.« »Also? Sind sie tot und reich.« »Das Mädchen nicht«, korrigierte Xander ihn. »Das Kleid ist eine Designerimitation von der Stange. Höchstens acht Dollar.« »Und woher weißt du das alles?« »Wie lange war ich mit Cordelia Chase zusammen?« »Verstehe.« Xander hob eine kleine Tasche auf, die neben dem Mädchen lag. »Das hilft uns auch nicht viel weiter. Ein Hausschlüssel, ein ganz neuer Führerschein, zwei Dollar, ein paar Cent, 27
Lipgloss. Cherie Beeheim ist gerade sechzehn geworden. Auf jeden Fall nicht das gleiche Kaliber wie Prinz Charming.« Spike bückte sich neben dem Jungen, zog etwas aus seiner Hosentasche, warf einen Blick darauf und knallte es dann vor Buffy auf den Boden. Es war ihm anzusehen, dass er Xanders Einschätzung nur widerwillig anerkannte. »Sieht so aus, als hätte unser Gelegenheitsdetektiv hier Recht.« Buffy wusste, dass Spike sie beobachtete. Sie schaute sich die Brieftasche genauer an. »Im Schülerausweis steht, er besuchte die letzte Klasse der Kent Highschool.« Es schien alles da zu sein: Geld, Kreditkarte, Führerschein und das Foto eines Mädchens, dem Datum nach zu urteilen vor ein paar Tagen erst aufgenommen, mit der Aufschrift IN LIEBE CARA. Sie gab es Xander. »Schau dir das an.« Der pfiff durch die Zähne. »Das war also Joshs freier Abend ohne seine Freundin, he?« »Der auf eine heimliche Knutscherei oder mehr hinauslief«, bestätigte Buffy. Xander verzog missbilligend das Gesicht. »Das erklärt einiges. So ein verdammter Hurensohn...« »Aber es erklärt nicht ihren Tod«, stellte Buffy fest. »Es muss ja nichts Übernatürliches sein. Vielleicht einfach ein Fall von unprofessioneller Akupunktur.« Buffy sah sich die bleichen Gesichter des Pärchens, das nicht einmal ein Pärchen war, an und warf Spike einen prüfenden Blick zu. »Was glaubst du, wie viel Blut haben sie verloren?« Spike tastete prüfend nach dem Handgelenk des Mädchens. »Bei ihr ist es ungefähr ein Liter, vielleicht auch mehr.« Dann zeigte er auf den Jungen. »Das Gleiche gilt für Don Juan Junior, denke ich.« Buffy schüttelte de Kopf. »Okay, Vampire verstehe ich. Aber was ist das?« »Glaubst du, das könnte eine eifersüchtige Freundin getan 28
haben?«, fragte Xander. »Klar«, erwiderte Spike sarkastisch. »Vielleicht hat sie das Blut ja auf hunderte von Spritzen aufgezogen und spendet es für einen guten Zweck. Nein, warte – dann hätte sie die beiden vorher betäuben müssen. Freiwillig hätten sie sich doch bestimmt nicht so großzügig gezeigt.« »Konstruktive Vorschläge sind wohl von dir nicht zu erwarten, Mr. Ohnehirn«, zischte Xander. »Wenn du glaubst, dass hier was Übernatürliches am Werk war, wie wär’s mit dieser Version: Vielleicht war das eine Kreatur, die Hurensöhne sammelt. Oder vielleicht wurden sie auch das Opfer herumstreunender Dämonenanbeter in Hamstergröße, die dringend ein Ritualopfer brauchten.« Buffy stöhnte frustriert und stand auf. Spike blickte sie erwartungsvoll an. Buffy wollte nicht, dass er auf die Idee kam, sie sei dankbar oder stehe gar in seiner Schuld. Ihrer Meinung nach verhielt er sich wie ein Kater, der seinem Frauchen einen toten Vogel vor die Füße legte. Aber das war so ungefähr das Letzte, was sie brauchen konnte – noch mehr tote Vögel. »Okay, ich werde mit Giles reden. Vielleicht fällt ihm was dazu ein. Aber halt die Luft an, Spike. Ich bin noch nicht überzeugt, dass die Jägerin hier überhaupt zuständig ist. Es stimmt, zwei Menschen starben heute Nacht auf mysteriöse Weise.« »... Aber der Blutverlust...« »Ich habe ja gesagt, ich werde mit Giles darüber sprechen. Und jetzt werden Xander und ich die Patrouille beenden.« Spike steckte die Hände in die Taschen. »Wie du meinst.« Buffy drängte sich durch die Büsche hinaus aus dem Unterholz. »Los, Xander. Lass uns hier verschwinden.« Während sie den Weg zum Ausgang des Parks suchten, hatte Buffy plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Xander kannte sie gut genug. »Antennen ausgefahren?«, fragte er. 29
Buffy verzog das Gesicht, nickte aber. »Du hast Recht, wir schauen uns hier im Park besser mal um.« Xander grinste. »Ich bin direkt hinter dir.«
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4 Willow Rosenberg war in ihrem Element. Wenn es eine Tätigkeit gab, die für sie gemacht war, dann war es diese hier: ihr Wissen mit anderen zu teilen. Die letzten beiden Stunden waren zwischen Pizza und früher Kolonialgeschichte wie im Flug vergangen. Dawn verstaute die leere Pizzaschachtel im Müll und fasste zusammen: »Irgendwie war das auf unheimliche Weise jetzt sogar wirklich spannend.« Willow strahlte. »Tara, Giles und ich sind ein beeindruckendes Lehrerteam, oder?« »Und was ist mit mir?«, meldete sich Anya aus dem Hintergrund, wo sie gerade dabei war, eine Briefmarke auf einen großen Umschlag zu kleben. »Ich habe schließlich auch mitgemacht.« »Natürlich«, bestätigte Willow und musste lächeln bei dem Gedanken an Anyas Beitrag. »Ich mochte besonders deine Erklärungen über die verlorenen Roanoke-Kolonien. Hat irgendwie ganz neue Perspektiven enthüllt.« »Ja, wirklich«, stimmte Giles zu, während er im Hinterzimmer das Licht löschte. »Wer hätte gedacht, dass Rachedämonen so weit herumgekommen sind.« Dawn packte ihre Schulbücher in ihren Rucksack. »Ihr ward alle großartig«, sagte sie. »Wirklich.« Tara half Dawn, ihren Rucksack zu schultern. »He, wir können ja noch ein bisschen weitermachen, während wir dich nach Hause begleiten«, schlug sie vor. »Hört sich gut an«, fand Dawn. Willow öffnete die Ladentür, das Glöckchen klingelte. »Gute Nacht«, sagte Giles. »Sieht so aus, als hätte sie wirklich Spaß beim Lernen gehabt«, stellte Anya fest, während Dawn mit Tara und Willow 31
zusammen den Laden verließ. Bevor die beiden Hexen etwas sagen konnten, stellte Dawn eine Frage, die ihr schon den ganzen Abend durch den Kopf gegangen war: »Also, wie war die Schule für euch beide? War euer Leben immer so – perfekt?« »Nein, nein, natürlich nicht. Perfekt kann man das wirklich nicht nennen«, sagte Willow. »Ich weiß noch, als ich mal eine Vier in Trigonometrie hatte. Natürlich hatte ich eine Woche wegen Grippe versäumt und da war dieses komische Ding, diese Sinuskurve, aber... das ist wohl nicht gerade ermutigend, oder?« Tara warf voller Selbstbewusstsein ihre Haare zurück. »Ich muss zugeben, ich war eine gute Schülerin«, sagte sie. »Aber meine Familie war die Hölle und ich hatte nicht viele Freunde. Meistens war ich allein. Es war bestimmt keine schöne Zeit.« Willow nahm sie spontan in den Arm und Tara fügte hinzu: »Aber das war alles, bevor ich hierher kam. Jetzt bin ich glücklich.« »Also muss ich bis zum College warten, bevor das Leben ein bisschen leichter wird?«, wollte Dawn wissen. An der Kreuzung bogen sie in ein Wohnviertel ein. Willow seufzte. »Als ich in deinem Alter war, war das Leben ein einziges Problem. Es bestand aus Schule und Hausaufgaben. Xander war zwar mein Freund, aber das war’s auch – ich gehörte nicht gerade zu den beliebtesten Schülerinnen, wenn ihr wisst, was ich meine. Also, von wegen perfekt. Erst im zweiten Studienjahr, als Buffy nach Sunnydale zog, fand ich sozusagen meine Nische und fing an, Spaß am Leben zu haben. Ich beschloss, dass es weit wichtiger ist, die Welt von bösen Kreaturen zu befreien, als auf der Beliebtheitsskala ganz oben zu stehen. Außerdem hatte ich plötzlich Buffy und Xander und Giles und manchmal Cordelia und Angel.« »Die Schule ist wichtig«, sagte Tara überzeugt. »Aber 32
Freunde sind wichtiger. Wenn du Freunde hast, kannst du alles schaffen.« »Richtig«, bestätigte Willow. »Und jeder baut ab und zu mal Mist. Aber Freunde, weißt du, richtige Freunde helfen dir, da wieder rauszukommen.« »So wie ihr mir jetzt in Geschichte helft«, sagte Dawn. »Genau, weil wir Freunde sind«, bestätigte Willow. »Kluge Freunde«, erklärte Dawn. »Außerdem mag ich dieses ganze coole magische Zeug.« Ein paar Minuten liefen sie in einträchtigem Schweigen nebeneinander her. Sie kamen an Straßenlaternen vorbei, gemütlich beleuchteten Wohnzimmern, Palmen und Gartenzäunen, bis Dawn plötzlich entgeistert mit offenem Mund stehen blieb. Willow und Tara hielten ebenfalls an. »Habt ihr das gesehen?«, flüsterte Dawn. Willow folgte Dawns Blick. Da war ein Glühen um einen Rosenbusch im Garten des zweistöckigen Hauses, vor dem sie stehen geblieben waren. Das Licht verschwand und tauchte wieder auf. Dabei kam es näher, bewegte sich sanft wie ein Blatt im Wind. »Ist das...«, begann Tara. »Eine Elfe«, schloss Willow. »Okay, ich glaube, jetzt habe ich alles gesehen.« Das fliegende Lichtwesen hielt genau vor ihren Augen und huschte hin und her, als sei es genauso neugierig auf sie wie umgekehrt. Dawn streckte der kleinen Kreatur den Zeigefinger entgegen, als wolle sie einen winzigen Vogel anlocken. Das Wesen war von einem apricotfarbenen Schimmer umgeben. »Es ist ein Mädchen, genau wie Tinkerbell«, stellte Willow fest, während die kleine Schönheit außer Reichweite schwebte. »Schhhh!«, zischte Dawn. »Macht ihr doch keine Angst.« Die Elfe flatterte ein paar Sekunden aufgeregt über ihren Köpfen, um sich dann in einer langsamen Spirale auf Dawns 33
Finger niederzulassen. Die Augen des Mädchens strahlten vor Vergnügen. »Ich glaub’s nicht«, sagte Willow. »Normalerweise sind die magischen Überraschungen in Sunnydale eher hässlich und bedrohlich. Dämonen, Vampire und Geister sind schließlich nicht gerade das, was man gerne an einem lauen Frühlingsabend trifft. Es ist schön zu wissen, dass es so etwas Zauberhaftes wie Elfen auf der Welt gibt.« Als die Elfe den Finger erreichte, ließ sie sich nicht einfach darauf nieder, wie man es erwarten würde, sondern sie biss hinein. Die Verwandlung war so schnell gegangen, dass Dawn davon völlig überrascht wurde. »Autsch!«, rief sie aus und schüttelte die Elfe ab wie eine Biene, die sie gerade gestochen hatte. Die Angreiferin verschwand außer Sichtweite. »Sie sah plötzlich aus wie ein Blutsauger.« »Bist du in Ordnung?«, fragte Tara und zog ein Taschentuch heraus, das sie auf den Einstich in Dawns Finger presste. »Wäre ja auch zu schön gewesen«, sagte Willow. »In Sunnydale kann es wohl keine normalen Elfen geben.« Dawn zog das Taschentuch von ihrem Finger und untersuchte die kleine Wunde. »Sieht nicht wirklich schlimm aus.« »Uh... da kommen noch mehr«, sagte Willow und zeigte auf ein paar leuchtende Punkte über dem Eingangstor des Hauses. Mehrere Elfen arbeiteten angestrengt, um ein kleines Fellbündel zu packen und hochzuheben. »Was soll das?«, fragte Tara. »Das ist eine ganze Gruppe von ihnen, aber was machen sie da?« Obwohl sie wusste, dass es unvernünftig war, ging Willow auf das Tor zu, um sich das Ganze genauer anzusehen. »Sie sind gefährlich«, sagte Dawn und zog sich hinter einer Palme, die auf dem Gehweg gepflanzt war, zurück. Sie wollte lieber vorsichtig sein. Schließlich war sie schon einmal 34
gebissen worden. »Vielleicht«, bemerkte Willow sanft. Als sie das Tor erreichte, starrte sie wie verzaubert auf die Szene. »Aber sie sind so hübsch und – oh, was tragen sie denn da?« »Ein Hundebaby!«Tara kam nun auch herüber, um sich die leuchtenden Figürchen anzuschauen. »Ein kleiner Pudel.« »Passt auf, dass sie ihn nicht beißen«, warnte Dawn. Sie sahen alle zu, wie die kleinen Biester sich mit dem Gewicht abmühten und versuchten, den kleinen Hund in die Luft zu heben, während das Tier herzzerreißend jaulte. »Ich glaube, sie versuchen, ihn aufs Dach zu bringen«, stellte Tara fest, aber sie wirkte abwesend und ihre Stimme klang irgendwie betäubt. »Oh, das dürfen wir nicht zulassen«, protestierte Willow und schwankte leicht, den Blick immer noch auf die winzigen Kreaturen gerichtet. »Er könnte herunterfallen und sich etwas brechen, oder...« Bei der Vorstellung, dass ein Hundebaby sich in Gefahr befand, war Dawn schlagartig hellwach. Sie rannte an Tara und Willow vorbei, packte mit einem Satz die Vorderpfote des Welpen und zog daran. Unfähig, dem Widerstand etwas entgegenzusetzen, mussten die Elfen ihn loslassen. Dawn verscheuchte die Quälgeister endgültig. Auch Tara und Willow kamen plötzlich wieder zu sich. Tara versuchte, den kleinen Hund aufzufangen, bevor er zu Boden fallen konnte. Aber er befreite sich sofort und versteckte sich unter einem Busch. »Es wird alles gut werden.« Willow versuchte, den Pudel zu beruhigen. »Sie sind alle weg.« Tara kniete nieder und streckte die Hand nach dem Tier aus, aber es ließ sich nicht hervorlocken. »Uh, Will...?«, begann Dawn. Als die beiden Hexen sich umdrehten, sahen sie, dass 35
unzählige der Elfenlichter direkt um Dawns Kopf herumwirbelten. Einige stürzten sich bereits auf ihr Haar und zerrten bösartig daran. Andere flogen um ihren Hals und ihr Gesicht herum. Dawn schrie auf. Tara und Willow rannten zu ihr hinüber. Nachdem sie keine weiteren Anzeichen übernatürlicher Aktivitäten im Park gefunden hatten, waren Xander und Buffy auf dem Weg nach Hause. Plötzlich hörten sie einen Schrei. Xander lauschte in die Nacht. »War das nicht...?« »Das war Dawn!« Buffy setzte zu einem Sprint an, Xander blieb ihr dicht auf den Fersen. Spike musste in ihrer Nähe gewesen sein – vielleicht spionierte er immer noch hinter ihnen her. Wie sonst war es zu erklären, dass er plötzlich aus dem Dunkel auftauchte und neben ihnen herlief. »Wir brauchen deine Hilfe nicht«, sagte Buffy. »Ich tue das nicht für dich, sondern wegen der beiden Jugendlichen.« Während Buffy rannte, pochte ihr Herz aus Angst um ihre Schwester hörbar. Sie biss die Zähne zusammen, was aber lediglich dazu führte, dass sie erneut vom Schmerz überflutet wurde. Als sie stolperte, konnte Spike gerade noch ihren Arm packen, bevor sie zu Boden fiel. »Hey«, keuchte Xander, während er sie einholte. »Lass deine Finger bei dir, Vampirgesicht.« »Es ist okay, Xander. Ich wäre fast hingefallen«, erklärte Buffy. Im Licht der Straßenlaterne sah man ihr an, dass sie im Augenblick an nichts anderes dachte als an ihre Schwester. Sie rannte weiter, ohne sich um die beiden zu kümmern. Während sie näher kamen, wurden Dawns Schreie lauter, unterstützt von Willow und Tara, die um Hilfe riefen. Nur noch einen Block entfernt versuchte Buffy die Lage abzuschätzen, während sie weiterrannte. Es sah gespenstisch aus, geradezu surreal. Tara und Willow hatten sich schützend 36
vor Dawn gestellt. Willow versuchte sich anscheinend an einem Zauberspruch, während Tara und Dawn verängstigt nach etwas schlugen, das aussah wie fliegende Weihnachtslichter. »Blut«, sagte Spike neben Buffy. Sie wusste nicht, ob der Vampir einfach nur fluchte oder die Wunden meinte. Sie legte noch einen Zahn zu und war wenige Sekunden später am Tatort. Buffy sah sofort, dass alle drei Mädchen aus diesen winzigen Wunden bluteten, die sie schon bei den Leichen im Park gesehen hatten. Die Reflexe der Jägerin waren augenblicklich im Einsatz. Buffy schlug auf die blinkenden Lichter ein, die sich in der Reichweite ihrer Arme befand. »Es sind Elfen«, keuchte Dawn. Buffy befürchtete, dass ihre Schwester vielleicht schwerer verletzt sein könnte, als es aussah. »Aber sie sind auch Vampire!«, fügte Tara hinzu. »Wie Elfenvampire«, bestätigte Willow. Spike hatte sich jetzt ebenfalls in einen Vampir verwandelt. Xander erschien einen Augenblick später und schlug mit der flachen Hand nach jedem Licht, dessen er habhaft werden konnte. Buffy hatte sich nicht die Mühe gemacht, die kleinen Angreifer zu zählen, aber es mussten Dutzende sein. Während sie weiter gegen die Biester ankämpfte, zog sie ihre Lederjacke aus und warf sie schützend über ihre Schwester. Sie teilte eine endlose Folge von Hieben, Stößen und Schlägen aus. Xander hob einen Palmwedel auf, den der Sturm abgerissen hatte. Er holte aus und schwang ihn herum, wirbelte die glimmenden Lichter in alle Richtungen. Tara stellte sich direkt vor Dawn und kämpfte einhändig, während sie Willow die andere Hand reichte, um ihrer Freundin Kraft zu geben. »Schluss, ihr Bestien«, knurrte Spike, während er seinen Ledermantel auszog. Er schleuderte ihn durch die Luft wie ein Netz und fing dabei eine Hand voll Lichter ein. Dann warf er den Mantel herum. Die Lichter knallten mit einem lauten 37
»Ping« gegen die Wand und verlöschten. Buffys Schläge und Stöße fanden immer weniger Ziele. Nur um Dawns Kopf herum war noch ein bösartiger Schwarm schwirrender Lichter zu sehen, die aussahen wie zornige Hornissen. Willow machte eine Handbewegung und sagte: »Compelle escendia.«Einige der Flugsauger stoben in alle Richtungen davon. Als Willow den Zauberspruch wiederholte, zogen sich immer mehr von ihnen zurück. Xander holte inzwischen zum finalen Schlag aus. Direkt neben dem Haus stand ein Schuppen, in dem die Gartengeräte aufbewahrt wurden. Daneben lag ein Gartenschlauch, der an einen Wasserhahn angeschlossen war. Xander drehte das Wasser auf und richtete den Strahl voll auf die letzten Elfen, die sich noch in der Nähe von Willow, Tara und Dawn befanden, und hörte nicht auf, bis auch der letzte Minivampir zornig brummend das Weite gesucht hatte. Zurück blieb allerdings ein völlig durchnässtes Mädchentrio. Willow wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. »Wir haben es geschafft«, rief sie triumphierend. Die Erleichterung war ihr anzusehen. Xander drehte das Wasser ab und fuhr sich durch das nasse Haar. »Das ist wohl der Augenblick für eine Umarmung«, keuchte er. Sie fielen sich gegenseitig in die Arme. Allerdings hielten sich alle außer Dawn von Spike fern. Immerhin war Buffy fair genug, sich bei ihm zu entschuldigen. »Tut mir leid, dass ich dich vorhin so angeschnauzt habe. Du hattest Recht... danke.« Xander drehte sich um die eigene Achse und blinzelte in die Nacht. »Was war denn los?« »Wir haben ein paar einzelne kleine Lichter gesehen«, erklärte Dawn. »Elfenvolk«, fügte Tara hinzu, die anfing, in ihren nassen Kleidern zu frieren. »Soweit ich gesehen habe, waren das wohl eher Blutsauger«, 38
erklärte Xander. »So ‘ne Art Mikrovampire.« »Jedenfalls glühten sie und hatten hypnotische Fähigkeiten«, beschrieb Tara die kleinen Monster. »Und ein paar von ihnen haben versucht, ein Pudelbaby wegzutragen, da mussten wir doch helfen.« Xander starrte seine Freundin aus Kindertagen an. »Willst du damit sagen, das ist alles nur passiert, um einen Pudel zu retten?« »Ich mag Pudel«, sagte Willow leise. »Aber dann haben sie sich in Vampire verwandelt«, sagte Tara. »Die Elfen, meine ich.« Spike, der jetzt wieder sein normales Gesicht zeigte, bemerkte beiläufig: »Abstoßend!« »Ich weiß«, stimmte Willow wehmütig zu. »Dabei sahen sie am Anfang so zauberhaft aus.« »Ich glaube, es wird Zeit, dass ich Dawn nach Hause bringe«, sagte Buffy. »Aber wir sollten uns alle morgen früh in der Magic Box wegen dieser Sache zusammensetzen. Ich sage Giles Bescheid.« Sie fragte sich, was ihr Wächter wohl zu dieser Entwicklung sagen würde. »Elfen!« »Und Vampire«, fügte Dawn hinzu. »Also Vampirelfen«, schloss Buffy. »Großartig. Wann ist Peter Pan noch mal in die Hölle umgezogen?«
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5 Xander hatte damit gerechnet, die halbe Nacht wach zu liegen und sich wegen dieser Mikrovampire Sorgen zu machen. Aber Anya hatte ihn tatsächlich mit einem ganz besonderen Nachtisch überrascht und Xander war danach tief und fest eingeschlafen. Manchmal wunderte er sich immer noch darüber, dass Anya ausgerechnet ihn liebte. Besonders da sie mehr als tausend Jahre als Rachedämon gelebt hatte – dessen Aufgabe es gewesen war, Männer für ihre Untaten an Frauen zu bestrafen. Nach einer kurzen Dusche warf er sich in die »XanderWochenend-Uniform«, die aus Jeans und einem T-Shirt sowie einem langärmligen Hemd bestand. Am Frühstückstisch wartete frischer Kaffee auf ihn. Anyas Obsession war zwanghafte Hilfsbereitschaft. Sie kam niemals zu spät zur Arbeit, sie hielt die gemeinsame Wohnung blitzsauber und sie unterstützte ihren Freund genauso gewissenhaft, wie sie ihre Aufgaben als Rachedämonin wahrgenommen hatte. Xander setzte sich und nahm einen Schluck Kaffee. »Danke«, sagte Xander. Ihm gegenüber saß Anya und war völlig von der Morgenzeitung beansprucht. »Wusstest du, dass die Durchschnittstemperatur in Sunnydale in den letzten zehn Jahren um zwei Grad gestiegen ist?«, fragte Anya ihn, ohne aufzublicken. Ganz in Gedanken tastete sie mit einem Teelöffel nach der Zuckerdose und löffelte den Zucker in ihre Kaffeetasse. Xander beobachtete, dass sich in der Zuckerdose etwas bewegte. »Ahn!« Anya ließ sich nicht beirren. Sie schien den warnenden Unterton in seiner Stimme nicht zu bemerken. »Glaubst du, dass der Höllenschlund was mit der globalen Erwärmung zu tun hat?« 40
»Ahn! Der Zucker!« Anya blickte auf, blinzelte und warf einen Blick auf die Zuckerdose. Dann nahm sie einen zweiten Löffel Zucker. Als sie jedoch kleine schwarze Punkte am Rand ihrer Tasse entdeckte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Ameisen«, sagte Xander. »Oh.« Sie schnippte eines der Tierchen weg, zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck »Okay.« Xander seufzte tief. Er hatte sich daran gewöhnt, dass Anya sich von fast nichts aus der Ruhe bringen ließ. Auf dem Tisch versammelten sich immer mehr Ameisen, die den Weg zum Zuckertopf fanden. Als er ihren Weg zurückverfolgte, fand er eine Spur, die am Tischbein hinab quer durch die Küche führte. Er holte eine Sprühflasche mit Fensterreiniger unter der Spüle hervor und bespritzte die Insekten damit. »Warum tust du das?« Anya schien ebenso verblüfft wie neugierig. »Weil wir sie nicht eingeladen haben. Stell dir vor, das ist nur die Vorhut. Ich will jedenfalls nicht, dass sie ihren ganzen kleinen Ameisenfreunden Bescheid sagen, bei Anya und Xander findet eine große Zuckerparty statt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dem einen Riegel vorzuschieben, bevor es schlimmer wird. Das sind Ameisen: A-M-E-I-S-E-N – oder noch besser: unsere Erzfeinde.« Anya nickte ernsthaft, als hätte Xander aus der Bibel vorgelesen, und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. »Wir sind in einer halben Stunde im Laden verabredet, um diese Elfeninvasion zu besprechen, und sollten unterwegs noch ein paar Donuts besorgen«, erklärte Xander. Dabei wischte er ein paar winzige Ameisen mit dem Küchenhandtuch vom Tisch. »Giles mag die mit Marmelade ganz besonders«, sagte Anya. »Wir sollten sehen, dass wir welche bekommen. Ich habe vor, um eine Gehaltserhöhung zu bitten.« 41
Xander strahlte seine Freundin an. »Das ist meine kleine Kapitalistin.«
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6 Buffy erwachte mit einem klopfenden... Zahnschmerz. Seufzend drehte sie sich zur Seite, schaute auf die Uhr und gähnte. Erst hatte es wegen der Schmerzen lange gedauert, bis sie endlich einschlafen konnte, und dann war sie die ganze Nacht über ständig aufgewacht. Richtig tief geschlafen hatte sie überhaupt nicht. Als sie sah, wie viel Uhr es war, sprang sie hastig aus dem Bett. Schon halb acht. Für solche »Notfälle« hatte sie ein ausgeklügeltes System entwickelt: Sie griff nach der Bürste und zog sie auf dem Weg zum Badezimmer ein paar Mal durch ihr Haar. Dort angekommen machte sie sich mit Hilfe eines Gummibandes einen Pferdeschwanz. Zum Glück hatten sie und Dawn beide schon am Abend vorher geduscht, nachdem sie ihre Wunden aus der Begegnung mit den Elfen begutachtet hatten. Also verließ Buffy das Badezimmer nach fünf Minuten wieder. In dieser Zeit hatte sie ihr Gesicht gewaschen und eingecremt, außerdem sorgfältig die Zähne geputzt. Dann zog sie ein paar bequeme Klamotten über und rannte die Treppe hinunter. Dawn war bereits in der Küche dabei, eine Art ultra-mega-süßes Frühstück aus Cornflakes und Milch zu zaubern. Die Kratzer und die Stiche, die sie am Abend abbekommen hatte, hoben sich deutlich von der hellen Haut an Hals, Gesicht und Armen ab. Wie zum Schutz gegen weitere Angriffe hatte sie ihr Haar demonstrativ zu zwei festen Zöpfen rechts und links am Kopf geflochten. »Tut es noch weh?«, fragte Buffy ihre Schwester, während sie sanft ihre Wange streichelte. »Ein bisschen«, gab Dawn zu, »aber nicht sehr.« Sie schaute auf die Uhr. »Du hast ganz schön lange geschlafen. Willst du einen Apfel zum Frühstück oder irgendwas anderes?« Buffy befühlte den schmerzenden Zahn mit der Zunge und 43
bemerkte, dass der Kiefer inzwischen angeschwollen war. Sie schüttelte den Kopf. »Hab keinen Hunger!«, sagte sie, nicht ganz ohne Schuldgefühle, weil sie ihre Schwester angelogen hatte. »Fertig?« Dawn hängte sich die Schultasche um. »Geschichtsbuch, Papier, alles, was ich brauche, ist hier drin«, meldete sie pflichtgemäß. »He, sollen wir auf dem Weg zum Laden in der Espresso Pump vorbeischauen?« Buffy schnappte sich die Lederjacke. »Du kannst Gedanken lesen.« Als Buffy und Dawn kurz nach acht den Laden betraten, waren die meisten ihrer Freunde schon da. Aber das war kaum eine Überraschung. Tara saß neben Willow am Konferenztisch und las ein Buch. Willow hatte ihren Laptop bereits aufgeklappt und angeworfen. Anya war für einen normalen Arbeitstag gekleidet und drapierte gerade Schächtelchen mit Waren auf dem Tresen. Giles stand am anderen Ende des Ladentisches, hielt in einer Hand einen mit Gelee gefüllten Donut – auf Armeslänge von sich entfernt – und blätterte mit der anderen in einem ziemlich alt aussehenden Wälzer, der vor ihm lag. Xander begrüßte die Neuankömmlinge mit einer Schachtel voller Donuts. »Darf ich den Damen ein kohlehydratreiches, aber leckeres Frühstück anbieten?« Dawns Augen leuchteten. »Nachtisch zum Frühstück. Großartig.« Xander warf Buffy einen amüsierten Blick zu, während Dawn einen Donut aus der Schachtel herausfischte und sich setzte. Buffy schaute gierig nach den Süßigkeiten. Sie waren weich. Was sollte schon passieren? Außer natürlich, dass der Zucker den Schmerz verstärken konnte, aber das musste sie riskieren. »Super, ich bin halb verhungert«, sagte sie und schnappte sich einen Donut mit Marmelade. Sie nahm zwei 44
Bissen und spülte sie mit dem Espresso hinunter, den sie unterwegs mitgenommen hatten. Dawn sah sie überrascht an. »Du hast doch gesagt, du hättest keinen Hunger.« Buffy verschluckte sich fast. Das geschah ihr ganz recht. Warum hatte sie auch ihre kleine Schwester angelogen? Sie zuckte mit den Schultern. »Das ist fast eine Stunde her. Jetzt habe ich eben Hunger. Danke, Xander. Wow«, sagte sie zu Anya und ging zum Tisch hinüber, »ein Mann, der Geld nach Hause bringt und für seine Freunde sorgt. Keine schlechte Kombination.« Anya lächelte verschmitzt. »Ich habe ihn gefunden. Er gehört mir.« Buffy nahm noch einen Biss. »Schlagendes Argument.« »Also gut, dann wollen wir anfangen«, sagte Giles. »Könnte mir jemand vielleicht mal ausführlich und von Anfang an erzählen, was gestern Abend genau passiert ist?« »Dawn hat für ihren Test in Geschichte gelernt«, versuchte Anya zu helfen. »Ja, da war ich ja noch dabei«, sagte Giles. »Ich meine danach. Lasst uns doch mit Buffys Patrouille beginnen.« Buffy und Xander beschrieben das Treffen mit den Tyrlochs und erzählten dann von dem toten Pärchen im Park, zu dem Spike sie geführt hatte. »Ich kannte das Mädchen flüchtig«, sagte Willow. »Cheries Vater ist mein Optiker.« Buffy war überrascht. »Der Mann kontrolliert einmal im Jahr deine Augen und das reicht, um sich mit seiner Tochter bekannt zu machen?« »Gesundheitsvorsorge ist ein Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg.« Willow verzog das Gesicht. »Die Geheimnisse des Lebens – von Ira Rosenberg.« Dawn, Willow and Tara waren gerade an der Stelle angekommen, wo Buffy die Lederjacke auszog und schützend 45
über Dawn warf, als die Türglocke läutete und eine vollständig in Decken gehüllte Person hereinschwebte. Im Schutz einer dunklen Ecke des Raumes kam Spike darunter zum Vorschein. »Was habe ich verpasst?«, fragte er, während er ein paar rauchende Stellen an seinen Armen mit Schlägen bearbeitete. »Guten Morgen, Spike. Nichts Wichtiges, wirklich«, erklärte Giles. »Nur die Kurzfassung«, ergänzte Buffy. »Du weißt schon: Dämonen blablabla, totes Pärchen blablabla, Schreie blablabla, großer Kampf. Ein ziemlich normaler Abend abgesehen von den Elfen.« »Na ja«, sagte Dawn. »Bis gestern Abend habe ich gar nicht geglaubt, dass es überhaupt Elfen gibt. Ich meine, ich wusste, dass es Vampire gibt und andere Monster, aber Elfen?« »Das kommt daher, dass Elfen vor allem in Europa leben«, erklärte Anya. »Giles, haben wir eigentlich noch mehr von diesen Rabenschnäbeln?« »Ja, ja. Die Treppe runter, gleich dort«, erwiderte Giles abwesend. »Aber das waren ja nicht einfach nur Elfen«, stellte Tara fest. »Genau«, ergänzte Willow. »Es waren winzige Vampire. Mit den gleichen Auswüchsen an der Stirn, mit Fangzähnen und allem Drum und Dran.« »Das ist unnatürlich«, mischte Spike sich ein. Buffy grinste selbstgefällig. »Du findest also, Vampire seien natürlich?« »Auf jeden Fall macht das alles keinen Sinn. Elfen sind zu klein, um von einem Vampir gebissen zu werden, oder? Und dann können sie auch noch fliegen.« Er schauderte. »Das ist doch lächerlich. Als habe jemand diese ganze Geschichte erfunden.« »Du meinst wie in diesen Büchern über Feen und Elfen?«, fragte Dawn. »Ja, ich finde es auch merkwürdig«, sagte Giles. Er rückte 46
einige Bücher im Regal zurecht. »Vielleicht sollte ich diese neu einsortieren«, murmelte er dabei vor sich hin. »Komm schon, Giles«, sagte Xander. »Spann uns nicht auf die Folter. Wir hoffen und warten auf die Weisheit des Wächters.« Giles schaute ihn überrascht an. »Ach, wirklich? Das ist sehr freundlich von dir, Xander – und, wenn ich das bemerken darf, fast poetisch ausgedrückt. Auf jeden Fall sollten wir das tun, was wir gut können.« »Ich schätze, das heißt, wir müssen erst mal recherchieren?«, wollte Buffy wissen. »Richtig«, stimmte Giles ihr zu. »Ich schlage vor, Tara und Willow schauen in ihren Magiebüchern nach, während sie Dawn abwechselnd unterrichten. Xander, Anya und ich können hier im Laden weitersuchen. Und du, Buffy...« »Ich habe einen Plan«, unterbrach Buffy ihn. »Du hast immer einen Plan und den führst du auch aus, Buffy. Ich bleibe immer am Computer und an den Büchern hängen. Ganz schön kopflastig«, grummelte Willow vor sich hin. »Kopflastig, aber lösungsorientiert«, sagte Tara. »Ganz zu schweigen von der Anwendung der Zaubersprüche«, fügte Buffy hinzu. Willow seufzte. »Und was ist mit mir?«, fragte Spike. Giles setzte seine Brille ab. »Spike, es ist hell draußen. Das dürfte deinen Spielraum enorm einschränken. Und ich möchte nicht, dass du den ganzen Tag hier herumhängst und meine Kunden erschreckst.« »Ich könnte mal einen Blick ins Abwassersystem werfen und nachsehen, ob ich dort vielleicht eine Spur von den Winzlingen finde. Außerdem kann ich mich dort gut vor dem Tageslicht verstecken.« »Okay«, sagte Buffy. Sie erwartete zwar nicht, dass Spike 47
dort etwas finden würde, aber es war eine harmlose Beschäftigung, bei der er zumindest niemandem im Weg war. »Also gut!«, sagte Giles. »Ich würde sagen, wir sollten uns gegen Abend wieder treffen und schauen, was wir erreicht haben.« »Großartig«, murmelte Spike. »Erst die Abwasserkanäle und dann zurück hierher. Wie abwechslungsreich.« Xander rieb sich die Hände. »He, wir könnten uns doch danach bei uns treffen. So um sechs? Mit Essen vom Chinesen?« »Ich bin dabei«, sagte Buffy und war schon aus der Tür. Anya kam aus dem Keller zurück und hielt eine versiegelte Plastiktüte mit Schnäbeln in der einen und ein verschlossenes Glas mit hellen Flocken in der anderen Hand. »Braucht jemand vielleicht Komodo-Drachenschuppen? Wir haben ziemlich viele davon.«
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7 Willow nahm Dawns Nachhilfeunterricht ebenso ernst wie ihr eigenes Studium und die Nachforschungen, die sie übernommen hatte. Tara war ebenfalls mit mehreren Dingen gleichzeitig beschäftigt. Sie hatten sich zusammen mit Dawn in Taras Zimmer eingenistet. Alle drei saßen in der Mitte des Raumes auf dem Teppich, um sie herum Stapel von Büchern. Dawn lag auf dem Bauch, den Kopf in die Hände gestützt, und war in ein Geschichtsbuch vertieft. Überall lagen alte und neue Bücher, Textmarker, Stifte und Zettel in jeder erdenklichen Größe. Aus den meisten Büchern schauten bunte Papierstreifen heraus. Willow hatte ein Notizbuch im Schoß und studierte die Seiten, die mit ihrer eigenen Handschrift voll gekritzelt waren. »Findet ihr es nicht auch seltsam, dass es so wenig aktuelle Informationen über Elfen gibt?« Auf Dawns Wange erschien ein Grübchen. »Du meinst, abgesehen von Märchen?« »Genau, ich meine Fakten«, bestätigte Willow. »Vielleicht kommt es daher, dass die meisten Leute nicht an die Existenz von Elfen glauben«, vermutete Tara. »Über Vampire gibt es jede Menge.« Willow nahm ein anderes Buch und fuhr mit der Hand durch die Blätter. »Über Vampirelfen gibt es gar nichts.« Dawn machte sie nach, blätterte durch ihr Geschichtsbuch und stellte fest: »Nicht mal in diesem Wälzer.« Sie griff nach einem der herumliegenden Bücher über Magie, aber Willow nahm es ihr sofort weg. »Bleib bei Geschichte, Dawnie. Du weißt genau, dass deine Schwester es nicht mag, wenn du dich mit Zaubersprüchen befasst.« Dawn schmollte. »Und das ist großer Blödsinn.« »Du weißt doch, wie gefährlich es ist«, sagte Tara sanft. 49
»Diese Winzlinge sahen auch nicht so aus, als könnten sie jemanden was zu Leide tun, daraus solltest du etwas lernen.« Willow versuchte, sich daran zu erinnern, wie die Elfen zunächst ausgesehen hatten. Farbenfrohe, strahlende kleine Wesen so groß wie Libellen, jede einzelne mit einem menschlichen Körper und Gesicht. »Sie sahen aus wie... wie kleine Engel«, murmelte sie. »Engel?«, fragte Tara nach. Sie griff nach einem Buch, das hinter ihr lag, und öffnete es an der Stelle, wo ein pinkfarbenes Lesezeichen steckte. »Hier steht, der Hauptunterschied zwischen Engeln und Elfen ist, dass Engel himmlische Wesen sind, Elfen aber chaotische, neutrale Erdgeister.« Willow strahlte. »Na bitte, das ist doch wenigstens etwas. Gute Arbeit, Tara. Das könnte uns weiterhelfen.« Dawn rollte zu ihr hinüber und seufzte. »Und was heißt das übersetzt?« »Das bedeutet, dass Elfen von Natur aus weder gut noch böse sind. Und chaotisch heißt, sie machen oft Sachen, die für andere unverständlich sind, und können böse Streiche spielen.« Dawn setzte sich auf und betrachtete noch einmal die Kratzer an ihren Armen. »Vielleicht findet ihr das ja popelig, aber für mich war das mehr als nur ein Streich. Ich hatte das Gefühl, sie wollten mir absichtlich wehtun – oder Schlimmeres.« »Wenn das Buch Recht hat, dann waren diese Elfen nicht in ihrem natürlichen Zustand. Ich meine, schließlich haben wir ihnen nichts getan, oder?« »Wie auch immer, irgendwas stimmt hier nicht!«, sagte Dawn. »Wisst ihr, wie ich mir Elfen und Feen immer vorgestellt habe?« Sie ging hinüber zu einem der Regale und zog ein Buch mit Disneyfiguren heraus. Dann schlug sie die Geschichte von Pinocchio auf und zeigte auf eine Figur neben ihm. »Die Blaue Fee. So sollten sie aussehen: Schlank, blond, lächelnd und in einem Glitzerkleidchen.« Sie schob Willow das 50
Buch hin. »Siehst du?« Willow studierte das Bild einen Moment, dann sah sie zu Tara auf. »Sie sieht dir ähnlich, findest du nicht?« Tara wurde rot, aber Willow bemerkte es nicht, da sie schon weiterblätterte. »So habe ich mir Elfen immer vorgestellt«, sagte sie und zeigte auf Tinkerbell. »Klein und süß und voller verrückter Ideen.« »Bei uns zu Hause war Disney nicht sehr beliebt, wie ihr euch sicher vorstellen könnt«, sagte Tara wehmütig. »Jedenfalls habe ich mir in der ersten Woche auf dem College Fantasia ausgeliehen. In diese Elfe habe ich mich sofort verliebt und gleich am nächsten Tag das Buch gekauft.« Willow lächelte. Einen Augenblick versanken sie schweigend in der Erinnerung an die heile Märchenwelt ihrer Kindertage. Bis Willow unwirsch sagte: »Oh, ich mag die Vorstellung nicht, Elfen könnten böse sein. Es ist einfach... nicht in Ordnung!« »Ich weiß, was du meinst«, stimmte Tara ihr zu. »Nicht, dass ich eure schöne Illusion zerstören möchte, aber es gibt auch Geschichten, in denen die Elfen die Bösen sind«, wandte Dawn ein. »Zum Beispiel verwandelt sich die Fee in eine alte Frau und wartet an einem Brunnen auf ein junges Mädchen. Sie bittet das Mädchen, ihr ein Glas Wasser zu holen. Und als sie das tut, belohnt die Fee sie mit einem Zauber, sodass immer, wenn das Mädchen den Mund aufmacht, Gold und Rosen herauskommen.« »Das hört sich aber nicht gerade böse an«, fand Tara. »Oh, ich erinnere mich an die Geschichte«, sagte Willow. »Das ist noch nicht das Ende. Das Mädchen erzählt ihrer Schwester davon und die geht auch hinunter zum Brunnen. Die alte Frau ist wieder da, aber als sie um ein Glas Wasser bittet, sagt die verwöhnte Schwester, sie sei keine Dienstbotin und sie solle sich das Wasser selber holen.« 51
»Und dann«, erzählte Dawn die Geschichte weiter, »wird sie von der Fee bestraft. Bei ihr kommt jedes Mal, wenn sie den Mund öffnet, Kohle und solches Zeug heraus.« Willow nickte. »Das macht Sinn. Es war ein einfacher Test – die Elfe hat nur auf das Verhalten der Mädchen reagiert.« Sie runzelte die Stirn. »Aber wir haben die Elfen doch nicht provoziert, oder?« »Sie haben einfach ein Opfer gesucht. Wie kann etwas so Kleines, Süßes so... so...« »So bösartig sein?«, beendete Dawn für sie den Satz. Willow biss sich gedankenverloren auf die Lippe. »Genau. Na ja, vielleicht verurteilen wir sie auch zu schnell und sie sind gar nicht so bösartig.« »Was ist mit den beiden im Park?«, fragte Tara. »Sie sind tot.« »Ich weiß, es sieht nicht gut für sie aus, aber ich will mich noch nicht völlig festlegen. Wir wissen immer noch nicht, was genau passiert ist und warum sie hier sind. Anya hat außerdem gesagt, Nordamerika sei nicht einmal ihre Heimat.« Dawn zuckte die Schultern. »Ja, darüber kann man ins Grübeln kommen.« Als Tara und Willow ihr fragende Blicke zuwarfen, beugte sie sich vor und blätterte in einem Geschichtsbuch. »Wenn das stimmt, was hier drinsteht, dann gilt dasselbe für uns.«
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8 Wie schon gesagt, Buffy hatte einen Plan. Aber zuerst musste sie in eine Apotheke. In der Eile hatte sie heute Morgen dummerweise wieder ihre Zahnschmerzen ignoriert. So viel zu den berühmten Selbstheilungskräften der Jägerin. Sie hatte geglaubt, mit dem Schmerz klarzukommen, solange es notwendig war – und sie hatte sich geirrt. Zahnschmerzen schienen einfach nicht so wichtig zu sein, wenn es um zwei Leichen im Park ging und unbekannte bedrohliche Wesen ihre kleine Schwester angriffen. Es wäre toll gewesen, wenn sie den Schmerz in eine Ecke ihres Bewusstseins hätte verdrängen können, wie sie es schon so oft getan hatte. Sie war die Jägerin, sie tat, was sie tun musste. Sicher, manchmal beklagte sie sich, aber das tat sie mehr, damit Giles das Gefühl hatte, gebraucht zu werden. Normalerweise konnte sie viel aushalten. Man warf sie gegen Wände, trampelte auf ihr herum, sie wurde gewürgt, geschlagen, gequetscht und auf jede erdenkliche Art misshandelt. Man hatte sie sogar schon getötet. Das alles gehörte zu ihrem Job. Kein Problem. Aber das hier war etwas anderes. Wie war es möglich, dass ein vergleichsweise so lächerlich kleiner Teil ihres Körpers ihr solche Probleme machte? Es war also höchste Zeit für eine kleine Aktion in medizinischer Selbsthilfe. Sie und Dawn konnten sich im Augenblick keine teuren Zahnarztrechnungen erlauben. Buffy hatte nicht mal einen Job. Und als Jägerin gab es nun mal keine Krankenversicherung. Ihr Vater war mal wieder im Ausland wegen irgendeines Geschäftes. Bleib cool. Das kriegst du in den Griff, sagte sie sich ständig. Du wirst Dawn nicht mit diesem Wir-haben-kein-Geld-Kram belasten. Wenn das hier überstanden war, würde mit ein 53
bisschen Glück niemand je etwas davon erfahren. In der Apotheke steuerte Buffy direkt auf die Abteilung für Zahnpflege zu. Sie wählte ein Mundwasser mit hoher Alkoholkonzentration, das versprach, alle Bakterien sofort abzutöten, wenn man nur die Flasche öffnete. Außerdem nahm sie ein Gel, das man direkt auf die Entzündung auftrug, wahrscheinlich ein ähnliches Zeug, wie Mütter es ihren zahnenden Babys gaben, nur eben für Erwachsene. Anschließend ging sie zu dem Regal mit den Schmerzmitteln und nahm eine Packung extrastarke Tabletten. Zum Schluss griff sie noch ein Päckchen Salz und lief dann hastig zur Kasse hinüber. Sie wartete ungeduldig, während die geschwätzige Kassiererin die Rechnung fertig machte und dabei ununterbrochen redete. Über die vielen Äste auf der Straße, die Sturmschäden im Allgemeinen, das tote Pärchen im Park und ihre Pläne fürs Wochenende. »Entschuldigung, haben Sie vielleicht einen Becher?«, unterbrach Buffy sie. Die Frau redete ohne Pause weiter, zeigte allerdings auf einen Stapel Becher, der auf dem Wasserbehälter gegenüber stand. Buffy bezahlte, bedankte sich und schnappte sich einen Becher auf dem Weg zur Toilette. Dort nahm sie erst zwei Schmerztabletten mit einem großen Schluck Wasser. Dann tat sie Salz in den Becher und gurgelte damit. Das Salz brannte und der Zahn tat immer noch weh, aber Salz war das Allheilmittel ihrer Mutter gewesen für alles, was in Mund und Hals entzündet sein konnte. Danach kam das Mundwasser dran und am Schluss das Gel. Damit rieb sie sanft die schmerzenden Stellen im Zahnfleisch ein. Ihr Mund begann zu kribbeln. Der Schmerz ging zwar nicht vollständig weg, aber er wurde schwächer. Jetzt konnte sie sich endlich darauf konzentrieren, das Böse zu bekämpfen – oder es zumindest zu suchen. Sie ließ Salz und Mundwasser stehen und steckte das Gel und die Schmerztabletten ein. Sie würde mit ihrer Suche im 54
Weatherly Park beginnen. Und wenn sie dort nichts fand? Wer weiß, vielleicht würde sie sogar Spike einen kurzen Besuch in den Abwasserkanälen abstatten. Ihr Ausflug in den Park verlief nicht gerade befriedigend, um es vorsichtig auszudrücken. Sie suchte überall, auf den Wegen, in den Bäumen und im Unterholz. Selbst im Inneren eines halb verrotteten Baumes, den einmal ein Blitz getroffen hatte, sah sie nach, aber sie fand nichts, was auch nur entfernt auf die Anwesenheit von Vampirelfen hindeutete. Und wenn sie tatsächlich Vampire waren, dann würden sie sich vermutlich auch nicht im sonnigen Park aufhalten, sondern irgendwo schlafen, wo es dunkel war. In einem verborgenen Winkel des Parks entdeckte sie am Fuß eines Grashügels eine Treppe, die in die Erde führte. Buffy folgte den Stufen, die jedoch leider in einer Sackgasse endeten und auf eine Wand stießen. Buffy hatte sich schon lange abgewöhnt, sich über derartige Ungereimtheiten in Sunnydale zu wundern. »Merkwürdig«, murmelte sie nur und zog die Augenbrauen hoch. »Wahrscheinlich hielt irgendjemand das mal für eine gute Idee. Vielleicht war das hier auch ein altes Projekt der Stadt, das man aus Geldmangel nicht zu Ende geführt hatte. Ein Lager oder ein U-Bahn-Schacht, wer weiß...« Endlich wirkte das Schmerzmittel. Erleichtert nahm Buffy zwei Stufen auf einmal nach oben. Sie wusste, dass jetzt die dunklen Orte dran waren, mögliche Verstecke der Elfenvampire am Tag, aber sie hatte keinerlei Bedürfnis nach einer Plauderei mit Spike im Abwassersystem. Stattdessen beschloss sie, ein paar Kirchen in der Umgebung einen Besuch abzustatten. Und wenn das nichts brachte, würde sie weitersehen.
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9 Weil sie samstags normalerweise in der Magic Box den größten Umsatz machten, schlossen Giles und Anja den Laden eigentlich nie an diesem Wochentag – es sei denn im äußersten Notfall. Eine Frau, deren Gestalt an eine Statue erinnerte, betrat den Laden und schaute sich um. Die dunkelhaarige Amazone trug an jedem Finger einen Ring, um den Hals eine Bernsteinkette, ein buntes Kleid und hatte ein umwerfendes Lächeln. »Guten Morgen, Miss Ray«, rief Anya ihr zu. »Möchten Sie vielleicht einen frischen Kräutertee? Schauen Sie sich in Ruhe um.« In Xanders Richtung flüsterte sie: »Deb ist eine Stammkundin. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn sie kommt. Sie zahlt bar und ihre Einkäufe füllen unsere Kasse.« »Danke, Liebes. Ich nehme gern einen Tee«, erwiderte die Kundin. »Ist meine Bestellung schon gekommen?« Anya nickte. »Die Pokemon-Tarotkarten? Sie liegen schon hier und warten auf Sie. Ein paar Komodo-Drachenschuppen und ein Paket mit Räucherstäbchen würden sehr gut dazu passen.« Miss Ray schien fasziniert. Xander saß in einiger Entfernung am Tisch, hatte die Füße auf einen zweiten Stuhl gelegt und betrachtete das Kommen und Gehen im Laden aus der Distanz. Er hatte sich drei Bücher aus Giles’ Sammlung ausgesucht, die ihm am besten geeignet erschienen, Bücher über magische Kreaturen. Sie lagen aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Anya bediente wie üblich die Kasse, während Giles die Kunden im Laden beriet und ihnen dabei half, die Dinge zu finden, die sie suchten. »Findet ihr es nicht ziemlich merkwürdig«, sagte Xander in einem ruhigen Moment, »dass selbst in Giles’ Internationaler 56
Bibliothek des Sonderbaren so gut wie nichts über Elfen zu finden ist?« Anya ordnete einige Artikel auf einem Regal hinter der Kasse. »Eigentlich nicht. Die meisten von ihnen wollen nicht gesehen werden.« In diesem Augeblick kamen gleich mehrere Kunden in den Laden und fingen an, sich umzuschauen. »Natürlich gibt es da diesen Bericht aus England von 1917, der von Begegnungen mit Elfen handelt.« Giles nahm ein ziemlich neu aussehendes Buch heraus und öffnete es. »Ah, hier ist es ja: Die Cottingley-Elfen. Ein paar Schulmädchen hatten behauptet, sie hätten Elfen im Wald gesehen. Sie haben sogar Fotos von ihnen gemacht.« »Elfen ziehen es vor, in Wäldern zu leben«, sagte Anya. Sie machte Miss Ray auf einen Zimmerspringbrunnen aufmerksam, der ganz aus Amethyststeinen bestand. »Du meinst richtige Fotos?«, wollte Xander wissen. »Solche, die man mit der Kamera aufnimmt, entwickeln lässt und danach drucken kann?« Giles hob die Augenbrauen und nickte. »Nun, zumindest haben sie damit Sir Arthur Conan Doyle hinters Licht geführt. Der schrieb nämlich 1920 einen Artikel über diese Elfen. Er erschien in der Zeitschrift Der Strand. Natürlich war das Ganze ein dummer Scherz und sehr viel später, als die beiden Mädchen selbst Großmütter waren, gaben sie zu, die Geschichte erfunden zu haben.« »Ja«, sagte Anya lächelnd, »zumindest haben sie das später behauptet.« »Sag mal, gab es darüber nicht sogar einen Film?«, fragte Xander. »Ich meine, ich habe ihn nicht gesehen, aber ich habe davon gehört.« Giles nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. »Ja, ich glaube, er hieß Elfen, eine wahre Geschichte, oder so ähnlich. Wie auch immer, es ist nicht vergleichbar mit dem, was wir hier haben.« 57
»Keine Zähne und Klauen?«, fragte Xander. »Genau.« Giles nahm ein Stück Papier vom Tresen und legte es wie ein Lesezeichen in ein Buch. Doch dann, als habe er eben erst bemerkt, was es war, schaute er finster drein, nahm es wieder heraus, faltete es sorgfältig und steckte es in seine Tasche. Anya kümmerte sich um einen Kunden, der den Laden gerade betreten hatte, und Xander widmete sich wieder den Büchern. Doch es schien ihm, als er etwa eine halbe Stunde später aufsah, dass Giles noch immer unbeweglich am Fenster stand und mit der gleichen Miene hinaussah. »He, was haltet ihr davon? Ich finde das hört sich gut an«, rief Xander aus. »Haben Sie vielleicht eine Schachtel für diese getrockneten Frösche?«, fragte ein schlanker Kahlkopf mit strahlenden Augen. »Natürlich«, antwortete Anya freundlich und wandte sich an Xander: »Lies vor, wir warten.« Sie bückte sich und kramte etwas unter dem Ladentisch hervor. »Hier steht«, sagte Xander, »dass Elfen entweder ganz alleine leben – das wären dann Single-Elfen – oder in großen Einheiten, die Truppen genannt werden. Vielleicht sind das ja nur meine militärischen Instinkte, aber ich habe das dumme Gefühl, dass wir es hier mit einer Truppe zu tun haben, was meint ihr?« Er überflog den Text bis zum Ende. »Außerdem sind Elfen matriarchalisch organisiert. Jede Truppe wird von einer Königin angeführt. Das hört sich schon wieder eher nach einem Bienenschwarm an, als nach einer militärischen Einheit«, fasste er zusammen. »Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass eine unserer Truppen von einer Königin befehligt wurde«, fügte er mit einem dämlichen Grinsen hinzu. »Ja, ja, ich bin sicher, das ist alles sehr interessant«, sagte der Wächter abwesend und klopfte dabei mit dem Finger gegen die 58
Unterlippe. Anya hat inzwischen eine Schachtel für die getrockneten Frösche gefunden und verpackte sie für den Mann mit den strahlenden Augen. Xander schüttelte den Kopf. »Ist das alles, Giles? Stimmt irgendwas nicht?« Die Glocke klingelte, als ein zufriedener Kunde den Laden verließ. Anya lehnte sich über den Ladentisch zu Xander hinüber und berichtete im Flüsterton: »Giles hat ein Parkticket bekommen.« »Whoa! Wild gefahren, wild geparkt, was, Giles?« »Ich bin nicht zu schnell gefahren, Xander, ich habe angeblich falsch geparkt – und die Betonung liegt auf angeblich!« »Er hat beschlossen, das Ticket nicht zu bezahlen«, erklärte Anya, während sie einige Artikel für Miss Ray zusammenstellte. Xander pfiff überrascht durch die Zähne. »Ziviler Ungehorsam. Das ist eine Seite, die mir noch nie an Ihnen aufgefallen ist, Giles.« Wie ein neugieriges Kind, das auf eine Geschichte wartet, setzte Xander sich mit gekreuzten Beinen auf den Konferenztisch und schaute den Wächter erwartungsvoll an. »Sagt allen Zeitungen Bescheid, das sind weitaus bedeutendere Nachrichten als die über die Vampirelfen. Los, sagen Sie es, Giles – haben Sie es getan? Haben Sie tatsächlich falsch geparkt?« »Ja, das heißt, nein. Ich meine, das heißt...« Giles sah ihn wütend an. »Dieser Platz gegenüber auf der anderen Straßenseite war immer ein völlig legaler Parkplatz. Aber letzte Woche hat jemand im Rathaus beschlossen, etwas für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer zu tun. Anscheinend hat jemand ein Parkverbotsschild aufgestellt, aber es war völlig verdeckt von einem Ast.« 59
Xander beugte sich vor. »Was kostet das Knöllchen?« »Achtzehn Dollar. Aber darum geht es nicht, verstehst du? Es war einfach nur ein dummer Fehler. Ich konnte nichts dafür.« Xander kniff die Augen zusammen. »Ein völlig unschuldiger Mann wird vom Gesetz verfolgt. Das ist ein Klassiker.« Giles seufzte, nahm die Brille ab und schaute Xander eindringlich an. »Ich bin keineswegs auf der Flucht vor dem Gesetz, wie du sagst. Ich habe beschlossen, das Ticket nicht zu bezahlen, weil ich die Sache am Montagnachmittag bei Gericht vortragen werde.« Xander schaute ihn ungläubig an. »Sie gehen für achtzehn Dollar vor Gericht? Das sind kaum zwei Pizzas.« »Vielen Dank«, sagte Anya zu Miss Ray, während sie ihr half, die Tüten und Schachteln zu packen. »Kommen Sie uns bald wieder besuchen, Sie sind jederzeit herzlich willkommen.« »Es geht hier ums Prinzip«, verteidigte sich Giles. Xander sah nachdenklich aus. »Ich verstehe. Außerdem sind es immerhin zwei Pizzas.« Die Glocke kündigte einen weiteren Kunden an. Giles’ Blick kommentierte unmissverständlich die Position von Xander, der mitten auf dem Konferenztisch thronte. Xander zog die Beine vom Tisch und setzte sich wieder auf den Stuhl. »Also, dann viel Glück am Montag. Wir werden alle auf Ihrer Seite sein.« Giles setzte seine Brille wieder auf und warf einen Blick auf das Buch, das aufgeschlagen vor ihm lag. »Danke«, sagte er abwesend. »Also, gibt es etwas Neues über die Elfen?«
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10 Spike, oder wie man ihn auch nannte, »William der Blutige« war nicht zum ersten Mal in den Abwasserkanälen von Sunnydale. Um die Wahrheit zu sagen: Abwasserkanäle waren ihm allgemein nicht fremd. Sie erlaubten es einem Vampir in jeder Stadt, sich tagsüber sicher zu bewegen. Obwohl der Geruch nicht besonders angenehm war, konnte er das Schlimmste vermeiden, indem er den Atem anhielt. Heute jedenfalls war der Ausflug in die Kanäle ein absolutes Muss. Seine Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt, sodass er hier unten genauso gut sehen konnte, wie die Menschen im hellen Tageslicht. Natürlich waren nicht alle Tunnel vollständig dunkel. An der Decke hingen in regelmäßigen Abständen Notbeleuchtungen, die ein dämmriges Licht erzeugten. An manchen Stellen drang auch Sonnenlicht herein, beleuchtete Wurzeln, Blätter und Pfützen mit abgestandenem Wasser (oder anderen delikaten Flüssigkeiten), die diesem Teil der Stadt sein charakteristisches Aussehen gaben. Der Bereich, in dem er sich gerade aufhielt, war nicht allzu eklig. Auf dem Boden verliefen große Metallrohre und das Wasser bedeckte Spikes Schuhe nur halb. Alles in allem war es fast so gemütlich wie in seiner Gruft. Natürlich würde er nach diesem Ausflug die Schuhe gründlich sauber machen müssen. Spike war ein stolzer Vampir, der auf seinen Ruf achtete. Und der noch vor kurzem dafür berühmt gewesen war, Jäger zu töten. Dass er sich mit ihnen anfreundete, ihnen seine Hilfe bei ihrer schmutzigen Arbeit anbot oder sich gar in sie verliebte, war ganz neu. Er verzog den Mund, als wollte er über sich selbst lachen. Ja, lächerlich war das Ganze, der mächtige Spike war gefallen. Vielleicht konnte er es ja auf den Chip schieben, den die Initiative in seinen Kopf gepflanzt hatte. Dieser Chip bewirkte, 61
dass er nicht in der Lage war, Menschen etwas anzutun, ohne dass ein unerträglicher Schmerz seinen Kopf erfüllte. Aus den Augenwinkeln sah Spike ein Leuchten auf der anderen Seite des Tunnels. Er ging hinüber, hob seinen Mantel hoch, damit er nicht mit dem Matsch in Berührung kam, und bückte sich. Das Glimmen kam von einem Kindersportschuh, in dessen Sohle eine Art Reflektor eingebaut war. Er sah sich um. Keine Knochen. Kein Kind. Kein zweiter Schuh. Das Fundstück musste durch den Sturm von der Straße geweht worden und in einem Gulli gelandet sein. Trotzdem ein merkwürdiger Fund an einem solchen Ort, dachte Spike, während er weiterging. Doch hatte er in den Kanälen schon merkwürdigere Dinge gefunden. Vor einigen Jahren war er in New York auf einen Spinnenaffen gestoßen. Und dann die Zeit, als er mit Dru durch die Abwasserkanäle von Paris gezogen war. Dort hatten sie eine Art verlassene Kammer gefunden, die sich bei näherer Untersuchung als ein Ort herausstellte, an dem handgeschriebene Noten, leere Blätter, Schreibzeug und Musikinstrumente versteckt waren. Außerdem fanden sie Kerzen, einen Feuerstein, um sie anzuzünden, Stroh und ein zerlumptes Betttuch. Spike hatte sich oft gefragt, ob jemand anderes diesen Raum ebenfalls entdeckt und Gaston Larroux davon erzählt hatte, der die Geschichte als Vorlage für das Phantom der Oper benutzte. Spike stieß sich den Fuß an einem halb verrotteten Container, in dem einmal Brathähnchen transportiert worden waren. Plötzlich merkte er, dass er hungrig war. Vielleicht sollte er zusehen, dass er gegen Abend etwas zwischen die Zähne bekam. Während er weiterging, wanderten seine Gedanken zu seinem Lieblingsfund in den Kanälen. Es war eine vollständig erhaltene Pferdekutsche gewesen, allerdings ohne Pferd, in der ein bewusstloser Adliger saß. Wie dieses Fahrzeug mitsamt Inhalt in das Abwassersystem gelangt war, konnte niemand sagen. Aber Dru, Darla, Angel und Spike hatten das 62
unerwartete Geschenk nicht verschmäht, sondern als Leckerbissen zum Tee geteilt. Doch diese Tage gehörten längst der Vergangenheit an. Spike gelangte an eine Tunnelkreuzung und bog nach links ab. In einiger Entfernung lag etwas, das aussah wie ein Haufen schmutziger, dunkler Lumpen. Er ging zügig darauf zu, roch den Gestank von Exkrementen, mit Blut gemischt. Spike beugte sich über den Haufen und zog die Lumpen zur Seite, um darunter ein unnatürlich bleiches Gesicht zu finden. Die Suche nach einem Puls am Nacken des Mannes war erfolglos. Stattdessen klebte Blut an seinen Fingern, als er sie vom Hals der Leiche löste. Er schnupperte und schmeckte es – das Blut war noch frisch. Der Mann konnte also noch nicht lange tot sein. Seltsamerweise hatte sein Gesicht weder einen ängstlichen, noch einen leidenden oder gar schmerzverzerrten Ausdruck. Die dunklen Bartstoppeln umhüllten ein nahezu seliges Lächeln, als habe der Mann einen schönen Traum. Spike stieß noch ein paar von den Lumpen zur Seite. Darunter kam der Körper des Mannes zum Vorschein. Er trug Armeekleidung, die allerdings schon vor langer Zeit ausgemustert worden sein musste. Auf der Brusttasche stand der Name Hoyt. Ein glückloser Veteran, oder einfach jemand, der auf alte Armeeklamotten stand? Nachdem er die Schläfen, den Hals und die Knöchel des Mannes untersucht hatte, war klar, dass es sich um ein weiteres Opfer der Mikrovampire handelte. Es musste vor nicht mehr als zwei Stunden geschehen sein. Am helllichten Tag. Obwohl das in den Kanälen im Grunde keinen Unterschied machte. Am Rand seines Sichtfeldes leuchtete etwas auf. Etwas, das aussah wie sonderbar helle Wasserfarben. Er wusste sofort, was es war. Im Bruchteil einer Sekunde war Spike auf den Beinen und rannte los. Das Licht verschwand sofort um die nächste Ecke. Spike 63
verfolgte es durch den Tunnel, auf die nächste Ebene zu einem weiteren Durchgang. So ging es weiter, während er das farbige Licht immer wieder beinahe aus den Augen verlor. Spike sprang auf ein Brett, das zwei Ebenen eines Tunnels miteinander verband, und ließ die eine Ebene hinter sich. Der Lichtschein entfernte sich immer weiter von ihm. Hinter der nächsten Ecke versuchte Spike, noch schneller zu laufen, aber er rutschte aus und fiel in eine Lache mit ekelhaft stinkendem Schleim. Über und über mit dem braunen Zeug beschmiert, konnte er gerade noch rechtzeitig sehen, wie das wässrige Leuchten in einem Gitter der Kanalwand verschwand. Buffys Suche in den Kellern und Katakomben der Kirchen von Sunnydale war erfolglos gewesen. Sie hielt die Zahnschmerzen zwar mit Hilfe der Tabletten und des Gels unter Kontrolle, aber Langeweile und Enttäuschung schienen den Schmerz wieder zu verstärken. Sie untersuchte gerade sorgfältig das Weihwasser in einer katholischen Kirche, als ein Priester vom Altar auf sie zukam. »Kann ich dir irgendwie helfen, mein Kind?«, fragte er mit einem leicht irischen Akzent. Buffy blickte zu Boden und entschied dann, dass Ehrlichkeit hier die beste Taktik war. »Um die Wahrheit zu sagen, ich könnte etwas von Ihrem Weihwasser gebrauchen.« »Ich denke, das ließe sich machen. Kommt allerdings darauf an, wozu du es benötigst«, erwiderte er leicht amüsiert und lächelte sie freundlich aus seinen dunklen Augen an. »Gibt es sonst noch etwas, womit ich dir helfen kann?« Buffy seufzte und verzog das Gesicht, was so viel bedeuten sollte wie ja. »Nur wenn Sie etwas über Elfen wissen.« Der Priester zog die Augenbrauen hoch. »Das kleine Volk? Wir Iren haben eine lange gemeinsame Geschichte mit dem Feenvolk.« Er schaute sich in der Kirche um. »Aber darüber sollten wir uns vielleicht in meinem Büro unterhalten.« 64
Buffy sah nun den Priester in einem ganz neuen Licht. Er hatte vielleicht wichtige Informationen für sie. Bingo.
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11 Xander und Anya nahmen beim Chinesen im Vorbeigehen etwas zu essen mit und machten sich dann auf den Weg zu ihrem Apartment. Xander hielt die Schachteln mit den Mahlzeiten mit beiden Armen an seine Brust gepresst. Anya schwang eine Plastiktüte mit Servietten, Chili, Stäbchen, Sojasoße, scharfem chinesischem Senf und Glückskeksen. Nach jedem Block hielten sie an und naschten von den Chilischoten aus der Tüte, was sie sichtlich genossen. »Ich hoffe, unseren Freunden ist es nicht zu unordentlich bei uns. Immerhin gehören wir zur arbeitenden Bevölkerung und wir hatten ja auch keine Zeit, extra aufzuräumen. Wenn wir genug Alkohol servieren, wird sie das Chaos vielleicht nicht stören.« »Es ist alles okay, Ahn«, versicherte Xander ihr. »Die Wohnung ist perfekt. Wenn wir eins richtig gut können, dann ist es, unsere Wohnung sauber zu halten.« Weil Xander den größeren Anteil trug, öffnete Anya die Wohnungstür. Xander ging hinüber zur Anrichte und legte die Schachteln ab. »Xander, nicht dort«, protestierte Anyas praktischer Verstand lautstark. »Leg sie doch gleich auf den Tisch.« Ihr Freund sah ein, dass der Vorschlag richtig war, und befolgte ihn sofort. »Gut, aber meine Ohren funktionieren noch perfekt. Du musst also nicht brüllen. Siehst du, alles steht bereits auf dem Tisch, wie du es gesagt...« »Du bist in meinem Haus nicht mehr willkommen«, rief Anya plötzlich hasserfüllt aus. »Aber Ahn, ich... das war doch nur... ein dummes Missverständnis!« Bevor Xander wusste, wie ihm geschah, hatte Anya den Werkzeugkasten hervorgezogen und bearbeitete auch schon die Anrichte mit einem Hammer. »Ihr seid gewarnt worden«, rief 66
sie zornig. »Jetzt werdet ihr bezahlen!« Zum Zeichen, dass sie es ernst meinte, schlug sie bei jedem einzelnen Wort mit dem Hammer zu. Xander lief zu ihr hinüber und hielt ihre Hand fest. Als sein Blick auf die Anrichte fiel, sah er zum ersten Mal die Ameisenstraßen, die überall verteilt waren. Die Tierchen trugen kleine Toast- und Käsestückchen, meist größer als sie selbst. »Wow, du flippst ja richtig aus«, sagte er. »Erst behauptest du, sie seien harmlos, und jetzt willst du ihnen den dritten Weltkrieg erklären. Lass uns einen Moment so tun, als seien wir zivilisierte Menschen. Bitte, leg den Hammer weg.« Anya schaute ihn mit geweiteten Augen und wildem Blick an. »Xander, in weniger als einer halben Stunden werden unsere Gäste kommen.« Sie waren jetzt lange genug zusammen, dass Xander wusste, wann es Zeit war, die Taktik zu ändern. »Gut, also, du hast völlig Recht. Das sind Eindringlinge, Parasiten, Rebellen. Sie müssen ausgemerzt, vernichtet werden. Und wir werden auf der Stelle damit anfangen. Ich mache dich nur darauf aufmerksam, dass wir alles, was wir ihn dieser Wohnung kaputtmachen, auch bezahlen müssen.« In Anyas Gesicht stand jetzt der blanke Horror. »Bezahlen – du meinst von unserem Geld?« Sie ließ den Hammer zu Boden fallen und untersuchte sorgfältig die Stellen, die sie gerade damit malträtiert hatte, auf Spuren dauerhafter Zerstörung. Dann öffnete sie den Schrank, holte ein Kochbuch heraus und schlug damit auf die völlig wehrlosen Ameisen ein. »Bezahlen?«, wiederholte sie und schlug erneut zu. »Ich habe sie nicht hergebeten. Wie kann jemand mich dafür verantwortlich machen?« Sie starrte Xander an. »Ich werde nicht zulassen, dass sie uns unser schwer verdientes Geld aus der Tasche ziehen. Wer ist dafür verantwortlich?« Xander dachte einen Augenblick nach. »Also, ich glaube das 67
ist der Hausbesitzer. Dafür hat Gott Verwalter und Hausmeister geschaffen, schätze ich. Das ist es.« Er nahm das Telefon, sah eine Liste von Rufnummern im Speicher durch und wählte. Wenige Minuten später stand die Hausverwalterin, eine große, rothaarige Mittfünfzigerin, vor ihrer Tür. »Hier«, sagte sie und gab Xander eine Spraydose, auf der eine Ameise im Todeskampf abgebildet war. »Ist das alles?«, fragte Xander. »Insektenspray?« Die Rothaarige verdrehte die Augen. »Schließlich sind es Ameisen und nicht eine Horde tollwütiger Hunde. Das müsste reichen.« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. »Wenn nicht, dann rufen Sie mich wieder an.« Xander ging zurück in die Küche, wo Anya bereits Hunderte von toten Ameisen zusammenkehrte. Er kicherte und machte ein Geräusch wie eine Sirene. Dann bückte er sich. »Das ist keine Übung, Jungs. Das ist das Ende.« Xander begann zu sprühen.
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12 »Das artet bei uns allmählich in einen richtigen Fresszwang aus, findet ihr nicht?«, meinte Buffy und warf einen skeptischen Blick in die Schachtel mit Kung-Pao-Hühnchen. Xander sah sie nachdenklich an. »Was hast du zu Mittag gegessen?« Buffy verzog das Gesicht. »Nichts... ähm, ich war im Stress. Hab ich ganz vergessen.« Sie konnte ja schlecht zugeben, dass sie vor lauter Zahnschmerzen nicht mal ans Essen denken konnte. Xander nickte. »Und du, Willow?« »Chips«, antwortete Tara für ihre Freundin. Als Willow Buffys überraschtes Gesicht bemerkte, fügte sie hinzu: »Oh, es waren Sun-Chips. Die sind sehr nahrhaft.« »Und Orangensaft«, ergänzte Dawn. Xander fing an zu grinsen. »Giles? Anya?«, fragte er die beiden anderen. »Wir, ähm, wir haben ein paar Äpfel gegessen, als keine Kunden da waren«, entgegnete Giles. Xander breitete die Arme zu einer Seht-ihr-was-ich-meine?Geste aus. »Ich glaube, da kann von Fresszwang keine Rede sein! Abgesehen davon kann man nun mal mit leerem Magen nichts Ordentliches zustande bringen, wie ihr wisst. Man isst, um bei Kräften zu bleiben. Hier verlässt niemand unversorgt das Haus.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Jedenfalls nicht unter meinem wachsamen Auge.« Buffy befürchtete, dass ihr schmerzender Zahn wahrscheinlich nicht mit den Erdnüssen und dem Stangensellerie in der Soße zu dem Kung-Pao-Hühnchen klarkam, daher entschied sie sich lieber für Chow-Mein. »Ich glaube, wir haben erheblich Wichtigeres zu besprechen als unseren Nahrungsbedarf«, bemerkte Giles. 69
Dawn legte den Kopf schräg. »Ich frage mich, wie viele Mahlzeiten Vampirelfen wohl am Tag brauchen.« »Hm. In der Tat.« Giles nahm sich von dem gebratenen Reis. »Ja, also, vielleicht sollte ich den Anfang machen. Sozusagen den Stein ins Rollen bringen, was unsere heute erworbenen Kenntnisse angeht.« Er legte die Hand ans Kinn und verharrte einen Augenblick in nachdenklicher Pose. Dann räusperte er sich, wie er es immer zu tun pflegte, wenn er den Beginn eines Vortrags ankündigen wollte. »In den Mythologien unzähliger Kulturen auf der ganzen Welt hat die Wissenschaft Hinweise auf Feengestalten gefunden – auf Elfen, Kobolde und andere Naturgeister. Thomas Keightley beispielsweise war der Ansicht, das englische fairy stamme von dem persischen Wort peri, das später von den Arabern zu feri verfälscht wurde, aber zumindest was uns angeht, ist die sprachliche Herkunft des Namens wohl nicht so wichtig wie die spärlichen sachdienlichen Informationen, die es über diese Wesen gibt.« »Haben Sie in den Wächter-Tagebüchern nachgesehen?«, fragte Buffy. Giles nickte. »Leider Fehlanzeige. Es herrscht ein absoluter Mangel an fachkundigen Schriften zum Thema, aber ich habe alles aus meinen Nachschlagewerken zusammengetragen, was zu finden war. Soweit ich feststellen konnte, stammen Elfen ursprünglich aus Mitteleuropa.« »Aus Italien«, ergänzte Anya. Giles blinzelte. »Ja, sehr richtig. Sie wurden damals fatae genannt. Man nimmt an, das Wort stammt von lateinisch Fata, das ist der Name der Schicksalsgöttin. Nach allem, was ich gelesen habe, sind Elfen eher gesellig und treten in größeren Gruppen auf.« Xander schaltete sich ein. »Sicher, man findet auch gelegentlich mal eine der seltenen, abgebrühten EinzelgängerElfen, aber größtenteils ziehen sie es vor, in fröhlichen Scharen von klitzekleinen Elfen-Knäblein und winzigen Elfen-Mädchen 70
zu leben, regiert von einer ebenso kleinen Elfenkönigin.« »Diese Scharen«, leitete Giles nahtlos über, »wurden fatara genannt, das heißt so viel wie ›Sippe‹. Und jede Sippe wird in der Tat von einer Königin regiert.« Buffy schenkte sich Saft aus der Karaffe ein, die auf dem Tisch stand. »Von einer Art Überelfe oder so?« »Vermutlich ja.« Giles nahm in jede Hand ein Ess-Stäbchen. »Aus Italien sind die fatae nach Frankreich gewandert, wo sich ihr Name zu feie entwickelte.« »Darf ich jemandem von dem frittierten Schwein in fluoreszierender roter Soße anbieten?«, fragte Anya strahlend in die Runde. »Möchte jemand Schweinefleisch süßsauer?«, übersetzte Xander. Giles ließ sich die Schachtel geben. »Leider kann man die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema bestenfalls als bruchstückhaft bezeichnen. Erwiesen ist, dass es seit dem Jahr fünfzehnhundert Elfen auf den Britischen Inseln gibt – oder zumindest Geschichten über sie. The Faerie Queene von Spenser wurde 1590 veröffentlicht und der Größte aller Schreiber erwähnte 1595 in Romeo und Julia eine geheimnisvolle Naturgöttin. Mab hieß sie, die Königin der Feen.« »Oh ja, Mercutios flammende Rede! Die habe ich in der Unterstufe für Miss Miller auswendig gelernt«, bemerkte Willow und begann, mit eindringlicher Stimme vorzutragen: Im Staat so trabt sie Nacht für Nacht: befährt Verliebter Hirn, die dann von Liebe träumen; Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen; Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich; Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen... »Ja, sehr schön. Vielen Dank, Willow. Und was haben eure 71
Nachforschungen ergeben?«, fragte Giles. »Ähm, haben wir auch Mu-Shu?« »Ja, und ich habe zusätzliche Pfannkuchen bestellt.« Anya reichte ihm die gewünschte Schachtel, die Pfannkuchen und die Pflaumensoße. »Nun, es gibt gute und schlechte Nachrichten«, entgegnete Willow auf Giles’ erste Frage. »Die gute ist, es gibt hunderte von Websites im Internet, die sich mit Feengestalten beschäftigen. Vielleicht sogar tausende.« »Und die schlechte?«, fragte Giles. Willow zeigte mit ihrem Stäbchen auf ihn. »Giles, wir reden vom Internet! Auf den meisten Websites werden wir wohl keine wissenschaftlichen Forschungsberichte finden. Das sind alles Hobbyforscher, Figurensammler, Romanautoren, Studenten und was es sonst noch alles gibt. Sicher, vielleicht verstecken sich hier und da ein paar Bröckchen echte Information, aber wisst ihr, wie schwer es ist, diesen ganzen... Müll zu durchforsten, bis man etwas wirklich Nützliches gefunden hat? Wie beurteilt man, ob eine Quelle zuverlässig ist oder nicht? Ich meine, wir sprechen hier von Märchenwesen. Wie Sie sagten, Giles: Da gibt es nicht viele verifizierbare Fakten.« Sie nahm sich einen Happen Reis. »Wir haben herausgefunden, dass Elfen über gewisse hypnotische Fähigkeiten verfügen, über eine Art magische Anziehungskraft. Vielleicht hindern sie damit ihre Opfer daran, sich zu wehren oder wegzulaufen. Gestern haben wir ein bisschen von dieser Kraft zu spüren bekommen. Wenn man nicht aufpasst und sie zu lange anstarrt, wird man sozusagen aufgesaugt, glaube ich. Oh, igitt – nicht aufgesaugt. Streicht das!« Tara reichte Willow eine Frühlingsrolle und berichtete weiter: »Und wir können davon ausgehen, dass sie sich chaotisch neutral verhalten – ein Merkmal, das man auch in einigen Märchen belegt findet. Hinweise darauf tauchen immer wieder auf. Dawn hat dazu eine sehr gute Beobachtung 72
gemacht.« Dawn verzog das Gesicht, als sie alle ansahen. »Das war ja nicht besonders schwer. Richtige Recherchen darf ich ja nicht machen. Aber ein paar einfache Dinge kann man auch in Märchen finden. Dass Elfen zum Beispiel magische Fähigkeiten haben.« Sie biss in ein knuspriges Wonton. »Meistens sind sie auch ziemlich hübsch und sie vergelten Gutes immer mit Gutem und Böses immer mit Bösem.« »Die goldene Regel aller Märchen«, bemerkte Xander. »Ja, das stimmt vermutlich. Aber dennoch«, sagte Giles, »wir sollten das nicht außer Betracht lassen. Buffy, hast du etwas herausgefunden, das uns irgendwie weiterhilft?« Buffy hatte den Mund voll gebratene Nudeln. Sie schluckte und holte tief Luft. »Also, zuerst habe ich noch mal den Weatherly Park durchgekämmt, aber das war nutzlos. Ich dachte, ich hätte da etwas entdeckt. Da gibt es so einen kleinen Grashügel, hinter dem ein paar Steinstufen in eine Art Grube führen. Aber ich bin runtergegangen und am Ende der Stufen gibt es nur eine dicke Mauer.« »Eine Treppe nach nirgendwo?«, überlegte Xander laut und wischte sich mit der Serviette einen Klecks süßsaure Soße vom Kinn. »Das klingt aber ziemlich verdächtig. Bist du sicher?« »Nichts als undurchdringliches Gemäuer«, bestätigte Buffy. Willows Miene hellte sich auf. »Ich könnte für dich in den städtischen Archiven nachsehen und versuchen herauszukriegen, was das ist. Das ist bestimmt viel einfacher als Informationen über Elfen zu sammeln.« Buffy lächelte. »Danke, Will! Jedenfalls bin ich dann auf die Idee gekommen, ein paar Kirchen aufzusuchen. In vielen davon gibt es nämlich solche dunklen unterirdischen Räume, in denen sich elfengroße Vampire ganz prima tagsüber verstecken können.« »Und hast du welche gefunden?«, fragte Dawn. Buffy machte eine Grimasse. »Nein. Oh, aber ich habe 73
Pfarrer Murphy kennen gelernt. Er ist Ire. Ich meine, ein richtiger Ire, mit allem Drum und Dran. Er sagte, in Irland gebe es echte Naturgeister. Viele Iren glauben daran. Aber diese alte Religion wird ganz im Stillen gepflegt und hat mit der Kirche nichts zu tun.« »Pfff!«, machte Anya. »Das hätte ich euch auch sagen können.« In diesem Augenblick klopfte jemand an die Tür und Anya ging nach vorn, um zu öffnen. »Spike, avanti!«, sagte sie und ließ den Vampir eintreten. Er kam hereingefegt und antwortete in fließendem Italienisch. »Grazie! Ho molto fame!« »Wir sind schon beim Essen«, entgegnete Anya. »Du kommst reichlich spät.« Der blonde Vampir hielt eine Glasflasche hoch. »Also, ich dachte, das ist eine Bottle-Party.« Als Anya ihn verständnislos ansah, zog er die Augenbrauen hoch. »Das heißt, jeder bringt sich sein eigenes Blut mit. Ich hab einen Schweine-Château dabei.« Er kam an den Tisch. »Musste sowieso noch kurz in der Gruft vorbei, mich ein bisschen frisch machen. Ich dachte, euch würde mein Geruch nach der Erkundungstour durch die Kanalisation nicht gefallen.« Xander grinste den Vampir sarkastisch an. »Viel besser riechst du jetzt auch nicht.« Spike ignorierte die Bemerkung. »Sagt mal, ist das vielleicht diese scharfe, saure Suppe?« »Siaccomodi, prego«, sagte Giles. »Bedienen Sie sich! Wir beklagten gerade die Tatsache, dass wir keine richtigen Quellen haben, von denen wir aus erster Hand Informationen über Feen und Elfen bekommen.« Anya machte große Augen. »Aber natürlich haben wir die!« Buffy betastete vorsichtig mit der Zungenspitze ihren schmerzenden Zahn. »Ich weiß nicht, ob man Pfarrer Murphy als Quelle zählen kann. Er hat noch nie mit eigenen Augen eine 74
Elfe gesehen.« Anya sah sie herablassend an. »Den Pfarrer meine ich doch gar nicht. Ich bin die Quelle!«
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13 Gewöhnliche Elfen galten in der Regel als kapriziöse Wesen, aber natürlich waren Mabyana und ihre Sippe keine gewöhnlichen Allerweltselfen. Und ihre Laune war getrübt. In den Jahrhunderten seit dem Großen Wandel hatten sie ihren vampirischen Wesensteil verstehen gelernt und ihn mit ihrer Elfenpersönlichkeit und ihren Fähigkeiten verknüpft. Die Umwandlung zu Vampirelfen war nicht unbedingt zu ihrem Vorteil gewesen, aber sie hatte auch ihre guten Seiten. Eine Spur Bosheit hatte sich in ihr schelmisches, umtriebiges Wesen gemischt. Aber von dieser neuen Eigenschaft ließen sich die Elfen das Leben nicht vermiesen. Am heutigen Abend wollte die goldene Elfenkönigin mit ihrer Gefolgschaft über Sunnydale herfallen – im wahrsten Sinn des Wortes. Der stumme Dorse eröffnete die Spiele mit seinem Lieblingsstreich. Sein blaues Haar leuchtete. Die Elfen huschten in einer ruhigen Straße zu zweit oder zu dritt von Tür zu Tür, drückten auf die Klingeln und klopften an die Fenster. Jedesmal zogen sie sich blitzartig zurück, um sich aus sicherer Entfernung über die verwirrten und besorgten Gesichter der Bewohner zu amüsieren, die an die Türen kamen. Innerhalb von einer Viertelstunde waren bereits drei Streifenwagen aufgekreuzt und die Polizisten gingen den Meldungen über Einbrecher, Belästiger und Spanner nach. Wie der Rest der Elfenbande, die mit hinausgekommen war, um den abendlichen Spaß zu genießen, glitzerte Dorse vor Lachen und schlug mit den anderen Purzelbäume in der Luft. Königin Mabyana lachte auch und beschloss nach dieser gelungenen Eröffnung, jemand anderem die Führung zu übertragen. Sie erwies Tressa diese Ehre. »Kreativität ist das A und O!«, mahnte Mab. »Wir Elfen 76
haben schließlich einen Ruf zu verteidigen.« Tressa war mit Leib und Seele Naturfreundin und hatte bereits ein bestimmtes Ziel im Auge. Die kleine Elfe, deren Haar die Farbe reifer Aprikosen hatte, flatterte schnurstracks auf die Blumen zu. Der Botanische Garten von Sunnydale hatte sich mit seinem Rosengarten, einem der schönsten im südlichen Kalifornien, einen Namen gemacht. Jedes Jahr lockte er tausende Besucher nach Sunnydale und an diesem Abend entdeckte ihn auch Tressa. Gleich bei dem ersten Busch hielt sie an und blieb schwirrend wie ein Kolibri vor einer strahlend gelben Blüte in der Luft stehen, um ihren betörenden Duft zu genießen. Dann breitete sie spontan die Arme aus, flatterte auf die Blüte zu und umarmte sie. Innerhalb von Sekunden verwelkte die Blume und starb. Der Tod breitete sich über den ganzen Busch bis zu den Wurzeln aus. Erst als er völlig vertrocknet war, flatterte Tressa in die Höhe, um ihr Werk zu begutachten, und drehte begeistert mit wirbelndem Röckchen eine Pirouette. »Perfekt!« Mabyana begann, sich für diesen Spaß zu erwärmen, wählte einen Rosenstrauch und schlang die Arme um eine zarte Rosenblüte. Auch Vesuva, Dorse, Steet und die anderen suchten sich Rosensträucher... und ließen sie verdorren und sterben. Als sämtliche Sträucher und Büsche abgestorben waren, übergab Mab das Kommando an Lucket. Der silberhaarige Elf, der stets lavendelfarbene Strumpfhosen und Wams trug, beschloss, sich an diesem Abend den Haustieren zu widmen, besonders den frei umherlaufenden Hunden und Katzen. Unter seiner Leitung trieb die ganze Elfenbande mit jedem Tier, das sie finden konnten, ihren Schabernack: Sie neckten, pieksten, kniffen und bissen sie, bis die Katzen Zuflucht in Bäumen oder Lichtschächten suchten und die Hunde von zu Hause wegliefen oder bellten, bis die Besitzer kamen und sie beruhigten. Um seinem Streich die Krone aufzusetzen, sammelte Lucket 77
Frisbee-Scheiben, Plastikdrachen und anderes leichtes Spielzeug ein und verteilte es auf den Dächern. Als Nächste war Vesuva an der Reihe. Gefolgt von einem ganzen Schwarm flog die Elfe mit dem rabenschwarzen Haar über Swimmingpools und glitzernde Teiche hinweg. Sobald sie die Oberfläche berührte, nahm das Wasser eine grelle, unnatürliche Farbe an: Knallorange, Goldgelb, Leuchtendrot. Das ganze Wohnviertel sah nun von oben betrachtet wie ein Malkasten aus und außerdem war das Wasser auch ein hervorragendes Färbemittel. Jeder, der in dieses Wasser sprang – egal, ob Mensch oder Tier –, kam wie ein gefärbtes Osterei wieder heraus. Steet, der Elf mit dem kirschroten Haar und der Punkfrisur, suchte sich für seinen Streich die Straßenlaternen aus. Die Lampen hatten die Form von Sahnehäubchen und saßen auf nach unten spitz zulaufenden Halterungen. Steet landete auf der ersten und konzentrierte sich auf das Licht, bis die Lampe zerbarst und es Glassplitter und Funken regnete. Der Rest der Bande glitzerte vor Begeisterung und tat es Steet nach. Mab lächelte zufrieden. So viel Spaß, und dabei war der Abend noch jung!
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14 Alle starrten Anya an. Buffy verschluckte sich und fing an zu husten. »Verdammt!«, fluchte Spike. Xander schüttelte fassungslos den Kopf. »Geht es nur mir so, oder findet sonst noch jemand, dass sie ein bisschen spät damit rausrückt?« Giles nahm seine Brille ab und putzte die Gläser. »Anya, wir versuchen nun schon seit zehn Stunden, etwas Brauchbares über Feen und Elfen herauszufinden, das ist dir doch klar, oder?« Anya lächelte ihn fröhlich an. »Ja, natürlich.« »Und trotzdem hast du es nicht für nötig erachtet, uns darüber ins Bild zu setzen?« Anya blickte verwirrt drein. »Ich habe es euch nicht verheimlichen wollen. Ich habe doch gesagt, Naturgeister bleiben gern unerkannt und leben vorzugsweise im Wald.« Giles setzte die Brille wieder auf. »Nun, ich habe wohl angenommen, du hättest diese Informationen irgendwo recherchiert.« Anya zuckte mit den Schultern. »Sie haben nicht nachgehakt, und da dachte ich, es sei nicht so wichtig. Und Sie haben sich Sorgen um Ihr Knöllchen gemacht...« »Was, Sie haben ein Knöllchen bekommen?«, rief Buffy und sah ihren Mentor schockiert an. »Ruhig Blut, Sheriff Buffy, es ist nur wegen Falschparken«, erklärte Xander. Buffy wartete auf Giles’ Bestätigung. »Ich bin unschuldig«, sagte der nur. »... und Xander hat recherchiert und ich habe mich um die Kunden gekümmert«, fuhr Anya unbeirrt fort, als wäre sie nie unterbrochen worden. »Ich dachte, wenn ihr mehr darüber wissen wolltet, hättet ihr nachgefragt.« 79
»Ich glaube, wir alle würden gern hören, was du über Elfen weißt«, sagte Tara und lächelte Anya aufmunternd an. »Ja, und vor allem, woher du das weißt«, fügte Dawn hinzu. »Hast du selbst schon mal welche gesehen?« Erfreut über das ihr plötzlich entgegengebrachte Interesse begann Anya zu erzählen. »In den vergangenen tausend Jahren habe ich nur dreimal Elfen zu Gesicht bekommen.« »Das war dann wohl im Rahmen deiner Rachedämonengigs, oder?«, fragte Xander. Anya lächelte ihn stolz an. »Ja. Das erste Mal war bei einer Taufe.« Anya verzog das Gesicht. »Weil der Vater der Mutter während der Schwangerschaft untreu gewesen war, musste ich in meiner üblichen Funktion dorthin. Die Mutter hatte mich gerufen, um Rache zu nehmen, und die Elfen hat sie zu der Taufe eingeladen.« Anya sah ihre gespannt lauschende Zuhörerschaft an. »Wisst ihr, Naturgeister machen die besten Geschenke – wenn man freundlich zu ihnen ist. Jedenfalls war das früher so. Das zweite Mal war an einem Sommerabend. Ich hatte einen Mann verfolgt, der ein Stelldichein mit der Cousine seiner Frau hatte, und sie tanzten unten im Tal – die Elfen, meine ich, nicht der Mann und die Cousine.« Anya machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe sie nur eine Minute lang gesehen. Aber das letzte Mal war im sechzehnten Jahrhundert in Italien. Eine mächtige Hexe namens Devara rief mich, um Rache an ihrem Verlobten zu nehmen, der verschwunden war. Sie war total verknallt in ihn, kann ich euch sagen, aber nachdem er sich eine Woche lang nicht hatte blicken lassen, rechnete Devara mit dem Schlimmsten: mit Untreue. Also habe ich ihren Verlobten aufgespürt um herauszufinden, was geschehen war.« Sie seufzte. »Wie sich herausstellte, hatten ein paar spitzbübische Elfen ihn im Wald in die Irre geführt.« »Ach, das klingt aber nicht besonders gefährlich«, bemerkte Willow. 80
»Das wird es aber, wenn sich zufällig Sabina – eine berüchtigte Vampirin mit großem Appetit – in diesem Wald versteckt«, entgegnete Anya. »Ziemlich gefährlich«, pflichtete ihr Buffy bei. »Und was war dann?«, fragte Dawn. »Hast du seine Leiche gefunden?« »Schlimmer«, sagte Anya nur. Dawn runzelte irritiert die Stirn. »Er ist ein Vampir geworden, Kleines«, erklärte Spike. »Sabina hat ihn verwandelt.« Dawns Mund öffnete sich zu einem stummen »Oh!« und sie verfiel in Schweigen. Buffy holte tief Luft. »Und was ist passiert, als du der Hexe die tolle Nachricht überbracht hast?« »Sie hat sie nicht besonders gut aufgenommen«, erzählte Anya. »Devara schnitzte sich einen Pflock aus einem Besenstiel und zog in den Wald, um ihren Verlobten und Sabina aufzuspüren. Ich habe sie begleitet – zur moralischen Unterstützung, da ich durch meine Aufgabe dazu verpflichtet war, ihr zu helfen. Wisst ihr, faktisch gesehen war ihr Verlobter vom rechten Weg abgekommen, auch wenn ihn eigentlich keine Schuld traf. Als wir Sabina fanden, schwebten die Elfen über unseren Köpfen, um das Geschehen zu beobachten. Die Hexe kämpfte gegen Sabina und pfählte sie erbarmungslos. Aber als sie auch ihren Verlobten töten wollte, setzte der sich aus irgendeinem Grund nicht zur Wehr und sie konnte sich nicht überwinden, ihn zu töten. Wir haben dann gemeinsam einen Zauber mit einer uralten magischen Formel angewendet, die fast schon seit Anbeginn der Zeit existiert. Durch die Vereinigung unserer starken Energien wären wir dabei beide um ein Haar umgekommen. Wir vertrieben den Vampirdämon aus dem Körper des Verlobten und zerschmetterten ihn in tausend Teile.« Auf Dawns Gesicht zeigte sich ein kleines hoffnungsvolles 81
Lächeln. »Dann habt ihr ihn also gerettet?« »Nein, Dawnie. Er war tot«, entgegnete Buffy sanft. »Mir wurde erst klar, was sie tat, als es schon zu spät war«, fuhr Anya fort. »Die Hexe war so wütend auf die Elfen, weil sie ihren Verlobten in eine solche Gefahr gebracht hatten, dass sie den zersplitterten Geist des Dämons in die Elfentruppe jagte.« »So was konntest du?« »Ich nicht«, entgegnete Anya, »aber sie schon. Dann nahm sie ihren Verlobten mit nach Hause, trauerte um ihn und beerdigte ihn.« Buffy lächelte bitter. »Und sie waren glücklich bis an ihr Lebensende.« »Dann stammen die Vampirelfen hier in Sunnydale möglicherweise von der Sippe, die du damals in Italien im Wald gesehen hast.« »Wahrscheinlich«, pflichtete ihm Anya mit einem zuversichtlichen Lächeln bei. »Anya«, schaltete sich Xander ein, »hast du eigentlich gar keine Angst, dass sie hier sein könnten, um... – du weißt schon! – sich zu rächen?« »An wem denn?«, fragte Anya ganz ernst und sah Xander mit großen Augen an. »An dir zum Beispiel?«, entgegnete Xander. »An Doktor Frankensteins dämonischer rechter Hand. Du hast es der Hexe schließlich ermöglicht, diesen Fluch über die Elfen zu bringen.« »Oh«, machte Anya überrascht. »Das stimmt vermutlich. Aber nur, wenn man es ganz genau nimmt. Abgesehen davon sind Elfen Nomaden. Vielleicht ist es nur Zufall, dass sie hier in Sunnydale sind. Schließlich liegt die Sache mittlerweile fünfhundert Jahre zurück.« »Geht es nur mir so, oder haltet ihr es vielleicht auch für einen riesengroßen Zufall, dass diese Biester ausgerechnet in 82
der Stadt auftauchen, in der Anya lebt?«, fragte Xander in die Runde. »Natürlich – wenn man das Auftauchen von Dämonen in Sunnydale überhaupt für Zufall hält«, entgegnete Buffy. »Xander, vielleicht wurden sie ja vom Höllenschlund angezogen. Das passiert Vampiren häufig.« Xander holte ein Döschen Zahnstocher aus der Küche, nahm sich einen heraus und kaute darauf herum, während Anya Glückskekse herumreichte. Dawn zerbrach ihren Keks und holte den schmalen Papierstreifen heraus, der sich darin versteckte. »Das Glück ist mit den Tüchtigen«, las sie vor und verdrehte die Augen. »Ich habe den Verdacht, die lassen die Sprüche von frustrierten Lehrern schreiben...« »Oder von Eltern«, bemerkte Willow. Sie las vor, was sie gefunden hatte: »Deine größte Stärke kann zugleich deine größte Schwäche sein.« Xander nickte weise. »Ambiguität. Damit liegt man beim Wahrsagen immer richtig. Bei mir steht: ›Nur ein unreifer Mensch sucht Zuflucht im Konformismus‹. Na, ich glaube, das habe ich ganz gut im Griff. Was hast du Schönes gefunden, Ahn?« »Etwas sehr Merkwürdiges.« Anya runzelte die Stirn. »Hier steht: ›Ein Geschenk, das von Herzen kommt, hat keinen Preis.‹ Das ist doch Blödsinn, oder?« »Ungefähr so blödsinnig wie meins«, sagte Tara. »›Ein gutes Wort zur rechten Zeit verhütet manches Herzensleid.‹ – Als wäre ich der Typ für strenge, harte Worte!« Spike schnitt eine Grimasse. »Besser jedenfalls als ›Achte auf die Gefühle derer, die um dich sind.‹« Er sah Buffy neugierig an. »Sei ehrlich zu deinen Freunden und gerecht zu deinen Feinden«, las Buffy vor. »Da ist nichts Obskures dran – obwohl ich mich allmählich frage, ob die Sprüche vielleicht 83
von Wächtern verfasst werden, die sich in ihrer Freizeit langweilen.« Buffy biss in eine Hälfte ihres Glückskekses und bereute es sofort. Der stechende Schmerz ging ihr durch Mark und Bein und sie warf den angebissenen Keks auf den Tisch. Xander schnappte ihn sich und stopfte ihn in den Mund. »Man soll nichts verkommen lassen«, bemerkte er. Giles brach seinen Glückskeks auseinander und las: »Das kleine Glück wartet gleich um die Ecke.« Er machte ein ernstes Gesicht, als lausche er in sich hinein. »Hier, sparen Sie sich den Weg!« Xander kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche und warf sie grinsend auf den Tisch. »Kleines Geld können Sie auch von mir haben!« Unvermittelt knallte Dawn mit der Hand auf den Tisch und alle sahen überrascht auf. Dawn drehte ihre Hand um. »Igitt – Ameisen! Die waren gerade unterwegs in die Suppe!« Anya sprang mit besorgtem Gesicht auf. Xander lief rasch in die Küche, um Glasreiniger und Papiertücher zu holen. Alle halfen, die Essensreste aus dem Weg zu räumen, während Xander und Anya sprühten und wischten. »Das ist das dritte Mal!«, sagte Xander. »Wirklich?« Willow horchte auf. »Hey, ich könnte es mit einer abgeschwächten Version des Teleportationszaubers versuchen, wenn du möchtest. Ich habe geübt.« »Willow«, sagte Tara und aus ihrem Blick sprach große Sorge. »Du sollst banale Alltagsprobleme nicht mit Zauberei lösen! Das ist nicht richtig.« Willow wirkte ein wenig enttäuscht. »War ja nur ein Vorschlag. Kein Problem, wir müssen es ja nicht machen.« Xander ging zum Telefon und tippte eine Nummer ein. Nach einem kurzen und etwas hitzigen Gespräch kehrte er zu seinen Freunden zurück. »Sie schicken uns morgen früh einen Kammerjäger.« »Morgen?«, fragte Buffy. »An einem Sonntag?« »Alle Verhandlungsversuche mit dem Feind sind bisher 84
fehlgeschlagen. Jetzt ist Schluss mit lustig!« Xander zuckte mit den Schultern. »Die Vermieterin hat gesagt, sie kümmert sich darum.« Er rieb sich die Hände. »Okay, was unternehmen wir also gegen diese Minivampire? Glaubt ihr, wir können Herbie den Elfen alias Herbie Lipschitz dazu bewegen, ihnen sämtliche Zähne zu ziehen? Der wollte doch schon immer Zahnarzt werden.« Willow schien ernsthaft über diesen Vorschlag nachzudenken. »Dazu müssten sie aber viel größer sein.« Xander seufzte. »Liebling, ich habe die Vampire geschrumpft!«
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15 Nachdem Buffy schnell im Badezimmer verschwunden war, um noch einmal das schmerzbetäubende Gel aufzutragen, war sie bereit, Kriegsrat zu halten. Sie murmelte etwas von Kopfschmerzen und warf sich rasch noch zwei Tabletten ein. Spike sah sie skeptisch von der Seite an, denn er glaubte ihr die Ausrede keine Sekunde. Er wusste, dass Buffy immer noch von Zahnschmerzen geplagt wurde. Bevor er den Mund öffnen konnte, um sie anzuschwärzen, fragte Buffy schnell: »Wie lautet also unser Plan?« »Aber...«, setzte Spike an. »Das Übliche, denke ich«, antwortete Giles. »Ich meine, es sind Vampire, nicht wahr?« Spike räusperte sich. »Ich habe...« Willow zwirbelte eine Strähne ihres roten Haars zwischen den Fingern. »Oh, aber es sind auch Elfen. Vielleicht steckt in ihnen nicht so viel gemeine Bösartigkeit wie in Vampiren menschlicher Herkunft.« Sie sah Spike an. »Ähm, Anwesende sind immer ausgeschlossen.« Spike wirkte beleidigt. »Was soll denn...« Tara runzelte die Stirn. »Aber sie haben dieses Pärchen im Park getötet, also sind sie gefährlich.« Spike breitete die Arme zu einer viel sagenden Geste aus. »Das wollte ich euch doch...« »Also, das Positive ist, es gibt keine neuen Leichen«, stellte Dawn fest. Mit einem ungeduldigen Knurren erhob sich Spike und stellte sich auf seinen Stuhl. »Hallo? Hört mir vielleicht mal jemand zu?« »Wow, seht mal, der Albino! – Das ist auf gar keinen Fall respektlos gegenüber Amerikanern mit Melaninmangel gemeint«, sagte Xander. »Was hat dich denn gestochen?« 86
Spike kletterte wieder von dem Stuhl, drehte ihn um, setzte sich verkehrt herum darauf und legte die Arme auf die Rückenlehne. »Ich habe mich den ganzen Tag durch die verdammte Kanalisation gequält und da werde ich hier überhaupt nicht gefragt?« »Ach je!«, sagte Buffy mit gespieltem Mitleid. »Wie war’s im Büro? Hattest du einen schweren Tag?« Um ehrlich zu sein, hatte sie tatsächlich nach Anyas schockierenden Enthüllungen vergessen, den blonden Vampir zu fragen, ob er etwas herausgefunden hatte. Abgesehen davon war sie nicht davon ausgegangen, dass er – auch ohne Zahnschmerzen – mehr Erfolg gehabt haben könnte als sie. In einem etwas freundlicheren Ton bemerkte Willow: »Ich bin überzeugt, du warst sehr gründlich.« »Verdammt richtig«, entgegnete Spike. »Und ich habe ein weiteres Opfer dieser geflügelten Ratten gefunden.« »Wen denn?«, sagte Dawn und machte ein enttäuschtes Gesicht. »Bist du sicher?« Spike sah sie bedeutungsvoll an. »Unmengen kleine Bissspuren. An Schläfen, Hals, Handgelenken. War erst ein paar Stunden tot. Hat ein paar Pints Blut verloren.« »Klingt ja sehr nach unseren Minivampiren«, sagte Buffy, nahm sich einen Zahnstocher aus der Dose auf dem Tisch und entfernte damit vorsichtig einen Fetzen Hähnchenfleisch, den sie zwischen den Zähnen hatte. »Wer war diesmal das Opfer?« Xander schnitt eine Grimasse und verschränkte die Arme vor der Brust. »Noch ein glückloser Teenager im Hormonrausch?« »Nein. Ein Obdachloser, würde ich sagen. Wahrscheinlich ein Kriegsveteran. Hab ihn in einem Tunnel einen Block vom Weatherly Park entfernt gefunden.« »Und? Irgendeine Spur von den kleinen Biestern?«, fragte Buffy. Spike schürzte die Lippen. »Als ich den Typen gefunden 87
habe, ist mir eins begegnet. Ich wollte es verfolgen, aber es ist durch einen Gitterrost in der Tunnelwand verschwunden.« »Ich verstehe. In der Nähe des Parks«, sagte Giles. Spike nickte. »Also gut. Sieht so aus, als hätten wir alle Hände voll zu tun.« »Was denn? Wollen wir die Vampire töten?«, fragte Dawn und sah Spike entschuldigend an. »Die kleinen, meine ich.« »Aber mit welchen Waffen?«, fragte Willow. »Ich glaube, die hier nützen uns nicht viel.« Sie hielt ihre Ess-Stäbchen hoch. »Selbst wenn wir sie anspitzen, sind sie noch zu dick.« »Für den Anfang haben wir auf jeden Fall Weihwasser da«, bemerkte Tara. »Hier ist es«, sagte Buffy und hielt eine große Flasche mit einer klaren Flüssigkeit hoch. »Mit freundlichen Grüßen von Pfarrer Murphy.« »Und wir haben viele Kreuze«, sagte Anya. »Aber ich glaube, die Armbrust können wir vergessen«, bemerkte Xander. Giles runzelte die Stirn. »Was uns wieder zu den Pflöcken bringt. Wir brauchen etwas, das klein genug für diese Winzlinge ist.« Buffy sah von der Flasche mit dem Weihwasser in ihrer rechten Hand zu dem Zahnstocher, den sie noch in der linken hielt, und stach damit in ein halb aufgegessenes Eibrötchen, das vor ihr auf dem Teller lag. »Dann improvisieren wir eben ein bisschen.« Spike legte den Kopf in die Hände. »Wir wissen nicht, wo sie sind. Letztes Mal sind sie ja zu uns gekommen.« »Dann locken wir sie noch mal an«, entgegnete Willow. Xander sah auf. »Du meinst...?« »Mit einem Köder«, führte Willow aus. »Prima.« Anya bemühte sich, zuversichtlich zu klingen. »Ich biete mich freiwillig an.« 88
»Nichts für ungut, Anya, aber du siehst nicht gerade wie das typische hilflose Opfer aus«, meinte Buffy. »Und wenn es sich um die Elfen handelt, die du schon kennen gelernt hast, merken sie vielleicht, dass es eine Falle ist.« »Ich mache es«, bot Willow an. Tara sah sie besorgt an. »Nein, Willow!« »Klingt nach einem guten Plan«, sagte Buffy. Dawn beugte sich zu Spike vor und sagte: »Wenigstens bist du vor ihnen sicher. Ich werde heute Nacht auf jeden Fall etwas mit langen Ärmeln anziehen.« Buffy sah ihre Schwester an. Am vergangenen Abend war sie nur knapp der tödlichen Gefahr entronnen. Ihre Mutter hätte es niemals zugelassen, dass Dawn nachts mit den Scoobies loszog, um eine Falle aufzustellen, aber Buffy hatte kein gutes Gefühl dabei, sie allein zu Hause zu lassen. Wenn Dawn in ihrer Nähe war, konnte sie sie wenigstens beschützen. »Genau«, sagte sie. »Lange Ärmel und Hosen für alle! Keine kurzen Röcke!« »Dann muss ich mein Dolce & Gabbana wohl im Schrank lassen«, bemerkte Xander. Willow grinste. »Was ist mit mir? Sollte ich nicht ein bisschen was zum Anbeißen zeigen?« Sie und Tara hatten zur Einsatzbesprechung Jeans und Pullover zum Wechseln mitgebracht, falls sie zur Patrouille eingeteilt wurden. »Null Problemo. Hier ist der Plan«, sagte Buffy und schaltete auf Kommando-Modus. »Giles, wir fahren kurz bei Ihnen vorbei und dann zu uns nach Hause. Willow, Tara und Dawn nehmen wir mit. Wenn wir uns alle in diskretes Einbrecherschwarz gehüllt haben, treffen wir uns mit Xander, Anya und Spike im Park.« Nach einer kurzen Pause beendete Buffy die Sitzung: »Das wär’s also. Wir sehen uns in einer halben Stunde.« Dreißig Minuten später fielen die Scoobies im Weatherly Park ein, denn dies war ihrer Meinung nach der beste Ort, um 89
die Naturgeister herbeizulocken. Buffy hoffte nur, es lief ihnen nicht irgendein dusseliger Dämon oder Vampir über den Weg, der ihnen einen Strich durch die Rechnung machte. Giles fuhr mit Willow, Tara, Dawn und Buffy in seinem Kabrio zum Park. Leider gab es in der Nähe des verabredeten Treffpunkts nur Parkverbotszonen und Giles musste, weil er nicht schon wieder einen Strafzettel kassieren wollte, seine Schützlinge am Tor absetzen und den Wagen einen Block weiter abstellen. Er kehrte wenig später wieder zu ihnen zurück. Alle trugen hochgeschlossene Pullover mit langen Ärmeln und lange Hosen. Die Mädchen hatten sich Pferdeschwänze oder Zöpfe gemacht. Alle außer Willow. Und außer Willow versteckten sich auch alle im Gebüsch oder hinter Bäumen. Inzwischen begann die zum Köder Ernannte, die ein knappes Kleidchen und Riemensandalen aus Buffys Fundus trug, auf der Wiese in der Nähe des Fundorts des toten Pärchens umherzuspazieren. »Was für ein schöner Abend!«, sagte Willow zu niemand Bestimmtem. »Vollmond. Aber ich bin so... so einsam und spaziere ganz allein hier durch den Park.« Sie pfiff eine Melodie, die entfernt an Blue Moon erinnerte. Dawn kauerte neben Buffy. Plötzlich hielt sie die Luft an. Buffy spähte in die Finsternis und sah in Willows Nähe ein Licht aufblitzen. Dann noch ein Blinken und noch eins. Schon bald war Willows Gesicht deutlich im magischen Schein Dutzender kleiner Lichter zu sehen. Sie schillerten gold, silber, rot, apricot, rosa, messingfarben, blau und schwarzlila. Willow schien vollkommen verzaubert, als hätte sie nicht am Tag zuvor selbst erlebt, wie sich diese Elfen in Vampire verwandelten. Buffy hoffte, ihre Freundin schauspielerte nur. An die zwanzig Elfen versammelten sich um Willow, die mit leiser, gurrender Stimme zu ihnen sprach. 90
Sie hielt eine Hand hoch und einige Elfen landeten darauf und flogen wieder weg. Dann kamen andere Elfen. Auch sie flogen wieder davon und wirbelten vor Willows Gesicht durch die Luft. Es dauerte nicht lange, bis eine ganze Schlange leuchtender Elfen vor Willows Hand schwebte. Jede landete einmal, flog wieder weg und führte dabei irgendeine komplizierte akrobatische Übung in der Luft vor. Willow lächelte und wiegte sich zum Rhythmus einer nicht hörbaren Melodie. Die Elfen wirbelten nun in Schwärmen um sie und ihre Augenlider wurden schwer. Willow sprach wieder mit den Naturgeistern und diesmal klang ihre Stimme schärfer. »Warte noch!«, zischte Buffy, als Tara eine ungeduldige Bewegung machte. »Das war’s!«, raunte Spike. Der Wandel hatte sich fast unmerklich vollzogen. Buffy konnte die Gesichter der glitzernden Wesen zwar nicht erkennen, aber sie beobachtete, wie in den schillernden durchsichtigen Flügeln plötzlich ein Spinnennetz schwarzer Adern sichtbar wurde. Die Mikrovampire umschwärmten Willow. Sie waren hungrig. »Jetzt!«, rief Buffy.
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16 Willow Rosenberg beobachtete die putzigen, zarten Elfen, die wie Pusteblumen-Flaum in allen Regenbogenfarben um ihren Kopf schwirrten. Kommunikation, Willow!, dachte sie. Versuch es weiter! Kommunikation kann nicht schaden. Das melodische Summen der schwirrenden Flügel schwoll zu einem bedrohlichen Brummen wie von zwanzig übergroßen Hornissen an. Aber Willow fürchtete sich nicht. Vielmehr verspürte sie eine schläfrige Trägheit. Die Augen der Elfen, die gerade noch in der jeweiligen Farbe ihrer Kleidung geleuchtet hatten, wurden schwarz und die ätherischen Wesen verwandelten sich in scheußliche, bedrohlich wirkende, geflügelte Bösewichte. »Ich will euch helfen. Ihr meint es bestimmt gut. Aber das Gebrumme und die schrumpeligen Stirnpartien, das geht trotzdem nicht, wisst ihr?« Willow versuchte zurückzuweichen, aber die Vampirelfen hatten sie umzingelt. Das Brummen wurde lauter. Willow hielt die Hände hoch, als wolle sie die Wesen abwehren und sprach langsam und eindringlich. »Also gut. Um der Fairness willen muss ich euch warnen, dass ihr eine mächtige Hexe vor euch habt.« Aus dem dröhnenden Brummen wurde rasch ein hohes, heulendes Surren. »Oh-oh, tut mir Leid«, sagte sie und riss die Augen auf, um wachsam zu bleiben. Da kam ihr eine Erkenntnis: »Hey! Ihr... ihr habt mich verstanden!« Einer der kleinen Vampire flog auf ihr Gesicht zu. Willow schlug ihn fort und er schleuderte durch die Luft. »Weg mit euch! Ich wollte euch nur eine Chance geben.« Weitere flatternde Angreifer tauchten unvermittelt vor ihr auf. »Seid ihr jetzt so mutig, weil ihr alle eure Freunde mitgebracht habt?«, fragte sie. »Ich habe meine nämlich auch mitgebracht.« 92
Die Flatterwesen wichen nicht von ihr. Sie schwärmten um sie herum und nahmen Kurs auf ihre nackte Haut. Und davon gab es reichlich. Willow hörte einen Schrei im Unterholz und wusste, dass ihre Freunde unterwegs waren. Sie streifte einige Elfen von ihren Armen ab, pflückte sich eine aus dem Haar und warf sie zu Boden. Plötzlich war Tara an ihrer Seite, um ihr zu helfen, weitere Blutsauger aus ihren Haaren zu lösen und von ihrem Hals zu pflücken. Manche von ihnen ließen sich nur schwer entfernen und es blieben winzige blutende Wunden auf Willows Haut zurück. »Du bist verletzt«, sagte Tara, holte einen Zahnstocher aus der Tasche und versuchte, nach einem der kleinen Monster zu stechen, aber es wich ihr geschickt aus. Willow schlug sich auf die Wange, wo sich ein weiteres festklammerte. »Sind doch nur ein paar Kratzer.« Der Minivampir fiel zu Boden und blieb benommen liegen. Sicherheitshalber trat Tara noch einmal kräftig nach. »Sag mir, dass es tot ist«, verlangte Willow. »Ist es tot?« Tara hatte keine Gelegenheit zu antworten, denn ein ganzer Schwarm kleiner Biester kam im Sturzflug auf sie zu. Spike stürzte sich an Buffys Seite in die Schlacht. »Dawn, bleib du bei Spike!«, befahl Buffy. Dann sah sie Spike an. »Pass auf sie auf! Wehe, wenn sie auch nur einen Kratzer abkriegt!« Der Vampir verlagerte rasch seine Prioritäten. Statt zu versuchen, die Jägerin im Kampf zu beeindrucken, musste er nun Dawn beschützen, die Verwundbarste der Scooby-Gang. Er würde sie jedoch nur schwerlich ganz aus der Schlacht heraushalten können. »Für wen hältst du mich? Für Mary Poppins oder was?«, protestierte er – jedoch nur, um Eindruck zu schinden. Natürlich würde er Dawn immer beschützen; egal, was es kostete. Das wusste auch Buffy. »Komm mit!«, sagte er, packte Dawn am Arm und zog sie an den Rand der Wiese. 93
Dawn riss sich wütend von ihm los. »Ich brauche keinen Babysitter!« »Natürlich nicht, Kleines«, pflichtete er ihr bei. »Wir sind Partner. Du deckst mir den Rücken und ich dir.« Er holte Zigarette und Feuerzeug aus der Tasche, zündete die Zigarette an und gab ihr das Feuerzeug. »Nimm das! Wenn dir irgendwas zu nahe kommt, brutzelst du es einfach weg!« Er stellte die Flamme auf die höchste Stufe und hielt warnend den Zeigefinger hoch. »Aber ich bin direkt hinter dir, also pass auf, was du in Brand steckst!« Er zog an seiner Zigarette und ließ sie im Mundwinkel hängen. Dann holte er zwei Zahnstocher aus der Tasche, einen für jede Hand. »Wir fangen außen an. Erst pieksen wir die Nachzügler auf und dann arbeiten wir uns langsam zur Mitte vor.« Dawn kicherte. Spike sah die Zahnstocher an, die er in den Händen hielt, und ihm wurde klar, wie lächerlich er aussehen musste. »Verdammtes Ungeziefer«, fluchte er. »Kann man nicht mal bekämpfen, ohne schwul auszusehen!« Eine der leuchtenden Kreaturen flatterte ihm entgegen und in seiner Wut stach Spike blitzschnell und höchst zielgenau auf sie ein. Das Licht erlosch und ein kleines Wölkchen Asche regnete auf Spike und Dawn herab. »Iiihh!«, rief Dawn. »Los komm, das machen wir sofort noch mal!« Ein ganzer Schwarm Vampirelfen kam direkt auf Xander und Anya zu, um sie von Willow fernzuhalten. Xander stach wie wild mit den Zahnstochern um sich. Die kleinen Wesen wichen ihm flink aus, flogen einen Bogen und griffen von hinten wieder an. Anya schlug eins weg, bevor es sich in Xanders Nacken festbeißen konnte. »Hau ab!«, schrie sie. »Wenn ihr meinem Freund was tut, dann bringe ich jede einzelne von euch fliegenden Garnelen zur Strecke!« Xander versuchte es erneut mit den Zahnstochern, blieb aber 94
erfolglos. Die geflügelten Kreaturen waren einfach zu schnell. »Also gut«, sagte er mit grimmigem Gesicht. »Zeit für das Sunnydaler Begrüßungskomitee!« Er schlug zwei von ihnen mit der flachen Hand weg und holte die Flasche mit dem Weihwasser aus der Tasche, die Buffy ihm gegeben hatte. Anya klatschte in die Hände und verfehlte eine der Elfen nur knapp, auch der nächste Versuch schlug fehl. Beim dritten Klatschen erwischte sie jedoch einen der Minivampire. Seine Flügel hörten sofort auf zu flattern, er stürzte ab und blieb regungslos am Boden liegen. »Willkommen in Sunnydale! Und jetzt könnt ihr direkt wieder abhauen!«, sagte Anya. Xander öffnete die Flasche. Ein Quartett Vampirelfen zischte auf ihn zu und er spritzte das Weihwasser im hohen Bogen durch die Luft. »Nein!«, rief Anya. Xander hielt abrupt in der Bewegung inne und das Weihwasser verfehlte sein Ziel. »Nein? Warum das denn? Hast du sie noch alle?« Anya antwortete nicht und starrte wie hypnotisiert eine Vampirelfe an, die nur Zentimeter vor ihrer Nase golden aufleuchtete. »Du bist es! Ich erinnere mich an dich«, sagte sie nach einer Weile und Xander fasste sie besorgt am Arm. »Mabyana, die Elfenkönigin!« Anya stand wie angewurzelt da. »Ahn, hör auf damit!«, rief Xander beunruhigt. »Starr sie nicht so an!« Das Geräusch, das die flatternden Elfenflügel hervorriefen, erinnerte nun schon eher an die knatternden Schnarren der jubelnden Zuschauer auf dem Sportplatz. Urplötzlich flog das kleine Wesen wieder davon. Bei dem lauten Brummen schien es sich um eine Art Alarmsignal zu handeln, denn blitzartig tauchte ein Dutzend Vampirelfen aus dem Nichts auf. Anya hatte ihre Benommenheit abgeschüttelt, holte weit mit den Armen aus und klatschte kräftig in die Hände. Eine Elfe flatterte mit einem gebrochenen Flügel davon. Xander 95
eröffnete das Feuer mit dem Weihwasser. Die meisten Elfen konnten dem gefährlichen Wasser entkommen, aber eine bekam einen dicken Spritzer mitten auf die Brust. Einen Augenblick lang schwebte sie noch mit einem eigenartigen Brutzeln in der Luft, dann explodierte sie zur Aschewolke. »Das verleiht dem Begriff Feenstaub ja eine ganz neue Bedeutung«, bemerkte Xander. Er hielt die Flasche hoch. »Also gut, wer ist der Nächste? Weiter geht’s mit unserem Ringelreihen!« Eine der Elfen, die von Anya außer Gefecht gesetzt worden war, rappelte sich mühsam auf. Anya trat noch einmal kräftig darauf und das kleine Wesen blieb am Boden liegen. Plötzlich fielen zehn Elfen über Anya her. Eine ergriff ihren Pferdeschwanz. Fünf andere klammerten sich an ihrer Jacke fest und vier an den Hosenbeinen. Mit großer Kraftanstrengung hievten sie ihr Opfer hoch und Anya spürte, wie sie den Boden unter den Füßen verlor. »Xander!«, schrie sie und schlug mit Händen und Füßen um sich. Die Elfen ließen sich nicht verjagen, aber um mehr als ein paar Zentimeter konnten sie Anya anscheinend nicht anheben. Ein weiterer Schwarm Vampirelfen flog herbei. »Hände weg von meiner Freundin, ihr Mikrofreaks!« Xander stürzte sich mit einem Hechtsprung auf Anya, um sie den kleinen Biestern zu entreißen. Als sie ineinander verknäult zu Boden gingen, zerschlugen sie die Flasche mit dem heiligen Wasser. Kleine leuchtende Vampire stoben in alle Richtungen davon. Es gab ein zischendes, brutzelndes Geräusch unter Anyas Bauch. Mindestens zwei der geflügelten Monster hatten sie noch mit dem vergossenen Weihwasser erledigt. Xander atmete tief durch. »Mein lieber Batman, das war ganz schön knapp!« Buffy schnellte in die Luft, schlug Salti und setzte sämtliche 96
Körperteile als Waffen ein. Mit den Füßen kickte sie die kleinen Leuchtmonster hoch in die Luft. »Habt ein bisschen Geduld mit mir«, rief sie ironisch, »mit kleinen Fischen kenne ich mich noch nicht so gut aus!« Ihre Hände schlugen, klatschten und boxten in alle Richtungen. »Es mangelt mir noch an Treffsicherheit.« Giles stand mit einem Kreuz in der einen und einem Zahnstocher in der anderen Hand ein paar Meter abseits und sah zu. »Ausgezeichnetes Geschicklichkeitstraining, muss ich sagen. Du triffst immer besser.« Buffy warf sich zu Boden und schoss mit einer Rolle vorwärts unter einem Trio angreifender Elfen hindurch. Sofort schnellte ihr Fuß nach oben und fegte einige Gegner fort. Einer entgegenkommenden Elfe verpasste sie einen Stoß mit dem Ellbogen. Als das kleine Wesen noch einen Augenblick reglos in der Luft hängen blieb, schlug sie es mit der flachen Hand zu Boden. »Wenn ich so gut bin«, keuchte sie, »warum werden die Biester dann nicht allmählich weniger?« Giles blinzelte überrascht und sah sich um. »Weniger...? Ich würde sagen, es sind sogar mehr geworden.« Buffy wehrte zwei weitere Angreifer mit zwei zielgenauen Schlägen ab. »Hoffentlich heißt das nicht, sie vermehren sich«, sagte sie. »Nein, das nicht«, entgegnete Giles und trat auf eine der Elfen, die vor ihm abgestürzt war. »Möglicherweise gibt es nur viel mehr von ihnen, als wir gedacht haben.« Er hielt das Kreuz in Kopfhöhe, als er in die Knie ging und die Elfe begutachtete, auf die er getreten war. Sie bewegte sich nicht, und als er sicherheitshalber mit dem Zahnstocher auf sie einstach, verpuffte sie zu einer Staubwolke. Mehrere Elfen starteten in V-Formation einen Angriff auf Buffy. Sie ließ einen ganzen Hagel Tritte und Schläge auf sie niedergehen, aber eine der Elfen durchbrach ihre Deckung und landete direkt in ihrem Gesicht. Buffy schlug sich sofort fest 97
auf die Wange. Explosionsartig breitete sich der Schmerz aus, als wäre eine Bombe in ihrem Kiefer hochgegangen. Die Vampirelfe stürzte ab, aber schon kam eine andere im Sturzflug näher. Instinktiv wich Buffy zur Seite und verlor taumelnd vor Schmerz das Gleichgewicht. Zu allem Überfluss blieb sie mit dem Fuß an einer Baumwurzel hängen und stürzte. Erneut schoss eine Schmerzwelle von ihrem wehen Zahn bis ins Gehirn. Giles kämpfte sich zu Buffy durch und half ihr auf, als ein halbes Dutzend Elfen aus allen Richtungen herbeischwirrte. Buffy schüttelte den Schmerz ab, erledigte zwei von ihnen und der Rest flog rasch davon, um sich neu zu formieren. »Ich will ja nicht sticheln, aber ihr seid aus dem Spiel!« Buffy folgte ihrem spontanen Bedürfnis nach Gründlichkeit und pfählte die beiden bewusstlosen Minivampire mit einem Zahnstocher aus ihrer Hosentasche. Spike und Dawn kämpften mit Feuer und Pflöcken gegen einen ganzen Schwarm Minimonster. Eins landete auf Spikes Ledermantel und er schlug rasch mit der hohlen Hand darauf, um es zu fangen. Als er die Finger um seine Beute schloss, spürte er, wie das kleine Biest zappelte und biss. Sofort quetschte er es mit dem Daumen ein, öffnete die Hand und pinnte sich den Mikrovampir mit dem Zahnstocher in die Handfläche. Als etwas Blut aus der Stichwunde trat, fing der kleine Vampir gierig an, es aufzulecken. Angeekelt schnippte Spike ihm ein paar Mal gegen den Kopf, um ihn auszuknocken. »Kann mal jemand helfen?«, rief Xander. »Oh mein Gott!«, stöhnte Giles, als immer mehr Vampirelfen herbeiströmten. »Vielleicht sollten wir unsere Strategie neu überdenken.« Buffy eilte auf Xander und Anya zu, die gerade vor ein paar Angreifern in Deckung gegangen und zu Boden gestürzt waren, und half ihren Freunden wieder auf. Ohne erkennbaren Grund drehten plötzlich mehrere 98
Schwärme der Mikrovampire wieder ab. »Aber seht doch nur!«, bemerkte Willow. »Jetzt hauen sie ab!« »Lassen wir sie entkommen?«, fragte Xander. »Oder verfolgen wir sie und rotten sie aus?« Mindestens drei Dutzend der leuchtenden Wesen flohen ins Gebüsch. »Was du heute kannst besorgen...«, entgegnete Buffy. Giles blieb mit Spike und Dawn zurück, während Buffy, Xander, Anya, Tara und Willow den Elfen ins Unterholz folgten. Dawn wollte ihnen hinterher, aber Giles hielt sie fest. »Wir kämpfen ein anderes Mal wieder mit, Kleines«, sagte Spike und hielt die zur Faust geballte rechte Hand hoch. »Was wir brauchen, haben wir hier.« Dawns Augen funkelten vor Begeisterung. »Das wird eine tolle Überraschung für Buffy.« Die Zweige der Büsche wackelten und man hörte beunruhigendes Rascheln. »Oh-oh«, machte Dawn nur, als einen Augenblick später die fünf Scoobies aus dem Unterholz herausstürmten, verfolgt von mindestens hundert blinkenden Lichtchen. Giles schnaufte. »Vielleicht sollten wir...« »Weglaufen«, sagte Spike. Sie sprinteten den anderen hinterher und rannten alle gemeinsam quer durch den Weatherly Park davon. »Willow, wie sieht es mit dem Teleportationszauber aus, den du geübt hast?«, fragte Buffy. »Ja«, meinte Xander, »wenn überhaupt, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür, Will.« Tara rang nach Atem. »Machen wir es. Ich helfe!« Ohne anzuhalten hob Willow eine Hand und sprach keuchend die Zauberformel. Tara hielt mit einer Hand Willows Schulter umklammert und sprach die Formel mit ihr gemeinsam, um die Macht der Freundin zu stärken. Eine unsichtbare Welle schien von 99
Willows ausgestreckter Hand auszugehen und die kleinen Kreaturen wichen ruckartig ein paar Meter zurück, als hätten sie einen elektrischen Schlag bekommen. Dann wirbelten mit einem zornigen Surren sämtliche Lichter in die Höhe und erloschen. Buffy stürmte mit den anderen zum Ausgang des Parks. »Wartet!« Willow blieb schwankend stehen und griff sich an den Kopf. »Mir... Aua!« »Was ist los?«, fragte Tara besorgt, aber Willow stöhnte nur. »Was hast du für diesen Zauber verwendet, Will, ein bisschen Dicke-Birne-Essenz oder was?«, fragte Xander und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Auch die anderen machten kehrt, um Willow zu helfen. Tara schlang einen Arm um Willows Taille und stützte sie. »Das war ein ziemlich starker Zauber. Sie hat es vermutlich wieder etwas übertrieben.« »Bringen wir sie zum Auto«, sagte Giles. »Wo genau steht die Kiste denn?« Xander sah sich suchend um. Giles wies mit dem Kopf nach links. »Ungefähr einen Block in diese Richtung.« »Dann setzen wir uns besser in Bewegung, bevor diese Mikromonster mit Verstärkung zurückkommen«, sagte Xander. »Ich meine, Game over, Leute. Die haben uns fertig gemacht.« »Alles in Ordnung, Willow?«, fragte Buffy. Willow nickte. »Ich muss mich nur ein bisschen ausruhen. Keine große Sache.« In diesem Augenblick gaben ihre Beine nach und Tara wäre fast mit ihr gemeinsam gestürzt. Buffy nahm rasch Willows Arm und legte ihn sich um die Schulter, um sie von der anderen Seite zu stützen. »Keine große Sache, hm?«, bemerkte sie trocken. »Da bin ich aber anderer Meinung. Ich glaube, das war unser generelles Problem heute Abend. Wir haben wohl alle die kleinen Dinger unterschätzt.« 100
Giles hatte sein Kabrio offen gelassen und die Freunde packten Willow, die schlaff in ihren Armen hing, rasch auf den Rücksitz. Mit voll besetztem Wagen brauste Giles davon. Nur Xander und Spike mussten zu Fuß zum Haus der Summers nachkommen – und Anya natürlich, die darauf bestanden hatte, bei Xander zu bleiben. Spike hatte seinen geflügelten Gefangenen immer noch in der rechten Hand und bewachte ihn mit Argusaugen.
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17 Dawn brachte Tara, die auf dem Sofa saß und Willows Kopf in ihren Schoß gebettet hatte, zwei Aspirin und ein Glas Wasser. »Danke«, sagte Tara und half Willow, sich etwas aufzurichten, damit sie die Tabletten mit einem Schluck Wasser hinunterspülen konnte. Willow fasste sich an die Stirn. »Gut, dass ich diesen MiniTeleportationszauber nicht auf die blöden Ameisen angewendet habe.« Tara strich ihrer Freundin übers Haar und verkniff sich einen Kommentar. »Aber wir sind alle froh, dass du ihn vorhin angewendet hast«, bemerkte Dawn. Spike kam ins Zimmer und ließ sich in den Sessel neben dem Sofa fallen. Er hielt etwas in der rechten Hand versteckt. »Das hat dich ja ziemlich mitgenommen, Rotschopf. Wäre das mitten im Kampf passiert, hättest du am Ende noch als Mitternachtsbüffet für unsere kleinen gefiederten Bestien herhalten müssen.« »Die hatten doch gar keine Federn«, sagte Dawn erstaunt. »Ich dachte, die Flügel wären eher...« Als Spike sie mit einem genervten Blick bedachte, brach sie ab und hielt den Zeigefinger hoch. »Okay, hab schon verstanden! Dichterische Freiheit!« »Wo sind eigentlich die anderen?«, fragte Tara. Anya kam aus dem Esszimmer herein. »Mister Giles ist in der Küche und Xander ist mit einem Brotschneidebrett, ein paar Schaschlikspießen, Klebstoff und einer Bohrmaschine im Keller verschwunden. Hat irgendwas von einer neuartigen Mausefalle erzählt.« Sie senkte verschwörerisch die Stimme und ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder. »Ich weiß zwar nicht, was das mit den Mäusen soll, aber ich finde 102
ihn total sexy, wenn er an so einem Projekt tüftelt.« Spike schnaubte. »Buffy hat sich im Badezimmer eingeschlossen«, sagte Dawn. »Sie hängt da schon rum, seit wir nach Hause gekommen sind, lässt das Wasser ins Spülbecken laufen und gibt merkwürdige gurgelnde Geräusche von sich.« Sie runzelte die Stirn. »Irre ich mich oder ist vielleicht mit meiner Schwester irgendwas nicht in Ordnung? Habt ihr gesehen, wie Buffy im Kampf vor Schmerzen zu Boden ging? Das war doch unglaublich! Ich meine, Giles musste ihr beim Aufstehen helfen. Sie ist wirklich nicht in Form, finde ich.« »Vielleicht ist sie nur wegen dieser Elfengeschichte so besorgt«, sagte Tara. »Das ist es nicht«, schaltete sich Spike ein. »Unser Goldköpfchen hat einen wehen Zahn!« »Oh je«, murmelte Willow und versuchte, sich aufzurichten. »Schlimm. Das ist wirklich schlimm. Da muss sie aber was unternehmen.« Tara legte ihr beruhigend die Hand auf den Kopf. »Schscht.« »Sie weiß nicht, was sie machen soll. Zahnschmerzen, aber keine Versicherung.« Spike schüttelte den Kopf. »Versucht, es einfach auszusitzen.« »Dann muss sie den Zahnarzt eben bezahlen«, sagte Anya, als sei dies das Einfachste von der Welt. »Man kann Zahnärzte doch cash bezahlen, oder?« Dawn schlug die Augen nieder. »Wir... ähm, wir haben im Moment nicht so viel Geld. Mom hatte keine Krankenversicherung für Zahnbehandlungen abgeschlossen. Sie hatte eine Lebensversicherung, aber uns wurde gesagt, es kann noch zwei Monate dauern, bis wir den Scheck bekommen. Ich verstehe das alles nicht.« »Aber«, stammelte Tara, »Buffy kann doch ihren Zahn nicht einfach vergammeln lassen, nicht wahr?« »Glaubt ihr nicht, das wird von allein wieder besser?«, fragte 103
Dawn. »Sieht nicht so aus«, antwortete Spike. »Ich glaube, deine große Schwester hat schon alles Mögliche ausprobiert und es wird nur noch schlimmer.« Dawn sah Willow und Tara an. »Kennt ihr vielleicht einen Zauber? Irgendein Heilmittel?« Willow setzte sich auf. »Ich glaube, ich weiß was.« »Nein, Schatz«, sagte Tara und versuchte, ihre Freundin am Aufstehen zu hindern. Willow lächelte matt. »Keine Sorge, hat nichts mit Magie zu tun. Völlig unmagisch. Nur ein kleines Mittel gegen Buffys Zahnweh.« »Sie ist verdammt dickköpfig«, bemerkte Spike. Dawn sah ihn an und riss erschreckt die Augen auf. »Da ist ja Blut! Spike, das habe ich ganz vergessen. Deine Hand!« Spike sah sie verlegen an. »Das wollte ich die ganze Zeit der Jägerin zeigen.« »Was denn?«, fragte Buffy, die in diesem Augenblick die Treppe herunterkam. Spike streckte ihr die Hand entgegen und öffnete sie langsam. Buffys Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Oh... mein... Gott! Bist du verrückt geworden, Spike?« Spike sah sie verdutzt an. »Ich habe ihn ausgeknockt. Er wollte mich immer wieder beißen, da musste ich das ja wohl tun, oder?« Xander kam aus dem Keller nach oben. »Buffy, hast du irgendwo noch dickere Bohrer?« Verblüfft blieb er stehen und blickte auf Spikes Hand. »Den hast du die ganze Zeit da stecken, seit wir im Park waren?« Xander schüttelte den Kopf. »Wie oft ich mir auch schon gewünscht habe, Spike aufgespießt zu sehen – so habe ich mir das nie vorgestellt!« Giles kam neugierig aus der Küche, in der einen Hand ein Glas Saft und in der anderen einen angebissenen Toast. »Ach du liebe Zeit! Was hat Sie denn dazu getrieben, sich einen 104
Pflock in die Hand zu jagen?« Spike verdrehte die Augen. »Das kann man ja wohl nicht Pflock nennen. Ist doch nur ein Zahnstocher, nicht wahr? Ich dachte, wir können diese Bazille ausquetschen, wenn sie wieder zu sich kommt«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf das kleine Flügelwesen in seiner Hand. »Hör mal, Spikey, sei nicht enttäuscht, aber du darfst ihn leider nicht behalten«, sagte Xander in väterlichem Ton. »Du weißt ja, wie es endet. Hinterher sind wir es, die ihn füttern und den Käfig sauber machen müssen.« Spike ignorierte die Störung. »Jedenfalls bin ich froh, dass er noch nicht wieder zu sich gekommen ist. So bewegt er sich wenigstens nicht. Gepfählte Vampire können nichts mehr sagen. Ich denke, das hier ist sozusagen ein Kriegsgefangener.« Buffy verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum hast du ihn dir nicht einfach in die Tasche gesteckt?« »Da hätte er sich ja innerhalb von Sekunden mit seinen spitzen Zähnen befreien können.« »Ja, das stimmt vermutlich«, sagte Giles. »Vielen Dank, Spike. Das war sehr... pragmatisch. Aber nun ist es vielleicht ratsam, unseren Gefangenen zu verlegen. Dawn, habt ihr irgendwo ein Glasgefäß oder... ein Stück Pappkarton?« »Ich habe noch ein bisschen Pappe von dem Modell übrig, das ich für die Schule gebaut habe.« »Das sollte genügen.« Giles biss in seinen Toast und kaute nachdenklich. »Leider weiß ich gar nicht, ob wir überhaupt mit unserem... geflügelten Gast kommunizieren können, wenn er zu sich kommt.« »Natürlich können wir das«, sagte Anya. »Naturgeister sprechen immer die Sprache der Region, in der sie sich aufhalten.« Buffy zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Und was sprechen sie in Amerika? Spanisch oder Englisch?« »Wahrscheinlich Englisch«, sagte Anya, »und 105
selbstverständlich Italienisch, denn aus Italien kam diese Sippe ja.« Sie lächelte stolz. »Giles, Spike und ich sprechen alle drei Italienisch und ich kenne auch ein paar Wörter Elfensprache.« Sie breitete ungeduldig die Hände aus. »Alles, was wir noch brauchen, ist also, dass er wieder zu sich kommt!« Xander runzelte die Stirn. »Woher wollen wir wissen, ob er überhaupt zu sich kommt?«, fragte er. »Vielleicht ist er ja schon tot.« »Es hat noch nicht puff gemacht«, sagte Willow. »Das müsste es doch, wenn er stirbt, oder?« Buffy nickte energisch. »Ich habe ein paar getötet. Und es hat definitiv puff gemacht. Was stellen wir denn jetzt mit dem schlafenden Wicht an?« »Bin schon dabei«, sagte Spike. Er stand auf, ging in die Küche und kehrte mit einem Handtuch, einer Schüssel Wasser, einem Schwamm und ein paar Zahnstochern ins Wohnzimmer zurück. Als Dawn ein Stück Pappe brachte, löste Spike den Elfen von seiner Hand und pinnte ihn auf der Unterlage fest. Nachdem er das Handtuch auf dem Tisch ausgebreitet hatte, legte er die Pappe mit dem Elfen darauf. »Dabei? Wobei denn?«, fragte Buffy. »Willst du ihn baden?« »Der Kleine hat lange genug gepennt«, sagte Spike. »Jetzt ist Schluss!« Er tauchte den Schwamm ins Wasser, hielt ihn über den bewusstlosen Vampirelfen und ließ ihm ein paar Tropfen aufs Gesicht platschen. Er zuckte mit den Flügeln. Dann prustete der Elf, schüttelte den Kopf und öffnete die Augen. Die ganze Gruppe versammelte sich im Halbkreis um ihn und blickte neugierig auf ihn nieder. Der kleine Elf hatte silbernes Haar und trug eine moderne Igelfrisur, mit der er aussah wie ein Miniatur-Rockstar – abgesehen von den durchsichtigen ovalen Flügeln natürlich und von seiner lavendelfarbenen Kleidung, die das leuchtende Lila seiner Augen zusätzlich betonte. »Wahnsinn!« Dawn starrte ihn fasziniert an. »Wie quetscht 106
man denn einen Elfen aus?« »Wir könnten es mit ein paar Celine-Dion-Platten ausprobieren.« Xander grinste verschmitzt. »Wie lange hält das ein Gefangener wohl aus? Und wenn das nicht funktioniert, versuchen wir es mit Don Ho.« Der Elf zeterte wie wild geworden und hob schützend die Arme vor den Kopf. Er versuchte, sich aufzurappeln, und schien in diesem Augenblick erst den Pflock zu bemerken, mit dem er festgepinnt war. Er griff nach dem Zahnstocher und versuchte, sich ihn aus dem Leib zu ziehen, aber es gelang ihm nicht. »Wenn Anya Recht hat, dann versteht dieser Elf alles, was wir sagen, und kann auch antworten.« Giles legte nachdenklich einen Finger ans Kinn. »Ganz bestimmt! Im Park haben sie mich verstanden, da bin ich sicher«, sagte Willow. Spike stemmte die Hände links und rechts von dem Gefangenen auf den Tisch. »Also los, dann spuck es aus! Verrat uns, was ihr vorhabt, oder ich jage dir diesen Pflock mitten ins Herz!« Giles rückte seine Brille zurecht, beugte sich vor und sagte freundlich: »Also, hallo!« Spike räusperte sich. »Sie kommen mir gerade in die Quere! Ich versuche hier die Nummer mit dem bösen Cop, falls Sie verstehen.« »Oh, tut mir Leid.« Giles richtete sich auf und Buffy beugte sich zu dem Elfen vor. »Hi, ich bin Buffy«, sagte sie. »Und du bist in großen Schwierigkeiten!« »Sag uns für den Anfang erst mal, wer du bist«, fügte Xander hinzu. »Und den Quatsch mit Name, Rang, Seriennummer und so weiter kannst du dir sparen. Die Genfer Konvention gilt nicht für Elfen.« Der lilafarben gekleidete Elf schüttelte verwirrt den Kopf. 107
»Mi chiamo Lucket. Abbiamo bisogno d’un interprete.« »Wir haben schon drei Übersetzer hier, Lucket. Aber eigentlich brauchen wir gar keinen.« Anyas sachlicher Tonfall klang bedrohlich. »Hör auf mit dem Theater! Wir wissen, dass du unsere Sprache sprichst, also zwing uns nicht, Gewalt anzuwenden!« Das kleine Wesen gab ein summendes, zischendes Geräusch von sich und stieß dann ein einziges Wort hervor: »Dämon.« »Oh«, machte Anya überrascht und erfreut zugleich. »Du erinnerst dich an mich?« Der Elf sprach mit einer sehr hohen Stimme, als hätte er gerade einen Zug aus einem Heliumballon genommen, aber seine Worte waren klar und deutlich zu verstehen. Und was noch merkwürdiger war: Sein Akzent ähnelte dem italienischer Einwanderer in New Jersey – vielleicht hatte er ja tatsächlich bei ihnen die Sprache erlernt. »Ja, ich erinnere mich an dich. Keiner von unserer Sippe hat dich oder diese dreckige Hexe Devara vergessen. Vor hunderten von Jahren hast du uns die Lebensfreude geraubt und einen Fluch über uns gebracht, mit dem wir uns bis zum heutigen Tag herumschlagen.« »Ich?«, entgegnete Anya aufgebracht. »Ich habe euch nicht verflucht. Ich habe einen Vampirdämon vernichtet. Und abgesehen davon habe ich nur meinen Job gemacht. Ich versichere dir, das war nicht persönlich gemeint. Devara war diejenige, die den Dämon über euch gebracht hat.« »Was ist eigentlich aus dieser Hexe geworden?«, fragte Dawn. »Ach«, sagte Anya, »die hat sich wieder verliebt, hat geheiratet und ein Kind bekommen. Zehn Jahre später sind sie allerdings, wie ich hörte, alle in einem Brunnen ertrunken. Irgendein dummer Unfall.« Buffy sah Anya skeptisch an. »Oder auch nicht.« Der Elf brummte höhnisch. »Es war eine perfekte Falle. Welche Frau würde nicht darauf hereinfallen, wenn ihr Mann 108
und ihr Sohn verzweifelt aus einem Brunnen um Hilfe schreien?« »Ach ja, damals ging’s noch richtig unanständig zu«, meinte Spike. »Hätte mir auch mal einfallen können«, murmelte er leise vor sich hin. Buffy sah ihn böse an. »Macht nur weiter, ihr beiden Killer, und plaudert in Ruhe ein bisschen über euer Handwerk. Lasst euch von denjenigen unter uns nicht stören, in denen einfühlsame, menschliche Herzen schlagen!« Spike sah sie betroffen an. »Ich meine doch nur, Liebes, es gibt gewisse Kunstgriffe...« Seine Stimme erstarb. »Pass bloß auf!«, drohte der Elf Anya. »Du bist nämlich als Nächste an der Reihe!« Und damit verfiel er in Schweigen und sagte kein Wort mehr. Vesuva, deren Leuchten vollkommen erloschen war, presste das Gesicht ans Fenster und beobachtete, wie die Menschenmonster Lucket verhörten. Weil sie gesehen hatte, wie der blonde Vampir ihn gefangen hatte, war sie ihm in der Hoffnung gefolgt, ihren Freund irgendwie retten zu können. Aber sie hatte keine Chance. Lucket war in dem Haus ein- und Vesuva draußen ausgesperrt. Also hatte Vesuva zugehört. Königin Mabyana war bestimmt höchst interessiert daran, was die Menschenmonster sagten. Im Haus wurden die Vorhänge zugezogen. Aber die Menschen konnten ja nicht ewig drinnen bleiben. Vesuva wollte der Königin vorschlagen, Späher am Haus zu postieren, die Alarm schlagen sollten, wenn sich auch nur eines der Monster herauswagte, damit der Rest der Sippe die notwendigen Maßnahmen ergreifen konnte. Rasch sauste sie davon, um die Elfenkönigin zu informieren.
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18 Königin Mabyana war alles andere als erfreut zu hören, dass die grobschlächtigen Menschen tatsächlich einen ihrer Gefolgsmänner gefangen genommen hatten. Entrüstet warf sie das glänzende goldene Haar in den Nacken und zupfte am Rocksaum ihres grünen Kleides. Wie konnten sie es wagen! Lucket war einer ihrer Lieblinge. Mab legte die Stirn in Vampirfalten. Über ein Dutzend Mitglieder ihrer Sippe waren von ein paar geistlosen Menschen und einem Verrätervampir in Staub verwandelt worden. Das schmerzte. Warum nahm eigentlich nie jemand auf ihre Gefühle Rücksicht? Natürlich konnte sie auch versuchen, tapfer zu sein und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber Mab drängte es, Rache zu nehmen. Wieder einmal. Sie nahm sich Zeit, einen Plan auszuhecken, während die anderen ganz gemächlich mit ihrem Streich begannen. Als einfache Übung zum Einstieg ließen sie bei den zahlreichen Autos, die am Straßenrand parkten, die Luft aus den Reifen. Als Nächstes schwärmten sie in alle Richtungen aus, flogen über die Dächer hinweg und schickten allen Kindern und Tieren in den Häusern Alpträume. Einige der Leutnants lösten in Schulen, im Rathaus, in Hotels und Krankenhäusern die Alarmanlagen aus. Die Elfenkönigin selbst fand in einem kleinen Schuppen in einem Hinterhof einen Benzinkanister, entzündete ihn mit einem Funken und sah zu, wie er explodierte. Sie freute sich, denn die Feuerwehr hatte bereits mit den unzähligen Fehlalarmen alle Hände voll zu tun und würde sicherlich viel zu spät eintreffen. Steet folgte einer spontanen Eingebung, nahm ein paar Vampirelfen mit und flog mit ihnen zu einem Leitungsmast, über den mehrere Stromkabel liefen. Seine kirschrote 110
Punkfrisur leuchtete in der Dunkelheit. Die Elfen vereinten ihre mentalen Kräfte und ließen die Leitungen zerreißen, deren Enden Funken sprühend zu Boden fielen. In einem Häuserblock nach dem anderen ging das Licht aus. Die Elfen stellten auf ihrem Weg in die Innenstadt immer mehr an. Dorse zischte wie ein blauer Blitz durch die Luft und landete auf einer Ampel, um sie von Rot auf Grün umzuschalten. Bald schon quietschte es auf der Kreuzung. Autos aus mehreren Richtungen stießen zusammen. Glas splitterte. Überall wurde gehupt. Obwohl auf eine Windschutzscheibe Blutspritzer zu sehen waren, war Mab noch nicht zufrieden. Eigentlich war sie im Laufe der Jahre zu der Überzeugung gelangt, dass es nutzlos war, Rachegelüste gegen eine Dämonin zu hegen, die vermutlich gar nicht mehr existierte – eine Dämonin, die ihr einst so fröhliches und idyllisches Königinnenleben mit Heerscharen wunderbarer Verehrer in einen nicht enden wollenden, blutrünstigen Alptraum verwandelt hatte. An diesem Abend hatte die Elfenkönigin jedoch die Dämonin wiedergesehen. Keine besondere Überraschung, wenn man bedachte, dass in dieser Stadt wie auch immer geartete mystische Energien zusammenliefen. Wenn es Mabyana und ihre Sippe dorthin gezogen hatte, warum dann nicht auch eine Dämonin? Nun wallte Mabs Zorn von Neuem auf. Ihre Getreuen hatten Anyanka beinahe erwischt, aber dann war dieser trottelige Mann dazwischengegangen. Der »Freund«. Von diesem Rückschlag ließ sich Mab jedoch nicht entmutigen, denn die goldene Königin war ebenso begabt wie schön. Es gab viele Möglichkeiten der Bestrafung – und Anyanka konnte sich auf etwas gefasst machen. Mab hatte nie etwas anderes sein wollen als die geliebte Herrscherin ihrer Elfensippe. Solange sie jedoch mit dem Fluch leben musste, würde sie tun, was der Instinkt ihr riet. Mab wollte kein einziges Mitglied ihrer Sippe 111
mehr verlieren – weder an Dämonen noch an Menschen. Sie hatte inzwischen einen Plan ersonnen, um eine sehr, sehr alte Rechnung zu begleichen. Die Tatsache, dass Vesuva sie ursprünglich auf diese Idee gebracht hatte, vergaß sie dabei vollkommen. Da rasches Handeln erforderlich war, ließ sie ihre Leute zusammentrommeln. Der Plan würde ihnen sicherlich gefallen. Er war einfach, aber sehr reizvoll.
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19 Die nächsten Stunden wurden im Haus der Summers mit Tätigkeiten verbracht, die typisch waren für die Post-KampfPhase. Lucket kam im Esszimmer in Einzelhaft. Es bestand die sehr wahrscheinliche Möglichkeit eines weiteren Angriffs der Mikrovampire auf ein unschuldiges Opfer, aber da der erste Plan der Scooby-Gang fehlgeschlagen war, brauchten sie Zeit für die drei großen »R«: Recherche, Ruhe und Reorganisation. Zudem brauchten sie bessere Waffen und eine neue Strategie. Tara erledigte einige Anrufe, während Willow sich auf der Couch erholte. Xander verschwand wieder im Keller. Giles kümmerte sich um Anya. Ihr Handgelenk war dick geschwollen. Wahrscheinlich hatte sie sich die Verletzung zugezogen, als Xander sich auf sie gestürzt hatte, um sie den Vampirelfen zu entreißen. Auf der überstürzten Flucht vom Weatherly Park zu Buffy nach Hause hatte Anya die Schmerzen zunächst nicht bemerkt, aber nun tat ihr Handgelenk mächtig weh. Giles kühlte es mit einem Eisbeutel und legte gekonnt einen elastischen Verband an. »Vielen Dank«, sagte Anya. »Aus Ihnen wäre bestimmt ein guter Arzt geworden. Ärzte verdienen übrigens ziemlich viel Geld!« Giles lächelte bescheiden. »Ja, nun, das gehört alles zu den Pflichten eines Wächters. In meiner Funktion als Feldarzt werde ich großzügig vom Rat der Wächter bezahlt.« Er rückte seine Brille zurecht. »Aber auch wenn ich nicht dafür bezahlt würde, wäre es sehr dumm von mir, mich nicht um die Gesundheit meiner besten Angestellten zu kümmern.« Anya strahlte ihn an. »Danke! Meine Freude über dieses Kompliment lasse ich mir nicht von der Tatsache vermiesen, dass ich Ihre einzige Angestellte bin.« Sie runzelte die Stirn. »Aber mein Handgelenk tut immer noch weh. Wann hören die 113
Schmerzen denn auf? Ich kann Verletzungen nicht ausstehen.« »Ja, nun, es wird noch ein Weilchen dauern«, entgegnete Giles ehrlich. »Hier, versuch es damit!«, sagte Dawn, ließ zwei Aspirin aus einem Plastikfläschchen auf den Tisch kullern und reichte sie Anya. »Spezialität des Tages!« Sie hielt das Fläschchen hoch. »Sonst noch jemand?« »Oh ja! Ich!«, rief Buffy und kam ins Zimmer. Giles sah sie überrascht an. »Hast du dich im Kampf verletzt?« Buffy machte eine lässige Geste. »Natürlich nicht. Sie kennen mich doch, ich lasse mir nur ungern die Spezialitäten des Hauses entgehen«, sagte sie. »Möchte jemand ein Glas Wasser?«, fügte sie rasch hinzu, um das Thema zu wechseln. »Eiswürfel gibt’s gratis!« »Danke, Eis habe ich schon«, entgegnete Anya und zeigte auf den Beutel auf ihrem Handgelenk. Tara nickte. »Ich glaube, Willow braucht noch etwas zu trinken.« Spike sah von seinem Sessel auf. »Hier steht wohl nicht zufällig irgendwo noch ein Single-Malt Scotch rum?« Buffy warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Spike presste die Lippen zusammen und schmollte. »Schon gut!« Er holte einen Flachmann aus der Jackentasche, schraubte ihn auf und nahm einen kräftigen Schluck. Giles, der noch neben Anya kniete, erhob sich. »Ich helfe dir mit den Gläsern, Buffy.« Es war fast Mitternacht, als Xander endlich aus dem Keller kam. Er knabberte an einem Schokoriegel und brachte das bearbeitete paddelförmige Brotschneidebrett mit. »Was ist das?«, fragte Buffy und sah sich seine Erfindung an. Hilfsbereit antwortete Anya für ihn. »Schokolade«, sagte sie und sah Xander an. »Ist das der Köder für die neuartige 114
Mausefalle, die du gebaut hast?« Dawn verzog spöttisch den Mund. »Sieht aus wie ein Stachelschwein, das von einer Dampfwalze plattgefahren wurde – rückwärts.« »Könnte auch eine Haarbürste für einen Gnoxl-Dämon sein«, meinte Buffy. Spike zog eine Augenbraue hoch. »Ach was! Wahrscheinlich nur ein Rückenkratzer für unseren begnadeten Tischler.« Xander sah aus, als hätte er nicht übel Lust, Spike eins mit dem Brotschneidebrett überzuziehen. »Na, ich für meinen Teil habe wenigstens etwas Nützlicheres getan, als mich zu betrinken und darauf zu warten, dass dieses unkooperative Insekt den Mund aufmacht!« »Ich glaube, Insekten haben sechs Beine«, bemerkte Anya. Xander ignorierte ihren Kommentar. »Was hast du denn getan, außer einen nutzlosen Gefangenen mitzubringen?« Spike sah Xander herausfordernd an. »Fünf Flatterbiester habe ich immerhin eigenhändig gepfählt. Wie viele hast du denn erledigt?« Xander wandte den Blick von Spike ab. »Da bin ich aber total unbeeindruckt! Ich lebe nämlich nicht in der Vergangenheit, wenn du verstehst. Sicher, du hattest heute im Park vielleicht die Nase vorn, aber das wird sich bald ändern. Ich schaue auf die Zukunft.« »Erklär uns doch einfach, was du da gebaut hast, Xander«, forderte Buffy ihn auf. Xander hob das paddelförmige Brotschneidebrett hoch, um ihnen die vielen Reihen Zahnstocher zu zeigen, die er darauf angebracht hatte. Zwischen den potenziell tödlichen Minipflöcken hatte er das Brett an mehreren Stellen durchbohrt, um den Luftwiderstand zu verringern. »Sieht ein bisschen aus wie eine Frankenstein-Bastelarbeit, aber was ihr hier vor euch habt, meine Freunde, ist der runderneuerte und verbesserte Jagdomat.« Er holte mit dem Brett aus wie mit 115
einem Baseballschläger. »Wie wir gesehen haben, waren diese kleinen Biester viel zu schnell für uns und wir hatten Schwierigkeiten, sie zu erwischen. Aber mit diesem Baby hier« – er holte erneut aus und verharrte in der Bewegung, als hätte er einen unsichtbaren Baseball weggeschlagen – »wird Zielgenauigkeit zur Nebensache.« Giles zog neugierig die Augenbrauen hoch. »Ausgezeichnet! Ich würde sagen, damit kann man bestimmt ziemlich viele Vampirelfen auf einen Streich ausschalten.« Er seufzte. »Und es gibt anscheinend auch ziemlich viele davon.« »Ja, genau, was war das eigentlich?«, fragte Buffy. »Am Freitagabend waren sie vielleicht zwanzig, heute zunächst nur wenige mehr, aber nicht besorgniserregend viele. Dann noch ein paar mehr und noch mehr und dann plötzlich, mit einem Schlag, eine ganze Plage im Unterholz.« »Es waren über hundert«, sagte Willow vom Sofa aus. »Ich habe angefangen zu zählen, aber dann habe ich den Faden verloren wegen der Rennerei und dem Teleportationszauber und...« »Und der Stolperei und den Kopfschmerzen«, fügte Tara hinzu. »Also gut«, sagte Giles. »Wir haben keine Ahnung, wie groß diese Elfensippe tatsächlich ist.« »Die Sippe bestand damals in Italien aus mindestens tausend Elfen«, sagte Anya. Giles nahm seine Brille ab. »Und es handelt sich ganz sicher um dieselbe Sorte?«, fragte Buffy. »Lucket weiß definitiv, wer ich bin. Und ich habe im Park ihre Königin wiedererkannt«, entgegnete Anya. »Sie schien sehr wütend zu sein.« Xander seufzte. »Also haben sie versucht, dich zu einer kleinen Party ins Elfenland zu entführen, hm?« »Ich verstehe nicht warum«, sagte Anya. »Ich habe ihnen 116
doch gar nichts Böses getan.« Buffy sah sie ungläubig an. »Du meinst, abgesehen davon, dass wir sie töten wollten?« »Und dass du ihre Verwandlung in Vampire überhaupt erst ermöglicht hast!«, ergänzte Willow. Anya sah die beiden verwirrt an. »Ich habe nur meinen Job gemacht. Das war doch nichts Persönliches!« »Sieht aber so aus, als hätte es jemand sehr persönlich genommen«, bemerkte Spike. »Wie lautet also das Fazit der ganzen Geschichte?«, fragte Tara. »Anya hat viele Feinde, von denen sie gar nichts wusste, und es könnten Tausende sein?« Buffy zog die Mundwinkel nach unten. »Ich weiß. Man wird schon müde, wenn man nur dran denkt.« »In der Tat«, pflichtete Giles ihr bei. »Ich glaube, wir können alle etwas Ruhe gebrauchen. Und morgen früh denken wir uns einen neuen Plan aus – der hoffentlich effektiver sein wird als der alte.« Dawn und Buffy verteilten Kissen, Decken und Schlafsäcke an ihre Freunde. Tara sah beklommen zum Fenster. »Die Elfen sind immer noch da draußen.« »Und sie haben noch nichts gegessen«, fügte Willow schläfrig hinzu. »Hoffentlich nimmt heute Nacht niemand mehr Schaden.« »Die haben viele Mäuler zu stopfen«, bemerkte Spike nachdenklich.
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20 Um fünf Uhr morgens wurde Xander mit einem steifen Hals wach. Er hatte sich das Sofa mit Anya geteilt. Behutsam löste er sich aus den Armen seiner schlafenden Freundin und gab Acht, dabei nicht an ihr bandagiertes Handgelenk zu stoßen. Er stand auf und rieb sich den schmerzenden Nacken. Giles schlief auf der anderen Seite des Couchtisches im Schlafsack auf dem Boden und Spike döste im Sessel. Buffy, Dawn, Tara und Willow waren vermutlich zum Schlafen nach oben gegangen. Draußen war es immer noch dunkel. Da Xander wusste, dass es ihm nicht gelingen würde, noch mal einzuschlafen, ging er nach oben ins Bad, um rasch zu duschen, und zog sich die Klamotten wieder an, die er schon die ganze Nacht getragen hatte. Dann ging er in die Küche, um nachzusehen, was der Haushalt der Summers zum Frühstück zu bieten hatte. Das Ergebnis der Suche war nicht besonders ermutigend. Im Kühlschrank fand er zwei Eier, einen Rest Orangensaft in einer Plastikflasche, etwas Milch, die allerdings schon das Verfallsdatum überschritten hatte, und ein halbes Stück Butter. In der Speisekammer sah es nicht viel besser aus. Alle vier Frühstücksflocken-Packungen waren fast leer. Xander schüttelte den Kopf. »Ganz schön armselig, das Angebot!« Brot war überhaupt keins da, lediglich die leere Tüte fand Xander im Mülleimer. Es fehlte jede Grundlage für ein Frühstück. Xander schob entschlossen den Unterkiefer vor und murmelte: »Unter meinem wachsamen Auge wird niemand verhungern.« Er musste auf Nahrungssuche gehen. Vielleicht würde er auch kurz zu Hause reinschauen und sich frische Sachen anziehen. Er schrieb eine kurze Nachricht für Anya – Besorge was fürs Frühstücken etc. Bin um sieben wieder da, XOXOX, Xander – und bereitete die Kaffeemaschine vor, damit er sie bei seiner Rückkehr nur noch einschalten musste. 118
Die Uhren waren erst kürzlich auf Sommerzeit umgestellt worden und es war immer noch recht dunkel. Xander wusste zwar nicht genau, wann die Sonne aufging, aber schätzungsweise würde es noch eine Stunde dauern. Obwohl er nicht damit rechnete, dass sich die Mikrovampire noch so kurz vor Tagesanbruch draußen herumtrieben, nahm er sicherheitshalber ein Kreuz und ein paar Zahnstocher mit. Nachdem er sich seine Jacke übergezogen hatte, verließ er das Haus und trat in die kühle Morgenluft. Mit dem Kreuz in der Hand hielt er aufmerksam nach möglichen Gefahren Ausschau. Die Straßen von Sunnydale waren ruhig und Xander genoss die Stille, während er in flottem Tempo zur Bäckerei marschierte. Dort angekommen steckte er das Kreuz in die Hosentasche. Es machte ihm großen Spaß, die süßen Leckereien für seine Freunde auszusuchen. Schokoladenkuchen mit Streuseln für Dawn, eine Bärentatze für Anya, einen Berliner für Willow. Dummerweise konnte er sich nicht erinnern, welche Donuts Tara am liebsten mochte, also wählte er ein paar extragroße mit Zuckerguss und ein paar mit Vanillecremefüllung. Sie passten zu Tara, fand Xander. Und dann waren da natürlich noch die mit Himbeergelee für Buffy und Giles – und, wie er annahm, auch für Spike. Zur Sicherheit suchte er noch ein paar Zimtrollen, einen Riegel mit Ahornsirup, ein paar Donuts mit Puderzucker und drei Buttermilch-Donuts mit Zuckerguss aus. Zwei Dutzend bunt gemischte Donut-Löcher legte er noch zur freien Verfügung drauf. Genug Kohlenhydrate, um selbst die anstrengendste Vampirjagd zu überstehen. Xander bezahlte und verließ die Bäckerei mit einer großen pinkfarbenen Schachtel voller Frühstückskostbarkeiten. Noch war alles friedlich, aber schon bald ging die Sonne auf und die Sonntagsausflügler stürzten sich in die südkalifornischen Verkehrsstaus. Xander knurrte der Magen. Er beschloss, nicht mehr zu Hause vorbeizugehen, um sich umzuziehen, 119
überquerte die Straße und machte sich auf den direkten Rückweg zu Buffy. So viele Leckereien in den Händen zu halten war für ihn wie immer ein berauschendes Gefühl. Unterwegs schob er den Deckel der Schachtel hoch, steckte die Hand hinein und holte sich eins von den kleinen DonutLöchern heraus. Er hatte gerade den süßen Happen in den Mund gesteckt und fing an zu kauen, als er aus dem Augenwinkel ein Leuchten hinter einer Hecke zu seiner Rechten wahrnahm. Er drehte sich um, aber da war nichts. Da flackerte links von ihm etwas auf. Ruckartig sah er zur Seite, aber er konnte nichts entdecken. »Da stimmt wohl was mit den Gaslaternen nicht, hm?«, murmelte Xander, aber ihn beschlich ein merkwürdiges Gefühl. Der Sonnenaufgang ließ höchstens noch eine Viertelstunde auf sich warten. Die Elfen würden es doch niemals wagen, sich zu dieser Zeit noch draußen aufzuhalten, oder etwa doch? Noch ein Blinken, diesmal am oberen Rand von Xanders Gesichtsfeld. Er kaute zu Ende und schluckte. Wie ungern er es auch zugab – vielleicht wäre es keine schlechte Idee gewesen, Spike zu wecken und ihn mitzunehmen. Es war zwar pervers, aber der Untote erwies sich manchmal durchaus als nützlicher Begleiter. Den großen Bösewicht griffen die Mikrovampire wahrscheinlich nicht an. Ein leises Summen lag in der Luft, nicht sonderlich unheilverkündend. Eine kleine Elfe tauchte plötzlich in einem leuchtend roten Lichtschein vor Xander auf, nur um Armeslänge von ihm entfernt. Dann kamen eine zweite, dritte und vierte hinzu und sie versammelten sich direkt über der Küchenschachtel. Magentafarbenes, indigoblaues, kirschrotes und apricotfarbenes Licht schimmerte in der Dunkelheit. Xander blieb wie angewurzelt stehen. »Hört mal, gestern Abend, das war alles ein einziges großes Missverständnis.« Er wich zur Seite aus und versuchte, einen Bogen um die Elfen zu 120
machen, aber sie folgten ihm. Xander beobachtete beklommen und fasziniert zugleich, wie eines der geflügelten Biester auf der Ecke der Schachtel landete und wie beim Bodenturnen eine Bahn Räder, Handstand-Überschläge und Salti diagonal über den Deckel vollführte. »Der russische Punktrichter gibt fünf Komma zwei«, murmelte er. Die zweite Elfe landete auf der anderen Ecke der Schachtel und stellte auf ebenso beeindruckende Weise ihre Fähigkeiten zur Schau wie die erste. Nun standen beide auf den Xander zugewandten Ecken der Schachtel. »Also, Leute«, fing Xander an und grinste nervös, »es ist wirklich nicht so, als wüsste ich den hohen künstlerischen Wert eurer Darbietung nicht zu schätzen – denn das tue ich wirklich –, aber ich muss jetzt unbedingt gehen.« Plötzlich waren an allen vier Ecken der Schachtel Elfen und versuchten, sie ihm wegzunehmen. Xander hielt sie fest und wich zurück. »Oh, nein, für euer Frühstück müsst ihr schon ein bisschen mehr bieten. Wenn ihr Hunger habt, dann müsst ihr...« Er erstarrte. Wenn diese Mikrovampire Hunger hatten, gaben sie sich gewiss nicht mit Donuts zufrieden... Rasch änderte er seine Taktik. »Vielleicht können wir ja auch einen Kompromiss schließen.« Er holte ein Donut-Loch mit Schokoguss aus der Schachtel und hielt ihn einer der Elfen hin. Das Wesen mit dem apricotfarbenen Haar schnappte sich das Ding, obwohl es beinahe so groß war wie es selbst, und hielt es mühelos fest wie einen überdimensional großen Wasserball. Die Elfe probierte, zwitscherte ihren Begleitern etwas zu und warf das runde Gebäckstück auf den Boden. Nun erschien ein Dutzend Elfen auf der Bildfläche und bildete einen Kreis um Xander. Manche hatten irgendwelche Knäuel in den Händen, Xander konnte nicht erkennen, was es war. Urplötzlich verwandelten sich sämtliche Elfen ringsum in fliegende Miniaturvampire mit vorgewölbter Stirn, scharfen Zähnen und schwarz geäderten Flügeln. 121
»Oh je«, murmelte Xander. »Das kann nichts Gutes bedeuten.« Er machte unsicher einen Schritt nach hinten und stieß mit zwei Elfen zusammen, die ihn sofort an den Haaren zogen. Xander hielt mit der einen Hand seine Schachtel fest, während er mit der anderen versuchte, die Elfen von seinem Kopf zu verjagen. Wie ihm klar wurde, hatte er einen weiteren fatalen Fehler gemacht – einen, den ein Soldat niemals machen durfte: Er war beklagenswert unvorbereitet ins Kampfgebiet vorgedrungen. Seine dürftigen Waffen halfen ihm so gut wie gar nicht. Xander holte einen Zahnstocher aus der Tasche und stach auf den nächstbesten Flattervampir ein, aber er verfehlte ihn. Eigenartigerweise schienen die Wesen nun dreister, nicht mehr so ängstlich wie am Vorabend. Zwei von ihnen flogen von links und rechts an den Zahnstocher heran, ergriffen ihn und rissen ihn Xander aus den Fingern. Er kramte in seiner Tasche und tastete nach einem neuen, aber der rutschte ihm aus den Fingern und fiel auf den Gehsteig. Nicht gut! Eine Elfe schnappte sich die Waffe, bevor er sich bücken und danach greifen konnte. Xander zog das Kreuz aus der Hosentasche. Er holte aus, traf aber nur eine einzige Elfe. Da bekam er einen Stoß von hinten. Er versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er mit Kreuz und Kuchenschachtel jonglierte, aber das Kreuz rutschte ihm aus den Fingern und landete unter einem Busch. Verzweifelt riss er den Deckel von der Schachtel und bewarf eine der Elfen mit einem Donut. Sie sauste rückwärts durch die Luft und klammerte sich verzweifelt an das ringförmige Gebäckstück. Xander griff nach der Bärentatze, legte sie wieder weg und warf stattdessen den Berliner. »Er verwirft Plan A und geht zu Plan B über«, sagte Xander laut und feuerte den Ahornsirupriegel und einen Donut auf die Elfen. Er nickte, als die Geschosse trafen und eine weitere Elfe weißbepudert außer Gefecht gesetzt wurde. »Wieder eine 122
weniger!« Nun erschienen mehr Elfen, zupften an seinen Ärmeln und zogen ihn an den Haaren. Xander nahm einen Donut mit Geleefüllung und klatschte ihn einer Elfe auf den Kopf, die an seinem Arm hochkletterte. Völlig eingekleistert mit der klebrig-süßen roten Füllung purzelte sie zu Boden. Das melodische Summen wurde zu einem bedrohlichen, brummenden Geräusch und ringsum leuchteten überall kleine Lichter auf und erloschen wieder, als wollten die Elfen Xander verwirren und durcheinander bringen. Xander blinzelte und versuchte, sich auf jeweils einen seiner Gegner zu konzentrieren. In höchstens zehn Minuten geht doch die Sonne auf, dachte er. Wenn ich noch ein bisschen durchhalte, müssen die Elfen sowieso vor dem Tageslicht fliehen. Xander sammelte sich. Er warf noch einen Donut, noch einen und wieder einen. Treffer und Fehlschläge hielten sich die Waage. Er wünschte, er hätte als Vorsichtsmaßnahme seinen Jagdomat mitgenommen. Da spürte er einen kleinen Stich am Ohr und wusste, er war gebissen worden. Zum Glück hatte sich noch keine Elfe an seinen Hals herangewagt. Die Donuts gingen ihm allmählich aus und er griff auf die Donut-Löcher zurück, obwohl sie leichter waren und man mit ihnen nicht so gut traf. Am effektivsten ließen sie sich noch zum Einsatz bringen, wenn er sie den kleinen Vampiren ins Gesicht klatschte, die ihm auf den Armen und dem Kopf saßen. Während er mit großer Präzision zu Werke ging, verfolgte eine Reihe Vampirelfen das Kampfgeschehen vom Rande aus, als warteten sie nur darauf, dass ihm die Munition ausging. Dies war leider viel zu schnell der Fall. Zum Schluss blieb Xander nur noch die Bärentatze und ihm war schon ganz schwindelig vor Anstrengung. Er wusste nicht, wie ihm geschah, aber plötzlich waren überall um ihn herum blinkende Lichter, Dutzende und Aberdutzende. »Tut mir Leid, Ahn«, sagte er, nahm noch schnell einen 123
Bissen von der Bärentatze und schleuderte sie kraftvoll in eine Horde Elfen. Er wollte die leere Kuchenschachtel schon wegwerfen, schwang sie jedoch einer Eingebung folgend durch die Luft wie eine Baggerschaufel und fing damit ein paar von den Leuchtmonstern ein. Er warf die Schachtel zu Boden und stampfte fest darauf herum. Dann versuchte er wie ein belagerter Quarterback beim Football den Kordon der Gegner zu durchbrechen – wurde jedoch von unzähligen kleinen Händen an Jacke, Hose und Haaren zurückgerissen. Weil sie nun so viele waren, gelang es ihnen tatsächlich, ihn festzuhalten, und nun kamen auch die Elfen herbeigeflogen, die zuvor am Rande der Schlacht gewartet hatten. Sie hielten etwas in den Händen, das Xander nicht identifizieren konnte. Nachdem sie sich in Zweiergruppen aufgeteilt hatten, flogen zwei der Pärchen von vorn und hinten auf Xander zu. Nun begannen sie, ihn zu umkreisen; zwei Elfen links herum, zwei rechts herum. Dabei flogen sie im Zickzack auf und ab. Xander spürte, wie etwas fest um seine Arme gezogen wurde und blickte an sich herunter. Ein Seil! Sie versuchten, ihn zu fesseln! Seine Oberarme konnte er nicht mehr bewegen und er versuchte, die Hände hochzureißen, um sich von dem Seil zu befreien, aber die Elfen hatten ihn bereits fest verschnürt. Nun banden ihm zwei Elfen die Handgelenke zusammen und zwei andere fesselten ihm die Beine. Das Seil war offenbar aus den verschiedensten Materialien zusammengeknotet: Bindfäden, Drachenseil, Schnürsenkel, Garn, Paketkordel und Angelschnur. Dem Geruch nach zu urteilen, waren sie erst kürzlich aus dem Müll oder der Kanalisation gefischt worden. Panik stieg in Xander auf. »Habt ihr je daran gedacht, euch jemanden in eurer Größe auszusuchen?« Die Elfen flogen immer schneller mit dem Seil um ihn herum und verschnürten ihn immer fester. »Hört doch auf! Mir gefällt diese ganze Gulliver-Nummer nicht«, sagte Xander. 124
Als die Elfen fertig waren, flogen sie in komplizierten Mustern umeinander, um die Seilenden miteinander zu verknoten. Während sie noch letzte Hand anlegten, bauten sich einige andere Elfen, die vor Zorn laut summten, in Augenhöhe vor Xander auf und bewarfen ihn mit Donutresten. Eine knallte ihm ein Donut-Loch ans Ohr. Eine andere stopfte ihm ein klebriges Gebäckstückchen ins linke Nasenloch. Zwei Elfen, von denen eine mit rotem Glibber beschmiert war, kamen mit einem aufgeplatzten Geleedonut herbei und flogen schnurstracks auf Xanders Mund zu. Aber auf dem klebrigen Ding krabbelte etwas und Xander wehrte sich nach Leibeskräften. »Oh nein! Keine Ameisen jetzt! Keine Ameisen!« Er presste die Lippen fest zusammen und stieß kräftig die Luft durch die Nase aus. Das klebrige Donutstück schoss aus seinem Nasenloch und erwischte eine der Elfen, die den Geleedonut trugen. Zwei weitere leuchtende Vampire kamen zur Unterstützung hinzu, aber Xander weigerte sich, den Mund zu öffnen, und die wütenden Elfen mussten sich damit begnügen, ihm den zermatschten Donut gegen Lippen und Kinn zu klatschen. Xander schüttelte den Kopf, um das Ding loszuwerden. Er spürte das klebrigen Gelee auf den Lippen. Eine Ameise krabbelte über seine Unterlippe und ein paar liefen ihm über die Wange. Er versuchte erneut, ein Bein hochzuziehen und die Arme zu heben, um das Seil zu zerreißen, mit dem er gefesselt war, aber seine Bemühungen waren vergeblich. Ein Schwarm Elfen kam von vorn auf ihn zu und schubste ihn. Xander fiel um wie ein Kegel, der von einer Zehn-KiloKugel getroffen wird. Er schlug mit dem Kopf auf dem Gehsteig auf und die Welt um ihn wurde verschwommen grau. Nur undeutlich sah er Unmengen kleiner Lichter, die sich über seinen ganzen Körper ausbreiteten. Er spürte, wie sie ihn überall festhielten und dann merkte er, wie er vom Gehsteig abhob. 125
»Na, großartig! Konntet ihr mich nicht hochheben, ohne mich vorher umzuwerfen?«, knurrte er. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
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21 Bei Buffy hatten sich sämtliche verschlafenen Scoobies im Wohnzimmer versammelt, als das Telefon klingelte. »Nur ein Sadist ruft Sonntagmorgens um acht Uhr an!«, schimpfte Buffy müde. »Ich gehe dran«, sagte Anya und lief zum Telefon. »Das ist bestimmt Xander. Er ist jetzt schon seit Stunden unterwegs.« Sie griff mit der unverletzten Hand nach dem Apparat. »Auf dem Sofa war es sehr einsam ohne dich«, sagte sie und stutzte. »Oh, ich verstehe. Ich hatte meinen Freund Xander erwartet. Wie? Nun, sie wohnt nicht wirklich hier, aber ich kann sie holen.« Sie hielt das Telefon hoch. »Willow, irgendeine Frau will mit dir sprechen.« Willow und Tara wechselten verschwörerische Blicke. Buffy setzte sich auf und sah der rothaarigen Hexe hinterher, als sie ans Telefon ging. »Wer ruft Willow denn hier an? Noch dazu um diese Uhrzeit!« Willows Mutter konnte es nicht sein, sonst hätte Anya nicht von »irgendeiner Frau« gesprochen. Aber warum sollte jemand Fremdes Willow bei Buffy zu Hause anrufen? »Ja?«, sagte Willow ins Telefon und lauschte eine Weile. »Heute? Nein, das ist großartig. Perfekt. Wir... wir schaffen das. In einer halben Stunde? Sie wird da sein. Vielen Dank!« Willow stellte das Telefon ab und drehte sich mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht zu den anderen um. »Das war Doktor Wilson.« »Doktor Wilson?«, fragte Buffy. »Ist denn jemand von euch krank?« Dawn, die ans Sofa gelehnt auf dem Boden saß, sah ihre Schwester an. »Wir wissen es, Buffy.« »Was wisst ihr?« »Das mit deinem Zahn.« 127
Buffys Augen verengten sich zu Schlitzen und sie sah Spike giftig an. »Du tratschsüchtiger, verräterischer, jämmerlicher Sohn einer...« »Moment mal! Ich tratsche nie«, wehrte sich Spike. »Nein, nein, nein!«, rief Willow. »Nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute zeigen!« Tara lächelte Buffy besänftigend an. »Dawn hat sich wirklich große Sorgen gemacht. Spike wollte nur helfen.« Buffy machte ein böses Gesicht. »Sorgen? Worüber denn? Über das bisschen Zahnschmerzen?« »Komm schon, Buffy«, sagte Willow. »Wir haben alle gemerkt, dass du im Kampf nicht ganz auf der Höhe warst. Du weißt, was ich meine.« Dawn seufzte. »Du hast Fehler gemacht. Und du hast nichts gegessen. Und du verdrückst dich immer ganz allein.« Buffy bemühte sich, Gegenargumente zu finden, aber Spike verdrehte nur die Augen. »Sieh den Tatsachen ins Auge, Blondie, du bist nur mit halber Kraft dabei.« Willow schnalzte mit der Zunge. »Wir haben keine Zeit zum Diskutieren. Doktor Wilson erwartet Buffy in einer halben Stunde in der Uni-Praxis für Schüler und Studenten.« Buffy wurde blass. »Ähm, Willow, das ist wirklich nett von dir, aber da kann ich nicht hin, ich meine, ich gehe doch nicht mehr zur Schule...« Sie verstummte. Willow winkte ab. »Ist schon okay, Buffy. Mach dir keine Gedanken! Sie behandelt dich umsonst, aus Gefälligkeit mir gegenüber, uns gegenüber. Also, vielleicht eher als Gegengefallen für einen Gefallen, den wir ihr tun. Weißt du, Doktor Wilson ist alleinerziehende Mutter.« Buffy runzelte verwirrt die Stirn. Sie verstand kein Wort. »Ihr Sohn David geht mit mir und Willow in eine Klasse. Er will Tierarzt werden«, erklärte Tara. »Also habe ich David gestern Abend angerufen und ihm die Lage geschildert.« »Du weißt schon – dass deine Mutter gestorben ist und du 128
versuchst, alles auf die Reihe zu kriegen und auch noch den Haushalt zu führen«, sagte Willow. »Jedenfalls sagte uns David beim nächsten Anruf, seine Mutter würde dich umsonst behandeln, wenn ihm heute jemand beim Lernen für seine Aufnahmeprüfung für die Uni hilft.« Tara zuckte mit den Schultern. »Ich habe zugesagt. Schließlich wollten wir den Termin bei Doktor Wilson. Und in einer halben Stunde hat sie für dich Zeit.« Buffy lächelte ihre Freundinnen an, zeigte sich aber unwillig. »Das ist wirklich toll von euch, aber ich kann jetzt nicht zum Zahnarzt. Wir haben andere Prioritäten. Da draußen sind die Killerelfen los! Wir müssen herausfinden, wo sie sich verstecken und wie wir sie wieder loswerden – und vielleicht ist auch noch Xander verschwunden.« Anya sah sie beunruhigt an. Dawn war misstrauisch. »Buffy, mal ehrlich, hast du etwa Angst, zum Zahnarzt zu gehen? Ich meine, du traust dich zwar, gegen Vampire und Werwölfe und alle möglichen anderen Bösewichte zu kämpfen...« »Zahnärzte sind nicht böse«, bemerkte Anya. Dann verfiel sie in Panik. »Glaubst du wirklich, Xander ist etwas zugestoßen? Er ist schon viel zu lange weg!« »Wir werden ihn finden«, versicherte Willow ihr. »Weil Zahnärzte so spitze Bohrer haben und all diese anderen Geräte«, fuhr Dawn fort. »Das macht manchen Leuten ziemlich viel Angst.« »Ich habe keine Angst vorm Zahnarzt!«, entgegnete Buffy. »Aber in so einer Situation darf ich nicht an mein eigenes Wohl denken.« »Buffy«, schaltete sich Giles ein, »du bist am wertvollsten für uns, wenn du in Topform bist. Nach Xander suchen und mit der Recherche weitermachen können auch andere. Aber wenn es zum großen Finale kommt, brauchen wir dich, und zwar in absolut einwandfreiem Zustand.« 129
»Ist es denn mit dem Zahn besser geworden, Liebes?«, fragte Spike. »Nein«, gestand Buffy. »Schlimmer.« »Dann komm!«, sagte Dawn und sah Buffy bittend an. »Es kostet doch nichts. Umsonst ist gut.« »Umsonst ist gut«, pflichtete Buffy ihr bei. »Ich kann dich und Tara mit dem Wagen zur Universität bringen«, bot Giles an. »Ich wollte sowieso beim Zauberladen vorbei und ein paar Bücher holen. Die kann ich dann lesen, während ich warte.« »Siehst du?«, sagte Willow. »Anya und ich suchen zuerst nach Xander und dann machen wir mit der Recherche weiter, bis du wiederkommst.« »Ich werde mich um eine Aussprache mit unserem Gefangenen da hinten bemühen«, sagte Spike und wies mit dem Daumen Richtung Esszimmer. »Und ich lerne für Geschichte«, fügte Dawn schmeichlerisch hinzu. Derart überstimmt blieb Buffy nichts anderes übrig, als klein beizugeben. Buffy lag auf dem Behandlungsstuhl und hatte den Mund weiter aufgesperrt als jemals zuvor in ihrem Leben – so weit, wie seinerzeit der Tyrloch-Dämon, dem sie den Hals aufgeschlitzt hatte. Sie blickte in das energische dunkle Gesicht von Dr. Wilson. »‘auert ‘as ‘ang?«, fragte sie, als die Zahnärztin ihren wehen Zahn untersuchte. »Geduld, mein Kind«, entgegnete Dr. Wilson. »Ich muss erst mal sehen, was es ist.« Sie stocherte und kratzte und Buffy musste sich sehr am Riemen reißen, um nicht mit dem Kopf wegzuzucken. Dr. Wilson schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf, wobei ihre geflochtenen Zöpfe hin und her schaukelten. »Höchste Zeit, dass Sie gekommen sind, sonst hätten wir eine Wurzelbehandlung machen müssen. Manchmal 130
kriegt man das Problem nicht anders in den Griff. Meine Mutter hat immer gesagt: ›Wenn du gut zu deinen Zähnen bist, sind sie gut zu dir.‹ Sieht so aus, als hätten Sie nicht darauf gehört, was Ihnen Ihre Zähne sagen wollten.« »Abe’ schie ‘iegen ‘as hin?« »Natürlich kriege ich das hin«, antwortete die Zahnärztin und lachte. »Das schaffen wir in einer Stunde, maximal anderthalb.« Buffy wollte sich aufsetzen und protestieren, aber Dr. Wilson drückte sie wieder in den Stuhl. »Wenn wir uns nicht sofort darum kümmern, werden Sie demnächst wiederkommen und dann dauert die Behandlung drei bis vier Wochen – und das ist nicht mehr gratis. Entscheiden Sie selbst!« Buffy zwang sich, ruhig auf dem Stuhl liegen zu bleiben. Aber sie brabbelte mit Dr. Wilsons Fingern im Mund weiter und bemühte sich, heiter und fröhlich zu klingen. »Nehm’ schie auch den ‘ohrer un’ andere spitze ‘eräte?« Dr. Wilson zog eine Augenbraue hoch. »Das hier ist eine Zahnarztpraxis. Es wäre mir neu, wenn hier nicht mit spitzen Geräten gearbeitet würde!« Sie nahm eine Spritze mit extrem langer Nadel zur Hand. »Sie spüren gleich noch einen kleinen Piekser, aber dann geht es Ihnen schon bald sehr viel besser.«
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22 Um halb neun war klar, dass mit Xander etwas nicht stimmen konnte. Diese Erkenntnis war weitaus schmerzlicher für Anya als das verletze Handgelenk. Sie rief zuerst in ihrer Wohnung an, aber da war nur der Anrufbeantworter. Als Nächstes suchte sie in den Gelben Seiten die Nummer der Bäckerei, in der Xander immer einkaufte. Die Bedienung, die ans Telefon kam, hatte ihre Schicht erst um acht Uhr begonnen. Der Bäcker war seit drei Uhr permanent in der Küche gewesen und konnte ebenfalls keine Auskunft geben. Anya redete dennoch auf die Frau ein und beschrieb ihr Xander bis ins kleinste Detail, bis sie schließlich anbot, den Kollegen von der Nachtschicht zu fragen und ihn zu bitten, Anya zurückzurufen. Zehn Minuten später klingelte das Telefon und der Bäckereiangestellte war dran. Anya beschrieb Xander noch einmal und fragte den Mann, ob er ihn vielleicht gesehen hatte. »Hören Sie, junge Frau«, entgegnete er. »Sonntagmorgens ist immer jede Menge los, da holen die Kirchen ihre Donuts und Erfrischungen für das Kaffeetrinken nach dem Gottesdienst und so weiter. Ich habe zwischen fünf und acht Uhr bestimmt an die sechzig Kunden bedient. Und da sind nicht mal die Cops mitgerechnet, die bei uns Pause machen. Ich habe heute viele weiße Männer hier im Laden gehabt und vielleicht war tatsächlich einer von ihnen Ihr Freund, aber mehr kann ich dazu nicht sagen.« Vor lauter Sorge vergaß Anya, sich bei dem Mann zu bedanken und ihm einen schönen Tag zu wünschen, und legte auf. Sie kehrte zu den anderen ins Wohnzimmer zurück und ließ sich auf die Couch fallen. Als sie den Kopf in die Hände legte, schmerzte ihr bandagiertes Gelenk und ihr wurde einmal mehr bewusst, wie unvollkommen der Körper eines Sterblichen war. »Wenn Xander etwas zugestoßen ist...« 132
»Wenn?«, hakte Spike sarkastisch nach. »Über ›wenn‹ sind wir schon lange hinaus, nicht wahr, mein Schatz? Es ist anzunehmen, dass dein Loverboy verschwunden ist. Vielleicht hat er eine andere schöne Ex-Dämonin kennen gelernt und ist mit ihr durchgebrannt.« Spike war ziemlich schlecht gelaunt, nachdem bei seinem letzten Versuch, den Elfen zu verhören, wieder nichts herausgekommen war. Willow, die große Trösterin, setzte sich zu Anya und legte ihr einen Arm um die Schulter. »Mach dir keine Sorgen! Noch haben wir ihn ja nicht verloren.« Anya sah den Rotschopf an. »Ähm, also...«, stotterte Willow, »jedenfalls nicht auf Dauer. Und Xander kann sehr gut auf sich aufpassen. Er ist schließlich jahrelang bei Buffy in die Lehre gegangen.« »Du willst mich zwar trösten«, sagte Anya, »aber dein Gesicht verrät deine Sorge. Deine Augenbrauen, deine Stirn. Ich sehe ganz genau, wie beunruhigt du bist.« »Vielleicht sollten wir nach ihm suchen«, entgegnete Willow. »Wir können in der Bäckerei anfangen, wenn du magst. Ich begleite dich, Anya.« »Ich auch«, sagte Dawn. »Nein!«, riefen Spike, Anya und Willow im Chor. »Du hast versprochen, für Geschichte zu lernen«, bemerkte Willow. »Buffy war bereit, sich den mentalen Dämonen im Zahnarztstuhl zu stellen – von den finanziellen mal ganz abgesehen. Da ist es nur fair, wenn du hier bleibst und lernst«, erklärte Anya. »Dann ist es abgemacht«, meinte Willow. »Spike kann bei Dawn bleiben. Spike, du kümmerst dich um unseren kleinen... ähm... Gast. Ich werde mit Anya nach Xander suchen. Wenn wir zurückkommen, muss ich mich in die Stadtpläne hacken.« Sie verdrehte die Augen. »Die Stadtverwaltung hat gerade alles neu verschlüsselt und eine neue Firewall für ihre Website eingerichtet.« 133
Dawn lächelte. »Dann brauchst du also – wie viel? Sagen wir, zehn Minuten länger als sonst?« Willow sah sie verlegen und stolz zugleich an. »Spike ist ja hier, falls Xander anruft, und er kann Giles und Buffy informieren, wenn sie zurückkommen.« »Ist es denn sicher, dass er in die Bäckerei gegangen ist?«, fragte Dawn. Anya wies auf den Couchtisch. »Guck dir doch den Zettel an!« Willow nahm sich Xanders Nachricht. »Hier steht nur, er will was fürs Frühstück holen und gegen sieben zurück sein.« »Nein, sieh doch mal hier, Dummerchen«, sagte Anya und zeigte ganz unten auf den Zettel. Auf Willows Gesicht malten sich Zweifel. »Die Umarmungen und Küsse? Da steht doch nur ›XOXOX‹, und dann sein Name.« »Aber sieh dir doch die ›O‹ an. Das sind kleine Donuts«, entgegnete Anya. Alle beugten sich vor und sahen genau hin. »Tatsächlich«, sagte Willow. »Ja, definitiv Donuts.« Anya lächelte selbstgefällig in die Runde. »Ihr wisst doch, wie gern Xander sich was Süßes zwischen die Zähne schiebt.« Willow horchte auf. »Zähne? Ich will nichts mehr von Zähnen hören, das Thema hatten wir heute schon.« »Xander sagt immer, von allen süßen Sachen auf der Welt hat er mich am liebsten. Allerdings dicht gefolgt von Schokolade auf Platz zwei.« »Oh, bitte!«, warf Spike ein. »Würdet ihr bitte schnell losgehen und den Mann suchen? Wenn ich mir das noch länger anhören muss, falle ich ins diabetische Koma.« Willow und Anya marschierten im Eiltempo zur Bäckerei und hielten unterwegs nach Xander Ausschau. Drei Kunden warteten an der Donuttheke, aber Xander war nicht dabei. Obwohl Anya wusste, dass die Leute ihn gar nicht gesehen 134
haben konnten, weil sie gerade erst gekommen waren, fragte sie aus purer Verzweiflung trotzdem. Sie holte ein Foto von Xander aus der Tasche und reichte es herum, aber alle Kunden und die Bedienung hinter der Theke schüttelten nur den Kopf. Die beiden Cops, die in der Ecke Kaffee tranken, hatten ihn auch nicht gesehen und machten zudem einen bemerkenswert uninteressierten Eindruck. Vielleicht hatten sie als Gesetzeshüter in Sunnydale gelernt, in jeder Situation ruhig zu bleiben. Einer besaß sogar die Frechheit zu kichern. »Du liebe Güte, junge Frau. Wissen Sie, wie viele Leute täglich vermisst gemeldet werden? Und Ihr Freund ist erst seit ein paar Stunden verschwunden? Dass ich nicht lache!« Er schüttelte den Kopf. »Okay«, sagte Willow ganz ruhig, um Anya zu beschwichtigen, die offenbar kurz vor einem hysterischen Anfall stand. »Er ist nicht hier. Kein Grund auszuflippen. Wo suchen wir als Nächstes? Hast du schon bei euch in der Wohnung angerufen?« Anya nickte. »Er ist nicht an den Apparat gegangen. Vielleicht hat er ja unter der Dusche gestanden.« Willow sah die Frau hinter der Theke an. »Haben Sie die Nummer noch, die Ihnen meine Freundin heute Morgen am Telefon gegeben hat?« Sie zeigte ihr noch einmal das Foto von Xander. »Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie ihn sehen.« Dann nahm sie Anya am Arm und führte sie aus der Bäckerei. Anya suchte verzweifelt nach einer einfachen Erklärung. »Das ist es bestimmt, nicht wahr?«, sagte sie auf der Straße. »Er war ganz verschwitzt von dem Kampf gestern und ist schnell zum Duschen nach Hause gegangen.« Sie gingen immer schneller. »Vielleicht«, sagte Willow, klang aber nicht sonderlich überzeugt. Anya zerbrach sich den Kopf, um eine bessere Erklärung zu finden. »Und wenn er unter der Dusche stand und die Ameisen haben ihn angegriffen?« Sie hörte selbst, wie nervös sie klang. 135
»Er hat was gegen Ungeziefer, immerhin wäre er fast mal von so einem Biest gefressen worden.« Sie beschleunigten ihr Tempo, bis sie schließlich im Laufschritt über die Straße eilten. Binnen kürzester Zeit erreichten sie die Wohnung von Xander und Anya. Die Tür stand offen und Anya fegte hinein. In der Küche stand ein Mann vornübergebeugt und betrachtete etwas auf dem Boden. »Xander!«, rief Anya und schlang die Arme um ihn. Der Mann richtete sich auf und drehte sich zu ihr um. Anya schrie auf. »Sie sind gar nicht Xander! Wer sind Sie und was haben Sie mit ihm gemacht?« Willow kam zu ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Der Mann wich bis an die Küchentheke zurück. »Ich, ähm, ich glaube, er heißt Ernie«, sagte Willow und zeigte auf das Namensschild an seinem Overall, das sich über der Abbildung einer toten Schabe mit einem Blitz durch den Körper befand. Darunter stand »Pest-o-Zap«. »Die Hausverwalterin hat mich reingelassen«, erklärte der Mann hastig. »Sie meinte, es wäre in Ordnung. Ich habe Ihren Mann nicht gesehen, gute Frau.« »Er... er war nicht hier?« Anya stutzte zwar einen Augenblick, fand es aber nicht nötig, dem Mann zu erklären, dass sie nicht mit Xander verheiratet war. »Sehen wir trotzdem mal nach!«, drängte sie Willow. Sie machten einen schnellen Rundgang durch die Wohnung und sahen sogar in Schränken und unter Möbeln nach, aber sie fanden nicht den kleinsten Hinweis darauf, ob Xander seit dem Vorabend zu Hause gewesen war. Als sie in die Küche zurückkehrten, besprühte Ernie den Boden mit einer Flüssigkeit aus der Pressluftflasche, die er sich umgehängt hatte. »Die sollen verschwinden!«, sagte Anya und zeigte auf die Ameisen, die immer noch über die Theke und den Boden liefen. »Mein... Xander hasst Ungeziefer. Kriegen Sie die weg? Bitte rotten Sie sie alle aus!« 136
Als Ernie sich mit der Hand über die Wange wischte, blieb darauf ein Schmierfleck zurück. »Natürlich kann ich sie ausrotten, aber das hier hilft nur vorübergehend«, sagte er und zeigte auf das Insektizid auf dem Boden. »Um das Problem dauerhaft aus der Welt zu schaffen, muss man das Nest finden. Das kann im Keller sein, in der Wand oder irgendwo draußen. Ich muss mich gleich mal umsehen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich finde es.« Er drückte auf den Sprühknopf. »Und dann sind sie tot!« »Okay, hier ist Xander also nicht. Wir müssen weiter«, sagte Willow zu Anya. »Gibt es... irgendjemanden, den du anrufen kannst?« Anya kramte in einer Küchenschublade und holte einen Zettel heraus. »Hier ist eine Liste mit ein paar Kollegen von Xander. Vielleicht haben die ihn gesehen.« Willow nickte. »Das ist auf jeden Fall einen Versuch wert.« Aber nach zwanzig deprimierenden Minuten am Telefon gab es immer noch keine Hinweise auf Xanders Verbleib. »Ob er vielleicht in die Kanalisation oder noch mal in den Weatherly Park gegangen ist? Was meinst du?«, fragte Willow. Anya schüttelte energisch den Kopf. »Doch nicht allein! Xander würde nicht ohne uns gehen – und ganz bestimmt nicht, ohne uns vorher das Frühstück zu bringen.« »Da hast du Recht«, pflichtete Willow ihr bei. »Dann müssen wir auf dem Weg zwischen der Bäckerei und Buffys Haus nach einem Hinweis suchen.« »Nach einem Hinweis...«, überlegte Anya laut. »Ja, irgendetwas wird doch wohl zu finden sein. Also gut, gehen wir!« Sie drehte sich zu dem Kammerjäger um. »Vielen Dank, Ernie. Bitte fahren Sie mit Ihren Ausrottungsbemühungen fort, bis keine einzige Ameise mehr übrig ist!« Eilends verließ sie mit Willow die Wohnung, um zum Haus der Summers am Revello Drive zurückzukehren.
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Sie beschlossen, für den Rückweg die Straßenseite zu wechseln, und gingen ganz langsam. Sie sahen sich jeden Riss im Gehsteig, jeden Zaun vor jedem Haus, jeden Busch, jedes Grasbüschel, jeden Baum und Blätterhaufen an. Anya entdeckte als Erste die pinkfarbene Schachtel, die einen Meter vom Gehsteig entfernt unter einem Busch lag. Mit der bandagierten Hand hielt sie Willow am Arm fest und zeigte wortlos darauf. Willow schluckte. Dann legte sie die Stirn in Falten und blickte unsicher drein. »Das muss gar nichts bedeuten... nichts wirklich Schlimmes, weißt du...« Sie verstummte. Die beiden knieten sich neben dem Busch ins Gras und holten die Schachtel hervor. Anya spürte etwas Weiches unter dem Knie und fand ein zermatschtes Stück von einem Berliner. »Oh-oh«, machte Willow und hob die linke Hand vom Boden. Ein kleines Holzkreuz kam zum Vorschein. Mit angehaltenem Atem klappte Anya die Schachtel auf. Bis auf verschmierte Reste von Zuckerguss und Geleefüllung und ein paar Streusel war sie leer. Und bis auf einen kleinen durchsichtigen schwarzgeäderten Flügel. Anya spürte, wie in ihrem Inneren Angst und Wut explodierten, als hätte jemand eine emotionale Handgranate gezündet. »Das kann doch nicht sein! Bitte, sie können Xander nicht haben! Das ist nicht fair!« Willow biss sich auf die Unterlippe. »An dem Abend, als sie Dawn und Tara und mich angegriffen haben, da haben sie versucht, einen kleinen Hund fortzutragen... und gestern hätten sie dich fast weggeschleppt.« Sie legte eine Hand auf Anyas bandagierten Arm. »Und jetzt Xander.« In Anya stieg der kalte Zorn auf und sie verspürte eine so große Rachsucht, wie sie es noch nie erlebt hatte, seit sie ein Mensch geworden war. »Wir müssen diese Elfen finden!«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Sie haben Xander. Und dafür werden sie mit dem Tod bezahlen!« 138
23 Wenige Minuten nachdem Willow und Anya mit der unerquicklichen Nachricht zur Tür hereingeplatzt waren, dass Xander entführt worden war, kehrten auch Buffy und Giles zurück. Obwohl sich ihr Mund noch ganz taub anfühlte – oder vielleicht gerade deshalb –, war Buffy voller Tatendrang. Sie und Giles fanden Spike, Anya, Willow und Dawn im Esszimmer vor, wo ihr Gefangener auf dem Tisch lag. Willow saß an ihrem Laptop und surfte mit grimmig entschlossener Miene durchs Netz. Sie hatten den Kaffee gekocht, den Xander vorbereitet hatte, und jeder hielt eine Tasse davon in der Hand – mit Ausnahme von Dawn, die einen heißen Kakao trank. Giles stand an die Wand gelehnt da und knabberte nachdenklich an dem Bügel seiner Brille, während Willow und Anya berichteten, was ihre Suche nach Xander ergeben hatte. Buffy schritt unterdessen im Zimmer auf und ab. »Und sonst habt ihr nichts gefunden? Keinen Fetzen von seiner Kleidung oder so etwas?« Willow runzelte die Stirn. »Nichts außer der leeren Kuchenschachtel. Und dem Kreuz. Da war kein Blut oder... eine Leiche oder so was.« Giles schürzte die Lippen. »Man weiß zwar nicht warum, aber wahrscheinlich haben sie Xander in ihr Versteck gebracht.« Spike stand auf, ging in die Küche und kehrte mit einer Fliegenklatsche an den Tisch zurück. Dawn wischte mit dem Finger einen nicht vorhandenen Fleck von der Tischplatte. »Und wie wollt ihr dieses Versteck finden?« »Da muss man eben mal ein bisschen kreativ werden«, sagte Spike. Der Vampir und die fünf Menschen versammelten sich im 139
Halbkreis um Lucket. »Wie bringen wir ihn denn zum Reden?«, fragte Dawn. Willow grinste sie verschmitzt an. »Sollen wir ihn festbinden und ihm den Hintern versohlen?« Als die anderen sie nur verwundert ansahen, fügte sie hinzu: »Xander hätte das verstanden. Aber außer ihm erinnert sich hier anscheinend niemand an Monty Python!« »Mir gefällt Die Ritter der Kokosnuss am besten«, sagte Spike. »Willst du mir mit dem Blut meine Rüstung versauen? – Gute Szene!« Anya nickte. »Xander und ich spielen oft Schloss Dosenschreck. Kennt ihr das? Ich bin meistens Zoot, die gemeine, böse, ungezogene Zoot!« Giles räusperte sich. »Ja, nun, lassen wir die Brillanz britischer Komik mal beiseite und kümmern uns lieber um unseren Gefangenen.« Buffy nickte. »Eine weise Ärztin hat mir einmal gesagt – okay, eigentlich war es erst heute –, dass man einem hartnäckigen Problem richtig an die Wurzel gehen muss, um es zu beheben. Wir müssen herausfinden, wo die vielen Elfen stecken.« »Der Kammerjäger hat gesagt, es sei wichtig, das Nest zu finden«, bemerkte Anya und rieb sich geistesabwesend den bandagierten Arm. Der Elf stieß ein wenig überzeugendes Knurren aus und verschränkte die Ärmchen vor der Brust. Spike holte direkt vor seiner Nase mit der Fliegenklatsche aus und schlug sich damit auf die Handfläche. Buffy kam ohne Umschweife zur Sache. »Deine Freunde haben unseren Freund. Wir brauchen Informationen.« Anya setzte sich auf einen Stuhl und rückte mit ihm ganz dicht an den Tisch. »Sag mir, wo mein Freund ist! Was haben sie mit Xander gemacht?« »Wahrscheinlich getötet«, sagte das geflügelte Wesen 140
höhnisch mit seiner Mini-Mafioso-Stimme. »Das sollte dich nicht überraschen. Wir sind das, wozu du uns gemacht hast.« »Wow!«, sagte Willow. »Das klingt nach einer ernst zu nehmenden Schuldzuweisung. Aber was hat Xander damit zu tun?« Lucket gab ein Zischen von sich. »Nachdem wir sozusagen das große Los gezogen hatten, hat Königin Mabyana jedem Mitglied unserer Sippe geschworen, sich an dieser Rachedämonin und der Hexe zu rächen, wenn sie uns je über den Weg laufen sollten – an ihnen und an allen ihren Freunden. Sie sagte, sie macht Fischfutter aus ihnen.« »Und die Hexe habt ihr schon getötet«, sagte Dawn. Buffy sah Anya an. »Das klingt, als sei Xander der Wurm am Angelhaken.« »Habe ich das richtig verstanden?«, meinte Spike. »Xander wird als Köder gefangen gehalten, damit sie an Anya herankommen. Ach, das ist wirklich eine sehr originelle Idee, findet ihr nicht?« »Diese Elfen verstehen sich aufs Fallenstellen. Wir müssen vorsichtig sein.« Buffy hasste es, etwas zu sagen, was sich von selbst verstand. Ihr Gehirn schaltete auf Schnellgang um. Anya stand auf und stieß dabei fast ihren Stuhl um. »Wir können Xander doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen! Sie werden ihn töten!« Willow ergriff das Wort. »Ich weiß, es klingt wahrscheinlich albern, aber vielleicht könntest du dich einfach bei den Elfen entschuldigen und...« »Du hast Recht«, unterbrach Anya sie. »Das klingt ziemlich albern.« Buffy sah ihre rothaarige Freundin entschuldigend an. »Ich muss mich Anya anschließen, Will. Über den Zeitpunkt für eine Entschuldigung sind wir längst ein paar Jahrhunderte hinaus – von den zahllosen Morden mal abgesehen.« Anya nahm einen Zahnstocher und fuchtelte dem Elfen damit 141
drohend vor der Nase herum. »Wo haben deine Leute Xander hingebracht?« Lucket zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich hänge ja praktisch seit unserer Begegnung im Park hier fest.« Buffy schlug direkt neben ihm mit der Hand auf den Tisch und beugte sich zähnefletschend über ihn. »Schluss mit lustig! Sag uns jetzt, wo sie ihn hingebracht haben. Wo ist die Elfenzentrale?« Der Elf kniff die Lippen zusammen und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Willow sah von dem stummen Elfen zu Buffy. »Was tun sie wohl, wenn wir Xander nicht rechtzeitig finden?« Nun ergriff Lucket doch das Wort. »Ich weiß es nicht genau, aber wollt ihr meinen Tipp hören? Sie reißen ihn wahrscheinlich in tausend Stücke. Das wäre doch wirklich poetische Gerechtigkeit, oder?« Dawn schnappte nach Luft. »Wie soll das denn gehen?« Der Elf lachte spöttisch. »Ein Stückchen nach dem anderen.« In ihrem dunklen Geheimversteck flatterte Königin Mabyana in ihrer goldenen Pracht vor dem Gefangenen in der Luft und plusterte sich auf. Ihre Gefolgsleute hatten ihn in aufrechter Position gefesselt, damit die Elfenkönigin sich seiner Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Reichlich unbeeindruckt hob Xander den Kopf und sah Mabyana an. »Hübsch hast du es hier. Ganz im Stil der frühen militärisch-industriellen Ära, wenn ich mich nicht irre.« »Dämonenlover!«, fuhr die goldene Königin auf. »Dein Leben ist in meiner Hand! Du wagst es, dich über uns lustig zu machen, dabei war es Anyanka selbst, die uns in diesen erniedrigenden Zustand versetzt hat!« Xander dachte kurz nach. »Ja, das wage ich.« »Sie soll leiden, wenn wir ihr das nehmen, was sie am 142
meisten liebt. Mit unseren Zähnen werden wir dir langsam die Haut vom Leibe reißen und Anyanka wird dabei zusehen müssen. Und dann werden wir auch sie auseinander pflücken.« Königin Mabyana schlug theatralisch mit den Flügeln, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Xander grinste sie an wie ein Wolf. »Also, ich habe schon mit ziemlich vielen Monstern und Dämonen zu tun gehabt und ihr seid eine vergleichsweise... kleine Bedrohung. Das darfst du ruhig als Beleidigung auffassen. Macht mich los und ich zeige euch, wie klein!« Die Mikrovampire umschwirrten Xander wie ein Schwarm Stechmücken. Sie flogen ihm in die Augen, rissen ihm an Kopf und Nacken Haare aus und bissen ihn mit ihren nadelspitzen Vampirzähnen. Da begriff er, was sie taten: Sie wollten ihn quälen, foltern und ihm Angst machen – aber töten wollten sie ihn bestimmt nicht. Noch nicht jedenfalls. »Was ist los?«, spottete Xander. »Dieser Brocken ist wohl zu groß für euch, was?« »Schweig!«, fuhr ihn Mabyana an. Viele Vampirelfen surrten um seinen Kopf und machten ein Getöse wie ein ganzer Bienenschwarm. Xander wand sich in seinen Fesseln. »Weißt du, wenn du mir ein Handy bringen würdest, könnte ich dir einen richtig guten Kammerjäger besorgen. Der schafft dir diese Insektenplage sofort vom Hals.« Die Elfenkönigin war entsetzt angesichts eines solchen Mangels an Respekt. Was für eine Frechheit! Der Freund der Dämonin machte alles nur noch schlimmer. Begriff er denn nicht, wen er vor sich hatte? Als Xander den Mund öffnete, um etwas zu sagen, zeigte Königin Mabyana auf zwei ihrer Untertanen, die herbeiflogen und den unverschämten Kerl rasch mit einem Seilknäuel knebelten. 143
Die Königin betrachtete den Gefangenen mit Grauen. Brachte man diesen Menschen denn überhaupt keine Manieren mehr bei?
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24 »Ein zäher kleiner Kerl, was?«, sagte Spike und strich mit dem Finger über einen der hauchdünnen Flügel des Elfen. »Bist du deiner Königin wichtig genug, dass sie dich gegen unseren Freund austauscht?« Der Elf sah ihn ungerührt an. »Jetzt, da die Wiedergutmachung vor der Tür steht? Nie im Leben! Ich bin entbehrlich, könnte man sagen.« »Nun, vielleicht ist sie aber offen für irgendwelche Verhandlungen?«, fragte Giles. Der Elf schnaubte abschätzig. »Was könntet ihr zu bieten haben, um das wieder gutzumachen, was eure Kumpanin uns geraubt hat?« »Genau! Wenn alles nichts nützt, dann muss man über sein Schicksal jammern!«, höhnte Spike. »Du!«, fuhr Lucket auf. »Dein Körper hat zwar seine sterbliche Seele verloren, aber zum Ausgleich hast du wenigstens ein ewiges Leben. Kein schlechter Tausch, finde ich. Aber wir? Als der Vampirdämon unsere Sippe heimsuchte, haben wir kein Geschäft gemacht. Es gab keine Entschädigung – nichts. Wir waren vorher schon unsterblich. Wir führten ein friedliches, heiteres perfektes Leben – bis diese Dämonin Anyanka kam. Nun können wir nicht mehr in der Sonne herumtollen – aus und vorbei! Nun sind unsere einst so glücklichen Seelen mit dem Dämon in diesen kleinen Körpern gefangen, den sie auf uns losließ.« Die hohe Stimme des Elfen wurde mit jedem Wort lauter und schriller. Giles seufzte und beugte sich über ihn. »Erlaube mir, euch unser aufrichtiges Beileid auszusprechen.« »Jammerlappen«, murmelte Spike. »Aber du musst verstehen«, fuhr Giles fort, »dass es die jahrelangen... ähm... Qualen nicht wieder wettmacht, die ihr 145
erlitten habt, wenn ihr unserem Freund etwas antut.« »Abgesehen davon«, bemerkte Willow, »ist Xander unschuldig. Er hat euch nichts getan.« »Ja? Wir waren einst unschuldig«, entgegnete der Elf und summte vor Wut. »Vor der Verseuchung. Aber euer Freund ist nicht unschuldig. Ihr habt gestern versucht, uns eine Falle zu stellen und uns alle zu töten.« »Da ist was dran«, sagte Spike. »Jägerinnen können einem manchmal ziemlich auf den Geist gehen«, fügte er im Flüsterton hinzu. Aus Buffys Kehle drang ein tiefes Knurren. »Du bist seit fast fünfhundert Jahren nicht mehr unschuldig, Lucket. Du und deine geflügelten Kumpane, ihr habt doch damit angefangen, in Sunnydale Leute zu töten. Wir haben nur versucht, euch aufzuhalten.« »Immer diese Schuldzuweisungen«, schaltete sich Willow ein. »Auf diese Art bekommen wir Xander auch nicht zurück!« »Sag uns, wo sich deine Sippe versteckt«, verlangte Anya und schlug auf den Tisch. Mit ihrer bandagierten Hand. Sie zuckte schmerzerfüllt zusammen. Der Elf knurrte. Sein Gesicht wurde zur Fratze und in seinen Flügeln traten schwarze Adern zum Vorschein. »Ich würde meine Königin nie verraten!« »Tatsächlich?«, entgegnete Spike interessiert. Bevor ihn jemand hindern konnte, schob er den Zeigefinger unter Luckets oberen rechten Flügel und knickte ihn in der Mitte um. Er brach mit einem hörbaren Knacksen. Der Minivampir kreischte und heulte und bleckte die Zähne. Willow schnappte nach Luft. Zu spät griff Buffy nach Spikes Hand und riss sie vom Tisch. Dawn starrte geschockt den verletzten Elfen an. »Cool!«, flüsterte sie. Spike sah Giles an. »Sagen Sie nicht, Sie hätten das als kleiner Junge nie gemacht. Bei einem Schmetterling oder einer 146
Küchenschabe?« Giles wirkte gekränkt. »Aber nein! Niemals!« »Hätte ich mir denken können«, sagte Spike leise. Buffy überlegte sich rasch eine Argumentation, der sich das kleine Monster nicht entziehen konnte, und schubste Spike zur Seite. »Okay, mach mal Platz!« Über Lucket gebeugt stützte sie sich auf die Tischplatte. Sie schluckte ihre Wut herunter und zwang sich, konstruktiv und vernünftig zu bleiben. »Das wäre kein wirklicher Verrat an deiner Königin, weißt du? Sie stellt uns eine Falle und Xander ist der Köder. Königin Mabyana wartet darauf, dass wir kommen.« »In der Tat«, pflichtete Giles ihr bei. »Du würdest ihr einen großen Dienst erweisen, wenn du uns zu ihr führst.« »Wir sind bereit, in die Falle zu tappen. Ganz freiwillig. Was könnte sich deine Königin Schöneres wünschen?« Buffy legte Anya einen Arm um die Schulter. »Und ich garantiere persönlich dafür, dass Anya direkt auf den Käse zusteuern wird.« »Ja«, sagte Anya. »Käse. Den brauche ich. Den will ich unbedingt wiederhaben.« Lucket flatterte mit den Flügeln und schien darüber nachzudenken. Dann entspannte er sich. Die Flügel, auch der abgebrochene, wurden ganz klar und das Gesicht nahm wieder Elfenzüge an. »Ich kann euch nicht erklären, wie man dahinkommt«, sagte der Elf im lilafarbenen Wams, »aber ich könnte euch hinführen.« »Also gut. Wir lassen dich sofort nach draußen in die Sonne fliegen, ja?«, sagte Spike. Er nahm das Stück Pappe mit dem Elfen darauf und ging damit an das verdunkelte Fenster. »Halt!« Buffy stemmte die Hände in die Hüften und Spike, der böse Cop, legte den Elfen wieder auf den Tisch. »Beschreib es uns, Lucket! Wir finden es bestimmt.« »Elfen leben oft in Erdhügeln«, sagte Anya. »Habt ihr auch so einen Hügel?« 147
Das Gesicht des Elfen nahm einen verträumten Ausdruck an, als dächte er an einen wunderschönen, weit entfernten Ort. »Ja. Unter Bäumen und Gras. Herrlich! Das ist wie eine Oase in all dem dunklen Gemäuer.« »Eine Oase in Sunnydale?«, fragte Dawn erstaunt. »Bäume und Gras«, sagte Willow. »Handelt sich vermutlich um einen Park.« »Da ist doch dieser kleine Hügel im Weatherly Park – der mit der Mauer«, entgegnete Buffy. »Aber da kommt keiner rein, nicht mal eine Elfe.« »Doch, doch, es gibt einen Zugang«, erwiderte Willow. »Buffy, während du bei Doktor Wilson warst, habe ich ein bisschen recherchiert. Den Stadtplänen nach war das früher ein Luftschutzbunker, der während des Kalten Krieges vom Stadtrat gebaut wurde.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vermutlich dachte man an einen Nuklearangriff. Aber als der Kalte Krieg vorbei war, haben sie den Bunker ausgeräumt und die Gärtner haben dort ihre Geräte untergestellt. Aber 1991 gab es da einen Unfall. Ein paar Kinder spielten Verstecken und eins von ihnen ist irgendwie in den Bunker gelangt und konnte sich nicht selbst befreien. Es wäre fast gestorben. Die Eltern haben die Stadt verklagt. Das war damals eine große Sache. Also hat der Stadtrat den oberirdischen Eingang verschließen lassen.« »Danke, Will«, sagte Buffy. »Dann wissen wir jetzt schon mal, wo die Elfen nicht sind. Was nützt uns das?« Willow schenkte ihr ein geheimnisvolles Lächeln. »Ich sagte, der oberirdische Eingang wurde verschlossen.« »Dann gibt es noch einen anderen?«, fragte Buffy. Willow wiegte bedächtig den Kopf. »Keinen Eingang, aber eine Öffnung«, sagte sie. Da dämmerte es Spike. »Von der Kanalisation aus! Ich weiß, wo das ist. Ich kann euch hinführen. Das ist nicht weit von der Stelle, wo ich diesen Obdachlosen gefunden habe.« 148
»Worauf warten wir noch?«, meinte Willow. In Anyas Gesicht spiegelten sich Sorge und Entschlossenheit zugleich. »Wir müssen Xander retten, bevor...« »Bevor noch jemand anderes Schaden nimmt?«, fragte Willow. »Wir müssen sofort los!«, drängte Anya und ballte kampflustig die Hände zu Fäusten. »Nein!«, sagte Buffy bestimmt. »Einen Augenblick noch! Diesmal müssen wir die richtigen Waffen mitnehmen. Ich habe nicht vor, mich noch mal von einer Horde Elfen besiegen zu lassen.«
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25 Da Xander unmittelbar Gefahr lief, sich in einen Haufen kleiner Xander-Stückchen zu verwandeln, galt es, keine Zeit zu verlieren. Vielleicht war inzwischen auch schon der nächste hilflose Obdachlose den Vampirelfen zum Opfer gefallen. Sie mussten auf jeden Fall gestoppt werden, so oder so. Die Scooby-Gang hatte über die Jahre einige schmerzliche Veränderungen erfahren, ihre Aufgabe war im Grundsatz aber immer einfach geblieben, so einfach wie der Titel des GodzillaFilms Destroy all Monsters, wobei mit Monster alle nichtmenschlichen Wesen mit der Angewohnheit, Menschen zu verletzen und/oder zu töten, gemeint waren. Die Vampirelfen hatten nun schon mindestens drei Einwohner von Sunnydale getötet und allein dadurch hatten sie sich für Buffy und ihre Freunde bereits als zukünftige Bürger von Dustville qualifiziert. Und wenn sogar Freunde oder Familienmitglieder bedroht waren, drängte es die Scoobies ungleich stärker, die betreffenden Monster zu töten. Dann schalteten sie komplett auf den Rambo-Modus um. »Was wir für diesen Kampf brauchen, sind Sorgfalt und Kreativität«, dozierte Giles. »Dann mal los!«, sagte Buffy, ging in die Küche und begann, Schranktüren und Schubladen aufzumachen und nach Gerätschaften zu suchen, mit denen sie ihr Waffenarsenal aufrüsten konnten. Der Rest der Gang kam ihr rasch hinterher und beteiligte sich an der Suche. Buffy stöberte unter der Küchenspüle. »Aha!«, machte sie, richtete sich auf und hielt eine Sprühflasche mit einer blauen Flüssigkeit hoch. Giles blinzelte einige Male. »Willst du sie mit Glasreiniger vergiften?« »Wohl kaum«, entgegnete Buffy. 150
Anyas Blick verschleierte sich. »Mit genau dem gleichen Mittel haben Xander und ich die Ameisen getötet.« Buffy schraubte den Sprühkopf von der Flasche und goss die blaue Flüssigkeit in eine Plastikschüssel. »Dawn, du musst das Schmetterlingsnetz suchen, das du damals von Dad bekommen hast. Und dann hol das Weihwasser aus meinem Zimmer – alles, was du findest.« Dawn flitzte zur Treppe. »Ich verstehe.« Anya nickte anerkennend. »Du willst ein Insektizid herstellen – oder Elfizid, besser gesagt. Finde ich gut.« Spike wühlte gerade in den oberen Schränken und sah sich nach ihr um. »Echt verdreht! Mir gefällt deine Art zu denken.« »Weniger Geschwätz«, bemerkte Buffy nur, »und mehr Waffen!« Giles holte eine Schachtel Luxus-Zahnstocher aus einer Schublade; sie waren an einem Ende mit kleinen, bunten Plastikmanschetten versehen. »Ich fürchte, im Nahkampf werden wir wieder auf die hier zurückgreifen müssen«, sagte er und gab jedem Teammitglied ein kleines Bündel davon. »Denkt dran, wenn ihr eine Vampirelfe bewusstlos geschlagen oder lahm gelegt habt, müsst ihr sie noch töten!« Dawn kam wieder ins Zimmer geflitzt und brachte Weihwasser, mehrere Kreuze und das Schmetterlingsnetz mit. Sie legte alles auf den Tisch bis auf ein Kreuz, das sie für sich behielt, und steckte die Zahnstocher, die Giles für sie bereitgelegt hatte, in die Hosentasche. »Das mit den Kreuzen funktioniert aber, oder? Davon verbrennen Vampire doch.« »Definitiv«, bestätigte Willow. »Oh, seht mal!«, sagte sie und hielt etwas hoch, das sie aus der Schublade gezogen hatte. »Pfeifenputzer!« Als die ganze Truppe sie verständnislos ansah, erklärte sie: »Falls wir noch weitere Gefangene nehmen müssen, wisst ihr?« »Apropos Gefangene«, bemerkte Spike. »Was wollen wir denn mit unserem kleinen Däumling hier machen?« Er zeigte 151
Richtung Esszimmer. »Wir lassen ihn besser hier«, sagte Buffy. »Wenn etwas schief geht, brauchen wir ihn vielleicht noch mehr Informationen von ihm.« Spike schnalzte missbilligend mit der Zunge und holte mit der Grillzange ein Döschen aus dem Schrank neben dem Herd, das er sofort an Giles weiterreichte. »Knoblauchpulver«, erklärte er. »Ein bisschen Würze für die kleinen Flattertierchen.« »Was ist das denn?«, fragte Anya und hielt eine kleine Gasflasche mit Aufsatz hoch. »Ein Butangasbrenner«, sagte Buffy und schlug traurig die Augen nieder. Dawn nahm das Gerät zur Hand. »Er ist von Mom. Sie war mal in einem Kochkurs und mit diesem Ding hier hat sie kleine Crèmes Brûlées fabriziert.« »Feuer ist gut«, meinte Anya. »Das tötet Vampire. Und der Brenner ist leicht, den kann ich auch mit der lädierten Hand tragen. Den nehme ich!« »Hat sonst noch jemand Vorschläge?«, fragte Giles. »Ja, wie wäre es mit einer Rüstung?«, sagte Dawn. Giles zog die Augenbrauen hoch. »Das ist gar keine schlechte Idee. Wir sollten alle Schutzkleidung tragen.« »Alle außer Spike. Für ihn ist es ungefährlich«, gab Dawn zurück. Spike befestigte mit Hilfe von Pflasterstreifen fünf Zahnstocher an den Fingerspitzen der rechten Hand. »Trotzdem, Kleines, das wird auch für mich eine Tortur.« »Warum?«, fragte Dawn. Er grinste boshaft. »Weil die Pflöcke so klein sind.« Buffy goss gerade Weihwasser in die Sprühflasche. »Aber nicht zu klein, um dir das Licht auszublasen, wenn dir außer Witzereißen nichts einfällt! Dawn, such mir noch so eine Sprühflasche.« Sie blickte in die Runde. »Alle außer Spike 152
ziehen sich bitte die ganze Schutzmontur an: lange Ärmel, Rollkragen, Handschuhe, Jacken, möglichst aus Leder, wenn vorhanden.« »Ich glaube nicht, dass wir genug Waffen haben«, sagte Dawn und brachte Buffy einen kleinen Pump-Sprühflakon. Sie sah Anya an. »Hast du nicht gesagt, es sind möglicherweise Tausende? Die können wir doch unmöglich alle vernichten, wenn wir sie eine nach der anderen einzeln abstechen müssen!« Anya machte einen ungeduldigen Eindruck. »Wir können Xanders Jagdomat mitnehmen. Natürlich trifft man damit auch nicht mehr als fünf auf einmal, aber...« »Was ist mit dem Sonnenlicht?«, fragte Giles. »Oder mit Feuer?« Willow schüttelte den Kopf und zog ihre Jacke an. »Wie ich die Stadtpläne verstanden habe, ist das Versteck zu tief unter der Erde. Ich meine, der Bunker wurde ja gebaut, um Menschen vor Bomben und Strahlenbelastung zu schützen. Die Wände sind aus solidem Beton, verstärkt mit Bleiplatten. Und als der Eingang verschlossen wurde, hat man vorher noch sämtliche verderblichen Vorräte und den Großteil des Mobiliars ausgeräumt.« Buffy seufzte. »Dann wird wohl nichts aus dem Lagerfeuer. Es sei denn...« Sie klappte eine Schranktür auf und holte ein paar Butangasbehälter und ein Fläschchen Feuerzeugbenzin heraus – wichtiges Zubehör für tödliche Waffen. »Will, meinst du, es gibt vielleicht irgendetwas Magisches, das du noch beisteuern könntest?« »Sie darf den Teleportationszauber nicht machen!«, warnte Giles. »Das ist zu gefährlich!« »Den brauche ich auch nicht«, sagte Willow. »Wir wollen sie ja gar nicht von uns wegjagen. Aber vielleicht kann ich doch etwas tun. Dazu brauchte ich allerdings noch ein paar Dinge aus dem Zauberladen.« 153
»Natürlich«, sagte Giles. »Vielleicht finden wir ja dort auch noch andere nützliche Werkzeuge. Spike, Sie nehmen die Kanalisation. Wir treffen uns dann im Laden. Der Rest von euch kann mit mir fahren.« Ein paar Minuten später waren sie im Zauberladen, wo eine schnelle Suche diverse nützliche Dinge zu Tage brachte. Spike fand ein südamerikanisches Blasrohr mit ein paar Bündeln kleiner Holzpfeile. Anya holte noch mehr Knoblauchpulver, während Willow ein paar Zutaten zusammensuchte und sie in die Tasche steckte. Buffy wählte ein antikes Taschenmesser. Giles nahm eine Hochleistungstaschenlampe zur Hand, die auch als Keule gute Dienste leistete, wenn die Batterien leer waren. Buffy gab Dawn eine Kerze, die in ein Tongefäß eingelassen war, und nahm sich eine große Holzfackel, wie sie in Mittelalter-Filmen verwendet wurden. Dann gingen sie alle zusammen in den Keller der Magic Box und versammelten sich an der Öffnung des Abwasserrohrs, durch das Spike gekommen war. Buffy zog Dawns Rollkragen fürsorglich ein Stückchen höher und schloss noch zwei Knöpfe an ihrer Jacke. »Nun komm schon, du Glucke! Uns läuft die Zeit weg!«, rief Spike. »Halt dich möglichst aus dem Kampfgetümmel raus«, wies Buffy Dawn an. Dann sagte sie zu Spike: »Nichts wie los, wir sind bereit!« »Ja«, sagte Willow. »Gehen wir Elfen jagen!«
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26 Buffy fielen eine Menge Dinge ein, die sie lieber getan hätte, als mit Spike durch die Kanalisation von Sunnydale zu ziehen, um einen Bunker voll Minifeinde zu vernichten. Sich zum Beispiel einer Wurzelbehandlung zu unterziehen machte bestimmt sehr viel mehr Spaß. Spike sah mit seinem flatternden Ledermantel von hinten aus wie ein gefährlicher Raubvogel und die Zahnstocher an seiner linken Hand wirkten wie Krallen. Mit grimmiger Miene marschierten Anya und Buffy hinter ihm her. Dann kamen Dawn und Willow, und dann Giles mit der Taschenlampe als Nachhut. Vorsichtshalber hatten sich alle ein paar Zahnstocher zwischen die Lippen geklemmt, um sie sofort zur Hand zu haben. Wie Spike angemerkt hatte, konnte man nicht wissen, ob die hinterlistigen fliegenden Biester irgendwo im Hinterhalt lauerten. Obwohl sie recht schnell durch die Abwasserrohre vorwärtskamen – so leise wie Museumswächter in Filzpantoffeln –, kam es Buffy vor, als bewegten sie sich in Zeitlupe. Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Diesmal handelte es sich nicht um eine einfache Jagd-undPfähl-Operation. Es war eine Rettungsaktion und höchstwahrscheinlich der direkte Weg in den Krieg. Präzision war wichtiger als jemals zuvor. Selbst die krasseste Hinterhofschlägerei mit Vampiren war nichts im Vergleich zu dem ungeheuer nervenaufreibenden Anblick, den hunderte von magischen, dämonenbesessenen, libellengroßen Blutsaugern boten. Mordrünstige Kolibris, wild gewordene Elfen, rachsüchtige Vampire – und alle waren wie der Teufel darauf aus, einen oder mehrere von den Scoobies zu vernichten. Buffy biss bei diesem Gedanken die Zähne zusammen und erlebte eine nette Überraschung: keine 155
Schmerzen mehr. »Wir sind jetzt dicht dran«, raunte Spike den anderen zu, als sie um eine Ecke bogen. Buffys Muskeln spannten sich. Der Abwasserkanal stank und der Boden war rutschig. Plötzlich flatterte etwas vor ihnen auf und Buffy wollte sofort losschlagen. »Warte! Das ist... nur eine Taube.« Willow lachte nervös. Buffy ließ die Hand sinken, spähte ins Halbdunkel und erkannte, dass Willow Recht hatte. Die aufgeschreckte Taube flog in die Höhe und zwängte sich durch einen Abflussrost nach draußen ans Sonnenlicht. »Das ist doch ein komisches Verhalten für einen Vogel...«, fing Dawn an. Buffy nahm die Zahnstocher aus dem Mund und schnitt ihr das Wort ab. »Ich zerstöre ja nur ungern einen so perfekten John-Woo-Moment, aber hört doch mal!« Alle hörten es – einen erstickten Schrei, ungefähr alle zehn Sekunden. Giles rückte seine Brille zurecht. »Ich glaube, das is...« »Xander!«, sagte Anya. Sie liefen die letzten Meter zu einer Öffnung von ein mal einem Meter, die sich auf Brusthöhe in der Kanalwand befand. Unter dem Loch lehnte eine schwere quadratische Bleiplatte an der Wand. »Und das ist bestimmt kein Luftschacht?«, fragte Dawn. »Das ist wirklich der Eingang?« Willow zog die Augenbrauen hoch. »Der Allereinzige. Was die mit unseren Steuergeldern alles schaffen!« Wieder erklang ein erstickter Schrei. Er kam direkt aus der Öffnung und war lauter als die vorherigen. Buffy drehte sich zu den anderen um und gab Befehle aus. »Spike geht als Erster, ich hinter ihm. Giles, Sie führen den Verstärkungstrupp an. Helfen Sie Anya, Willow und Dawn beim Reinklettern und gehen Sie als Letzter, damit...« 156
»Haltet sie auf!«, sagte Giles. Buffy drehte sich zu der Öffnung um und sah, dass Anya mit dem Jagdomat in der bandagierten Hand bereits hineingeklettert war und nun durch den Betontunnel davonkrabbelte. »Verdammter Mist!« Fluchend machte Spike sich hinter ihr her. Buffy klemmte sich die nicht angezündete Holzfackel unter den Arm und schwang sich in die Öffnung. Sie wollte Spike noch sagen, er solle Anya zurückhalten, aber es war schon zu spät. Der kurze Tunnel endete und Buffy stolperte aus einem halben Meter Höhe in einen riesigen Raum, in dem ein paar Notleuchten für spärliches Licht sorgten. Spike half Anya auf die Beine und Buffy ging in Kampfstellung. »Nimm das!« Anya drückte Spike den Jagdomat in die Hand und sah sich erst einmal um. Willow, Dawn und Giles kamen dazu und bezogen neben Spike Position. Auf den ersten Blick wirkte der Bunker vollkommen leer. An der Wand standen dreistöckige Bettgestelle ohne Matratzen. Die Betten waren aus demselben grau lackierten Metall wie die leeren Regale und der alte Schreibtisch am anderen Ende. Der Raum war zweimal so groß wie der Basketballplatz an der Sunnydale High. Die erstaunlich kühle Luft roch nach Staub und Moder... und nach Tod. Xander war aufrecht an einen Bettpfosten gefesselt. Mit den vielen unterschiedlichen Seilen, die um seinen Körper geschlungen waren, sah er aus wie eine ungeschickte Raupe, die versucht hatte, sich in einen Kokon einzuspinnen. Er wackelte ein wenig mit dem Kopf und stöhnte. Als er aufsah und seine Freunde erblickte, versuchte er, ihnen etwas zuzurufen, aber der Knebel in seinem Mund hinderte ihn daran. Anya und Buffy liefen auf ihn zu. Xander schüttelte den Kopf und warf panische Blicke zur Decke. Buffy sah nach oben. Unter der Decke hing etwas. Etwas, das sich bewegte. 157
»Giles?«, sagte Buffy und Giles ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe über die Bunkerdecke wandern. Hunderte von Miniaturvampiren hingen wie kleine Fledermäuse von der Decke. »Du Flittchen«, sagte Anya und schockierte Buffy aufs Neue. »Geh von ihm runter!« Buffy sah wieder zu Xander hinüber. Eine Elfe mit grünem Kleidchen war auf Xanders Kopf geklettert und stand nun in seinem braunen Haar. Deutlich war ihre goldene Aura zu erkennen. »Die Bienenkönigin, wie ich vermute?«, witzelte Buffy. Mabyana hob ein zartes Händchen und winkte. Auf einen Schlag lösten sich sämtliche Kreaturen von der Decke und fielen wie schwarze Regentropfen herab. Die Scoobies saßen in der Falle und die Schlacht hatte begonnen.
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27 Anya ignorierte das Getöse ringsum und heftete ihren Blick auf Xander. Überraschenderweise ließen die herabfallenden Vampirelfen Xander und Anya völlig außer Acht. Alle anderen wurden von ihnen angegriffen und sie drängten Buffy gewaltsam von Xander weg. Anya waren die Schmerzen in ihrem Handgelenk und die beiden Mimvampire im Haar ihres Freundes egal. Sie stürzte sich auf ihn und begann, an den Seilen zu zerren, mit denen er gefesselt war. Umschwärmt von Elfen ließ Buffy die Fackel fallen, machte eine Rolle rückwärts, sprang auf und wirbelte um die eigene Achse. Auf diese Weise gelang es ihr, die meisten der flatternden Vampire abzuschütteln, die an ihrer Kleidung hingen. Aus der Drehung heraus startete sie einen wahren Schlag- und Tritthagel. Rasch griff sie in ihre Tasche und suchte das kleine Messer. »Anya«, rief sie und warf es ihr zu. »Schneid die Fesseln durch! Wir geben euch Deckung!« Anya gelang es mit der bandagierten Hand nicht, das Taschenmesser zu fangen, und es fiel klappernd zu Boden. Sie verlor kostbare Sekunden damit, auf dem staubigen Linoleum herumzutasten. Xander schüttelte den Kopf und versuchte verzweifelt, etwas zu sagen. »Hab es!«, sagte Anya und klappte die Klinge aus. Die Königin und einer ihrer Vampirkumpane waren immer noch ganz allein um Xander bemüht. Sie waren nach vorn in sein Gesicht geklettert und versuchten, in die Adern an seinen Schläfen zu beißen. In Xanders Augen stand die nackte Panik. Er schüttelte den Kopf und stieß unverständliche Laute aus. Mit der freien Hand wollte Anya die kupferfarbene Elfe wegschlagen, aber die wich ihr geschickt aus und so landete Anyas Hand mit einem lauten Klatschen auf Xanders Wange. Wieder machte Xander eigenartige Geräusche und sah immer 159
wieder zur Decke. Anya sah, wie Königin Mabyana unablässig ihre Vampirzähne in Xanders Haut stieß. Das war sicherlich nicht lebensbedrohlich und sie tat es nur, um Anya zu verspotten. Die Exdämonin beschloss, der Elfenkönigin eine Lektion zu erteilen – eine, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würde. Sie holte den Butangasbrenner aus der Jackentasche und entzündete die Flamme. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen riss Xander den Kopf zur Seite, als Anya den kleinen Brenner auf Mabyana richtete. Die Mikrokönigin der Verdammten löste sich von Xander und flatterte unter die Decke. Xander hob den Kopf und sah Anya flehend an. »Iks, iks«, grunzte er. Anya schaltete den Brenner aus und steckte ihn in die Tasche. Sie glaubte, verstanden zu haben, was Xander meinte. Nickend sagte sie: »Ja, ich will auch Sex, aber erst mal müssen wir dich hier rausholen.« Sie nahm das Taschenmesser in die rechte Hand, um die Seile und Schnüre zu zerschneiden. Sie entfernte den Knebel und küsste Xander auf den Mund. Einen Sekundenbruchteil lang erwiderte er den Kuss, dann riss er den Kopf zurück und sagte: »Tisch, nicht Sex! Da oben!« Anya sah nach oben. Unter der Decke hing – vertäut mit einer bunten Mischung Seilen, Stoffstreifen und Schnüren – ein riesiger Metalltisch aus Armeebeständen, der bestimmt an die hundertfünfzig Kilo wog. Als Buffy und ihre Freunde hereingekommen waren, hatten ihn die zahllosen dunklen Vampirelfen verdeckt, aber nun hingen nur noch einige wenige an den Seilen und knabberten daran herum. Die Seile fransten langsam aus und der Tisch schaukelte bedrohlich hin und her. Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Anya zerschnitt die Schnüre, mit denen Xander an den Bettpfosten gefesselt war, schlang die Arme um ihn und hechtete mit ihm auf das blanke Metallgitternetz des 160
unteren Bettgestells. Gerade rechtzeitig! Das Seil, an dem der Tisch hing, zerriss und der schwere Klotz stürzte von der Decke. Mit zwei Beinen schlug er auf das obere Bett ein und brachte es um Einsturz, aber das mittlere Bett hielt. Nun krachte der Rest des Tischs wie eine Abrissbirne seitlich gegen das Bettgestell und knallte genau da zu Boden, wo Xander und Anya gestanden hatten. Die Schubladen gingen auf und einige Dutzend Bleistifte fielen klappernd heraus. Xander und Anya blieben einen Augenblick keuchend liegen. »Wir wären fast von einem Tisch erschlagen worden«, sagte Xander. »Wäre ja nicht das erste Mal gewesen«, entgegnete Anya. »Ich wusste ja, du vermisst mich«, witzelte Xander, »aber dass du mich so schnell ins Bett kriegen willst, habe ich echt nicht gedacht.« Über ihnen knirschte Metall. Anya hielt sich an Xander fest und rollte mit ihm auf den Boden. In diesem Augenblick stürzten die beiden oberen Betten auf das untere. »Natürlich genießen Frauen das Vorrecht, jederzeit ihre Meinung ändern zu dürfen. Und hör mal... nicht, dass ich etwas dagegen hätte, wenn du oben liegst...« Anya brachte ihn mit einem langen Kuss zum Schweigen. »Du bist so süß!« Xander grinste. »Liegt wahrscheinlich an den vielen Donuts. Aber vielleicht könntest du mich mal richtig losbinden. Ich fühle mich immer noch etwas eingeengt.« Anya befreite Xander aus seinem Kokon und Buffy legte eine Gefechtspause ein, um ihm auf die Beine zu helfen. Es war ein gutes Gefühl, wieder frei zu sein, fand er. Bei Buffy zu Hause versuchte Lucket in der Zwischenzeit, sich zu befreien. Er verdrängte die Schmerzen und griff mit 161
beiden Händen nach dem Holzpflock, der aus seinem Leib ragte. Er bog und zerrte ihn hin und her und zog mit ganzer Kraft daran. Drei seiner Flügel flatterten und hoben ihn etwas in die Höhe, aber der gebrochene vierte bewegte sich nicht. Vielleicht heilte er mit der Zeit, falls es ihm gelang zu fliehen. Andere Elfen hätten vielleicht aufgegeben, aber solange er noch am Leben war, hatte er die Pflicht, seiner Königin zu helfen, der zauberhaften Mabyana. Er biss fest die makellosen Miniaturzähne zusammen und zog immer wieder an dem Zahnstocher. Er stemmte die Füße auf den Boden und versuchte, sich hochzuschieben. Dabei spannte er sämtliche Muskeln in Beinen, Flügeln und Armen an. Schließlich gelang es ihm, sich den hölzernen Spieß aus dem Körper zu reißen. Mühsam rappelte er sich auf und schleuderte das Holz weg. Er mobilisierte alle Kräfte und flatterte trotz des gebrochenen Flügels in die Luft. Taumelnd flog er eine Runde durchs Zimmer und wich dabei sorgsam den Sonnenstrahlen aus, die durchs Fenster hereinfielen. Endlich sah er seine Chance: Die Küchenspüle lag im Schatten. Er landete auf der Küchentheke, krabbelte unter einem Sonnenstrahl hindurch und stürzte sich in den Abfluss. Mit etwas Glück war er schon bald bei seiner Königin. Unten im Bunker tobte das Chaos. Und das Weihwasser. Mit seiner Sprühflasche jagte Giles feine Nebelwolken des ätzenden Sprays in die Luft, das die hauchzarten Flügel der kleinen Vampire auflöste. Hilflos stürzten die Getroffenen zu Boden. »Es sind zu viele!« Buffy nahm die Holzfackel zur Hand, entzündete sie und schwenkte sie über dem Kopf, um ein paar Angreifer zu verbrennen. Willow nahm eine Hand voll Pulver aus dem kleinen Beutel, den sie an einer Gürtelschnalle am Hosenbund befestigt hatte. Sie warf das Pulver im hohen Bogen in die Luft und murmelte 162
einige lateinische Worte. Sie wünschte, Tara wäre an ihrer Seite, statt David Wilson Nachhilfe zu geben. »Was war das? Was hast du gemacht?«, fragte Anya. Buffy nahm den Zahnstocher, den sie sich zwischen die Lippen geklemmt hatte, und pfählte einen Minivampir, der gerade wie ein Kamikaze-Flieger auf ihr Gesicht zustürzte. Wenige Zentimeter vor ihren grünen Augen ging er in einer Wolke aus glitzerndem Staub auf. »Kannst du sie damit außer Gefecht setzen, Will?« »Nicht auf Dauer«, antwortete Willow und beobachtete die Wirkung des Zaubers. Plötzlich begannen alle Elfen, die von dem Pulver getroffen worden waren – vielleicht insgesamt zweihundert –, von Krämpfen geschüttelt immer wieder zusammenzufahren. Mit jedem Zucken überschlugen sie sich in der Luft und purzelten umeinander. »Was zum...«, begann Xander. »Ein Nieszauber«, erklärte Willow. »Damit werden sie eine ganze Weile beschäftigt sein und können nicht alle auf einmal angreifen.« In der Nähe des Eingangs hatte Dawn ihre Kerze abgestellt und begann, die Elfen mit dem Schmetterlingsnetz aus der Luft zu fischen, das sie zuvor mit Weihwasser getränkt hatte. Nachdem sie ein paar Elfen eingefangen hatte, schüttelte sie das Netz über der Kerze aus. Drei von ihnen verbrannten sofort in der Flamme. Der Rest rannte panisch in einem Kreis aus Knoblauchpuder umher, den Dawn um die Kerze ausgelegt hatte. »Gute Arbeit, Kleines!«, lobte Spike. »Mit Braten und Frittieren kenne ich mich aus, das hat mir Mom beigebracht«, entgegnete Dawn und zeigte auf die versengten Mikrovampire auf dem Boden. Spike beugte sich vor und pfählte sie mit den Zahnstochern an seinen Fingern, wobei er darauf achtete, nicht mit dem Knoblauchpulver in Kontakt zu kommen. 163
Giles sprühte erneut Weihwasser in die Luft und eine weitere Hand voll kampfunfähiger Elfen fiel zu Boden. Einige wütende flügellose Vampire stürzten sich auf seine Schuhe und kletterten ihm die Hosenbeine hoch. Plötzlich stand Spike mit dem Jagdomat da. Er schwang die Waffe durch die Luft und tötete sechs Elfen auf einen Streich. Als Giles das Bein schüttelte und drei Elfen herunterpurzelten, fegte Spike mit dem Jagdomat über den Boden und Giles Schuhe hinweg. Giles, der immer noch aus der Luft angegriffen wurde, sprühte erneut. Wüst fluchend rollte Spike sich zur Seite. »Hallo, ich bin’s! Keine Gefahr!«, sagte er und griff sich an die Wange, die von einer hübschen Brandwunde verziert wurde. »Geben Sie Acht, auf wen Sie zielen!« »Tut mir furchtbar Leid«, entgegnete Giles. »Danke für die Hilfe!« Frustriert und fluchend vor Schmerz schwang Spike den Jagdomat durch die Luft und erledigte drei Minivampire. Anya und Xander kämpften sich zu ihren Freunden durch. Nachdem Buffy in die Luft gesprungen war, um mit einem gezielten Tritt einen Schwarm fliegender Vampire ein paar Meter durch die Luft zu jagen, blieb sie nach Atem ringend neben den beiden stehen. Ein Trupp Elfen kamen mit einem Stein herbeigeflogen und wollten ihn Anya auf den Kopf fallen lassen. »Achtung!«, schrie Willow.
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28 Buffy reagierte instinktiv und ließ ihre Fackel fallen. »In Deckung!«, befahl sie, sprang auf das nächstbeste Bettgestell, stieß sich ab und verpasste den Elfen einen Meter über Anyas Kopf einen Tritt. Sie kam auf der anderen Seite von Xander wieder auf und federte die Landung ab, um sofort wieder aufzuspringen. »Böse Elfen!«, schimpfte sie und drohte mit dem Zeigefinger. »Okay, dann klär mich mal auf«, sagte Xander. Rasch boxte er mit der Faust einen Schwarm näher kommender Biester weg. »Welche schweren Geschütze habt ihr mitgebracht?« »Spike hat ein Blasrohr«, entgegnete Anya und schüttelte sich einen leuchtend blauen Elf aus dem Haar. Spike schubste Xander den Jagdomat zu und zog sein Blasrohr aus der Tasche. »Nein, nein, nein, nein«, sagte Xander und fischte den Jagdomat vom Boden auf. »Ich meine das Finale. Das große Fressen. Wie löschen wir diese kleinen Blutsauger ein für alle Mal aus? Ihr wisst schon, das Mikro-Armageddon!« Buffy verpasste einer Horde näher kommender Elfen einen Fausthieb, gefolgt von einem Roundhouse-Kick. »Unser Plan? Also gut: Er hat mit Feuer zu tun.« Xander kniff die Augen zusammen. »Bist du sicher, dass ihr einen Plan habt? Die Jäger gewinnen und die Mimvampire verlieren, so in der Richtung?« »Wir haben Waffen mitgebracht und wir haben dich gerettet.« Anya umarmte Xander stürmisch, als bereits wieder ein Trio Vampirelfen über ihre Köpfe hinwegflog. Xander schwang den Jagdomat durch die Luft und erwischte eine von ihnen. »Also, was das Retten angeht, wäre ich für meinen Teil ein bisschen vorsichtiger bei der Beurteilung der Lage.« »Ich störe euch ja nur ungern beim Damenkränzchen«, rief 165
Spike von der anderen Seite und pfählte eine fliegende Vampirelfe in der Luft, »aber wir sind noch mitten im Gefecht!« Anya holte wieder ihren Gasbrenner aus der Tasche. Xander schwang den Jagdomat. Und auch Buffy wurde wieder aktiv – im wahrsten Sinn des Wortes. Sie nahm ihre Fackel, schwang sich auf eines der Bettgestelle, die an der Wand standen, hielt die Fackel hoch in die Luft und verbrutzelte einen Schwarm Elfen, der vier Meter über dem Boden schwebte. Sie federte ein paar Mal auf dem Gitternetz, um es zu testen. Quietschend hielt das Metallgeflecht ihrem Gewicht stand. Wie auf einem Trampolin sprang Buffy immer höher und verbrannte jeden einzelnen fliegenden Vampir, den sie mit der Fackel erreichte. Dann sprang sie mit einem Salto vorwärts auf das nächste Bett. Xander schlug derweil mit dem Jagdomat um sich und erlegte mit jeder Bewegung mindestens fünf Vampirelfen. »Mensch, wenn das in diesem Tempo weitergeht, ist Sunnydale schnell von den Mikrovampiren befreit – in höchstens ein, zwei Jahren«, spottete er. Willow warf eine Hand voll Knoblauchpulver in die Luft und wehrte damit die Elfen ab, die noch in ihrer Nähe waren und sich nicht niesend aus der Schusslinie entfernt hatten. Als die mit Knoblauch gewürzten Vampire hustend und würgend zu Boden fielen, kniete Willow sich hin. Sie nahm die Pfeifenputzer aus der Tasche, wusste jedoch nicht so recht, was sie damit anstellen sollte. Schließlich befestigte sie damit ein paar Zahnstocher an ihren Fingern und begann, die gefährlichen Plagegeister abzustechen. »Sie sind eigentlich ganz putzig«, bemerkte sie und verzog das Gesicht, weil sie keine andere Wahl hatte, als die kleinen Wesen zu töten. »Putzig?«, wiederholte Buffy. Sie hatte beim Springen über die Bettgestelle mittlerweile einen guten Rhythmus gefunden. Federn, ausholen, verbrutzeln, federn, Salto auf das nächste Bett, federn, ausholen, verbrutzeln... 166
»Ja«, entgegnete Willow. Sie hielt rasch ihr Kreuz hoch, als zwanzig Vampirelfen auf sie zugeschossen kamen. »Auf böse, hässliche Weise meine ich natürlich. Und... und zahlreich sind sie. Das auf jeden Fall!« Die meisten Elfen flohen vor dem Kruzifix, manche umrundeten es jedoch nur im großen Bogen, »‘tschuldigung!« Sie verpasste zweien einen Schlag mit dem Kreuz und wurde damit belohnt, dass sie sich mit einem brutzelnden Geräusch in glitzernde Staubwolken auflösten. »Oooh! Das war hübsch!« »Mir geht die Munition aus«, meldete Giles. Ein kleiner Vampir landete auf seinem Rollkragen und biss in die nackte Haut unter seinem Kinn. »Mist!«, sagte er, aber bevor er nach dem Angreifer schlagen konnte, verwandelte sich der Mikrovampir in ein Aschewölkchen. Giles sah zur Seite und erblickte Spike fünf Meter entfernt in der Nähe des Eingangs. Er lud gerade sein Blasrohr nach. Dawn stand neben ihm, schwang erneut das mit Weihwasser getränkte Schmetterlingsnetz durch die Luft und fing ein paar der fliegenden Monster. »Ist es das, was man unter Fliegenfischen versteht?«, fragte sie. »Danke, Spike!«, rief Giles. »Nicht der Rede wert«, entgegnete Spike. »Nein, wirklich, das meine ich ernst, reden wir nicht drüber.« »Ja, nun, dann passen Sie weiter auf, dass Ihnen kein einziges Biest entkommt«, sagte Giles. Als Spike zufällig in den Tunnel hinter dem Eingang blickte, schoss etwas Kleines, Leuchtendes an ihm vorbei in den Bunker. Ein silberhaariger Elf mit gebrochenem Flügel und lavendelfarbener Kleidung. »So ein Scheiß!«, fluchte er. »Ich wusste, ich hätte diesen Elfen sofort erledigen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte.« »Es ist Lucket!«, rief Dawn. Anya krabbelte mit ihrem kleinen Gasbrenner über den Boden und verbrannte sämtliche Minivampire, die mit 167
Schlägen oder Weihwasser außer Gefecht gesetzt worden waren. Sie lagen in einer langen Reihe bis an die Bunkerwand. Der Anblick erinnerte Anya an den Pfad einer übergroßen alptraumhaften Insektensorte. Sie verbrannte, pfählte und verbrannte. »Viel befriedigender als die Ameisenjagd!«, bemerkte sie. Als sie sich bis zur Wand vorgearbeitet hatte, sah sie sich plötzlich Auge in Auge mit Königin Mabyana und zweien ihrer Gefolgsvampire. Anya fletschte wütend die Zähne wie eine Raubkatze. »Du wolltest meinen Xander töten! Ich reiße dir die Flügel vom Leib und dann wirst du sterben!« Mit hoch erhobenem Gasbrenner stürzte sie sich auf die Königin, aber ausgerechnet in diesem Augenblick ging ihr das Butangas aus. Die Flamme erlosch zischend. Auf ein Signal der Königin hin stürzte ein Schwarm Untertanen herbei und machte sich über Anyas Haare und ihre Kleidung her. Königin Mabyana sagte nur ein Wort: »Anyanka.« Anya schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Anyanka, nur Anya! Ich bin keine Dämonin mehr. Was willst du von mir?« Königin Mabyana flog ganz dicht an Anya heran, bis sie fast ihre Nase berührte. »Rache!«, zischte sie. »Das dürfte wohl niemand besser verstehen als du!« Anya versuchte, die zahllosen Mikrovampire abzuschütteln, die sie überall bissen, wo sie nackte Haut fanden. »Ich war Rachedämonin und ich habe meinen Job gemacht. Das war vor fünfhundert Jahren. Vergiss es!« »Also hat Anyanka keine Kräfte mehr. Das erleichtert die Sache natürlich um einiges«, sagte Mabyana und erstrahlte in goldenem pulsierendem Licht. »Und köstlicher.« Xander tauchte hinter Anya auf. »Niemand spielt hier Herr der Fliegen mit meiner Freundin!« Er begann hastig, Anya die kleinen Flatterbiester von der geschundenen Haut zu pflücken. Buffy schlug einen Salto mit einer halben Drehung und 168
landete neben Xander. Willow und Giles erschienen auf der anderen Seite von ihm. »Das ist die Bienenkönigin?«, meinte Buffy ungläubig. »Lasst Anya in Ruhe oder ich serviere euch einen Teleportationszauber, der dich und deine Freunde da hinten an der Wand zerquetscht«, drohte Willow und schwenkte vorsichtshalber ihr Kruzifix. »Das kann sie wirklich«, bemerkte Giles. »Du hast Recht, ich habe keine Kräfte mehr«, sagte Anya zu Mabyana. »Aber ich habe Freunde!« Die entrüstete Königin wirbelte wie ein Derwisch um die eigene Achse und schoss gefolgt von ihrer Miniaturehrengarde hinauf zur Decke. Ein lilafarbener Blitz folgte ihnen. »Ganz schön heftig, Will«, sagte Xander und klatschte auf die Rückseite seines Jagdomats. »Ziemlich gewaltiger Einschüchterungsfaktor.« Buffy stemmte die Hände in die Hüften. »Und als technische Note gebe ich die fünf Komma acht.« »Ihr...« – Willow schnappte nach Luft – »ihr glaubt wirklich, jetzt hauen sie ab?« »Das sollten sie besser«, sagte Spike von seinem Wachposten am Eingang. »Ich würde sagen, wir haben grob die Hälfte von ihnen erledigt.« »Hmmm«, machte Xander. »Dann kommt es vielleicht gar nicht zu dem großen Finale.« »Buffy!«, schrie Dawn plötzlich. Buffy sah auf und entdeckte ein paar hundert leuchtende Mikrovampire, die mit einem bedrohlichen Brummen auf sie zugerast kamen. Sie hielt die Fackel hoch. »Anscheinend geben sie sich doch noch nicht geschlagen. Sammelt die Butangasdosen, Feuerzeugbenzin, Streichhölzer und alles Brennbare ein, bringt es her und dann haut so schnell wie möglich ab. Wir treffen uns dann alle draußen im Tunnel.« Die Elfen waren fast bei ihnen, als die Scoobies die 169
entzündlichen Güter vor Buffy auf den Boden legten. Anya hatte die Bleistifte eingesammelt, die aus der Schublade des heruntergestürzten Schreibtischs gefallen waren. Xander brachte die Seile und Stofffetzen, mit denen ihn die Elfen gefesselt und den Tisch an der Decke aufgehängt hatten. Dawn warf ihrer Schwester die Kerze in dem Tontöpfchen zu. Giles fügte ein paar Streichhölzer und Zahnstocher hinzu und warf noch ein Papiertaschentuch auf den Haufen. Willow lieferte ihre restlichen Pfeifenputzer und Zahnstocher ab, breitete die Hände über dem Haufen Brennmaterial aus und flüsterte: Wie Motten zum Licht, kommt herbei ganz erpicht! Sie sah Buffy an. »Das wird sie herlocken, aber es hält nicht lange an.« Aus Buffys Gesicht sprach grimmige Entschlossenheit. »Wenn die Biester herkommen, genügt mir das schon.« Die anderen hatten bereits begonnen, sich zum Ausgang durchzukämpfen. »Hilfe!«, rief Dawn und versuchte, ein kleines Vampirkommando abzuwehren, das direkten Kurs auf sie nahm. »Bin schon da, Kleines!«, rief Spike und lief zu ihr. Xander schwang den Jagdomat durch die Luft und machte damit den Weg frei. Buffy ließ die brennende Fackel über ihrem Kopf kreisen, während sie auf dem Boden kniete und das Brennmaterial aufschichtete. Sie stellte die Butangasdosen auf und verteilte Streichhölzer, Bleistifte und Zahnstocher darauf. Als Nächstes zerschlug sie den Tontopf mit dem flüssigen Kerzenwachs auf dem Boden, öffnete das Flaschen mit dem Feuerzeugbenzin und verspritzte es in hohem Bogen. Wie sie sich zu erinnern glaubte, war auch das Linoleum auf dem Boden bei hohen Temperaturen entzündlich. Sie hoffte es 170
jedenfalls. Als sie einen Blick zum Tunneleingang warf, sah sie, dass nur noch Spike im Raum war. »Geh jetzt!«, rief sie. Er ließ es sich nicht zweimal sagen. Buffy sprang auf, machte sich mit der Fackel den Weg frei und lief drei Schritte auf den Ausgang zu. Sie drehte sich um, warf die Fackel auf den Haufen mit dem Brennmaterial und stürzte sich in den kurzen Tunnel, der in die Kanalisation führte. In diesem Augenblick wurde es im Bunker taghell. Giles und Xander packten Buffy an den Armen, sobald sie nah genug war, und zogen sie aus dem Tunnel in den Abwasserkanal. »Helft mir mal schnell!«, rief Buffy und trat an die Bleiplatte, die an der Öffnung lehnte, durch die sie gerade gekommen waren. Buffy und Giles nahmen eine Seite, Xander und Spike die andere und dann hoben sie die Platte gemeinsam an und knallten sie vor die Öffnung. Eine Druckwelle schlug von der anderen Seite gegen die dicke Platte, aber sie stemmten sich fest dagegen. Eine Weile standen sie keuchend da und lauschten, ob die Mikroplagegeister vielleicht doch noch versuchten, hinter ihnen herzukommen. Aber es war nichts zu hören. Schließlich machten sie sich auf den Weg zurück zum Zauberladen. »Na, wie waren wir?«, fragte Willow. Buffy seufzte. Manche Phänomene waren einfach völlig gegen die Gesetze der Natur. Es sollte gar nicht möglich sein, dass Elfen zu Vampiren wurden. Buffy war weder zufrieden, noch fühlte sie sich besonders siegreich. »Wenigstens haben wir ihnen Einhalt geboten.« »Nicht ganz, Liebes«, sagte Spike. »Was soll das heißen?« Spike blieb stehen, legte den Daumen zwischen die Augenbrauen und schloss die Augen, als wolle er einen sehr unangenehmen Gedanken verdrängen. »Ein paar von den Biestern sind entkommen«, sagte er. 171
»Wie bitte?«, fuhr Buffy auf. »Sie sind uns entwischt«, sagte Dawn und verknotete nervös die Finger. »Als Spike mir geholfen hat. Lucket und die Elfenkönigin und vielleicht noch zehn andere. Sie haben sozusagen einen kleinen Schlussspurt eingelegt.« Königin Mabyana kauerte dicht zusammengedrängt mit Lucket und den wenigen Untertanen, die ihr verblieben waren, in einem feuchten Winkel in der Kanalisation, den nie ein Sonnenstrahl erreichte. Auf ihren Befehl hin war alles farbenfrohe Leuchten erloschen. Sie durften nicht das Risiko eingehen, gesehen zu werden. Kleine glitzernde Tränen kullerten aus Mabyanas grünen Augen. Sie würden bis zum Abend in ihrem Versteck bleiben und dann nach oben fliegen, um die Kanalisation zu verlassen und so schnell wie möglich vom Höllenschlund zu verschwinden. Vielleicht würde es ihnen eines Tages gelingen, ihre Kräfte zu mehren und nach Sunnydale zurückzukehren. Vielleicht würde Königin Mabyana eines Tages doch einen Weg finden, um sich an dieser grässlichen Anyanka zu rächen.
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29 Nachdem sie das ganze Wochenende damit verbracht hatten, Sunnydale von kleinen Plagegeistern mit spitzen Zähnen zu befreien, mussten Buffy und ihre Freunde in den nächsten Tagen erst einmal eine Menge Alltagspflichten nachholen. So wurde es Mittwochabend, bis alle wieder Zeit hatten und sich im Zauberladen versammelten. Anya und Dawn saßen auf zwei Hockern an der Verkaufstheke und Anya, deren Handgelenk schon fast wieder in Ordnung war, trug ganz ordentlich endlose Zahlenkolonnen ins Kassenbuch ein. Giles wanderte im Laden umher, rückte hier und da etwas zurecht und machte gelegentlich eine Bemerkung, wenn ihm auffiel, dass ein Artikel knapp wurde oder fehlte. Willow kochte Tee, während Xander, der noch seine Arbeitskleidung trug, gegenüber von Tara an dem großen Konferenztisch saß. Buffy machte nach ihrem Workout im Hinterzimmer des Ladens noch ein paar Dehnungsübungen. Sie trug ein enges weißes Tank-Top und graue Jogginghosen und war schweißgebadet. Die Gesichter aller sahen eigentlich so aus, als erholten sie sich gerade von den Windpocken. »Erzähl mal, Dawnie«, sagte Willow und goss den heißen Tee aus einer Kanne in zwei Steinguttassen, »wie war der Test? Du weißt schon, die Kolonien und die Daten und all das!« Dawn verdrehte die Augen und zuckte mit den Schultern. »Ich hab ihn heute zurückgekriegt.« Buffy richtete sich langsam wieder auf, nachdem sie vornübergebeugt mit den Händen den Boden berührt hatte, und sah ihre Schwester erwartungsvoll an. »Und?« Auf Dawns Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Eins minus.« Sie stand auf und machte eine kleine Verbeugung. Alles applaudierte, pfiff und johlte um die Wette und so hörte 173
niemand das Klingeln der Türglocke. Grinsend kam Spike die Stufen zum Tisch hinuntergeschlendert. »Schön, wenn man so geliebt wird.« Er angelte sich mit dem Fuß einen Stuhl vom Tisch, drehte ihn um und setzte sich. Ohne hinzusehen schnappte er sich die Tasse von Willow, als sie an ihm vorbeiging, und nahm einen großen Schluck. »Danke, mein Schatz!« »Hey!«, rief Willow und brachte Tara die andere Tasse. Sie sah Spike böse an. »Das war mein... Du kannst doch nicht einfach...« Dann blickte sie resigniert drein. »Brauchst du... ähm... noch mehr Zucker?« Sie machte wieder kehrt, um sich eine neue Tasse Tee einzuschenken. »Ach was!« Spike holte seinen Flachmann aus der Jackentasche, schraubte ihn auf und gab einen kräftigen Spritzer in die Tasse. »Geht auch so.« »Dawn hat eine Eins minus in Geschichte«, erklärte Anya ihm. »Giles und ich sind nämlich hervorragende Lehrer. Willow und Tara haben aber auch geholfen.« Sie sah Tara an. »Warst du mit deinem Nachhilfeunterricht am Sonntag genauso erfolgreich?« Verlegen strich Tara sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. »Ich, also, ja. David ist ziemlich clever. Er kannte sich bereits mit der Materie aus und hat nur jemanden gebraucht, der noch mal alles mit ihm durchgeht und ihn mit kniffligen Fragen löchert.« »Ach, apropos Löchern!« Xander verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Das erinnert mich an etwas. Buffy, wie geht es denn dem Zahn?« »Guck mal, tut gar nicht mehr weh!«, sagte Buffy und lächelte. »So gut wie neu!« Giles räusperte sich. »Buffy, hör mal, solche Dinge solltest du nicht vor uns geheim halten.« Er sortierte ein paar Bücher über Kräuterkunde alphabetisch, die durcheinander geraten waren. »Wir sind deine Freunde. Deine Familie! Wir greifen 174
dir jederzeit unter die Arme. Du musst nicht im Stillen vor dich hin leiden.« »Ganz genau.« Willow nahm einen Schluck Tee und setzte sich neben Tara. »Wir möchten den Zahn, den ganzen Zahn und nichts als den...« Ihre Stimme erstarb, als sie in die schmerzerfüllten Gesichter ihrer Freunde blickte. »Möchte sonst noch jemand Tee?« »Xander, wie sieht es mit der Schädlingsplage aus?« Xander mimte den treuen Soldaten. »Sir, ich freue mich, berichten zu können, dass der Aufstand niedergeschlagen wurde, Sir!« Er grinste zufrieden. »Au Mann, ich bin echt froh.« »Kein lästiges Ungeziefer mehr?«, fragte Willow. Xander schüttelte den Kopf. »Sie haben sich der Rechtsstaatlichkeit unterworfen. Und apropos Recht, wie war es vor Gericht, Giles?« »Cleverer Zug, Meister der Überleitungen!«, lobte Buffy. Giles setzte die Brille ab und nahm die Umstehenden mit seinen braunen Augen ins Visier. »Nun, wie sich herausstellte, handelt es sich bei dem Richter um eine Frau – um eine Frau von großer Weisheit. Und zufällig interessieren wir uns beide für mittelalterliche religiöse Artefakte. Wir hatten ein faszinierendes Gespräch über...« »Giles!«, unterbrach ihn Buffy. »Was ist mit der Klage?« »Oh ja!« Giles blinzelte und setzte die Brille wieder auf. »Die wurde abgewiesen. Und damit ist der Fall abgeschlossen.« »Die leibhaftige Erin Brockovich!« Anya strahlte ihn voller Stolz an. »Sie haben großen Mut und einen sehr starken Gerechtigkeitssinn.« Sie klappte das Kassenbuch zu. »Kann ich eine Gehaltserhöhung bekommen?« »Nun, ich, ähm...« Giles rückte ein Arrangement Heilkristalle zurecht. »Fünfzig Cent pro Stunde?« »Ein Dollar«, verlangte Anya entschlossen. 175
Giles schürzte die Lippen. »Fünfundsiebzig Cent und keinen Penny mehr!« »Abgemacht.« Anya tauchte hinter der Theke ab, um das Kassenbuch wegzuräumen. Xander bewunderte einmal mehr das Verhandlungsgeschick seiner Freundin. »Na, dann haben wir ja alles wohl sortiert im Sack!« »Alles außer den bissigen Elfen«, bemerkte Spike. Buffy verzog das Gesicht. »Er hat Recht. Ein paar sind uns entwischt.« »Aber nicht viele!«, wandte Dawn ein. »Ich meine, vielleicht können sie niemanden mehr töten, wenn sie so dezimiert sind. Vielleicht müssen sie jetzt Tauben und Ratten jagen.« »Das können wir nur hoffen«, meinte Buffy. Willow biss sich auf die Unterlippe. »Aber wir haben ja alle gesehen, wie kleine Probleme sich ganz schnell in ekelige große verwandeln können.« »Stimmt«, pflichtete Spike ihr bei. »Besser, man erstickt sie gleich im Keim.« »Oh, was für ein böser Gedanke!«, sagte Willow. »Anya, du hast doch gesagt, sie sind Nomaden, nicht wahr? Jetzt wissen sie, wo du wohnst und wo der Höllenschlund ist. Und wenn sie nun jedes Jahr wiederkommen wie die Schwalben nach Capistrano?« Buffy zog eine Augenbraue hoch und sah Spike an. »Es sind uns doch nicht zum ersten Mal Vampire durch die Lappen gegangen. Wenn sie zurückkommen, werden wir uns damit befassen. Und in der Zwischenzeit läuft der Betrieb ganz normal weiter.« »Gehst du heute Nacht auf Patrouille?«, fragte Dawn. Spike sah die Jägerin herausfordernd an. »Wie mir zu Ohren gekommen ist, sollen sich ein paar Zugrath-Dämonen in der Stadt herumtreiben.« In Buffys grünen Augen glomm Interesse auf. »Welche sind 176
das noch mal?« »Groß wie Elefanten und dümmer als Bohnenstroh«, half Giles ihr auf die Sprünge. Buffy legte lächelnd den Kopf schräg. »Ich muss sagen, das klingt nach einer soliden, reizvollen Herausforderung. Kommt sonst noch jemand mit?«
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