Warbow City Als Bob Fuller im Morgengrauen die ersten Häuser und Schuppen der Stadt vor sich auftauchen sieht, stößt er ...
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Warbow City Als Bob Fuller im Morgengrauen die ersten Häuser und Schuppen der Stadt vor sich auftauchen sieht, stößt er auf seinem wild galoppierenden Pferd einen heiseren Schrei aus. Es ist ein triumphierender Schrei. Denn nun ist er ziemlich sicher, daß er entkommen ist. Vor dem Palace Hotel reißt er sein schweißnasses Pferd auf die Hinterhand und schwingt sich aus dem Sattel. Mit einigen Sätzen erreicht er den Plankengehsteig und stößt die Tür auf. Der Nachtmann hinter dem Anmeldepult schreckt in seinem Schaukelstuhl hoch, aber Bob Fuller springt bereits die Treppe hinauf. Er ist ein geschmeidiger, wild und verwegen wirkender, noch recht junger Bursche. Er hämmert wenig später an eine Zimmertür und ruft dabei: »He, Marshal! He, Orrin Adams! Sie sind hinter mir her! Sie sind gleich hier und wollen mich hängen! Komm heraus und sag ihnen, daß sie in deiner Stadt niemanden hängen dürfen!« Er muß nicht lange warten. Dann öffnet sich die Tür. Orrin Adams steht in der Unterhose und mit nacktem Oberkörper vor ihm, in der Hand einen schweren Colt. Sie betrachten sich einige Sekunden im schwachen Lichtschein der Flurlampe. Dann sagt Orrin Adams grimmig: »Aaah, du bist der Brüllaffe! Wer ist hinter dir her?«
Der vorliegende Roman erschien schon einmal in dieser Reihe als Band 886 und im Unger-Western als Band 713.
»Nun, wer schon? Hogjaw Staretter natürlich mit einem großen Rudel! Sie haben Fred Yankton vom Pferd geschossen und Tom Barney …« Die Stimme versagt ihm nun. Und er wird von der nackten, heißen Angst geschüttelt Er ist um sein Leben geritten und wußte keinen anderen Ort als diesen hier. Orrin Adams betrachtet ihn immer noch. Er kennt ihn gut genug, und noch besser kennt er Bob Fullers Schwester. Er wendet sich plötzlich ins Zimmer zurück und knurrt fast böse: »Komm herein! Und wenn deine Furcht zu groß ist, dann kriech unter mein Bett!« Nach diesen Worten beginnt er sich anzukleiden. Seine Kleidung ist überall im Zimmer verstreut, und so wandert er darin herum und vervollständigt sein Äußeres sehr schnell. Als er seine Stiefel anzieht, fällt auf, daß die Sporen angeschnallt sind. Er ist ein Stadtmarshal. Und dennoch trägt er Sporen, so als wollte er auf seine Herkunft hinweisen. Auf seinen Handrücken sind alte Lassonarben. Zum Schluß zieht er den Mantel an und setzt den Hut auf. Als er das Gewehr in die Hand nimmt, lädt er es auf eine besondere Art durch, nämlich mit Hilfe eines besonderen Schwungs einhändig. Der große Colt im Holster, den er links vorne trägt, ist jedoch seine hauptsächliche Waffe. Als er das Zimmer verläßt, sieht er sich nach Bob Fuller gar nicht mehr um. Draußen vor dem Hotel sind nun viele Reiter. Sie lassen ihre schnaubenden Pferde tanzen. Sie haben Bob Fullers Pferd vor dem Hotel gesehen und sofort angehalten. Nun wirbelt Staub. Als der Lärm des Durcheinanders sich etwas legt, tönt Hogjaw Staretters tiefe, kehlige Stimme:
»Hoiii, Adams! Ist er bei dir untergekrochen? Dann bring ihn heraus! Oder wir holen ihn! Heraus mit ihm!« In Hogjaw Staretters Stimme ist ein wildes, böses Frohlocken. Er hat ein knappes Dutzend Reiter bei sich. Und alle Pferde tragen das Brandzeichen der Warbow Ranch, einen Kriegsbogen mit aufgelegtem Pfeil. Denn Hogjaw Staretter ist der Erste Vormann der Warbow-Mannschaft. Orrin Adams tritt nun aus dem Hotel – ein großer, hagerer Mann, ziemlich langhaarig, mit einem Schnurrbart und hellen Augen. Da er den Mantel offen trägt, sieht man seinen Colt und ein Stück darüber den Stern auf der Weste. Das Gewehr hält er, lässig um den Kolbenhals gepackt, in der Rechten. Er tritt vom Plankengehsteig in den Staub des Platzes und bewegt sich einige Schritte nach vorn. Als zwei der Reiter ihre Pferde hinter ihm zwischen ihn und das Hotel lenken wollen, winkt er nur mit dem Gewehr – und es geht etwas von ihm aus, was die Reiter von ihrem Vorhaben ablassen läßt. Ja, es geht etwas von ihm aus. Man muß es besonders erwähnen. Selbst die hartbeinigen und wilden Reiter der Warbow Ranch spüren es, obwohl sie sonst vor niemandem Respekt haben außer vor ihrem Boß George Jessup und ihrem Vormann Hogjaw Staretter. Letzterer will sich vom Pferd schwingen. Doch Orrin Adams sagt scharf: »Bleib oben, Staretter! Bleib oben auf deinem Gaul!« Staretter gehorcht wahrhaftig. Aber er lacht kehlig. Und er beugt sich etwas vor und spricht über die Ohren seines Pferdes hinweg: »Orrin, wir haben ihn mit einigen anderen beim Viehdiebstahl erwischt. Ich will ihn haben – und bekomme ihn, so oder so. Also werden wir ihn aus
diesem Hotel dort holen wie eine Ratte aus dem Loch. Du kannst hier warten.« Und wieder will er vom Pferd. Doch abermals sagt Orrin Adams: »Bleib oben, Hogjaw!« Nun staunt dieser ganz offensichtlich. »He«, sagt er dann langsam und schwer, »he, Mister, willst du einen Viehdieb beschützen? Willst du uns daran hindern, ihn zu hängen, wie man es in diesem Lande mit Vieh- und Pferdedieben tut?« In Hogjaw Staretters Stimme ist ein staunender Klang, der ganz und gar zum Ausdruck seines runden Gesichtes paßt. Staretter ist ein bulliger Bursche, bärenstark und ständig angriffslustig wirkend, ein Bursche, dem man zutraut, daß er jedes Hindernis frontal angreift. Nun staunt er und wirkt dadurch einen Moment unsicher. Doch als er sich dessen bewußt wird, steigt auch schon der Zorn in ihm hoch. Der Atem von bevorstehender Gewalt weht nun im kalten und grauen Morgen hier vor dem Palace Hotel. Die Stadt schläft noch. Zumindest tut sie so. Es ist eine Stadt, deren Bürger sich von einem Revolver-Marshal beschützen lassen. Und weil sie ihm einen hohen Revolverlohn dafür zahlen, ist er jetzt allein. In dieser Minute jetzt wird es sich entscheiden, ob Warbow City seine Stadt bleiben wird oder nicht. Adams sagt zu Hogjaw Staretter empor: »Paß auf, Hogjaw, ich will es dir erklären. Dies ist meine Stadt. – Bis zu den Stadtgrenzen vertrete ich die Stadtgesetze. – Was dort draußen auf der Weide geschieht, geht mich nichts an. Er hat deshalb hier den gleichen Anspruch auf Schutz und Sicherheit wie jeder andere Mensch. Und schon gar nicht lasse ich ihn zu einer Lynchpartie entführen. Jetzt kennst du meinen Standpunkt, Hogjaw Staretter. Und nun hau ab mit deiner Mannschaft. Ihr stört hier die Morgenruhe. Hau ab!«
Hogjaw Staretter, der Erste der Warbow Ranch, und seine Reiter auf dem Platz vor dem Hotel – sie können es zuerst nicht glauben. Und sicherlich wären Orrin Adams’ Worte ein Witz gewesen, würden sie von einem anderen Manne gesprochen worden sein. Aber es ist nicht irgendein Mann. Es ist Orrin Adams. Und das, was von ihm ausgeht, verstärkt sich nun noch, und sie alle spüren es deutlich. Es ist der Anprall von Gefahr, der wie ein kalter Hauch kommt – oder wie die Witterung eines Raubtiers. Und vielleicht spüren sie auch alle deutlich, daß hinter diesem kalten Atem die Bereitschaft zum Sterben vorhanden ist. Sie erinnern sich wieder an den Ruf dieses Mannes. Und plötzlich begreifen sie alle, daß Orrin Adams diese Sache hier auskämpfen wird, sollte es notwendig sein. Denn tut er es nicht, dann unterwirft auch er sich der Warbow Ranch – und damit tut es auch diese Stadt. »He«, grollt Hogjaw Staretter. »He, für wie groß hältst du dich denn eigentlich, Orrin Adams?« »Das wird sich herausstellen, wenn du absitzen solltest, um Bob Fuller aus der Stadt zu schleifen.« Die Stimme des Town Marshals klingt noch lässiger, dabei aber spröder, kälter und unversöhnlicher. Ja, er ist bereit. Dies läßt er sie glaubhaft spüren. Und so zögert der Erste von der Warbow Ranch. Ja, zum ersten Mal seit vielen Jahren ertappt Staretter sich bei einem Zögern. Dies irritiert ihn. Er befürchtet plötzlich, er könnte den Glauben an sich selbst verlieren. Es ist dies jetzt plötzlich die Sekunde, in der sich alles entscheidet. Entweder bricht jetzt die Gewalttat aus. Oder jemand kneift. In dieser Sekunde klirren drüben auf der anderen Seite des Platzes einige Fenster. Sie werden zu heftig geöffnet. Im oberen Stockwerk des Longhorn Saloons zeigen sich in den Fenstern und auf dem Balkon die Mädchen. Es gibt mehr
als ein halbes Dutzend Mädchen dort drüben im Longhorn Saloon. In den Häusern rings um den Platz wußte man Bescheid. Nun gellt Sue Fullers Stimme über den Platz: »Haut ab, ihr Stinker! Haut nur ab, ihr Pfeifen!« Ihr schrilles Keifen wird nun unterstützt von den gellenden Rufen der anderen Mädchen, die sich mit ihrer »Kollegin« sofort solidarisch erklären. Und weil sie Bob Fuller mögen, fällt ihnen das nicht mal schwer. »Bei uns habt ihr endgültig ausgegeigt!« »Mit euch Stinkern geht keine mehr hinauf!« »Euch merken wir uns!« Dieses und anderes mehr tönt keifend herüber. Die Reiter hinter Hogjaw Staretter werden nervös. Er spürt es. Die ganze Stadt wird jetzt gewiß bis in die entferntesten Winkel wach, dies begreift er ebenfalls. Und dieser Orrin Adams ist bereit für alles. Hogjaw Staretter spürt plötzlich, daß er nicht mehr den Nerv hat weiterzumachen. Sein Instinkt sagt ihm, daß er aufhören soll. Er muß mühsam schlucken, und es ist ihm, als müßte er eine große Kröte herunterwürgen. Seine Stimme klingt heiser, als er sagt: »Orrin, das hättest du nicht tun sollen. Bob Fuller ist schon so gut wie tot. Und du …« Er spricht nicht weiter. Etwas scheint ihm die Kehle zuzuschnüren. Er zieht sein Pferd herum und reitet aus der Stadt. Die Warbow-Reiter folgen ihm. Und die Mädchen vom Longhorn Saloon rufen ihnen triumphierend Schmähungen nach. Der graue Morgen weicht dem heller werdenden Tag.
Im Osten kommt die Sonne über die Hügel des Warbow River. Orrin Adams verharrt noch einige Atemzüge lang unbeweglich. Dann kehrt er ins Hotel zurück. Bob Fuller kam in die Diele herunter. Nun grinst er erleichtert und schon wieder verwegen. »Dem hast du es aber gezeigt, Orrin«, sagt er. Der tritt vor ihn hin und tippt ihn hart mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Paß auf«, sagt er. »Bob, mein Junge, ich will dir etwas sagen. Du taugst nichts und wirst nie wieder etwas taugen. Ich hab’ dies nicht wegen dir getan. Ich hätte es auch für jeden anderen Drecksack und Mistkerl getan, weil dies meine Stadt ist und ich sie nicht der Warbow Ranch überlassen will. Und nun hau ab hier! Deine Schwester und die anderen Honeybees werden dich schon erwarten.« Er schiebt ihn zur Seite und geht die Treppe hinauf. Bob Fuller sieht ihm regungslos nach. Der Nachtmann des Hotels sagt hinter dem Pult: »Glück gehabt, Bob Fuller. Aber er ist nicht dein Freund. Er mag nur die Warbow Ranch nicht.« »Ja, er mag George Jessup nicht – wegen Mae Thorne. Jeder weiß das. Nun, ich hab’ noch immer Glück gehabt – noch immer!« Bob Fullers Stimme klingt schrill, wild verwegen. Lachend geht er hinaus und nimmt draußen sein Pferd. Er führt es quer über den Platz zum Saloon hinüber. Die Mädchen winken ihm aus den Fenstern und vom Balkon aus zu. Sie alle sind nur wenig bekleidet. Und er ist bei ihnen der Hahn im Korb. * Der Tag vergeht ereignislos in Warbow City. Die kleine Town an der einzigen Furt des Warbow River wirkt verschlafen,
untätig, müßig. Es bewegt sich nur wenig in Warbow City, und so wirkt das Wort »City« fast wie ein Witz auf jeden Fremden, der hier durchkommt. City, das war damals der Wunsch und Traum der Städtegründer. Denn die Idee war nicht schlecht. Hier ist die einzige Furt des tief eingeschnittenen Warbow River. Hier mußte logischerweise jeder Verkehr durchkommen. Das Land in weiter Runde war gutes Weideland. Eigentlich mußte dieser Ort eine aufblühende Stadt werden. Aber es kam anders. Und es blieb anders. Am späten Mittag geht Marshal Orrin Adams in den Speiseraum zum Mittagessen. Es sind außer ihm nur wenige Gäste da, zwei Handelsvertreter, ein durchreisender Spieler und eine ältere Frau mit einer fast erwachsenen Tochter, die nach Santa Fe wollen. Es ist still im Speiseraum. Nur die Bestecke klappern manchmal, und auch aus der Küche klappern manchmal Pfannen und Töpfe. Fliegen summen, denn die Fenster sind offen. Orrin Adams ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Es ist ihm klar, daß sein Verhalten heute im Morgengrauen noch Konsequenzen haben wird. Er hat die selbstherrliche Macht der großen Warbow Ranch unmißverständlich gestoppt. Er weiß, daß George Jessup das nicht hinnehmen wird. Und so wird er seinen Vormann Hogjaw Staretter handeln lassen. Hogjaw Staretter aber hat schon immer die rauhe und schmutzige Arbeit für George Jessup erledigt. Es gibt Hammelbraten mit Klößen, Apfelmus und zum Nachtisch Pudding mit Himbeersaft. Auch Kaffee kann man haben, soviel man will. Orrin Adams schmeckt es nicht besonders, denn er hat keinen Appetit. Wieder einmal fragt er sich, warum er hier Marshal ist und nicht einfach fortreitet.
Aber da ist das Bild von Mae Thorne vor seinen Augen. Er erhebt sich, schiebt den Stuhl mit den Kniekehlen zurück. Und dann geht er hinaus. Die Sommerhitze flimmert auf dem staubigen Platz. Aus der Schmiede klingen jetzt Hammerschläge. Ein Hund schleicht müde über den Platz. Drüben vor dem Longhorn Saloon stehen drei Sattelpferde am Wassertrog. Als Orrin Adams hinübergeht, wirft er einen Blick auf die Brandzeichen der Tiere. Doch es sind fremde Brandzeichen. Er kennt sie nicht. Aber er weiß, daß es in den Hügeln, dort, wo das Land tausend verborgene Winkel bildet, einige Camps gibt, in denen sich Reiter verbergen, die in beständigem Haß gegen die ganze Welt leben, Reiter, welche geächtet wurden oder aus anderen Gründen vor Feindschaft und Verfolgern flüchten mußten. Aus diesen Camps kommen manchmal schweigende Reiter, um lebensnotwendige Einkäufe zu tätigen. Sie nehmen dann auch einen Drink im Saloon und besuchen die Mädchen. Dann verschwinden sie wieder in der Abenddämmerung, wenn niemand ihre Fährten verfolgen kann. Orrin tritt langsam ein. Tim Hackett, der alte Barmann, der bei seinem Anblick an einen alten, narbigen und erfahrenen Wolf denken läßt, steht hinter der Bar und putzt Gläser. Von den drei Reitern, deren Pferde vor dem Saloon stehen, ist nur einer zu sehen. Die beiden anderen befinden sich offenbar mit Mädchen oben in deren Zimmern. Auch von Bob Fuller ist nichts zu sehen. Doch seine Schwester Sue steht bei dem Fremden an der Bar. Sie ist hübsch, und ihr silberhelles Lachen ist ein Geschenk für jeden Reiter, der aus der Einsamkeit der Hügel, von der weiten Weide oder mit Schatten auf der Fährte hereingeritten kam nach Warbow City.
Denn von Frauen und solch einem Lachen träumen sie oftmals. Der Fremde aber lacht jetzt nicht mit. Sein Blick ist fest auf den eintretenden Marshal gerichtet. Doch dieser beachtet ihn kaum. Er nickt dem Barmann zu. Dieser stellt ihm ein Glas und eine besondere Flasche hin. Orrin Adams bedient sich selbst. Er nimmt dann auch eine Zigarre aus der hingehaltenen Kiste. Und zwischen dem alten Revolvermann Tim Hackett, der jetzt als Barmann arbeitet, und dem jungen Revolvermann, der hier Marshal ist, besteht ein stillschweigendes Einverständnis. Sue Fuller kommt nun von dem Fremden die paar Schritte zu Orrin Adams. Sie berührt mit den Fingerspitzen seinen Arm. In ihren dunkelblauen Augen ist ein guter, warmer und herzlicher Ausdruck. »Danke, Orrin«, sagt sie leise. »Er ist mein kleiner, wilder Bruder. Er gehört zu den Verwegenen, zu den Rebellen. Er gehört zu jener Sorte, die sich manchmal aus Trotz Salz statt Zucker in den Kaffee tun muß, nur um anders zu sein. Er wird irgendwann zu sich kommen und ein …« »Nein, Sue«, unterbricht er sie ruhig, »das wird er nicht. Er wird niemals zur Vernunft kommen. Der gehört zu der Sorte, die ihr Glück zu sehr strapaziert. Irgendwann ist es aus damit. Irgendwann – vielleicht schon diese Nacht – wird er dein Zimmer verlassen und aus der Stadt reiten. Dort draußen warten sie auf ihn.« Sie blickt ihn verstört an. Gewiß liebt sie ihren jüngeren Bruder sehr. Ihr Verstand sagt ihr sicherlich auch, wie richtig Orrin Adams die ganze Sache beurteilt. Doch sie möchte es nicht glauben. Sie muß mühsam schlucken. Doch dann lächelt sie wieder. »Ich danke dir dennoch, Orrin«, murmelt sie. »Obwohl du es wahrscheinlich nicht
wegen ihm oder wegen mir getan hast – ich danke dir dennoch. Ich bin in deiner Schuld.« »Nein, Sue«, erwidert er, »du wirst nie in meiner Schuld sein. Allein dein Lachen macht diese Welt wärmer, fröhlicher, freundlicher.« Sie sieht ihn überrascht an. Ihr Mund öffnet sich. Ihre Lippen zucken. Aber dann hält sie letztlich doch die Worte zurück, die sie sagen wollte. Sie wendet sich ab, kehrt zu jenem Fremden an das Ende der Bar zurück und leert dort das Glas mit einem langen Zug, so als wollte sie sich betäuben. Denn es ist Whiskey im Glas, guter, starker Bourbon. Sue trinkt sonst nie am Nachmittag. Doch jetzt ist ihr danach. Tim Hackett, der alte Barmann, sieht den Marshal an. »Dieses Mädchen würde für dich betteln gehen«, murmelt er. »Weißt du das, Orrin Adams?« Orrin Adams nickt. »Ja, das weiß ich«, murmelt er und leert sein Glas, saugt dann an der Zigarre. Dabei erinnert er sich wieder an jene Zeit, da die Geschwister Fuller noch bei den Eltern auf der kleinen Ranch lebten. Als Sam Fuller von einem wilden Pferd fiel und sich das Genick brach, war Bob noch ein halbwüchsiger Junge. Ihre Mutter hatten die Geschwister schon vorher verloren. Sie konnten die kleine, verschuldete Ranch nicht halten. Es gab damals auch keine Absatzmärkte für Rinder. Also ging Sue nach Warbow River in den Longhorn Saloon. Nur so konnte sie für sich und den kleinen Bruder sorgen. Doch sie vermochte sich nicht genug um ihn zu kümmern. Der Saloon gehörte damals noch John Thorne, einem Spieler, der mit seiner schönen Frau Mae hier sein Geld anlegte, weil er endlich seßhaft werden wollte.
Später wurde er von einem Revolverschwinger bei einem Streit erschossen. An all dieses erinnert sich Orrin Adams wieder. Als er gehen will, sagt Tim Hackett: »Mae will dich sehen. Geh nur hinein. Ich sollte dich aber erst den Drink nehmen lassen. Sie will dich sehen.« Orrin Adams, der sich halb abwendete, hielt inne. Nun starrt er auf die unauffällige und mit der gleichen Tapete beklebte Tür am Schanktischende. Einen Moment sieht es so aus, als wollte er ablehnen. Doch dann bewegt er sich und tritt bald darauf in Mae Thornes Privaträume ein. Mae sitzt hinter dem Schreibtisch über irgendwelchen Listen und Eintragungen. Als er eintritt und sich von innen gegen die Tür lehnt, legt sie den Federhalter weg und lehnt sich zurück. Eine Weile betrachten sie sich stumm. Dann sagt Mae Thorne: »Orrin, sie werden dich irgendwann töten. Denn du bist so verdammt allein. Diese Stadt zahlt dir deshalb Revolverlohn, weil sie zu feige ist, selbst zu kämpfen. Oh, ich weiß, daß du nicht wegen des Revolverlohns hier den Stern trägst. Ich weiß es genau! Aber du kannst George Jessup nicht aufhalten. Eines Tages übernimmt er diese Stadt …« »Und dich«, sagt Orrin Adams hart. »Und dich, Mae. Wenn er diese Stadt besitzt, mußt du dich ihm ergeben, ganz und gar. – Oder du mußt wieder rauhe Wege wandern, die gleichen Wege, die du gehen mußtest, bevor du John Thornes Frau wurdest und er dir einen festen Platz schuf hier in Warbow City. Ist es nicht so?« Sie schweigt eine Weile, senkt ihre dunklen Wimpern. Ihr Haar ist so glänzend wie poliertes Rotgold. Und ihre Augen, welche nun unter den Wimpern verborgen sind, haben eine grüne Farbe. Sie ist eine junge Frau, welcher kaum noch etwas fremd ist auf dieser Erde.
Vielleicht wird auch Sue Fuller mal so werden wie sie. Als sie Orrin Adams wieder ansieht, ist ein bittender Ausdruck in ihren Augen. Sie sagt leise, bittend: »Geh fort, Orrin, bevor sie dich töten.« »Dann komm mit mir«, sagt er, und seine Stimme klingt ein wenig rauh. Sie schüttelt den Kopf. »Dieser Saloon ist alles, was ich habe«, spricht sie. »Ich habe damals John Thorne geheiratet, weil er bereit war, uns einen festen Platz zu schaffen. Hier will ich bleiben. Und sicherlich würde ich mich mit George Jessup arrangieren. Ich bin es nicht wert, daß du wegen mir eine ganze Stadt gegen die Macht der Warbow Ranch verteidigst. Gib auf, Orrin. Ich bin keine Frau, die aus Liebe zu einem Manne dessen Wege mitzugehen bereit ist. Diese Zeit ist lange schon vorbei. Also gib auf, Orrin. Es lohnt sich nicht für dich, hier …« »Schon gut«, unterbricht er sie und wendet sich um, legt die Hand schon an den Türknopf, um zu öffnen und zu gehen. Doch da hält er noch einmal inne und sieht über die Schulter auf Mae. »George Jessup wird diese Stadt nicht bekommen«, sagt er rauh. »Und deshalb wird er auch dich nicht bekommen. Ein toter Mann bekommt nur noch ein Grab.« Nach diesen Worten geht er hinaus, schließt sachte die Tür hinter sich. Mae Thorne sitzt einige Atemzüge lang steif und starr hinter dem Schreibtisch. Dann hebt sie die Hand und streicht mit zitternden Fingern über Stirn und Augen. Es ist, als wollte sie irgendwelche Bilder wegwischen, die sie im Geiste sieht. »Du lieber Gott im Himmel«, flüstert sie. »Orrin liebt mich so sehr, daß er bereit wäre, gegen die Hölle selbst und alle Teufel zu kämpfen. Und ich kann ihm nichts dafür geben, weil ich nicht mehr an die Liebe zwischen Mann und Frau glaube. Ich habe stets für alles bezahlen müssen, was ich bekam. Und er will für mich um meine Freiheit kämpfen, obwohl ich ihm
nichts versprach, ihm keine Hoffnungen machte. Diese Stadt wird es ihm ebenfalls nicht danken. – Warum, zum Teufel, will er dann hier aushalten?« * Orrin Adams geht nun seine erste Runde. Obwohl er noch an der Zigarre raucht, betritt er den Store und verlangt dort vom Storehalter ein Päckchen Tabak und Blättchen. Abe Banner, der hagere Storehalter, ist der Typ eines fanatischen Predigers. Er ist auch der Vorsitzende des Stadtrates, und eigentlich ist er in dieser Eigenschaft auch der Boß des Marshals. Als er die paar Cents kassiert hat, sieht er Orrin Adams hart an. »Rechnen Sie nicht mit der Hilfe von uns Bürgern«, spricht er leise. »Wir zahlen Ihnen hundert Dollar im Monat und freie Station im Hotel. Sie sollten sich stets bewußt sein, daß Sie bei Ausübung Ihres Jobs allein sind.« Orrin Adams grinst plötzlich unter seinem Schnurrbart, läßt seine Zähne blinken. Dann sagt er ziemlich rauh: »Wenn ich nicht mehr bin, wird diese Stadt im Schatten von George Jessup verdorren. Mit Hilfe von euch Bürgern habe ich nie gerechnet, denn ich weiß, wie feige ihr seid.« Nach diesen Worten geht er hinaus. Der Storehalter streicht sich über sein schütteres Haar. Seine Hände zittern. Dann flüstert er: »Lieber feige leben, als mutig zu sterben, verdammt.« Indes geht Orrin Adams weiter seine Runde. Und eines wird in der nächsten halben Stunde klar: Adams ist ein Einsamer in dieser Stadt. Man weicht ihm aus. Nur der Stallmann im Mietstall tritt ihm offen entgegen. Aber Pete ist ein alter Bursche, ein hinkender Excowboy.
Er sagt: »Marshal, Ihr Pferd müßte mal wieder bewegt werden. Der Wallach steht schon zu lange in der Box. Und wenn Sie mit ihm nur in der Stadt herumreiten …« Er verstummt, ohne den Satz zu beenden. Aber es liegt ein Verständnis in seiner Stimme, so als hätte er den Satz mit den Worten beenden wollen: »… weil Sie sich draußen jetzt wohl nicht mehr blicken lassen dürfen auf der Weide.« Orrin Adams fühlte sich durch diesen unvollendeten Satz plötzlich herausgefordert. Er ist einsam, verachtet die Bürger dieser Stadt – und auch Mae Thorne sagte ihm, daß es sich für ihn nicht lohnen wird, durchzuhalten. Aber dennoch fühlt er sich herausgefordert. Ist es selbstmörderischer Trotz? Oder ist es das Beharrungsvermögen eines Mannes, dem nichts sonst gehört als der Stolz? Er hört sich zum Stallmann sagen: »Dann werde ich jetzt gleich mit ihm ausreiten. Bis zum Anbruch der Dunkelheit ist noch Zeit für viele Meilen. Dieser Dicke soll mal wieder richtig schwitzen.« * Die Nachmittagssonne brennt mit letzter Kraft hernieder, als er aus der Stadt reitet, und weil ihn die Bürger aus Fenstern und offenen Türen beobachten, denken sicherlich einige darüber nach, ob er wiederkommen oder verschwinden wird. Orrin Adams verläßt die Stadt in Richtung Warbow Creek und Furt. Es ist bis dorthin nur eine gute halbe Meile. Als er die Furt erreicht, hält er an und blickt hinüber, dann den Creek hinauf und hinunter. Es ist ein hübscher, idyllisch wirkender Creek, dessen Bett sich tief in die Landschaft fraß im Laufe der Jahrtausende.
Es ist ein Creek mit grünen Ufern, Felsen im Bett und Fischen. Drüben sind viele Hügelketten, Senken, flache Canyons und Täler. Und immer wieder gibt es verborgene Winkel. Es ist ein unübersichtliches Land mit reichlich Wasser überall. Das meiste Land wird von der Warbow Ranch beansprucht. Aber es gibt mehr als ein halbes Dutzend Kleinrancher, auch einige Siedler und die verborgenen Camps. Doch wenn die Warbow Ranch genügend Rinder hätte – vielleicht mehr als zwanzigtausend –, dann könnte sie damit die ganze Weide besetzen und würde alle anderen Benutzer aus dem Lande drängen. Es fehlen ihr also noch die Rinder. Noch! Orrin Adams will das Pferd zur Seite ziehen, um am oberen Rand des abfallenden Ufers nach Osten zu reiten, als er drüben auf der anderen Seite der Furt einen Reiter auftauchen sieht. Er seufzt bitter, als er Hogjaw Staretter erkennt. Und Staretter kommt durch die Furt geritten und ruft scharf zu ihm herüber: »He, warte! Hau nur nicht ab!« Schnell kommt er durch die Furt getrabt. Heranreitend sagt er grimmig und mit böser Zufriedenheit: »Das trifft sich gut, Orrin Adams. Ich wollte zu dir in die Stadt kommen und dir dort klarmachen, daß ich es nicht ertragen kann, vor dir gekniffen zu haben. Nun, jetzt kann ich es dir hier sagen. Komm herunter vom Gaul. Denn jetzt tragen wir es aus!« Er schwingt sich grollend vom Pferd und nähert sich Orrin Adams, der noch bewegungslos im Sattel verharrt. Aber Orrin Adams fragt dabei: »Hat dein Boß dir das klargemacht? Hat er dir gesagt, daß er keinen Vormann haben will, der vor mir kneift?« Hogjaw Staretter stößt nun ein noch schärferes Grollen aus. Er springt plötzlich vor, erwischt Orrin Adams’ Bein und reißt ihn daran mit einem wilden Kraftausbruch vom Pferd.
Orrin Adams rollt über den Boden, entgeht so seinen Fußtritten. Als Hogjaw Staretter ihn so überraschend am Bein fassen und aus dem Sattel reißen konnte, rutschte der Colt aus seinem Holster. Nun aber rollt er – wahrscheinlich nur zufällig – dorthin zurück, wo die Waffe hinfiel. Er ergreift sie und schießt sofort. Die Kugel durchschlägt Hogjaw Staretters Wade, stößt das Bein weg, dessen Fuß mit aller Wucht zutreten wollte. Und so fällt der Vormann der Warbow Ranch brüllend, rollt ebenfalls über den Boden, will hoch. Sein Bein knickt unter ihm weg – und nun erst begreift er, daß er getroffen wurde. Grollend und stöhnend knurrend bleibt er am Boden hocken und starrt auf Adams’ Colt, dann in Adams’ Augen. Und schließlich sagt er ausatmend: »Du Hurensohn. Ich kämpfe mit den bloßen Fäusten. Warum nimmst du den Colt? Warum versteckst du dich hinter einem Colt und kämpfst es nicht nach der guten, alten, ehrlichen Männerart mit uns aus? Du bist doch ein gottverdammter Feigling. Oha, dann erschieße mich doch endlich, wenn du glaubst, damit leben zu können. Schieß doch!« Es ist ein wilder Hohn in seiner heiseren Stimme. Aber Orrin Adams schießt nicht. Er sagt nur nach einer Weile ebenso heiser und mit Bitterkeit: »Ich kann es mir nicht leisten, dich mit den Fäusten zu schlagen und dabei so viel einzustecken, daß ich wahrscheinlich wochenlang danach noch ein kranker Mann bin. Ich bin in dieser Stadt, die sich stolz Warbow City nennt, allein. Ich bin allein gegen George Jessups ganze Macht. Er kann von deiner Sorte viele auf mich losgehen lassen – viele! Und ich bin allein. Wenn ich geschlagen bin, steht nichts mehr zwischen Warbow City und George Jessup. Deshalb kann ich nicht mit den Fäusten gegen dich kämpfen, Hogjaw Staretter. Ich muß gesund und im Besitz meiner Fähigkeiten bleiben. Ich hätte dich soeben mit dieser Kugel
töten können. Ich schoß absichtlich nur durch deine Wade. Hast du jetzt alles genau verstanden, Hogjaw Staretter?« Dieser hockt immer noch am Boden. Nun zieht er sich den Stiefel aus, schlitzt sein Hosenbein mit einem Messer auf, reißt sich das Halstuch ab und bindet es um die zerschossene Wade. Orrin Adams erhob sich indes und trat an sein Pferd, lehnt nun an dem Tier und beobachtet den Vormann der Warbow-Mannschaft. Nach einer ganzen Weile begegnen sich wieder ihre Blicke. Und dann fragt Hogjaw Staretter mit einem Klang von ungläubigem Staunen in der Stimme: »Und du glaubst wahrhaftig, daß du ganz allein diese feige Stadt davor bewahren kannst, George Jessups Stadt zu werden? Du glaubst, daß du sie aus Jessups Schatten heraushalten kannst? He, du hast doch auf die Dauer gar keine Chance! Das kannst du unmöglich gewinnen. Jessup will diese Stadt. Und nur du allein stehst ihm dabei im Wege. Bist du größenwahnsinnig? Ist es dein Stolz? Oder was ist es sonst?« Aber Orrin Adams gibt keine Antwort. Er sitzt auf und reitet davon. Hogjaw Staretter aber hockt noch eine Weile am Boden. Er scheint sein schmerzendes und blutendes Bein vergessen zu haben. Denn er versucht immer noch staunend Orrin Adams’ wirkliche Beweggründe zu finden. Hogjaw Staretter ist ein Mann, dessen Gedankengänge sich mitunter sehr eingleisig bewegen, die keine Abweichung kennen, weil sie einfach nur allein auf ein Ziel ausgerichtet sind. Doch endlich fällt ihm etwas anderes ein: Mae Thorne, die schöne, rothaarige und grünäugige Mae Thorne, die schöne Witwe mit dem Longhorn Saloon. Oha, er weiß, daß auch George Jessup um diese schöne und reizvolle Frau wirbt. Und nun endlich bekommt er eine
Ahnung von dem Kampf, der in Wirklichkeit stattfindet – ja, nun endlich beginnt er etwas zu begreifen. Und da beginnt er bald schon zu fluchen. * Orrin Adams reitet langsam vom Warbow River in einem weiten Halbkreis um die Stadt herum nach Süden. Dabei denkt er über Hogjaw Staretters staunende Worte nach. Vielleicht ist er, Orrin Adams, wirklich größenwahnsinnig. Vielleicht überschätzt er sich sehr. Oder hofft er insgeheim irgendwo in seinem tiefsten Kern, daß die Stadt, die ihn für Revolverlohn angeworben hat, letztlich doch, wenn es ums nackte Überleben geht, an seiner Seite sein wird? Er reitet zwei Meilen etwa, dann verhält er lange auf einem Hügelkamm. Dort im Süden ist Wüste, trockenes, erbarmungsloses Land. Dort gibt es keine Farmen, keine Ranches – nichts. Nur dann immer, wenn Apachen aus ihren Reservaten ausbrechen und die Armee sie verfolgt, dann ziehen sie sich in dieses Land zurück. Denn sie kennen einige verborgene Wasserstellen und spielen mit der Armee Katz und Maus, wobei sie – weil sie das Geheimnis der Wasserstellen kennen – nicht die Maus in diesem Todesspiel sind. Vom Hügelkamm aus reicht die Sicht sehr weit. Irgendwo dort im Süden, an die einhundert Meilen weit, liegt die Grenze zwischen dem Arizona-Territorium und Sonora. All jene Reiter, die in den verborgenen Camps leben, jene Geächteten, Verfolgten, schattenhaft Treibenden, sie reiten fast alle von Zeit zu Zeit nach Sonora hinüber und kehren mit irgendwelcher Beute zurück. Von diesen Reitern und deren Beute lebt Warbow City nicht zuletzt. Orrin Adams weiß das.
Wäre er ein Sheriff, so müßte er das unterbinden. Dazu wäre er verpflichtet durch seinen Eid als Gesetzesvertreter. Doch er ist nur ein Town Marshal, ein Revolvermann, den die Bürger sich zu ihrem Schutz angeworben haben und der die Stadtgesetze innerhalb der Stadtgrenzen vertritt. Er ist froh, daß er kein Sheriff ist. Denn dann wären seine Schwierigkeiten noch größer. Dann müßte er nicht nur gegen George Jessup, sondern auch noch gegen all die Verlorenen, Geächteten und Gesetzlosen kämpfen. Über all dies denkt Orrin Adams nach, indes er von dem Hügelkamm aus nach Süden blickt. Die Sonne ist zu seiner Rechten schon fast hinter den Bergen versunken. Dort im Westen in den Bergen sind Goldgräbercamps, Minen, die schon von den Spaniern geschaffen wurden. Auch von dorther – auch mehr als hundert Meilen weit – kommen manchmal Goldsucher und die Versorgungswagen der Minen, um Proviant und Werkzeuge zu holen. Auch diese Besucher bringen der Stadt einige Einnahmen. Jede Woche einmal fährt sogar eine Postkutsche ins Gold-und Minenland. Die Sonne taucht nun hinter den Bergen ein. Im letzten Moment glaubt Orrin Adams, im Süden eine Staubwolke erkennen zu können. Er ist sich nicht sicher. Doch wenn es eine Staubwolke war, dann kann es sich um eine Rinder- oder Pferdeherde handeln, welche von Süden her herangetrieben wird, vielleicht aber auch um eine reitende Kavallerieabteilung. Aber Orrin Adams macht sich keine weiteren Gedanken wegen dieser Staubwolke. Er zieht sein Pferd herum und reitet nach Warbow City zurück. Als er in den Mietstall kommt und die Zügel seines Pferdes im Vorraum fallen läßt, nachdem er schon draußen im Hof absaß, da sieht er Bob Fuller.
Bob Fuller ist dabei, sein Pferd zu satteln, und der alte Stallmann Pete hockt auf der Futterkiste und sieht ihm zu im Scheine der Stallaternen. Sie wenden sich nun dem eintretenden Orrin Adams zu. Bob Fuller grinst verwegen. »Du bist sicherlich froh, daß ich aus der Stadt verschwinde, nicht wahr?« So fragt er etwas herausfordernd, wie es wilde Jungens tun, wenn sie sich in einer Schuld fühlen und dies Gefühl mit schnoddriger Frechheit zu verdrängen versuchen. Orrin Adams betrachtet ihn mit einer Spur von Nachsicht und Mitleid. Da richtet sich Bob Fuller stolz auf. »Es wird Krieg geben«, sagt er heiser, »richtigen Krieg. George Jessup geht gegen alle freien Reiter in diesem Land vor, gegen alle Kleinen. Er will sie vertreiben oder ausrotten. Für ihn sind sie Unkraut. Mit Fred Yankton, Tom Barney und mir fing er an. Wir trieben ein Rudel ungebrannter Rinder zu Tom Barneys Hügelranch, um sie dort zu bränden. Da kam Hogjaw Staretter mit seinem Rudel. Sie erschossen Fred Yankton sofort, weil dieser zum Colt griff. Tom und ich, wir ergriffen die Flucht. Aber nur ich schaffte es bis zu Tom Barneys Hütte. Ihn holten sie dicht davor ein. Sie rissen ihn mit einem Lasso vom Pferd und schleiften ihn draußen vor der Hütte immer wieder hin und her. Aber sie wirbelten Staub auf. In diesem dichten Staubwirbel kam ich unbemerkt auf mein Pferd und ritt los. Der Wettritt endete bei dir. Du weißt es. Ich reite jetzt zu allen verborgenen Camps, zu allen Kleinranchers und Siedlern. Ich alarmiere sie alle, sage ihnen, daß Jessup jetzt angefangen hat. Wir werden uns zusammenschließen und ihm einen Krieg liefern.« Nach diesen Worten schwingt er sich in den Sattel. Aber bevor er aus dem Stall in den dunklen Hof hinausreiten kann, sagt Orrin Adams trocken: »Junge, wenn du die Stadt verläßt,
bist du schon so gut wie erledigt. Sie warten nur darauf, daß du dich noch einmal auf der Weide blicken läßt.« Nun gibt Bob Fuller sich innerlich noch einmal einen Ruck, wirkt noch stolzer und verwegener. Er lacht sogar sieghaft. Dann sagt er: »Ich kann mich doch nicht immer bei den Mädchen des Longhorn Saloons verstecken, obwohl diese – hahahaha! – mir die Zeit wirklich angenehm verkürzen halfen. Sie mögen mich nun mal, weil ich Bob Fuller bin und kein …« Er vollendet den Satz nicht, sondern treibt sein Pferd jäh an und läßt es aus dem Stall galoppieren, hinaus in den dunklen Hof und die Nacht. Der Hufschlag seines Pferdes ist noch eine Weile trommelnd zu hören. Pete, der Stallmann, sagt seufzend: »Er ist noch so verdammt jung und weiß noch nicht, wo und wie seine Grenzen sind. Er glaubt noch, sich allein durch Verwegenheit behaupten zu können – mit Kühnheit. Er ist noch ein wilder Junge. Wenn er es schafft, noch einige Jahre am Leben zu bleiben, dann wird er ein Mann sein wie sonst kaum einer unter tausend. So wie du, Orrin Adams. Man muß nicht alt sein!« Orrin Adams gibt ihm keine Antwort. Er geht aus dem Stall. Denn es wird Zeit für seine erste Runde durch die Stadt. Darauf haben alle Bürger Anspruch. Sie zahlen ihm einen hohen Lohn, der doppelt so hoch ist wie üblich in solchen Städten für einen Town Marshal. Sie wollen sich bewacht fühlen. Er wird seine Runde machen, dann zum späten Abendessen gehen und danach im Saloon bei Mae Thorne einen Drink nehmen. Und dann? Was wird dann sein? Er verspürt eine ungute Ahnung. Doch er weiß, daß er die Dinge nehmen muß, wie sie kommen.
* Es wird eine stille Nacht in Warbow City. Aus den Hügeln und vom fernen Gold- und Minenland kamen keine Reiter. Auch von den kleinen Ranchers und Siedlern ließ sich niemand blicken. Nur einige Reisende, die mit der Abendpost kamen, warten hier auf die Anschlußpostkutsche aus dem Gold- und Minenland, die ja nur einmal in der Woche kommt, um Post und Passagiere zu holen. Im Saloon sitzt Mae Thorne bis Mitternacht an ihrem Ecktisch neben der Bar, um den die schwungvoll von oben niederführende Treppe überdies auch noch einen Winkel bildet, so daß es wirklich ein separater Privattisch ist, von dem aus man aber dennoch den Saloon überblicken und den Eingang und die Treppe nach oben kontrollieren kann. Mae Thorne legt immer wieder Patiencen aus, welche jedoch niemals aufzugehen scheinen. Mit einer Zigarre und dem Drink setzt Orrin Adams sich zu ihr. Sie betrachtet ihn einen Moment wachsam, doch dann kommt in ihren Blick eine Spur von Wärme und Freundlichkeit. Wahrscheinlich wird ihr bewußt, was sie diesem einsamen Mann bedeutet. »Geh schlafen«, sagt sie einmal, »diese Nacht geschieht nichts in Warbow City. Und wenn, dann wird Tim Hackett dich wecken kommen.« Sie streicht nach diesen Worten ihre Karten zusammen und erhebt sich. Auch Orrin Adams erhebt sich. Er beugt sich über den Tisch zu ihr und sagt leise, doch mit einem deutlichen Klang von Überzeugung: »Eines Tages werde ich dich in meinen Armen halten und den harten Kern in dir aufbrechen. Du wirst durstig
sein nach meiner Zärtlichkeit und noch einmal anfangen zu leben. So wird es kommen zwischen uns beiden. Warum willst du das noch lange hinauszögern? Warum nimmst du mich nicht mit zu dir hinein? Wir würden beide nicht mehr einsam sein in dieser feigen Stadt.« Sie sieht ihn zuerst zornig an, will heftig etwas erwidern. Aber das Funkeln ihrer Augen schwindet schnell und macht jenem weichen und nachdenklichen Ausdruck Platz, der schon in ihrem Blick und ihrem Lächeln war, als Orrin sich zu ihr an den Tisch setzte. »Orrin«, murmelt sie, »ich will nicht mit dir untergehen, sondern diesen Saloon behalten. Ich will nicht aus diesem Land flüchten müssen, sondern mich arrangieren. Orrin, ich kann keinen Mann mehr lieben. Ich liebte auch John Thorne nicht. Ich war ihm nur dankbar, daß er mir einen festen Platz schuf.« Nach diesen Worten verläßt sie den Tisch und Orrin, verschwindet durch die Tapetentür in ihre Privaträume. Tim Hackett, der ehemalige Spieler und Revolvermann, der jetzt nur noch zum Barmann taugt, kommt nun zu Orrin an den Tisch. Sie setzen sich beide. Er sagt: »Als sie vierzehn war, wurde sie unterwegs auf dem Treck von ihrer Familie an einen Mann verkauft. Dieser Mann war reich, fett und alt. Aber mit dem Geld konnte Maes Familie weiter mit dem Treck nach Oregon ziehen. Sie konnte Vorräte kaufen, den Wagen reparieren lassen und gegen Aufpreis auch die schlechten Zugtiere tauschen. Sie wurden einige Wochen später von Indianern getötet. Mae aber gehörte jenem Mann. Ich lernte sie erst später kennen, als sie dem Kerl längst weggelaufen war. Ich war damals Spieler auf einem Saloon-Dampfboot, welches den Mississippi zwischen New Orleans und Saint Louis befuhr. Auch sie arbeitete an Bord als Kartenausteilerin. Sie verliebte sich in einen Kerl, der nichts taugte. Als dann die Typhus-Epidemie bei uns an Bord ausbrach, als Besatzungsmitglieder und Passagiere starben wie die Fliegen,
wir im Hafen von New Orleans isoliert wurden, da ging der Kerl mit all ihren Ersparnissen von Bord. Er kam aber an den Wachbooten nicht vorbei, obwohl er gewiß ein geschickter Schwimmer und Taucher war. Sie schossen auf ihn, und er ging unter mit jedem Dollar und allem Schmuck, den er Mae stahl. Irgendwann war dann die Quarantäne vorbei. Irgendwo mußte ich einen Mann erschießen. Er hatte betrogen, als ich ihm das auf den Kopf zusagte, zog er seinen Taschenrevolver. Doch seine Freunde beschuldigten mich des Mordes. Wir mußten flüchten und kamen so in den tiefsten Südwesten. Dort lernte Mae John Thorne kennen. Wir drei blieben zusammen. Er war gut zu ihr, obwohl er wußte, daß sie nicht mehr mit dem Herzen lieben konnte. Aber er hoffte. Mit seinem ganzen Geld baute er damals hier in dieser werdenden Stadt in der Hoffnung auf eine gute Zukunft diesen Saloon. Aber …« Er erhebt sich und macht eine müde Handbewegung. »Alles andere kennst du ja, Orrin«, murmelt er. »Ich erzählte dir alles über Mae, damit du dir nicht unnütz Hoffnungen machst. – Sie kann keinen Mann mehr lieben. Denn dem ersten Mann in ihrem Leben gehörte sie als Sklavin. Und der zweite verließ und bestahl sie in ihrer Not. Sie kann nicht mehr mit dem Herzen lieben.« Nach diesen Worten kehrt Tim Hackett hinter den Schanktisch zurück. Orrin Adams aber leert das Glas, setzt es ziemlich hart auf den Tisch und tritt bald darauf in die Nacht hinaus. Er verspürt eine bittere Mutlosigkeit, eine Resignation. Aber dann wird er aus seinen bitteren Gedanken gerissen. Denn er hört etwas. Es ist für ihn ein typisches und sehr vertrautes Geräusch. Er weiß es sofort zu deuten. Eine Rinderherde nähert sich der Stadt ziemlich schnell. Er hört die scharfen Rufe der Treiber, das Knallen ihrer Bullpeitschen, ihre Pfiffe. Die Rinder brüllen unwillig. Ihre Hörner klappern gegeneinander. Und ihre Hufe trommeln.
Es muß eine ziemlich große Herde sein, gewiß mehr als tausend Tiere. Und sie werden genau auf die Stadt zugetrieben. Er kann sich nun vorstellen, was jetzt da draußen vor der Stadt passiert. Dort zu beiden Seiten des Wagenwegs sind Felder, Äcker, Gärten. Darüber hinweg donnern nun viertausend Hufe. Die gejagte Herde wird Zäune niederreißen, Äcker, Felder und Gärten zertrampeln. Sie wird Schaden anrichten. Wahrscheinlich haben die Rinder nun auch den Warbow River gewittert, also Wasser nach tagelanger Wanderung durch wasserlose Wüste. Diese tausendköpfige Herde kommt wie ein losgebrochenes Element, wie eine Naturgewalt, die nicht aufzuhalten ist. In Orrin Adams steigt ein böser, wilder und heißer Zorn hoch. Er kann sich einen Moment kaum noch unter Kontrolle halten. Er möchte mit seinem Gewehr auf die Rinder schießen, hat den Wunsch, sie mit heißem Blei aufzuhalten. Und auch die Treiber möchte er aus den Sätteln holen. Doch es ist nur ein kurzes, wildes Gefühl. Dann hat er sich wieder unter Kontrolle und zwingt sich zum kühlen Denken. Überall in der Stadt kommen nun die Leute aus Häusern, Läden, aus dem Hotel und auch hinter Orrin Adams aus dem Saloon. Tim Hackett, der alte Barmann, sagt heiser neben Orrin Adams: »Hölle, sie jagen eine Rinderherde durch unsere Stadt. Sie zeigen uns ihre Stärke. Orrin, die stutzen unsere Stadt zurecht. Die machen uns klar, wie wenig wir gegen sie auszurichten vermögen. Oder kannst du diese Herde und deren Treiber aufhalten?« »Nein«, murmelt Orrin Adams, »so kann man es nicht machen.«
Ihre weiteren Worte werden nun völlig vom herandonnernden Lärm übertönt. Die ersten Rinder tauchen zwischen den Häusern des südlichen Stadtausgangs auf, drängen sich auf der Fahrbahn, stolpern auf den Plankengehsteigen, rammen gegen die Stützbalken der Obergeschosse oder Gehsteigüberdachungen, gegen die Haltebalken und Wassertröge, die sich vor vielen Häusern und Läden befinden. Sie kommen nun quer über den Platz gerast. Staub wallt, und in diesem dichten Staub ist Hufdonner, ist Brüllen, Hörnergeklapper. Über den knochigen Rinderrücken und gehörnten Köpfen tanzen erhobene Schwänze wie Schlangenleiber – und noch darüber erkennt man schemenhaft die Treiber auf den Pferden. Die Menschen von Warbow City bringen sich in ihren Häusern und Läden in Sicherheit, schließen die Fenster, aus denen sie sich weit beugten. Denn der Staub wallt nun bis über die Dachfirste hoch. Alles ist nur noch schemenhaft erkennbar, aber elementar zu hören, etwa so wie das Donnern eines Gewitters oder das Niedergehen einer Geröll-Lawine. Der Erdboden bebt. Dann endlich entfernt sich der Lärm jenseits des Platzes, die Fortsetzung der einzigen Hauptstraße entlang der Furt. Es wird stiller in Warbow City, so als wäre eine Brandungswoge über die Stadt gerollt. Der dichte Staub verzieht sich etwas. Die empörten Stimmen der Bürger tönen überall. Jemand ruft wild: »Verdammte Sauerei! Die haben unsere ganzen Gärten vor der Stadt zertrampelt! Die haben hier alles auf der Straße umgerissen! Verdammt, wo ist der Marshal! Wozu haben wir einen Marshal! He, wo steckt denn dieser Penner! Warum hat er diese gehörnten Biester nicht aufgehalten! Hat der seine Ohren zugestopft!« Es werden noch weitere Worte von anderen Stimmen in fast dem gleichen Sinn gerufen. Die Bürger von Warbow City
machen sich Luft nach dem Schrecken. Und weil sie begreifen, wie sehr dies eine Demütigung ist für sie, wollen sie nun einen Schuldigen. Natürlich wissen sie, daß ihr Marshal diese heranjagende Herde nicht aufhalten konnte. Doch es ist nun mal so, daß die Ungerechtigkeit der Menschen sich immer irgendwelche Opfer sucht. Orrin Adams erwidert nichts auf die beleidigenden Rufe. Er verharrt bewegungslos im Saloon. Tim Hackett jedoch sagt bitter neben ihm: »Oha, diese Pfeifen. Wenn sie so groß wären, wie sie dumm sind, dann könnten sie den Mond am Arsch lecken.« Nach diesen drastischen Worten will er in den Saloon zurück, denn es ist ihm nach einem Drink. Aber nun tritt Mae Thorne hinter die beiden Männer aus dem Saloon. Und sie sagt: »Orrin, das ist es! Begreifst du es? Das ist es! Du bist allein! Diese Stadt begreift nichts, gar nichts. Und …« »Schon gut, Mae«, unterbricht er sie. Bevor sie weitere Worte wechseln können, vernehmen sie wieder den Hufschlag von Pferden und das Räderrollen eines Wagens. »Wer kommt da?« So fragt Tim Hackett. Orrin Adams grinst. Aber seine Stimme klingt spröde, als er erwidert: »Das ist der Begleitwagen mit dem Koch; dazu gehört sicherlich die Pferderemuda. Wahrscheinlich wird auch der Herdenboß dabeisein. Denn warum sollte der wie ein Treiber im wirbelnden Staub bei der Herde reiten? Dafür hat er seine Treiber. Ja, er wird dort mit der Nachhut kommen.« Nach diesen Worten bewegt Orrin Adams sich endlich. Er tritt an den Rand des Gehsteiges, der hier vor dem Saloon zu einer überdachten Veranda ausgebaut wurde. Tim Hackett und Mae Thorne folgen ihm nicht. Sie verharren dicht vor dem Salooneingang.
Der wirbelnde Staub hat sich nun fast völlig verzogen oder gelegt. Man erkennt wieder die gegenüberliegenden Häuser. Aus vielen Türen und Fenstern fallen nun Lichtbahnen. Die Stadt ist wach. Menschen stehen nun fast überall vor den Türen oder beugen sich weit aus den Fenstern. Sie alle lauschen auf das näher kommende Geräusch von Hufschlag und Wagenräderrollen. Manchmal knallt eine Peitsche. Zuerst wird dann von zwei Reitern die Pferderemuda vorbeigetrieben. Es sind gut drei Dutzend Pferde, und sie dienen der Treibmannschaft zum Auswechseln. Jeder Treiber muß oftmals am Tag sein Pferd wechseln. Wieder wallt Staub, aber nicht so stark wie vorher. Er legt sich rascher. Nun kommt der Wagen. Vor diesem Wagen reitet ein Reiter – ein großer Mann auf einem großen Pferd. Als er mit Orrin Adams auf gleicher Höhe ist, ruft Adams: »He, Mister!« Der Reiter hält an. Hinter ihm stoppt der Wagen. »Ist was?« So fragt der Reiter. Seine tiefe und selbstbewußte Stimme klingt etwas amüsiert. »Sicher, Mister«, erwidert Orrin Adams. »Eine ganze Menge.« Der Reiter lenkt sein Pferd zur Seite und kommt von der Fahrbahnmitte über den Platz bis vor den Saloon geritten. Er ist ein großer, geschmeidiger Bursche, halb wie ein Mexikaner gekleidet. Er ist gewiß nicht älter als der Marshal, also etwa fünfunddreißig, und er strömt jene verwegene Kühnheit und Rücksichtslosigkeit aus, die Orrin Adams zu vorsichtiger Wachsamkeit veranlaßt. Er spürt stark, daß dieser Mann ein Sattelpirat ist, der vor nichts Respekt hat und jede Herausforderung annimmt. Der Mann im Sattel beugt sich leicht vor.
»Aaah, ich sehe da einen Blechstern blinken. Wollen Sie mir Ihr Herz ausschütten, Marshal? Oder sind Sie gar ein Sheriff?« Orrin Adams geht auf die Frage gar nicht ein. Er fragt: »Warum haben Sie die Rinder nicht um die Stadt, die Gärten und die Felder herumgetrieben? Warum haben Sie dieser kleinen Stadt Schaden zugefügt? Wer sind Sie, Mister?« Nun lacht der Mann auf dem großen Pferd leise. »Ich bin Vance Durango. Schon gehört von mir?« »Gewiß, Mister Durango«, erwidert Orrin Adams. »Mein Name ist Orrin Adams. Und dies ist meine Stadt. Ich bin hier der Town Marshal. Also warum jagten Sie die Herde durch meine Stadt?« »Es war der geradeste Weg«, lacht Vance Durango. Er steht nun in den Steigbügeln und hat seine Hand dicht über dem Revolverkolben. »Ich reite und treibe immer den geradesten Weg«, spricht er weiter. »Und wem das nicht paßt, der kann ja versuchen, mir das abzugewöhnen. Wollen Sie, Orrin Adams? Dann los!« »Oh, das hat noch Zeit«, erwidert Orrin Adams. »Aber beantworten Sie mir eine Frage noch, ja? Zu wem treiben Sie diese Rinder?« »Nun, zu wem wohl? Hier in diesem Land gibt es doch nur einen großen Rinderzüchter, der ganze Herden zu kaufen vermag. Ich werde noch viele Herden zu Jessup bringen – noch viele.« »Und immer durch meine Stadt treiben, ja?« »Es ist der geradeste Weg!« Vance Durango ruft es herausfordernd, und er steht immer noch in den Steigbügeln, ist bereit zum raschen Ziehen. Da wendet sich Orrin Adams ab und geht davon. Er überquert hinter dem Wagen den Platz und steuert dem Hotel zu. Vance Durango starrt ihm – dabei sein Pferd herumziehend – einige Sekunden lang verblüfft nach. Dann aber lacht er laut
auf. Es ist Verachtung in diesem Lachen. Er reitet wieder vor den Wagen. Dieser folgt ihm. Auch der Fahrer des Wagens lacht wie sein Boß. Hinter ihnen wirbelt noch etwas Staub, und als dieser Staub sich legt, ist es still in Warbow City. Die Bürger zogen sich schnell in ihre Häuser zurück. Es ist, als schämten sie sich für ihren Marshal, denn dieser hat ganz offensichtlich gekniffen. Ja, es war ein Kneifen. Und so verkriechen sie sich alle, denn sie sind sich bewußt, daß auch sie alle gekniffen hätten. Nur Mae Thorne und ihr Barmann Tim Hackett stehen noch vor dem Saloon. Oben über dem Verandadach werden Fenster geschlossen. Wahrscheinlich ziehen sich die Mädchen in ihre Zimmer zurück. Mae Thorne murmelt: »Ich kann es nicht glauben. Ich sah es, doch ich kann es nicht glauben. Er ist zurückgewichen vor diesem Sattelpiraten Vance Durango. Und dennoch spürte ich, daß er sich vor Durango nicht gefürchtet hat. Tim, was war das?« Der alte Revolvermann lacht leise. »Orrin sagte, daß es noch Zeit hätte«, erklärt er dann. »Ich glaube nicht, daß er gekniffen hat vor Vance Durango. Er hielt den Zeitpunkt nur nicht für gut. Gehen wir schlafen, mein Mädchen. Diese Stadt zweifelt jetzt gewiß an Orrin Adams. Oha, sie wird sich noch wundern. Auch dieser Vance Durango wird sich noch wundern. Gehen wir schlafen, Mae.« Diese verschwindet wortlos im Saloon. Er schließt hinter ihr und sich den Eingang, riegelt ab. Von Mae ist nichts mehr zu sehen. »Die werden sich noch alle wundern«, murmelt Tim Hackett. »Ich war ein Revolvermann wie er. Und ich wurde alt dabei.
Also war ich klug. Auch er ist kein Dummkopf. Ich lerne ihn immer besser kennen.« * Schon am frühen Morgen des nächsten Tages gehen die Bürger der Stadt hinaus zu ihren Feldern, Äckern und Gärten, um jetzt bei Tageslicht festzustellen, was alles zertrampelt und niedergerissen wurde von der zuletzt in Stampede losbrechenden Herde, die das Wasser witterte und verrückt wurde, ja von den Treibern sogar noch gejagt wurde. Am frühen Vormittag kommen sie dann in das kleine Marshal’s Office, wo Orrin Adams in einem alten Schaukelstuhl hockt, den jemand zur Ausstattung des Office beisteuerte aus altem Gerümpel. Er hört sich zumeist wortlos die Klagen und Vorwürfe der Leute an und sagt zum Schluß fast stets die gleichen Worte, nämlich: »Machen Sie eine schriftliche Schadensmeldung mit einer Rechnung. Ich werde diese Rechnung dem Herdenboß präsentieren. Aber letzteres kann ich erst, nachdem er bei George Jessup kassiert hat. Das verstehen Sie doch? Der kann erst zahlen, wenn er selbst was in der Tasche hat.« Nun staunen sie alle ihren Marshal an. Und allmählich beginnt die Stadt zu begreifen, daß Orrin Adams wohl doch nicht gekniffen hat in der vergangenen Nacht, sondern in ihrem Interesse handelte. Die Meinung in der Stadt beginnt sich im Verlaufe des Tages zu ändern. Und es breitet sich eine erwartungsvolle Spannung aus. Denn sie alle fragen sich, wie Orrin Adams ihre Schadensersatzansprüche wohl durchzusetzen imstande sein wird. So vergeht der Tag. Und es wird Abend. Im Saloon sind heute einige Gäste, irgendwelche Reiter, die hereingesickert kamen, im Store
Einkäufe machten und nun im Saloon etwas Spaß und Zerstreuung haben wollen. Es kamen auch zwei Minenwagen aus dem Goldland. Sie brachten mehr als ein Dutzend Minenarbeiter. Auch sie machten Einkäufe, beluden die Wagen so sehr, daß sie bei der Rückfahrt an Platzmangel für sich selbst zu leiden haben werden. Doch zuerst trinken sie, amüsieren sich mit den Mädchen um die Wette mit den fremden Reitern, spielen Karten und lauschen manchmal geradezu ehrfürchtig Lornas Klavierspiel. Mae Thorne sitzt mit einigen Spielern am Pokertisch. Aber heute kann sie sich nicht konzentrieren. Sie verliert mehr, als sie gewinnt. Am liebsten würde sie aufhören. Doch ihre Gäste genießen es, mit einer schönen Frau um einen Tisch zu sitzen, sie anzusehen, ihre Stimme zu hören, von ihr Karten zugeteilt zu bekommen. Sie lassen sich immer wieder Getränke bringen. Mae Thorne weiß, daß die ganze Stadt wartet. Auch einige Bürger kamen in den Saloon. Tim Hackett hat zu tun. Aber so alt er als Revolvermann auch wurde, zu alt für ein Leben mit dem Colt und den Karten, als Barmann ist er flink genug. Er kann die gefüllten Gläser von einem Ende der Bar noch zielgenau bis zum anderen gleiten lassen. Plötzlich – es mag eine Stunde vor Mitternacht sein – klingen draußen vor dem Saloon wilde Rufe durch Hufgetrampel. Und dann kommen sie lachend und wild durcheinander rufend herein. Es sind die Treiber der Longhornherde, die vergangene Nacht durch die Stadt raste. Sie drängen herein, fünf, sechs, sieben wildäugige, schnurrbärtige, langhaarige, indianerhafte Burschen. Einige sind Mexikaner oder zumindest halbe. Jetzt haben sie Geld in den Taschen, Dollars, die ihnen ihr Boß Vance Durango auszahlte für das Treiben.
Vor wenigen Stunden waren sie noch arme Teufel, die auf den Lohn ihres verwegenen Jobs hofften. Jetzt fühlen sie sich wie die Kings. Und sie wollen nun so schnell wie möglich alles haben – alles, was es an käuflichen Sünden zu bekommen gibt, Schnaps, Karten, Mädchen, Ausschweifungen, wildes und gieriges Genießen nach langer Abstinenz. Die fremden Reiter, welche vor ihnen in den Saloon kamen, brechen nun wie auf ein stillschweigendes Kommando auf, obwohl sie gewiß nicht alle zusammengehören. Aber es sind Reiter, welche keinen Verdruß möchten, weil sie davon schon genug am Halse haben. Auch die Minenleute haben genug. Sie stolpern hinaus zu ihren vollbeladenen Wagen. Sie sind alle betrunken. Die Pokerpartie an Mae Thornes Tisch löst sich plötzlich auf. Mae ist froh darüber. Sie geht zu Tim Hackett hinter den Schanktisch. Auch ihre Mädchen gesellen sich zu den lärmenden Herdentreibern. Letztere sind vorerst nur darauf bedacht, möglichst schnell einige Drinks in die trockenen und durstigen Kehlen zu kippen. Dabei lachen und lärmen sie. Und einer schwingt seinen alten Hut und wendet sich an die Mädchen. »Gleich, meine schönen Ladys, gleich sind wir in der richtigen Stimmung für euch! Gleich zeigen wir euch, was für haarige Burschen wir sind! Drüben in Sonora gibt es Putas, die zahlen uns was, damit wir wiederkommen, hahahahaha!« Wieder lachen sie brüllend los. Aber Mae Thorne macht sich wenig Sorgen. Sie weiß, daß diese Mädchen auch die wildesten Kerle bändigen und sanft wie Hammel machen können. Überdies werden die Kerle bald so betrunken sein, daß sie zu nichts mehr fähig sind. Denn sie schlucken zu gierig. Sie haben zu lange auf solch ein Fest warten müssen. Mae Thorne fragt sich, wann wohl –
und ob überhaupt? – der Boß dieser Mannschaft kommen wird, jener Vance Durango. Und kaum hat sie sich dies in Gedanken gefragt, da sieht sie ihn hereinkommen. Jetzt im Lampenschein wirkt er noch verwegener, kühner, gefährlicher, ganz und gar wie ein zweibeiniges Raubtier. Ein Mann folgt ihm. Wahrscheinlich ist es der Fahrer des Wagens – oder war es. Denn es ist nicht anzunehmen, daß sie den Wagen mit nach Sonora zurücknehmen. Das würde sie zu sehr aufhalten. Auch der zweite Mann wirkt gefährlich. Er ist schon älter, ein Mann, der wahrscheinlich nicht mehr lange genug im Sattel bleiben kann, um Rinder zu treiben. Sie kommen genau auf die Bar zu, indes ihre Männer, welche vor ihnen kamen, sich den Mädchen zuwenden und mit diesen die Bar verlassen. Mae Thorne spürt den indianerhaften Blick von Vance Durango. Und sie hört ihn sagen: »Ich habe schon drüben in Sonora von Ihrer Schönheit gehört, Lady. Sogar George Jessup, dem ich die Rinder verkaufte, soll verrückt nach Ihnen sein. Hätte denn ein zweibeiniger Sonorawolf wie ich eine Chance bei Ihnen?« »Nein«, erwidert sie. Da lacht er schallend. »Ich bin wohl sehr direkt, ja? Aber Sie müssen wissen, Lady, daß ich mir stets nehme, was ich haben will. Und wenn wir keine Freunde werden können, dann könnte ich Sie gegen Ihren Willen mit hinüber nach Sonora nehmen, hahaha! Oho, erschrecken Sie nicht, ich scherze nur, hahaha!« Er lacht schallend. Auch sein Begleiter lacht. Aber Mae, die in Vance Durangos Augen sieht, kann darin erkennen, was die Wahrheit ist. Dieser Vance Durango scherzt nicht. Was er sagte, ist bitterer Ernst. Er ist wirklich ein Mann, der sich nimmt, was er will. Und vielleicht würde er sie
tatsächlich mit nach Sonora nehmen. Plötzlich verspürt sie eine instinktive Furcht vor diesem zweibeinigen Raubtier. Sie weiß plötzlich, daß er und seine Reiter Banditen sind, Viehdiebe, die hier eine gestohlene Herde an George Jessup verkauften zum Sonderpreis. Und weil George Jessup möglichst viele Rinder kaufen will, um weite Weidegebiete damit besetzen zu können, ist er auf billige Rinder angewiesen. So muß es sein. Ihr Barmann Tim Hackett steht einen Schritt neben ihr und ist bereit, unter die Bar zu greifen und dort die Schrotflinte mit den abgesägten Läufen hervorzuholen. Sie verspürt plötzlich auch Angst um Tim Hackett. Denn wenn dieser Vance Durango so weitermacht, wird Tim ihr beistehen wollen. Und dann … Drei der Mädchen gehen nun nacheinander mit ihren »Freiern« die Treppe hinauf nach oben. Lorna spielt wieder auf dem Klavier, diesmal aber Weisen zu frivolen Texten, welche die immer betrunkener werdenden Kerle grölen. Sie denkt: Hoffentlich schütten sie solche Mengen in sich rein, daß sie bald umfallen. Aber wie komme ich mit Vance Durango zurecht? Und wie gefährlich ist sein grauköpfiger Begleiter, der mich an einen alten Wolf denken läßt? Ja, sie macht sich Sorgen. Aber dann sieht sie Orrin Adams eintreten. Adams trägt in der rechten Hand eine Schrotflinte und hat seinen Revolver ziemlich nach vorn gerückt mit dem Holster. Die Männer am Schanktisch erblicken ihn im Spiegel, der hinter dem Schanktisch an der Wand hängt. Sie wenden sich sofort um. Es ist, als spürten sie die Gefahr sofort unmittelbar. Und wären sie Hunde, so würden sich gewiß ihre Nackenhaare sträuben. Ja, sie spüren und wittern etwas.
Es weht der Atem von Gefahr, von ausbrechender Gewalttat, und vielleicht ist es gar der Atem des Todes, kalt und erbarmungslos. Aber Vance Durango lacht dennoch wieder sein verwegenes, herausforderndes, wildes Lachen, welches allein schon beweist, wie wenig er Respekt hat, mag da kommen, was da wolle. »Aaah, da ist der Marshal«, sagt er dann. »Wollen Sie einen Freidrink, Marshal? Ich habe ein gutes Geschäft getätigt und werde in den nächsten Wochen und Monaten noch viele Herden durch diese Stadt zur Furt treiben. George Jessup sagte mir, daß ich auf niemanden hier Rücksicht zu nehmen brauche. Wollen Sie einen Drink, Marshal?« Es ist zuletzt eine herausfordernd höhnende Frage. Aber Orrin Adams grinst nur ein wenig. Er greift mit der Linken langsam in seine Rocktasche und holt einen Packen von Zetteln und Papieren hervor, wirft diesen Packen auf einen der Tische. »Das sind Rechnungen«, sagt er. »Sie sind schon alle quittiert. Das sind Rechnungen für den angerichteten Schaden, den die Rinder …« Er kommt nicht weiter, denn Vance Durango und sein Begleiter lachen schallend los. Aber dieses losbrüllende Lachen ist nur ein Trick, ein Bluff. Denn sie ziehen plötzlich. Sie haben begriffen, daß der Marshal gewillt ist, die Beträge auf den Rechnungen zu kassieren. Und so wollen sie ihm und der Schrotflinte zuvorkommen. Aber sie schaffen es nicht. Die Schrotflinte macht einen gewaltigen Krach. Denn es handelt sich um starke Ladungen in beiden Läufen. Und überdies hat der Marshal auch seinen großen Colt in der Linken. Vance Durango und sein grauköpfiger Begleiter bekommen zwar ihre Revolver heraus, doch sie schwingen die
Läufe nicht mehr hoch. Sie fangen zwei Ladungen Indianerschrot auf und rutschen am Schanktisch hinunter zu Boden. Drei betrunkene Treiber kommen aus dem Nebenraum, aus dem das Klavierspiel tönt. Aber sie halten inne. Nicht nur der Marshal zielt auf sie, auch Tim Hackett, der Barmann, tut es. Und seine abgesägte Schrotflinte sieht besonders bösartig aus. In den benebelten Hirnen der betrunkenen Treiber ist noch ein Rest von Verstand wirksam. Einer stottert: »Oooh, dadada …« »Raus hier! Raus aus dieser Stadt! Und laßt euch nicht mehr blicken! Raus hier aus meiner Stadt, wenn ihr nicht was abbekommen wollt!« Orrin Adams’ Stimme klingt hart und unversöhnlich. Und sie gehorchen. Ohne Vance Durango sind sie nichts wert, gar nichts mehr. Sie stolpern hinaus, werfen sich draußen auf die Pferde und reiten aus der Stadt. Von oben kommen bald die drei anderen herunter, stecken sich noch die Hemden in die Hosen. Einer fragt: »Was ist denn …« Und nun erst sehen sie ihren Boß und den anderen Mann vor der Bar am Boden liegen. »Raus hier«, sagt Orrin Adams’ Stimme wieder erbarmungslos kalt und unversöhnlich. »Kommt nie wieder in diese Stadt! Raus hier!« Auch diese Kerle versuchen nichts. Der Schock, daß Vance Durango wahrscheinlich tot ist, sitzt ihnen jäh und tief in den Knochen. Und so stolpern auch sie hinaus. Als der Hufschlag ihrer Pferde verklingt, atmet Mae Thorne langsam aus. Sie kommt hinter dem Schanktisch hervor und wirft einen Blick auf die beiden Toten. Dann tritt sie zu Orrin Adams hin und sieht fest und ungläubig forschend in seine Augen.
»Glaubst du, daß diese Stadt es dir jemals danken wird?« So fragt sie plötzlich heftig. »Das ist mir gleichgültig«, erwidert er. »Die Hauptsache ist, daß es nicht George Jessups Stadt wird. Die Hauptsache ist, daß er dich niemals bekommen kann, weil ich ihn hier raushalte.« Den letzten Satz flüstert er, so als sollte Tim Hackett es nicht hören. Und Mae muß hart schlucken. Und wieder einmal mehr wird ihr klar, daß er dies alles nur wegen ihr tut – nur allein wegen ihr. * Es ist dann schon lange nach Mitternacht, als der Leichenbestatter die Toten herausholt mit seinem Gehilfen und alle anderen Gäste den Saloon verlassen. Den Bürgern der Stadt sagt Orrin Adams immer wieder, daß der tote Durango genügend Geld bei sich hatte, um allen angerichteten Schaden zu begleichen. Jede Rechnung würde beglichen werden können. Und morgen würde er, der Marshal, auszahlen. Nun sind Mae Thorne, Tim Hackett und Orrin Adams allein im Saloon. Sie sitzen eine lange Zeit schweigend am runden Tisch im Winkel der Treppe. Es ist still. Die Mädchen sind oben. Und auch die Stadt wirkt wie schlafend. Kein Geräusch dringt von draußen herein. Orrin Adams nippt manchmal an seinem Glas, als müsse er ständig mit winzigen Schlucken den bitteren Geschmack in seinem Mund bekämpfen. Mae und Tim beobachten ihn, aber es ist kein distanziertes Beobachten. Es ist teilnehmend, mitfühlend. Zwischen ihnen
ist irgendwo ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Orrin Adams hat getötet. Damit muß er jetzt fertigwerden. Würde er allein sein, wäre er einsam und verlassen mit all seinen Gedanken und bitteren Gefühlen. Aber er ist nicht allein. Sie sitzen bei ihm, und wenn sie auch nichts sagen, so spürt er doch, daß sie auf seiner Seite sind, daß sie ihm gerne helfen würden irgendwie. Wenn er sich jetzt zum Beispiel würde betrinken wollen, so hätte er in ihnen gute Trinkkumpane, denen er sein Herz ausschütten könnte, die mit ihm reden und ihn verstehen würden. Doch er will sich natürlich nicht betrinken. Er will sich nicht betäuben, nicht in Trunkenheit vergessen wollen, was geschah. Dennoch ist er ihnen dankbar, daß sie bei ihm sitzen und ihm so die Einsamkeit nehmen. Denn diesen Kampf wird er noch hundertmal erleben, immer wieder vor seinen Augen sehen, wie sie starben. Ja, da hilft es schon, wenn man nicht allein ist. Nach einer langen Zeit sagt Mae sanft: »Und es werden weitere Herden kommen. Viehdiebe und Sattelpiraten wie diesen Vance Durango gibt es viele. Wenn es sich erst zu beiden Seiten der Grenze herumspricht, daß hier ein großer Rindermann ganze Herden kauft, dann kommen noch mehr. Und du kannst …« »Doch, ich kann«, unterbricht er sie. »Ich kann sie aufhalten oder zumindest zu Schadensersatz zwingen. Ich kann. Das ist mein Job. Diese Stadt hat mich angeworben, damit ich jeden Schaden von ihr abwende oder fernhalte. Das ist mein Job.« Mae will etwas erwidern, doch sie läßt es, schluckt mühsam. Tim Hackett sagt nach einigen langen Atemzügen: »Und wenn George Jessup mit seiner ganzen Macht kommt? Er könnte dich aus dem Land jagen. Er könnte dich von Killern aus dem Hinterhalt töten lassen. Und er könnte diese Stadt übernehmen, indem er einen Marshal einsetzt, der für ihn eine
Art Statthalter ist. Orrin, ich habe über alles nachgedacht. Hier ist etwas in Gang gekommen. Es hängt mit der Furt zusammen. Alle Herden, die von Süden her durch das trockene und wilde Land kommen, beginnen irgendwann den Warbow Creek zu wittern. Sie haben einige Tage und Nächte keinen Tropfen Wasser bekommen. Und sie werden wie verrückt bei der Witterung. Sie beginnen zu laufen. Der Creek aber hat überall Steilufer, über deren Ränder die Rinder stürzen würden wie in eine Schlucht. Nur hier bei der Furt kommen sie gefahrlos ins Wasser. Also müssen die Treiber die Herden auf dem Wagenweg halten. Die Stadt ist ihnen im Wege. So einfach ist das. Wenn George Jessup ein ganz großes Rindergeschäft vorhat, wenn er die Absicht haben sollte, immer wieder große Herden zu übernehmen von Männern wie Vance Durango, dann muß ihm diese Stadt mit der Furt gehören. Hier in der Stadt könnten auch alle etwaigen Verfolger der gewiß zumeist gestohlenen Herden aufgehalten werden. Verstehst du, Orrin? Es ist vielleicht ein größeres Spiel in Gang gekommen, als wir bisher glaubten. Wenn George Jessup nicht nur die ganze Rinderweide nördlich des Creeks mit Herden besetzen will, wenn er überdies auch noch Absatzmärkte für Rinder gefunden hat, dann wird er vielleicht Hunderttausende kommen lassen. Dazu aber muß er das Land auch diesseits des Warbow Creek beherrschen. Und diese Stadt muß seine Stadt sein. Denk mal darüber nach, Orrin.« »Das habe ich schon, und ich denke wie du«, erwidert Orrin. Der alte Barmann erhebt sich. »Ich gehe schlafen«, sagt er. Er geht bald schon die Treppe hinauf. Orrin Adams und Mae Thorne sitzen sich am Tisch gegenüber. »Soll ich auch gehen?« So fragt Orrin Adams, nachdem oben Tim Hacketts Schritt verklungen ist.
Sie betrachtet ihn ernst. Dennoch ist ein weicher Ausdruck in ihren Augen und in ihrem Gesicht. »Nein«, erwidert sie. »Wenn du möchtest, dann kannst du diese Nacht bei mir bleiben. Möchtest du?« Er betrachtet sie wachsam, fast wie witternd wirkend und auch irgendwie mit einem Anflug von Mißtrauen. »Mitleid?« So fragt er schließlich fast grob. Er kann erkennen, daß sie nachdenkt, tief in sich hineinlauscht. Offenbar kommt sie zu einem Ergebnis, denn sie schüttelt plötzlich heftig den Kopf. »Nein, kein Mitleid, weil sie dich früher oder später töten werden, kein Mitleid deshalb.« »Schuldgefühl mir gegenüber?« Abermals klingt seine Frage fast grob. Und da nickt sie zögernd. »Ja, es könnte sein, daß ich glaube, dir etwas schuldig zu sein, Orrin«, murmelt sie. »Denn wegen mir stellst du dich vor diese Stadt und gegen George Jessup – wegen mir allein, ja, vielleicht spüre ich, daß ich dir etwas geben müßte, bevor du untergehst. Ich würde es sicherlich bis an mein Lebensende bedauern, dich allein gelassen zu haben. Ja, ich möchte dir geben, was ich dir geben kann.« »Aber nicht aus Liebe«, murmelt er, »nicht wahr, nicht aus Liebe?« »Was kann ich dafür, daß ich nicht mehr lieben kann? Aber ich mag dich, Orrin. Ich beginne langsam zu glauben, daß du etwas Beständiges sein könntest in dieser Welt, wenn …« Nun zögert sie. Aber er vollendet, was sie sagen wollte: »… wenn du nicht zum Untergang verurteilt wärst. Nicht wahr, das wolltest du sagen?« Sie beißt sich auf die Unterlippe und nickt. Und als sie sich zugleich erheben, geht sie danach schnell um den Tisch herum und nimmt ihn bei der Hand. »Komm, Orrin«, sagt sie. Und er geht mit ihr.
* Er bleibt bis zum Frühstück, und als er sich dann vom Tisch erhebt, ist es später Vormittag. Denn sie schliefen lange. Er sieht auf Mae nieder, die zu ihm aufblickt. »Irgendwann«, murmelt er, »wirst du mich mit dem Herzen lieben. Und dann werden deine Zärtlichkeiten mehr als körperliche Liebe sein. Irgendwann wird etwas in dir aufbrechen. Das schaffe ich noch.« Er geht hinaus in das Sonnenlicht eines schönen Tages. Der Wagen des Leichenbestatters fährt nun mit den beiden Särgen zum Friedhof vor die Stadt. Er schließt sich an. Auch einige andere Menschen folgen seinem Beispiel. Einer – es ist der Sattler – fragt von der Seite her: »Und wann zahlen Sie die Rechnungen für den angerichteten Schaden, Marshal?« »Nach der Beerdigung in meinem Office«, erwidert er. Da bleiben sie alle zurück. Er folgt dem Leichenwagen mit den beiden Särgen allein. Und vor seinen Augen spielt sich im Geiste nochmals der Kampf ab. Er sieht die beiden Toten noch einmal sterben. In der vergangenen Nacht sah er das nicht. Da half ihm Mae, die in seinen Armen lag. Er hilft dem Leichenbestatter und dem Totengräber, die Särge in die Gruben zu senken. Der Leichenbestatter sagt ziemlich geschäftsmäßig: »Der Herr hat sie auf diese Welt kommen lassen, und nun hat er sie wieder fortgeholt. Der Herr wird schon wissen, warum er dies tut. Sie werden Gerechtigkeit erhalten im Jenseits. Ja, das werden sie. Amen.« Orrin Adams wendet sich ab. Er muß hart schlucken.
Und dann sieht er den Reiter am Rande des Friedhofs. Er nähert sich dem Reiter. Dieser nickt ihm zu und blickt auf den Stern an Orrin Adams’ Weste. »Ich hab’ mich schon umgehört, und ich war auch schon bei der Furt«, sagt der Reiter. »Die Herde ist sicherlich verloren, nicht wahr? Und den Erlös nahmen Sie dem Anführer der Viehdiebe ab, um den angerichteten Schaden zu begleichen. Fällt auch für die wirklichen Besitzer der Herde noch etwas davon ab?« »Nein«, erwidert Orrin Adams. »Wer sind Sie?« »Ich bin Ben Sloane«, erwidert der Fremde und bewegt sich lässig im Sattel. »Einige Dutzend Rinder trugen mein Brandzeichen. Ich muß mich wohl an diesen George Jessup halten, ja?« Orrin Adams nickt. »Die Viehdiebe haben die Herde unter dem Preis verkauft«, sagt er. »Ihr Anführer hat sie ausgezahlt und behielt danach nur wenig mehr als tausend Dollar in der Tasche. Dieser Betrag reicht gerade aus, um den angerichteten Schaden zu ersetzen. Ich denke, daß George Jessup die Herde für den halben Preis kaufte, also für etwa viertausend Dollar. Aber ich rate Ihnen nicht, bei ihm die andere Hälfte kassieren zu wollen. Da müßten Sie ein Aufgebot von hundert Mann hinter sich haben, Mister Sloane.« »Mal sehen«, erwidert dieser und reitet davon. Orrin Adams folgt ihm langsam, und er sieht diesen Ben Sloane in den Hof des Mietstalles reiten. Offenbar will er hier in Warbow City bleiben. Als Orrin Adams sein Office erreicht, warten dort schon mehr als ein Dutzend Bürger. Es sind die Besitzer der Felder, Äcker und Gärten, welche von der Herde verwüstet wurden. »Diese Biester haben meine Gartenhütte umgerissen und auch die Wasserpumpe abgebrochen vom Rohr«, sagt einer der Bürger böse.
Nun beginnen die anderen durcheinander zu rufen und all die ihnen zugefügten Schäden zu schildern. Orrin Adams achtet gar nicht darauf. Er drängt sich durch die Gruppe und sitzt wenig später an seinem Schreibtisch. »Wir haben etwas mehr als tausend Dollar zur Verfügung«, sagt er schließlich, als sie eine Schlange gebildet haben, welche durch die Tür bis hinauf auf die Straße reicht. »Es sind Ansprüche angemeldet, welche zusammen mehr als dreitausend Dollar betragen. – Also kann jeder von Ihnen nur ein Drittel von dem erhalten, was seine Schadensrechnung ausmacht.« Sie beginnen zu schimpfen, und er schluckt eine Menge herunter. Er findet sie widerlich. Er hat töten müssen, um ihnen die paar Dollars Schadensersatz beschaffen zu können. Er möchte sie fragen, ob ihnen bewußt ist, was er auf sich nahm. Aber sicherlich würden sie ihm sagen, daß dies sein Job ist und sie ihn dafür fürstlich bezahlen und daß sie einen Anspruch darauf haben, daß er ihnen den Rest der Forderung von George Jessup holt. Ja, so würden sie reden. Er verachtet sie. Und wäre da nicht Mae Thorne, so würde er heute noch wegreiten. * Es ist in der folgenden Nacht, als etwa zwanzig Meilen weiter in den Hügeln ein paar Reiter eine kleine Rinderherde zusammentreiben und dann mit ihr die Richtung nach Westen einschlagen. Es sind Reiter, die das Land auch in der Nacht gut genug kennen, um Rinder zu treiben. Bob Fuller ist einer dieser Reiter. Sie treiben die Herde die ganze Nacht und kommen gut
vorwärts. Als es Tag wird, halten sie mit der Herde in einer Senke. Es gibt eine Wasserstelle in dieser Senke, und so können sie sicher sein, daß die Rinder nach diesem scharfen Treiben die Wasserstelle tagsüber nicht verlassen werden. Die Reiter ziehen sich auf einen bewaldeten Hügel zurück, von dem aus sie die Fährte gut beobachten können. Sie sind ziemlich sicher, daß sie die Rinder unbemerkt stehlen konnten und niemand ihnen folgen wird. Denn das Land ist zu groß und unübersichtlich. George Jessups Reiter können nicht überall sein. Wahrscheinlich haben sie jetzt damit zu tun, die angekommene Herde aus Sonora umzubränden. Bob Fuller sagt an diesem Morgen: »Das hat gut geklappt. Ich wette mit euch, daß wir die Rinder in drei Tagen gut an die Goldgräber und Minenleute verkaufen können. Diese Rinder bringen uns gewiß an die sechshundert Dollar ein. Und dann werden wir uns eine Menge Spaß machen.« Die anderen Reiter nicken und grinsen. Sie gehören alle zur gleichen Sorte. Es sind wilde, verwegene, noch junge Burschen. * Eine Nacht später müssen sie mit ihrer kleinen Herde – es sind zwischen fünfzig und sechzig Tiere – durch eine enge Schlucht. Und hier sind sie plötzlich mit den gestohlenen Rindern nicht mehr allein. George Jessups Reiter sind vor und hinter ihnen. Schüsse krachen, Reiter brüllen wild und böse. Es gibt einen kurzen und heftigen Kampf mit George Jessups Revolverreitern. Von den vier Viehdieben leben noch zwei, und einer der beiden, die leicht verwundet am Leben bleiben, ist Bob Fuller.
Als er aus der Bewußtlosigkeit erwacht – er fiel nämlich vom Pferd und wurde von einem Huf am Kopf getroffen –, sieht er im Feuerschein die harten Gesichter der Warbow-Ranch-Reiter. Er stöhnt, faßt sich an die aufgeplatzte Beule am Kopfe, betastet sie mit zitternden Fingerspitzen und stöhnt. Aber dann fällt ihm ein, daß er gewiß bald von seinen Schmerzen erlöst sein wird. Er denkt: Diesmal hängen sie mich. Oh, du lieber Gott im Himmel, kannst du es nicht verhindern? Wenn du mir jetzt nicht hilfst, dann hängen sie mich. Denn ein zweites Mal kann ich ihnen gewiß nicht entkommen. In seiner Not wird er sich bewußt, daß er nun Stimmen hört. Aber was da gesprochen wird, dreht sich nicht um ihn, Bob Fuller. Es geht um andere Dinge. Und so beginnt er zu lauschen. Er kann dann alles leicht begreifen. Jesse Blaine, der mit ihm ritt und offenbar mit ihm überlebte, ruft nämlich mit schriller, sich überschlagender Stimme: »Das könnt ihr doch nicht machen! He, ihr dürft mich nicht ohne Gerichtsverhandlung und ohne das Urteil einer Jury hängen! Das ist Mord! Das ist eine Lynchpartie. He, Mister Jessup, Sie sind doch kein Gott, der über Leben und Tod entscheiden kann! Verdammt, bringt mich zum nächsten Gerichtshof!« Bob Fuller begreift mit seinem schmerzenden und hämmernden Schädel, daß Jesse Blaine gewissermaßen mit Worten um sein Leben kämpft. Aber er hört nun George Jessups Stimme: »Mit euch Strolchen räume ich jetzt auf in meinem Land. Ihr hattet alle eure Chancen und konntet fortreiten. Doch jetzt gibt es keine Schonung mehr. Los, hängt ihn endlich auf, Jungs, damit ich mir sein Gekreische nicht länger anhören muß!« Auch Bob Fuller möchte jetzt loskreischen. Doch er beherrscht sich.
Er setzt sich langsam auf. Im Feuerschein blickt er sich um. Rings um das Camp sind die Pferde an Bäumen und Büschen angebunden. Das Camp befindet sich unter einer mächtigen Eiche, die gewiß schon hier stand, bevor die ersten Weißen dieses Land zu sehen bekamen. Und an einen der weit ausladenden, knorrigen Äste wollen sie Jesse Blaine hängen. Bob Fuller sieht die Schlinge baumeln. Er sieht, wie sie Jesse Blaine auf sein Pferd heben und die Schlinge um seinen Hals legen. Er wartet nicht lange, sondern beginnt auf Händen und Knien davonzukriechen. Er möchte in den Büschen verschwinden. Am liebsten würde er eine Maus sein und in ein Loch schlüpfen. Von seiner wilden Verwegenheit ist nichts mehr vorhanden. Aber er kommt nicht weit. Ein Mann holt ihn mit drei oder vier Sprüngen ein und tritt ihm in den Hintern. Dann tritt ihm der Mann von der Seite gegen die Rippen, und da liegt Bob Fuller stöhnend am Boden und wartet darauf, daß sie auch ihn nehmen, auf sein Pferd setzen und am Hals aufhängen, indem sie das Pferd unter ihm wegjagen. Aber es geschieht nichts. Er hört nur, wie Jesse Blaine seinen letzten Fluch ausstößt und das Pferd unter ihm mit einem Schlag weggetrieben wird. Jemand tritt zu ihm, stößt ihn sachte mit der Stiefelspitze an. Er setzt sich auf und blickt nach oben. »Steh auf«, sagt George Jessups Stimme zu ihm. »Steh auf, Junge.« Bob Fuller gehorcht. Und dann steht er vor George Jessup wie ein kleiner ängstlicher Terrier vor einem Löwen. »Du bist doch dieser Bob Fuller, nicht wahr?« So fragt George Jessup lässig und auf grimmige und verächtliche Art amüsiert.
»Yes, Sir, der bin ich«, sagt Bob Fuller. »Du bist der wilde Junge, der uns schon einmal entkommen konnte?« »Yes, Sir«, antwortet Bob Fuller. »Dann kannst du jetzt noch mal zu Orrin Adams nach Warbow City flüchten. Du wirst alles genauso machen, ganz genauso. Los, hau ab! Reite! Wir lassen dich bis zu Orrin Adams entkommen. Und vielleicht lasse ich dich danach sogar aus dem Land reiten. Hau ab! Reite noch einmal zu Orrin Adams nach Warbow City. Und sage ihm, daß diesmal nicht Hogjaw Staretter, sondern ich selbst hinter dir her bin! Hau ab!« Bob Fuller staunt nur drei Sekunden lang. Dann springt er zu seinem Pferd, welches einer von Jessups Männern herbeibrachte. Mit einem Schrei ist er im Sattel und reitet wie von wilden Teufeln gejagt in die Nacht. Hinter ihm schwingen sich die Warbow-Reiter in die Sättel. Diesmal führt George Jessup die Verfolger an. Und jeder weiß Bescheid – auch Bob Fuller. Diesmal wird die Warbow-Mannschaft in Warbow City nicht kneifen. Wenn Orrin Adams sich ihr diesmal ebenso entgegenstellen sollte, wie er sich Hogjaw Staretter entgegenstellte, dann wird Blut fließen, wird es Tote geben, wird George Jessup die Stadt übernehmen. Bob Fullers Verstand beginnt erst nach einigen Meilen wieder richtig zu arbeiten. Er begreift George Jessups Absichten völlig. Er soll noch einmal bei Orrin Adams und in der Stadt Schutz und Hilfe suchen, damit George Jessup einen Grund hat, alles kleinmachen zu können. Jessup will die Stadt jetzt endgültig übernehmen, damit die nächsten Rinderherden keine Schwierigkeiten mehr bekommen. Und er will nun deutlich vor
den Augen des ganzen Landes den Marshal von Warbow City zurechtstutzen. Dazu benötigt George Jessup nur einen kleinen Anlaß. Und dieser Anlaß soll Bob Fuller sein, ein flüchtiger Viehdieb. Als Bob Fuller sich über diese Dinge klar ist, will er zuerst verzweifelt darauf hoffen, daß George Jessup ihn entkommen läßt, nachdem er seine Funktion als Lockvogel oder Fallenköder erfüllt hat. Er weiß auch zu gut, daß Orrin Adams ihn nicht mag, nicht viel von ihm hält und ihm nur deshalb Schutz gewährte, um die Selbständigkeit und Freiheit der Stadt gegen die Warbow-Mannschaft zu behaupten. Dies wird ihm nicht nochmals gelingen, wenn Bob Fuller ihn erneut in diese Situation bringen sollte. Aber was bleibt ihm anderes übrig? Dies fragt er sich immer wieder, indes er sein Pferd galoppieren läßt und in der dunklen Nacht möglichst viel Vorsprung zu erringen versucht. Es kommt ihm gut zustatten, daß er das Land kennt wie seine Westentasche und sich an wenigen Silhouetten von Hügelketten, die sich gegen den etwas helleren Himmel abheben, gut orientieren kann. Er kennt die Senken, Hügellücken, Creeks und all die vielen anderen Landmarken auch in der Nacht gut genug. Manchmal hält er an und lauscht. Und immer wieder stellt er fest, daß der Hufschlag seiner Verfolger schwächer zu hören ist. Aber wahrscheinlich verfolgen sie ihn gar nicht direkt, sondern reiten auf dem geradesten Weg nach Warbow City. Und wenn er einige gefährliche Abkürzungen wagt, dann könnte er vielleicht einen größeren Vorsprung herausholen. Es gibt da einige steile Hänge, enge Hügellücken, die in der dunklen Nacht nur schwer zu finden sind. Bob Fuller weiß plötzlich, was er tun wird. Seine Furcht schwindet plötzlich. Er hat den Schock, den er erlitt, als er sich so dicht vor dem Hängen wähnte,
überwunden. Plötzlich ist er wieder der verwegene, leichtsinnige Bursche. Und er stößt einen wilden Schrei aus, als könnte er triumphieren. * Auch diesmal ist es wieder grauer Morgen, als Bob Fuller nach Warbow City kommt. Und dennoch ist diesmal alles anders. Diesmal ist Bob Fullers Vorsprung etwas größer, und so reitet er zuerst in den Mietstallhof. Der eine Flügel des Stalltores steht offen, um auch während der Nacht frische Luft einzulassen. Bob Fuller brüllt: »Pete! Hoiii, Pete, ich will ein frisches Pferd! Los, es eilt! Es geht um mein Leben! Tausche mir mein Pferd gegen ein frisches Tier um! Ich muß gleich weiter!« Pete, der Stallmann, hatte ihn schon kommen gehört. Er braucht ohnehin nur wenig Schlaf. Und so kommt er auch sofort aus seinem Schlafverschlag. »Ich könnte dir die gelbe Stute für deinen Wallach geben, Bob. Denn sie gehört deiner Schwester. Willst du sie?« »Her damit«, drängt Bob Fuller. Sie arbeiten nun schweigend. Bob Fuller sattelt sein schweißbedecktes Pferd ab, Pete bringt ein gelbes Pferd aus einer der hinteren Boxen. Es gehört Sue Fuller, die manchmal ausreitet, um ihr trauriges Dasein in frischer Luft vergessen zu können. Nach wenigen Minuten schon reitet Bob Fuller aus dem Stall und hört Pete hinter sich laut genug sagen: »Wenn du wieder zu Orrin Adams willst, dann diesmal nicht im Hotel. Suche ihn im Saloon bei Mae Thorne.« Bob Fuller stößt einen dankbaren Schrei aus. Er reitet bald darauf neben dem Saloon in die Gasse und hält vor den Fenstern von Mae Thornes Privaträumen. Die
Fensterläden sind geschlossen, aber er stößt vom Sattel aus mehrmals mit der Stiefelspitze dagegen. Dabei ruft er halblaut: »Orrin! He, Orrin Adams! Ich bin es! Bob Fuller! Mach auf, wenn du da drinnen bist! Denn es ist wichtig! Mach auf, denn ich muß dir etwas sagen!« Er muß nicht lange warten, dann zeigt sich Orrin Adams mit dem schußbereiten Colt. »Zum Teufel, du schon wieder? Von wem weißt du, wo ich zu finden bin?« »Pete sagte es mir.« Bob Fuller grinst trotz seiner Eile und Not. Dann berichtet er mit kurzen Worten, was George Jessup ihm befohlen hatte, und endet mit den stolz und spröde ausgestoßenen Sätzen: »Aber diesmal verkrieche ich mich nicht in deinem Schutz, ich laufe auch nicht zu meiner Schwester und zu den anderen Mädchen. Diesmal könntet ihr mich nicht schützen, und ich will auch nicht nach George Jessups Pfeife tanzen. Ich habe ein frisches Pferd und reite nach Süden in die Badlands!« Als er verstummt, hört man in der Stille des grauen Morgens den Hufschlag der Warbow-Mannschaft. Dieser trommelnde Hufschlag nähert sich wie das Grollen eines unaufhaltsamen Unheils. Bob Fuller stößt einen wilden Schrei aus und treibt das gelbe Pferd seiner Schwester an. Er wird am Ende der Gasse den Weg nach Süden einschlagen, indes George Jessup mit seinen Reitern auf den Platz reitet. Indes fährt in Mae Thornes Schlafzimmer Orrin Adams in seine Hosen und Stiefel, stopft sich das Hemd in die Hose und vervollständigt seine Kleidung. Den Hut stülpt er auf das ungekämmte Haar.
Im Halbdunkel beobachtet ihn Mae Thorne schweigend. Sie hockt mit angezogenen Knien im Bett und hat Arme und Kinn auf den Knien ruhen. Als er fertig ist und zu ihr blickt, da sagt sie spröde: »Das war es wohl, Orrin. Jetzt gehst du hinaus, um zu kämpfen. Wahrscheinlich werden sie dich töten. Es tut mir leid, daß ich dir nicht mehr geben konnte – nur ein wenig Zärtlichkeit.« Er grinst im Halbdunkel, so daß seine Zahnreihen blinken. »Du warst wie ein Stern in der Finsternis«, sagt er. »Ich danke dir dafür. Und wenn ich überleben sollte, machen wir weiter, bis du mich irgendwann auch mit dem Herzen liebst.« Nach diesen Worten geht er hinaus, durchquert das Wohnzimmer und ergreift dort das Gewehr, welches neben der Tür an der Wand lehnt. Wenig später verläßt er den Saloon durch die Hintertür und gelangt durch die Gasse nach der Vorderseite, hält in der Gassenmündung inne und hat den Platz, die Reiter und das gegenüberliegende Hotel vor sich. Gleich neben dem Hotel – in einem Anbau – befindet sich das Marshal’s Office mit der einzigen Käfigzelle, in der auch zwei harte Schlafpritschen sind. Aus dem Hotel und aus dem Marshal’s Office kommen fast im selben Moment Warbow-Reiter. Ihre Stimmen klingen über den Platz: »Er ist nicht da, Boß! Auch im Hotel ist er nicht, Sir!« George Jessup verhält zu Pferd etwas mehr als ein Dutzend Schritte vor Orrin Adams und hat diesem und der Gassenmündung den Rücken und das Hinterteil des Pferdes zugewandt. Rechts und links von ihm halten einige seiner Reiter. Und sie alle hören nun die laute Stimme des Town Marshal: »He, sucht man mich vielleicht?« Sie wenden sich überrascht in den Sätteln, ziehen auch ihre Pferde halb herum. Und er tritt aus dem dunklen Maul der Gasse ein wenig hervor in das graue Licht des Morgens.
Sein Blick ist auf George Jessup gerichtet. Und was zuvor schon zu spüren war, als der trommelnde Hufschlag sich der Stadt näherte, was dann stärker wurde, als die Mannschaft den Platz vor dem Hotel erreichte – dies liegt nun wie eine schwarze, drohende, Beklemmung erzeugende Wolke über dem Platz. Ja, es weht wieder der Atem von Gefahr, von Gewalttat, von Unheil. Man spürt, daß er schnell zu einem Todesatem werden könnte. George Jessups Stimme klingt hart und präzise: »Adams, wo ist er?« »Wer?« »Zum Teufel, Adams, Sie wollen mich doch wohl nicht verarschen. Wo ist Bob Fuller? Wo haben Sie ihn versteckt? Ist er wieder bei seiner Schwester und den anderen Mädchen? He, Jungs! Seht im Saloon nach! Durchsucht jedes Zimmer und jeden Raum! Los, vorwärts!« »Das werdet ihr nicht!« Orrin Adams’ Stimme klingt nicht besonders laut, aber jedes Wort ist gut zu verstehen. Es ist ein Klang in seiner Stimme, der die Männer deutlicher warnt als lautes Brüllen. Also zögern sie ein wenig, und das gibt Orrin Adams Zeit hinzuzufügen: »Er ist hier nur auf einem frischen Pferd durchgeritten. Er hat sich im Mietstall das Pferd seiner Schwester genommen und ist weiter nach Süden. Sucht ihn woanders, nur nicht hier! Und wenn ihr auf einen Verdruß aus seid, dann nicht in meiner Stadt. Sonst noch was?« Seine drei letzten Worte sind eine Herausforderung. Sie hören seiner Stimme an, daß er bereit ist für alles. Und sie können zuerst gar nicht glauben, daß ein einzelner Mann ihnen gegenüber so furchtlos sein kann. Einige der Reiter blicken sich plötzlich nach allen Seiten um, so als hätten sie Sorgen, in eine Falle geraten zu sein. Und es klirren auch da und dort einige Fenster.
Drüben zeigt sich jener Fremde, der sich Ben Sloane nannte, in einem der oberen Fenster des Hotels. Auch oben im ersten Stock des Saloons werden Fenster geöffnet, aber Orrin Adams kann nicht sehen, ob es die Mädchen oder der alte Tim Hackett sind. George Jessup reitet plötzlich vorwärts und hält erst das Pferd an, als es dicht vor Orrin Adams ist und an diesem zu schnuppern beginnt. Denn der Marshal wich keinen einzigen Zoll zur Seite. Vom Sattel aus betrachtet Jessup den Marshal eine Weile schweigend, und beide wissen in dieser Sekunde, daß sie füreinander bestimmt sind, daß sie dazu geboren wurden, es eines Tages gegeneinander auszukämpfen, so als wäre dies von Anfang an ihr einziger Lebenszweck. George Jessup ist ein löwenhafter Mann. Einen Moment lang sieht es so aus, als wollte er sein großes Tier anspornen, um Orrin Adams niederzureiten. Gewiß spürt er in diesem Moment ganz deutlich, daß Orrin Adams die einzig starke Kraft in dieser Stadt ist, welche er niederkämpfen muß, um Warbow City beherrschen zu können. Seine Rechte hängt über dem Revolverkolben, und seine Finger vibrieren leicht. Er wirkt so, als kämpfte er einen Moment lang gegen ein wildes, böses Verlangen an. Orrin Adams wartet. Jessup spürt die Entschlossenheit dieses Mannes deutlich. Und er fragt sich, was Orrin Adams so entschlossen macht, so sehr bereit, einen letztlich aussichtslosen Kampf auskämpfen zu wollen. Dann weiß er plötzlich, was vor ihm schon sein Vormann Hogjaw Staretter erkannte. Und er denkt: Mae Thorne! Ja, das ist es! Mae Thorne. Es ist nicht so sehr diese Stadt und auch nicht allein sein Stolz und seine Feindschaft gegen mich. Nein, es ist vor allen Dingen die schöne Mae Thorne. Verdammt.
Nachdem er dies gedacht hat, zieht er sein Pferd zur Seite und ruft: »Larry, Hank, Quincy und Rio! Beschafft euch im Mietstall frische Pferde, und nehmt die Verfolgung auf. Ich will Bob Fuller haben! Nehmt auch genug Wasser mit! – Ihr anderen versorgt unsere Pferde. Ihr könnt dann im Hotel-Restaurant frühstücken!« Nach diesen Worten sitzt er ab, übergibt einem seiner Reiter die Zügel seines Pferdes und wendet sich noch einmal Orrin Adams zu. »Bob Fuller hat wieder Rinder gestohlen«, grollt er. »Und er hat auch auf meine Reiter geschossen. Wenn ihn meine Männer herbringen, hänge ich ihn hier in dieser verdammten Stadt auf.« »Nein, nicht hier«, erwidert Orrin Adams. »Nicht in der Stadt, in der ich den Stern trage.« »Wir werden sehen«, grinst George Jessup. »Meine Leute werden ihn einholen und herbringen. Rio ist der beste Scout auf tausend Meilen in der Runde. Die bringen ihn her. Und dann werden wir sehen, wessen Stadt dies hier ist.« Vielleicht wären die beiden Männer im nächsten Moment aneinandergeraten. Sie stehen sich ja nun in Reichweite gegenüber, und der Atem ihrer Gegnerschaft trifft sie gegenseitig. Ja, vielleicht wäre es im nächsten Moment zur »Explosion« gekommen, aber da wird der Salooneingang geöffnet. Mae Thorne tritt heraus. Sie trägt ihren schon leicht verwaschenen Morgenmantel. Ihre nackten Füße stecken in Pantoffeln. Und ihr kupferrotes Haar hat sie hinter dem Nacken zusammengebunden. Die Männer wenden sich ihr zu. George Jessup scheint den Marshal von einer Sekunde zur anderen vergessen zu haben, denn er greift vor Mae an die Hutkrempe und sagt: »Schön, dich zu sehen, Mae. Hast du einen Drink für mich?«
Sie zögert kaum merklich. Und sie sieht Orrin Adams mit keinem einzigen Blick an. Sie weiß genau, was sie tut. Denn sie kam heraus, um einen Kampf zu verhindern. Und so lächelt sie und erwidert: »Sicher, ich habe einen Drink für dich, George, einen guten sogar. Du warst lange nicht in der Stadt. Komm herein.« Sie wendet sich um und verschwindet im Saloon. George Jessup aber sieht Orrin Adams wieder an, und es ist irgendwie ein Ausdruck des Zweifels in seinen Augen. Aber dann sagt er: »Adams, es ist nicht Ihre Stadt. Es kann nicht Ihre Stadt sein, weil Sie so verdammt allein sind. Wenn Sie das nicht endlich begreifen, sind Sie zum Untergang verurteilt.« Nach diesen Worten wendet er sich ab und folgt Mae Thorne in den Saloon. Einen Moment lang ist in Orrin Adams der Wille, ihm zu folgen. Doch dann wird er sich darüber klar, daß Mae herauskam, um einen Kampf zu verhindern. Er wendet sich wieder dem Platze zu, von dem Jessups Reiter nun in Richtung Mietstall verschwunden sind. Nur ein wenig Staub wirbelt noch – und ein paar frische Pferdeäpfel verbreiten einen typischen Geruch. Er zögert, ist einen Moment unsicher. Doch dann weiß er, daß es dumm wäre, George Jessup zu folgen. Er denkt an Bob Fuller, der dort draußen in dem trockenen Land nach Süden flüchtet. Ob er Rio und den drei anderen Reitern entkommen kann? Aber was geht ihn Bob Fuller an? Er weiß nur eines: George Jessup wird in dieser Stadt niemanden hängen, solange er, Orrin Adams, das verhindern kann. Denn nur dann wird es noch seine Stadt sein. Nur dann wird Mae Thorne noch frei sein.
Auf die Bürger von Warbow City pfeift er. Langsam geht er zu seinem Office hinüber. Er fragt sich, was der Tag noch bringen wird. * Obwohl sich die lange Bar zwischen ihnen befindet, spürt Mae Thorne stark, wie sehr George Jessups Wille von ihr Besitz ergreift. Sie schenkt ihm aus einer besonderen Flasche bernsteinfarbenen Whiskey ein, und weil ihr danach ist, tut sie das auch für sich. Sie braucht einen scharfen Schluck. Denn sie weiß: Das Schlimmste trat zwar noch nicht ein. Aber es ist nur aufgeschoben. Als sie sich zutrinken, sehen sie sich in die Augen. George Jessups Augen sind gelb. Gelb ist auch sein langes und dichtes Haar. Es hängt ihm bis zum Kragen der Jacke nieder. Sie spürt, wie sein Instinkt an ihr tastet, in sie einzudringen versucht. Sie fragt sich, ob er irgendwelche Ahnungen spürt. Sie ist sich darüber klar, daß hier in Warbow City nun schon einige Menschen wissen, wo Orrin Adams zwischen seinen nächtlichen Runden zu finden ist, wo er also seine Nächte verbringt bis in den Vormittag hinein. Ja, die Stadt wird es wissen. Nichts in Warbow City bleibt verborgen. Und so könnte es eines Tages auch George Jessup erfahren. Gewiß hat er Spione oder Zuträger in der Stadt. Die Völker der Erde haben sich schon oft irgendwelchen Mächtigen furchtsam unterworfen. Die gesamte Weltgeschichte ist voll davon. Und so wird es auch in dieser Stadt Menschen geben, die sich bei George Jessup lieb Kind machen wollen. An all diese Dinge denkt sie, indes sie sich zutrinken und sich in die Augen sehen.
Als sie die Gläser absetzen, sagt er: »Wenn ich wüßte, daß du schon mit ihm im Bett warst, würde ich ihn auf der Stelle töten. Hast du schon mit ihm im Bett gelegen? Sag es!« Sie wird nun auf wilde Art böse. »Zum Teufel mit dir, du großspuriger Rindermann«, sagt sie klirrend. »Was glaubst du denn, wer du bist? Mein Gebieter noch nicht! Und wenn ich wirklich mit ihm im Bett gelegen habe, dann geht dich das einen Dreck an. Basta!« Sie will sich abwenden und durch die mit Tapete beklebte Tür in ihren Privaträumen verschwinden. Doch er sagt einlenkend: »Nun werde doch nicht gleich so wild. Verstehe mich doch. Ich will dich haben. Und ich würde dir mein Kingdom zu Füßen legen – mein Cattledom. Ich werde bald der große King von Arizona sein. Warum kommst du nicht endlich als meine Frau auf die Warbow Ranch? Was hast du gegen mich?« Sie betrachtet ihn nachdenklich. Dann murmelt sie, wobei ihre Augen schmal werden: »Du nimmst alles in Besitz. Und was du nicht bekommen kannst, das wird für dich zu einer Herausforderung, bis du es in deiner Gewalt hast. George Jessup, dir fehlt etwas. Du könntest niemals lieben, stets nur besitzen. Du hast mir schon nachgestellt, als mein Mann noch lebte. Und ich habe dich in Verdacht, daß du jenen Falschspieler schicktest, der dann schneller war als John Thorne. Ja, ich ahne oder spüre manchmal, daß du mich zur Witwe machen ließest, um mich eines Tages doch bekommen zu können. Das ist dein Stil. Aber ich will nicht.« Er nickt zu ihren Worten. Dann füllt er noch einmal selbst sein Glas, trinkt es mit drei gierigen Zügen leer und stellt es hart auf die Bar. »Ich bekomme dich«, sagt er. »Und diesen Orrin Adams stutze ich zurecht. Wenn meine Männer Bob Fuller bringen,
dann zeige ich es allen, daß ihr in meinem Schatten lebt und ich der Boß bin. Basta!« Er geht hinaus. Und sie bleibt an der Bar stehen, denn sie muß sich daran festhalten, weil ihre Beine unter ihr zittern. Sie denkt: Er ist ein Untier. Was er haben will, das nimmt er sich auf irgendeine Art. Und er wird um so gieriger, je weiter er kommt. * Als die Warbow-Reiter sich im Hotel-Speiseraum zu ihrem Boß an den Frühstückstisch setzen, sehen sie George Jessup dessen grimmige Stimmung an. Er wirkt am Kopfende des langen Tisches wie ein mürrischer Löwe, der im nächsten Moment schon mit seinen Pranken zuschlagen könnte. Drüben an einem kleinen Tisch in der Ecke sitzt jener Fremde, der sich Ben Sloane nannte und der vorhin die Ankunft der Warbow-Reiter vom Hotelfenster aus beobachtete. George Jessups Blick richtet sich mehrmals im Verlaufe des Frühstücks auf diesen Fremden, und stets verspürt er ein ungutes Gefühl. Er weiß solche Gefühle zu deuten. Es ist eine Warnung, die sein feiner Instinkt ihn spüren läßt. Er weiß es, und so beginnt er sich zu fragen, was es mit diesem indianerhaften Fremden für eine Bewandtnis haben könnte. Es erscheinen noch einige andere Gäste zum Frühstück, aber die interessieren George Jessup nicht. Seine instinkthafte Wahrnehmung beschäftigt sich allein mit diesem Manne. Wenig später schickt er einen seiner Reiter hinaus zum Hotelmann in die Empfangsdiele. Als sein Mann zurückkommt, kann dieser ihm zwar nicht viel berichten, doch aber einiges, nämlich: »Er hat sich als Ben Sloane eingetragen. Und er hat überall herumgefragt wegen der
Treibherde, die durch die Stadt raste. Er war sogar zur Beerdigung jener beiden von Orrin Adams erschossenen Sonora-Männer. Er sprach auch auf dem Friedhof mit Orrin Adams.« Als Jessup dies hört, weiß er schon ziemlich gut Bescheid. Und er grinst zwischen zwei Schlucken aus der Kaffeetasse. Er beugt sich vor und sagt leise zu seinen Reitern: »Seht euch den Fremden an, den da in der Ecke am kleinen Tisch. Seht ihn euch unauffällig genau an. Merkt ihn euch. Und wenn ihr ihn auf Warbow-Weide antrefft, dann schießt sofort.« Sie nicken kauend. Sie alle sind Revolverreiter. Mit ihrem Colt können sie besser umgehen als mit dem Lasso. Aber für die Herdenarbeiten wurden sie auch nicht auf Jessups Lohnliste gesetzt. Dann und wann blickt nun jeder von ihnen mal auf den Fremden. Sie machen es ziemlich geschickt. Es wirkt stets wie zufällig. Aber ihre Blicke sind zu scharf und zu forschend. Sloane erwidert diese Blicke fest, und es geht dann stets etwas von diesem indianerhaften Manne aus, was jeder der Revolverreiter deutlich spürt. Einer von ihnen sagt dann auch leise: »Boß, der ist eine harte Nummer.« George Jessup knurrt nur zustimmend. Er erhebt sich dann ebenfalls und sagt: »Also, Jungens, ich lege mich zwei oder drei Stunden aufs Ohr. Sollten Rio und die anderen vorher schon mit diesem Bob Fuller in die Stadt zurückkommen, dann weckt mich.« Er geht hinaus. Da er im Hotel ständig ein Zimmer für sich gemietet hat, weiß er, wohin er gehen muß, um sich ein wenig auszuruhen nach der langen Nacht des Reitens. Auch der Fremde, der sich als Ben Sloane ins Gästebuch des Hotel eintrug, geht hinaus. Er holt sich im Mietstall sein Pferd, sitzt auf und reitet nach Süden aus der Stadt.
Die Warbow-Reiter, die jetzt überall in der Stadt herumlungern, beobachten ihn. Sie sind sicher, daß der Fremde, den ihr Boß ihnen zum Abschuß freigegeben hat, sobald sie ihn auf Warbow-Weide treffen, zurück nach Warbow City kommen wird, da er ohne jedes Gepäck ausreitet, also keine Satteltaschen und auch keine Sattelrolle mitführt, nur das Gewehr. * Bob Fuller stellt schon bald fest, daß er auf keinem besonders guten Pferd sitzt. Für seine Schwester genügte das Tier zum Ausreiten. Aber für eine Flucht durch rauhes Land hätte er ein zäheres Tier gebraucht. Es wurde in den vergangenen Wochen nur mäßig geritten, kaum mehr als eine oder zwei Stunden am Tag – und dann auch nur im leichten Trab oder gar im Schritt. Das Tier unter ihm beginnt schon bald zu schwitzen. Und der Atem verrät Bob Fuller bald schon, daß er es verschnaufen lassen muß. Er flucht bitter. Auf einem Hügel zwischen einigen Felsen haltend, blickt er auf seiner Fährte zurück und sieht dann die vier Verfolger kommen. Noch sind sie weiter als eine Meile zurück. Aber seine Fährte ist deutlich zu erkennen und schnell zu verfolgen. Es ist noch früher Vormittag. Er begreift, daß er nicht entkommen kann, nicht in Freiheit bleiben wird bis zum Anbruch der schützenden Nacht, die mit ihrer Dunkelheit ein Verfolgen seiner Fährte für viele Stunden unmöglich machen würde. Er möchte in Panik geraten, sein Pferd herumreißen und ihm die Sporen geben. Dann würde das Tier nach einer Meile vielleicht schon zusammenbrechen. Es ist ja nur ein Pferd zum Spazierenreiten.
Bob Fuller denkt mit Bitterkeit an den alten Stallmann Pete. Doch wahrscheinlich konnte dieser ihm wirklich kein anderes Pferd geben, obwohl sich gewiß einige bessere Tiere im Stall oder in den Corrals befanden. Er hatte gewiß kein Verfügungsrecht über die anderen Tiere. Bob Fuller ist also nicht böse auf den alten Pete. Doch nun muß er zusehen, wie er davonkommt. Als er auf der anderen Seite des Hügels hinunterreitet und dabei nach Süden späht, da sieht er die große Staubwolke in der Ferne. Und er weiß, daß dort wieder eine große Treibherde von Süden her herangetrieben wird. Aber ist das eine Hoffnung für ihn? Kann er dort vielleicht sein Pferd eintauschen gegen ein besseres Tier? Er hat ein paar Dollars in der Tasche, und er weiß, daß zu jeder Treibherde eine Pferde-Remuda gehört, weil die Treiber mehrmals am Tage ihre Pferde wechseln müssen. Nun, er sieht eine Chance. Und so treibt er das gelbe Pferd nun doch ein wenig schneller an. Nach zwei Meilen etwa – als er über eine Bodenwelle reitet, welche sich meilenweit von Ost nach West zieht –, da sieht er die Herde dicht vor sich. Nur die vorderen Rinder sind zu erkennen. Dahinter wallt der Staub. Dieses trockene Land ist überall mit Puderstaub bedeckt. Es gibt hier außer Kakteen und Dornengestrüpp kein Grün. Die Rinder stampfen mühsam vorwärts. Sie sind am Ende ihrer Kräfte, fast verdurstet. Die Treiber müssen die Herde vorwärtsprügeln. Doch das wird sich bald ändern, wenn die Leittiere vorne den Warbow Creek zu wittern beginnen. Dann wird die Herde von selbst zu laufen anfangen. Bob Fuller erkennt plötzlich seine Chance.
Er winkt dem Vorreiter der Herde zu, auch dem Fahrer des Wagens. Dabei ruft er: »Paßt auf! Hinter der Bodenwelle werden die Biester den Warbow Creek wittern. Dann sausen sie los! Macht ihnen nur rechtzeitig den Weg frei!« »Hat die Warbow Ranch dich geschickt?« So ruft ihm der Vorreiter zu. Doch er erwidert nichts. Denn er taucht nun in den wirbelnden Staub ein, der wie dichter Nebel ist, in dem man Rinder und Treiber nur schemenhaft erkennen kann. Denn es weht kein Wind. Bob Fuller weiß Bescheid über die erste Herde, welche durch die Stadt und dann durch die Furt des Creeks raste. Er und seine Kumpane haben alles beobachtet. Und weil sie glaubten, daß die gesamte Warbow-Mannschaft mit dem Umbränden der Rinder beschäftigt sein würde, wagten sie den Rinderdiebstahl. Bob Fuller beginnt sich nun wie einer der Treiber zu verhalten. Er brüllt, pfeift und läßt das Lassoende auf knochige Rücken und Hinterteile klatschen. Er ist einer der Treiber im dichten Staub geworden. Wie alle anderen Treiber hat er sich gegen den Staub auch das Halstuch bis über die Nase hochgezogen. Und gelbe Pferde gibt es in jeder Treibherden-Remuda. Nun kann er nur hoffen, daß seine Verfolger an der Herde vorbei weiter nach Süden reiten. Da sie vermuten müssen, daß er in der breiten Spur der Herde ritt, werden sie auch nicht nach seiner Fährte suchen. Bob Fuller ist also ein verwegener Bursche, der seine Nerven behielt und nun den großen Trick probiert. Wird er Glück haben? Er kann nicht viel sehen im dichten wirbelnden Staub, aber er glaubt dann doch erkennen zu können, daß außerhalb der Staubwolke vier Reiter nach Süden reiten. Es können nur seine Verfolger sein, wer sonst? – Und unter seinem als Staubschutz
umgebundenen Halstuch grinst er verwegen, ist stolz auf sich und seinen Trick. Für einen Moment hält er sich wieder für einen besonders schlauen und erfolgreichen Burschen. Aber dann begreift er, daß die vier Verfolger genau wissen, wie müde sein Pferd ist, und sie ihn bald schon in Sicht bekommen müssen von der nächsten Bodenwelle aus. Sollte dies nicht der Fall sein, werden sie umkehren und ihn gewiß hier bei der Herde suchen. Er hat also nicht mehr viel Zeit. Und so reitet er wieder von der Herde fort, gelangt aus dem wirbelnden Staub und erblickt die Herden-Remuda, welche von zwei jungen Burschen getrieben wird, die erst noch richtige Cowboys werden wollen. Er reitet hinüber und verhalt sich so, wie es jeder andere Treiber tun würde. Er schwingt sein Lasso, fängt sich ein Tier heraus und hält mit beiden Tieren an. Die Pferde der Remuda sind gewöhnt, daß sie jetzt gesattelt werden, die Reiter also dem müden Pferd den Sattel abnehmen und dem frischeren Tier auflegen. Einer der beiden jungen Burschen von der Remuda kommt herangeritten, um das abgesattelte Tier der Remuda nachzutreiben. Bob Fuller ist mit Staub bedeckt und gewissermaßen maskiert durch sein bis über die Nase hochgezogenes Halstuch. Dennoch fragt der junge Bursche: »He, wer bist du denn? Dich kenne ich ja gar nicht. Auch dieses Pferd gehört nicht zur Herde. Wer …« »Verdammt«, unterbricht ihn Bob Fuller. »Hast du mich nicht kommen sehen vorhin? Ich hab’ mich beim Vorreiter gemeldet. Und ich wurde geschickt, um euch den Weg zu zeigen. Denn wir müssen genau auf dem Wagenweg bleiben, der auf die Furt zuführt. Wenn wir die bald losrasenden Rinder
nicht genau auf die Furt ausrichten, stürzen sie über das Steilufer in den Creek. Verstanden?« »Sicher«, erwidert der junge Bursche und treibt Bob Fullers gelbes Pferd der Remuda und seinem Partner nach. Bob Fuller aber stößt einen leisen Jauchzer aus und schwingt sich auf das frische Pferd. Er hat sich ein besonders gutes Tier ausgesucht. Und es wurde gewiß auch heute noch nicht geritten. Auf diesem Pferd – das spürt er schon nach einigen Dutzend Sprüngen des Tieres – werden ihn die vier Verfolger gewiß nicht erwischen können, nein, nicht auf diesem Tier. Und so reitet er wieder in den Staub der Herde, bleibt aber dann in der Staubfahne mehr und mehr zurück wie im dichten Nebel. Als er nach Westen zu aus dem lichter werdenden Staub gelangt, sieht er sich scharf um. Aber die Sicht ist nicht weit. Das wilde Land ist wellig. Überall stehen von der Erosion zernagte Felsen, kleine Kakteenwäldchen, Dornenbuschgruppen. Sein Pferd schnaubt vor einer rasselnden Klapperschlange. Aber es weicht kaum zur Seite. Er glaubt nun, weit genug nach Westen geritten zu sein, und biegt nach Süden ab. Als er einmal zwischen Sandsteinfelsen auf einem flachen Hügel verhält, wird er sich bewußt, daß es nun später Mittag wurde. Die Felsen werfen nun wenig Schatten, weil die Sonne noch hoch am Himmel steht. Er sieht nun seine vier Verfolger. Sie kommen auf der Herdenfährte von Süden her zurück. Er lacht leise über die sich spitzenden Ohren des Pferdes hinweg und hält sich abermals für einen großartigen, schlauen Burschen. Er ist nun sicher, daß er entkommen wird. Selbst wenn seine Verfolger irgendwann im Laufe des Tages seine Fährte finden, die ja von der Herde wegführt nach Westen und dann nach
Süden abbiegt, so können sie ihn gewiß nicht vor Anbruch der Nacht einholen. Dazu ist sein Pferd zu gut. Seine einzige Sorge ist, daß er nicht genug Wasser bei sich hat. Denn vor ihm liegen gewiß an die achtzig oder noch mehr Meilen durch pulvertrockenes Land. Er sitzt ab, gießt ein wenig Wasser in seine Hutkrone und läßt das Pferd trinken. Er selbst nimmt nur einen einzigen Schluck. Noch ist die Wasserflasche etwas mehr als halb voll. Wird das reichen? Er beginnt wieder darüber nachzudenken, wohin er reiten soll. Es kommen eigentlich für einen verwegenen und nach Chancen suchenden Burschen wie ihn nur zwei Orte in Betracht: Nogales oder El Paso. Nach Nogales muß er immer nach Süden reiten. El Paso liegt östlicher an der Sonora-Grenze. In beiden Orten war er noch nie. Aber er hat Wunderdinge von dort gehört. Er holt eine Münze aus der Tasche und murmelt: »Kopf ist Nogales.« Dann wirft er sie, fängt sie auf und klatscht sie auf seinen Handrücken. Er sieht den schönen Indianerkopf auf der Fünf-Dollar-Münze und grinst. »Also nach Nogales«, sagt er. * Am späten Nachmittag muß er doch noch um sein Leben reiten. Denn jener Rio ist wohl doch ein erstklassiger Fährtenleser. Die Verfolger kamen ihm schneller auf die Spur, als er glaubte. Und nun jagen sie ihn. Bob Fuller muß sich plötzlich wieder große Sorgen machen. Immer wieder blickt er reitend nach Westen, wo die Sonne
noch über den fernen Santa Catalinas jenseits des Pedro River steht. Bis zum Nachtanbruch sind es noch zwei Stunden. Welche Pferde werden besser sein – seins oder die Tiere der Verfolger? Als er wieder einmal über eine Bodenwelle reitet und nach Süden blickt, da sieht er eine Reiterschar vor sich. Er hält das Pferd an. Die Reiter werden von einem Mann geführt, dessen grauer Vollbart im Reitwind flattert wie die Zipfel eines Halstuches. Bob Fuller glaubt sofort, daß es sich um ein Aufgebot handelt. Ja, es muß ein Aufgebot sein, welches auf der Herdenfährte geritten kommt. Bob Fullers Gedanken jagen sich. Und abermals erkennt er blitzschnell seine Chance. Er stößt einen heiseren Schrei aus und reitet der Reiterschar entgegen. Sie nehmen ihn unten an der Basis der meilenlangen Bodenwelle in ihre Mitte, schließen ihn ein. Sein Pferd tanzt noch etwas. Aber dann sitzt er still im Sattel auf seinem schnaubenden Tier. Er blickt zurück über die Schulter hinauf zum Kamm der Bodenwelle und sieht oben die vier Verfolger auftauchen. Sie reißen ihre Pferde zurück. Bob Fuller lacht und droht ihnen mit der Faust. »Hoiii, nun kommt doch! Kommt doch endlich, ihr Pfeifen!« Er brüllt hinauf. Aber sie kommen nicht. Sie verschwinden dort oben. Der graubärtige, hagere Anführer der Reiterschar aber fragt trocken: »Junge, was bedeutet das? Gib Antwort! Schnell!« Bob Fuller grinst ihn an. »Ja, habt ihr denn nicht die Brandzeichen auf den Pferden gesehen! Konnte denn keiner von euch den Warbow-Brand erkennen?«
Es ist einen Moment still. Dann sagt ein falkenäugiger, indianerhafter Bursche, der eine Feder am Hut trägt: »Ja, die Gäule haben das gleiche Brandzeichen. Es war ein Kriegsbogen mit aufgelegtem Pfeil.« »Na gut«, nickt der graubärtige Anführer und sieht Bob Fuller noch fester und härter an. »Und was bedeutet das?« »Wenn Sie hinter der Rinderherde her sind«, sagt Bob Fuller, »dann kann ich Ihnen verraten, daß George Jessup, der Boß der Warbow Ranch, jedes Rind kauft, das er billig bekommen kann. Es kam schon vor einigen Tagen eine Herde. Sie witterte den River und geriet in Stampede. Sie raste durch die Stadt und richtete Schaden an. Die Bürger von Warbow City schickten mich nach Süden, damit ich erkunde, ob noch mehr solche Herden kommen. Aber ich wurde bald schon von Warbow-Reitern verfolgt. Ich soll der Stadt weitere Herden nicht melden können. Die Herden sollen weiter so völlig überraschend kommen. Sie sollen völlig unaufhaltsam durch die Stadt und die Furt auf die Warbow-Ranch-Weide rasen. Sind sie erst auf der Warbow-Ranch-Weide, gibt George Jessup sie nicht mehr heraus. Wenn Sie das ändern wollen, Gentlemen, dann können Sie mich als Führer verwenden.« Als er verstummt, starren sie ihn an. Ihr Mißtrauen strömt gegen ihn. Sie alle sind lederne, eisenharte und zähe Burschen, Rinderzüchter und Cowboys. Und der alte Graubart, der ihr Anführer ist, sagt fast bedächtig: »Ja, wir sind hinter den Rindern her. Denn sie wurden uns drüben in Sonora gestohlen. Ob du als Führer für uns wertvoll sein kannst, wird sich herausstellen. Reiten wir!« Er reitet an. Die anderen Reiter nehmen Bob Fuller in die Mitte. Und dieser ist froh darüber. Er fühlt sich sicher und geborgen.
Und er sieht eine Chance, es George Jessup mal besorgen zu können. Diese harte Mannschaft aus dem Süden wird sich nicht aufhalten lassen und sich die Rinder zurückholen wollen. Das gefällt Bob Fuller. Deshalb reitet er wirklich gerne mit diesem Aufgebot nach Warbow City zurück. Die Herde können sie nicht einholen, zumal sie gewiß jetzt schon den Warbow Creek wittert und in Stampede ausbrechen wird. Dieses Aufgebot wird durch die Furt reiten müssen, um sich die gestohlenen Rinder von der Warbow-Ranch-Weide zu holen. Mit diesem hartbeinigen und starken Aufgebot reitet Bob Fuller gerne zurück. Und wenn ihn dieser alte Graubart etwas fragen sollte über Land und Leute, über die Verhältnisse oder sonst etwas, dann wird er präzise Antworten geben * An diesem Morgen reitet jener Ben Sloane einige Meilen nach Süden und bezieht schließlich auf einem Hügel im Schatten von Felsen einen Beobachtungspunkt, von dem aus er gute Sicht hat. Er macht es sich bequem, raucht eine Zigarre, ißt gegen Mittag etwas kalten Proviant und macht mehrmals ein kurzes Nickerchen. Dann aber sieht er in der Ferne die Staubwolke. Er beobachtet sie eine Weile und kommt zu dem Schluß, daß es eine große Treibherde von mehr als tausend Rindern sein muß. Noch ist die Herde nicht zu sehen. Flache Hügelketten verbergen sie seinen Blicken. Nur die gelbe Staubwolke schwebt wie gelber Nebel in der Luft.
Ben Sloane versucht abzuschätzen, wo etwa die Leittiere der Herde den Warbow River wittern und zu laufen beginnen werden, wo die Herde zu einem unaufhaltsamen Element werden wird. Er schwingt sich dann in den Sattel und reitet zur Stadt zurück. Es ist später Nachmittag, und er weiß, daß die Herde, selbst wenn ihre Stampede früher losbrechen würde, als er vermutet, erst nach Nachtanbruch die Stadt erreichen wird. Als er die Stadt erreicht, werden in den Häusern und Geschäften die ersten Lampen angezündet, und der herausfallende Lichtschein kämpft noch blaß gegen die Abenddämmerung an. Die Stadt wirkt friedlich, ganz und gar als hätte sie sich einen ruhigen Feierabend verdient. Als Ben Sloane den Platz erreicht, lenkt er sein Pferd zum Hotel hinüber, stellt es an den Wassertrog und verschwindet durch den Eingang, welcher direkt in den Speiseraum führt. Ein paar Gäste sitzen hier und warten auf das Abendessen. Ben Sloanes suchender Blick findet den Marshal in der Ecke an einem kleinen Tisch sitzend. Er geht hin und fragt: »Kann ich mich setzen, Marshal?« Orrin Adams nickt und betrachtet ihn dabei scharf und forschend. Als Ben Sloane sitzt, fragt er diesen: »Und was haben Sie für einen Grund, meine Gesellschaft zu suchen? Es sind noch andere Tische frei.« Ben Sloane lächelt spröde. Sein dunkles Indianergesicht wirkt trotz seines Lächelns unversöhnlich. Aber diese Unversöhnlichkeit gilt offenbar nicht Orrin Adams. Denn er sagt knapp und lakonisch: »Jetzt kommt die zweite Herde. Ich sah die Verwüstung der ersten. Ich ließ mir auch von den Leuten schildern, wie das war, als die Stampede durchdonnerte. Das wird sich wiederholen in spätestens einer Stunde. Ich dachte mir, daß ich dies Ihnen melden sollte. Wo ist dieser Jessup jetzt?«
Er kann erkennen, wie Orrin Adams seine Zähne aufeinander beißt, daß sie knirschen. Er hört dieses Knirschen sogar deutlich. Doch bevor der Marshal etwas erwidern kann, kommt die Bedienung und nimmt Ben Sloanes Bestellung auf. Dann sehen sich die beiden Männer wieder an. Orrin Adams fragt sarkastisch: »Und wie kann ein einziger Mann eine Rinderstampede aufhalten? Soll ich mich mit ausgebreiteten Armen vor die Stadt stellen und immer nur rufen, daß sie anhalten sollen? Oder soll ich versuchen, mit dem Gewehr auf die vorderen Tiere zu schießen? Mister, ich bin hier in Warbow City allein. Wahrscheinlich ist es gar nicht mehr meine Stadt. Drüben im Saloon wartet ein gewisser George Jessup darauf, daß ihm seine Reiter einen Viehdieb bringen. Und von diesem Moment an wird klar sein, wem diese Stadt gehört. Mister, Sie hätten Ihre Nachricht ebensogut auch einer Vogelscheuche überbringen können.« Als er bitter verstummt, bringt ihm die Bedienung sein Abendessen. Sie schweigen eine Weile. Orrin Adams beginnt widerwillig zu essen. Auch Ben Sloane bekommt sein Steak. Schließlich sagt Orrin Adams: »Sie erzählten mir auf dem Friedhof, daß sich einige Dutzend Rinder von Ihnen in der ersten Herde befunden hätten. Vielleicht erzählen Sie mir noch etwas mehr über sich. Also?« Ben Sloane nickt. »Wir besitzen eine Ranch in den Hügeln an der Sonora-Grenze – mein kleiner Bruder und ich. Als die Viehdiebe unsere Rinder wegtrieben, töteten sie meinen Bruder. Es war für mich eine gewisse Genugtuung, als zwei von ihnen hier auf eurem Friedhof beerdigt wurden. Doch ich will den Mann, der die Rinder kauft. Denn letztlich ist er dafür verantwortlich, daß gestohlen und getötet wird. Und es ist wie
ein Witz, daß dieser Mann hier in der Stadt einen Viehdieb hängen will.« »Sicher, aber dieser Viehdieb hat Rinder von ihm stehlen wollen anstatt für ihn. Das ist ein Unterschied. Ja, es ist wie ein Witz – aber ein tödlicher, nicht wahr? Sloane, was wollen Sie von mir?« Ben Sloane beugt sich weit über den Tisch. »Gehen wir zusammen hinüber in den Saloon«, sagt er. »Und schicken wir George Jessup dort zur Hölle. Damit ist alles gelöst. Niemand kauft dann mehr hier gestohlene Rinder. Die Herden werden also nicht mehr in Stampede durch die Stadt zur Furt rasen. Ich werde meine Rache haben. Und Sie, Adams, werden Ihre Stadt nicht an Jessup verlieren. Es wäre alles gelöst. Wir müssen nur hinüber in den Saloon und dort jenen Mann zur Hölle schicken, der für alles verantwortlich ist. Sie sind nicht allein, Adams. Ich bin Ihr Partner.« Nun ist alles gesagt. Die beiden Männer blicken sich an. Orrin Adams’ Gedanken jagen. Eine Handhabe gegen George Jessup hätte er. Denn Jessup kauft gestohlene Rinderherden, die in Stampede durch die Stadt rasen. Er kann Jessup festnehmen, um ihn für den zu erwartenden Schaden regreßpflichtig machen zu können. George Jessup wird sich natürlich nicht festnehmen lassen. Und so muß es zu einem Kampf kommen. George Jessup hat gewiß nicht alle Reiter bei sich im Saloon. Einige sind in der Stadt verteilt. Dennoch wird er zwei oder drei Mann in seiner Nähe haben. Es wird also ein Kampf gegen eine Übermacht sein. Jessups Männer sind erfahrene und gefährliche Schießer. Und dennoch ist dies jetzt eine Chance. Er sieht in Ben Sloanes Augen, erkennt das gefährliche Funkeln darin. Er weiß nun, daß dieser Mann hergekommen ist, um Rache zu nehmen.
In diesem Moment beginnt Orrin Adams an Mae Thorne zu denken, bei der George Jessup sich nun schon einige Stunden aufhält. Er beginnt sich vorzustellen, daß George Jessup ihn hier bald zerbrochen haben wird, spätestens dann, wenn seine Männer Bob Fuller angeschleppt bringen und die Hängepartie stattfindet. Dann wird er um alles mit George Jessup kämpfen müssen. Warum also nicht schon jetzt? Denn jetzt wird Jessup es noch nicht erwarten. Er nickt Ben Sloane zu. »Also gut«, sagt er. »Ich gehe vorn in den Saloon hinein. Sie nehmen die Hintertür. Hoffentlich überschätzen Sie sich nicht, Sloane. Denn das wird eine haarige Sache.« * Seit dem frühen Nachmittag schon hält sich George Jessup im Saloon auf, und die Ungeduld in ihm wird zur bösen Wut. Immer wieder denkt er: Wieso sind sie mit diesem Bob Fuller noch nicht zurück? Warum konnten sie ihn noch nicht herbringen, damit ich dieser Stadt zeigen kann, in wessen Schatten sie lebt? Verdammt, was ist mit Rio los? Wie ist es möglich, daß einem Mann wie Rio, der drei erfahrene Reiter bei sich hat, ein Bursche wie Bob Fuller entkommen kann? Indes er dies immer wieder denkt, legt er eine Patience nach der anderen. Doch keine will aufgehen. Dies beunruhigt ihn mehr und mehr. Irgendwie hält er es für symbolisch, fast für eine Warnung, obwohl er sonst nie abergläubisch ist. Wieder einmal blickt er zum Tisch in der Ecke neben dem Ende der Bar, der halb hinter der Treppe verborgen ist. Dort sitzt Mae Thorne, seitdem die Lampen angezündet wurden.
Auch die Mädchen kamen von oben herunter. Lorna beginnt im Nebenraum auf dem Klavier zu spielen. Ein paar andere Gäste kamen. Drei von Jessups Reitern befinden sich ebenfalls im Saloon. Zwei von ihnen spielen Billard, der dritte Mann lehnt an der Bar und würfelt mit Tim Hackett. George Jessup hält das untätige Warten nicht mehr aus. Er will sich erheben und zu Mae Thorne an deren Tisch gehen. Er möchte mit ihr reden, spürt ein heftiges Verlangen nach ihrer Gesellschaft. Er möchte ihr klarmachen, daß ihr nichts anderes übrigbleibt, als sich ihm zu ergeben. Wieder einmal streicht er die ausgelegten Karten zusammen. Aber diesmal will er sie nicht nochmals mischen. Er will mit dem Kartenspiel zu Mae Thorne hinübergehen und sich von ihr das Spiel mischen lassen. Aber da wird die Schwingtür aufgestoßen. Marshal Orrin Adams tritt ein. Seine Rechte hält das Gewehr um den Kolbenhals gefaßt, so daß er damit wie mit einem Revolver schießen kann. Seine Linke aber hält er griffbereit dicht neben dem Kolben seines großen Colts. Jessups Männer reagieren sofort. Sie lassen ihre Billardstöcke auf den Billardtisch fallen und sind bereit für alles. Auch der Mann an der Bar vergißt den Würfelbecher und wendet sich dem Marshal zu. Die Unterhaltung der anderen Gaste verstummt. Der Atem von Unheil und drohender Gewalttat weht plötzlich im Räume. Das Klavier ist still. Eines der Mädchen sagt mit schriller Stimme in die Stille: »Du lieber Gott im Himmel …« Dann schweigt sie erschrocken. Alle Blicke sind auf Orrin Adams gerichtet. George Jessup grinst plötzlich. Er lacht leise. »He, Adams, hast du Mut gefaßt?«
Es ist eine herausfordernde und brutale Frage. Der Klang seiner Stimme ist verächtlich. Doch dann verändert sich die Situation. Die Hintertür wird geöffnet. Von der Hofseite her tritt Ben Sloane ein. Und von diesem Moment an wird alles klar. George Jessup lacht nicht mehr. Sein schräger Blick richtet sich kurz auf Ben Sloane, dann auf seine Männer beim Billardtisch, auf seinen Mann an der Bar und wieder auf Orrin Adams. »Was soll’s denn sein, Adams?« So fragt er hart und erhebt sich hinter dem Tisch zu voller Größe. Denn nun ist klar, daß es jetzt und hier ausgekämpft wird. Orrin Adams spricht ruhig in die Stille: »Da kommt schon wieder eine Herde. Sie wird Schaden anrichten wie die erste – und das alles wird sich immer wieder und wieder aufs neue wiederholen, solange es jemanden gibt, der die Herden kauft dort drüben jenseits der Furt.« »Richtig«, sagt George Jessup. »So ist es.« »Dann verhafte ich dich hiermit, George Jessup, um jeden Schadensersatzanspruch sicherstellen zu können und das Kommen weiterer Herden zu verhindern!« Als er es ausgesprochen hat, beginnt George Jessup schallend zu lachen. Doch dieses Lachen verändert sich zu einem bösen Brüllen. Der erste Schuß fällt nicht hier drinnen im Saloon, sondern draußen. Die Kugel kommt durch die Schwingtür, reißt dort Splitter los und trifft den Marshal in den Rücken. Orrin Adams taumelt nach vorn. Indes er seinen Colt zieht, kracht schon sein Gewehr. Die Gewehrkugel stößt George Jessup zurück wie eine unsichtbare Faust. Die Hölle ist losgebrochen. Die Mädchen kreischen. Männer brüllen. Wer nicht mitmacht beim Schießen, wirft sich unter die Tische.
George Jessups Männer schießen. Aber auch Ben Sloane feuert. Er hält nun zwei Colts in den Fäusten, einen kurzläufigen, den er in der Tasche oder in einem Schulterholster unter der Jacke trug, und den langläufigen Walker-Colt, der sich im Hüftholster befunden hatte. Ben Sloane geht zuerst zu Boden. Er taumelt rücklings gegen die Hintertür, durch welche er eingetreten ist. Da sie sich öffnet, findet er keinen Halt – und so fällt er rücklings. Gewiß ist er ziemlich schwer getroffen. Auch George Jessup taumelt. Er fällt seitlich auf einen Tisch, der mit ihm umkippt. Seine beiden Männer am Billardtisch sind ebenfalls bös getroffen. Einer fällt auf die Knie, der andere bricht zusammen. Und auch Orrin Adams muß zu Boden. Dann ist es vorbei. – Pulverrauch breitet sich aus. Es krachten mehr als zwei Dutzend Schüsse binnen zwei oder drei Sekunden. Jene Mädchenstimme ruft wieder schrill: »Du lieber Gott im Himmel …« Von draußen kommen Warbow-Reiter herein, aber es ist schon vorbei. Sie sehen ihren Boß George Jessup mühsam auf die Beine kommen und springen hinzu, um ihn zu stützen. Denn ohne Hilfe kann er gewiß nicht auf den Beinen bleiben, dies können sie unschwer erkennen. Doch so schwer er auch angeschossen sein mag, so wenig wie er sich ohne Hilfe auf seinen Beinen halten könnte, ein grausamer Wille beherrscht ihn dennoch. Denn er sagt heiser und knirschend: »Seht nach, ob sie tot sind. – Tötet sie, wenn sie noch atmen sollten. Tötet sie!« Es kamen nun inzwischen fünf Warbow-Reiter von draußen herein. Sie waren in der Stadt verteilt gewesen. Zwei von ihnen halten ihren Boß aufrecht.
Die drei anderen wollen gehorchen. Zwei von ihnen wollen beim Marshal niederknien, der dritte Mann wendet sich in Richtung zur Hintertür, die sich nicht schließen konnte, weil Ben Sloanes Körper dies verhindert. »Der lebt noch«, ruft einer der beiden Kerle über die Schulter, und sie richten die Colts auf den am Boden liegenden Marshal. Aber da tönt Mae Thornes Stimme spröde und hart: »Nein!« Sie blicken zur Bar hin, denn von dort kommt die Stimme. Und sie sehen Mae Thorne hinter der Bar stehen, die abgesägte Schrotflinte im Anschlag. »Nein«, wiederholt sie. »Und raus hier! Raus mit euch! Nehmt euren Boß mit und raus hier!« Einen Schritt neben Mae Thorne steht Tim Hackett, ihr alter Barmann. Würde er die abgesägte Schrotflinte im Anschlag halten, so hätten sie es wahrscheinlich dennoch versucht. Aber bei Mae Thorne ist es was anderes. Sie zögern. Ihre Blicke suchen den Boß. Er hat seine Augen auf Mae Thorne gerichtet. Heiser fragt er: »Warum bist du auf seiner Seite, Mae?« »Ich bin allein auf meiner Seite«, erwidert sie spröde. »Und ich will in meinem Saloon keine Toten und auch kein Blutvergießen! Raus hier!« Jessup stöhnt und knirscht mit den Zähnen. Dann sagt er zu den beiden ihn stützenden Männern: »Bringt mich zur alten Juana. Die holt mir gewiß das Blei raus, bevor es mich umbringt. Aber ich komme wieder, Mae, verdammt, ich komme wieder.« Sie bringen ihn nun hinaus. Offenbar kann er seine Beine nicht mehr richtig bewegen. Die Kugel bekam er von vorn. Doch sie trat hinten nicht heraus. Er hat im Rücken kein Ausschußloch. Seine anderen Männer folgen ihm.
Mae aber kommt hinter der Bar hervor und kniet neben Orrin Adams nieder. Das Ausschußloch der Kugel, die von hinten kam, befindet sich hoch in der rechten Schulter. Dennoch schoß er seinen Colt leer. Nun ist er bewußtlos. Tim Hackett und die Mädchen umringen Mae und den bewußtlosen Marshal. »Hebt ihn auf und bringt ihn in mein Bett«, verlangt Mae. Und dann erst wird ihr klar, daß sie nun endgültig ihre Position bezogen hat. Die anderen Gäste kommen unter den Tischen hervorgekrochen, verdrücken sich aus dem Saloon; sie alle wollen mit diesen Dingen hier nichts zu tun haben. Es sind Reiter aus irgendwelchen verborgenen Camps, Durchreisende zum Goldland und einige Minenleute, die mit einem Wagen kamen. Als sie aus dem Saloon treten, einen Moment da und dort innehalten, weil ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen müssen, die ja trotz der Lichtbahnen überall vorhanden ist, da hören sie etwas in der Ferne, das wie ein Donnergrollen klingt. Auch einige der Warbow-Reiter vernehmen es. Und einer sagt: »Da kommt die nächste Herde in Stampede herangerast. Wir müssen es dem Boß melden. Er wird auf die andere Seite wollen, um die Herde zu übernehmen. Hogjaw Staretter liegt ja mit seiner entzündeten Wunde immer noch flach.« Die ganze Stadt hört nun das näher kommende Donnern einiger tausend Hufe. Die Leute von Warbow City laufen auf die Straße. Und sie wissen, es wird sich alles wiederholen. Diesmal aber wird es keinen Schadensersatz geben. Denn der Town Marshal wurde angeschossen. Ja, er soll sogar schwer verletzt sein; so ruft man sich zu. *
Wenige Minuten später wiederholt sich alles, was schon einmal geschah, als die erste Herde durch die Stadt raste. Doch weil diese Herde noch etwas größer ist, richtet sie vor der Stadt und in den Gärten und auf den Feldern und Äckern noch mehr Schaden an. Auch einige neu errichtete Hütten werden wieder umgerissen, Corrals und Weidekoppeln zerstört. In einer Weidekoppel befinden sich einige Dutzend Schafe, in einer anderen drei Dutzend Maultiere der Post- und Frachtlinie. Die Stampede rast zur Furt hin und durchquert diese. Die durstigen Rinder halten nicht an, denn die Wucht ihrer Stampede trägt sie über den Creek hinaus. Erst dann beginnt die Herde abzubremsen, anzuhalten – und dann erst trotten sie zur Furt zurück, um zu trinken. Es dauert etwa eine halbe Stunde, dann verlassen Warbow-Reiter mit ihrem Boß das Haus der alten Juana, die hier in Warbow City kranke Menschen und Tiere zu heilen versteht und besonders auf Schußwunden, Fleischwunden und Knochenbrüche spezialisiert ist und sogar Gegenmittel gegen Klapperschlangenbisse kennt. Die Warbow-Reiter legen ihren Boß in einen Wagen auf weiches Stroh und fahren zur Furt hinüber. Nachdem sie sich zwischen den im Wasser stehenden Rindern einen Weg durch die Furt gebahnt haben, stoßen sie auf die Treibmannschaft der Herde, die sich am jenseitigen Ufer ein Feuer angezündet hat. Der Anführer der Herdentreiber kommt zum Wagen geritten und fragt: »He, seid ihr Warbow-Reiter?« »Sind wir«, erwidert einer. »Wo ist euer Boß? – Holt ihn! Es stimmt doch, daß die Warbow Ranch Rinderherden kauft – oder?« Die Warbow-Reiter knurren bitter. Manche fluchen. Dann sagt einer: »Unser Boß liegt angeschossen in diesem Wagen.
Wir werden warten, bis er aufgewacht ist und mit euch verhandeln kann. – Ihr müßt euch ein wenig gedulden.« »Verdammt, das paßt uns gar nicht«, murrt der Anführer der Viehdiebe. »Was ist, wenn wir verfolgt werden? Man sagte uns zwar, daß wir jenseits der Warbow-Creek-Furt in Sicherheit wären – aber jetzt ist der große Mann hier offenbar gar nicht mehr so groß und so mächtig. Verdammt …« »Macht euch nur keine Sorgen«, unterbricht ihn ein Warbow-Reiter. »Ihr seid hier wirklich in Sicherheit. Denn ihr seid auf Warbow-Ranch-Weide. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, nur ein wenig zu warten. Wir haben schon nach Verstärkung geschickt. Auch der Vormann muß jetzt kommen. Habt Geduld.« Die Viehdiebe brummen mürrisch. Doch dann ziehen sie sich in ihr Camp zurück. Ihr Treiben ist beendet. Sie wollen jetzt Geld für die Herde und die Remuda-Pferde. Die Unruhe brennt ihnen unter den Sohlen. Doch sie müssen warten, bis George Jessup wieder bei Besinnung und handlungsfähig ist. Die alte Juana gab ihm ein Betäubungsmittel zu schlucken. Sonst hätte er den Schmerz nicht ausgehalten, als sie ihm die Kugel dicht neben der Wirbelsäule herausholte. * Es ist nur wenig später, da dieses Gespräch zwischen Warbow-Reitern und Viehdieben jenseits der Furt stattfindet, als Bob Fuller das Aufgebot in die Stadt führt. Als sie vor dem Saloon verhalten, kommt er sich außergewöhnlich wichtig und erfolgreich vor. Denn anstatt zu flüchten und gejagt zu werden, ist er zurückgekehrt.
In der Stadt herrscht noch große Aufregung. Alle Bürger befinden sich auf der Straße und auf dem Platz zwischen dem Hotel auf der einen und dem Saloon auf der anderen Seite. Den Leuten von Warbow City ist nun endgültig klar, daß ihre kleine Stadt allen weiteren Treibherden im Wege liegt, so lange George Jessup Rinder kauft. In diese erregte Menge reitet nun Bob Fuller. Er hält zu Pferde und ruft in die Runde: »Leute, es ist bald vorbei! Dies ist ein Aufgebot von der Sonora-Grenze! – Ich habe diese Reiter schon darüber aufgeklärt, wer George Jessup ist und …« »Junge, du redest zu viel und zu lange«, grollt der graubärtige Anführer des Aufgebots und treibt sein müdes Pferd wieder an. »Vorwärts, Männer! Vorwärts, dort ein Stück weiter soll der Creek mit der Furt sein. – Dort müssen wir hin!« Er reitet an. Und das Aufgebot folgt ihm, so müde, staubig, hungrig und durstig es auch ist. Aber sie sind schon zu lange geritten und wollen es jetzt endgültig hinter sich bringen. Der böse, unversöhnliche Grimm treibt sie an. Bob Fuller will sich ihnen anschließen, doch seine Schwester löst sich aus der Gruppe ihrer Kolleginnen und läuft an die Seite seines Pferdes. »Bob, das solltet ihr wissen«, ruft sie schnell. »Es gab einen Kampf. – Orrin Adams und George Jessup haben sich gegenseitig schwer angeschossen. Orrin Adams liegt hier bei uns im Saloon. – Jessup wurde vorhin mit einem Wagen auf die andere Seite des Creeks geschafft. – Er ist nicht bei Besinnung, kann keine Befehle geben. Ihr habt jede Chance.« Als Bob Fuller das hört, stößt er einen wilden Triumphschrei aus und treibt sein müdes Pferd vorwärts, bis er wieder neben dem graubärtigen Anführer reitet, von dem er bisher nicht mal seinen Namen weiß.
Er berichtet ihm mit wenigen Worten, was er soeben von seiner Schwester erfuhr, und endet mit der Warnung: »Aber jetzt müssen wir es richtig machen, Sir. Wir dürfen nicht durch die Furt reiten.« »Aber es soll doch nur diesen einen Weg auf die andere Seite geben, Junge!« »Ja, für Herden, für Wagen«, erwidert Bob Fuller. »Aber es gibt einige Stellen, wo abgesessene Reiter ihre Tiere hinunterführen können. Der Creek ist nirgendwo um diese Jahreszeit besonders tief, das Wasser geht einem Pferd höchstens bis zum Bauch. Man kann auch auf der anderen Seite wieder hinauf, wenn man sein Pferd führt und ein wenig zieht. Die Furt wird voller Rinder sein. Wir kommen nicht schnell genug hindurch und hinüber. Die Kerle empfangen uns mit heißem Blei. Hören Sie auf mich, Mister.« Seine letzten Worte ruft er fast flehend und fordernd zugleich. Denn in ihm ist ein wilder Triumph. Zweimal schon waren George Jessups Reiter hinter ihm her, um ihn zu hängen. Und gute Freunde von ihm wurden von Warbow-Reitern erschossen und gehängt. In Bob Fuller ist ein böser Haß gegen Jessup und alles, was zur Warbow Ranch gehört. Nun aber kann er nicht nur gegen die Macht der Warbow Ranch rebellieren, sondern sogar zurückschlagen, sich rächen, Vergeltung üben für seine toten Freunde und Sattelgefährten. Denn daß sie der Warbow Ranch Rinder stahlen, war nichts anderes als ein Rebellieren gegen eine unduldsame Macht, ein Aufbegehren der Schwächeren. Sie haben sich nun der Furt so weit genähert, daß sie diese schon erkennen können in der Nacht. Irgendwie ahnt der graubärtige Anführer, daß der größte Teil der Herde den Creek dort in der Furt stromauf und stromab füllt. Es ist ja nur logisch, dies anzunehmen, da die Herde nach
tagelangem Treiben durch wasserloses Land fast verdurstet war. Jeder Rindermann weiß, daß sie vorerst für Stunden nicht vom Wasser wegzubekommen ist. Überdies sieht der Graubart auch die beiden Feuer drüben am jenseitigen Ufer. Im flackernden Feuerschein bewegen sich Gestalten. Man erkennt bei jedem Feuer einen Wagen. Einer der Wagen ist groß und sieht wie ein Küchenwagen aus, wie Treibmannschaften ihn mitführen. Der andere Wagen ist leicht und ohne Plane. In diesem Wagen muß jener George Jessup liegen, der mächtige Boß der Warbow Ranch, von dem man im Süden weiß, daß er Rinder zum halben Marktpreis kauft, ganz gleich, woher sie kommen und wer sie bringt. Der graubärtige Anführer hält an. Hinter ihm und neben ihm zu beiden Seiten, da drängt sich das Aufgebot. Und die müden Pferde unter ihnen sind dankbar für die Verschnaufpause. Es wird nach einer Weile still. Nur die Pferde schnaufen. Und ein wenig knarrt das Sattelzeug und klimpern Sporen und Metallteile des Zaumzeugs. Aber sonst ist es still. Sie hören nur die Herde im Creek. Die Rinder muhen, brüllen, brummen, planschen im Wasser. Die Herde ist dabei, sich zu erholen, und sie genießt es hörbar. Der Anführer wendet sich an Bob Fuller. »Also gut«, sagt er heiser, »dann führe uns, Junge, damit wir nicht durch die Furt reiten müssen.« Bob Fuller erwidert nichts, aber er zieht sein Pferd nach rechts, um nach Osten zu am Creek entlangzureiten. Sie folgen ihm. Bob Fuller aber triumphiert. Er ist davon überzeugt, daß in dieser Nacht die Dinge im Lande völlig verändert werden und für alle Menschen auf hundert Meilen in der Runde eine neue Zeit beginnt. Die
Warbow-Ranch-Weide wird frei werden. Dutzende von kleinen Ranchern und Siedlern werden sich niederlassen. Warbow City wird aufblühen. Ja, alles wird anders werden. Und er, Bob Fuller, ist maßgeblich daran beteiligt. Er fühlt sich groß und klug, verwegen und stark. Ja, er wird das Aufgebot auf die andere Seite führen. Und sie werden überraschend über die Camps auf der anderen Seite der Furt herfallen. * Es ist dann zwischen Mitternacht und Morgen, als das Aufgebot der Sonora-Grenze über die beiden Camps herfällt wie die Racheengel des Jüngsten Gerichtes. Es gibt keine Gnade, denn das Aufgebot von der Grenze hatte daheim tote Weidereiter zu beklagen. Die Rancher dort an der Sonora-Grenze leiden schon lange Zeit unter Viehdieben. Es gibt noch andere Großrancher wie George Jessup, welche ganze Herden billiges Vieh kaufen, um ihre Weiden besetzen und gegen den Ansturm der Siedler und Farmer verteidigen zu können. Denn freies Weideland gehört stets dem, der Rinder darauf stehen hat. Das Aufgebot kennt keine Gnade. Es kommt überraschend, und obwohl es einige Gegenwehr gibt, nachdem die Viehdiebe in dem einen und die Warbow-Reiter in dem anderen Camp wach wurden, wird es eine zwar blutige und gnadenlose, doch sehr kurze Sache. Die Männer in beiden Camps fühlten sich zu sicher. Ihrer Meinung nach konnte man sie nur durch die Furt angreifen. Und die wurde von den Rindern blockiert. Was also konnte ihnen – ihrer Meinung nach – schon Überraschendes passieren?
Es ist wahrhaftig Bob Fullers Verdienst, daß er für das Aufgebot eine andere Übergangsmöglichkeit fand, eine Stelle, wo sie ihre Pferde das Steilufer hinunter in den Creek und drüben wieder hinaufzubringen vermochten in der finsteren Nacht. Es wird dann eine Weile still. Zuvor aber waren die Schüsse, das Brüllen der Männer und all die Geräusche des Kampfes in der Nacht gewiß bis zur Stadt zu hören. Jetzt also ist es still. Nur einige Verwundete stöhnen manchmal. Auch unter dem Aufgebot gibt es einige Verluste. Deshalb hält der Grimm der Männer noch an, strömen sie auch jetzt noch nach dem Sieg Unversöhnlichkeit und gnadenlose Härte aus. Es war eine lange Fährte für sie. Und sie müssen auch noch ihre Herde den langen, wasserlosen Weg zurücktreiben. Auch daran denken sie mit Bitterkeit. Jeder von ihnen hat Rinder mit seinem Brandzeichen dabei. Man wird sie daheim aussortieren müssen. Der Graubart – Bob Fuller weiß inzwischen, daß er Ahaon Wittaker heißt und der Richter von San Angelo ist – steht nun im Feuerschein vor den wenigen Gefangenen. Diese sind alle verwundet, denn sonst hätten sie sich nicht ergeben. Viehdiebe wissen zu gut, was ihnen droht, wenn sie lebend in die Hände ihrer Verfolger fallen. Ihnen und Pferdedieben droht der Strick. Und so ist es auch hier. »Also machen wir es kurz«, sagt der graubärtige Richter von San Angelo. »Hängt sie auf, damit sie nicht bald wieder unser Vieh stehlen und unsere Reiter töten können. Hängt sie nacheinander auf. Hat noch jemand von euch etwas zu sagen?« Die drei Gefangenen der Rustlermannschaft schweigen zuerst noch.
Dann spuckt einer aus und sagt: »Ihr könnt uns am Arsch lecken.« Und der zweite sagt: »So schön war das Leben hier auf dieser Erde auch nicht, daß ich zu weinen beginnen werde, wenn ihr mich in eine andere Welt schickt.« Und der dritte Viehdieb verkündet: »Ich werde aus dem Jenseits jeden Tag einen Haufen auf euch machen und euch in euren Träumen erscheinen. Merkt euch nur gut mein Gesicht, denn ich werde euch keine Ruhe mehr lassen. Na los, ihr Hurensöhne, dann bringen wir es endlich hinter uns!« Und auch er spuckt ihnen vor die Füße, obwohl er so schwer angeschossen ist, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Die Männer des Aufgebotes handeln schnell, unversöhnlich und gnadenlos. Bob Fuller steht dabei, und er fühlt sich irgendwie hin und her gerissen und zittert innerlich. Bei dem Angriff wurde er leicht verwundet, aber das Brennen der Wunde kümmert ihn wenig. Er ist innerlich zu erregt. Denn plötzlich wird er sich darüber klar, daß er diese Hängepartie gar nicht wollte. Auch ihm hätte das alles passieren können, und einigen seiner Sattelgefährten passierte es auch. Er kommt sich wie ein Verräter vor. In ihm ist ein Widerstreit von Gefühlen, und er ahnt, daß er noch Tage brauchen wird, bis er alles verarbeitet und in sich Klarheit gewonnen hat. Er hat dieses Aufgebot angeführt, sich ihm angeschlossen und mitgekämpft, um sich an den Warbow-Reitern und George Jessup zu rächen. Doch vorerst nimmt sich das Aufgebot nur die Rustler vor. Bob Fuller wendet sich ab. Er starrt zum anderen Feuer hinüber. Dort verharren einige Warbow-Reiter noch mit erhobenen Händen beim Wagen.
Und im Wagen – das weiß Bob Fuller inzwischen – liegt George Jessup bewußtlos. Er fragt sich, ob das Aufgebot auch ihn hängen wird, ihn und die Warbow-Reiter? Aber immer dann, wenn er sich in seinen Gedanken diese Frage stellt, da zweifelt er. Denn dieser Ahaon Wittaker ist der Richter von San Angelo, und mag er auch gnadenlos sein zu den Viehdieben – bei der Warbow-Mannschaft und deren Boß ist die Sachlage doch etwas anders. Bob Fuller hat ungute Ahnungen, nämlich die, daß George Jessup davonkommen könnte. Er blickt mehrmals über die Schulter zu den Bäumen hinüber, zu denen der Feuerschein noch reicht. Nun baumeln dort drei bewegungslose Gestalten. Die Männer des Aufgebotes aber kommen nun mit ihrem Anführer herüber zum Feuer und dem Wagen der Warbow-Mannschaft. Es sind noch vier Warbow-Reiter, die von zwei Männern des Aufgebotes bewacht werden, zu denen sich Bob Fuller gesellte. Diese vier Warbow-Reiter werden nun nervös. Sie sahen und hörten ja alles. Und sie wissen genau, daß es nicht gut aussieht für sie. Der Richter Ahaon Wittaker tritt langsam an den Wagen. Im Feuerschein betrachtet er den darin wie tot liegenden George Jessup. »Ist das euer Boß? – Ist das jener Mann, der gestohlene Rinderherden kaufte?« Er fragt es hart. Einer der Warbow-Reiter erwidert: »Ja, Sir, das ist George Jessup, unser Boß. Wahrscheinlich wird er sterben. Er wurde schlimm angeschossen vom Town Marshal. Für seine Geschäfte sind wir nicht verantwortlich. Wir reiten nur für ihn und führen seine Befehle aus. Aber wir stehlen keine Rinder.
Auch er hat keine Rinder gestohlen. Und daß er Rinderherden kauft, dies ist sicherlich nicht strafbar. Sir, Sie haben Viehdiebe verfolgt und hier eingeholt. Na gut, vielleicht hätte Mister Jessup diese Herde gar nicht gekauft. Und mit Sicherheit hätte er sie nicht gekauft, wenn er gewußt hätte, daß es sich um gestohlene Rinder handelte. Wer will das Gegenteil beweisen, Sir?« Der Warbow-Reiter – es ist der Zweite Vormann Noel Jenkins – schweigt trotzig. Bob Fuller seufzt leise. Denn er weiß jetzt, daß die Hängepartie beendet ist. Das Aufgebot hat genug vom Hängen. Ihr Zorn ist verraucht. Sie alle haben gewiß einen bitteren Geschmack im Munde. Sie haben drei Viehdiebe gehängt, und das belastet sie nun zunehmend. Nein, sie haben jetzt gewiß keinen Drang mehr nach Rache, Vergeltung, Bestrafung. Sie haben genug, sind müde und denken an den langen Rückweg mit der Herde. Auch Richter Ahaon Wittaker hat offenbar genug. Dennoch fragt er: »Und warum hat ihn der Town Marshal zusammengeschossen?« Noel Jenkins, der Zweite Vormann, erwidert ruhig: »Es ging um die Stadt und um eine schöne Frau. Es war eine mehr persönliche Sache zwischen zwei Männern, von denen einer zuviel ist.« Noel Jenkins’ Worte klingen sehr überzeugend. Richter Ahaon Wittaker entschließt sich plötzlich. »Haut ab mit ihm«, sagt er grimmig. »Verschwindet! Und solltet ihr glauben, uns mit herbeigeholten Verstärkungen angreifen zu können, nun, dann würden wir bald mit hundert Mann kommen. Euer Boß war nicht groß genug in seinen Hosen. Sagt ihm das, sollte er noch einmal zu sich kommen oder gar irgendwann gesund werden. Er hat sich überschätzt. Haut ab!«
Sie lassen es sich nicht noch einmal sagen. Schnell und wortlos bewegen sie sich, spannen den Wagen an und satteln ihre Pferde. Sie verschwinden mit ihrem Boß, der immer noch bewußtlos ist oder betäubt von jenem Trank, den die alte Juana ihm einflößte, bevor sie ihm die Kugel aus dem Körper schnitt. Bob Fuller steht bewegungslos abseits. Er möchte protestieren, möchte dem Aufgebot sagen, daß es in diesem Lande keinen Frieden geben wird, wenn George Jessup wieder gesund werden sollte. Doch er begreift, daß es sinnlos wäre. Dieses Aufgebot hat gekämpft, getötet, gehängt, die Herde zurückerobert und ist nun müde, ausgebrannt und voll Bitterkeit. Diese Männer haben genug. Sie werden heimkehren, sobald die Herde ausgeruht hat. Was hier in diesem Land auch geschieht, es kümmert sie nicht. Damit muß Warbow City und müssen die Menschen dieses Landes und dieser Stadt allein fertig werden. Bob Fuller spürt nun das schmerzvolle Brennen seiner Streifwunde. Er glaubt nicht, daß es noch einen Sinn hat, hier beim Aufgebot zu bleiben. Und so geht er zu seinem Pferd und sitzt auf. Richter Ahaon Wittaker kommt vorbei und sieht zu ihm hoch. »Sie brauchen mich wohl nicht mehr, Sir?« So fragt Bob Fuller und reitet zur Furt hinunter. »Nein, mein Junge, wir brauchen dich nicht mehr«, ruft ihm der Richter nach. Bob Fuller bahnt sich zu Pferde einen Weg durch die ruhende Herde. Viele Rinder liegen noch im Wasser des Creeks. Sie stehen aber auch in ihm an den Rändern und rupfen das Grün. Da sie die Steilufer nicht hochklettern können, wandern sie im
Creek an den grünen Ufern entlang. Sie finden grüne Büsche, Gräser, Blumen. Bob Fuller blickt nach Osten. Dort ist der Himmel heller geworden. Der neue Tag ist nicht mehr fern. Es dauert lange, bis er durch die ruhende Herde und die Furt gelangt ist und auf der anderen Seite auf die Stadt zureiten kann. Dort brennen nur noch wenige Lichter. Die Leute von Warbow City wollen gewiß noch etwas Schlaf nachholen. Aber wahrscheinlich wird ihnen das sehr schwerfallen oder gar unmöglich sein. * In dieser ersten grauen Morgenstunde erwacht Orrin Adams. Eine Lampe brennt schwach mit tiefgedrehtem Docht. Er braucht eine Weile, bis er sich an alles erinnert und schließlich begreift, daß er in Mae Thornes Bett liegt. Er sieht sie außerhalb des Lampenscheines im Schaukelstuhl halb liegend sitzen. Sie ist eingenickt. Und so hat er Zeit, alles zu überdenken. Die Wunde schmerzt erträglich. Er erinnert sich, daß er die Kugel von hinten erhielt. Einer von Jessups Männern war ihm gefolgt und verharrte dann außerhalb der Schwingtür des Saloons. Er konnte über die Schwingtürflügel hinweg in den Saloon sehen und auch jedes Wort hören, welches gesprochen wurde. Als dem Manne klar wurde, daß es zum Kampf kommen mußte, da schoß er. Aber er erinnert sich, daß er vorwärts stolpernd noch George Jessup traf und auch kniend weiterschoß mit seinem Colt. Er fühlt nach dem Ausschußloch hoch in der Schulter, dicht unter dem Schlüsselbein. Er fragt sich, ob er seinen Arm eines Tages wieder normal wird bewegen können.
Dann aber wird er sich über das Hauptproblem klar. Hat er George Jessup getötet? Oder verwundete er ihn nur schwer? Wenn letzteres der Fall sein sollte, dann wird alles wieder von vorn losgehen. Und dies könnte früher sein, als es ihm seine Befürchtungen schon ohnehin sagen. Denn da ist ja auch noch Hogjaw Staretter, dem er ins Bein schoß und von dem die ganze Zeit nichts zu sehen, zu spüren und zu hören war. Hogjaw Staretters Bein wird jetzt vielleicht schon so weit verheilt sein, daß er wieder in den Sattel klettern kann. Und dann … Er seufzt unwillkürlich, und die Bitterkeit will ihn resignieren lassen. Seine Wunde scheint plötzlich stärker zu schmerzen. Er glaubt, daß er Fieber bekommt. Auch spürt er Durst. Ja, er möchte was trinken. Doch als er sich bewegt, um zur Seite blicken zu können nach dem Nachttisch, wo vielleicht etwas steht, was er trinken könnte, da wird der Schmerz böse und Stechend. Er stöhnt nun vor Schmerz, und da erwacht Mae im Schaukelstuhl und kommt schnell auf seinen Bettrand. »O Orrin«, sagt sie und lächelt. »Ich bin ja so froh, daß du davonkommen wirst mit zwei Narben. Die alte Juana versprach es mir.« Sie hält ihm nun eine Schnabeltasse an die Lippen, aus der er ein paar Schlucke trinkt. Es ist Tee, lauwarmer, etwas bitter schmeckender Tee. »Der Tee soll dein Fieber drücken«, sagt Mae. »Juana gab mir die Mischung. Ich mußte einen Sud daraus machen.« »Was ist mit George Jessup?« So fragt er heiser. »Den haben sie im Wagen fortgebracht – und zuvor hat ihm Juana eine Kugel herausgeschnitten. So erzählte sie es mir. – Er ist nicht besser dran als du.« »Doch«, sagt er mühsam. »Das ist er. Denn er hat Hogjaw Staretter. Der macht weiter an seiner Stelle. Und er wird
kommen. Ich muß weg hier. Ich muß raus aus dieser Stadt. Staretter wird mich umbringen. Das hätte er ohnehin versucht, sobald er einigermaßen wieder auf seinem Bein stehen konnte. Jetzt aber wird er es auch für seinen Boß tun. Ich muß weg hier. Was ist noch geschehen? Was ist mit Sloane, Ben Sloane, der durch die Hintertür kam?« »Der ist tot«, murmelt Mae Thorne. »Dem konnte die alte Juana nicht mehr helfen.« Orrin Adams schließt seine Augen. In ihm ist nun ein tiefes Bedauern. Dieser Ben Sloane war sicherlich ein Mann nach seinem Herzen, ein Bursche seiner Sorte. Er kam her, um den Bruder zu rächen und seine Rinder zurückzuholen. Jetzt ist er tot. Und es gelang ihnen nicht einmal, diesen George Jessup zu töten. »Es kam wieder eine Treibherde in voller Stampede durch die Stadt«, berichtet Mae nun weiter und erzählt alles, auch, daß ein Aufgebot kam und jenseits des Creeks bei der Furt gekämpft wurde. Noch bevor sie richtig fertig ist und Orrin etwas erwidern kann, klopft es an der Tür. Sue Fullers Stimme tönt draußen: »Mae, mein Bruder ist hier. Bob kommt von drüben. Er bringt Neuigkeiten. Wenn Orrin Adams bei Besinnung ist, dann sollte er meinen Bruder anhören.« »Er soll hereinkommen, die Tür ist offen«, ruft Mae. Und da kommt auch schon Bob Fuller ins Zimmer, ziemlich erregt und voller Ungeduld. Er sprudelt alles, was drüben jenseits der Furt geschah, nur so mit schnellen Worten und Sätzen heraus. Und zum Schluß sagt er: »Jetzt kommt Hogjaw Staretter gewiß bald. Ja, jetzt kommt seine Zeit. Das wollte ich euch besonders eindringlich sagen. Ich werde mich auf die Socken machen und verdammt schnell weit reiten.« Er will sich abwenden und zur Tür. Doch seine Schwester Sue versperrt ihm den Weg.
Und Mae Thorne sagt scharf: »Nein, Bob, du haust nicht ab, du nicht!« »Warum nicht?« Er fragt es staunend und setzt hinzu: »Ja, habt ihr es nicht kapiert? Hogjaw Staretter wird jetzt seinen ganzen Ehrgeiz daransetzen, sich bei Jessup unentbehrlich zu machen. Er wird ihm zeigen, wie sehr er sich auf ihn verlassen kann. Und wenn er erst erfährt, daß der Marshal hier angeschossen im Bett liegt, dann …« »Eben, das ist es«, unterbricht ihn Mae scharf. »Was ist es?« »Wir müssen Orrin wegbringen. Wir können ihn jedoch nicht weit transportieren. Also brauchen wir ein Versteck in der Nähe von Warbow City. Und du, Bob, kennst alle verborgenen Winkel und Löcher. Wenn jemand in diesem Land ein Versteck weiß, dann bist du es. Du hast dich in all den Jahren ständig herumgetrieben und deiner Schwester eine Menge Kummer gemacht. Jetzt aber macht sich dein Herumtreiben endlich mal bezahlt. Hilf uns, Orrin in Sicherheit zu bringen.« Mae Thornes Worte klingen zuletzt sehr einfach und schlicht. Und dennoch dringen sie tief in Bob Fullers Kern. Er begreift plötzlich, daß er immer noch gegen die Warbow Ranch und George Jessup kämpfen kann. Und eigentlich steht er ja auch noch in Orrin Adams’ Schuld. Irgendwie verspürt er ein Gefühl des Stolzes, als er spricht: »Ja, ich kenne wirklich viele verborgene Winkel und gute Verstecke. Ja, ich habe mich immer nur herumgetrieben, habe gejagt und gefischt mit meinen Freunden. Einige sind schon tot, andere sind geflüchtet. Denn wir alle konnten uns der Warbow Ranch nicht unterwerfen. Wir waren zu sehr Rebellen gegen George Jessups Macht. Es war all die Jahre unser Land. Gut, bringen wir Orrin Adams fort. Soll ich es allein tun?« »Nein, ich komme mit«, sagt Mae Thorne. »Tim Hackett und die Mädchen können den Saloon auch ohne mich weiter in
Gang halten. Ich komme mit. Wie wollen wir ihn transportieren?« Bob Fuller tritt an Orrin Adams’ Bett. »Kannst du eine Stunde auf dem Pferde sitzen, wenn ich dich stütze oder drauf festbinde?« »Ich muß es wohl«, knurrt Orrin Adams. »Aber du mußt nicht wegen mir deinen Skalp riskieren, Junge. Ich sagte mal zu dir, daß du nicht viel taugst. Du hast keinen Grund, mir das Gegenteil zu beweisen.« »Doch«, grinst Bob Fuller. »Da ist ein Grund, ein verdammt guter Grund.« * Irgendwie schaffen sie es, mit Orrin Adams noch im Morgengrauen aus der Stadt zu gelangen. Vom Creek her steigen Nebel auf und breiten sich aus bis zur Stadt herüber. Diese Morgennebel geben ihnen Schutz. Sie ließen sich von Tim Hackett helfen, und auch Sue Fuller und die anderen Mädchen kamen ihnen zu Hilfe. Tim Hackett holte Pferde vom Mietstall. Fast jedes Mädchen hier im Saloon hat ein Pferd im Mietstall stehen, um dann und wann ausreiten zu können. Sue Fuller hatte damit angefangen, und die anderen Mädchen machten es ihr nach. So war es für Tim Hackett leicht, Pferde zu bekommen. Orrin Adams sitzt auf seinem eigenen Tier, auch Mae reitet ihr eigenes Pferd. Für Bob Fuller brauchten sie ein frisches Tier. Überdies haben sie noch zwei Packtiere, die mit allen notwendigen Dingen beladen sind, bei sich. Sie sind also mit fünf Pferden unterwegs. Bob Fuller führt sie durch die Morgennebel am Creek entlang, der auch hier an den oberen Rändern seines tief eingeschnittenen Bettes von Bäumen und Büschen eingesäumt ist.
Orrin Adams haben sie auf dem Pferd festgebunden. Er ist halb bewußtlos, erlebt alles irgendwie nur wie im Traum. Seine Wunden bluten wieder unter den Verbänden. Aber sie können ihm vorerst nicht helfen. Sie müssen ihn fortbringen. Nur das kann ihn retten. Mae Thorne denkt in dieser Stunde, da sie unterwegs sind, mit Verachtung und Bitterkeit an die Stadt und deren Leute. Der Mann, den sie sich als Marshal zum Schutze angeworben hatten, benötigt nun selbst Schutz und Hilfe. Doch sie sind zu feige, für ihn einzutreten. Er muß sich verkriechen wie ein angeschossener Wolf. Mae Thorne ist der Meinung, daß solch eine feige Stadt es nicht verdient, frei und unabhängig zu sein. Immer wieder drängt sie ihr Pferd dicht an Orrins Tier heran und versucht zu erkennen, ob er noch halbwegs bei Verstände ist, ob er es schaffen kann – oder ob sie auf der Stelle anhalten und ihn vom Pferd nehmen müssen. Bob Fuller reitet mit beiden Packtieren voraus. Er führt sie genau dorthin, wo er in der Nacht schon das Aufgebot hingeführt hat, zu jener Stelle nämlich, wo sie alle absaßen und die Pferde das Steilufer hinunter ins Creekbett führten. Auch jetzt müssen sie es tun. Die Pferde des Aufgebotes haben hier am schrägen Ufer eine Furche getrampelt. Es ist daher jetzt leichter, dort hinunter ins Creekbett zu gelangen, als am Anfang. Sie sitzen ab. Bob Fuller führt ein Pferd nach dem anderen hinunter. Mae nimmt die Tiere unten in Empfang. Zuletzt kommt Bob Fuller mit Orrin. Dem hat die kurze Wartezeit offenbar gutgetan, denn er ist wieder bei voller Besinnung. Es ist Tag geworden. Die Nebel am Creekbett beginnen sich zu lichten. Man kann das gelbe Licht der aufgegangenen Sonne durchschimmern sehen. Das Wasser im Creek reicht den Pferden bis knapp unter die Bäuche. Drüben auf der anderen Seite führt eine getrampelte
Furche wieder hinauf. Dort führte Bob Fuller vor einigen Stunden das Aufgebot aus dem Creek und zurück zur Furt. Diesmal strebt er nicht dort hinauf. Er wendet sich an Mae und sagt: »Wir reiten jetzt im Creek weiter abwärts. In der Fährte des Aufgebotes verliert sich unsere Fährte. Nun aber müssen wir im Creek bleiben. Also los!« Er nimmt die beiden Packtiere wieder an die Leinen und reitet creekabwärts. Mae folgt ihm mit Orrin. Das Creekbett windet sich durch das Land. Es ist zumeist steinig, zumindest jedoch kieselig. Immer wieder liegen größere Felsen – fast so groß wie Elefanten – darinnen, dazwischen große Steine und Blöcke. Dann staut sich das Wasser daran, gurgelt und rauscht. Es gibt aber auch Kiesbänke, welche nur bei Hochwasser überschwemmt werden. Manchmal sind die oberen Ränder des Creekbettes an die zehn Yards hoch über ihnen, dann wieder niedriger. Überall wachsen Bäume, Büsche, Gräser. Auf den großen Felsen und Steinen ist Moos zu erkennen. Dort, wo das Wasser gegen Hindernisse prallt, liegt Treibholz. In einer Biegung hält Bob Fuller plötzlich an. »Das ist es! Erkennen Sie es, Mae?« Sie blickt auf Büsche, die am Rande des Wassers stehen, dicht vor dem felsigen Steilufer, aus dessen mit Erdreich gefüllten Spalten ebenfalls Büsche und Gräser wachsen. »Was soll ich erkennen?« So fragt sie. Bob Fuller grinst zufrieden. »Dann werden es die Reiter der Warbow-Mannschaft hoffentlich auch nicht erkennen«, sagt er laut genug durch die Geräusche des sprudelnden und plätschernden Creeks. Er reitet auf das nördliche Ufer zu und zwischen die Büsche, aber er prallt mit den Tieren nicht gegen das Steilufer, denn es gibt hier eine Höhlenöffnung.
Mae Thorne wendet sich im Sattel und blickt creekaufwärts. Sie begreift, daß hier in dieser Creekbiegung früher oder bei Hochwasser die Strömung gegen das Steilufer prallte und offensichtlich eine Höhlung auswaschen konnte, weil hier an dieser Stelle das Steilufer nicht ganz so felsig, sondern mit Kies oder gar Erdreich durchsetzt war. Sie folgt Bob Fuller mit Orrin Adams. Letzterer wurde inzwischen bewußtlos und würde vom Pferd fallen, hätten sie ihn nicht darauf festgebunden. Die Höhle erweist sich als eine gekrümmte Röhre, welche um einen Felsen herum ausgespült wurde und hinter diesem Felsenpfeiler wieder zum Creek führt. Die Strömung des Creeks hat sich offensichtlich eine Art zweiten Kanal geschaffen, der jetzt bei normalem Wasserstand trocken ist. Ja, es ist ein gutes Versteck. Bob Fuller kommt nun zu ihr. Sie arbeiten schweigend, lösen Orrin Adams’ Lassoschlingen und heben ihn vom Pferd. Sie nehmen die Packlasten von den beiden Packtieren und bereiten ein Lager, auf welches sie Orrin betten. Dann sagt Bob Fuller: »Ich muß jetzt die Pferde wieder fortbringen, und ich muß es verdammt schnell tun. – In der kommenden Nacht werde ich zu Fuß zurückkommen. Sie müssen vorerst mit Orrin allein bleiben, Mae.« Diese nickt im Halbdunkel der gekrümmten Höhlenröhre. »Ich danke dir, Bob«, sagt sie. »Ach was …«, grinst dieser. »Es macht mir Spaß, diesem Orrin Adams zu zeigen, wie sehr er sich in mir täuschte. Er sagte mal, daß ich nichts tauge und niemals etwas taugen würde. Der soll sich noch wundern.« Nach diesen Worten beginnt er die Pferde aus der Höhle zu treiben. Mae Thorne ist allein mit Orrin.
Sie beginnt sich um seine Wunden zu kümmern. * Um diese Zeit etwa bringt man George Jessup in sein Hauptquartier. Hogjaw Staretter wurde schon vorher von einem Reiter alarmiert und informiert. Obwohl sein Bein längst noch nicht wieder voll belastbar ist, weil der Wadendurchschuß trotz der »Ersten Hilfe« durch die alte Juana sich entzündete, ist er nun mit Hilfe seines Stockes auf den Beinen. Denn eines hat Hogjaw Staretter sofort begriffen: Dies ist jetzt »seine Stunde«, wobei »Stunde« nicht wortwörtlich gemeint ist. Er steht beim Wagen, als sie den bewußtlosen George Jessup herausheben und ins Ranchhaus tragen. Der Ranchkoch, der während des Krieges einmal Sanitätskorporal war, beginnt sich sofort um Jessup zu kümmern. Hogjaw Staretter aber läßt sich vom Zweiten Vormann Noel Jenkins noch einmal Bericht erstatten. Als Noel Jenkins geendet hat, knurrt er böse: »Ihr Pfeifen habt euch also vom Aufgebot überraschen lassen, nur weil ihr zu dumm wart, damit zu rechnen, daß sie an einer anderen Stelle über oder durch den Creek auf eure Seite kommen könnten. Ich glaube fast, daß ihr zu dämlich seid, um auch nur wie ein Huhn denken zu können. Und das alles mußte so kommen, weil dieser Hurensohn von einem Town Marshal unseren Boß von den Beinen schießen konnte. Warum konntet ihr das nicht verhindern? Zu was hatte euch der Boß mitgenommen? Zum Zusehen?« Noel Jenkins grollt zuerst nur als Antwort. Aber dann sagt er böse: »Auch dich hat Orrin Adams kleingemacht – oder? Auch du konntest ihn nicht schlagen. Er hat dich ins Bein geschossen, und schon warst du nicht mehr
im Spiel, sondern mußtest dich hinlegen. Zeig doch erst mal, ob du etwas besser machen kannst.« »Oho, und wie ich das euch allen zeigen werde«, grollt Hogjaw Staretter. Er erteilt dann einige Befehle, aber er weiß, daß es fast schon Nachmittag sein wird, bis alle Reiter der Warbow Ranch aus den entferntesten Weidegebieten zusammengeholt werden können. Hogjaw Staretter weiß noch nicht, was er mit den Reitern alles in Gang bringen wird, nur eines weiß er genau: Er wird Warbow City übernehmen. Das bedeutet für ihn vor allen Dingen Orrin Adams’ Tod. * Es ist dann schon später Abend mit einem letzten und verglühenden Rot am westlichen Himmel, als Hogjaw Staretter mit etwa drei Dutzend Reitern die Furt erreicht. Von der Sonora-Herde ist kein Rind mehr diesseits des Creeks. Schon am Mittag wurden die Rinder wieder nach Süden getrieben, denn inzwischen ruhten sie mehr als zwölf Stunden bei reichlich Wasser und gutem Futter. Der graubärtige Richter Ahaon Wittaker und dessen Aufgebot verloren keine einzige Stunde mehr. Sie wollten nicht nur schnell wieder heim, sondern auch einem möglichen Angriff der Warbow-Reiter ausweichen. Im letzten Licht des Tages sehen sich Hogjaw Staretter und die Warbow-Reiter um. Es gibt einige Gräber drüben bei zwei großen Felsen. Und an jenem großen Baum, dessen Äste weit ausladen, da hängen noch die drei Viehdiebe. Sie sind gewissermaßen ein Zeichen, ein Symbol, daß die Warbow-Mannschaft nicht mehr die herrschende Macht auf ihrer Weide war. In der vergangenen Nacht hatte sie mehrere Niederlagen erlitten.
Und wenn sich das im Süden herumspricht, werden keine billigen Herden mehr kommen. Keine Rustlerbande wird es wagen, noch einmal gestohlene Rinder herzubringen. Die Macht der Warbow-Mannschaft wurde gebrochen. Doch das will Hogjaw Staretter nicht wahrhaben. »Nehmt die Gehängten herunter und werft sie in den Creek«, grollt er. »Ich will diese Narren hier nicht auf unserer Weide haben – nicht mal als Tote. In den Creek mit ihnen. Na los!« Die Reiter gehorchen. Es ist schon Nacht, als sie durch die Furt reiten und die Lichter der kleinen Stadt vor sich haben. Sie reiten in ruhigem Schritt, aber sie nähern sich wie ein unaufhaltsames Unheil. Dicht vor den ersten Hütten und Häusern ruft Hogjaw Staretter laut genug, so daß es jeder Reiter hören kann: »Wir zeigen dieser Stadt, daß sie uns gehört. Wir erwidern jede Unfreundlichkeit mit Härte. Ihr habt freie Hand. Aber ich will vor allen Dingen den Hurensohn von Town Marshal und Bob Fuller. Habt ihr verstanden, ich will sie haben! Wahrscheinlich haben sie Orrin Adams irgendwo versteckt. Sucht ihn und findet ihn. Und wenn wir die ganze Stadt einreißen müssen. Ich will ihn und Bob Fuller haben. Im Saloon bei den Mädchen und im Hotel fangen wir an!« Sie treiben nun ihre Pferde an und galoppieren in die kleine Stadt hinein. Wahrscheinlich hätten sie hier auf der Straße einige Zerstörung angerichtet, wenn die Herdenstampede das nicht schon vor ihnen getan haben würde. Haltebalken, Wassertröge, Pumpen, Gehsteige und Geländer sind ja schon beschädigt, abgerissen, zerstört. Sie schießen jedoch mit ihren Colts auf die Fenster und Schaufenster von Häusern und Geschäften. In der Stadt verlöschen fast alle Lichter. Die Bürger von Warbow City haben sich verkrochen und verbarrikadiert.
Die Warbow-Reiter verteilen sich auf dem Platz. Einige sitzen ab und dringen in das Hotel ein, andere verteilen sich auf der Hauptstraße und in den wenigen Quergassen. Sie verschaffen sich Einlaß in den Store, in die Sattlerei, in Hester Williams Modeladen und in die Waffenhandlung des Büchsenmachers. Nur in das Post- und Fracht-Office dringen sie nicht ein, denn sie wissen, daß die mächtige Post- und Frachtlinie, für die das hier nur eine unbedeutende Nebenlinie ist nach und durch Warbow City, ihrem Boß eine Menge Ärger machen könnte durch US Marshals und sogar durch die Armee. Hogjaw Staretter betritt dann am Stock gehend und leicht hinkend den Saloon. Die Mädchen sind im Räume verteilt. Tim Hackett steht hinter der Bar, und er wirkt heute älter als sonst, faltiger, zerfurchter. Hogjaw Staretter tritt zu ihm an die Bar. Seine Männer sind im Räume verteilt. Einige liefen die Treppe hinauf nach oben, drangen auch hier unten in Mae Thornes Privaträume ein. Man hört sie überall suchen. Sie gehen mit allen Dingen ziemlich rauh um. Hogjaw Staretter nickt Tim Hackett zu. »Vom besten Whiskey«, verlangt er, »vom allerbesten, alter Mann.« Tim Hackett gehorcht. Als Hogjaw Staretter trinkt, betrachtet er sich im breiten Spiegel hinter der Bar. Und er kommt sich beachtlicher vor als bisher. Sogar seine Niederlage gegen Orrin Adams, die bittere Erinnerung daran, die ihm Tag und Nacht keine Ruhe ließ, kann sein neues Selbstbewußtsein nicht verdrängen. Indes er das Glas mit langsamen Schlucken leert, lauscht er auf die Rufe und Geräusche seiner Männer. Dabei wird ihm klar, daß man Orrin Adams längst schon gefunden hätte, würde er sich hier in diesem Gebäude befinden.
Ein Mann kommt schnaubend vom raschen Lauf von draußen herein und meldet: »Im Hotel ist er nicht. – Die alte Juana hat ihm hier die Wunden behandelt. Mehr war bisher nicht herauszubekommen. Auch von diesem Bob Fuller fehlt jede Spur. Er war heute am Vormittag in der Stadt.« »Sucht ihn überall«, grollt Hogjaw Staretter. Er wendet sich halb und blickt auf Sue Fuller, die an der Wand hinter dem Billardtisch lehnt und seinen Blick fest erwidert. »Wo ist dein kleiner Bruder, Sue?« So fragt er rauh. »Geh zur Hölle, Staretter«, erwidert sie spröde. Er grinst und wendet sich an Tim Hackett. »Sie glaubt, daß ich ihr nichts tun werde, weil sie ein hübsches Mädchen ist«, brummt er. »Und damit hat sie recht. Aber dir kann ich was tun, alter Mann, dir ja, nicht wahr?« »So ist es«, nickt Tim Hackett. »Mir kannst du die Ohren abreißen oder sonst was tun. Und das wird dich dann mächtig stolz machen, nicht wahr?« Aber Hogjaw Staretter schüttelt seinen massigen Kopf. »Es geht hier nicht um Stolz«, brummt er. »Es geht darum, daß ich Orrin Adams und Bob Fuller bekomme. Wo sind sie?« »Ich weiß es nicht«, erwidert Tim Hackett. »Und Mae Thorne – wo ist die?« »Das weiß ich auch nicht«, spricht Tim Hackett ruhig und sieht ihm dabei fest in die Augen. Da nimmt Staretter die Whiskeyflasche und wirft sie in den Spiegel. Es kracht berstend und splitternd. Die Mädchen kreischen und beginnen zu schimpfen. Tim Hackett will seine abgesägte Schrotflinte unter der Bar hervorholen, doch Hogjaw Staretter rammt ihm über die Bar hinweg die mächtige Faust ins Gesicht. Tim Hackett fliegt, ohne einen Ton von sich zu geben, rücklings gegen die Wand und fällt dann bewußtlos auf die Spiegelscherben.
»Stellt diese Stadt auf den Kopf«, verlangt Hogjaw Staretter. »Versucht herauszubringen, ob jemand weiß, wohin sie verschwunden sind und wo sie sich versteckt halten können. Bringt heraus, ob Pferde fehlen, vielleicht auch ein Wagen. Los, zeigen wir es dieser Stadt!« * Es geht Orrin Adams nicht gut, obwohl Mae Thorne alles tut, was ihr nur möglich ist. Sogar ein Feuer macht sie an in dem gekrümmten Höhlentunnel, um Tee kochen zu können, der das Fieber drücken soll. Sie sucht auch pulvertrockenes Treibholz, und sie verläßt auch die Tunnelhöhle, um feststellen zu können, daß draußen nicht der geringste Rauch oder Geruch zu sehen oder zu wittern ist. Irgendwann zwischen Nachtanbruch und Mitternacht erwacht Orrin. Im Laternen- und Feuerschein betrachten sie sich. Sie kann erkennen, wie sein Hirn sich bemüht und wie dann in ihm die Erinnerung und das Begreifen kommen. Sie gab ihm indes mehrmals einen Schluck Tee zu trinken. Deshalb klingt seine Stimme nur wenig heiser, als er fragt: »Wo sind wir, Mae?« Sie berichtet ihm alles. Er scheint dann für eine Weile einzuschlafen. Wahrscheinlich muß er erst wieder Kraft sammeln. Dann aber sieht er sie wieder an. »Und du bist bei mir«, murmelt er. »Hat jetzt endlich dein Herz dein Handeln bestimmt, nicht nur das Mitleid mit einem Mann, der dem Untergang zusteuert, weil er keine Chance hat gegen George Jessup und die Macht der Warbow Ranch? Was ist es also, Mae, das dich mit mir kommen ließ in dieses Loch?« Sie hat sich in den vergangenen Stunden selbst schon diese Frage gestellt. Doch sie konnte sich keine Antwort geben.
Doch jetzt, da er sie fragt, sie im Feuer- und Laternenschein in dieser Creekhöhle beisammen sind, er sie ansieht und sie spüren kann, wie sehr er auf eine für ihn gute Antwort hofft, da wird sie sich endlich klar. Sie muß etwas schlucken. Und sie muß sich erst räuspern, weil ihre Stimme ihr nicht so recht gehorchen will. Doch dann sagt sie tonlos: »Ja, Orrin, ich glaube, ich liebe dich jetzt auch mit dem Herzen. Es ist nicht mehr der Wunsch in mir, dir noch etwas zu geben, bevor du getötet wirst. Es geht mir nicht mehr nur darum, deine Einsamkeit in dieser Stadt zu lindern, weil du ja letztlich das alles wegen mir auf dich nimmst. Nein, jetzt ist es anders. Jetzt wünsche ich mir, daß wir davonkommen, um noch einmal neu anfangen zu können. Verstehst du, ich möchte mit dir irgendwohin gehen und neu anfangen können.« »Das werden wir«, murmelt er und versinkt in tiefen Schlaf. Sie hockt nachdenklich bei ihm, denkt über ihre Worte nach. Und dabei wird ihr noch intensiver klar, daß sie wieder lieben kann. Ja, es hat sich in ihrem Kern etwas verändert. Es brach etwas auf. Und es ist trotz aller Not ein schönes Gefühl. Neben ihr ist eine leise Bewegung. Sie zuckt zusammen und greift nach dem Colt, welcher griffbereit zwischen ihr und Orrins Lager liegt. Aber dann sieht sie, daß Bob Fuller gekommen ist. Seine Hosen sind naß bis zum Gürtel. »Sie sind in Warbow eingefallen wie eine Horde Apachen«, sagt er. »Diese feige Stadt wird vielleicht bald mehr schlucken müssen, als sie ertragen kann. Selbst ein Karnickel beginnt irgendwann zu kämpfen. – Wie geht es ihm?« Sie blicken beide auf Orrin. Und sie fragen sich dabei stumm, ob er genug Zeit bekommen wird, um gesund zu werden. Wie lange kann es dauern, bis er wieder auf den Beinen steht?
Und wie lange braucht er dann noch, um wieder kämpfen zu können? Oder sollten sie mit ihm die Flucht ergreifen in ein anderes Land? Als sie sich unabhängig voneinander zur fast gleichen Zeit in Gedanken diese Frage stellen, schütteln sie beide die Köpfe. Dann sehen sie sich an. Mae sagt: »Ich glaube, wir dachten jetzt dasselbe und gaben uns dieselbe Antwort, nicht wahr?« * In Hogjaw Staretter sind Gefühle verschiedenster Art, und sie wechseln ständig, jagen sich sozusagen, je mehr Stunden vergehen und der lange Tag sich dem Ende neigt und auch die Nacht vergeht, ohne einen Erfolg zu bringen bei der Suche nach Orrin Adams und Mae Thorne. Es steht nun fest, daß Mae Thorne ihn in Sicherheit gebracht hat. Und Hogjaw Staretters Meinung nach kann sich das Versteck nur in Warbow City befinden. Wo sonst? Orrin Adams ist schwer angeschossen worden. Um ihn aus der Stadt zu schaffen, hätte man einen Wagen haben müssen. Und auch im Sattel eines Pferdes wäre das nur möglich gewesen, wenn in der Stadt Pferde gefehlt hätten. Und das weiß Hogjaw Staretter genau: Es fehlt kein Wagen. Und es fehlt kein Pferd. Und so humpelt er am Stock durch die nächtliche Stadt. Seine Männer sind immer noch überall verteilt und durchsuchen Haus für Haus, alle Schuppen, Scheunen, Ställe und alle Plätze, wo sonst noch ein schwer verwundeter Mann versteckt gehalten werden könnte.
Die Stadt schläft heute nicht, obwohl sie völlig still verharrt und es nirgendwo Bewegung gibt außer jener, die von den Warbow-Reitern da und dort verursacht wird. Die Stadt verharrt wie ein hilfloses Tier, welches ohne Gegenwehr Schläge hinnehmen mußte. Fast alle Bürger von Warbow City wurden schon gedemütigt, mußten eine Menge hinnehmen und schlucken, wie Hilflose stets alles hinnehmen und schlucken müssen. Überall drangen die Warbow-Reiter in die Häuser ein und benahmen sich wie Angehörige einer feindlichen Besatzungstruppe. Fast allen Bürgern wurde in diesen Stunden klar, was sie ihrem Town Marshal bis zum heutigen Tage verdankten, nämlich Freiheit. Wahrscheinlich wissen einige von ihnen sogar, wie ihr schwer angeschossener Marshal fortgebracht wurde. Es gibt sicherlich auch Bürger, welche beobachteten, wie Bob Fuller die Pferde zurück in den Mietstall brachte und dann zu Fuß die Stadt verließ wie ein Fuchs, welcher Beute machte und unauffällig davonschleicht. Aber niemand verrät etwas. Die bisher so feigen und nun so schlimm gedemütigten Bürger von Warbow City wollen wenigstens diesen Triumph für sich haben, wenn auch ganz tief in ihrem Kern verborgen. Aber dieses Wissen und die Tatsache, daß niemand etwas verrät, dies ist der erste Impuls zum Widerstand. Hogjaw Staretter ahnt davon nichts. Auf seinem Weg zum Saloon, wo er sich Bob Fullers Schwester und auch den alten Barmann Tim Hackett noch einmal vornehmen will, kommt er am Store vorbei. Hier im Store, seinen Magazinen und den Wohnräumen der Besitzer ist schon alles zweimal durchsucht worden. Aber Staretter hat plötzlich einen Gedanken.
Er tritt von außen gegen die Tür und ruft: »Aufmachen! Hier ist Staretter! Aufmachen dort drinnen!« Es wird ziemlich schnell geöffnet, ein Zeichen, daß der Storehalter nicht oben in der Wohnung war, sondern sich unten im Store aufhielt. Er versperrt jedoch mit einer Lampe in der Hand den Eingang und sagt: »Staretter, was wollen Sie jetzt noch? Ihre Männer haben hier schon zweimal alles durchsucht und mich überdies auch noch bestohlen. Ihr seid doch nichts anderes als eine Banditenbande. Hören Sie, ich bin hier in Warbow City der Erste Stadtrat. Ich verbiete Ihnen jetzt …« »Halt doch dein verdammtes Maul«, grollt Hogjaw Staretter und stößt ihm die flache Hand ins Gesicht. Der Storehalter taumelt rückwärts und stolpert über einige Säcke, die mit Bohnen gefüllt sind. Die Lampe entfällt ihm, zersplittert. Kreosotöl fließt aus und beginnt zu brennen. Der Storehalter springt auf wie von einer Nadel gestochen, läuft an Hogjaw Staretter vorbei auf die Straße und brüllt dort kreischend: »Feuer! Feuer! Feuer im Store!« Von oben aber kommt seine Frau die Treppe herunter. Sie kreischt ebenfalls, rennt in Panik an Hogjaw Staretter vorbei auf die Straße und verstärkt dort mit ihrer Stimme das Brüllen ihres Mannes. »Feuer im Store! Die Warbow-Reiter haben Feuer angelegt! Leute, kommt helfen! Feuer in der Stadt!« Hogjaw Staretter aber lacht kehlig. Er ist der Meinung, daß es ein leichtes sein wird, diesen Brand zu löschen. Er verläßt grinsend den Store. Eigentlich wollte er hier noch einmal nachforschen, ob von jemandem aus dem Saloon Proviant und Ausrüstung gekauft wurde, auch Verbandszeug und andere Wundpflegemittel. Doch jetzt läßt er es bleiben. Er bleibt draußen in der Nähe des Stores stehen und will beobachten, ob tatsächlich die Nachbarn und Bürger der Stadt vom Feuerruf alarmiert kommen, um löschen zu helfen.
Er verspürt eine verächtliche Neugier, ob es in dieser Stadt noch den Rest einer menschlichen Gemeinschaft gibt, ein Zusammenhalten vor allen Dingen bei Feuer. Und tatsächlich, jetzt kommen sie. Der Sattler, der Schmied, der Posthalter, der Büchsenmacher, auch Tim Hackett aus dem Saloon, sogar die Mädchen und andere Bürger, sie kommen plötzlich alle aus den Häusern, auch Frauen. Sogar der alte Pete eilt herbei. Und so kommen tatsächlich an die zwei Dutzend Menschen zusammen, die dem Storehalter-Ehepaar helfen wollen. Der Brand ist schnell gelöscht. Hogjaw Staretter und einige seiner Reiter, die sich zu ihm gesellten, gehen lachend davon. Die Leute aber, welche das Feuer im Store löschten, verharren noch eine Weile. Sie sagen nicht viel, aber es ist plötzlich etwas zwischen ihnen. Sie können es gewiß nicht beschreiben, in Worte kleiden. Aber irgendwie spüren sie, daß es gut wäre, wenn sie zusammenhielten wie eine aufeinander angewiesene Gemeinschaft. Es ist dann der Schreiner und Zimmermann, der auch das Sarggeschäft und die Leichenbestattung betreibt, der heiser sagt: »Ich glaube, wenn wir zusammenhielten, könnten wir mehr als nur einen kleinen Brand löschen, sehr viel mehr.« Einige erschrecken bei seinen Worten. Aber der Schmied sagt mit tiefer Stimme: »Ja, so ist es!« Und einige andere nicken. Sue Fuller aber sagt spröde: »Da müßten wir aber erst unsere Feigheit besiegen, nicht wahr?« Wieder erschrecken einige von ihnen. Aber dennoch beginnen sich nun in allen Köpfen die Gedanken damit zu beschäftigen, wie es sein würde, wenn sie alle als Gemeinschaft zusammenhalten und dann auch entsprechend handeln würden.
Die Frau des Storehalters spricht nach einer Weile, als sie alle schon auseinandergehen und ihren Häusern zustreben wollen: »Alles hat nämlich seine Grenzen. Wir haben keinen Marshal mehr, der uns für Geld beschützt. Und man kann nicht immerzu Kröten schlucken. Wieviel können wir eigentlich ertragen?« »Nicht mehr viel«, sagt da Sue Fuller spröde. »Ich bin ja nur ein Flittchen aus dem Saloon, aber ich sage euch, daß selbst ich nicht ganz und gar meinen Stolz verloren habe. Versprechen wir uns jetzt, daß wir uns wieder gegenseitig zu Hilfe kommen werden, so wie vorhin beim Feuerruf, wenn jemand von uns um Hilfe bittet. Versprechen wir uns das! Wer ist nicht dafür? Hand noch, wer nicht kommen wird, wenn jemand um Hilfe ruft!« Sie sieht sich um. Aber niemand hebt die Hand. »Hoffentlich kneift dann auch keiner«, sagt sie spröde. Sie geht dann in Richtung zum Saloon davon. Tim Hackett und die anderen Mädchen folgen ihr. Auch die anderen Leute streben ihren Häusern zu. Aber irgendwie nimmt jeder etwas mit, nämlich ein Gefühl oder eine Erkenntnis, daß sie zusammenhalten müssen. Als Sue Fuller und die anderen Mädchen mit Tim Hackett in den Saloon zurückkommen, sitzen dort schon Hogjaw Staretter und der Zweite Vormann Noel Jenkins an einem Tisch. Sie haben eine Flasche vom besten Whiskey hinter der Bar weggeholt und sich die Gläser gefüllt. Auch aus der Zigarrenkiste bedienen sie sich. Die Mädchen wollen nach oben gehen. Aber sie verharren am Fuße der Treppe, als Tim Hackett zu den beiden Vormännern sagt: »Gentlemen, wir schließen den Saloon. Es ist spät geworden. Wir machen zu. Und ich möchte jetzt auch kassieren. Ich habe alles aufgeschrieben, was die Warbow-Mannschaft seit ihrem Kommen …«
»Wir haben Kredit«, grinst Hogjaw Staretter. »Wir haben bei Mae Thorne Kredit. Und die beste Art, uns loszuwerden, wäre, wenn wir erfahren würden, wo wir Orrin Adams suchen müßten. Na? Wohin kann ihn Mae Thorne gebracht haben? Gib mir endlich Auskunft, alter Mann!« Aber Tim Hackett, schüttelt nur den Kopf und kehrt hinter die Bar zurück. Sue Fuller folgt ihm hinter den Schanktisch. Und als sie dort verharrt, da muß sie erst einmal hart schlucken. Doch dann greift sie unter die Bar und bringt Tim Hackens abgesägte Schrotflinte zum Vorschein. »Und jetzt raus hier«, verlangt sie. »Wir machen zu. Raus hier!« Aber Hogjaw Staretter und Noel Jenkins beginnen schallend zu lachen. Es macht ihnen Spaß, die zornige Sue Fuller zu reizen. Und mit Sue Fuller geschieht nun etwas. Sie dreht ganz plötzlich durch. Mit angelegter Waffe tritt sie hinter der Bar hervor und nähert sich dem Tisch mit den lachenden Männern einige Schritte. »Raus hier!« So faucht sie nochmals. Aber sie lachen noch lauter. Und so drückt sie ab, einmal, zweimal. Doch es kracht nicht. Die Schrotflinte war entladen worden. Jemand hat die beiden Papp-Schrotpatronen aus den Läufen genommen. Da will Sue Fuller die Schrotflinte als Keule benutzen. Sie stürzt sich auf die Männer. Doch Hogjaw Staretter erhebt sich nicht mal. Er greift blitzschnell zu und entreißt ihr das Ding mit einem einzigen Zugriff. Sie fällt gegen ihn, und so nimmt er sie in seine Arme. Zuerst wehrt sie sich und spuckt ihm sogar ins grinsende Gesicht.
Aber dann läßt sie alles mit sich geschehen wie eine gefühllose Puppe. Er trägt sie lachend hinauf. Unten bleibt Noel Jenkins grinsend am Tisch. Er droht Tim Hackett mit dem Zeigefinger. »Versuche nur nichts, alter Wolf. Du hast nämlich gewissermaßen keine Zähne mehr. Ihr aber, ihr süßen Honeys, ihr werdet jetzt ein wenig Trallala machen für mich! Lorna, setz dich ans Klavier. Wir werden Spaß haben bis zum frühen Morgen. Vielleicht werden wir den ganzen Saloon auseinandernehmen – es sei denn, wir würden erfahren, wo wir Orrin Adams suchen müssen. Dann würdet ihr uns verdammt schnell los sein. Also seid lustig. Alter Mann, schenke jedem Honey ein volles Glas Whiskey ein! Ich will sehen, wieviel sie vertragen können. Vorwärts!« Es ist nun alles klar für Tim Hackett. Die beiden Vormänner wollen die Mädchen betrunken machen, sich zugleich auch wie hemmungslose Banditen benehmen. Sie haben sicherlich auch ihren Reitern Anweisungen gegeben, diese kleine Stadt fortwährend zu demütigen. Das Ziel dieser Handlungsweise kann nur sein, daß die Stadt alles tut, um sie wieder loswerden zu können. Und so wird sich vielleicht doch noch jemand finden, der ihnen verrät, wo sie suchen müssen. Tim Hackett erlebt indes die ganze Schmach eines Mannes, der einmal stolz war, sich überall behaupten konnte und niemals kneifen mußte. Doch jetzt ist er alt geworden. Als Kämpfer wäre er chancenlos. Nur mit der Schrotflinte hätte er noch etwas wagen können. Einige Warbow-Reiter tauchen auf, und Hogjaw Staretter kommt nach einiger Zeit von oben herab. Er grinst breit, so als
hätte er oben bei Sue eine Menge Spaß gehabt. Nur Sue Fuller läßt sich nicht mehr blicken. Tim Hackett möchte hinter der Bar hervor, um hinauf zu Sue zu gehen und nach dieser zu sehen. Doch die Warbow-Reiter lassen ihn nicht. Sie verlangen Drinks für sich und die ohnehin schon sehr betrunkenen Mädchen. Und immer wieder fragen sie diese nach Orrin Adams und ihrer Chefin. Es ist sicherlich nur noch eine Frage der Zeit, bis sie etwas erfahren werden. Denn die betrunkenen Mädchen verlieren immer mehr ihren Widerstandswillen. Es ist schon fast grauer Morgen draußen auf dem Platz, als Chet Keene, einer der Warbow-Revolverreiter, an die Bar tritt. Er wendet sich an Hogjaw Staretter, der inzwischen wieder nach unten gekommen ist. »Ich hab’ es von Sally herausbekommen«, grinst er. »Sie wußte nicht mehr, ob sie ein Onkel oder eine Tante war. – Jetzt ist sie ohnmächtig. – Aber bevor sie endgültig aus den Latschen kippte, plapperte sie noch scheinbar sinnloses Zeug. Es ergibt jedoch einen Sinn.« »Was für einen, Chet – he, was für einen?« Hogjaw Staretter grollt es übermüdet. Und auch er ist zumindest angetrunken. Chet Keene grinst stolz. »Sie haben Orrin Adams auf einem Pferd aus der Stadt geschafft. Bei ihm waren Mae Thorne und Bob Fuller. Sie nahmen auch zwei beladene Packpferde mit. Fuller soll einige gute Verstecke kennen. Und am Vormittag noch brachte er alle Pferde zurück und schlich zu Fuß wieder weg. Wenn er zu Fuß wegging, kann das Versteck nicht weit sein. Auch war der schwer angeschossene Orrin Adams gewiß nicht mehr weit transportierbar. Hogjaw, wir müssen außerhalb der Stadt suchen.« Der Vormann nickt mit seinem massigen Kopf.
»Und sie alle hier in der Stadt haben es gewußt und nichts verraten«, murmelt er. »Auch Sue Fuller hat es gewußt – und ich war doch mit ihr oben und habe ihr …« Er verstummt böse. Dann stößt er sich von der Bar ab. Er sieht Tim Hackett an. »Alter Mann«, knurrt er, »wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Und du bist fertig hier in Warbow City. Hau ab! Los, raus hier! Raus aus der Stadt! Auf der Stelle, so wie du jetzt hinter der Bar stehst. Raus hier! Oder ich lass’ dich mit einem Lasso rausschleifen.« Tim Hackett erwidert nichts. Er verharrt nur zwei Atemzüge lang, dann bewegt er sich, kommt um das Schanktischende herum und will zur Schwingtür. Hogjaw Staretter sagt böse hinter ihm her: »Und geh am Mietstall vorbei, und nimm dort den Stallmann mit. Auch dieser krumme Zwerg hat mir alles verschwiegen. Nimm ihn mit! Ihr geht zu Fuß nach Süden! Das ist ein Befehl.« Tim Hackett verhält einen Moment seinen Schritt, bevor er die Schwingtür aufstößt. Über die Schulter hinweg sagt er: »Yes, Sir.« Dann tritt er hinaus. Hinter ihm klatscht Hogjaw Staretter in die Hände. »Also, Jungens, suchen wir ihn also außerhalb der Stadt. In die Sättel! Es wird Zeit, daß ihr alle mal auslüftet. Vorwärts!« * Im Laufe dieses Tages, da die Warbow-Mannschaft außerhalb der Stadt zu suchen beginnt, nachdem sie endlich erfuhr, daß man Orrin Adams aus der Stadt geschafft hat und sogar die benötigten Pferde zurückbrachte, geht es Orrin Adams in der Höhlenröhre schon deutlich besser. Das Fieber ist weg. Auch die beiden Wundlöcher bluten nicht mehr. Die beginnenden Entzündungen gingen zurück.
Es ist sicher, daß er sich nun auf dem Weg der Gesundung befindet. Auch sein Hunger nach Nahrung läßt dies erkennen. Er hat viel Blut verloren, und so verlangt sein zäher Körper nach Säften. Mae, die bisher wenig Schlaf bekommen hat, liegt nun neben ihm und schläft tief und fest. Bob Fuller hockt am creekaufwärts gelegenen Höhleneingang und hält Wache. Denn er glaubt, wenn die suchenden Warbow-Reiter in die Nähe des Verstecks kommen, dann wird dies von Warbow City her, also von dort creekwärts geschehen. Auch Bob Fuller nickt manchmal ein. Als die Sonne dann schon im Westen steht, kommen ein paar Strahlen durch die Büsche und fallen auch in die Öffnung der Höhlenauswaschung. Er war eingeschlafen, doch jetzt lassen ihn die Sonnenstrahlen blinzeln. Der Creek macht ständig Geräusche. Das ist ein Nachteil. Bob Fuller möchte das Versteck verlassen, nach den oberen Rändern des Ufers klettern und über das weite Land spähen. Aber er läßt es bleiben. Er will kein Wagnis eingehen. Auch hinterläßt jeder Schritt außerhalb des Creeks gewiß irgendwelche Spuren. Bob Fuller weiß ganz genau, daß sich unter den Reitern der Warbow-Mannschaft einige sehr gute Fährtenleser befinden. Er möchte wieder seine Augen schließen und weiterschlafen, da hört er plötzlich ein anderes Geräusch. Es hat nichts mit dem natürlichen Plätschern des Creeks zu tun – und es ist dennoch ein Plätschern. Er begreift, daß ein Reiter im Creek stromabwärts geritten kommt, und sofort ist er hellwach und angespannt. Er duckt sich tiefer hinter Büsche und Sträucher, kauert dicht neben dem Loch am Steilufer. Ein leichter Wind läßt die Zweige rascheln. Sie streifen oft das steile Ufer hinter ihm.
Das Geräusch des Reiters wird lauter. Dazwischen klingt auch das Schnauben des Pferdes. Bob Fuller nimmt seinen Colt in die Hand. Er hält es für fast sicher, daß der Reiter nicht allein ist. Aber es könnte sein, daß er allein im Creek reitet und zu beiden Seiten oben an den Uferrändern von anderen Reitern begleitet wird. Der Reiter im Creek kann sehen, was die anderen von oben nicht erkennen können, und ihnen jede Entdeckung zurufen. Bob Fuller kann ihn nun sehen. Er kennt ihn sogar beim Vornamen. Einmal hat er im Saloon mit diesem Burschen Billard gespielt und ihm drei Dollar abgewonnen. Der Mann heißt mit Vornamen Pierce, und er ist ein zäh wirkender, erfahrener Bursche. Er hält ein Gewehr am Kolbenhals gefaßt und mit der Kolbenplatte auf seinem rechten Oberschenkel gestemmt. Sein Falkenblick schweift ständig von einem Ufer zum anderen, immer hin und her, versucht die Büsche zu durchdringen, zu erkennen, was dahinter sein könnte. Bob Fuller macht sich plötzlich Sorgen. Aber er glaubt nicht, daß dieser Bursche etwas von dieser Höhle hier weiß. Dazu ist der Mann nicht lange genug im Land. Bob Fuller entdeckte diese Höhle als Junge im strengsten Winter, als die Büsche und Sträucher keine Blätter hatten und er hier auf dem gefrorenen Creek, welcher kaum noch Wasser führte, mit seinen Spielgefährten Fallen stellte. Jener Pierce reitet auch wirklich vorbei. Bob Fuller atmet schon erleichtert auf. Doch dann vernimmt er plötzlich einen Ruf, und dann taucht der Reiter wieder in seinem Blickfeld auf, kommt also zurückgeritten gegen die Strömung im kaum mehr als knietiefen Wasser, welches überall an großen Steinen plätschert.
Der Reiter hat das Gewehr nun im Hüftanschlag, und er hält an und beugt sich im Sattel vor, starrt genau dorthin, wo Bob Fuller neben dem Höhleneingang tief am Boden hockt. Bob Fuller wartet nun nicht mehr, bis der Mann abdrückt. Er glaubt sich entdeckt und reagiert nun reflexhaft, angetrieben von einem jähen Gefühl der Panik. Er schießt den Mann im selben Moment vom Pferd, da er in dessen Mündungsfeuer sieht. Ihre Schüsse krachen wie ein einziger Schuß, weil sie beide zu gleicher Zeit abdrücken. Nur trifft Bob Fuller besser. Der Mann fällt wie von einer unsichtbaren Faust gestoßen vom Pferd. Auch das Gewehr klatscht ins Wasser. Bob Fuller verspürt einen heftigen Schlag am linken Oberarm, und er weiß, daß er getroffen wurde und dem Schlag bald der Schmerz der Verwundung folgen wird. Doch er bekommt sich dennoch unter Kontrolle. Sein am Anfang so instinktives und reflexhaftes Reagieren wird nun eingeholt von seinem Verstand und der Überlegung. Denn er begreift, daß er zwei Möglichkeiten hat. Er kann sich in die Höhle zurückziehen. Dann verrät er das Versteck, und dann werden sie gewiß bald belagert wie ein paar Füchse in der Höhle oder Biber im Bau. Er kann aber auch die Flucht ergreifen und die Warbow-Reiter hinter sich herlocken, so wie es fast alle Tiere tun, wenn ihre Nester und ihre Jungen gefährdet sind. Zu letzterem Entschluß gehört für einen Burschen wie Bob Fuller wahrhaftig eine selbstlose Überwindung, ja fast eine Größe. Aber er entschließt sich binnen einer Sekunde. Und so springt er aus den Büschen in den Creek und watet zu dem Pferd. Denn weil dieses Pferd ein gut abgerichtetes Tier ist, verharrt es im Wasser des Creeks mit hängenden Zügeln, indes sein
Reiter von der Strömung abwärts getragen wird, immer wieder gegen große Steine rammt, aber dennoch stets frei kommt und mit der Strömung treibt. Bob Fuller hat seinen Colt noch in der Hand, als er sich in den Sattel schwingt. Sein wild suchender Blick richtet sich auf die oberen Ufer-Ränder. Und er schießt sofort, als sich oben ein Reiter zeigt. Offenbar trifft er mit seinem Schnappschuß, denn der Reiter dort oben stößt einen wilden Schrei aus und wird unsichtbar, so als fiele er vom Pferd. Bob Fuller aber treibt das Tier unter sich an. Irgendwo muß er raus aus dem Creek. Und er muß alle Verfolger hinter sich herlocken. Aber kann er entkommen? Dieser tief eingeschnittene Creek, aus dem man so schwer nach oben kann, fast so schwer wie aus einer Schlucht, der kann zu einer Todesfalle werden für ihn. Dennoch will er sich nicht in der Höhle verkriechen. * Orrin Adams, der ja zur Zeit nicht schläft, hört die Schüsse vor der Höhle. Er kann sich leicht denken, was geschehen ist. Und so nimmt er den Colt in die Hand und wundert sich, daß ihm die Waffe zu schwer erscheint, so schwer, daß er sie mit beiden Händen halten muß. Dann weckt er Mae mit den Worten: »Wach auf, mein Mädchen, wach auf! Draußen im Creek vor der Höhle ist etwas passiert.« Mae erwacht schnell. Sie begriff sogar schon den Sinn seiner letzten Worte. Und so greift sie das Gewehr und macht sich auf den Weg zum creekaufwärts gelegenen Eingang der gekrümmten Röhre.
Sie nimmt sich dann aber Zeit, vorsichtig ins Freie zu spähen, und hat den Finger am Abzug des durchgeladenen Spencer-Karabiners. Aber sie sieht nichts, hört nichts im Creek, auch nicht an den oberen Rändern des Ufers. Doch Bob Fuller ist weg. Nur sein Hut liegt neben dem Höhleneingang. Auch Mae begreift schnell, was geschehen sein muß: Bob Fuller hat den Feind durch seine Flucht hinter sich hergelockt. Und das verschafft ihnen – wenn die Höhle entdeckt wurde – eine Zeitspanne zur Flucht und zur Suche nach einem neuen Versteck. Sie eilt zurück, um Orrin alles zu sagen. Aber wird er überhaupt in der Lage sein, dieses Loch zu verlassen? Ist er nicht noch zu schwach? Werden seine Wundlöcher nicht wieder zu bluten beginnen? All diese Gedanken gehen ihr durch den Sinn. * Indes ist Bob Fuller schon fast eine halbe Meile den Creek hinunter. Und bisher tauchte kein weiterer Gegner oben an den Creekufer-Rändern auf. Sollten die beiden Reiter allein gewesen sein hier am Creek und in diesem Teil des Landes? Er wagt es kaum zu hoffen. Aber er ist sicher, daß die Schüsse ziemlich weit zu hören waren. Er gelangt nun endlich zu einer Stelle, wo er absitzen und mit dem Tier den Aufstieg wagen kann. Noch einmal verharrt er und lauscht. Aber außer dem Creek, dem Schnaufen des Pferdes und seinem eigenen Keuchen ist nichts zu vernehmen. Und so wagt er es. Er muß raus aus dem Creek. Er sitzt ab. Sein linker Arm schmerzt und blutet. Aber er kann ihn bewegen. Also kann es sich nur um eine Streif- oder
Fleischwunde handeln. Es wurden keine Sehnen und Knochen verletzt. Er beginnt das immer noch sehr steile Ufer hinaufzuklettern und das Pferd hinter sich herzuziehen. Einige Male droht das Pferd abzurutschen. Dann kämpft er verzweifelt und gewinnt wieder Halt. Er zerrt dann an den Zügeln, redet dem Tier gut zu und hilft ihm, wie er nur kann. Bob Fuller kann sich nicht viel um seine Umgebung kümmern, auch nicht oft nach oben sehen. Er hat seinen Blick fast ständig auf das Tier gerichtet, denn dieses droht fortwährend abzurutschen und in das Creekbett zu stürzen. Als sie den Rand der Uferböschung fast schon erreicht haben, kommt eine Lassoschlinge von oben niedergeflogen. Sie legt sich um Bob Fullers Oberkörper – und dann wird er hoch- und oben über den Erdboden gezogen. Das andere Ende des Lassos ist nämlich am Sattelhorn eines Reiters befestigt, und dieser Reiter kennt keine Gnade. * Es ist schon Abend, als sie Bob Fuller nach Warbow City bringen. Auf dem Platz steht bei den Wassertrögen ein großer Baum mit starken Ästen. Hogjaw Staretter, der den Saloon zu seinem Hauptquartier machte, wohin ihm seine ausgesandten Suchtrupps Meldungen zu machen haben, sobald sie etwas finden sollten, tritt aus dem Saloon. Er hat noch zwei Mann bei sich, die sich wie Leibwächter hinter ihm halten. Bob Fuller ist nicht mehr besonders gut zu erkennen, denn er ist zerschunden, schmutzig, zerlumpt. Er mußte am Lasso wie ein Hund an der Leine nach Warbow City hinter dem Reiter herlaufen. Und hinter ihm ritt noch ein zweiter Reiter, der ihn
immer wieder mit einem Lassoende schlug und antrieb, wenn er sich fallen lassen wollte, weil er nicht mehr laufen konnte. Nun bietet er einen erbarmungswürdigen Anblick. Und die ganze Stadt sieht zu, obwohl sich nicht viele Bürger zeigen. Aber sie alle beobachten dennoch durch Fenster und offene Türen, aus Häusern und Geschäften. Der Reiter, an dessen Lasso Bob Fuller festgemacht ist, ruft zu Hogjaw Staretter hinüber: »Wir fanden ihn in den Büschen am Creek, Und es muß dort in der Uferwand eine Höhle sein. Aber es schien uns wichtiger, zuerst ihn zu fangen. Orrin Adams kann uns sicherlich nicht weglaufen – oder?« Hogjaw Staretter grinst. Er deutet auf den Baum hinter Bob Fuller und den beiden Reitern. »Hängt ihn gleich auf, dort am Baum«, sagt er rauh. »Das wollten wir ja schon mal tun. He, Bob Fuller, ist dort eine Höhle im Creekufer? Sind Adams und Mae dort versteckt? Gib Antwort!« Er verläßt die Saloon-Veranda und geht auf den Platz hinaus. Aber weiter kommt er nicht mit seinen Worten. Und auch nicht mit seinen Schritten. Denn an diesem Tage ist noch anderes geschehen. * Tim Hackett, der alte Barmann, und Pete Short, der alte Stallmann, wandern aus der Stadt nach Süden. Ja, es ist ein langsames, mühsames Wandern, kein Marschieren. Vor ihnen liegt das trockene, wilde Gebiet der Badlands, und sie wissen beide, daß sie zu Fuß darin keine Chance haben und umkommen werden. Hogjaw Staretters Befehl, daß sie in Richtung nach Süden die Stadt verlassen müssen, ist ein Todesurteil für sie. Hinter ihnen reitet einer von den Revolverschwingern der Warbow-Mannschaft, ein noch junger Bursche, für den alte Leute unnütze Dinge sind auf dieser Erde.
Hogjaw Staretter hat ihm genaue Befehle erteilt, und so kennt der junge Bursche keine Gnade. Als sie weiter als eine Meile marschiert sind, wird ihnen klar, daß sie bald nicht mehr können, besonders der krummbeinige Pete nicht, dem im Verlaufe seines Reiterlebens als Zureiter die wilden Pferde immer wieder die Knochen brachen. Aber auch Tim Hackett wandert immer mühsamer. Der Boden ist staubig, mit braunem Büffelgras, aber auch mit Stachelgewächsen, also Disteln, Kakteen und dornigem Buschzeug, bewachsen. Auch Steine und zernagte Felsen sind da und dort. Die Sonne beginnt zu brennen. Und sie haben kein Wasser, keinen Proviant. Tim Hacketts Schuhwerk ist für einen Saloon geeignet, nicht aber für einen Marsch durch dieses Land. Pete trägt alte, ausgetretene Cowboystiefel, aber auch diese sind ja wegen ihrer hohen Absätze nicht zum Laufen über lange Strecken geeignet. Es ist dann auch Pete, welcher aus dem Mundwinkel zur Seite sagt: »Sollen wir uns das wirklich gefallen lassen, Tim Hackett?« »Nein«, erwidert dieser. »Aber wenn wir dagegen etwas unternehmen, dann müssen wir damit rechnen, daß uns der Hurensohn da hinter uns abknallt.« »Aber er hat ein Pferd und auch eine Flasche voll Wasser am Sattelhorn hängen«, murrt Pete. »Und ich bin dafür, daß wir etwas riskieren. Selbst wenn er uns abschießen sollte wie zwei alte Hunde, so wäre es wohl noch besser, als auf die jämmerliche Art umzukommen. Oder würdest du es nicht jämmerlich finden, wenn wir so lange laufen, bis wir umfallen?« »Ja, das wäre jämmerlich, Pete«, erwidert Tim Hackett. Eine Weile schweigen sie. Dann fragt Pete: »Also wie machen wir nun die Sache?«
»Ich habe einen kleinen Derringer in der Tasche«, sagt Tim Hackett. »Aber das Ding hat nur eine schwache Ladung. Denn es hat ja kaum einen Lauf und streut deshalb stark. Ich müßte aus einer Entfernung von zwei Schritten schießen können. Und dann wird der Bursche auch noch nicht tot sein. Wir werden ihn erschlagen müssen, wenn er aus dem Sattel fallen sollte. – Wollen wir das wagen?« »Sicher«, entschließt sich Pete sofort. Und dann stolpert er und fällt der Länge nach hin, bleibt liegen. Tim Hackett verhält in einigem Abstand. Und der Revolverschwinger hält sein Pferd an. »Na los«, verlangt er, »bringe ihn auf die Beine! Und dann weiter mit euch! Ich soll euch bis Sonnenuntergang begleiten. Na los!« Aber Tim Hackett bewegt sich nicht, verharrt schnaufend und leicht schwankend, so als würde auch er auf die Knie sinken und umfallen. Da reitet der Revolverschwinger vorwärts, gelangt zwischen die beiden alten Männer. In diesem Moment bewegt Pete sich am Boden und stößt täuschend echt das Zischen und Rascheln einer Klapperschlange aus. Das Pferd unter dem Reiter scheut zur Seite. Tim Hackett aber zaubert die kleine Waffe aus seiner Tasche. Sie ist so klein, daß sie in seiner Hand gar nicht erkennbar ist. Der Reiter auf dem zur Seite weichenden Pferd kommt ihm nun sehr nahe. Tim Hackett schießt sofort. Die Waffe hat zwei Kammern, und obwohl die Streuwirkung sehr groß ist, bekommt der Revolverschwinger beide Kugeln in die Seite. Er fällt vom Pferd, weil dieses ja überdies auch noch jene unerwartete Bewegung macht. Vielleicht hätten ihn die beiden Kugeln sonst gar nicht mal aus dem Sattel gestoßen. Als er fällt und brüllend über den Boden rollt, erschreckt und wütend zugleich, da tritt Tim Hackett mit voller Wucht zu.
Und Pete erhebt sich, so schnell er kann, und erwischt das Pferd an den Zügeln, bevor es fortspringen kann. Dem Revolverschwinger fiel der Colt aus dem Holster. Tim Hackett hebt die Waffe aus dem Staub, und dann schießt er noch einmal, aber diesmal mit einem richtigen Colt. Man hört dann eine Weile nur noch das Keuchen der beiden alten Männer und das Schnauben des Pferdes. Allmählich beruhigt sich alles. »Und was machen wir jetzt?« So fragt Pete. Er fügt hinzu: »Wir haben jetzt ein Gewehr und einen Colt. – Was machen wir jetzt? – Reiten wir auf diesem Gaul gemeinsam weiter nach Süden? Oder …« * Für Sue Fuller war die Nacht eine Demütigung. Oh, sie weiß, daß sie nur ein Animiermädchen ist, ein Flittchen – oder gar eine Puta, wie die Leute mexikanischer Abstammung sagen. Doch sie hat sich bisher stets nur mit Männern eingelassen, die sie auch persönlich mochte. Hogjaw Staretter mochte sie nie. Ihn verabscheute sie. Und dennoch mußte sie ihm diese Nacht zu Willen sein, mußte tun, was er von ihr verlangte. Er schlug sie mehrmals. Und als er sie dann endlich verließ, da blieb sie im Bett liegen und fühlte sich gedemütigt, zerbrochen, getreten. Sie muß ihr Gesicht kühlen, welches von seinen Schlägen anschwillt, und immer dann, wenn sie ihre blutenden Lippen leckt, da spürt sie, daß sie Hogjaw Staretter töten muß, um sich nicht ihr ganzes Leben lang als getretener Wurm zu fühlen. Am Nachmittag dann beginnt sie zu überlegen, wo sich im Haus wohl eine Waffe finden ließe. Es fällt ihr die abgesägte Schrotflinte wieder ein, mit der sie Hogjaw Staretter und Noel Jenkins aus dem Saloon jagen wollte – und die sich als entladen erwies.
Wahrscheinlich liegt das Ding wieder unter der Bar und ist immer noch entladen. Aber in Tim Hacketts Zimmer müßte Munition sein. Und so erhebt sie sich, als es draußen schon dämmerig wird und im Saloon unten die Lampen angezündet werden. Sie bewegt sich lautlos, und sie kennt dieses Haus und jede knarrende Diele. In Tim Hacketts verlassenem Zimmer findet sie schnell das Gesuchte. Es ist ein fast voller Karton mit Papp-Schrotpatronen. * Hogjaw Staretter kommt also nicht weiter mit seinen Worten, die – um sie noch einmal zu wiederholen – so lauten: »Hängt ihn gleich auf, dort am Baum. Das wollten wir ja schon mal tun. He, Bob Fuller, ist dort eine Höhle im Creekufer? Sind Adams und Mae dort versteckt? Gib Antwort!« Weiter kommt er also nicht. Denn hinter ihm und den beiden Revolverschwingern tritt Sue Fuller aus dem Saloon. Diesmal ist die abgesägte Schrotflinte geladen. Und sie drückt sofort ab, ohne auch nur noch ein einziges Wort zu sagen oder einen Ruf auszustoßen. Sie drückt beide Läufe ab. Aber das ist noch nicht alles. Tim Hackett und Pete kamen indes in die Stadt zurück. Sie ließen das Pferd in der dunklen Gasse stehen, und Sicherlich ist es ein Spiel des Schicksals, daß sie in diesen Sekunden in der Gassenmündung neben dem Saloon auftauchen. Sie schießen sofort mit – und so fallen auch die beiden Kerle von den Pferden, von denen Bob Fuller so übel mitgespielt wurde. Bob Fuller fällt auf die Knie. Er ist zu erschöpft und erledigt.
Und daß er nun doch nicht gehängt wird, diese Erkenntnis nimmt irgendwie die allerletzte Anspannung aus ihm. Und so fällt er in sich zusammen. Sue Fuller, Tim Hackett und Pete laufen zu ihm über den Platz. Aber sie sind bei ihm bald nicht mehr allein. Es kommen noch mehr Bürger aus den Häusern überall. Und sie alle tragen Waffen. Die kleine und bisher so hilflose und feige Stadt Warbow City wurde plötzlich entschlossen und wehrhaft. Die Schüsse wirkten wie zuvor der Feueralarm. * Mae Thorne und Orrin Adams wissen nicht, warum sie in den nächsten Stunden und der dann folgenden Nacht in ihrer röhrenartigen Höhle am Creek nicht angegriffen und ausgeräuchert werden. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu glauben, daß Bob Fuller die Verfolger irreführte und es irgendwie schaffte, sie von der Höhle abzulenken. Sie wissen ja nicht, daß sie es Sue Fuller zu verdanken haben, weiterhin unbehelligt zu bleiben. Denn Hogjaw Staretter kann keine Befehle mehr geben. Auch die beiden Reiter, welche Bob Fuller jagten und nach Warbow City brachten und vom Vorhandensein der Höhle wußten, wurden ja niedergeschossen. Das alles können Mae und Orrin also nicht mal ahnen. Was für sie zählt, ist, daß niemand kommt, auch nicht am nächsten Tage und in der nächsten Nacht. Sie fühlen sich nun wieder sicher. Und Orrin Adams wird mit jeder Stunde kräftiger. Seine beiden Schußlöcher heilen gut. Am Nachmittag dieses Tages erhebt er sich zum ersten Male … Mae beobachtet ihn.
Plötzlich fragt sie hart: »Und was wirst du tun, wenn du wieder kämpfen kannst? Wirst du mit mir dieses Land verlassen oder weitermachen in Warbow City, so daß sich alles wiederholen kann, bis du eines Tages kein Glück mehr hast?« »Ich werde George Jessup töten«, erwidert er schlicht. »Es gibt für uns alle keine andere Möglichkeit. Ich muß ihn töten. Dann beginnt in diesem Land eine neue Zeit.« * George Jessup erfährt in dieser Stunde auf seiner Hauptranch, was alles geschehen ist, und begreift, daß sein Vormann Hogjaw Staretter versagt hat. Es fällt ihm schwer, noch untätig verharren zu müssen, noch nichts in Gang bringen zu können. Er ist noch zu krank. Indes er Stunde um Stunde, Tag für Tag und Nacht für Nacht darauf wartet, daß er wieder in den Besitz seiner körperlichen Fähigkeiten gelangt, denkt er fortwährend an die erlittenen Niederlagen. Und sie alle gingen stets von Orrin Adams, dem Town Marshal von Warbow City, aus. Orrin Adams setzte ihn im Saloon außer Gefecht. Er konnte sich um nichts mehr kümmern. Alles lief danach schief. Das Aufgebot holte sich die Herde zurück und hing einige Viehdiebe auf. Staretter schaffte es nicht, Orrin Adams zu finden. Nichts schaffte Hogjaw Staretter, gar nichts. In den vergangenen Tagen erhielt er aus allen Richtungen seines Machtbereiches schlechte Nachrichten. Die Rinderdiebstähle nahmen zu. Noel Jenkins mußte die Warbow-Mannschaft wieder in alle Weidegebiete schicken, alle Grenzhütten und Vorwerke besetzen lassen.
Und deshalb suchen nur noch wenige Reiter nach dem verschwundenen Orrin Adams und seiner Begleiterin Mae Thorne. Immer dann, wenn George Jessup an Mae Thorne denkt, weiß er auch, daß diese sicherlich längst schon Orrin Adams gehört. Also hat er auch in dieser Hinsicht verloren. Nach einer Woche dann steigt George Jessup in den Sattel. Drei seiner Revolverreiter begleiten ihn. Und er ist gewillt, Warbow City klarzumachen, wer der Boß im Lande ist. Von Warbow City aus will er die Suche nach Orrin Adams wieder intensiver in Gang bringen. Er wird Nachrichten nach Süden senden und dort bekanntmachen, daß die Warbow-Ranch Revolverreiter einstellt. Er wird seine Mannschaft verstärken und einen neuen Vormann einstellen. Noel Jenkins hat nicht das Format zum Ersten Vormann. Das hatte nicht mal Hogjaw Staretter, wie sich erwies. All diese Gedanken also gehen George Jessup durch den Kopf, indes er unterwegs nach Warbow City ist. Als er mit seinen drei Begleitern die Furt erreicht, durchquert er sie ohne Zögern, und als sie heraufgeritten sind und freien Blick auf die Häuser von Warbow City bekommen, da erlaubt sich das Schicksal noch einmal einen dramatischen Regieeinfall. Denn von Osten her, also von links, da sind zwei Wanderer zu erkennen, ein Mann und eine Frau. George Jessup erkennt sie sofort. Und er stößt einen fast jubelnden, zumindest jedoch irgendwie befreit klingenden Schrei aus. Seinen Reitern ruft er über die Schulter zu: »Wartet hier! Das erledige ich selbst!« Er zieht sein Pferd zur Seite und reitet am oberen Ufer des Creeks entlang dem Paar entgegen.
Orrin Adams und Mae Thorne halten an, als sie ihn kommen sehen. »Da kommt er – und er kommt allein«, sagt Orrin Adams. »Er will es also noch mal mit mir austragen. Warte hier, Mae. Es muß sein. Ich hätte es mir nicht besser wünschen können. Das Schicksal hat es so bestimmt, und es wird gewiß auch schon längst bestimmt haben, wer von uns überleben wird. Bis später, Mae. Doch sag mir eines: Liebst du mich jetzt endlich mit dem Herzen?« »Schon lange«, erwidert sie ernst. Dann verharrt sie, indes er allein weitergeht. Auch Jessups drei Reiter verharren. Als die beiden Todfeinde nur noch zwei Dutzend Yard voneinander getrennt sind, hält Jessup an und steigt aus dem Sattel. Auch Orrin Adams hat angehalten. Nun aber setzen sich beide wieder in Bewegung. Fast gleichzeitig beginnen sie aufeinander zu schießen, dabei einen Schritt vor den anderen setzend. Jessup hält plötzlich inne, so als wäre er von einer unsichtbaren Faust gestoßen worden. Er dreht sich schwankend zur Seite und schießt noch einmal irgendwohin. Dann fällt er. Seine Reiter kommen herangeritten. Orrin Adams erwartet sie mit rauchendem Colt. Und Mae Thorne kommt mit dem Gewehr herbeigelaufen. Aber die drei Warbow-Reiter unternehmen nichts. Sie sitzen ab und knien bei Jessup. »So mußte es wohl kommen«, sagt einer. Und der andere spricht: »Schicken Sie den Leichenbestatter her, Marshal. Denn Jessup ist tot. All seine Rinder sind jetzt herrenlos.« Sie sitzen auf und reiten davon.
Orrin Adams und Mae Thorne aber setzen sich wieder in Bewegung. Von Warbow City her kommen ihnen einige Menschen entgegen. Eine neue Zeit wird beginnen. ENDE