Vorposten Ganymed
Hilding Borgholm Ein außergewöhnlicher Kampf im All Dr. Heinrich Wolf, als Atomforscher nach Atomby ...
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Vorposten Ganymed
Hilding Borgholm Ein außergewöhnlicher Kampf im All Dr. Heinrich Wolf, als Atomforscher nach Atomby gerufen. Doch er war nicht lange dort; denn auch andere Stellen interes sierten sich für ihn Dr. Fällgreen, Wolfs schwedischer Freund Dr. Sedgwick, der wußte, dasß er nie wiederkehren würde. Dr. Skogholm, blond wie die Kimben. Der gesuchte Agent? Signe Nilsson, Wolfs Verlobte. Als er ihren Namen SWI kennen lernte war es eigentlich schon zu spät Weitere Personen: Dr. Hulthén Dr. Fincher - Kollegen aus Atomby Kir, Stationsleiter Sim, Flottenadmiral Hil, Betreuer der Gäste Das linsenförmige Sternsystem der Milchstraße besteht aus vielen Milliarden von Sonnen, die zum Teil von erkalteten Begleitern umkreist werden; mindestens eine Million dieser Planeten wird von denkenden Wesen bewohnt. Hunderte dieser vernunftbegab ten Arten beherrschen seit langem die Raumfahrt - nicht nur von Planet zu Planet, sondern auch von Stern zu Stern. Sie begegnen einander meistens in Frieden und Achtung - nur selten kommt es zu einem Krieg, der sich über ganze Sternenräume ausdehnt. Dann kann es vorkommen, daß die Bewohner eines unbeteiligten Planeten in einen interstellaren Macht- und Lebenskampf hinein gezogen werden.
Entführung Die „Dagens Nyheter" brachte als erste Zeitung die Meldung, daß acht Atomforscher und dreiundvierzig Assistenten bzw. Arbeiter sowie eine Frau aus Atomby - der schwedischen Atomforschungs stätte in Lappland - verschwunden seien. Weder Polizei noch Militärstreifen fanden je eine Spur von den Verschollenen, die bei einem. Mittsommernachtsfest zum letztenmal von ihren Angehörigen gesehen worden waren. Die schwedische Presse warf dem Heer mangelnde Wachsamkeit und der Sowjetunion gewaltsame Massenentführung vor. Bereits am 22. Juni arbeitete die Polizei mit vollen Touren; zahl lose Theorien über das Verschwinden, der zweiundfünfzig Men schen wurden aufgestellt und wieder verworfen. Die meisten stimmten darin überein, daß die Russen nicht an die friedlichen Zwecke Atombys glaubten und daher mit einer Hubschrauberflot te die Festteilnehmer überfallen hätten. Das setzte allerdings vor aus, daß die Sowjets imstande waren, Luftortungsgeräte zu bluf fen. Ein Jahr vor diesem Zwischenfall war der junge deutsche Atom physiker Dr. Heinrich Wolff nach Atomby. berufen worden, und viele brachten ihn mit der Entführung in Verbindung, denn er war es, der anläßlich seiner Verlobung und anläßlich der Mittsommer nacht ein Fest an einem Waldsee - weit weg von den Militärein heiten, die Atomby bewachten - organisiert hatte. War Wolff ein Spion der Russen - obwohl er als kleines Kind mit seinen Eltern im Jahre 1945 an Bord des Schweren Kreuzers „Prinz Eugen" die ostpreußische Heimat verlassen hatte? Warum wurden außer den acht Gelehrten auch alle anderen männlichen Festteilnehmer ent führt? Wenn man sie als lästige Zeugen mit aus dem Weg schaf fen wollte, warum hatte man dann alle ihre Gattinnen und Freun dinnen zurückgelassen? Lediglich Signe, Dr. Wolffs Verlobte, war auch verschwunden - was den Verdacht gegen den Deutschen verstärkte. Die zurückgebliebenen Frauen konnten keinerlei Angaben über die Entführung machen, da sie - wie sie erklärten - während der ganzen Angelegenheit nicht bei Bewußtsein waren. Allerdings er gaben die Untersuchungen, daß die bei dem Fest angebotenen Speisen und Getränke kein Schlafmittel enthielten - was die Zahl der Rätsel um eines vermehrte.
*
Als die Männer erwachten, fanden sie sich - alle einundfünfzig - in einem schwach erleuchteten, ovalen Saal mit glatten Wänden. Sie rieben sich die Augen, blickten einander an, und einige standen auf. „Ich möchte wissen, was das bedeutet. Ist das einer der schwe dischen Mittsommernachtsscherze?" fragte Dr. Sedgwick und ver suchte streng dreinzuschauen. „Ich bin überfragt", meinte Fällgren achselzuckend. „Vielleicht weiß unser Gastgeber mehr." Mißtrauische Blicks richteten sich auf Wolff; der verständnislos seine Umgebung musterte und schließlich beteuerte, mit der ganzen Sache nichts zu tun zu ha ben. Schließlich wisse er nicht einmal, wo Signe geblieben sei. „Und unsere Mädchen - warum hat man die nicht zu uns ge sperrt?" rief ein Arbeiter, und einige lachten. Von einer Schmalseite des Raumes kam ein knisterndes Ge räusch. Die Männer verstummten und blickten hin. Ein großes Dreieck aus Licht bildete sich dort, und dann erschien das überle bensgroße Bild eines Mannes. Fällgren blickte auf Wolff. Konnte dieser Mann, den er vor einem Jahr in Jokkmokk abgeholt und unterdessen zum Freund gewonnen hatte, mit der Sache zu tun haben? Wo lag dieser ovale Saal mit den glatten Wänden? * „Dr. Wolff, nehme ich an?" lachte der Schwede auf dem Bahnsteig von Jokkmokk den Fremden an, der mit zwei Koffern den Zug verlassen hatte und suchend umherblickte. „Wolff, ganz recht. Und Sie sind wohl einer vom Stab?" „Fällgren - einer Ihrer zukünftigen Kollegen. Ich heiße Sie im Lande überm Polarkreis willkommen. Sie geben mir natürlich ei nen Koffer zum Tragen." „Danke, lassen Sie nur, Dr. Fällgren - die Koffer sind nicht schwer. Und ich tu mich leichter, wenn ich beide trage, Gleichge wicht, wissen Sie."
Sie schritten schweigend nebeneinander durch die Bahnhofshal le, hinaus auf die Straße. Dr. Fällgren ging auf einen Opel zu. „Die Koffer tun wir hier hinten rein", sagte er und öffnete den Gepäck raum. Sie fuhren aus der Stadt hinaus und waren bald von weitem Öd land umgeben. Es war Juli, kurz vor Mitternacht, und die Sonne schickte sich eben an, hinter dem nördlichen Horizont für eine kurze Zeit unterzugehen. Einige Federwolken hingen hoch im kla ren Himmel, wie die Finger einer Göttin von Asgard. Beide Männer im Opel waren ungefähr gleich alt - Mitte Dreißig und sie hätten fast für Brüder gelten können; der Deutsche war nur etwas größer. Fällgren hatte ziemlich langes, weiches Haar, Wolff hingegen eine weizenblonde Bürste. „Vet ni, Dr. Fällquist, eller vad ni heter..." begann Wolff. „Fällgren!" lächelte der andere. „Als ich den Wehrdienst machte, hat mein Stubenältester auch andauernd die Endungen durchei nander gebracht." Wolff fuhr auf schwedisch fort: „Mir wäre es lieber, von nun an nur noch Schwedisch zu sprechen. Es wäre für meine Arbeit nütz lich, wenn ich wieder bald in Schwung käme damit. Den schönen nordischen Tonfall werde ich mir ja leider nicht mehr aneignen können." Nach anderthalb Stunden gelangten sie an ihr Ziel - Atomby, die junge Atomstadt. Die Arbeiter der Nachtschicht arbeiteten ohne künstliche Lichtquelle an der Errichtung größerer Gebäude; mo derne Anlagen mit der schönen neuen Architektur des Atomzeital ters wuchsen aus dem Boden von Lappland. Fällgren zeigte Wolff sein Zimmer und wünschte ihm eine gute Nacht. „Morgen führe ich Sie überall herum. Aufstehen können Sie, wann Sie wollen", fügte er noch hinzu. Das Auspacken der Koffer verschob Wolff auf den nächsten Tag. Die Fahrt hatte ihn müde gemacht, aber er fühlte sich - wie im mer, wenn er eine lange Reise hinter sich hatte - sehr wohl. Über die Berufung an die Stätte, wo das kohlenarme Schweden eine Reihe von Atommeilern baute, freute er sich nach wie vor. Nach einem kühlen Duschbad legte sich Wolff ins Bett; bald stand er aber wieder auf und schloß die Läden, um ein bißchen Dunkelheit im Zimmer zu haben. Dann hielt ihn noch das Gesirre einer Mücke lange wach; endlich stand er noch einmal auf und
gab sich erst zufrieden, als von der Mücke nur noch ein Fettfleck und einige herrenlose Beinchen übrig waren. Als er anderntags aufstand und die Läden öffnete, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Wolff beeilte sich nicht mit dem Rasieren und Anziehen; als er sein Zimmer verließ, war er froh, gleich auf Fällgren zu stoßen. * Schnell hatte sich Wolff eingelebt; er war mit großem Interesse bei der Arbeit; und er merkte kaum, wie die Wochen vergingen. Ursprünglich hatte er geplant, nach zwei oder drei Jahren wieder nach Deutschland zu gehen und auch einmal zu heiraten, aber dann kam ihm der Gedanke, daß er auch in Schweden bleiben könnte, wo er sich sehr bald zu Hause fühlte und mit den Ein wohnern restlos verstand. Er dachte jedoch weder an Liebe noch an Ehe, als er eines Tages Signe kennenlernte. Signe war eine Schwedin, wie man sie sich vom Ausland vor stellte - hochbeinig, schlank und licht. Das weißblonde Haar und die wasserhellen Augen Signes waren sogar etwas zu licht für Wolffs Geschmack. Wolff hatte nie großes Talent beim Ansprechen von Mädchen bewiesen. Aber in diesem Fall war ihm nichts anderes übriggeb lieben. Er war an einen der kleinen Waldseen baden gefahren, und er saß gerade auf einem halb im Wasser liegenden Felsen, um sich mit einem Mittel gegen die Mücken einzureiben, als die stillen Fluten zu seinen Füßen sich plötzlich bewegten und ein Mädchen auftauchte. Das hatte Wolff überrascht, denn er hatte niemand ins Wasser gehen gesehen; die nächsten Uferfelsen waren gut fünfzig Meter entfernt, und er konnte sich nicht vor stellen, daß jemand ohne Atemgerät so weit unter Wasser schwimmen könne. „He, Fröken, wo kommen Sie her?" hatte er gerufen und sie nicht im geringsten außer Atem - hatte gelacht: „Vom Himmel; aber ich weiß, daß Sie mir das nicht glauben." Sie gingen in ihrer Freizeit miteinander baden, solange die Jah reszeit es zuließ. Die Nächte wurden länger, und Sputnik V zog regelmäßig und verläßlich als venusheller Stern am Südhimmel
entlang, bis er in den Erdschatten eintauchte und erlosch, bevor er noch den Horizont erreichte. „Diese Gestirne aus Menschenhand machen mich stolz", sagte Wolff eines Abends, als sie nach dem Baden auf einem Felsen saßen. „Die Menschheit hat eine große Zukunft vor sich, trotz der lähmenden Dummheit, die überall regiert. Hast du nicht auch das Gefühl, Signe?" „Gefühle habe ich nie, Henrik, das weißt du doch schon. Daß die Menschheit eine große Zukunft hat, ist möglich. Nach dem letzten Stand der Dinge ist es aber gerade so gut möglich, daß die Menschheit demnächst abserviert wird, sang- und klanglos. Und diese künstlichen Satellitchen sind ja wirklich süß, aber mich be eindrucken sie nicht. Noch lange nicht." „Was beeindruckt dich denn schon? - An den dritten Weltkrieg habe ich nie geglaubt, und jetzt, wo der kalte Krieg immer harm loser wird, redest du vom Abservieren. Ist meine Schuld - mit einem, dummen Mädchen soll man eben nicht über solche Dinge sprechen." Signe lachte. Sie weiß genau, wie unwiderstehlich ihr Lachen ist, dachte Wolff. Wahrscheinlich hat sie es im stillen Kämmerlein noch geübt „Übst du dieses Lachen täglich, oder genügt einmal die Woche?" fragte er, und Signe lachte wieder. „Welches Parfüm verwendest du eigentlich? Es hält, auch wenn du den halben Tag im Wasser warst", fragte Wolff, und Signe be hauptete, noch nie im Leben eines verwendet zu haben. „Ich wußte überhaupt nicht, daß ich nach Parfüm rieche", lachte sie. „Und bilde dir ja nichts auf diese Sputniks und Explorer ein. Bis jetzt hat noch keines Menschen Fuß den Mond betreten. Nicht einmal den Mond! Ich finde, es wäre bald an der Zeit." „Vom Parfüm zum Mond! Wenn das nicht weibliche Logik ist -". Wolff markierte den Verzweifelten. „Mit dir hat man es schwer, Süßnäschen. Einmal läßt du dich stundenlang mit Gesprächen über meine Arbeit langweilen, dann bringst du wieder gar kein Verständnis für so etwas Großartiges wie künstliche Gestirne auf. Frauen sind manchmal so sonderbar, als ob sie gar nicht von der Erde wären. Wie Wesen vom Mars, so fremdartig in ihrem Den ken." Statt einer Antwort lachte Signe herzlich und lange. „Was lachst du schon wieder? So witzig war das nun auch wie der nicht", meinte Wolff etwas hilflos.
„Doktor Heinrich Wolff - du bist ein großer dummer Junge. Viel leicht wird aus dir noch einmal etwas", neckte sie. „Vielleicht", sagte Wolff, hob Signe lachend auf und warf sie ins Wasser, wie er es immer tat, wenn sie ihn geneckt hatte. * Als die lange Polarnacht kam, waren die Anlagen des Atomkraft werkes im wesentlichen fertiggestellt; die Physiker des Meilerpro jektes verlegten das Schwergewicht ihrer Arbeit auf das Atomfor schungsinstitut, das ebenfalls in Atomby aufgebaut wurde; unter Ihnen befanden sich außer einigen Skandinaviern und dem Deut schen zwei Angelsachsen - Dr. Sedgwick von Oxford und Dr. Fin cher von der Universität Kalifornien. Dr. Wolff war so in seine Arbeit versessen, daß er sich mit Signe nur alle acht oder vierzehn Tage traf. Signe, die keine Eltern mehr hatte, wohnte auf halbem Wege zwischen Jokkmokk und Atomby. In ihrer Wohnung feierten die beiden Weihnachten. Zu Silvester fuhren sie nach Jokkmokk tanzen. Wolff legte sonst keinen gro ßen Wert aufs Tanzen, aber mit Signe tanzte er gern. Und gern ließ er sich von dem Duft ihres Parfüms berauschen. Bei der Heimfahrt in den kurzen Morgenstunden wurde Wolff sich dessen bewußt, daß er Signe liebte. Er hütete sich aber, es ihr zu sagen, denn er fürchtete, sie würde ihn auslachen oder zumindest seine Gefühle nicht erwidern. Signe war ein schönes, stolzes Geschöpf - unberechenbar und voller Rätsel, wenn auch keineswegs launenhaft. Wolff hatte den Wagen angehalten, weil ein Nordlicht seine gan ze Aufmerksamkeit gefangennahm. Stumm betrachteten sie lan ge Zeit den lautlosen Tanz himmlischer Neonlichter, deren Schimmer die glitzernden Sterne überstrahlte. Die erdrückende Einsamkeit der endlosen subarktischen Schneelandschaft umgab die beiden Menschen in dem Wagen, dessen Motor leise, mit Standgas brummte. „Wenn man so ein Nordlicht betrachtet und eine Frau wie dich, Signe, dann muß man zugeben, daß es verdammt schön ist auf dieser Welt", sagte Wolff, als er wieder anfuhr, und Signe lachte unromantisch.
„Nun, ja", meinte sie, „dieser Planet gehört zu den schönsten, die Ich kenne. Und so hat man mir die Deutschen geschildert: Wildheit neben Gefühl, Todesraketen neben Beethoven. Aller dings, wenn man dich betrachtet - dir würde ein Schuß Wildheit und Angriffslust nicht schaden. Wenn man dich ansieht, findet man es unglaublich, daß die sogenannten furchtbaren Deutschen vor einer halben Generation fast die ganze Welt besiegt hätten." Wolff wußte selten, wo bei Signes Worten die Grenze zwischen Scherz und Ernst war. „Es ist statistisch erwiesen, daß wir ein friedliebendes Volk sind und seit 1500 in viel weniger Kriege ver wickelt waren als andere. Nur wenn man uns zu lange reizt und uns die Geduld ausgeht, kann es schlimm werden", versuchte Wolff sich zu verteidigen. „Du enttäuschst mich, Henrik", spöttelte sie. „Ich hätte mich so gern einmal von einem echten Helden umarmen lassen. Was soll ich nur mit so einem friedlichen Bürger anfangen?" „Es tut mir leid, Süßes. Drachen gibt es keine mehr, und die Helden der alten Sage haben biederen Steuerzahlern Platz ge macht." Signe wohnte unweit der militärischen Sperrzone neben der Straße. Wolff brachte das Mädchen zur Haustür und fuhr dann heim. Obwohl die Wachsoldaten ihn schon längst kannten, mußte er wie jedesmal seinen Passierschein vorweisen und das Lo sungswort sagen. * Im April nahm Wolff Urlaub und fuhr mit Signe an die französi sche Riviera, nach Antibes. Auf der Reise durch Deutschland machte er in Ulm bei seinen Eltern Station und stellte ihnen die junge Schwedin vor. Dann kamen die unvergleichlichen Tage des Nichtstuns am Mit telmeer. Sie tauchten gern um die Wette, und Signe konnte viel länger unter Wasser bleiben als Wolff. Er war in seiner Studen tenzeit aktiver Sportler gewesen, und seine Gestalt war immer noch unverbildet, aber im Schwimmen war er trotz seiner Mus keln der zarten Signe unterlegen.
Er lachte nur dazu, ohne sich weiter darüber Gedanken zu ma chen, bis er eines Tages etwas sah, was ihn einen Augenblick lang erschreckte. Sie hatten an der felsigen Küste unter Wasser Verstecken ge spielt - auch Wolff konnte, ohne zu atmen, zwei Minuten unter Wasser bleiben - und er hatte ein feines Versteck in den submari nen Klippen gefunden, als Signe vorbeigeschwommen kam, ohne ihn zu bemerken. Und da sah er das Unbegreifliche. Auf jeder Seite des Halses hatte Signe je drei parallele blutrote Streifen. Zuerst dachte Wolff, sie sei von einem Wassertier gebissen worden, und er woll te ihr zu Hilfe eilen. - Aber sie schwamm ruhig davon, bis sie im grünen Dämmerlicht seinen Blicken entschwand. Wolff tauchte auf und holte tief Luft. War Signe eine Mutantin mit Kiemen oder eine biologische Rückbildung? Oder gab es die sagenhaften Meerjungfrauen wirklich? - War Signe deshalb so gern im Was ser? Als Signe aus dem Wasser kam, war außer ihrer Schönheit nichts Märchenhaftes an ihr. Sie setzte sich neben Wolff, und er musterte ihren Hals, betastete ihn mit den Fingern und mit den Lippen, aber er konnte nicht den geringsten Kratzer entdecken die Haut war ganz und heil. Nun wußte Wolff, daß er wahrscheinlich wegen vorübergehen den Sauerstoffmangels, Sinnestäuschungen gehabt hatte. Und er bewunderte das Parfüm, das sie verwendete: Obwohl sie stun denlang im Salzwasser gewesen war, haftete ihrem Leib ein betö render Hauch an. * Die sonnigen Tage von Antibes waren längst vorbei, und über Atomby herrschte wieder der lange Sommertag, als Wolff bei ei nem Picknick am Waldsee Signe ganz nebenher fragte, wann sie heiraten wollten. „Heiraten?" fuhr Signe überrascht auf. „Was bringt dich auf die Idee, mich zu heiraten - ausgerechnet mich?" „Du selbst hast mich auf die Idee gebracht, junge Dame. - Frag nicht so dumm." Wolff tat, als wäre er empört. „Du weißt genau,
welche Wirkung du auf mich hast, und daß ich dich schon lange liebe. Ich dachte, es sei selbstverständlich, daß wir heiraten." Signe antwortete, zum erstenmal in ihrem Leben, ernst und oh ne Ironie: „Du bist mir der liebste Mensch auf Erden, Henrik, aber heiraten können wir nicht. Versuch nicht, mich nach dem Warum zu fragen - ich werde es dir nicht sagen. Und erspar dir auch eine Nachforschung. - Du würdest nichts erfahren dabei. Ich kann dir nur sagen, daß wir nicht zusammengehören." „Nicht zusammengehören! Wenn ich so einen Unsinn höre! Kei ne zwei Menschen der Welt passen so gut zusammen wie wir. Signe, sprich doch einmal ein vernünftiges Wort!" „Mir tut es leid, daß du so starke Gefühle hast - ich habe das nicht erwartet", sagte sie leise. „Vielleicht sollten wir uns nicht wiedersehen." „Kein Wort davon! Da habe ich auch noch mitzureden, Gott sei Dank!" Sie schwiegen eine Weile und blickten ins dunkle Wasser. Schließlich sagte sie: „Ich werde auf ein, zwei Wochen verreisen. Aber ich komme wieder, ich verspreche es." „Die Mittsommernacht wollen wir doch miteinander feiern, oder?" „Zur Mittsommernacht bin ich wieder hier. Ich werde dich vor her anrufen", sagte sie und gab ihm einen letzten Kuß. * Wolff vertiefte sich in die ebenso winzige wie gewaltige Welt des Atoms und freute sich über jeden Fortschritt. In der Freizeit betei ligte er sich an einem Tennisturnier, in dem auch seine Freunde Fällgren und Hulthén mitkämpften. In der Vorrunde schied er ge gen Dr. Fincher aus, aber zusammen mit Fällgren holte er sich das Herrendoppel gegen Skogholm und Sedgwick, der trotz seiner fünfzig Jahre verbissen kämpfte. Am 19. Juni kam Signes Anruf. „Ich will mich mit dir verloben", sagte sie, „draußen an unserem See der Zweisamkeit. Ist dir das recht, Liebster?" „Und wie!"
„Aber eine Bitte habe ich - sieh zu, daß du es einrichten kannst, deine Kollegen und die Arbeiter einzuladen. Ich würde meine Ver lobung gern im ganz großen Rahmen feiern." „Natürlich, wenn du es wünschst. Hoffentlich haben die Herren zur Mittsommernacht nicht schon was anderes vor." „Keine Angst - die feiern die Mittsommernacht immer zusam men. Du brauchst sie nur alle zu bitten, aus Anlaß deiner Verlo bung die Feier diesmal an unserem See abzuhalten." „Aber der Tanzboden?" versuchte er einzuwenden. „Dafür reicht die Zeit noch. Wenn du das in die Hand nimmst, wird es schon klappen. Sie haben dich wegen deiner deutschen Gründlichkeit heraufgeholt, nicht wegen deiner blauen Augen", sagte sie neckisch, und: „Ich sehne mich nach dir." Dann hängte sie auf. * Und so verlegte Atomby sein Mittsommernachtsfest an den klei nen See jenseits des Berges, 16 Kilometer außerhalb der militäri schen Schutzzone. Die Leute - fast jeder hatte seine Frau oder eine Freundin bei sich - tanzten, lachten und tranken. Sie müssen mehr oder minder gleichzeitig in tiefem Schlaf zu Boden gesunken sein. Als die Frauen erwachten, waren die Männer verschwunden aber die Autos standen alle noch da. Die einzige Frau, die eben falls fehlte, war Signe, die Braut der Verlobungsfeier. Die verlassenen Frauen am See vermuteten, daß die Männer sich scherzhalber im Wald versteckt hätten, und sie beschlossen, den Schabernack zu erwidern. Sie fuhren kurzerhand - soweit die Startschlüssel vorhanden waren - zurück nach Jokkmokk und warteten. Als die Männer aber ausblieben, wurden sie unruhig, und schließlich interessierte sich die Polizei für die Angelegenheit. Die „Dagens Nyheter" brachte als erste Zeitung die Meldung, daß acht Atomforscher und dreiundvierzig Assistenten bzw. Arbei ter sowie eine Frau verschwunden seien. Die Polizei bewegte sich mühsam und ziellos im Dschungel von Rätseln - kein Lösungsversuch brachte Licht in den Fäll. Da man alle Möglichkeiten berücksichtigen mußte, widmete man sich auch
der Person - der Signe - und man fand bald heraus, daß sie amt lich nicht existierte. Kein Taufregister und kein Amt führte ihren Namen auch aus den anderen skandinavischen Ländern schien sie nicht zu stam men. Sie mußte eine Schwedin sein, denn es war noch nicht so lange her, daß ihre Eltern begraben worden waren. Die Polizei öffnete auf Grund eines phantasievollen Verdachts die Gräber der Eltern, und der Verdacht bestätigte sich: Die vermoderten Särge enthielten Steine, aber keine Toten. Nun wußte die Polizei weni ger als je zuvor. Warum hatte Signe vorgegeben, schwedische Eltern zu haben? Wenn sie keine Schwedin war, was war sie dann? Eine Deutsche, eine Amerikanerin, oder etwa eine Russin? Stützpunkt Jupitermond Von einer Schmalseite des Raumes kam ein knisterndes Ge räusch, die Männer verstummten und blickten hin. Ein großes Dreieck aus Licht bildete sich, und dann erschien das weit überle bensgroße Bild eines Mannes, der trotz seines jugendlichen Ge sichtes weißes Haar, weiße Brauen und weiße Wimpern hatte. Der Mann im Dreieck schien die Leute im Saal zu mustern, dann lä chelte er leicht und begann zu sprechen. „Meine Herren! Ich will lieber nicht sagen: ,Willkommen auf Ga nymed!', denn Sie sind nicht freiwillig hier, und da könnten Sie annehmen, daß ich es ironisch meine. Das ist aber nicht der Fall! Sie sind uns willkommen, weil wir Sie brauchen, Sie müssen uns vorerst verzeihen, daß wir Sie ohne Ihre Einwilligung hierher ge bracht haben. Aber glauben Sie mir, anders war es nicht möglich. Wenn Sie erst mehr wissen, werden Sie uns besser verstehen und - wie ich hoffe - uns auch verzeihen. Sie wurden auf den größten Mond des Jupiters gebracht, bei Ihnen Ganymed genannt. Wir sind aber nicht die Ureinwohner dieses Satelliten - wir sind über haupt nicht aus diesem Sonnensystem, denn keiner dieser hier sonst vorhandenen Planeten ist erdähnlich genug, um auch die Entwicklung menschenähnlicher Wesen zu ermöglichen. Wir nen nen uns selbst Kimben - was nichts anderes ist als Ihre Bezeich nung ,Mensch' - und wir sind von Asterope, einer der vielen Son nen des sogenannten Siebengestirns, oder genauer, vom fünften Planeten dieser Sonne. Von diesem Sonnensystem hier aus be
trachtet befindet sich den Plejaden entgegengesetzt am anderen Ende des Himmels das unauffällige Sternbild der Waage, und um die teleskopisch kleine Sonne Psi Librac - so heißt sie bei den irdi schen Astronomen - kreist ein einzelner Planet, die Urheimat des Volkes, das wir Slornu nennen. Gegen diesen Slornu führen wir seit dreiundzwanzig Jahrhunderten Erdzeit Krieg. Die Erde, Ihre Heimat, ist uns seit dreitausend Jahren bekannt, und wir haben sie gelegentlich interessehalber besucht. Bei den in ihrem heiligen Buch, der Bibel, geschilderten vielseitigen Wesen handelt es sich allerdings nicht um Kimben, sondern um Kwerik, die an einer un serer Expeditionen teilnahmen. Die Skeptiker unter Ihnen verwei se ich auf das Buch Ezechiel, erstes Kapitel, Vers vier. Die Kwerik stammen übrigens aus dem Sternbild des Wassermannes." Im Raum hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören kön nen. Niemand sagte ein Wort. „Nun haben uns die Umstände zum erstenmal gezwungen, auf irdische Hilfe zurückzugreifen - wir haben Sie zwar entführt, aber nur, damit Sie Ihrem Planeten einen Dienst erweisen können. In diesem Raumgebiet sind die Slornu nämlich in einem unaufhalt samen Vormarsch begriffen, und sie dürften in etwa einem Jahr, nach Erdzeit gerechnet, In diesem Planetensystem eintreffen." Jemand seufzte hörbar. „Sie sollen uns nun helfen, die Slornu aufzuhalten, und wir wer den der Menschheit helfen, unabhängig zu bleiben. Über die Ein zelheiten Ihrer Aufgabe werden wir zu gegebener Zeit noch ein gehend sprechen. Ich stehe Ihnen gern jederzeit zur Verfügung, Ihre Fragen zu beantworten." Die Männer im Saal schwiegen und starrten auf den Bildschirm. Einer atmete tief ein, und das war im ganzen Raum zu hören. Irgendeiner flüsterte: „Das ist nicht möglich, weil es das nicht gibt!" Ein anderer wollte sich dem Bildschirm nähern, aber sein erster Schritt mißlang ihm völlig. Es wurde ein flacher Weitsprung daraus, und weil er mit dem falschen Fuß landete, stolperte er. Aber er fiel nur sachte zu Boden. „Die geringe Schwerkraft eines Mondes!" flüsterte Wolff, über rascht. Fällgren sprang aus dem Stand über Wolff, landete hinter dessen Rücken und lachte. Sedgwick näherte sich unbeholfen - einige Arbeiter kicherten über seine Art, bei der geringen Schwerkraft zu schreiten - dem Bildschirm und rief: „Wie wissen wir, daß Sie uns die Wahrheit
sagen? Und wo steht es geschrieben, daß wir für die Kimben ge gen die Slorners - oder wie sie heißen - arbeiten müssen? Viel leicht sind die Slorners ein ganz sympathisches Volk, wir wissen das nicht. Wir wollen darüber hinwegsehen, daß wir ohne unser Wissen und unsere Einwilligung entführt worden sind." Das riesige Gesicht im Bildschirm antwortete freundlich: „Sie haben recht. Vieles von dem, was ich sage, kann ich einstweilen nicht beweisen, aber Sie haben keinen Grund, mißtrauisch zu sein. Kimben und Menschen sind einander in ihrer Entwicklungs geschichte auffallend ähnlich. Physiologie und Psyche sind bei beiden gleichartig. Nicht alle denkenden Rassen, die wir kennen, sind menschenähnlich. In dem uns bekannten Teil des Alls sind überhaupt nur Kimben und ein Teil der Menschen - einander zum Verwechseln ähnlich. Die Parallelentwicklung ist zwar erstaunlich, Fälle von Parallelentwicklung kommen aber in der Natur unter gleichen Umständen immer wieder vor. Ich erinnere nur an das Auge der Kopffüßler und der Wirbeltiere auf der Erde - beide Tier klassen haben unabhängig voneinander ein gleiches Organ entwi ckelt, wie es eben am zweckentsprechendsten war." Sedgwick nickte langsam, und der Fremde sprach weiter. „Wir besitzen schon seit Jahrtausenden ein Reich in den Ster nen, haben aber ausschließlich herrenlose Sauerstoffplaneten besiedelt. Die Erde z. B. blieb unbehelligt, weil wir die Einmi schung in die Angelegenheiten eines Sternenvolkes verabscheu en. Das ist auch der Hauptgrund, warum Ihre Entführung heim lich erfolgte. Die Erde soll von unserem interstellaren Krieg nichts erfahren." „Und wer sind diese Slorner?" fragte, Sedgwick beharrlich. „Die Slornu sind fremdartige, entfernt molluskenähnliche Ge schöpfe, die jeden Planeten, den sie finden, für ihren Gebrauch umändern. Sie leben in einer Art Schwefel-Chlor-Atmosphäre, und sie besitzen technische Mittel, auch die Lufthülle der Erde entscheidend zu verändern." „Da es Ihnen so sehr an Geheimhaltung gelegen ist, haben wir wohl keine Aussicht, die Erde jemals wiederzusehen?" warf Fäll gren ein. „Sie werden sobald wie möglich wieder auf die Erde gebracht. Wegen der Geheimhaltung machen wir uns keine Sorgen, denn man wird Ihnen kein Wort glauben. Es ist unvorstellbar im Weltall begegnen einander die Vertreter verschiedener Sternenvölker,
aber die Menschen der Erde halten sich für einen einmaligen Son derfall der Schöpfung. Die Geheimhaltung ist also kein Problem im Gegenteil, wenn Sie zuviel von Ihrem Einsatz in unserem Krieg erzählen, wird man Ihnen höchstens mit Psychiatern und Irren häusern drohen." „Haben Sie uns zufällig an Land gezogen, oder war diese Ent führung von langer Hand geplant?" fragte Wolff. Fällgren wußte nun endlich, daß Wolff mit der Sache nichts zu tun hatte. „Die Aktion war geplant und lange vorbereitet. Seit die Lage in diesem Kampfgebiet kritisch geworden ist, hatten wir ständig mindestens einen Vertreter auf der Erde. Sie würden Spion dazu sagen." „Wenn da jede interstellare Macht Spione schickt - ist es nicht denkbar, daß auch die Slorners Spione auf der Erde haben?" frag te Sedgwick, aber die Antwort befriedigte ihn nicht ganz: „Wegen der Stickstoff-Sauerstoff-Luft ist es einem Slornu nicht möglich, ohne besondere Ausrüstung auf der Erde zu leben. Au ßerdem sieht ein Slornu keinem Lebewesen der Erde ähnlich. Er würde sofort entdeckt werden." „Oder Beauftragte, Fünft-Kolonnisten, menschliche Kollabora teure?" drängte Sedgwick und fuhr sich mit dem Handrücken ner vös über den Schnurrbart. „Das ist so gut wie ausgeschlossen, da es den Slornu viel zu schwerfallen würde, Verbindung aufzunehmen. Wir selbst, ihre alten Erbfeinde, haben noch immer keine Basis der Verständigung mit den Slornu, während Leute von uns mit Leichtigkeit Englisch, Russisch, Deutsch oder Schwedisch gelernt haben - wie Sie es auch an mir feststellen können." „Was, zum Teufel, der Kerl neben mir behauptet, daß Sie kein Mensch sind!" rief ein junger Schwede mit der Statur eines Schwergewichtlers, und einige begannen zu lachen. Ohne einen Muskel im Gesicht zu verziehen, antwortete der Mann im Bild schirm: „Das ist richtig - ich bin nicht von der Erde, sondern von einem fremden Stern." „Welcher Art wird unsere Aufgabe ungefähr sein?" wollte Dr. Hulthén wissen. „Sollen wir für Ihre Krieger Kartoffeln schälen oder Stiefel putzen?" Der Fremde im Bildschirm konnte erst antworten, als das aus gelassene Gelächter der Männer verstummte. „Wir haben Sie nicht zufällig genommen. Sie sind ausgesuchte Leute. Was Sie
machen werden, bleibt zum Teil Ihnen selbst überlassen - viel leicht Atombomben." „Was, Sie beherrschen da angeblich den interstellaren Raum flug, und können nicht einmal Atomwaffen herstellen?" rief Sedg wick, und Wolff pflichtete ihm bei: „Das geht doch nicht! Glauben Sie, wir brauchen nur einander zuzunicken und beschließen: ,Morgen stellen wir eine Atombombe her'? Wenn das ginge, könn te auf der Erde faktisch jeder Staat sein eigenes Arsenal von Atomwaffen erzeugen. Das ist nicht so einfach, das verlangt eine Menge Arbeit. Die Russen und Amerikaner sind uns weit voraus. Warum haben Sie nicht bei denen eine Anleihe gemacht?" „Es geht uns gar nicht so sehr um ein paar Atombomben, meine Herren - die hätten wir ja auch aus dem Depot der irdischen Mächte stehlen oder selbst herstellen können. Es geht uns mehr um die Hilfe, die wir uns von der Jugendkraft und der Kühnheit des menschlichen Geistes erwarten! Wir erhoffen uns viel von Ihrer für uns fremdartigen Weise zu denken. Vielleicht bemerken Sie Dinge, die uns aus unserem Blickwinkel verborgen geblieben sind. Deshalb, und nur deshalb haben wir Sie geholt. Im übrigen sind Atombomben ziemlich unhandliche und - abgesehen von Volltreffern - bedeutungslose Waffen. Im All sind die ziemlich wir kungslos - keine Schockwelle, verstehen Sie - und Himmelskörper werden damit nur strahlungsverseucht und somit für den Sieger unbrauchbar gemacht. Wie gesagt, über Ihre Tätigkeit wollen wir uns später noch unterhalten." „Die Slorner kommen erst in einem Jahr, sagen Sie. - Erwarten Sie von uns, daß wir so lange ohne Frauen auskommen, oder sind sie einstweilen nur in einem anderen Raum?" rief einer der Bau arbeiter. Die anderen fünfzig Männer lachten, aber der Kimbe im Bild schirm antwortete sachlich: „Wir sind uns des Problems durchaus bewußt, und wir werden alles tun, um Ihren Aufenthalt auf Ga nymed kurzweilig zu gestalten." Der Kimbe machte eine Pause, und in die Stille hinein hörte man, wie ein Schwede seinem Nebenmann zuflüsterte: „... ich bin froh, von meiner ein Jahr lang nichts zu sehen." Sofort setzte das allgemeine Gelächter wieder ein. Der Mann im Dreieck sprach weiter, als das Lachen verstumm te. „Wir werden Ihnen die Quartiere zuweisen. Und noch einmal:
Wir freuen uns, Sie bei uns zu haben und hoffen auf gute Zu sammenarbeit." Dann verschwand das riesige Antlitz, und der Schirm erlosch. Sogleich erhob sich im Saal das Gemurmel eifriger Diskussionen. Jeder hatte etwas zu sagen. Bald erstarb das Summen der Stimmen wieder, als sich in einer Seitenwand ein mannshoher Spalt öffnete, durch den helles Licht hereinfiel. Der Spalt wurde zusehends breiter und gab den Blick auf eine erschreckend unirdische Landschaft frei. Eine runde, von Rissen durchzogene und von Löchern übersäte Ebene wurde sichtbar, in welcher der Gegensatz zwischen Licht und Schatten so scharf war, daß die Augen schmerzten. Der nahe Horizont wurde zum Teil von unverhältnismäßig hohen, fast nadelspitzen Bergen abgeschlossen. Die dunkelpurpurne Farbe des Firmaments ließ auf eine dünne Atmosphäre schließen. Trotz die ser Lufthülle waren aber neben der kleinen Sonnenscheibe alle Sterne bis hinunter zur Größe sechs zu sehen. Den Betrachtern bot sich derselbe Sternenhimmel mit denselben Konstellationen wie auf der Erde dar, nur daß hier ein anderer Stern in der Nähe des Himmelspoles stand. Der beklemmendste Anblick für die Gäste von der Erde aber war eine gigantische, gleißende Sichel, deren Spitzen von der Sonne wegwiesen: der Jupiter. Eine viel kleinere Sichel knapp darunter mochte Io oder Kallisto sein, einer der vier Großmonde. Zwischen der feindlichen, kalten Außenluft und der warmen Sauerstoffwelt der Kimbenstadt wölbte sich eine schützende Halbkugel aus durchsichtigem Material, das netzartig von Streben oder Nähten durchzogen war. Die Glocke mußte gut tausend Me ter hoch sein. Die Männer von Atomby waren von dem Anblick so gepackt, daß sie die Kimben erst bemerkten, als sie vor ihnen standen. „Die Kimben!" rief Fällgren, aber gleich wünschte er sich, den Mund gehalten zu haben, weil er nur gesagt hatte, was jeder selbst wußte. „Jetzt fehlen nur noch die Teutonen", versuchte Wolff zu scher zen, und Hulthén sagte: „Die Teutonen sind wir!" „Außerdem hießen die Leutchen Kimbern, mit r!" belehrte Sedgwick pedantisch. Die Männer verharrten in höchster Spannung. Sie trafen hier zum erstenmal auf die Vertreter eines anderen vernunftbegabten
Sternenvolkes. Daß die Fremden trotz ihrer Herkunft von einer unsagbar fernen Welt nicht anders aussahen als Schweden, be eindruckte sie mehr, als wenn es richtige Filmmonster gewesen wären, mit Saugarmen und Stielaugen. Die sechs Kimben waren von den Zehen bis zum Hals und zu den Handgelenken in ein enganliegendes, silbernschimmerndes Gewebe gekleidet; sie hatten eine kalkweiße Haut und bleiches Haar und gehörten offensichtlich dem männlichen Geschlecht an. „Ich bin Hil", sagte einer der Männer von Asterope, „und für Ihr Wohlergehen verantwortlich. Wenn einer von Ihnen Beschwerden, Fragen, Wünsche oder Anregungen hat, dann soll es mich freuen, zu Diensten zu stehen. Folgen Sie uns bitte in Ihr Wohnviertel." Die Kimben wandten sich kurzerhand zum Gehen, und die Men schen folgten ihnen. Sie gingen durch die Straßen einer Stadt, die sie an Manhattan erinnerte. Die Straßen waren unbelebt, die paar Kimben, die es gab, drehten sich nicht einmal nach den Menschen um. Vielleicht war es unter ihrer Würde, Neugierde zu zeigen. Fällgren behauptete, daß einer der Kimbenpassanten eine Frau sei, und Hulthén hänselte ihn: „Hat sie wenigstens so ausgese hen, wie die Miß Universum?" Bald gelangte die Gruppe an einen Park, in dessen Mitte sich ein Wasserteich ausdehnte. Am jenseitigen Ufer standen Kleinhäuser nach schwedischer Bauart. „Das sind ja ganz gewöhnliche Eichen und Föhren!" rief Wolff. Er war ein wenig enttäuscht - denn wenn er schon auf Ganymed war, wollte er eine öde Mondlandschaft erleben und nicht einen schwedischen Park. Hil lächelte: „Unsere Kundschafter haben nicht nur Sie, sondern auch die Landschaft beobachtet. Dieses Dorf haben wir seit Jahr zehnten vorbereitet. Sehen Sie, wie alt die Bäume schon sind." „So einen Kundschafter möchte ich gern einmal sehen. Ob ich einem auf der Erde gegenübergetreten bin?" fragte Dr. Fincher. „Im Augenblick ist von uns niemand mehr auf der Erde; die Kundschafter haben ihre Aufgabe erfüllt und kehrten zurück", klärte Hil ihn auf. „Aha, da ist es also einer, der unter uns ge wohnt hat. Sicher hielten wir ihn für einen Schweden", vermutete Fällgren. „Ich habe Skogholm im Verdacht", sagte Hulthén blinzelnd und laut genug, daß Dr. Skogholm ihn hören mußte. „Ist er nicht ge
nauso weißblond wie ein Kimbe?" Die Männer, auch Skogholm, lachten. * Die Wissenschaftler von der Erde fanden sich sehr bald mit der Tatsache ab, daß sie nicht mehr auf der Erde waren. Manche machten sich Sorgen über den Kummer der Angehörigen in Schweden - aber auch darüber kamen sie hinweg. Selbst der gleichgültigste Arbeiter unter ihnen wußte das Erlebnis eines an deren Himmelskörpers und die Begegnung mit einer fremden Zi vilisation zu schätzen. „Ich finde, daß die Kimben viel Zeit haben", sagte Fällgren bei einem Spaziergang durch die Stadt. „Jetzt sind wir schon lange genug hier, ohne einen Handgriff getan zu haben, ohne daß sie uns einwiesen." „Es wäre nicht unklug, wenn wir zu Ihnen gingen", schlug Skog holm vor, und Sedgwick pflichtete ihm bei. „Warum gehen wir nicht gleich?" sagte er und strich sich den Schnurrbart glatt. Und so begab sich die Gruppe der Bummler zu Hil. Der Kimbe saß in seinem kahlen Arbeitsraum, als hätte er auf sie gewartet. Da es bei den Kimben keine Möbel gab, setzten sich die Männer im Halbkreis zu Hil auf den Boden vor ihm. Sedgwick, Skogholm, Fällgren und Fincher hatten den Spazier gang gemacht. „Wir haben uns gründlich ausgefaulenzt", begann Sedgwick. „Die Leute brennen darauf, was Positives zu leisten." „Und da möchten, wir wissen, welche Mittel uns zur Verfügung stehen, und was wir überhaupt zu leisten vermögen", ergänzte Fincher. „Und wie steht es mit dem Krieg - darüber möchten wir alles wissen", sagte Fällgren. * Die Unterredung mit Hil hatte zur Folge, daß die Männer von Atomby beschlossen, Kernfusionsbomben herzustellen, die auch im All eine beachtliche Wirkung haben sollten. Sie arbeiteten je
nach Eignung im Labor oder im Uranbergwerk. Die Kimben hatten ihnen vorgeschlagen, vier Stunden zu arbeiten und zwanzig zu ruhen, aber die Leute von der Erde dehnten die Arbeitsperiode bald auf acht Stunden aus - teils weil sie bald Ergebnisse ihrer Arbeit sehen wollten, teils aus Langeweile. Im Übrigen fühlten sie sich kannibalisch wohl. Nichts deutete auf einen interstellaren Krieg hin. - Die ganze Beschaulichkeit des Weltalls lag über ihnen. Gelegentlich landende oder startende Hyperraum-Schiffe erinnerten sie daran, daß sie sich in einem einsamen Stützpunkt eines fremden Sternenvolkes befanden. Keiner litt an Heimweh - und wer mal Sehnsucht hatte, der gab es nicht zu. Sehr beliebt waren die Filme vom Raumkrieg, die die Kimben ihnen vorführten. Sie waren immer wieder beeindruckt von den Aufnahmen fremder Welten oder gigantischer Raumschlachten. Bald lernten sie, die hantelförmigen Kimbenschiffe von den rhom busgleichen Kriegsraumern der Slornu zu unterscheiden. „Ist dir aufgefallen, daß bei den Raumschlachten die Verluste auf beiden Seiten erstaunlich gering sind?" sagte Fällgren, als er einmal in der Freizeit mit Wolff am Teich saß. Nacht lag über der Kimbenstadt, denn die Sonne war längst un tergegangen. Aber die Nacht wurde gespenstisch erhellt von der vollen Jupiterscheibe, die überm Horizont im Süden stand. „Vielleicht sind die Schiffe ziemlich unverwundbar - oder die Abwehrwaffen zu gut für die Angriffswaffen.", gab Wolff zu be denken. „Na, was ist denn das für ein Krieg? Ritter mit Panzern und oh ne Schwerter!" „Mir ist aufgefallen, daß die Gefechtsentfernung recht erheblich ist. Aber wir beide verstehen wohl nichts von einem interstellaren Krieg mit jahrtausendealter Tradition. Außerdem sind uns Kimben sowie Slornu technisch eindeutig überlegen, und wir wissen auch nicht, welche Art von Waffen sie verwenden", bemerkte Wolff. „Stimmt, enorme Gefechtsentfernung. Es müssen Hunderte von Kilometern zwischen den feindlichen Formationen liegen - und auf solche Entfernungen ist schwer zu schießen. Wenn zwei solche Flotten aufeinander zurasen, dann scheint es mir darum zu ge hen, wer die stärkeren Nerven hat. Der mit den schwächeren weicht aus und haut ab. Das erinnert mich an einen Film über verwahrloste amerikanische Jugendliche, die sporthalber mit Au
tos aufeinander losfuhren." Fällgren tunkte seine Füße ins Wasser und rieb sie dann trocken, bevor er in die Schuhe schlüpfte. „Ja. Und eine Schlacht sieht aus wie die andere. Keine Abwech slung, keine neue Taktik", sägte Wolff. „Ich habe überhaupt den Eindruck, daß die Kimben - und wahrscheinlich auch die Slornu eine erstarrte Zivilisation besitzen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Krieg vor zweitausend Jahren wesentlich anders aus gesehen hat als heute. Aber ich kann mich natürlich gründlich irren." „Vielleicht ist es eine Vermenschlichung, eine unerlaubte Um deutung, wenn man annimmt, daß sich die Kriegstechnik im Laufe der Zeit immer wieder grundlegend ändern muß. Nur weil bei uns auf der Erde sehr viel geschehen ist zwischen den Punischen und den Weltkriegen - vielleicht dürfen wir irdische Verhältnisse nicht in den Weltraum übertragen." „Na, auf die Art werden sie dann Ihren Krieg überhaupt nie zu einer Entscheidung bringen. Aber uns kann das gleich sein." Wolff zog ebenfalls seine Schuhe an, und beide wandten sich heim wärts. Die Agentin Wolff ging am häufigsten von allen Beutekimben - wie sich die Männer von Atomby selbst nannten - an den Teich baden. Als er wieder einmal allein am Wasser saß, bemerkte er, wie jemand am jenseitigen Ufer ins Wasser glitt. Der Fremde tauchte unter, und Wolff hatte ihn bereits vergessen, als er in den Fluten zu seinen Füßen eine Bewegung gewahrte und eine Frau auftauchte. „Signe - bist du das?" rief er überrascht. „Ja, Signe!" sagte sie und lächelte. Das Lächeln wirkte halb ver legen, halb schelmisch. „Bei meiner Geburt erhielt ich zwar den Namen Swi, aber mit Signe verbinde ich die schönsten Erinnerun gen meines Lebens." „Du - du bist gar keine Schwedin? Das hätte ich mir nie ge dacht. Ich weiß doch zuverlässig, daß du eine normale, echte Frau bist. Deine Anatomie ist einwandfrei menschlich!" „Einige Unterschiede gibt es", meinte Swi. „Wir haben, wenn es sein muß, eine Kiemenatmung zur Verfügung." Sie lachte schelmisch, griff ins Wasser und benetzte sich den Hals - einige rote Ritzen öffneten sich kurz.
„Signe! Das erklärt mir vieles. An der Riviera damals habe ich dich einmal unter Wasser mit den Kiemen gesehen. Aber später fand ich keine Spur einer Hautöffnung, und da dachte ich, es sei eine Täuschung gewesen." „In der Luft schließen sich die Kiemen spurlos." „Jetzt wird mir vieles klar. Jetzt wird mir fast alles klar", sagte er, um das verlegene Schweigen zu brechen. „Die Menschen sind eben nur heruntergekommene Reptile, wäh rend wir hochentwickelte Amphibien sind", erklärte Swi schel misch. Wolff lachte und stieß sie ins Wasser - wie er es von der Erde her gewohnt war. Sie beschlossen heimzugehen, um sich anzuziehen, und sie ver abredeten ein Stelldichein. „Sie haben einen gefangenen Slornu gebracht, den wollen wir uns anschauen!" sagte Swi beim Abschied, dann glitt sie zurück ins Wasser. Wolff eilte auf sein Zimmer. Die Knie schienen aus Gelee zu sein, als er vor dem Spiegel stand und einen Dreitagebart ent fernte. Er liebte Signe, und die Tatsache, daß sie keine Schwedin, sondern eine unerreichbare Frau aus den unauslotbaren Tiefen des Alls war, vergrößerte seine Sehnsucht zu einer Selbstbemit leidung, die ihn zugleich schmerzte und beglückte. Swi war ganz nach der Art der Kimben gekleidet, als er sie wie dersah. Die strenge, schmucklose Montur betonte jedoch die zier lichen Formen ihres Körpers. Swi führte Wolff durch Straßen, die er noch nie betreten hatte; schließlich gingen sie in ein breites Gebäude am Ende der Stadt. In dem Raum, in welchem sich der Slornu aufhielt - vielmehr ge zwungen war, sich aufzuhalten - hatten sich noch einige Kimben beiderlei Geschlechts versammelt. In der Mitte des Raumes ragte ein gewaltiger Glaszylinder auf, der von einem dünnen grünlichen Nebel erfüllt war. Im Innern des Zylinders befand sich ein Schwimmbecken, das fast die halbe Grundfläche einnahm und mit einer trüben Flüssigkeit gefüllt war. Halb in der Flüssigkeit versenkt und halb auf dem trockenen Bo den ruhte die flache, breite Gestalt eines Slornu. Er war fast zwei Meter breit und mochte gut sechs Meter lang sein. Seine bräunli che, warzige Haut war mit einem durchsichtigen Schleim bedeckt, und sie schillerte, sooft der Slornu sich bewegte. Das, was die Mundöffnung sein mochte, war von mehreren fleischigen Fingern
umgeben; Augen schien das Wesen aus dem Sternbild der Waage nicht zu besitzen. Der Slornu erinnerte Wolff an einen Leberegel, den er einmal in einem Biologiebuch abgebildet gesehen hatte. „Das ist doch ein Tier!" hauchte Wolff, und Swi antwortete nach einiger Zeit: „Tiere sind wir alle - nur eben denkende Tiere." „So ein ausgewachsener Plattwurm soll denken können?" zwei felte Wolff wider sein besseres Wissen. „Wie kann so ein Geschöpf den interstellaren Raumflug beherrschen und sogar imstande sein, den stolzen Kimben einen jahrtausendelangen Krieg zu lie fern, ja sie zu besiegen?" „Du darfst keine Vorurteile wegen der Körperbeschaffenheit ha ben, Henrik." „Aber hier gibt es die Kimben und die Menschen, einander zum Verwechseln ähnlich - und dort die Slornu, niemanden ähnlich." „Außer Menschen, Kimben und Slornu gibt es in dem uns be kannten Teil der Milchstraße noch vier Arten vernunftbegabter Planetenbewohner - und die sind alle sehr verschieden. Wahr scheinlich ist es ein einmaliger Zufall, der in jeder Galaxis nur einmal vorkommt, daß zwei Rassen einander so ähnlich sind, daß zwischen ihnen sogar - Liebe möglich ist. Oder vielleicht ist die menschliche Gestalt ziemlich verbreitet, weil sie sehr zweckent sprechend ist. Wir wissen es nicht." Wie bei einem Wurm lief eine Verdickung durch den Leib des Slornu, der langsam aufs Trockene kroch. Wolff fühlte einen Brechreiz in der Kehle. „Ein Kriegsgefangener, der aussieht, wie eine Tiergartenattrak tion!" sagte er. „Was wird mit ihm geschehen?" „Wir werden versuchen, seine Sprache zu lernen. Sprache im weitesten Sinn, heißt das. Irgendeine müssen sie ja haben, sonst wären sie technisch noch nicht so weit fortgeschritten." „Habt ihr denn immer noch keine Ahnung, wie die Slornu sich miteinander verständigen? Na, ist ja auch kein Wunder - wie soll man denn mit Plattwürmern auf eine gemeinsame Basis kom men." „Es dürfte eine Verständigung mit elektrischen Wellen sein. Die Slornu sind blind - zumindest farbenblind - und auf jeden Fall stumm und taub. Sie besitzen andere Sinne, die uns fehlen. Aber mehr weiß ich auch nicht." Wolff und Swi wandten sich zum Gehen. Sie suchten das Unter haltungs- und Erholungszentrum auf, das die Kimben zwar nur für
sich geschaffen hatten, das aber auch den Menschen etwas bot. Sogar die Musik war für irdische Ohren als solche erkennbar Wolff empfand sie jedoch als melodienarmes Geleier. Die beiden vergnügten sich wie Kinder mit allerlei Spielen. Au ßer Wolff waren auch noch einige Schweden hier, die anscheinend schon gesellschaftlichen Anschluß gefunden hatten: Jeder hatte ein Kimbenmädchen bei sich. Und die Paare unterhielten sich glänzend - trotz der Sprachschwierigkeiten. Bei dem Spaziergang entlang der großen Plastikkuppel versuch ten sie, die einzelnen Sterne und Monde zu benennen. Von den Jupitermonden erkannten Sie Kallisto, VI, VIII und XI. Das wei taus hellste Gestirn war der Saturn, der sich gerade in Opposition befand. Uranus war in Konjunktion und daher unsichtbar, auch Neptun sah man nicht. Am Teich trennten sich Swi und Wolff mit einem Kuß. „Wie ge dankenlos von uns", sagte sie. „Ich werde veranlassen, daß auch die anderen Frauen zu eurem Teich baden gehen. Ihr habt doch nichts dagegen?" Sie hatten nichts dagegen - im Gegenteil, die Männer von der Erde gingen noch lieber baden, seit ihr Teich auch von Kimbinnen aufgesucht wurde. Der Kriegsgefangene Allen Männern der Erde war der gefangene Slornu längst ein ver trautes Bild, als Dr. Sedgwick einige seiner Kollegen zu sich lud. „Wir müssen zumindest den Versuch unternehmen, die Sprache des gefangenen Slornu zu enträtseln. Für uns wird die Aufgabe doppelt schwer sein, denn wir sind keine Sprachgelehrten, son dern nur ganz simple Atomphysiker. War vielleicht jemand in sei ner Militärzeit bei der Nachrichtenabteilung?" Niemand war bei der Nachrichtentruppe gewesen. „Nun, ich war im letzten Weltkrieg dabei, und ich mußte mich öfters mit der Dechiffrierung deutscher Funksprüche abmühen. Vielleicht wird uns das ein wenig helfen", sagte der lange Profes sor aus Oxford. „Viel Informationen haben mir die Kimben auch nicht geben können. Ein Slornu ist taub und stumm, sagen sie. Unser Auge ist lichtempfindlich, und Licht ist eine Art von Energie. Statt der Augen sollen nun die Slornu Sinnesorgane besitzen, die nicht Energie, sondern Masse registrieren. Auf diese Weise ge
wahren sie nicht nur Größe, Form, Richtung und Entfernung eines Objektes, sondern auch sein Inneres. Für einen Slornu ist prak tisch alles durchsichtig. Allerdings ist ihm dafür der Begriff der Farbe völlig fremd. Über weitere Sinnesorgane, die ein Slornu zweifellos besitzt, sind sich die Kimben noch sehr im Unklaren." „Das ist alles sehr interessant, Doktor Sedgwick", sagte Fäll gren, „aber was versprechen Sie sich davon, wenn Sie sich nie mit einem Slornu über das Wetter von England unterhalten kön nen?" Der Engländer überhörte den ironischen Unterton und erklärte: „Vielleicht können wir als neutrale und unbeteiligte Dritte Unter händler für beide Parteien stellen. Wenn wir dem langwierigen Krieg ein Ende bereiten könnten, wäre unsere Mission erfüllt. Vielleicht ist das sogar der Beitrag, den sich die Kimben von uns erhoffen." Fincher und Wolff pflichteten Sedgwick bei. Lediglich Fällgren war skeptisch. „Ich bezweifle, daß so ein Riesenmollusk über haupt mit sich reden läßt. Und wenn es uns möglich sein sollte, seine Sprache zu lernen - wie sie auch sein mag - wie können wir das unendliche Mißtrauen überbrücken, das zwischen so grund verschiedenen Geschöpfen herrschen muß?" „Deine Einwände sind richtig, aber das ist kein Grund für uns, die Arbeit aus der Hand zu legen, bevor wir sie überhaupt begon nen haben", sagte Wolff. Er war überzeugt, daß der Beitrag, den die Menschen liefern konnten, eben die Entdeckung der „Slor nusprache" und eine Friedensvermittlung war. * Die vier Männer vom Sprachenkomitee gingen in der Begleitung von Hil und Swi zu dem Gebäude, in dem der Gefangene lag. Das erste Experiment, das sie vorhatten, bestand darin, daß die bei den Kimben allein zum Zylinder traten und durch die Futter schleuse ein Tablett mit weichem Plastikmaterial schoben. Die Männer blieben vor dem Haus, um sich nicht der Aufmerksamkeit des Slornu aufzudrängen. „Ich kann mir nicht helfen, aber ich komme mir ein wenig kin disch vor", sagte Fällgren. „Was wäre, wenn das ganze nur eine große Komödie der Kimben ist? Die Kriegsfilme können Trickfilme
sein. Der Slornu ist vielleicht ein Leihstück aus einem interstella ren Zoo - mit der Intelligenz eines Regenwurmes." „Und was soll ten die Kimben mit dieser Komödie bezwecken?" entgegnete Fin cher. „Ich glaube eher, daß sie wenig Sinn für Humor haben." „Oh, sagen Sie das nicht!" warf Wolff ein. „Humor Ist immer ein Merkmal für Intelligenz, und ich muß sagen, daß Fräulein Swi ein Ausbund von Schabernack und Schelmerei ist." „Ein herkömmliches Tier ist der Slornu auf keinen Fall. Er atmet ja tatsächlich Schwefel-Chlor", fügte Sedgwick hinzu. „Ich will allerdings zugeben, daß wir dazu neigen, den Kimben kritiklos alles zu glauben. Dennoch halte ich es nicht für ratsam, an der Tatsache des interstellaren Krieges zwischen Kimben und Slornu zu zweifeln." Hil und Swi kamen zurück. „Er hat von uns gar keine Notiz ge nommen", sagte das Mädchen. „Entweder hält er es unter seiner Würde, auf unsere Ideen einzugehen, oder er begreift unsere Ab sicht nicht." Diesmal gingen die Männer mit zum Zylinder. Wolff formte aus der Plastikmasse sechs annähernd menschenähnliche Figürchen sowie die Nachbildung eines Slornu. Wieder wurde das Tablett automatisch in das Innere des Zylin ders befördert. Sechs Augenpaare beobachteten gespannt den regungslos halb in der Flüssigkeit hängenden Riesenmollusken. Bereits nach kurzer Zeit setzte sich der Slornu in Bewegung. Während er die untere Körperhälfte im Schwimmbecken ließ, schwang er die obere auf das Tablett zu. Das augenlose Kopfende mit den vielen Fingern senkte sich zitternd, und plötzlich ergriff der Slornu alle Figürchen und die noch ungebrauchte Plastikmas se gleichzeitig. Einen Augenblick später ließ er sie wieder auf das Tablett fallen, und dann wälzte er sich wieder weg, um schließlich in der Stellung zu verharren, die er eingenommen hatte, als die vier Männer eintraten. Der Schleusenmechanismus beförderte das Tablett wieder nach außen. Gespannt beugten sich Menschen und Kimben darüber und versuchten, Änderungen festzustellen. Die auffallendste war, daß der Slornu aus der restlichen Plas tikmasse ein Dutzend Slornu modelliert hatte. Eine andere Ände rung entdeckte Wolff als erster. Er lachte laut auf.
„Der Kerl hat tatsächlich einen Röntgenblick. Aus unseren sechs neutralen Figuren hat er fünf Männchen und ein Weibchen ge macht!" Eine weitere Änderung stellte Swi fest: „Er hat die Figuren auch nach Kimben und Menschen unterschieden." „Inwiefern?" Sedgwick konnte nichts entdecken. „Drei Strichpaare am Hals", sagte Wolff. „Jetzt glaube ich alles", nickte Fällgren bedächtig. „Wenn er mit seinen Körperorganen solche Filigranarbeit leisten kann, dann ist er auch imstande, Werkzeuge herzustellen und ein Raumschiff zu konstruieren." „Was soll dieses Dutzend Slornu bedeuten?" fragte Hil, ohne ei ne Antwort zu erwarten. „Das bedeutet nur, daß ihm das Material ausgegangen ist, noch mehr Slornu zu bilden", antwortete Fincher. „Ich glaube, die An zahl der Slornubildnisse hat nichts zu sagen." „Das glaube ich auch", sagte Wolff. Fällgren kam mit einer Erklärung für die Vielzahl der Slornufigu ren: „Er meint auf jeden Fall Slornu damit, das ist sonnenklar. Wahrscheinlich will er damit sagen, daß er sich nach Slornugesell schaft sehnt, daß er entweder zu den Seinen zurück oder andere Slornu bei sich haben will." „Das leuchtet mir sehr ein", bestätigte Hil. „Die Slornu sind aus gesprochene Herdenwesen. Der einzelne zählt nicht - die Ge meinschaft ist alles." Wolff formte indessen aus einem Teil der Slornufiguren drei Kü gelchen, die er in einer Linie auf das Tablett legte. Zum ersten gab er die beiden Kimbenfiguren, zum mittleren die vier Men schenbildnisse und zum dritten die Slornumodelle. Das ganze Tablett schleuste er wieder ins Innere des Zylinders. „Er hat er kannt, daß wir uns von den Kimben unterscheiden - jetzt möchte ich sehen, ob er begreift, daß wir von einem Planeten stammen, der genau in der Mitte zwischen Asterope und Psi Librae liegt." Die Reaktion des Slornu war verblüffend: Die neun Slornumo delle verteilte er zu gleichen Teilen, je drei, auf die drei Planeten. Die zwei Kimbenfiguren zerfitzelte er in winzige Stückchen, und die vier Erdmännchen legte er an den Rand des Tabletts. „Ist das Hochmut oder angeborene Ehrlichkeit?" wandte sich Fincher an Hil. „Damit will er doch sagen, daß die Slornu jeden verfügbaren Planeten für sich haben wollen."
„Das werden wir wohl nie entscheiden können", meinte Hil. „Vielleicht ist es überhaupt falsch, menschliche Reaktionen und Verhaltensweisen von einem Slornu zu erwarten. Mich überrascht allein schon, daß der Gefangene auf unsere Ideen eingeht. Bisher hat noch kein Slornu ein Interesse gezeigt, sich mit uns zu ver ständigen." „Ihm ist sicher verteufelt langweilig geworden", sagte Fällgren. „Aber den Begriff Feindschaft kennt er: Die Kimbenmodelle hat er zerstört", sagte Wolff. „Was er allerdings mit uns vorhat, kann ich mir nicht denken." Ein Blick zurück Die Männer von Atomby hatten bald einen Spitznamen für den Slornu im riesigen Glasgefängnis: Jonathan der Kleine. Nachdem Wolff entdeckt hatte, daß Jonathan auch Geschriebenes wahr nehmen konnte - nicht etwa wegen des Kontrastes zum weißen Papier, sondern weil auch ein Bleistiftstrich Masse hat - kam nach und nach eine Zeichenschrift zustande, und bald war ein einfa cher Gedankenaustausch möglich. Auch die psychologischen Tests wurden fortgesetzt, und Jona than bewies, daß er Humor hatte. Er antwortete mit Tests, an deren Lösung das ganze Sprachenkomitee mehrere Freizeitperio den lang arbeitete. Ihr Hauptaugenmerk richteten die Männer noch immer auf die Herstellung von Fusionsbomben. Die erste gelungene Testexplosi on im All feierten die Männer mit hausgemachtem Aquavit, und es gab nach diesem Erfolg die ersten betrunkenen Schweden auf Ganymed. * Ganymed umkreist seinen Planeten einmal in sieben Erdtagen; genauso lang ist auch sein Tag, da er dem Jupiter stets eine Seite zuwendet. Es war eines Ganymedmorgens - die Sonne kroch sehr langsam am Osthimmel empor, und die gewaltige Halbscheibe des Jupiter hing unverrückbar wie immer am Südhimmel -, als Swi Wolff zum astronomischen Observatorium mitnahm. Sie setzten sich in ein
panzerähnliches, hermetisch verschlossenes Gefährt und ließen sich durch eines der Tore in der Riesenglocke auf die freie Land schaft hinausschleusen. Swi folgte einer ausgefahrenen Spur, hinter ihrem Wagen wirbelten Staubwolken in die Höhe, die lange ruhig verharrten und sich nur sehr träge wieder senkten. Bald ging der Weg bergan. Wolff drehte sich um und blickte hi nunter in die Wallebene. Dort strebten die Bauten der Kimbens tadt gegen den Himmel, und sie waren alle überdacht von der gigantischen Glaskuppel. Es sah aus, als sei aus dem Tal eine unermeßliche Seifenblase aufgestiegen und wäre auf halbem We ge eingefroren. „Seit wann besteht dieser Vorposten eigentlich?" fragte Wolff, und er wunderte sich insgeheim, daß er sich das nicht schon längst gefragt hatte. „Erst seit... laß mich nachdenken - erst seit der ersten Amerikafahrt eines weißen Menschen", sagte Swi. „Also knapp sechshundert Jahre, Erdjahre natürlich." „Nicht Kolumbus - Leif Erikson, der Wikinger! Das war im Jahre 999. - Ihr habt überhaupt eine sonderbare Methode, eure Jahre zu zählen. Die Menschheit ist auch nicht mehr die jüngste, aber in eurer Zeitrechnung seid ihr noch nicht einmal bei 2000." „Nun, Christus, der als Mensch das Gesicht der Welt wie kein anderer vor oder nach ihm geprägt hat, ist eben nicht früher auf der Welt gewesen. Was hätte es außerdem für einen Sinn, das Jahr Null in die ereignislose Urzeit zu verlegen. Echte Wissen schaft gibt es auf der Erde auch erst seit den alten Griechen. Wie zählt man denn auf eurem Asterope-Planeten die Jahre?" „Bei uns zu Hause dauert ein Jahr vierzehn Erdmonate, und wir schreiben jetzt das Jahr... warte, wir haben das Zwölfersystem wir schreiben jetzt ungefähr 837 000." „Was, das hast du im Kopf gerechnet, vom Zwölfer aufs Zeh nersystem? Und so schnell?" „Das ist doch nicht schwer - versuch es selbst!" lächelte sie. „Du kannst recht haben", sagte Wolff, aber er war zu bequem, im Kopf Zahlen zu jonglieren, die Landschaft nahm seine Auf merksamkeit zu sehr gefangen. Auf dem Kamm des Ringwalls bot sich ein neuer Horizont dem Blick dar. Zwei kleine Plastikkuppeln, eine links nahe einer schroffen Bergkette und eine am südlichen Horizont, erhoben sich aus der
Wüste und spiegelten kleine Sonnenreflexe wider. Swi hielt auf die fernere zu. „Habt ihr in unserem Planetensystem noch andere Stützpunkte so wie Ganymed?" wollte Wolff wissen. „Nein - nur auf diesem Satelliten haben wir militärische und wissenschaftliche Stationen. Unbemannte Robotmelder stehen noch auf dem Neptunmond Triton, auf dem Uranusmond Ariel und auf dem Saturnbegleiter Hyperion." „Warum nur auf den Monden? Warum nicht auf den Hauptplane ten?" „Dumme Frage! Auf den kleinen Monden gibt es kein Wetter und sie reichen für unsere Bauwerke aus. Außerdem wäre die Anzie hungskraft der Riesenplaneten unerträglich." „Natürlich, das hätte ich mir selbst denken können. Und was melden diese Roboter?" „Eine ganze Menge. Unter anderem künstliche Flugobjekte, die sie auf eine Entfernung von vielen Millionen Kilometern orten können. Dann sind sie auch eine Art Leuchtfeuer für versprengte Kimbenschiffe, die den Kurs verloren haben." „Verlieren interstellare Raumer oft den Kurs?" „Bis jetzt noch nie." Die noch immer tief im Osten stehende Sonne bewirkte, daß je de Bodenunebenheit lange, tiefschwarze Schlagschatten warf. Wolff schätzte, daß der Schatten, den Swis Raupengefährt über die Ebene tanzen ließ, 800 Meter lang war. Rechts von ihnen glitt er gespenstisch über den grellbeleuchteten Boden. „Du, wie sehen die vier anderen euch bekannten Arten aus? Das wollte ich dich schon immer fragen", rief Wolff, und war froh, daß er sich endlich überwunden hatte, Swi das zu fragen. „Nun, da gibt es die Kwerik!" „Ach ja, die aus der Bibel - die der Prophet Ezechiel für Engel gehalten hat." „Sie sind vierseitig gebaut. Deshalb brauchen sie sich beim Ge hen nicht umzuwenden. Für sie ist jede Richtung vorwärts. Flie gen können sie allerdings nicht, und daß sie je ein Menschen-, ein Ochsen-, ein Löwen- und ein Adlergesicht hätten, ist auch leicht übertrieben. - Die Kwerik können sich mit jedem sofort telepa thisch verständigen und sie sind herrliche Witzbolde - die Clowns des Weltalls. Sie sind sehr neugierig und völlig unkriegerisch. Die Raumschiffe, in denen sie überall umhergondeln, habt ihr früher mal beobachtet und als Untertassen bezeichnet, Schon der alte
Prophet hat diese Fahrzeuge recht nett mit ,Rad in der Mitte eines Rades' beschrieben. Vom interstellaren Ursprung dieser Schiffe hatte er natürlich keinerlei Ahnung. Alles, was er sah, legte er theologisch aus." „Sie wissen von eurem Krieg, und ihr laßt sie trotzdem unge hindert herumschaukeln?" fragte Wolff. „Natürlich. Das All ist groß genug und gehört jedem. Kwerik, Slornu und Kimben haben unabhängig voneinander den interstel laren Raumflug entdeckt - die Menschen sind gerade daran, sich interplanetarisch auszudehnen, aber die drei anderen uns be kannten intelligenten Rassen haben überhaupt kein Interesse für den Weltraum - sie können es sich gar nicht vorstellen, daß je mand die Welt verlassen will, zu der er gehört." „Und wie sehen sie aus?" „Die Laral - vom Sirius - sehen aus wie riesige Paviane. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist Philosophie und Lyrik. Jeder Laral ist ein Genie." „Interessant! Und?" „Die Siwarai erinnern an irdische Insekten - Ameisen oder Heu schrecken, aber sie sind im Durchschnitt neun Meter hoch. Zum Unterschied von den Laral sind sie ständig auf ihrem Planeten unterwegs, immer beschäftigt und sehr nervös. Sie sind ausge zeichnete Ingenieure. Und dann gibt es noch die Ubu - die haben Gesichter wie Blumen, wie Seerosen, ihre Körper sehen eher aus wie Tintenfische auf dem Trockenen. Ich werde dir Bilder von die sen Leutchen zeigen." „Und was ist die Hauptbeschäftigung der Ubu?" „Tanzen und spielen. Zumindest haben wir den Eindruck." „Wo sind Siwarai und Ubu beheimatet?" „Die Siwarai auf dem zweiten Planeten einer winzigen Sonne im Sternbild der Leier und die Ubu auf dem größten Mond des achten Spikaplaneten, in der Jungfrau." Das äußere Schleusentor der Sternwarte öffnete sich selbsttä tig, als der Raupenwagen darauf zuhielt. Das Kimbenpaar, das die Station bemannte, schien die Besu cher schon erwartet zu haben. Die Frau war es, die Swi und Wolff von Gerät zu Gerät führte. Neben einfachen Spiegelfernrohren besaß die Warte auch Fern sichtgeräte, die in ihrer Funktionsweise auf der Erde unbekannt waren.
Im Fernrohr war die Erde als schmale Sichel mit kaum merkli cher Oberflächenzeichnung zu sehen. Zu seiner Überraschung stellte Wolff fest, daß es ihn kalt ließ, die Erde als fernen Planeten durch ein Teleskop zu betrachten. Verstandesmäßig sagte er sich, daß ihm Fauna und Flora dieses Planeten bekannt seien, daß Meere den größeren Teil der Oberfläche bedeckten, und daß er selbst von dort stammte. Das war alles so selbstverständlich und unfaßbar zugleich, daß Wolff ziemlich gleichmütig in das Okular blickte. Interessiert beobachtete er die Halbscheibe des Mars mit seinen rostroten Wüsten, seinen blaugrünen Tiefebenen - die, wie Swi ihm versicherte, Savannen waren - und die haarfeinen Kanäle. Sie zeigte Wolff noch den Saturn und zuletzt ein Stück von der Oberfläche des Jupiters. Wolff deutete das, was er sah, als bro delnde Wolkenmeere und halbverglühte Lavafelder. „Natürlich - da würde eine Robotstation nicht lange heil blei ben", meinte er. „Das sieht aus wie die Hölle." Bei der Rückfahrt stoppte Swi das Fahrzeug mitten in der Wüs te. Sie blickte Wolff eine Weile in die Augen, und dann seufzte sie. „Sag es mir, wenn dich was bedrückt", bat er. Swi lächelte. „Habe ich dir schon einmal gesagt, daß ich dich liebe?" fragte sie sachlich, und Wolff sagte: „Nein, Swi, bestimmt nicht." Für Wolff waren Swi und Signe zwei verschiedene Frauen. Wenn er Swi sagte, meinte er die Kimbenspionin, die Frau von einem anderen Planeten, die Angehörige einer überlegenen Zivilisation, die einen Krieg führte. Signe aber war das wunderbare Mädchen, das mit ihm an der Riviera gewesen war Und das er liebte - ein Mädchen vom schwedischen Norrland. Swi und Signe hatten wohl den Leib und das Lachen und den natürlichen Parfümduft gemein sam - Wolff konnte sich aber nicht daran gewöhnen, beide als ein und dieselbe Person zu betrachten. „Dann sollst du es jetzt wissen: Ich liebe dich!" Sie sagte es mit einem so sachlichen Tonfall, als hätte sie gesagt: „Unser Fahr zeug fährt auf zwei Raupen." „Wer liebt mich - die Schwedin Signe Nilsson oder die Spionin Swi?" „Ist das wirklich so schwer zu erraten?" lächelte sie neckisch. Sie musterte die stumme, bizarre Landschaft des Trabanten, und
nach einer Weile sagte sie ernst: „Es wird Swi sein, die dich liebt; die Schwedin Signe Nilsson gibt es nur in deiner Vorstellung." Wolff war nicht romantisch gestimmt. „Swi, das große Mädchen Swi. Sie hat sich in die Signe verwandelt, und dann hat sie mich und fünfzig meiner Kameraden geraubt - wie eine gierige Göttin." „Vielleicht bin ich die Liebesgöttin Freya aus Asgard, die hat ja die Hälfte der gefallenen Helden bekommen und Odin nur fünfzig Prozent überlassen." Sie lachten. Der Wagen hielt auf die mächtige Plastikkuppel der Kimbenstadt zu und wirbelte eine träge gelbe Staubwolke auf. Kriegsbericht Skogholm, Wolff und Hulthén hatten sich bei Hil anmelden lassen; sie wollten die letzten Einzelheiten über den Fortgang des Krieges wissen. Hil machte wie immer einen entgegenkommenden Ein druck, und er sagte offensichtlich alles, was er wußte. „Wir kämp fen augenblicklich auf neunzehn verschiedenen Kriegsschauplät zen auf allen möglichen Planeten der Galaxis. Die Kampfhandlun gen im Raumgebiet Sol - wir nennen es so, weil diese Sonne die ser Front am nächsten ist - bestehen aus hinhaltenden Gefechten mit planmäßiger Absetzung vom Feind. Die Solfront verläuft in der Richtung auf das Sternbild Skorpion hin." „Weshalb hinhaltend?" unterbrach ihn Hulthén. „Warum nicht gleich kurzen Prozeß mit dem Feind machen oder abhauen, daß er mit der Verfolgung nicht nachkommt?" „Sol liegt ziemlich genau auf der Linie Siebengestirn - Waage Skorpion. Sich hier einfach zurückzuziehen, hieße den Feind nä her an unseren Heimatplaneten und an die von Kimben bewohn ten Planeten heranzulassen. Wir ziehen uns seitwärts zurück, wenn es die höhere Strategie erfordert, aber nie in Richtung Aste rope. Der Slornu darf unserem Reich keine Lichtstunde näher kommen", erklärte Hil. „Wenn die Solfront genau zwischen beiden Reichen liegt, und wenn hier der Feind droht, geradewegs auf Asterope zuzufliegen wenn auch nur einen winzigen Bruchteil der Gesamtentfernung warum begegnet man ihm nicht mit einer geballten Streitmacht, um ihn in diesem Raumgebiet aufzureiben?" wollte Skogholm wis sen.
„Soweit ich Einblick in die Sache habe, ziehen wir von allen Kriegsschauplätzen soviel wie möglich an Streitkräften ab, um dann einen übermächtigen Angriff auf Psi Librae selbst vorzutra gen. Damit erledigen sich alle diese Verteidigungsscharmützel von selbst, denn die Slornu werden gezwungen sein, alle Raum truppen abzuberufen, um ihre engere Heimat zu verteidigen." „Wenn sie aber keinen Wert auf ihre Heimat legen? So ein Slor nu macht mir nicht den Eindruck, daß er über seine Heimat sen timental wird. Die besitzen ja noch so viele Planeten", gab Wolff zu bedenken. „Und was, wenn sich die Slornu nicht bluffen lassen - wenn der Feind seine Raumtruppen nicht abberuft und seinerseits einen geballten Angriff auf Asterope startet? Dann kehren zwei siegrei che Geschwader nach Hause, nur um statt des Zuhause einen verkohlten Planeten vorzufinden", fügte Hulthén hinzu. Hil sagte nur: „Tatsächlich - sehr scharfsinnig. Ich werde diese Bedenken dem Imperialrat übermitteln." „Außer auf Psi Librae und der Erde haben die Kimben noch auf einigen anderen Planeten denkende Arten angetroffen. Warum bildet ihr mit ihnen nicht ein Schutzbündnis gegen den gemein samen Feind, oder zieht sie zumindest - so wie uns - zur Mitarbeit heran, wobei sie ihre besonderen Fähigkeiten zur Geltung bringen können?" schlug Skogholm vor. Bevor Hil antworten konnte, warf Hulthén dazwischen: „Richtet sich die Feindseligkeit der Slornu nur gegen die Kimben, oder gegen alles, was nicht Slornu ist?" „Die Slornu sind uns nicht feindlich gesinnt, weil wir die Kimben sind, sondern weil wir uns gegen ihre gewaltsame Expansion ge stemmt haben. Die Slornu bemächtigen sich jedes Planeten, der eine Lufthülle hat, ob er nun herrenlos, kimbisch oder die Heimat einer unbeteiligten Rasse ist. Die erwähnten Sternvölker sind je doch absolut kriegsuntauglich - von ihrer Geisteshaltung her -, und daher besitzen sie auch keine hochentwickelte materielle Zi vilisation. Außerdem widerstrebt es uns, Unbeteiligte mit in einen Krieg zu verwickeln. Auch wir können uns nicht an den Krieg ge wöhnen, obwohl er schon längst da war, bevor wir geboren wur den. Wir sind eine alte Zivilisation. Wir kämpfen nur, um uns un serer Haut zu wehren." „Dann haben also die Slornu angefangen?" fragte Wolff.
Hil erklärte: „Mit den Kampfhandlungen nicht. Der Anlaß des Krieges war, daß die Slornu eine Kimbenkolonie im Sternbild des Schützen vergasten. Vorher hatten sie schon ein ganzes Sternen volk ausgerottet. Ich mache den Slornu keinen Vorwurf; sie ha ben den natürlichen, angeborenen Drang, sich überall auszubrei ten, und sie erscheinen daher rücksichtslos und egoistisch. Unte reinander sind sie völlig selbstlos, einer ist für alle da, und das macht sie so gefährlich. Aber eigentliche kriegerische Naturen mit der Freude am zwecklosen Vernichten sind auch sie nicht." „Niemand will kriegerisch sein, aber der Krieg hört nicht auf. Wer ist denn dann überhaupt kriegerisch?" seufzte Hulthén, und er war erstaunt, daß Hil diese rhetorische Frage direkt beantwor tete: „Die Menschen sind kriegerisch, sie haben eine Freude am Aufbauen und Vernichten; es ist eine kindliche, jungenhafte Freu de. Die allesverseuchenden Atomversuche auf der Erde werden in Wirklichkeit nur deshalb immer wieder fortgesetzt, weil auch die reifsten und nüchternsten Wissenschaftler es gerne knallen hören und weil die makabre Schönheit eines Atompilzes sie entzückt. Nur Menschen sind befähigt, aus eigenem Antrieb tapfer oder feige zu sein - das ergibt sich aus ihrem Charakter." „Hm, sehr interessant, zu hören, was andere von uns denken", meinte Wolff. „Wie lange dauert es noch, bis der geballte Angriff auf Psi Librae beginnt?" „Mindestens fünfzig Jahre, Erdzeit." „Was, so lange? Warum laßt ihr euch für alles so lange Zeit?" fragte Wolff, und er bedauerte gleich darauf, seinen Unmut nicht besser beherrscht zu haben. „Bis dahin hat sich die Menschheit schon längst auf Schwefel Chlor-Atmung umstellen müssen", sagte Skogholm gleichmütig. „Wie geht eigentlich so ein hinhaltendes Rückzugsgefecht vor sich?" fragte Wolff. „In den Filmen sieht man nur prächtige Raumschiffe, die stolz dahingondeln - keine Seite erleidet Verlus te - dann fahren sie wieder heim und erzählen, sie hätten eine Schlacht geschlagen." Hil blickte überrascht. Die Frage schien ihm wohl reichlich banal, deshalb wußte er nicht gleich, was er antworten sollte. „Man ver stellt dem Feind den Weg, daß er gezwungen ist abzudrehen oder einen Umweg zu machen." „Wenn er aber nicht abdreht?"
„Dann läuft er Gefahr, beschossen zu werden und einige Schiffe zu verlieren." „Was ist die übliche Gefechtsentfernung?" fragte Skogholm. „Der Beschuß setzt gewöhnlich erst bei einer Entfernung von äh, rund 100 000 Kilometern ein." „Erst!?" rief Hulthén, aber Hil bemerkte den ironischen Tonfall nicht. Wolff mußte ein Lächeln verbeißen. Hil fuhr ruhig fort. „Theoretisch ist es natürlich möglich, einen feindlichen Flugkörper schon zu beschießen, sobald er geortet worden ist, und das geschieht bereits bei einem Abstand von mehreren Millionen Kilometern. Wird eine gewisse Sicherheitsent fernung unterschritten, dann muß man allerdings ausweichen, um nicht sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen." „Natürlich, das unsagbar kostbare eigene Leben", sagte Skog holm, ohne einen Muskel im Gesicht zu verziehen. Hulthén blickte Wolff an. „Wie bei einem Kinderspiel, bei dem es um die stärkeren Nerven geht." Wolff antwortete: „Jetzt wundert es mich nicht mehr, warum der Krieg kein Ende nimmt. Keiner will dem anderen weh tun. Wahrscheinlich müssen sie ihre veralteten Schiffe zu Hause ab wracken, denn bei den Kampfhandlungen gehen ja keine verlo ren." „Ja, diesen Eindruck müssen Sie haben", sagte Hil. „Aber ich kann Ihnen versichern, daß es auch schon furchtbare Vernich tungskatastrophen mit planetarischen Ausmaßen gegeben hat. Zum Beispiel, als es den Slornu gelang, unbemerkt und überra schend die Atmosphäre eines von Kimben besiedelten Kleinplane ten zu verändern. Wir antworteten mit der Vernichtung eines ih rer Planeten, wobei wir eine Flotte von 30 000 Robotschiffen ein setzten." „Wenn den Kimben das Leben so kostbar ist, warum werden dann nicht überhaupt nur Robotschiffe verwendet?" fragte Wolff. „Die sind überholt. Früher setzten beide Seiten vorwiegend un bemannte, selbsttätige Schiffe ein, aber ihnen fehlte die Initiative des lebendigen Geistes. Außerdem konnten sie verhältnismäßig leicht durch Störsender außer Betrieb gesetzt werden." „Seit Sokrates gibt es in den Sternenräumen so rauhe Sitten, und den Jordanus Bruno haben sie verbrannt, weil er behauptete, es gäbe außer der Erde noch viele bewohnte Welten!" philoso phierte Dr. Hulthén.
„Wir danken, daß Sie uns Ihre Zeit zur Verfügung gestellt ha ben", sagte Wolff und erhob sich. Auch die beiden anderen Ge lehrten standen auf. „Wir bitten, daß uns jede neue Nachricht vom Kriegsschauplatz im Raumgebiet Sol umgehend mitgeteilt wird. Übrigens: Ist es uns verboten, einige der hier stationierten Schiffe zu besichtigen?" „Keineswegs - es ist sogar eine gute Idee!" versicherte Hil, der sich bei all seiner Steifheit Mühe gab, freundlich zu erscheinen. Slornu im Angriff Die „Beutekimben" wurden tatsächlich eingeladen, alle stationier ten Kampfraumer zu besichtigen. Auch die Arbeiter interessierten sich für die Fährzeuge, die im Hyper-Raum reisten, schneller als das Licht, wie die Kimben sich ausdrückten. Keiner der Kimben war imstande, den Menschen die Grundzüge des Hyper-Antriebs plausibel zu erklären. Wolff und Fällgren machten eifrig Notizen von den Meßtafeln und den Bedienungs schaltern, damit sie wenigstens imstande wären, mit den Dingern notfalls zu fliegen, wie sie sagten. Die Fusionsbomben, die sie mit Hilfe kimbischer Technik kons truierten, nahmen Gestalt an. Ein Stahlmantel von mehreren Tonnen umschloß eine potentionelle Miniatursonne, die durch ihre immense Hitzeentwicklung in einem Umkreis von 300 km alles vernichtete. Das größte Problem war jedoch, die Bomben rasch und unbemerkt in die feindliche Flotte einzubringen. Selbst ein Gegenstand von Nußgröße konnte schon auf erhebliche Entfer nung geortet werden und mit den vorhandenen Mitteln war es nicht möglich, den Bomben eine Geschwindigkeit zu geben, wel che die eines Slornu- oder Kimbenschiffes wesentlich überstieg. „Das Beste wäre, zu Fuß hinzutragen", bemerkte Hulthén dazu. Wolff schlug vor, zielsuchende Raumtorpedos zu konstruieren und ihnen die Bomben einzubauen. Die Torpedos müßten dann mit einem Schiff an den Feind herangetragen und abgeschossen werden. Der Konstruktionsausschuß der Männer von Atomby nahm Wolffs Vorschlag an. Zu den fünf vorhandenen Bomben wurden fünf Torpedokörper gebaut, jeder zwanzig Meter lang.
*
Auf Ganymed wechselten Tag und Nacht, und gleichzeitig die Phasen der gigantischen Scheibe des Jupiters. In der Kuppelstadt des vergessenen Trabanten wies äußerlich nichts auf den lang wierigen Krieg hin, der irgendwo in den unsagbar fernen Schlupf winkeln der Milchstraße und in den unauslotbaren Tiefen des interstellaren Raumes ausgefochten wurde. Diese äußerliche Ruhe wurde auch nicht gestört, als die Nachricht eintraf, daß es den Slornu gelungen sei, die Kimbenwelt zu chlorisulphurieren, wobei die gesamte Bevölkerung umkam. Für die Kimben war die Nachricht schmerzlich und erschre ckend, aber sie ließen es sich so wenig wie möglich anmerken. Wolff und Swi verbrachten den Großteil ihrer freien Zeit zu sammen. „Ist es ganz sicher, daß die Slornu einen Planeten vernichtet haben?" fragte der Mann von der Erde. „Wie leicht kommt über diese Entfernung und die zahllosen Relaisstationen eine Falsch meldung zustande." „Falschmeldungen sind theoretisch möglich. Aber schlimme Nachrichten sind meist wahr. Nur gute Nachrichten bedürfen ei ner Bestätigung", antwortete sie. „Auf der Erde ist das genauso", nickte er. Sie schlenderten am inneren Rand der Plastikkuppel dahin, durch Gras und Büsche. Die Kimbenstadt war eine Insel aus Grün, die kreisrund in der Wüste eines toten Trabanten lag. „Seit wann weißt du eigentlich, daß du mich liebst?" fragte Wolff unvermittelt. „Seit einem Jahr, Erdjahr meine ich - als wir einander zum Lu ziafest trafen", sagte Swi und lächelte. „Soso, seit einem Jahr! Und warum wolltest du vom Heiraten nichts wissen?" „Bist du so dumm oder tust du bloß so! Ich konnte dir doch nicht sagen, daß ich nicht zu den Menschen gehöre." „Und welche Ausrede hast du jetzt auf Lager?" „Wir können keine Kinder haben. Bei aller physischen Übereins timmung sind Menschen und Kimben untereinander nicht fruch tbar - wie es auch nicht anders zu erwarten ist. Und heiraten tut man doch nur wegen der Kinder, die man miteinander möchte.
Um zu lieben braucht man keine Hochzeit. Leider! Ich wollte, ich hätte mich nicht in dich verliebt!" „Keine Kinder...", sagte Wolff und schluckte trocken. Er ärgerte sich, daß er nicht selbst darauf gekommen war. Er blickte Swi an, und obwohl sie in der Reichweite seiner Arme war, hatte er das Gefühl, es läge zwischen ihnen ein unüberbrückbarer Abgrund von aber Millionen Meilen. Swi schmiegte sich in seine Arme und gab ihm einen Kuß. Jonathan dankt Genau zu dem Zeitpunkt, da auf der fernen Erde in Mitteleuropa der 24. Dezember registriert wurde, feierten die einundfünfzig „Beutekimben" auf Ganymed richtige Weihnachten. Jeder hatte seine Freunde bei sich, aber auch Kimben waren dabei, denn die Männer von Atomby hatten jeden eingeladen, der kommen wollte. Jonathan dem Kleinen überbrachte eine Abordnung schriftliche Weihnachtsgrüße, eine Sonderzuteilung seiner Lieblingsspeise, allerlei technisches Spielzeug und eine aufgeputzte Fichte als Weihnachtsbaum. Die Arbeiter der Urangrube wollten dem Riesenmollusken auch eine Pulle Aquavit spendieren. „Ich glaube kaum, daß der Slornu eine Verwendung dafür hat", gab Wolff zu bedenken. „Als Schwe fel-Chlor-Atmer hat er einen ganz anderen Stoffwechsel als wir, und der Schnaps könnte ihn umbringen." „Er verleibt sich nur Nahrungsmittel ein, von denen er weiß, daß sie ihm bekommen", erklärte Swi. „Alkohol ist Gift für uns Sauerstoff-Atmer. Wer weiß, wie es auf ihn wirkt." Und so geschah es, daß Jonathan nachträglich eine Kanne Aquavit erhielt. Zum Erstaunen aller Anwesenden trank Jonathan den Schnaps ohne Zögern aus. Dann tastete sein riesiges Kop fende nach dem Schreibmaterial, das der Sprachenausschuß ihm gegeben hatte. Jonathan kritzelte in seiner blitzschnellen Art ein Blatt voll Zeichen, die er zusammen mit Sedgwick erfunden hätte, und dann legte er das Blatt in die Schleuse. Kimben und Menschen blickten gespannt auf Wolff, der sich bemühte, das Geschriebene vorzulesen. „Das geht nicht so schnell", erklärte er. „Wir haben nämlich keine Zeitwörter. Jona than begreift nur Haupt- und Eigenschaftswörter."
„Dann lies eben die Hauptwörter für uns", bat Swi, und Wolff hob an: „Festtag Verstehen - Menschen Slornu Freunde - Alkohol Dank." „Wie kann er ein Zeichen für Alkohol verwenden, wenn ihr noch nie über Schnaps mit ihm gesprochen habt?" unterbrach Swi. „Er hat die chemische Formel geschrieben, denn über die Ele mente haben wir uns schon miteinander unterhalten", erklärte Wolff, und er las weiter: „Erde Beute Slornu - Menschen Ganymed Leben - Glaszylinder Sauerstoff Psi Librae - Alkohol Dank." „Ein schöner Freund", sagte Fällgren. „Die Erde werden sie zwar vergasen, aber uns „Beutekimben" wird er in Glasbehältern in seine Heimat bringen lassen. Es ist rührend von ihm. Wir werden ihm noch einen Schnaps schicken, er hat sich ja zweimal dafür bedankt." Die Abordnung kehrte zurück ins Schwedendorf am Teich. Sie kam gerade recht zum feierlichen Teil des Festes. Die Schweden saßen im Kreis um eine geschmückte Fichte - Tannen gab es nicht in der Kimbenstadt - und sangen Weihnachtslieder. Einige hatten Tränen in den Augen, die sie verstohlen wegwischten. Anschließend gab es ein Festessen mit Kabaretteinlagen, über die ausgelassen gelacht wurde. Nie hatten die Menschen ihre Gastgeber so lachen gesehen wie bei den heiteren Auftritten. „Johansson und das Mädchen von Asterope", hieß eine Nummer, in der sowohl der schüchterne „Beutekimb" als auch die Schöne von Asterope von schwedischen Arbeitern dargestellt wurden. Eine andere Nummer war eine Sitzung des kimbischen Imperial rats, in der würdige, steife Ratsherren eine absurde Kriegstaktik beschlossen. Abschließend trat eine Girl-Truppe mit Netzstrümpfen auf - die Nummer hieß „Moulin-Rouge", und die Zuschauer lachten sich krank über die muskulösen Arbeiter, die sich wie verführerische zierliche Mädchen benahmen. Am zweiten Weihnachtstag machte eine Sensationsmeldung die Runde in der Kimbenstadt. Jonathan hatte ein Dutzend kleine Slornu zur Welt gebracht. Die Schweden schickten zwölf Blumensträuße, die im Inneren des Glaszylinders augenblicklich verwelkten, und sie nahmen das als weiteren Anlaß zum Trinken. Überall in der Stadt konnte man betrunkene Schweden finden. Aber auch auf die Kimbinnen, die mutig genug waren, Aquavit zu trinken, wirkte der scharfe Trank,
wenn auch etwas anders. Die beschwipsten Asterope-Mädchen mußten in einem fort kichern. Die Männer des Sprachenausschusses fanden bald heraus, daß Alkohol für die Slornu eine Art Fruchtbarkeitshormon war. „Dann können wir Jonathan je nach Belieben auch Jonathine nennen", schlug Wolff vor. „Für was Schnaps alles gut ist..." „Das konnte keiner ahnen", lächelte Dr. Fincher. „Ich werde nie mehr über den Alkohol schimpfen." Zum Abschluß des langen Festes gab es im Schwedendorf einen ausgedehnten Kater, dem die „Beutekimben" mit sauren Speisen und Schwimmwettkämpfen zu Leibe rückten. Dann waren sie wieder einsatzfähig, und sie gingen an die Arbeit in den Bergwer ken, in den Montagehallen und den Laboratorien. Die heitere Nachfeiertagsstimmung verflog jedoch augenblick lich, als in den Quartieren und an den Arbeitsplätzen der Hilf skimben die Sondermeldung eintraf, daß auf dem SolKriegsschauplatz eine unvorhergesehene Wendung eingetreten sei und die Kimbenflotte sich mit voller Fahrtgeschwindigkeit auf die Ganymedbasis zurückziehe, um der Vernichtung zu entgehen. Die Männer versuchten, sich vorzustellen, wie eine chlorisulphu rierte Erde aussehen würde - eine verwelkte Flora, eine erstickte Fauna, die Meere voller Fischkadaver. Erst nach und nach kam es ihnen zum Bewußtsein, daß es ihre Erde war, der Gefahr drohte, und daß sie zumindest versuchen mußten, den Feind zurückzuschlagen. Sie mußten alles versu chen, was zum Ziele führen könnte. Sedgwick, Wolff und Hulthén eilten zu Jonathan. Viele halbme terlange Junge klebten auf dem Rücken des Slornu. Wolff fühlte einen Brechreiz in der Kehle. Zwei andere Kleine bewegten sich mit einer Behendigkeit, die man ihrer Wurmgestalt nie zugetraut hätte, auf dem Boden, und sechs schwammen im trüben Becken, wobei sie sich träge treiben ließen oder flink untertauchten. Sedgwick schob das vorbereitete Schriftstück in die Schleuse. Es war ein Angebot, daß die Menschen zwischen Slornu und Kim ben vermitteln wollten. Jonathan-Jonathine verlor keine Zeit mit der Antwort. Auf sei nem Papier hatte er geschrieben: „Galaxis Beute Slornu - Krieg Vernichtung Kimben - Galaxis Slornu - Galaxis Slornu." „Ich glaube, hier verlieren wir nur Zeit. - Wir können mit den Slornu nicht sprechen. Sie lassen nicht mit sich reden", sagte
Wolff, und Sedgwick beteuerte: „Es tut mir so leid - es tut mir so leid. Er sah aus, als fühle er sich persönlich für das Mißlingen der Friedensverhandlungen verantwortlich. „Es gibt eine Sprache, die die Slornu sehr gut verstehen: unsere Bomben", rief Hulthén aufmunternd. Und damit unser Zwitterwurm keinen Überwertigkeitskomplex kriegt..." schmunzelte der Schwede und zog sorgfältig einige Schriftzeichen auf das Papier, das er dann in die Schleuse legte. Wolff und Sedgwick konnten über seine Schultern hinweg lesen: „Menschen Vernichtung Slor nu - Menschen Leben - Slornu Ende - Slornu Ende - Slornu Tod." „Wenn er nicht schon platt wäre, das würde ihn platt machen", sagte Wolff. Er fühlte sich wieder besser. Als der Slornu nach dem Papier tastete, waren die drei Männer schon auf der Straße, unterwegs zu Hil. Sie berichteten ihm von dem fehlgeschlagenen Vermittlungsver such und fragten, was nun geschehen werde. „Wir werden die Basis auf Ganymed verlassen, so wie es vorge sehen war. Im Raumgebiet jenseits der Sonne haben wir einen Abwehrwall aus unzähligen künstlichen Asteroiden gebaut, und der ist jetzt fertig. Unsere Aufgabe hier ist beendet." „Warum baut ihr diesen Wall hinter der Sonne? Ein ganzes Pla netensystem liegt jetzt schutzlos im Niemandsraum!" rief Sedg wick, und er schob unwillkürlich sein langes Kinn vor. „Die Erde schutzlos diesen Schwefelwürmern überlassen! Wie stellt man sich das im Imperialrat vor?" „Der Schutzwall ist viele Lichtmonate jenseits der Sonne, und er wurde nicht mit Rücksicht auf dieses Planetensystem sondern im Rahmen einer größeren strategischen Planung gebaut. Ihre Ge fühle verstehe ich durchaus", sagte Hil ruhig, „aber die höhere Strategie kann keine Rücksicht auf einzelne Sonnen und Planeten nehmen." „Dann werdet ihr dieses Planetensystem eben mit der fliehen den Raumflotte verteidigen", sagte Wolff, ohne seinen Worten selbst richtig zu glauben. „Der Grund des plötzlichen Zusammenbruches der Solfront ist die Tatsache, daß die Slornu mit der bisher noch nie dagewese nen Streitmacht von siebentausend bemannten Kampfraumern durchgebrochen sind. Selbst gegen so viele Robotschiffe hätte unser kleines Geschwader einen schweren Stand, aber ein Vorge
hen gegen diese Armada von bemannten Schiffen ist völlig sinn los. Das sehen wohl auch Sie ein." „Wie groß ist denn euer Solgeschwader?" fragte Hulthén unge duldig. „Dreiunddreißig Kampfkreuzer neuester Bauart, von denen jeder einzelne mit seinen Kampfmitteln eine kleine Feindflotte aufwiegt. Drei sind eben erst verloren gegangen, aber auch dreißig Raum kreuzer dieser Klasse sind ein beachtliches Geschwader wie es auch für so einen wichtigen Kriegsschauplatz wie die Solfront be nötigt wurde. Bei den siebentausend Slornu-Einheiten, die von unserer Aufklärung leider zu spät erfaßt wurden, handelt es sich um die lang erwartete Vernichtungsflotte, die Asterope zum Ziel hat. Weiter als bis zum Wall werden sie natürlich nicht kommen." Hil sprach geduldig wie ein Vater zu seinen Kindern. „Ist es nicht möglich, daß der Angriff unserem Planetensystem gilt?" fragte Sedgwick, aber Hil schüttelte den Kopf. „Die drei besiedelbaren Planeten Venus, Erde, Mars werden wahrscheinlich im Vorbeifliegen von einigen Katalysatorbomben beschossen werden. Dann dauert es ohnehin Jahrzehnte, bis ein Planet für Slornu bewohnbar ist und bis die ersten Kolonisten ein treffen. Sie können jeden Planeten brauchen. Der Gefangene hat uns gezeigt, wie schnell und überraschend sich die Slornu ver mehren." „Und wir? Sind wir nur zum Julfest auf den Ganymed gebracht worden?" warf Hulthén ein. „Wir werden Sie rechtzeitig auf die Erde zurückbringen, so daß Sie sich dort noch eine Verteidigung aufbauen können. Durch die unvorhergesehene Wendung im Kriegsgeschehen wurde Ihre Ent führung hierher sinnlos. Das bedaure ich außerordentlich. Durch den Einsatz von zielsuchenden Langstreckenraketen wird es Ih nen gelingen, die Slornu am Eindringen in die Erdatmosphäre zu hindern." „Das würde überhaupt nichts nützen", sagte Wolff. „Gegen die Katalysatorbomben, die sie weit außerhalb der Atmosphäre ab schießen, gibt es kein Mittel. Das zeigt das Beispiel von den drei vergasten Kimbenplaneten. Außerdem würde es Monate dauern, bis sich die Machtblöcke zur Zusammenarbeit bequemten, mit dem Austausch bisher strengstens gehüteter Geheimnisse begän nen. Und bis dahin ist es schon zu spät. Da kennen Sie die Men schen schlecht."
„Bei allem Verständnis für Ihre Lage können wir mit unseren Mitteln nichts für Sie tun. Die Basis hat nicht einmal eine ausrei chende Bodenabwehr. Wir werden sie natürlich zerstören, damit sie nicht den Slornu in die Hände fällt." „Aber wir haben die fünf Bomben. Sollen wir sie vergebens ge baut haben?" warf Hulthén ein. „Sie wissen noch immer nicht, wie Sie diese Bomben an den Feind heranbringen", gab Hil zurück. „Sie waren als Extra-Bewaffnung für eure Kreuzer gedacht", murmelte Sedgwick. „Na ja, Not macht erfinderisch. Wir werden schon was finden", sagte er, obwohl er gar nicht zuversichtlich war. Rückzug der Kimben Als die fliehende Kimbenflotte von den Ortungsgeräten erfaßt wurde, wachte die Ganymedbasis auf - die Kimben bereiteten sich auf den Empfang der Kimbentruppen vor. Wenige Stunden später wurden die Raumkreuzer als schim mernde Striche am violetten Himmel sichtbar. Dreißig Schiffe waren es, die in der Wüste vor der Kuppel aufsetzten; mit Rau penwagen wurden die Besatzungen zur Schleuse gebracht. In den folgenden Tagen landeten nacheinander fünf kleine Auf klärungsraumer, die nur die Besatzung ablösen ließen und gleich wieder starteten, um im Planetensystem Dienst zu tun und die nachfolgende Slornu-Armada im Auge zu behalten. Auch das Schwedendorf am romantischen Teich glich einem Heerlager. Die Nachricht vom beabsichtigten Rückzug der Kimben hatte die heiteren und gleichmütigen Schweden völlig verwandelt. Einige Arbeiter waren in das Arsenal der Basis eingedrungen und hatten bündelweise Handwaffen fortgeschleppt. Sie gedachten, mit den Kimben nachdrücklich zu verhandeln. Die Arbeiter waren der Meinung, man sollte die Flotte kapern und gegen die Slornu gehen. Alle „Beutekimben" waren in dem Raum versammelt, wo sie das Julfest gefeiert hatten. Sie riefen durcheinander, bis Wolff mit ausgestreckten Armen um Stille bat. „Wir alle wissen, daß sehr bald etwas getan werden muß - ge redet worden ist schon genug. - Fest steht, daß die Erde verloren ist, wenn nicht wir alles versuchen, was in unseren Kräften steht.
Wir werden zu Kir, dem Basiskommandanten, gehen und die Flot te verlangen. Kriegen wir sie nicht freiwillig, dann holen wir sie uns mit Gewalt. Unsere Bomben laden wir in die Schiffe und tra gen sie den Slornu entgegen. Die Slornu werden in uns zaudern de, vorsichtige Kimben erwarten, und ich verspreche mir viel da von, wenn wir die bisher übliche Gefechtsentfernung radikal un terschreiten und die kimbischen Hartstrahler aus nächster Nähe zum Einsatz bringen. Wir müßten damit das All von den Slornu schiffen reinigen können. - Einige von uns gehen jetzt zu Kir. Die anderen bilden Stoßtrupps. Ein Stoßtrupp soll Kimbinnen einfan gen, denn vielleicht wird es notwendig sein, unsere Gäste mit Geiseln zu erpressen. Ein Trupp bewacht das Arsenal - einer die Schleusen ins Freie - und einer mit Hilfe von Raupenfahrzeugen die Flotte. Höfliches und rücksichtsvolles Benehmen ist dabei oberste Pflicht. Los!" Rasch waren die Gruppen eingeteilt, denn die Männer stimmten Wolff begeistert zu. Die Schweden jauchzten und marschierten los. Das Erbe ihrer kriegerischen Ahnen brach durch. Eine neue Bezeichnung hatten sie auch schon für sich: Raumwikinger. Begleitet von einer Ehrengarde aus vier Arbeitern begab sich die Abordnung Sedgwick-Hulthén-Wolff zu Kir. Die schwerbewaffnete Garde stellte sich - mehr zum Vergnügen als aus praktischer Notwendigkeit - in achtunggebietender, regloser Haltung vorm Zentralgebäude auf. Kir, der Kommandant des Raumgebietes Sol, wurde unterstützt von Hil und Sim, dem Admiral der Flotte. „Sie müssen uns verzeihen, daß wir hier so eindringen, und auch, daß einige von uns das Arsenal beraubt haben, aber die Umstände zwingen uns dazu", legte Wolff gleich los, bevor sie sich setzten. „Wir verlangen, daß die Flotte wieder startet und sich den Slornu zum Kampf stellt. Unsere Bomben warten auf den Einsatz." Mit seinen weisen Zügen und dem blütenweißen Haar ähnelte Kir einem alten Senator. Sie hatten ihn seit jener Zeit nicht mehr gesehen, da er unmittelbar nach ihrer Entführung in seinem Zent ralgebäude alle empfing. Kir antwortete freundlich: „Wir können uns nicht auf ein aus sichtsloses Gefecht einlassen - das hieße das Leben unserer Leute aufs Spiel setzen. Die Bewohner der Erde werden sich selbst hel
fen müssen. Wenn sie wissen, um was es geht, dann ist mit ihnen zu rechnen." Sedgwick fuhr auf: „Die Erdbewohner wissen sich auch zu hel fen - aber nicht die auf der Erde, sondern wir hier auf Ganymed! Ja, vielleicht könnten die Menschen auf der Erde erfolgreich ihren Planeten verteidigen. Was wird aber aus Mars und Venus? Gefun denes Fressen für die Schwefelwürmer! - Nein. Wir können solche Nachbarn nicht dulden. Eine solche ständige Bedrohung muß ver hindert werden. Und wenn wir selbst mit der Raumfahrt soweit sind, dann müßten wir um die anderen Planeten erst Krieg füh ren. - Gebt uns eure Schiffe! Wir halten nichts von einem würde vollen Respektsabstand. Wir Engländer sind unseren Feinden bis her immer noch so nahe gerückt, bis wir das Weiße ihrer Augen sahen." Kir ließ ihn ausreden. Dann erwiderte er ruhig: „Ich fürchte, ich habe eine Enttäuschung für Sie. Soeben traf eine neue Meldung unserer Robotstationen ein. Die gesamte Slornuflotte von 7000 Einheiten ist auf dem Uranustrabanten Umbriel gelandet. Ein Auf klärer hat diese Meldung bestätigt. Wie Sie vielleicht wissen, be findet sich Uranus nahe der Konjunktion, also jenseits der Sonne. Die Slornu haben uns einfach umgangen und werden von der an deren Seite ins Sonnensystem eindringen. Sie sind schon weiter als wir - wir können ihnen gar nicht entgegengehen." Hulthén hatte die neue Lage sofort erfaßt, und er konnte einen triumphierenden Ton nicht ganz unterdrücken, als er sagte: „Ich fürchte, jetzt habe ich eine Enttäuschung für Sie. Die Slornu sind jetzt zwischen Ihrer Flotte und Ihrem Schutzwall im interstellaren Raum. Also können Sie nicht mehr heim zu den Ihren. Sie sind abgeschnitten! Und auf Ganymed hier können Sie besiegt werden wie lahme Enten. Schiffe von Asterope und Krieger von der Erde, die richtige Mischung! Die Slomu werden Bauklötze staunen." „Mit Gummiecken", ergänzte Wolff, nicht originell, aber gut ge launt. „Mit Gummiecken!" bestätigte Hulthén. Raumwikinger Sie waren sich sehr bald einig. Vierundzwanzig Raumkreuzer wurden mit je zwei Raumwikingern bemannt - mehr Besatzung
war nicht nötig. Nur das Flaggschiff erhielt drei Mann. Die fünf übrigen Raumer bildeten mit kimbischer Besatzung die Nachhut. Die Aufklärer, die nach wie vor im interplanetarischen Raum kreuzten, erhielten die Anweisung, das feindliche Geschwader auf Umbriel im Auge zu behalten. Alle Kimben, die in erhöhter Alarmbereitschaft auf Ganymed zu rückblieben, waren einem ungewissen Schicksal ausgeliefert. Wohl hätten sie alle in den vorhandenen Transportschiffen die Basis verlassen können, aber ohne starken Geleitschutz wären sie der Slornu-Armada früher oder später zum Opfer gefallen. Mit der höchsten Geschwindigkeit, die im interplanetarischen Bereich möglich war - einem rasenden Tempo, das aber den un geduldigen Raumwikingern noch viel zu langsam erschien durchquerte die kleine Flotte den Asteroidengürtel in Richtung Sonne. Die Flugzeit wurde zu Gefechtsübungen und taktischen Manö vern benutzt, denn die Männer mußten erst mit ihren Schiffen vertraut werden. Durch Bildsprechfunk standen alle Raumer in engster Verbindung. Die Kimben der Nachhut fungierten als Lehrmeister. Immer wieder wurden die Griffolgen geübt, bis die Männer es im Schlaf zu können glaubten. Die Kreuzer wurden zu Staffeln mit je fünf Einheiten zusam mengestellt, und diese Staffeln übten immer wieder die verschie denen taktischen Züge und das koordinierte Zusammenwirken. Die Routinemeldungen der Aufklärer besagten „Nichts Neues." Die Wikinger kreuzten die Marsbahn, und bald passierten sie die Erde in einem Abstand von 9 Millionen Kilometern. Zusammen mit dem Mond war sie aus dieser Entfernung ein prachtvoll aus sehendes Doppelgestirn. Die Raumfahrer blickten zur Erde auf der nicht eine Seele etwas von der ungeheuren Gefahr aus dem All ahnte - auf der niemand etwas von der Handvoll Raumwikinger wußte, die hier versuch ten, eine Katastrophe zu verhindern. Der Sonne kam die Flotte nicht näher als 120 Millionen Kilome ter. Bald wurden Marsbahn und Asteroidengürtel neuerlich ge schnitten, aber der größere Teil des Weges lag noch vor der Flot te. Nervöse Spannung herrschte auf den Schiffen, und die Zwei mannbesatzungen exerzierten verbissen, um für alle Eventualfälle gerüstet zu sein. In den Manöverpausen versuchten die Männer
kurz zu schlafen, manche sangen lustige Lieder, und einige starr ten unentwegt in das verwirrende Sternenmeer des leeren Alls. Wolff war froh, daß die Kimben ausgerechnet Schweden ent führt hatten, denn die hatten die nötige Nervenruhe. Nicht auszu denken, wenn er statt der Raumwikinger feurige Italiener oder temperamentvolle Franzosen an Bord gehabt hätte... Gespannte Erwartung herrschte in den Schiffen, aber die Schweden wirkten gefaßt und selbstbewußt, Andruck, freier Fall oder plötzliche Kursänderungen bereiteten den Männern keine Beschwerden, da jedes Schiff sein eigenes Schwerefeld besaß. Dadurch konnten die Raumer auch die ver blüffendsten Wendungen ausführen, ohne daß den Insassen übel wurde. Die Jupiterbahn wurde überquert, aber damit hatte die Flotte erst ein Viertel des Weges zurückgelegt. Wolff dachte an Swi, das Mädchen von den unsäglich fernen Ple jaden, das er an einem kleinen Waldsee in Nordschweden ken nengelernt hatte. Nord-Schweden war jetzt ein unwichtiger Punkt auf einem fernen Planeten, den er gerade noch mit bloßem Auge erkennen konnte. Swi selbst war jetzt noch viel weiter weg als die Erde - sie lebte auf dem Jupitermond Ganymed - irgendwo jen seits der Sonne, und mit jeder Sekunde entfernte er sich um viele tausend Kilometer von ihr. Er erinnerte sich an den unvergeßlichen Urlaub an der Riviera, wo er sie unter Wasser hatte schwimmen sehen, ohne zu ahnen, daß Signe gar kein menschliches Wesen war. - Reiche und welt gewandte Leute gaben einander an der Riviera ein Stelldichein, Ölmagnaten mit Filmköniginnen, aber keiner hatte ein Mädchen von einem anderen Stern bei sich gehabt. Wolff war nachträglich stolz auf sich und Swi. Er nahm sich vor, nach der Rückkehr auf die Erde weder den Waldsee in Lappland noch die Riviera je wie der zu besuchen, denn das würde ihn krank machen vor Sehn sucht. Vielleicht konnten ihn die Kimben mit nach Asterope neh men, wenn er sie darum bat. Dann würde er eine wunderbare, neue Welt kennenlernen - und immer in Swis Nähe sein. Aber erst galt es, das Treffen mit den Slornu lebend zu überstehen. Was die bevorstehende Schlacht betraf, war Wolff zuversich tlich. Kimben und Slornu waren es gewohnt, sich Zeit zu lassen sie hatten einander bisher vorsichtig abgetastet. Im Laufe der Jahrhunderte war die Kampftaktik erstarrt, man wußte stets, was
der Gegner als nächstes tun würde, und man kam mit einem klei nen Repertoire von taktischen Tricks aus. Die Erhaltung des eigenen Lebens schien das höchste Gebot. Wer unverletzt die Schlacht verließ, war damit zugleich unbesiegt. Wolff erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, daß die alten Deutschen lieber den Tod erlitten als die Waffen zu strecken, denn ein toter Mann kann nicht mehr überwunden werden. Bergström rief aus der Zentrale, daß Hulthén im Bildfunk sei und Wolff zu sprechen wünsche. Wolff erhob sich und schritt durch den langen Gang. Fünf Bildsprechgeräte waren in Betrieb; Wolff setzte sich vor seines, damit auch die anderen in den fünf Flaggschiffen ihn se hen konnten. „Kleine Besprechung, Henrik", sagte Fällgren aus seinem Bild schirm. Wolff blickte sich um. Die vier anderen Staffelführer und Admiral Sim von der Nachhut waren in je einem Gerät zu sehen: Skogholm, Fällgren, Hulthén, Sedgwick und Sim. „Die Slornu-Armada hockt noch immer auf dem Umbriel, und zwar nimmt sie dabei ein Gebiet ein, für das eine einzige unserer Bomben genügen würde. Warum die Slornu ausgerechnet auf diesem unwichtigen Tra banten Station gemacht haben und noch immer dort hocken, ist mir schleierhaft", sagte Hulthén. „Auf jeden Fall ist es ein Fehler von ihnen. Sicher kommen sie sich unbesiegbar vor, und aus die sem Gefühl der Überlegenheit heraus wollen sie die Dinge abwar ten. Wir werden schon seit längerer Zeit von den Slornu geortet, aber die ständigen Meldungen der Robotstationen auf dem Ura nusmond Ariel und der Aufklärer besagen, daß sich bisher nicht ein einziges der siebentausend Slornuschiffe vom Boden erhoben hat. Ideal wäre es, wenn die ganze Armada am Boden bliebe, bis wir eine Bombe bequem dorthin befördert haben. Aber damit ist nicht zu rechnen. Der taktische Plan, den ich mit Dr. Fincher aus gearbeitet habe, sieht folgendermaßen aus: Die Staffel Sedgwick hat den Auftrag, den Liegeplatz der Armada durch Bombenab schuß zu zerstören. Es bleibt Sedgwick überlassen, ob er lieber rasch oder unbemerkt an den Liegeplatz herankommen will." „Beides!" versicherte der Brite und lächelte. Voller Vorfreude fuhr er sich immer wieder mit dem Handrücken über den Schnurrbart.
Hulthén sprach weiter. „Die restlichen Staffeln werden, je nach dem, wie es die Lage erfordert, aufgestiegene Slornuraumer ang reifen. Die Gefechtsentferung von nur wenigen Kilometern wird uns einen wesentlichen Vorteil geben, weil sie in diesem Krieg ein neuer Trick ist. Die Staffel Fällgren hält sich etwas im Hintergrund und nimmt sich jener Feinde an, die zu entkommen versuchen. Was da noch durchkommt, muß die kimbische Nachhut erledi gen." Huthen lächelte und verbeugte sich leicht vor dem Bild Sims. Sim lächelte zurück. „Als weitere taktische Besonderheit möchte ich erwähnen", fuhr der Schwede fort, „daß die Würde des Flaggschiffs - und die Bür de - jeweils auf den Staffelführer fällt, der gerade nicht in Kampf handlungen verwickelt ist. Sollte das jeweilige Flaggschiff durch Treffer ausfallen, dann übernimmt derjenige Staffelführer das Gesamtkommando, der die Vernichtung des Flaggschiffs als erster bemerkt. Ich hoffe jedoch, daß wir, mit einem überzähligen Mann an Bord, sehr lange imstande sein werden, als Feuerleitzentrale zu fungieren. Möge Gott uns helfen. - Und jetzt bitte ich um Fra gen und Vorschläge." Fällgren räusperte sich. „Die Slornu werden ganz bestimmt nicht warten, bis wir sie am Boden zerstören. Sie werden uns zumin dest einen Teil der Flotte entgegenschicken, und deshalb schlage ich vor, daß die weiter vorn liegenden Staffeln fluchtartig auswei chen. Das Vernichtungswerk übernimmt dann meine Staffel. Soll te es uns nicht gelingen, dann können die anderen Staffeln immer noch von allen Seiten angreifen. Dieses ursprüngliche Ausweichen soll die Feinde in Sicherheit wiegen, so daß nicht alles an Sedg wick hängen bleibt." Fällgren schwieg und die anderen pflichteten ihm bei. Dann sprach Skogholm, der mit seinem weißblonden Haar wie ein Kimbe aussah: „Ich denke, wir sollten der Privatinitiative so viel Spielraum lassen, daß jeder, der Slornuschiffe sonnenwärts fahren sieht, sich sofort auf die Verfolgung macht." „Wolff, bitte?" sagte Hulthén, als er sah, daß der Deutsche et was sagen wollte. „Es soll unser oberster Grundsatz sein, daß kein Feind tiefer ins Planetensystem eindringen darf. Andererseits bin ich dafür, daß das Flaggschiff unsere Bewegungen koordiniert, damit sich nicht alle Staffeln auf ein einziges durchbrechendes Slornuschiff stür zen."
„Natürlich", sagte Fällgren, und die anderen nickten ebenfalls. *
Das Wahrzeichen des Uranus - wie der Ring des Saturn, die Kanä le des Mars, die Meere der Erde - ist seine ungewöhnlich starke Achsenneigung; als Folge davon steht die Bahnebene seiner fünf Monde nahezu senkrecht zur Ekliptik. Als der Uranus so nahe war, daß man ihn als grünlich schim mernde Scheibe umgeben von fünf mattglänzenden Lichtern ausmachen konnte, erklärte Hulthén die Waffenübungen für be endet, und er befahl allgemeine Ruhepause. Wer von den Raum wikingern die nötige Gemütsruhe besaß, holte sich was zu essen andere legten sich schlafen - und wieder andere setzten sich vor die Bildschirme, um zusammen mit Kameraden anderer Schiffe wehmütig schwedische Lieder zu singen. Wolff hatte sich soweit an den Anblick des Weltraumes ge wöhnt, daß er ihn betrachten konnte, ohne Schwindel oder Übel keit zu empfinden. Er blickte hinaus auf ganze Wolken stechender Lichtpunkte, die sich trotz der beachtlichen Fahrtstufe der Flotte nicht im Mindesten perspektivisch verschoben. Bergström saß vor den Bildschirmen, auf denen singende Schweden zu sehen waren, und beteiligte sich mit viel Hingabe und wenig Talent - wie Wolff feststellte - am allgemeinen Gesang. „När jag kommer tillbaka tili dej...", hörte Wolff sie singen, „Wenn ich zu dir zurückkomme..." Froh würde er sein, wenn der ganze Tango erst einmal vorüber war. Er hatte Schmetterlinge im Magen, wie der Amerikaner Fincher das nannte - nervöse Span nung, keinen Appetit. Dreißig gegen siebentausend! Wenn Sedgwicks Überraschungs angriff nicht gelang, dann waren sie erledigt. Endlich kam der Befehl durch, in die Druckanzüge zu schlüpfen, mit welchen man sich auch außerhalb der Schiffe aufhalten konn te. Mit diesen Anzügen könnten die Männer auch in beschädigten Schiffen überleben. Bei den Außenbordmanövern, wo die Raum wikinger unter der Anleitung der Kimben lernten, sich im freien All zu bewegen, hatten die meisten Männer erbrochen. Aber jetzt waren sie an den Anblick des Weltraumes gewöhnt, in dem es kein Oben und kein Unten gab. Die Helme brauchten sie erst nach
dem Befehl „Gefechtsstation!" zu schließen. Sie legten sich die Anzüge an und ein Scherzwort jagte das andere. Die Kimben in der Nachhut verstanden einfach nicht, was es angesichts der Slornu-Armada zu lachen gab. Viele Kimben waren der Ansicht, daß die Menschen die bevorstehenden Ereignisse entweder grob unterschätzten oder nicht ganz bei Sinnen waren. Die Stimme Fällgrens tönte aus allen Lautsprecheranlagen Hulthén hatte den Führer der vierten Staffel ersucht, vor der Schlacht noch ganz kurz zu den Männern zu sprechen. „Wir sind zwar nur eine Handvoll alter Schweden, aber wir sind froh, die Slornu in so dichten Scharen vor uns zu haben. Nicht nur, weil sie schön beisammen sitzen und wir sie in einem Auf wasch vernichten können, sondern auch, weil sie uns hoffnungs los unterschätzen. Wir werden ihnen so nahe wie möglich auf den Pelz rücken, daß sie künftighin dieses Planetensystem gerne mei den werden. Schon der Westgote Alarich hat seinerzeit vor Rom gesagt: je dichter das Gras, desto besser das Mähen! und die Goten stammen letzten Endes aus Schweden. Darum werden auch wir uns tapfer schlagen." Allgemeine Zustimmung unterbrach ihn für Sekunden. „Kimben und Slornu kennen einander schon zu lange und viel zu gut, und sie werden uns für Kimben halten. Unser Vorteil ist, die Slornu gründlich studiert zu haben, während wir für sie vollkom mene Fremdlinge sind. Wir haben außerdem den Vorteil, daß wir rasches Handeln gewohnt sind, während in diesem interstellaren Krieg stets mit größter Vorsicht und Überlegung gekämpft wurde. Wenn man von dem ungleichen Zahlenverhältnis absieht, haben wir die größeren Chancen. Noch haben die Slornu viel mehr Schif fe als wir, aber ich schätze, das wird sich bald grundlegend än dern! Ende der Durchsage, danke." Die Schiffe scherten in Angriffsformation aus; fünf Raumer fun gierten als Staffelführer und Bombenträger, und diese fünf hatten den Geleitschutz von je vier Kreuzern. Die Raumwikinger hatten längst die gigantischen Bombentorpedo mit Kosenamen verse hen: Die am weitesten steuerbord stehende Staffel II unter Sedgwick führte „Baby Doll" mit sich, Staffel I mit Fincher und Hulthén hatte „Blumenfee" an Bord, Staffel III unter Wolff trug die „Sanfte Suse", Staffel IV unter Fällgren „Maiwind" und am weitesten backbord kreuzte Skogholms Staffel V mit „Chat noir".
Mehrere Flugobjekte wurden geortet. Es handelte sich aber um die kleinen kimbischen Aufklärer. Sie meldeten, daß einige Slor nukreuzer sich eben vom Boden erhoben und mit geringer Fahrt auf die Flotte zuhielten. „Alle Mann auf Gefechtsstation!" kam es vom Flaggschiff durch, und die Raumwikinger schlossen ihre Helme. Die einzelnen Staffeln waren bereits 4000 km voneinander ent fernt, um möglichst viel Raum abzuschirmen und einander nicht mit den Überbomben zu gefährden. In den Bordsichtgeräten war en aber alle Schiffe wie aus nächster Nähe zu sehen. Die Kreuzer der einzelnen Staffeln standen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Der kleine Mond Umbriel war bereits so nahe, daß seine schein bare Größe die des Uranus übertraf. Die Fernsichtgeräte zeigten eine Welle von etwa hundertzwanzig dichtgerängten Slornukreu zern an, die mit geringer Fahrtstufe näher kamen. Als sie den Gefechtsabstand von 10 000 km erreicht hatten, spien sie zahllo se Geschosse aus. „Staffel Sedgwick an den Feind!" befahl Fincher vom Flaggschiff, „Staffel Wolff und Skogholm ausweichen - Fällgren Feuererlaub nis!" Die Staffeln I, III und IV wichen seitwärts aus, während Sedg wick eine weitausholende Parabelbahn einschlug und auf Höchstfahrt ging. Wie er es versprochen hatte: Er wollte unbemerkt und rasch sein. Fällgrens Staffel IV raste auf den Gegner zu; die Raumwikinger schoben einen Sperrgürtel von harter Strahlung vor sich her, und die Slornugeschosse blitzten auf und verpufften wirkungslos. Ob wohl die bisher übliche Gefechtsentfernung bald unterschritten war, dachten die Slornu gar nicht daran, umzukehren. Gegen blo ße fünf Feindeinheiten war das nicht üblich. Fällgrens rechter Ket tenhund erhielt trotz Sperrfeuer kurz hintereinander zwei Treffer, und der gewaltige Kimbenkreuzer wurde zerfetzt. Zwei schwedi sche Männer waren die ersten Gefallenen der Schlacht vorm Um briel. Fällgren war so ruhig, als spiele er Karten. Nicht zu früh und nicht zu spät schickte er „Maiwind" auf die Reise, gleichzeitig machten seine vier Schiffe ein scharfes Ausweichmanöver. Zwei Sekunden später sprengte das grelle Aufblitzen einer Mi niatursonne die Finsternis des Alls. Einige Herzschläge lang waren
die hundertzwanzig Slornuschiffe, die in Abständen von wenigen Kilometern flogen, einer Hitzestrahlung von mehreren Millionen Grad ausgesetzt. Mehr oder weniger zerstört setzten die feindli chen Raumer, dem Gesetz der Trägheit folgend, ihre Fahrt in den Raum fort. Sie passierten die Kimbennachhut in nächster Nähe, und die Kimben setzten ihre Hartstrahler ein. Aber das war über flüssige Vorsicht, denn von den Slornu war keiner mehr am Le ben. „Das ist die richtige Tonart!" brüllte Fällgren in den Bildspre cher, als die anderen Staffeln ihm gratulierten, und er versuchte gewohnheitsmäßig, sich das Haar zurückzustreichen. Seine Hand stieß aber nur an den glatten Helm. Eine zweite Woge von Slornuschiffen, etwa zweihundert Einhei ten, näherte sich rasch. Vor den Augen der Menschen teilte sich das feindliche Geschwader in vier Flotten, die wahrscheinlich ver suchen würden, von vier Seiten anzugreifen. Das Flaggschiff erkannte das Manöver sofort, und Fincher teilte Skogholm und Wolff je eine Feindflotte zu. Auch die Staffel I ging in das Gefecht. Fällgren, der durch sein Ausweichmanöver ziem lich weit vom Gefechtsgebiet abgekommen war, hatte nur noch vier Kreuzer und keine Bombe mehr. Er bekam den Befehl, die vierte Feindflotte so lange im Auge zu behalten, bis die anderen Staffeln ihm helfen konnten. Sedgwick befahl seinen Kettenhunden, den Liegeplatz der feind lichen Armada direkt und mit geringer Geschwindigkeit anzuflie gen. Sie sollten die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich ziehen, damit er einsam und unbeachtet seine Bombe anbringen konnte. Skogholms Staffel V war dem Feind am nächsten. Unbeirrbar hielt sie auf die ihr zugeteilte Slornuflotte von etwa fünfzig Einhei ten zu. Die Slornu eröffneten das Feuer schon auf 14 000 km, die Raumwikinger aber begnügten sich mit einem Sperrgürtel, um vor Treffern bewahrt zu bleiben. Bei 3000 km Gefechtsabstand befahl Skogholm seinen Kettenhunden auszuscheren, abzuwar ten, die Slornu, die seine Bombe überleben sollten, im Nahkampf zu vernichten und sich dann der Staffel Fällgren anzuschließen. Skogholm und sein Bordkamerad Lundahl blickten einander an und grinsten, als ihr Schiff in höchster Fahrt auf die feindliche Flotte zuhielt. Skogholm winkte zu den Bildschirmen: „Alte Bom ben sind die neue Mode!" Aber nur die Kimben sahen ihn. Skog holms Schiff erhielt einen Treffer im Heck, wo sich die Antriebsan
lagen befanden. Aber der Raumer behielt seinen Kurs bei. „Chat noir" wartete immer noch auf ihren Einsatz. Admiral Sim und alle Kimben in seinem Schiff blickten auf den Bildschirm, der Skogholm zeigte. Entsetzt stellten sie fest, daß der lange Schwede lachend in den sicheren Tod flog. Dann er losch der Schirm, und im selben Augenblick flammte dort eine Miniatursonne auf, wo Skogholm mitten in der Slornuflotte kreuz te. Er hatte „Chat noir" selbst in die feindlichen Reihen getragen, solange die Slornu noch dicht beieinander standen. Keines der Slornuschiffe blieb heil. Langsam verglühte das scharfe Licht der Atomfusion. Skogholms Schiffe kurvten eine Zeitlang zwischen den Trüm mern umher und schlossen sich bald Fällgren an. „Chat noir" hat te ganze Arbeit geleistet. Wolff folgte mit seiner Staffel den Bewegungen der ihm zuge teilten Feindflotte. Er war begeistert von den Erfolgen Fällgrens und Skogholms, und er brannte darauf, genauso gründlich zu sein. Damals, in Atomby, hätte er es den friedlichen Schweden nie angesehen, was in ihnen steckte, Wolff versuchte in eine günstige Schußposition zu gelangen, während seine Kettenhunde ihn mit einem Strahlenkranz vor Treffern schützten. Gespannt folgte er den Manövern der in enger Rhombenformation fliegen den Slornu. Als sie unvermittelt in alle Richtungen auseinanderstoben, drückte er reflexartig auf den Knopf, der die „Sanfte Suse" los schickte. Drei Sekunden später explodierte Wolffs Geschoß, und die Slornuschiffe setzten - soweit sie getroffen waren - halbge schmolzen ihre Fahrt im freien Fall fort. In alle Richtungen rasten die Wracks. Aber einige Raumer waren schon zu weit von. der Explosion entfernt gewesen, und sie manövrierten, zum Teil noch intakt, weiter. „Einzeln abschießen!" befahl Wolff. Das war zu erwarten gewe sen, daß die Slornu aus dem Schicksal ihrer beiden ersten Forma tionen gelernt hatten und nicht mehr so dicht flogen, wo sie alle leicht einer einzigen Bombe zum Opfer fallen konnten. Und nun waren die Raumwikinger der Staffel III gezwungen, sich mit ei nem Dutzend Slornuschiffen herumzublagen.
Die Hartstrahler waren so gebaut, daß sie schon aus der res pektvollen Gefechtsentfernung, die die Kimben einzuhalten pfleg ten, Wirkung hatten. Selbstverständlich nahm die vernichtende Wirkung der Strahlen, je mehr man sich dem Ziele näherte, zu. Die Slornuschiffe spien ganze Hagel von Geschossen aus, und bald gingen zwei Raumkreuzer von Wolffs Staffel verloren. Die feindlichen Raumer glühten ihrerseits auf, wenn sie von den To desstrahlen getroffen wurden, und die Chlor-Schwefel-Luft in ih rem Inneren breitete sich in dünnen gelben Wolken aus. Wolffs Raumer erhielt einen Treffer mittschiffs, und die Luft entwich ins All. An eine Lecksicherung war nicht mehr zu denken. Da auch die automatische Schottenverschließung versagte, hat ten Wolff und Bergström bald das Vakuum des Weltalls auf ihren Gefechtsstationen. Sie merkten es daran, daß sich ihre Druckan züge aufblähten. Die beiden letzten Schiffe der Staffel Wolffs schlugen sich mit wechselndem Erfolg, und zusammen mit ihren Gegnern entfern ten sie sich immer mehr aus dem Raumgebiet, in dem sich die Staffeln Fällgren und Hulthén mit den Gegnern abmühten. Dann fielen auch die beiden letzten Kreuzer der dritten Staffel durch Volltreffer aus. Die drei letzten unversehrten Slornuschiffe gerieten dabei an die Kimben der Nachhut, wurden schon von weitem beschossen und schließlich zerstört. Wolffs Flaggschiff eilte manövrierunfähig durch den Raum; Bergström und Wolff versorgten sich mit Handwaffen. Die vier Kreuzer der Staffel Sedgwick waren dem Umbriel be reits so nahe, daß sie ihn nicht mehr als Kugel im All, sondern als festen Boden, der sich von Horizont zu Horizont erstreckte, emp fanden, als sich vom Liegeplatz der Armada wiederum ein Ge schwader von etwa fünfzig Schiffen erhob. Sedgwick befahl sei nen Leuten, in weitem Bogen auszuweichen. Das feindliche Geschwader schien sich tatsächlich nicht um die vier fliehenden Kreuzer zu kümmern, denn es strebte dem Schlachtgebiet zu. Sedgwick, der inzwischen von der Seite kommend den Umbriel erreicht hatte und in geringer Höhe über dem Boden auf den Lie geplatz der Feindarmada zuraste, befahl seiner Staffel, in 3000 Kilometer Höhe über dem Liegeplatz zu verharren und sich dann
jener Schiffe anzunehmen, die von „Baby Doll" verschont werden sollten. Diese vier Kreuzer wurden vom Boden aus heftig beschossen, es gelang ihnen jedoch, unbeschädigt zu bleiben. Sedgwick hatte seinem Bordkameraden vorgeschlagen, auszus teigen und per Sprechfunk ein Schiff herbeizurufen, das ihn auf nehmen sollte, aber der Mann hatte nur wortlos und verlegen lächelnd abgewinkt. „Sie wissen, was uns bevorsteht?" hatte Sedgwick ihn gefragt, und der Mann aus Schonen hatte nur genickt. Sedgwick mußte erst den halben Umbriel umfliegen, bevor er die Armada sichten konnte. Dennoch hatte er nur wenige Au genblicke Zeit, sich über den Stand der Schlacht zu orientieren. Einmal noch richtete er seine blaßblauen Augen auf den Sprech bildschirm und sagte: „Gott blies, und sie zerstoben in alle Winde! Es lebe die Königin!" Dann wurde sein Gesicht ernst. Mit höchster Konzentration blickte Sedgwick voraus, wo sich eben der Liegeplatz der Slor nuarmada über den Horizont schob. Über sechstausend unschätz bare Schiffe, die imstande waren, in einer höheren Dimension zu reisen und so dem Licht zuvorzukommen, lagen da in endlosen Reihen. Sie lagen bewegungslos auf dem Boden irgendeines un bekannten Mondes, und einen Augenblick später waren sie nicht mehr vorhanden. Sedgwick hatte blitzschnell gehandelt. In 600 Meter Höhe war er über dem östlichen Horizont aufge taucht, und Sekunden später hatte er seine Bombe gezündet. Von dem Professor Sedgwick aus Oxford, von seinem Bordschützen und von seinem Raumkreuzer neuester kimbischer Bauart blieben nicht einmal Atome übrig. Ein Atompilz wuchs mit beklemmender Schnelligkeit gegen den sternenbesäten Himmel. Das war sechs Minuten, nachdem Fäll gren mit seiner „Maiwind" die Schlacht eröffnet hatte. Sedgwicks Staffelkameraden umflogen ein paar Mal die Stätte der Vernichtung. Nachdem sie sich vergewissert hatten, daß kein einziges Schiff der stolzen Armada der Katastrophe entgangen war, nahmen sie Kurs auf das Schlachtgebiet im Weltraum. Nur das Flaggschiff hatte noch eine Bombe an Bord, „Blumen fee", die letzte dieser Serie. Fincher und Hulthén konnten sie nicht einsetzen, weil es keine konzentrierten Feindziele mehr gab
und weil die Raumwikinger mitten unter den Slornukreuzern um herkurvten. Die Slornu wurden oft gezwungen, ihr Feuer einzustellen, da ih re Raumtorpedos zielsuchend waren und die eigenen Schiffe ge nauso bedrohten, wie die der Kimben. Der Weltraum hatte die Schweden verwandelt - sie waren wie der zu Wikingern geworden, die sich im Vollgefühl der eigenen Kraft auf die verwirrten Slornu stürzten. Die Strahler fegten den Raum von Slornuschiffen leer. Wenn wieder einmal ein Raumkreuzer der „Beutekimben" verloren ging, hatten inzwischen zehn oder mehr Slornuraumer ihre letzte Fahrt angetreten, ausgeglüht und unbrauchbar. Als die Leute der Sedgwickstaffel die erfolgreiche Bombardie rung des Armadaliegeplatzes meldeten, kam neuer Mut über die Schweden, und sie griffen noch tapferer an. Der Anblick aufglü hender Slornuschiffe erhöhte ihren Kampfgeist. Die Wesen von Psi Librae hingegen waren dem für sie ungewohnten Nahkampf nicht gewachsen. Die Kimben starrten nach wie vor auf ihre Bildschirme - ent setzt, gebannt, bewundernd. Nachdem die Menschen ihnen bei nahe mit Waffengewalt die Flotte abgenommen hatten, waren sie ja auf einiges gefaßt gewesen. Aber was sie sahen, hätte sich kein kimbisches Hirn vorher ausmalen können. Skogholm hatte sich lachend geopfert, und Sedgwicks letzte Worte waren „Es lebe die Königin!" gewesen. Die Art, wie da eine Handvoll Menschen mit der mächtigsten bemannten Armada umsprang, die es je gegeben hatte, empfanden die Kimben nahe zu als eine Verletzung ihrer Rechte. Jahrhundertelang hatte man mit den Slornu gefochten, das Kriegsglück hatte oft gewechselt - und nun führten da ein paar Menschen eine Schlacht, die alle Regeln jahrtausendealter Kriegs kunst über den Haufen warf. Die Kimben empfanden beinahe Mitleid mit ihren vertrauten, jahrhundertealten Gegnern, den Slornu von Psi Librae. Entsetzt betrachteten sie das Sterben der verwirrten Großmol lusken, die sich der ungestümen Angriffe der Raumwikinger kaum zu erwehren wußten. Dabei stellte es sich noch heraus, daß die geringe Anzahl der eigenen Schiffe ein Vorteil für die Angreifer war, denn die Slornu mußten oft lange suchen, bevor sie einen
Gegner entdeckten, und dann mußten sie noch darauf achten, daß nicht ein eigener Raumer die Schußbahn kreuzte. Manche Kimben fürchteten insgeheim, daß die Menschen nicht mehr Herr ihrer Sinne waren und in ihrem Wahnsinn die Kimben anfallen könnten, wenn es keine Slornu mehr gab. Diese tapferen Männer wurden ihnen unheimlich. Sie verachteten den Tod, star ben mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Schlacht vorm Umbriel verriet einen wesentlichen physi schen Unterschied zwischen den einander sonst so ähnlichen Kimben und Menschen: Den Menschen schien die Sorge um das eigene Leben völlig zu fehlen - eine gesunde Angst, die auf allen Welten der Galaxis anerkannt wurde, und mochten sie auch noch so verschieden sein wie zum Beispiel Asterope und Psi Librae. Die Slornu, die wußten, daß es wichtiger war, für das Imperium zu leben, als dafür zu sterben, versuchten schließlich, einzeln oder in Gruppen zu entkommen. Das Slornuschiff Wolffs leckes Schiff entfernte sich immer weiter vom Umbriel. Er und Bergström hatten sich einige Minuten lang vor die Bildgeräte gesetzt und die Schlacht beobachtet. Wolff hatte keine Ahnung, wie es im Innern eines Slornuschiffes aussehen mochte, und er versuchte sich vorzustellen, wie die verwirrten Slornubesatzungen reagierten. Er hatte Jonathan nie verwirrt gesehen, und so wußte er auch nicht, was äußerlich an einem Slornu zu sehen war, der ratlos sein Leben zu retten versuchte. Die vernunftbegabten Großmollusken waren es nicht gewohnt, durch Feindeshand zu sterben - in einer Schlacht das Leben zu riskieren. „Wie sich so ein verzweifelter Slornu wohl benimmt?" sagte Wolff laut vor sich hin, und Bergström hörte ihn durch das Sprechfunkgerät des Helmes. „Vielleicht saufen sie Schnaps und bringen dann vor lauter Kummer in einem fort kleine Plattwürmer zur Welt", grinste der Schwede. „Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, ein Kimbenschiff heranzuru fen, das uns herausholt. Wir haben keinen eigenen Antrieb mehr und wir werden bald in eine Kreisbahn um den Uranus einbiegen", sagte Wolff und erhob sich.
Bergström ergriff seinen Handstrahler und stand ebenfalls auf. Dabei fiel sein Blick auf den Heckbildschirm, den sie die letzten Minuten nicht beobachtet hatten. Er klopfte Wolff auf die Schul ter. Der drehte sich fragend um, und Bergström deutete wortlos auf den Schirm. Er zeigte drei Slornuschiffe, die in einem Abstand von nur weni gen Kilometern Wolffs frei dahinfallendem Wrack folgten. Die Slornu mußten schon länger hinter ihnen gehangen haben, aber sie holten nur langsam auf. Wolff und Bergström blickten einander kurz an, und gleichzeitig liefen sie in die Feuerleitzentrale, um die automatischen Strahlge schütze auszulösen. Aber die Geschütze schwiegen. „Feierabend", sagte Wolff, und er versuchte sich mit dem Hand rücken über die Stirn zu fahren. Er kam aber nur bis zum Helm. Die drei Slornuraumer kamen auf. Da das Wrack der beiden Wi kinger mit ziemlich hoher Fahrt dahinraste, hatten die Feindschif fe für sie nur die relative Geschwindigkeit eines Heuwagens. „Wir können sie doch nicht ungeschoren entkommen lassen", sagte Wolff und blickte auf seinen Handstrahler. Nein, es wäre lächerlich, die Slornukreuzer mit Handwaffen unter Feuer zu nehmen. „Da kommen drei Herrenfahrer! Die nehmen uns bestimmt bis zum nächsten Gasthaus mit", grinste Bergström. Wolff lächelte schwach zurück. Er betrachtete seinen Druckanzug: Handschein werfer, Sprechfunkgerät, Rückstoßmotor. Dann blickte er durch das scheunentorgroße Leck ins leere All. Er erinnerte sich, wie er beim letzten Außenbordmanöver erbrochen hatte und stets darauf wartete, ins Bodenlose zu fallen, obwohl ihm sein Verstand sagte, daß das unsinnig sei. Das erste Slornuschiff wurde durch das Leck sichtbar. Wolff fühlte sich wie ein Nichtschwimmer auf einem dreißig Meter ho hen Sprungturm. Aber entschlossen stieß er sich ab. Er hatte das Gefühl, zu fallen und zu stürzen. - Das ganze All mit seinen zahl losen Sternen drehte und wirbelte sich um ihn herum. Wolff wuß te, daß er sich überschlug. Da spürte er Bergströms Hand an sei ner rechten Fußfessel, und hörte sofort auf, dahinzupurzeln. Vor sich sah er dass von der fernen Sonne gespenstisch be leuchtete Slornuschiff - es rückte bedrohlich nahe. Wolff schaltete den Rückstoßmotor ein, wie es Bergström bereits getan hatte,
und dadurch bekam er wieder Gewicht. „Unten" war nun für ihn die Richtung, aus der er kam, und das Slornuschiff schwebte jetzt scheinbar über ihm. Sie glitten über die Oberfläche des Schiffes dahin, aber sie fan den nichts, das wie ein Luk, eine Schleuse, oder ein Torpedoaus stoßrohr ausgesehen hätte. „Das reinste fliegende Fußballfeld", sagte Bergström, und Wolff nickte. Das Schiff war lang, breit und flach. „Die wissen sicher schon, daß wir da sind", sagte Wolff, „für sie ist alles sozusagen durchsichtig." „Ich weiß - sie sind masse-sensitiv", antwortete Bergström, und Wolff wunderte sich, wo der Arbeiter Bergström den Ausdruck aufgelesen haben mochte. „Wir könnten versuchen, uns hier durchzunagen", sagte Wolff, als sie auf der Kante des Schiffes standen. „Hoffentlich gelingt es." Er zeichnete mit der Hand einen Kreis von etwa einem Meter Durchmesser, und dann setzten beide ihre Handstrahler an und schmolzen ein rundes Loch aus der Außenhaut des Slornurau mers. Das Metall erglühte unter ihren Strahlern, und bald konn ten sie die herausgeschnittene Scheibe mit dem Fuß wegstoßen. Unter der Außenhaut fanden sie wieder eine Metallwand, und als sie diese auch durchschnitten hatten, noch eine. „Das geht leichter, als ich dachte", sagte Wolff, mehr für sich, und Bergström meinte: „Hoffentlich geht es nicht auf diese Art quer durch das ganze Schiff." Acht Hüllen hatten sie bereits durchschnitten, „Das ist ja eine fliegende Zwiebel!" seufzte Bergström, und als sie die neunten Löcher geschweißt hatten, drang ihnen dünner Nebel entgegen. „Endlich ein Raum mit Atmosphäre", grinste Wolff erleichtert, und Bergström rief: „Festhalten!" Das in das leere All entwei chende Gas drückte die beiden nach außen, aber sie verspreizten sich in den acht Außenhüllen. „Schnell hinein!" kommandierte Bergström, und er arbeitete sich in das Schiffsinnere; Wolff folgte ihm auf dem Fuße. Dann standen sie im Slornuschiff. Wenn sie nicht ihre Scheinwerfer ge habt hätten, wäre es im Raum finster gewesen. Sie leuchteten in alle Richtungen. Die Kabine war niedrig - sie konnten darin kaum aufrecht stehen aber ziemlich breit und sehr lang. Soweit sie es beurteilen konnten, war der Raum völlig leer.
„Was ist? Mein Anzug!" stieß Bergström hervor, und Wolff stellte fest, daß die Kombinationen sichtlich schlaffer wurden» „Der Luftdruck im Raum erhöht sich wieder", erklärte Wolff, und er blickte dorthin, wo sie eingestiegen waren. Was er sah, er schreckte, ihn. Die Wand war wieder geschlossen, und nichts wies mehr darauf hin, daß hier irgendwo ein Loch herausgeschweißt worden war. „Gute Lecksicherung", staunte Bergström; er hatte sich wieder gefaßt. „Was nun?" fragte Wolff. „Das Schiff ist von Großmollusken für Großmollusken gebaut worden. Wer weiß, wie wir uns in diesem Kasten zurechtfinden werden." „Ich habe einen Bärenhunger", stöhnte Bergström. „Daß die uns nicht schon längst empfangen haben! Die müssen doch wissen, daß wir an Bord sind?" „Wie viele wohl da sind?" fragte der Schwede. „Einer? Zehn, hundert? Keine Ahnung!" Wolff setzte sich in Be wegung, „Aber wir werden es bald erfahren. Und wir müssen he rausfinden, wie man diese Torpedos abschießt." Während sie voranschritten, blickten sie ständig um sich, um vor Überraschungen sicher zu sein. Sie versuchten, irgendwo hin zugelangen - wohin, das war ihnen gleich, aber es war besser, als einfach dazusitzen und zu grübeln. Sie wußten, daß das Schiff, in dem sie sich bewegten, von blinden, arm- und beinlosen, sechs Meter langen Wesen geschaffen worden war, und daß sie wahr scheinlich keine der Einrichtungen begreifen und richtig handha ben würden. Im Schiff gab es kein Licht, denn die Slornu brauchten keins. Wolffs Scheinwerfer stieß mit einem langen Lichtfinger durch die Finsternis. Der Strahl wurde in der trüben Atmosphäre sichtbar. „Jetzt verstehe ich auch, warum die Slornu nie Augen entwickelt haben. Auf ihrem Planeten ist es wahrscheinlich stockfinster, bei der Luft, die sie haben", sagte Wolff und blickte kurz zu Bergström zurück. Bergström war aber nicht da. „Bergström, wo bist du?" „Noch immer da, wo denn sonst." „Ich sehe dich nicht -" „Komisch, ich sehe dich deutlich." Wolff blickte nach allen Sei ten, und er hatte plötzlich den Eindruck, daß der Gang sich in Spiralen dahinwand. „Komm zu mir - gib mir die Hand!"
„Sofort", hörte Wolff Bergströms Stimme in seinen Kopfhörern, und dann sah er Bergström auftauchen - zuerst den Kopf und die Schultern. „Wolff, wo bist du hin?" meldete sich der Schwede wieder. „Hier vor dir", sagte Wolff und ging auf Bergström zu, doch da bei verschwand der Schwede wieder. Das letzte, was Wolff von ihm sah, waren, die Beine und die Schuhe. „Entweder machst du Witze, oder das Schiff ist verhext", rief Wolff, und er wußte nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte. „Den Eindruck habe ich auch", vernahm er Bergströms Stimme. „So geht das nicht weiter. Gehen wir wieder zurück zu der ers ten Kabine, dann müssen wir wieder zusammenkommen", schlug Wolff vor. Und sie kamen wieder zusammen. Hand in Hand wiederholten sie ihren Vormarsch durch das Schiff. Als sie glaubten, etwa einen Kilometer gegangen zu sein, blieben sie stehen. „Der kann doch nicht so lang sein. Ich würde nichts sagen, wenn es ein Gang rund um das Schiff wäre - aber wir sind bisher immer schnurstracks geradeaus gezuckelt", sagte Wolff. „Entweder kennen wir diese Bauweise nicht, oder die Schiffsher ren machen das absichtlich mit uns." „Das werden wir schon herausfinden." „Eines ist sicher: Die Erde sehen wir zwei nicht mehr", sagte Bergström gleichmütig. „Wer weiß, wo wir jetzt sind." „Vielleicht schon über die Neptun oder Plutobahn hinaus." Wolff fühlte, daß er schwitzte, und er wäre sich gern mit der Hand über die Stirn gefahren. „Am besten ist, wir schneiden uns wieder durch die Wand." „Das wollte ich auch gerade vorschlagen", sagte der Schwede. Als sie durch das herausgeschweißte Loch stiegen, betraten sie einen Raum, der ganz anders aussah als alles, was sie bisher ge sehen hatten. Im Scheinwerferlicht entdeckten sie dünne Säulen mit gerillter Oberfläche, die in geraden Reihen dastanden und vom Boden zur Decke reichten. Bergström ging auf sie zu, um sie aus der Nähe zu betrachten. Und dabei geschah etwas mit ihm, was Wolff ungläubig die Augen aufreißen ließ. Mit jedem Schritt schrumpfte Bergström zusammen, bis er nur noch zwei Fuß maß. Wolff rief seinen Kameraden an. Bergström wandte sich um und riß plötzlich seine Waffe hoch.
„Was hast du?!" rief Wolff. Verlor sein Kamerad jetzt den Ver stand? Oder war er bereits verrückt? „Ich bin bloß ein bißchen erschrocken", sagte Bergström. „Tau schen wir mal die Plätze." Sekunden später begriff Wolff, was der Freund gemeint hatte, denn er sah Bergström, der nun seinen Platz eingenommen hatte, plötzlich als Riesen vor sich. Sie tauschten mehrmals die Plätze - sie gingen kreuz und quer durch den Raum und sahen einander zu Zwergen schrumpfen und zu Riesen anwachsen. Schließlich setzten sie sich zu Boden und lachten. Sie lachten schallend, ausgelassen und herzbefreiend. Sie hatten entdeckt, daß der Raum voll von optischen Täuschun gen war. „Wir müssen uns jetzt um die Besatzung kümmern", sagte Wolff schließlich, und sie standen auf. Sie beschlossen, wieder ein Loch durch eine Wand zu schweißen. „Blumenfee'' Die Schlacht vorm Umbriel ging ihrem Ende zu. Sie war entschie den, als sämtliche noch unbeschädigten Slornuschiffe gleichzeitig auf einen Kurs gingen, der sie aus dem Solsystem wegbrachte. Nicht einmal fünfzig fliegende Rhomben waren es mehr, die hier versuchten, den nächsten Slornustützpunkt zu erreichen, der ir gendwo in den fernen Tiefen des Alls eine unbekannte Sonne um kreiste. Das Flaggschiff, mit „Blumenfee" an Bord, nahm die Ver folgung auf, Fällgren flog mit. Die anderen Raumwikinger bekamen den Auftrag, nach ver sprengten Slornuschiffen zu suchen. Fincher im Flaggschiff nahm die Routinemeldung entgegen. „Sowohl Aufklärer wie Nachhut der Kimben melden, daß kein einziges feindliches Schiff versucht hat, die inneren Planeten zu erreichen", sagte er, und Hulthén nickte. „Die haben die Schnauze voll - oder jedenfalls den Teil, der bei ihnen einer Schnauze entspricht", sagte der Schwede, der das fliehende Feindgeschwader keine Sekunde aus den Augen ließ. „Wenn die Kimben von haus aus so rangegangen wären, hätten sie schon seit zweitausend Jahren Frieden." „Nun ja, wir haben keine Ahnung von interstellaren Kriegen. Wir waren sehr erfolgreich heute, aber wir hatten mehr Glück als Ver
stand", meinte Fincher. „Ein Krieg, der sich über einen Raum von vielen Milliarden Lichtjahren erstreckt, wenn ich so sagen darf, kann nicht in ein paar Jahren beendet werden. Im Frontgebiet Sol, in unserem Planetensystem aber, ist der Krieg endgültig ent schieden und vorbei. In anderen Sternenräumen besteht jedoch die Feindschaft weiter. Wer weiß, wie lange es dauert, bis sich die heutige Slornuschlappe in der ganzen Galaxis herumspricht. - was unsere Freunde von Asterope jetzt wohl sagen werden? Die ha ben schon beim bloßen Zuschauen vergessen, ob sie Männlein oder Weiblein sind." „Und ihren Verteidigungswall aus Raumstationen können sie jetzt als Museum einrichten, oder als Erziehungsheim für gefalle ne Mädchen", sagte Hulthén, ohne die Augen vom Sichtschirm zu nehmen. „Sind wir nicht schon nahe genug?" fragte der Amerikaner und trat vor die Kontrolltafel. „Wir holen nur sehr langsam auf. Abstand rund 16 000 Kilome ter. Jetzt beginnen sie auch schon, uns zu beschießen. Sie haben schwache Nerven bekommen", sagte Hulthén, und er befahl dem Bordschützen, mit sämtlichen Strahlkanonen einen Schutzgürtel vor das Schiff zu legen. Gleich darauf explodierten die ersten Slornutorpedos - 16 000 km war für sie keine Entfernung. Immer mehr Feindgeschosse versprühten, ohne zu schaden, weit vorm Schiff. Es sah aus, als hätte jemand eine Schachtel voll Zündhöl zer auf eine heiße Herdplatte gestreut. „Unglaublich, daß diese Kimben im Laufe des langen Krieges nie auf die Idee kamen, daß man mit Strahlgeschützen einen Sperr gürtel um das eigene Schiff legen kann. Uns war das doch selbst verständlich. Skogholm, Fällgren und Wolff wären sonst mit ihren Bomben nie bis in die richtige Schußposition gelangt." Fincher trat wieder zu seinem Koordinationstisch. „Ich habe Wolffs Standort nicht. Die vier Kreuzer seiner Staffel sind vernich tet - aber wo ist Wolff?" Er sprach ins Bildsprechgerät: „Fällgren, wissen Sie, wo Wolff ist?" „Nein", kam Fällgrens Antwort. „Mir ist auch nicht bekannt, daß jemand die Vernichtung seines Schiffes gemeldet hat." „Wolff - hören Sie uns? Melden Sie sich!" Fincher rief mehrere Male in das Bildsprechgerät, das auf allen Schiffen andauernd in Betrieb war.
Aber das Flaggschiff erhielt keine Antwort. Von dem Planeten Uranus war nur noch eine helle Sichel zu se hen, als Hulthén beschloß, die „Blumenfee" abzufeuern. Mit 800 km war die Schußweite ziemlich hoch, aber die Männer im Flagg schiff versprachen sich nichts von einer Fortsetzung der Verfol gungsjagd. In der kurzen Zeit, da die Überbombe sich auf dem Weg ins Ziel befand, reagierten die Slornu und vergrößerten sofort die Abstän de zwischen ihren Schiffen. Anscheinend hatten sie mit diesem Manöver solange gewartet, bis die Bombe abgeschossen war. Als letzte Bombe der Serie bewirkte die „Blumenfee" mit ihrer gigantischen Explosion Vernichtung und Chaos. Nur acht fliegende Rhomben kamen ohne nennenswerte Schäden davon - sie zeigten das, indem sie kunstvoll zu manövrieren begannen. Fällgren ver suchte, seine Strahlgeschütze zum Einsatz zu bringen. Aber die Slornu schickten nun ihre Geschosse aus den verschie densten Richtungen, und das war unangenehm, weil man mit Strahlern nur einen Sperrgürtel von beschränkten Ausmaßen bil den konnte. Da war Angriff die beste Verteidigung, und Fällgren ließ seine automatische Strahlartillerie mit Volldampf arbeiten. Durch die Winkel seiner Augen gewahrte Fällgren, daß der Bild schirm, der ihn mit dem Inneren des Flaggschiffes verband, er losch, als wäre er ausgeschaltet worden. Auch das Bordsichtgerät zeigte das Flaggschiff nicht mehr - an seiner Stelle flogen Trüm mer durch das All. Bevor Fällgren sich auf die neue Lage einstel len konnte, ging eine gewaltige Erschütterung durch sein Schiff. Fällgren wurde durch den Raum geschleudert. Er prallte gegen die Wand und blieb stöhnend liegen. Jetzt bin ich also doch noch dran, dachte er. Fällgren hatte ein ziehendes, brennendes Gefühl im rechten Oberschenkel; als er versuchte aufzustehen, wurde sein Bein zu einer Hölle von Schmerzen. Müde blieb er liegen. Er wollte ein wenig ausruhen. Sein Blick fiel auf das Bordsichtgerät, das den Weltraum so zeigte, als sähe man durch ein Fenster. Er gewahrte acht fliegen de Rhomben, die sich wieder zur Geschwaderformation zusam mengeschlossen hatten. Plötzlich lösten sie sich in Nichts auf. Sie hatten auf Interstellare Hyperfahrt umgeschaltet, um das un heimliche Planetensystem des kleinen Sternes Sol auf schnellstem Wege zu verlassen.
Was die Slornu zu Hause auf dem einzigen Begleiter der Sonne Psi Librae berichten würden, konnte natürlich kein Mensch und kein Kimbe je erfahren. Vielleicht, daß die Kimben mit einer völlig neuen Kampftaktik altertümliche Atomwaffen erfolgreich einge setzt hatten. Oder wahrscheinlicher, daß die Kimben sich mit den entsetzlichen Bewohnern eines Solplaneten verbündet hatten, die wie Teufel kämpften. Zwischen den Explosionen von Fällgrens „Maiwind" und Hulthéns „Blumenfee" waren elf Minuten vergangen. Fällgrens Schiff hatte als erstes der gesamten Raumwikingerflotte einen Angriff vorgetragen, und es war das letzte, das sich mit den Ge gnern herumgeschlagen hatte. Nun stürzte es schwerbeschädigt im freien Fall dahin. Fällgren rief mehrmals den Namen seines Bordkameraden, ohne eine Antwort zu erhalten. Auf den Händen und auf einem Bein kroch er zum Sprechschirm, der ihn mit Admiral Sim verband, und er schilderte seine Lage. Admiral Sim versprach, sofort einen Kreuzer zu schicken. Strandgut der Raumschiffahrt Die beiden Eindringlinge im fremden Schiff wußten nicht mehr, durch wieviele Räume sie auf ihrer vergeblichen Suche nach den Insassen schon gekommen waren. Hand in Hand schritten sie durch gewundene Gänge, die endlos zu sein schienen und in die keine Türen einmündeten. Wolff und Bergström schweißten sich den Weg durch die Schiffswände, als hätten sie ihr ganzes Leben nie etwas anderes getan. „So geht das nicht weiter. Entweder führen die uns an der Nase herum, oder..." Wolff stockte. „Oder was?" Sie setzten sich Rücken an Rücken und schalteten die Schein werfer aus. Die Finsternis war so schwarz, daß die Männer auf der Netzhaut graue Muster empfanden. „Oder wir sind in einem Robotschiff. Die Kimben versicherten zwar, daß wir es mit lauter bemannten Einheiten zu tun hätten." „Das mit dem Robotschiff glaube ich nicht", sagte Bergström gleichmütig. „Und weshalb nicht?" „Das ist doch klar. Dreimal darfst du raten."
„Hast du Slornulosung gefunden?" versuchte Wolff zu scherzen. „Noch einfacher!" „Du meinst, weil das Schiff Gänge hat, die überflüssig wären, wenn es unter der Leitung eines mechanischen Hirns wäre?" „Schon besser, aber noch kein Beweis." „Was ist es dann?" „Im Schiff ist Atmosphäre, wie ein Slornu sie braucht, und Ma schinen atmen nicht. Nur Lebewesen sind davon abhängig." „Natürlich, Bergström! Ich glaube, mir fällt in letzter Zeit das Denken schwer." „Still!" hörte Wolff Bergströms Stimme, und er fühlte, wie der Schwede ihn an der Schulter packte und herumdrehte. „Schau!" Wolff blinzelte und riß die Augen auf. Aber es gab keinen Zwei fel: er gewahrte grünes Licht. Es sah aus, als ob eine ganze Wand im zarten Grün erglühte. Aber er konnte nicht schätzen, wie weit das Licht oder das Ding, das da glühte, entfernt war. Das Licht wurde schwächer und verlosch, nach einiger Zeit leuchtete es wieder auf. „Was soll das?" flüsterte Wolff. „Die sind doch blind - wie kön nen sie etwas erzeugen, von dem sie wissen, daß wir es als Licht empfinden?" „Vielleicht wissen sie gar nicht, daß gewisse Vorgänge in ihrem Schiff von Lichtvorgängen begleitet werden", flüsterte Bergström. „Genau so wenig, wie sie wissen, daß ihre Raumtorpedos beim Explodieren aufleuchten." „Wenn das aber ein Versuch ist, mit uns in Verbindung zu tre ten?" „Glaube ich nicht!" Bergström schüttelte energisch den Kopf, aber Wolff sah es nicht. „Warum sollen sie mit uns ins Gespräch kommen wollen?" „Vielleicht haben sie keine Nahkampfwaffen, weil noch nie in der Geschichte dieses langwierigen Krieges ein feindliches Schiff geentert wurde. Wir nahmen ja auch nur Handwaffen mit in die Kimbschiffe, weil ein Mensch sich unbewaffnet fühlt, wenn er nicht was zum Schießen bei sich hat." Das grüne Licht begann in schneller Folge zu blinken. Die To tenstille im Slornuschiff hielt jedoch weiter an, obwohl die dicke Chlor-Schwefel-Luft auch Schall gut übertragen hätte.
„Vielleicht haben sie nur ganz gewöhnliche Angst vor uns", ver mutete Wolff. „Oder sie halten uns für Unterhändler. Vielleicht zeigen..." Wolf verstummte plötzlich, als der Boden, auf dem sie hockten, sich in Bewegung setzte. Sie hatten das Gefühl, auf einem För derband zu sitzen, das immer schnellere Fahrt machte, denn die Beschleunigung bewirkte, daß ihre Körper träge zurücklehnten. Bergström schaltete seine Lampe ein, und Wolff tat dasselbe. Jetzt sahen sie beide Wände und die Decke vorbeiflitzen, der Bo den aber bewegte sich mit ihnen. Das grüne Licht war ver schwunden, ohne daß sie je hätten seine Ursache feststellen kön nen. „Löcher in den Boden schießen!" schlug Wolff vor, und sie eröff neten ein wildes Sperrfeuer auf den Boden, der mit ihnen dahing litt. Die Fahrt verminderte sich zusehends; schließlich blieb das Rollband ganz stehen. Unter dem ungeschwächten Feuer der Raumwikinger zerbrö ckelte der Boden und bekam große Lücken. Und als beide nach unten leuchteten, erblickten sie etwas, das ihnen einen Augen blick lang das Herz stocken ließ: Von hoch oben blickten sie in eine Reihe von großen ovalen Zellen, in denen je ein Slornu lag. Jeder einzelne sah aus wie Jonathan, der Gefangene auf Gany med. Wolff hatte keine Möglichkeit festzustellen, ob die Riesenmollus ken schliefen, oder ob das ihre Arbeitsstationen waren. Es inter essierte ihn im Augenblick auch nicht sonderlich. Er richtete sei nen Strahler auf die braunen Riesenleiber. Bergström hatte das Feuer schon eröffnet. Ein Slornu nach dem anderen schlug wie in einem heftigen Schmerz mit beiden Kör perenden um sich und fiel dann in sich zusammen. Wolff stellte fest, daß ein toter Slornu wesentlich kleiner war als ein lebender. Es sah aus, als wären sie hohl und gasgefüllt. Die scheinbare Hilflosigkeit der Überfallenen täuschte die Raumwikinger nicht; nach dem Motto „ich oder du" zielten sie auf alles, was sich regte. Sie stellten das Feuer sofort ein, als sie si cher waren, daß kein Slornu mehr lebte. Dann blickten sie um sich, um vor neuen Überraschungen gefeit zu sein. „Ich habe einen Bärenhunger", maulte Bergström schon wieder, und Wolff fand, daß dies die unpassendste Bemerkung sei, die der Schwede hätte machen können.
„Es wäre besser, wenn wir hier abhauten", sagte Wolff. „Sitzen bleiben können wir hier nicht." „Wir steigen da hinunter. Das ist wenigstens endlich eine be wohnte Abteilung", schlug Bergström vor und kletterte voran durch das Loch. Mit einem Sprung erreichte er die Abteilungen, in denen die toten Slornu lagen. Wolff sprang ihm nach. Wohin sie gingen, war gleich - Hauptsache, daß sie zusammenblieben. Sie verließen den Raum mit den Zellen und gelangten durch ei nen kurzen, niedrigen Gang in eine Art Saal, der mit geometrisch geformten Körpern, Röhren und Drähten angefüllt war. Die Eindringlinge wußten, daß sie hier Maschinen vor sich hat ten, wenn sie auch deren Zweck oder Funktionsweise nicht erra ten konnten. Eines aber war klar: Wenn sie hier zu schießen begannen, gab es Schäden, die die Besatzung mit Bordmitteln vielleicht gar nicht mehr beheben konnte. Zielbewußt und planmäßig richteten sie ihre Hartstrahler auf die verwirrende Inneneinrichtung des Saa les, der so groß war, daß ihre Scheinwerfer nicht bis zur gegenü berliegenden Wand durchdrangen. Manche Körper verloren ihre kantigen Formen und schmolzen, andere zerbarsten mit einem hellen Knall. Schließlich schien es im Saal nichts mehr zu geben, das noch unbeschädigt war. Wolff stellte sein Feuer ein, aber Bergström schoß wie besessen weiter. Das Bersten der getroffenen Objekte erfüllte die Luft mit einem Höllenspektakel, und Wolff fürchtete, daß bald etwas Grö ßeres explodieren könnte. Weil seine Worte in dem Lärm unter gingen, klopfte Wolff seinem Kameraden auf die Schulter. Bergström dachte jedoch nicht daran, den Finger vom Abzug zu nehmen, und er hörte erst auf, als mehrere Erschütterungen durch das Schiff liefen. „Ich möchte für mein Leben gern wissen, welche Funktionen diese Maschinen hatten, bevor wir sie zerstörten", sagte Bergström. „Wahrscheinlich hatte der ganze Apparat mit der Ast rogation oder mit dem Antrieb zu tun." Er streichelte seine Waffe, wie man ein braves Pferd streichelt. „Das ganze Schiff hat gewa ckelt..." „Warum hast du nicht mit dem Schießen aufgehört, als ich dir auf die Schulter klopfte?" „Aufgehört? Ich dachte, ich sollte besser zielen."
„Das hast du auch gemacht. - Aber wir müssen weiter. Ste henbleiben kann den Tod bedeuten." Wolff reichte Bergström die Hand, damit sie weitergehen konn ten. Aber sie kamen nicht weit. Nach wenigen Schritten gab der Boden unter ihnen nach, und sie fühlten, daß sie sanken wie in einem Aufzug. Im Licht ihrer Lampen sahen sie, daß sie einen breiten, ovalen Schacht hinunterglitten. Die Abwärtsbewegung hörte bald auf und ging in eine horizontale über. „Sie fahren schon wieder Schlitten mit uns", sagte Bergström. „Sie sorgen so nett für Unterhaltung, und wir verderben ihnen den Spaß. - Mit diesem Rollband könnten sie im Tivoli von Ko penhagen oder Stockholm viel Geld machen." „In Hamburgs St. Pauli auch", gab ihm Wolff recht, „und sogar im Wiener Prater." „Sollen wir wieder das Zeichen zum Aufhören geben?" fragte Bergström und brachte seine Waffe in Anschlag Im selben Augenblick hörte die Bewegung des Bodens auf, und sie blieben stehen. Bergströms Lichtstrahl fiel auf eine riesige Gestalt, die sich rasch aus der Finsternis löste, und er drückte ab. Der Slornu sank in sich zusammen, und einige Augenblicke später war er verschwunden, wie vom Boden verschluckt. Bergström mußte an die Geisterbahn im Tivoli denken, und die Vorstellung, daß die Slornu hier versuchten, sie mit Gespenstern zu erschrecken, ließ ihn auflachen. Da hörte er hinter seinem Rücken eine Bewegung. Er drehte sich um, und das Lachen verging ihm gründlich. Ein Slornu hatte sich um Wolff gewickelt. Bergström sah von seinem Kameraden nur noch einen Arm und den behelmten Kopf. Mit der Linken griff Bergström nach der Hand des Deutschen, und mit der Rechten schoß er. Die Angst gab ihm solche Kräfte, daß er mit einer Hand die Waffe zum ge zielten Schuß erhob. Zum erstenmal in seinem Leben kämpfte Bergström um einen Kameraden. Noch schien Wolff zu leben, denn er erwiderte Bergströms har ten Griff. Der Schwede vermochte den Slornu nicht entscheidend zu treffen, denn dieser schüttelte heftig sein mächtiges Kopfende hin und her. Schließlich sank er in den Boden ein und zog den Menschen mit, den er fest umschlungen hielt.
Langsam, aber unaufhaltsam löste sich der Griff der beiden Männer - Bergström stemmte sich gegen die Wand und versuchte Wolff zurückzuhalten, aber die Finger des anderen glitten aus seiner Hand, und Bergström mußte loslassen, um nicht mit hi nabgezogen zu werden. Er war sicher, daß sie einander nie wiedersehen würden. Er fürchtete, Wolff sei schon tot. Und wenn er noch lebte, würden ihn die Slornu womöglich lebendig sezieren. Bergström richtete seine Waffe in den neuentstandenen Schacht und schoß. Er fühl te, wie der Grimm in ihm hochstieg, so daß seine Gesichtsmus keln eisenhart wurden. Bergström schoß, auch als der Schacht verschwand und der Bo den, auf dem er kniete, wieder zu rollen begann. Bergström schoß in die Richtung, aus der er kam und in die Richtung, in die ihn der fahrende Boden mit zunehmender Geschwindigkeit beför derte. Er schoß noch, als er sich plötzlich von den unzähligen Licht punkten des freien Alls umgeben sah und das Slornuschiff eine ferne Sonne gespenstisch beleuchtete. Jetzt erst hörte Bergström zu schießen auf. Obwohl sich der riesige fliegende Rhombus aus Metall langsam entfernte - im Perspektiven Weltraum schien er auf der Stelle zu verharren und einzuschrumpfen -, wußte Bergström, daß er selbst mit erheblicher Geschwindigkeit durch das All raste. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Die beiden anderen Slornukreuzer, die sie von ihrem Wrack aus gesichtet hatten, konnte er nirgends ausmachen. Wahrscheinlich hatte das Schiff, dessen Zentrale sie zerstört hatten, an Fahrt verloren. Die ganze Einsamkeit des Weltalls war um Bergström; er wun derte sich darüber, daß er keine Angst empfand. Um wieder Ge wicht im Magen zu fühlen und zu wissen, wohin er sich bewegte, schaltete er den Rückstoßmotor ein und nahm Kurs auf die Son ne, die er als einziges von den ungezählten Gestirnen, die ihn umgaben, erkannte. Er wußte, daß seine kleine Einmannrakete die nur für den Verkehr zwischen den Schiffen und nicht für den interplanetarischen Raumflug geschaffen war - ihn noch lange nicht in Richtung Sonne treiben würde. Zuerst mußte nämlich die Geschwindigkeit, die er noch vom Slornuschiff her hatte, abge bremst werden. Aber Bergström hatte Zeit. Er hatte die ganze Zeit des Weltalls für sich.
Die gewaltige Stille rauschte in seinen Ohren. Das ist mein ei genes Blut, dachte Bergström. Regelmäßiger Puls Er lächelte. Schade, daß er hier nicht Svensk Radio Stockholm hören konnte. Aber er hatte noch eine Funksprechanlage im Anzug. Wenn er mit ihrer Hilfe ein Kimberschiff herbeirufen konnte, brauchte er nicht bis in alle Ewigkeit als winziger Planetoid die Sonne zu umkreisen. Die Schlacht vorm Umbriel mußte längst vorüber sein. Er stellte auf Fernempfang ein und lauschte andächtig und ge duldig. Aber er vernahm nichts. Vielleicht spricht eben niemand was, tröstete er sich. Er beschloß, selbst etwas zu sagen. „Hallo Flaggschiff, hallo Flaggschiff!" Dann lauschte er wieder, aber er bekam keine Antwort. Mehrmals noch rief er das Flagg schiff, doch weil es erfolglos war, kam er sich ein wenig lächerlich vor. Bergström war überzeugt, daß die Kimbenflotte - wenn auch nicht mehr in der Nähe des Uranus, so doch noch in Rufweite war, da die Sprechgeräte angeblich durch das halbe Planetensys tem reichten. Geduldig und gleichmütig trieb Bergström durch das All. Der Hunger hatte zum Glück nachgelassen. Plötzlich gewahrte er durch die Augenwinkel einen hell aufflammenden Stern, den er vorher nicht gesehen hatte. Weil sich der Stern langsam gegen den Hintergrund von zahllosen punktförmigen Sonnen verschob, nahm Bergström an, daß das Licht - für astronomische Begriffe verhältnismäßig nahe sein mußte. Bald verglühte das Licht wie der, und dann war es, als wäre es nie vorhanden gewesen. Das mußte eine Bombe gewesen sein, sagte sich Bergström. Fünf Überbomben hatten sie gehabt Bergström rechnete nach Als erste war Fällgrens „Maiwind" explodiert. Dann hatte Skog holms „Chat noir" ganze Arbeit geleistet. Sedgwick hatte mit sei ner „Baby Doll" die wie lahme Enten am Boden hockenden Feind schiffe ausradiert, und Wolffs „Sanfte Suse" war ebenfalls zum Einsatz gekommen. Also konnte das, was er eben gesehen hatte, nur die „Blumenfee" des Flaggschiffs gewesen sein. Bergström hatte das Gefühl für Zeit gänzlich verloren. Er wußte nicht, wie lange er schon allein im All hing, er wußte nicht, wie lange Wolff und er im feindlichen Schiff gewesen waren. Es hätten Minuten sein können, aber auch Stunden. Er wußte auch nicht, wieviel Zeit vergangen war seit der Explo sion der „Blumenfee", als er ganz deutlich - wie aus nächster Nä he - in seinen Kopfhörern eine Stimme vernahm:
„Admiral Sim - Admiral Sim! Hier ist Fällgren, Kommandant Vierte Staffel. Mein Schiff ist manövrierunfähig - mein Bordkame rad ist wahrscheinlich tot. Können Sie uns herausholen?" Eine andere Stimme - offensichtlich die eines Kimben - antwor tete. „Wir haben Sie bereits geortet. Ein Kreuzer ist zu Ihrem Standort unterwegs." Der könnte mich auch gleich auflesen, wenn es ihm nicht zu vie le Umstände macht, dachte Bergström. „Admiral Sim - Admiral Sim - hallo - können Sie mich hören?" rief er. „Ich höre - wer spricht?" „Hilding Bergström - Bordschütze bei Henrik Wolff. Wolff ist tot. Können Sie mich auch abholen?" „Natürlich. Wo sind Sie?" „Ich bin nicht in einem Schiff, ich bin allein im Raum. Wo ich bin, weiß ich selbst nicht - aber ich kann von hier aus keinen Ura nus und keinen Umbriel erkennen." „Wir wissen jetzt, wo Sie sind. Während Sie sprachen, haben wir Sie angepeilt. Der Kreuzer wird gleich bei Ihnen sein." „Soll ich weitersprechen? Ich bin sicher schwerer zu finden als eine Stecknadel im Atlantik." „Darum wollte ich Sie eben bitten. Der Kreuzer kann Sie aller dings auch mit dem Meteoritensucher orten. Aber es ist unsi cher." „Admiral Sims - darf ich eine unbescheidene Bitte ausspre chen?" „Jederzeit." „Ich habe Hunger wie zwanzig sibirische Wölfe. Vielleicht hat der Suchkreuzer etwas Eßbares anzubieten." Eine andere Stimme meldete sich: „Hat er, machen Sie sich darüber keine Sorgen." Das war zweifellos der Kommandant des Kreuzers. Auch diese Stimme hatte den kimbischen Tonfall. Zweifelhafte Ehre, mit dem Meteoritensucher geortet zu wer den, dachte Bergström. Sicher ist sicher, sagte er sich - und sang von Zeit zu Zeit in sein Sprechgerät, was ihm gerade einfiel. Verhängnisvoller Niemandsraum Die Schlacht vorm Umbriel - dem nach Miranda und Ariel dritten Mond des Uranus, der seinen Planeten in vier Erdtagen einmal
umkreist und wesentlich kleiner als Ganymed oder Luna ist - soll te nicht nur die wichtigste und unbekannteste der Menschheitsge schichte bleiben, sie war auch die kürzeste. Zwischen der Explo sion der ersten Überbombe und der Beschädigung von Fällgrens Raumkreuzer vergingen auf der Erde nur elf Minuten. Noch nie zuvor in der Geschichte ihres jahrtausendealten Krie ges hatten die Kimben aus einer Flotte so viele Schiffe verloren. Von dem Solfrontgeschwader gab es außer den leichten Aufklä rern und den fünf Raumkreuzern der Nachhut, nur noch vier Schiffe, die aus der Schlacht ohne nennenswerte Beschädigung zurückkehrten. Zwei gehörten zur Staffel Fällgrens, eines zur Staffel des Flaggschiffs und eines zur Gruppe Sedgwick. Damit waren außer Fällgren und Bergström nur noch acht Raumwikinger am Leben. Die zehn Männer vom kleinen Planeten Erde wurden in Admiral Sims Flaggschiff gebracht. Ihre Raumkreuzer erhielten eine Be satzung von je zwei Kimben. Noch nie zuvor hatten die Kimben in einer Schlacht den größe ren Teil ihrer Flotte verloren - und noch nie zuvor hatte eine Kampfgruppe von Kimbenschiffen die Slornu so gründlich und nachdrücklich in die Flucht gejagt. Nach der Schlacht waren die Menschen abgespannt und müde die Kimben aber waren erschüttert, erschreckt und sichtlich durcheinander. Es machte ihnen Mühe, mit den Menschen so zu verkehren, wie sie es vor der Schlacht getan hatten. Die Schwe den kamen ihnen wie Lebewesen mit den Seelen von Teufeln vor. Diese Menschen sahen aus wie Kimben, waren so beherrscht wie Kimben, aber so unerschrocken wie sonst niemand in der ganzen Galaxis. Unerschrocken wie eben nur Menschen es sein konnten. Von der gigantischen Armada aus dem Raumgebiet des Stern bildes Waage, die ausgezogen war, einen entscheidenden Stoß ins Herz des interstellaren Kimbenreiches zu führen, entkamen nach den Berichten von Fällgren und Bergström zehn Schiffe. Ei nes flog noch im interplanetarischen Raum. Die Slornu hatten verloren, weil sie die alte Kampftaktik der übertriebenen Vorsicht befolgten. Sie waren mit der gesamten Streitmacht auf einem kleinen, verlorenen Trabanten gelandet - wahrscheinlich, um dort einen ähnlichen Raumstützpunkt zu errichten, wie ihn die Kimben auf dem großen Jupitermond Ganymed hatten. Zugleich wollten sie sicher das Planetensystem im Niemandsraum erforschen. Ge
wiß hätten sie dabei - wie es ihre Art war - automatisch die drei Planeten mit den besten Lebensbedingungen - Mars, Erde und Venus - chlorisulphuriert. Als alterfahrene Raumpiloten hatten die Slornu sicher viel gese hen, und sie waren auch bestimmt auf manches Neue gefaßt, als sie im Niemandsraum eine kleine Planetenfamilie entdeckten. Aber kein einziger Slornu hatte wohl erwartet zu sterben. * Fällgren bat die Kimben im Namen seiner Kameraden, die Rest flotte möge eine Ehrenrunde um den kleinen Trabanten Umbriel drehen. Die Ehrenrunde flogen die Schweden stehend und mit gesenkten Blicken. Selbst Fällgren mit seinem geschienten Ober schenkelbruch stand aufrecht - er stand auch noch, als er einige Abschiedsworte für die gefallenen Kameraden sprach. „Liebe Kameraden, wir haben soeben das Raumgebiet durch messen, in dem ihr gekämpft habt und gestorben seid. Von der Schlacht ist keine Spur, kein Zeichen mehr zu sehen. Ihr habt, ohne Fragen zu stellen und bedingungslos, für eure Mitmenschen gefochten, in der Überzeugung, das Richtige zu tun. Euer Grab ist das unermeßlich weite All, und kein Ruhm wird euer Lohn sein, denn erst, wenn dereinst die Menschen mit eigenen Schiffen zu den Sternen fliegen und den Weg zu den Planeten suchen, wer den die Raumfahrer kommender Generationen euch in den zer schossenen Wracks entdecken, ehren und feiern. Wir, eure Freunde, die diese Schlacht überleben durften, können euch nie vergessen." Die letzten Raumwikinger warfen einen mit Bordmitteln herges tellten künstlichen Eichenlaubkranz hinaus ins All. Als die Kimbenschiffe wieder Fahrt aufnahmen, mit dem Ziel Ganymed, hatte der Atompilz auf dem Umbriel eine Höhe von 700 km erreicht und wuchs noch immer - ein schaurig-schönes, nahe zu lebendes Denkmal einer Schlacht zwischen Feinden, die einan der nicht zu sehen bekamen und die einander nie zuvor ein Leid zugefügt hatten. Die Raumwikinger empfanden Heimweh. Es war ihnen, als hät ten sie die Erde seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, und sie versuchten sich auszumalen, wie sie sich verändert haben moch
te. Sie machten sich Gedanken darüber, wie sie ihre lange Abwe senheit erklären würden. Aber trotz Heimweh hatten sie nichts dagegen, vorerst noch einmal die Kimbenstadt auf dem Ganymed zu besuchen. * Die Nachricht vom entscheidenden Sieg der Raumwikinger über die Slornu-Armada drang durch die Galaxis, überallhin wo Kimben wohnten. Die Bevölkerung der Ganymedstadt hatte die Schlacht am Fernfilmschirm miterlebt, und die zehn Überlebenden wurden mit einem Zeremoniell empfangen, das sonst nur den Obersten Räten des Interstellaren Kimbenreiches zustand. Die Männer fühlten sich bei den Ehrungen nicht sonderlich wohl, und sie waren froh, als sie endlich ihr Schwedendorf am Teich aufsuchen konnten, wo sie sich sofort schlafen legten. Viele Stunden später suchte Swi den Patienten Fällgren auf, um mit ihm über Wolff zu sprechen. Fällgren verwies das Mädchen an Bergström. Der Schwede lag in seinem Zimmer mit hochgelagerten Beinen und summte immer wieder dasselbe Lied von Frühling, Scheiden und Liebe, als Swi eintrat. Er stand höflich auf und setzte sich erst wieder, nachdem sie Platz genommen hatte. „Alles wollen Sie von ihm wissen - wo soll ich da beginnen? Er führte die Staffel III, und seine Bombe hieß ,Sanfte Suse'. Mit der hat er ein ganzes Feindgeschwader vernichtet. Und nachdem sie unserem braven Kreuzer die Luft ausgelassen hatten, stiegen wir um auf einen fliegenden Rhombus. Da drin ging es zu wie in ei nem Narrenhaus - es war alles rein wie verhext - und ich kann heute weniger denn je begreifen, was ich dort erlebte. Wände, die rollten und verschwanden, Schächte, Räume mit optischen Effek ten - kurz: ein Tollhaus. Als wir endlich auf die Besatzung stießen, töteten wir einige von ihnen. Und dann wollten sie uns vernich ten. Ich werde nie begreifen, warum sie mich von Bord gestoßen haben, während sie Henrik ergriffen. Warum haben sie uns nicht beide behalten oder beide hinausgeworfen? Mit dieser Hand habe ich ihn zu halten versucht, aber es half nichts. Als ich ihn zum letztenmal sah, war er schon tot. Es ist nun einmal so: In einem Krieg sterben die Besten zuerst."
Swi war nicht gekommen, um die Einzelheiten von Wolffs Tod zu hören, und Bergström führte auch keine an. Swi wollte nur seinen Namen genannt, von ihm sprechen hören. * Noch einmal gingen die Männer von Atomby an die Arbeit. In der Wallebene außerhalb der riesigen Plastikkuppel errichteten sie einen Steinobelisken von beachtlicher Höhe. Die Arbeit ging nur langsam voran, denn es eilte den Schweden nicht. Wie in den Tagen vor Weihnachten hatten sie ein ausgedehntes Freizeitprog ramm; besondere Aufmerksamkeit schenkten sie Jonathan und seinen zwölf Sprößlingen. Als Fällgren dem Gefangenen schriftlich von der Schlacht Mitteilung machte, wurde er von dem Slornu als Lügner bezeichnet und weggeschickt. In der Folgezeit ignorierte er die Menschen völlig. Jonathan wollte entweder mit derartigen Lügnern oder mit den Mördern seiner Brüder - falls er die Nach richt doch insgeheim glaubte - nichts mehr zu tun haben. Die Frauen von Asterope waren - im Unterschied von ihren Männern - mutiger und weniger befangen im Umgang mit den Kriegern vom Umbriel - gingen weiterhin mit den Schweden ins Spielzentrum oder baden, als sei nichts geschehen. Je höher der Obelisk wuchs, desto mehr dehnten die Männer von der Erde ihre Freizeit aus. Sie wußten, wenn erst der irdische Alltag sie wieder verschlungen hatte, würden sie sich sehr oft nach den Zeiten auf Ganymed zurücksehnen. * Und dann kam die Stunde, da die Kimben mit allen Schiffen die Stadt auf dem Ganymed verließen und die zehn letzten Raumwi kinger bei Nacht und unbemerkt in Schweden auf der Erde ab setzten. Doch nur neun setzten ihren Fuß wieder auf die Heimat erde, denn der unternehmungslustige Dr. Fällgren hatte beschlos sen, bei den Kimben zu bleiben. Als die Fremden das Solsystem in Richtung Asterope verließen, zog er mit ihnen. Sein Drang in die Ferne war größer als sein Heimweh.
Die neun Arbeiter hatten die ganze Zeit ihrer Abwesenheit reichlich vergütet bekommen - jeder hatte nun ein Bankbuch mit einem beachtlichen Konto (die Bücher nahmen sie erst, als die Kimben ihnen erläuterten, daß sie nicht gefälscht seien) und etli che Edelsteine, deren Erlös für ein ganzes Leben genügt hätte. Sie suchten sich aber wieder Arbeit und behielten die Gemmen zum Andenken. Als Raumwiking hatte Bergström so allerlei erlebt, und er war überzeugt, daß nichts mehr in seinem Leben ihn je verblüffen könnte. Dennoch riß er ungläubig eines Tages in der UBahnhaltestelle von Odensplan in Stockholm die Augen auf. Ein Mädchen stieg aus dem dichtbesetzten Zug, dass zweifellos nie mand anders war als Swi. Bergström ging auf sie zu, klopfte ihr auf die Schulter und rief gut gelaunt: „Ist das die Möglichkeit Swi! Sind die Slornu schon wieder unterwegs? Alles wohlauf auf Asterope?" Das Mädchen mit den hellgrauen Augen und weißblonden Haa ren einer Kimbin musterte Bergström kurz, dann tippte sie sich mit einem Finger an die Schläfe, drehte sich energisch um und ging weiter; bald war sie in der Menschenmenge untergetaucht. * Die Kimben ließen die Plastikkuppeln auf dem Jupitermond unbe schädigt. Seit der Schlacht vorm Umbriel steht ein stolzer Obelisk in der Ringebene vor der Stadt und wirft einen langen schwarzen Schatten in das verlassene Wüstenland. Am Fuße der Steinsäule ist in einfacher, runenähnlicher Schrift etwas eingemeißelt - ein irdisches Datum, der Name eines Uranustrabanten und die Na men von einundfünfzig Männern. Einundvierzig Namen sind mit einem Kreuz versehen. Wenn die irdische Raumfahrt einmal so weit ist, wird dort die Menschheit offiziell die Geschichte von der Schlacht vorm Umbriel erfahren - vom Kämpfen, Siegen und Sterben einer Handvoll Raumwikinger, Von Bewohnern eines Planeten im Niemandsraum eines interstellaren Krieges. ENDE
Sie erinnern Sie noch an Utopia-Zukunfts-Roman Nr. 216? Der Agent Mitsuma blieb mit seiner Mannschaft auf dem Mars zurück, und die amerikanischen Raumfahrer mußten annehmen, die Asiaten seien von Marsungeheuern vernichtet worden. Plötz lich aber werden in der asiatischen Raumstation rätselhafte Strahlungen vom Mars aufgenommen, und das Erstaunlichste: Die Strahlung tritt in Intervallen von 60 Minuten auf, einer irdi schen Zeiteinheit also. Immer mehr wird die Vermutung zur Gewißheit, daß der Agent Mitsuma noch lebt. Wie aber mag es einem Menschen ergehen, der abgeschnitten von der Erde auf einem Planeten gestrandet ist, den mordlustige Rieseninsekten umgeben? Das erfahren Sie nächste Woche in UTOPIA-Zukunftsroman 218. Gestrandet auf dem Mars Und wenn Sie UTOPIA-Zukunftsroman 216 versäumt haben, dann besorgen Sie sich dieses spannende Raumabenteuer gleich mit.