Gruselspannung pur!
Berlin Alexanderplatz - vor 800 Jahren…
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Berlin, Alexand...
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Gruselspannung pur!
Berlin Alexanderplatz - vor 800 Jahren…
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Berlin, Alexanderplatz. Nichts wies auf den Spuk hin, der an diesem lauen Spätsommerabend hier erscheinen sollte. Fußgänger flanierten am Alex, der die Atmosphäre einer modernen Metropole ausstrahlte. In den Straßencafes saßen dichtgedrängt die Gäste. Autos rollten vorüber, und die S-Bahn spie Passagiere aus. Da, plötzlich, im letzten Tageslicht flimmerte es in der Luft! Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
Ein hochgewachsener, krummnasiger Araber erschien gerade vor einem Hoteleingang. Dort stand ein livrierter Page unter dem Baldachin, dessen vordere Tragsäulen Topfpalmen flankierten. Der Hotelangestellte stutzte zunächst, als er den dunkelgesichtigen Mann in wallenden Gewändern und Turban sah. Aus diesem Turban ragte die Spitze eines runden Eisenhemds. Wer genauer hinsah, erkannte, daß der Araber ein Kettenhemd unter dem Gewand anhatte. Ein Krummsäbel hing an seiner Seite. Auf dem Rücken hatte er einen Köcher mit Pfeilen, und über der linken Schulter trug er einen kurzen Bogen. »Allahu akbar!« rief er entsetzt beim Anblick der Neonreklamen, Schaufenster, Autos, des Platzes und der Passanten. Weit riß er die Augen auf. Ein Wortschall quoll aus seinem bartumrahmten Mund. Das Wort Sheitan war deutlich herauszuhören. Den Rest konnte man nicht verstehen. Jedoch war zu erkennen, daß der fremdartig gekleidete Krieger tödlich erschrocken war. Kein Wunder, Sheitan bedeutete Teufel! Der Portier hatte sich wieder gefaßt. Er glaubte, der Fremde vor ihm sei aus einer Ladenpassage gekommen, wo er mit seinem Auftritt für den ultimativen Werbeeffekt hatte sorgen sollen. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß dieser Mann aus dem Nichts materialisiert war. »Männeken!« rief er. »Hat dich deine Olle so auf die Straße gelassen? - Da lachen ja die Hühner in Pankow! - Biste bekifft, oder tickste nich richtig? Karneval ist vorbei.« Lachend näherte er sich dem Exoten, um ihn freundschaftlich bei der Schulter zu fassen. Das bekam ihm schlecht. Der Araber reagierte total verwirrt auf die fremde Umgebung und zog blitzschnell sein Schwert. Es zischte durch die Luft. Mit einem einzigen Hieb schlug er dem Portier die Hand ab! Der schaute entsetzt auf den Armstumpf und konnte nicht fassen, was er da sah. Dann, als er begriff, was ihm zugestoßen war, schrie er gellend auf. Autofahrer stoppten abrupt beim Anblick dieser Szene. Passanten kreischten. Ein Busfahrer konnte sein schweres Gefährt nicht so schnell abbremsen und fuhr einem PKW hinten drauf. Der Araber sah den Doppelstockbus und brüllte vor Angst. Wieder flehte er Allah um Hilfe an, denn die fremde Umgebung versetzte ihn in Angst und Schrecken. Rasch stieß er den Säbel in die Scheide, nahm den Bogen von
der Schulter und schoß einen Pfeil ab. Das geschah mit einer fließenden, schnellen Bewegung. Der Pfeil bohrte sich krachend in den Kühler des Busses. Der Busfahrer erbleichte. »Einen Meter höher, und der Pfeil hätte mich getroffen«, flüsterte er mit zitternder Stimme. Der Araber wich in Richtung Hoteleingang zurück. Der Portier war inzwischen ohnmächtig zusammengebrochen. Die Passanten wagten nicht, den Araber anzugreifen. Jeder wußte, daß er trotz seiner altmodischen Waffen ein gefährlicher Kämpfer war. Der Araber steckte den zweiten Pfeil, den er bereits an der Sehne gehabt hatte, wieder in den Köcher zurück, hängte den Bogen über die Schulter und schwang seinen Krummsäbel. Schreckensstarr verfolgten das die Passanten. Der Krieger wollte ins Hotel, wich dann aber vor der Drehtür zurück. So etwas hatte er auch noch nicht gesehen. Nun wußte er überhaupt nicht mehr, was er tun und wohin er gehen sollte. Er stand unter Schock. War deshalb unberechenbar. Während ein zufällig anwesender Mediziner den bewußtlosen Portier verarztete, rannte der Araber quer über den Alexanderplatz. Wild und ratlos zugleich schaute er sich um. Dann schrie er wieder etwas, worin der Name Fatma vorkam. Er erblickte die Silhouette des Fernsehturms - solch ein hohes Gebäude hatte er noch nie gesehen - und entsetzte sich. Entweder mußte er geistig völlig verwirrt sein, oder er stammte aus einer anderen Zeit. Aus der Vergangenheit. Sindbad der Seefahrer konnte sich im Land der Zyklopen nicht mehr entsetzt haben als er. Der Arzt blieb bei dem schwerverwundeten Portier und wartete auf den Notarztwagen. Er erklärte den Umstehenden, dem Mann könne in der Charité die Hand wieder angenäht werden. Dort müsse er schleunigst hin. Polizei und Notarzt waren bereits verständigt. Es konnte sich nur um Minuten handeln, bis sie eintrafen. Doch bis dahin geschah noch allerhand. Die Passanten flohen entsetzt vor dem vermeintlich Wahnsinnigen. Ebenso die Gäste des Straßencafes, auf das der fremde Krieger zumarschierte. Er sah die unter grünen Sonnenschirmen stehenden Tische. Die Sonnenschirme erinnerten den Araber an seine Heimat. Doch sonst fühlte er sich hier völlig fremd. Wie in einem Alptraum befangen.
Als er am Zugang der U-Bahnstation Alexanderplatz vorbeikam, fuhren gerade zwei schwarzunifomierte Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes die Rolltreppe hoch. Der vordere hatte einen Schäferhund an der Leine. Die beiden Security Guards sahen den säbelschwingenden Mann sofort. »Wat is denn det for eener?« fragte der eine Schwarze Sheriff. »Haltet den Mann fest!« rief da ein Passant. »Er hat gerade jemanden umgebracht.« Das war übertrieben, alarmierte jedoch die Sicherheitsdienstler. Der eine ließ den Schäferhund von der Leine. Der andere nahm die chemische Keule vom Gürtel. Der Hund hetzte auf den Araber zu. Zum Angriff kam er jedoch nicht mehr. Blitzschnell hatte der fremde Krieger einen Pfeil auf ihn abgeschossen. Ehe der zweite Sicherheitsdienstler die chemische Keule einsetzen konnte, zerschlug der Araber das unter Druck stehende Behältnis. Sofort breitete sich ein stechender Geruch aus. Dann schickte der Araber den Sicherheitsmann mit einem Schwinger zu Boden. Der Hundeführer wich zurück. Er hatte keine Schußwaffe, nur einen Schlagstock, der ihm nicht geeignet erschien, es mit einem derart gefährlichen Gegner aufzunehmen. Das war kein ausgemergelter Junkie, sondern ein bewaffneter Kämpfer, der im Angriff die beste Verteidigung sah! Der Sicherheitsdienstler streckte dem Araber abwehrend die Hand entgegen und wich vor ihm zurück. Er riß sein Walkie-talkie vom Gürtel und bat aufgeregt um Verstärkung. Der Araber beachtete ihn nicht weiter, weil er sicher war, daß von ihm keine Gefahr mehr drohte. Während er ein paar Schritte zur Seite ging, geriet er auf die abwärts führende Rolltreppe. Entsetzt schrie er auf. Rief dann das arabische Wort für Hölle. Vermutlich fürchtete er, hinab in die Hölle zu fahren. Am Ende der Rolltreppe stolperte er, fiel auf alle Viere und sprang gleich wieder auf. Er lief über die B-Ebene und konnte nicht fassen, was er da sah. Die Läden, Verkaufsstände, die Zugänge zu den U-Bahnsteigen, die Anzeigetafeln und Fahrkartenautomaten, die jedes Kind kannte, waren ihm völlig fremd. Bei einer Buchhandlung schleuderte er ein paar Bücher mit dem Säbel durch die Luft. Ein Junkie, der sich in der Ecke die Spritze setzte, beobachtete
ihn staunend. »Hey!« jubelte er, »was für ein Flash! Geiles Zeug wirkt direkt!« Niemand wagte es mehr, sich dem Araber in den Weg zu stellen. Er pflügte durch die B-Ebene und kam auf der anderen Seite die Fußgängertreppe wieder hoch. Inzwischen war das Überfallkommando eingetroffen. Ein Mannschaftsbus mit Beamten, die Schutzhelme und kugelsichere Westen sowie stabile Schutzschilde trugen. Das Sirenengeheul eines Rettungswagens scheuchte die Gaffer zur Seite. Polizisten stürmten die Treppen hinunter und sperrten die Zugänge zum Alex ab. Der Teufel war los! Dem flinken Araber gelang dennoch die Flucht in die Rathausstraße. Von Polizisten verfolgt, die er mit ihren Schilden und Uniformen deutlich als gefährliche Gegner erkannte, stellte er sich zum Kampf. Er schoß rasch hintereinander zwei Pfeile ab. Einer bohrte sich tief in eine Litfaßsäule. Der zweite prallte an der Panzerglasscheibe einer Bank ab. Jetzt gab ein Beamter einen Warnschuß ab. »Ergeben Sie sich!« hallte seine megaphonverstärkte Stimme den Araber an. »Werfen Sie Ihre Waffen weg und bleiben Sie mit erhobenen Händen stehen.« Der Araber erbebte bei dem Knall. Er hielt ihn für einen Donnerschlag. Das ihm von der Pistole des Polizisten eine echte Gefahr drohte, kapierte er nicht. Er drehte sich um und rannte Richtung Neptunbrunnen. Auf der Brunnenumrandung saßen an diesem lauen Abend an die dreißig Punker. Sie waren dem Araber genauso fremd wie er ihnen. Eine Punkerin mit lila Haaren kreischte vor Schreck. Ein anderer Punker barg rasch seine zahme Ratte in den Armen, als der Araber darauf schaute und wilde Verwünschungen ausstieß. Er fuchtelte mit dem Säbel herum. Die Punker stoben zur Seite, als der Araber zum Brunnen stürzte. Polizeipfeifen trillerten. Eine Punkerin stieß dem hochgewachsenen Randale-Axel den Ellbogen in die Rippen. »Na, Axel, willst du denn nichts unternehmen? Sonst hast du immer die große Klappe. Vorige Woche willst du es mit sechs Bullen gleichzeitig aufgenommen haben. Was ist jetzt?« »Bin ich meschugge?« fragte der hünenhafte Punker mit der Metallweste und den zahlreichen Tätowierungen. »Der Kerl da ist
irre. Ich lasse mich doch nicht aufschlitzen. Mit dem sollen sich die Bullen herumschlagen.« Sonst war er immer gegen die Polizei, jetzt war sie ihm recht. Während die Punker zurückwichen, umzingelten Polizisten den Krieger. Er hatte sich den Schweiß vom Gesicht gewaschen und ein paar Schlucke getrunken, obwohl das Wasser nicht besonders klar war und jede Menge Müll darin schwamm. Der Araber rief wieder Allah zum Schutz an und stellte sich den heranrückenden Polizisten zum Kampf. Mit einem Gewalthieb zerschlug er den Schutzschild eines Beamten und verletzte ihn am Arm. Es sah nach einem großen Getümmel und Blutvergießen aus. Doch es kam anders. Ein junger Beamter hatte sich von hinten an den Araber herangeschlichen und sprang ihn mutig an. Er riß ihn nieder. Ein Dutzend Männer stürzten sich nun auf den Araber und entrissen ihm den Säbel. Im Nu war er überwältigt und gefesselt. Mit dem Gesicht am Boden, die Hände mit Handschellen auf den Rücken gebunden, lag er da, während ihn die Beamten nach Waffen absuchten. Er wurde vorläufig festgenommen. Als ihn die Polizisten zum Wagen schleiften, wurden die Punker wieder frech. »Da sieht man mal wieder das feige Bullenpack«, giftete Randale-Axel, der vorher feige geflohen war. »Zwanzig Mann gegen einen. Anders können die es nicht.« Keiner achtete auf den Schwätzer. Der Araber saß geduckt und gefesselt auf dem Rücksitz einer Funkstreife, die ihn mit Blaulicht und Martinshorn zur Wache brachte. Der Araber zitterte während der Autofahrt am ganzen Körper. Er glaubte, im Bauch eines Zaubergefährts zu sein, einer seltsamen Kutsche, die ohne Pferde fuhr. Das konnte nur Teufelswerk sein. Das für ihn völlig fremdartige Innere des Polizeiautos, die schnelle Fahrt, der infernalische Lärm, der ihn begleitete, die vorbeihuschende Außenansicht, das alles entsetzte den Araber. Er war überzeugt, diese Fahrt nicht zu überleben. * Ich hatte Besuch und lag mit meiner Dauerfreundin Tessa Hayden im Bett. Lag ist untertrieben. Wir >turnten< wild herum,
praktizierten Bewährtes und probierten Neues aus. Durch die großen Dachfenster war es reichlich warm in der Wohnung. Der Schweiß lief in Strömen, meine Begeisterung hielt sich deshalb nach den ersten Erfolgserlebnissen in Grenzen. Die rassige Tessa war trotzdem begeistert. Wollte mehr und länger und und und… In der letzten Zeit hatte sie solche Ambitionen, seitdem sie einen bestimmten Sexfilm, fast einen Lehrfilm, im Kino gesehen hatte. Sie hatte sich auch noch Fachliteratur besorgt und wollte nun nach und nach alles mit mir ausprobieren: Wiege- und Stemmfiguren, Klammer- und Was-weiß-ich-für-Positionen… »Geht das nicht einfacher?« fragte ich sie. »Nein, nein! Mach - mach - mach jetzt bloß nicht schlapp. Bitte! - Du bist doch Zehnkämpfer - oder?« »Ich war Zehnkampfmeister, aber nicht in diesen Disziplinen. Verflucht, ich hab einen Krampf! - Auuu! - Kein Wunder bei diesen Verrenkungen…« Tessa bog sich unmöglich. Ich verfluchte die indische Liebeskunst, die für Fakire entwickelt zu sein schien. Dann jedoch vergaß ich alles. Wir brachten die Sache hinter uns. Und auch ich hatte noch meinen Spaß. Anschließend bereitete Tessa zwei eisgekühlte Drinks zu, während ich auf dem Bett lag und ächzte. »Tessa, können wir es nicht mal wieder normal machen? Vergiß diese Stellungsbücher.« »Nein«, sagte Tessa. »Ihr Männer habt alle keine Phantasie. Dann wundert ihr euch, daß euch die Frauen weglaufen.« »Was heißt hier ihr und alle?« »Dir muß man auch auf die Sprünge helfen, Mark. Ich mag die altindische Liebeskunst.« Dazu schwieg ich und ging erst mal unter die Dusche. Das Wasser wusch mir den Schweiß ab und kühlte wunderbar. Wie immer fiel mein Blick auf das fünfmarkstückgroße, siebenzackige Mal, das ich auf der linken Brust hatte. Woher ich es hatte, wußte ich nicht. In der Walpurgisnacht 1980 hatte mich der damalige Kripobeamte Ulrich Hellmann in der Weimarer Altstadt aufgefunden, splitternackt, mit einem Lederband um den Hals, an dem ein silberner Ring mit den ungewöhnlich gezeichneten Buchstaben M und N hing. Es gab an dem Ring noch ein paar andere Zeichen, mit denen ich mich in der nächsten Zeit genauer befassen wollte. Damals, als mich Ulrich Hellmann fand, war ich etwa zehn Jahre alt
gewesen, ziemlich groß für mein Alter, kräftig, doch völlig verstört und geschockt. Was in meinen ersten zehn Lebensjahren passierte, daran erinnerte ich mich bis heute nicht. Doch mich plagten oft Alpträume, an die ich mich hinterher nicht erinnern konnte. Ein Psychiater hatte mir mal gesagt, das sei auf die ins Unterbewußtsein verdrängten ersten zehn Lebensjahre zurückzuführen. Das Ehepaar Hellmann hatte mich damals adoptiert. Der Einfachheit halber und weil ich einen haben mußte, feierte ich meinen Geburtstag am 1. Mai. In der Obhut der Hellmanns war ich herangewachsen und hatte mich nach einem sehr schwierigen ersten Jahr eingewöhnt und gut entwickelt. Niemand wußte, woher ich damals gekommen war und wer meine leiblichen Eltern waren. Alle Nachforschungen hatten zu keinem Ergebnis geführt. Meine Adoptiveltern gaben mir nach den Buchstaben auf dem Siegelring, meinem einzigen Besitz, die Vornamen Markus Nikolaus. Dazu erhielt ich bei der Adoption ihren Familiennamen. Seitdem hatte ich die Jenaer Universität besucht und Völkerkunde, Geschichte und Vorgeschichte studiert sowie mein Staatsexamen in Völkerkunde abgelegt. Den Job als Wissenschaftlicher Assistent am Völkerkundemuseum in Berlin hatte ich jedoch bald aufgegeben. Mir widerstrebte der Gedanke, jahrzehntelang in eine Hierarchie eingebunden zu sein und zusehen zu müssen, wie sich andere mit meinen Erfolgen brüsteten. Ich stand dann zwar auf der Straße, aber ein Mann sollte tun, was er aus Überzeugung tun muß. In der früheren DDR hatte ich auf dem Gymnasium mit der SED und der Stasi schon meine Probleme gehabt. Weil ich lange Haare hatte, Westfernsehen schaute und laut West-Hits hörte. Beinahe wäre ich deswegen in einem Umerziehungslager gelandet. Bei den Freiheiten, die wir heute genießen, will oder kann man sich das gar nicht mehr so richtig vorstellen. Mein Vater kämpfte für mich, wandte sich an eine Parteigröße, die er seit Schulzeiten kannte, und hatte Erfolg. Meine Stasi-Akte wurde >verlegtDiesmal kriege ich dich< hatte sich in mein Gehirn eingebrannt und ließ mich seither nicht mehr los. Mephisto und ich. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, früher schon mal mit ihm zu tun gehabt zu haben. Manchmal glaubte ich sogar, daß mich Mephisto belauerte. Dann prickelte mein silberner Ring am Finger. Ich nahm dann auch einen schwachen Geruch von Pech und Schwefel wahr. Dann murmelte ich immer eine einfache Teufelsbeschwörung, die ich Goethes Faust entnommen hatte. Und sie wirkte! Nicht von ungefähr spielte Mephisto in dem Werk eine tragende Rolle. Der Autor hatte profunde Kenntnisse auch des Okkulten gehabt, was sein ungeheuer tiefgründiges Werk treffend bewies. Ich spürte wieder das Unbehagen, und der Ring meldete sich. Rasch frottierte ich mich ab, da klingelte auch schon das Telefon. Ich kann es nicht erklären, aber ich wußte, daß es geschehen würde. Mit dem Handtuch um die Hüften verließ ich das Bad. Tessa schaute auf das Handtuch, als ob sie den Knoten lösen wollte. Hilfe! dachte ich, nicht schon wieder! Wenigstens nichts Indisches! Tessa gab mir den Hörer und verschwand mit gekonntem Hüftschwung in Richtung Bad. Sie war Kripobeamtin, zwei Jahre älter als ich und meine Dauerfreundin. Ich meldete mich.
Dann Pit Langenbach mit der Antwort. »Von drauß, vom Walde komm ich her…« »Laß dir mal was Neues einfallen, Pit«, sagte ich, weil er wieder auf Nikolaus, meinen zweiten Vornamen, anspielte. Gelegentlich revanchierte ich mich mit dem Reim Der Langenbach, der Langenbach, ist in Hirn und Hoden schwach. Aber heute war es zu ernst. »Was gibt es?« blieb ich sachlich-cool. »Ich habe von einer Sache Kenntnis erhalten, die dich interessieren wird, Mark«, orakelte er. Dann berichtete er mir von dem Araber, der am Vorabend in Berlin wie aus dem Nichts erschienen war und Passanten sowie Polizisten in Atem gehalten hatte. »Seitdem wird er im Polizeipräsidium verhört und medizinischpsychiatrisch untersucht«, berichtete Langenbach. »Die Berliner Kripo fragte intern an, ob eine andere Dienststelle einen ähnlichen Fall gehabt hätte oder ob irgendwo etwas über die Identität des Mannes bekannt wäre.« »Wie ich ist er aus dem Nichts gekommen«, unterbrach ich Pit. Langenbach ging darauf nicht ein und sagte statt dessen: »Der Mann steht unter einem Schock. Bisher kennt man nur seinen Namen. Nasreddin al Mansur.« Pit gab mir die persönlichen Daten durch, erwähnte die besonderen Kennzeichen, beschrieb die ungewöhnliche Kleidung usw. »Er spricht eine altertümliche Version des Deutschen. Zwei Sätze habe ich erst verstanden: >Fatma hat mich um Hilfe geschickte< und >Dies ist nicht meine WeltFrouden, hochgeziten< hochherzige Frauen waren, >Heleden lobebaeren< vielgerühmte oder gelobte Helden, die Minne die Liebe und >muget ir hoeren sagen< mögt ihr sagen hören bedeutete. Doch sprach Nasreddin manchmal zu schnell, dann verstand ich nichts mehr. »Der Mann ist ein Simulant«, sagte der Polizeipsychologe der nebenher auch noch Psychiater war. »Mit dem Gestammel will er auf sich aufmerksam machen. Jetzt hat er auch noch jemanden gefunden, der ihm den Mummenschanz abkauft.« »Wie erklären Sie sich die Meßergebnisse, daß dieser Mann aus dem Jahr 1200 kommt?« fragte ich den Bärtigen. »Das erkläre ich mir überhaupt nicht«, antwortete er. »Aber ich erkenne eine Schizophrenie, wenn ich sie sehe.«
»Langsam, langsam«, protestierte ich und wandte mich an den Polizeirat. »Wenn ich vernünftig mit diesem Mann reden soll, möchte ich keine Störungen.« Der Psychiater wollte sich rechtfertigen, der Polizeirat schnitt ihm jedoch das Wort ab. Der Bärtige mit der dicken Hornbrille setzte daraufhin eine finstere Miene auf, und ich sprach weiter mit Nasreddin. »Meine Herrin Fatma al-Zani hat mich geschickt, um den Meister zu finden, den Retter zu holen«, verriet er mir. Das ist hier in modernes Deutsch übersetzt. »Sie wird von Heinrich von Schwarzenfels, den man auch den Schwarzen Ritter nennt, auf seiner Burg gefangengehalten. Der Schwarze Ritter hat Fatma vom Kreuzzug ins Heilige Land mitgebracht.« »Wer führte den Kreuzzug an?« fragte ich. »Friedrich Rotbart, genannt Barbarossa. Kaiser aus dem Hause der Staufer. Leider erreichte er Jerusalem nicht, sondern ertrank vorher in einem Bergbach.« Ein Hitzschlag oder Kreislaufversagen hatte Kaiser Barbarossa getötet, fern von der Heimat, fern von seinem Reich, das er bis dahin mit starker Hand und in großem Ruhm regiert hatte. Der dritte Kreuzzug hatte 1189 begonnen und endete mit Kaiser Rotbarts Tod im Jahr 1192. Generationen von Gymnasiasten lernten das Gedicht vom Kaiser Friedrich lobesam, der ins Heilige Land gezogen kam… »Es heißt, der Schwarze Ritter habe beim Tod Kaiser Friedrichs die Hände im Spiel gehabt«, flüsterte Nasreddin, als ob er Angst hätte, gehört zu werden. »Er ist mit dem Teufel im Bund. Ritter, Tod und Teufel terrorisieren das Land im Erzgebirge. Der Seuchendämon Gevatter Tod reitet im Gefolge des Schwarzen Ritters. Und Mephistopheles steht ihm mit Rat und Tat zur Seite.« »Wer?« fragte ich wie elektrisiert. Nasreddin nannte noch einmal den Namen. Mephistopheles, der den Schwefelgestank liebt, war ein Beiname des Mephisto, des Obersten aller Teufel. Vor allem aber des aktivsten und gerissensten, wenn man dem höllischen Who is who glauben durfte, das der niederländische Dämonologe Wier im Jahr 1538 niedergeschrieben hatte. Ich schaute auf meinen glimmenden Ring. Mir war, als ob ich ein leises Kichern hörte. Die Nackenhaare sträubten sich mir. Roch es nach Schwefel?
»Mephisto«, sagte ich. »Wissen Sie nicht, daß man den Namen des Teufels nicht nennen soll, weil man ihn sonst herbeiruft?« fragte der Polizeipsychologe. Die Bemerkung hätte ich von ihm nicht erwartet. »Was will deine Herrin Fatma von mir?« fragte ich Nasreddin. »Ihr sollt sie retten. Sie wird im Turm gefangengehalten. Der Schwarze Ritter bedient sich ihrer Kunst, denn sie ist eine Weiße Hexe. Ohne sie hätte er den Gevatter Tod und Mephisto niemals beschwören und in seinen Dienst bewegen können. Bald sind Ritter Heinrichs Kräfte so stark, und er hat soviel von ihr gelernt, ihr unter der Folter abgepreßt, daß er sie nicht mehr braucht. Dann will er sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Bevor er sie in den Turm einsperrte, ist sie seine Geliebte gewesen. Tut etwas, Ihr tragt den Ring!« »Weißt du etwas über den Ring?« wollte ich wissen. Nasreddin schüttelte den Kopf, aber es war ihm aufgefallen, daß der Ring kein normaler war. Er sagte: »Fatma schickte mich mit einer Beschwörung und ihrer Zauberkraft dorthin, wo ich den Meister finde. Das Tor, an dem ich austrat, führt auf den Weg zu ihr. Ich bin in eine Zeit voller Wunder geraten. Kutschen, die ohne Pferde fahren, gibt es hier. Stimmen dringen aus Kisten, die ich noch niemals gesehen habe. Die Lichtquellen sind weder Öllampen noch Fackeln. Ich habe sogar schon Menschen auf seltsamen Bildvierecken laufen sehen und sprechen hören. Sagt, sind das Bildermenschen, oder hat ein mächtiger Zauberer sie bestraft und in das seltsame Bild gehext?« Er meinte einen Fernseher. Doch wie sollte ich ihm in kurzer Zeit erklären, was eine Bildröhre war und wie Funk und Fernsehen funktionierten? Ich sagte nur kurz, das sei keine Magie, sondern Technik. »Du bist ins Jahr 1998 geraten, Nasreddin.« Ich nannte ihm noch die Jahreszahl des mohammedanischen Kalenders, der 622 mit der Flucht des Propheten von Mekka nach Medina begann. Nasreddin staunte sehr. »Ich fürchtete schon, ich wäre im Reich des Sheitans, des Teufels«, sagte er treuherzig. »Du bist es«, brummte der Psychiater. Dieser Blödsinn gefiel mir nicht, doch hier stimmte etwas nicht. Mein Ring leuchtete stärker. Plötzlich roch es nach Schwefel im
Raum. Da war etwas, an das ich mich dunkel erinnerte. Noch fiel es mir nicht ein. »Denkt Euch, Herr«, sagte Nasreddin, »ich habe sogar schon Menschen gesehen, die sich ein weißes Stäbchen in den Mund steckten. Sie hielten eine Flamme daran. Das Stäbchen glimmte, und Rauch quoll ihnen aus Nase und Mund. - Ist das ein Zauber oder ein Brauch in diesem Land voller Wunder?« Bevor ich antworten konnte, stand der Psychiater auf. »Wenn dich das schon erstaunt, was hältst du erst davon?« fragte er. Im nächsten Moment spuckte er eine lange Flamme aus, die Nasreddin erfaßte. Der Araber schrie auf. Jetzt wußte ich, was mir vorhin gedämmert hatte. In Goethes Faust stand, daß sich Mephisto in jede Gestalt verwandeln konnte. Als Pudel hatte er sich Faust genähert. Er hatte auch einmal die Gestalt des Famulus Wagner angenommen. Der Teufel kann sich wandeln in jegliche Gestalt, stand geschrieben. Jetzt war er in unserer Mitte. Der richtige Polizeipsychologe hielt sich vermutlich in seiner Wohnung auf und schlief tief und fest. Oder er war woanders, von dem Teufel hypnotisiert und geschickt. Ich schrie auf. Nasreddins Kleider, seine Haare und der Bart brannten. Der bärtige Psychiater verwandelte sich in eine zwei Meter hohe Schreckensgestalt, immer noch dämonisch verzerrt. Ein Hüne, gegen den selbst ich klein wirkte, mit gesträubtem Bart, Krallen, feuerspeiend, rotglühenden Augen und zwei Teufelshörnern auf der Glatze. Ein Bocksfuß zeichnete sich in einem Schuh ab. Der lange Teufelsschwanz ragte hinten aus der Hose heraus. Mephisto schrie gräßlich und verbreitete einen durchdringenden Gestank nach Pech und Schwefel. Die Protokollführerin fiel mit einem gellenden Schrei in Ohnmacht. Es wurde unerträglich heiß im Zimmer. Man konnte nicht mehr atmen. »Menschenwürmer!« donnerte Mephisto. »Von Anfang der Zeiten schon bin ich euer Mörder gewesen. Noch ehe der Mensch wart, kämpften die Dämonen der Finsternis mit den Kindern des Lichts. Von daher rühre ich, Mephir Tofel. Ich bin der Herr, denn Lucifuge Röfocale, der Höllenkaiser, hockt nur im dem siebenten Kreis der Hölle auf seinem Thron, um sich herum das Höllengeschmeiß, und tut nichts hier oben. - Jetzt geht es dir an
den Kragen, Mark Hellmann.« Ich sprang vor, packte den Tisch, an dem Nasreddin gesessen hatte, und riß ihn hoch. Mit der Platte wehrte ich Mephistos Feuerstrahl ab. Er schrie wie ein Stier. Dann führte er einen Hieb, daß seine Faust krachend durch die Tischplatte fuhr. Mich warf es zurück, ich flog gegen die Wand. Doch ich riß den Tisch mit. Der Polizeirat und zwei andere Beamte zogen ihre Pistolen. Eine Alarmklingel schrillte. Nasreddin wankte. Mein Ring pulsierte und glühte. Dann stellte er seine Aktivität ein. Wieder einmal, wie schon im Kampf gegen Dracomar und seine Gesellen, stellte ich fest, daß der Ring wohl eine dämonische Aktivität anzeigte, jedoch keine Waffe und auch kein Schutzschild war. Ich mußte mir etwas anderes einfallen lassen. Rasch brach ich zwei Tischbeine ab und hielt sie über Kreuz. »Weiche, Satanas, du Verfluchter!« donnerte ich. »Heb dich hinweg in den Abgrund der Hölle, woher du gekommen bist. Mephistopheles, fahre aus!« Es war eine Stegreifbeschwörung. Mephisto brüllte. Das Feuerspucken verging ihm. Er ließ sich von dem Kreuzzeichen jedoch nicht verjagen, Megadämon, der er war. Statt dessen stapfte er vor, rauchende Spuren am Fußboden hinterlassend. Die Luft war zum Ersticken. Wenn nicht jemand die Tür aufgerissen hätte, wären wir allesamt umgefallen. Mephisto packte den aufschreienden Nasreddin bei der Kehle und brüllte: »Fatma hat dich umsonst geschickt! Ich bin dir gefolgt.« Nasreddin gurgelte. Etwas Schreckliches geschah. In Mephistos Griff drehte sich sein Kopf nach hinten. Sein Genick brach. Tot hing er im Griff des Teufels. Der war noch größer geworden und reichte jetzt bis an die Decke. Der Polizeirat und zwei Beamte feuerten krachend ihre SIG Sauen-Pistolen ab. Die Kugeln trafen Mephisto und schlugen Löcher in seine Brust. Er sank in die Knie, doch nur einen Moment. Dann richtete er sich auf - und spuckte den Beamten alle Projektile ins Gesicht. »Habt ihr nicht mehr anzubieten, ihr Würmer? Nicht einmal Freikugeln verschießt ihr. Was seid ihr für Stümper? Was ist das für eine elende Zeit?« In seinem Griff verdorrte der arme Nasreddin zur Mumie und
zerbröselte zu Staub, der auf den Boden rieselte. Die rauchenden Kleiderreste hingegen blieben so, wie sie gewesen waren. Mephisto hatte Nasreddin in das verwandelt, was in unserer Zeit noch von ihm übriggeblieben wäre. Ein Häufchen Staub. Während die Polizisten hilflos dastanden, sprang ich vor und haute Mephisto ein Tischbein über den Kopf, daß es krachte. Es zerbrach in zwei Teile. Der Hieb schmerzte mich bis in die Schulter hinein. Im nächsten Moment kam von dem Teufel ein Schlag, ohne Ansatz und schnell wie ein Pfeil. Er traf mich krachend ans Kinn, mit einer Wucht, daß ich glaubte, der Kopf würde mir wegfliegen. Damit gingen für mich die Lichter aus. Ich war erledigt. Ich hatte Mephisto unterschätzt und dabei Lehrgeld bezahlt. Doch es gibt Fehler, die begeht man nur einmal im Leben. * »Mark, Liebster, bitte, komm wieder zu dir! Sag doch etwas! Hörst du mich nicht?« Jemand sprach. Ganz von fern drang eine Frauenstimme in mein Bewußtsein. Mir war es, als ob ich am Grund eines tiefen, dunklen Schachts liegen würde und immer wieder ein Stück aufstiege und dann wieder zurückfiele. Endlich gelang es mir doch, hoch ans Licht zu steigen. Das erste, was ich spürte, waren greuliche Schmerzen. Nicht nur im Kopf, sondern am ganzen Körper. So als ob eine ganze Fußballmannschaft auf mir herumgetrampelt wäre. Als ich die Augen aufschlug, sah ich zunächst alles verschwommen und doppelt. Tessa Hayden und mein Freund Pit Langenbach standen an meinem Bett. Mein Blick klärte sich. Ich sah wieder alles normal und erinnerte mich an die Vorfälle in der letzten Nacht. Anzeige Tessa hielt meine Hand. Ich erfuhr, daß ich in der Charite war, in dem berühmten Krankenhaus im Osten von Berlin. Vor vielen Jahren hatte der berühmte Professor Sauerbruch hier gearbeitet. Es war bereits Tag. Ich war fast zehn Stunden bewußtlos gewesen. Mephisto hatte mir ordentlich eine gedonnert, um es leger zu sagen. Er schlug zu, wie ein Pferd auskeilte. Heißes
Erschrecken durchzuckte mich. Ich schaute nach meinem Ring. Glücklicherweise war er noch da. Dann trat ein Arzt ein. Er untersuchte mich und erklärte mir, was ich alles abgekriegt hatte. Er meinte, nur meiner Bärennatur als Zehnkämpfer und meinem starken Körperbau sei es zu verdanken, daß ich noch lebte und mir nichts gebrochen hatte. Einen schwächeren Mann hätte schon Mephistos erster Hieb glatt getötet. Mein Genick war geprellt, ein paar Rippen genauso. Außerdem hatte mir Mephisto einen Arm ausgekugelt, der in der Charite wieder eingerenkt worden war. Im Kiefergelenk spürte ich stechende Schmerzen, wenn ich es bewegte. Ich würde tagelang nicht kauen können und mußte mich flüssig ernähren. Zum Glück gab es ja Schnabeltassen. Um die Brust trug ich ein Stützkorsett. Am Kinn hatte ich eine Plastikstütze, die hinter meinen Nacken führte. Das Kinn war geschwollen, die Zähne waren mir allerdings erhalten geblieben. Daß ich eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte, hätte mir der Arzt nicht zu sagen brauchen. Das merkte ich selbst. Alles in allem hatte mich Mephisto übel erwischt. Der Arzt schüttelte nur den Kopf. »Haben Sie sich mit einer Rockerbande angelegt?« fragte er. Wir verrieten ihm nichts. Mephisto hatte, erfuhr ich von Pit, als der Arzt wieder draußen war, weiter auf mich eingeschlagen und auf mir herumgetrampelt, als ich bereits bewußtlos gewesen war. »Ein fairer Kämpfer ist dieser Teufel jedenfalls nicht«, sagte Pit. »Mark, ich kann es kaum glauben. Durch die Ereignisse bei den Schreckenstagen von Weimar und dem Kampf gegen Dracomar und seine Geschöpfe der Nacht bin ich auf einiges vorbereitet. Mein gesamtes Weltbild hat sich verändert. Ich weiß jetzt, daß Dinge möglich sind, an die ich bis vor ein paar Wochen nicht geglaubt hatte. Von denen ich glaubte, es würde sie nur in Romanen und Filmen geben. - Aber daß ein Mann aus dem Jahr 1200 in Berlin auftaucht und der Teufel selbst im Polizeipräsidium erscheint, das haut mich um.« »Stimmt nicht«, sagte ich mühsam. »Mich hat es umgehauen. Du bist sehr verwundert. Da sind die Beamten endlich mal aufgewacht, als Mephisto erschien.« »Dein loses Mundwerk hat jedenfalls nicht gelitten. Paß auf: Außer dir und Nasreddin ist bei dem Vorfall niemand größer zu
Schaden gekommen. Der Kriminalrat und die anderen griffen Mephisto mit Stühlen, der chemischen Keule und Schlagstöcken an, als er auf dir herumtrampelte. Fünf kräftige, durchtrainierte Männer. Er hat sie aufgemischt, als ob es Schulbuben wären. Er wirbelte sie durcheinander. Dann verwandelte er sich in einen Kugelblitz, zerplatzte und verschwand mit einem meckernden Lachen unter Zurücklassung von Pech- und Schwefelgestank.« »Das paßt zu Mephisto«, sagte ich, »so wie ich ihn einschätze. Den armen Nasreddin hat er umgebracht. - Wie verhält es sich mit dem Polizeipsychiater, dessen Gestalt er angenommen hatte?« »Der echte Psychiater wurde bewußtlos im Kofferraum seines Mercedes in der Tiefgarage vom Polizeipräsidium entdeckt. Er kann sich an nichts erinnern. In dem Moment, in dem er sein Auto in der Tiefgarage abschloß, ist bei ihm der Film gerissen. Ihm fehlt nichts, nur ein wenig steif ist er und hat Gliederschmerzen von dem zusammengekrümmten Liegen im Kofferraum.« »Der hat es gut«, murmelte ich, weil mir alles weh tat. Ich schwang die Beine aus dem Bett. Sofort wurde mir schwindlig. Die Schmerzen vermehrten sich. »Halt!« rief Tessa, schick anzusehen in ihrer Freizeitkleidung, dem sommerlich kurzen Rock und dem Top, das den Nabel frei ließ. »Der Arzt hat gesagt, du mußt eine Woche im Bett bleiben.« »Nicht mal, wenn du dich dazulegst.« Pit kannte mich, er widersprach nicht, sondern stützte mich. »Mark ist es gewöhnt, das letzte aus sich herauszuholen, Tessa«, sagte er. »Er kann nicht so lange im Bett liegen und abwarten. Er muß seinen Fall lösen.« »Richtig. Ich kann mir gar nicht erlauben, hier liegenzubleiben und abzuwarten. Welche Sicherheit habe ich denn, daß Mephisto nicht hier erscheint und mich endgültig umbringt? Er könnte auftauchen wie jener Nasreddin auf dem Alexanderplatz. Oder die Gestalt eines Arztes oder einer Krankenschwester annehmen. Nein, hier habe ich keine Ruhe.« Ich bewegte mich. Trotz der Schmerzen blieb ich auf den Beinen, und ich war überzeugt, daß sich mein Zustand am raschesten bessern würde, wenn ich der Schwäche nicht nachgab. Als ich mich anzog, erschien der Chefarzt, gefolgt von zwei weiteren Ärzten. Die Stationsschwester hatte ihn verständigt.
Wir einigten uns, daß ich die Charite gegen den ärztlichen Rat und auf eigene Verantwortung verließ. Wir legten im Krankenhaus noch eine kleine Ruhepause ein, ehe wir gingen. Wir setzten uns in die Raucherecke. Die Tür zum Balkon stand offen, eine angenehme frische Brise strich herein. Pit Langenbach rauchte ein Zigarillo. Tessa bat ich, mir, dem Nichtraucher, eine Tasse Kaffee zu holen. »Aber Mark, du kannst jetzt noch kein Koffein vertragen«, protestierte sie. »Muß ich mir meinen Kaffee selbst holen? Wenn Mephisto mich nicht umgebracht hat, schafft es der Krankenhauskaffee auch nicht.« Tessa seufzte und meinte, ich sei das dickköpfigste und unvernünftigste Stück Mann, dem sie jemals begegnet wäre. Während ich den Kaffee aus einem Pappbecher trank, erzählte Pit Langenbach noch einiges zu den Vorfällen am gestrigen Abend im Polizeipräsidium. Davon würde nichts an die Öffentlichkeit dringen. Die Boulevardzeitungen wären sonst über die Berliner Polizei hergefallen; es hätte einen Wirbel sondergleichen gegeben. Der Vorfall fiel also unter die absolute Geheimhaltung, wie schon die Schreckenstage von Weimar, deren Hintergründe auch niemals bekanntgemacht wurden. Von Nasreddin war nur ein Häufchen Staub übriggeblieben. Mephisto konnte von der Berliner Polizei schlecht belangt werden. Ich wurde als Zeuge angesehen und sollte meine Aussage zu Protokoll geben, was auch in Weimar bei Pit Langenbach geschehen konnte. Pit avancierte allmählich zum Spezialisten für übernatürliche Fälle. Von dem Auftauchen Mephistos im Präsidium würde nur ein Geheimprotokoll bleiben. Zu dem Araber, der am vergangenen Abend am Alex erschienen war und dort mit Pfeilen und einem Säbel für Furore gesorgt hatte, äußerte sich die Berliner Polizei wie folgt: Eine fremdländisch gekleidete, männliche Person (vermutlich orientalischer Herkunft) wurde wegen schwerer Körperverletzung und anderer Delikte vorübergehend in Haft genommen. Die Identität des Verhafteten ist bisher ungeklärt. Die Ermittlungen laufen noch. Das Beamtendeutsch war gewöhnungsbedürftig. Mich interessierte vor allem, wie ich in Zukunft feststellen konnte, ob sich Mephisto oder ein anderer Dämon - getarnt im fremder
Gestalt - in meiner Nähe aufhielten. So wie am vergangenen Abend wollte ich nicht noch einmal hereinfallen. Ich erinnerte mich. Mein Ring hatte schon beim Eintreten in den Raum gestrahlt und ein schwaches Prickeln verursacht, als ob ich mit Schwachstrom in Berührung geraten wäre. Ich hatte zu Unrecht Nasreddin allein für den Verursacher dieses Effekts gehalten. In Zukunft würde ich klüger sein. Doch wie konnte ich einen Dämon in der Gestalt eines unverdächtigen Menschen entlarven? Da mußte ich mir etwas einfallen lassen und noch einiges recherchieren. Meine Laufbahn als Träger des Rings und Kämpfer gegen das Böse hatte erst angefangen. Nasreddins Worte fielen mir ein: Meine Herrin Fatma hat mich geschickt, um den Meister zu finden, den Retter zu holen. Fatma al-Zani wurde von dem Schwarzen Ritter Heinrich von Schwarzenfels auf seiner Burg irgendwo im Erzgebirge etwa im Jahr 1200 gefangengehalten und grausam gequält. Tod und Teufel trieben zusammen mit dem Schwarzen Ritter ihr Unwesen. Des Rätsels Lösung mußte im Jahr 1200 zu finden sein. Doch wie sollte ich dorthin gelangen? Mephisto war Nasreddin gefolgt, er beherrschte die Technik der Zeitreise und trieb zu allen Zeiten sein Unwesen. Von Beginn der Zeiten schon bin ich euer Mörder gewesen, hatte er gleich losgedonnert, als er aufgetaucht war. Das Tor, aus dem ich austrat, führt zu ihr, hatte der unglückliche Nasreddin in Bezug auf seine Herrin Fatma zuvor gesagt. Was für ein Tor konnte das sein? Eigentlich kam nur jene Stelle am Alex in Frage, wo sich Nasreddin am vorvorigen Abend materialisiert hatte. Dracomar hatte mir einen Hinweis gegeben. Ich nehme mir deinen Ring! hatte er mich angeschrien, - als ich durch den auf mich geschleuderten magischen Blitz völlig wehrlos, von drei Vampiren ergriffen, vor ihm gestanden hatte. Mit dem keltischen Wort Reise hättest du durch die Zeit fahren können. Also mußte ich wohl die Runen an dem Tor aufzeichnen oder aufsagen und damit, anders konnte es nicht sein, eine Manipulation mit dem Ring vornehmen. Abenteuerlust erfaßte mich. Ja, ich wollte es wissen und würde alles tun, um durch dieses Tor zu gehen. Es interessierte mich sehr, wo ich dann herauskam. Vor allem, wann. Vorher jedoch mußte ich mich noch etwas erholen und zurück nach Weimar. Dort war noch einiges abzuklären. Ich
mußte mich vorbereiten, mußte die Kräfte und Möglichkeiten meines Rings besser kennenlernen, ehe ich durch das Tor trat. * Tessa fuhr meinen BMW. Ich fühlte mich dazu noch nicht in der Lage. Pit Langenbach kehrte in seinem Dienstwagen, in dem er mit Tessa nach Berlin gekommen war, nach Weimar zurück. Unterwegs dachte ich an Nasreddin, den arabischen Krieger und getreuen Gefolgsmann der Fatma al-Zani. Was für ein Schicksal! Im Jahr 1170 bei Bagdad geboren, später ins Abendland, ins Deutschland zur Zeit der Staufer, verschleppt. Dann, im Jahr 1998, bei einer Zeitreise von Mephisto umgebracht. Unterwegs. erhielt Tessa übers Handy einen Anruf von Pit, der vor uns herfuhr. Sie gab mir das Handy. »Eben meldete sich bei mir das Berliner Polizeipräsidium«, berichtete Pit. »Stell dir vor, auf sämtlichen Fotos, die der Erkennungsdienst von Nasreddin schoß, ist niemand mehr zu sehen. Und Mephisto hat sich einen üblen Scherz erlaubt: Unter dem Geheimprotokoll ist neben der Unterschrift des Polizeirats und anderer Zeugen des Vorfalls der Abdruck von einem verkleinerten Pferdefuß zu sehen. - Was sagst du dazu?« »Das paßt zu ihm. Mephisto hat Stil, wie es schon Goethe im Faust schilderte. Mephisto tritt nicht immer so plump brutal auf wie gestern abend.« Ich wollte es noch nicht wahrhaben, doch ich hatte meinen großen Gegner gefunden, mit dem ich noch so manchen Strauß ausfechten sollte. In Weimar suchte ich zuerst einmal meine Adoptiveltern in ihrem Reihenhaus in der Siedlung Landfried auf. Tessa ging mit hinein. Meine Eltern mochten sie. Mutter Lydia ließ manchmal durchblicken, daß sie es nicht ungern sähe, wenn ich Tessa heiraten würde. »Du gehörst in den Ehestand, Junge«, sagte sie dann. »Die Herumtreiberei ist doch auf Dauer nichts. Du solltest endlich solide werden. Denk mal an deinen Schulfreund Lothar. Er ist Diplom-Ingenieur, arbeitet bei einer großen Firma, ist glücklich verheiratet, und bei seiner Frau ist schon das zweite Kind unterwegs. - Wäre das nichts für dich?« Ich sagte dann immer nur, ich fühlte mich noch zu jung, um zu
heiraten. In Wahrheit war ich der Meinung, von meiner jetzigen Aufgabe als Träger des Rings einmal abgesehen, daß eine Ehe mit mir eine ziemliche Katastrophe wäre. Zudem hatte ich nie eingesehen, wozu man unbedingt einen Trauschein brauchte, um zusammenzuleben. Mutter Lydia glaubte wohl selbst nicht so ganz, daß ich ein ruhiges, sicheres Leben würde führen können. Die gute Seele hätte es mir jedoch von Herzen gewünscht. Lydia bot uns eine Fruchtschorle an. Wir saßen im Wohnzimmer. Das Arbeitszimmer meines Vaters im ersten Stock war zu klein und nicht besonders gemütlich. Es war früher Nachmittag und sehr heiß. Die Rolläden waren heruntergelassen, um die Hitze abzuwehren. Dämmerlicht herrschte. Durch einen Spalt im Rolladen sah ich Rosenbüsche im Garten hinterm Haus meiner Eltern. Lydia und Ulrich waren passionierte Rosenzüchter. Die Hellmann-Rose, Ulrichs Sonderzüchtung, war in Fachkreisen bekannt. Mein Vater hatte ein steifes linkes Handgelenk und einen steifen rechten Fuß. Wie er dazu gekommen war, hatte er mir nur andeutungsweise erzählt. Trotz seiner Behinderung war er jedoch rüstig und körperlich fit. Er hatte weißes, volles Haar, einen Schnauzbart und trug eine Hornbrille. Meine Mutter hatte silbergraues Haar, war etwas mollig und nicht mehr so gut auf den Beinen. Sie war Brillenträgerin. Mich liebte sie wie ein leibliches Kind. Sie hatte eine mütterliche, gütige Art. Obwohl ich meine leibliche Mutter nicht kannte, dachte ich immer, besser als Lydia könnte sie nicht sein. Lydia hatte immer ein offenes Ohr für meine Sorgen gehabt und mich unterstützt und mir zugeredet, mir Mut gemacht, wenn mich etwas bedrückte oder wenn ich etwas verbockt hatte. Eine Mathearbeit oder etwas anderes. Nur wenn die Rede auf meine Vergangenheit kam, machte Lydia einen schwermütigen Eindruck, als ob sie etwas bedrücken würde. Wahrheitsgemäß schilderte ich meinen Eltern, was in Berlin vorgefallen war. Lydia entsetzte sich. Ulrich Hellmann fuchtelte unbewußt mit seinem Krückstock, als ob er dreinschlagen wollte, als ich von dem Kampf gegen Mephisto erzählte. »Der Mörder ist wieder da«, sagte er, äußerte sich jedoch nicht weiter.
Lydia gab wegen meiner Verletzungen keine Ruhe, bis ich mit ihr ins Bad ging und den Oberkörper freimachte. Sie schaute sich die Prellungen an, soweit der Stützverband sie nicht verdeckte. »Da hast du aber Glück gehabt, Mark«, sagte sie. »Um ein Haar hätte dich Mephisto umgebracht. Noch einmal wirst du ihm hoffentlich nicht gegenübertreten wollen.« »Das weiß ich noch nicht«, antwortete ich ausweichend. Es stank mir gewaltig, daß ich eine Plastikschiene am Kinn hatte und noch andere Verbände trug. Wie ein Invalide kam ich mir vor. Vielleicht hatte mich Mephisto zerbrechen und mir die heilige Gottes- oder vielmehr Teufelsfurcht einflößen wollen. Es gab Männer, die nie wieder einen körperlichen Kampf wagten und schon zitterten, wenn jemand die Hand hob, nachdem sie einmal übel zusammengeschlagen worden waren. Ich reagierte anders. Trotz war in mir erwacht. Ich wollte Revanche, wollte es Mephisto zeigen. Noch einmal würde er mich nicht zusammenschlagen und auf mir herumtrampeln wie auf einer alten Fußmatte. Das kriegst du wieder, dachte ich. Und: Einmal hast du mich überrumpelt, ein zweites Mal gelingt es dir nicht mehr! Lydia betupfte meine Schrammen mit Jod und trug an ein paar Stellen ein Vereisungspray auf. Ihre mütterliche Fürsorge heilte meine Schmerzen besser als die Medikamente, die sie mir gab. Wir kehrten wieder ins Wohnzimmer zurück. Tessa war während der Fahrt nach Berlin von Pit Langenbach in einiges eingeweiht worden. Wegen der Schreckenstage in Weimar hatte ich ihr ein paar Dinge erzählt und von Dracomar gesprochen, dem Blutdruiden, Vampir und Alten des Schreckens. Von diesem Nachtmahr und Teufelsboten, der junge Menschen grausam in Vampire verwandelte und Bäume und Büsche zu einem schrecklichen Leben erwecken konnte. Damit war ich bei Tessa zunächst einmal aufgelaufen. Sie hielt mich für einen Spinner und hatte mir das auch klar und deutlich gesagt. Inzwischen war sie aufgeschlossener, weil Pit Langenbach mit ihr sprach und einiges aus dem Berliner Polizeipräsidium zu ihr durchsickerte. Mein Vater zeigte auf meinen Ring. »Du mußt das FutharkRunenalphabet studieren, Mark«, sagte er. »Und dich über Heinrich von Schwarzenfels informieren.« Genau das hatte ich vor. Mein Vater versprach, sich seinerseits
kundig zu machen. Er war kein leidenschaftlicher Okkultist, hatte sich jedoch aus gegebenem Anlaß seit einigen Jahren über dieses Fach informiert und verfügte über Kontakte in aller Welt. Wir verabschiedeten uns. Auf der Fahrt zu mir kauften wir in einem Supermarkt einige Lebensmittel ein. Ein paar Tage würde ich von Joghurt, Haferschleim und anderer weicher Kost leben müssen. Obst- und Fruchtsäfte konnte ich jede Menge trinken. Das hatte ich Mephisto zu verdanken. Als wir meine Bude betraten, war es heiß dort: der Nachteil einer Dachgeschoßwohnung im Sommer. Gegenüber wurde gehämmert. Zimmerleute richteten den neuen Dachstuhl für das Haus auf, in dem vor einigen Tagen der Blitz eingeschlagen und wo sich Mephisto im Feuer gezeigt hatte. Tessa betätigte sich als Krankenpflegerin. In, der Nacht lagen wir nebeneinander wie Bruder und Schwester. Sex war nicht möglich; ich war zu kaputt und zerschunden und hatte wahnsinnige Kopfschmerzen. Dann, in der Nacht, träumte ich. Ich sah ein helles Licht und hörte eine Stimme, die wie aus Erz und sehr wohltönend klang. Eindringlich sagte sie: Reise! Reise! Prüfe! Prüfe! Danach sah. ich noch allerlei in dem Traum, konnte mich nach dem Erwachen daran jedoch nicht mehr erinnern. Die eindringlich gesprochenen Worte jedoch blieben präsent. Am anderen Tag schleppte ich mich in die Herzogin-AnnaAmalia-Bibliothek, die mir seit jeher gutes Quellenmaterial geliefert hat. Dort schlug ich nach und studierte. Zwischendurch ging ich mal in den nahegelegenen Park an der Ilm, mit dem Gartenhaus Goethes, um frische Luft zu schnappen. Ich wandelte im Schatten des alten Stadtschlosses. Wieder einmal bemerkte ich, daß es die Baustile verschiedener Jahrhunderte in sich vereinigt. Plötzlich fiel mir ein Goethewort ein: Du bist doch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten. So stand es im Faust. War mir das eingefallen, oder handelte es sich um eine Eingebung von Mephisto? Belauerte er mich? Argwöhnisch beobachtete ich meinen Ring, und jede Person, der ich begegnete, erweckte meinen Verdacht, daß sich Mephisto in dieser Gestalt wieder anschlich. Der Ring zeigte nichts an. Kein Leuchten, kein Prickeln. Stank es etwa nach Schwefel? Hörte ich ein Kichern hinter einem
Busch? Tatsächlich. Dort lag ein Pärchen auf der Wiese. Das Mädchen sonnte sich oben ohne. Ich hatte einen MephistoKomplex, den ich erst loswerden würde, wenn ich meine Revanche bei dem Teufel genommen hatte. Ich kehrte wieder in die Bibliothek zurück. Mich interessierten das ältere oder gemeingermanische Runenalphabet. Es hatte vierundzwanzig Zeichen. Ich dachte an Dracomars Worte und meinen Traum von der letzten Nacht. Deshalb schlug ich nach, was in der keltischen Sprache die Worte >Reise< und >Prüfe< bedeuteten, und ich notierte mir ihre Runenzeichen. Aufgrund meines Studiums der Völkerkunde und vor allem der Vorgeschichte wußte ich gut Bescheid, vor allem auch, wo ich nachschlagen konnte. In der Germanischen Religion, mit Odin, Thor und der Göttermutter Frigga als den obersten Gottheiten, galt Odin als Meister der Runen. Leider war ich kein runenerfahrener Druide, dann wäre mir das Ergründen meines Ringgeheimnisses sicher leichter gefallen. In der germanischen und der keltischen Mythologie fand ich jedenfalls keinen Schlüssel. Irgend etwas muß es noch geben, dachte ich und klopfte mit dem Ring auf den Lesetisch. Versuchsweise zeichnete ich mit dem Ring ein paar Runen des Futhark-Runenalphabets auf den Tisch. Mit dem Tisch geschah nichts. Doch mein Ring erwärmte sich schwach. Als ich ihn auszog, sah ich, daß sich an der Innenfläche des Rings Runenzeichen gebildet hatten. Sie verliefen rundum, verblaßten jedoch rasch wieder. Ich war also auf der richtigen Spur, auch wenn ich hier in der Bibliothek kein weiteres Ergebnis hervorrief. Über Heinrich von Schwarzenfels fand ich in der Historischen Abteilung einiges. In einem vergilbten alten Buch las ich: Item Herre Heinrich vun Schwartzenfels sich vil auf die Schwartzkunst verstund und sie erforscht. Deshalb er der Schwarze Ritter geheißen. Hat geplagt Mensch und Vieh im Erzgebirgischen Land nahe bei Annaberg, wo er viel Fehde focht und wie ein Raubritter gehaust. Nit Kayser und Hertzog er sich gebeugt und den Teutschritterorden bekempfft, dem er den Rang ablaufen wolt mit seyner Schwartzkunst und Tyrannei. Im Lande eine große Verwunderung war, als er Kayser Friedrich I Barbarossa zum Kreuzzug ins Heilige Land gefolgt. Davon ist er wiedergekehrt, mit einer Araberin und Hex, Fatme geheißen. Und hat mit der
Fatme groß Unheil gestiftet. Ernten seynt vernichtet worden, Seuchen entstanden, und Ritter Heinrich vergrößerte seine Macht. Suchten die Seuchen sein Feind heim. Itemb ist der Teufel selbst Mephistopheles an seiner Seit gewest und die Hex und der Tod, welcher die Seuchen gespeyt. Hat ein groß Unheil gegeben und unmenschliche Tyrannei weit über die Maßen. Hat Herr Heinrich seine Untertanen geplagt bis aufs Blut und sein Herrschaftsbereich ausgeweitet. Ist ein Ritter aus einem fernen Land gekumbt, Markus von Heleman geheißen. Den hat Herr Heinrich geschlachtet und sein Leich kopfunter an der Burgmauer ausgehängt, bis daß ihn die Raben gefressen. Hat der Schwarze Ritter noch lange Zeit dort in Schrecken geherrscht und ist die Ruine von seiner Burg noch heut ein verwunschener, garstiger Ort. Ich erschrak. Schweiß trat mir auf die Stirn. Schon einmal war ich auf eine Chronik gestoßen, die besagte, daß ein Sohn der Stadt Weimar den Mächten der Finsternis die Stirn bieten mußte. In jener Chronik war unklar gewesen, wer letztendlich siegte. Ich hatte Dracomar besiegt und die Plagen von Weimar beendet. Jetzt aber las ich deutlich, daß ich ums Jahr 1200 in den Tod gehen sollte. Mit Markus von Heleman mußte Mark Hellmann gemeint sein. Die Namensgleichheit konnte kein Zufall sein. Das war ein Schock für mich. Bei aller Kühnheit, wenn hier das Ende schon festgeschrieben stand, dann sollte ich den Versuch einer Reise in die Vergangenheit vielleicht besser nicht unternehmen. Ritter, Tod und dazu noch der Teufel Mephisto waren eine ungeheuer starke Kombination. Wie sollte ich dagegen ankommen, hatte ich doch nicht einmal eine besondere magische Waffe, noch verfügte ich über profunde Kenntnisse der Magie und Beschwörungsformeln. Ich mußte noch viel lernen. Beim Kampf gegen Dracomar war ich letztendlich deshalb erfolgreich geblieben, weil ein Kind - Anna Langenbach - den Namen Gottes aussprach, was wir anderen nicht mehr konnten. Das hatte den Bann von mir genommen, der mich lähmte, und ich hatte meine Fesseln gesprengt und Dracomar den Pflock in die Brust gejagt. Aber ich konnte mich nicht darauf verlassen, daß wieder im rechten Moment eine solche Hilfe erfolgte. Erschöpft fuhr ich nach Hause, löffelte mein dünnflüssiges Müsli in den von der Plastikschiene gestützten Mund und dachte dabei an Mephisto. Eine Flasche Thüringer Bier, was auch flüssige
Nahrung war, schloß die Mahlzeit ab. Ich sprach mit niemanden darüber, was ich in der Bibliothek über Heinrich von Schwarzenfels herausgebracht hatte. Nach Mitternacht fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Bis dahin hatte mir ein Gedanke den Kopf zermartert: Was soll ich tun? Als ich schlief, träumte ich wieder. Es war ein alltäglicher Traum. Ich saß in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek und las wieder den Text über den Schwarzen Ritter. Diesmal jedoch war der Schluß anders. Da stand: Ist ein Ritter gekumbt, aus einem fernen Land, Markus von Heleman geheißen. Seint die Dämonen geflohen. Hat die Hex Fatme Burg Schwartzenfels in Schutt und Asche gelegt. Markus von Heleman und der Schwartze Ritter seynt beide erlegen den Wunden, die sie sich in einem furchtbaren Zweikampf zugefügt. Ist ein groß Trauer gewest um den tapferen Ritter Markus, der Tod und Teufel nit forcht und hat sein Leben gegeben, das Land von dem Tyrannen zu befreien und Dämonen zu verjagen. Ist Frau Fatme mit Herre Walther von der Vogelweide heimgetzogen in ihre Heimat. Herre Walther ist wiedergekumpt. Damit endete der Traum. Nachts um drei wachte ich auf, von Schmerzen gequält. Da hatte ich es. In der einen Chronik stand, ich würde grausam umgebracht und den Raben zum Fraß an die Burgmauer gehängt. Nach meinem Traum würde ich meinen Wunden vom letzten Duell mit dem Schwarzen Ritter erliegen. Das waren >schöne< Alternativen und Zukunftsaussichten. Die Feinde waren übermächtig und in einer unglaublichen Überzahl, und sie verfügten auch noch über magische Kräfte. Sollte ich es dennoch versuchen, oder war es nicht besser, meine Laufbahn als Träger des Rings gleich wieder aufzugeben und in Zukunft jeden mit Mißtrauen zu betrachten und vor Mephisto zittern? Eine Frage ergab sich: Wenn ich in der Vergangenheit gegen den Schwarzen Ritter siegte und danach meinen Wunden erlag, was im Mittelalter nicht ungewöhnlich gewesen war, was würde dann mit dem Text in dem Folianten in der Weimarer Bibliothek geschehen? Blieb er als Fehlinformation stehen, oder änderte er sich? Im Prinzip konnte mir das egal sein, denn tot war ich dann sowieso. Wenn ich jedoch nicht in die Vergangenheit reiste, was passierte dann? In dem Fall würde der jetzige Text in der Weimarer
Bibliothek eine glatte Fehlinformation sein. Denn dann würde es keinen Ritter Markus von Heleman geben, der den Schwarzen Ritter bekämpfte. Schweißperlen, traten mir auf die Stirn. Ganz egal, wie ich es anpackte, war es verkehrt oder schlecht für mich. Entweder wurde ich grausam getötet, oder ich starb nach meinem Sieg an den Wunden des Kampfes. Oder ich blieb in der Gegenwart, zitterte vor Mephisto und wurde womöglich irgendwann von ihm umgebracht. Denn wenn ich eine Bestimmung als Träger des Rings hatte, mußte ich sie erfüllen, oder die Kraft des Rings kehrte sich gegen mich. Da war ich mir sicher. Ich konnte nur hoffen, daß es vielleicht noch eine vierte Alternative gab, die günstiger für mich war. Oder irgend etwas, das ich bisher übersehen hatte. Denn ich wollte in die Vergangenheit und mich meiner Aufgabe stellen. Sonst würde ich niemals mehr Ruhe finden. Und verkrochen oder den Kopf in den Sand gesteckt, das hatte ich noch nie! Konnte man die Vergangenheit ändern, wenn man durch die Zeit reiste? Wie würde sich eine Veränderung in der Vergangenheit in der Gegenwart auswirken? Konnte sie einschneidende Veränderungen hervorbringen? Oder gliederte sich das alles ein in ein System, das kosmische Geschehen, in dem Zeit und Ewigkeit ineinander übergingen und sich alles zu einem Ganzen fügte? Was war, wenn jemand in die Vergangenheit reiste und Hitler als Kind umbrachte? Würde dann der gesamte Zweite Weltkrieg nicht stattfinden? Was würde dann mit der Welt und der heutigen Gesellschaft und den politischen Machtstrukturen sein, die das Dritte Reich und seine Folgen drastisch verändert hatten? Oder nahm ein anderer die Rolle jenes ein? Oder war es nicht möglich, ihn zu töten, weil er seine Bestimmung hatte und sie erfüllen mußte? War ein Zeitparadoxon möglich, also ein Widerspruch in sich? Wenn jemand in die Vergangenheit reiste und seinen Vater tötete, würde er folglich niemals geboren werden. Also konnte er demnach auch nicht in die Vergangenheit reisen und den Vater töten. Da wurde er doch geboren. Gab es Zeitlinien, die ausgelöscht und geändert werden konnten? Mir brummte der Kopf, der von Mephisto sowieso schon angeschlagen war. Mir widerstrebte der Gedanke, daß es vielleicht Hunderte von
Zeitlinien und Parallelwelten gab, die allesamt unserer Erde entsprachen. Auf der einen Erde hätte Karl der Große gelebt, auf der anderen nicht. Auf einer wären vielleicht heute noch die Römer an der Macht gewesen, weil keine Völkerwanderung stattgefunden hatte. Auf anderen hatte die kommunistische Weltrevolution gesiegt. Wieder andere wären so exotisch und seltsam in ihren Zuständen geworden, daß man sie überhaupt nicht wiedererkannte. Ich mochte darüber nicht weiter nachdenken. Ich war ohnehin immer mehr Praktiker als Theoretiker gewesen und handelte lieber aus dem Bauch heraus, als stundenlang zu überlegen und zu philosophieren. Als Tatmensch handelte ich, basta. Jetzt wollte ich den Schwarzenfels im Jahr 1200 bekämpfen. Als ich schlief, hörte ich wieder die erzene Stimme und sah das Licht. Die Stimme sprach: Es gibt nur eine Vergangenheit. Sie sollst du vollenden. Zage nicht, Träger des Rings. Drum gürte deine Lenden, sei ein Held! Ja, ein Held konnte ich werden. Doch nach allem, was ich bisher erfahren hatte, im Traum wie im Wachen, würde ich leider ein toter Held sein. Besser ein lebendiger Feigling als ein toter Held, sagten viele. Aber ich konnte mich nicht daran halten. Es war einfach nicht möglich. * Ich wartete noch ein paar Tage, bis ich wieder fit war. Denn mit Stützkorsett für die Rippen und der Schiene am Kinn wollte ich keine Experimente unternehmen. Anfang September, in einer schwülen Nacht, fuhr ich mit Pit Langenbach und Tessa Hayden mit der U-Bahn nachts um drei zum Alex. Wir hatten uns in Berlin in einem Hotel einquartiert. Die letzten Vorbereitungen wären getroffen, das Abenteuer konnte beginnen. Nachts um die Zeit lag der Alexanderplatz leer. Die Großstadt Berlin schlief zwar nie, und in den Kneipen ohne Polizeistunde und Discos mochten sich Nachtschwärmer und Zechbrüder die Nächte um die Ohren hauen. Auf offener Straße war dagegen nicht mehr viel los. Pit Langenbach zeigte mir die Stelle, wo Nasreddin erschienen
war. Für alle Fälle hatte ich einen Rucksack mit einer Ausrüstung dabei: Pistole, Kompaß, Verbandszeug, Medikamente, Taschenlampe, Lebensmittel… Ein Buch mit mittelalterlichen Ausdrücken befand sich ebenfalls dabei. Ich trug eine zusammengeschneiderte Kleidung, die im Jahr 1200 durchgehen konnte, allerdings in den Taschen einiges aus dem 20. Jahrhundert enthielt, was ich gut gebrauchen konnte. Wir hatten uns sehr viel Mühe gegeben und sollten damit trotzdem, flapsig gesagt, auf die Schnauze fallen… Ich schlug das Notizbuch mit dem Runenwort für >Reise< auf. Dann rückte ich meinen Ring zurecht. Er hatte ganz leicht zu glühen begonnen. Eine schwache Ausstrahlung war hier noch vorhanden, wo Nasreddin aus dem Jahr 1200 hergehext worden war. Tessa umarmte und küßte mich. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. »Paß auf dich auf, Mark«, flehte sie. »Wenn dir etwas zustößt, das überlebe ich nicht.« »Das würdest du nicht mal erfahren«, sagte ich. »Sei unbesorgt, Tess. Unkraut vergeht nicht.« Pit Langenbach schaute ernst drein. Er flachste nicht mit mir wie sonst immer. »Vielleicht sollte ich mitkommen, Mark«, sagte der hochgewachsene Kriminalhauptkommissar. »Vielleicht klappt es, wenn du mich bei der Hand nimmst, sobald die Beschwörung wirkt. Dann wären wir zu zweit.« »Das hätte noch gefehlt! Willst du für achthundert Jahre Bezüge und Pensionsansprüche fordern, wenn du zurückkehrst? Das kann ich der Staatskasse nicht zumuten.« »Daß du in der Situation spaßen kannst, wundert mich, Mark«, sagte Pit. »Ich weiß, daß du mich nicht mitnimmst, weil du mich nicht in Gefahr bringen willst. Dieses Experiment wird zum ersten Mal durchgeführt.« »Jedenfalls hier und von mir«, entgegnete ich. »Und es reicht, wenn ich dabei drauf gehe, wenn was mit der Zeitreise schiefläuft. Denk an deine Familie. - Klar?« Pit nickte bewegt. Er klopfte mir auf die Schulter und gab mir die Hand. Wir umarmten uns. »Gut«, sagte Pit, und dieses Wort war eine Floskel. »Aber beim nächsten Mal komme ich mit. Bei Dracomar war ich auch dabei.«
»Irgendwann, wenn es weitergeht.« Ich konnte Tessa nicht weinen sehen. »Mädel«, sagte ich, »dich nehme ich auch irgendwann mit, und zwar ins Indien der Mogulzeit. Dort kannst du das Kamasutra vor Ort studieren.« »Mark Hellmann«, schniefte Tessa, »du bist ein ganz großes…« Sie nannte unverblümt ein menschliches Körperteil, das zwar lebenswichtig war, aber nicht als vornehm galt. So wurde ich von der Frau, die ich gern hatte und die von sich sagte, daß sie mich liebte, auf die Zeitreise geschickt. Keine heroischen Worte. Das war auch nicht notwendig. Ich klopfte mit dem Ring an die Mauer und zeichnete probehalber ein paar Runen. Der Ring leuchtete stärker. Da trat ich an die Stelle, wo sich Nasreddin materialisiert hatte. Ich bewegte die Hand durch die Luft und malte die Runen des keltischen Worts für >ReiseStraße