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Klaus Störtebeker Band 12 Von Feinden umgeben von Gloria von Felseneck Sein schlimmster Feind lauert ausgerechnet im Winterquartier auf den großen Piraten. Die Lage spitzt sich dramatisch zu...
»Die Gunst der Mächtigen ist so brüchig wie ein rostiges Schwert. Sie gewinnen dich für ihre Ziele, reden in schönen Worten vom Dank in klingender Münze und versprechen dir das Seelenheil. Nichts davon ist wahr. Wenn du ihnen lange genug nützlich warst bei ihren mitunter recht schmutzigen Geschäften und sie dich dann nicht mehr brauchen, dann lassen sie dich fallen wie einen alten Schuh. Dann ist von Dank nicht mehr die Rede, ja, schlimmer noch, dann siehst du dich plötzlich unter dem Galgen oder vor dem Schwert des Henkers. Und du kannst nichts dagegen tun, denn sie haben die Macht - und die nutzen sie schamlos aus. Denke immer daran, mein Sohn.« Franz von Althum hatte das oft gesagt, wenn er mit seinem rebellischen Zweitgeborenen allein gewesen war. Vor den Mächtigen hatte er sich aber weise zurückgehalten und war den hohen Herren in großem Bogen aus dem Weg gegangen. Daher galt er bei vielen Leuten als Drückeberger und Schlappschwanz, als einer, der allzu lange zauderte, bevor er eine Entscheidung traf. Aus diesem Grund kam er auch zu rein gar nichts, hockte mit Frau und Kindern immer noch auf einem armseligen Bauernhof und hatte kaum das notwendigste zum Brechen und Beißen. Das meinten jedenfalls einige seiner Verwandten und Nachbarn. Klaus hatte auch oft so gedacht, hatte gemeint, das Glück gehöre nur dem tüchtigen, verwegenen und starken Mann. Und nun saß er selbst in der Falle, musste im Kerker ausharren - bis man ihn und seine Leute der gerechten Strafe zuführte. So hatte es ihm der Festungskommandant Klingbeil noch vor wenigen Minuten höhnisch versichert und dann noch triumphierend hinzugesetzt: »Jetzt bist du dran, Störtebeker. Jetzt nützt es dir nicht mehr, Gottes Freund und aller Welt Feind zu sein. Niemand wird dir helfen, auch die ganze Seeräuberbande nicht.« Aber man hatte die Vollstreckung des Urteils noch auf unbestimmte Zeit verschoben. Klaus ahnte auch, worauf man wartete. Der Stralsunder Bürgermeister Bertram Wulflam, der dem Ratsherrn Simon von Utrecht unbedingt beweisen wollte, dass er der bessere Stratege im Aufspüren von Freibeutern war, hatte noch eine alte Rechnung mit Goedecke Micheel offen. Außerdem war der Triumph 4
doch viel größer, wenn er die beiden von der Obrigkeit gefürchteten und vom Volk geliebten Seeräuber auf dem Stralsunder Marktplatz durch den Scharfrichter vom Leben zum Tode befördern ließ. Störtebeker fluchte leise, am meisten über sich. Warum nur hatte er dem deutschen Ritterorden Glauben geschenkt, insbesondere Blasius von Weltzin? Weil ihm dieser den rechtschaffenen und dem Volke verbundenen Mann vorgespielt hatte, der angeblich nichts anderes wollte, als Not und Elend zu lindern. Er hatte ihn und sechs von seinen Leuten in seine Burg gelockt, hatte mit ihnen den Sturz des verhassten Bürgermeisters in allen Einzelheiten geplant - und hatte sie dann im Schlaf von seinen Schergen niederschlagen lassen. Sie waren erst wieder zu Bewusstsein gekommen, als sie auf schmutziges und fauliges Stroh gestoßen und an feuchte Wände gekettet wurden. Seit mehr als zwei Wochen vegetierten sie hier nun schon und büßten ihre Kraft und Gesundheit ein. Der Teufel sollte Blasius von Weltzin holen! Klaus fluchte erneut, wobei sein Blick zu den Männern glitt, die sein Schicksal teilten - Hans, Albin, Ragnar, Stefan, Wenzel und Olaf. Schon seit Tagen sprachen sie nur noch wenig miteinander, denn die tägliche Folter forderte ihren Tribut. Doch bis jetzt hatte Klingbeil keinen Erfolg gehabt. Schließlich wusste niemand von ihnen, wo Goedecke sich aufhielt. Aber man wollte ihn finden, soviel war sicher. Um sein Schiff machte sich Klaus nur wenig Sorgen. Das war bei Gerd Windmaker und Lüder Marlow in den besten Händen. Es war sein Freund, um den er bangte. * In diesem Augenblick wurde ein neuer Gefangener hereingeführt, offensichtlich ein Irrer, den seine lauten und nicht immer verständlichen Beschimpfungen gegen Gott und die verhasste Obrigkeit bis hierher geführt hatten. Soweit man es im Halbdunkel sehen konnte, hatte er Schaum vor dem Mund und zuckte an Händen und Füßen. Jetzt konnte sich die in Lumpen gehüllte, schlottrige Gestalt nicht mehr auf den Beinen halten, sie fiel hin und riss die beiden Büttel mit sich, die sie anketten sollten. 5
Klaus hatte diesen Vorgang nur wenig beachtet. Das war doch nur ein weiterer Gefangener, der ihr Los teilen würde. Vielleicht würde er früher sterben als sie, krank genug war er ja schon. Darum wurde er auch nur von zwei Schergen begleitet. Nun, für diesen hinfälligen Mann reichten die auch aus. Doch er täuschte sich gewaltig. Der Wahnsinnige kam schneller auf die Füße als seine schwerfälligen Bewacher, er war auch wesentlich kräftiger, als er aussah. Er hatte den ersten schon mit einem gewaltigen Faustschlag zu Boden gestreckt, als der zweite merkte, dass der Irre sehr wohl bei Verstand war. Mit Gebrüll ging er auf ihn los, doch auch er hatte nicht die geringste Chance. Wie ein gefällter Baum fiel er nach einem weiteren Fausthieb ins Stroh und blieb dort reglos liegen. »Die brauchen eine Weile, ehe sie wieder bei sich sind«, flüsterte der Mann Klaus mit rauer Stimme zu. »Aber es ist besser, wenn wir sie für eine Weile außer Gefecht setzen.« »Goedecke... bist du es?«, murmelte Störtebeker und schaute prüfend in dessen Gesicht, das mit Blut und Schmutz völlig unkenntlich gemacht worden war. »Wer denn sonst?«, kam es leise zurück. »Es gibt doch nur einen, der sich in die Höhle des Löwen wagen würde... für ein paar Dummköpfe, die sich vom Ritterorden übertölpeln ließen.« Goedecke lachte spöttisch und er handelte. Mit schnellen, geübten Griffen hatte er den Bütteln die Schlüssel abgenommen, die sie bei sich trugen und hatte sie kurz darauf angekettet und geknebelt. »Und nun seid ihr dran, ihr Hundesöhne.« Er befreite Klaus und seine Männer von den Fesseln und erklärte ihnen dabei hastig den Fluchtweg. »Folgt mir also, aber macht ja keinen Lärm und eilt euch.« Die zum Teil entkräfteten Männer warfen keinen Blick mehr auf die übrigen Gefangenen und die bewusstlosen Kerkermeister, sie schlichen Goedecke nach, gingen eine Treppe hinab, nachdem Goedecke den Kerker wieder verschlossen hatte. Hoffentlich fiel es recht lange niemandem auf, dass zwei der Wachhabenden fehlten. Und hoffentlich bekamen sie auch einen ausreichenden Vorsprung, denn man würde sie verfolgen - gnadenlos. 6
Inzwischen waren sie noch eine weitere Treppe hinuntergegangen und in den untersten Gewölben angekommen. Und hier war es an einer bestimmten, gut vorbereiteten Stelle ganz leicht, ein Loch ins Mauerwerk zu hauen. Frische Luft wehte ihnen alsbald entgegen und einer der Männer fiel vor Freude und Erschöpfung auf die Knie, wurde jedoch von Klaus energisch hoch gerissen. »Beten kannst du später, Wenzel. Los, nimm dich zusammen! Wir müssen weiter.« Mittlerweile war es dunkel geworden, sie konnten kaum noch die Hand vor Augen sehen, aber sie rannten immer weiter bis ihnen die Rippen schmerzten. Und als sie glaubten, keinen Schritt mehr machen zu können, kamen sie an einer Scheune an. »Hier stehen unsere Pferde«, rief der Kapitän der ›Maria Anna‹ ihnen zu. »Seht zu, dass ihr schleunigst hinaufkommt und reitet mir nach!« * Frieder Klingbeil war außer sich vor Wut. Zuerst hatte er angenommen, dass Justus und Hinrich sich verdrückt hätten, um in einer verschwiegenen Ecke zu sitzen und Bier zu trinken. Das taten sie schließlich öfter. Als sie jedoch nach mehreren Stunden immer noch nicht da waren, obwohl sie nur einen geisteskranken Schreihals in den Kerker bringen sollten, da wurde ihm flau in der Magengegend. Seinen Verstand einschaltend und den Rest seiner Würde zusammenkratzend, marschierte er zu den Verliesen, die alle gut gefüllt waren. Es gab in dieser Zeit haufenweise Verbrecher. Man wusste schon gar nicht mehr, wo man sie unterbringen sollte. Aber es war vielleicht doch ein Fehler gewesen, den beim Volk so beliebten Freibeuter Klaus Störtebeker und seine Spießgesellen gemeinsam in einem Verlies unterzubringen. Sicher, sie waren angekettet und wurden auch nur einzeln freigelassen, wenn sie ihre Notdurft verrichten mussten. Auch zum Essen und Trinken bekamen sie nur eine Hand frei. Mittlerweile zweifelte er jedoch daran, dass diese Vorsichtsmaßnahmen ausreichten, um eine Flucht zu verhindern. Bis jetzt hatte es in diesem Kerker nie Ärger gegeben, aber 7
bis jetzt hatte man auch noch nie einen Gefangenen wie Klaus Störtebeker bewachen müssen. Unterdessen war er vor dem betreffenden Verlies angekommen und fand die Tür verschlossen. Er öffnete sie mit einem der Schlüssel, die er immer bei sich trug. Und dann sah er im schwachen Licht der Kerze genau das, was er insgeheim befürchtet hatte. Hinrich und Justus waren an die Wand gekettet, geknebelt und sichtlich mitgenommen. Die Piraten waren jedoch alle fort. Ja, er hatte geahnt, das es so kommen würde. Auch der Verrückte war nicht mehr da, nur die übrigen Gefangenen, die mehr oder weniger geschwächt an den Wänden klebten und blöd vor sich hin starrten. »Ihr Dummköpfe, seid ihr denn ganz und gar von Gott verlassen? Wie konntet ihr das Diebespack entkommen lassen?« Der Festungskommandant entfernte die Knebel, löste die Fesseln und verpasste seinen Schergen ein paar saftige Maulschellen. »Es war dieser Irre, der so welsch daher geredet hat... Er hat uns überwältigt und uns vorübergehend die Sinne geraubt. Als wir wieder zu uns kamen, waren wir angekettet und die Satansbraten fort - alle.« Justus verteidigte sich, aber er wusste, dass es wenig Zweck hatte. Im gleichen Moment wurden er und Hinrich vor die Tür gestoßen, wo ihnen Frieder Klingbeil barsch befahl: »Die Sache wird ein Nachspiel haben. Darauf könnt ihr euch verlassen.« Die Büttel schlotterten vor Angst, denn ihr Anführer war bekannt für seine bestialischen Strafen. Er würde sie so hart auspeitschen lassen, dass sie tagelang starke Schmerzen hatten und nicht mehr auf dem Rücken liegen konnten. Vielleicht würde er sie auch ohne Lohn davon jagen. Auf das Schlimmste gefasst, standen sie kurz darauf in seiner Amtsstube und hatten die Köpfe demütig gesenkt. Ergeben ertrugen sie die Beschimpfungen und Vorwürfe, ließen sich unfähige Kerle nennen und bekamen zum Schluss der Standpauke den Mund kaum noch zu, denn Klingbeil beruhigte sich schneller als sonst und sagte schroff: »Wenn euch euer Leben lieb ist und ihr bei mir im Dienst bleiben wollt, dann darf niemand erfahren, was hier geschehen ist. Die Flucht der Piraten würde uns allen nur schaden. Und deshalb 8
werden wir ihn und seine Männer auf frischer Tat erwischt haben. Das begreift ihr doch oder nicht?« In Justus und Hinrichs wenig benutzten Gehirnen dämmerte es und beide beteuerten: »Ja, Herr Hauptmann.« Dieser musterte die beiden Dummköpfe eindringlich und erklärte dann: »Wer kennt den Störtebeker und seine Gesellen schon so ganz genau? Kaum jemand von denen da oben. Es wird dem Bürgermeister zwar nicht gefallen, aber wir waren in der Tat gezwungen, so und nicht anders zu handeln. Dieses Gelichter wollte flüchten und hat unser Leben bedroht. Und ein toter Piratenhauptmann ist allemal besser, als einer, dem zur Flucht verholfen wurde. Wie viele Gefangene sind noch in diesem Kerker?« »Acht...«, erwiderte Justus, während er breit grinste. »Na also, ist einer davon blond?« »Ja, ich glaube schon...« »Dann macht denen schnellstens den Garaus! Und morgen stecken wir ihre Köpfe auf Pfähle, damit alle Leute und vor allem der Bürgermeister sehen, wie gewissenhaft wir unserem Handwerk nachgehen. Verstanden?« »Verstanden, Hauptmann«, riefen die beiden einstimmig. Sie waren froh, dass ihr Anführer immer einen guten Ausweg wusste. Noch am gleichen Abend verfasste der Kommandant zwei Botschaften und informierte darin seine Auftraggeber, dass Klaus Störtebeker und seine Leute leider bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen wären. So würde er, Frieder Klingbeil, wenigstens eine Weile seine Ruhe haben und konnte sich noch rechtzeitig zurückziehen, bevor ihn selbst das Schwert des Henkers traf. Denn irgendwann, das war dem wackeren Festungskommandanten schon klar, würde der Schwindel herauskommen. Doch bis dahin war er längst über alle Berge. * »Du musst für eine Weile verschwinden, mein Freund«, sagte auch Goedecke Micheel, nachdem sie im Morgengrauen an der Küste ange9
kommen waren und ihre Pferde bei einem befreundeten Bauern untergebracht hatten. »Man darf dich nirgendwo sehen, Klaus und deine Kogge auch nicht. Wulflam wird in sämtlichen Häfen nach dir suchen lassen, wird Himmel und Hölle anflehen, seine Truppen in Bewegung setzen und nicht eher Ruhe geben, bis er dich hat.« »Und dich auch«, vollendete Klaus trockenen Tones. »Wir sollten uns alle aus dem Staube machen. Es ist ohnehin schon Herbst. Suchen wir uns ein schönes Winterquartier möglichst weit weg von unserem rachsüchtigen Bürgermeister. Nach Gotland können wir leider nicht.« »Nein, da würde man uns zuerst suchen«, versetzte Goedecke grimmig, während er mit Störtebeker den Pfad entlang ging, der zu einer verschwiegenen Bucht führte. Ihre Schiffsleute waren schon vorausgeeilt, um die Schaluppe seetüchtig zu machen. Schon bald blähte der Wind die Segel der ›Maria Anna‹ und man nahm Kurs auf Saßnitz, wo der ›Rote Teufel‹ vor Anker lag. Auf dem Stralsunder Marktplatz hatte man in der Zwischenzeit die Köpfe der angeblichen Rebellen auf Pfähle gesteckt, gewissermaßen zur Abschreckung für das gemeine Volk. Jeder der mehr oder weniger braven Bürger konnte sehen, wie es denjenigen ergangen war, die gegen eine von Gott gewollte Ordnung verstießen. In schauerlichem Entsetzen betrachtete man die Häupter und wandte sich dann meist schweigend ab. Gottes Freund und aller Welt Feind hatte hier ein unrühmliches Ende gefunden. Bertram Wulflam fluchte jedoch kräftig, als er die Botschaft des Festungskommandanten gelesen hatte, sah er sich doch um jenen Sieg gebracht, den er bis zur letzten Sekunde hatte auskosten wollen. Auge in Auge mit dem gefährlichsten aller Seeräuber, dem Adler der Meere und der Geißel der Hanse zu stehen und dann seinen Kopf fallen zu sehen, hätte ihn die Schmach vergessen lassen, die er schon viel zu lange ertrug. Aber immerhin war der Freibeuter nun tot und konnte seinem Freund Goedecke nicht mehr zur Hilfe kommen. »Den kriege ich auch noch«, zischte er vor sich hin und machte sich dann in Begleitung seines Schreibers auf den Weg zum Hinrichtungsplatz. Dort traf er einige Bekannte und einige, die scheinbar 10
seine Freunde waren. Sie alle beglückwünschten ihn zu seinem Fang, obwohl er an diesem gar keinen Anteil gehabt hatte. Es waren Blasius von Weltzin und Frieder Klingbeil gewesen, denen dieser Streich geglückt war. Aber immerhin hatten sie in seinem Auftrag gehandelt. Es war kalt und windig an diesem Tag und nun begann es auch noch zu regnen. Der Bürgermeister und sein Gehilfe beeilten sich, auf schnellstem Wege wieder in ihre warme Amtsstube zu kommen. Sie strebten dieser mit schnellen Schritten und wehenden Röcken zu und schauten kaum noch nach rechts und links. Dabei übersahen sie den Bettler, der sehr aufmerksam die Köpfe der Delinquenten musterte. »Man hat dir einen gewaltigen Bären aufgebunden, Bürgermeister«, murmelte er verächtlich vor sich hin. »Aber mich kann man nicht täuschen - mich nicht. Und ich weiß so vieles, was du Hundesohn nicht weißt. Ich werde nicht so dumm sein wie du und ich werde mehr Erfolg haben.« * Goedecke war nach Nowgorod gesegelt. Seine Mannschaft und er sagten sich, dass ihre Verfolger vorläufig darauf verzichten würden, ihnen in die arktische Kälte zu folgen. Klaus hatte ebenfalls darauf verzichtet. Er hatte seinen Männern einen längeren Landurlaub genehmigt, den sie verbringen konnten, wo sie wollten und hatte schweren Herzens Abschied von Gerd Windmaker genommen. Es zog jenen gewaltig zu seiner Lucie und dem Sohn, den sie ihm unterdessen geboren hatte. Er selbst und Lüder Marlow hatten einige Tage bei Clara und Dietwolf Hademar verbracht, bevor sie weiter gezogen waren, um auf dem Landsitz des Grafen von Bernburg einige Wochen zu verbringen. Er hatte jenen vor einiger Zeit vor einer Horde von Straßenräubern gerettet. Johann von Bernburg fühlte sich augenscheinlich zum Dank verpflichtet und hatte Klaus und Lüder zu einem längeren Besuch eingeladen. Er war ein kühler, nüchterner Mann, der sich nicht zu fragen schien, wer Klaus Derenborg in Wirklichkeit war. 11
Störtebeker sah den Grafen nur selten. Mit der Bewirtschaftung seiner Güter stark beschäftigt, war der hoch gewachsene und kräftige Mann oft unterwegs, was Klaus gar nicht verstehen konnte. Warum nur ließ Johann von Bernburg seine Burg und vor allem seine junge Frau so lange allein? Eben hatte sie ihre Kemenate verlassen und stand nun in der Küche am Feuer, wo sie selbst zum Gelingen des Mittagsmahles beitrug. Ihr schönes Gesicht wurde vom Schein der Flammen rosig angehaucht und ihr Mund lächelte, als sie den Mägden einige Anweisungen gab. O ja, Christine von Bernburg war eine Frau, der Klaus gar zu gerne Liebeslieder vorgesungen hätte, der er die Hand hätte küssen mögen und noch viel mehr. Irgendwie hatte ihn die Liebe doch wieder erwischt, eine Liebe, die nicht sein durfte. Er sagte sich, dass er gehen sollte - und tat es doch nicht. Diese Frau hatte etwas an sich, das ihn zum Bleiben zwang. Heute erwartete man den Grafen zurück, der an einigen Turnieren am Hof des Herzogs von Mecklenburg teilgenommen hatte. Er würde vermutlich Gäste mitbringen. Schon allein aus diesem Grund würde die Tafel reicher als sonst bestellt sein, denn Spanferkel, Fasan und ein am Spieß gebratener Ochse gehörten durchaus nicht zu den üblichen Mahlzeiten. Die Gräfin bevorzugte leichtere Kost, zum Beispiel Hühnchen mit verschiedenem Gemüse. Für ausgehungerte Männer war das jedoch nichts. Die brauchten noch viel mehr als deftige Mahlzeiten, die wollten auf die Jagd gehen und sich anschließend betrinken. Und sie gierten nach einer willigen Dirne, um den Druck in ihren Lenden loszuwerden. Die ausgehungerten Ritter bevölkerten schon kurz darauf den Burghof. Mit ihren Knappen, Dienern, Pferden und Hunden und ihrem derben und mitunter anzüglichen Geschwätz brachten sie Leben in das sonst so stille Gemäuer. Klaus verzog angesichts dieser lärmenden Invasion missmutig sein Gesicht. Er hatte geglaubt, auf dieser abgelegenen Burg vor neugierigen Blicken sicher zu sein. Dem Grafen gegenüber hatte er sich als vermögender Kaufmann ausgegeben, der sich eine Pause von seinen 12
zahlreichen Geschäften gönnen wollte. Lüder Marlow fungierte als sein Diener. Und dieser angebliche Diener sagte nun leise zu ihm: »Es ist hier in der Küche zwar sehr nahrhaft, aber ich denke, es ist besser, wenn wir uns in unsere Kammer verziehen. Man weiß nicht, wer sich alles im Gefolge des Grafen befindet.« Klaus wandte sich ab und erwiderte müde: »Nein, das weiß man nicht. Aber sicher sind wir nirgendwo, solange wir den Herren der Hanse in ihre Suppe spucken. Wir müssen nur sehr vorsichtig sein, vorsichtiger als bisher.« Ohne auch nur einem von den Gästen des Grafen zu begegnen, erreichten sie ihre Kammern, in denen sie nun schon seit zehn Tagen logierten. Die beiden Räume waren nur einfach, aber für ihre Bedürfnisse ausreichend und zweckmäßig. »Wir sollten uns ganz und gar verdrücken«, begann Lüder erneut, nachdem sie sich auf einen breiten Diwan gesetzt hatten. »Ich habe kein gutes Gefühl in mir. Irgendwo lauert ein Pferdefuß auf uns. Wir hätten auch nach Nowgorod segeln sollen, so wie Goedecke Micheel.« Klaus winkte ab. »Kälte haben wir sowieso schon genug. Mir ist ein warmes Feuer lieber...« »... und der Leib eines Weibes«, ergänzte sein neuer Waffenmeister listig. »Ich hab' schon gesehen, wie du die Mägde betrachtest.« »Du etwa nicht?« »Ich bestreite es nicht, es sind ja auch ganz ansehnliche Kehrseiten dabei, aber...« »Lüder, nun sei nicht gar so furchtsam.« Klaus legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich verspreche dir, dass wir bei der geringsten Gefahr diese gastliche Stätte verlassen werden.« »Na hoffentlich, ich möchte nämlich nicht, dass du noch mal im Kerker landest... und ich will da auch nicht hin.« * 13
Johann von Bernburg hatte sich von seinem Diener aus Rüstung, Stiefeln und Kettenhemd helfen lassen und flegelte sich nun auf die breite Lagerstatt. »Komm her!«, befahl er seiner Frau, die unschlüssig am Fenster stand und hinaus schaute. »Ich habe schon sehr lange nicht bei dir gelegen.« Sie gehorchte, schließlich war das ja ihre Pflicht. Aber ihre Bewegungen waren langsam, als sie ihre Schuhe auszog, ihre Haube ablegte und anschließend das Gewand aus rotem Samt. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn ihr Mann sie mit seinen Wünschen verschont hätte. Er war nicht gewalttätig, er schlug sie auch nicht, er behandelte sie nur genauso wie seine Pferde und Hunde. Und wenn man sich ihm demütig fügte, dann konnte es sogar vorkommen, dass er sich zu beinahe liebevollen Gesten herabließ. So wie jetzt. »So ist es brav«, lobte er, als sie sich zu ihm legte. Er tätschelte ihr flüchtig die Wange, warf sich aber fast gleichzeitig auf sie und hatte innerhalb von wenigen Minuten seine Begierde gestillt. Danach rollte er sich zur Seite, zog eine der schweren Felldecken über sich und schlief ein. Er hörte nicht, dass seine Gemahlin aufstand, sich hastig wieder ankleidete, den Raum verließ und dann nach ihrer Kammerfrau rief. Es wäre ihm auch egal gewesen. Er würde tief und friedlich bis zum Abendessen schlafen. Danach würde er sich den Wanst voll schlagen mit Gebratenem und Gesottenem, würde die Knochen den Hunden zuwerfen, mehrere Becher Wein trinken, mit seinen Freunden über Gott und die Welt reden und schließlich laut und falsch singen. Sie, seine Gemahlin seit acht Monaten, hatte ebenfalls im Festsaal zu sitzen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Nun, inzwischen konnte sie das auch schon sehr gut. »Richte mir in meiner Kemenate ein Bad«, befahl sie der Jungfer, die sich immer in ihrer Nähe aufhielt. »Und suche mir danach ein neues Gewand heraus, eines von den besseren. Du weißt, wir haben Gäste.« Das Mädchen nickte nur. Es wusste, dass seine Herrin die körperliche Gier ihres Mannes abwaschen wollte. Sie tat es ja immer, wenn er nach ihr verlangt hatte. 14
Und als Christine von Bernburg eine halbe Stunde später in dem warmen, nach Lavendel duftenden Wasser lag, lächelte sie unwillkürlich. Der Beischlaf war dieses Mal nicht so unangenehm wie sonst gewesen. Und das lag nur daran, weil sie dabei geträumt hatte - von einem hoch gewachsenen blonden Mann, der sich Klaus Derenborg nannte. Sie hatte sich vorgestellt, dass er bei ihr lag, sie küsste, streichelte und liebte. Ich sollte öfter von ihm träumen, dachte sie noch. Mein Gemahl
kann ja zum Glück keine Gedanken lesen. *
Die Ritter hatten unterdessen ihre Quartiere bezogen, die ihnen vom Burgvogt angewiesen worden waren. Sie würden mehrere Wochen hier verbringen, würden miteinander kämpfen, jagen und auch den leichten Weibern im Freudenhaus den einen oder anderen Besuch abstatten. Und sie würden dem Grafen von Bernburg natürlich auch helfen, seinen Besitz vor Feinden zu schützen, denn eine Fehde war schnell ausgesprochen und beinahe ebenso schnell war man zum Kampf gerüstet. Ihre Dienerschaft hatte derweil alle Hände voll zu tun. Die Pferde mussten in den Ställen untergebracht und gefüttert werden, die Hunde bellten laut nach einer Mahlzeit, Rüstungen und Stiefel mussten gesäubert und poliert werden und manch einer der feinen Herren verlangte sogar nach Wasser zum Waschen. An sich selbst denken konnte man nicht, ganz im Gegenteil. Mit leerem Magen und durstiger Kehle musste man seinen Dienst versehen und konnte nur darauf hoffen, dass vom Festmahl noch genug übrig blieb, um wenigstens bei Kräften zu bleiben. Der Ritter Theobald von Holl verschwendete genauso wie seine Standesgenossen keinen einzigen Gedanken an das Gesinde. Der Pöbel war es nicht wert, dass man sich um ihn sorgte. Er selbst gehörte seit kurzer Zeit zum Gefolge des Fürsten Brambach, der ihn für seine Dienste mehr schlecht als recht entlohnte. Aber dieser Dienst war immer noch besser als die Arbeit auf dem väterlichen Gut. Ein jüngerer 15
Sohn hatte eben immer das schlechtere Los, der würde immer nur Knecht bleiben, wenn er seinem Dasein nicht eine andere Richtung gab. Schon deshalb musste man zusehen, wo man blieb, musste Augen und Ohren offen halten, damit man auch andere Geldquellen erschließen konnte. In den vergangenen Jahren hatte er sich darin sehr geübt, ihm entging so leicht nichts. An diesem Abend, als man gemeinsam an der langen Tafel saß und tüchtig zulangte, auch nicht. Leider hörte und sah er nichts, was seinen ganz speziellen Freund interessieren würde. Klaus und Lüder hätten auch an dem Festmahl teilnehmen können, aber sie zogen es vor, in ihrer Kammer zu bleiben. Schließlich gehörten sie nicht zu den Gästen, die Johann von Bernburg zu seinen Freunden und Verbündeten zählte. Er hatte sich damals wohl nur verpflichtet gefühlt, einem jungen Kaufmann und seinem Diener für eine gewisse Zeit den Schutz und die Wärme seines Hauses anzubieten. »Ich geh mal zur Küche«, sagte Lüder gerade, während Klaus verdrossen auf seinem Bett saß. »Vielleicht hat man dort Erbarmen mit uns und spendiert uns einen ordentlichen Happen von dem Ochsen und einen Krug Bier. Das wird unsere Stimmung heben.« »Kann schon sein«, gab Klaus ihm recht. Innerlich verfluchte er jedoch den Winter, der ihn zur Untätigkeit verdammte und aus ihm missmutigen Mann machte. Als Lüder nur wenig später mit Braten und Bier wiederkam, besserte sich seine Laune tatsächlich. Mit vollem Bauch waren er und sein Waffenmeister viel friedlicher. Sich bedeutungsvoll zunickend, schlichen sie nun doch zu dem großen Saal, an dessen weißgetünchten Wänden Eberköpfe und Hirschgeweihe hingen. Die Zeugen des edlen Weidwerks schienen verständnisvoll auf die schmausende Gesellschaft zu schauen. Ihnen machte es nichts aus, dass es inzwischen viel lauter und ungenierter zuging als zu Beginn des Mahles, dass derbe Witze gerissen wurden und einige der Ritter bereits so kräftig dem Wein zugesprochen hatten, dass sie nun unter den Tischen lagen und dort ihren Rausch ausschliefen. Christine von Bernburg verzog angewidert den Mund. Ihr Blick ging zu ihrem Gemahl, doch dem fiel ihr Ärger gar nicht auf. Er stand 16
mit einigen mehr als trinkfesten Männern, unter anderem mit dem Fürsten Brambach, zusammen und gefiel sich in weitschweifigen Reden, die ab und zu von einem dröhnenden Lachen unterbrochen wurden. »Wie selbstherrlich er doch ist«, murmelte sie vor sich hin. »Immer will er sich und allen anderen beweisen, dass er der klügste, tüchtigste und tapferste von allen Männern ist.« Gleichzeitig stellte sie fest, dass kaum noch Brot auf den Tischen lag. Sie hätte nun eine Magd beauftragen können, welches zu holen, ging jedoch selbst, weil sie so für eine Weile dem Lärm entfliehen konnte. Bewusst hielt sie sich länger in der Küche auf, als es unbedingt notwendig war und half selbst mit, die Brotlaibe in Körbe zu packen. Danach eilte sie zurück und stieß auf Klaus und Lüder, die immer noch auf der Treppe standen und von dort aus das Gelage im Saal betrachteten. Sie lächelte unwillkürlich, als sie die beiden entdeckte und fragte leise: »Warum seid Ihr denn nicht bei den anderen Männern? Es ist genug Speise und Trank für alle da.« »Wir sind keine Ritter, nur einfache Kaufleute, denen es genügt, im Schutz Eurer Burg ein paar Tage auszuruhen«, antwortete Klaus höflich. Seine Augen sagten der Burgherrin jedoch noch viel mehr. Sie sprachen von Sehnsucht, Zärtlichkeit und Begehren, was ihr Herz schneller als sonst klopfen ließ. Noch nie hatte ein Mann sie so angeschaut, nicht einmal ihr eigener Gemahl. »Dann werde ich Euch wenigstens eine ordentliche Mahlzeit und Wein zu Eurer Kammer bringen lassen«, versprach sie und ging dann weiter zum Rittersaal. Dort hatte man sie anscheinend doch schon vermisst. Ihr Mann warf ihr nämlich einen strafenden Blick zu, während einige Ritter ihr sichtlich erfreut zulächelten. Das eine wie das andere beeindruckte sie nur wenig, die lüsterne Miene des Theobald von Holl war ihr jedoch unangenehm und widerlich und sie nahm sich deshalb vor, ihren Gemahl bei passender Gelegenheit darauf hinzuweisen. * 17
»Was wollt Ihr hier?« Der Mann, der am Tisch saß und bereits den dritten Becher Wein leerte, schaute mürrisch zu Theobald von Holl. Dieser stand mitten im Raum und sagte scheinbar unterwürfig: »Gegen ein entsprechendes Entgelt könnte ich Euch viel verraten, was Euch interessieren wird.« »So? Ich glaube es nicht. Eure bisherigen Informationen waren nur für Euch von Vorteil. Sie dienten nur dazu, Euren Geldbeutel zu füllen. Mir haben sie nichts genützt.« Der Ritter setzte sich nun unaufgefordert auf einen Stuhl und versicherte seinem Auftraggeber: »Ich bin mir sicher, dass ich einen unserer Männer gefunden habe, weiß aber nicht, wie lange er und sein Diener noch auf der Burg verweilen werden. Sein Äußeres entspricht genau der Beschreibung, die Ihr mir gegeben habt. Und es war auch nicht einfach, ihn zu finden. Ich musste mich beim Fürsten Brambach verdingen, der ein ekelhafter Kerl ist und schlecht zahlt.« »Und nun erwartet Ihr von mir, dass ich Euren Lohn verdoppele?«, fragte der andere zynisch. »Ihr täuscht Euch, ich werde Euch für Eure minderwertige Arbeit ein paar Hiebe versetzen.« »Bevor Ihr das macht, solltet Ihr Euch lieber den Vogel ansehen, den ich gefunden habe.« Theobald von Holl gab sich diensteifrig und bescheiden, aber in seinen Augen funkelte der Zorn. Meinte dieser narbige und kränkelnde Mann etwa, er würde sich von ihm züchtigen lassen? Niemals würde er das tun, er war jung und kräftig, während sein Gegenüber seine besten Jahre schon lange hinter sich hatte. »Na, vielleicht habt Ihr ja recht«, erwiderte der ältere Mann nun nachdenklich. »Vielleicht seid Ihr wirklich auf der richtigen Spur. Versucht in den nächsten Tagen etwas mehr herauszubekommen und sorgt vor allem dafür, dass der Vogel nicht ausfliegt. Wir sehen uns dann in einer Woche wieder hier.« Der Ritter deutete eine Verbeugung an als Zeichen seiner Zustimmung. Danach entfernte er sich, eilte zu seinem Pferd, das er in der Nähe der Hütte an einem Baum angebunden hatte. Nur wenige Minuten später gesellte er sich wieder zum Gefolge seines Herrn und tat so, als wäre er nie fort gewesen. 18
Der Besitzer der Hütte lächelte jedoch süffisant und zufrieden. Danach betrachtete er sich im Spiegel. Dabei seufzte er tief und strich wie geistesabwesend über die breite Narbe, die sein Gesicht entstellte. * »Deine Dienste gefallen mir, Mädchen.« Theobald von Holl kniff der Magd in das dralle Hinterteil. Danach warf er ihr eine Münze zu, die sie geschickt auffing und in ihr Mieder steckte. »Verdienst du dir eigentlich auch noch bei den anderen was?« Theobalds Blick deutete in Richtung der Ritter, die im Burghof eher spielerische Kämpfe ausfochten. »Wo denkt Ihr hin...«, entrüstete sich Emmeline. »Ich tu's doch nicht mit jedem, bin doch ein anständiges Mädchen.« »Natürlich bist du das«, beschwichtigte er sie, »aber du bist auch arm und wirst wohl zeitlebens eine Magd bleiben, wenn du dir nichts sparen kannst. Die meisten Männer wollen doch eine Frau, die was auf der hohen Kante liegen hat.« »Gewiss wollen die Männer das«, erwiderte die Magd schnippisch. »Aber ich muss mich sehr vorsehen, die Herrin sieht es nämlich nicht gern, wenn die Mägde den Gästen zu Willen sind.« »Ausnahmen gibt es immer... und du bist erfahren genug, um mehr als einen Mann zu verwöhnen. Es soll auch dein Schaden nicht sein.« Emmeline begriff nun endlich. Zögernd und neugierig zugleich fragte sie: »Was soll ich denn noch für Euch tun? Soll ich vielleicht jemandem einen Liebestrank zubereiten, ihm zu Willen sein und ihn dann ausfragen?« »So ungefähr.« Er schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Du bist klüger, als ich dachte. Also höre mir zu: Der Kaufmann und sein Diener sind mir nicht recht geheuer. Ich würde gern wissen, wer sie in Wirklichkeit sind und woher sie kommen. Du darfst aber mit niemandem darüber tratschen, hörst du - mit niemandem!« 19
»Aber ich doch nicht«, rief Emmeline empört. »Wenn ich nicht schweigen könnte, wäre ich schon lange nicht mehr hier. Die Herrin duldet keine Klatschweiber.« »Sie wird ihre Gründe dafür haben«, versetzte er trocken und bedachte die Magd mit einem strengen Blick. »Und du wirst wissen, dass ich dich erst dann bezahlen werde, wenn du deinen Auftrag gut und ordentlich erledigt hast.« »Ja, Herr, ich werde alles tun, was mir möglich ist.« Emmeline beeilte sich, die Kammer des Ritters zu verlassen, wobei sie sich hastig nach allen Seiten umschaute. Doch es sah sie keiner, alle hatten offenbar damit zu tun, die Herrschaft und die Gäste zu versorgen. Sie selbst hatte auch ein gerüttelt Maß an Pflichten und würde sich sputen müssen, ganz heimlich einen Liebestrank zu brauen. Sie fragte sich nur, wem sie den servieren sollte - dem gut aussehenden, aber ein wenig herrischen Klaus Derenborg oder dem meist so verschmitzt blickenden Lüder Marlow. Letzterer war sicher leichter zu beeinflussen und demzufolge auch geschwätziger. Nun, mit der Frage konnte sie sich auch später noch beschäftigen. Das eilte wirklich nicht, denn einer der beiden, ob nun der Kaufmann oder sein Diener, würde ihre Liebesdienste schon zu schätzen wissen. Viel wichtiger war es, aus getrocknetem Eisenkraut und einigen Beeren vom Mistelstrauch ein Pulver herzustellen, das man in den Wein schütten konnte. Es würde, wie immer, seine ganz spezielle Wirkung haben. Die Magd lächelte in sich hinein, während sie zur Kräuterkammer eilte, um sich die nötigen Drogen zu beschaffen. Je eher sie mit ihrem Vorhaben begann, um so eher würde sich ihr Sparstrumpf füllen. * Klaus musterte Emmeline mit argwöhnischem Blick. Sie hatte irgend etwas an sich, was ihm nicht gefiel. Oder lag sein Unbehagen nur daran, dass sie ziemlich keck und aufdringlich war? Er mochte solche Frauenzimmer nicht. »Ich habe Euch neuen Wein mitgebracht, Herr«, gurrte sie und stellte einen großen Krug auf den Tisch. »Brot, Käse und ein gebrate20
nes Huhn werde ich Euch auch noch bringen. Die Köchin meint, so wackere Kerle wir Ihr es seid, brauchen etwas Anständiges zum Essen.« »Ich danke dir und der Köchin«, erwiderte er gleichmütig und würdigte sie keines Blickes mehr. Konzentriert starrte er auf das Schachbrett und sagte aufmunternd zu Lüder: »Du bist dran.« »Ach ja.« Im Gegensatz zu seinem Kapitän hatte der Waffenmeister die Magd verlangend betrachtet. Er fand sie zum Anbeißen, etwas rundlich, aber gerade richtig, um Körper und Seele eines Mannes zu erfreuen - am besten so schnell, wie es nur anging. Lüder schob also die Elfenbeinfiguren nachlässig zur Seite, sagte etwas, das wie: »Habe keine Lust mehr« klang und stand auf, den ärgerlichen Blick seines Herrn bewusst ignorierend. Er ließ sich von der verführerisch lächelnden Magd den Becher füllen und nahm einen tüchtigen Zug. »Gieß dir auch was ein!«, forderte er sie auf, doch sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Herrin wird mich schelten, wenn ich das mache. Außerdem muss ich noch die Ziegen melken und in den Stall bringen.« Ein lockender Blick begleitete diese Worte und verhieß den Männern die Bereitschaft zu einer leidenschaftlichen Umarmung im Heu. »Wenn das so ist, dann solltest du jetzt zu deinen Ziegen gehen«, meinte Klaus nüchtern. »Den Tieren wird noch das Euter platzen, wenn du hier noch lange herumstehst.« »Ja, Herr.« Emmeline suchte endlich das Weite, was Lüder gar nicht gefiel. »Sieh dich vor, mein Freund!«, warnte ihn Klaus, als sie wieder allein waren. »Diese Dirne ist mit allen Wassern gewaschen, das sieht man ihr an. Du könntest leicht zwischen ihren Schenkeln den Verstand verlieren. Und den Wein würde ich an deiner Stelle auch nicht trinken.« »Meinst du, dass dieser vergiftet ist?«, kam es entsetzt von Lüders Lippen. »Nein, vergiftet sicher nicht, aber eine berauschende Wirkung wird er schon haben, wenn du mehrere Becher davon trinkst.« Klaus 21
war inzwischen ebenfalls aufgestanden, hatte den Krug genommen, fächelte sich das Aroma des Weines zu und trank einen kleinen Schluck. »Riecht gut und schmeckt auch gut, viel zu gut«, urteilte er. »Noch ein paar Schlucke und du bist deiner Sinne nicht mehr mächtig.« Der Waffenmeister hatte sich vor Schreck und Wut auf einen Schemel fallen lassen. »Diese Metze!«, stieß er böse hervor. »Ist sie so geil, oder will sie mich ausnutzen und berauben?« »Das weiß ich nicht, aber möglich ist alles. Und denke immer daran, dass unsere Feinde überall sind. Karsten Studer ist zwar zur Strecke gebracht worden, aber es gibt genug andere, die uns nach dem Leben trachten. Diese Magd könnte ein Werkzeug sein.« Lüder hatte sich wieder gefangen. »Schade eigentlich«, bekannte er verdrossen. »Sie ist sauber und willig und ich hab's bitter nötig.« Störtebeker lachte nachsichtig. »Ich hab' doch nichts dagegen, wenn du zu ihr gehst, ich will nur nicht, dass du diesen Wein trinkst und geschwätzig wirst. Zumindest darf sie nicht die Wahrheit über uns erfahren. Erzähle ihr also ein glaubwürdiges Märchen, lenke sie ab und versuche herauszubekommen, in wessen Auftrag sie spionieren soll. Sie darf deine Absichten aber nicht bemerken. Sei also nicht so vertrauensselig, wie ich es erst vor kurzem gewesen bin. Das könnte sehr gefährlich werden.« »Wir sollten schleunigst von hier fort, das wäre...« »Das würde erst recht auffallen«, warf Klaus ein und grinste breit. »Geh also zum Ziegenstall, wo Emmeline sicher schon deiner harrt.« »Zu Befehl, Schiffshauptmann!« Lüder tat sehr dienstbeflissen, trank dann einen Becher von dem Wein, den sie bisher getrunken hatten und marschierte eilig davon. Klaus lächelte müde. Er fühlte sich von Feinden umgeben, es war ihm jedoch leider noch nicht gelungen, diese zu entlarven. * 22
Christine von Bernburg war an diesem Nachmittag auf dem Weg zu ihrer Kammer, als sie von einem der immer noch auf der Burg weilenden Ritter aufgehalten wurde. »Allerschönste und allergnädigste Herrin«, säuselte er mit einschmeichelnder Stimme, »verzeiht mir meine Aufdringlichkeit, aber ich möchte Euch wenigstens einmal gestehen, wie lieb und teuer Ihr mir geworden seid.« Theobald von Holl verbeugte sich tief und tastete mit flinken Augen den grazilen Körper der Burgfrau ab. »Was erdreistet Ihr Euch?«, fuhr sie ihn scharf an. »Ich bin eine verheiratete Frau und will dergleichen nicht noch einmal hören.« Er näherte sich ihr und flüsterte: »Hören nicht, aber vielleicht fühlen?« Im gleichen Augenblick hatte er sie derb an sich gepresst und wollte sie küssen, doch sie entwand sich ihm und stieß ihn so heftig von sich, so dass er gegen die Wand taumelte. »Verdammtes Weib!«, fluchte er laut und wollte der sich eilig entfernenden Frau folgen und hatte sie schon fast erreicht, als ein großer, breitschultriger Mann auftauchte - Klaus Störtebeker. Nun, anlegen wollte er sich mit diesem Riesen ganz gewiss nicht, dabei würde er ohnehin das Nachsehen haben - er wollte daher wieselflink an ihm vorbei huschen, wurde jedoch mit einer Hand am Nacken gepackt und dann mit voller Wucht zu Boden geschleudert, dass er meinte, ihm wären nun mehrere Knochen gebrochen worden. »Untersteht Euch, die Herrin noch einmal zu belästigen!«, zischte ihm Klaus zu. »Sonst werde ich Euch in der Luft zerreißen, so wahr mir Gott helfe.« »Ich... wollte doch gar nichts... von ihr, nur meine Bewunderung und... Ergebenheit zeigen...«, stammelte Theobald mit heiserer Stimme, während er sich mühsam aufrappelte. »Ich weiß genau, was Ihr wolltet«, erwiderte Störtebeker klirrend. »Ich habe ja schließlich mit eigenen Augen gesehen, was Ihr unter Bewunderung und Ergebenheit versteht. Verzieht Euch auf der Stelle und lasst die Burgfrau künftig in Frieden. Anderenfalls wird es Euch sehr schlecht ergehen. Habt Ihr mich verstanden?« 23
»Jjjjaa«, murmelte der Ritter, der sich so unmittelbar vor Klaus' imponierender Gestalt wie ein kleines, dürres Männchen vorkam. »Ich werde mich von ihr fernhalten. Das verspreche ich Euch.« »Gut und hier habt Ihr noch ein Andenken an diese Stunde.« Störtebekers Rechte stieß vor, traf das Kinn des anderen und beförderte ihn so abermals zu Boden. »Verdammter Krämer!« Das waren die einzigen Worte, die Theobald von Holl noch sagen konnte, bevor er das Bewusstsein verlor. »Mein Gott, er ist doch nicht etwa... tot...?« Christine von Bernburg, die sich hinter einem der ausladenden Schränke versteckt und von dort aus beobachtet hatte, wie Ritter Theobald zu Boden gegangen war, stand nun zitternd vor Klaus. »Aber nein«, versetzte der Freibeuter beschwichtigend und deutete auf die jämmerliche Gestalt. »Seht doch, er bewegt sich bereits wieder. Er hat nur bekommen, was er verdient hat. Macht Euch um den da bloß keine Sorgen, Herrin.« »Tatsächlich, er kommt zu sich.« Christine atmete erleichtert auf. »Habt vielen Dank, dass Ihr mich vor diesem Unhold gerettet habt, Klaus Derenborg. Ohne Euch hätte er mich wohl sehr übel zugerichtet.« »Ja, vielleicht, aber Ihr habt Euch gewehrt wie eine Löwin. Doch nun kommt, lassen wir unseren sehr zweifelhaften Helden hier liegen. Ein wenig Abkühlung von unten wird ihm nur gut tun.« Sie stimmte in sein Lachen ein, betrachtete noch einmal den Ritter, der jetzt so gar nichts Ritterliches mehr an sich hatte, nickte ihrem Retter freundlich zu und ging dann zu ihrer Kammer. Klaus folgte ihr nicht, aber er hätte es gern getan. Sie brauchte ihn nicht, so wie ihn seinerzeit Heloise von Rüden gebraucht hatte. Und sie war auch nicht so wie diese etwas leichtlebige Schlossherrin, sie war viel ernster als jene, vielleicht sogar zu ernst. Langsam ging er weiter, immer noch an Christine denkend. Dann schüttelte er über sich selbst den Kopf. Was sollten diese romantischen Hirngespinste? Er war ein Adler der Meere, ein Seeräuber und ein Freibeuter. So manch einer der mächtigen Hanseherren zitterte vor ihm und würde ihn gar zu gern vor dem Schwert des Henkers sehen. 24
Und überall lauerte Verrat und Verderben auf ihn, vielleicht sogar hier auf dieser einsamen Burg. Doch zum Teufel, er war Klaus Störtebeker, er würde sich nicht unterkriegen lassen - von nichts und von niemandem. Halb unbewusst hatte er den Weg zu den Ställen eingeschlagen. Johann von Bernburg hatte ihm nämlich gestattet, sich ein Pferd auszusuchen, damit er während seiner Anwesenheit nicht auf dieses Vergnügen verzichten musste. Inzwischen hatte er sich mit einem kräftigen rotbraunen Hengst angefreundet, der ihn schon des öfteren in wildem Ritt über Wiesen und Felder getragen hatte. Bisher hatte Lüder ihn stets begleitet und ab und zu auch der stolze Burgherr. Heute würde er jedoch allein ausreiten müssen. Sein Waffenmeister war ja in den nächsten Stunden anderweitig stark beschäftigt und Johann von Bernburg frönte seiner Leidenschaft für die Jagd mit Falken. Er hätte sich nun einigen Rittern anschließen können, aber es war besser, wenn er so wenig wie möglich in Erscheinung trat. Er war nun einmal kein Mann, den man übersah. Das fand auch bald darauf der Bettler, der auf einen Stock gestützt unter den tief herabhängenden Ästen einer uralten Eiche stand. Der Baum verdeckte den Mann nicht, denn sein Laub war schon fast abgefallen. Doch Klaus bemerkte den gebrechlichen Alten nicht, als er ziemlich dicht an ihm vorbei ritt. Und dieser Alte fragte sich, ob nun endlich das Glück zu ihm zurückkehrte, oder ob ihm der Teufel seine Hand zum Bund gereicht hatte. * Theobald von Holl wusste nicht so recht, ob er sich nun ärgern oder freuen sollte. Zumindest hatte Emmeline getan, was sie konnte - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Auskünfte, die sie dem geilen Bock, dem Lüder, entlockt hatte, waren durchaus glaubwürdig, mehr aber auch nicht. Es konnte ja sein, dass sein Herr Handel trieb und deshalb oft durch das Land reiste. Aber dieser Klaus Derenborg sah nicht aus wie ein Kaufmann, ganz und gar nicht. Er ähnelte viel mehr einem Krieger, einem Räuber, einem Wikinger oder einem Seemann. Ja, auf 25
einem Schiff konnte man ihn sich sehr gut vorstellen, in ständigem Kampf mit den Gefahren des Meeres, den Stürmen und den Piraten. Als er seinem Auftraggeber zu der vereinbarten Zeit davon berichtete, nickte dieser nur, als würde man ihm nichts Neues erzählen. Er sagte jedoch eine Weile gar nichts, starrte nur vor sich hin und schloss mitunter sogar die Augen, als wollte er einschlafen. Der junge Ritter wurde allmählich unruhig und fragte schließlich: »Reicht Euch nicht, was ich in Erfahrung gebracht habe?« »Doch, das war schon sehr aufschlussreich«, murmelte der Alte, während er Theobald von Holl einen unergründlichen Blick zuwarf. »Ich frage mich nur, zu wem Eure Beschreibung passt. Ich bin vor einiger Zeit jemandem begegnet...« Er unterbrach sich, stand auf, humpelte zu einer Truhe, hob den schweren Deckel hoch und holte zwei Flaschen Wein heraus. »Welchen mögt Ihr, roten oder weißen?« »Roten.« »Eine gute Wahl. Trinken wir und hoffen, dass der Wein uns zu der richtigen Erkenntnis verhilft.« Theobald wusste zwar nicht, worauf sein Geldgeber hinauswollte, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Ihm genügte es, wenn seine Geldbörse sich füllte. Er wartete also ab, denn irgendwie spürte er, dass mit dem Alten nicht zu spaßen war. Langsam den Wein schlürfend, saß er da und beobachtete den Mann, den er erst vor einigen Wochen kennen gelernt hatte. »Ich muss Gewissheit haben, muss den Vogel, den ich fangen will, selbst gesehen haben«, stieß dieser nach einigen Minuten hervor. »Und dazu werdet Ihr mir verhelfen.« »Wenn es mir möglich ist, werde ich das gerne tun.« »Es muss Euch möglich sein. Lasst Euch etwas einfallen, wie ich ohne aufzufallen in die Burg komme.« »Das wird schwierig sein«, wehrte Theobald ab. »Der Graf ist ein äußerst misstrauischer Geselle und die Wachen sind...« »Habt Ihr nicht zugehört?«, unterbrach ihn der Alte mit gefährlich leiser Stimme. »Ich muss in die Burg, koste es, was es wolle. Und es interessiert mich nicht, welche Mittel Ihr anwenden werdet, um dieses Ziel zu erreichen. Kommt morgen wieder und sagt mir das Nötigste.« 26
»Ja... natürlich, ich werde einen Weg finden«, versprach Theobald von Holl kleinlaut, obwohl ihm ein solcher partout nicht einfallen wollte. Seinem Auftraggeber entging das nicht, aber er äußerte sich nicht dazu. Es gab immer einen Weg, man musste ihn nur gehen wollen und die Gunst der Stunde nutzen. »Gut, dann sind wir uns einig«, erwiderte er nun scheinbar überaus zufrieden. »Lasst uns den Wein austrinken, er ist zu gut, um schal zu werden.« Der Ritter lächelte unsicher und hatte plötzlich das Gefühl, neben einer Bestie zu sitzen. Die sonst so trüben Augen des Alten glitzerten tückisch und als er sich jetzt erhob, war er nicht mehr gebrechlich, sondern kräftig und jugendlich - und das Unheil in Person. Kaum eine halbe Stunde später schwang er sich auf das Pferd von Ritter Theobald und galoppierte davon, passierte alsbald die Zugbrücke und wurde von niemandem aufgehalten. * »Ihr seht besorgt aus. Geht es Euch nicht gut?« Es kam selten vor, dass Johann von Bernburg seine Gemahlin genauer betrachtete. Sie war da und gehörte zu seinem Leben, aber er war bisher der Ansicht gewesen, dass es der Frau an seiner Seite immer gut gehen müsse. Sie hatte doch alles, was sie brauchte und er war reich genug, um ihr auch kostspielige Wünsche erfüllen zu können. Leider hatte sie keine und er hatte bisher auch noch nie daran gedacht, ihr eine kleine Aufmerksamkeit zu überreichen. »Es geht mir gut, aber ich bin tatsächlich in Sorge«, gab sie zögernd zu. »Es geht um diesen jungen Ritter, diesen Theobald von Holl, der mir ganz und gar nicht gefällt. Er scheint gegen Euch etwas im Schilde zu führen.« »Ach was, dieser Milchbart.« Der Burgherr winkte lachend ab. »Dem werde ich das Fell gerben, wenn er sich mir gegenüber im Ton vergreift oder Euch zu nahe tritt.« 27
»Er ist kein Milchbart mehr«, erwiderte sie entschieden und blickte ihren Mann ernst an. »Und er scheint viele Seiten zu haben. Vor ein paar Tagen hat er mich noch bedrängt und wollte, dass ich Euch untreu werde. Doch seit gestern grüßt er mich überhaupt nicht mehr und sieht irgendwie... verändert aus. Kann es vielleicht sein, dass sich unter seinem Namen hier jemand eingeschlichen hat, jemand, der Euer Verderben will?« »Unmöglich! Die Wachen haben strikte Anweisung, keinen Fremden in die Burg zu lassen. Ihr könnt ganz unbesorgt sein. Und was das Aussehen des Ritters angeht, da seid Ihr Eurer ehemaligen Amme auf den Leim gegangen. Die erzählt Euch nämlich viel zu viele Schauergeschichten. Ich habe mit dem Ritter erst vor kurzem gesprochen. Abgesehen von einem Schwerthieb, der seinem guten Aussehen natürlich abträglich ist, habe ich keine Veränderung an ihm wahrgenommen.« »Mir erscheint er aber gänzlich anders...« »Ah, nun begreife ich«, rief Johann von Bernburg sarkastisch. »Ihr findet ihn verändert, weil er nicht mehr um Eure Gunst buhlt. Grämt Euch nicht, dem Jüngling ist wahrscheinlich bewusst geworden, dass er sich mit mir anlegen würde, wenn er auch weiterhin Euer Minnesänger sein will. Und da ihm sein Leben lieb ist, lässt er Euch in Ruhe.« Christine gab es auf, ihrem Gemahl ihre Ängste mitzuteilen. Er glaubte ihr ja doch nicht. Mutlos geworden, wandte sie sich ab und verließ die Kemenate. Vielleicht hatte ihr Mann ja doch recht, vielleicht bildete sie sich alles nur ein. Der angebliche Theobald von Holl, der in Wirklichkeit Ingomar von Humfried hieß, war indessen nicht untätig gewesen. Sehr schnell war es ihm gelungen, die meisten der übrigen Ritter davon zu überzeugen, dass er von Räubern überfallen worden war und bei dem Kampf einen Schwerthieb ins Gesicht bekommen hatte. Wer konnte denn schon so genau unterscheiden, ob seine Verwundung von einem Schwert, einem Messer - oder den spitzen Nägeln eines Weibes stammte? Die Schramme blutete jedenfalls und machte sein Antlitz beinahe unkenntlich, genauso, wie er es wollte. Seine flüchtige Ähnlichkeit mit dem echten Ritter kam ihm nun zustatten, obwohl er nicht mehr ganz so 28
kräftig war wie früher. Er hatte in den vergangenen Monaten stark abgenommen, eine Folge seiner schweren Verletzung durch den Schwerthieb eines Piraten. Damals hatte er wirklich geglaubt, dass sein letztes Stündlein geschlagen hätte. Doch dann hatte er bemerkt, dass sein Kettenhemd die Wucht des Schlages weitgehend gemindert hatte. Und wäre er nicht gestolpert, auf einen spitzen Stein gefallen und kurzzeitig ohnmächtig geworden, dann hätten seine Feinde niemals an seinen Tod geglaubt. Sie hatten dicht neben ihm gestanden, fest davon überzeugt, dass er das Zeitliche gesegnet hatte, hatten sich sogar über ihn gebeugt. Aber er war klüger gewesen, als alle zusammen, hatte den Atem angehalten und sich insgeheim zu seinem schnellen Reaktionsvermögen beglückwünscht. Der vermeintliche Sieg über ihn hatte seine Widersacher unvorsichtig gemacht - und das war seine Rettung gewesen. Aber es hatte neue Gefahren gegeben - die Wölfe. Die hatten das Blut der Bauerntölpel gewittert, die im Kampf mit Klaus Störtebeker getötet worden waren. Das Raubzeug war immer näher gekommen und hatte ihn schon beinahe umzingelt. Doch buchstäblich in letzter Minute hatte er sich auf einen Baum retten können und hatte von dort aus zugesehen, wie die gefräßigen Bestien die Körper der Bauern zerrissen und zerfleischt hatten. Noch heute erinnerte er sich an ihr Knurren und Fauchen, an ihr Schmatzen und Schlingen. Aber schließlich waren sie irgendwann doch gesättigt abgezogen, worauf er vom Baum geklettert war und im Dunkel der Nacht bis zur Hütte des Köhlers gewandert war. Es grenzte schon an ein Wunder, dass er diese erreichte, denn er war zwar am Leben, aber doch verletzt und so geschwächt, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. In den nun folgenden Tagen hatte er sich von dem gutmütigen und hilfsbereiten Mann pflegen und versorgen lassen, bis er in der Lage gewesen war, seinen Weg fortzusetzen. Und nun hatte das Schicksal es so gewollt, dass er wesentlich schneller als erwartet seinem Widersacher wieder begegnete. Und dieser ahnte nichts von seiner unmittelbaren Nähe. 29
Ingomar von Humfried lächelte bösartig bei diesen Gedanken. Der Tag seiner Rache und seines Triumphes würde schon bald kommen. * Klaus entging nicht, dass die Burgfrau sehr bedrückt war. Ersah es an den Sorgenfalten auf ihrer Stirn und ihrem viel zu blassen Gesicht. Gar zu gern hätte er sie nach ihrem Kummer gefragt, aber das stand ihm ja leider nicht zu. Eigentlich hatten Lüder und er sich jetzt vom Grafen verabschieden wollen, doch aus Gründen, die er sich selbst nicht so, recht eingestand, blieb er noch. Christine von Bernburg war das recht, sehr recht sogar. Vielleicht konnten die beiden ihrem Gemahl zur Hilfe eilen, falls er von einem ganz besonderen Ritter angegriffen wurde. Es wäre ihr jedoch lieber gewesen, wenn ihr Mann die Gefahr erkennen würde, in der er ihrer Meinung nach schwebte. Aber sie hatte ja keinen Einfluss auf ihn, was sie sehr bedauerte. So blieb ihr nichts anderes übrig, als selbst aufzupassen, soweit das in ihrer Macht stand. Auch wenn sie ihren Mann nicht liebte, so achtete sie ihn als aufrechten, geradlinigen Menschen, der gut für seine Untertanen sorgte. Ingomar von Humfried hingegen war sich bewusst, dass er umgehend handeln musste. Schließlich konnte er nicht ständig allen anderen vorgaukeln, Theobald von Holl zu sein. Und er musste auch damit rechnen, dass die im Wald verscharrte Leiche seines Informanten schon bald gefunden wurde. Es war alles in allem viel zu gefährlich, noch lange auf dieser Burg zu bleiben. Außerdem wusste er ja nun, dass Störtebeker und Lüder Marlow den Winter in dieser Gegend verbringen wollten. Doch bevor er sich aus dem Staube machte, musste er versuchen, Johann von Bernburg auf seine Seite zu ziehen. Vielleicht hatte er Glück und der Graf ließ die Piraten sofort ins Verlies werfen. Das würde das Beste sein. Danach würde er, Ingomar von Humfried, das schnellste Pferd satteln, das in den Ställen des Burgherrn zu finden war und nach Stralsund reiten. Bertram Wulflam würde staunen - und ihm dankbar sein müssen. 30
Und als er an diesem Abend den Grafen aufsuchte, war er bereit, alles zu wagen und möglicherweise auch zu verlieren. »Ich habe Euch eine wichtige Mitteilung zu machen, Graf Bernburg«, begann er, als er seinen Gastgeber allein im Pferdestall traf. »Redet!«, forderte ihn dieser kurz angebunden auf. »Es geht um den Kaufmann und seinen Diener«, erwiderte Humfried mit leiser, bedrückter Stimme. »Beide sind nicht das, was sie vorgeben.« »Sondern?« »Ihr beherbergt Gottes Freund und aller Welt Feind, Graf. Klaus Derenborg ist niemand anderer als der berüchtigte Seeräuber Klaus Störtebeker. Ich weiß es genau. Und der andere wird einer seiner Schiffsknechte sein.« »Sapperlot... Nein, das kann nicht sein.« Der Graf winkte unwillig ab. »Wie mir ein zuverlässiger Freund berichtet hat, wurde Klaus Störtebeker in Stralsund gefangen und ist bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen.« »Da hat sich Euer Freund geirrt.« »Das glaube ich nicht«, versetzte Johann von Bernburg ruhig. »Und selbst, wenn es so sein sollte, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Freibeuter gerade hier weilen sollte und sich bescheiden im Hintergrund hält - so wie Klaus Derenborg es tut.« »Dafür wird er seine Gründe haben. Aber glaubt mir, wer auf dem Meer Beute macht, wird auch zu Lande stehlen und morden. Außerdem ist die Seefahrt im Winter schwierig und noch gefährlicher als sonst. Die Piraten verbringen daher die kalte Jahreszeit stets in ihren Schlupfwinkeln, zum Beispiel auf Gotland, Rügen oder bei Freunden, die sie unter der Bevölkerung durchaus haben.« »Ihr wisst ja ausnehmend gut Bescheid«, antwortete Johann von Bernburg argwöhnisch. »Wer sagt mir, dass Ihr nicht selbst zu den Piraten gehört, oder den Kaufmann nur anschwärzen wollt?« »Eure Frage ist berechtigt.« Humfried erstickte fast an seiner Wut, aber es gelang ihm dennoch, den Eindruck eines wohlmeinenden Mannes zu erwecken. »Ich kann Euch nur mein Wort als Edelmann geben und Euch versichern, dass ich meine Kenntnisse auf dem Meer ge31
sammelt habe, in jener Zeit als ich zur Flotte des Herzogs von Mecklenburg gehörte und dabei geholfen habe, einigen Piraten das Handwerk zu legen. Die Hauptleute Klaus Störtebeker, Goedecke Micheel und Magister Wigbold sind uns jedoch immer wieder entwischt. Aber gesehen haben wir sie oft, die freche und räuberische Brut. Ich sehe es darum als meine Pflicht an, Euch dies zu sagen. Und die Eure ist es, als Burgherr die Piraten umgehend zu fangen und dem Gericht zu übergeben. Und Ihr solltet auch daran denken, dass so einflussreiche Männer wie Bertram Wulflam und Simon von Utrecht schweren Schaden durch diese Seeräuber erlitten haben.« Der letzte Satz war ein Fehler, das merkte Humfried sofort. Graf Bernburg liebte es nicht, wenn man ihm sagte, was er zu tun oder zu lassen hatte. Die Quittung bekam er sofort, denn jener erwiderte kalt: »Ich danke Euch für Eure Warnung, aber ich werde erst dann eine Entscheidung fällen, wenn ich mich hinreichend über diese Gäste informiert habe. Es ist nicht meine Art, jemanden nur auf eine Vermutung hin in den Kerker zu bringen.« »Bis dahin hat er längst Verdacht geschöpft und ist entflohen. Meint Ihr denn, der Schurke wartet, bis Ihr Euch nach ihm erkundigt habt?« »Ob er wirklich ein solcher ist, das ist noch gar nicht erwiesen. Und es ist überdies nicht meine Aufgabe, Piraten zu jagen.« Die Stimme des Burgherrn klang kühl. »Ich habe lediglich dafür zu sorgen, dass sie meiner Burg, meiner Familie und meinen Untergebenen nicht schaden. Dieser Pflicht werde ich selbstverständlich nachkommen. Und nun bitte ich Euch um Euer Schweigen gegenüber jedermann.« »Dessen könnt Ihr Euch sicher sein, aber zögert nicht zu lange. Klaus Störtebeker ist ein übler und gewalttätiger Bursche. Er könnte es nicht nur auf Euer Hab und Gut, sondern auch auf Eure liebreizende Gemahlin abgesehen haben. Er wird Euch zum Hahnrei machen, wenn Ihr ihm nicht Einhalt gebietet.« Der Graf war offenbar nicht aus der Ruhe zu bringen, denn er versetzte nur ironisch: »Ihr redet recht seltsam, Ritter Theobald. Ich glaube, aus Euren Worten spricht nur der Neid, weil diese Frau mir gehört und Ihr selbst von ihr schmählich abgewiesen wurdet?« 32
Verdammt noch mal, dachte Ingomar verärgert. Ich muss vorsichtiger sein. Der gute Theobald hat der Burgfrau anscheinend nachgestellt. Und die hat, töricht und redselig wie Weiber nun einmal sind, davon ihrem Mann erzählt. Laut sagte er jedoch nur: »Ihr täuscht
Euch, Graf Bernburg. Ich habe nur die Schönheit Eurer Frau Gemahlin gepriesen... mehr nicht. Ich versichere Euch, ich würde niemals ihre Ehre antasten und Euch beleidigen.« »Hoffentlich denkt Ihr auch immer daran«, knurrte der Graf und ließ den Verleumder einfach stehen. Er hatte genug von dessen Geschwätz, nahm sich aber vor, Erkundigungen über seinen Retter einzuziehen. Es konnte ja immerhin etwas dran sein - und Klaus Derenborg sah nun wirklich nicht aus wie ein Kaufmann. Er musste dieser Sache nachgehen, musste für Aufklärung sorgen. Das war seine Pflicht. Was er tun würde, falls sich der Verdacht bestätigte, wusste er noch nicht. Dieser Mann hatte ihm immerhin das Leben gerettet. Das würde er ihm niemals vergessen. *
Christine hatte wie jeden Tag ihrem Zelter ein paar Mohren gebracht, hatte ihn gestriegelt und gestreichelt. In dem Augenblick, als sie den Pferdestall verlassen wollte, hatte sie die Stimmen ihres Mannes und des ihr verhassten Ritters Theobald vernommen - die eine schroff und abweisend, die andere geifernd und aufdringlich. Geistesgegenwärtig hatte sie sich hinter einer Bretterwand verborgen und hatte so jedes Wort genau verstehen können. Nun schlich sie ungesehen davon. Sie war sehr blass geworden, nachdem sie gehört hatte, was Theobald von Holl ihrem Mann soeben erzählt hatte. Es war geradezu ungeheuerlich, was dieser schreckliche Mann behauptete. Doch Johann hatte ihm nicht geglaubt. Aber sie kannte ihren Gemahl, er würde jetzt nicht ruhen, bis er Genaueres über Klaus Derenborg und seinen Diener in Erfahrung bringen konnte. Und dann würde er handeln, würde vielleicht denjenigen anzeigen, der ihm erst vor kurzem das Leben gerettet hatte. Soweit durfte es nicht kommen - niemals. Sie fragte sich allerdings auch, ob Klaus Derenborg 33
wirklich ein Kaufmann war. Daran hatte sie schon lange gezweifelt, hatte ihn aber nie für einen Räuber und Mörder gehalten, auch jetzt nach den Anklagen des Ritters nicht. Die Burgfrau eilte vorwärts, betrat bald darauf die große Halle und wenige Minuten später die Kammer von Klaus Störtebeker. Dieser stand mit Lüder Marlow am Tisch, auf dem eine große Landkarte ausgebreitet war. Beim Eintritt von Christine faltete Klaus das Blatt hastig zusammen und legte es zur Seite. Dann fragte er: »Was führt Euch zu uns, Herrin?« »Die Sorge um Euer Leben«, antwortete sie unverblümt. »Einer der Ritter hat nämlich das Gerücht verbreitet, Ihr wäret Piraten, er hat sogar behauptet, einer von Euch wäre Klaus Störtebeker. Ihr würdet seit langem gesucht, hat er noch gesagt - zum Beispiel vom Stralsunder Bürgermeister. Er hat meinen Gemahl aufgehetzt. Euch gefangen zu nehmen und einem Gericht zu übergeben.« Klaus und Lüder sahen sich einen Augenblick an, ihre Mienen veränderten sich jedoch nicht. »Und was will Euer Gemahl nun tun?«, erkundigte sich Störtebeker gelassen, während er in Gedanken bereits die Flucht erwog. Sie zuckte mit den Schultern. »So ganz genau weiß ich das auch nicht, weil mein Gemahl mich nie in seine Pläne einweiht. Ich weiß nur, dass er dem Gerücht nicht so ohne weiteres Glauben schenkt. Aber er ist der Herr der Burg und wird Euch hier nicht haben wollen, wenn Ihr tatsächlich... Freibeuter seid. Es wäre also besser, wenn Ihr meine Warnung ernst nehmen würdet. Und wenn Ihr wollt, dann helfe ich Euch, heimlich die Burg zu verlassen. Ich weiß einen Ort, an dem Ihr recht sicher den Winter verbringen könnt.« Klaus blickte die schöne Frau einige Sekunden forschend an, als wollte er ergründen, ob er ihr vertrauen konnte. Sie würden ihr Angebot annehmen, denn sie schien ehrlich und aufrichtig zu sein. Lüder und er hatten ohnehin keine andere Wahl. Sie mussten nach dem Strohhalm greifen, den ihnen diese Frau bot, denn hier bleiben konnten sie auf gar keinen Fall. Aber vorher mussten sie noch wissen, wer sie verleumdet hatte. Man musste seine Feinde kennen, um sich vor ihnen zu schützen und um ihre Pläne durchkreuzen zu können. 34
»Wer ist dieser Ritter, der mit Eurem Gemahl gesprochen hat?«, fragte Klaus schließlich. »Er heißt Theobald von Holl. Anfangs habe ich ihn für einen zwar unverschämten, aber recht harmlosen Mann gehalten, aber inzwischen meine ich, dass er jede Niedertracht in sich birgt. Die könnt Ihr von seinem Gesicht ablesen, wenn Ihr genauer hinschaut. Ihr könnt den Ritter übrigens sehr leicht erkennen, er hat eine Verletzung auf der linken Wange.« »Eine Verletzung auf der linken Wange, sagt Ihr?«, mischte sich Lüder Marlow aufgeregt ein. »Könnte es sich dabei auch um eine alte Narbe handeln?« »Möglich wäre das schon«, erwiderte sie nachdenklich. »Doch da sein Gesicht in letzter Zeit immer von Blut und Staub verschmiert ist, kann ich das nicht beurteilen. Zumindest kommt er mir inzwischen sehr verändert vor. Er scheint auch größer und kräftiger zu sein als vorher. Mein Gemahl sagt jedoch, dass ich mich täuschen würde.« »Zeigt uns diesen Mann, Herrin!«, bat Störtebeker. »Es scheint so, als würden wir hier einem alten und längst tot geglaubten Feind wieder begegnen.« »Das wird nicht einfach sein, denn er ist nur selten bei den anderen Rittern zu finden. Er nimmt auch nicht mehr an den Turnieren teil, seitdem seine Wange von einem Schwert gespalten wurde.« Christine trat dennoch an das hohe Bogenfenster und schaute in den Burghof, wo sich eine größere Anzahl von Rittern und Knappen versammelt hatte. Graf Bernburg und Fürst Brambach waren auch unter ihnen. Sie wollten offensichtlich zur Jagd aufbrechen und riefen laut nach ihren Begleitern und Dienern. Diese eilten, soweit sie nicht schon anwesend waren, herbei und warteten auf die Befehle ihrer Herrn. Theobald von Holl war jedoch nicht unter ihnen. In diesem Augenblick schien die Menge zu Stein zu erstarren, alle schauten entsetzt und betroffen auf die vier Jäger, die aus dem Wald kamen und offenbar einen Toten mit sich führten. Dieser lag auf einem Karren und war mit einem großen Tuch bedeckt. Nur seine Füße, 35
die in abgetragenen und verschmutzten Stiefeln steckten, ragten darunter hervor. »Was soll denn das?«, scholl die laute Stimme des Grafen Bernburg über den Hof. »Es ist nicht üblich, jemanden aus dem niederen Volk hier zu bestatten.« Die Jäger hatten den Karren inzwischen zum Stehen gebracht. Einer von ihnen wandte sich nun an den Fürsten und sagte respektvoll: »Wir glauben, dass der Tote zur Ritterschaft und zu Eurem Gefolge gehörte, Hoheit. Noch vor wenigen Tagen haben wir ihn dicht neben Euch gesehen. Wir wissen zwar seinen Namen nicht, auch nicht, warum er so ärmlich gekleidet ist, meinen aber doch, dass er ein Edelmann war. Und deshalb bitten wir Euch, seinen Leichnam anzuschauen.« Der Fürst und Graf Bernburg sahen sich betroffen an, bevor sie sich mit schweren Schritten dem Toten näherten. Ein Jäger schlug das Tuch zurück und flüsterte: »Er wurde erdrosselt, seht nur, Herr.« Der Fürst nickte nur und sagte dann: »Dieser Mann ist ohne Zweifel Theobald von Holl. Ich habe ihn in den letzten Tagen nicht zu Gesicht bekommen, hörte aber, dass er bei einem Kampf verwundet wurde und sich daher auskurieren wollte. Diese Meldung scheint eine glatte Lüge gewesen zu sein.« Der Graf schwieg und versuchte, die tiefe Scham zu verbergen, die ihn in diesem Moment befiel. Hatte seine Gemahlin ihn nicht mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass gerade dieser Ritter sich so verändert hatte? Nun wusste er, dass sie bessere Augen hatte, als er - und den Verbrecher sofort erkannt hatte, der sich aus welchen Gründen auch immer in die Burg geschlichen hatte. »Ja, dieser Mann ist Theobald von Holl«, pflichtete er nun seinem hohen Gast bei. »Wir haben uns alle irreführen lassen - von demjenigen, der nur sein Mörder sein kann. Sucht nach ihm und schafft ihn herbei, damit er sogleich bestraft wird.« Die Menge stob nach allen Seiten auseinander, nur die Jäger blieben unschlüssig neben dem Karren stehen, sie warteten anscheinend auf die Befehle ihres Dienstherrn. 36
»Geht zur Küche und lasst Euch dort Speis und Trank geben«, ordnete der Graf zerstreut an. »Danach könnt Ihr wieder Eurer Arbeit nachgehen.« * Störtebeker und Lüder, die genauso wie die Burgherrin das Geschehen vom Fenster aus verfolgt hatten, verließen nun diesen Platz und zogen sich in das Innere des Raumes zurück. »Eure Ahnung hat Euch nicht getrogen, Herrin«, begann Klaus leise. »Soweit wir es nun erfahren haben, wurde der echte Theobald von Holl ermordet, vermutlich von einem Mann, dessen Antlitz versehrt ist. Wir kennen einen solchen, haben aber angenommen, er wäre tot. Vielleicht haben wir uns aber auch getäuscht. Dieser Mann ist überaus gefährlich, auch für uns. Denn in einem hat er durchaus recht. Wir sind keine Krämer, sondern tatsächlich Freibeuter. Der da ist Lüder Marlow und mich nennt alle Welt Klaus Störtebeker.« Christine von Bernburg erschrak nicht, sie sagte nur eindringlich: »Ihr müsst fliehen, so bald wie möglich. Nutzt die Gunst der Stunde und mischt Euch unter die Suchenden. Leider kann ich Euch keine Rösser zur Verfügung stellen, aber bis zum Haus meines Oheims ist es nicht allzu weit. Ihr könnt es in weniger als zwei Stunden erreichen, wenn Ihr zügig ausschreitet. Ich werde Euch eine Botschaft mitgeben, dann wird er schon verstehen und Euch verstecken, solange es notwendig ist.« Es war keine Zeit mehr, die Burgfrau zu fragen, warum sie einem berüchtigten Seeräuber helfen wollte. Das wussten Klaus und Lüder nur zu gut. Und es blieb ihnen jetzt auch nichts anderes übrig, als diese Hilfe anzunehmen. In der Burg würden vermutlich bald die Schergen der Gerichtsbarkeit herumschnüffeln, sie würden fragen und fragen und viel mehr herausbekommen, als sie eigentlich sollten. Das Haus dieses Oheims konnte eine weitere Falle sein, vielleicht aber auch die einzige Zuflucht für diesen Winter. »Habt Dank, Herrin.« Klaus verbeugte sich tief. »Und nun sagt uns, wie Euer Onkel heißt und wo wir ihn finden können.« 37
Die junge Frau atmete erleichtert auf, denn es war gut zu wissen, dass der Pirat klug genug war, rechtzeitig zu verschwinden. »Er heißt Gottlieb Rappold und wohnt jenseits des Waldes am Endes Dorfes Plüschau«, antwortete sie hastig. »Die Leute dort nennen ihn einen Einsiedler und Sonderling. Manche meinen auch, dass er ein wenig wirr im Kopfe ist. Daran dürft Ihr Euch nicht stören, er ist geistig voll auf der Höhe. Er tut nur so wunderlich, weil er in Ruhe gelassen werden will, vor allen Dingen von den Weibern, die meinen, dass er trotz seiner Jahre doch noch zur Ehe taugt.« Klaus lächelte unwillkürlich und nahm nur wenige Minuten später ein Schreiben der Burgfrau entgegen. Und er lächelte auch noch, als er mit seinem Waffenmeister klammheimlich die Burg verließ, auch wenn es ihm nicht gelungen war, seinen Feind zu sehen. Aber er kannte ihn, er brauchte nur auf seine innere Stimme zu hören. Karsten Studer war also nicht tot, er trieb weiterhin sein teuflisches Spiel und hatte auch diesen jungen Ritter auf dem Gewissen. Er hatte dessen Identität angenommen und war so in die Burg gelangt. Und dafür hatte er einen Grund gehabt. Aber woher hatte er gewusst, dass er, Klaus Störtebeker, gerade hier weilte? Er würde es vielleicht nie herausbekommen. Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. »Ich habe ihn also doch nicht getötet«, klagte Lüder sich an, als sie dem Wald zustrebten. »Wie konnte ich nur so dumm sein und daran glauben?« »Wir haben alle daran geglaubt, aber irgendwer oder irgendwas muss ihn gerettet haben. Wir haben eben nur halbe Arbeit geleistet, wir hätten ihn köpfen sollen. Dann hätten wir wirklich Ruhe vor ihm gehabt.« Klaus lachte freudlos und legte für einen Moment eine Hand auf Lüders Schulter. Dabei fügte er grimmig hinzu: »Und wenn wir ihn das nächste Mal erwischen, dann rechnen wir mit ihm ab, dann gibt es keine Gnade mehr. Und nun lass uns eilen. Wir wollen doch die Burgfrau nicht enttäuschen.« Das Wetter begünstigte ihre Flucht, denn es begann zu regnen und sehr stürmisch zu werden. Dunkle Wolken verdüsterten den Him38
mel und ließen die beiden Flüchtlinge zu Schatten werden, die niemand beachtete. Christine von Bernburg hoffte inständig, dass ihren Schützlingen die Flucht gelingen möge. An sich selbst dachte sie dabei nicht. Wozu auch? Man würde sie wohl kaum verdächtigen, sich in die Angelegenheiten von Männern zu mischen. So etwas stand keiner Frau zu, auch der Gemahlin des Burgherrn nicht. Ihr oblag die Anleitung und Beaufsichtigung des Hausgesindes, sie hatte dafür zu sorgen, dass schmackhafte und ausreichende Mahlzeiten auf den Tisch kamen, sie hatte die Wirtschaft zu führen und möglichst oft niederzukommen. Der Burgherr brauchte Erben für seinen umfangreichen Besitz. Sie hatte es zuweilen heimlich beklagt, nur eine Frau und damit ohne nennenswerte Rechte zu sein, doch jetzt sagte sie sich, dass es durchaus von Vorteil war, dem ach so schwachen und dummen Geschlecht anzugehören. Ihr Mann hatte indessen die Suche nach dem mutmaßlichen Mörder von Theobald von Holl aufgeben müssen. Dieser war nicht mehr aufzufinden, obwohl man in der Burg und in sämtlichen Nebengebäuden keinen Winkel ausgelassen hatte. Man hatte nur festgestellt, dass ein Pferd fehlte und dass Klaus Derenborg und sein Diener ebenfalls nicht mehr da waren. Nun fragte man sich allgemein, ob der Kaufmann auch an dem Mord beteiligt gewesen war, oder ob der Namenlose allein die Tat vollbracht hatte. Wie dem auch sei, die einzig Schuldigen waren geflohen, was dem Grafen Bernburg dann auch genügte. Es erübrigte sich nun, nach den Freibeutern zu forschen - Gott sei Dank. * Noch recht behände für seine Jahre - er mochte etwa um die Fünfzig sein - marschierte Gottlieb Rappold den Weg entlang, der vom Wald direkt zu seinem Haus führte. Den ganzen Tag über hatte er sich damit geplagt, ein paar Hasen zu erlegen und hatte tatsächlich Erfolg gehabt. Vier der blitzschnellen Nagetiere hatte er niedergestreckt und trug sie nun stolz nach Hause. Dort würde er ihnen das Fell über die 39
Ohren ziehen, sie ausweiden und einen Tag in der Vorratskammer am Haken hängen lassen. Danach würde er sie in handliche Teile zerlegen, gut würzen und anschließend in der großen Pfanne braten. Dazu gab es einen guten Rotwein, den ihm seine Nichte, die Gräfin Bernburg, zuweilen brachte. Gottlieb grinste in froher Erwartung in sich hinein. Die Mahlzeiten für die nächste Woche waren abgesichert und er brauchte nichts anderes mehr zu tun, als in seinem Sessel vor dem warmen Kamin zu sitzen und vor sich hin zu dösen. Ja, ja, das Einsiedlerleben war nicht zu verachten. Das einzige, was ihn mitunter störte, waren die Unordnung im Haus und das Säubern der Kleidung. Nun, seine Nichte würde schon ein Einsehen mit ihm haben und sich zusammen mit ihrer ehemaligen Amme seiner annehmen. Die beiden waren übrigens auch die einzigen Frauenzimmer, denen er vertraute. Alle anderen, seine zänkischen Schwestern eingeschlossen, jagte er mit seinen Hunden aus dem Haus oder warf verfaulte Äpfel und matschige Zwiebeln nach ihnen. Das war jedes Mal ein Spaß, wenn die Weiber laut zeternd, heulend und kreischend das Weite suchten, wenn ihre Beine sich in den Röcken verfingen und sie im Straßenstaub landeten. Aber nur so konnte er seine Bequemlichkeit und Unabhängigkeit bewahren. Heute schien diese jedoch gefährdet zu sein, denn Till und Tinka, die beiden Wolfshunde, schnüffelten aufgeregt umher, bellten laut und benahmen sich ziemlich närrisch, je näher sie dem Anwesen kamen. »Ja, ja, ihr kriegt auch einen Hasen ab«, versprach Gottlieb seinen vierbeinigen Hausgenossen. »Ich werde euch doch nicht hungern lassen.« Tinka und Till reizten diese Aussichten nicht besonders, sie stürmten nun vorwärts und blieben dann leise knurrend stehen. Es sah fast so aus, als fürchteten sie sich vor den beiden Männern, die an der rückwärtigen Hauswand standen. Der Einsiedler bekam es nun auch mit der Angst zu tun. Was wollten die beiden riesenhaften Kerle nur von ihm? 40
»Seid unbesorgt, guter Mann«, sagte der größere der Männer zu ihm. »Wir tun Euch nichts, wir haben nur eine Botschaft, für Gottlieb Rappold.« »Der bin ich«, antwortete der Alte. »Gebt mir die Botschaft und dann verschwindet schleunigst. Ich bin nicht auf Gäste eingerichtet.« Klaus verkniff sich angesichts des dürren und schlecht gekleideten Mannes ein Lächeln. Das Leben ohne frauliche Fürsorge bekam ihm offensichtlich nicht sehr gut. »Wir kommen nur im Auftrage der Gräfin Bernburg, Eurer Nichte. Sie war es, die uns die Botschaft für Euch mitgegeben hat.« Klaus zog eine Rolle aus seinem Wams, ging zu dem argwöhnischen Alten, gab ihm das Papier und fragte dabei: »Ihr könnt doch lesen, oder nicht?« »Oh, ja.« Gottlieb übertrieb ein bisschen, als er seine Lesekunst so überschwänglich anpries. Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, hatte ihn seinerzeit viel Mühe gekostet, aber ein wenig von allem hatte sich doch in seinem Gehirn festgesetzt, so dass er mühselig die Worte entziffern konnte, die seine Nichte geschrieben hatte. »Es scheint so, als hätte ich diesen Winter über Gesellschaft«, stellte er fest, nachdem er die Botschaft zweimal gelesen hatte. »Meine Nichte muss viel von Euch halten, wenn sie so inständig um meine Hilfe bittet. Und da sie auch für unsere Mägen und für Holz sorgen will, sehe ich nicht ein, warum ich diese Bitte abschlagen sollte. Seid also willkommen und macht es Euch bei mir bequem, solange Ihr mögt.« Soweit das hier möglich ist, fügte Klaus in Gedanken hinzu, als sie das Haus betreten hatten. Nur gut, dass Christine von Bernburg ihn auf die Wunderlichkeit ihres Oheims hingewiesen hatte, anderenfalls wäre er doch entsetzt stehen geblieben angesichts von Schmutz, Unrat, abgenagten Knochen, Feuerholz und beschädigten Möbeln. Nur der Kamin schien gut in Schuss zu sein und Holz gab es auf dem Hof auch genug. Frieren würden sie demnach nicht. Der Herr dieses verkommenen Hauses war unterdessen mit seinen Hunden und Hasen zu einem Nebengelass gegangen. Man hörte den Schlag eines Beiles und gleich darauf das Schmatzen und Knurren der 41
Hunde. Anscheinend fraßen Gottliebs treue Begleiter gleich einen Hasen auf. »So, das Hundepack ist versorgt.« Der Einsiedler hatte wieder den Wohnraum betreten. Er hatte die Armbrust und seinen Schafspelz abgelegt und begann nun, ein Feuer im Kamin zu machen. Seine Gäste schien er dabei vergessen zu haben, denn er sprach leise vor sich hin: »Gleich wird es schön warm, gleich wird Gottlieb es knistern hören, ist eben gutes Holz, kommt ja auch vom Grafen... Ja... ja...« Klaus und Lüder sahen ihm eine Weile schweigend zu, dann fragte ersterer höflich: »Können wir Euch auf irgendeine Weise zur Hand gehen?« »Was wollt Ihr mir schon helfen?«, brummelte der Alte. »Ich komme schon lange allein zurecht, Ihr solltet Euch daher hier umschauen, wo Ihr Euer Nachtlager aufschlagen könnt. Der Winter wird lang und hart, die See ist gefroren und die Häfen sind vereist. Wer will denn jetzt Schiffe kapern und Beute machen? Für Gottes Freund und aller Welt Feind ist es wohl am besten, wenn er hier gute Tage hat und sich nirgendwo sehen lässt.« »Ihr sagt es, Gottlieb Rappold und es soll Euer Schaden nicht sein, uns aufgenommen zu haben.« »Wird schon nicht... wird schon nicht, ich weiß doch, dass der Adler der Meere ein Herz für Alte und Schwache hat.« Der Einsiedler lächelte bei diesen Worten verschmitzt vor sich hin. * Bertram Wulflam hatte seinen mageren Körper wie stets in bestes Tuch gehüllt, seine Füße steckten in Schuhen aus feinstem Leder und an seiner rechten Hand glitzerte ein kostbarer Ring. Vor wenigen Minuten hatte er seiner Amtsstube den Rücken gekehrt und war gemessenen Schrittes nach Hause gegangen, um sich dort von seinen anstrengenden Geschäften und Aufgaben zu erholen. Er wies den beflissen herbeieilenden Diener an, einen Krug vom besten Wein zu bringen und verzog sich in sein ganz persönliches Kabinett. 42
Der Diener brachte kurz darauf den Wein und füllte eines der fein geschliffenen Gläser, auf die der Bürgermeister so stolz war. Danach entfernte er sich so lautlos, wie er gekommen war. Wulflam, der sich in einen Sessel gefläzt und die Füße auf einen Schemel gelegt hatte, führte nun mit Behagen das Glas zum Mund und atmete genießerisch das Aroma des edlen Trankes ein. Er war recht zufrieden mit sich, denn immerhin war es ihm und dem Ritterorden geglückt, den berüchtigten und scheinbar unbesiegbaren Klaus Störtebeker außer Gefecht zu setzen. Nun würde es ihm irgendwann auch gelingen, Goedecke Micheel zu erwischen. Seines besten und mutigsten Freundes beraubt, würde dieser den Angriffen der Hanse nicht mehr lange standhalten können. Seine Tage waren also gezählt. Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine angenehmen Zukunftspläne. »Herein!«, rief er ungehalten und maß dann seine Gemahlin mit strengem Blick. Er hatte ihr und allen anderen im Hause nämlich strikt untersagt, ihn, den Herrn Bürgermeister, in seinem Kabinett zu stören. »Was wollt Ihr hier? Könnt Ihr nicht warten, bis ich mich von meinem anstrengenden Tagewerk genügend erholt habe?« »Ich respektiere gern Euren Willen, mein lieber Bertram«, erwiderte sie mit leiser Stimme. »Ich habe auch versucht, den Herrn von Humfried auf morgen zu vertrösten. Doch jener beharrt darauf, Euch noch in dieser Stunde sprechen zu müssen. Er lässt sich nicht abweisen.« »Humfried...«, murmelte Wulflam verärgert und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Der fehlt mir gerade noch, der ist so lästig wie ein Floh im Hemd. Aber schickt ihn nur her! Je eher er kommt, um so schneller geht er wieder.« Seine Frau nickte nur. Sie war froh, sich in ihre Gemächer zurückziehen zu dürfen. Dort verbrachte sie den größten Teil des Tages, besonders in der kalten Jahreszeit, wenn es im Garten wenig zu tun gab. Ihre Tochter half ihr bei jeder Tätigkeit, stickte, nähte und übte sich in der Wirtschaftsführung. Gertrude war mittlerweile beinahe achtzehn Jahre alt und eine hübsche junge Frau geworden, die man schon seit geraumer Zeit hätte mit einem reichen Manne hätte vermählen können 43
- wenn sie sich nicht ständig dagegen gewehrt hätte. Das dumme Ding hatte anscheinend immer noch den Ritter Humfried im Kopf. Nun, diese Gedanken würde ihr Vater ihr bald austreiben. Er brauchte keinen unfähigen Schwiegersohn. Das hatte er erst neulich gesagt. Der Hausherr hatte unterdessen seinen ungebetenen Gast empfangen, kühl und distanziert, damit dieser gleich wusste, was die Glocke fortan geschlagen hatte. Er verzichtete bewusst darauf, ihm Platz und Stärkung anzubieten und fragte statt dessen geradeheraus: »Was führt Euch nach so langer Zeit zu mir? Aber vielleicht wollt Ihr mir ja erklären, warum Ihr bisher keinen einzigen Erfolg zu verzeichnen hattet, ganz im Gegensatz zu mir. Mir ist es immerhin gelungen, Klaus Störtebeker vom Leben zum Tode bringen zu lassen.« »Da täuscht Ihr Euch aber gewaltig, Bürgermeister.« Ingomar von Humfried bedachte den älteren Mann mit einem höhnischen Grinsen. »Klaus Störtebeker lebt noch. Ich habe ihn erst kürzlich gesehen.« »Ich auch«, blaffte Wulflam. »Da steckte sein Kopf auf einem Pfahl.« »Ihr habt den Kopf eines anderen gesehen. Ich muss es schließlich wissen, denn ich - ich und nicht Ihr - kenne den Störtebeker von Angesicht. Wer weiß, wer im Verlies von Frieder Klingbeil geschmachtet hat?« »Er soll es selbst zugegeben haben, Klaus Störtebeker zu sein«, hielt Wulflam dagegen, aber seine Stimme klang belegt. Offenbar waren ihm doch Zweifel gekommen. Humfried vermehrte diese, in dem er festen Tones erwiderte: »Und selbst wenn er es wirklich gewesen ist, dann ist ihm die Flucht gelungen. Wahrscheinlich ist sein Freund aufgetaucht, dieser Goedecke Micheel. Er wird ihn befreit haben. Was meint Ihr denn, Bürgermeister, warum ich bisher keinen Erfolg hatte? Weil die beiden sich immer zur Hilfe kommen, weil das Piratenpack zusammenhält wie Pech und Schwefel. So wird es auch dieses Mal gewesen sein. Und Euer Festungskommandant war gerissen genug, die Flucht von so einem wichtigen Gefangenen zu vertuschen. Es hätte ihn nämlich sein Leben kosten können. Seid Ihr nicht stutzig geworden, dass Frieder Klingbeil 44
so unvermutet um seinen Abschied gebeten hat? Er hat gewusst, dass man eines Tages die Wahrheit erfahren würde.« Wulflam war damals nicht stutzig geworden, er hatte alles für bare Münze genommen, was man ihm erzählt hatte und hatte mit seinem Erfolg geprahlt. Sollte das nun alles nicht mehr wahr sein? Nein und nochmals nein. Schließlich hatte er doch selbst die Köpfe der Piraten gesehen. Und außerdem würde es niemand wagen, ihn hinters Licht zu führen, auch Frieder Klingbeil nicht. »Ihr schweigt?«, zischte Ingomar spöttisch, während er das undurchdringliche Antlitz des reichen Mannes betrachtete. »Dann sind Euch also doch Zweifel gekommen?« »Nein, warum sollte ich gerade Euch glauben und nicht Frieder Klingbeil?«, gab Wulflam bissig zurück. »Er hat immer ordentlich seine Arbeit verrichtet und nie Anlass zur Klage gegeben. Ihr hingegen wart das viele Geld nicht wert, das Ihr von mir erhalten habt. Ihr seid ein Dummkopf und ein Aufschneider, Ihr seid...« Weiter kam er nicht, denn Humfried unterbrach ihn hohnlachend: »Schickt Eure Leute hin oder begebt Euch selbst zum Grafen Bernburg. Dort hat Gottes Freund und aller Welt Feind für den Winter einen Unterschlupf gefunden.« »Aha und dort wartet er auf mich, bis ich mich durch Eis und Schnee gekämpft habe?«, gab der Bürgermeister sarkastisch zurück. »Wenn er sich dort aufhält, warum habt Ihr ihn dann nicht selbst gefangen?« »Weil ich ganz allein war. Es war leider nicht möglich, den Grafen zu überzeugen, mir Hilfe zu gewähren und mir eine starke und verlässliche Söldnertruppe zur Verfügung zu stellen. Und deshalb bin ich nun hier, um eine solche von Euch zu fordern, denn Ihr habt doch das größte Interesse, mir in jeder Hinsicht beizustehen.« Wulflam war des erfolglosen Humfried überdrüssig und wollte ihn keinesfalls als Schwiegersohn, aber er wusste, dass dieser Mann mehr als gefährlich war. Und darum antwortete er einlenkend: »Ich danke Euch für Eure Beobachtungen, Ritter Ingomar. Sie sind für mich von unschätzbarem Wert, genauso wie für die gesamte Hanse. Aber Ihr werdet verstehen, dass ich mich zuerst mit meinen Partnern beraten 45
muss. Man würde es mir übel ankreiden, wenn ich allein entscheiden würde, wie Klaus Störtebeker gejagt und gefangen werden soll. Bis dahin bitte ich Euch, auch weiterhin zu meiner Verfügung zu stehen. Kehrt zu Eurer Behausung zurück und wartet dort auf meine Botschaft.« Ingomars Lippen kräuselten sich zu einem verächtlichen Lächeln. Es war doch immer dasselbe mit den Mächtigen, man wurde von ihnen benutzt und beiseite geworfen, wenn man ausgedient hatte. Doch so konnte man mit ihm nicht verfahren - mit ihm nicht. Er ließ sich seinen Verdruss jedoch nicht anmerken, sondern erwiderte katzenfreundlich: »Ich werde Eure Anweisungen gewissenhaft befolgen, Bertram Wulflam. Doch bevor ich in mein Heim zurückkehre, möchte ich gern Eure Gemahlin und Fräulein Gertrude begrüßen. Ihr erinnert Euch sicher, dass Ihr mir Eure Tochter zur Ehefrau geben wolltet.« »Natürlich erinnere ich mich. Aber sagt Ihr Euch nicht selbst, dass Ihr in Eurem jetzigen Zustand kein Anblick für ein junges Mädchen seid? Ihr habt ein versehrtes Gesicht, seid dürr wie ein vertrockneter Baum und seht krank aus. Damit könnt Ihr keine Liebe...« »Warum sehe ich wohl so aus, Bürgermeister?«, fauchte Humfried dazwischen. »In Euren Diensten zu stehen, ist überaus gefährlich und anstrengend. Es war mir daher oft nicht möglich, auf mein Äußeres zu achten.« »Nun, die Möglichkeit habt Ihr jetzt in ausreichendem Maße. Kuriert Euch ein paar Wochen gründlich aus. Nehmt das, es wird Euch dabei helfen.« Wulflam holte eine prall gefüllte Geldbörse hervor und warf sie dem jungen Mann zu. Dieser fing sie geschickt auf, öffnete sie hastig und nickte dann zufrieden. »Wie Ihr wollt, mein lieber angehender Schwiegerpapa. Ich werde meinen Körper pflegen, damit Eure Tochter nichts zu klagen hat, wenn sie in absehbarer Zeit mein Lager teilt.« Er lächelte süffisant und ging dann hinaus. Wulflam sank jedoch ermattet in seinen Sessel und dachte lange nach, was nun zu tun sei. Zu einem nennenswerten Ergebnis kam er allerdings nicht. * 46
Graf Bernburg ging zutiefst verärgert in seinem Gemach hin und her. Seine Ruhe war empfindlich gestört worden, aber es sah dennoch so aus, als würde er doch noch mit dem blauen Auge davonkommen. Nach reiflicher Überlegung hatte er darauf verzichtet, sich nach dem vermeintlichen Kaufmann Klaus Derenborg und dessen Diener zu erkundigen. Wozu sollte er sich diese Mühe machen? Der Mann war weiter gezogen, so wie es Kaufleute zu tun pflegten. Und wenn er wirklich Klaus Störtebeker war - jener wagemutige und beim Volk beliebte Recke, der die Obrigkeit zum Narren hielt und den Armen von ihrem Überfluss gab? Nun, dann änderte das auch nichts. Mochte er nur auch weiterhin Gottes Freund und aller Welt Feind sein. Ihn, den Grafen Bernburg, störte das nicht, solange er selbst nicht in den Verdacht geriet, mit dem Seeräuber gemeinsame Sache zu machen. Aber auf alle Fälle war es besser, dass er die Burg verlassen hatte - viel besser. Der mysteriöse Tod des Ritters Theobald von Holl beschäftigte ihn weit mehr. Er war ermordet worden; die Würgemale am Hals bewiesen es nur zu gut. Und dieser Mord war in seinem Wald verübt worden, das verdross ihn am meisten. Jener Mann mit der Narbe im Gesicht musste der Mörder sein. Oder war es vielleicht doch Klaus Störtebeker gewesen, der dem aufdringlichen jungen Ritter das Lebenslicht ausgeblasen hatte? Alle diese Fragen würden unbeantwortet bleiben, was nicht weiter schlimm wäre, wenn nur nicht sein hoher Gast, Fürst Brambach, verlangt hätte, dass er selbst den Eltern des Ritters den Leichnam überbringen sollte. So gehörte es sich, hatte der Fürst gesagt. Und deshalb würde er morgen in aller Frühe mit dem Fürsten und einigen Getreuen aufbrechen, um seine Pflicht zu tun. »Ich hoffe, in etwa zehn Tagen zurück zu sein«, sagte er jetzt brüsk, nachdem er seine Gemahlin in ihrer Kemenate aufgesucht hatte. »Vielleicht dauert es aber auch länger, wir haben schließlich fast Winter und werden nur mühsam vorankommen. Für Euren Schutz ist jedoch gesorgt, meine liebe Gemahlin.« 47
»Das weiß ich und ich danke Euch für Eure Fürsorge.« Christine von Bernburg lächelte unbestimmt, während sie unermüdlich an einer Decke stickte. »Aber ich bitte Euch, kein Wagnis einzugehen, ich meine, passt gut auf Euch auf. Der Mörder von Ritter Theobald läuft noch frei herum. Er könnte es auch auf Euch abgesehen haben.« »Ich reite ja nicht allein, sondern mit beträchtlichem Gefolge, zu dem überdies der Fürst und seine Männer gehören. Ihr könnt also unbesorgt sein. Das sagte ich doch schon.« In der Stimme des Grafen schwang Gereiztheit und Ungeduld mit, wie immer, wenn er mit sich selbst und seiner Umgebung unzufrieden war. Seine Gemahlin hatte sich mit diesem Charakterzug längst abgefunden und bemühte sich, ihrem Eheherrn dann aus dem Weg zu gehen. Heute blieb sie jedoch auf der gepolsterten Bank sitzen und fragte unvermittelt: »Was meint Ihr, wer ist der Mörder des Ritters? Ist es der Mann mit dem narbigen Gesicht, der mir gleich nicht geheuer war, oder ist es... Klaus Derenborg gewesen? Beide sind immerhin fast zur gleichen Zeit in aller Heimlichkeit verschwunden. Das stimmt mich nachdenklich.« »Weiber sollten nicht nachdenken, das ist Männersache«, schnauzte der Burgherr sie an und warf ihr einen zornigen Blick zu. Sie ließ sich von diesem und den ungehobelten Worten nicht einschüchtern, denn sie musste ja ihren Mann aus der Reserve locken. Sie musste wissen, was er in den nächsten Tagen und Wochen vorhatte, musste in Erfahrung bringen, ob er nach Klaus Störtebeker suchen lassen würde. Nur so konnte sie ihn noch rechtzeitig warnen. »Warum soll ich nicht nachdenken?«, erwiderte sie weinerlich. »Auch wenn Ihr mir soeben versichert habt, dass für meinen Schutz gesorgt ist, bin ich doch voller Angst, genauso wie alle anderen Frauen auf der Burg und im Dorf es auch sind. Könnt Ihr das nicht verstehen?« »Nein!« Graf Bernburg, dem heulende Weiber ein Gräuel waren, wollte mit schnellen Schritten die Kammer verlassen, wurde aber von seiner Frau daran gehindert. Sie sprang auf, lief ihm nach und klammerte sich an ihn. »Versprecht mir, dass Ihr den Mörder suchen werdet...« 48
»Gar nichts verspreche ich Euch!« Johann von Bernburg löste sich unmissverständlich von seiner Gemahlin und setzte schneidend hinzu: »Ich habe Wichtigeres zu tun, als Mörder und Seeräuber zu jagen.« »Seeräuber... Piraten... bei uns?«, rief Christine scheinbar bestürzt. »Nun ja, ich hatte eine derartige Meldung erhalten, von dem Mann mit der Narbe. Aber ich gebe nichts darauf, denn die Anklage eines Namenlosen hat für mich keine Bedeutung. Außerdem ist die Burg in keiner Weise angegriffen worden... und Klaus Derenborg, der verdächtigt wird, Klaus Störtebeker zu sein, weilt nicht mehr hier. Und er wird sich hüten, hier noch einmal aufzutauchen. Er weiß genau, dass ich ihn dann nicht mehr schützen werde.« »Ja, natürlich, Ihr habt recht, Johann.« Christine griff nach ihrem Stickzeug, das zu Boden gefallen war. »Ich werde meine Angst bezwingen und auf Eure baldige Rückkehr hoffen.« »So ist es recht, meine Liebe«, versetzte er einlenkend und legte für einen Augenblick eine Hand auf ihr Haar. »Ich komme zurück, sobald ich kann. Danach haben wir hoffentlich mehr Zeit füreinander.« Sie blickte ihn erstaunt an, denn er hatte noch nie zugegeben, dass er sie vernachlässigte. »Es ist allmählich an der Zeit, für ein paar Erben zu sorgen. Warum habe ich Euch denn sonst geheiratet?« Der Graf lächelte spöttisch und marschierte hinaus. Christine hörte noch, wie er nach seinen Knappen rief. Nun würde sie wieder wochenlang allein sein, aber sie hatte immerhin herausbekommen, dass er Klaus Störtebeker nicht verfolgen würde. Trotzdem musste sie auch weiterhin auf der Hut sein. * Klaus und Lüder hatten die ihnen zur Verfügung gestellte Kammer innerhalb von zwei Tagen gründlich gesäubert, denn es widerstrebte ihnen, in Schmutz und Unrat zu leben. Gottlieb Rappold hatte anerkennend gegrinst, als er die Bemühungen seiner unfreiwilligen Gäste gewahr wurde. Weit davon entfernt, beleidigt zu sein, wusste er es zu 49
schätzen, wenn jemand anders ihm diese verhassten Arbeiten abnahm. Es bereitete ihm allerdings Sorge, dass die Vorräte an Fleisch, Steckrüben, getrocknetem Gemüse und Wein rapide abnahmen. Diese beiden Seeleute waren wahrscheinlich in der Lage, ein Spanferkel ganz allein zu verschlingen. Doch seine Sorgenfalten glätteten sich in dem Augenblick, als seine Nichte an einem trüben und wolkenverhangenen Dezembernachmittag eintraf. Inzwischen war der erste Schnee gefallen, so dass sie mit dem Schlitten hatte fahren können, so wie sie es oft im Winter tat. Und sie kam nicht mit leeren Händen, das war nicht ihre Art. Der Einsiedler schaute also erfreut auf die Säcke mit Hülsenfrüchten, auf ein Fass mit gepökeltem Fleisch und vielem mehr, was den Mägen von drei ausgehungerten Männern gut tun würde. Christine von Bernburg, die in Begleitung von zwei überaus verschwiegenen Dienern gekommen war, überwachte selbst das Ausladen und die sachgemäße Lagerung der Vorräte. Dabei ertrug sie geduldig die mahnenden und gleichzeitig lobenden Worte ihres Oheims. »Wir waren schon nahe am Verhungern«, behauptete er, während er neben ihr stand und sich vergnügt die Hände rieb. »Aber mir war trotzdem nicht bange. Du bist ja immer schon ein braves Mädchen gewesen und lässt es nicht zu, dass ich hier elend vor die Hunde gehe. Na ja, du hast ja auch genug. Dein Vater hat dich reich verheiratet. Das hat er gut gemacht, ist eben ein Schlitzohr durch und durch. Und Graf Bernburg drückt ja gern ein Auge zu, besonders, wenn er der Burg den Rücken gekehrt hat. So ist es doch, nicht wahr?« »Ja, Onkel Gottlieb.« Sie nickte zustimmend und fragte dann leise: »Wie kommt Ihr mit der Einquartierung zurecht?« »Oh, ganz ausgezeichnet«, gab er ebenso leise zurück. »Ich habe gar nicht gewusst, dass Piraten so ordentliche Gesellen sind, außerdem arbeitsfreudig, ruhig und zurückhaltend. Man bemerkt sie kaum. Möchtest du sie begrüßen?« »Ja, gern, aber jetzt noch nicht, erst wenn mein Gesinde anderweitig beschäftigt ist.« Sie blickte bedeutungsvoll zu den beiden Männern, die mittlerweile den Schlitten abgeladen hatten. Einer von ihnen 50
trat gleich darauf zu ihr und fragte: »Machen wir uns heute noch auf den Heimweg, Frau Gräfin?« »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es wird in Kürze dunkel sein, dann reise ich nicht gern. Bringt die Pferde in den Stall, füttert sie und kümmert euch anschließend um ein reichliches Mahl für uns alle.« »Sehr wohl, Herrin.« Die Diener entfernten sich eilig. »Ich freue mich, dass du mir Gesellschaft leisten willst, liebe Christine«, meinte Gottlieb Rappold indessen, lächelte zufrieden und ging dann mit seiner Nichte in die große Stube, wo im Kamin ein loderndes Feuer brannte. Die Ankunft der Gräfin war von Klaus und Lüder sofort bemerkt worden. Vor dem schmalen, vergitterten Fenster stehend, hatten sie gesehen, wie sie, gehüllt in einen Mantel aus Zobelfell, aus dem Schlitten gestiegen war - majestätisch wie eine Königin, nur viel schöner. Vielleicht war sie sogar schöner als Margarete von Dänemark, jünger war sie auf jeden Fall. Störtebeker hatte plötzlich Herzklopfen wie ein verliebter Jüngling und spürte ein Ziehen in seinen Lenden. Er wollte diese Frau. Da brauchte er sich nichts vorzumachen. Lüder Marlow sah seinem Schiffshauptmann an, was ihm zu schaffen machte. Aber er schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Und als die Burgfrau jetzt in ihre Kammer trat, erwiderte er nur höflich ihren Gruß und verließ danach den Raum. So wie die beiden sich ansahen, würde er diesen Abend und diese Nacht wohl bei dem laut schnarchenden Gottlieb verbringen müssen. Angenehme Aussichten waren das gerade nicht, aber was tat man nicht alles für einen liebebedürftigen Kapitän. * »Herrin, Ihr kommt zu mir?«, flüsterte Klaus überrascht. »Wollt Ihr mich nur besuchen... oder habt Ihr schlechte Nachrichten für mich?« Christine lächelte ihm zu und erwiderte in beruhigendem Tonfall, während sie ihm kurz die Hand reichte: »Ich wollte Euch nur sehen, 51
wollte wissen, wie es Euch und Eurem Freund geht. Die Einsamkeit und die Untätigkeit sind sicher nur schwer zu ertragen.« »Ihr sagt es, Herrin«, bestätigte Klaus mit belegter Stimme. »Aber das ist im Winter oft so. Und deshalb ist Euer Besuch hier wie ein Licht in der Dunkelheit. Wie kann ich Euch nur danken, für alles, was Ihr für meinen Waffenmeister und für mich getan habt?« »Ich habe es gern getan«, wehrte sie errötend ab. »Ihr seid nämlich ein ehrlicher und aufrechter Mann, Klaus Störtebeker. Ich konnte doch nicht zulassen, dass man Euch gefangen nimmt. Immer und alle Zeit hätte ich mir zum Vorwurf gemacht, Euch einer gnadenlosen und falschen Justiz überlassen zu haben.« »Weiß jemand, dass Ihr hier seid? Euer Gemahl vielleicht?« »Natürlich, ich pflege meinen Oheim in gewissen Abständen zu besuchen und ihn mit Holz, Nahrungsmitteln und Getränken zu versorgen. Das ist jedem auf der Burg bekannt, auch meinem Ehemann. Letzterer ist übrigens gar nicht da, er ist aufgebrochen, um den Leichnam des Ritters Theobald von Holl zu den Hinterbliebenen zu bringen.« »Eine unangenehme Aufgabe«, versetzte Klaus zerstreut. Ihn interessierte viel mehr, ob der Graf oder Fürst Brambach begonnen hatten, ihn und Lüder verfolgen zu lassen. Dann konnten sie hier nicht länger bleiben, dann mussten sie schleunigst das Weite suchen. »Ja, sehr unangenehm, jedoch unumgänglich«, bestätigte Christine, während sie auf einem einfachen Schemel Platz nahm. »Mein Gemahl nimmt seine Pflichten sehr ernst.« »Davon bin ich überzeugt. Doch was geschieht nun? Wird man uns beiden den Mord zur Last legen? Piraten sind ja bekanntlich zu allem fähig.« »Nein, das glaube ich nicht. Fast gleichzeitig mit Euch ist der Mann mit der Narbe verschwunden. Ihr erinnert Euch sicher, der Mann, den ich Euch zeigen wollte und der sich für einige Tage als Ritter Theobald ausgegeben hat.« »Ich erinnere mich nur zu gut«, antwortete Klaus mit unterdrückter Wut. »Und ich habe auch einen ganz bestimmten Verdacht. Dieser 52
Mann ist eine Bestie in Menschengestalt, ihm ist nichts heilig. Seid Ihr sicher, dass er nicht mehr auf der Burg weilt?« »Ja, ziemlich sicher. Er hat eines unserer Pferde gestohlen und hat sich damit aus dem Staub gemacht. Und nur wenig später haben meine Getreuen tief im Wald, in einer Jägerhütte, Spuren gefunden, nach denen bis vor kurzem dort noch jemand gehaust hat. Das alles ist sehr verdächtig, aber es scheint doch so, als wäre der Mann nicht mehr in unserer Gegend.« Christine blickte zu Klaus hin und fand ihn begehrenswerter als je zuvor. Seine Kleidung war zwar ein wenig verdrückt, aber sauber und seine Stiefel glänzten. Und seine Augen ruhten mit deutlichem Wohlgefallen auf ihr. So hatte ihr eigener Mann sie noch nie angesehen. Für den war sie anscheinend nur die Frau, die seine Erben zu gebären hatte - also nur eine Zuchtstute, die er brauchte, aber nicht liebte. Und manchmal fragte sie sich, ob er wohl während seiner zahlreichen Reisen andere Frauen mit seiner Gunst beglückte. Sie hätte ihn gern zur Rede gestellt, doch dazu hatte sie kein Recht. Ein Mann durfte nun einmal alles tun, er durfte auch bei einem anderen Weib liegen. Eine Frau hatte jedoch stets tugendhaft zu sein, sie musste unberührt in die Ehe gehen. Von einem Mann verlangte man das nicht. »Dann können wir also hier bleiben?« Mit diesen Worten unterbrach Störtebeker die rebellischen Gedanken der Gräfin. »So ist es. Ich werde Euch selbstverständlich bei der kleinsten Gefahr warnen, soweit ich diese erkenne. Aber achtet auch selbst auf Euch.« Er antwortete amüsiert: »Das tun wir immer, Herrin. Und meist gelingt uns das auch.« Sie errötete abermals vor Verlegenheit. »Natürlich, ich vergaß, dass Ihr zur See fahrt und ein Freibeuter seid. Ihr kennt die Gefahren, die Euch umgeben.« »O ja und ich kenne auch die Gefahr, die von einer schönen, leider schon vermählten Dame ausgeht.« Klaus ging langsam auf Christine zu, zog sie zu sich empor und sah ihr tief in die Augen. »Ich glaube, ich habe mich in Euch verliebt, Herrin«, gestand er ihr mit rauer, verlangender Stimme. »Mein Begehren ist hoffnungslos, 53
ich weiß es und doch möchte ich, dass Ihr von meiner Neigung erfahrt. Seid Ihr mir nun böse?« »Nein, warum sollte ich? Es kommt recht oft vor, dass ein Ritter die Dame seines Herzens anbetet, auch wenn sie niemals seine Gemahlin werden kann.« »Ein Pirat und eine Gräfin, das geht wohl auch nicht.« Sie sah zu ihm auf und flüsterte: »Nur für kurze und selige Stunden, wenn wir dem Alltag entfliehen.« Sie musste nichts mehr sagen. Klaus verstand sie auch ohne Worte. Er presste sie fast schmerzhaft an sich und legte dann seine Lippen auf ihren Mund, zärtlich und leidenschaftlich, während seine Hände den Pelz von ihren Schultern schoben. * Bertram Wulflam war froh, die Mauern der Festung hinter sich lassen zu können. Er wusste nun genug, denn der neue Kommandant hatte keinesfalls das Format von Frieder Klingbeil und hatte keine Erklärung zu mancherlei Vorfällen, die in der letzten Zeit geschehen wären. Der Bürgermeister ahnte inzwischen jedoch, wie es zur Flucht und zur anschließenden ›Hinrichtung‹ von Klaus Störtebeker und seinen Leuten gekommen sein musste. Klingbeil, der gerissene Hund, hatte die blamable Angelegenheit auf seine ganz eigene Art und Weise aus der Welt geschafft. Danach hatte er seinen Posten aufgegeben, aus familiären Gründen. So hatte es damals geheißen und er, Bertram Wulflam, hatte ihm auch noch geglaubt, Tor, der er war. Störtebeker und Goedecke Micheel trieben also weiterhin ihr Unwesen auf der Ostsee. Da hatte Ingomar von Humfried wohl recht. Der Gedanke an den Mann, der sich so gern bei ihm ins gemachte Nest setzen wollte, steigerte seinen Grimm ins Unermessliche. Er war zwar in mancher Hinsicht durchaus nützlich gewesen, aber so heimtückisch und verlogen, dass es ihn schauderte, wenn er nur an ihn dachte. Er musste zusehen, dass er sich seiner entledigte. Denn Ingomar von Humfried würde es nicht genügen, Gertrude zu heiraten und ihre 54
Mitgift zu kassieren, er würde auch irgendwann versuchen, der alleinige Herr im Hause Wulflam zu werden. Wie schnell konnte doch ein Schwiegervater krank und siech werden. Man musste nur mit geeigneten Mitteln nachhelfen. Er hatte ihn unterschätzt, diesen Burschen - und er hatte auch die Piraten unterschätzt. Aber eines Tages, das schwor er sich, würden sie alle vor dem Schwert des Henkers stehen. Und dann würde er triumphierend zusehen, wie ihnen die Köpfe abgeschlagen wurden. Wulflam seufzte leise. Inzwischen war er bei seiner Kutsche angekommen, setzte sich hinein und wies den Kutscher an, ihn zum Rathaus zu fahren. Beim Studium von Akten würde er sich ganz gewiss beruhigen. Unterdessen rumpelte der Wagen die grob gepflasterte Straße entlang und bog bald darauf in einen Feldweg ein. Der Bürgermeister pflegte immer noch seinen Groll und merkte daher nicht, dass die Kirchtürme der Stadt immer kleiner wurden. Schließlich döste er sogar ein. Er erwachte erst, als die Kutsche bedenklich schwankte und dann ruckartig zum Stehen gebracht wurde. Und dann meinte er, er könnte seinen Augen nicht mehr trauen. Er war nicht vor dem Rathaus angelangt, sondern befand sich auf dem Weg zum nächsten Dorf. »Zum Teufel!«, schrie er den Kutscher an. »Bist du von Sinnen oder betrunken?« »Keines von beiden, Bürgermeister«, entgegnete der Gescholtene ungerührt, nachdem er vom Bock gesprungen war und die Tür geöffnet hatte. »Ich will mich nur bei Euch in Erinnerung bringen.« Wulflam blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen, denn der Kutscher war kein Geringerer als Ingomar von Humfried. »Was wollt Ihr von mir?«, ächzte er. »Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt Euch noch ein wenig... gedulden und...« »Wie lange denn noch?«, unterbrach ihn Humfried barsch und mit einem bösartigen Glitzern in den Augen. »Wolltet Ihr mich etwa mit ein paar Münzen abspeisen? Meintet Ihr, ich würde mich damit zufrieden geben?« »Nnein... nnatürlich nicht«, stammelte das Stadtoberhaupt von Stralsund. »Aber es ist Winter! Was können wir jetzt schon unter55
nehmen, um so gerissene Kerle wie Klaus Störtebeker und Goedecke Micheel zu fangen? Die können überall sein, aber ganz gewiss nicht da, wo wir sie suchen. Wir werden mit unseren Pferden im Schnee stecken bleiben und erfrieren. Das Frühjahr ist für derartige Unternehmungen wesentlich günstiger. Gut Ding will Weile haben.« »Lasst Eure dummen Sprüche! Die beeindrucken mich nicht. Aber ich merke schon, dass Ihr bequem geworden seid, Wulflam. Ihr sitzt lieber am warmen Ofen und lasst Euch von Eurem Gesinde bedienen. Nun, dabei kann man seine alten Freunde sehr schnell vergessen.« »Ich habe Euch ganz gewiss nicht vergessen, Ihr seid nur zu ungeduldig«, beteuerte der Bürgermeister hastig und gehässig zugleich. »Das seid Ihr ja immer. Wahrscheinlich habt Ihr deshalb keinen Erfolg gehabt. Ihr wollt zuviel, seid zu gierig und...« »So kann nur jemand reden, der sein Schäfchen im Trockenen hat. Doch seht Euch vor, Bürgermeister. Ich sage Euch heute zum letzten Mal, dass ich darauf warte, in Eurem Hause umgehend als Schwiegersohn willkommen zu sein. Und ich werde nicht mehr lange warten. Ich werde handeln und niemand wird mich daran hindern.« »Meine Tochter will Euch gar nicht mehr. Sie hat längst einem anderen ihr Wort gegeben.« »Seit wann haben Weiber etwas zu sagen? Ihr steckt doch dahinter, Ihr ganz allein. Ich muss die Drecksarbeit für Euch machen, werde schlecht entlohnt und soll nun auch noch leer ausgehen? Aber das lasse ich mir nicht bieten.« Humfried packte den Bürgermeister, zerrte ihn brutal aus dem Wagen und stieß ihn in den Schneematsch. Danach schwang er sich wieder auf den Kutschbock und schrie: »Ihr könnt nun zu Fuß nach Hause gehen. Vielleicht verhilft Euch ein Spaziergang von mehreren Meilen zu ganz neuen Erkenntnissen. Und glaubt ja nicht, dass Ihr mich aus dem Wege räumen könnt. Ich weiß viel zuviel von Euch und Euren dunklen Geschäften. Die Beweise dafür wird man in meinem Nachlass finden.« Humfried lachte laut und höhnisch, während er die Pferde antrieb. Bertram Wulflam hatte sich indessen mühsam aufgerappelt und sah nun fassungslos zu, wie der Bösewicht den Wagen geschickt wendete und zur Stadt zurückfuhr. Laut fluchend stapfte er durch den 56
Schnee und gab zum ersten Mal vor sich selbst zu, dass er ratlos war und tief bereute, sich mit Ingomar von Humfried eingelassen zu haben. Er hatte durch diesen viel verloren, nicht nur Geld, eine nagelneue Kutsche und zwei gute Pferde, sondern auch viel von seinem guten Ansehen. Die Bürger von Stralsund würden sich das Maul zerreißen und halb tot lachen, wenn sie ihren Stadtoberen in dieser Verfassung erblickten. So schnell es ihm möglich war, wanderte er nun bis zur Landstraße, wo er dann nach fast zwei Stunden einem Bauern begegnete, der ein Schwein und ein paar Hühner auf einem Schlitten transportierte. Der Alte schien taub und stumm zu sein, aber er begriff doch, dass der so arg verdreckte Herr am Ende seiner Kräfte war. Mit einer einladenden Geste und einem zahnlosen Grinsen deutete er auf den freien Platz, gleich neben dem Schwein. Anscheinend meinte er, der Bürgermeister würde sich dort in passender Gesellschaft befinden. * Christine von Bernburg hatte die Tage gezählt, bis ihr Gemahl wieder zurückkehrte. Doch die Sonne war schon zwanzig Mal auf- und untergegangen, ohne dass auch nur ein Zipfelchen vom Burgherrn und seinen Begleitern zu sehen gewesen wäre. Es war auch keine Botschaft gekommen. Allmählich machte sie sich Sorgen, denn er war auf seine robuste, herrische Art doch ein Mann, mit dem man recht gut auskam. Auch heute saß sie wieder in ihrer Kemenate und stickte. Dann und wann schaute sie aus dem Fenster, aber ihr Blick war leer. Und sie dachte nicht nur an ihren viel zu lange ausbleibenden Ehemann, sondern vor allem an Klaus Störtebeker. Er hatte ihr gezeigt, wie wunderbar die Liebe sein konnte, hatte sie gestreichelt, geküsst und ihr das Gefühl vermittelt, glühend begehrt zu werden. Ich müsste diese Nächte bereuen, dachte sie. Aber ich kann es
nicht. Etwas so Schönes kann man nicht bereuen und schon gar nicht vergessen. In diesem Moment kam ihre ehemalige Amme herein und flüsterte ihr zu: »Der Herr Graf ist soeben angekommen, Herrin.«
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»Aber ich habe ihn doch gar nicht gehört und gesehen, weder ihn noch sein Gefolge«, fragte sie verwundert und überrascht zugleich. Die Alte zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte auch nicht mehr in Erfahrung bringen können. Wer wusste denn schon, was den Grafen bewog, ohne das übliche Getöse in die Burg einzuziehen? Der Grund war ganz simpel, wie Christine schon wenige Minuten später erfuhr. Ihr Gemahl stürmte wie die wilde Jagd in das Gemach. Er hatte sich zwar die Mühe gemacht, seine Rüstung abzulegen, trug aber noch beschmutzte Stiefel und roch nach Schweiß. Mit schnellen Schritten kam er auf sie zu und sagte mit der ihm eigenen Gelassenheit: »Seid gegrüßt, meine Liebe. Wie ich sehe, seid Ihr bei guter Gesundheit. Das freut mich.« Sie erwiderte seinen Gruß und wünschte sich, er würde wenigstens ihre Hand küssen. Er tat es jedoch nicht, sondern erteilte ihr den Befehl, sich unverzüglich für ihn bereit zu halten. »Ich muss morgen in aller Frühe schon wieder fort und habe deshalb den größten Teil meines Gefolges in der Herberge gelassen«, erklärte er noch. »Der Herzog braucht mich. Er hat Euch zwar auch eingeladen, aber ich habe davon abgeraten. Für Euch ist die Reise bei dieser Witterung viel zu beschwerlich.« »Wie fürsorglich Ihr doch seid«, erwiderte sie ironisch. »Es ist nur recht zweifelhaft, wie Ihr bei Eurer fast ständigen Abwesenheit zu einem Erben kommen wollt.« Ihr Ton reizte ihn so sehr, dass er zornig erwiderte: »Habt Ihr nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Eigens wegen meiner dynastischen Pflichten bin ich hier. Also ziert Euch nicht und lasst uns schnellstens zur Sache kommen.« »Ihr solltet vorher ein Bad nehmen. Es ist wahrlich nicht angenehm, so bei Euch zu liegen.« »Ihr werdet es ertragen.« Er schlang seine Arme um sie und wollte sie zum Bett schieben. Anfangs wehrte sie sich gegen seine Kraft, doch dann ließ sie das über sich ergehen, was Johann von Bernburg seine eheliche Pflicht nannte. Als er sich gleich darauf zufrieden stöhnend auf die Seite rollte, stand sie auf, musterte ihn kalt und sagte mit beißendem Spott: »Mein Gemahl, ich danke Euch für diesen lieblosen 58
Akt, der wieder einmal nur Euch Freude gemacht hat. Ich kann dabei nichts empfinden, ja, mehr noch, Ihr widert mich an.« »Hey, was soll denn das?« Der Graf, der schon beinahe eingeschlafen war, richtete sich mehr verblüfft als wütend auf. »Habt ihr den Verstand verloren, so mit mir zu sprechen?« »Ich nicht, aber mit dem Euren scheint es nicht weit her zu sein. Ein kluger Mann nähert sich seinem Weib nicht in diesem Zustand, der wäscht sich und achtet auf sein Äußeres und der ist auch nicht nur auf sein eigenes Vergnügen bedacht, so wie Ihr.« »Ich soll vor Euch also niederknien und Liebeslieder singen?« »Nein, das erwarte ich nicht. Ihr sollt mich nur liebevoll behandeln, mir die gebührende Achtung erweisen und mich an Eurem Leben teilhaben lassen.« Liebe und Achtung rauschten an Johanns Ohren ungehört vorbei, er vernahm nur die letzten Worte und schrie aufgebracht: »An meinem Leben wollt Ihr teilhaben? Darüber kann ich nur lachen. Ihr seid ein schwaches Weib und gar nicht in der Lage, ein Schwert zu führen oder in einem Turnier zu kämpfen. Bleibt lieber bei Eurem Spinnrad und mischt Euch nicht in Dinge, die Ihr nicht versteht und die Euch nichts angehen.« Sie antwortete nicht, musterte ihn jedoch so verächtlich, dass ihm die Röte der Beschämung ins Gesicht stieg. Danach verließ sie den Raum. Er sah ihr verdattert nach und hatte plötzlich das Gefühl, eine gewaltige Niederlage erlitten zu haben. Ob er doch lieber hier blieb? Nein, niemals! Er würde doch nicht seinem Weib zuliebe auf die lustige Zeit am Hofe des Herzogs verzichten. * Ingomar von Humfried war mit der Kutsche des Herrn Wulflam zu dem kleinen Anwesen gefahren, das er seit Jahren als sein eigentliches Zuhause betrachtete. Hierher kehrte er immer wieder zurück, wenn er neue Pläne schmieden oder wie ein verletzter Wolf seine Wunden lecken wollte. 59
Zwei ältere Leute, eine ständig missmutige Frau und ein wortkarger Mann, führten ihm die Wirtschaft. Er mochten die beiden nicht, behielt sie aber in seinen Diensten, weil sie nicht tratschten und in ihm offenbar einen lauteren Burschen sahen. Sie würden ganz sicher auch den Mund halten, wenn er in nicht allzu ferner Zeit ein Mädchen mitbrachte - ein hübsches Mädchen aus gutem Hause. Und wenn dieses erst lange genug in seiner Gewalt war und seine Jungfernschaft verloren hatte, dann würde der Bürgermeister ihn zu seinem Schwiegersohn machen müssen. Und dann hatte er für immer ausgesorgt, dann würde er neben seinem Schwiegervater eine gute Figur machen, zumindest am Anfang. Er hatte es satt, Piraten zu jagen und auf schmutzigen Koggen hart zu arbeiten. Er konnte es ohnehin nicht mehr, seitdem ihn Henrike Jansen, dieses fauchende und kratzende Frauenzimmer, für immer gezeichnet und entstellt hatte. Störtebeker, Goedecke und ihre Spießgesellen würden ihn überall erkennen und gemeinsam antreten, um ihn zu vernichten. Den Traum, zum Ruhm der Hanse ein großes Stück beizutragen, musste er zwangsläufig aufgeben, aber nicht den Traum vom Leben in Wohlstand und Müßiggang. Für den lohnte es sich, mit allen Mitteln zu kämpfen. Und deshalb würde er diesen Winter nutzen, um zu diesem Ziel zu gelangen. * »Wann kommt meine Gemahlin zurück?«, schrie Johann von Bernburg zwei Wochen später die verdatterte Amme an. »Du musst es doch wissen?« »Ich weiß es ja auch nicht so ganz genau«, brummelte die Alte, während sie ungerührt weiter an einem königsblauen Gewand nähte. »Die Herrin ist zum Dorf gefahren, um den Armen und Kranken Speise und Trank zu bringen. Das kann dauern.« »Meine Gemahlin hat in ihrer Kemenate zu sitzen, wenn ich nach wochenlanger Abwesenheit nach Hause komme«, wetterte er. »Das kann ich doch wohl verlangen.« 60
»Sicher, Herr Graf, aber woher soll Eure Gemahlin wissen, dass Ihr gerade heute und zu dieser Stunde hier ankommen werdet? Hellsehen kann sie nicht.« »Hüte deine spitze Zunge, alte Vettel!« Der Burgherr ließ seinem Ärger freien Lauf. »Sonst lasse ich dich in den Hungerturm werfen.« »Wenn Ihr unbedingt vergessen wollt, dass Ihr ein Edelmann seid, der kein Unrecht duldet, dann müsst Ihr das tun.« Der Alten war nicht beizukommen, das sah er nun ein und marschierte laut fluchend hinaus. Er sah nicht mehr ihren sorgenvollen Blick und hörte auch nicht den leisen Seufzer, den sie von sich gab. Er rannte wutentbrannt hinaus, ließ sich sein Pferd satteln und ritt zum Dorf. Es war noch einigermaßen hell und der Weg durch den tagelangen Frost ziemlich trocken. Er kam jedenfalls gut voran, erreichte das Dorf schon nach wenigen Minuten und hielt dann Ausschau nach seiner Gemahlin, allerdings vergeblich. Nachfragen ergaben, dass sie zwar hier gewesen sei, aber das wäre schon etliche Stunden her. Nun doch beunruhigt, überlegte er, wo er noch nach ihr suchen sollte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ritt er nach Plüschau. Vielleicht war Christine zu ihrem Oheim gefahren. Dem wunderlichen Alten mussten schon längst die Vorräte ausgegangen sein. Er lebte ja wie die Lilie auf dem Felde, er säte und erntete nicht und konnte nicht viel mehr, als Niederwild zu jagen. Und doch hatte er Gottlieb Rappold irgendwie gern, wahrscheinlich wegen seiner Unbekümmertheit und seiner weisen Sprüche. Es dauerte nicht viel mehr als eine halbe Stunde, da hatte sein Pferd die Strecke zurückgelegt. Er brachte es im Stall unter, wo er zu seiner Erleichterung auch Christines Zelter und den Schlitten vorfand. Dann ging er zum Haus, das zu seiner Verwunderung einen verlassenen Eindruck machte. Sie mussten doch alle hier sein - seine Gemahlin, ihre Diener und der Oheim. Aber im Haus rührte sich nichts, nicht einmal der Hund bellte. Die Tür war natürlich auch fest verschlossen, da würde er wohl laut klopfen müssen. Er hatte schon die Faust erhoben, als er an einem der Fenster einen schwachen Lichtschein entdeckte. Aha, da waren sie also und waren wahrscheinlich eingeschlafen. Nun, erschrecken wollte er sie ganz 61
gewiss nicht, er wusste ja auch so, wie man heimlich in das Haus gelangte. Der Oheim hatte ihm vor einiger Zeit schon einmal den Durchgang gezeigt, der vom Stall direkt in den Flur des Hauses führte. »Nur für den Notfall«, hatte er damals gesagt, »falls mir etwas passiert ist und ich die Haustür nicht öffnen kann.« Und da dem Grafen das Ganze recht seltsam erschien, zwängte er sich alsbald durch die schmale Öffnung in der Bretterwand in der Futterkammer und gelangte so ins Wohnhaus. Immer noch blieb alles still. Niemand sah und hörte ihn. Nun ja, er bemühte sich schließlich auch, ganz leise zu sein, so leise, dass er jetzt das Knistern des Kaminfeuers und die Stimme seiner Frau vernehmen konnte - und die eines Mannes. Und dieser Mann war ganz bestimmt nicht der Oheim. Sie sprachen über ihn, den Grafen, denn Christine sagte in diesem Augenblick: »Mein Gemahl wird wohl erst im Frühling wiederkehren.« »Es ist eine Schande, dass er Euch so lange allein lässt«, entgegnete der Mann aufgebracht. »Er hat es doch nicht nötig, ständig unterwegs zu sein und müsste überdies doch froh sein, dass er eine so schöne und kluge Frau hat.« »Ich glaube nicht, dass er froh ist, mich zur Gemahlin zu haben. Unsere Ehe wurde seinerzeit von seinem und meinem Vater arrangiert. Daher nehme ich an, dass ich ihm völlig gleichgültig bin. Seine Pferde und seine Hunde hat er viel lieber als mich. Er spricht kaum mit mir, erzählt mir nichts von seinen Reisen und Erlebnissen. Mit Euch ist es anders, mit Euch kann ich reden und lachen. Und Ihr hört mir zu, wenn ich Euch von meinen Sorgen und Nöten berichte. Ihr seid zärtlich zu mir, liebevoll und aufmerksam.« Zärtlich, liebevoll und aufmerksam? Johann von Bernburg fühlte sich so, als hätte ihm jemand hart ins Gesicht geschlagen. Er wollte in den Raum stürzen, den Mann mit seinem Schwert erschlagen und seine Gemahlin zur Rechenschaft ziehen. Doch er blieb wie gebannt stehen, weil er meinte, die Stimme ihres Onkels dicht neben sich zu vernehmen. »Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand.« Und gleichzeitig erinnerte er sich an Christines Worte. »Ihr denkt immer nur an Euch und Euer eigenes Vergnügen, Ihr achtet mich nicht und 62
ich darf nicht an Eurem Leben teilhaben. Ich bin nichts für Euch - gar nichts.« Aber so war es doch nicht. Sicher, er hatte sich damals dem Willen seines todkranken Vaters gebeugt und hatte ihm die Schwiegertochter ins Haus gebracht, die der Alte für ihn ausgesucht hatte. Aber er hätte Christine nie geheiratet, wenn sie ihm nicht gefallen hätte. Und doch hatte er das Leben eines ungebundenen Mannes weitergeführt, hatte sich nicht um seine Gemahlin bemüht und sie sich selbst überlassen. War es da ein Wunder, dass sie Trost und Liebe bei einem anderen suchte? Er wusste nicht, wer dieser andere war, auch wenn ihm die Stimme bekannt vorkam. Er wusste nur, dass er tatsächlich versagt hatte kläglich versagt. »Ich liebe Euch eben, Christine, auch wenn Ihr einem anderen angehört und wir uns in Kürze für immer trennen müssen. Ich werde Euch nie vergessen.« Die Worte von Christines Liebhaber brachten den Grafen in die Wirklichkeit zurück. Dicht hinter der Tür stehend, hörte er, wie sie antwortete: »Ich Euch auch nicht. Ihr habt mir gezeigt, wie schön es sein kann, in den Armen eines Mannes zu liegen und leidenschaftlich begehrt zu werden. Ihr seid nicht so grob wie mein Gemahl, Ihr haltet Euren Körper sauber und riecht nicht nach Schweiß, Pferd und Hund.« Johann von Bernburg wurde bei dieser Anklage heiß vor Zorn und Scham. Sein Weib konnte ihn also nicht riechen. Na ja, wahrscheinlich hatte sie gar nicht so unrecht. So leise, wie er gekommen war, entfernte er sich und schlich zu seinem Ross. Und als er sich in den Sattel geschwungen hatte und einige hundert Meter geritten war, sah er einige Männer aus dem Wald kommen. Einer von ihnen war Gottlieb Rappold, die anderen mussten Christines Diener sein, deren Gesichter er sich nie so recht merken konnte. Wieder überkam ihn die Wut. Wie konnte der Oheim es nur zulassen, dass seine Nichte es mit einem Mann trieb, der nicht ihr Ehemann war? Und wer war dieser Mann überhaupt? * 63
»Euer Gemahl ist zurück, Herrin«, flüsterte ihr die Amme zu, als Christine gegen Abend ihre Kemenate betrat. »Er war bereits im Dorf und hat nach Euch gesucht.« »Um Gottes Willen...« Die junge Frau erblasste, bewahrte jedoch Haltung. Mochte er nur schelten, sie vielleicht sogar schlagen oder in die Verbannung schicken. Die Wochen des Glücks mit Klaus konnte er damit nicht ungeschehen machen. »Lass mir ein Bad richten und lege mir ein anderes Gewand heraus«, befahl sie der Alten. »Und dann sorge für ein reichliches Mahl und einen guten Wein. Der Graf wird Hunger und Durst haben.« Hulda Suckow nickte zustimmend und anerkennend, bevor sie hinausging. Ihre Herrin war zu bewundern. Sie verlor auch in der größten Not nicht den Kopf und würde sich zu behaupten wissen. Sie würde nicht vor dem Herrn in Demut verharren. Graf Bernburg hatte sich unterdessen weitgehend beruhigt. Was wer denn schon geschehen? Seine Gemahlin hatte ihn betrogen, mit einem Mann, dessen Namen und Herkunft er ahnte, aber gar nicht mehr wissen wollte. Nach reiflicher Überlegung (und Erinnerung an seine eigenen Treuebrüche) gelangte er schließlich zu der Auffassung, dass er davon absehen sollte, seine Frau zu bestrafen. Aber er würde seiner lebenslustigen Gemahlin von nun an keine Gelegenheit mehr geben, ihr Glück bei einem anderen Mann zu suchen. Er würde fortan daheim bleiben und nur in ganz seltenen Ausnahmefällen die Burg verlassen. Er würde auf seine schöne Christine acht geben, er würde... - nun, als erstes würde er sich waschen und saubere Kleidung anziehen. Gleichzeitig bedauerte er, seiner Gemahlin kein Schmuckstück mitgebracht zu haben. Die meisten Frauen liebten doch kostbare Geschmeide, manche auch Süßigkeiten und seltene Blumen. Da er jedoch nichts dergleichen zur Verfügung hatte, beschloss er, mit seiner Frau zu Abend zu essen. Er bestellte ein opulentes Mahl und erfuhr, dass seine Gemahlin ein solches bereits in Auftrag gegeben hatte. Er lächelte unwillkürlich. Ihr Verhalten war immerhin ein viel versprechender Anfang zu einem neuen Eheglück. 64
Und als er später das Gemach verließ, um seine Ehefrau zu begrüßen, überprüfte er vorher ganz gegen seine sonstige Gewohnheit in einem großen Spiegel sein äußeres Erscheinungsbild. Er drehte sich hin und her, fand sich schließlich gut gekleidet, kraftvoll und schlank und jünger aussehend. Warum sollte er ihr nicht auch gefallen, wenn er ihr nur beweisen konnte, dass unter seiner rauen Schale auch ein heißes Herz schlug? »Ich grüße Euch, meine liebe Christine und freue mich, Euch so gesund und blühend anzutreffen«, sagte er kurz darauf zu ihr und beugte sich galant über ihre Hand. »Und ich heiße Euch herzlich willkommen«, erwiderte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. »Hoffentlich hattet Ihr eine schöne Zeit am Hof des Herzogs und eine angenehme Reise.« Der Graf überging die Wochen beim Landesherrn, denn sie waren keiner Erwähnung wert und erwiderte nur: »Die Reise war so gut oder so schlecht, wie sie bei diesem Wetter eben sein kann. Doch wie ich hörte, habt Ihr ein köstliches Mahl richten lassen. Lasst uns zu Tisch gehen.« Er reichte ihr den Arm und führte sie zum Esszimmer, wo eine emsige Dienerschaft inzwischen das Feuer im Kamin geschürt und den Tisch festlich gedeckt hatte. In den silbernen Leuchtern brannten die Kerzen, in den Gläsern funkelte der Wein und es roch appetitlich nach einem Fischgericht und knusprigen Pasteten. Johann von Bernburg hatte sich schon immer von einem guten Mahl besänftigen lassen. Es verfehlte daher auch heute seine Wirkung nicht. Hinzu kam die liebliche Erscheinung seiner Gemahlin, was zur Folge hatte, dass der Burgherr ausgehungert in jeder Beziehung war. Christine kam allerdings aus dem Staunen nicht heraus. Ihr Mann, der sich sonst nur auf das Essen und Trinken konzentrierte, sprach mit ihr und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Und als er nach Beendigung des Mahles auch noch behauptete: »Die ständigen Reisen und der Dienst beim Herzog ermüden mich mehr und mehr, ich werde daher künftig hier bleiben«, war sie für die nächsten Sekunden sprachlos. 65
»Ihr wollt sicher Eure Ländereien und die Pächter im Auge behalten«, würgte sie nach einer Weile hervor. »Ja, das auch, aber vor allen Dingen möchte ich meine Kinder über die Wiesen laufen sehen - und möchte mit Euch eine glückliche Ehe führen.« Sie schwieg tief betroffen. Konnte sie mit ihm noch eine glückliche Ehe führen, nachdem sie ihn betrogen hatte? Und konnte sie sich an ihn gewöhnen, an diesen so wenig feinfühligen und lieblosen Mann? »Gefallen Euch meine Worte nicht?«, fragte er und blickte sie ernst an. »Doch, schon, aber ich kann Euch nicht glauben. Ihr werdet mich schon bald wieder allein lassen. Und selbst wenn Ihr hier seid, dann beachtet Ihr mich kaum, ich bin doch nur...« Sie sprach nicht weiter und war froh, dass in diesem Augenblick ein Diener kam und neuen Wein brachte. »Ihr seid meine Gemahlin, die ich ehre, achte und liebe«, erwiderte er fest, nachdem der Mann wieder gegangen war. »Das ist so, auch wenn ich es Euch noch nie gesagt habe.« Christine wollte ihm zulächeln, aber es gelang ihr nicht. Statt dessen begann sie zu weinen. »Warum weint Ihr?«, fragte er schroff. »Würdet Ihr mich lieber verlassen, um mit jenem anderen zu gehen, der Euch die Liebe gelehrt hat? Oder weint Ihr, weil ich Euch so oft vernachlässigt habe?« Ihre Tränen versiegten augenblicklich und sie fragte fassungslos: »Ihr wisst... von dem... anderen?« Er lächelte gezwungen. »Ich habe gestern nach Euch gesucht, zuerst im Dorf und später bei Eurem Oheim. Dort habe ich Euch gefunden und mit angehört, wie Ihr Euch bei Eurem Liebhaber über mich beschwert habt. Eure Klagen haben mich zuerst erzürnt und dann betrübt. Aber inzwischen weiß ich, dass ich mich wirklich mehr um Euch hätte kümmern müssen.« »Ja, das ist wahr, aber ich hätte Euch dennoch nicht... betrügen dürfen. Ich habe die Ehe gebrochen und Ihr habt jetzt das Recht, mich zu bestrafen.« 66
»Ich war Euch auch nicht immer treu«, gab er leise zu und griff nach ihrer Hand. Diese fest drückend gestand er: »Zuerst war ich so zornig, dass ich Euch am liebsten verprügelt hätte. Doch allmählich bin ich ruhiger geworden und habe mir gesagt, dass ich lieber vor meiner eigenen Tür kehren sollte. Ich möchte Euch nicht verlieren und bitte Euch daher, es noch einmal mit mir zu versuchen - falls Ihr den anderen vergessen könnt.« »Ganz vergessen werde ich ihn wohl nie«, versetzte sie ehrlich. »Er ist ein wunderbarer Mann, aber leben könnte ich auch nicht mit ihm. Er ist so frei und flüchtig wie der Wind und...« »... und Gottes Freund und aller Welt Feind, nicht wahr?«, ergänzte Johann mit bitterer Stimme. »Wie könnt Ihr ihn nicht lieben. Das ganze Volk liebt ihn.« »Ihr wisst auch das?« Der Burgherr schüttelte den Kopf. »Ich habe es nur geahnt. Ihr habt ihm also seinerzeit zur Flucht verholten?« »Ja, es schien mir angebracht. Aber in wenigen Wochen wird er weiterziehen, wird zu seinem Schiff und zu seiner Mannschaft zurückkehren. Ich werde ihn nie wieder sehen. Das weiß ich.« »Und darüber seid Ihr sehr traurig.« »Ja, ein wenig«, gestand Christine verlegen und beschämt. »Mit ihm konnte ich fröhlich sein und habe mich wie eine Frau gefühlt, die geliebt und leidenschaftlich begehrt wird.« Der Graf antwortete nicht sofort, aber er stand auf und zog seine Gemahlin ungestüm zu sich empor. »Ich liebe und begehre Euch auch. Was meint Ihr, könnt Ihr mir vielleicht sagen, wie ich mit Euch umgehen soll und mir zeigen, was Euch gefällt?« Sie schaute ihn verwundert an und sagte dann: »Das will ich gern tun, wenn Ihr mir verzeihen könnt.« »Ach, Liebste«, flüsterte er und drückte sie fest an sich, »Ihr habt mir zu verzeihen. Ich war ein alter und dummer Esel, der Euren Liebreiz und Eure Schönheit nicht gewürdigt hat. Aber das soll in Zukunft anders werden - ganz anders.« 67
Sie sahen sich in stillem Einverständnis an, bevor Johann von Bernburg seine Frau schwungvoll auf die Arme nahm und zum Bett trug. * Klaus Störtebeker hatte Christine seit mehr als zehn Tagen nicht gesehen. Allmählich machte er sich Sorgen um sie. War ihr Ehemann hinter ihr Geheimnis gekommen? Hatte er sie vielleicht so geschlagen, dass sie das Bett hüten musste? Oder hatte er sie fortgeschickt? So grübelte er auch an diesem Tag, an dem zum ersten Mal ein Frühlingsahnen in der Luft lag. Bald würden die Häfen wieder eisfrei sein und die großen Handelsschiffe behäbig und mit Waren der verschiedensten Art beladen über die Ostsee segeln. Es war gar nicht gut, wenn diese Waren nicht den Besitzer wechselten. Er lächelte bei den Gedanken an künftige Kaperfahrten und freute sich, seine Mannschaft und Goedecke Micheel wieder zu sehen. Er war ein Mann, der Kampf und Herausforderung brauchte. Am Ofen sitzen konnte er immer noch - wenn es überhaupt jemals so weit kam. Doch manchmal, so wie heute auch, plagte ihn sein Gewissen. Auch durch ihn und seine Schiffsknechte hatten viele Männer den Tod gefunden - wackere Kerle, die im Dienst eines großen Herrn standen und nur nach seinem Befehl handelten. Sie waren doch nur Werkzeuge, die mit den Wölfen heulen mussten, um zu überleben. Die wahrhaft Schlechten dieser Welt waren die skrupellosen Geschäftemacher, die Reichen und Mächtigen, die immer noch nicht reich und mächtig genug waren, die am Sonntag in die Kirche gingen und fromme Lieder sangen, die Gottes Wort aber nicht beherzigten. Und deshalb würde er, Klaus Störtebeker, auch weiterhin zur See fahren und den Reichen ihre Schätze abjagen, um sie denjenigen zu geben, die mitunter nicht einmal das tägliche Brot hatten. Den Blick in die Ferne gerichtet, stand er am Fenster und atmete auf. Die Zeit der Ruhe und der Abgeschiedenheit würde bald vorbei sein. Lüder und er würden in wenigen Tagen aufbrechen und nach 68
Norden marschieren, bis zu jenem geheimen Ort, wo die Schaluppe versteckt worden war, die sie zum ›Roten Teufel‹ bringen würde. Doch vorher hätte er sich gern von Christine verabschiedet, von dieser Frau, die ihm für einige Wochen Trost und Zuversicht gewesen war, die er liebte und begehrte und doch nicht für immer haben konnte. »Klaus!«, vernahm er plötzlich ihre Stimme dicht hinter sich. Hastig drehte er sich um, fing sie in seinen Armen auf und presste sie fest an sich. »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr«, flüsterte er bewegt. »Ich dachte, ich müsste ohne deinen Segen und ohne dich noch einmal gesehen zu haben, von hier gehen. Und Sorgen habe ich mir auch gemacht.« Sie strich ihm über sein dichtes blondes Haar und küsste ihn dann auf die Wange. »Deine Sorgen sind unnötig. Mein Gemahl weiß von uns, aber er hat mir verziehen. Wir haben beide Fehler gemacht und wollen es nun noch einmal und besser miteinander versuchen.« »Tatsächlich?«, staunte er. »Hat er endlich eingesehen, dass er eine wundervolle Frau hat und einen Tritt in den Hintern bekommen müsste, weil er dich so vernachlässigt hat?« »Ich denke schon«, erwiderte sie. »Er ist jedenfalls zahm wie ein Kätzchen und bemüht sich, mir ein liebevoller Ehemann zu sein. Ich denke, ich werde doch noch recht glücklich mit ihm werden.« »Das wünsche ich dir von Herzen.« Klaus küsste sie innig, aber Christine spürte doch den Abschied, den er jetzt von ihr nahm - den Abschied für immer. »Pass auf dich auf«, murmelte sie danach. »Wohin das Schicksal dich auch führt, denke immer daran, dass deine Feinde allgegenwärtig sind und dass es noch immer den Mann mit der Narbe gibt.« »Ich weiß, aber es wird ihm nicht gelingen, mich zu besiegen.« »Dann bin ich beruhigt.« Christine von Bernburg unterdrückte tapfer die Tränen, schmiegte sich ein letztes Mal an ihn und verließ dann eilig die Kammer. Ihre Romanze mit Klaus Störtebeker war zu Ende, aber vor ihr lag ein hoffentlich noch langes Leben mit ihrem Gemahl, der inzwischen sehr zärtlich und behutsam sein konnte. 69
Hastig wischte sie sich die Tränen fort und ging, als wäre nichts gewesen, zu ihrem Oheim. Dieser saß zusammen mit dem Grafen vor dem Kamin und trank mit Behagen einen Becher Wein. »Nun, meine Liebe, hast du zu Ende gebracht, was du zu Ende bringen wolltest?«, erkundigte sich Johann von Bernburg und lächelte ihr aufmunternd zu. »Ja, das habe ich getan«, gab sie leise zurück. »Er gehört zum Meer und ich gehöre zu dir - für immer.« »So soll es sein.« Der Graf erhob sich und zog seine Gemahlin besitzergreifend an sich. * Wut und Rachegedanken nagten an ihm wie eine schleichende Krankheit. Doch genauso wie von einem bösartigen Leiden konnte er sich nicht von ihnen befreien. Seit jenem verhängnisvollen Tag, an dem er, das Oberhaupt von Stralsund, auf einem Schweinekarren bis zur Stadtmauer gebracht worden war, hatte Bertram Wulflam nur noch einen Wunsch - er wollte ihn zum Teufel schicken, diesen hinterhältigen Burschen, der sich Ingomar von Humfried nannte. Dann war er ihn ein für allemal los. Er wusste allerdings nicht, wie er ihn in die Hölle befördern sollte. Und diese Machtlosigkeit machte ihn noch unleidlicher, als er ohnehin schon war. Seine Gemahlin und seine Tochter hatten es längst aufgegeben, mit ihm friedlich zusammenzuleben. Sie ließen auch seine ständigen Warnungen in Bezug auf den Ritter Humfried unbeachtet. Der Hausherr war ja sowieso nie mit nichts und mit niemandem zufrieden. Da war es schon besser, zu schweigen und heimlich eigene Wege zu gehen. Sie verzichteten auch an diesem Frühlingstag auf das Genörgel und die Grämlichkeit von Mann und Vater und machten statt dessen einen Spaziergang zum Ufer des Strelasunds. Zwei Diener folgten ihnen in gebührendem Abstand. Es war ihre Aufgabe, die Frauen vor jeder erdenklichen Gefahr zu beschützen, diese sogar schon zu erkennen, noch ehe sie nahte. 70
Die Kutsche, die nur wenig später neben ihnen hielt und den Herrn, der ausstieg, stuften sie jedoch als ungefährlich ein, zumal die Damen recht entzückt schienen, Ingomar von Humfried begrüßen zu können. Sich bescheiden im Hintergrund haltend, hörten sie dem Geplauder mit halbem Ohr zu. »Bis zum Wasser ist es aber noch recht weit«, meinte der Ritter eben zu der Frau des Bürgermeisters. »Wenn die Damen erlauben, lasse ich Euch dorthin fahren. Meine Kutsche ist geräumig, sie bietet auch für Eure Diener noch Platz genug.« Gertrude Wulflam und ihre Mutter blickten sich erfreut an, dann nahm das Mädchen die Hand des Mannes und ließ sich in die Kutsche hinein helfen. Von nun an ging alles rasend schnell. Kaum, dass Gertrude saß, gesellte sich der Ritter zu ihr und rief dem Kutscher zu: »Los, beeile dich!« Die Pferde zogen ruckartig an und verfielen sofort in einen Galopp, sie sausten davon, als würden sie von Furien gejagt. Frau Wulflam und ihre Diener sahen ihnen entsetzt und sprachlos nach, aber sie wussten, was geschehen war. * »Ihr bringt mich doch gleich wieder nach Hause zurück, nicht wahr?«, stieß Gertrude ängstlich hervor, nachdem sie ihre Fassungslosigkeit einigermaßen überwunden hatte. »Außerdem könnt Ihr doch nicht meine Frau Mutter so in Sorge bringen, sie wird außer sich sein und...« Sie konnte nicht weiter sprechen, denn Ingomar von Humfried unterbrach sie mit öliger Stimme: »Sie wird das einzig Richtige tun, was man in diesem Fall tun kann und tun muss. Sie wird Euren Vater informieren und ihn anflehen, Euch umgehend zurückzuholen. Und Euer Vater wiederum weiß, dass ich Euch zur Gemahlin begehre. Er weiß auch, wo er mich und damit auch Euch finden kann. Und solange bleibt Ihr bei mir. Dann wird Euer hoch verehrter Herr Papa nämlich 71
froh sein, wenn ich Euch noch heirate. Wer will schon ein Weib, das seine Ehre verloren hat? Habt Ihr mich jetzt endlich verstanden?« »Nein, überhaupt nicht«, stammelte sie verwirrt. »Ihr könnt doch bei meinem Vater um meine Hand anhalten, so wie es sich gehört. Ihr braucht mich doch nicht zu... entführen. Ich verstehe Euch wirklich nicht.« »Euer Vater verweigert mir Eure Hand, er will mich nicht zum Schwiegersohn. Ich bin ihm vermutlich nicht wohlhabend genug. Aber das lasse ich mir nicht bieten. Nachdem Ihr nämlich ein paar Tage in meinem Hause gewesen seid, wird er jedoch einwilligen, weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt, um Eure Ehre wiederherzustellen. Da bin ich mir ganz sicher.« Gertrude war verliebt in diesen Mann, aber keinesfalls dumm. Und sie kannte ihren Vater und war überzeugt, dass dieser sie auf seine Art liebte. Wenn er etwas gegen den Ritter Humfried einzuwenden hatte, dann gab es auch triftige Gründe dafür. Plötzlich spürte sie nur Angst, Abscheu und Ekel in sich und als Humfried sie nun küsste, ihre Brüste berührte und eine Hand unter ihren Rock gleiten ließ, war sie einer Ohnmacht nahe. »Nun sei bloß nicht so zimperlich und ziere dich nicht«, zischte er ihr spöttisch zu. »In Kürze wirst du mein Weib sein, da ist es völlig egal, wenn ich mir schon jetzt nehme, was ohnehin mein ist.« Sie konnte nicht antworten, brachte keinen einzigen Ton heraus, aber ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste irgend etwas tun, sie konnte nicht länger in diesem Wagen bleiben, sie musste fort von diesem Mann, der sich ihr aufzwang. Sie wollte ihn nicht mehr. Der Kutscher musste jetzt etwas langsamer fahren, denn in unmittelbarer Nähe trieb ein Schäfer seine Herde vor sich her. »Macht sofort Platz!«, schrie der junge Mann laut und deutlich. »Wir haben es eilig.« »Ja, ja, ich mach ja schon.« Der Hirte bemühte sich nach Kräften, seine Tiere zum Wegrand zu treiben. Doch es gab immer noch einige Tiere, auf die die Redensart vom ›dummen Schaf‹ voll zutraf. Sie sprangen hin und her und waren offensichtlich in Panik geraten. Da konnte auch der Schäfer mit seinem Hütehund nicht viel ausrichten. 72
Ingomar von Humfried geriet nicht in Panik, aber in grenzenlose Wut. Er fluchte und brüllte und verließ schließlich den Wagen, um die störrischen Schafe selbst zu vertreiben. In diesem Augenblick sprang Gertrude aus der Kutsche, floh wie das Wild vor den Hunden und hatte bereits einen tüchtigen Vorsprung, als ihr Entführer bemerkte, dass seine Beute das Weite suchte. Er rannte ihr nach und holte auf, Meter um Meter kam er dichter an sie heran, doch sie war so flink wie ein Reh und erreichte doch noch den nächsten Bauernhof. »Rettet mich vor diesem Mann!«, schrie sie laut und gellend den Bauersleuten zu, die auf dem Gehöft ihrem Tagewerk nachgingen. »Er hat mich entführt und will mir Gewalt antun.« »Ich will sie nur heimbringen«, verteidigte Humfried sich und atmete schwer vom schnellen Lauf. »Sie ist wirr im Kopf und gehört unter die Aufsicht ihrer Eltern.« Der Bauer, seine Frau sowie deren Knechte und Mägde sahen verdutzt von einem zum anderen. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, denn die Frau trug ein Kleid, das über der Brust zerrissen war und ihr Haar war zerzaust. Vielleicht war sie ja wirklich wahnsinnig. Der Mann hingegen sah ordentlich und respektabel aus. Doch die Entscheidung, zu wem sie halten sollten, wurde ihnen abgenommen, denn ein Mann, den sie alle nur zu gut kannten, trat jetzt aus dem Haus und sagte mit eisiger Stimme zu dem Entführer: »Hier finde ich Euch also, Ingomar von Humfried, Karsten Studer, Nikolaus Rupp oder wie Ihr Euch sonst noch zu nennen beliebt. Ihr seid wahrhaft tief gesunken. Wollt Ihr schon wieder einer Frau Gewalt antun? Doch dieses Mal wird Euch das nicht gelingen. Zieht Euer Schwert und verteidigt Euch!« »Klaus Störtebeker«, murmelte Humfried verstört und wollte fliehen. Doch der Bauer und seine Knechte hinderten ihn daran. Sie hielten ihn unerbittlich fest, während sich die Bäuerin um die völlig entkräftete Gertrude kümmerte. »Kommt mit ins Haus, Mädchen«, redete ihr die Hausfrau begütigend zu. »Es wird gleich einen Kampf geben. Das ist nichts für unsereins. Und sorgt Euch nicht, Klaus Störtebeker hat bisher immer gesiegt. So wird es auch heute sein.« 73
Die Tochter des Bürgermeisters gehorchte beinahe willenlos. Viel zuviel war in den letzten beiden Stunden auf sie eingestürmt. Der von ihr heimlich geliebte Mann hatte sein wahres Gesicht gezeigt, das Gesicht eines Schurken, eines Räubers und vielleicht sogar eines Mörders. Ermattet sank sie auf den Stuhl, den die Bäuerin ihr anbot. * Klaus Störtebeker hatte nur gelacht, als Ingomar von Humfried fliehen wollte. Und dann hatte er noch spöttisch hinzugefügt: »Feige seid Ihr auch noch. Das passt zu Euch.« »Ich bin ein Ritter und kämpfe nicht mit einem Seeräuber. So etwas ist unter meiner Würde.« Humfried kratzte die letzten Reste seiner Frechheit zusammen und versuchte so, den Zweikampf abzuwenden. »Was Ihr nicht sagt. Aber ein Mann, der schon so viele Menschen auf dem Gewissen hat, der hinterrücks mordet und Frauen schändet, der hat überhaupt keine Würde, der hat auch keine Ehre, der ist einfach nur ein Geschöpf der Hölle.« Der Piratenkapitän hatte sein Schwert erhoben und drang damit auf seinen Feind ein. Humfried zog nun auch seine Waffe, parierte geschickt und es gelang ihm sogar, Störtebeker am Oberarm leicht zu verletzen. Doch den Wolf der Meere beeinträchtigte dieser Kratzer nicht im geringsten. Mit unverminderter Kraft bedrängte er seinen Gegner, trieb ihn in die Enge, führte ihn in die Irre und machte ihn müde. Und schließlich, scheinbar mühelos traf sein Schwert die Brust seines Feindes, traf mitten in dessen Herz und löschte damit das Leben eines Ungeheuers in Menschengestalt aus. »Endlich«, sagte Klaus leise und atmete befreit auf, »endlich habe ich ihn besiegt.« Der Bauer, seine Knechte und die verängstigten Mägde schauten bestürzt auf den Toten, dessen Blut die Erde tränkte. Und sie zuckten sichtbar zusammen, als Störtebeker ihnen zurief: »Lasst euch von seinem angenehmen Äußeren nicht täuschen und bedauert ihn nicht. Ein vielfacher Mörder ist keine Trauer wert. Der Tod durch mein Schwert war noch eine Gnade. Man hätte ihn aufs Rad flechten und ihm alle 74
Knochen einzeln brechen müssen. Das wäre eine angemessene Strafe gewesen.« »Er hat mich entführt und wollte meinen Herrn Vater zwingen, mich ihm zur Gemahlin zu geben«, setzte Gertrude hinzu, die eben mit der Bäuerin zusammen zu ihnen gekommen war. »Noch heute morgen habe ich geglaubt, dass er ein guter Mensch ist, aber er war es nicht. Ich danke Euch, Klaus Störtebeker, für meine Rettung und dafür, dass Ihr meine Familie und mich für immer von ihm befreit habt.« »Ihr habt Euch selbst gerettet, edles Fräulein«, widersprach Klaus ernst. »Ich habe nur vollendet, was Ihr so mutig begonnen habt. Und ich habe in gewissem Sinne Euch zu danken. Ihr habt ihn mir zugeführt, so dass ich endlich für immer mit ihm abrechnen konnte.« Nach dieser Erklärung schwiegen alle, bis der Bauer geradeheraus fragte: »Was soll mit seinem Leichnam geschehen?« »Verscharrt ihn in einem Armengrab. Mehr hat er nicht verdient.« Klaus wandte sich ab, um sein Pferd zu holen. Es hielt ihn nichts mehr auf dem Festland. Im gleichen Augenblick blieb er jedoch abrupt stehen, genauso wie alle anderen auch. * Eine Reiterschar preschte in den Hof, zügelte die Pferde und brachte sie zum Stehen. Einer der Berittenen war Bertram Wulflam. Dieser entdeckte seine Tochter sofort, sah sie neben der rundlichen Bäuerin stehen, schwang sich aus dem Sattel und eilte auf sie zu. »Papa«, flüsterte Gertrude, »verzeih, ich war ungehorsam, ich hätte nicht...« »Das ist doch jetzt nebensächlich«, schnauzte er sie an, nahm sie aber doch in die Arme und drückte sie kurz an sich. »Auf diesen Scharlatan kann ein junges Ding schon hereinfallen.« Dabei vergaß der intrigante Stadtvater vollkommen, dass es ihm nicht anders ergangen war, dass er diesen Mann sogar in seine Dienste genommen hatte, damit dieser die schmutzige Arbeit für ihn erledigen sollte. »Ich bin fortgelaufen, als die Kutsche anhalten musste«, berichtete Gertrude nun weiter, »aber er hat mich verfolgt - bis hierher. Aber 75
Klaus Störtebeker hat mich vor ihm gerettet und hat ihn im Zweikampf besiegt. Schaut nur!« Klaus Störtebeker! Wulflam musterte den toten Ingomar von Humfried nur flüchtig, atmete aber erleichtert auf. Sein Blick ging jedoch zu dem hünenhaften Mann, der sein Pferd am Zügel führte und augenscheinlich davon reiten wollte. Der gefürchtete Seeräuber lebte tatsächlich noch, war also gar nicht hingerichtet worden, wie ihm Frieder Klingbeil hatte weismachen wollen. Der Bürgermeister sah ihn zum ersten Mal aus unmittelbarer Nähe, schaute in ernste blaue Augen und hätte nun liebend gern seine Schergen auf ihn gehetzt. Aber die Liebe seiner Tochter und sein Ansehen waren ihm wichtiger als die Gefangennahme des legendären Freibeuters - zumindest in dieser Stunde. Den Piratenhauptmann würde er später erwischen, doch jetzt war es besser, den von allen Qualen erlösten Vater zu spielen. So etwas kam beim niederen Volk immer gut an. »Wer immer Ihr auch seid, ich habe Euch vielmals zu danken«, sagte er daher salbungsvoll, nachdem er mit Gertrude an der Hand auf Klaus zugegangen war und nun dicht vor ihm stand. »Ihr habt das Leben meiner Tochter gerettet, Ihr habt sie vor einem Unhold bewahrt, der sie in den Schmutz ziehen und ihr Gewalt antun wollte. Mein Name ist Bertram Wulflam. Ich bin der Bürgermeister von Stralsund und werde ewig in Eurer Schuld stehen.« Ihre Blicke kreuzten sich und sagten sich ohne Worte, dass sie sich sehr genau kannten und nach wie vor erbitterte Feinde waren, aber um eines tapferen Mädchens willen einen vorübergehenden Waffenstillstand geschlossen hatten. »Ich habe nur getan, was ein Mann tun muss, der ein Unrecht erkannt hat«, wehrte Klaus gelassen ab. »Alles andere überlasse ich Euch. Gönnt Euch und Euren Leuten eine Verschnaufpause und bedankt Euch auch bei den wackeren Bauern, die mir so hilfreich zur Seite gestanden haben.« »Das will und werde ich tun und nun lebt wohl - und seid weiterhin Gottes Freund und aller Welt Feind.« Die letzten Worte sprach der Bürgermeister so leise, dass keiner von seinen Soldaten sie hören 76
konnte. Er nickte seinem Widersacher zu und lächelte säuerlich, als dieser sich auf sein Pferd schwang und mit ihm davon galoppierte. Gertrude hatte sich nicht in das Gespräch eingemischt, sie hatte den unterschwelligen Hass jedoch gespürt, den sowohl ihr Vater als auch Klaus Störtebeker füreinander empfanden. Jetzt sah sie, wie es in den Augen des Stralsunder Stadtoberhauptes böse aufflammte und legte schnell eine Hand auf seinen Arm. »Lasst ihn in Frieden ziehen, Vater«, flüsterte sie ihm beschwörend zu. »Er ist ein wahrer Freund, nicht so ein Untier wie Ingomar von Humfried. Gebt den Leuten hier ein wenig Geld und lasst uns dann nach Hause zurückkehren. Dort werde ich mich beruhigen und eines Tages Richard von Arnsberg heiraten.« Dieses Versprechen besänftigte Wulflam augenblicklich, denn Richard von Arnsberg war ein junger Mann aus sehr gutem Hause und hatte eine reiche und angesehene Familie. Bei ihm würde Gertrude sehr gut aufgehoben sein. Und wenn seine Tochter erst vermählt war, wenn sie weit entfernt von ihm lebte und ihn nicht mehr an sein kaum vorhandenes Gewissen erinnern konnte, dann, ja, dann würde er sich wieder auf die Piratenjagd machen. Er war ja nicht allein, hatte starke Verbündete und würde niemals aufgeben - genauso wenig wie Klaus Störtebeker. * »Unser gemeinsamer Freund oder unser über alles gehasster Feind hat mir sein Wohlwollen ausgedrückt und mir mit weinerlicher Stimme versichert, dass er mir für immer und ewig dankbar sein wird. Kannst du dir das vorstellen, Goedecke?« »Dieses Märchen musst du geträumt haben, Klaus. Du hast beim Grafen Bernburg wahrscheinlich zu gut gespeist und zuviel Wein getrunken.« Der Kapitän der ›Maria Anna‹ lachte dröhnend, während er sich Notizen zu den Vorräten machte, die noch an Bord gebracht werden mussten. 77
»Es ist kein Märchen, ich hatte tatsächlich die Ehre, die Tochter von Bertram Wulflam vor Karsten Studer zu retten und diesem anschließend das Licht auszublasen.« Goedecke legte die Feder erstaunt zur Seite. »Studer? Der ist doch schon lange tot.« »Eben nicht, er hatte uns wieder einmal getäuscht«, versetzte Klaus leise seufzend. »Aber jetzt ist er es und wird schon im Fegefeuer schmoren.« »Den Teufel zur Hölle zu schicken, ist ein gutes Werk«, lobte Goedecke und grinste pfiffig. »Ja, der Bürgermeister war darüber auch sehr froh, so froh, dass er mir mit rührenden Worten gedankt hat.« »Er wird dich gar nicht erkannt haben.« »O doch, er hat mich erkannt, hat sich aber nicht getraut, mich im Beisein seiner Tochter und der Bauersleute in Ketten legen lassen. Es muss ja alles einen ordentlichen Anstrich haben.« Störtebeker lächelte spöttisch und griff dann nach einem großen Humpen Bier, den eine Schankmagd eben gebracht hatte. Er leerte ihn in großen Zügen, wischte sich danach den Mund mit dem Handrücken ab und setzte dann hinzu: »Wohl oder übel musste er mich laufen lassen und so werden wir beide seine anstrengende Gegenwart und die seiner hinterlistigen Freunde für eine ganze Weile entbehren müssen, denn bisher hat er uns nur zu Land verfolgt.« »Das kann sich alles noch ändern«, entgegnete Goedecke nüchtern. »Aus einem verschlagenen Fuchs wird nie ein sanftes Lamm. Wir werden immer mit ihm rechnen müssen. Er wird uns ständig auf den Fersen sein und unser Leben bedrohen, so wie viele der reichen Herren auch. Er wird immer unser Feind sein.« »So ist die Welt nun mal.« Klaus legte seine Hand auf Goedeckes Schulter. »Aber wir beide bleiben die, die wir seit langem sind - Freunde und Vitalienbrüder.«
Ende 78