K L E I N E
B I B L I O T H E K
D E S
W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
FRITZ
HEFTE
KAHN ...
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
D E S
W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
FRITZ
HEFTE
KAHN
VOM U R - V O G E L BIS ZUM ADLER
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Die Urahnen liegen ist ein Vergnügen; nur aus diesem Grunde fliegen viele Tiere, einen anderen Anlali rur das r liegen gibt es nicht. Die Iheorie, daß Tiere fliegen, weil es Vorteile bringt, ist eine oberflächliche Erklärung. Tiere fliegen, weil sie die „Erfinder schöner Dinge" sind. Fische lassen sich von den Wellen heben und schießen wie die Wellenreiter über die Kämme in die Luft, und nun schweben sie mit gespreizten Flossen über den Wogen; es sind die ersten Gleitflieger unter den Wirbeltieren. Sie tun es ohne Nutzen, ohne Notwendigkeit, so wie der Mensch vom hohen Sprungbrett ins Wasser springt, um einmal die Lust des Tauchens und Schwimmens zu genießen. Auf dem Festland wurde das Interesse am Flugsport rege, als die Kriechtiere — die Reptilien — das Land erobert hatten. Wie in der Geschichte der Menschentechnik erscheint als einer der ersten Flieger unter den Reptilien der Drachenflieger. Seine weitausgespannten, gar nicht oder nur wenig bewegten Drachenflügel trugen jedoch nicht viel, und daher mußten die Tragflächen groß, die getragenen Körper aber klein oder gebrechlich sein. In Gestängen von acht Meter Spannweite hingen Tiere, leicht und gebrechlich wie Zelluloidpuppen. Wir sprechen heute nur noch verächtlich von diesen fliegenden Sauriern als „verfehlten Konstruktionen". Aber sie waren die ersten Großflieger der Geschichte und haben hundert Millionen Jahre lang die Luft über Ländern und Meeren beherrscht. Sie sollen Flugleistungen vollbracht haben, die denen der Störche, mit denen sie Ähnlichkeit haben, nicht nachstehen. Diese fliegenden Saurier sind indes nicht die Vorfahren unserer Vögel, die zwar auch von Reptilien stammen, aber nicht von den Drachenfliegern, sondern von einer viel massiveren Gattung. Sie flog nicht mit gespreizten Fingern nach Art der Fledermaus, sondern führte mit ihren Armen rudernde Bewegungen aus und hatte die Schuppen ihrer Arme in Federn verwandelt. Wie aus einem Reptil ein Vogel werden konnte, können wir uns nicht vorstellen; sicher aber ist, daß es geschah; man hat in den Schieferbrüchen von Solnhofen zwei Abdrücke eines Vogels gefunden, der genau in der Mitte zwischen einem eidechsenartigen Reptil und dem modernen Vogel steht. Er besaß unter den wohlentwickelten Federn noch die Schuppen des Reptils; er hatte noch den langen viel-wirbeligen Schwanz 2
der Reptilien, der dem modernen Vogel abhanden gekommen ist; sein Kopf war der eines Reptils und trug noch Zähne, und aus dem vorderen Winkel seiner Flügel schauten noch Finger heraus. Dieser „Alt-Flügelträger" — das bedeutet nämlich sein wissenschaftlicher Name Archäopteryx — ist eine so ideale Konstruktion einer Zwischenstufe zwischen Reptil und Vogel, daß man mit Recht gesagt hat: Niemals hätten Theoretiker den Mut aufbringen können, dieses Tier zu erfinden; man hätte es als den Wunschtraum eines Phantasten abgetan. Tatsächlich haben, als der'trefflich erhaltene Abdruck bekannt würde, viele ihn als eine Fälschung bezeichnet. Aber das Tier hat gelebt, und in vielen Museen hängt heute eine Nachbildung der berühmten Versteinerung als ein Beweis für die Wahrheit des Unwahrscheinlichen: Der warmblütige, mit bunten Federn bedeckte, in den Lüften schwebende, in den Zweigen singende Vogel stammt von kaltblütigen, am Boden laufenden, Schuppen tragenden, stummen Reptilien.
Zum Fliegen geboren Der Vogel ist nicht nur der gewandteste Flügelträger; er ist auch der vollkommenste aller Zweifüßler. Das junge Huhn braucht nicht wie der Mensch Jahre, ehe es die Technik des Gehens beherrscht; es läuft gleich mit der Eischale auf seinem Rücken davon; es braucht keinen Stuhl zum Ausruhen und kein Bett zum Schlafen. Ein Kanarienvogel lebt ein Jahrzehnt in seinem Käfig, ohne sich ein einziges Mal zu setzen, und wenn er es tut, ist es ein Zeichen, daß er brüten will oder sterben muß. Der idealen Zweifüßigkeit gesellen sich noch andere Merkmale, die dem Vogel eigen sind. Die Wirbel des Rumpfes sind beim Vogel zu einem festen Stück verwachsen. Das Becken ist eine Schale, in der die Eingeweide ruhen, und das Brustbein ein Schild, der sie abdeckt. Durch die Zusammendrängung der Eingeweide im Becken liegt der Schwerpunkt des Vogelkörpers tief, nnd hierdurch wird dem schwebenden Vogel wie einem gut beladenen Schiff seine Stabilität gegeben. Die Abschaffung des Schwanzes hat ebenfalls zur Ausbildung des Vogelkörpers beigetragen. Der Vogel hat den langen Wirbelschwanz, der für den Archäopteryx noch charakteristisch war, auf einen Stummel verkürzt. Dagegen gibt es einen langen Hühnerhals, und dieser Gegensatz: kurzer Schwanz, langer Hals ist typisch für den Vogel. Er braucht den langen Hals, damit er seinen Kopf, der durch die
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Zweibeinigkeit erhoben wurde, zur Erde bringen kann; daher haben die Vögel umso längere Hälse, je höher ihre Beine sind. Der Vogel hat seine Arme in Flügel verwandelt. Durch den ausschließlichen Gebravich der Arme zum Fliegen haben sich die Finger zurückgebildet, und der Vogel ist seines Greiforgans verlustig gegangen; er geht ohne Hände durch das Leben. Um sich vorzustellen, wie ein Vogel lebt, lasse man sich die Hände auf dem Rücken zusammenbinden. Alles, was der Vogel tut, muß er mit den Füßen und dem Kopf machen, und umso bewunderungswürdiger erscheint die Kunst, mit der er seine Nester baut Um sein Gewicht zu verringern, nimmt der Vogel aus seinen Knochen soviel Material heraus wie möglich. Die knöchernen Platten seines Schädels sind dünn wie Pergament. Ein Pelikan wiegt 25 Pfund, aber alle seine Knochen zusammen wiegen nicht mehr als eines. Die Hohlräume in den Knochen benutzt der Vogel zum Einbau von Luftsäcken, die von der Lunge her aufgeblasen werden. Wird ein Vogel geschossen und läuft dem verwundeten Tier die I Lunge voll Blut, so daß es keine Luft mehr schöpfen kann, so erstickt es noch nicht, da es noch eine Zeitlang durch die gebrochenen Knochen seiner Flügel zu atmen vermag. Um den Körper noch mehr zu erleichtern, sind auch die Zähne weggefallen. Zähne brauchen starke Kiefer als Sockel; daher wurden sie als Ballast über Bord geworfen. Der Vogel segelt mit einem zahnlosen, von Hornkiefern umrahmten „Schnabel" durch die Luft. Da der Vogel ihn zum Hantieren benutzt, nimmt der Schnabel je nach der Lebensart eine Sonderform an. Eine Sammlung von Schnäbeln ist eine wahre Musterschau von Werkzeugen, von den langen Saugröhren der Kolibris bis zu den Markttaschen der Pelikane, vom breiten Löffel der Ente bis zum Nußknacker des Papageis. Da er keine Zähne hat, kaut der Vogel nicht, sondern schluckt oder würgt seine Nahrung unzerkaut herunter. Wenn aber die Nahrung nicht im Mund gekaut wird, muß es im Magen geschehen. Deshalb ist er zweigeteilt. Der eine Teil ist ein Saft-, der andere ein Kraftmagen mit jener dicken Muskelwand, die wir als Hühnermagen verzehren. In ihm findet die Köchin beim Öffnen Steine. Das Huhn, wie jeder Vogel, schluckt sie nicht etwa zufällig herunter, sondern die Steine und Steinchen im Magen sind die Zähne, die dem Schnabel fehlen. Sie sind wie ein verschlucktes Gebiß. Hindert man den Vogel an der Einverleibung der Steinchen, so stellen sich, wie beim zahnlosen Menschen, Verdauungsstörungen ein. 4
Zwölf Kennzeichen des Vogels: 1 Zahnloser Schnabel; 2 Kropf; 3 trompetenhafte Luftröhre; 4 Muskelmagen; 5 Eierlegen; 6 Zweifüßigkeit; 7 nur eine Niere; 8 Kloake; 9 zusammengeschobenes Skelett; 10 Federn; 11 langer Hals; 12 Luftsäcke in den Knochen
Zur Erleichterung des Körpers läßt der Vogel von jenen Organen, die er doppelt besitzt, alle die verkümmern, die er entbehren kann. Er hat zum Beispiel nur eine Niere, die Aufgabe der Harnblase übernimmt der Mastdarm. Um den Körper nicht durch Brut zu beschweren, hat der Vogel die Sitte der Beptilien, Eier zu legen, beibehalten. Es gibt keinen Vogel, der lebende Junge zur Welt bringt. Jene, die gute Flieger sind, legen wenige und kleine Eier, während sie bei den Laufvögeln bis zur Größe der Straußeneier anwachsen. Das Kennzeichen, das man wirklich nur bei Vögeln und unter diesen an jedem Vogel ausnahmslos findet und das folglich seinen Träger als Vogel charakterisiert, ist die Feder. Fische und Reptilien tragen Schuppen, Säugetiere Haare, Vögel Federn. Die Schuppe ist die Mutter von Feder und Haar, und die Feder das bestentwickelte der drei Gebilde; denn während Schuppen und Haare nur Schutzorgane sind, ist die Feder nicht nur die Tragfläche des Flugzeugs Vogel, sondern auch dessen bewegter Propeller. Man braucht nur irgendeine Feder in die Hand zu nehmen, um in helles Entzücken zu geraten über dieses „federleichte" Gebilde. Ob man es als Künstler oder als Techniker betrachtet, man ist immer wieder erstaunt, mit welch einfachen Mitteln hier der Natur eine ihrer größten Schöpfungen gelungen ist. Nimmt man eine Lupe zur Hilfe, ao entdeckt man Feinheiten und Schönheiten, die das Auge gar nicht ahnt. An einer wohlentwickelten Feder gehen vom Hauptschaft über 600 Äste ab, von jedem Ast über 600 Strahlen, von jedem Strahl Dutzende von Wimpern, und jede Wimper wieder trägt über 500 Haken. So sind im Gerüst einer einzelnen Feder mehrere Hundertmillionen Haken aus Hörn verzahnt, und es sind Hunderte solcher Federn, die kunstvoll zu einem Fächer zusammengestellt den Vogel dahintragen (vgl. Abb. Seite 13).
Aber nicht alle Vögel fliegen Man sollte glauben, daß ein Geschöpf, nachdem es die schwere Kunst des Fliegens gelernt hat, diese Errungenschaft eifersüchtig pflegen würde; aber Geschichte und Naturgeschichte kennen keine Logik. Früh schon haben zahlreiche Vögel das Fliegen wieder aufgegeben und sind Boden-, ja sogar Wassertiere geworden. Da hat gegen Ende der Jurazeit, also vor etwa 150 Millionen Jahren, der Riesenvogel Diatryma gelebt, so groß wie ein Kamel, so daß schon 6
sein Gewicht ihn am Fliegen gehindert hätte; außerdem waren seine Flügel verkümmert. So schnell folgen in der Geschichte Entwicklung und Rückbildung aufeinander. Die Pferde waren damals so klein wie Hunde, die Vögel so groß wie heute die Pferde. Der Vogel Hesperornis war ein Taucher, der sich vom Grundplan des Vogels weiter entfernt hatte als irgendein heutiger Vogel. Er konnte nur noch schwimmen und bewegte sich auf dem Land so hilflos wie ein Seehund. Von diesen Rieseuvögeln haben sich einige bis in geschichtliche Zeiten erhalten. Auf Neuseeland lebte noch zur Zeit, als die ersten Europäer das Land betraten, der Riesenvogel Moa, der 4 Meter hoch wurde. Nachkommen dieser alten Laufvögel sind die Strauße, und den Übergang vom Lauf- zum Schwimmvogel stellen gewisse Vögel dar, die auf den entlegenen Falkland-Inseln leben. Daß sie einmal fliegen konnten, beweist ihr Leben. In ihrer Jugend fliegen sie noch; aber nach der ersten Mauser wachsen ihnen keine Federn nach, sondern es erscheinen Schuppen, und nun sind sie ausgezeichnete Schwimmer, die in der Stunde 20 Kilometer zurücklegen. Die Kormorane, die sich zur Jagd im Wasser dressieren lassen, sind so gute Taucher, daß man einmal in einer Krebsfalle, die 40 Meter tief unter Wasser gelegen hatte, einen Kormoran fand. So sind die Vögel von dem ursprünglich eingeschlagenen Weg der Vorfahren abgeirrt. Muß man fliegen, weil die Ahnen es wollten? Es gibt Vögel, die in Erdlöchern hausen; andere schwimmen, wieder andere klettern, und manche tun garnichts. Manche sind nichts anderes als eitel, zum Beispiel der Paradiesvogel. Er putzt sich den ganzen Tag und äußert unverhohlen seine Freude über sich selbst. Er kommt nicht von den Zweigen, damit seine Seidenfedern nicht den Boden berühren; stellt man ihm sein Futter auf die Erde, so hungert er lieber, als daß er herabkäme. Der einzige Anlaß, von seinem Blätterthron zu steigen, ist das Bad, das er täglich zweimal nimmt und nach dem er sich putzt wie ein Bühnenstar, der heute abend in der Oper in der Hauptrolle auftritt. Nachdem er noch das letzte Federchen seiner Frisur zurechtgelegt, macht er durch Rufe die Umgebung aufmerksam, daß es nun soweit sei, ihn zu bewundern. Als der erste Europäer in Neuguinea den „Göttervogel" über sich schweben sah, war er so gebannt, daß er den Hahn an der Flinte nicht abzudrücken wagte — leider waren die späteren Ankömmlinge nicht so menschlich, sondern begannen mit Hilfe der Eingeborenen einen scheußlichen Vernichtungsfeldzug, und ein schwunghafter Handel mit den Bälgen der Paradiesvögel setzte ein. Dieses Prachttier, an dessen Schöpfung die Natur 20 Millionen Jahre lang gearbei-
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tet hatte, wanderte nun in Körben verpackt in die Salons der Modistinnen, und was als Göttervogel im Paradies des Südens zwischen Meer und Himmelsbläue geschwebt hat, wackelte nun als ein mit Nadeln festgesteckter Aufputz auf den Frisuren von Theaterbesucherinnen. In letzter Minute rafften die Staaten sich auf und geboten dem Gemetzel Einhalt, und gegenwärtig sucht man in allen Ländern von den Schätzen der Vogelwelt zu retten, was noch nicht völlig ausgerottet ist. Mit demselben Eifer, mit dem man die Vögel früher totschlug, sucht man sie heute vor dem Aussterben zu bewahren. Der Geyrfugl ist dahin, zu Millionen mit Knüppeln niedergehauen, die goldgefiederten Wandertauben, deren Wolken den amerikanischen Kontinent verfinsterten, sind von den Horden der berufsmäßigen Taubentöter bis zum letzten Exemplar vernichtet worden. In riesigen Haufen hat man die getöteten Tiere auf die Märkte gebracht und hat, da es mehr waren, als man rupfen und essen konnte, mit ihren faulenden Leichen die Schweineherden gefüttert und die Äcker gedüngt. Heute schickt man Expeditionen aus, um noch ein paar Reiher oder Kiwis in den Öden aufzustöbern, und hat zu ihrem Schutz scharfe Gesetze erlassen. An der Mündung des Mississippi hat man weite Bezirke mit Gittern umzäumt, um dort ein paar Kolonien der selten gewordenen weißen Reiher zu schützen, und das umfriedete Gebiet wird durch Wachttürme und Flugzeuge unter Kontrolle gehalten. Als 1936 ein Knabe einen Kranich mit ausgeschossenem Auge und zerbrochenen Flügeln fand, entspann sich ein Rechtsstreit, denn der herbeigerufene Tierarzt weigerte sich, den Vogel zu behandeln, da es bei hoher Strafe gesetzlich verboten war, ihn anzurühren. Das Tier, das die Schrotladung des Wilderers überstanden hatte, wäre beinahe in den Netzen der Bürokratie zugrunde gegangen, bis schließlich ein Zoologischer Garten ermächtigt wurde, es aufzunehmen. Als später ein ebenfalls angeschossenes Weibchen aufgegriffen wurde, brachte man die beiden Invaliden zusammen, und als nach jahrelanger Ehe endlich ein paar Eier gelegt wurden, verfolgten Presse und Radio dieses Ereignis mit einer Teilnahme, wie man sie früher nur der Geburt eines Thronfolgers zuwandte. Es wurde ein eigener Turm errichtet, von dem man mit Ferngläsern die Vorgänge im Nest beobachtete. Es kroch zwar ein Junges aus, aber es verschwand im Schilf, wo es den zahlreichen Feinden der Vogelbrut zum Opfer gefallen sein dürfte. Die Tiere haben sich durch millionenjährige Erfahrung darauf eingestellt, daß über 90 Prozent der Nachkommenschaft zugrunde geht. Daher ist es fast unmöglich, ein 8
Der vermutliche Weg vom eidechsenartigen Reptil zum Vogel 1 Der Urahn; 2 eine vermutete, aber nicht nachgewiesene Zwischenstufe; 3 der taubengroße Ur-Vogel Archäopteryx; 4 heutiger Vogel
einzelnes Junge in der freien Natur durch die Gefahrenzone der Jugend zu bringen. Es ist eben nicht leicht, alte Sünden zu sühnen. Mit derselben Sorgfalt wie in Amerika Kraniche und Reiher sucht man auf Neuseeland die letzten Kiwis zu retten, die in Erdhöhlen leben und sie nur nachts verlassen, um auf die Jagd nach Würmern und Insekten zu gehen. Als man eines Tages in einer Opossum-Falle einen Kiwi mit zerschmettertem Bein fand, das amputiert werden mußte, wurde die Jugend der umliegenden Ortschaften organisiert, um für den Patienten Würmer und Insekten zu sammeln. Der Verband der Kriegsveteranen spendete ein künstliches Bein, und der Kiwi kam in einen Zoo, um mit seinem Kunstbein laufen zu lernen, bis er wieder in die Freiheit entlassen werden konnte. Zu solch tragikomischen Vorfällen führt das Verhalten des Menschen.
Gesang und Sprache Als wollte die Natur dem Geschöpf für die gelungene Leistung der Aufrechtstellung eine Prämie erteilen, gibt sie ihm als Zugabe das Geschenk der Stimme. Vogel und Mensch sind die beiden einzigen Geschöpfe, die infolge ihrer Aufrechtstellung eine wandlungsfähige musikalische Stimme besitzen und singen und sprechen können im Gegensatz zu den eintönigen Lauten, die die Insekten, Frösche, Pferde, Hirsche, Katzen oder Hunde ausstoßen. Der Gebrauch der Stimme ist bekanntlich keine angeborene Fähigkeit, sondern muß wie das Gehen gelernt werden, und zwar lernt man das Sprechen nur durch Nachahmung als eine äußerst mühevolle Kunstfertigkeit, die jahrelange Übung verlangt. Auch die Vögel lernen durch Nachahmung und singen so gut und so schlecht, wie ihre Lehrer gewesen. Nur wenn ein Vogel das Glück hat, unter guten Sängern aufzuwachsen, hat er die Chance, selber ein solcher zu werden. Wie die Menschen entwickeln die Vögel in den verschiedenen Provinzen „Dialekte" und ändern den Charakter ihres Gesangs, wenn man sie in eine neue Umgebung bringt; daher die häufige Enttäuschung, wenn der Singvogel, der uns an seiner Zuchtstätte begeisterte, zu Hause an Anmut des Singens verliert. Wie unter den Menschen gibt es schweigsame und geschwätzige Vögel, und wie unter den Menschen leben die Geschwätzigen in Sippen und die Schweigsamen als Einsiedler. Die weiblichen Pinguine, die in großen Gemeinschaftslagern brüten, schwatzen unaufhörlich, während die männlichen Pinguine würdevoll wie Akade10
miker umherspazieren und wichtigtuerisch der Unterhaltung pflegen. Es muß eine vielseitige Vogelsprache geben, die schon die Ungeborenen in den Eiern verstehen, denn wenn sie am letzten Bruttag von innen an der Eischale picken und der Erzfeind der Vögel, der Habicht, am Himmel erscheint, zischt die Mutter ein „tsch", und sie sind ruhig, bis sie auf ein neues Signal wieder zu picken und piepsen beginnen. Die Henne redet unaufhörlich zu den Kücken, und sie verstehen mindestens ein halbes Dutzend verschiedene „Worte". Bei den Lernflügen der Kraniche gibt der Anlernvogel eine ganze Reihe verschiedener Kommandos. Wenn Krähen einen Raubzug unternehmen wollen, halten sie erst einen Kriegsrat; dann senden sie Kundschafter aus und warten, bis sie zurückkehren und Bericht erstatten. Wird der Angriff eingeleitet, so verteilen sie Wächter über das Operationsgebiet und kommen erst angeflogen, nachdem ein Abgesandter dieser Wächter ihnen Bericht erstattet hat. Während der Plünderung geben die Wächter fortgesetzt Meldung über alles, was im Außengebiet vor sich geht. Krähen wissen zu unterscheiden zwischen harmlosen Feldarbeitenn und angestellten Flurhütern. Sie wissen, wer von einer Farmerfamilie zu jagen pflegt, und wenn die Familie ohne den Jäger kommt, bleiben sie unbekümmert sitzen. Ist aber der Jäger dabei, so geben sie Warnungssignale. Trägt er seine Flinte, so ergreifen sie die Flucht; kommt er ohne Gewehr, so bleiben sie. Das Gedächtnis intelligenter Vögel ist erstaunlich. Ein Kranich kehrt selbst nach Jahren nicht an den Ort zurück, an dem er einmal angegriffen wurde. Ebensowenig vergißt er eine Beleidigung und übt wie eine Katze noch nach einem halben Jahr, wenn der Mensch den Vorfall längst vergessen hat, seine Rache. Man hat ja bekanntlich ein viel kürzeres Gedächtnis für Beleidigungen, die man zufügt, als für jene, die man einstecken muß. , Die schönste von allen Vogelstimmen soll die indische SchamaDrossel haben; sie ist sehr musikalisch und versteht die ihr zur Verfügung stehenden Motive in immer neuen Zusammenstellungen zu Vortragsstücken zu verbinden. Unter den nordischen Vögeln gilt die Nachtigall als die beste Sängerin. Eine gutgeschulte Nachtigall singt ungefähr zwei Dutzend Motive. Sie singt jiachts, weil die Nachtigallen während der Nacht reisen; die Männchen fliegen voraus und singen, im Brutgebiet angekommen, damit die Weibchen sie finden können — „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder" —; aber dem süßen Geflöte folgt kein friedliches Beisammensein; nach Ankunft der Weibchen entspinnt sich vielmehr ein bitterer Kampf zwischen den Sängern, und das liebliche Musizieren löst sich in das 11
Gezänk der Werber auf. Nicht die besten Sänger, sondern die besten Kämpfer behaupten das Feld und die Weibchen. Die Vertriebenen ziehen weiter und flöten in der nächsten Nacht in einem anderen Bezirk. Ein Vogel, der so süß zu singen weiß, ist natürlich auch reich an Gefühl. Nachtigallen sind die denkbar besten Eltern. Sie lassen die geraubten Jungen nicht im Stich, sondern fliegen den Käubern nach und füttern die gefangenen Kinder durch die Stäbe ihres Gefängnisses. Die besten Sprecher sind unter den nordischen Vögeln Stare und Raben, die daher berechtigterweise in den Märehen als Sprecher auftreten, unter den tropischen Vögeln sind es die Papageien. Wie beim Menschen müssen auch beim Vogel zwei Dinge zusammentreffen, damit eine Sprachbegabung sich entfaltet; es muß eine angeborene Anlage vorhanden sein und eine gute Erziehung sie zur Entwicklung bringen. Nur ein von Natur begabter und frühzeitig gut unterrichteter Papagei wird ein guter Sprecher. Die Indianer sollen unerreichte Meister in der Zucht der Papageien gewesen sein und geradezu Wunderleistungen erzielt haben. Nachdem die weißen Eroberer die indianischen Nationen ausgerottet hatten, sprachen als einzige noch die Papageien die Sprache der gestorbenen Völker. Man hatte sie verschont, da sie ja kein Gold an ihren Halsen trugen. Aber es war niemand mehr da, der sie verstand.
Von Spottvögeln und diebischen Elstern Eine der höchsten Leistungen des Intellekts ist der Witz. Es gibt unter den Vögeln so ausgesprochene Witzbolde, daß man einen eigenen Namen für sie geschaffen hat: „Spottvögel". Unter ihnen gibt es Vertreter, die nicht aus Mangel an Talent, sondern aus Spaßmacherei falsch singen. Wenn die Vögel ihren Jungen Unterricht geben, so singt der Spötter bewußt falsch. Ein anderer Bubenstreich, den sie lieben, ist die Vortäuschung von Gefahren. Sie melden das Nahen eines Habichts und, wenn alles sich versteckt hat und mit Herzklopfen auf den Angriff wartet, lachen sie laut auf. Oder sie täuschen die Entdeckung eines fetten Bissens vor; kommen die anderen daher, so stehen sie „mit leeren Händen" da und lachen sie aus, und so hat der „Spaßvogel" seine Freude an der Unordnung der Welt. Ein beliebter Trick ist das Nachahmen fremder Stimmen. Die amerikanische Spottdrossel ist ein so begabter Stimmenimitator, 12
daß sie den Namen „Mimus polyglotta" erhalten hat, der sprachenkundige Schauspieler. Manche täuschen sogar nach Art unserer Bauchredner mit zwei wechselnden Stimmen Dialoge vor, Liebesduette oder Zankszenen, durch die sie Tiere locken, denn naturgemäß wollen sie als Schauspieler eine Zuhörerschaft. Der bekannteste Imitator von Stimmen ist der Leierschwanz der australischen Wälder, der, merkwürdig genug, über seinem Schwanz eine Lyra trägt. Er kann nicht nur Vogelstimmen, sondern Geräusche aller Art nachahmen. Da steht im Tale eine Sägemühle; heute arbeitet sie nicht, denn es ist Sonntag. Aber mit einem Mal geht sie heulend los — sie ist gar nicht losgegangen; der Leierschwanz mißbraucht die Stille des Feiertags, um das werktägliche Kreischen der Säge nachzuahmen. Als ein echter Spaßmacher und Tunichtgut ergötzt er sich an der Störung des Landfriedens und beendet den Unfug mit lautem Lachen. Dann fängt der Hund zu bellen an; aber der Hund ist gar nicht da, sondern mit dem Mühlenbesitzer ausgegangen. Es ist der Leierschwanz, der ihn nachahmt. Durch das Bellen des Hundes beginnt das Baby in der Wiege zu schreien, und
'Aus dem Schaft der Vogelfeder sprießen rund 600 Äste, jeder Ast trägt rund 600 Seitenstrahlcn, die wie Schwellen die „Geleise" der Äste verbinden. Die Strahlen sind durch „Wimpern" verhakt, so daß die Feder einen windfesten Fächer bildet 13
die Mutter stürzt heraus, aber das Kind schläft ganz ruhig — es ist der Leierschwanz, der die Welt zum Narren hält. Er soll sogar das Blöken einer Kuh derart nachahmen können, daß die Besitzer in den Wald gehen und nach dem verirrten Tier suchen. Hat sich aber die genarrte Familie im Busch verteilt, dann lacht der Leierschwanz aus dem Dickicht auf, denn die Menschen zu foppen ist sein Vergnügen. Bei allen höheren Geschöpfen beobachtet man „Riten" — das sind von den Vorfahren übernommene Handlungen vorgezeichneten Ablaufs, durch die sich ein Paar oder eine Gruppe von Geschöpfen für irgendeinen wichtigen Akt vorbereitet, um sich körperlich oder geistig in die rechte Stimmung zu versetzen. Alle höheren Tiere führen solche Riten aus, die meist mit der Werbung und Paarung verbunden sind und, wie wir heute wissen, den Zweck haben, die Hormondrüsen anzukurbeln, damit die Körper die von ihnen erwarteten Aufgaben erfüllen können. Am besten bekannt sind uns die Riten der Vögel, weil sie sich als gut sichtbare Tiere frei im Gelände oder in der Luft bewegen und ihre Freude daran haben, nach außen hervorzutreten. Bisher sind diese Werbespiele der Vögel meist nur in Worten geschildert. Neuerdings besitzen wir das Mittel, sie zu filmen, und durch das Photographieren mit Infrarot sind wir nunmehr auch in der Lage, die noch verhüllten nächtlichen Hochzeitsfeierlichkeiten der Nachtvögel zu enthüllen, nachdem wir bisher nur den Festlärm durch die Dunkelheit vernehmen konnten. Die meisten Riten der Vögel sind Werbung, ja man kann sagen: Bewerbung, denn der Freier legt eine Prüfung ab und wird nur, wenn sie bestanden ist, angenommen. Die Raubvögel führen ihrer Dame kühne Steil- und Sturzflüge vor, fangen vor ihren Augen eine Beute und werfen sie ihr aus der Luft so geschickt zu, daß sie ihr sozusagen in den Schnabel fliegt und sie so die Versicherung erhält, daß sie auch in der Ehe keinen Hunger leiden wird. Bodenvögel tanzen, und der Tanz der Birkhähne ist das Vorbild des Schuhplattlers geworden. Hat der Stieglitz seine Vorführungen beendet und die Stieglitzin ihm zu erkennen gegeben, daß er ihr gefallen hat, so fliegt er nochmals fort und kommt mit einem Blatt im Schnabel geflogen. Dem verlobten Paar macht ein anderer Stieglitz einen Besuch, und die Besuchten verneigen sich. Fasaue reinigen den Platz, auf dem sie tanzen, so peinlich, daß einer von ihnen den Namen ,.Argus Fasan" erhalten hat; denn mit Argus-Augen bewacht er die Sauberkeit des Platzes und gerät in Zorn, wenn auch nur ein Blättchen von einem Baum herunterweht. Schier Unglaubliches vollbrin14
gen die Laubenvögel der Südsceländer. Sie bauen meterhohe Lauben aus dürrem Reisig und schmücken sie mit abgepflückten Blumen. Sie decken den Boden mit Moos, tragen Muscheln, schillernde Insekten, Vogelfedern herbei und breiten sie als Geschenke für die Umworbene aus. Sie wird herbeigerufen, setzt sich auf die Balustrade und nimmt die Huldigungen ihres Freiers mit Wohlgefallen entgegen — oder fliegt enttäuscht davon, auf Nimmer-Wiedersehen. Diesen Laubenvögeln sind unsere Raben und Elstern verwandt, und nun verstehen wir die „Diebische Elster" und den „Spitzbübischen Raben", dem man nachsagt, daß er silberne Löffel stiehlt. Wie bei uns Menschen hat sich aus den Werbetänzen auch bei den Vögeln das Schauspiel entwickelt. Es gibt eine Gattung von Laubenvögeln, bei denen regelrecht Theater gespielt wird. Es werden Zuschauer geladen, sitzen auf den Zweigen wie die Menschen auf den Rängen, und nun tritt ein Schauspieler auf die Bühne mit einem toten Skorpion oder Tausendfuß und führt vor dem Publikum ein Scheingefecht aus, wie auf unseren Bühnen Siegfried mit dem Drachen. Bei diesem Kampf erhitzt er sich, wie gute Schauspieler tun, derart, daß es den Anschein hat, als habe er einen leibhaftigen Gegner zu erledigen. Den hat er auch. Aber der Gegner sitzt in Gestalt eines Weibchens unter den Zuschauern, und nachdem der Mime die tote Beute „erledigt" hat, wendet er sich seiner Schönen zu und führt gegen sie in der Luft einen Scheinkampf mit allen erdenklichen Paraden aus. Gefallen ihr Werber und Spiel, so verläßt sie ihren Platz, und er folgt ihr.
Das Vogel-Ei Das Ei ist die Form, in der der Vogel, um sich beim Flug nicht zu belasten, seine Nachkommenschaft ablegt. Der Inhalt des Eies ist ein unreifes Kind, das nun Zeit und Wärme braucht, zu reifen. Zahl, Größe und Farbe der Eier sind abhängig von den Lebensbedingungen. Vögel, die in gesicherter Umgebung leben, legen weniger Eier, ebenso solche, die so stark sind, daß sie ihre Eier verteidigen können, wie der Schwan, der Storch, der Pelikan oder der Pinguin. Der Riesenvogel Moa ist so rasch ausgestorben, weil er im Vertrauen auf die Stille seiner pazifischen Inselheimat nur ein Ei zu legen pflegte. Als der Mensch erschien, starb der Vogel, der durch seine Größe ein gutes Ziel für Jäger bot, rasch aus. Vögel, die in Sümpfen nisten, legen viele Eier, weil ihre Nachkommenschaft durch Ratten, 15
Ottern, Schlangen gefährdet ist; Enten und Gänse legen bis zu einem Dutzend. Zahlreiche Vögel färben ihre Eier durch Abgabe von Farbstoffen, teils hell, um sie im dunklen Nest zu erkennen, teils dunkel, damit Feinde sie nicht entdecken. Die Strauße färben ihre Eier nach der Farbe des Sandes, in dem sie das Gelege durch die Sonnenwärme ausbrüten lassen; der Kasuar aber, der sie ins Junglegras legt, überzieht sie mit Streifen. Die Strand- und Klippenvögel, die in der nackten Landschaft kein Material für den Nestbau finden, müssen ihre Eier auf Kies oder Felsen legen; sie färben sie der Unterlage so ähnlich, daß man sie selbst in der Nähe nicht erkennt. Man frage nicht, wie es der Vogel zustandebringt, das Ei in Farbe und Zeichnung so ideal der Umgebung anzugleichen. Durch den Hinweis, daß er die Schale durch Farbstoffe aus Drüsen färbt, wird das Rätsel nicht gelöst. Wir stehen hier vor einem kleinen Teilstück des großen Geheimnisreiches der schöpferischen Natur und können dieses Eine so wenig erklären wie das Ganze; denn wenn wir dieses Eine wüßten, so wüßten wir auch, wie es der Vogel zustandebringt, sein Gefieder zu färben, so daß es sich ideal beim Hocken am Boden den Farben der Umgebung anpaßt, und umgekehrt beim Flug durch die hellen Unterseiten von Leib und Flügeln gegen den Himmel verschwindet; wir wüßten, warum das Insekt, das man „Wandelndes Blatt" nennt, die Form der Blätter angenommen, und warum der Korallenfisch sich im Farbenkleid der Riffwelt tummelt. Wir wüßten auch, warum Rosen duften und Nachtigallen singen, und warum die Sterne in den Fernen des Universums blinken. Wer wagt, zu sagen, er könne wissen oder erklären, wie die graugrünen Flecke auf die Schale des Kibitzeies kommen, das im Fenster des Delikatessenladens liegt? Er komme und trete vor und empfange den Titel „Meister des Weltgeheimnisses". Die Größe der Eier ist im wesentlichen von den Bedingungen abhängig, unter denen der Vogel lebt, doch gibt es auch hier wie überall im Bereich des Lebens keine starren Gesetze, sondern es herrscht die fröhliche Freiheit alles Lebendigen. Als Regel legen Vögel, die am Boden nisten und deren Junge nach dem Auskriechen lebenstüchtig sein müssen, um ihren Feinden zu entrinnen, große Eier. Das Huhn ist unser Haustier geworden, weil es als ein Bodenvogel Eier legt, die so groß sind, daß es sie zu stehlen sich lohnt. Singvögel, die ihre Jungen droben in den Zweigen ausbrüten, wo wenig Raum für das Nest vorhanden, das Junge aber nach dem Ausschlüpfen geborgen ist, legen kleine Eier, und die Jungen kommen 16
Erziehung zum Leben: Die Adler lehren ihre Jungen das Fliegen, indem sie unter ihnen herfliegen und sie mit den Schwingen stützen so nackt und hilflos zur Welt, daß jedem, der ihrer ansichtig wird, unwillkürlich ein Ruf des Mitleids entfährt. Ursprünglich waren die Eier der Vögel wie diejenigen der Reptilien kugelig, und primitive Vögel produzieren noch heute Kugeleier und legen sie nach Art der Reptilien in Gruben. Im allgemeinen aber haben sie jene charakteristische Form angenommen, die wir als Eiform bezeichnen. Sie kommt zustande, indem das Ei im Vogelleib gefaßt, gepreßt, gedreht und geschliffen wird. Durch seine nichtkugelige Form wird das Ei gehindert, weit davonzurollen. Außerdem lassen sich durch die Zuspitzung mehr Eier im Nest unterbringen. Das breite Ende liegt beim Brüten oben, denn in ihm entwickelt sich der Kopf. Im australischen Busch leben Vögel von der Art der Truthähne, die ihre Eier in Hügel vergraben. Sie suchen sich Stellen aus, die gegen den Äquator offen und gegen den Pol abgedeckt sind, und sind hierin so exakt, daß diese Bruthügel den Eingeborenen als Kompaß dienen. Sie kratzen eine Grube aus so groß wie ein Wagenrad und füllen sie mit Laub, was eine Arbeit von über einem Monat erfordert. Nun lassen sie das Laub während der Regenzeit vier Monate lang durchnässen, und erst wenn es genügend gärt und Hitze erzeugt, legt das Weibchen im Abstand von drei Tagen je ein Ei hinein, bis es vierzehn sind. Jedes Ei wird mit der Spitze nach un17
ten in eine bestimmte Lage gebracht, bis die Eier in vier Etagen so übereinander liegen, daß jedes höher stehende zwischen zwei tieferen liegt und jedes von genügend gärender Masse umgeben ist. Nachdem der Brutofen gefüllt ist, werden Temperatur und Durchlüftung von den Eltern mit derselben Sorgfalt reguliert, mit der der Besitzer einer Eierfarm seine elektrischen Brutkästen überwacht. Regnet es, so schichten die Eltern neue Lagen auf und sorgen durch seitliche Abplattung, daß das Regenwasser abfließt. Scheint die Sonne, so kratzen sie die oberen Lagen ab. Verpappen sich die Blätter zu stark, so lockern sie das Gefüge, damit die Eier Luft bekommen. Hindert man die Eltern an der Pflege des Hügels, so stirbt die Brut ab. Dreht man heimlich ein Ei uro, so bleibt es ihnen nicht verborgen; sie scharren den Hügel auf und drehen es in die richtige Lage zurück, denn wenn das Hühnchen mit dem Kopf nach unten liegt, erstickt es. Nachdem das Junge die Schale durchbrochen hat, verläßt es das Ei nicht, sondern bleibt noch drei Tage in ihm. Der Vater kommt, lockert das Laub, damit das Junge Luft bekommt; bei Nacht aber deckt er es wieder zu. Am nächsten Tag schiebt der Vater das Ei höher, und erst am dritten streckt das Junge seinen Kopf aus dem Blätternest heraus und schaut sich in der Welt um. Nun schläft es noch eine Nacht in dem warmen Lager. Am nächsten Mittag, wenn es warm geworden ist, schüttelt es das Laub von seinen Schwingen und läuft schnurstracks in das Dickicht des Waldes. Diese altertümliche Gewohnheit, in primitiven Laubhügeln am Boden zu brüten, hat sich in Australien erhalten können, weil es bis auf unsere Tage auf diesem Insel-Erdteil keine höheren Säugetiere und folglich nur wenig Vogelfeinde gab. Auf den übrigen Erdteilen mit ihrem Reichtum an Säugetieren mußten die Vögel vor ihren Feinden in die Bäume flüchten und wurden so auf die Kunst des Nestbaus hoch oben in den Zweigen hingewiesen. Das Bauen des Nestes ist ein Vorgang des Instinkts. Der Vogel wird mit der Gabe und dem Trieb, ein Nest zu bauen, geboren. Er baut, ohne je ein Nest gesehen zu haben, einen Behälter, gerade so groß, wie es die Zahl der Eier, die Größe der Jungen und ihr Verhalten verlangen. Er formt das Nest so, daß er über den Eiern und später über den Jungen sitzen kann und sie luftdicht abschließt, ohne sie zu erdrücken. Er baut es so hoch, daß die Jungen mit ihren Schnäbeln über den Rand reichen, ohne herauszufallen, und die Wände so steil, daß die Jungen gerade am Tage ihres Flüggewerdens sie überklettern können. Kommt die Paarungszeit und gibt man dem Vogel in dieser Zeit kein Baumaterial, so baut er trotzdem „das Nest" mit 18
allen Bewegungen und Gebärden wie beim echten Nestbau. Aber auch diesem instinktiven Gehabe wohnt die Freude am Schaffen und die Befriedigung am Geschaffenen inne. Zahlreiche Vögel sind wahre Künstler im Bauen von Nestern geworden und bauen wie die Menschen, die nicht zufrieden sind mit praktischen Gebäuden, sondern Schlösser, Säulenhallen und Pavillons errichten, Kunstbauten, die sich durch keine Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit rechtfertigen lassen. Die Webervögel legen ganze Wohnungen an mit Zimmern verschiedener Bestimmung, Schlaf- und Wohnstube, Kinderzimmer und einem Vorraum für einen dienenden Geist; damit niemand das Privatleben durch unverhofften Eintritt stört, wird ein Irrgang gebaut, der blind endet, während die Kenner des Hauses durch eine schmale Hintertür einschlüpfen. Manche Gattungen lieben das enge Zusammenleben und bauen so viele Nester auf einem Baum, daß er sich in eine Mietskaserne verwandelt und schließlich unter der Fülle der Nester erstickt und, morsch geworden, unter ihrer Last einstürzt. Der winzige Schneidervogel näht sich als Nest ein großes Blatt zusammen. Womit näht er? Mit einem Seidenfaden. Woher bekommt er einen Seidenfaden? Er nimmt ihn wie der Mensch von der Seidenraupe. Wie macht er den spinnefeinen Faden haltbar? Er zwirnt ihn. Wie näht er? Er sticht Löcher vor mit seinem Schnabel und führt den Faden kreuz und quer. Spinnen häkeln ihre Netze; Ameisen benutzen Weberschiffchen; Käfer schneidern Wickelkissen, und nun sehen wir Vögel mit Seidenzwirn Nähstiche ausführen!
Vogel-Eltern Eine Arbeit, die die Beziehungen der Geschlechter in der gefiederten Welt zum Thema nimmt, könnte das Leitmotiv haben: „Nichts Menschliches ist uns fremd". Vom „treusorgenden Gatten" bis zum geschworenen Weiberfeind gibt es alle Typen von Männern und Frauen. Von der Pelikanin, von der man fabelt, daß sie für ihre Kinder ihr Herzblut hingibt, bis zur Kuckucksmutter, die sich ihres Kindes durch eine Unterschiebung entledigt — es gäbe ein kurzweiliges Buch mit unerschöpflichen Parallelen zum Menschen und allem Menschlichen. Besucht man in Konstantinopel die Schatzkammer der Sultane, so zeigt der Führer einen Becher, der aus dem Schnabel des „Vogels Phönix" angefertigt sei. Sagen sind selten erfunden, sondern meist 19
idealisierte Wahrheiten. Ameisen sammeln wirklich über Nacht eine Million Hirsekörner, wie es im Märchen geschildert wird, Raben sprechen, Elstern sind diebisch, und der Vogel Phönix steigt wirklich verjüngt, wenn auch nicht aus seiner Asche, so doch aus seiner Grabkammer auf. Der Hornvogel, ein Verwandter des Tukan, mauert sein Weibchen, wenn es sich zum Brüten anschickt, in eine Baumhöhle. Da es nun wochenlang eingemauert ist, braucht es seine Federn nicht, wirft sie ab und benutzt sie als Daunenkissen für sich und die Eier. Ein brütender Hornvogel sieht aus wie eine gerupfte Taube und ist nicht wiederzuerkennen. Dieses Versehwinden des brütenden Vogels ist der Tod des Vogels Phönix. Der Mann geht nun aber während seiner Strohwitwerzeit nicht auf Abenteuer; vielmehr pflegt er das eingemauerte Weibchen, und zwar so selbstlos, daß er kaum selbst etwas ißt, sondern ununterbrochen dem Weibchen Futter und möglichst Leckerbissen zuträgt. Von Zeit zu Zeit würgt er die Innenhaut seines Kropfes aus und reicht den mit halbverdauten Körnern und Beeren gefüllten Beutel der brütenden Gattin. Durch die Mastkur wird das Weibchen üppig, und wenn es nach Ablauf der Brutzeit dem Nest entsteigt, erscheint es wie ein verjüngter Prachtvogel mit einem funkelnagelneuen, strahlenden Gefieder — der Vogel Phönix ist der Asche entstiegen. Der Gatte aber ist durch die aufopfernde Pflege so abgemagert, daß er nun aussieht, als habe sein letztes Stündlein geschlagen — diese Wechselfolge von Kommen und Gehen, Siechen und Neuerstehen dürfte den Anlaß zur Legende vom sich verjüngenden Phönix gegeben haben. Beispiele solcher ehelichen „Treue bis in den Tod" sind bei den Vögeln nicht selten. Störche stürzen in die Flammen, um Weib und Kind aus dem brennenden Haus zu retten; Kraniche begehen, wenn man ihnen die Lebensgefährtin abgeschossen hat, Selbstmord, indem sie mit dem Kopf gegen einen Baum rennen. Überrascht ein Jäger eine brütende Reiherin, so mag es wohl sein, daß aus dem Schilf ein anderer Reiher heraustaumelt, der den Jäger ablenkt, ein Invalide, der augenscheinlich leicht zu fangen ist. Er schleppt sich mit gebrochenem Bein oder Flügel dahin, und der Schütze folgt ihm, seiner Beute gewiß. Es ist der Vater, der einen Verwundeten vortäuscht, um die Mutter zu retten. Der Sittich überlebt den Tod seines Gefährten in der Gefangenschaft selten, und mancher Papagei folgt nicht nur dem gestorbenen Herrn durch Verhungern in den Tod, sondern sogar dem Baum, auf dem er gelebt hat, wenn dieser hinwelkt, weswegen die Inder den Papagei zum Sinnbild der Treue erhoben haben. 20
Baumvögel legen kleine Eier, denn die Jungen können unentwickelt zur Welt kommen, da sie in der Baumhohe geschützt sind Auf der Gegenseite findet man alle Schattierungen von Ehefeinden, „Schürzenjägern" und Verächtern aller sonstigen guten Sitten. Man braucht nur einen Hahn auf einem Hühnerhof zu beobachten, um das Musterbild eines Haremshalters zu sehen. Auch die entartete Mutter fehlt nicht. Kuckucksfrauen brüten — ehedem war das die Regel — ihre Eier in einem Gemeinschaftsnest aus. Wie gewöhnlich im Gemeinschaftsleben macht sich auch hier bald der Eigennutz des einzelnen geltend, und selbstsüchtige Vertreter suchen sich den Pflichten gegen die Gemeinschaft zu entziehen. Man findet so liederlich gebaute Nester, daß sie die Eier nicht zusammenhalten. Manche Kuckucksfrauen begnügen sich damit, ihr Ei in das Nest zu legen, das Geschäft des Brütens aber den anderen zu überlassen. So ist bei manchen Kuckucksarten die Gemeinsehaftspflege zu einem unrühmlichen Ende gekommen. Die entartete Kuckucksmutter gewöhnte sich daran, ihre Eier einfach in irgendein Nest zu befördern. Sie legt ihr Ei, nimmt es in den Schnabel und fliegt damit zu einem Nest, in dem die Eier eines anderen Vogels liegen. Findet sie hier eine brütende Mutter und fliegt sie nicht von selbst erschreckt davon, so sträubt 21
das Kuckucksweibchen sein Gefieder und stellt sich wie eine Eule an. Der brütende Vogel erschrickt, und diesen Augenblick der Verwirrung benutzt der Eindringling, dem Vogel sein Ei unterzuschieben. Nun kommt wieder ein unbegreifliches Rätsel. Je nach der Gattung des Vogels, den die Kuckucksfrau mit dem Ei zu beschenken gedenkt, färbt sie das von ihr gelegte Ei, so daß kein Unterschied merklich ist. Ebenso unbegreiflidi ist die berechnende Art, wie sie immer soldie Vögel auszusuchen weiß, deren Jungen kleiner sind als ihr eigener Sproß, so daß schon der auskriechende junge Kuckuck seine Nestbrüder an Kraft übertrifft. Vom ersten Atemzug an erweist er sich als der ebenbürtige Sprößling seiner tückischen Mutter, und noch ehe er die Augen aufmachen kann oder auch nur eine Feder produziert hat, hebelt das Kuckucksjunge entweder die noch geschlossenen Eier oder, wenn er erst später geboren wird, durch Schaufelbewegungen seines zu diesem Zweck besonders kräftig entwickelten und zu einer Sdiippe gebogenen Schwanzes die Kinder seiner Pflegemutter aus dem Nest. Kein Geschöpf beginnt sein Leben so verrucht wie der Kuckuck — zwei Tage alt begehrt er einen „vorsätzlichen mehrfachen Mord". Nach vollendeter Untat, durch die er alle seine „Milchbrüder" beseitigt hat, läßt er seinen unersättlichen Rachen von seiner Pflegemutter, die auf einen so verruchten Gedanken wie die Wahrheit gar nicht kommen kann, füttern und frißt so viel wie die vier Jungen, die er umgebracht hat. Die Natur ist nicht moralisch und nicht unmoralisch, sie kennt die Moral nicht. Sie läßt das Gute tun und das Böse geschehen und zuckt nicht mit der Wimper. Sie kann es nicht, denn sie hat keine Augen, sie ist blind. Sie sieht das Eine nicht und nicht das Andere.
Kammerjäger und Schmarotzer Vögel sind die einzigen Landwirbeltiere, die mit anderen Wirbeltieren eine dauernde Gemeinsdiaft zu gegenseitigem Nutzen — eine Symbiose — eingehen. Die Symbiose zwischen einem Vogel und dem Krokodil gehört zu den ältesten naturwissenschaftlidien Überlieferungen der europäischen Literatur, ja sie ist sogar von den alten Ägyptern in den Hieroglyphen verewigt. Alte Schriftsteller schildern das wahrhaft sensationelle Treiben des Regenpfeifers Trochilus. „Wenn das Krokodil mit gähnendem Rachen auf dem Lande liegt, fliegt der Vogel Trochilus herbei, schlüpft ihm ins Maul und reinigt es. Das tut dem Krokodil wohl, und es schont daher den Vogel; ja, 22
es öffnet den Rachen weiter, damit der Vogel sich nicht drücke, wenn er heraus will. Dieser Vogel, nicht größer als eine Drossel, hält sich in der Nähe des Wassers auf und warnt das Krokodil vor der Pharaonsratte, indem er herbeifliegt und es teils durch seine Stimme, teils durch Picken an der Schnauze aufweckt." Jeder, der eine Reise durch das obere Niltal macht und die kostbaren und köstlichen Stunden ausnutzt, um die nur scheinbar eintönige Flußlandschaft zu beobachten, wird den Trochilus bei seinem Treiben entdecken. Er läuft beständig am flachen Ufer hin und her, beobachtet jede Regung in seinem Revier, sieht schneller als irgend jemand sonst, was sich in Nähe oder Ferne zuträgt oder zuzutragen beginnt, und gibt sofort Kunde „Tschip, tschip, hoit!" Mit den Krokodilen, unter denen er, im Sande ausgebrütet, aufgewachsen ist, weiß er vortrefflich umzugehen. Er kennt alle ihre harmlosen und gefährlichen Gewohnheiten so gut wie wir als zehnjährige Taugenichtse jene der Polizisten unseres Stadtviertels gekannt haben. Furchtlos läuft er über den Rücken des halb im Schlamm eingesunkenen Reptils hin und her, liest ihm Unrat und Schmarotzer, vor allem die Blutegel, ab. Da die Egel sich mit begreiflicher Vorliebe an das Zahnfleisch setzen, spaziert er sogar in das offene Maul und pickt die Egel zwischen den Zähnen heraus, was sich das Krokodil gefallen läßt mit der Pose eines verwöhnten Kranken, dem eine Pflegerin die Zähne putzt. Plötzlich aber hält er inne, ruft tschip, tschip, hoit!, und nun wissen alle Tiere im Revier, daß etwas im Anzug ist, und das gewarnte Krokodil drückt sich in den Schlamm und verschwindet, bis ihm Trochilus das Signal gibt: Gefahr vorüber! Eine ähnliche Symbiose zwischen Vögeln und großen Säugern ist nicht so freundschaftlich geblieben und enthüllt so den neutralen und folglich wandelbaren Charakter der Symbiose überhaupt. Ein Vogel, Madenhacker genannt, pickt den Großtieren Afrikas die Larven aus der Haut, die die Dasselfliege ihnen in den Rücken sticht. Das mutet an wie ein schönes Beispiel für „gegenseitige Hilfe im Tierreich"; aber indem die Vögel nach Maden hacken, geraten ihnen auch Stücke des Fleisches ins Maul; natürlich schmecken auch diese Häppchen, und so wurden die Vögel aus Madenhackern zu Fleischhackern. Nun quälen die pickenden Vögel ihre „Freunde" mehr noch als es die Fliegen taten, und die Säuger suchen ihre gefiederten Peiniger auf jede erdenkliche Art abzuschütteln. Symbiosen können also zu einem nicht ungefährlichen Bündnis werden. Gar zu leicht wird, wie in der menschlichen Gesellschaft, aus dem Schützling ein Ausbeuter oder aus dem freundlichen Helfer ein Tyrann. 23
Wanderungen der Vögel Die Mutter, die vom Kind gefragt wird, warum die Vögel im Herbst fortfliegen, hat es leicht. Sie weiß auf alles eine Antwort zu geben: „Das ist so einfach, du könntest es dir eigentlich selber denken. Sie reisen in wärmere Länder, weil sie hier im Winter kein Futter finden." Fragt das Kind nun weiter: „Wie finden sie den Weg?", so antwortet sie: „Die Alten, die voriges Jahr schon dagewesen sind, fliegen den Jungen voraus." Beide Antworten sind falsch. Um Futter zu finden, brauchten die Vögel nur näher an den Äquator heranzufliegen. Tatsächlich aber fliegen sie, viel weiter, ja über die Breitengrade mit gutem Futter hinweg auf die Gegenseite der Erdkugel, so weit, daß sie auch dort wieder kaum Futter finden. Außerdem reisen sie fort, bevor das Futter knapp wird, und viele kehren zurück, bevor es wieder Futter gibt, und oft genug verhungern oder erfrieren sie, weil sie zu früh zurückgekehrt sind. Und schließlich, warum kommen sie überhaupt in Länder zurück, die so karg sind wie Schweden oder Kanada und aus denen sie nach einigen Wochen wieder fortfliegen müssen? Nahrungsnot kann nicht die Ursache des Vogelzugs sein. Der Anlaß des Vogelzugs ist unbekannt, und wir können nichts tun, als einzelne Tatsachen aufzählen. Es gibt seßhafte Vögel und Vögel mit Wandertrieb. Der Wandertrieb kann schwach ausgeprägt sein, so daß der Vogel sich begnügt, in Nachbarprovinzen zu fliegen; er kann durch Nahrungsmangel bestimmt sein, so daß der Vogel bei schlechtem Wetter und in mageren Jahreszeiten in günstigere Nachbarländer zieht; die editen Wanderer aber verlassen ohne einen ersichtlichen Grund alljährlich ihre Wohnsitze, wandern auf die Gegenseite der Erdkugel und kehren nach einem halben Jahr wieder in ihre Heimat zurück. Als Heimat bezeichnet man jenes Land, in dem der Vogel brütet. Von diesen ausgesprochenen Zugvögeln fliegt jede Gattung nach bestimmtem Reiseplan mit der Pünktlichkeit eines Fahrplans auf einem Reiseweg über Länder und Meere, der so unverrückbar festliegt wie die Linien, auf denen unsere Dampfer und Flugzeuge verkehren. Die Störche Skandinaviens folgen den Flüssen Deutschlands südwärts, dann der Donau zum SAwarzen Meer, setzen über den Bosporus und folgen der Küste Vorderasiens, bis sie zum Nil gelangen; nun fliegen sie den ganzen langen Nil aufwärts bis nach Abessinien. Hier rasten sie, um hernach längs des Ostafrikanischen Grabens bis in die Wüste Kalahari zu ziehen, wo sie nun dem Südpol ungefähr so nahe sin'd, wie sie dem Nordpol 24
Der Stieglitz besucht ein Stieglitzpaar und führt vor ihm einen Tanz auf. Die Bedeutung dieser Handlung ist uns unbekannt gewesen. Die Schwalben Amerikas, die zwischen Alaska und Labrador nisten, teilen sich im Herbst. Jene auf der Osthälfte des Erdteils sammeln sich in Neu-Schottland, warten auf gutes Flugwetter und fliegen dann längs des Golfstroms nach Guayana, eine Seereise ohne Zwischenlandung von 3000 Kilometern. Nun sind sie nicht etwa erschöpft und zufrieden, die Gestade des tropischen Südamerikas erreicht zu haben, sondern fliegen über den ganzen riesigen Kontinent, über Venezuela, Brasilien, Chile bis in den äußersten Süden Südamerikas. Die in Westkanada nistenden Schwalben fliegen von Alaska erst nach Hawaii, bleiben aber nicht in der gesegneten Inselwelt, sondern setzen nach kurzer Rast über den Süd-Pazifik nach Australien über. Auch dort bleiben sie nicht, sondern fliegen weiter nach Neuseeland und Neuguinea. Die winzigen Kolibris, von denen die kleinsten nicht einmal zwei Gramm wiegen, fliegen 2000 Kilometer über das Meer, und manche Bekassinen Japans legen eine Seereise von 5000 Kilometern ohne Landungsmöglichkeit zurück. Die Wachtel ist, wie jeder sich auf den Feldern überzeugen kann, kein guter Flieger, denn sie hat nur kurze Hühnerflügel. Aber auf ihrer Winterfahrt fliegt sie über das Mittelmeer. Dasselbe tun übrigens Schmetterlinge. All das hat nichts mit Futtersuche und nichts mit Wandertrieb zu tun. Hier müssen historisch weit zurückliegende 25
Erlebnisse und biologisch tief dem Wesen der Vögel eingegrabene und Instinkt gewordene Erinnerungen am Werk 6ein. Von den bisherigen wissenschaftlichen Erklärungsversuchen kommt keiner der tief untergründigen Wahrheit irgendwie nahe. Als die Eiszeiten die Gemüter stark beschäftigten, suchte man die Vogelwanderungen als historische Erinnerungen an diese Kälteperioden zu erklären, sinnlos gewordene Wiederholungen einst sinnvoller Fluchtfahrten. Aber um vor dem Eis zu fliehen, hätten die Vögel nur wenige hundert Kilometer südwärts zu wandern gehabt. Als man die Vitamine entdeckte, sagte man, es sei der Hunger nach Vitaminen, der sie treibe; gegenwärtig ist Hochkonjunktur in Strahlungen, und man liest, das Leben der Vögel sei auf eine bestimmte Länge des Tages eingestellt, und es sei die Zu- und Abnahme von Infrarot und Ultraviolett, das die kleinen Körper zum Aufbruch dränge. Alle Beobachter stimmen darin überein, daß die reisenden Tiere, gleichgültig, ob Schmetterlinge oder Vögel, auf ihren Zügen fliegen, als würden sie an Fäden durch den Raum gezogen. Schon Audubon, berühmt durch seine klassisch schönen Farbenbilder der amerikanischen Vögel, berichtet von seinen Beobachtungen an den Millionenzügen der Wandertauben, daß Heereszüge, die in zwei Stunden Abstand einander folgten, so genau die Fluglinien einhielten, als flögen sie auf einer vorgezeichneten Bahn. Ja, wenn ein Adler von oben her auf einen vorhergehenden Zug eingeschlagen hatte und die Tiere durch einen Bogen nach unten ausgewichen waren, so folgte der spätere Zug diesem Bogen, obwohl gar kein Adler ihn angriff. Die reisenden Tiere werden also durch irgendeine uns noch unbekannte „Fährte" geleitet. Wahrscheinlich sind es magnetische Kraftlinien, denn Radio, Radar und Sonnenflecken stören Zugvögel und Brieftauben bis zu völliger Verwirrung. Solche Leitlinien erklären auch, daß allein reisende Nachzügler, die den Weg noch nie geflogen sind, den Vorausgeflogenen folgen, ohne sie sehen zu können. Das Signal zum Abflug muß durch irgendeine spürbare Unruhe der Atmosphäre gegeben werden, denn nicht nur die freilebenden Vögel werden vom Reisefieber ergriffen, sondern auch jene, die in Käfigen in den Zoologischen Gärten oder in Zimmern gehalten werden und nie die Freiheit oder das Gemeinschaftsleben kennengelernt haben. Gehört der gefangene Vogel zur Gruppe der Nachtreisenden, so ist es die Nacht, in der er unruhig zwischen dem Gestänge hinund herflattert, und öffnet man den Käfig, so fliegt er davon — 26
schnurstracks auf die andere Hälfte der Erdkugel hinüber! Der Seevogel, der sich 300 Tage des Jahres über den Weiten der Weltmeere herumtreibt, hört eines Tages zu kreisen auf und fliegt einer kleinen Insel, einem winzigen Punkt im Meer in über 1000 Kilometer Entfernung, entgegen und findet dort seine Artgenossen, die sich zur Paarung und zum Brüten zusammentun. Was liegt näher, als anzunehmen, daß das magnetische Feld über dem Meer, in dem diese Insel einen Knoten bildet, den Vogel leitet, so wie der Wirbel im Wasserbecken das Streichholz unwiderstehlich zum Ausfluß führt! Aber wenn auch eine Erklärung dieser Art, was durchaus möglich ist, sich als wahr erweisen sollte und man eines Tages vielleicht in großen Lettern lesen wird: „Das Geheimnis des Vogelzugs gelöst", sei man sich bewußt, daß dies nicht wahr ist. Die Feststellung eines Tatbestandes ist keine Lösung eines Geheimnisses. Wie kommt eine Symphonie von Beethoven zustande? fragt das Kind die Mutter. Sehr einfach, sagt sie. Es treten Musiker auf ein Podium, setzen sich hin, stimmen ihre Instrumente, es erscheint ein Mann, hebt den Taktstock, und nun beginnt die Eroika. Sehr einfach!
Vogelstaat am Südpol Als das erste Unterseeboot nahe der großen Roß-Barriere aufgetaucht war, tauchte bald danach ein zweites „Unterseeboot" auf, nicht aus Stahl, sondern aus lebendem Stoff — ein Pinguin — und bewies damit, daß die Kunst, unter Wasser zu schwimmen, auch von den Vögeln geübt wird. Da stand er nun auf dem knapp aus dem Wasser ragenden Deck, der Pinguin, sah sich die Menschen an, musterte sie und ging — Zufall oder Urteil? — auf den Kommandanten zu. Kurz vor ihm blieb er stehen, machte eine Verbeugung. Dann drehte er sich um, machte eine Verbeugung vor dem Offizier, der neben dem Kommandanten stand, und nachdem er sich vor jedem einzelnen verbeugt hatte, spazierte er, offenbar weil ihm nichts Zusagendes erwidert wurde, in einen Winkel und blieb dort zwei Tage lang regungslos stehen. Er verfolgte aufmerksam alles, was um ihn herum vorging, sprang dann über Bord, tauchte und war davon. Es war der Staatsbesuch eines Abgesandten des Volkes der Pinguine zum offenbar verwandten, dem ebenfalls wie sie aus dem Meere auftauchenden, aufrecht stehenden und ebenso wie sie reichlich schnatternden Volk der Menschen. Diese Begrüßung wiederholt sich immer, wenn eine Expedition in
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der weiten und von Menschen bisher noch wenig heimgesuchten Antarktis im Reichsgebiet der Pinguine „auftaucht". Landen die Menschen in der Nähe ihrer Siedlungen, so kommen die Pinguine in Abordnungen, zehn befrackte und gut frisierte Würdenträger, führen ihre Höflichkeitsbezeugungen aus und halten eine mehrere Minuten dauernde Begrüßungsrede, die wir bis heute noch nicht verstehen; aber ohne Zweifel wird man die Sprache der Pinguine im Lauf der nächsten Jahrzehnte durch das Studium von Tonaufnahmen entziffern. Diese Pinguine, noch wenig erforscht, gehören aus einer ganzen Reihe von Gründen zu den interessantesten Tieren der Gegenwart. Sie sind offensichtlich beim Auseinanderbrechen der alten Festlandmassen mit dem Südteil davongetrieben und zählen folglich zu den Resten primitiver Vögel. Sie sind Verwandte der Strauße und des ausgestorbenen Moa. Wie die Beuteltiere Australiens tragen sie eine Bruttasche am Leib und scheinen, soviel man bis heute weiß, das Ei darin auszubrüten und es erst in die Außenwelt zu stoßen, wenn das junge Lebewesen einen beträchtlichen Teil seiner Entwicklung durchgelebt hat. Da sie die Eier bei sich tragen und starke, im Zorn gefährliche Tiere sind, ist es nicht leicht, dieser Eier habhaft zu werden. Um ein paar lebensfrisch nach England zu bringen, sandte Kapitän Scott eigens drei seiner Begleiter über das Eis. Sie wären auf ihrer Expedition nach einem Pinguin-Ei beinahe umgekommen, da sie von einem mörderischen Blizzard überfallen wurden, der ihnen das Zelt davonriß. Die Eier kamen nicht nach England, denn einige Wochen später verhungerten die für die Wissenschaft so hingebungsvoll arbeitenden Männer mit Kapitän Scott im polaren Eis. Die von dem wahren Helden des Eises bis zu den letzten Minuten in Abschiedsbriefen und Tagebuch verewigte Tragödie gehört zu den ergreifendsten menschlichen Dokumenten nicht nur aus der Geschichte der Entdeckungen, sondern der Weltliteratur überhaupt. Da das Ei in der eisigen Kälte der langen und stürmischen Winternächte äußerste Fürsorge verlangt und der große, über einen Meter hohe Königspinguin nur ein Ei legt, ist der Brutinstinkt stark entwickelt. Geht dem Elternpaar das Ei verloren, so nehmen sie einen Stein oder eine ihnen von den Menschen hingeworfene Konservenbüchse und behandeln sie so liebevoll, als wäre sie ein lebendes Ei — ein Zeichen, daß hier ein ererbter, zwangsläufig wirkender Instinkt am Werke ist. Vater und Mutter teilen sich in das Geschäft der Brut, aber der Vater ist ein kleinlicher und genauer Herr, und er 28
Übernimmt keinesfalls das Ei ohne weiteres, sondern beginnt mit einem Verhör der Mutter, bei dem er sich offenbar über ihr Befinden, über den Grad der Müdigkeit und die Bereelitigung einer Ablösung erkvindigt, und erst nachdem er ihre Gründe als zutreffend erachtet hat, erklärt er sich grundsätzlich bereit. Aber auch nun nimmt er ihr das Ei noch nicht vorbehaltlos ab, sondern stolziert mehrere Male um die Mutter und betrachtet sie von allen Seiten; dann fordert er sie auf, das Ei abzugeben und prüft und begutachtet es, als sei er der Inspektor einer Zollbehörde. Nun erst gibt er durch eine besonders tief und korrekt ausgeführte Verbeugung kund, daß er die hingebende Brutpflege durch die verehrte Gattin durchaus anerkenne und bereit sei, im Interesse des Familienlebens und ihrer Gesundheit ihren nicht unberechtigten Wünschen nachzugeben und sie für eine vorgesehene Frist abzulösen. Männchen und Weibchen sind — auch das ist ein Zeichen der Primitivität — äußerlich nicht zu unterscheiden. Erstaunlicherweise brütet der Königspinguin das Ei während der Nachthälfte des polaren Jahres bei einer Kälte von minus 35 Grad bis minus 45 Grad und einem Wind, der einen Menschen ohne Schutzanzug in drei Minuten zu einer Eissäule gefrieren ließe. Im Brutbeutel des Pinguins aber herrscht eine Temperatur von plus 40 Grad! Unter der Ungunst ihrer Lebensumwelt haben die Pinguine eine Widerstandskraft entwickelt, daß man fast sagen muß, sie sind nicht umzubringen, und nur das Ausgelebtsein bringt sie schließlich zur Strecke. Wenn eine Katze neun Leben hat, so hat ein Pinguin neunundneunzig. Selbst ein Flintenschuß streckt einen Pinguin selten tot nieder,und es gelingt auchmitgroßenMengenvon Chloroform nur sehr schwer, ihn zu betäuben. Ob sich diese Zähigkeit entwickelt hat als eine Folge des geradezu mörderischen Klimas, oder ob umgekehrt der Pinguin sich als eines der wenigen Tiere auf dem polwärts treibenden Bruchstück der einstigen Festlandeinheit der Erde erhalten hat, weil er so lebenszäh war, kann man nicht entscheiden. Ursache und Wirkung mögen, wie meist, auch hier zu einem Kreislauf verknüpft sein. Aus der Vereinsamung des Tieres auf der abgerissenen Erdteilscholle und dem Fehlen tierischer Feinde mag sich auch die auffallende Friedfertigkeit, verbunden mit einem würdevoll ruhigen Benehmen, erklären. Die Pinguine leben in großen Gemeinwesen, in denen eine so mustergültige soziale Ordnung herrscht, daß man gesagt hat, die Pinguine seien keine Kolonie von Tieren, sondern „die zivilisierte Nation der Antarktis". Ein Pinguin ist das Muster eines Staatsbürgers. Er liebt den Frieden und wird von keiner revolutionären Regung aufgestachelt. Er 29
benimmt sich immer wie ein würdiger Stadtvater, als sei jeder von ihnen ein Mitglied des Gemeinderats; er geht von morgens bis abends in schwarzem Frack und weißer Weste umher und ist immer tadellos sauber und adrett frisiert. Er ist die Verkörperung der Würde und in seinen Umgangsformen ein Vorbild an Höflichkeit. Er wird nie reden, ohne eine Verbeugung zu machen, und dann begleitet er seine Sätze mit artigen Gesten. Natürlich ist er ein vorbildlicher Familienvater. Wie es ihm geziemt, ist er weder eine schmachtender Liebhaber noch ein heißblütiger Draufgänger, sondern stellt, wie es von einem Bürgerssohn aus bester Familie nicht anders erwartet wird, in allem Anstand seinen Antrag und führt dann eine durchaus bürgerliche, auf das praktische Wohlergehen und die Erhaltung des Staates eingestellte Ehe. Kommen die wenigen Wochen, die die Polarwelt dem Geschäft der Fortpflanzung zugeteilt hat, so bauen die Ehemänner in Zusammenarbeit ein Säuglingsheim, in dem mehrere hundert hoffnungsvolle Mütter Unterkunft finden. Sie bauen es aus Steinen, die sie oft von weither herbeitragen müssen, aber auch hierbei verlieren sie ihre Würde nicht, s ndern benehmen sich wie die Mitglieder eines Herrenklubs, von denen jedes einen Stein zur Gründung des Klubhauses herbeiträgt. Eifrig sind sie darauf bedacht, daß jeder seinen Beitrag liefert. Daß Herren, die auch wochentags in schwarzen Röcken promenieren, in alles neugierig ihre Nase stecken und dabei endlose und' offenbar moralisierende Reden halten, nicht gern arbeiten, ist nicht zu verwundern, und so kommt es vor, daß dieser oder jener nur so tut, als trüge er einen Stein und keuchend atmet, in Wahrheit aber unbeschwert zwischen dem Steinbruch und dem Säuglingsheim hin und her watschelt. Zuweilen erlaubt sich der eine oder andere sogar den Betrug, vom Bauplatz einen Kiesel zu nehmen und zu tun, als hätte er-ihn von fern herbeigetragen. Von den Frauen, die das Werk der Männer kritisch und mit unverhohlener Befriedigung verfolgen, als Betrüger überführt, wird an diesem „Verbrecher gegen die Interessen des Volkes" ein Strafgericht ausgeübt. Männlein und Weiblein schlagen mit ihren Flossen, die einem Menschen den Schädel zertrümmern, auf ihn ein. Eine der anderen seltenen Gelegenheiten, bei denen man Pinguine ihre Würde verlieren sieht, ist jener Augenblick, in dem die Jungen aus den Eiern schlüpfen. Unter dem Antrieb des in diesen Tagen auf das höchste entfachten Brutinstinkts entbrennt ein Kampf um die Jungen. Da das Weibchen nur ein Ei im Jahr legt, manches Weibchen wohl keines, dies und jenes Ei nicht fruchtbar ist, ein 30
anderes zertreten wird, erscheinen weniger Junge, als Elternpaare da sind. Aber jedes Elternpaar hat den Stolz, den kennzeichnenden Stolz des Bürgers, einen Nachkommen zu haben. Folglich herrscht in der Zeit des Schlüpfens eine gewaltige Aufregung im Mütterheim, und im Kampf um das Kind wird ein erheblicher Prozentsatz der Jungen zu Tode getrampelt. Da die Pinguine trotz dieser alljährlichen selbstmörderischen Dezimierung nicht ausgestorben sind, schätzt man, daß sie mindestens 35 Jahre alt werden müssen, um ihre Bevölkerungszahl zu erhalten. Die Kiesel sind kalt; Papa Pinguin hält dem Jungen den Fuß hin, und nun hockt es auf der warmen Fußmatte, der einzigen auf der Welt, die diesen Namen im wörtlichen Sinne verdient. Wie jedes Kind fürchtet sich das Junge vor dem Wasser, und wenn der Schwimmunterricht beginnt, muß es der Vater von den Klippen ins Meer stoßen und mit seinen Flügeln gewaltsam in die Tiefe pressen. Die Lummen, die mit den Pinguinen zusammenleben, schwimmen wie Enten und nehmen ihre zuerst wasserscheuen Jungen auf ihren Rükken, während der Adler bei den ersten Flugversuchen das Junge auf seinen Fittichen wie auf der Tragfläche eines Flugzeugs durch die Lüfte trägt (siehe Abb. Seite 17). Will der Pinguin sein Junges füttern, so taucht er unter, fängt ein paar Fische, würgt sie herunter und läßt sie im Magen eine Weile verdauen; wenn sie verflüssigt sind, stößt er das ölige Gemisch auf, und das Junge trinkt es aus dem ihm offen hingehaltenen Rachen. Bei den Seevögeln, die im Flug die Beute fangen, fliegt der Vater mit einem Fisch hoch, die Mutter tief unter ihm und das Junge in der Mitte, und nun heißt es fangen. Was das Junge nicht fängt, schnappt die Mutter ihm weg, und so erfährt der zum Rauben im Flug bestimmte Vogel eine harte Schule des Lebens. Der Pinguin ist eine jener Entdeckungen, die von uns verlangen, umzulernen. Da hat sich in der einsamsten Gegend der Welt, in der schlechtesten aller Klimazonen, ein Tierstaat gebildet wie der der Pinguine, die keine „hoch entwickelten" Geschöpfe sind; es ist ein historischer, alter und äußerst primitiv gebliebener Vogel, der uns hier so menschlich wie nur wenige andere Tiere entgegentritt, so daß er berufen erscheint, einmal ein Hausgenosse des Menschen zu werden wie der Hund. Er führt keinen erbitterten „Kampf um das Dasein" gegen Kälte, Polarnacht und die „ewigen Stürme der Antarktis", nein, dieser primitive Vogel hat hier eine Gesellschaftsform geschaffen, die zu den Spitzenleistungen der Tiergeschichte gehört. Da es dort nichts zu fliegen und zu erfliegen gibt, hat er seine 31
Flügel in Flossen verwandelt und taucht ins Wasser wie ein Fisch. Statt sich vor der Kälte, in der er nach den Regeln der Naturgeschichte erfrieren müßte, zu verstecken, spaziert er bei minus 40 Grad heiter umher und trägt sein Junges in einem Brutbeutel herum, in dem es plus 40 Grad warm ist. Die Männer leben in „Klubs", die Frauen in „Vereinen", und das ganze Leben ist geregelt wie in einem zivilisierten Staat. All das fügt sich wenig in das Bild der klassischen Entwicklungslehre ein. Meister Pinguin, der in Abordnungen daherkommt und unter Verbeugungen die Menschen mit einer Ansprache begrüßt, sagt zu uns: „Ihr müßt umlernen. Eure Entwicklungslehre ist zwar eine der größten Erkenntnisse eurer Zeit, eine der größten Wahrheiten, die je aus der Tiefe des Weltgeheimnisse hervorgezogen wurden. Aber sie genügt nicht: Vieles erklärt sie euch, uns aber erklärt sie nicht." Und damit macht er eine Verbeugung und watschelt davon, Mr. Pinguin.
TJmschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky D!« Abbildung auf der 2. Umschlagseite zeigt „Laubenvögel" beim Laubenbau; sie schmücken sie mit Blüten (Hintergrund), bereiten einen Tanzboden und präsentieren dem Weibchen schillernde Geschenke
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