Eckhard Burkatzki Verdrangt der Homo oeconomicus den Homo communis!
SOZIALWISSENSCHAFT
Eckhard Burkatzki
Verdrangt...
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Eckhard Burkatzki Verdrangt der Homo oeconomicus den Homo communis!
SOZIALWISSENSCHAFT
Eckhard Burkatzki
Verdrangt der Homo oeconomicus den Homo communis? Normbezogene Orientierungsmuster bei Akteuren mit unterschiedlicher Markteinbindung
Miteinem Geleitwortvon Prof. Dr. Gunter Albrecht
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaiilierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar.
Dissertation Universitat Bielefeld, 2005
I.Auflage Juni2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler/ Dr. Tatjana Rollnik-Manke Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media, www.duv.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und dahervon jedermann benutztwerden diirften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-6087-6
Geleitwort Taglich werden wir durch die Massenmedien nicht mehr nur iiber die vielen meist kleineren Eigentumsdelikte oder iiber doch immer noch relativ seltene Totungsdelikte, sondern immer haufiger auch iiber die alltagliche Gewalt auf den Schulhofen, in Kinderzimmern und Schlafzimmern informiert. Hinzugekommen sind aber vor allem Berichte iiber Bereicherungsdelikte, die von hohen Beamten (Professoren eingeschlossen), von Arzten, Anwalten, Politikern, Spitzenmanagern und Gewerkschaftsfiihrern usw. begangen warden. Wir erfahren von der Kriminalitat von Personen aus Kreisen, von denen unsere Alltagstheorien annehmen, dass sie aufgrund ihrer familialen Sozialisation im (gut-) biirgerlichen Elternhaus, aufgrund ihrer weiterfiihrenden Schulbildung, die ja mit einem Reifezeugnis als gelungen bescheinigt zu werden pflegt, aufgrund einer anschlieBenden Berufsausbildung - u.U. zum ehrbaren Kaufmann - und/oder eines Hochschulstudiums eine tiefgreifende Verpflichtung auf die Werte und Normen der Gesellschaft entwickelt haben und sich in ihrem Verhalten daran orientieren. 1st schon der Umstand befremdlich, dass sich die geistige, wirtschaftliche und politische „Elite" gegeniiber Versuchungen nicht gefeit zeigt, sich durch die sich bietenden Gelegenheiten auch unter Einsatz illegaler Mittel zu bereichern, so iiberrascht erst recht, dass von den Akteuren, aber auch von groBeren Teilen dieser Eliten dieses Fehlverhalten nicht als strafrechtlich relevant, nicht als verurteilenswert, ja von vielen nicht einmal als anriichig oder anstoBig angesehen wird. Dabei scheint es sich nicht immer um reine Schutzbehauptungen zu handeln, um sich der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen bzw. strafprozessuale Nachteile zu vermeiden, sondern oft um die tatsachliche Bewertung des eigenen Handelns. Komplizierter wird die Lage dann, wenn - wohl nicht vollig zu unrecht - manche Akteure (z.B. bei der Zahlung von Schmiergeldern, bei der Gewahrung von geldwerten Vorteilen etc.) darauf verweisen, dass die von ihnen gezeigten Verhaltensweisen dem Wohl der von ihnen vertretenen Institutionen oder Organisationen dienten, ja geradezu unvermeidbar waren, weil sonst andere entsprechende Mittel eingesetzt hatten, um im Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Geht man davon aus, dass eine solche Rechtfertigung immerhin so etwas wie Unrechtsbewusstsein und damit eine prinzipielle Anerkennung zentraler Rechtsnormen zum Ausdruck bringt, so konnte eine solche trostliche Interpretation durch den Umstand erschwert werden, dass die relevanten Akteure offensichtlich davon auszugehen scheinen, dass das formal geltende Normensystem in einer Gesellschaft, in der die Gesetze der Marktwirtschaft in alien Spharen gesellschaftlichen Lebens die Oberhand gewonnen haben oder zu gewinnen drohen.
VI
Geleitwort
letztlich doch nicht verbindlich ist, sondern im Rahmen von Kosten-NutzenErwagungen zur Disposition steht. Burkatzkis Studie untersucht theoretisch und empirisch die bedeutsame Frage, ob sich diese problematischen Phanomene tatsachlich als fur die gesamte Bevolkerung typisch darstellen und ob sie sich als Ausdruck der Veranderung der relativen Bedeutung von Moral und Markt als gesellschaftlichen Ordnungssystemen deuten lassen. Mit dem Siegeszug des Marktes verbinden die beiden groBen Deutungsrichtungen in den neueren Gesellschaftstheorien zwei grundverschiedene Erwartungen. Die liberalen Gesellschaftstheoretiker erwarten sich von der Zunahme des Einflusses des Marktsystems und des mit ihm verbundenen okonomischen Effizienzdenkens auf die Auspragung der moralischen Orientierungen von Akteuren eine Zivilisierung des menschlichen Verhaltens und rechnen damit, dass die Zunahme der gegenseitigen Abhangigkeit und die sich daraus ergebende wechselseitige Vorteilsnahme sowie das sich einstellende Vertrauen harmonische soziale Beziehungen schaffen. Die Gegenposition, besonders prominent von Hirschman vertreten, geht dagegen davon aus, dass die Markte soziale Beziehungen de(-)moralisieren, da sie das zerstorerische Selbstinteresse der Menschen durch Auflosung der zur Eingrenzung des Egoismus notwendigen institutionellen Zwange entfesseln. Die zentrale These der Untersuchung behauptet einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Grad der Markteinbindung des Akteurs bzw. der marktbezogenen Inklusion des individuellen Entscheidungshandelns und den normbezogenen Orientierungen, die sich in spezifischen Situationen in unterschiedlichen Bereitschaften zu abweichendem Verhalten bis hin zur Kriminalitat und/oder zu der Gesellschaft niitzlichen, altruistischen Verhaltensweisen (z.B. soziales Ehrenamt) auswirken. In Analogic zu den gesellschaftHchen Ordnungssystemen Staat/Recht, Markt und Gemeinschaft unterscheidet der Verfasser zwischen nomozentrischen, okonomischen und kommunitar-gemeinschaftiichen Orientierungen und geht von der Haupthypothese aus, dass Akteure mit zunehmender Einbindung in die institutionellen Strukturen von Markten einen normativen Typus ausbilden, der starke okonomische Orientierungen aufweist, wahrend nomozentrische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen relativ schwach ausgepragt sein sollten. Bei den subtilen empirischen Analysen ergeben sich zunachst einmal fiinf Typen der normbezogenen Orientierungen, die eine (iberraschende AhnHchkeit mit Anpassungsformen aus dem beriihmten Aufsatz Mertons iiber „Sozialstruktur und Anomie" aufweisen. Die „normorientierten Marktaktivisten" und die „marktdistanzierten Konventionalisten" weisen eine iiberdurchschnittliche Auspragung sowohl in der Dimension der nomozentrischen als auch in der Dimension der kommunitar-gemeinschaftHchen Orientierungen auf, unterscheiden sich aber in Bezug auf die okonomischen Orientierungen: Erstere weisen eine deutUch iiberdurchschnittliche, letztere eine deutlich unterdurchschnittliche Auspragung okonomischer Orientierungen auf. Demgegeniiber zeichnen sich die „radikalen Marktaktivisten" und die „nonkonformen Kommunitaristen" durch stark unterdurchschnittlich ausgebildete nomozentrische Orientierungen (also durch eine deutliche Distanz zum Geltungsanspruch rechtlicher
Geleitwort
VII
Normen) aus, wobei der radikale Marktaktivist die formell-rechdichen Normen, aber auch die kommunitar-gemeinschafdichen Verpflichtungen zu Gunsten seiner okonomischen Interessen zu opfern bereit ist, wahrend der nonkonforme Kommunitarist trotz seiner geringen Verpflichtung auf formell-rechdiche Normen die kommunitargemeinschaftlichen Obligationen stark betont, nicht dagegen die okonomischen Erfolgsziele. Der „Desinteressierte" ist den kommunitar-gemeinschaftUchen Orientierungen kaum verbunden, doch sind die nomozentrischen Orientierungen eher durchschnittlich, die okonomischen Orientierungen leicht unterdurchschnittlich ausgepragt. Um zu priifen, ob die Orientierungstypen tatsachUch mit den postuUerten Handlungstendenzen verkiipft sind, werden die Akteure mit zwei Szenarien konfrontiert, von denen das erste eine Kombination der Chance der Realisierung eines okonomischen Gewinnes bei Verletzung einer Strafrechtsnorm und das zweite die Realisierung eines beruflichen Vorteils bei Bruch einer kommunitar-gemeinschaftlich verankerten, informellen Altruismusnorm als Optionen zulieB. Es zeigte sich eine recht gute Bestatigung der postulierten Zusammenhange zwischen den fiinf Orientierungstypen und den jeweils gewahlten Optionen (insbesondere bei den Orientierungstypen der normorientierten und radikalen Marktaktivisten sowie den marktdistanzierten Konventionalisten): Die radikalen Marktaktivisten zeigen wie erwartet die hochste Bereitschaft, okonomischer Vorteile wegen Strafrechtsnormen zu brechen, aber geringe Neigung, altruistisch zu handeln. Die marktdistanzierten Konventionalisten steUen den genauen Gegentypus dazu dar, wahrend die normorientierten Marktaktivisten eine mittlere SteUung einnehmen. Auch bei Beriicksichtigung eines breiteren Delinquenzspektrums zeigt sich, dass insbesondere bei solchen Delikten, die als mittelschichttypisch gelten (z.B. Steuerhinterziehung), die Delinquenzbelastung/bereitschaft in Abhangigkeit von den Orientierungstypen variiert, wobei sich erwartungsgemaB das AusmaB der nomozentrierten Orientierungen als besonders bedeutsam erweist. Theoretisch spannend ist, dass bei keiner der in die Untersuchung einbezogenen Deliktarten die graduelle Auspragung okonomischer Orientierungen allein als Pradiktor fiir Verhaltensbereitschaft und -haufigkeit bedeutsam ist. Die Verpflichtung auf okonomische Erfolgsziele fiihrt nur dann zu hoherer DeliktanfaUigkeit, wenn die Hohe der auf dem Spiel stehenden Gewinne oder Verluste einen recht hohen Wert iibersteigt — womit die Akteure ja okonomischen Erwagungen verpflichtet zu bleiben scheinen: Die „Beute" oder der „Dear' miissen eine bestimmte GroBenordnung erreichen, um uns schwach werden zu sehen. Herzstiick der Theorie ist der behauptete Zusammenhang zwischen normbezogenen Orientierungsmustern und dem Grad der Integration der Akteure in die institutioneUen Strukturen des Marktes, der iiber soziookonomische Indikatoren zur Erfassung der Positionierung auf dem Arbeitsmarkt und den Finanzmarkten zu messen versucht wird. Tendenziell werden die erwarteten Zusammenhange bei bivariaten Analysen tatsachlich beobachtet, bei der multivariaten Untersuchung, also der gleichzeitigen Beriicksichtigung mehrerer erklarender Variablen, zeigt sich aber doch in nicht seltenen Fallen, dass die soziodemographischen und soziookonomischen Variablen ahnlich bedeutsam, wenn nicht bedeutsamer sind, als die Faktoren, die den Grad der Markteinbindung erfassen sollen.
VIII
Geleitwort
Ob man die Frage, ob der Homo communis durch den Homo oeconomicus verdrangt wird, mit einem Ja beantworten kann oder muss, lasst sich angesichts der subtilen Befunde dieser mustergiiltigen Untersuchung wohl noch nicht entscheiden. Zum einen muss man bedenken, dass die dem Verfasser mogliche Messung zur Markteinbindung durch validere Instrumente erganzt werden sollte und miisste, zum zweiten, dass die zur Untersuchung herangezogene Population durch eine solche erganzt oder ersetzt werden sollte, die eine groBere Zahl von Personen umfasst, bei denen die Markteinbindung sehr stark ist. SchHeBHch und endlich ist klar, dass soziale Prozesse - und als solcher ist ja die Entgrenzung des Marktes anzusehen - valide nur durch langsschnittliche Analysen zu erforschen sind. Auch wenn manches offen bleibt, hat die vorliegende Arbeit richtungweisende theoretische Uberlegungen zu der zentralen gesellschaftliche Frage vorgelegt, ob die Entfesselung des Marktes die Grundlagen unseres Zusammenlebens aushohlt und die Befolgung der Rechtsnormen immer zu einer reinen Frage der individueUen KostenNutzen-Kalkulation werden lasst. Die empirische Forschung kann den Wunsch nach einer klaren Antwort oft nicht erfiillen, aber sie ist fiir Erkenntnisfortschritt unverzichtbar. Diese Studie setzt QualitatsmaBstabe, die nur schwer zu iibertrumpfen sind, so notwendig dies ware. Die allzu theorieverliebte deutsche Soziologie aber ware gut beraten, eine der wunderbaren Xenien aus der Feder von Goethe und Schiller mit dem Titel ,Let2te Zuflucht' zu beachten: „Vornehm schaut ihr im Gliick auf den blinden Empiriker nieder; Aber seid ihr in Not, ist er der delphische Gott." Q.W.v.Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe, Bd.l, Miinchen 1982, S. 222).
Prof. Dr. Giinter Albrecht
Vorwort Der Einfluss von Markten auf die Normorientierungen und das normbezogene Handeln von Akteuren ist ein in vielen Kontexten diskutierter und problematisierter Sachverhalt. Gleichwohl steht nach wie vor der empirische Nachweis aus, dass sich Akteure mit unterschiedlicher Markteinbindung auf der Ebene ihrer normbezogenen Orientierungen systematisch unterscheiden. Dies gilt insbesondere fiir die These, dass mit zunehmender Markteinbindung ein Riickgang gemeinwohlbezogener Orientierungen und Handlungen bei Akteuren zu verzeichnen sei. Zur Klarung dieser Frage wird mit der vorliegenden Arbeit eine Untersuchung vorgestellt, die den Zusammenhang von Markteinbindung und normbezogenen Orientierungen von Akteuren empirisch beleuchtet. Kernstiick der Arbeit ist dabei die Entwicklung und Validierung einer Typologie normbezogener Orientierungsmuster, die zwischen unterschiedlichen Formen und Auspragungen der normbezogenen Orientierung in der Erwerbsbevolkerung differenziert. Auf Grundlage dieser Typologie zeigt die Untersuchung, dass das AusmaB von Gemeinwohlorientierungen bei Akteuren in Abhangigkeit von bestimmten Formen der Markteinbindung variiert. Andererseits wird jedoch ebenso deutlich, dass das Verhaltnis von Markteinbindung und Gemeinwohlorientierung — entgegen gangigen Annahmen - keiner eindimensionalen Logik folgt. Die vorliegende Untersuchung ist im August 2005 abgeschlossen und von der Fakultat fiir Soziologie der Universitat Bielefeld im Wintersemester 2005/2006 als Dissertationsschrift angenommen worden. Fiir die Drucklegung wurde lediglich eine leichte Uberarbeitung der einleitenden Kapitel vorgenommen. Dariiber hinaus wurden Formatierungen und das Layout an die verlegerischen Vorgaben angepasst. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Giinter Albrecht, danke ich fiir die nachhaltige Unterstiitzung, die ich von seiner Seite wahrend der Arbeit an meiner Dissertationsschrift nicht nur inhaltlich erfahren habe. Herrn Professor Dr. Elmar Lange gilt mein Dank fiir die Erstellung des Zweitgutachtens sowie fiir die ErschlieBung von Moglichkeiten zur Finanzierung der Umfragestudie, die dem empirischen Teil der Arbeit zugrunde liegt. Meinen ehemaligen Kollegen im wissenschaftlichen Mittelbau der soziologischen und padagogischen Fakultat der Universitat Bielefeld danke ich fiir die zahlreichen Gesprache, in denen ich mein Forschungsvorhaben mit ihnen diskutieren und erortern konnte. Namentlich hervorgehoben seien an dieser Stelle Frau Dr. Katja Wilking, Frau Dipl.-Soz.'in Miriam Brockel und Frau Isa Nessel, die mir in Vorbereitung meiner empirischen Befragungsstudie wertvolle methodische Hinweise gaben, sowie Herr Dr. Ulf Ehlers, der sich — meist bei gemeinsamen Laufen durch die Bielefelder Wald- und Parklandschaft - geduldig den jeweils aktuellen Stand meiner Forschungsarbeit darstel-
X
Vorwort
len lieB und in diesem Kontext wertvolle Kommentare und Hinweise lieferte. Anzufiihren ist in diesem Zusammenhang ebenfalls Herr Dipl.-Soz. Horst Haus, der das gesamte Manuskript in akribischer Arbeit redigiert und edv-technisch aufbereitet hat. Namhaft machen mochte ich an dieser Stelle schlieBlich ebenfalls jene Personen, die mich in der Zeit meiner Arbeit an der Dissertation motivational unterstiitzt und begleitet haben. Genannt sei hier zunachst Dieter Umhang, der mich als eine Art geistlicher Coach in Phasen der Ermiidung und Stagnation stets zum Weitermachen ermutigt hat. Nennen mochte ich ebenfalls meinen Hauskreis aus der evangelischen Paulusgemeinde in Bielefeld, dessen Mitglieder mich iiber Jahre hin in Gebet und Fiirbitte begleitet haben. Nicht unerwahnt bleiben soil an dieser Stelle auch die instruktive Hilfe meines Zweierschaftsbruders Dr. Lutz Neumann, der nicht nur durch seinen geistlichen Beistand, sondern auch durch seine unermiidlichen Nachfragen nach dem Abgabetermin fiir die Dissertation auf spezielle Weise mit dazu beigetragen hat, die vorliegende Arbeit zu finalisieren. Ausdriicklicher Dank gilt schlieBlich meinen Eltern Helmut und Christa Burkatzki, die mich zu dieser Arbeit in mehrfacher Hinsicht allererst befahigt haben und denen ich diese Schrift aus genanntem Grund widmen mochte.
Eckhard Burkatzki
Inhalt Geleitwort
V
Vofwort
IX
Verzeichnis der Abbildungen Verzeichnis der Tabellen
XVII XXIII
1. Einleitung 2. Stand der Forschung 2.1 Konflikttheoretische Ansatze 2.1.1 Blumbergs „Predatory Society" 2.1.2 Ian Taylors „Kritische Kriminologie der Marktgesellschaft" 2.1.3 Kritik der konflikttheoretischen Ansatze 2.2 Integrationstheoretische Ansatze 2.2.1 Durkheims Konzept der sozialen Solidaritat und der anormalen Arbeitsteilung 2.2.2 Simmels Analysen zur Wirkung des Geldes in der modernen Kultur 2.2.3 Gotz Briefs' Konzept der „Grenzmorar' 2.2.4 Polanyis „Great Transformation" 2.2.5 Habermas' These von der Kolonialisierung der Lebenswelt 2.2.6 Die kommunitaristische Marktkritik 2.2.7 Marktkultur und Wertewandel 2.2.8 Kritik der integrationstheoretischen Ansatze 2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen 2.3.1 Sozialstruktur und Anomie bei Merton 2.3.2 Curries Analysen zu „Market, crime and community" 2.3.3 Messner und Rosenfelds „Institutional Anomie Theory" 2.3.4 Marktakteure, „non-shareable problems" und die Rationalisierung und Rechtfertigung delinquenter Handlungen (Sutherland, Cressey, Coleman) 2.3.5 Grenzmoral und subterrane Werte des Marktes (Liiderssen, Blinkert und Hagan) 2.3.6 Karstedts Analysen zur moralischen Okonomie moderner Marktgesellschaften
1 5 6 6 8 9 10 11 12 14 14 15 17 18 18 20 20 22 23
27 29 30
XII 2.4Fa2it
Inhalt 32
3. Konzeptualisierung 3.1 Begriffe und Definitionen 3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns 3.2.1 Relation 1: Logik der Situation 3.2.1.1 Devaluation 3.2.1.2 Akkommodation 3.2.1.3 Penetration 3.2.2 Relation 2: Logik der Selektion 3.2.2.1 Relation 2a: Orientierungsmuster und situationale Orientierungen 3.2.2.2 Relation 2b: Situationale Orientierungen und Handlungsbereitschaft 3.2.2.3 Relation 2c: Handlungsbereitschaft und delinquentes bzw. „proso2iales" Handeln 3.2.2.4 Relation 2d: Orientierungsmuster und Bereitschaft zu delinquentem bzw. „prosozialem" Handeln 3.2.2.5 Relation 2e: Orientierungsmuster und delinquentes bzw. „prosoziales" Handeln 3.2.3 Relation 3: Logik der Aggregation 3.3 Gesamtmodell
35 35 37 43 45 45 46 49
4. Untersuchungsplan, Forschungsfragen und Hypothesen 4.1 Typen normbezogener Orientierungsmuster 4.2 Normbezogene Orientierungsmuster und die Logik der Selektion 4.2.1 Normbezogene Orientierungsmuster und delinquentes Handeln 4.2.2 Normbezogene Orientierungsmuster und „prosoziales" Handeln 4.3 Normbezogene Orientierungsmuster und die Logik der Situation 4.4 Normbezogenes Handeln und die Logik der Aggregation 4.5 VariablenmodeU der Untersuchung
63 63 64 64 65 67 67 68
5. Daten und Methoden 5.1 Erhebung 5.1.1 Ablauf der Erhebung 5.1.2 Aufbau des Fragebogens 5.1.3 Riicklaufquote, Fehlerkontrolle, Fragebogenselektion 5.2 Stichprobe 5.3 Operationalisierungen 5.3.1 Inklusion in die Strukturen des Marktes 5.3.1.1. Merkmale der Einbindungin den Arbeitsmarkt 5.3.1.1.1 Erwerbsstatus. 5.3.1.1.2 Erwerbsgruppen^ugehongkeit und berufliche Stellung
69 69 69 71 72 73 74 75 75 75
52 53 56 56 58 59 60
75
Inhalt 5.3.1.1.3 Beschdftigungssektor. 5.3.1.2. Merkmale der Einbindungin die Finanzmarkte 5.3.1.2.1 Aktien- undfondsbasierte Vermbgensanlagen 5.3.1.2.2 Nut^iung von Kreditkarten 5.3.1.3. Einbindung in Konsumgiitermarkte 5.3.2 Normbezogene Orienderungen 5.3.2.1 Analysen zur konvergenten Validitat 5.3.2.1.1 Nomo^entrische Orientierungen 5.3.2.1.2. Okonomische Orientierungen 5.3.2.1.3 Kommunitdr-gemeinschaftliche Orientierungen 5.3.2.2 Analysen zur diskriminanten Validitat 5.3.3 Situationale Orientierungen — HandlungsmodeU der Theory of reasoned action 5.3.3.1 Vignette zum Insiderhandel 5.3.3.1.1 Verhaltensintention 5.3.3.1.2 Verhaltensbe^ogene Einstellungen 5.3.3.1.3 Suhjektive Gormen 5.3.3.2 Vignette zur Bewerbungssituation 5.3.3.2.1 Verhaltensintention 5.3.3.2.2 Einstellung \um Verhalten 5.3.3.2.3 Suhjektive Norm 5.3.3.3 Reformulierung der Hypothesen zur Determination normbezogener Verhaltensintentionen in Anlehnung an die TORA 5.3.3.4 Ergebnisse der Modellschatzung 5.3.4 Deviantes Verhalten - Verhaltensintention, Entdeckungswahrscheinlichkeit und Verhaltenshaufigkeiten 5.3.4.1 Delinquenzbereitschaft und Deliquenzhaufigkeit 5.3.4.2 Sanktionsrisiko 5.3.5 „Prosoziale" Aktivitaten 5.3.6 KontroUvariablen: Alter, Geschlecht und Bildung 5.4 Verfahren der Datenanalyse 6. Ergebnisse 6.1 Forschungsfrage 1: Typen normbezogener Orientierungsmuster 6.1.1 Zur Reliabilitat und Stabilitat der Clustertypologie 6.1.2 Soziodemografische Profile der Clustertypen normbezogener Orientierung 6.1.3 Theoretische Einordnung der Typologie 6.1.4 Fazit 6.2 Forschungsfrage 2: Situationale Handlungsorientierungen und normbezogene Orientierungsmuster in Situationen delinquenter Gelegenheit 6.2.1 Subjektive Normen
XIII 77 78 7S 79 79 80 82 82 85 89 91 95 96 97 97 100 102 103 104 106
108 108 Ill 114 120 123 127 127 131 131 135 136 140 142 143 143
XIV
Inhalt
6.2.2 Verhaltensbezogene Einstellungen 147 6.2.3 Verhaltensintention 155 6.2.4 Fa2it 159 6.3 Forschungsfrage 3: DeUnquenzbereitschaft und normbezogene Orientierungsmuster bei verschiedenen Delikttypen 160 6.3.1 Fazit 166 6.4 Forschungsfrage 4: Delinquenzhaufigkeit und normbezogene Orientierungsmuster bei verschiedenen Delikttypen 168 6.4.1 Zur Pravalenz der selbstberichteten Delinquenz 169 6.4.2 Zur Inzidenz der selbstberichteten Delinquenz 173 6.4.3 Fazit 181 6.5 Forschungsfrage 5: Situationale Handlungsorientierungen und normbezogene Orientierungsmuster in Situationen des altruistischen Normappells 181 6.5.1 Subjektive Normen 182 6.5.2 Verhaltensbezogene Einstellungen 185 6.5.3 Verhaltensintention 193 6.5.4 Fazit 197 6.6 Forschungsfrage 6: Ehrenamtliches Engagement und normbezogene Orientierungsmuster 199 6.6.1 Bereichsiibergreifende Pravalenz ehrenamtHchen Engagements 200 6.6.2 Mehrfachengagierte im Bereich ehrenamtlichen Engagements 202 6.6.3 Ehrenamtliches Engagement, differenziert nach Engagementbereichen 205 6.6.4 Fazit 211 6.7 Forschungsfrage 7: Markteinbindung und normbezogene Orientierungen 212 6.7.1 Arbeitsmarkteinbindung und normbezogene Orientierung 212 6.7.1.1 Erwerbsstatus 212 6.7.1.2 Erwerbsgruppenzugehorigkeit 218 6.7.1.2.1 Aus^iubildende, Angestellte und Selhststdndige 218 6.7.1.2.2 Berufliche Stellungsgruppen innerhalh derBrwerbsgruppe derArbeiter.... 226 6.7.1.3 OffentiicherDienst 231 6.7.2 Einbindung in Finanzmarkte 236 6.7.2.1 Anteil an Aktien- und Fondsanlagen am Vermogen 236 6.7.2.2 Kreditkartennutzung 240 6.7.3 Einbindung in Konsumgiitermarkte 244 6.7.4 Fazit 247 7. Schlussbetrachtung 7.1 Zusammenfassung 7.2 Methodenkritische Reflexion 7.3 Diskussion und Ausblick
249 250 257 260
Inhalt
XV
Literatur
263
Anhang Anhang A: Fragebogen Anhang B: Soziodemografische und sozial-okonomische Strukturmerkmale der Untersuchungsstichprobe Anhang C: Durchfiihrung der Clusteranalysen Anhang D: Kriterien zur Auswahl der 5-Cluster-Losung Anhang E: Subtypologien fiir die Cluster der Desinteressierten und der nonkonformen Kommunitaristen Anhang F: Zur ReliabiUtat der Typologie normbezogener Orientierungen Anhang G: Zur Stabilitat der Typologie normbezogener Orientierungen
279 279 304 312 315 320 321 323
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 2.3.1: Mertons Theorie der Anomie als Folge der Desintegration von kultureller und sozialer Struktur Abbildung 2.3.3.1: Soziale Organisation marktdominierter Gesellschaften gemaB der lAT und ihre Auswirkungen auf KriminaUtat Abbildung 3.2.1: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns (nach McClelland 1961) Abbildung 3.2.2: RahmenmodeU sozialen Handelns fiir die vorUegende Untersuchung Abbildung 3.2.1.1: Theoretischer Bezugsrahmen: GesellschaftUche Ordnungssysteme, systemeigene Steuerungsprinzipien und normbezogene Orientierungen Abbildung 3.2.1.2: Markteinbindung, Devaluation, Akkommodation, Penetration und die Auspragung normbezogener Orientierungsmuster Abbildung 3.2.2.1: Orientierungsmuster und frames des Handelns Abbildung 3.2.2.1 A: Individuelle Uberzeugungssysteme und situationale Orientierungen Abbildung 3.2.2.2.1: Individuelle Uberzeugungssysteme und situationale^-^/^^j(nach ihrer Rekonstruktion durch die TORA) Abbildung 3.2.2.4.1: Individuelle Uberzeugungssysteme und normbezogene Handlungsintentionen Abbildung 3.2.2.5.1: Individuelle Uberzeugungssysteme und normbezogenes Handeln Abbildung 3.3.1: Markteinbindung, normbezogene Orientierungen und deviante Verhaltensintentionen — Handlungstheoretisches RahmenmodeU Abbildung 4.5.1: Markteinbindung, normbezogene Orientierungen und Verhaltensintentionen - Variablenmodell der empirischen Analysen Abbildung 5.3.1: Klassifikation der beruflichen Stellung Abbildung 5.3.2.1.1: Komponentenstruktur der nomozentrischen Orientierungen von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=382) Abbildung 5.3.2.1.2: Komponentenstruktur der okonomischen Orientierungen von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=387) Abbildung 5.3.2.1.3.1: Komponentenstruktur der kommunitargemeinschaftUchen Orientierungen von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=373)
21 25 39 41
43 48 51 53 55 58 59 60 68 76 85 88
90
XVIII
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 5.3.2.2.1.1: Oblique Hauptkomponentenstruktur nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=368) Abbildung 5.3.3.4.1: Handlungsintention „Insiderhandel" bzw. „Stellenverzicht" in Abhangigkeit von verhaltensbezogenen Einstellungen und subjektiver Normbindung Abbildung 5.3.4.1.1: Oblique Hauptkomponentenstruktur der selbstberichteten Delikthaufigkeit von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=372) Abbildung 5.3.4.1.2: ObUque Hauptkomponentenstruktur der DeHktbereitschaft von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=378) Abbildung 5.3.4.2.1: Oblique Hauptkomponentenstruktur der subjektiven Risikoperzeption fiir ausgewahlte Delikte bei Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=378) Abbildung 5.3.5.1: Fragebatterie zur Erfassung ehrenamtlichen Engagements Abbildung 5.3.5.2: Ehrenamtliches Engagement bei Angehorigen der deutschen Erwerbsbevolkerung, differenziert nach Engagementbereichen Abbildung 5.3.5.3: Anzahl der ehrenamtlichen Aktivitaten bei Angehorigen der deutschen Erwerbsbevolkerung (n=384) Abbildung 6.1.1: Clustertypen normbezogener Orientierungmuster auf der Ebene nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen bei Angehorigen der deutschen Erwerbsbevolkerung (n=367) Abbildung 6.2.1.1: Intensitat subjektiver Normen in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel, differenziert nach den Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster (n=357) Abbildung 6.2.2.1: Verhaltensbezogene Einstellungen^ in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel, differenziert nach den Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster (n=358) Abbildung 6.2.3.1: Bereitschaft zur Tatigung von Insidergeschaften in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel (n=385) Abbildung 6.2.3.2: Bereitschaft zur Tatigung von Insidergeschaften in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel, differenziert nach Clusterzugehorigkeit (n=365) Abbildung 6.3.1: Bereitschaft zur Steuerhinterziehung, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.3.2: Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Schwarzarbeit, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.3.3: Bereitschaft zur unerlaubten Materiaknitnahme vom Arbeitsplatz, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.3.4: Bereitschaft zum Versicherungsbetrug, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.1.1: Pravalenz der Steuerhinterziehung in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit
94
109 117 119
122 124 125 126
132
144
148 156
156 161 162 162 163 170
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 6.4.1.2: Pravalenz der Inanspruchnahme von Schwarzarbeit in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.1.3: Pravalenz der unerlaubten Materialmitnahme vom Arbeitsplatz in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.1.4: Pravalenz des Delikts „Alkohol am Steuer" in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.2.1: Inzidenz der Steuerhinterziehung in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.2.2: Inzidenz der Inanspruchnahme von Schwarzarbeit in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.2.3: Inzidenz der unerlaubten Materialmitnahme vom Arbeitsplatz in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.2.4: Inzidenz des Delikts „Alkohol am Steuer" in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.4.2.5: Inzidenz des Delikts Fahrerflucht in den letzten fiinf Jahren vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.5.1.1: Intensitat Subjekdver Normen in der hypothedschen Bewerbungssituadon, differenziert nach den Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster (n=359) Abbildung 6.5.2.1: Verhaltensbezogene Einstellungen in der hypothedschen Bewerbungssituadon, differenziert nach den Clustertypen normbezogener Orienderungsmuster (n=358) Abbildung 6.5.3.1: Bereitschaft zum Stellenverzicht in der hypothedschen Bewerbungssituation (n=385) Abbildung 6.5.3.2: Bereitschaft zum Stellenverzicht in der hypothedschen Bewerbungssituadon, differenziert nach Clusterzugehorigkeit (n=364) Abbildung 6.6.1.1: Pravalenz ehrenamtlichen Engagements, differenziert nach Clusterzugehorigkeit (Angaben in %) Abbildung 6.6.2.1: Ehrenamtlich Mehrfach-Engagierte, differenziert nach Clusterzugehorigkeit Abbildung 6.6.3.1: Pravalenz ehrenamtlichen Engagements in verschiedenen Engagementbereichen, differenziert nach Clusterzugehorigkeit (zstandardisierte Mittelwerte) Abbildung 6.7.1.1.1: Nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orienderungen in der deutschen Erwerbsbevolkerung, differenziert nach dem Erwerbsstatus (n=370 bis 384) Abbildung 6.7.1.1.2: Relative Prasenz der clustert}^pisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster in den Erwerbsstatusgruppen der
XIX
171
171
172 175
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XX
Ver2eichnis der Abbildungen
Nicht-Erwerbstatigen, der Auszubildenden und Praktikanten, der Teilzeitund stundenweise Erwerbstatigen und der Vollzeiterwerbstatigen Abbildung 6.7.1.2.1.1: Nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschafdiche Orientierungen in der deutschen Erwerbsbevolkerung, differenziert nach der Erwerbsgruppenzugehorigkeit von Auszubildenden, einfachen, mittleren und hoheren Angestellten sowie von Selbststandigen Abbildung 6.7.1.2.1.2: Relative Prasenz der clustertypisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster in den Erwerbsgruppen der Auszubildenden, der einfachen, mittieren und hoheren Angestellten und der Selbststandigen Abbildung 6.7.1.2.2.1: Nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen in der Erwerbsgruppe der Arbeiterschaft (n=86), differenziert nach beruflicher Stellung Abbildung 6.7.1.2.2.2: Relative Prasenz der clustertypisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster in den Erwerbsgruppen der Arbeiterschaft (n=82) Abbildung 6.7.1.3.1: Mittiere nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen bei Angehorigen des offentlichen und des privatwirtschaftlichen Beschaftigungssektors (n [Untersuchungsstichprobe]=346 bis 357) Abbildung 6.7.1.3.2: Relative Prasenz der clustertypisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster im offentlichen Dienst und im privatwirtschaftlichen Beschaftigungssektor (Offentlicher Dienst: n=35; Privatwirtschaftlicher Sektor: n=307) Abbildung 6.7.2.1.1: Mittiere nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen in Abhangigkeit vom prozentualen Anteil von Aktien- und Fondsanlagen am Geldvermogen (n [Untersuchungsstichprobe]=265 bis 269) Abbildung 6.7.2.1.2: Relative Prasenz der clustertypisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster in Gruppierungen mit variierenden Anteilen von Aktien- und Fondsanlagen am Geldvermogen (n=261) Abbildung 6.7.2.2.1: Mittiere nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen, differenziert nach Kreditkartennutzung Abbildung 6.7.2.2.2: Relative Prasenz der clustertypisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster im Kreise der Kreditkartennutzer (n=371 bis 385) Abbildung 6.7.3.1: Mittiere nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen bei MitgUedern und Nichtmitgliedern von Kundenclubs (n [Untersuchungsstichprobe]=370 bis 384) Abbildung 6.7.3.2: Relative Prasenz der clustertypisch unterschiedenen normbezogenen Orientierungsmuster unter den MitgUedern von Kundenclubs (n=365)
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Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung D l : Dendrogramm zur hierarchisch-agglomerativen Clusteranalyse typischer Muster rechtsnormbezogener, okonomischer und kommunitargemeinschafdicher Orientierungen bei Angehorigen der deutschen Erwerbsbevolkerung (nach Ward) Abbildung D2: Struktogramm zur hierarchisch-agglomerativen Clusteranalyse typischer Muster rechtsnormbezogener, okonomischer und kommunitargemeinschaftlicher Orientierungen bei Angehorigen der deutschen Erwerbsbevolkerung (nach Ward) Abbildung El: Subtypologie der Desinteressierten, differenziert nach der Auspragung rechtsnormbezogener, okonomischer und kommunitargemeinschaftUcher Orientierungen (n=87) Abbildung E2: Subtypologie der „nonkonformen Kommunitaristen", differenziert nach der Auspragung nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschaftiicher Orientierungen (n=57) Abbildung Gl.l: Fiinf-Cluster-Modell nach dem ll^W-Algorithmus (Referenzmodell der Studie) Abbildung G1.2: Fiinf-Cluster-Modell nach dem Betmen-Groups-Average-UnkageAlgorithmus Abbildung G1.3: Fiinf-Cluster-Modell nach dem Within-Groups-Average-UnkageAlgorithmus Abbildung G1.4: Fiinf-Cluster-Modell nach dem M^^/^//-Algorithmus Abbildung G1.5: Fiinf-Cluster-Modell nach dem Zentroid- Algorithmus Abbildung G1.6: Fiinf-Cluster-Modell nach K-Means-Zufallsstartwerten Abbildung G2.1: Fiinf-Cluster-Modell auf Basis der Substichprobe 1 (n=197) Abbildung G2.2: Fiinf-Cluster-Modell auf Basis der Substichprobe 2 (n=170) Abbildung G2.3: Fiinf-Cluster-Modell auf Basis der Substichprobe 3 (n=170) Abbildung G2.4: Fiinf-Cluster-Modell auf Basis der Substichprobe 4 (n=194) Abbildung G2.5: Fiinf-Cluster-Modell auf Basis der Substichprobe 5 (n=197) Abbildung G2.6: Fiinf-Cluster-Modell auf Basis der Substichprobe 6 (n=170)
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320 332 332 333 333 334 334 335 335 336 336 337 337
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 5.3.2.1.1: Reliabilitatskoeffizienten fiir die Indikatoren nomozentrischer Orientierungen Tabelle 5.3.2.1.2.1: Reliabilitatskoeffizienten fiir die Indikatoren okonomischer Orientierungen Tabelle 5.3.2.1.3.1: Reliabilitatskoeffizienten fiir die Indikatoren kommunitargemeinschaftlicher Orientierungen Tabelle 5.3.2.2.1: Korrelationsmatrix der Indikatoren nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschaftUcher Orientierungen Tabelle 5.3.3.4.1: Lineare Regression der Verhaltensintentionen jjnsiderhandel" und „Stellenverzicht" auf verhaltensbezogene Einstellungen und subjektive Normen Tabelle 5.3.3.4.2: Lineare Regression der Verhaltensintentionen jjnsiderhandel" und „SteUenverzicht" auf verhaltensbezogene Einstellungen und subjektive Normen, unter Kontrolle von Alter und Geschlecht Tabelle 5.3.4.1.1: DeUnquenzbereitschaft (Verhaltensintentionen) und selbstberichtete Haufigkeiten zu ausgewahlten Delikttypen bei deutschen Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren Tabelle 5.3.4.1.2: Korrelationen zu den Items der selbstberichteten DeUkthaufigkeit (n=377) Tabelle 5.3.4.1.3: Korrelationen zu den Items der DeHktbereitschaft (n=377) Tabelle 5.3.4.2.1: Perzipiertes Sanktionsrisiko bei ausgewahlten DeUkttypen bei deutschen Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (Angaben in %) Tabelle 5.3.4.2.2: Korrelationen zu den Items zur Risikoperzeption bei verschiedenen Delikten (n=383) Tabelle 6.1.2.1: Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster in Abhangigkeit von ausgewahlten soziodemografischen Merkmalen der Untersuchungspopulation (Angaben in %) TabeUe 6.1.2.2: Multinomial-logistische Regression der Clustertypologie normbezogener Orientierungsmuster auf ausgewahlte soziodemografische Merkmale Tabelle 6.2.1.1: Lineare Regression der Intensitat subjektiver Normen in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftHche Orientierungen
83 87 90 92
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Ill
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XXIV
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 6.2.1.2: Lineare Regression der subjektiven Normen in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschafdiche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren Tabelle 6.2.2.1: Lineare Regression der verhaltensbezogenen Einstellungen in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschafdiche Orientierungen Tabelle 6.2.2.2: Lineare Regression der subjektiven Normbindung in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren Tabelle 6.2.2.3: Lineare Regression der subjektiven Valenz moglicher Handlungsfolgen iUegaler Aktienkaufe in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Beta-Koeffizienten) Tabelle 6.2.2.4: Lineare Regression der subjektiven Wahrscheinlichkeit moglicher Handlungsfolgen iUegaler Aktienkaufe in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Beta-Koeffizienten) Tabelle 6.2.2.5: Lineare Regression der subjektiven Valenz mogUcher Handlungsfolgen des Verzichts auf iUegale Aktienkaufe in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren Tabelle 6.2.2.6: Lineare Regression der subjektiven Wahrscheinlichkeit moglicher Handlungsfolgen des Verzichts auf illegale Aktienkaufe in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren Tabelle 6.2.3.1: Lineare Regression der Bereitschaft zu Ulegalen Aktienkaufen in der hypothetischen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschafdiche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren
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Verzeichnis der TabeUen
Tabelle 6.2.3.2: Lineare Regression der Bereitschaft zu illegalen Aktienkaufen in der hypothedschen Situation der Gelegenheit zum Insiderhandel auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftiiche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren Tabelle 6.3.1: Erhohte Delinquenzbereitschaft, differenziert nach Clusterzugehorigkeit (Angaben in %) Tabelle 6.3.2: Binar-logistische Regression der Delinquenzbereitschaft in verschiedenen Deliktbereichen auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftiiche Orientierungen, unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte logistische Effektkoeffizienten)^ Tabelle 6.4.1.1: Pravalenz der Delikthaufigkeit fiir den Zeitraum der letzten fiinf Jahre vor dem Befragungszeitpunkt (in %), differenziert nach Clusterzugehorigkeit Tabelle 6.4.1.2: Binar-logistische Regression der Pravalenz delinquenten Handelns in verschiedenen Deliktbereichen auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftiiche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung des Sanktionsrisikos und soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte logistische Effekt-Koeffizienten) TabeUe 6.4.2.1: Mittlere Inzidenz der DeUkthaufigkeit fiir den Zeitraum der letzten fiinf Jahre vor dem Befragungszeitpunkt, differenziert nach Clusterzugehorigkeit TabeUe 6.4.2.2: Mittiere Inzidenz der DeUkte „unerlaubte Materialmitnahme am Arbeitsplatz" und „Alkohol am Steuer" fiir den Zeitraum der letzten fiinf Jahre vor dem Befragungszeitpunkt fiir die Subtypen der nonkonformen Kommunitaristen Tabelle 6.4.2.3: Lineare Regression der selbstberichteten Haufigkeit der Fahrerflucht auf die Zugehorigkeit zum Cluster der radikalen Marktaktivisten, unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte Beta-Koeffizienten) TabeUe 6.4.2.4: Lineare Regression der selbstberichteten Delinquenzhaufigkeit in verschiedenen DeUktbereichen auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftUche Orientierungen unter zusatzUcher Beriicksichtigung des perzipierten Sanktionsrisikos sowie soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte Beta-Koeffizienten) Tabelle 6.5.1.1: Lineare Regression der Intensitat subjektiver Normen in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftUche Orientierungen TabeUe 6.5.1.2: Lineare Regression der Intensitat subjektiver Normen in der hypothetischen Bewerbungs situation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftUche Orientierungen unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren
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XXVI
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 6.5.2.1: Lineare Regression der verhaltensbezogenen Einstellungen in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschafdiche Orientierungen (n=361) Tabelle 6.5.2.2: Lineare Regression der subjektiven Normbindung in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (n=357) Tabelle 6.5.2.3: Lineare Regression der subjektiven Valenz der mogUchen Handlungsfolgen des Stellenverzichts in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierter Beta-Koeffizient) Tabelle 6.5.2.4: Lineare Regression der subjektiven Wahrscheinlichkeit moglicher Handlungsfolgen des Stellenverzichts in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierter Beta-Koeffizient) Tabelle 6.5.2.5: Lineare Regression der subjektiven Valenz moglicher Handlungsfolgen des Stellenantritts in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierter Beta-Koeffizient) Tabelle 6.5.2.6: Lineare Regression der subjektiven Wahrscheinlichkeit moglicher Handlungsfolgen des Stellenantritts in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitargemeinschaftliche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierter Beta-Koeffizient) Tabelle 6.5.3.1: Lineare Regression der Bereitschaft zum SteUenverzicht in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen Tabelle 6.5.3.2: Lineare Regression der Bereitschaft zum SteUenverzicht in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren Tabelle 6.5.3.3: Lineare Regression der Bereitschaft zum SteUenverzicht in der hypothetischen Bewerbungssituation auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschafdiche Orientierungen unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren TabeUe 6.6.1.1: Binar-logistische Regression der Pravalenz ehrenamtUchen Engagements (Engagement: ja, nein) auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftUche Orientierungen unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte logistische Effekt-Koeffizienten (n=365)
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196
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VerzeichnisderTabeUen
Tabelle 6.6.2.1: Lineare Regression der pravalenten Haufigkeit ehrenamtlichen Engagements (Nicht-, Einfach- oder Mehrfachengagement) auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftUche Orientierungen unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Beta-Koeffizienten) TabeUe 6.6.3.1: Bereichsspezifische Pravalenz ehrenamdichen Engagements bei Angehorigen der bundesdeutschen Erwerbsbevolkerung, differenziert nach Clusterzugehorigkeit (Angaben in %) Tabelle 6.6.3.2: Binar-logistische Regression der bereichsspezifischen Pravalenz ehrenamtlichen Engagements auf nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen, unter zusatzHcher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte logistische Effekt-Koeffizienten) Tabelle 6.7.1.1.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster in der Untersuchungsstichprobe, differenziert nach Erwerbsstatus (in %) Tabelle 6.7.1.1.2: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus der Vollzeiterwerbstatigkeit, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.1.3: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus der Teilzeiterwerbstatigkeit unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.1.4: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus als Umschiiler oder Auszubildender unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.1.5: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus der Erwerbslosigkeit unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.2.1.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster in ausgewahlten Erwerbsgruppen, differenziert nach beruflicher Stellung (in %) Tabelle 6.7.1.2.1.2: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf die berufliche Stellung als Auszubildender oder Praktikant, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.2.1.3: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf die berufliche Stellung als einfacher Angestellter, unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten
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XXVIII
VerzeichnisderTabeUen
Tabelle 6.7.1.2.1.4: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus als mitderer Angestellter, unter zusatzlicher Benicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.2.1.5: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus als hoherer Angestellter, unter zusatzlicher Benicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.2.1.6: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den Erwerbsstatus als Selbststandiger oder Freiberufler, unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.2.2.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster in der Erwerbsgruppe der Arbeiterschaft, differenziert nach beruflicher Stellung (Angaben in %) Tabelle 6.7.1.2.2.2: Clustertypische Muster normbezogener Orientierungen in der Gruppierung der ungelernten und angelernten Arbeiter und in der Erwerbsgruppe der Arbeiter insgesamt (Angaben in %) Tabelle 6.7.1.2.2.3: Clustertypische Muster normbezogener Orientierungen in der Gruppierung der Facharbeiter und in der Erwerbsgruppe der Arbeiter insgesamt (Angaben in %) Tabelle 6.7.1.2.2.4: Clustertypische Muster normbezogener Orientierungen in der Gruppierung der Arbeiter mit Leitungsfunktion und in der Erwerbsgruppe der Arbeiter insgesamt (Angaben in %) Tabelle 6.7.1.2.2.5: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf die berufliche Stellung als ungelernter oder angelernter Arbeiter unter zusatzlicher Beriicksichtigung soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.1.3.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster im offentUchen Dienst und im privatwirtschaftlichen Beschaftigungssektor (Angaben in %) Tabelle 6.7.1.3.2: Binar logistische Regression der Zugehorigkeit zu den unterschiedenen Clustertypen normbezogener Orientierung auf den Beschaftigungssektor, unter zusatzlicher Beriicksichtigung der Erwerbsgruppenzugehorigkeit sowie soziodemografischer Kontrollfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.2.1.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orientierungsmuster in Abhangigkeit vom prozentualen Anteil von Aktien- und Fondsanlagen am Geldvermogen (gruppierte Daten, Angaben in %) Tabelle 6.7.2.1.2: Binar logistische Regression der clustertypisch unterschiedenen Orientierungsmuster auf den prozentualen Anteil an aktienund fondsgebundenen Vermogensanlagen unter zusatzlicher
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Verzeichnis der Tabellen
Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.2.2.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orientiemngsmuster im Kreise der Nutzer und Nichtnutzer von Kreditkarten (Angaben in %) Tabelle 6.7.2.2: Binar logistische Regression der clustert}^isch unterschiedenen Orientierungsmuster auf die Nutzung von Kreditkarten, unter zusatzHcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle 6.7.3.1: Anteil der Clustertypen normbezogener Orienderungsmuster unter den MitgKedern und NichtmitgUedern von Kundenclubs (Angaben in %) Tabelle 6.7.3.2: Binar logistische Regression der clustert}^isch unterschiedenen Orientierungsmuster auf die MitgUedschaft in Kundenclubs unter zusatzUcher Beriicksichtigung soziodemografischer KontroUfaktoren (standardisierte Effektkoeffizienten Tabelle Bl: Ausgewahlte soziodemografische und sozio-okonomische Merkmale deutscher Erwerbspersonen zwischen 21 und 65 Jahren in der Untersuchungsstichprobe und nach den Daten des deutschen Mikrozensus^ aus dem Jahr 2002, berechnet fiir die jeweils gesamte Stichprobenpopulation sowie getrennt fiir Frauen und Manner (Angaben in %) Tabelle Dl: ModellpriifgroBen fiir die 1- bis 10-Cluster-Losung TabeUe Fl: Diskriminanzanalytische Re-Klassifikation der BeobachtungsfaUe zu den Clustertypen normbezogener Orientierungmuster (n=367) TabeUe G3.1.1: Clusterbesetzung und Modellanpassung nach der hierarchischagglomerativer Analyse bei Verwendung verschiedener Fusionsalgorithmen (n=367) TabeUe G3.1.2: Clusterbesetzung und ModeUanpassung nach der Clusterzentrenanalyse nach k-means bei Verwendung von Startwerte-Sets aus unterschiedUchen hierarchisch-agglomerativen Analysen (n=367) TabeUe G3.1.3: StabiUtatsanalysen zur Clustertypologie akteursspezifischer Orientierungsmuster bei Variation des Fusionsalgorithmus. ReferenzmodeU: k-means-ModeU mit Startwerten fiir die Clusterzentren nach Ward TabbeUe G3.2.1: StabiUtatsanalysen zur Clustertypologie akteursspezifischer Orientierungsmuster nach dem sog. SpUt-half-Verfahren. ReferenzmodeU: Clustertypologie fiir die Gesamtstichprobe (n=367)
XXIX
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1. Einleitung Die vorliegende Studie beschaftigt sich mit dem Einfluss von Markten^ auf die normbezogenen Orientierungen und Handlungen von Akteuren. Sie nimmt insofern Anschluss an eine sozialtheoretische Diskussion, die sich mit Albert O. Hirschman (1986: 105ff.) als „Markt-und-Moral-Debatte" bezeichnen lasst. Im Zentrum dieser Diskussion steht die Frage, wie weit der Markt als gesellschaftliches Ordnungssystem zu einer Starkung oder Schwachung der moralischen Ordnung einer Gesellschaft beitragt. Nach Hirschman ist die Markt-und-Moral-Debatte dutch die kontraren Grundpositionen der Fiirsprecher und Kritiker eines liberalen Marktsystems beherrscht. Die Befiirworter des liberalen Marktes, von Hirschman als Verfechter der sog. douxcommerce-Th&s& apostrophiert, verweisen dabei seit Montesquieu und David Hume auf die disziplinierende und zivilisierende Kraft des Marktes, der nebst den Tugenden der Sparsamkeit und des FleiBes moralische Orientierungen wie Ehrlichkeit, Zuverlassigkeit und Hilfsbereitschaft hervorbringe resp. starke. Die Kritiker des Marktes beklagen demgegeniiber, dass die Funktionslogik eines ausdifferenzierten Marktsystems einen erodierenden Einfluss auf die gemeinschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft wie auch des Markttreibens selbst habe. Hirschman kennzeichnet diese Position als Selbstzerstorungsthese des Marktes (vgl. ebd.: 109ff.). So konstatieren etwa Marx und Engels im Kommunistischen Manifest, der Markt habe „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch iibrig gelassen, als das nackte Interesse, als die gefiihllose ,bare Zahlung'" (Marx / Engels 1987: 33f.). Insbesondere die konservativen Kritiker des Marktes und des Industrialismus (vgl. etwa Bodelschwingh 1865^; Briefs 1931) heben hervor, dass die gemeinschaftserodierende Wirkung der entfesselten Marktkrafte auf der Ebene des gesellschaftlichen Zusammenlebens quasi zwangslaufig zu sozialen Funktionsstorungen, zu Formen der Entsolidarisierung zwischen den Marktparteien, zum Verfall von Sitte und Moral und zum „Zerfall der gesellschaftlichen Bindungen der Menschen" (vgl. etwa Briefs 1931: 5) fiihre. Bemerkenswert ist, dass auch die zeitgenossische Debatte iiber das Verhaltnis von Markt und Moral durch die bezeichneten Grundpositionen gepragt wird. So versucht einerseits etwa Michael Baurmann als aktueller Fiirsprecher der zivilisierenden Krafte des Marktes in seiner 1996 erschienenen Studie „Markt der Tugend. Recht und Moral Sofern im Folgenden vom Ordnungssystem des Marktes die Rede ist, geschieht dies mit ausschiicBlicher Bezugnahme auf die Marktordnung in marktwirtscliaftlich verfassten Gesellschaften. In marktwirtschafdich verfassten oder auch kapitalisdsciien Gesellschaften verbinden sich die Aktivitaten auf dem Markt mit einem iibergreifenden Profitstreben bei gleichzeitig freiem Wettbewerb der Marktakteure. Swedberg (1987) stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass nicht alle Markte auch gleich kapitalistische Markte sind (vgl. Swedberg 1987: 107). Bodelschwingh, Friedrich von (1865): Die Arbeiterfrage, zitiert in Schmuhl 2005: 57f.
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1. Einleitung
in der liberalen Gesellschaft", sowohl das Bestehen des rechtsstaadichen Normensystems als auch eine intrinsische Konformitatsbereitschaft seiner Burger aus den okonomischen Kosten-Nutzen-Orientierungen rational-egoistischer Marktakteure theoretisch abzuleiten. Andererseits hatte die Kritik des liberalen Marktsystems bereits in den 80er Jahren durch die Kommunitarismusdebatte (vgl. zusammenfassend Honneth 1993) und spater dann im Rahmen der sog. Neoliberalismusdebatte bis hinein in die Wirtschaftswissenschaften eine Renaissance erlebt. So klingt der Tenor der Selbstzerstorungsthese auch in aktuellen soziologischen Gegenwartsdiagnosen an, die eine sektorale Hegemonic des Marktes im Konzert der gesellschaftlichen Ordnungskrafte behaupten. Entsprechend konstatiert etwa Neckel (2000), dass die soziokulturelle Entwicklungsdynamik des Marktes in den Gegenwartsgesellschaften wesdicher Pragung in jiingerer Zeit quasi selbsdaufig eine Dominanz marktbasierter Steuerungsformen hervorgebracht habe. Gesellschaften dieses Typs sind ihm zufolge dadurch bestimmt, dass „die Imperative okonomischer Rentabilitat und Effizienz gleichmaBiger denn je alle gesellschafdichen Wertspharen und Lebensordnungen" durchdringen (vgl. Neckel 2000: 21). Die Logik des Markthandelns, so hier die Uberlegung, bestimme das Verhalten von Akteuren zunehmend auch in solchen gesellschafdichen Teilbereichen, die bis dato unter der Vorherrschaft marktfremder Relevanz- und Ordnungssysteme standen.^ Gewendet auf das Verhaltnis von Markt und Gemeinwesen bedeutet dies, dass die Imperative des Marktes den Geltungsanspruch bestehender formal-rechtUcher und kommunitar-gemeinschaftiicher Normen zunehmend ,aushebeln' und verdrangen. Gefahrdet erscheint damit einerseits eine generalisierte Bereitschaft von Akteuren, sich den Anforderungen von Recht und Moral freiwillig zu unterstellen. Gefahrdet erscheint andererseits das soziale Kapital^ freiwilligen biirgerschaftlichen Engagements (Offe / Fuchs 2001), das mit BUck auf die gesellschaftliche Integration marginalisierter Bevolkerungsteile nach wie vor als tragende Saule des Gemeinwesens aufgefasst wird. Obwohl hier stark verkiirzt dargesteUt, finden sich entsprechende Uberlegungen bei verschiedenen sozialwissenschaftlichen Autoren: bezogen auf die Rechts- und Kriminalsoziologie etwa bei Autoren wie James W. Coleman (1987: 406ff., 2002: IBBff.), EUiott Currie (1997, 1998) oder auch John Hagan und Mitarbeitern (1987, 1998), bezogen auf aktuellere soziologische Gegenwartsdiagnosen bei Autoren wie Robert Bellah und Mitarbeitern (BeUah et al. 1992: 62), Robert Putnam (1996) oder auch AmitaiEtzioni(1998). Die These von der Verdrangung rechtsaffirmativer und gemeinwohlbezogener Orientierungen durch die Handlungsimperative des Marktes - kurz: des Orientierungsmusters des Homo communis durch das Orientierungsmuster des Homo oeconomicus - ist Ausgangspunkt fiir die im Folgenden dokumentierte Studie. Es wird untersucht, in welchem AusmaB die Verhaltensimperative, die auf der einen Seite durch den Markt
Ahnlich argumentiert in der Sache Robert Putnam (1996) in seinen Analysen zum Riickgang des sozialen Kapitals in der U.S.-amerikanischen Gesellschaft. Das Konzept des sozialen Kapitals wird hier in Anlehnung an seine Verwendungsweise im sozialpolitischen Diskussionskontext (vgl. Robert Putnam 1996, 2001) als ein normatives Qualitatsmerkmal und kollektives Gut beschrieben, das Gemeinschaften, Stadtteile oder ganze Nationen ,besitzen' konnen.
1. Einleitung
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und auf der anderen Seite durch das gesellschaftliche Gemeinwesen an die Mitglieder der Gesellschaft herangetragen warden, in den normbezogenen Orientierungen konkreter Individuen verankert sind. Die Studie konzentriert sich dabei speziell auf die Frage, in welcher Form Akteure, die auf verschiedene Weise in Marktzusammenhange eingebunden sind, sich auf der Ebene ihrer normbezogenen Orientierungen unterscheiden. Angestrebt wird in diesem Zusammenhang eine Uberpriifung der These, dass marktivirtschaftlich verfasste Gesellschaften qua Einbindung von Akteuren in die Strukturen des Marktes hei ihren Mitgliedem einen normativen Habitus ausprdgen, der die Geltungskraft gemeinwohlbe^gener moralischer und rechtlicher Normen relativiert und diese durch okonomisch-instrumentelle, die Norm- b^. Pflichtverlet^^ng ins Kalkiil ^ehende Orientierungen iiberformt.
Die vorliegend dokumentierte Studie gliedert sich wie folgt: Das anschlieBende !<weite Kapitel gibt zunachst eine grobe Ubersicht liber den Stand der theoretischen und empirischen Forschungsdiskussion zu der Leithypothese der Untersuchung. Ausgehend von dem Stand der Forschung widmet sich das dritte Kapitel der Konzeptualisierung einer Untersuchung zur empirischen Uberpriifung der Leithypothese. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die theoretische Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen der Einbindung in die Strukturen des Marktes, der Auspragung von normbezogenen Orientierungsmustern und dem Auftreten delinquenter sowie „prosozialer" Verhaltensintentionen und Handlungen. Die Rekonstruktion dieses Zusammenhangs zielt auf die Entwicklung eines Untersuchungsmodells fur die anschlieBenden empirischen Analysen. Kapitel vier formuliert in Anlehnung an dieses Modell die zentralen Forschungsfragen und Hypothesen der Untersuchung. In Kapitel fiinf werden im Weiteren die Daten und das methodische Vorgehen der empirischen Studie vorgestellt. Kapitel sechs prasentiert schlieBlich die Ergebnisse der empirischen Analysen zum Thema. Es untergliedert sich dabei entlang der in Kapitel 4 ausformulierten Forschungsfragen. Die im siebten Kapitel vorgenommene Schlussbetrachtung enthalt schlieBlich neben einer zusammenfassenden Darstellung der zentralen Untersuchungsbefunde eine Diskussion der Untersuchungsergebnisse in methodischer und theoretischer Hinsicht sowie Vorschlage fiir weitere, sich fiir zukiinftige Forschungsaktivitaten ergebende Fragestellungen.
2. Stand der Forschung Sichtet man den Stand der Forschungsdiskussion zur Leithypothese der Untersuchung, so ist an erster Stelle hervorzuheben, dass Uberlegungen zur Verdrangung gemeinwohlbezogener und rechtlicher Leidinien des Handelns durch die Handlungsimperative des Marktes, von ihrer Grundidee her besehen, alles andere als neu sind. So finden sich Warnungen vor der moralisch korrumpierenden Macht des Markttreibens bereits in fruhmittelalterlichen theologischen Abhandlungen zur Wirtschaftsethik. Schon der im fiinften Jahrhundert residierende Papst Leo der GroBe (Pontifex von 440 bis 461 n.Chr.) betonte, dass es auf dem Marktplatz sowohl fiir Kaufer als auch fiir Verkaufer schwierig sei, nicht der Siinde zu verfallen, da die Versuchungen von Geiz und Habgier hier quasi allgegenwartig seien (vgl. Gilchrist 1969: 5If.). Knapp acht Jahrhunderte spater erwahnt Thomas von Aquin (1225-1274) in einer Abhandlung zum Betrug im Wirtschaftsleben, dass Markthandler haufig Grundprinzipien des gerechten Warentauschs verletzten, indem sie zum Zwecke der Erwirtschaftung eines hoheren Profits Defekte der von ihnen verkauften Giiter verschleierten, und diese zu einem hoheren Preis verkaufen, als es deren tatsachlichem Wert entspricht (vgl. Blumberg 1989: 5). Auch Thomas verweist in seinen Analysen darauf, dass diese moralischen Verfehlungen nicht ausschlieBUch auf die niedere Gesinnung einzelner Handler zuriickzufiihren seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass den meisten Formen des wirtschaftlichen Handelns, die darauf ausgerichtet seien, Profite zu erzielen, eine amoralische Orientierung inharent ist (vgl. ebd.). Betrachtet man demgegeniiber die in der jiingeren sozialwissenschaftUchen Diskussion entwickelten Ansatze zum Verhaltnis von Recht und Moral auf der einen und dem Geltungsanspruch marktbasierter Handlungsimperadve auf der anderen Seite, lassen sich - bei pardellen Uberschneidungen - verschiedene Diskussionsstrange unterscheiden. So finden sich einerseits Beitrage, die den Zusammenhang zwischen Marktfaktoren und der Unterminierung des Geltungsanspruchs formeller und informeller Normbestande in erster Linie iiber den Wandel der okonomischen Produktionsverhaltnisse rekonstruieren. Es handelt sich dabei insbesondere um Arbeiten aus dem Theorieumfeld der sog. konflikttheoretischen Kriminologie^. Ein zweiter Diskussionsstrang expliziert den Einfluss des Marktes auf die sozialen Handlungsorientierungen von Akteuren primar iiber die Stellung des Marktsystems in dem als variabel angenom-
Der Begriff der Konflikttheorie wird hier in Anlehnung an Fritz Sack (1993: 417) als Synonym zur Bezeichnung einer Gruppe sozialwissenschafdicher Theorien verwandt, die als zentrales Medium zur Herstellung gesellscliaftliclier Ordnung in Anlehnung an Thomas Hobbes (1588-1679) Zwang und Gewalt idendfizieren. Als klassische Bezugsfigur der soziologischen Konflikttheorie gilt dabei Karl Marx (1818-1883).
2. Stand der Forschung
menen Krafteverhaltnis der basalen gesellschaftlichen Ordnungssysteme. Die Argumentation dieser Ansatze lasst sich im weitesten Sinne als integrationstheoretisch'^ kennzeichnen. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf die kulturelle Transmission marktspezifischer Wahrnehmungs- und Handlungsmuster in die verschiedenen gesellschaftiichen Handlungsspharen, wie sie etwa im Kontext der kommunitaristischen Sozialtheorie behauptet wird. Als dritter Diskussions Strang zum Thema las sen sich schlieBlich die vornehmlich als Theorien mittierer Reichweite konzipierten Beitrage aus dem Umfeld der kriminalsoziologischen Anomie- und Subkulturtheorie herausstellen. Zwar handelt es sich hierbei, ahnlich wie bei den kommunitaristischen Beitragen, um integrationstheoretisch gepragte Ansatze, die abweichendes Verhalten oder auch Kriminalitat als Folge der Desintegration zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Ordnungs- oder auch Funktionssystemen erklaren. Doch vereinigen sie dabei verschiedene Theorieelemente, die sie eher als objektbezogene Erklarungsmodelle kriminellen Handelns denn als allgemeine Theorien sozialer Integration ausweisen.
2.1 Konflikttheoretische Ansatze In konflikttheoretischen Ansatzen, insbesondere aus dem Umfeld der marxistischen Theorie, wird der Markt in der Kegel als das zentrale gesellschaftliche Ordnungssystem aufgefasst, dem alle anderen gesellschaftlichen Ordnungssysteme mit den ihnen zugehorigen Institutionen bedeutungsmaBig nachgeordnet sind. Er gilt gleichzeitig als der Ort, an dem die okonomisch fundierten Klassengegensatze zwischen den Marktparteien (traditionell zwischen Kapital und Arbeit) aufbrechen, wobei die Klassenlage primar durch die Stellung zu den Produktionsmitteln bestimmt ist (vgl. Sack 1993: 417).
2.1.1 Blumbergs „Predatory Society ^'
Exemplarisch fur einen im traditionellen Sinne konflikttheoretischen Beitrag zur Diskussion soil an dieser SteUe die von dem amerikanischen Soziologen Paul Blumberg Ende der 80er Jahre veroffentlichte Untersuchung The Predatory Society. Deception in the American Marketplace (Blumberg 1989) vorgestellt werden. Die Beobachtungen und Analysen des marxistisch orientierten Autors haben dabei interessanterweise eine groBe Nahe zu den Ausfiihrungen Thomas von Aquins aus dem 13. Jahrhundert. So versucht Blumberg in seiner Untersuchung aufzuzeigen, dass Strategien der Tauschung und des Betrugs zu den alltaglichen Praktiken des Wirtschaftens und Profitstrebens der Verkaufer auf dem Markt gehoren und hier ubiquitar vertreten sind. Dies betreffe etwa die
Der Begriff der Integrationstheorie wird hier in Anlehnung an Fritz Sack (1993: 417) als Gegenbegriff zur Konflikttheorie verwandt. Als integrationstheoretisch gelten dabei vor aUem die Ansatze, die als Medium gesellschaftlicher Ordnung weniger auf „Zwang und Gewalt", als vielmehr auf Formen der Sozial- und Systemintegration setzen. Als klassische Bezugsfigur der soziologischen Integrationstheorie gilt dabei Emile Durkheim (1858-1917).
2.1 Konflikttheoretische Ansatze
falschliche Etikettderung von Billigprodukten als Markenfabrikate, die Berechnung nicht ausgefiihrter oder nicht notwendiger Reparaturen durch Reparaturdienste oder auch den Verkauf gealterter Lebensmittel als frisch. Dabei durchmischten sich die Verhaltnisse von Taterschaft und Viktimisierung, insofern tauschende Handler und Verkaufer in anderen Marktsektoren selbst zu Kunden werden, die damit rechnen miissen oder auch erfahren, zum Opfer einer Betrugs- oder Verschleierungstaktik zu werden (vgl. ebd.: 62). Zwar habe nicht jeder Unternehmer die gleiche Moglichkeit, sich in illegalen oder auch illegitimen Verkaufspraktiken zu engagieren. Dies gelte insbesondere fiir Unternehmen, die in nachbarschaftliche Beziehungen oder auch eng gekniipfte soziale Netzwerke eingebunden sind (vgl. ebd.: 160ff.). Gleichwohl werde das Motiv des Profitstrebens auf dem Markt von dem Anreiz zu Unehrlichkeit und Tauschung wie von einem natiirlichen Schatten begleitet. Beide Motive lieBen sich in diesem Sinne nicht nur als wahlverwandt, sondern als einander wesensverwandt begreifen. Anreize zu Betrug und Tauschung seien dem System des freien Marktes strukturell inharent und nahmen von hier aus Einfluss auf die personliche Moralitat und die sozialen Beziehungen der Marktakteure (vgl. ebd.: 224). Eine gesellschaftliche Formation wie die der liberalen Marktgesellschaft, in der das Motiv der Mehrwert- und Profitschopfung zu einem zentralen Organisationsprinzip des gesellschaftlichen Lebens wird, lasst sich nach Blumberg entsprechend auch als Beutegesellschaft — so die Ubersetzung des Buchtitels Predatory Society — beschreiben. Dass Akteure unter gegebenen Umstanden vermehrt Betrugshandlungen begehen, sei also nicht Ausdruck ihrer individuellen moralischen Verkommenheit, sondern lediglich Folge des Umstandes, dass sie sich gemaB den Imperativen des Marktsystems verhalten (ebd.: 174). Der Autor deutet den von ihm behaupteten Zusammenhang zwischen dem Profitstreben der Unternehmer bzw. Warenanbieter auf der einen und den Betrugs- und Tauschungsversuchen gegeniiber Kunden auf der anderen Seite unter Bezugnahme auf marxistische Autoren als Ausdruck der Verlagerung des kapitalistischen Klassenkonflikts von dem Produktionsbereich in den Konsumbereich. „In the twentieth century", so Blumberg, „we have moved from an age of production to an age of consumption. And with this change, the locus of class conflict tends also to change. In an age of production, the major class battles are fought between employers and workers; in an age of consumption, the batdes are increasingly fought between sellers and buyers" (ebd.: 225). Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang allerdings, dass Blumbergs Studie, so anekdotenreich sie ihre Grundthesen auch zu illustrieren vermag, methodisch auf unsicherem Boden steht. So basiert sie zu groBen Teilen auf einer Inhaltsanalyse studentischer Berichte zu illegalen und illegidmen Verkaufspraktiken, die diese als teilnehmende Beobachter im Rahmen von Gelegenheitsjobs in kleineren und groBeren Wirtschaftsunternehmen erkunden konnten (vgl. ebd.: 8ff.). Stellt man hier in Rechnung, dass keine Schwellenwerte gegeben waren, die die relative Haufigkeit solcher Ereignisse als Ausnahme oder Regelfall einschatzbar machen, und dass auch eine Schatzung der Gesamtzahl illegaler Ereignisse im Geschaftsleben fehlt, so wird
2. Stand der Forschung
zweifelhaft, ob man aus dem gegebenen Material jenseits seines phdnomenologischet/ Eigenwertes ernsthafte Riickschliisse auf die Geltungskraft der von Blumberg aufgestellten These 2iehen kann (vgl. zu dieser Kritik auch Armstrong 1990: 127).
2.1.2 Ian Taylors „Kritische Kriminologie der Marktgesellschaff^
In seiner 1999 erschienenen Monografie „Crime in context: a critical criminology of market societies" versucht Ian Taylor, die Entwicklung von Kriminalitat und Kriminalitatskontrolle unter dem Einfluss einer expansiven Marktentwicklung am Beispiel der angelsachsischen Lander zu analysieren. Ausgangspunkt seiner durch die neomarxistische Regulationstheorie^ gerahmten Analysen ist dabei wiederum die Annahme, dass in den Gegenwartsgesellschaften des Westens die Transformation insbesondere des okonomischen Lebens in den letzten beiden Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts die soziale Realitat einer postfordistischen^ MarktgeseUschaft^^ hervorgebracht habe (Taylor 1999: 51 ff.). Das quaUtativ Neue an der poUtischen Okonomie der MarktgeseUschaft, vergUchen mit der Industriegesellschaft alterer Pragung, bestehe vor aUem darin, dass hier das Kapital iiber die Ausbreitung der Kultur eines kompetitiven und materialistischen Individualismus kulturell geworden ist (ebd.: 6Iff.). Uber ihre kultureUe Prasenz stiftet die MarktgeseUschaft dabei einen Bezugsrahmen von Wertund Handlungsorientierungen, der personalen Attributen wie Flexibilitat, Innovativitat, Assimilationsfahigkeit und Durchsetzungskraft einen hohen positiven Wert beigibt, wogegen andere personale oder auch soziale Lebenshaltungen wie z.B. LoyaUtat, Achtung vor Autoritat und Traditionen als residual, out of date oder unproduktiv betrachtet werden (ebd.). Die MarktgeseUschaft, so Taylor, fiihre entsprechend im Zuge ihrer Konstitution nicht nur zu einer Abwertung des Geltungsanspruchs tradierter formeUer und informeUer Normen und einem Ansteigen bestimmter DeUkt- und Viktimisierungsraten. Sie fiihre ebenfaUs zu einer Restrukturierung der Gelegenheiten 7
Phanomenologie meint im kriminologischen Kontext die Lehre von den konkreten Erscheinungsbildern strafrechtswidrigen Handelns in einem bestimmten Deliktbereich (z.B. die verschiedenen Erscheinungsweisen des Delikts des Abrechnungsbetmgs bei Arzten). 8 Ziel der aus der Makrookonomie hervorgegangenen Regulationstheorie ist es, jene strukturellen und institutionellen Einflussfaktoren herauszuarbeiten, die die (voriibergehende) Stabilitat der Produktionsverhaltnisse kapitalistischer Gesellschaften sichern konnen. Im Gegensatz zum orthodox-marxistischen Denken wird dabei politischen Prozessen nicht nur eine sekundare, aus der Okonomie abgeleitete Bedeutung beigemessen („Uberbau"). Vielmehr wird der okonomische Wandel selbst als durch kulturelle, politische und soziale Prozesse bedingt angesehen. Als einfiihrende Literatur zur Regulationstheorie und der durch sie getroffenen Unterscheidung fordistischer und postfordistischer Hegemonialstrukturen in der Organisation der kapitalistischen Produktionsverhaltnisse sei an dieser Stelle auf Aglietta 2001 [1979] und Hirsch / Roland 1986 verwiesen. 9 Als Konzept der Reguladonstheorie (s.o.) beschreibt der Begriff des Postfordismus den Modus der Organisation einer kapitalistischen Gesellschaft, die sich von dem Prinzip der standardisierten tayloristischen Massenproduktion als vorherrschendem Produktionsprinzip der fordistischen Industriegesellschaft abgekehrt und parallel hierzu ihren Politikschwerpunkt von sozialpoUtischen Zielen auf die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfahigkeit verlagert hat (vgl. hierzu Jessop 1994: 263). 10 Die MarktgeseUschaft wird dabei gedacht als eine Gesellschaft, „in which everything (from consumer goods to public good[s], like health or educational opportunity) is for sale" (vgl. Taylor 1999: 52).
2.1 Konflikttheoretische Ansatze
und Erscheinungsformen kriminellen Handelns sowie - hiermit verbunden - der vorherrschenden kriminalitatsbezogenen Kontrollen (ebd.: 6). Der Autor rekonstruiert in diesem Zusammenhang an verschiedenen Beispielen einerseits, wie sich die Entwicklung einer individualistischen, kompetitiven Marktkultur auf das AusmaB und die Erscheinungsformen von Kriminalitat auswirkt.^^ Dies betrifft auch Entstehung und Wandel illegaler Markte, etwa in Bezug auf den Waffen- und Drogenhandel (vgl. ebd.: 174ff.). Andererseits zeigt er auf, wie durch den Wandel des AusmaBes und der Erscheinungsformen von Kriminalitat neue Markte nicht zuletzt auch der Sicherheitsindustrie entstehen, die konjunkturell auf Unsicherheitsgefiihle und Kriminalitatsangste in der Bevolkerung reagieren, gleichzeitig aber auch deren Bestand pflegen.^^ Taylor versucht so mit seinen Analysen, eine gegenseitige Durchdringung von Marktvergesellschaftung und Marktkultur auf der einen und Kriminalitatsentwicklung sowie Kriminalitatskontrolle auf der anderen Seite nachzuzeichnen. Kriminalitat und soziale Kontrolle werden entsprechend als Ausdruck und Manifestation einer durch die kapitalistische Produktion beherrschten Gesellschaftsform aufgefasst, die versucht, ihre politischokonomischen Basisstrukturen unter sich wandelnden gesellschaftlichen Umweltbedingungen zu reproduzieren. Bei Taylors Ansatz handelt es sich um ein gelungenes Beispiel dafiir, wie es moglich ist, konflikttheoretische und integrationstheretische Theoriemotive zur Erklarung von Kriminalitat in modernen Marktgesellschaften in einem Mehrebenenansatz miteinander zu verkniipfen.
2.1.3 Kfitik der konflikttheoretischen Ansdt^e Versucht man, den Beitrag der hier nur in Auswahl vorgestellten konflikttheoretischen Ansatze fiir die Rekonstruktion des Zusammenhangs von Markteinfliissen einerseits und der Entstehung delinquenter Handlungsorientierungen andererseits zu bilanzieren, so ist zunachst positiv hervorzuheben, dass das konflikttheoretische Denken im kriminologischen Kontext mehr als andere Ansatze auf eine Mehrebenenanalyse kriminellen Handelns ausgerichtet ist. Es zielt darauf, individuelles soziales Handeln allgemein als Resultante gesellschaftlicher Strukturzusammenhange auf der Makroebene und hier im Besonderen als Ausdruck gegebener Konfliktlagen zwischen Akteursgruppen zu verstehen resp. erklaren zu konnen, die sich hinsichtlich ihrer Marktposition unterscheiden. Dabei wird bevorzugt das jeweilige Verhaltnis gesellschaftlicher Akteure zu den Pro-
11 So sei mit zunehmender Marktvergesellschaftung ein Anwachsen vor allem der Betrugskriminalitat (ebd.: 136ff.), aber auch der Drogenkriminalitat (ebd.: 81 ff.) zu beobachten. Der Riickbau staadich finanzierter Betreuungsangebote fiir JugendHche fiihre parallel hierzu zu einer verstarkten Prasenz junger Menschen auf offendichen Platzen (ebd.: 71 ff.) und - damit verbunden - zu einer Zunahme kriminalitatsbezogener Angste weiter Bevolkerungskreise mit Blick auf diese Population (ebd.: 41 f.). 12 So gebe es etwa auf dem Feld der KriminalitatskontroUe parallel zur Kriminalitatsentwicklung ein Anwachsen privater Uberwachungs- und Sicherheitsdienste sowie ebenfalls eine zunehmende Anzahl von privatwirtschaftlichen Anbietern sowohl fiir den Bau von StrafvoUzugsanstalten als auch fiir die Durchfiihrung von MaBnahmen des Strafv^ollzugs (vgl. ebd.: 216ff.).
10
2. Stand der Forschung
duktionsmitteln als Bezugspunkt der Erklarung kriminellen und auch kriminalisierenden Verhaltens herangezogen. Diese Vorgehensweise pradestiniert die kriminologische Konflikttheorie fiir die Analyse des Einflusses von Marktstrukturen auf das noirmbezogene Handeln von Akteuren. Die mit dem Michael-Hindelang-Ajpard 2000 der American Society of Criminolog/^ ausgezeichnete Untersuchung von Ian Taylor mag in diesem Zusammenhang als Beispiel dafiir stehen, welches Potenzial dieser Ansatz im Rahmen der Mehrebenenanalyse von Kriminalitat und Kriminalitatskontrolle entfalten kann. Gleichwohl bleibt anzumerken, dass der mogliche Erkenntnisgehalt konflikttheoretischer Analysen auf Grund der letztlich monistischen Theoriekonzeption - es geht quasi immer um den Ressourcenkampf zwischen Parteien, die sich beziiglich ihrer Stellung zu den gesellschafdichen Produktionsmitteln unterscheiden — begrenzt ist. Der Duktus der Analyse fiihrt dabei zu einer Unterschatzung des eigenstandigen Einflusses marktexterner gesellschafdicher Ordnungssysteme - wie etwa der gesellschafdichen Gemeinschaft - auf normbezogene Verhaltensorientierungen. So wird grundsatzlich postuliert, dass die Organisation des Marktes das soziale Leben auch in alien anderen Teilbereichen der Gesellschaft bestimme, wobei nicht-okonomische Institutionen im Konzert der gesellschaftlichen Ordnungskrafte bestenfalls die Funktion von Begleitstimmen einnehmen. Dabei bleibt unberiicksichtigt, dass - wie nicht zuletzt die kulturvergleichenden Analysen von Freda Adler (1983) zeigen - Staaten mit einer vergleichbaren Markt- und Wirtschaftsordnung sich auf der Ebene ihrer kommunitar-gemeinschaftlichen Strukturen und infolge ebenfalls auf der Ebene ihrer Kriminalitatsraten maBgeblich unterscheiden konnen (vgl. hierzu auch Braithwaite 1989: 84ff.). Anzumerken bleibt schlieBlich, dass konflikttheoretische Erklarungsmodelle aus dem Umfeld der marxistischen Theorie sich gegeniiber der Wissenschaftskonzeption einer sog. „positiven Kriminologie" und dem Paradigma der empirischen Uberpriifung soziologischer Theorien aus ideologiekritischen Griinden tendenziell verweigern (Sack 1993: 330f.). Empirische Befunde werden so zumeist nur exemplarisch fiir Zwecke der Illustration theoretischer Uberlegungen herangezogen, ohne in diesem Zusammenhang eine systematische Absicherung theoretischer Hypothesen anzustreben. Eine mikroanalytische Fundierung der makrotheoretischen Uberlegungen wird in diesem Zusammenhang in der Kegel nicht geleistet.
2.2 Integrationstheoretische Ansatze Die integrationstheoretische Analyse fasst den Markt als ein gesellschaftliches Ordnungssystem unter anderen auf. Die Betrachtungsweise ist dabei meist funktionalistisch eingefarbt. So wird dem Markt die geseUschaftliche Aufgabe der Verteilung von Giitern zugewiesen. Gleichzeitig gilt er als Ort des wirtschaftlichen Gewinnstrebens und des Wettbewerbs. Diese Ansatze gehen einerseits davon aus, dass die Marktteilnehmer sich
13 Es handelt sich hierbei um die vom Renommee her hochste Auszeichnung, die im angelsachsischen Sprachraum fiir eine kriminologische Veroffentiichung vergeben wird.
2.2 Integrationstheoretische Ansatze
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in ihrem Gewinnstreben idealiter wechselseitig begrenzen und durch die Konkurrenz verschiedener Anbieter und Nachfrager die Marktkrafte in einer quasi natiirlichen Balance gehalten werden (vgl. Durkheim 1992: 328). Zum anderen basiert die Funkdonsweise des Markts nach integrationstheoretischer Sichtweise auf der Geltungskraft der die Marktbeziehungen regulierenden Vertrage. Der Vertrag als das gmndlegende Instrument zur Gestaltung von Marktbeziehungen ruht dabei in seiner Geltungskraft auf auBervertraglichen Grundlagen (vgl. ebd.: 227£): einerseits auf der Fahigkeit des Staates, die Nichteinhaltung eines Vertrags negativ zu sanktionieren, andererseits auf einer Haltung der Vertragssolidaritat (vgl. ebd.: 450f.) und der hieraus resultierenden Selbstverpflichtung der Vertragsparteien. Letztere erwachst aus dem Bewusstsein der Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder im AUgemeinen und der Vertragspartner im Besonderen und ist im Kollektivbewusstsein verankert. Die integrationstheoretische Sichtweise begreift so den Markt in seiner Funktionsweise als von den Reguladonsformen des Rechts bzw. Staates und der gesellschaftlichen Gemeinschaft abhangig und geht in diesem Sinne von einer gegenseitigen Verzahnung der genannten Ordnungssysteme als gesellschaftlicher Funktionssysteme aus. Die durch den integrationstheoretischen Ansatz behauptete Interdependenz zwischen okonomischen und nicht-okonomischen Instimtionen in der gesamtgesellschaftlichen Organisation lasst sich in Anlehnung an Polanyi (1976) auch iiber das Konzept der Einbettung beschreiben. So ist ihm zufolge „die menschiiche Okonomie [...] eingehetiet und eingespannt in okonomische und nicht-okonomische Institutionen. Die Inklusion der nichtokonomischen Institutionen ist dabei von vitaler Bedeutung. So sind Religion oder die Staatsregierung fiir die Struktur und das Funktionieren der Okonomie von ahnUcher Wichtigkeit wie monetare Ressourcen oder die Verfiigbarkeit von Werkzeugen und Maschinen, die die Last der Arbeit erleichtern sollen" (vgl. Polanyi 1976: 147). Im Folgenden soil eine Auswahl integrationstheoretisch konzipierter Ansatze zum Verhaltnis von Markt und Moral vorgesteUt werden, die Theorien dieses Typs in ihrer theoretischen Konstruktionsweise exemplarisch beleuchten sollen. Die Zusammenstellung erhebt dabei allerdings expUzit keinen Anspruch auf VoUstandigkeit
2.2.1 Durkheims Konzept der so^alen Solidaritdt und der anormalen Arheitsteilung Zentrale Bezugsfigur der integrationstheoretischen Ansatze ist, wie soeben angedeutet, Emile Durkheim [1858-1917] mit seinem Konzept der sozialen Solidaritat als Band des gesellschaftlichen Zusammenhalts. In seiner Studie \Jher so^ale Arheitsteilung (Durkheim 1992) steUt er im dritten Buch zu den anormalen Formen der Arheitsteilung heraus, dass eine extrem fortschreitende Arheitsteilung einen Zustand herbeifiihren kann, in dem diese keine organische Solidaritat mehr erzeugt (ebd.: 421), was in der Folge ebenfalls die Vertragssolidaritat gefahrdet. Das Individuum sei in diesem Falle so in seine Aufgabe eingeschlossen, dass es ihm unmoglich werde, iiber diese hinauszuschauen (ebd.). Folge einer solchen Simation ist nach Durkheim das Zerbrechen der gemeinschaftlichen Bande zwischen den am Produktionsprozess Beteiligten und das Aufkommen eines antagonisti-
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2. Stand der Forschung
schen Interessengegensat2es zwischen Arbeit und Kapital (vgl. ebd.: 422). Eine solche Arbeitsteilung fiihre in einen Zustand der standigen Feindschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern (vgl. ebd.: 424) und entsprechend zu einer Aufkiindigung gemeinschaftlicher Verbindlichkeiten zwischen den Marktparteien. Eine GeseUschaft, in der der Grad der SoUdaritat und der gemeinschaftlichen Integration entsprechend defizitar ausgepragt ist, beschreibt Durkheim in seiner Selbstmordstudie (vgl. Durkheim 1987) als durch einen exzessiven Individualismus gepragt (ebd.: 233). Es ist eine GeseUschaft, in der die MitgHeder sich weigern, sich einer Herrschaftsordnung zu unterstellen resp. diese als legitim anzuerkennen (ebd.). Wo der Herrschaftsbefehl der Norm suspendiert resp. in seiner Legitimitat in Frage gesteUt wird, entstehen entsprechend abweichende Verhaltensorientierungen, die um der eigenen Vorteilsnahme wiUen eine Schadigung der geseUschaftlichen Gemeinschaft billigend in Kauf nehmen.
2.2.2 Simmels Analjsen t^ur Wirkung des Geldes in der modemen Foiltur Georg Simmel verortet die normerodierenden Krafte des Marktes weniger in anormalen Formen der Arbeitsteilung als vielmehr in den eigendynamischen Prozessen, die die UmsteUung von einem naturalwirtschaftlichen auf ein geldwirtschaftliches Marktsystem im gesellschaftiichen Leben freigesetzt hat. In seiner Philosophic des Geldes widmet er sich dabei u.a. der Frage, welche Auswirkungen die Ausdifferenzierung der Geldwirtschaft auf das Handeln von Individuen (vgl. Simmel 2000: 254ff., 375ff. und 482ff.) sowie auf den Stil des gesellschaftiichen Lebens (vgl. ebd.: 591 ff.) hat. Seine Uberlegungen zur Ausdifferenzierung eines geldwirtschaftlichen Systems sind dabei eingebettet in eine iibergreifende Theorie sozialer Differenzierung, die ihm zufolge ein spezifisches Kennzeichen der gesellschaftiichen Modernisierung ist. Soziale Differenzierungsprozesse haben nebst der Wirtschaft auch Recht, Kunst und Wissenschaft als eigenstandige gesellschaftUche Subsysteme hervorgebracht. Zentral fur die Entstehung der Geldwirtschaft ist dabei nach Simmel die Ausdifferenzierung des Geldes als Leitmedium wirtschaftlichen Handelns. Diese bewirke, dass wirtschaftHche Akteure ihre Umwelt primar unter dem Gesichtspunkt monetar bezifferbarer Wertrelationen wahrnehmen (ebd.: 121ff.). Als Konsequenz der Entstehung eines geldwirtschaftlichen Systems stellt Simmel analog zur doux-commerce-^htst - zunachst heraus, dass diese pazifizierende Folgen fur das gesellschaftUche Leben habe. So notige das Medium des Geldes geseUschaftUche Akteure - um des Erhalts ihres eigenen VorteUs wiUen - dazu, in Tauschbeziehung zueinander zu treten. Dies habe zur Folge, dass die Haufigkeit der Kontakte der Menschen zueinander steige. Seine pazifizierende, streitreduzierende Wirkung entfaltet das Geld im Besonderen dadurch, dass es zwischen Konfliktparteien als ein Interessenregulativ eigener Art wirkt. Ihm kommt die Aufgabe zu, als gemeinsames Drittes aUer Tauschoperationen das MaBverhaltnis zwischen zwei in Relation stehenden Giitern anzugeben. Es macht hierdurch verschiedensten Tauschinteressenten einen gemein-
2.2 Intefflationstheoretische Ansatze
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samen Boden der Interaktion verfiigbar und wirkt in diesem Sinne fur die Aufnahme von Tauschbeziehungen verschiedenster Art strukturbildend. Der Kontrapunkt zu dem durch das Geld bewirkten Anstieg von sozialen Kontakten ist nach Simmel, dass diese zunehmend unpersonlicher und anonymer werden. Die Tauschpartner begegneten sich nurmehr als Funktionstrager in Ausiibung einer bestimmten Rolle. Das Geld werde dabei nicht nur zum Interessenregulativ, sondern ebenfalls zum dominierenden Thema des Beziehungslebens von Akteuren. In die Gesellschaft und Wirtschaft pragenden Zweck-Mittel-Relationen werde so mit dem Geld ein Mittel eingefiihrt, das - mit Blick auf die durch es realisierbaren Zwecke - von nahezu unbegrenzter Verwendbarkeit ist (ebd.: 254ff.). Aufgrund seiner quasi universalen Verwertbarkeit tragt es einerseits zu einer relativen Entwertung anderer Mittel und Ziele des Handelns bei. Giiter des alltaglichen sowie des Luxusbedarfs werden infolgedessen zunehmend starker nurmehr im Hinblick auf ihren Geld- bzw. Tauschwert wahrgenommen und dabei — losgelost von ihren qualitativen Besonderheiten und ihrer subjektiven Bedeutsamkeit fiir den Einzelnen - auf ihren Geldwert reduziert. Simmel konstatiert in diesem Zusammenhang ebenfalls eine groBere Anzahl psychischer Effekte, die infolge der relativen Entwertung anderer Mittel und Zwecke durch das Geld entstehen und dieses zu einer Art Selbstzweck erheben. Er nennt hier u.a. Geiz und Verschwendungssucht sowie die Haltungen des Zynismus und der Blasiertheit (ebd.: 292ff.). Insgesamt trage die Geldwirtschaft so auch dazu bei, dass der TabuCharakter einzelner Verhaltensverbote aufgeweicht und relativiert wird. So verleite das Geld durch seinen indifferenten Charakter - und hier tritt fiir ihn die normrelativierende Wirkung des Geldes ins Blickfeld — „leicht zu einer gewissen Laxheit und Unbedenklichkeit des Handelns" (Simmel 1983: 91 f.) mit der Folge, dass Menschen ,,m reinen Geldangelegenheiten gewissenloser und zweideutiger [agieren], als dass sie in anderen Beziehungen sittlich Zweifelhaftes taten" (ebd.: 92). Insgesamt forciert die zunehmende Dominanz der Geldwirtschaft in der modernen Gesellschaft nach Simmel in quasi alien Lebensbereichen eine Relativierung des Geltungsanspruchs sowohl tradierter als auch religios und weltanschauHch begriindeter Verhaltensnormen (vgl. ebd.: 716).^^ Insbesondere in wirtschaftlichen und wirtschaftsnahen Beziehungen werde das Geld dabei quasi zum Supremat aUer Wertrelationen, gegeniiber dem sich der Wertanspruch anderer Handlungszwecke mit Blick auf seinen wirtschaftlichen Handlungsnutzen zu rechtfertigen hat. Simmel voUzieht so bereits um das Jahr 1900 eine Gesellschaftsdiagnose, die spater von Habermas unter dem Titel der „Kolonialisierung der Lebenswelt" aktualisiert wird.
14 ,Je mehr das Leben der Gesellschaft ein geldwirtschaftliches wird, desto wirksamer und deudicher pragt sich in dem bewussten Leben der relativistische Charakter des Seins aus" (vgl. Simmel 1989: 716).
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2. Stand der Forschung
22.3 Got^ Briefs' Kon^ept der „ Gren^morar Integrationstheoretisch konzipiert sind ebenfalls die 1920 von dem katholischen Sozialwissenschafder Gotz Briefs formulierten Uberlegungen zur moral- und gemeinschaftszersetzenden Kraft des Markttreibens. Als Schliisselbegriff der Analyse gilt dabei fiir Briefs (1920) der Begriff der Grenzmoral (vgl. hierzu auch Briefs 1957: 97ff.). Hiermit bezeichnet er „ganz allgemein [...] ein Verhalten, wo das Selbstinteresse nicht mehr in andere Wertstrukturen eingebunden und durch keinerlei soziale Verantwortung und SoHdaritat gebandigt ist" (Briefs 1931: 5, zit. nach Rauscher 1977: 331). In seiner Wortwahl sehr stark an soziaUstische Autoren seiner Zeit erinnernd, sieht Briefs die Grenzmoral „als eine Hauptursache fiir den Zerfall der gesellschaftlichen Bindungen der Menschen im kapitalistischen Zeitalter" (ebd.). Es sei „der ,soziale' Mechanismus einer individuaHstisch gelagerten Gesellschaft, der einerseits den Unternehmer zwingt, nur das Gewinninteresse zu verfolgen und aUe iibrigen Riicksichten auf andere kultureUe Werte, auf die sozialen Belange der Belegschaft oder auf die Erfordernisse des Gemeinwohls fallen zu lassen oder zu vernachlassigen" (zit. nach Rauscher 1977: 332). Derselbe soziale Mechanismus notige andererseits aber auch „die Arbeitnehmer, nur ihren eigenen Vorteil zu suchen, ohne Riicksicht auf die Lage des Unternehmens oder ihrer Arbeitskollegen in anderen Betrieben bzw. Branchen oder auch etwa arbeitsloser Mitbiirger" (ebd.). Die Grenzmoral sei in diesem Sinne die „Moral der am wenigsten durch moraUsche Hemmungen im Konkurrenzkampf behinderten Sozialschicht, die auf Grund ihrer Mindestmoral unter iibrigens gleichen Umstanden die starksten Erfolgsaussichten hat und sohin die iibrigen Gruppen bei Strafe der Ausschaltung vom Wettbewerb zwingt, allmahlich [...] sich dem jeweiUgen tiefsten Stande der Sozialmoral anzugleichen" (ebd.). Die Ausbreitung einer Grenzmoral im gesellschaftlichen Leben ist bei Briefs so Teil einer gesamtgesellschaftUchen Krisendiagnose, der zufolge die expansive Dynamik einer sich entfaltenden kapitalistischen Wirtschaftsweise Prozesse des gesellschaftlichen Zerfalls bewirkt und vorantreibt.
2.2,4 Polanyis„Great Transformation'^ Der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1976) geht in seiner Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der biirgerlichen Marktgesellschaft - dargestellt am Beispiel des soziookonomischen Wandels im England des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts explizit von einer selbstzerstorerischen Eigendynamik in der Entfaltung der Krafte des freien Marktes aus. So entfaltet Polanyi in seinem Werk The great Transformation (ebd.) die These, dass die Herausbildung einer liberalen Marktokonomie mit ihrem „freien Spiel der PCrafte" zu jener „Herauslosung des Marktsystems gegeniiber der Gesellschaft" gefiihrt habe, die historisch eine Zasur darsteUe und die biirgerliche Marktgesellschaft von anderen Gesellschaftsformationen maBgeblich unterscheide. Mit dem Ausdruck der Great Transformation bezeichnet Polanyi entsprechend den Ubergang von integrierten Gesellschaften, in denen die wirtschaftlichen Aktivitaten der Individuen in
2.2 Integrationstheoretische Ansatze
1_5^
einen iibergreifenden kulturellen Zusammenhang eingebettet waren, hin 2ur nicht integrierten Gesellschaft mit dem sie beherrschenden Ordnungssystem einer freien Marktwirtschaft. Wahrend in nicht-kapitalistischen Gesellschaften „die Wirtschaftsordnung bloB eine Funktdon der Gesellschaftsordnung ist" und zu dieser in einem Verhaltnis der Abhangigkeit steht, kehre der Kapitalismus dieses Verhaltnis um. „So ist die Okonomik der kapitalistischen Gesellschaft in einem spezifischen Sinne autonom gegeniiber alien iibrigen sozialen Spharen" (ebd.: 178). Es ist dabei Polanyis Uberzeugung, dass eine Wirtschaftsordnung wie die des selbstregulierenden Marktes, die sich in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts ungehemmt entfaltet hat, ihre eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen und in diesem Sinne ihre sozial-moralische Basis zerstort. Um dieser Selbstzerstorung entgegenzuwirken, sei sie darauf angewiesen, Krafte zu entwickeln und „aus sich heraus zu setzen", die dieser zerstorerischen Tendenz Einhalt gebieten.
2.2.5 Habermas' These von der Kolonialisierung derljehenswelt
Habermas' Leitthesen zum Verhaltnis von Markt und Moral finden sich vor allem im zweiten Band seiner Theorie des kommunikativen Handelns. Sie stehen unter dem Titel „Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft". Im Zentrum steht dabei die Rekonstruktion der Entstehung moderner Gesellschaften iiber Prozesse der funktionalen Differenzierung und Systembildung, begleitet von einer kritischen Analyse der externalen Effekte systemischer Prozesse, die er unter den Titel „KoloniaHsierung der Lebenswelt" stellt. Habermas beschreibt die Strukturverhaltnisse der modernen Gesellschaft iiber die Leitunterscheidung von System und Lebenswelt (vgl. Habermas 1995b: 171ff). Der Begriff der Lebenswelt wird von ihm dabei als Komplementarbegriff zu dem des kommunikativen Handelns eingefiihrt (vgl. ebd.: 182). Er bezeichnet einerseits formal den Horizont des impliziten Wissens und der normativen Setzungen, vor deren Hintergrund kommunikative Verstandigung und kommunikatives Handeln erst moglich werden. Der Begriff rekurriert andererseits auf den sprachlich organisierten Vorrat an Deutungsmustern und sozial geteilten Wissensbestanden, iiber den Individuen ihre Lebenssituation zu einem gegebenen Zeitpunkt wahrnehmen, definieren und gestalten (vgl. ebd.: 203). Beide zusammen. System und Lebenswelt, konstituieren Habermas zufolge die Gesellschaft. Zentral fiir seine Theorie der Entstehung moderner Gesellschaften ist die Annahme einer gerichteten Logik gesellschaftlichen Wandels. GesellschaftHche Evolution wird dabei u.a. als Prozess der strukturellen Differenzierung beschrieben, in dessen Rahmen sich System und Lebenswelt zunehmend voneinander entkoppeln (vgl. ebd.: 229f£). Soziale Handlungssysteme wie etwa Staat, Recht und Wirtschaft werden aus lebensweltlichen Zusammenhangen ausgegliedert und folgen in ihren organisationalen Prozessen einer Logik der Selbsterhaltung. Konstitutiv fiir die Entstehung sozialer Handlungssysteme ist dabei die Ausdifferenzierung entsprachlichter Steuerungs- und Kommunikationsmedien — wie etwa das Medium des Geldes im Falle der Wirtschaft —, die Entscheidungsprozesse quasi in beschleunigter und automatisierter Form ermoglichen (ebd.:
16
2. Stand der Forschung
273). Die Funktion dieser Medien besteht vor allem darin, gesellschafdiche Akteure vor dem Hintergrund einer zunehmenden Komplexitat sozialer Abstdmmungsprozesse von der Notwendigkeit einer permanenten Verstandigung zu endasten (vgl. ebd.: 272f.). So beruht lebensweldich verankertes, kommunikatives Handeln auf der Verstandigung iiber Zwecke und Ziele der Interaktion. Die iiber Steuerungsmedien geleiteten Interaktionen in systemischen Handlungskontexten basieren demgegeniiber auf dem Prinzip einer funktionalen Logik. Fiir Akteure bedeutet dies, dass sie ihr Handeln im systemischen Kontext an den funktionalen Erfordernissen der Systeme ausrichten miissen. Die Ziele und Zwecke ihres Handelns sind ihnen durch die Leitimperative des Systems vorgegeben und im systemischen Kontext entsprechend nicht mehr verhandelbar. Habermas' Kritik der systemisch-funktionalen Steuerungslogik moderner Gesellschaften bindet sich an die Diagnose, dass die Kommunikationsmedien der ausdifferenzierten gesellschaftlichen Funktionssysteme nicht nur dazu tendieren, sich vollstandig von den lebensweltlichen Geltungskriterien kommunikativer Rationalitat zu losen. Vielmehr wirken sie umgekehrt auf die lebensweltliche Ordnung zuriick und iiberformen diese mit den Rationalismen ihrer je eigenen Funktionslogik. So bedeutet etwa die Herausbildung des Wirtschaftssystems iiber die Ausdifferenzierung des generalisierten Steuerungsmediums Geld nicht nur eine Entbettung und Trennung des erfolgsorientierten vom verstandigungsorientierten Handeln. Sie hat ebenfalls zur Folge, dass verstandigungsorientierte Handlungsprozesse infolgedessen auch zunehmend selbst unter Erfolgsdruck geraten und unter dem Gesichtspunkt aufzuwendender Transaktionskosten bewertet, ggf. auch abgebrochen werden. In Konsequenz spricht Habermas auch von einer illegitimen Invasion systemischer Imperative in die lebensweltlichen Verhaltnisse bzw. von einer „Kolonialisierung der Lebenswelt" durch funktionale Handlungssysteme wie etwa Wirtschaft und Politik (vgl. u.a. ebd.: 293, 522). Die systemische Kolonialisierung der Lebenswelt driickt sich nach Habermas vor alien Dingen darin aus, dass die kommunikativ strukturierten Lebensbereiche zunehmend den Imperativen verselbststandigter, formal organisierter Handlungs systeme unterworfen werden.^^ Immer mehr Bereiche des Lebens, die in friiheren Zeiten von sprachHcher Verstandigung getragen wurden, so der Tenor dieser Diagnose, werden heute von den Sachzwangen der Okonomie und Biirokratie iiberformt. Okonomische und biirokratische Rationalismen sickern quasi in alle Poren der Lebenswelt ein. Der Konsens als Basis der Sozialitat weicht so zunehmend einer externen, manipulativen Regelung, die gleichzeitig den Geltungsanspruch konsensueU verbiirgter normativer Regeln zunehmend aushebelt. Gerade hier ergibt sich ein Anschluss an die Leitthese von der Verdrangung des homo communis durch den homo oeconomicus. 7.w2it geht Habermas in seinen Ausfiihrungen zum Thema nicht explizit auf die relative Haufigkeit prosozialen oder amoralischen Verhaltens ein, um seine Leitthese zu iUustrieren. Gleichwohl sind seine Uberlegungen zur Kolonialisierung der Lebenswelt und zu den „systemisch induzierten Lebensweltpathologien" 15 Habermas beschreibt seine Kolonialisiemngsmetapher mit den folgenden Worten: „Die Imperative der verselbstandigten Subsysteme dringen [...] von auBen in die Lebenswelt - wie Kolonialherren in eine Stammesgesellschaft - ein und erzwingen die Assimilation" (ebd.: 522).
2.2 Intefflationstheoretdsche Ansatze
17
(vgl. ebd.: 293) der Moderne theoretisch kompatibel 2u der Selbstzerstorungsthese des Marktes, die besagt, dass die Steuerungslogik des Marktes 2u einer Erosion der gemeinschaftlichen Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beitragt.^*^
2.2.6 Die kommunitaristische Marktkritik In der jiingeren sozialwissenschafdichen Diskussion wird die These von der fortschreitenden Erosion der gemeinschafdichen Grundlagen des gesellschafdichen Zusammenlebens durch den Markt in erster Linie von Autoren aus dem Umfeld der kommunitaristischen Bewegung wie etwa Robert Bellah und Mitarbeitern (1987, 1992) oder auch Amitai Etzioni (1998) vertreten. Die kommunitaristische Bewegung richtet sich dabei vor aUem gegen das Menschenbild einer liberalen oder auch libertaren GeseUschaftskonzeption, die den gesellschaftUchen Akteur — losgelost von den Gemeinschaften, denen er angehort - als „ungebundenes Selbst" (vgl. Sandel 1993: 23) oder auch als „atomisiertes" Individuum (vgl. Taylor 1985) begreift, das seine Handlungen rationalegoistisch nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten frei wahlt. Das Vordringen dieses Menschenbildes in das Selbstverstandnis geseUschaftlicher Akteure, so hier die Annahme, trage zur Erosion der gemeinschafdichen Bindungen zwischen den Angehorigen eines Gemeinwesens bei. Es bewirke damit auch die Zerstorung der moralischen Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die gerade in den Bindungen der gesellschaftlichen Gemeinschaft verankert seien (vgl. hierzu im kriminologischen Kontext auch Braithwaite 1989: 141 ff.). Die kommunitaristische Marktkritik stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass das Menschenbild des Liberalismus u.a. durch eine individualistische Marktkulmr verbreitet werde und entsprechend auch das Selbstverstandnis der auf dem Markt agierenden Akteure pragt. Eine Vorherrschaft des Marktes im Konzert der gesellschaftlichen Ordnungskrafte gehe entsprechend mit der Expansion einer individuaUstischen Marktkultur einher — mit der Folge eines Riickgangs des prosozialen Engagements geseUschaftiicher Akteure und einer Vernachlassigung des Gemeinwesens resp. des Gemeinwohls. Entsprechend konstatieren Bellah und Mitarbeiter in ihrem Aufsatz Gegen die Tyrannei des Marktes: „Eine Wirtschaftsideologie, die Menschen zu unablassigen Markt-Maximatoren verwandelt, unterminiert ihr Engagement in Familie, Kirche, Nachbarschaft und Schule und fur die groBen staatlichen und globalen Gesellschaften" (Bellah et al. 1992: 62).^" Neben dem verpflichtenden Charakter gegebener gemeinschaftlicher Obligationen erodiere hier auch die Identifikation mit dem Gemeinwesen und infolgedessen der Geltungsanspruch formal-rechtlicher Normen, die intendieren, die 16 Anzumerken bleibt, dass der Systemtheoretiker Helmut Willke in den Achtziger Jahren - ungeachtet des hohen Abgrenzungsbediirfnisses gegeniiber der von Habermas vorgenommenen Dichotomisierung der Weltverhaltnisse - an dessen Diagnose von den systemisch induzierten lebensweltlichen Pathologien anschlieBt. Er entwickelt in diesem Zusammenhang sein Konzept der dezentralen Kontextsteuerung, das darauf zielt, in den operadonal geschlossenen Systemkontext der Okonomie systemfremde Zwecke hineinzuassoziieren, ohne die systemische Autonomie der Okonomie zu storen (vgl. WiUke 1987). 17 Ahnlich argumentiert in der Sache Robert Putnam (1996) in seinen Analysen zum Riickgang des sozialen Kapitals in der u.s.-amerikanischen Gesellschaft.
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2. Stand der Forschung
kollektiven Giiter des Gemeinwesens abzusichern. Die Autoren fordern in dieser Situation, dass gesellschaftliche Basisinstitutionen wie Familie, Schule und Nachbarschaft gegen das Vordringen kapitalistischer Soziaibeziehungen in immer neue gesellschaftliche Teilbereiche geschiitzt werden miissen.
2.2.7 Marktkultur und Wertewandel Ebenfalls im Einklang mit den kommunitaristischen Uberlegungen zur Unterminiening der Gemeinschaftsmoral dutch den Einfluss der Marktkultur diagnostiziert Fend (2002: 169f.) in seiner So^algeschichte des Aufwachsens im ^an^gsten Jahrhundert angesichts der zunehmenden sektoralen Hegemonic des Marktes in der Bundesrepublik [sowie in anderen westlichen Gegenwartsgesellschaften] eine allgemeine Krise des Wertesystems. So werde die Wertebasis moderner Gesellschaften, die ihm zufolge im okzidentalen Rationalismus und dem mit ihm verwobenen Prinzip der innerweltlichen Askese seine Wurzel hat, dutch eine okonomisch basierte, hedonistische Wertestruktur gefahrdet, wie sie von der Werbeindustrie als Konsum- und Genussorientierung propagiert wird. Das hieraus resultierende Spannungsverhaltnis werde dabei insbesondere bei den nachwachsenden Generationen, die noch keine Erfahrung mit disziplinierter Berufsarbeit (und gesellschaftlicher Niitzlichkeit) haben, zu Gunsten einer „hedonistischen Weltdeutung" gelost (vgl. Lamnek und Mitarbeiter 2000: 35), zu Lasten wiederum des Geltungsanspruchs rechtlicher Normen und gemeinschaftlicher Obligationen, die den Bestand gegebener sozialer Strukturen innerhalb des Gemeinwesens sichern sollen. Ohne in diesem Zusammenhang explizite Beziige zur Marktentwicklung zu entfalten, berichtet ebenfalls der Speyrer Werteforscher Helmut Klages (1988, 1997) in seinen Studien zum Wertewandel in der Bundesrepublik von einem relativen Bedeutungsverlust traditioneller Pflicht- und Akzeptanzwerte zu Gunsten individualistischer Werte der Selbstentfaltung und des hedonistischen Materialismus. Parallel hierzu beobachtet Klages (1988: 85f.) eine zunehmende Distanzierung in der Haltung des Burgers gegeniiber dem Staat. „Die ,Staatssympathie' der Burger sei dabei auf die Leistungsfahigkeit und Leistungswilligkeit des ,Sozialstaats' bei Beriicksichtigung individueller Bediirfnisse bezogen, wobei sich eine ,Anspruchshaltung' gegeniiber dem Staat institutionalisiert habe, die sich im Einfordern verbiirgter und Fordern erweiterter Anspriiche niederschlage". Lamnek und Mitarbeiter (2000: 38) ziehen diese Uberlegungen u.a. zur Erklarung der Zunahme von Formen sozialer Devianz wie Leistungsmissbrauch und Steuerhinterziehung in den 80er und friihen 90er Jahren heran.
2.2.8 Kritik der integrationstheoretischen Ansdt^ Bilanziert man den Beitrag der vorgestellten integrationstheoretischen Ansatze fur die Rekonstruktion des Zusammenhangs von Markteinfliissen einerseits und der Entstehung normbezogener Orientierungsmuster andererseits, so lasst sich zunachst anmer-
2.2 Integrationstheoretische Ansatze
\9_
ken, dass die parallele Beriicksichtigung von Markt, Staat bzw. Recht und Gemeinschaft als jeweils eigenstandigen gesellschaftlichen Ordnungssystemen - verglichen mit den konflikttheoretischen Ansatzen - hinsichtlich ihrer theoretischen Kompatibilitat und Anschlussfahigkeit erklarungstechnische Vorteile impliziert. So wird es hier moglich, die Gesellschaftsdiagnosen der konflikttheoretischen Autoren als Sonderfalle gesellschaftlicher Desintegration zu reformulieren. Gleichwohl weist die Integrationstheorie auf konzeptueller Ebene auch verschiedene Schwachpunkte auf: So verbinden sich integrationstheoretische Ansatze implizit mit der Annahme eines Gleichgewichtszustands („state of equilibrium"), d.h. des Zustands einer gelungenen Integration aller gesellschaftlichen Teilsysteme, der den Bestand einer Gesellschaft unter gegebenen Umweltbedingungen optimal sichert. Die Ansatze sind allerdings nicht ohne weiteres in der Lage, operationale Kriterien fiir einen gesellschaftlichen Gleichgewichtszustand zu benennen. In diesem Zusammenhang stellt sich fiir Theorien dieses Typs auch das Problem, zwischen systemgefahrdenden Zustanden gesellschaftlicher Desintegration und Formen sozialen Wandels angemessen zu unterscheiden (vgl. zu der genannten Problematik u.a. Turner 1991: 142ff.). Doch auch unter inhaltHchen Gesichtspunkten sind integrationstheoretische Ansatze mit ihrer These von der „Okonomisierung des Sozialen" nicht ohne Widerspruch geblieben. So ist die Annahme, das ausdifferenzierte Marktsystem befordere durch seine starke Betonung der Marktrationalitat den utilitaristischen Individualismus und verzehre sukzessive auBerokonomische Wertbeziige, Motivstrukturen und HandlungsrationaHtaten unter den Zweckvorgaben des Marktes, theoretisch alles andere als zwingend. Kraemer (1997: 293ff.) stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass Individuen auf dem Markt zwar dazu verdammt seien, unter Androhung des sonst erwartbaren okonomischen Untergangs rechenhaft zu kalkulieren und ihre okonomischen Bestrebungen daraufhin auszurichten, Geldmittel zu erwerben. Damit ist aber nicht notwendig gesagt, dass das Geld als Instrument der okonomischen Verhaltenssteuerung dariiber hinaus die Reproduktionssphare des privaten Alltags einfarbt bzw. „koloniaHsiert" und den Individuen eine — alle Handlungsbereiche umfassende Lebensfuhrung im Sinne des homo oeconomicus aufdrangt. Aus der Perspektive der Theorie der funktionalen Differenzierung betrachtet, lage hier vielmehr die Annahme nahe, dass Akteure nur funktional ins Marktgeschehen integriert sind (vgl. ebd.). Dann sind ihre individuellen Absichten und Motive zwar innerhalb des Marktgeschehens auf wirtschaftlichen Aufstieg und Wettbewerbsfahigkeit, Einkommens- und Gewinnchancen ausgerichtet. „Es sind [dabei] jedoch nur jene Seiten des Subjekts in den SystemaUtag des Marktes integriert, die fiir den Funktionsablauf okonomischer Tatigkeiten bedeutsam sind" (ebd.). Die Frage nach der Kolonialisierung oder auch einseitigen Penetration nicht-okonomischer gesellschaftUcher Institutionen und Teilsysteme durch den Markt ist entsprechend eine Frage, die theoretisch verschiedene Antworten zulasst und die entsprechend einer empirischen Klarung bedarf.
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2. Stand der Forschung
2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen Ungeachtet der soeben formulierten theoretischen Einwande hat sich in soziologischen Analysen der Kriminalitat spatestens seit den 1930er Jahren die These von der Erosion rechtlicher und moralischer Bindungen durch den kulturelkn Einfluss einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung etabliert. Die Analyse des Zusammenhangs zwischen okonomischen Imperativen einerseits und der Freisetzung delinquenter Orientierungen andererseits stand dabei von Anfang an unter der Vorherrschaft der ebenfalls integrationstheoretisch konzipierten Anomietheorie und der Interpretation erhohter Kriminalitatsraten als Ausdruck und Folge der kulturellen Desintegration einer durch das System des freien Marktes dominierten Gesellschaft. Die in der Kegel makrosoziologisch konzipierten Beitrage zielen dabei auf eine Erklarung der hohen Kriminalitatsraten, vor allem in der U.S.-amerikanischen Gesellschaft, die den Autoren iiber Jahrzehnte als idealtypische Verkorperung einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung gait.
2.3.1 So^alstruktur undAnomie hei Merton So stellte bereits Merton (1995, orig. 1938) in seinem klassischen Essay „Social Structure and Anomie" unter Verweis auf Durkheim heraus, dass eine Gesellschaft, die das Streben nach materieUem Erfolg und sozialem Aufstieg zum Leitmotiv ihres kultureUen Selbstverstandnisses erhebt, bei ihren Mitgliedern ein materieUes Streben nach Unendlichkeit hervorbringt, das in Situationen auftretender Ziel-Mittel-Diskrepanzen zur Abwertung des Geltungsanspruchs rechtlicher Normen fiihren konne.^^ Die Besonderheit der Merton'schen Anomietheorie besteht darin, dass sie nicht von einer linearen Verkniipfung kultureU vorherrschender Strukturmuster auf der einen und der Entstehung abweichender Verhaltensorientierungen auf der anderen Seite ausgeht. Durch das Konzept der Ziel-Mittel-Diskrepanz setzt sie fiir die Erklarung sozialer Devianz vielmehr auf die Annahme einer Wechselwirkung zwischen kultureU vorgegebenen Zielen und Opportunitatsvorstellungen einerseits und der sozialstrukmrell gegebenen Verteilung legitimer Mittel zur Zielrealisierung andererseits. Von zentraler Bedeutung ist auf der einen Seite der Befund, dass in der amerikanischen Kultur die Akzentuierung okonomischer Erfolgsziele, deren Realisierung prinzipiell jedem offen stehe, zunehmend von einer entsprechenden Betonung der legitimierten Verfahren zur Verfolgung dieser Ziele abgekoppelt wird (ebd.: 135). Dies heiBt, dass die Wahl alternativer Verfahren zur Zielerreichung statt durch Regeln des rechtlich Erlaubten zunehmend durch Kriterien des technisch Machbaren und MogHchen bestimmt wird (vgl. ebd.: 129). Diese Disbalance in der Betonung der gesellschaftlich erwiinschten Ziele und der sozial legitimierten Wege zur Zielerreichung gilt bei Merton als Anomie (vgl. ebd.: 130). Auf der anderen Seite der Merton'schen Analysen steht die Beobachtung, dass die legitimen Mittel zur Realisierung von Zielen des sozialen Aufstiegs und wirtschaftlichen
18 Vgl. Merton 1995, S.131f£
21
2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen
Wohlstands in der amerikanischen Gesellschaft sozial ungleich verteilt sind. Das Stratifikatdonssystem benachteiligt hier insbesondere die Angehorigen der unteren sozialen Schichten, die auf der Ebene etwa der Versorgung mit Bildungsgiitern — begriffen als Voraussetzung fiir die Besetzung hoherer beruflicher Statuspositionen - vergleichsweise unterprivilegiert sind. Unter der Annahme der Situation einerseits der kulturellen Disbalance in der Betonung geseilschaftlich erwiinschter Ziele und der legitimen Mittel zur Zielerreichung sowie andererseits der sozial ungleichen Verteilung legitimer Mittel in einer Gesellschaft steigt die WahrscheinUchkeit, dass strukturell benachteiligte Gesellschaftsmitglieder in Situationen erlebter Ziel-Mittel-Diskrepanzen verstarkt innovative Wege zum Erwerb von Status und Ansehen beschreiten (vgl. ebd.: 136ff.). Dies meint nach Merton solche Wege, die eine Verletzung der institutionalisierten Normen der Gesellschaft billigend in Kauf nehmen (vgl. ebd.: 136ff.). Wichtig ist, dass Anomie im Sinne einer Disbalance in der Betonung der gesellschaftHch erwiinschten Ziele und der sozial legitimierten Wege zur Zielerreichung bei Merton zunachst und primar ein kultureUes Phanomen beschreibt, das auf der Ebene der gesellschaftlichen Wert- und Normorienderungen in Erscheinung tritt (vgl. ebd.: 156). Gleichwohl entsteht dieses Phanomen vor dem Hintergrund einer sozialstrukturell gegebenen Situation, in der Akteuren legitime Mittel zur Realisierung erwiinschter Zwecke nicht verfiigbar sind (ebd.). Anomie ist in diesem Sinne bei Merton das Resultat der Desintegration zwischen der kulturellen und der sozialen Struktur einer Gesellschaft (ebd.). Abbildung 2.3.1: Mertons Theorie der Anomie als Folge der Desintegration von kultureller und sozialer Struktur
Kulturelle Struktur Universelle Erfolgsziele
/////
. 1 Soziale Struktur
/ / / //
normative Definition legitimer Mittel 1
r
E r f o l g s z i e l e - legitime Mlttel
Anomie
Kriminalitat Quelle: Messner 2003: 96, eigene Bearbeitung.
Ungleiche Verteilung legitimer Mittel
22
2. Stand der Forschung
Ungeachtet des fruchtbaren konzeptuellen Rahmens der Merton'schen Theorie fiir die Analyse der gesellschafdichen Entstehungszusammenhange abweichenden Verhaltens und ungeachtet im Ubrigen auch der von Cloward und Ohlin (1960; vgl. auch Cloward 1968) mahnend hervorgehobenen Vernachlassigung des Faktors illegitimer Gelegenheiten im Merton'schen Theoriemodell - bleibt anzumerken, dass sich seine Theorie bei der Analyse sozialstruktureller Ursachen von Anomie auf die Betrachtung des geseUschaftlichen Stratifikationssystems und dessen Implikationen fiir die Verteilung legitimer Mittel beschrankt (vgl. Messner 2003: 96). Neben der Schichtzugehorigkeit werden jedoch von Merton weitere Aspekte der sozialen Struktur kaum beriicksichtigt. Dariiber hinaus bleibt in der Merton'schen Theorie ebenfalls das Verhaltnis zwischen kultureller und sozialer Struktur mit Blick auf eine mogliche Komplementaritat und Interdependenz zwischen den Strukturgegebenheiten unterbelichtet. Damit vernachlassigt sie ein grundlegendes soziologisches Erklarungsprinzip, namlich dass Kultur und soziale Struktur miteinander verwoben sind.
2.3.2 Curries Analjsen ^u „Market, crime and community'' Ebenfalls unter Beriicksichtigung des Zusammenhangs soziokultureller und sozialstruktureller Einflussfaktoren versucht Elliott Currie in seinen Analysen zu Markt, KriminaHtat und Gemeinschaft (1990, 1991, 1997, 1998), verschiedene interdependent miteinander verkniipfte Wirkungsmechanismen zu benennen, die in postindustriellen kapitaHstischen Gesellschaften zur Entstehung einer erhohten Kriminalitatsbelasmng beitragen. Das besondere Augenmerk des Autors richtet sich dabei auf die Erklarung von Gewaltkriminalitat im internationalen Vergleich. Als Referenz gelten auch hier die vergleichsweise stark erhohten Kriminalitatsziffern in der u.s.-amerikanischen Gesellschaft. Zentraler Bezugspunkt der theoretischen Uberlegungen Curries ist das idealtypisch begriffene Konzept der postindustriellen Marktgesellschaft. Als MarktgeseUschaften gelten ihm dabei per Definition solche Gesellschaften, „in which the pursuit of personal economic gain becomes increasingly the dominant organizing principle of social life" (ders. 1997: 151f.; vgl. ebenso ders. 1991: 255 und ders. 1998: 134). Sie beschreiben eine soziale Formation „in which market principles, instead of being confined to some parts of the economy, and appropriately buffered and restrained by other social institutions and norms, come to suffuse the whole social fabric - and to undercut and overwhelm other social principles that have historically sustained individuals, families and communities" (ders. 1997: 152). Wichtig ist, dass Currie iiber das Konzept der Marktgesellschaft implizit einen fortschreitenden Prozess der sozialen Desintegration (vgl. ebd.: 148; ders. 1998: 133f.) ins Bild setzt, in dessen Rahmen der regulierende Einfluss vor allem kommunitar-gemeinschaftlicher Institutionen dutch die Imperative des Marktes zuriickgedrangt wird. Die Uberlegung ist im Weiteren, dass ein erhohtes MaB an Gewaltkriminalitat als Ausdruck und Folge dieser Form sozialer Desintegration in Erscheinung tritt (ders. 1997: 148). Von herausragender Bedeutung sind Currie zufolge dabei erstens die Veranderungen der materiellen und psychosozialen Versorgungs-
2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen
23
strukturen infolge von Arbeitslosigkeit und Billiglohnbeschaftigungen. Sie zementieren bzw. vergroBern bestehende soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft und bewirken, dass sich Formen der okonomischen Deprivation bei je bestimmten gesellschaftlichen Gruppen konzentrieren (ebd.: 155ff., 168; vgl. ders. 1998: 135ff.). Zmitens fiihrten Prozesse der Marktvergesellschaftung infolge zunehmender zeitlicher und raumlicher FlexibiHtats- und Mobilitatsanforderungen zu einer Erosion informeller lokaler Netzwerke sozialer Kontrolle und sozialer Unterstiitzung, mit der Folge, dass eine effektive Beaufsichtigung und Sozialisation Jugendlicher im Nachbarschaftskontext nicht mehr gewahrleistet ist (ders. 1997: 160f.; ders. 1998: 137f.). Drittens fordere die Marktgesellschaft die Ausbreitung einer materialistischen Kultur des Besitztums und Konsums sowie eines quasi darwinistischen Wettbewerbs um Status und Ressourcen (ders. 1997: 161ff.; ders. 1998: 140ff.). Diese Mechanismen fiihrten dabei im Zusammenwirken (ders. 1997: 150, 168) einerseits zur Ausbreitung psychosozialer Stressoren sowie zur Erosion konventioneller sozialer Bindungen und andererseits zur Verstarkung einer Kultur der Konkurrenz um Ansehen und Status, die im Zusammenwirken die Wahrscheinlichkeit fiir das vermehrte Auftreten delinquenter Gewalthandlungen erhohen. Vergleicht man den Erklarungsansatz Elliott Curries mit dem Robert K. Mertons, so fallt auf, dass Currie im Gegensatz zu Merton seinen Blick iiber das gesellschaftliche Stratifikationssystem hinaus auf kommunitar-gemeinschaftliche Strukturen wie Partnerschaft und Familie sowie auf informelle Netzwerke der sozialen KontroUe und der sozialen Unterstiitzung lenkt. Seine Ausfiihrungen zum Ineinandergreifen von kultureUen und sozialstrukturellen Bedingungsfaktoren bei der Kriminalitatsverursachung bleiben dabei allerdings trotz - oder vielleicht auch wegen — seines Insistierens auf dem Prinzip einer holistischen Methode der theoretischen Reflexion (vgl. ebd.: 150) unsystematisch. Es fehlt ein expliziter theoretischer Bezugsrahmen, iiber den die benannten Einflussfaktoren integrativ miteinander verzahnt werden konnen.
2.3.3 MessnerundKosenfelds ^InstitutionalAnomie Theory'' An dieser Stelle beschreiten Messner und Rosenfeld (1997a [orig.: 1994], Rosenfeld/Messner 1997, Messner 2004) mit ihrer Institutional Anomie Theory of Crime (L4T), die von den Autoren als Weiterfiihrung der Merton'schen Theorie gedacht ist, instruktivere Wege. Auch Messner und Rosenfeld nehmen als Ausgangspunkt ihrer Analysen auf die im internationalen MaBstab erhohte Kriminalitatsbelastung der u.s.-amerikanischen Gesellschaft Bezug, wobei sie sich im Besonderen der Betrugs- und Eigentumskriminalitat zuwenden. Ahnlich wie Currie (s.o.) wahlen sie als Explanans ihrer Theorie das Zusammenwirken der kulturellen und sozialen Struktur postindustrieller Marktgesellschaften (vgl. Rosenfeld/Messner 1997: 213; Messner 2004: 99). Ihr Analyserahmen ist dabei jedoch im Vergleich zu Currie - in starker Anlehnung an Merton — systematischer angelegt. Messner und Rosenfeld (1997a: 60ff.) zufolge lasst sich das kulturelle Ethos von Marktgesellschaften iiber distinkte Wertorientierungen beschreiben. Zentral sind in
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2. Stand der Forschung
diesem Zusammenhang die verstarkte Bindung an Ziele und WertmaBstabe des materiellen Erfolgs, eine erhohte individualistische Orientierung und eine Haltung des monetaren Fetischismus: Geld wird hier also quasi als universelle Wahrung und als MaBstab des Erfolgs begriffen (vgl. auch Rosenfeld/Messner 1997b: 214; Messner 2004: 98f.). Die Autoren heben hervor, dass eine Abwertung gesellschafdicher Legitimitatsnormen, die die Handhabung legitimer Mittel fiir die Zwecke der Zielerreichung regulieren sollen, nicht notwendig Bestandteil der kulturellen Struktur einer Marktgesellschaft sein muss (vgl. Rosenfeld/Messner 1997b: 215). Vielmehr gehen sie davon aus, dass dieses den Zustand der Anomie definierende Strukturmerkmal zwischen verschiedenen Marktgesellschaften variiert (ebd.). So ist ebenso vorstellbar, dass eine Starke Bindung an okonomische Erfolgsziele und eine Kultur der Konkurrenz sich mit einer meritokratischen Leistungsethik verbindet, die im Duktus der Protestantischen Ethik Max Webers (1988) mit einer hohen Normbindung einhergeht. Analog zu Merton sind kulturelle Wertorientierungen allerdings nur eine Komponente in dem Modell sozialer Organisation, das Messner und Rosenfeld ihren Analysen des gesamtgeseUschaftlichen KriminaUtatsaufkommens zu Grunde legen (vgl. Rosenfeld/Messner 1997b: 212f.; Messner 2004: 99). Daneben stehen die sozialstrukturellen Institutionen, die ihnen zufolge einerseits als Ausdruck und Gerinnungsprodukt der kulturellen Orientierungen verstanden werden konnen, diese gleichzeitig aber auch stiitzen und tragen. Neben der Okonomie gelten den Autoren als gesellschaftliche Basisinstitutionen ebenfalls die PoUdk, die Famiiie und das Erziehungssystem.^^ Funktionalistischen Basisannahmen folgend gehen Messner und Rosenfeld in diesem Zusammenhang davon aus, dass das Zusammenwirken der gesellschaftHchen Basisinstitutionen zu einem gewissen Grad koordiniert sein muss, damit eine GeseUschaft auf Dauer Bestand haben kann (ebd.). Um die strukturelle Dynamik im Verhaltnis dieser Basisinstitutionen zueinander beschreiben zu konnen, verwenden die Autoren das Konzept der institutional balance of power {y^. Messner/Rosenfeld 1997a: 68ff.; Messner 2004: 99). Das zentrale Merkmal in der Sozialstruktur von Marktgesellschaften ist den Autoren zufolge, dass hier der Markt die institutional balance of power zwischen den gesellschaftlichen Basisinstitutionen von Okonomie, Famiiie, Schule und Erziehungssystem dominiert (vgl. ebd.). Gesellschaften dieses Typs zeichnen sich dadurch aus, dass okonomische Strukturzusammenhange sich hier als selbst-reguUerende Instanz aus dem Zusammenspiel der gesellschaftlichen Ordnungskrafte herausgelost haben und infolgedessen nicht-okonomische Insti-
19 Die Konzeptualisierung gesellschaftlicher Basisinstitutionen ist dabei durch Parsons (1951) und dessen AGIL-Schema inspiriert (vgl. Messner 2004: 99): Die Okonomie ist entsprechend die soziale Institution, die Akteure dazu befahigt, sich ihrer natiirlichen Umwelt anzupassen und hier den Subsistenzbediirfnissen des menschlichen Organismus Rechnung zu tragen (Adaptation). Die Politik resp. das politische System mobiHsiert und verteilt Macht, um koUektive Ziele zu reaHsieren (Goal attainment). Die Famiiie besteht aus Beziehungen, die sich der Reproduktion der Bevolkerung widmen und in diesem Zusammenhang Aufgaben der Sozialisation, der Ernahrung und der Fiirsorge fiir ihre Mitglieder iibernehmen (Integration). SchlieBlich ist das Erziehungssystem, ahnlich wie die Famiiie, verantwortlich fiir SoziaHsationsaufgaben, doch ist es ebenso fiir die Hervorbringung und Vermittiung von kulturellem Basiswissen zustandig (Latent pattern maintenance).
25
2.3 Markt und Moral im anomietheoretdschen Betrachtungsrahmen
tutionen in immer starkerem AusmaB in eine einseitige Abhangigkeit vom Markt geraten (siehe ebenfalls Currie 1991; Messner und Rosenfeld 2000; vgl. auch Abb. 2.3.3.1). Abbildung 2.3.3.1: Soziale Organisation marktdominierter Gesellschaften gemaB der I AT und ihre Auswirkungen auf Kriminalitat
Kulturelle Struktur Ziele
legitime Mittel
Soziale Struktur Okonomie <J=>Poiitik K= Famili^^^l—s
Schulen
Schwache institutionelle KontroUen
Anomie
Kriminalitat
Quelle: Messner 2003: 96, eigene Bearbeitung.
Die Dominanz der Okonomie manifestiert sich den Autoren zufolge prinzipiell auf dreierlei Weise: Eine erste Form ist die Abwertung oder auch Devaluation nicht-okonomischer Erwartungen und Rollenmuster (vgl. Messner/Rosenfeld 1997a: 70ff.; Messner 2004: 99). Bin Beispiel hierfiir ware, dass nicht-okonomische institutionelle RoUen, wie etwa die des Forschers oder des Lehrers im Wissenschafts- und Bildungssystem, relativ zu okonomischen RoUen und Aufgaben abgewertet werden. Ikonologische Verehrung gilt in der Marktgesellschaft so weniger der Figur des „genialen" Wissenschafders oder des sozial engagierten Intellektuellen als vielmehr dem wirtschaftlich erfolgreichen Jungunternehmer, der es geschafft hat, mit einer Verkaufsidee binnen kurzer Zeit groBe Umsatze und entsprechend hohe okonomische Gewinne zu erzielen.^^'
20 Zur Sdlisierung des wirtschafdichen Unternehmers als Heros der Marktgesellschaft, vgl. auch Taylor (1999: 61f.).
26
2. Stand der Forschung
Eine f^eite Manifestationsweise der Dominanz des okonomischen Systems sieht die lAT im Phanomen der sog. Akkommodation von Rollensets (vgl. Messner/Rosenfeld 1997a: 72ff.; Messner 2004: 99). Menschen sehen sich unter Druck, bei Auftreten von Inter-Rollen-Konflikten, wie etwa zwischen familiaren oder ehrenamdichen auf der einen und beruflichen Rollen auf der anderen Seite, nicht-okonomische Rollen zu Gunsten okonomischer Rollen in den Hintergrund zu stellen oder gar aufzugeben. Eine dritte Manifestationsweise ist schlieBlich den Autoren zufolge die sog. Penetration klassischerweise nicht durch eine marktbasierte Steuerungslogik gepragter Bereiche des Alltagshandelns durch Orientierungs- und Verhaltensmuster aus den Spharen des Markthandelns (vgl. Messner/Rosenfeld 1997a: 76ff.; Messner 2004: 99). Ein Beispiel hierfiir ist etwa die zunehmend verbreitete Praxis, zur Motivierung bestimmter Verhaltensweisen in nicht-okonomischen Handlungsbereichen monetare Anreize zu setzen. Richard Titmuss' Untersuchung zur Blutspendenpraxis (1998) illustriert auf treffende Weise, wie materielle Anreize eine Haltung der moralischen Selbstverpflichtung gefahrden konnen. Er fand heraus, dass kommerzielle Blutspendenprogramme die Motivation zur Teilnahme an freiwilligen Programmen unterminieren und dass Leute deutUch seltener freiwillig Blut spenden, nachdem begonnen wurde, das Blutspenden finanziell zu entgelten. In dem von Titmuss untersuchten Beispiel wurde die Motivation der Leute, ohne finanzielle Entiohnung Blut zu spenden, durch die offizieUe Einfiihrung finanzieller Gratifikationen unterminiert. Den Analysen des amerikanischen Soziologen Barry Schwartz (1994) zufolge lasst sich ebenfalls beobachten, wie okonomische Metaphern und Bilder zunehmend in nicht-okonomische Spharen diffundieren und hier beginnen, das Reden und Denken iiber soziale Beziehungen bis in den Bereich personlicher Beziehungen hinein sukzessive einzufarben. Die Marktgesellschaften charakterisierende strukturelle Dominanz okonomischer Institutionen impHziert, dass andere Institutionen in nur abgeschwachtem AusmaB auf das gesellschaftliche Leben Einfluss nehmen. Die mit diesen Institutionen verkniipften Rollen werden als vergleichsweise unattraktiv wahrgenommen, und Akteure entwickeln keine starke Bindung an diese Rollen. An dieser SteUe besteht eine Verkniipfung zwischen der kulturellen und sozialen Struktur einer GeseUschaft. So ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmung des Geltungsanspruchs gesellschaftlicher Legitimationsnormen fiir die Realisierung erwiinschter Handlungsziele um so mehr in den Hintergrund gedrangt wird, je starker nicht-okonomische gesellschaftliche Institutionen wie das Recht oder die Familie hinter die strukturelle Vorherrschaft der Okonomie zuriicktreten. Folgt man den Uberlegungen Travis Hirschis (1969) zur kriminalitatsinhibierenden Wirkung konventioneller Bindungen, entstehen so Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Handelns, die die Entstehung sozial abweichender und delinquenter Orientierungen begiinstigen. Fazit der Analysen ist entsprechend, dass sich in postindustriellen Marktgesellschaften schwache kulturelle Kontrollen - dokumentiert durch die im Vergleich zu den okonomischen Erfolgszielen nur geringe Betonung gesellschaftlicher Legitimationsnormen und hieraus resultierender Anomie - mit schwachen institutionellen Kontrollen durch Politik, Schulen und Familie auf der Ebene der sozialen Struktur kombinieren. Folge dieser Konstellation ist den Autoren zufolge ein
2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen
27
erhohtes Kriminalitatsaufkommen in Gesellschaften dieses Typs (vgl. Messner/Rosenfeld 1997a: 76f£; Messner 2004: 100). Die lAT ist unter Bezugnahme auf verschiedene ihrer theoretischen Annahmen in einer groBeren Anzahl von Untersuchungen empirisch bestatigt worden. Chamlin und Cochran (1995) sowie Messner und Rosenfeld (1997b) konnten so etwa in jeweils eigenen iandervergleichenden Studien mit Hilfe aggregierter Daten zeigen, dass die Funktionsfahigkeit nicht-okonomischer Institutionen fiir das Kriminalitatsaufkommen in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften von maBgeblicher Bedeutung ist. Von der lAT formuHerte Annahmen zum Einfluss marktinduzierter kultureller Strukturen auf das gesellschaftHche Kriminalitatsaufkommen wurden demgegeniiber in einer Studie von Stowell (2000) iiberpriift.^^ Die Studie macht im Einklang mit der lAT deutlich, dass die Dominanz monetarer Erfolgsziele einerseits und eine erhohte Distanz gegeniiber gesellschaftlichen Legitimationsnormen andererseits auch losgelost von gegebenen sozialstrukturellen Differenzen der Lebenslage einen positiven Einfluss auf die Freisetzung delinquenter Orientierungen bei Akteuren hat. Weitere landervergleichende Studien zur Bedeutung kulturell verankerter Wertorientierungen fiir das Auftreten von DeUnquenz, durchgefiihrt auf Basis der aggregierten Daten des u.s.-amerikanischen General Social Survey, stellen allerdings heraus, dass der Einfluss kultureller Faktoren auf die Delinquenzrate dann zuriickfallt, wenn man populationsspezifische und soziodemografische MerkmalsgroBen kontrolliert (vgl. etwa Buchner und Baumer 2002). Bilanzierend lasst sich so festhalten, dass auf Grundlage der Befunde verfiigbarer Untersuchungen zentrale Annahmen der lAT empirisch gestiitzt werden konnen. Dies gilt im Besonderen fiir die These, dass der Einfluss okonomischer Deprivation auf das Kriminalitatsaufkommen in Abhangigkeit von der Vitalitat nicht-okonomischer Institutionen variiert. Die empirische Evidenz beziiglich der Bedeutung marktinduzierter kultureller Orientierungen fiir das Kriminalitatsaufkommen in einer Gesellschaft ist hingegen uneindeutig und bedarf der weiteren empirischen Klarung. Anzumerken bleibt aUerdings, dass sich die lAT auf handlungstheoretischer Ebene dazu ausschweigt, wie sich gesellschaftlich vorherrschende Werte des okonomischen Erfolgs und des monetaren Fetischismus unter Bedingungen geschwachter institutioneller Handlungskontrollen in deUnquente Handlungen umsetzen.
2.3.4 Marktakteure, „non-shareableproblems'' und die Rationalisierung und Kechtfertigung delinquenter Handlungen (Sutherland, Cressej, Coleman) An dieser Stelle kann es hilfreich sein, die lerntheoretisch inspirierten Uberlegungen von Sutherland, Cressey und Nachfolgern mit den Annahmen der lAT zu verkniipfen. So entwickelte auch Sutherland in seinen Principles of Criminology (1947) die These, dass die Die Studie von Stowell wird von Messner (2003: 104) in einer Darstellung der quandtativen Uberpriifungen der Insdtutional Anomie Theon^ beschrieben, lag dem Autor aber als Veroffentlichung bei Niederschrift der vorliegenden Arbeit nicht vor. Im Literatur\^erzeichnis wird deshalb die von Messner (ebd.) genannte Quelle aufgefiihrt.
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2. Stand der Forschung
Entstehung von Kriminalitat in kapitalistischen Gesellschaften durch eine Uberbetonung von Werten der Konkurrenz und des Individualismus begiinstigt wird. Die Ideologien des Marktes machten dem Einzelnen dabei Argumentationen zur Rationalisiemng und Rechtfertigung von Normabweichungen verfiigbar, die den allgemein verbindlichen Gelmngsanspruch von Rechtsnormen situativ aufweichen und unterminieren konnen.^^ In Bestatigung der von Sutherland entwickelten Uberlegungen zeigte Cressey (1971, orig. 1953) in seiner Studie „Other people's money", dass Veruntreuungsdelinquenten zu Beginn ihrer kriminellen Karrieren ihre Veruntreuungshandlungen als situative Ausnahmehandlung definieren. Sie werden dabei zumeist als eine Form der voriibergehenden Kredimahme ausgelegt^^, die ihre besondere Rechtfertigung aus der Macht der drangenden Umstande, zumeist einer wirtschaftlichen Notsituation, erhalten. Cressey stellte in seinen Analysen heraus, dass die abweichende Handlung von Seiten der Delinquenten fast durchgangig als situative Notwendigkeit aufgefasst wird und ihnen in ihrer Situation vor dem Hintergrund gegebener „non-shareable problems" subjektiv keine alternative Handlungsoption offen stehe.^"^ Der Verweis auf die drangenden Umstande ermogUche es ihnen, den moralischen Status ihrer Handlungen so umzudeuten, dass sie in der je eigenen Wahrnehmung ihren devianten Charakter verlieren. Coleman (1987, 2002) kam im Rahmen der umfanglichen Sichtung empirischer Studien zum white-collar crime zu dem Befund, dass ahnUche Mechanismen der RationaUsierung und Rechtfertigung von Normabweichungen fur das gesamte Feld des white-collar crime typisch sind. Er entdeckte in diesem Zusammenhang, dass white-collarKriminelle fiir die Rechtfertigung ihrer Handlungen ebenfalls auf Aspekte der situativen Notwendigkeit absteUen.^^ In den meisten Fallen resultiere die Wahrnehmung dieser „Notwendigkeit" aber nicht aus unmittelbar vorliegenden finanziellen Problemen; sie entstehe vielmehr vor dem Hintergrund des Eindrucks, dass der in Einzelfallen mehr oder weniger flexible Umgang mit normativen Vorschriften zur NormaHtat des Geschaftslebens gehore und in besonderen Fallen aus Griinden okonomischer Effizienz und angesichts der gegebenen Konkurrenzverhaltnisse auf dem Markt geradezu gefordert sei. So sei es wesentUch die auf dem Markt etabUerte Kultur der Konkurren^ die bei den Marktakteuren quasi selbsdaufig eine Motivation zur Delinquenz induziere.^^ Wichtig an den Studien von Sutherland, Cressey und Coleman ist in diesem Zusammenhang, dass sie unter Verweis auf Strategien der RationaUsierung und Rechtfertigung von Normabweichungen einen Mechanismus offen legen, iiber den die Werte einer individuaUstischen Marktkultur auf das Handeln von Akteuren in Situationen der delinquenten Gelegenheit Einfluss nehmen. Das normabweichende Verhalten entsteht dabei nicht in kategorischer Abgrenzung vom Geltungsanspruch gesellschaftlicher Normen. Analog zur Theorie der Neutralisierungstechniken von Sykes und Matza (1968 [orig. 1957]) gehen die Autoren vielmehr davon aus, dass die Legitimitat der
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Vgl. Sutherland (1947: 73). Vgl. Cressey (1971: 101). Zum Konzept der „non-shareable problems" vgl. ebd.: 33ff., 144f. Vgl. Coleman (1987: 412). Vgl. ebd.: 414ff; vgl. auch Coleman 2002: 188ff..
2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen
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gesellschaftlichen Normen durch delinquent Handelnde in der Kegel nicht gmndsatzlich in Frage gestellt wird. Vielmehr seien es die besonderen situationalen Bedingungen, die eine delinquente Handlung als Ausnahmehandlung rechtfertigen wiirden. Diese insbesondere von Cressey und Coleman fur die Erklarung der White-CollarKriminalitat entwickelten Uberlegungen lassen sich dabei ebenfalls fiir die Erklarung von Alltagskriminalitat fruchtbar machen.
2.3.5 Gren^moral und subterrane Werte des Marktes (Luderssen, Blinkert und Hagan)
Ein solchen Weg beschreitet etwa der deutsche Kriminologe Klaus Liiderssen in seinem Aufsatz „Alltagskriminalitat und Grenzmoral" (Liiderssen 1974). Der Autor rekurriert dabei auf begrifflicher Ebene interessanterweise ebenfalls auf das von Gotz Briefs begriindete Konzept der Grenzmoral (vgl. Abschnitt 2.2.3). Liiderssen vertritt in seinem Aufsatz die These, dass alltagskriminelle Straftater sich in ihrem Verhalten oftmals lediglich einer wirtschaftlichen Grenzmoral anpassen, „die faktisch weithin akzeptiert oder doch wenigstens stillschweigend geduldet wird ... [und] streckenweise stark von gesetzlichen bzw. justiziellen Normen abweicht" (ebd.: 202). Sowohl bei den Alltagskriminellen als auch bei an der „Grenze des Legalen" operierenden Marktakteuren, so Liiderssen, sei bisweilen ein „gespaltenes Unrechtsbewusstsein" zu beobachten (ebd.: 203). Auf der einen Seite stehe hier das Grundgefiihl, dass man dergleichen nicht diirfe und dass es entsprechend richtig sei, „dass der Staat das verbietet und bestraft" (ebd.). Auf der anderen Seite aber stehe „die besondere Situation — in der Branche, im Rahmen der eigenen Entwicklung, in Bezug auf die ,Konkurrenz' und die Widersinnigkeit mancher staatlicher Anforderungen" (ebd.) — und diese erlaube dann eben doch so manches. So enthalte das normale wirtschaftliche Geschaftsleben bereits viele Usancen, die bei geringer Abwandlung schon in den von der Kriminalisierung erfassten Bereich fallen (vgl. ebd.: 206). Alltagskriminelles Handeln lasse sich unter diesen Umstanden verstehen als eine Form der Anpassung an eine wirtschaftliche Grenzmoral, die sich im Einzelfall einen sehr flexiblen Umgang mit den Anforderungen formeller und informeller Normen vorbehalt. Ausgehend von Coleman und sein Konzept der Kultur der Konkurren^ verallgemeinernd entwickelte schlieBlich u.a. John Hagan die Uberlegung, dass die institutionelle Struktur und Kultur in expandierenden Marktgesellschaften allgemein zur Wiege und Geburtsstatte anomischer Orientierungen mutiere, die sich in Form marktformiger Rationalisierungs- und Rechtfertigungsmuster iiber die Arbeits- und Finanzwelt ausbreiten und von hier aus in die privaten Lebensfelder diffundieren.^^ Die Ideologien des Marktes, umfassend eine Ideologic des Wettbewerbs, der Erfolgsorientierung und des Individualismus, fiihrten dabei unter den Angehorigen der Marktgesellschaft zur Auspragung eines hierarchischen Selbstinteresses. In ihm verbinden sich die in der Marktgesellschaft allgegenwartigen Motive des Strebens nach Erfolg und sozialem Aufstieg und der Vermeidung des sozialen Abstiegs (vgl. Hagan et al. 1998: 314). So zielt ein
27 Vgl. hierzu Hagan et al. 1985, Hagan et al. 1987 sowie zentral Hagan et al. (1998: 309-317).
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2. Stand der Forschung
Handeln im Sinne des hierarchischen Selbstinteresses zunachst und primar auf die Verbesserung oder den Erhalt der je eigenen Statusposition im gesellschafdichen Stratifikationssystem. Die Marktideologien machen andererseits jedem einzelnen Argumentationen zur Rationalisierung und Rechtfertigung von Normabweichungen verfiigbar, die den allgemein verbindlichen Geltungsanspruch von Rechtsnormen situativ aufweichen und Rechtsnormverletzungen auf der Ebene individuellen Handelns wahrscheinlicher werden lassen. Der deutsche Soziologe Baldur Blinkert (1989) kennzeichnete diesen Prozess unter Verweis auf Hermes, den griechischen Gott sowohl der Kaufleute als auch der Diebe, lakonischerweise auch als das Hermes-Sjndrom moderner Gesellschaften (vgl. Blinkert 1989: 397f.). Entscheidungen iiber die Einhaltung oder Verletzung normativer Vorgaben, so hier die Uberlegung, werden im Zuge der Marktexpansion zunehmend haufiger vor dem Hintergrund eines individuellen RisikoNutzen-Kalkiils getroffen (ebd.), wobei die normabweichende Handlung dadurch Absolution erhalt, dass sie dem heiUgen Ziel des okonomischen Erfolgs dienlich ist. Hagan und Mitarbeiter weisen in diesem Zusammenhang entsprechend ausdriicklich darauf hin, dass die dominante Mainstreamkultur und die delinquente Subkultur auf denselben Eckwerten der Marktideologie beruhen und die Marktkultur in diesem Sinne die suhterrane Wertebasis sowohl fiir das konforme als auch fiir das nonkonforme Streben nach Erfolg und sozialem Aufstieg bereitsteUt.
2.3.6 Karstedts Analysen ^ur moralischen Okonomie moderner Marktgesellschajten
Unbedingt zu erwahnen sind in diesem Zusammenhang ebenfalls die Analysen Susanne Karstedts zur moralischen Okonomie moderner MarktgeseUschaften (1999, 2004), die auf eine Rekonstruktion des normativen Habitus der breiten gesellschaftlichen Mittelschichten in westlichen GegenwartsgeseUschaften zielen. Gegenstand der Betrachtung sind dabei iUegale und illegitime Praktiken von Akteuren im Kontext des Markthandelns sowie im Kontakt mit sozialstaatlichen Einrichtungen. Das besondere Augenmerk der Autorin richtet sich in diesem Zusammenhang, sehr ahnUch wie bei den Analysen Blumbergs (s. Abschnitt 2.1.1), auf die Dynamik der Wechselwirkung zwischen Viktimisierungserfahrungen im Marktkontext einerseits und der Beteiligung an iUegitimen und illegalen Praktiken von Akteuren andererseits. Ausgangspunkt der Erklarung ist entsprechend ein konflikttheoretisches Szenario, in des sen Rahmen delinquentes Handeln als Reaktion auf Ubervorteilungsversuche im Verhaltnis der Marktparteien von Anbieter und Kunde aufgefasst wird. Ausgelost durch Viktimisierungserfahrungen, so hier die These, erodiere das Vertrauen der Marktteilnehmer und Konsumenten in die Legitimitat sowohl marktspezifischer als auch staatlicher Institutionen, mit der Folge, dass sich, bezogen auf den Geltungsanspruch formell-rechtlicher und informeller Fairness-Normen, eine Haltung des normbezogenen Zynismus^^ 28 Theoretischer Bezugspunkt ist an dieser Stelle das Konzept des legal cynicism von Sampson und Bartusch (1998). Gemeint ist hier eine Einstellung, die im Sinne der Sentenz, der Ehrliche sei der Dumme, eine Haltung der prinzipiellen Normkonformitat als reaUtatsfern abtut.
2.3 Markt und Moral im anomietheoretischen Betrachtungsrahmen
31
ausprage. Das eigene illegale und illegitime Handeln werde dabei zunehmend als ein Mittel zur Besitzstandswahrung aufgefasst, mit dem die Angehorigen der Mittelschichten auf erfahrene oder auch antizipierte Vikdmisierungen im Marktkontext und dariiber hinaus auf den zunehmenden Druck durch die globale Marktgesellschaft reagieren (vgl. Karstedt 2004: 340). Folge dieser Entwicklung sei, dass die allgemeine Normakzeptanz bei Akteuren zuriickgehe und parallel hierzu die individuelle Bereitschaft steige, fiir Zwecke der eigenen Vorteilsnahme informelle Fairnessnormen und formelle Rechtsnormen fallweise zu iibertreten. Der skizzierte Wirkungszusammenhang wird Karstedt zufolge im Weiteren durch verschiedene soziale Wandlungsprozesse innerhalb moderner Marktgesellschaften flankiert und begiinsdgt, die sich aus dem Blickwinkel integrationstheoretischer Ansatze (s.o.) als Prozesse sozialer Desintegration interpretieren lassen. Dies betrifft einerseits den von Sighard Neckel (2000) herausgestellten Entwicklungstrend, dass mit zunehmender Durchsetzung marktgesellschaftlicher Strukturen im Alltagsleben von Akteuren das meritokratische Leistungsprinzip als Prinzip der Zuteilung von Giitern und Status durch das Prinzip des Erfolgs, unabhangig von seinem Zustandekommen, verdrangt wird. Damit werde ein normatives Klima geschaffen, das es dem Einzelnen opportun erscheinen lasst, zur Realisierung seiner Ziele auch illegale und illegitime Praktiken anzuwenden, wenn sie denn erfolgversprechend erscheinen (Karstedt 2004: 337). Mit Blick auf die Realisierung individueller Erfolgsziele befordert diese Entwicklung iibergreifend die Auspragung eines normativen Habitus, der nicht mehr explizit zwischen legalen und illegalen, sondern nur noch zwischen mehr oder weniger erfolgversprechenden Strategien unterscheidet. Zu beriicksichtigen seien andererseits Prozesse eines allgemeinen Wertewandels von nomozentrischen hin zu autozentrischen Orientierungen (vgl. Klages 1988, s. auch Abschnitt 2.2.5, S. 18f.) und das Schwinden einer generalisierten positivistischen Normakzeptanz infolge emanzipativer Bestrebungen in weiten Bevolkerungskreisen (Lucke 1995, 1996). Insbesondere bei den Angehorigen der mittleren Gesellschaftsgruppen sei so etwa zu beobachten, dass sie zunehmend beanspruchen, von Fall zu Fall selbst entscheiden zu konnen, wie weit es sinnvoll und angemessen ist, einer bestimmten Norm in einer gegebenen Situation Folge zu leisten oder nicht (vgl. Karstedt 2004: 334). Das entscheidende Verbindungsstiick zwischen sich wandelnden Wert- und Normorientierungen in weiten Teilen der Gesellschaft und dem gehauften Auftreten illegitimer und illegaler Verhaltensweisen stellen bei Karstedt situations- und kontextspezifische Legitimations- und NeutraUsierungsstrategien dar (vgl. Karstedt 1999: 109; Karstedt 2004: 348). Diese ermoglichen es dem Einzelnen, fallweise den Normbefehl in seiner Geltungsmacht zu dispensieren, ohne dabei gefuhlsmaBig den Boden eines aUgemein giiltigen Wertekonsenses zu verlassen. Wichtig fiir die Ausbreitung sowohl von Legitimations- und Neutralisierungsstrategien als auch von erfolgversprechenden Techniken der illegitimen und illegalen Vorteilsnahme sind der Autorin zufolge dabei Interaktions- und Kommunikationskontexte, in denen sich Akteure iiber Erfahrungen der Viktimisierung und Taterschaft im Marktkontext austauschen (vgl. Karstedt 2005). Als theoretischer Bezugspunkt fungieren dabei implizit die Theorien der differentiellen Assoziation bzw. der differentiellen
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2. Stand der Forschung
Kontakte (Sutherland 1968), die in diesem Zusammenhang quasi das mikroanalytische Riickgrat des mehrere Analyseebenen beriicksichtigenden Theorieentwurfs formulieren. Als ursachlich fiir einen „Anerkennungsverlust der Norm" wird von Karstedt schlieBlich ebenfalls die Zunahme der Regulierungsdichte auf der Ebene des allgemeinen Ordnungsrechts, aber auch in wirtschafdichen Unternehmen sowie bei staadichen Behorden genannt (vgl. Karstedt 2004: 341 ff., 346f.). Diese Organisationen wiirden einerseits versuchen, „sich durch ein Dickicht von Regelungen und verscharfte Kontrollen gegen illegale Praktiken ihrer Klientel zu schiitzen", wiirden dabei aber gleichzeitig durch die inflationare Fiille und Undurchsichtigkeit des bestehenden Regelwerks dazu beitragen, dass die einzelne Regel fiir die Normadressaten an Geltungskraft verliere und sich Akteure vor dem gegebenen Hintergrund um so mehr herausgefordert fiihlten, Liicken und Grauzonen im Regelungswerk aufzuspiiren und fiir den eigenen Vorteil zu nutzen. Dabei gilt allgemein: Je undurchsichtiger Regelungssysteme und deren Mechanismen der Durchsetzung sind, desto mehr wird ihre Legitimitat und damit auch ihre eigentliche Zielsetzung in Frage gestellt und desto mehr verliert auch die konkrete Normverletzung in der Wahrnehmung der Akteure ihren sozialethischen Unwertgehalt. Resiimierend lasst sich festhalten, dass Karstedt in ihrem Ansatz versucht, fiir die Erklarung des Zusammenhangs von marktgesellschaftlicher Entwicklung und der Zunahme von AUtagskriminalitat etablierte konflikttheoretische und integrationstheoretische Theoriemotive miteinander zu verkniipfen. Vom Theoriedesign her gesehen wird ein anomietheoretisch dominierter Theorienmix erkennbar, der mit Thesen zu gesellschaftsiibergreifenden Wandlungsprozessen und Thesen zu einem Strukturwandel sozialer Kontrollregime angereichert wurde (siehe hierzu ebenfalls Abschnitt 2.2, S. lOff.). Ihre Argumentation bewegt sich dabei zumeist auf der Ebene soziologischer Gegenwartsdiagnosen und der Rekonstruktion sich krisenhaft zuspitzender sozialer Wandlungsprozesse.
2.4 Fazit Versucht man, den Stand der Forschung zur Verdrangung gemeinwohlbezogener und rechtlicher Leitlinien des Handelns durch die Handlungsimperative des Marktes abschUeBend zu bilanzieren, so lasst sich zunachst festhalten, dass ein solcher Zusammenhang in der fachwissenschaftlichen Literatur sowohl theoretisch angenommen als auch partieU empirisch belegt wird. Der Zusammenhang wird dabei zum einen aus einer eher konflikttheoretischen und zum anderen aus einer eher integrationstheoretischen Perspektive betrachtet. Insbesondere die Forschungsarbeiten aus einer anomietheoretischen Tradition versuchen, die Freisetzung delinquenter Orientierungen von Akteuren aus dem Zusammenwirken sowohl kultureller und als auch sozialstruktureller Faktoren zu erklaren. Dabei erweist sich auf makroanalytischer Ebene vor allem die Institutional Anomie Theory (lAT) von Messner und Rosenfeld als ein Erklarungsmodell, das den Zusammenhang von Marktdominanz, Normbindung und Delinquenz
2.4 Fazit
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auf hohem Systematisierungsniveau nachzeichnet. Landervergleichende Studien konnten dariiber hinaus zentrale Aussagen der lAT empirisch bestatigen resp. stiitzen. Weitere Forschungsarbeiten aus dem Umfeld der Subkulturtheorie und des Subterranean Vakes-Ans2itzts weisen dariiber hinaus auf einen Zusammenhang zwischen dem individuellen commitment an okonomische Erfolgsziele, der Auspragung einer kompetitiven Handlungsorientierung und der selbstberichteten Haufigkeit delinquenten Handelns bin. Empirische Studien zeigen dabei auf makroanalytischer Ebene, dass sich die Annahme eines negadven Zusammenhangs zwischen der relativen Starke nichtokonomischer Institutionen in einem Gemeinwesen und dem AusmaB des Kriminalitatsaufkommens fiir die modernen Marktgesellschaften des Westens stiitzen lasst. lUustriert werden konnte ebenfalls, dass es einen empirischen Zusammenhang zwischen dem commitment an okonomische Erfolgsziele und der individuellen Normbindung auf der einen Seite sowie der Bereitschaft zu abweichendem Verhalten auf der anderen Seite gibt. Vornehmlich qualitative Studien zeigen in diesem Zusammenhang, dass delinquente Marktakteure ihr Handeln durchgangig mit ahnlichen Strategien der Rationalisierung und Rechtfertigung legitimieren. Die kontextspezifischen Legitimations- und Neutralisierungsstrategien stellen dabei ein entscheidendes Verbindungsstiick zwischen den Wert- und Normorientierungen von Akteuren und dem gehauften Auftreten illegitimer und illegaler Verhaltensweisen dar. Festzustellen ist allerdings ebenfalls, dass Uberlegungen iiber einen Zusammenhang der marktspezifischen Einbindung von Akteuren und der individuellen Bereitschaft zur Verletzung von Sanktionsnormen, wie sie implizit sowohl von konflikttheoretischen als auch von integrationstheoretischen Ansatzen entwickelt wurden, auf mikroanalytischer Ebene bis dato explizit nicht zum Gegenstand einer empirischen Uberpriifung gemacht worden sind. Die Untersuchungen aus dem Umfeld der Institutional Anomie Theory beschranken sich zumeist auf eine Betrachtung von makrostrukturellen Zusammenhangen, ohne dabei die Akteursebene zu beriihren. Stowells Untersuchung zum Einfluss des commitments an monetare Erfolgsziele und der individuellen Normdistanz auf die Freisetzung delinquenter Orientierungen bewegt sich demgegeniiber zwar auf einer mikroanalytischen Ebene, ohne dabei allerdings die Einbindung von Akteuren in die Strukturzusammenhange des Marktes mit zu beriicksichtigen. Ein ahnliches Dilemma zeigt sich unter umgekehrtem Vorzeichen bei den Untersuchungen aus dem Kontext der Subkulturtheorie. So beschrankte sich die Studie von Coleman (1987) in ihren Analysen auf das Gebiet des white-collar-crime, ohne in diesem Zusammenhang zu betrachten, wie weit die in wirtschaftlichen Zusammenhangen induzierten Orientierungsmuster auch auBerhalb des konkret beruflichen Bereichs im Umgang mit Normen verhaltenswirksam werden. Weiter scheinen in dieser Hinsicht schon die Forschungsarbeiten des Kriminologen John Hagan zu fiihren. Im Zuge der empirischen Validierung seiner Power-Control-Theorie fmden sich bei Hagan (1987) Analysen iiber den Zusammenhang zwischen der Dienstklassenzugehorigkeit der Eltern, dem elterlichen Erziehungsstil und der Delinquenzneigung von Kindern bzw. Jugendlichen. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen hier allerdings nicht konkret die Orientierungsmuster devianter Akteure mit graduell unterschiedHcher Markteinbin-
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3. Konzeptualisierung
dung, sondern die Frage, wie weit der elterliche Erziehungsstil und in dessen Folge das AusmaB jugendlicher Permissivitat in Abhangigkeit von der Dienstklassenzugehorigkeit der Eltern variieren. Hagan und Mitarbeiter kommen in diesem Zusammenhang allerdings 2u dem interessanten Befund, dass Angehorige hoherer Dienstklassen gegeniiber ihren Kindern einen Erziehungsstil pflegen, der ein Ausprobieren devianter Verhaltensweisen im Jugendalter eher fordert. In einer Studie von 1998 (Hagan et al. 1998) finden sich im weiteren Analysen dazu, wie weit bei Jugendlichen verstarkte Erfolgsund Konkurrenzorientierungen, gepaart mit einem ausgepragten Individualismus, als Pradiktor fiir eine Haltung der anomischen Amoralitat und der Gewaltkriminalitat in Erscheinung treten. Wenngleich Hagan in der Sache ebenfalls zu einem positiven Befund kommt, fehlt hier doch der explizite Nachweis, dass die von ihm erfassten jugendlichen Orientierungsmuster ihre Verankerung in einer marktwirtschaftlichen Kultur haben, als deren Ausdruck sie von Hagan ausdriicklich aufgefasst werden. Die vorliegende Studie mochte hier entsprechend eine Liicke in der Forschungsliteratur schlieBen, indem sie explizit den Zusammenhang zwischen der Einbindung von Akteuren in die Strukturen des Marktes, der Auspragung rechtsnormbezogener Orientierungsmuster und der individuellen Konformitatsmoral resp. der Bereitschaft zu normabweichendem Verhalten in den Blick nimmt.^^ Dariiber hinaus soil parallel zum Verhaltensbereich der Rechtsnormverletzungen in der vorliegenden Studie auch der Umgang mit kommunitar-gemeinschaftlichen Obligationen in Abhangigkeit von deren Markteinbindung von Akteuren betrachtet werden. Bezugspunkt ist hierbei die von kommunitaristischen Autoren wie Bellah und Putnam aufgeworfene These (vgl. Abschnitt 2.2.6, S. 17f.), dass mit der Expansion einer individualistischen Marktkultur ein Riickgang des prosozialen Engagements gesellschaftlicher Akteure zu verzeichnen sei. In Anlehnung an entsprechende Uberlegungen soil in der vorliegenden Studie gefragt werden, wie weit die Bereitschaft zu altruistischem Verhalten sowie das faktische Engagement auf der Ebene prosozialer Aktivitaten in Abhangigkeit von der Markteinbindung von Akteuren variiert.
29 Unter Konformitatsmoral (Df.) soil hier wie im Folgenden die generalisierte bereitschaft von Akteuren verstanden werden, sich in ihrem Verhalten iiber den Geltungsanspruch von Strafrechtsnormen hinweg^uset^en.
3. Konzeptualisierung Voraussetzung fiir die Durchfiihrung der geplanten Untersuchung ist, dass wir in der Lage sind, die vorgestellten Uberlegungen auf begrifflicher Ebene zu prazisieren und sie in ein theoretisches Modell zu iibersetzen, in dem der Zusammenhang zwischen der Einbindung in die Strukturen des Marktes, der Auspragung normbezogener Orientierungsmuster und dem Auftreten delinquenter und „prosozialer" Handlungsintentionen bei Personen stufenweise rekonstruiert werden kann.
3.1 Begriffe und Definitionen Auf der Verhaltens- resp. Handlungsebene richtet sich das Interesse der vorliegenden Untersuchung auf Formen des normbe^ogenen Verhaltens. Bezugspunkt ist dabei zum einen der Umgang mit formell-rechtlichen Normen mit seinen Entsprechungen rechtskonformen und delinquenten Handelns. Bezugspunkt ist zum anderen der Umgang mit gemeinschaftlich-informellen Altruismus- und Solidaritatsnormen, wie sie im Kontext etwa der Begegnung mit Hilfsbediirftigen, aber auch in wohltatigen Spendenaktivitaten und auf einzekien Tatigkeitsfeldern des ehrenamtlichen Engagements thematisch werden. Der Begriff der Delinquenz soil dabei, entgegen seinem iiblichen Gebrauch, im Kontext der folgenden Ausfiihrungen auf solche Verhaltensweisen eingeschrankt werden, die strafrechtlich inkriminiert sind.-^*^ Unter „prosozialen" Handlungen soUen im Weiteren, in Anlehnung an eine Definition von Liick (1975: 18), allgemein die verschiedensten Formen sozial hilfreichen oder verantwortHchen Verhaltens verstanden werden. Losgelost von den dem Handeln zugrundeliegenden Motiven sollen dabei fiir die Zwecke der vorliegenden Untersuchung Handlungen oder auch Handlungsintentionen dann als „prosoziar' gelten, wenn sich in ihnen die Bereitschaft artikuliert, in Einklang mit kommunitar-gemeinschaftUch verankerten Solidaritats- und Altruismusnormen zu handeln. Ausdriicklich anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass sich delinquente und „prosoziale" Orientierungen und Handlungen nicht prinzipiell gegenseitig ausschlieBen. So ist etwa durchaus vorsteUbar, dass im Rahmen einer Hilfeleistung geltendes Recht verletzt wird. Als Beispiel lasst sich hier der fiktive FaU des sonntaglichen Einbruchs in eine Apotheke nennen, um lebenswichtige Medikamente fur eine hilfsbediirftige Person zu entwenden. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass die partikularen Ge30 Der Begriff der Delinquenz schlieBt in seiner iiblichen Veru^endungsweise, insbesondere im Kontext von Untersuchungen zur Jugendkriminalitat, auch solche Verhaltensweisen mit ein, die - wie etwa das Schuleschwanzen - vor der Schwelle strafrechtlicher Inkriminierung liegen (vgl. Schwind 1996: 2).
36
3. Konzeptualisierung
meinschaftsnormen einer sozialen Minoritat - etwa einer ethnischen oder Glaubensgemeinschaft - deren Angehorigen nahe legen, durch die Vedetzung von Rechtsnormen einer gegebenen Minderheitenposition im offendichen Raum Geltung zu verschaffen. Umgekehrt kann auch rechtskonformes Verhalten gegen informelle Solidaritats- und Altruismusnormen verstoBen. Dies gilt etwa dann, wenn die offensichdiche Hilfsbediirftigkeit einer behinderten Person im Rahmen alltaglicher Begegnungen ignoriert oder wie im Falle des Wechselgeldirrtums - der Irrtum einer Kaufhauskassiererin oder Gastronomieangestellten bei der Herausgabe von Wechselgeld bewusst ausgenutzt wird. Mit dem Begriff der Orientierung sollen im Weiteren Aspekte des Motivationsgeschehens bezeichnet werden, durch die sich eine Person in einer Situation auf bestimmte Ziele und Zielobjekte sowie auf Wege zur Erreichung dieser Ziele ausrichtet. Die Art der Orientierung gibt dabei der Situationswahrnehmung einen Rahmen und stellt sie unter einen spezifischen Leitgesichtspunkt (vgl. Esser 1999: 46). In Abhangigkeit davon, welche Orientierungen Akteure in eine Situation hineintragen, konnen sie entsprechend zu unterschiedlichen Definitiontn der Situation gelangen. Je nachdem, wie allgemein die Orientierungen einer Person verfasst sind und welche Aspekte einer Situation durch sie herausgehoben werden, lassen sich unterschiedliche Orientierungsmodi unterscheiden. Im Rahmen der vorliegenden Studie soil dabei zwischen den einer Situation vorgelagerten Orientierungsmustern einerseits und den situationalen Orientierungen von Akteuren andererseits unterschieden werden. Die situationsiibergreifenden Orientierungen lassen sich dabei, angelehnt an das Konzept der Wertorientierung, ganz generell als Vorstellungen von Wiinschenswertem^^ oder auch Wichtigem begreifen, sei es auf der Ebene konkreter Handlungsziele oder auf der Ebene von MaBstaben zur Beurteilung von Handlungen. Dabei gilt, dass Werte - verstanden als Ziele und MaBstabe des Handelns - dem Einzelnen als Beweggriinde seines Handelns nicht notwendig direkt bewusst sein miissen.^^ Anzunehmen ist vielmehr, dass Wertorientierungen mitunter auf einer prareflexiven Ebene des Handelns verankert sind und von hier aus in der Form eines Relevanzsystems (im phanomenologischen Sinne) das Wahrnehmen und Verhalten des Einzelnen pragen.^^ Die Rede von Orientierungsmustern verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Orientierungen von Akteuren mehrdimensional ausgepragt sind und in diesem Sinne unterschiedliche Orientierungsdimensionen - etwa in Bezug auf die subjektive Wichtigkeit okonomischer Erfolgsziele, die Gesetzeskonformitat des eigenen Handelns oder auch die Riicksichtnahme auf GemeinwohMnteressen - in typischer Weise miteinander verkniipfen. Situationale Orientierungen sollen dariiber hinaus im Gegensatz zu den simationsiibergreifenden Orientierungsmustern die norm- und objektbezogenen Orientierungen von Akteuren in einer gegebenen Handlungssituation bezeichnen. Dies beinhaltet sowohl das Handlungsziel, das Akteure in einer gegebenen Situation verfolgen, als auch die subjektiven Bewertungen der Konsequenzen, die sie in Folge ihrer Handlung erwarten. Die erwarteten Konsequenzen umfassen dabei einerseits mogliche mate31 Vgl. hierzu die klassische Definition von Kluckhohn (1951: 395). 32 Vgl. hierzu Klages (1989: 807). 33 Zum Begriff der Relevanz in der Sozialphanomenologie, vgl. u.a. Berger/Luckmann (1989: 47).
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
37
rielle und immaterieJle Gratifikationen, andererseits mogliche positive und negative Sanktionen der Handlung. Es wird in diesem Zusammenhang angenommen, dass situational Orientierungen partiell eine Umsetzung der situationsiibergreifenden Orientierungsmuster auf die spezifischen Gegebenheiten einer Handlungssituation mit den sie jeweils kennzeichnenden Handlungsoptionen und -restriktionen darstellen. Sie beleuchten entsprechend unterschiedliche Aspekte der vorgenommenen Definition der Situation. Wenn hier schlieBlich von der Einbindung von Akteuren in die Strukturen des Marktes die Rede ist, so geschieht dies im Sinne einer marktbasierten Inklusion von Akteuren in das System der Arbeits-, Finanz- oder Konsumgiitermarkte. Der Begriff der Inklusion soli in Anlehnung an Esser (2000, S. 233) „den Eintritt bzw. die vollzogene Mitgliedschafi: von Akteuren [...] in die Gesellschaft bzw. ihre Teilsysteme" bezeichnen.^4 j^^s Konzept der Inklusion beschreibt dabei - analog zu seinem Gegenbegriff der Exklusion - einen Mechanismus der gesellschafi:lichen Platzierung von Akteuren in der Gefiigeordnung der die Gesellschaft konstituierenden Sozialsysteme. „Uber die Prozesse der Inklusion und Exklusion", so Esser (ebd., S. 234), „treten die individueUen Akteure der Bevolkerung mit den sozialen Systemen der Gesellschaft systematisch in Beziehung." Marktinklusion meint dabei die Inklusion von Akteuren iiber Formen des Interessenausgleichs, wobei hier der Inklusionsprozess durch Angebot und Nachfrage der Marktteilnehmer bestimmt wird. Dies kann zum einen die Inklusion von Akteuren als Erwerbstatige in die Produktionsstrukturen eines bestehenden Unternehmens betreffen, zum anderen aber auch die Inklusion in das System der Finanzmarkte iiber den Besitz aktien- und fondsbasierter Vermogensanlagen. Die Inklusion von Akteuren in andere gesellschaftUche Teilsysteme wie etwa in kommunitar-gemeinschaftUche Zusammenhange oder aber in staatUch-rechtiiche Institutionen wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht explizit thematisiert.
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns Die Rekonstruktion des Zusammenhangs der genannten UntersuchungsgroBen soil fiir die Zwecke der vorliegenden Studie aus der allgemeintheoretischen Perspektive des methodologischen oder auch strukturtheoretischen Individualismus erfolgen. Diese in ihrer Bezeichnung auf Karl Popper (1977: 115) zuriickgehende Perspektive lasst sich verstehen als eine metatheoretische Konzeption zur „Erklarung kollektiver Sachverhalte unter Riickgriff auf das durch die Situation strukturierte Handeln von individueUen Akteuren" (vgl. Esser 1999: 27). Kennzeichnendes Basispostulat des methodologischen Individualismus ist entsprechend, dass sich soziale Strukturphanomene auf der gesellschaftlichen Meso- und Makroebene - wie etwa die Zunahme der in einem Unternehmen registrierten Schadensfalle oder auch der Anstieg von Kriminalitatsraten
34 Der gegenlaufige Prozess wird analog hierzu als Exklusion bezeichnet.
38
3. Konzeptualisierung
in einem Gemeinwesen - durch das Handeln individueller Akteure im sozialen Kontext erklaren lassen (vgl. hierzu etwa Liidemann / Ohlemacher 2002: 18).^^ Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu beriicksichtigen, dass der methodologische Individualismus fiir die Erklarung sozialer Strukturgegebenheiten nicht auf vermeintlich ^private" Motive, Kenntnisse und Neigungen abstellt, die letztiich als Derivate der psychodynamischen Konstitution von Akteuren zu begreifen sind. Vieknehr postuliert dieser Ansatz eine immer schon vorhandene sozialstrukturelle resp. -kulturelle Pragung dieser Motive, Neigungen und Kenntnisse und grenzt sich damit ausdriicklich von einer psychologistischen Theorieposition ab (vgl. Popper 1977: 117f.). Er geht explizit davon aus, dass Akteure „in Gruppen, soziale Netzwerke oder Institutionen eingebunden sind" und diese sozialen Gebilde und Interaktionssysteme - wiewohl als solche aufgefasst als Gerinnungsprodukte des Zusammenhandelns von Individuen - einen Einfluss auf die Praferenzen, Neigungen und Einstellungen von Akteuren ausiiben und auf diese Weise ihr Handeln bestimmen (vgl. Liidemann / Ohlemacher 2002: 19). Dies impliziert ebenfalls, dass Praferenzen, Neigungen, Einstellungen und Handlungsmuster von Akteuren in Abhangigkeit von ihrer Position im gesellschaftlichen Strukturgefiige variieren konnen.^^ Zur Erklarung individuellen Handelns bedarf es entsprechend sowohl der Kenntnis der strukturellen und institutionellen Gegebenheiten, die den Handlungs spielraum von Individuen begrenzen, als auch der Kenntnis der sozialisatorisch bedingten Orientierungen und Neigungen sowie der Ressourcen, iiber die Individuen in ihrer Handlungssituation verfiigen (vgl. Boudon/Bourricaud 1992: 226). Das analytische Primat des Erklarungsmodells des methodologischen Individualismus liegt entsprechend nicht auf der Mikro-, sondern auf der Makroebene. Die Erklarung erfolgt nicht unter Bezugnahme auf die Eigenschaften von Individuen; sie erfolgt iiber die Erfassung der Restriktionen, denen sie ausgesetzt sind (vgl. Briiderl 2004: 165). Die Wahl des methodologischen Individualismus als Rahmenkonzeption fiir die vorliegende Arbeit bietet sich insofern an, als sie es ermoglicht, die Annahme des Zusammenhangs zwischen einer sektoralen Hegemonie des Marktes und einer Erosion der Steuerungskraft der gesellschaftlichen Ordnungssysteme von Recht und Gemeinschaft auf der Ebene der normbezogenen Orientierungen und des individuellen Handelns von Akteuren zu analysieren und zu iiberpriifen. Sie ermoglicht in diesem Sinne eine mikroanalytische Fundierung makroanalytischer Annahmen. Die Explikation des Basispostulats des methodologischen Individualismus erfolgt fiir die Zwecke unserer Untersuchung im Weiteren durch das sog. Mikro-Makro35 Als Gegenposition zum methodologischen Individualismus lasst sich die des mediodologischen Strukturalismus oder auch Holismus anfiihren, der zufolge das Individuum bei der soziologischen Analyse vernachlassigt werden kann, da es sowohl in seiner personalen Verfassung als auch in seinen Handlungen als ein Produkt der sozialen Strukturen aufzufassen ist (vgl. Boudon/Bourricaud 1992: 224; ebf. Hill 2002: 21), Dieser Position ist allerdings entgegenzuhalten, dass individuelles Handeln zwar immer und iiberall strukturellen Zwangen unterworfen ist, daraus aber nicht notwendig abgeleitet werden kann, dass diese sozialen Zwange individuelles Handeln umfassend determinieren. 36 Raymond Boudon und Francois Bourricaud (1992: 223) weisen so etwa darauf hin, dass sich auch Durkheim - entgegen seinen Grundsatzen - einer individualistischen Interpretation bedient, wenn er unter Verweis auf die gesteigerten Erwartungen von Individuen zu erklaren versucht, warum in Zeiten wirtschaftlicher Bliite oft ein Anstieg der Selbstmordraten zu beobachten ist.
3.2 Theoredscher Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
39
Modell sozialen Handelns (vgl. Abb. 3.2.1). Dieses Modell wurde urspriinglich von McClelland (1961), in dessen Nachfolge aber auch durch James S. Coleman in seinen Gmndlagen der Sozialtheorie, als Metatheorie fiir die wissenschafdiche Erklarung in der Soziologie vorgeschlagen (vgl. Coleman 1991: Iff.). Wiewohl durch den Titel nahegelegt, handelt es sich dabei nicht um ein theoretisches Modell sozialen Handelns, sondern vielmehr um ein Strukmrmodell zur soziologischen Erklarung des Zusammenhangs kollektiver (sozialer) Phanomene (wie etwa zwischen der relativen Verbreitung einer religiosen Doktrin und der wirtschafdichen Organisationsweise einer Gesellschaft). Es formuliert in diesem Sinne eine Methode des erklarenden Verstehens des beobachtbaren Zusammenhangs kollektiver Phanomene. Abbildung 3.2.1: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns (nach McClelland 1961)
Soziale Struktur
^^
\ 1
\
Briickenannahme
Definition der Situation
Kollektives Phanomen
Aggregations- / relation / 3
Handlungstheorie
^
Handeln
2
Durch das Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns werden nach Lindenberg und Wippler (1978: 221 ff.) klassischerweise vier Elemente des Sozialen miteinander verkniipft: die soziale Strukmr (Situation), die individuelle Situationsdefinition resp. -interpretation (Akteur), das individuelle Handeln und ein kollektives Phanomen, das als Explanandum des Modells fungiert. In dem Modell werden diese vier Elemente durch drei Relationen miteinander verkniipft, die sich auf analytischer Ebene mit je unterschiedlichen Fragestellungen verbinden: So werden die soziale Struktur und die individuelle Situationsdefinition durch eine Relation zueinander in Beziehung gesetzt, die danach fragt, wie Akteure ihre Handlungssituation vor dem Hintergrund sozialstruktureller Gegebenheiten perzipieren und deuten (Relation 1 in Abb. 3.2.1). In Anlehnung an Esser (1993: 94) erfolgt liber diese Modellrelation die Rekonstruktion der so genannten Ijogik der Situation. Dieses ebenfalls auf Karl Popper (1977: 114) zuriickgehende Konzept besagt, dass der Zusammenhang zwischen der sozialen Situation auf der einen Seite und der Situationsdefinition von Akteuren auf der anderen Seite einer
40
3. Konzeptualisierung
objektivierbaren Logik folge, die - wie etwa durch die Theorie der relativen Deprivation von Stouffer und Mitarbeitern (1949) sowie von Runciman (1966) oder auch die Theorie der Entstehung delinquenter Orientierungen von Robert K. Merton (1957) - theoretisch explizierbar ist.^^ Die Beschreibung der Logik der Situation erfolgt dabei iiber empirische Briickenannahmen. Diese stellen „die Verbindung zwischen der objektiven Situation und den subjektiven Motiven und dem subjektiven Wissen der Akteure her" (Esser 1999: 16). Die Bezeichnung als Briickenannahme nimmt in diesem Zusammenhang darauf Rekurs, dass es sich bei diesen Annahmen nicht um nomologische Gesetze handelt, sondern um abgeleitete Hypothesen, die notwendigerweise historisch und soziokulturell spezifisch sind (vgl. Esser 1999: 16). Eine zweite Relation verbindet die Situationsdefinition resp. die situationalen Orientierungen mit dem individuellen Handeln (Relation 2 in Abb. 3.2.1). In Anlehnung an Esser erfolgt iiber diese Modellrelation die Rekonstruktion der Ijogik der Selektion oder auch der HandlungswahL Sie wird spezifiziert in der Gestalt einer Handlungstheorie, die angibt, in welcher Form Situationsdefinitionen und situationale Orientierungen die Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsoptionen beeinflussen. Die Handlungstheorie zur Rekonstruktion der Logik der Selektion bildet dem Modell zufolge quasi den nomologischen Kern der soziologischen Erklarung. Sie hat ideaUter die Form einer Entscheidungstheorie (vgl. Hill 2002: 26). Dabei gilt: Wenn die Situationsdefinition, d.h. die Logik der Situation, bekannt ist, dann sollte sich vorhersagen lassen, wie sich ein gegebener Akteur in dieser Situation verhalten wird. Eine dritte Relation verbindet schlieBUch das individuelle Handeln mit einem kollektiven Phanomen, das fiir sich wiederum eine soziale StrukturgroBe definiert (Relation 3 in Abb. 3.2.1). Gefiragt wird in diesem Zusammenhang danach, wie individuelle Handlungen die Konstitution sozialer StrukturgroBen bewirken. Uber diese Modellrelation erfolgt nach Esser die Rekonstruktion der so genannten Logik der Aggregation. Sie wird spezifiziert in der Form von Transformationsregeln, die angeben, unter welchen Bedingungen bestimmte individuelle Effekte des Handelns, seien diese intendiert oder nicht, bestimmte koUektive Sachverhalte erzeugen. Hierzu gehort neben der begrifflichen Festschreibung des kollektiven Explanandums im einfachsten Fall die Angabe einer statistischen Transformationsregel, nach der ein Kollektivsachverhalt gebildet wird (im Falle von Scheidungs-, Arbeitslosen- oder auch Kriminalitatsraten etwa die einfache statistische Transformationsregel der Summenfunktion).^^ Anzumerken bleibt, dass die Giiltigkeit eines inhaltlich spezifizierten Mikro-MakroModells sozialen Handelns fur die Erklarung eines gegebenen kollektiven Phanomens immer unter einen ceteris panbus-Yotheh2i\i gestellt ist. Das heiBt, dass sich unter dem 37 Dass das Modell in diesem Zusammenhang von einer hogik der Situation - sowie im Folgenden von einer Logik der Selektion und der Aggregation - spricht, stellt dabei implizit darauf ab, dass der Einfluss der strukturellen Gegebenheiten auf die Situationsdefinition — sowie im Weiteren der Einfluss der Situationsdefinition auf die Selektion einer Handlungsoption und der Einfluss der konkreten Handlungswahl auf die Entstehung eines kollektiven Phanomens - in der Form von Wenn-Dann- oder Je-desto-Hypothesen pradikatenlogisch reformulierbar sein muss. 38 Vergleiche ausfuhrlicher zu einfachen und komplexen Transformationsregeln und Aggregationsfunktionen Esser (2000: 1-29).
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
41
Einfluss modellexterner Einflussfaktoren die historisch variablen ModellgroBen - dies gilt im Besonderen fiir die Bruckenh}^othesen zur Logik der Selektion und fiir die Transformationsregeln zu Logik der Aggregation - verandern konnen (vgl. hierzu u.a. Esserl999:18). Ausgehend von diesem dreistufigen Grundmodell wurden von verschiedenen Autoren Modellvariationen entwickelt, die die Modellrelationen um verschiedene Zwischenstufen erweitern. So postuliert etwa Briiderl (2004: 176) zur Erklarung von Heiratsentscheidungen ein ModeU, in dem die Logik der Selektion sich nicht auf die konkrete Handlungswahl, sondern lediglich auf die Vorstufe der Auswahl bzw. Ausbildung einer Handlungsstrategie bezieht. In diesem Fall wird angenommen, dass der Ubergang von der Ausbildung einer Handlungsstrategie zur Durchfiihrung einer Handlung nicht nur von individuellen Kosten-Nutzen-Erwagungen, sondern auch von dem Handeln resp. der Einwilligung zumindest eines zweiten Akteurs abhangt.^"^ Die Handlungsentscheidung wird entsprechend aufgefasst als erster Teil eines Aggregationsprozesses, der sich mit einem eigenen Transformationsmechanismus verbindet. In Anlehnung an die ausgefiihrten Uberlegungen soil im Folgenden fiir die Zwecke der vorliegenden Untersuchung das Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns ebenfalls weiter ausdifferenziert werden (vgl. Abb. 3.2.2). Dabei gilt in dem von uns betrachteten ModeUzusammenhang, dass hier — bezogen auf die Modellrelation zur Logik der Situation - wesentlich der Einfluss der Markteinbindung auf die Auspragung normbezogener Orientierungsmuster rekonstruiert wird. Die Modellrelation zur Logik der Selektion ist ihrerseits dreifach untergliedert. In einem ersten Schritt wird dabei der Ein fluss normbezogener Orientierungsmuster auf die Auspragung situationaler OrientierunAbbildung 3.2.2: Rahmenmodell sozialen Handelns fiir die vodiegende Untersuchung
Einbindung in Marktstrukturen
Normbezogene Orientierungsmuster
J \ Akteur ^
2a \
KriminaHtatsraten, zivilgesellschaftUches Engagement
^
/
2e
DeUnquentes und „prosoziales" Handeln
- ^«
/1
•••••.....
Situationale Orientierungen
/
^ 2b
^^ I
handlung
Bereitschaft zu delinquentem und „proso2ialem Handeln
39 Analog hierzu stellt Coleman (1987: 163ff.) in seinen Analysen zur Berufswahl von Akteuren heraus, dass die Frage, welchen Beruf Personen ergreifen, nicht nur von der individuellen Intention, sondern auch von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhangt.
42
3. Konzeptualisierung
rungen in den Blick genommen (Relation 2a). Normbezogene Orientierungsmuster und situationale Orientierungen reprasentieren dabei differente UntersuchungsgroBen auf der Ebene des Akteurs. These ist hier, dass das Vorliegen eines allgemeinen normbezogenen Orientierungsmusters darauf Einfluss nimmt, welche situationalen Orientierungen in einer Handlungssituation aktiviert und fur Zwecke der Situationsdefinition herangezogen werden. Eine zweite Subrelation auf der Ebene der Logik der Selektion betrifft die Beziehung zwischen den situationalen Orientierungen von Akteuren und der Bereitschaft zu delinquentem und „prosozialem" Handeln (Relation 2b). Diese Relation verbindet die Analyseebene des Akteurs mit der Analyseebene des Handelns. Es wird in diesem Zusammenhang postuliert, dass die situationalen Orientierungen von Akteuren deren Bereitschaft zu delinquentem und „prosozialem" Handeln pradeterminieren. Des Weiteren betrifft eine dritte Subrelation auf der Ebene der Logik der Selektion die Beziehung zwischen der Handlungsbereitschaft und dem Handeln von Akteuren (Relation 2c). Diese Relation verbindet zwei zu differenzierende UntersuchungsgroBen auf der Ebene des Handelns. Dabei wird angenommen, dass die Handlungsbereitschaft ein zentraler Pradiktor fiir die tatsachlich getroffene Handlungswahl resp. das Handeln von Akteuren ist. Neben den die Logik der Selektion explizierenden Relationen 2a, b und c werden in dem Untersuchungsmodell noch zwei weitere Subrelationen beriicksichtigt, die den Selektionsprozess des Handelns auf einer iibergeordneten Ebene fokussieren: so zum einen die Relation 2d zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und der Bereitschaft zu delinquentem und „prosozialem" Handeln und Relation 2e zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und der konkreten Ausfuhrung delinquenter und „prosozialer" Aktivitaten. Beide Relationen verbinden dabei die Analyseebene des Akteurs mit der Analyseebene der Handlung. Zugrunde liegt dabei die Annahme, dass die normbezogenen Orientierungsmuster, die iiber die Aktivierung situationaler Orientierungen auf die Handlungsbereitschaft und durch diese auf das Handeln von Akteuren wirken, bei Nicht-Beriicksichtigung der situationalen Orientierungen als unabhangige Pradiktoren sowohl der Verhaltensintention als auch des Handelns von Akteuren in Erscheinung treten. Die Relationen 2d und 2e werden in diesem Sinne iiber die Relationen 2 a, b und c expliziert. Relation 3 formuliert auch im Rahmenmodell der vorliegenden Untersuchung die Aggregationsrelation zwischen delinquenten und „prosozialen" Handlungen auf der einen Seite- und den Kriminalitatsraten resp. dem zivilgesellschaftlichem Engagement auf der Makroebene des Gemeinwesens oder auch Gesellschaftssystems auf der anderen Seite. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich im Rahmen der Analyse des Zusammenhangs zwischen der Einbindung in Marktstrukturen, der Auspragung von normbezogenen Orientierungsmustern und dem Auftreten delinquenter und „prosozialer" Handlungen bei Akteuren auf die Rekonstruktion der Logik der Situation und der Logik der Selektion. Als maBgebliche StrukturgroBen fiir die Kennzeichnung dieser Relationen gelten dabei die Einbindung von Akteuren in die Strukturen des Marktes, die normbezogenen Orientierungsmuster, die situationalen Orientierungen und die normbezogenen Verhaltensintentionen von Personen. Thematisiert wird im Weiteren
43
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
ebenfalls das Vorkommen und die Auftretenshaufigkeit verschiedener Formen des normbezogenen Handelns, die - losgelost von situationalen Orientiemngen und Handlungsintentionen - vornehmlich zu den Orientierungsmustern von Akteuren in Beziehung gesetzt werden. Gleichwohl ist an dieser Stelle anzumerken, dass im Zentmm der vorliegenden Untersuchung nicht das Verhalten, sondern die Ytr\i2Xx.tn%bereitschaft von Akteuren steht. Normbezogenes Verhalten, so die hier vertretene Auffas sung, resultiert immer aus dem Zusammenwirken der individuellen Verhaltensbereitschaft einerseits und der gegebenen Handlungsoptionen bzw. Gelegenheitsstrukturen zu delinquentem und „prosozialem" Verhalten andererseits. Aus forschungsokonomischen Griinden muss die vorliegende Untersuchung die Komponente der Gelegenheitsstrukturen weitgehend ausblenden.
3.2.1 Relation 1:Logik der Situation
Der theoretische Ausgangspunkt und Bezugsrahmen fiir die Rekonstruktion der Logik der Situation ist die postulative Annahme, dass Akteure immer im Spannungsfeld verschiedener gesellschaftlicher Ordnungssysteme agieren. Fiir die Zwecke unserer Studie wurden dabei als zentral herausgestellt die Ordnungssysteme von Gemeinschaft, Recht und Markt mit ihren je eigenen Steuerungsprinzipien der freien Konkurrenz im Falle des Marktes, der hierarchischen KontroUe im Falle des Rechts und der spontanen Solidaritat und informellen Kontrolle im Falle der Gemeinschaft^^ (vgl. Abb. 3.2.1.1). Abbildung 3.2.1.1: Theoretischer Bezugsrahmen: Gesellschaftiiche Ordnungssysteme, systemeigene Steuerungsprinzipien und normbezogene Orientierungen
Ordnungssysteme Gemeinschaft Staat / Recht Markt
Steuerungsprinzipien Informelle Kontrolle, spontane Solidaritat Hierarchische Kontrolle, Legitimitatsglaube Freie Konkurrenz, Gewinnmaximierung
Normbezogene Orientierungen Kommunitarismus Nomozentrismus Okonomismus
Es wird dabei unterstellt, dass Gemeinschaft, Recht und Markt individuelles Handeln gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen steuern und reguUeren, und zwar iiber die Auspragung normbezogenerer Orientierungen. So fuhrt die Gemeinschaft iiber die Steuerungsprinzipien der informellen Kontrolle und der spontanen Solidaritat zur
40 Die vorgenommene Unterscheidung von Markt, Recht und Gemeinschaft als den drei basalen Ordnungssystemen moderner Gesellschaften orientiert sich an Kaufmann (1983: 474ff.). sowie an Streeck und Schmitter (1985: 119ff.). Der Begriff des Rechts bezieht sich hier wie im Folgenden primar auf den Bereich des repressiven Rechts resp. Strafrechts.
44
3. Konzeptualisierung
Auspragung kommunitar-gemeinschaftlicher Orientiemngen, hier mit dem Ausdruck Kommunitarismu^^ bezeichnet (: communitas „die Gemeinschaft"). Das Recht - und in Sonderheit das Strafrecht - fiihrt iiber die Formulierung von Straftatbestanden und daran gekniipfter Sanktdonsnormen zur Auspragung rechtsnormbezogener Orientiemngen, hier kurz als Nomo^^entrismu^'^ bezeichnet (: nomos „das Gesetz"). SchlieBlich fiihrt der Markt iiber seine Steuerungsprinzipien der freien Konkurrenz und der Gewinnmaximierung auf seiten der gesellschaftlichen Akteure zur Auspragung okonomischer Orientierungen bzw. eines commitments an okonomische Erfolgsziele, hier kurz als Okonomismus bezeichnet. Das Ordnungssystem des Marktes wird in der vorliegenden Untersuchung analog zu Gemeinschaft und Recht als normatives System konzeptualisiert. Die vorliegende Untersuchung geht entsprechend davon aus, dass sowohl im Erwerbsleben als auch in anderen Marktbereichen die Prinzipien der freien Konkurrenz und der Gewinnmaximierung mit einem normativen Geltungsanspruch an den Einzelnen herantreten und diesen bei Androhung der Ausschaltung vom Wettbewerb dazu auffordern, seine Vorteile zu realisieren und sich in diesem Sinne marktkonform zu verhalten.^^ Marktkonformes Verhalten meint in diesem Sinne ein Handeln, das im Falle eines Zielkonflikts dem okonomischen Prinzip der Gewinnmaximierung deutlich Prioritat gibt etwa vor altruistischen Interessen oder auch karitativen Zielsetzungen. Betreffs der normbezogenen Orientierungen gehe ich im Weiteren davon aus, dass diese nicht uniform und mit gleicher Intensitat bei alien Angehorigen einer Gesellschaft ausgepragt sind. Forschungsleitend fiir die vorliegende Studie ist vielmehr die Annahme, dass je nach der sozialen Position von Akteuren — im gesellschaftlichen Strukturgefiige im Allgemeinen und im Marktgeschehen im Besonderen - die graduelle Auspragung dieser Orientierungen variiert. These ist entsprechend, dass sich unter dem je spezifischen Einfluss der Ordnungssysteme von Gemeinschaft, Recht und Markt bei Akteuren in unterschiedlichen sozialen Positionen auf der Ebene der unterschiedenen normbezogenen Orientierungen ein je spezifischer normativer Habims (Karstedt 2004) auspragt, der ihren alltaglichen Umgang mit dem Geltungsanspruch formell-rechtlicher und informell-gemeinschaftlicher Normen praformiert. Unterschiedliche normbezogene Orientierungsmuster bzw. unterschiedliche Auspragungen des normativen Habitus
41 Das Konzept des Kommunitarismus soil im Kontext der gegebenen Ausfiihrungen, losgelost von seiner komplexeren sozialtheoretischen Verankerung in den Werken von Michael Sandel (1982), Charles Taylor (1985a, 1985b, 1993), Alasdair Maclntyre (1987), Amitai Etzioni (1988, 1998) u.a. (vgl. zusammenfassend Honneth 1993 und Reese-Schafer 1995), ausschlieBlich zur Bezeichnung einer positiv ausgepragten kommunitar-gemeinschafdichen Orientierung dienen. 42 Der Begriff des Nomozentrismus entstammt den Arbeiten des Speyrer Werteforschers Helmut PClages (1988: 64ff.). Er charakterisiert den von ihm nachgezeichneten Wertewandelsschub in den Siebziger und Achtziger Jahren als einen Wandel von primar nomozentrischen zu autozentrischen Werten, Nomozentrismus meint nach Klages eine verstarkte Orienderung an Pflicht- und Akzeptanzwerten. Das Konzept orientiert sich dabei an einem autoritaren Normverstandnis. Der Gegenbegriff des Autozentrismus beschreibt demgegeniiber eine verstarkte Orientierung an individualistischen Werten der Selbstentfaltung. 43 Die Konzeptualisierung des Marktes als normatives System findet in der gegebenen Form ihr Vorbild in der Beschreibung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in Max Webers Protestantischer Ethik (vgl. Weber 1988: 37).
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
45
in einer Gesellschaft lassen sich entsprechend als Ausdmck und Gerinnungsprodukt binnengesellschafdich variierender Differenzierungsmuster der Einbindung von Akteuren in die Strukturen der gesellschafdichen Ordnungssysteme von Staat bzw. Recht, Markt und Gemeinschaft begreifen. Fiir den Einfluss der Markteinbindung auf die normbezogenen Orientderungsmuster lassen sich in Anlehnung an die Institutional Anomie Theory von Messner und Rosenfeld (vgl. Abschnitt 2.3.3) insbesondere drei marktdnduzierte Prozesse als bedeutsam herausstellen: erstens die Devaluation nicht-okonomischer Erwartungen und RoUenmuster, zweitens die Akkommodation von Rollensets zugunsten des Erhalts bzw. der Aufwertung okonomischer Statuspositionen und drittens die Penetration klassischerweise nicht-okonomischer Spharen des Alltagshandelns durch Orientierungs- und Verhaltensmuster aus den Spharen des Markthandelns. Die Annahme dieser Prozesse fungiert in dem gegebenen Zusammenhang als theoretischer Hintergrund fiir die Ableitung von Briickenhypothesen zum Einfluss der Markteinbindung von Akteuren auf die Auspragung kommunitar-gemeinschaftlicher, nomozentrischer und okonomischer Orientierungen. 3.2.1.1 Devaluation Die Annahme der Devaluation (Abwertung) nicht-okonomischer Erwartungen und RoUenmuster verweist darauf, dass Akteure mit zunehmender Markteinbindung die Bedeutung gegebener Rollenaufgaben im Familien- und Freundschaftskontext oder auch die Relevanz gegebener Verpflichtungen im Schul- und Bildungssystem sukzessive abwerten. Je starker Personen in die Strukturen der Markte inkludiert sind, desto eher ist fiir sie entschuldbar, dass gegebene Obligationen aus Familienbeziehungen und Freundschaftskontakten in ihrem Prioritatsstatus zuriickgestuft werden. Starker markteingebundene Akteure werden also gegebene Rollenverpflichtungen aus nicht-okonomischen Lebens- und Handlungsbereichen in ihrer Relevanz tendenziell eher abwerten. Dies bedeutet implizit, dass die kommunitar-gemeinschaftlichen Orientierungen von Akteuren mit zunehmender Markteinbindung zuriickgehen. Gleiches gilt im Weiteren fiir die so genannte Staatsbiirgerrolle und die mit ihr einhergehenden rechtlichen Verpflichtungen. Starker markteingebundene Akteure werden also im Konfliktfall ebenfalls eher dazu tendieren, den Geltungsanspruch einer Rechtsnorm und der aus ihr resultierenden Verpflichtungen abzuwerten als weniger marktinkludierte Akteure. Auch hieraus folgt wiederum implizit, dass die nomozentrischen Orientierungen von Akteuren mit zunehmender Markteinbindung zuriickgehen. 3.2.1.2 Akkommodation Die Annahme eines marktinduzierten Prozesses der Akkommodation von Rollensets schlieBt an die These von der Devaluation nichtokonomischer Erwartungen und RoUenmuster an und untersteUt, dass starker marktinkludierte Akteure im FaUe von InterroUenkonflikten zwischen den Anforderungen okonomischer und nicht-okonomischer StatusroUen dazu neigen, nichtokonomische RoUen zugunsten des Erhalts resp. der Aufwertung okonomischer StatusroUen zu moduUeren. Menschen sehen sich so
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3. Konzeptualisiemng
etwa unter Druck, bei Auftreten von Inter-Rollen-Konflikten, wie etwa zwischen familiaren oder ehrenamtlichen auf der einen und beruflichen Rollen auf der anderen Seite, nicht-okonomische Rollen zugunsten okonomischer Rollen in den Hintergrund 2u stellen oder auch aufzugeben. Dies bezieht sich wiederum in gleicher bzw. ahnlicher Weise auf den Umgang mit Rollennormen aus dem Bereich informeller Beziehungen wie auch auf den Umgang mit formell-rechdichen Normen. Entsprechend gilt auch hier als Briickenannahme, dass - vermittelt iiber die Akkommodation von Rollensets - mit zunehmender Markteinbindung von Akteuren die graduelle Auspragung kommunitargemeinschaftlicher und nomozentrischer Orientierungen zuriickgeht, wogegen die graduelle Auspragung okonomischer Orientierungen steigt. 3.2.1.3 Penetration Die Annahme eines Prozesses der Penetration von Bereichen des Alltagshandelns, die bis dato unter der Vorherrschaft marktfremder Relevanz- und Ordnungssysteme standen, durch Orientierungs- und Verhaltensmuster aus der Sphare des Markthandelns folgt partiell den Thesen kommunitaristischer Autoren zur gemeinschaftszersetzenden Kraft des Marktes (vgl. Abschnitt 2.2.4). Fiir die Zwecke der vorliegenden Untersuchung sollen dabei zwei prozessuale Unterdimensionen der Penetration markttypischer Orientierungsmuster in nicht-okonomische Domanen des Alltagshandelns unterschieden werden: der Prozess der Individualisierung der Lebensfiihrung^^ ^^d der Prozess der Okonomisierung des Alltagslebens. Unter dem Titel der Individualisierung der'Lebensfiihrungwird angenommen, dass mit der zunehmenden Einbindung von Akteuren in die Strukturen des Marktes auf der Ebene sozialer Beziehungen zunehmend das markttypische Vertragsmodell und mit ihm das Prinzip einer individualisierten Zurechnung von Verantwortung in die Beziehungskonzepte von Akteuren Einzug erhalt.^^ Das Prinzip sozialer Reziprozitat, das typisch ist fiir alle Formen kommunitarer Gemeinschaftsbeziehungen, wird hier sukzessive ersetzt durch das Modell einer Tauschbeziehung, in die Akteure letztlich freiwillig eintreten und in der sie auBerhalb der vereinbarten Formen des Giitertauschs an keine weiteren Verpflichtungen gebunden sind."^*^ Es wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass das Modell der Tauschbeziehung um so mehr in kommunitar-gemeinschaftlich gepragte Beziehungskonstellationen Einzug erhalt, je starker die beteiligten Akteure in die Strukturen des Marktes eingebunden sind. Dabei gilt, dass in dem MaBe, in dem sich ein individualisierter Modus der Verantwortungszuschreibung in der Marktsituation und durch Ubertragung der Orientierungsmuster auch in den marktexternen Beziehungskonzepten des Einzelnen durchsetzt, die Bindungskraft normativer Vorgaben, die durch Gemeinschaft
44 Das Konzept der Individualisierung soil hier in Anlehnung an Wohlrab-Sahr verstanden werden als zunehmende Verankerung eines auf das Prinzip der individuellen Verantwortung abstellenden Zurechnungsmodus in den verschiedenen Sozialbeziehungen von Akteuren (vgl. Wohlrab-Sahr 1992: 6f.). 45 Die Verbindung der Marktkultur mit einer Ideologie des Individualismus wird insbesondere von Sutherland hervorgehoben (vgl. Sutherland 1947, S. 73). 46 Vgl. Kraemer (1997: 285f.).
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
47
und Recht an den Einzelnen herangetragen werden, hinter dessen Selbstvertretungsanspruch zuriicktritt. Dies meint, dass starker marktinkludierte Akteure, verglichen mit weniger marktinkludierten Akteuren, sich in einer gegebenen Situation eher vorbehalten, den Prioritatsstatus normativer Verbindlichkeiten gegeniiber anderen Handlungszielen selbst festzulegen und auf diese Weise den Geltungsanspruch von Normen zu relativieren. Unter Okonomisierung des Alltagslebens mochte ich hier wie im Folgenden die Etablierung von Formen eines okonomischen Effizienzdenkens in klassischerweise nicht dem Markt zugehorigen Lebensbereichen von Akteuren verstehen. Dies meint vor allem eine Zunahme der Wertigkeit okonomischer Handlungsimperative gegeniiber kommunitar-gemeinschaftlichen oder auch nomozentrischen Orientierungen des Alltagslebens. Die zu diesem Punkt angestrengten Uberlegungen sind nicht ohne Bezug zu der von Habermas bereits zu Beginn der 1980er Jahre entwickelten These von der „Kolonialisierung der Lebenswelt"."^^ Gegenstand der Betrachtung ist dabei allerdings weniger ein Prozess des gesellschaftlichen Wandels, der sich etwa mit einer zunehmenden Dominanz der Okonomie im Konzert der gesellschaftlichen Ordnungskrafte verknupft,^^ sondern primar die in statischer Analyse nachweisbaren Differenzen, die sich bei Akteuren mit unterschiedlicher Markteinbindung auf der Ebene der individuellen Orientierungsmuster beobachten lassen. Eine strukturelle Okonomisierung der Lebensbereiche ist im Weiteren dort beobachtbar, wo im Zuge von DeregulierungsmaBnahmen im Rahmen der Arbeitsorganisation von rechtlichen auf marktformige Steuerungsinstrumente umgestellt wird. Hier kommt es fiir den Einzelnen zu einem Abbau von Rechtsgarantien und quasi gegenlaufig zu einer Zunahme von Erwartungsunsicherheiten. Unsicherheiten gewinnen dariiber hinaus fiir Akteure auf dem Arbeitsmarkt auch dort an Bedeutung, wo diese immer mehr damit rechnen miissen, dass eigene Privilegien oder Statuspositionen schlicht „ver)ahren". Im Erwerbsleben ist dies insbesondere in technischen Berufen in der Form beobachtbar, dass das hier erworbene Humankapital immer schneller veraltet und Akteure sich immer haufiger mit der Anforderung konfrontiert sehen, mit dem Wissenserwerb quasi wieder „ganz von vorne" beginnen zu miissen. Sennett (1998) merkt hierzu an, es sei heute nicht ungewohnlich, dass ein junger Hochschulabsolvent mit mindestens vierjahrigem Studium damit konfrontiert sei, in vierzig Arbeitsjahren wenigstens elfmal die Stelle zu wechseln und dabei seine Kenntnisbasis wenigstens dreimal auszutauschen.^^ Das Diktum der Flexibilitat, verbunden mit dem sich insbesondere auf Unternehmensseite etablierenden Prinzip, langfristige Bindungen zu vermeiden, hat dabei verhangnisvoUe Konsequenzen fiir die Entwicklung von Vertrauen, Loyalitat und gegenseitiger Verpflichtung.^o Sie werden unter solchen Rahmenbedingungen von Akteuren als fiir ihr Uberleben dysfunktionale Orientierungsmuster
47 Vgl. Habermas (1995a,b). 48 Vgl. hierzu etwa die Analysen von Maurer/Miiller/Siegert (1994) zur „Okonomisierung verschiedener Lebensbereiche in modernen Gesellschaften". 49 Vgl. Sennett (1998: 25). 50 Ebd.:27f.
48
3. Konzeptualisiemng
wahrgenommen (vgl. hierzu auch Taylor 1999: 61ff.; siehe Abschnitt 2.1.2). In einer Wirtschaft, in der Geschaftskonzepte, Produktdesign, Vorsprung vor der Konkurrenz, Kapitalausstattung und alle Arten von Wissen eine immer kiirzere Lebenserwartung haben,^^ scheinen eine grundsatzliche Distanz gegeniiber normativen Erwartungen sowie ein situativ flexibler Umgang mit moraUschen Verbindlichkeiten, kurz: eine Haltung anomischer AmoraUtat, herkommlichen Orientierungsmustern der Loyalitat und Dienstbarkeit als Anpassungstyp iiberlegen zu sein. Je starker Akteure in die Strukturen der Arbeits-, Finanz- und Konsumgiitermarkte eingebunden sind, so hier die Uberlegung, desto mehr sehen sie sich in ihrem Alltagsleben einem iibergreifenden Erfolgs- und Konkurrenzdruck ausgesetzt und desto starker tritt fiir sie der Geltungsanspruch der normativen Erwartungen von Gemeinschaft und Recht hinter den imperativen Charakter eines okonomischen Nutzenkalkiils und damit verbundener personlicher Erfolgs- und Konkurrenzorientierungen zuriick. Entsprechend geht die vorliegende Untersuchung von der Annahme aus, dass Akteure mit relativ hoher Markteinbindung vor dem Hintergrund eines perzipierten Erfolgs- und Konkurrenzdrucks in ihrem Handeln dazu neigen, die Handlungsimperative einer spontanen Solidaritat und eines normbezogenen Konventionalismus hinter das iibergreifende Kalkiil eines zweckorientierten okonomischen Effizienzdenkens zuriickzustellen. Abbildung 3.2.1.2: Markteinbindung, Devaluation, Akkommodation, Penetration und die Auspragung normbezogener Orientierungsmuster
51
Ebd.:29.
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
49
Abbildung 3.2.1.2 dokumentiert den angenommenen Zusammenhang zwischen der Einbindung in die Strukturen des Marktes, den Prozessen der Devaluation, Akkommodation und Penetration sowie der Auspragung kommunitar-gemeinschaftiicher, nomozentrischer und okonomischer Orientierungen.
3.2.2 Elation 2: lj)gik der Selektion 2Mt Rekonstruktion der „Logik der Selektion" soil im Rahmen unserer Untersuchung als Handlungstheorie die Theorie rationalen Handelns herangezogen werden. Zugrundegelegt wird entsprechend ein rational-choice-theoretisches Modell sozialen Handelns, das u.a. von Karl-Dieter Opp (1994: 12) und von Christian Liidemann (1997: lOff.) in drei theoretischen Kernannahmen formuliert wurde. Die erste Kernannahme besagt, dass Handeln dutch Praferenzsetzungen bedingt ist. Unter den Begriff der Praferenz werden dabei die Ziele, Wiinsche, Bediirfnisse oder Motive einer Handlung subsumiert. Die zweite Kernannahme besagt, dass Handlungen immer durch die gegebenen Optionen und Restriktionen einer Handlungssituation bedingt sind. Optionen und Restriktionen werden dabei als positive und negative Anreize einer Handlung wahrgenommen. Mogliche Restriktionen ergeben sich so etwa aus der Einkommenslage von Personen oder aus Normen und den mit ihnen verkniipften Sanktionen, mogliche Optionen aus bestimmten Fahigkeiten oder gegebenen Informationen eines Individuums. Die dritte Kernannahme der Theorie rationalen Handelns verkniipft sich schlieBlich mit dem Postulat der Nutzenmaximierung. Sie besagt, dass Akteure danach streben, ihre Handlungsziele unter den jeweils gegebenen Bedingungen im hochstmoglichen Grad zu realisieren. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass das haufig in der Mikrookonomie anzutreffende Postulat, wonach Personen stets auf Grundlage egoistischer Motive handeln und entscheiden (vgl. etwa Frey 1990: 6f.), nicht zu den Kernannahmen der Theorie rationalen Handelns gehort und vor alien Dingen von der Annahme der Maximierung des subjektiven Nutzens zu unterscheiden ist. Liidemann (1996: 11) stellt in diesem Zusammenhang heraus, die Annahme der Nutzenmaximierung besage ledigUch, dass Menschen ihr Handeln an dem ausrichten, was sie in hochstem MaBe zufrieden stellt. Dies konne aber auch dann der Fall sein, wenn sie einem altruistischen Handlungsmotiv folgend - durch ihr Handeln das Wohlergehen anderer fordern (vgl. hierzu auch Opp 1994: 13). Erganzend zu den drei angefiihrten Kernannahmen der Theorie rationalen Handelns sollen fiir den Kontext der vorliegenden Untersuchung die folgenden handlungstheoretischen Zusatzannahmen postuliert werden: So wird in Rechnung gestellt, dass Personen unter Umstanden auch intrinsisch im Sinne einer inneren oder auch Einstellungskonformitat (vgl. Amelang und Mitarbeiter 1988) danach streben, in Einklang mit gegebenen Gesetzen oder auch informeUen normativen Erwartungen zu handeln.^^ Das 52 Das Konzept der Einstellungskonformitat geht auf Analysen Leon Festingers (1953) zu den sozialpsychologischen Korrelaten von compliant behavior zuriick. Festinger stellt in diesem Zusammenhang dem Konzept der Einstellungskonformitat als Konformitdt aus innerer IJher^ugung das Konzept der Anpassungs-
50
3. Konzeptualisierung
Konsonanzgefiihl im Falle der Befolgung internalisierter Normen oder auch das „schlechte Gewissen" im Falle ihrer Nichtbefolgung haben dabei den Status interner Verhaltensanreize, die neben den „harten" materiellen und finanziellen Anreizen in eigenstandiger Weise individuelles Verhalten steuern (vgl. hierzu auch Lindenberg 1983; Opp 1989: 118ff.; Marini 1992: 36ff.; Esser 1994: 27ff.). Eine weitere Zusatzannahme bezieht sich auf die Art der von Akteuren vorgenommenen Kalkulation des individuellen Nutzens. So wird im Kontext der vorUegenden Untersuchung, analog zum Handlungsmodell der SEU-Theorie,^^ angenommen, dass es nicht die objektiven, sondern die subjektiven Wahrscheinlichkeiten der fur sie positiven und negativen Handlungskonsequenzen sind, die Akteure ihrer Nettonutzenkalkulation zugrundelegen. Hiermit geht die Annahme einher, dass Individuen iiber Optionen und Restriktionen in einer gegebenen Handlungssituation nie vollstandig informiert sind und in diesem Sinne immer iiber ein selektives Wissen verfiigen, das „objektiv" unrichtig sein kann. In Anlehnung an diese Uberlegung wurden insbesondere von Lindenberg (1989, 1990, 1993), aber auch von Esser (1990, 1991a, 1991b) Entscheidungsmodelle entwickelt, deren Ausgangspunkt die Annahme einer eingeschrankten RationaUtat, oder besser: einer eingeschrankten kognitiven Kapazitat von Akteuren ist. Fiir den Zweck der vorUegenden Untersuchung interessiert dabei insbesondere die Uberlegung, dass bei Akteuren sowohl auf der Ebene der Ziel- ais auch auf der Ebene der Mittelstruktur in Alltagssituationen eine Vereinfachung der Situationswahrnehmung erfolgt. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Wirkungsweise so genannter frames. Der Jrame-^^^iii bezeichnet dabei in Anlehnung an Erving Goffman (1993: 9ff., 15, 19) einen Bezugsrahmen der Situationswahrnehmung. Er ist einem Relevanzsystem vergleichbar, das die Situationswahrnehmung von Akteuren strukturiert und iiber das sich fiir den Einzelnen entscheidet, (a) was das dominierende Handlungsziel einer Situation ist (vgl. Lindenberg 1990: 268) und (b) was - aus den situativen Gegebenheiten heraus - die moglichen oder auch bewahrten Mittel sind, um dieses Ziel zu erreichen (vgl. Esser 1990, 1993). Frames sind in diesem Sinne entscheidend dafiir, welche Praferenzen von Akteuren in einer gegebenen Situation verfolgt werden und wie sie die Handlungs situation definieren (vgl. Esser 1999: 169ff.). Sie sollen fiir den Kontext unserer Untersuchung mit den situationalen Orientierungen gleichgesetzt werden, die Akteure in einer gegebenen Handlungs situation aufnehmen (vgl. Abschnitt 3.1, S. 35ff.). Welcher frame von Akteuren in einer gegebenen Situation aktiviert wird, ist u.a. davon abhangig, welche Orientierungsmuster, d.h. welche wert- und normbezogenen Einstellungen ein Akteur in eine gegebene Handlungs situation hineintragt. Uber die Aktivierung differenter^^^^j des Handelns nehmen die normbezogenen Orientierungs-
konformitat als einer Konformitdt aufgrund der erwarteten positiven und negativen Sanktionen drifter Personen gegeniiber. Vgl. hierzu auch Amelang und Mitarbeiter(1988: 738f.). 53 Das Kiirzel SEU steht hier fiir Subjective Expected Utility. Die Theorie wurde in ihrer urspriinglichen Fassung von Savage (1954) und Edwards (1954, 1961) formuJiert. Einen Uberblick iiber die SEUTheorie geben u.a. Opp (1983: 41-49) und Esser (1999: 344f.).
51
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
muster Einfluss auf die Selektion zwischen Handlungsalternativen und entsprechend ebenfalls auf das Handeln von Akteuren. Schematisch lasst sich der Zusammenhang zwischen wert- und normbezogenen Orientierungsmustern des Uberzeugungssystems, dtn frames der situationalen Orientierung und der Handlungswahl von Akteuren in Anlehnung an Kiihnel und Bamberg (1998: 258) iiber die folgende Skizze veranschauHchen (vgl. Abb.3.2.2.1). Abbildung 3.2.2.1: Orientderungsmuster nnd frames dt^ Handelns
Soziale Umwelt
Uberzeugungssystem;
Frame:
Wert- und normbezogene Orienderungsmuster
Situatdv dominierendes Handlungsziel
Handlungswahl
Physische Umwelt
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass zur Rekonstruktion der Logik der Selektion prinzipiell auch andere Handlungstheorien zur Verfugung gestanden hatten. Dies gilt zum einen etwa fiir die von Amitai Etzioni (1988) in Abgrenzung zum Rational-Choice-Paradigma entwickelte Theorie „moralisch-rationalen" Handelns, die menschUches Handeln gleichzeitig sowohl durch rational-egoistische als auch durch moralisch-wertrationale Motive gesteuert sieht und dabei die moraUsche Dimension als irreduzible Dimension menschlichen Handelns heraussteUt. Alternativ hierzu hatte ebenfalls die voluntaristische Handlungstheorie Talcott Parsons', die jiingst dem deutschen Kriminologen Dieter Hermann (2003) als Grundlage seiner Allgemeinen Kriminalitatstheorie diente, zur handlungstheoretischen Rahmung der vorUegenden Untersuchung herangezogen werden konnen. Beide Theorien betonen die gleichrangige Wertigkeit von wertrationalen und zweckrationalen Motiven als Selektionsregeln fiir die individuelle Handlungswahl. Allerdings besteht ein Nachteil der Parsons'schen Handlungstheorie vor allem darin, dass sie durch ihre kontrastierende Gegeniiberstellung wertrationaler und utilitaristisch-zweckrationaler Handlungsaspekte mit Blick auf die Beschreibung einander iiberlagernder wertgehundener und ^eckrationakr Handlungsmotive eher ungelenk ist. Dariiber hinaus ist das von Etzioni vorgeschlagene AkteursmodeU aufgrund der von ihm postulierten moraHschen Dimension alien menschlichen
52
3. Konzeptualisiemng
Handelns ontologisch voraussetzungsvoller als die Theorie rationalen Handelns, ohne dieser gegeniiber theorietechnische Vorteile fiir die Beschreibung und Analyse sozialen Handelns zu liefern. Das begriffliche Instmmentarium der Theorie rationalen Handelns zeichnet sich gegeniiber den genannten Theorien dadurch aus, dass es fiir die Zwecke der theoretischen Analyse flexibler zu handhaben ist. Erganzt um die Konzepte der subjektiven Uberzeugungssysteme und situationalen frames of action bietet es dabei problemlos die Moglichkeit, differente Wertorientierungen in Kombination mit rational-utilitaristischen Aspekten des Handelns unabhangig von graduellen Uberlagerungen oder Divergenzen zu beschreiben. 3.2.2.1 Relation 2a: Orientierungsmuster und situationale Orientierungen Ubertragt man die skizzierten Uberlegungen auf den Kontext der vorliegenden Untersuchung, so las sen sich die nomozentrischen, okonomischen und kommunitar-gemeinschaftiichen Orientierungen als Dimensionen eines individuellen Uberzeugungssystems auffassen. In Abhangigkeit davon, wie stark diese Orientierungen jeweils ausgepragt sind, bestimmt sich entsprechend, welche frames Akteure in einer gegebenen Situation aktivieren, d.h. welche Ziele sie verfolgen und welche Relevanz sie normativen und materiellen Vorgaben fiir ihr Handeln einraumen. Eine starke Auspragung nomozentrischer Orientierungen, so hier die Annahme, begiinstigt die Aktivierung von Situationsdefinitionen, die den Geltungsanspruch rechtlich-normativer Vorgaben im Zuge der Handlungswahl salient werden lassen. Umgekehrt begiinstigt eine starkere Auspragung okonomischer Orientierungen im Hinblick auf normative Vorgaben eine Haltung der moralischen Indifferenz. Nach MaBgabe des Prinzips, dass der Zweck die Mittel heilige, werden hier auch deviante Handlungsoptionen dann zunehmend attraktiv, wenn sie fiir den Akteur - bei gleichem Nutzen - mit geringeren Kosten verbunden sind als die legale Alternative. Mit Blick auf die Attraktivitat „prosozialer" Verhaltensoptionen gilt im Weiteren, dass auch diese aus okonomischem Blickwinkel zunachst und primar als Investitionen gelten, die dann attraktiv werden, wenn sie fiir den Einzelnen einen return on investment versprechen, d.h. wenn sie etwa mit einer Steigerung des sozialen Ansehens einhergehen und dieser Ruf im Weiteren der eigenen Marktposition zugute kommt. Die Ausiibung „prosozialer" Aktivitaten aus altruistischen Motiven scheint demgegeniiber aus der Perspektive einer verstarkt okonomischen Orientierung mit ihrer Ausrichtung am Prinzip der Profitmaximierung als eher befremdlich. So ist die okonomisch fokussierte Kosten-Nutzen-Analyse auf die Mehrung materieller Gewinne resp. Erfolgschancen ausgerichtet, wogegen kommunitargemeinschaftlich fokussierte Kosten-Nutzen-Analysen weniger auf materielle Erfolgschancen als auf die Sicherung kollektiver Giiter und gemeinschaftlicher Interessen hin bilanzieren. Eine starke Auspragung kommunitarer Orientierungen begiinstigt demgegeniiber die Freisetzung altruistischer und solidarischer Handlungsmotive, die dafiir Sorge tragen, dass informelle Fairness-, Altruismus und Solidaritatsnormen in einer gegebenen Situation in ihrem Geltungsanspruch tendenziell eher wahrgenommen und eingehalten werden. Mit Blick auf die Attraktion delinquenter Handlungsoptionen stiitzen diese Orientierungen u.U. eine Haltung der Normkonformitat. Dies ist in der
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
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Kegel dann der Fall, wenn rechtliche Normen aus Sicht des Handelnden mit dem Gemeinwohlinteresse in Einklang stehen. Andererseits konnen starke kommunitare Orientiemngen bei der Situationsdefinition auch zur Folge haben, dass Gruppennormen in ihrer Relevanz iiber den Geltungsanspruch formell-rechdicher Vorgaben gestellt werden. Exemplarisch fiir eine solche Orienderung stehen etwa Personen aus religiosen Kreisen, die ihre Kinder aus Sorge vor areligiosen weltanschaulichen Einfliissen von der Schule fern halten und selbst Gefangnisstrafen dafur billigend in Kauf nehmen (vgl. Spiegel-Online-Bericht „Schulboykott: Mit harten Bandagen gegen Verweigerer" vom 22.04.05). Beispielhaft anfiihren lassen sich hier ebenfalls Umweltaktivisten, die zur Verhinderung oder auch Anprangerung von industriellen Projekten, die das Kollektivgut „Umwelt" beeintrachtigen, Gesetzesverletzungen in Kauf nehmen. Eine hohe Auspragung kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen kann so die Attraktivitat delinquenter Handlungsoptionen in Abhangigkeit von den jeweiligen situativen Umstanden sowohl herabsetzen als auch erhohen. Optionen zu „prosozialem" Verhalten hingegen werden in ihrer Attraktivitat durch eine erhohte Auspragung kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen generell begiinstigt. Voraussetzung ist hier lediglich, dass das entsprechende Verhalten von den Akteuren ebenfalls als „prosozialen" Zwecken dienend wahrgenommen wird. Abbildung 3.2.2.1.1: Individuelle Uberzeugungssysteme und situationale Orientierungen
Individuelle Uberzeugungssysteme
Situationale O rientierungen (fram es)
Kommunitare Orientierungen N o r m b e z o g e n e E instellungen
N om o z e n t r i s c h e O r i e n t i e r u n g e n
^
Verhaltensziele
Materielle V e r h a l t e n s a n r e i z e Okonomische Orientierungen
3.2.2.2 Relation 2b: Situationale Orientierungen und Handlungsbereitschaft Die Konzeptualisierung und theoretische Rahmung der Modellrelation zwischen den situationalen Orientierungen und der individuellen Handlungsbereitschaft erfolgt unter Riickgriff auf die „Theory of reasoned action" (im Folgenden abgekiirzt: TORA) von Ajzen und Fishbein (Fishbein/Ajzen 1975, Ajzen/Fishbein 1980). Diese sozialpsychologische Entscheidungstheorie - entwickelt zur Analyse von Einstellungs-VerhaltensBeziehungen (vgl. Fishbein 1993: xv) - ermoglicht es, die vorgestellten Modi nomozentrischer, okonomischer und kommunitarer Orientierungen in ein gemeinsames Modell des sozialen Handelns zu integrieren. Zentrale BestimmungsgroBe des Handelns
54
3. Konzeptualisiemng
sind der TORA zufolge die so genannten Verhaltensintentionen. Diese besitzen den Status von Handlungsentwiirfen, -zielen oder -planen, deren faktische Realisierung immer mit einem gewissen Grad an Unsicherheit verbunden ist (vgl. Ajzen 1985: 24). Operational werden sie dabei iibergreifend als subjektive Wahrscheinlichkeiten beziiglich des Auftretens bestimmter Verhaltensweisen aufgefasst.^"^ Verhaltensintentionen hangen der TORA zufolge unmittelbar von zwei Ursachen resp. DeterminationsgroBen ab: von sog. verhaltensbezogenen Einstellungen und von subjektiven Normen. Die verhaltensbezogenen Einstellungen beinhalten Vorstellungen dariiber, welchen instrumentellen Wert eine Handlung in Bezug auf bestimmte Handlungsfolgen besitzt und wie die erwartbaren Folgen der Handlung insgesamt aus der Sicht des Handelnden zu bewerten sind. In diesem Teil der TORA spiegelt sich, wie Liidemann herausstellt, das Akteursprofil des klassischen homo oeconomkus, der eine Handlung allein zweckrational unter Effizienzkriterien beurteilt (vgl. Liidemann 1997: 43). Die subjektiven Normen stehen demgegeniiber fiir Vorstellungen iiber die normative Struktur einer Situation. Sie beinhalten „perzipierte Erwartungen von Bezugspersonen oder Bezugsgruppen im Hinblick auf bestimmte Handlungen und die Motivation des Akteurs, diese Verhaltenserwartungen seiner sozialen Umwelt auch zu erfiillen" (ebd.). Dieser Teil der TORA reprasentiert demgegeniiber den homo sociologicus, der sich gemaB der Rollentheorie an den perzipierten Normen und Erwartungen seiner sozialen Umwelt orientiert. Die Intention, von einer bestimmten Handlung Gebrauch zu machen, ergibt sich der TORA zufolge aus dem Zusammenwirken subjektiver Normen und verhaltensbezogener Einstellungen. Zu welchen Anteilen beide Komponenten die Entstehung von Handlungsintentionen jeweils bestimmen, wird dabei durch die Theorie variabel gehalten. Die relative Einflussstarke beider GroBen, so hier die Uberlegung, sei vielmehr empirisch zu ermitteln und konne bei unterschiedHchen sozialen Gruppen und sicherlich auch bei unterschiedHchen Handlungszielen variieren (vgl. hierzu auch Herkner 1991: 218f.). Die Starke der beiden Intentionsursachen ist besonders dann von Bedeutung, wenn die Bewertung der instrumentellen Eignung einer Handlung fiir die Realisierung erwiinschter Zwecke mit dem Geltungsanspruch subjektiver Normen koUidiert. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass die verhaltensbezogenen Einstellungen und die subjektiven Normen mit jeweils entgegengesetzten Vorzeichen auf die Intentionsbildung Einfluss nehmen. Die Moglichkeit, Gegensatze dieser Art zu modellieren, pradestiniert die TORA sowohl fiir die Analyse normabweichender als auch „prosozialer" Verhaltensintentionen, da hier in beiden Fallen normkonforme und normabweichende Verhaltensoptionen zur Wahl stehen. Als sozialpsychologische Entscheidungstheorie hat die TORA dabei den Anspruch, mit den verhaltensbezogenen Einstellungen und den subjektiven Normen die zentralen Determinanten der Intentionsbildung namhaft gemacht zu haben. Sie geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass - bei angemessener Operationalisierung der Konzepte - unter Kontrolle von verhaltensbezogenen Einstellungen und subjektiven Normen - keine dritte
54 Vgl. zu dieser Begriffsbestimmung Herkner (1991: 216).
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3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
GroBe als unabhangiger Pradiktor der Intentionsbildung in Erscheinung tritt (Herkner 1991:219). Anzumerken bleibt, dass das Verhaltnis von objektiven geseUschaftlichen Normen und subjektiven Akteursnormen im Rahmen der TORA keine explizite Klamng erfahrt. Fiir den Zweck der vorliegenden Untersuchung sollen als objektiv bestehend zum einen die kodifizierten Normen des Rechts und zum anderen die gemeinschaftlich-informellen Altruismus-, Solidaritats- und Fairnessnormen angenommen werden. Beziiglich letzterer erfolgt die Annahme ihres objektiven Gegebenseins postulativ, da informelle Gemeinschaftsnormen per Definition nicht kodifiziert sind (und die Frage ihrer inter subjektiven Geltung in der vorliegenden Studie nicht Gegenstand der Betrachtung ist). Als suhjektive Normen soUen im Folgenden die normativen Erwartungen bezeichnet werden, die von Akteuren als fiir ihr Alltagshandeln relevant und folgenreich wahrgenommen werden, sei es angesichts erwarteter formeller und informeller Sanktionen, sei es in Erwartung eines schlechten personlichen Gewissens resp. eines ausbleibenden moralischen Konsonanzgefiihls infolge einer in Frage stehenden Handlung. Die subjektiven Normen stellen in dieser Hinsicht ein individueUes Exzerpt aus den objektiven Normbestanden dar. ModelUogisch betrachtet bilden sie eine Art Scharnier zwischen den Modellrelationen zur Logik der Situation und denjenigen zur Logik der Selektion. Ubersetzt in das Handlungsmodell der TORA lasst sich der Zusammenhang von individuellen Uberzeugungssystemen, situationalen Orientierungen und der Ausbildung einer Handlungsintention wie in Abbildung 3.2.2.2.1 darstellen. Abbildung 3.2.2.2.1: Individuelle Uberzeugungssysteme und situationale^^i^/W^j- (nach ihrer Rekonstruktion durch die TORA)
Individuelle Uberzeugungssysteme
Situationale frames (gemaB der Rekonstruktion durch die TORA) Meinungen iiber Verhaltenswiinsche anderer
Kommunitare Orientierungen
Subjektive Normen
Motivation, VerhaltensWiinschen anderer zu folgen
V Relative Wichtigkeit von Normen und Einstellungen
Nomozentrische Orientierungen Erwartung von Verhaltenskonsequenzen Okonomisclie Orientierungen
N
Bewertung von Verhaltenskonsequenzen
X. ' •— Verhaltensbezogene Einstellungen
V
Intention
56
3. Konzeptualisierung
Das TORA-Modell der Intentionsbildung kann in dieser Weise als theoretisches Verbindungsstiick zwischen den unterschiedenen Orientierungsmustern und der Ausbildung von delinquenten und „proso2ialen" Handlungsintentionen dienen. Vor dem Hintergrund entsprechender Uberlegungen schlagen Tuck und Riley (1986: 156ff.) die TORA als Ansatz zur entscheidungstheoretischen Konzeptualisierung devianten und delinquenten Verhaltens vor. Delinquenz ist ihnen zufolge - insbesondere dort, wo sie gehauft auftritt - als Ausdruck einer habituellen Tendenz von Personen aufzufassen, ihre Handlungsentscheidungen starker durch verhaltensbezogene Einstellungen resp. durch ein technisches Effizienzkalkiil als durch subjektive Normen bestimmen zu lassen. Sie unterstellen dabei implizit eine Beziehung zwischen der Art der sozialen Einbindung von Akteuren und der Gewichtung der unterschiedenen Intentionsursachen (ebd.: 164). Analog zu den von Tuck und Riley angestrengten Uberlegungen fragt die vorliegende Untersuchung danach, wie weit die relative Bedeutung subjektiver Normen und verhaltensbezogener Einstellungen fiir die Intentionsbildung bei Akteuren mit unterschiedlicher Markteinbindung variiert. 3.2.2.3 Relation 2c: Handlungsbereitschaft und delinquentes bzw. „prosoziales" Handeln Ajzen und Fishbein gehen davon aus, dass vorliegende Handlungsintentionen nicht in jedem Fall auch die Ausfiihrung der entsprechenden Handlung nach sich Ziehen. Ihre ReaHsierung ist im EinzelfaU vielmehr immer mit Unsicherheiten verbunden, die mit den subjektiven und objektiven Moglichkeiten zur Handlungsausfiihrung zu tun haben. Diese zusatzliche Komponente wurde von Ajzen in seiner „Theory of planned behavior" (Ajzen 1985, 1988, 1991) iiber das Konzept der perzipierten globalen Verhaltenskontrolle beriicksichtigt. Er unterscheidet dabei zwischen internalen und externalen Faktoren der Verhaltenskontrolle. Die internalen Faktoren beziehen sich auf die subjektiven Handlungsmoglichkeiten. Hierzu zahlen etwa korperliche und intellektueUe, aber auch soziale Kompetenzen. Die externalen Faktoren beziehen sich demgegeniiber auf objektive Rahmenbedingungen, die die Ausfiihrung einer Handlung beeinflussen. Hierzu zahlen etwa spezifische Tatgelegenheiten, die Abhangigkeit von der Kooperationsbereitschaft dritter Personen oder auch unvorhergesehene, die intendierte Handlung begiinstigende oder auch erschwerende Ereignisse. Der Zusammenhang von gegebenen Handlungsintentionen und der Ausfiihrung delinquenter oder „prosozialer" Handlungen soil in der vorliegenden Untersuchung aus untersuchungstechnischen Griinden ausgeblendet werden (vgl. hierzu ausfuhrlich Abschnitt 4.2.3). 3.2.2.4 Relation 2d: Orientierungsmuster und Bereitschaft zu delinquentem bzw. „prosozialem" Handeln Die Relation 2d zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und der individuellen Bereitschaft zu delinquentem bzw. „prosozialem" Handelns wurde - analog zu Relation 2e (s.u.) - als iibergeordnete Modellrelation zur Analyse der Logik der Selektion in das Untersuchungsmodell aufgenommen. Grund hierfur ist, dass die Analyse der Modellrelationen 2a und b aufgrund des mit ihnen verbundenen empirischen Er-
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
57
hebungsaufwands in der vorliegenden Untersuchung nur exemplarisch durchgefiihrt werden kann. Die Einfiihrung iibergeordneter Modeilrelationen ermoglicht es in diesem Zusammenhang, Hypothesen zur Logik der Selektion in Bezug auf eine groBere Anzahl delinquenter und „prosozialer" Verhaltensweisen zu iiberpriifen. Die Analyse geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass sich in den Profilen nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschafdicher Orientierungen situationsiibergreifende Leitmotive des Handelns artikulieren und sich im Falle empirisch bedeutsamer Effekte zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und den jeweiligen Verhaltensintentionen ebenfalls Riickschliisse auf die Giiltigkeit der Modeilrelationen 2a und 2b Ziehen lassen. Eine solche Schlussfolgerung setzt allerdings voraus, dass die formulierten Annahmen zu den Modeilrelationen 2a und 2b im Rahmen der exemplarischen Analysen zu delinquenten und „prosozialen" Verhaltensintentionen als giiltig ausgewiesen werden konnten. Bei nachgewiesenen statistischen Einfliissen der normbezogenen Orientierungsmuster auf gegebene Verhaltensintentionen wiirde es sich nach dieser Modelllogik, kausalanalytisch berachtet, um indirekte Effekte handeln.^^ Vor dem Hintergrund dieser Uberlegungen geht die vorliegende Untersuchung davon aus, dass normbezogene Orientierungen von Akteuren situationsiibergreifend einen nachhaltigen Einfluss auf die normbezogenen Verhaltensintentionen von Akteuren ausiiben. Diese Annahme wird in zahlreichen empirischen Studien sowohl zum delinquenten (vgl. hierzu u.a. Diekmann 1975, 1980a,b, Cernkovich 1978, Posner 1997, Hermann 2004 sowie zusammenfassend Hermann 2003: 89ff., 102f.) als auch zum „prosozialen" Verhalten (vgl. hierzu u.a. Berkowitz 1972, sowie zusammenfassend Herkner 1991: 426f.) belegt. So wird im Folgenden angenommen, dass eine erhohte Auspragung nomozentrischer Orientierungen mit einer geringen Bereitschaft zu delinquentem Verhalten einhergeht, wogegen gering ausgepragte nomozentrische Orientierungen mit einer vergleichsweise erhohten Delinquenzbereitschaft korrespondieren. Analog hierzu kann davon ausgegangen werden, dass Akteure mit erhohten kommunitar-gemeinschaftUchen Orientierungen eher bereit sind, sich „prosozial" zu engagieren als Akteure mit einer geringen kommunitar-gemeinschaftlichen Orientierung. Zum Zusammenhang zwischen kommunitar-gemeinschaftichen Orientierungen und der Delinquenzbereitschaft lassen sich an dieser Stelle nur eingeschrankt treffsichere Annahmen formulieren. Eine verstarkte Bindung an gemeinschaftliche Werte wird allerdings mit groBer Wahrscheinlichkeit einen inhibierenden Effekt auf die Bereitschaft zu solchen Delinquenzformen zeitigen, die mit einer Schadigung oder auch fahrlassigen Gefahrdung dritter Personen einhergehen. Uber den Einfluss nomozentrischer Orientierungen auf die „prosoziale" Verhaltensbereitschaft von Akteuren lasst sich parallel hierzu keine begriindete Annahme formulieren. Ebenfalls nicht eindeutig lasst sich an dieser Stelle die Frage der Einflussnahme okonomischer Orientierungen auf die Bereitschaft zu delinquenten oder „prosozialen" Aktivitaten an beantworten. So wird davon ausgegangen, dass der homo oeconomicus, bezogen auf die wahrgenommene Attraktivitat delinquenter und „prosozialer" Verhaltensweisen, eine moralisch indifferente Haltung 55 Zur Unterscheidung direkter und indirekter Kausalbeziehung, vgl. u.a. Saris / Stronkhorst (1984: 17f.).
58
3. Konzeptualisierung
einnimmt. Gleichwohl lasst sich an dieser Stelle begriindet annehmen, dass Akteure mit einem hohen commitment an okonomische Erfolgsziele zum Zwecke der Realisierung von Gratifikationen die Verletzung von Rechtsnormen, sofern negative Sanktionen vermieden werden konnen, eher billigend in Kauf nehmen als Akteure mit einem geringen okonomischen commitment. Gleiches gilt unter umgekehrten Vorzeichen auch fiir das Auftreten „prosozialen" Engagements. So generiert eine erhohte Bindung an okonomische Erfolgsziele nur dann eine erhohte Bereitschaft zu „prosozialen" Aktivitaten, wenn diese indirekt okonomisch verrechenbare Vorteile mit sich bringen. Da dies nur in Ausnahmesituationen der Fall sein wird, ist davon ausgehen, dass ein starkes commitment an okonomische Erfolgsziele mit einer eher geringen Bereitschaft zum Engagement auf der Ebene „prosozialer" Aktivitaten einhergeht. Insgesamt lassen sich die Uberlegungen zum Einfluss der normbezogenen Orientierungsmuster auf die individuelie Bereitschaft zu delinquenten oder auch „prosozialen" Verhaltensweisen wie in Abbildung 3.2.2.4.1 darstellen. Abbildung 3.2.2.4.1: Individuelie Uberzeugungssysteme und normbezogene Handlungsintentionen
N orm bezogene H andlungsintentionen
Individuelles Uberzeugungssystem Kom m unitare O rientierungen
\ ^
^"
^^^^^
D elinquenzb ereitschaft
N om ozentrische O rientierungen
--—-^ O konom ische O rientierungen
• ^
Bereitschaft zu prosozialem Verhalten
^^^^^'
P o s i t i v e r E f f ekt N e g a t i v e r E f fekt
3.2.2.5 Relation 2e: Orientierungsmuster und delinquentes bzw. „prosoziales" Handeln Auch bei der Modellrelation 2e zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und dem Auftreten delinquenten bzw. „prosozialen" Handelns handelt es sich um eine iibergeordnete Modellrelation zu Analyse der Logik der Situation. Sie verbindet sich dabei mit ahnlichen Vorannahmen wie die zuvor diskutierte Modellrelation 2d. So gilt hier wiederum implizit die Vermutung, dass sich die Annahmen zum Einfluss der normbezogenen Orientierungsmuster auf die Aktivierung situationaler^^/^^j- (Relation 2a) sowie zum Einfluss der subjektiven Normen und verhaltensbezogenen Einstellungen auf die Intentionsbildung (Relation 2b) als giiltig erwiesen haben. Der verbal-
3.2 Theoretischer Bezugsrahmen: Mikro-Makro-Modell sozialen Handelns
59
tensbestimmende Einfluss der Intentionen auf das Handeln (Relation 2c) wird in diesem Zusammenhang ebenfalls als giiltig gesetzt. Bei dem Effekt der normbezogenen Orientierungsmuster des individuellen Uberzeugungssystems auf das normbezogene Verhalten von Akteuren handelt es sich, kausalanalytisch berachtet, ebenfalls um einen indirekten Effekt. Allerdings kann auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden, dass — wie die Einstellungsforschung zeigt — Verhaltensweisen auf gegebene Einstellungen zuriickwirken und diese andern konnen (vgl. hierzu u.a. Herkner 1991: 212). Der Analyse des Zusammenhangs zwischen den normbezogenen Orientierungen des individuellen Uberzeugungs systems und den delinquenten und „prosozialen" Handlungen von Akteuren werden in der vorliegenden Studie ahnliche Annahmen zugrundegelegt wie der Analyse des Zusammenhangs zwischen dem individuellen Uberzeugungs system und den normbezogenen Handlungsintentionen (vgl. hierzu den vorausgehenden Abschnitt 3.2.2.4). Insgesamt lasst sich der mit Relation 2e des Ausgangsmodells angenommene Einfluss der im individuellen Uberzeugungssystem konzentrierten normbezogenen Orientierungen auf das normbezogene Handeln von Akteuren wie in Abbildung 3.2.2.5.1 modellieren. Abbildung 3.2.2.5.1: Individuelle Uberzeugungssysteme und normbezogenes Handeln
Normbezogenes Handeln
Individuelles Uberzeugungssystem
Kommunitare Orientierungen
h----.___ ^\^
"" —— .^^Delinquentes Verhalten
Nomozentrische Orientierungen
Okonomische Orientierungen
^ — — ••
^^^ y^ y^ ^^^^^^
Prosoziales Verhalten
Posiuvei En ekt Negativer Ef fekt
3.2.3 delation 3: lj)gik der A^regation Die Relation zwischen dem delinquenten und „prosozialen" Handeln der Befragten einerseits und dem auf der Makroebene angesiedelten kollektiven Phanomen des ge-
60
3. Kon2eptualisiefung
sellschaftlichen Kriminalitatsaufkommens und des zivilgesellschaftlichen Engagements ist in ihrer gegebenen Form als Aggregationsrelation zu verstehen. Sie soil im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung, insbesondere im Rahmen der Diskussion der Ergebnisse, zwar thematisiert, nicht aber eigenstandig empirisch beleuchtet werden. Wir unterstellen dabei der Einfachheit halber sowohl fiir die Beziehung zwischen delinquentem Handeln und gesellschaftlichem Kriminalitatsaufkommen als auch fiir die Relation zwischen „prosozialem" Verhalten und zivilgesellschaftiichem Engagement als Transformationsregel eine einfache Summenfunktion.
3.3 Gesamtmodell Beschrankt man sich auf die in den vorausgehenden Abschnitten fokussierten Relationen des in Abbildung 3.2.2 skizzierten Rahmenmodells der Untersuchung, so lasst sich das Gesamtmodell der vorliegenden Untersuchung wie in Abbildung 3.3.1 darsteUen. In diesem Modell wurden die vorgestellten Uberlegungen zur Rekonstruktion der Logik der Situation und der Logik der Selektion zu einem gemeinsamen Wirkungsdiagramm Abbildung 3.3.1: Markteinbindung, normbezogene Orientierungen und deviante Verhaltensintentionen Handlungstheoretisches Rahmenmodell
Inklusion in institutionelle Strukturen des Marktes
Normbezogene Orientierungsmuster (Uberzeugungssystem)
Situationale Orientierungen
Normbezogenes Handeln
Frame Kommunitargemeinschaftliche Orientierungen
Subjektive Normbindung „Prosoziale" Aktivitaten
Einbindung in die institutionellen Strukturen der Arbeits-, Finanzund Konsumgiitermarkte
Nomozentrische Orientierungen
Delinquente / prosoziale Verhaltensintentionen
DeUnquentes Handeln
Legende: D: Devaluation nichtokonomischer RoUenmuster A: Akkommodation von Rollensets P: Penetration durch markttypische Orientierungen und Handlungsmuster
Okonomische Orientierungen
Verhaltensbezogene Einstellungen
3.3 Gesamtmodell
61
miteinander verkniipft. Wichtig ist an diesem Modell, dass die zunehmende Einbindung in die Strukturen der Markte, vermittelt iiber die marktinduzierten Effekte der Devaluations-, Akkommodations- und Penetrationsprozesse, sich auf der Ebene der individuellen Handlungsorientierungen mit einer gegenlaufigen Wirkungsdynamik verbindet: Sie schwacht einerseits die konformitatsstarkende, auf Rechtstreue und Gemeinwohlorientierung eingeschworene Haltung nomozentrischer und kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen, starkt dabei aber gleichzeitig eine Haltung der moralischen Indifferenz gegeniiber normativen Vorgaben, wie sie sich mit dem commitment an okonomische Erfolgsziele verbindet.
4. Untersuchungsplan, Forschungsfragen und Hypothesen Ausgehend von dem in Kapitel 3 entwickelten Untersuchungsmodell soUen im Folgenden die Forschungsfragen und Hypothesen formuliert werden, die gleichzeitig den Untersuchungsplan der vorliegenden Studie explizieren. Im Zentrum der Studie steht die Frage, wie weit sich ein Zusammenhang 2wischen der Einbindung von Akteuren in die Strukturen des Marktes, der Auspragung normbezogener Orientierungsmuster und dem normbezogenen Handeln resp. der Handlungsbereitschaft von Akteuren empirisch nachzeichnen lasst. Die Studie zielt dabei auf die Uberpriifung der Annahme, dass Akteure mit zunehmender Einbindung in die Strukturen des Marktes einen spezifischen normativen Habitus auspragen, der ein starkes commitment an okonomische Erfolgsziele mit vergleichsweise geringen nomozentrischen und kommunitar-gemeinschaftlichen Orientierungen verbindet. Es wird in diesem Zusammenhang untersteilt, dass sich ein entsprechender Habitus einerseits in einer erhohten Delinquenzbereitschaft und andererseits in einer verringerten Bereitschaft zu „prosozialen" Aktivitaten resp. zivilgesellschaftlichem Engagement verkniipft. Sowohl die zentrale Forschungsfrage der Untersuchung als auch die mit ihr verkniipfte Hypothese sind in ihrer Anlage her eher komplex. Aus diesem Grund soil die Beantwortung der Forschungsfrage sowie die Uberpriifung der forschungsleitenden Hypothese analog zu dem in Kapitel 3 entwickelten Untersuchungsmodell in verschiedenen Teilschritten erfolgen.
4.1 Typen normbezogener Orientierungsmuster Ausgangspunkt ist dabei die Analyse der normbezogenen Orientierungsmuster von Akteuren. So lautet die in einem ersten Untersuchungsschritt zu beantwortende Forschungsfrage der Untersuchung: (1) Welche typischen Muster normbezogener Orientierungen las sen sich bei Akteuren auf der Ebene der kombinierten Auspragung nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen unterscheiden? Ausgangspunkt ist dabei die in Abschnitt 3.2.1 formulierte Annahme, dass nomozentrische, okonomische und kommunitar-gemeinschaftliche Orientierungen bei den Angehorigen der Untersuchungspopulation nicht uniform und mit gleicher Intensitat ausgepragt sind. Forschungsleitend fiir die vorliegende Studie ist vielmehr die Annahme, dass sich mit Blick auf die kombinierten Auspragungen nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschaftlicher Orientierungen un-
64
4. Untersuchungsplan, Forschungsfragen und Hypothesen
terschiedliche Profiltypen normbezogener Orientierungsmuster unterscheiden lassen (Hypothese 1).
4.2 Normbezogene Orientierungsmuster und die Logik der Selektion In einem zweiten Schritt soil betrachtet werden, welchen Einfluss unterschiedliche normbezogene Orientierungsmuster auf die Logik der Selektion normbezogener Handlungen ausiiben. Dies betrifft zunachst die Aktivierung situationaler^^/^^j (Relation 2a) und in diesem Zusammenhang die Auspragung normbezogener Handlungsintentionen (Relation 2b). Dies betrifft im Weiteren auf einer iibergeordneten Ebene ebenfalls den Einfluss der normbezogenen Orientierungsmuster auf die Bereitschaft zu delinquentem bzw. zu „prosozialem" Handeln (Relation 2d) und auf die konkrete Performanz delinquenter und „proszialer" Handlungen (Relation 2e). Die Untersuchung des beschriebenen Wirkungszusammenhangs soil dabei getrennt fiir das delinquente und „prosoziale" Handeln von Akteuren untersucht werden.
4.2.1 Normbezogene Orientierungsmuster und delinquentes Handeln
Fiir den Typus delinquenten Handelns soil sich die Aufmerksamkeit der Untersuchung auf die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen richten: (2) Variieren in Situationen der delinquenten Gelegenheit - verstanden als Situationen des Entscheidungskonflikts zwischen okonomischen und formal-rechtlichen Verhaltensimperativen - die situationalen Handlungsorientierungen von Akteuren, umfassend subjektive Normbindung, verhaltensbezogene Einstellungen und Verhaltensintentionen, in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster? (3) Variiert, bezogen auf verschiedene Delikttypen, die Delinquenzbereitschaft von Akteuren in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster? (4) Variiert, bezogen auf verschiedene Delikttypen, die Delinquenzhaufigkeit von Akteuren in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster? In Anlehnung an Forschungsfrage 2 lasst sich die Annahme, dass unterschiedliche normbezogene Orientierungsmuster in Situationen der kriminellen Gelegenheit zur Aktivierung unterschiedlicher situationaler frames fuhren (Relation 2a), analog zu den Ausfiihrungen in Abschnitt 3.2.2.1 in folgenden Hypothesen ausformulieren: 2. In Situationen der delinquenten Gelegenheit - verstanden als Situationen des Entscheidungskonflikts zwischen okonomischen und formal-rechtUchen Verhaltensimperativen - variieren die situationalen Handlungsorientierungen bei Akteuren in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster.
4.2 Normbezogene Orientierungsmuster und die Logik der Selektion
65
2.1 In Situationen der delinquenten Gelegenheit steht die subjektive Normbindung in einem positiven statistischen Zusammenhang mit der graduellen Auspragung der nomozentrischen Orientierungen von Akteuren. 2.2 In Situationen der delinquenten Gelegenheit stehen die verhaltensbezogenen Einstellungen (als Indikator der geschatzten instrumenteUen Eignung der delinquenten Handlung fur die Realisierung personlicher Handlungsziele) in einem positiven Zusammenhang mit der graduellen Auspragung der okonomischen Orientierungen von Akteuren. 2.3 Delinquente Verhaltensintentionen haben bei Akteuren eine um so hohere Intensitat, je geringer deren subjektive Normbindung und je starker deren verhaltensbezogene Einstellungen (als Indikator der geschatzten instrumenteUen Eignung der delinquenten Handlung fiir Zwecke der Zielrealisierung) ausgepragt sind. Forschungsfrage 3 zum Einfluss der normbezogenen Orientierungsmuster auf die Delinquenzbereitschaft von Akteuren (Relation 2d), differenziert nach verschiedenen Delikttypen, verbindet sich in Anlehnung an die skizzierten Uberlegungen aus Abschnitt 3.2.2.2 mit den folgenden Annahmen: Die Delinquenzbereitschaft bei Akteuren variiert in Abhangigkeit von der Auspra3. gung ihrer spezifischen Orientierungsmuster. 3.1 Je schwacher die nomozentrischen und je starker die okonomischen Orientierungen bei Akteuren ausgepragt sind, desto hoher ist deren Delinquenzbereitschaft. 3.2 Je starker die nomozentrischen und je schwacher die okonomischen Orientierungen ausgepragt sind, desto geringer ist die Delinquenzbereitschaft von Akteuren. SchlieBHch wird die Forschungsfrage 4 zum Zusammenhang zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und dem delinquenten Handeln von Akteuren (Relation 2e) in Anlehnung an die Uberlegungen aus Abschnitt 3.2.2.3 dutch folgende Annahmen abgebildet: Die Delinquenzhaufigkeit von Akteuren variiert in Abhangigkeit von der Aus4. pragung ihrer spezifischen Orientierungsmuster. 4.1 Je schwacher die nomozentrischen und je starker die okonomischen Orientierungen bei Akteuren ausgepragt sind, desto hoher ist die Delinquenzhaufigkeit von Akteuren. 4.2 Je starker die nomozentrischen und je schwacher die okonomischen Orientierungen ausgepragt sind, desto geringer ist die Delinquenzhaufigkeit von Akteuren.
4,2.2 Nonnhe^gene Orientierungsmuster und „proso^ales^'Handeln
Die Forschungsfragen 5 und 6 reformulieren im Weiteren das Untersuchungsinteresse der vorliegenden Studie mit Blick auf den Betrachtungsgegenstand des „prosozialen" Verhaltens.
66
4. Untersuchungsplan, Forschungsfragen und Hypothesen
(5) Variieren in Situationen des Entscheidungskonflikts zwischen okonomischen und altruistischen Verhaltensimperativen die situationsspezifischen Handlungsorientierungen von Akteuren, umfassend subjektive Normbindung, verhaltensbezogene Einstellungen und Verhaltensintention, in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster? (6) Variiert das „prosoziale" Engagement von Akteuren in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster? Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der individuellen Auspragung normbezogener Orientierungsmuster und der Aktivierung situationaler Orientierungen resp. frames in Situationen des altruistischen Normappells (Relation 2a und 2b) lasst sich in Anlehnung an die in Abschnitt 3.2.2.1 skizzierten Uberlegungen durch folgende Annahmen explizieren: 5, In Situationen des Entscheidungskonflikts zwischen okonomischen und altruistischen Verhaltensimperativen variieren die situationalen Handlungsorientierungen von Akteuren in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer normbezogenen Orientierungsmuster. 5.1 In Situationen des Entscheidungskonflikts zwischen okonomischen und altruistischen Verhaltensimperativen steht die subjektive Normbindung in einem positiven statistischen Zusammenhang mit der gradueUen Auspragung der kommunitar-gemeinschaftUchen Orientierungen von Akteuren. 5.2 In Situationen des Entscheidungskonflikts zwischen okonomischen und altruistischen Verhaltensimperativen stehen die verhaltensbezogenen Einstellungen (als Indikator der geschatzten instrumentellen Eignung einer „prosozialen" Handlung fur die ReaUsierung personlicher Handlungsziele) in einem negativen Zusammenhang mit der gradueUen Auspragung der okonomischen Orientierungen von Akteuren. 5.3 „Prosoziale" Verhaltensintentionen haben bei Akteuren eine um so hohere Intensitat, je hoher die subjektive Normbindung und je geringer ihre verhaltensbezogenen Einstellungen (als Indikator der geschatzten instrumentellen Eignung einer „prosozialen" Handlung fiir die Realisierung personlicher Handlungsziele) ausgepragt sind. Bezogen auf die Haufigkeit „prosozialen" Handelns wird die Forschungsfrage 6 nach dem Zusammenhang zwischen den normbezogenen Orientierungsmustern und den „prosozialen" Aktivitaten von Akteuren (Relation 2e) in Anlehnung an die in Abschnitt 3.2.2.5 ausgefiihrten Uberlegungen mit den folgenden Annahmen verkniipft: 6. Die Haufigkeit „prosozialen" Verhaltens bei Akteuren variiert in Abhangigkeit von der Auspragung ihrer spezifischen Orientierungsmuster. 6.1 Je schwacher die kommunitar-gemeinschaftlichen und je starker die okonomischen Orientierungen ausgepragt sind, desto geringer ist die Haufigkeit „prosozialen" Verhaltens bei Akteuren. 6.2 Je starker die kommunitar-gemeinschaftlichen und je schwacher die okonomischen Orientierungen ausgepragt sind, desto groBer ist die Haufigkeit „prosozialen" Verhaltens bei Akteuren.
4.4 Normbezogenes Handeln und die Logik der Aggregation
67_
4.3 Normbezogene Orientierungsmuster und die Logik der Situation Der Einfluss der Marktdnklusion von Akteuren auf die Auspragung normbezogener Orientierungsmuster, abgebildet durch die Relation 1 des Rahmenmodells der Untersuchung (vgl. Abb. 3.2.2), soil erst in einem abschlieBenden Untersuchungsschritt betrachtet werden. So ist eine Analyse des Zusammenhangs zwischen der Markteinbindung von Akteuren einerseits und der Auspragung der normbezogenen Orientierungsmuster andererseits im Sinne der leitenden Forschungsfrage der Untersuchung (s.o.) erst dann sinnvoll, wenn zuvor sichergestellt werden konnte, dass die normbezogenen Orientierungen valide Pradiktoren der normbezogenen Verhaltensintentionen und des normbezogenen Handelns von Akteuren darstellen. Die letzte Forschungsfrage lautet entsprechend: (7) Unterscheiden sich Akteure mit unterschiedlichen normbezogenen Orientierungsmustern im Hinblick auf ihre Inklusion in die Strukturzusammenhange des Marktes? Die Untersuchung dieser Frage verkniipft sich im Weiteren mit den folgenden Annahmen: 7. Infolge der unterschiedlichen Starke von marktinduzierten Devaluations-, Akkomodations- und Penetrationsprozessen (vgl. Abschnitt 3.2.1) variiert die Auspragung normbezogener Orientierungsmuster variiert in Abhangigkeit von der graduellen Markteinbindung von Akteuren. Dabei gilt: 7.1 Briickenhypothese: Je starker Akteure in die Strukturen von Markten eingebunden sind, desto schwacher ausgepragt sind ihre nomozentrischen und kommunitar-gemeinschaftlichen Orientierungen und desto starker ausgepragt sind ihre okonomischen Orientierungen. 7.2 Briickenhypothese: Je schwacher Akteure in die Strukturen von Markten eingebunden sind, desto starker ausgepragt sind ihre nomozentrischen und kommunitar-gemeinschaftlichen Orientierungen und desto schwacher ausgepragt sind ihre okonomischen Orientierungen.
4.4 Normbezogenes Handeln und die Logik der Aggregation Die Aggregationsrelation zwischen der individuellen Haufigkeit delinquenten bzw. „prosozialen" Verhaltens und dem gesellschaftlichen Kriminalitatsaufkommen bzw. den entsprechenden Anteilen zivilgesellschaftlichen Engagements soil im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung, insbesondere im Rahmen der Diskussion der Ergebnisse, zwar thematisiert, nicht aber eigenstandig empirisch beleuchtet werden.
68
5. Daten und Methoden
4.5 Variablenmodell der Untersuchung Die empirische Uberpriifung der formulierten Hypothesen erfolgt unter Zugrundelegung des in Abbildung 4.5.1 dargestellten Variablenmodells: Abbildung 4.5.1: Markteinbindung, normbezogene Orientiemngen und Verhaltensintentionen Variablenmodell der empirischen Analysen
Inklusion in die institutionellen Strukturen des Marktes
Normbezogene Orientierungsmuster (Uberzeugungssystem)
Situational Orientiemngen
Normbezogenes Handeln
Frame Einbindung in den Arbeitsmarkt Erwerbs status Erwerbsgruppenzugehorigkeit Berufliche Statusposition Beschaftigung im Offentlichen Dienst
Einbindung in Finanzmarkte Aktienanteil am Vennogen Kreditkartennutzung
Konununitargemeinschaftliche Orientierungen Bindung an gemein schaftliche Werte
Subjektive Normbindung Bewertung der situativen Relevanz formeller und informeller Normbestande
Nomozentrische Orientierungen generalisierte Rechtsnormakzeptanz
Okonomische Orientierungen graduelle Bindung an
Kundenclubmitgliedschaft
selbstberichtete Pravalenz ehrenamtiichen Engagements
\ rechtsnormbezogene / gemeinschaftsbezogene Verhaltensintentionen subjektive Walirschein lichkeit delinquenten und altruistischen Verhaltens unter gegebenen situativen Umstanden
^ Einbindung in Konsumgutermarkte
„Prosoziale" Aktivitaten
okonomische Erfolgsziele
Verhaltensbezogene Einstellungen instrumentelle Bewertung der Handlungsoptionen im Hinblick auf positive und negative Handlungsfolgen
K
K
Delinquentes Handeln selbstberichtete Haufigkeit delinquenter Aktivitaten (5-Jahres-Inzidenz)
5. Daten und Methoden Um die in Abschnitt 4.1 aufgefiihrten Forschungsfragen zu untersuchen, wurde im Jahr 2002 an der Universitat Bielefeld eine Querschnittsuntersuchung in Form einer standardisiert-schriftlichen Befragung durchgefiihrt. Die Befragung konzentrierte sich auf Angehorige der Erwerbsbevolkerung und wurde vom Verfasser der vorliegenden Arbeit selbststandig organisiert und durchgefiihrt.
5.1 Erhebung Als potenzielle Teilnehmer der Untersuchung wurden in erster Linie Kursteilnehmer in Einrichtungen der beruflichen Fort- und Weiterbildung kontaktiert.^^ Es handelte sich dabei einerseits um Teilnehmer von Aufstiegsfortbildungen und Meisterkursen, zum anderen aber auch aus einfachen Weiterbildungs- und UmschulungsmaBnahmen. Regional konzentrierte sich die Untersuchung aus forschungsokonomischen Griinden auf die Stadt Bielefeld und ihr westfalisches und lippisches Umfeld (Herford, Giitersloh, Detmold, Miinster). Der Erhebungszeitraum erstreckte sich auf die Monate Juli bis Dezember 2002.
5.1.1 Ahlauf der Erhebung Die Rekruderung von Befragungspersonen erfolgte in der Regel so, dass der Verfasser der Arbeit in den kooperierenden Einrichtungen zu Beginn eines Seminars nach Einfiihrung durch einen Einrichtungsangestellten die Seminarteilnehmer im Rahmen eines Kurzvortrags mit thematischen Aspekten der Studie bekannt machte und anschlieBend an interessierte Kursteilnehmer - und, wo moglich, auch an das Lehrpersonal - Fragebogen mit einem frankierten und an die Universitat Bielefeld adressierten Riickantwortkuvert verteilte.^^ Die Probanden wurden gebeten, den Fragebogen spater allein und in Abwesenheit des Interviewers zu beantworten.
56 Als Kooperationspartner der Studie fungierten dabei u.a. die Deutschen Angestellten Akademie, die Industrie- und Handelskammer, das DGB-Bildungswerk sowie die TUV-Nord-Akademie. 57 Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass eine personliche, miindliche Einfiihrung zu Thema und Anliegen der Studie nicht in Kooperation mit alien Fortbildungseinrichtungen moglich war. So wurde die Einfiihrung in das Untersuchungsanliegen im Falle eines Kooperationspartners von einem leitenden Angestellten der Einrichtung auf Grundlage von Instruktionen durch den Verfasser iibernommen. Im FaUe von zwei weiteren Einrichtungen wurden das Lehrpersonal sowie die Teilnehmer von Kursen und Seminaren iiber ein Mail-Rundschreiben des Verfassers mit dem Befragungsanliegen bekannt gemacht.
70
5. Paten und Methoden
Aufgrund gegebener zeitlicher und vor alien Dingen sachlicher Restriktionen unterlag die Erhebung der Befragungsdaten sowohl auf der Ebene der Stichprobenziehung als auch mit Blick auf die forschungspraktische Durchfiihrung der Erhebung verschiedenen Einschrankungen. So folgte die Rekrutierung von Befragungspersonen an den Fort- und Weiterbildungseinrichtungen keinem nach Reprasentativitatsgesichtspunkten ausgearbeiteten Stichprobenplan. Welche Einrichtungen kontaktiert und fiir Erhebungszwecke angesprochen wurden, ergab sich aus verfiigbaren Kontakten zu Universitatseinrichtungen sowie zum Teil aus Hinweisen von Einrichtungsleitern wahrend der Erhebungsarbeit. Die Auswahl der Kurse und Seminare, in denen befragt werden konnte, bestimmten im Weiteren die Einrichtungsleiter selbst nach pragmatischen Gesichtspunkten. Nach dem von Wieken (1974: 152f.). vorgeschlagenen Vorgehen fiir standardisierte schrifdiche Befragungen wurden, wo moglich, 10 Tage nach dem ersten Austeilen der Fragebogen durch die Kursleiter in den entsprechenden Kursen und Seminaren Erinnerungsschreiben an die Teilnehmer verteilt.^^ Dieses Vorgehen konnte jedoch wiederum nicht in alien Einrichtungen realisiert werden. Dariiber hinaus variierte hier die Form zwischen einer in Papierform ausgegebenen schriftlichen Erinnerung und einem per Email als Rundschreiben verfassten Erinnerungsbrief. Der Inhalt der papierenen und edv-technischen Variante des Erinnerungsschreibens war aber identisch. Aufgrund der beschriebenen Vorgehensweise war die Rekrutierung von Befragungspersonen fur die vorliegende Studie an verschiedenen SteUen Einfliissen sozialer Selektivitat ausgesetzt. Ungeachtet des sen kann sie als eine Pilotstudie zu dem hier verhandelten Thema angesehen werden, die zumindest Naherungswerte fiir die Beantwortung der eingangs gestellten Forschungsfragen bereitstellt. Da im Rahmen der Befragung mit Angaben zur normabweichenden Verhaltensbereitschaft, aber auch zu den Einkommens- und Vermogensverhaltnissen der Befragten sehr sensible Daten erhoben wurden, die die Kooperationsbereitschaft sowohl der Einrichtungen als auch der Befragten nicht selbstverstandlich erscheinen lieB, wurde dieser Sachverhalt gegeniiber Einrichtungen und Probanden explizit offen gelegt. Die Studie wurde dabei sowohl in der allgemeinen AuBendarstellung als auch iiber das Deckblatt des Fragebogens als Untersuchung zum Thema „Wirtschaft und Ethik" vorgestellt. Im Rahmen der allgemeinen Einfiihrung in das Untersuchungsvorhaben wurden die Teilnehmer in Anlehnung an eine ausfiihrliche schriftliche Instruktion des Fragebogens zunachst iiber den allgemeinen Hintergrund sowie die Vorgehensweise der Untersuchung informiert. AuBerdem wurde der Bogen in seinem Aufbau mit Blick auf die verwendeten Frageformen erlautert und - ebenso wie im Rahmen der schriftlichen Instruktionen - ein deutlicher Hinweis darauf gegeben, dass die Erhebung und Auswertung der Befragtenangaben streng anonymisiert erfolge und den in diesem Punkt strengen Auflagen des Datenschutzgesetzes von seiten des Projektieiters in jedem Fall Rechnung getragen werde.
58 Vergleiche 2u Nachfassaktionen im Rahmen schriftlich-standardisierter Befragungen auch Diekmann (1995:441ff.).
5.1 Erhebung
T\_
5.1.2 Aufbau des Fragebogens
Befragungstechnisch machte die Untersuchung Anleihen aus der kriminologischen Dunkelfeldforschung, der sozialwissenschaftlichen Werte- und Einstellungsforschung sowie der empirischen Sozialstrukturanalyse. Die Respondenten warden u.a. dazu befragt, ob und in welcher Form sie auf den Arbeits-, Finanz-, Dienstieistungs- und Warengiitermarkten agieren, welche wert- und normbezogenen Orientierungsmuster sie aufweisen und wie weit sie selbst schon in verschiedenen Handlungskontexten sowohl informelle als auch strafrechtlich relevante Normverletzungen begangen haben. Der Fragebogen selbst gliederte sich dabei in folgender Weise: Zunachst bearbeiteten die Probanden Fragen zu soziodemografischen Merkmalen sowie zu ihrer Ausbildungsund Erwerbssituation. Der Themenschwerpunkt widmete sich dabei ihrer Position auf dem Arbeitsmarkt und ihrer subjektiven Perspektiven fiir die berufliche Zukunft. Daran anschlieBend wurden sie gebeten, auf Grundlage eines fiktiven Szenarios anzugeben, ob sie in einer Bewerbungssituation bereit waren, zu Gunsten eines benachteiligten Mitbewerbers auf Formen der okonomischen Vorteilsnahme zu verzichten. Die Beschreibung des Szenarios zielte darauf, einen Entscheidungskonflikt zwischen dem okonomischen Erfolgsinteresse der Probanden und dem Geltungsanspruch altruistischer Gemeinschaftsnormen zu simulieren. Die Befragten wurden in diesem Zusammenhang ebenfalls dazu aufgefordert, auf Grundlage standardisierter Skalen anzugeben, mit welcher subjektiven Wahrscheinlichkeit sie das Eintreten bestimmter Konsequenzen infolge einer vorgegebenen Handlungsentscheidung erwarten und welche subjektive Valenz sie diesen Konsequenzen zumessen. Darauf folgend wurden die Probanden gebeten, Fragen zu ihrer Einkommens- und Vermogens- sowie zu ihrer Eigentumssituation zu beantworten. Erfasst wurde in diesem Zusammenhang, in welcher Form resp. in welchem AusmaB die Befragten iiber Finanzanlagen, Konsumentenkredite oder auch Kundenclubmitgliedschaften in die Strukturen der Finanz- und Konsumgiitermarkte eingebunden sind. Diesem Fragenblock folgte ein zweites Szenario, das die Probanden dazu aufforderte, eine fiktive Entscheidung dariiber zu treffen, ob sie - gegeben eine geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit — dazu bereit waren, durch illegales Handeln einen greifbaren okonomischen Vorteil zu reaUsieren. Geschildert wurde in diesem Zusammenhang eine Situation, in der sie sich vorstellen sollten, selbst als Angestellte eines borsennotierten Unternehmens durch Insidergeschafte einen hohen finanziellen Gewinn erzielen zu konnen. Analog zum Szenario der Bewerbungs situation zielte auch das Szenario zum Insiderhandel darauf, einen Normkonflikt zu simulieren, wobei in diesem Fall das okonomische Gewinninteresse gegen den Geltungsanspruch einer Strafrechtsnorm stand. Auch bei diesem Szenario wurden die subjektiven Wert- und Wahrscheinlichkeitsiiberlegungen, die ihre Handlungsentscheidung begleiten, mit erfasst. Ein anschlieBendes Abteil des Fragebogens widmete sich der Erfassung allgemeinerer Wertiiberzeugungen der Befragten sowie ihrer okonomischen, kommunitar-gemeinschaftlichen und normbezogenen Orientierungen. AbschlieBend wurden im Fragebogen verschiedene Formen des ehrenamtlichen Engagements, der Delinquenzbereitschaft sowie der selbstberichteten DeHn-
72
5. Paten und Methoden
quenz erfasst. Der vollstandige Fragebogen der Untersuchung ist in Anhang A (S. 279) dokumentiert.
5.1.3 Kiicklaufquote, Fehlerkontrolle, Fragebogenselektion
Im Rahmen von Kursen und Seminaren der beruflichen Fort- und Weiterbildung wurden etwa 1.200 Fragebogen an Seminarteilnehmer und an das Lehrpersonal in den Einrichtungen der Kooperationspartner verteilt. An die Universitat zuriickgesandt wurden hiervon 442 Fragebogen. Dies entspricht einer Kiicklaufquote von 36,8 Prozent, die fiir eine standardisiert-schriftliche Befragung mit einer sensiblen Thematik als hoch einzustufen ist. Gleichwohl konnten, wie weiter unten erlautert, nicht aUe zuriickgesandten Bogen in die weitere Untersuchung einbezogen werden, Nach Ablauf der Erhebungsphase wurden die Umschlage mit den zuriickgesandten Fragebogen gesammelt durch den Projekdeiter geoffnet. Dabei wurden alle zuriickgesandten Bogen einzeln in Augenschein genommen und auf mogliche - die Reliabilitat der erhobenen Daten beeintrachtigende — Fehlerquellen gepriift. Die nachtragUche Kontrolle bezog sich dabei auf Fehler, die im Zuge der Bearbeitung der Bogen durch die Befragten begangen resp. erzeugt wurden. Drei mogUchen Fehlerquellen wurde dabei in besonderer Weise Aufmerksamkeit geschenkt: (1) Wurden die Bogen vollstandig ausgefiiUt?, (2) Enthielten sie widerspriichliche oder offensichtlich nicht ernst gemeinte Angaben? und (3) LieBen sich iiber die Art der Fragebeantwortung unabhangig vom Frageinhalt systematische Antwortmuster der Befragten wie eine Akquieszenz bzw. ,Ja-Sage-Tendenz" (vgl. Diekmann 1995: 386, ebenso Mummendey 1999: 147) oder eine Regression der Antworten hin zur Skalenmitte erkennen? Fragebogen, die mit BUck auf diese Fehlerquellen nach Augenscheinpriifung auffielen, wurden noch vor der Datenerfassung aus dem Pool der zuriickgesandten Bogen aussortiert. Entsprechend wurden von den 442 zuriickgesandten Fragebogen elf aussortiert, well sie nur unvollstandig bearbeitet wurden. Weitere 18 Bogen erwiesen sich aufgrund eines widerspriichlichen oder offensichtlich nicht ernst gemeinten Antwortverhaltens als unbrauchbar. Zwei weitere Kriterien fiir die Selektion zuriickgesandter Fragebogen ergaben sich schlieBlich vor dem Hintergrund allgemeinerer theoretischer und methodologischer Uberlegungen. So wurden einerseits, um die fiir die Delinquenz im Jugend- und Heranwachsendenalter typischen „Entwicklungsursachen" als moglichen Hintergrund fiir das AusmaB der geauBerten Normdistanz resp. der Konformitatsmoral ausschlieBen zu konnen, die Fragebogen solcher Probanden von der Untersuchung ausgeschlossen, die zum Erhebungszeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Dies betraf in toto sieben Probanden aus dem Untersuchungssample. Um sicherzugehen, dass die Validitat der Befragtenangaben nicht durch ein mangelndes Sprachverstandnis Beeintrachtigungen unterliegt, wurden schlieBlich die Bogen jener Befragten aus dem Untersuchungssample eUminiert, die keine deutsche Staatsbiirgerschaft besitzen, und bei denen entsprechend nicht sicher davon ausgegangen werden konnte, dass sie die Fragen
5.2 Stichprobe
73
des Fragebogens auch sprachlich adaquat verstanden haben. Von diesem letzten Selektionsschritt waren ebenfalls sieben Fragebogen betroffen. Die beschriebenen Verfahren der Fehlerkontrolle und Validitatssicherung fiihrten so zum Ausschluss von insgesamt 52 Fragebogen, so dass von 442 postalisch zuriickgesandten Bogen schlieBlich 390 Bogen in die Untersuchung einbezogen werden konnten.
5.2 Stichprobe Bei der den Analysen der vorliegenden Studie zugrunde liegenden Stichprobe handelt es sich um eine Auswahl von Personen aus der Erwerbsbevolkerung, die zum Erhebungszeitpunkt entweder Kurse und Seminare an Einrichtungen der beruflichen Fortund Weiterbildung besuchte, oder aber selbst als Lehrpersonal an diesen Einrichtungen unterrichtete. Ein kleiner Teil der Befragten entstammte dariiber hinaus dem Freundesund Bekanntenkreis der an den Einrichtungen kontaktierten Weiterbildungsabsolventen. Die Auswahl der Befragungspersonen erfolgte nicht nach einem nach Reprasentativitatsgesichtspunkten ausgearbeiteten Stichprobenplan. Bei der Untersuchungsstichprobe handelt es sich entsprechend um eine nicht-reprasentative Personenauswahl aus der Erwerbsbevolkerung. Auf Grundlage dieser Stichprobe lassen sich so auch keine giiltigen Aussagen iiber die Verteilung interessierender Strukturmerkmale in der Erwerbsbevolkerung formulieren. Gleichwohl eignet sich diese Stichprobe dazu, den Geltungsbereich theoretischer Uberlegungen zum Umgang mit Normen in der Erwerbsbevolkerung in erster Instanz zu untersuchen. So verweist u.a. Zetterberg (1973) darauf, dass Reprasentativitat in den meisten theorietestenden Untersuchungen von nachrangiger Bedeutung ist. „Von einer theoretischen These", so Zetterberg, „kann man normalerweise erwarten, dass sie in verzerrten wie in reprasentativen Auswahlen in gleichem MaBe gilt" (ebd.: 141).^^ Der vorlaufige Verzicht auf eine reprasentative Zufallsstichprobe scheint entsprechend mit Blick auf das leitende Untersuchungsinteresse fiir den Zweck der vorliegenden Pilotstudie hinnehmbar zu sein. Zusammenfassend lasst sich an dieser Stelle festhalten, dass von den 390 als giiltige Falle in die Untersuchung einbezogenen Befragungspersonen 46,4 Prozent (n=181) weiblichen und 53,6 Prozent (n=209) mannlichen Geschlechts waren, was - gemessen an den Daten des Mikrozensus - in etwa die GroBenrelation der Geschlechtsgruppen in der deutschen Erwerbsbevolkerung widerspiegelt. Das mitdere Alter der Befragten betrug zum Befragungszeitpunkt in beiden Geschlechtsgruppen etwa 33 Jahre (arithm. Mittel und Median: 33 Jahre). 82,6 Prozent gehorten der Altersgruppe zwischen 21 und 40 Jahren an, 17,2 Prozent der Altersgruppe zwischen 41 und 60. Ein Befragter lag schlieBlich mit seinem Alter liber 60 Jahren. Verglichen mit den Daten des Mikrozensus lasst sich eine Uberreprasentation der jiingeren und eine Unterreprasentation der
59 Vgl. hierzu auch Diekmann 1995: 369.
74
5. Paten und Methoden
mittleren und hoheren Altersgruppen feststellen, was allerdings bei Befragten aus Kursen zur beruflichen Fort- und Weiterbildung nicht verwundern sollte. Im Hinblick auf den hochsten Berufsabschluss erweist sich das Befragtensample mit 18,4Pro2ent Hochschulabgangern und nur 4,3 Prozent Befragten ohne Berufsabschluss, verglichen mit den Mikrozensusdaten von 2002, als im Mittel hoher gebildet als der Durchschnitt der Erwerbsbevolkerung. Anzumerken bleibt, dass Vollzeiterwerbstatige und Erwerbslose mit Anteilswerten von 59,5 und 7,5 Prozent leicht, Teilzeit- und stundenweise Erwerbstatige mit einem Anteil von 8,8 Prozent sogar stark unterreprasentiert sind. Auf der Ebene der Erwerbsgruppenzugehorigkeit zeigte sich schlieBlich, dass die Gruppe der Angestellten mit einem Stichprobenanteil von 67,8 Prozent iiberreprasentiert ist, wogegen die Selbststandigen (inkl. Freiberufler) und insbesondere die Beamten mit Anteilswerten von 6,7 und 1,6 Prozent im Untersuchungssample unterreprasentiert sind. In Anhang B (S. 304ff.) sind die soziodemografischen und sozialokonomischen Merkmale der untersuchten Personengruppe ausfuhrlicher dargestellt. Um die merkmalstypischen Besonderheiten der Untersuchungsstichprobe als einer Stichprobe bundesdeutscher Erwerbspersonen besser abschatzen zu konnen, erfolgt in der Darstellung, wo moglich, dariiber hinaus ein Abgleich der dokumentierten Strukturdaten der Untersuchungsstichprobe mit den Daten des Mikrozensus fur die deutsche Erwerbsbevolkerung (exklusive auslandischer Erwerbspersonen) fiir das Jahr 2002.
5.3 Operationalisierungen Die empirische Erfassung der im Variablenmodell spezifizierten Variablen bzw. Konzepte zu den ausgefiihrten theoretischen Uberlegungen der Studie (Kap. 4.3 dieser Arbeit, Abb. 4.5.1, S. 68) erfolgte mittels des bereits erwahnten standardisierten Erhebungsinstruments (vgl. Anhang A, S. 279ff.). Bei der Konstruktion des Fragebogens wurde grundsatzlich dem Umstand Rechnung getragen, dass die theoretischen Uberlegungen zwischen den im Variablenmodell spezifizierten Konzepten eine kausale Hierarchie nahe legen. Diese kausale Hierarchic zwischen der struktureUen Einbindung, den subjektiven Uberzeugungssystemen und situationsspezifischen Handlungsorientierungen sowie den normbezogenen Verhaltensintentionen und Handlungen wurde im Fragebogen weitgehend beibehalten, sofern nicht Gesichtspunkte der Fragebogendramaturgie dagegensprachen. Zwar legt die empirische Analyse des kausalen Wirkungszusammenhangs zwischen den genannten UntersuchungsgroBen streng genommen eine diachrone, langsschnittHche Betrachtung nahe. Doch wurde im vorliegenden Untersuchungszusammenhang aus zwingenden forschungsokonomischen Griinden auf die Umsetzung einer solchen Betrachtungsweise verzichtet und stattdessen eine Querschnittsbetrachtung angestrengt. Sofern im Zuge der weiteren Analysen empirische Befunde auf kausaltheoretische Uberlegungen bezogen werden, so geschieht dies explizit nicht im Sinne einer induktiven Beweisfiihrung, sondern lediglich im Sinne der mehr der weniger groBen Kompatibilitat gegebener Befundlagen mit theoretischen Vorannahmen. Das bedeutet auch.
5.3 Operationalisierungen
75
dass alle empirisch gestiitzten Uberlegungen zu theoretisch angenommenen Kausalitatsverhaltnissen hypothetischen Charakter tragen und vor dem Hintergmnd eines kausaltheoretischen Vorbehalts zu interpretieren sind: Die Leitfrage der empirischen Analysen ist somit nicht, ob gegebene Merkmalszusammenhange im Datensatz die Annahme von Kausalbeziehungen ex post nahe legen, sondern wie weit sie ex ante formulierten Kausalannahmen iiber den Einfluss eines Merkmals A auf ein Merkmal B strukturell widersprechen. Genau in diesem Sinne lassen sich auch theoretische Uberlegungen zur kausalen Struktur eines gegebenen Wirkungszusammenhangs auf Grundlage der in dieser Studie durchgefiihrten Querschnittsanalysen testen. Im Folgenden wird nun die Art der operationalen Umsetzung der im Variablenmodell aufgefiihrten Variablen und Konzepte erlautert.
5.3.11nklusion in die Strukturen des Marktes 5.3.1.1. Merkmale der Einbindung in den Arbeitsmarkt Als Merkmale zur Beschreibung der Art der individuellen Einbindung in die Strukturen des Arbeitsmarktes wurden der Erwerbsstatus der Befragten, die Erwerbsgruppenzugehorigkeit, die berufliche Stellung sowie der Beschaftigungssektor erfasst. 5.3.1.1.1 Erwerbsstatus Der Erwerbsstatus der Befragten wurde iiber die Frage: „Sind Sie zur Zeit erwerbstatig?" erfasst mit den sechs Antwortvorgaben: (1) Vollzeit-erwerbstatig (35 Std. und mehr pro Woche), (2) Teilzeit-erwerbstatig (zw. 15 und 34 Std. pro Woche), (3) Stundenweise erwerbstatig (unter 15 Std. pro Woche), (4) In Mutterschafts- / Erziehungsurlaub oder sonstiger Beurlaubung, (5) Auszubildende(r), Lehrling, Umschuler(in) und (6) Zur Zeit nicht erwerbstatig (z.B. arbeitslos). Da lediglich 9 Befragte angaben, zum Befragungszeitpunkt stundenweise erwerbstatig zu sein, wurden fiir die Zwecke der weiteren Auswertung die Auspragungskategorien stundenweise und teilzeiterwerbstatig zusammengefasst. Aus ahnlichen Griinden wurden auch die Befragten in Mutterschafts- oder Erziehungsurlaub - die absolute Haufigkeit fur diese Auspragung betrug n=6 - der Gruppe der Erwerbslosen in der Stichprobe subsumiert. Eingang in die weiteren Analysen fand entsprechend eine vierstufige Variable mit den Auspragungen: (1) vollzeit-erwerbstatig, (2) Teilzeit- oder stundenweise erwerbstatig, (3) in Umschulung, Ausbildung oder Lehre und (4) Erwerbslos (z.B. arbeitslos oder in Mutterschaftsoder Erziehungsurlaub). Die Besetzung der entsprechenden Kategorien ist in Tabelle Bl in Anhang B (S. 306ff.) dokumentiert. 5.3.1.1.2 Erwerbsgruppenzugehorigkeit und berufliche Stellung Die Erwerbsgruppenzugehorigkeit und berufliche SteUung der Befragten wurde in unserer Untersuchung iiber die in Abbildung 5.3.1 (S. 76) dargestellte Klassifikation erfasst. Diese Klassifikation ist - abgesehen von leichten Modifikationen fiir die Klientel der Selbststandigen - dem Personenfragebogen des Sozio-okonomischen Panels von
76
5. Daten und Methoden
2001 entnommen und in ihrer Form angelehnt an die ZUMA-Standarddemografie (vgl. Ehling et al. 1992: 29ff.) sowie an die Deutschen Demografischen Standards der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V. (ASI), des Arbeitskreises deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM) und des Statistischen Bundesamtes. Abbildung 5.3.1: Klassifikation der beruflichen Stellung Arbeiter[in] (auch in der Landwirtschaft) Ungelernte Arbeiter Angelernte Arbeiter Gelernte und Facharbeiter Vorarbeiter, Kolonnenfiihrer Meister, Poller, Brigadier
Angestellte[r] Industrie- und Werkmeister 10 im Angestelltenverhaltnis 11 Angestellte mit einfacher Tatigkeit 12 - ohne Ausbildungsabschluss 13 14 - mit Ausbildungsabschluss
Selbstandige[r] (einschl. mithelfende Familienangehorige) Anzahl d. Mitarbeiter 5 und mehr Keine 1-4 22 Selbstandige Landwirte... .21. 20.. Freie Berufe, selbstandige Akademiker ..25 23.. .24., Selbstandige in Handel, Gewerbe, Handwerk ..28 26.. .27. Selbstandige im ..31 Diensdeistungsbereich 29 .30., ..34 Sonstige Selbstandige 32 .33., Mithelfende Familienangehorige 35
Auszubildende / Praktikanten ... im Handwerk ... im kaufmannisch-technischer Bereich ... Volontare, Praktikanten u.a
AngesteUte mit quaHfizierter Tatigkeit (z.B. Sachbearbeiter, Buchhalter, technischer Zeichner) Angestellte mit hochqualifizierter Tatigkeit oder Leitungsfunktion (z.B. wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ingenieur, Abteilungsleiter) Angestellte mit umfassenden Fiihrungsaufgaben (z.B. Direktor, Geschaftsfiihrer, Vorstand groBerer Betriebe und Verbande)
Beamte[r] (einschl. Richter und Berufssoldaten) Einfacher Dienst (bis einschl. Oberamtsmeister[in]) Mittierer Dienst (von Assistent[in] bis einschl. Hauptsekretar[in], Amtsinspektor[in]) Gehobener Dienst (von Inspektor[in] 40 bis Oberamtsrat[in]) 41 Hoherer Dienst, Richterpn] 42 (von Rat / Ratin aufwarts)
50 51 52
53
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55
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61 62 63
Was diese Klassifikation der beruflichen Stellung in besonderer Weise auszeichnet, ist, dass hier neben den versicherungsrechtlichen Kategorien („Arbeiter", „Selbststandige", „Aus2ubildende", ^Angestellte" und „Beamte") fiir jede einzelne Erwerbsgruppe eine interne Unterteilung nach Tatigkeitsmerkmalen vorgenommen wird. Dabei werden die Arbeiter entsprechend ihrer Ausbildung und ihrer innerbetrieblichen Verantwortung in Ungelernte, Angelernte, Facharbeiter, Vorarbeiter bzw. Kolonnenfiihrer, Meister und Poller bzw. Brigadier unterschieden; die Selbststandigen, unterteilt nach den Gruppen „selbststandige Landwirte", „freie Berufe, selbststandige Akademiker", „Selbststandige im Handel, Gewerbe und Handwerk", „Selbststandige im Diensdeistungsbereich" und „Sonstige Selbststandige", werden unterschieden nach der Anzahl der Mitarbeiter im Betrieb und damit nach der BetriebsgroBe; Auszubildende und Praktikanten werden nach der Zugehorigkeit zu einem bestimmten Erwerbsbereich unterteilt; die Angestellten werden nach der Differenziertheit ihrer Tatigkeit und dem damit verbun-
5.3 Qperationalisiemngen
77
denen Verantwortungsgrad als diejenigen klassifiziert, die „einfache Tatigkeit" haben, die einer „qualifizierten Tatigkeit" nachgehen, die mit einer „hochqualifi2ierten Tatigkeit oder Leitungsfunktion" betraut sind oder denen „umfassende Fiihrungsaufgaben" iibertragen wurden. SchlieBlich werden noch die Beamten nach den entsprechenden dienstrechtlichen Kategorien in Angehorige des einfachen, mittleren, gehobenen und hoheren Dienstes unterschieden. Fiir die Zwecke der vorliegenden Untersuchung wurde die dargestellte Klassifikation in zweifacher Hinsicht genutzt. Zum einen wurden auf ihrer Grundlage Variabien der Zugehorigkeit zu den einzelnen Erwerbsgruppen der Arbeiter, Angestellten, Beamten und Selbststandigen generiert. Zum anderen wurden - bezogen auf die Erwerbsgruppen der Arbeiter und Angestellten - Variabien zur beruflichen Stellung entwickelt, die es ermoglichen, den sozio-okonomischen Status der Befragten erwerbsgruppenintern zu differenzieren.^^'^^ Im Rahmen der empirischen Analysen wurde in diesem Zusammenhang unterstellt, dass die Zugehorigkeit zur Erwerbsgruppe der Auszubildenden eine eher geringe, die Zugehorigkeit zur Erwerbsgruppe der Selbststandigen und Freiberufler eine hohe Markteinbindung anzeigt. Analog hierzu wurde die Statushierarchie zwischen den Erwerbsgruppen der einfachen, mittieren und hoheren Angestellten ebenfalls als eine Skala zur Erfassung von Unterschieden in der Markteinbindung aufgefasst. Es wurde dabei postuliert, dass die Zugehorigkeit zur Erwerbsgruppe der einfachen Angestellten, umfassend Angestellte mit einfacher Tatigkeit, fiir eine eher geringe, die Zugehorigkeit zur Erwerbsgruppe der mittieren Angestellten, umfassend Angestellte mit einer qualifizierten Tatigkeit, fur eine mittiere und die Zugehorigkeit zur Gruppierung der hoheren Angestellten, umfassend Angestellte mit hochqualifizierter Tatigkeit, Leitungsfunktion oder Fiihrungsaufgaben innerhalb eines Unternehmens, fur eine eher hohe Markteinbindung des individuellen Entscheidungshandelns steht. 5.3.1.1.3 Beschaftigungssektor Die Beriicksichtigung des Merkmals des Beschaftigungssektors als Indikator der Markteinbindung verband sich im Rahmen der Untersuchung mit der Annahme, dass Beschaftigte des offentlichen Dienstes den markttypischen Imperativen des okonomischen Erfolgs und des wirtschaftUchen Wettbewerbs in vergleichsweise geringerem
60 Aufgrund der geringen Fallzahl in der Untersuchungsstichprobe wurde im Falle der Beamten (n=6) und im Falle der Selbststandigen (n=25) auf die Konstruktion einer Variable zur erwerbsgruppeninternen Stellungshierarchie verzichtet. 61 Zur Konstruktion eines erwerbsgruppeniibergreifenden Index der beruflichen Stellung hat HoffmeyerZlotnik (1993) - bezogen auf das in Abbildung 5.3.1 dargestellte Instrument - einen Operadonalisierungsvorschlag unterbreitet, der Informationen zu Stellungsunterschieden innerhalb der einzelnen Erwerbsgruppen zusammenfasst. Es handelt sich dabei um eine „mehr oder weniger theoretisch begriindete Zusammenfassung und Ordnung der in Abbildung 5.3.1 aufgefiihrten Kategorien der Beruflichen Stellung nach dem Grad ihrer Handlungsautonomie. Die Gruppierung der Erwerbsgruppenangehorigen erfolgt dabei in fiinf ordinal verkniipften Kategorien von 1 „niedrige Autonomic des Handelns (z.B. ungelernte Arbeiter)" bis 5 „hohe Autonomic des Handelns (z.B. Angestellte mit umfassenden Fiihrungsaufgaben)". Die Implementation dieses Index in den Datensatz der vorliegenden Untersuchung fiihrte zu in Teilen unplausiblen Befunden (Ergebnisse an dieser Stelle nicht dokumentiert), so dass von seiner weiteren Verwendung Abstand genommen wurde.
78
5. Paten und Methoden
MaBe ausgesetzt sind als Beschaftigte des privatwirtschaftlichen Sektors. Die Beschaftigung im offendichen Dienst wurde dabei in unserer Untersuchung iiber die Frage: „Gehort der Betrieb, in dem Sie arbeiten, zum Offendichen Dienst? Wenn Sie aktuell nicht erwerbstatig sind: Gehorte der Betrieb, in dem Sie zuletzt gearbeitet haben, zum Offendichen Dienst?" mit den dichotomen Antwortkategorien „ja" und „nein" erfasst. Diese Variable ermoglichte es, Befragte, die in privatwirtschaftlichen Kontexten beschaftigt sind oder waren, von jenen zu unterscheiden, die einer Berufstatigkeit im Offendichen Dienst nachgehen bzw. nachgegangen sind. Die Analysen zeigen in diesem Zusammenhang, dass — bezogen auf die giiltigen Falle — der Anteil der im offentlichen Sektor Beschafdgten in der Untersuchungsstichprobe 10 Prozent betrug. Fiir die Zwecke der weiteren Analysen wurde in diesem Zusammenhang unterstellt, dass die berufliche Verankerung im offentlichen oder privaten Sektor im Regelfall auf Dauer gestellt ist bzw. war und Berufstatigkeitswechsel zwischen den genannten Beschaftigungssektoren nicht den Regelfall darstellen. Gleiches gilt fiir den Fall, dass Befragte als Freiberufler im Offentlichen Dienst tatig sind. Letzteres konnte, Bezug nehmend auf unsere Untersuchungsstichprobe, nur fiir eine Befragte festgestellt werden, die als Honorardozentin im Bereich der Beruflichen Fort- und Weiterbildung tatig war. 5.3.1.2. Merkmale der Einbindung in die Finanzmarkte Als Merkmale zur Beschreibung der individuellen Einbindung in die Finanzmarkte wurden die Hohe des Geldvermogens der Befragten, der in Aktien und Fonds angelegte Anteil am Vermogen, der Besitz immobilen Eigentums sowie der Besitz resp. die Nutzung von Kreditkarten durch die Befragten erfasst. 5.3.1.2.1 Aktien- und fondsbasierte Vermogensanlagen Als Indikator der individuellen Einbindung in die Finanzmarkte wurde erhoben, wie hoch der Anteil aktien- und fondsbasierter Vermogensanlagen am Geldvermogen der Befragten ist. Hiermit verband sich die Uberlegung, dass die Respondenten um so mehr in das dynamische Geschehen innerhalb der Finanzmarkte involviert sind, je hoher der Anteil ihres Geldvermogens ist, den sie in Aktien- und Fondsanlagen investiert haben. Der Anteil aktien- und fondsbasierter Anlagen am Geldvermogen wurde iiber zwei miteinander kombinierte Fragen erfasst. Zunachst wurden die Respondenten gefragt, ob „sie einen Teil ihres Vermogens in Aktien, Fondsanteilen oder Vermogensbeteiligungen angelegt" haben. AUe Befragten, die diese Frage mit „ja" beantworteten, wurden anschlieBend gefragt: „Wenn Sie einmal iiberschlagen, wie hoch etwa der Anteil der Aktien- und Fondsanteile an Ihrem Geldvermogen ist: Wie hoch fallt dieser Anteil ungefahr aus?" Die Beantwortung dieser Frage erfolgte iiber eine in 10-ProzentSchritten abgestufte Skala mit den Extrempolen „0 Prozent" und ,,100 Prozent".'^^ 62 Der untere Endpunkt der Skala (0 Prozent) ist zwar als Auspragung fiir den Prozentualen Anteil von Aktien- und Fondsanteilen am Geldvermogen in der Gruppe der Shareholder logisch ausgeschlossen. Gleichwohl dokumentierte die Beriicksichtigung dieses Skalenendpunktes fiir die Befragten, dass hier die voUstandige Prozentskala abgebildet wurde. Respondenten, deren Aktien- und Fondsanteile am Geld-
5.3 Qperationalisierungen
79
Dariiber hinaus wurde den Befragten hier angeboten, ihre Auskunft in der Sache iiber das Ankreuzen der Aussage „Mochte ich nicht beantworten" explizit 2u verweigern. Fiir Zwecke weiterfiihrender Analysen wurde der Anteil aktien- und fondsbasierter Vermogensanteile der Personen, die angaben, keine Aktien und Fondsanlagen zu besitzen und infolgedessen die Frage nach dem prozentualen Anteil aktien- und fondsbasierter Aniagen an ihrem Geidvermogen nicht beantwortet haben, bei dieser Frage mit 0 kodiert. Dies traf auf 67 Befragte und damit 24,3 Prozent der Respondenten mit giiltigen Angaben zu dieser Frage zu. Befragte, die angegeben batten, nicht iiber Geidvermogen zu verfugen, wurden im Rahmen der Analysen zu dieser Frage nicht weiter beriicksichtigt. Die Skala der Anteilswerte aktien- und fondsbasierter Vermogensanlagen wurde im Weiteren als eine Skala der Inklusion in die institutionellen Strukturen der Finanzmarkte interpretiert. Univariate Analysen zur Verteilung aktien- und fondsbasierter Vermogenswerte ergaben, dass die Vermogenden in der Untersuchungsstichprobe im Mittel 20 (Median) bis 26 Prozent (arithmetisches Mittel) ihres Geldvermogens in Aktien und Fondsanlagen angelegt haben. Die linkssteile (Schiefe=l,07) und tendenziell breitgipflige (Kurtosis=0,36) Form weisen die Verteilung aktien- und fondsbasierter Vermogenswerte in der Untersuchungsstichprobe ebenfalls als nicht normal aus. Im Weiteren zeigt auch hier das Ergebnis des Kolmogorov-Smirnov-Tests auf Normalverteilung nach Lillefors, dass die Verteilung des Geldvermogens in der Untersuchungsstichprobe signifikant von der Verteilungsform einer Normalverteilung abweicht (KS-Wert=0,172; df=271;p0,30 aufweisen. Die Starke der Komponentenladungen fiir die einzelnen Items entspricht dabei weitestgehend den itemspezifischen Komponentenladungen aus dem Kontext der fiir die Einzelkonstrukte durchgefiihrten Analysen (vgl. Abb. 5.3.2.1.1.1, 5.3.2.1.2.1 und 5.3.2.1.3.1, S. 85, 88 und 90). Analog hierzu legt auch die Ladungsstruktur der Items auf den Komponenten unter inhaltlichen Gesichtspunkten die gleiche Interpretation nahe, die im Rahmen der Hauptkomponentenanalysen zu den einzelnen Konstrukten gewahlt wurde. Die empirische Unterscheidbarkeit der Hauptkomponenten auf der Ebene ihrer Komponentenladungen verkniipft sich im gegebenen Fall - entsprechend der obliquen Rotation - mit dem Umstand, dass die unterschiedenen Komponenten nicht orthogonal aufeinander stehen. Es bestehen also signifikante Abhangigkeiten zwischen den Komponenten, die allerdings bei Korrelationswerten zwischen r=-0,17 und r=0,21 eine eher schwache Auspragung besitzen. Dabei zeigt sich, dass nomozentrische und kommunitargemeinschafdiche Orientiemngen einerseits und okonomische Orientiemngen andererseits in einer negativen Beziehung zueinander stehen. Dies indiziert auf einer iibergreifenden Ebene, dass die nomozentrischen und kommunitar-gemeinschaftlichen Orientiemngen von Akteuren mit zunehmender Bindung an okonomische Erfolgsziele tendenziell zuriickgehen. Dariiber hinaus legen die Ergebnisse nahe, dass nomozentrische und kommunitar-gemeinschaftiiche Orientiemngen — wie bereits bei der Inspektion der Item-
94
5. Daten und Methoden
korrelationen herausgestellt - positiv zueinander in Beziehung stehen resp. dass sich die Bindung an rechtlich-formelle Normen auf der Ebene des Alltagshandelns iiberdurchschnitdich haufig mit einer Bindung an informelle Normbestande verkniipft. Abbildung 5.3.2.2.1.1: Oblique Hauptkomponentenstruktur nomozentrischer, okonomischer und kommunitar-gemeinschafdicher Orientierungen von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=368)*
Komponenten ladungen*
Indikatorvariablen
• Q
• D
Es gibt ungerechte und veraltete Gesetze ... {n om os3, rekodiert) Viele Gesetze sind nur fiir den schlimmsten Fall gemacht ... («ow oj-2, rekodiert) An die Gesetze sollte man sich immer halten {nom os1) Gesetz und Ordnung respektieren
Haupteffekt
Komponenteninterkorrelationen
^•^^03 1^
0.80
l.3) zwischen den sog. Mittelschichtsdelikten der „Steuerhinterziehung" einerseits und der „Inanspruchnahme von Schwarzarbeit" sowie der „unerlaubten Materialmitnahme vom Arbeitsplatz". Auch der Versicherungsbetrug, dariiber hinaus aber ebenfalls das Autofahren im alkoholisierten Zustand, ist mit den genannten Delikten in hoherem MaBe korreliert. Demgegeniiber weist die selbstberichtete Haufigkeit der Fahrerflucht sowie des Ladendiebstahls nur weitgehend insignifikante Korrelationen zu den genannten DeUktformen auf. Gleiches gilt in noch starkerem MaBe fiir das Delikt „Abfallentsorgung auf einer wilden Miillkippe", das auf der Ebene seiner Begehungshaufigkeit mit zwei bekennenden Tatern eine insgesamt nur minimale Varianz aufweist. Tabelle 5.3.4.1.2: Korrelationen zu den Items der selbstberichteten Delikthaufigkeit (n=377)* Alkohol a. Steuer
Schwarzarbeit
Materialmitnahme
Ladendiebstahl
Steuerhinterziehung
Wilde Mullkippe
Versicher.betrug
Inanspruchnahme, Schwarzarbeit 0,170 uneriaubte 0,249 0,101 Materialmitnahme Ladendiebstahl 0,040 0,038 0,035 Steuerhinterziehung 0,330 0,342 0,188 0,041 Wilde Mullkippe -0,060 -0,049 -0,019 -0,016 -0,052 Versicherungsbetrug 0,211 0,222 0,181 0,187 0,027 -0,048 Fahrerflucht 0,023 -0,022 0,089 0,109 0,070 -0,014 0,029 * Die Korrelationen wurden bei listenweisem Ausschluss von Fallen mit fehlenden Werten auf den interessierenden Variablen berechnet. Aufgrund der nur minimalen Varianz auf der Ebene der Begehungshaufigkeit wurde das Delikt „Nutzung einer wilden Mullkippe" aus den weiteren Hauptkomponentenanalysen ausgeschlossen. QueUe: Wirtschaft und Ethik, 2002.
84 Bezogen auf die Delikte Alkohol am Steuer, Steuerhinter^ehung und iMdendiehstahl entspricht die auf der Ebene der mittleren Begehungshaufigkeit ermittelte Rangfolge der Delikte den von Liidemann fiir den ALLBUS 2000 berichteten Ergebnissen (vgl. LQdemann 2002: 134).
117
5.3 Operationalisiemngen
Eine Hauptkomponentenanalyse mit obliquer Rotation, durchgefiihrt nach dem von Kaiser formulierten Eigenwertkriterium (Extrakdon von Hauptkomponenten bei einem Eigenwert > 1) und auf Grundlage der gegebenen Korrelationen zwischen den Delikthaufigkeiten (vgl. Abb. 5.3.4.1.1), fiihrt zu einer Drei-Komponenten-Losung. Auf der ersten Komponente laden dabei die Delikte „Steuerhinterziehung", „Inanspruchnahme von Schwarzarbeit", „Versicherungsbetrug", „Alkohol am Steuer" und „unerlaubte Materialmitnahme vom Arbeitsplatz" und auf der zweiten Komponente „Fahrerflucht" sowie „Ladendiebstahr'. Die dritte Komponente des Modells wird ausschlieBlich iiber das Item „Abfallentsorgung auf einer wilden Miillkippe" besetzt. Die Korrelation zwischen den Komponenten bewegt sich bei Werten zwischen r=-0,04 und r=0,06 auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse bestatigen in dieser Weise, dass sich auf Grundlage der hier beriicksichtigten Delinquenzformen, bezogen auf die selbstberichtete Haufigkeit dieser Delikte, wesentlich zwei Typen von Abbildung 5.3.4.1.1: Oblique Hauptkomponentenstruktur der selbstberichteten Delikthaufigkeit von Erwachsenen zwischen 21 und 65 Jahren (n=372)*
Indikatorvariablen
• •
Komponentenladungen*
Komponenten-
Hauptkomponenten
Steuerhinterziehung Inanspmchnahme von Schwarzarbeit unerlaubte Materialmitnahme vom Arbeitsplatz Alkohol am Steuer Versicherungsbetrug
interkorrelationen
Komponente 1 (23,9 %)**
^ r^
0,05
0,79 • G
Fahrerflucht Ladendiebstahl
Komponente 2 0,56
(13,5 %r
y 0,05
0,85
•
Wilde Millkippe
Komponente 3 (12,5 % r
Ladungen derlndikatorvariablena^j auf den Faktoren Durch die jeweiligen Hauptkomponenten auf der Ebene der Einzelindikatoren durchschnittlich aufgeklarte Varianz in % (bei Rotation nach Oblimin) *Kaiser-Meyer-01kin-MaB der Stichprobeneignung: KMO=0,654. Quelle: Wirtschaft und Ethik, 2002.
^
•0,04
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5. Paten und Methoden
Gesetzesverletzungen unterscheiden lassen: namlich 2um einen Delikte, die sich (s.o.) weitgehend als Formen der Mittelschichtkriminalitat rubrizieren lassen und die - ungeachtet des groBen volkswirtschafdichen Schadens, der mitunter durch sie hervorgerufen wird - oftmals als Kavaliersdelikte angesehen und verhandelt werden, und zum anderen Delikte wie Ladendiebstahl, Fahrerflucht, die auBerhalb der institutionalisierten Beziehungen des einzelnen stehen. Das Umweltdelikt der „wilden Miillkippe" steht isoliert und jenseits dieser Kriminalitatsformen, so dass Informationen iiber die Vorkommenshaufigkeit dieses Delikts keinerlei Riickschliisse iiber deHnquente Aktivitaten von Akteuren in anderen Bereichen zulassen. Korreliert man im Weiteren die Items zur DeHnquenzbereitschaft miteinander (vgl. Tab. 5.3.4.1.3), so zeigt sich tendenziell eine ahnHche Korrelationsstruktur. Auch in diesem Fall stehen die Deliktbereitschaften zur Steuerhinterziehung, zur „Inanspruchnahme von Schwarzarbeit", zur „unerlaubten Materialmitnahme vom Arbeitsplatz" und zum Versicherungsbetrug in einem starken korrelativen Zusammenhang. Der korrelative Zusammenhang zwischen den anderen Items konturiert sich demgegeniiber weniger eindeutig. Lediglich die Abfallentsorgung auf einer wilden Miillkippe steht in einem vergleichsweise starkeren Zusammenhang mit dem Ladendiebstahl, wobei sich diese Korrelation numerisch auf einem immer noch eher niedrigen Niveau bewegt. Tabelle 5.3.4.1.3: Korrelationen zu den Items der Deliktbereitschaft (n=377)* Alkohol a. Steuer
Schwarzarbeit
Materialmitnahme
Ladendiebstahl
Steuerhinterziehung
Wilde MMkippe
Versicher.betrug
Inanspruchnahme, Schwarzarbeit 0,090 unerlaubte Material0,203 0,168 mitnahme Ladendiebstahl 0,075 0,020 0,219 0,197 Steuerhinterziehung 0,320 0,042 0,328 w a d e Mullkippe -0,012 -0,002 -0,085 0,207 0,074 Versicherungsbetrug 0,144 0,339 0,134 0,189 0,342 0,048 Fahrerflucht 0,150 0,015 0,217 0,143 0,076 0,046 0,106 * Die Korrelationen wurden bei listenweisem Ausschluss von Fallen mit fehlenden Werten auf den korrelierten Variablen berechnet. QueUe: Wirtschaft und Ethik, 2002.
Bezieht man im Weiteren ebenfalls die Itemkorrelationen zur Deliktbereitschaft in eine Hauptkomponentenanalyse mit obliquer Rotation ein, so ergibt sich auch hier eine Zwei-Komponenten-Losung, die auf der Ebene der Komponentenladungen eine ahnliche Ladungsstruktur aufweist wie das Komponentenmodell zu den Delikthaufigkeiten (vgl. Abb. 5.3.4.1.2). Auch hier ergibt sich eine erste Komponente von MittelschichtdeHkten mit den hoch ladenden Items „Inanspruchnahme von Schwarzarbeit" „Steuerhinterziehung", „Versicherungsbetrug" und „Materialmitnahme". Die Komponenten 2 und 3 weisen aber eine deutUch andere Item-Struktur auf als im Falle der Delinquenzhaufigkeit. So wird hier im Weiteren eine Komponente zur Verkehrskriminalitat sowie eine Kompo-
119
5.3 Operationalisierungen
nente mit den Delikten „Abfallentsorgung auf einer wilden Miillkippe" und „Ladendiebstahl" extrahiert. Letztere lasst sich nicht eindeutig interpretieren. Bemerkenswert ist, dass die extrahierten Komponenten zur Ddiktbereitscbaft merklich hoher miteinander korreliert sind als die Komponenten zur Ddiktbaujigkeit. Die Beziehung zwischen den beriicksichtigten Spielarten der Mittelschichtkriminalitat und der Komponente der Verkehrsdelikte bewegt sich dabei bereits auf einem Niveau der mitderen Korrelationsstarke. Abbildung 5.3.4.1.2: Oblique Hauptkomponentenstruktur der Deliktbereitschaft von Erwachsenen zwischen 21und65Jahren(n=378)*
j,^ Komponentenladungen*
Indikatorvariablen Q • G G
KomponentenHauptkomponetlten inter^ -^ , , • korrelationen
0^76 Inanspruchnahme von Schwarzarbeit 0,73^"*^ J Steuerhinterziehung P^Lj Versicherungsbetmg OJO^^—unerlaubte Materialmitnahme vom 0,47 Arbeitsplatz
h
Komponente 1
(25,9 %r
0,05 ^L.
•
Wilde Miillkippe
Q
Ladendiebstahl
^ ^
0,81 0,20
Komponente 2 (16,6 %)**
0,67
0,14 G G
Fahrerflucht Alkohol am Steuer
| l
-