Vampir-Legende
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 170 von Jason Dark, erschienen am 30.05.1995, Titelbild: Richard New...
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Vampir-Legende
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 170 von Jason Dark, erschienen am 30.05.1995, Titelbild: Richard Newton
Gegen Ende des amerikanischen Bürgerkrieges überfielen die Truppen der Nordstaaten ein einsam gelegenes Haus im Süden des Kontinents. Sie fanden die beiden Lacourte-Brüder vor, die sie wegen Feigheit erschossen. Aber Vampire lassen sich nicht durch Bleikugeln töten. Noch in derselben Nacht schlugen die Brüder zurück. Was als Blutfest begann, endete in einem FlammenInferno und mit der Geburt der Vampir-Legende, deren Folgen wir mehr als hundert Jahre später zu spüren bekamen...
Von Wein und Champagner wurden sie nicht trunken, sie brauchten einen anderen Saft, einen besonderen. Sie brauchten Blut. Helles, sprudelndes Blut aus den Körpern lebender Menschen. Aber wie bekommen, wenn die Welt um sie herum in Flammen aufging? Der Krieg tobte durch das Land, er hatte alles verändert. Es war vorbei mit den rauschenden Festen, den herrlich warmen Nächten und der zügellosen Leidenschaft. Das war ihre Zeit gewesen, als Jäger, da hatten sie in den lauschigen Lauben und Pavillons auf ihre menschliche Beute gewartet, und sie, die beiden schönen Kavaliere, hatten in einer wunderbaren Herrlichkeit gebadet. Blut, nur Blut... Jacques Lacourte und sein Bruder Igor wollten nicht vergessen werden, sie wollten der Nachwelt auch etwas hinterlassen, denn sie waren es ihrer uralten Abstammung schuldig. Die Nacht hätte so wunderbar sein können. Aber sie war rot, sie war laut. Das Krachen der Schüsse, das Donnern der Geschütze, die hellen Feuer, die sich zu einem gewaltigen Teppich aus Flammen zusammensetzten. Nichts paßte mehr zusammen. Alles war so anders geworden. Keine Musik, kein Dahinsinken in schwere Kissen, kein Wein mehr, kein Champagner, keine Feste... Statt dessen war ihnen der Tod auf den Fersen. Er kam, war nicht mehr aufzuhalten, das wußten die beiden Brüder, als sie im Licht der Kerzen durch den großen Festraum gingen, der schon einem Ballsaal glich. Pomp und Prunk. Wertvolle Stoffe, eine wunderbare Pracht, zu der auch die Möbel paßten, die Sessel und Sofas, die Schränke und Tische, bestückt mit dem funkelnden Kristall der Gläser. Es war Jacques, der durch den Raum tanzte, das Glas mit dem Champagner in der Hand. Seine Augen waren so blau und kalt, der weiche Mund zu einem Lächeln verzogen, die langen, hellen Haare glichen denen eines Engels, und er bewegte sich ebenfalls mit einer beinahe engelhaften Grazie, vorbei an den Stühlen, dem langen Tisch. Er tauchte hinein in den Schein der Kerzen, war von seiner Einmaligkeit überzeugt, trank, schüttelte sich und schleuderte das leere Glas fort, das gegen die Wand prallte und zerbrach, wie auch die vielen anderen Gläser, die er schon zerschmettert hatte. Es war die Zeit des Abschieds, des Aufräumens, untermalt vom Donner der Geschütze. Am Tisch stemmte er sich ab. Er blieb stehen. Sein Oberkörper pendelte vor und zurück, auf seinem Gesicht lag ein faunisches Lächeln. Das weitgeschnittene Hemd war ihm aus der Hose gerutscht, eine schwarze Samtweste bedeckte die Vorder- und Rückseite seines Oberkörpers, und die hellen, schmalen und öligen Finger streckten sich dem Bruder Igor entgegen, der in einem Sessel hockte, die Beine ausgestreckt.
»Es ist vorbei, Bruder...« Igor hob die Schultern. Damit war Jacques nicht gedient. »Warum ist es vorbei, verdammt noch mal? Warum denn nur?« »Der Krieg...« »Ist ein Freund des Todes!« schrie Jacques Lacourte mit schriller Stimme und streckte den Arm aus. »Der Krieg und der Tod sind Brüder, die sich lieben und immer wieder zueinander finden. Hast du mich verstanden, mein Liebling?« Igor lachte nur. Jacques richtete sich auf. Durch eines der hohen Fenster schaute er hinaus in den Garten, über den die Dunkelheit ihr Tuch aus Samt ausgebreitet hatte. Noch hatte das Feuer des Krieges den Garten nicht gefressen, aber es kam näher, immer näher. Es war nicht aufzuhalten, es war ein böser, hungriger Feind, der alles fraß. Und mit ihm kamen die Soldaten, die aus dem Norden, denn der Süden, der stolze Süden hatte verloren. Wie die Berserker hatten die Feinde aus dem Norden gewütet. Die herrlichen und prachtvollen Landsitze waren in Schutt und Asche gefallen, die Hammen hatten sie gefressen. Die Menschen waren in den Kugelgarben gestorben, dahingerafft, getötet. Leblose und makabre Andenken auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges. Nord gegen Süd. Ein Krieg, der nicht hätte sein müssen, den keiner so recht gewollt hatte, der aber nicht aufzuhalten gewesen war. Der Sturm des Todes ließ sich nicht bremsen, nicht einmal die großen Flüsse hatten ihn stoppen können. »Blut!« keuchte Jacques. »Wir brauchen Blut...« »Woher?« »Wir müssen es haben.« »Die Soldaten?« Jacques nickte. »Wenn sie kommen, wenn sie das Feuer bringen, werden wir auf sie warten.« Seine Augen fixierten ein Champagnerglas auf der weißen Tischdecke mit den kostbaren Stickereien. Er nahm das Glas, schlug es gegen die Kante, und sein dunkelhaariger Bruder Igor schaute zu, wie er die scharfe Kante über seinen Handballen zog. Er greinte, als er sah, daß kein Blut sprudelte. »Bruder, ich bin leer, ich bin verbraucht, Bruder. Ich brauche frisches Blut.« Er schaute auf seinen linken Handballen, sah dort den Schnitt und die wenigen Tropfen, die aus ihm hervorgequollen waren. Sie lagen dort wie Perlen, und er beugte seinen Kopf vor, ließ die Zunge aus dem Mund schnellen und leckte mit blitzschnellen Bewegungen die Perlen weg. Dann lachte er schrill auf, packte die Tischdecke und zerrte sie mit einer heftigen Bewegung vom Tisch. Er schleuderte sie durch den Raum, es
war ihm dabei egal, ob die Kerzen noch brannten. Die Leuchter waren gefallen, das Feuer gierte nach Nahrung, es huschte über den Boden, als wollte es dort die Teppiche anmalen. Igor stand auf und trat die Flammen aus, während sein Bruder die Hände vor das Gesicht schlug und darüber jammerte, daß er so unglücklich wäre. Er sank dabei auf die Knie, weinte, winselte wie ein Tier, bevor er sich umdrehte, weil er gespürt hatte, daß Igor neben ihm stand. Er hob den Blick, der Mund war verzerrt. Blut vom Handgelenk klebte noch an den Lippen und ließ sie aussehen wie eine verschmierte Wunde. »Steh auf, Bruder!« Jacques schüttelte den Kopf. »Du mußt!« »Ich bin so unglücklich!« stammelte er. »Ich will Blut, ich will Blut. Es ist so herrlich, es beschert mir den Rausch der Sinne. Ich brauche es für mich...« »Ich auch, Bruder.« Jacques hatte die Hand noch nicht genommen. Er kniete, umklammerte Igors Beine, preßte seine Stirn gegen die Knie und keuchte. Igor verdrehte die Augen. Es stimmte, Jacques brauchte Blut. Aber nicht nur er, auch Igor wollte trinken, die Süße spüren und die Kraft, die ihn nach dem Trank durchströmte. Hier lebte kein Mensch mehr. Sie waren allein in diesem herrlichen Haus. Es gehörte ihnen, sie hatten gedacht, hier immer bleiben zu können, aber der Krieg war schneller, und deshalb mußten sie etwas tun und nicht nur jammern. Das wußten beide, aber nur Igor war stark genug, um auch handeln zu können. Sein Bruder umklammerte ihn noch immer. Er war der Schönere und stets der Liebling der Damen gewesen, aber er war auch der wenig pragmatische, er lebte zu stark von seinen Gefühlen und nicht von seinen Handlungen. »Komm und steh auf.« Jacques hob nur den Kopf. »Warum?« »Wir werden gehen.« »Was?« »Ja, wir verlassen dieses Haus. Wir werden hier nicht sterben oder vergehen. Wir werden in die Welt hineingehen und dort andere Opfer finden...« »Aber unser Haus, unser herrliches Haus...« »Vergiß es!« »Ich kann nicht, ich...« Ein mächtiger Donnerschlag riß Jacques die weiteren Worte von den Lippen. Er zuckte zusammen, starrte zu Boden, doch Igor drehte den Kopf und schaute aus dem Fenster.
Die Nacht hatte ihre Klarheit verloren. Eine gewaltige Staubwolke hüllte den Garten ein, in der sich Blätter und Zweige bewegten, denn der Einschlag der Kanonenkugel hatte eine tiefe Wunde in die Natur gerissen. Die Soldaten waren nah, sehr nah. Sie trafen auf keinen Widerstand mehr. Sie schössen nur in die Gegend hinein, weil sie zerstören wollten. Sie waren die Sieger, und dies sollte überall zu sehen sein. Eine Spur aus Tod und Feuer blieb hinter ihnen zurück, das Grauen war einfach nicht zu stoppen. »Wir müssen fliehen! Sie sind da!« Igor spürte, daß es Zeit wurde, und er zerrte seinen Bruder in die Höhe. Jacques lachte. Er schüttelte den Kopf. Wie trunken schlenderte er neben Igor her. Er glich einer Marionette, bei der einige Fäden abgetrennt worden waren, so daß die Bewegungen ihre Gleichmäßigkeit verloren hatten. Vielleicht bewegten sich betrunkene Sänger ebenfalls so, wenn sie sich vor ihrem Publikum verbeugen wollten. Beide stolperten über die Schwelle und gelangten in die Halle hinein. Der helle Parkettboden schimmerte im Licht der Kerzen. Jacques fing wieder an zu lachen, bevor er sich im Walzertakt durch den großen Raum drehte, vorbei an den mit weißen Kerzen bestückten, auf dem Boden stehenden Leuchtern. Das Gesicht des Vampirs war verklärt, die Augen verdreht. Es war ihm anzusehen, daß sich seine Gedanken in anderen Sphären befanden und er die Realität verdrängt hatte. Das große Portal war verschlossen. Gemessenen Schrittes bewegte sich Igor darauf zu. Kurz bevor er sie erreichte, wandte er sich nach rechts und drückte eine schmalere Tür auf. Eine Garderobe befand sich dahinter. Hier legten die Gäste ihre Kleidung ab, doch Gäste gab es schon seit Wochen nicht mehr. Der Krieg hatte eben alles anders werden lassen. Über den beiden Bügeln hingen die dunklen Mäntel, große Capes mit besonderen Schulteraufsätzen. Igor nahm sie an sich. Einen Mantel schleuderte er seinem Bruder zu, der andere war für ihn. Jacques hatte den Mantel aus seinen Händen rutschen lassen. Er bückte sich, hob ihn hoch und lachte dabei. Dann warf er ihn über. »Wir gehen, wir verlassen dieses Haus. Wir laufen dem Tod entgegen, aber der Tod weiß nicht, daß uns sein Gesicht nicht schrecken kann, nein, nicht uns.« Er hatte die Arme erhoben und schaute zur Decke, wo die Kerzenflammen Muster hinterlassen hatten. Igor dachte praktischer. Er war bereits an der Tür stehengeblieben und zog sie vorsichtig auf. Nichts war beim ersten Blick zu sehen. Nur die breite Auffahrt für die Kutschen. Es brannten keine Gartenlaternen. Einschläge von Kanonenund anderen Geschützkugeln zeichneten das Gelände nicht. Die Bäume
wirkten wie hohe Schutzschilder. Sie waren dicht belaubt, und die schwere Süße einer Spätsommernacht erfüllte die Luft. Aber der Krieg war nahe. Hinter den Bäumen zeigte der Himmel einen rötlichen Schein. Er stammte weder von einem Morgen- noch von einem Abendrot, es war das Feuer der Vernichtung. Die Soldaten des Nordens räumten in diesem Bruderkrieg auf, sie kannten keine Gnade, sie wollten den Bruder aus dem Süden in die Knie zwingen und ihm die Arroganz austreiben. Das würden sie schaffen, der Süden brannte, und es würde lange dauern, bis die Feuer gelöscht waren. »Kommst du, Jacques?« »Ja, ich komme.« Er tanzte noch immer durch die Halle und nahm so seinen persönlichen Abschied von diesem Haus. Der Blick glitt über die Decke hinweg, er streifte auch die Wände, und der Mund des Blutsaugers war zu einem Lächeln verzogen. Igor stand schon auf dem Weg. Er hatte die Schreie der Männer gehört und wußte, daß sich die Soldaten nicht mehr weit entfernt von ihnen aufhielten. Sie hätten das Haus schon längst abbrennen können, wie es mit vielen anderen geschehen war. Sie hatten es nicht getan. Wahrscheinlich wollten sie es als Stützpunkt benutzen. Der blonde Jacques taumelte ins Freie. Seine Augen waren verdreht, der Mund stand offen. Er wirkte wie trunken. Seine Worte drehten sich um den Lebenssaft der Menschen. Er sprach vom Blut, das ihn sehr bald stärken würde. Er liebte es, es gab ihm Hoffnung, es war für ihn das Leben, es war einfach wunderbar. So lief er dann an seinem Bruder vorbei. Er hielt sich nicht an die Wege, seine Füße bewegten sich über den dichten Rasen, dessen Farbe so saftig aussah. Er lachte. Aber er hörte die dumpfen Hufschläge nicht. Igor hatte sie vernommen. Noch stand er in der Nähe des Hauses, starrte in den Rücken seines Bruders, sah Jacques’ Gestalt dünner und schwächer werden, warnte ihn durch Rufe, bevor er sich in Bewegung setzte und ihm nacheilte. Urplötzlich waren sie da. Und urplötzlich erhellte das Flackerlicht der Fackeln die Nacht. Es riß große Muster hinein, es war einfach ein Bild, das dazugehörte, es... »Jacques!« Der Schrei ließ den Vampir zusammenzucken. Endlich blieb er stehen. Er drehte sich auch um und sah die Horde der Soldaten aus der Dunkelheit hervorpreschen. Er riß die Arme hoch, als wollte er sie begrüßen. Die Pferde wurden noch einmal angetrieben, das Licht der Fackeln wanderte durch den Garten, und Igor sah zu, daß er aus der Nähe des Hauses verschwand. Er hetzte geduckt los, seine Schritte waren nicht müde. Die Furcht vor dem Zusammenbruch gab ihm noch
einmal die Kraft, und er hatte Glück, von den Soldaten nicht gesehen zu werden. Etwa ein Dutzend Männer, die meisten davon ziemlich abgerissen aussehend, zügelten ihre Pferde von dem Haus. Sie sprangen aus den Sätteln, sie lachten, und einer von ihnen schrie: »Sieht aber verlassen aus. Das ist toll, ein Haus wie für uns geschaffen. Einmalig...« Sie brachen ein. Sie brachten den Dreck mit. Sie rochen nach Pulverdampf und Tod und nicht mehr nach Blut oder den schweren Parfüms der Damen. Jacques konnte es nicht fassen. Er stand in der Deckung eines Baumes und schaute zurück. Daß sich sein Bruder zu ihm gesellt hatte, nahm er nicht mal zur Kenntnis. Sein Mund zuckte wie die Schatten, die unterschiedlich hell und dunkel durch die Nacht geisterten. Er wollte etwas sagen. Es war zu schwer, die richtigen Worte zu finden. Er schüttelte einige Male den Kopf. Dann verzerrte sich sein Gesicht. Er stöhnte auf, er bewegte seine Hände, er faßte in sein Gesicht, als wollte er es zerstören, und Igor, der wußte, wie der Bruder litt, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Laß es sein, Jacques. Es lohnt sich nicht mehr. Wir haben keine Chance. Die anderen sind stärker.« »Wieso stärker?« Er ließ die Hände sinken. »Wieso sollen sie stärker sein als wir?« »Weil es so ist.« »Nein, wir sind den Menschen überlegen.« »Nicht immer«, schwächte Igor ab. »Wir sind besser als die Menschen. Wir leben von ihnen. Wir ernähren uns von ihrem Blut. Ich will die da!« Er deutete zuckend nach vorn und meinte die Soldaten, die vor dem Eingang Wache standen. »Ich will die da haben. Ich will sie leersaugen. Ich will mit dem Messer in ihre Körper schneiden und sehen, wie sie bluten! Das will ich!« »Das kannst du auch!« »Dann hole ich sie...« »Nicht jetzt, Bruder! Nicht jetzt. Unsere Zeit wird kommen. Wir müssen Geduld haben und warten, verstehst du?« »Nein, nicht mehr!« Er schrie und flüsterte zugleich. »Schon zu lange habe ich mich gedulden müssen. Irgendwann kann ich es nicht mehr, verdammt noch mal!« »Nicht jetzt.« Jacques hechelte wie ein Hund. Sein Mund schnappte dabei auf und zu. »Doch, gerade jetzt! Ich will es tun! Ich muß es tun. Ich... ich... muß das Blut haben...« Er war nicht mehr zu halten. Sein Körper bebte. Den Mund hielt er offen, die Zungenspitze umtanzte die Lippen, als wäre sie dabei, rote Tropfen aufzulecken. Die Furcht kannte er nicht. Noch waren es nur zwei
Soldaten. Die anderen durchsuchten das Haus. Und irgendwann würden mehr kommen, immer mehr, dann war es zu spät. »Das letzte Blut, Bruder! Das letzte Blut zur Stärkung. Mehr will ich nicht!« »Nein, du...« »Doch!« Er riß sich los, denn Igor hatte ihn festhalten wollen. Aber die Gier war zu stark. Jacques stolperte nach vom, er bewegte sich nicht so glatt wie sonst, er hatte nicht mehr die Kraft, er wollte sie sich holen, aber es war zu spät. Schreie gellten gegen das Haus. Hufschlag durchbrach die Nacht wie Donner. Und plötzlich waren die anderen Reiter da, die Nachhut der ersten Horde. Auch diese Soldaten trugen Fackeln, die sie schwenkten, so daß ihr Licht wie unterschiedlich helle Vorhangstücke von einer Seite zur anderen zuckte. Sie wußten, was sie wollten. Zerstören und töten, und sie sahen den auf das Haus zueilenden, den auch der Ruf seines Bruders nicht stoppen konnte. Er lief weiter. Sein Mantel flatterte. Er war wie eine Maschine. Die Füße stampften auf den Boden. Den Kopf hatte er nach hinten gedrückt. Die Augen waren offen, ebenso der Mund, obwohl er keine Luft zu holen brauchte. Igor konnte ihn nicht allein lassen. Wenn, dann mußten sie zusammenbleiben, und auch deshalb verließ er sein Versteck. »Da ist noch einer!« brüllte eine rauhe Stimme. »Holt sie euch!« Die Soldaten schössen nicht, sie machten es anders. Zwei von ihnen trieben ihre Pferde an. Sie hatten längst die Lassos von ihren Sattelhörnern gehängt, schwangen sie während des Reitens über ihre Köpfe, ließen sie dann fliegen, und die Kreise flogen zielsicher den beiden fliehenden Opfern entgegen. Genau dort, wo sie sich senken sollten, fielen sie auch nach unten. Weder Igor noch Jacques hatten eine Chance. Die Lassos erwischten beide. Die Schlingen wurden festgezurrt, und beide Brüder wurden durch den plötzlichen Druck von den Beinen gerissen, fielen auf den Boden, überschlugen sich, hörten das harte Lachen der Soldaten und sahen die Pferde in ihrer Nähe, die nur mühsam von ihren Reitern gezügelt werden konnten. Sie zogen die Schlingen noch enger, die Arme waren an die Körper gepreßt worden. Bewegen konnten sich beide nicht mehr, und unter dem Triumphgeheul der Soldaten wurden sie über den Boden geschleift, dorthin, wo sich auch die anderen befanden. Die Männer lachten. Andere kümmerten sich um die Brüder. Sie zerrten sie in die Höhe, sie schlugen und traten auf sie ein. Sie hatten ihren Spaß, und ein Wort machte die Runde.
»Standgericht!« *** Einige Zeit später! Die Uhr zeigte schon nach Mitternacht, da hatten es die Soldaten geschafft. Beide Lacourtes waren mit Stricken an Gartenlaternen gebunden worden. Zwei Soldaten bewachten sie. Sie hielten die Gewehre mit den aufgepflanzten Bajonetten schußbereit. Manchmal streichelten sie auch ihre Waffen, flüsterten miteinander und freuten sich schon jetzt darauf, wenn die Kugeln die Leiber durchschlugen. Es würde nicht mehr lange dauern. Die Soldaten waren dabei, das Haus zu durchsuchen, um es anschließend zu besetzen. Sie würden es nicht abbrennen, denn es kam ihnen gerade recht. Sie lachten. Sie grölten. Sie hatten Getränke gefunden und kippten teuren Champagner wie Wasser in sich hinein. Sie würden auch bald den Whisky finden und den Cognac, und dann würden sie betrunken durch das Haus irren. Das würde später, viel später geschehen. Zuerst mußten sie die Hinrichtung vornehmen. Es war Krieg, es herrschte das Standrecht! Die beide Laternen standen so dicht beisammen, daß sich die Brüder unterhalten konnten. Jacques war es, der den Kopf drehte. Das Gesicht war ebenso schmutzig wie das seines Bruders. Sie waren beide über den Boden geschleift worden, aber auch der Schmutz konnte das kalte Grinsen nicht aus den Zügen vertreiben. »Wie wird es weitergehen, Bruder?« »Danach?« »Ja!« Igor starrte nach vorn. Er sah in die Gesichter der beiden Wächter. Junge und frische Gesichter. Keine Soldaten, die sehr alt waren. »Das Blut aus ihren Körpern wird uns munden, Bruder!« »Ja, das denke ich auch. Es ist bestimmt frisch und unverbraucht.« »Sie ahnen nichts.« »Ich wäre auch mit anderen zufrieden«, erklärte Jacques. »Bestimmt!« »Blut schmeckt immer.« Jacques lachte. Danach leckte er seine Lippen ab. »Und wo werden wir hingehen?« fragte Igor nach einer Weüe. »Die Welt ist groß, Bruder.« »Ich will nicht weg. Ich will hier im Land bleiben. Es ist doch unsere Heimat geworden.« »Ja, auch ich liebe sie«, flüsterte Jacques. Er bewegte sich, was ihm schwerfiel, denn die Stricke spannten sich um seine Brust. Einer der
Soldaten war aufmerksam geworden. »He!« brüllte er. »Was soll das?« Er kam näher. Die Stahlspitze seines Bajonetts sah im Schein der Fackeln aus, als würde sie leben. In den Augen des jungen Mannes glühte es. Sehr dicht blieb er vor dem Gefangenen stehen, die Spitze des Bajonetts wies auf Jacques Hals. »Ich könnte deine Gurgel durchstoßen. Ich könnte dich ausbluten lassen, du Hundesohn...« »Und dann? Nichts könntest du, gar nichts. Kein Ausbluten. Du mußt warten, bis du den Befehl bekommst. Hast du gehört? Du darfst nichts allein tun!« Der junge Soldat lief rot an. Er wußte ja, daß der andere recht hatte. Nur wollte er sich nicht von einem Gefangenen belehren lassen, das ging ihm gegen den Strich. Er drückte zu. Leicht nur, die Klinge würde den Gefangenen nicht töten, doch sie hinterließ einen Schnitt, eine kleine Wunde, aus der jedoch kein Blut quoll, nur eine rötlichweiße Flüssigkeit sammelte sich an den Rändern. Irritiert trat der junge Soldat zurück. Dabei schaute er in das Gesicht des Gefangenen. Es hatte einige Schläge mitbekommen und war verquollen. Der Soldat wollte seinen Kameraden herbeiholen, aber an der Tür des Hauses entstanden Bewegung und Unruhe. Ein Offizier verließ das Haus. Er stand im Range eines Captains. Seine Uniform sah ebenso schmutzig aus wie die seiner Soldaten. Er hatte schwarzes Haar und trug einen dichten Bart. Mit herrischer Stimme gab er seine Befehle und schrie die Namen der Soldaten, die dem Exekutionskommando angehörten. Sie kannten ihre Aufgabe bereits, sie bauten sich vor den beiden Gefangenen auf, exakt in einer gewissen Distanz, die fünf Meter nicht überschritt. Vier waren es! Die beiden jungen Bewacher befanden sich nicht unter den abgerissen wirkenden Gestalten. Der Krieg hatte auch bei ihnen Spuren hinterlassen, aber sie standen unter dem Druck des Erfolges und hatten die Menschlichkeit vergessen. »Vor dem Feiern erscheint der Tod!« Der Captain lachte. Er ging noch einmal auf die beiden Delinquenten zu. Vor Igor blieb er stehen. »Männer«, sagte er mit verächtlich klingender Stimme. »Ihr seht aus wie Männer, aber ihr seid keine. Ihr seid nicht mehr als Memmen, verfluchte Memmen, denn Männer wären in den Krieg gezogen und hätten sich nicht in den Häusern verkrochen. Ihr aber habt es getan. Ihr wolltet nicht in den Kampf ziehen, habt statt dessen gefeiert und getrunken. Ihr habt andere für euch sterben lassen, nun aber werdet ihr selbst sterben. Erschossen, einfach so und nicht ehrenvoll auf dem Schlachtfeld. Ihr werdet noch einen Begleiter haben, den Tod nämlich. Danach ist es vorbei...«
Igor Lacourte gab keine Antwort. Er hörte sich alles an, er schluckte. Die Lippen blieben zusammengepreßt, die Augen starr. Das wiederum ärgerte den Captain; er ging einige Schritte zur Seite und blieb vor Jacques stehen, die Hände in die Seiten gestützt. »Nocheiner...« Jacques lächelte. Sein weiches, faunisches Lächeln brachte den Captain in Rage. Er fühlte sich plötzlich unterlegen, obwohl der andere vor ihm gefesselt an der ausgeschalteten Laterne stand. Wut schwemmte in ihm hoch. Er ballte die rechte Hand zur Faust, und der Arm zuckte wie von selbst vor. Im Schein der Fackeln sah es aus, als würde ein langer Schatten auf das Gesicht des Delinquenten zuhuschen. Ein Klatschen, kein Schrei des Schmerzes, nur der Kopf des Geschlagenen bewegte sich, weil er mit seiner Rückseite gegen das Metall der Laterne geschlagen war. Der Offizier trat zurück. Er wußte, daß er nicht richtig gehandelt hatte, aber auch er war nur ein Mensch. Er hatte nicht mehr halten können. Dann lachte Jacques. Und dieses Lachen hinterließ nicht nur bei dem Offizier einen Schauder, auch die anderen Soldaten duckten sich, als hätten sie Schläge bekommen. Dem Captain war plötzlich unheimlich zumute. Daß jemand, der dicht vor seinem Tod stand, noch lachen konnte, das hatte er nie zuvor erlebt. Das war ihm neu, damit kam er nicht zurecht, und ein tiefes Knurren zeugte von seiner Wut. Er trat zurück. Er gab das Handzeichen. Die Soldaten hoben ihre Gewehre. Andere standen hinter ihnen, und die Fackeln malten die schwammige und zuckende Helligkeit in die Nacht. Sie gaben genügend Licht, damit sie die Ziele auch erkennen konnten. Vier Soldaten, für jeden zwei. Es wurde still. Die Soldaten kannten die Regeln. Nicht zum erstenmal erlebten sie eine Exekution mit. »Leeegt an!« Vier Mündungen visierten zwei Ziele an! Plötzlich stand das Schweigen wie verschiedene Wände zwischen ihnen. Niemand redete mehr. Es waren die Sekunden vor dem endgültigen Tod, vor dem Einschlagen der Bleikugeln, wenn diese den beiden Brüdern das Leben nahmen. Aber sie lächelten. Sie würden lächelnd in den Tod gehen. Kein Wort drang über ihre Lippen, es war so anders als bei den normalen Hinrichtungen. Sie schauten provozierend nach vorn, als wollten sie die Soldaten hypnotisieren, und die Männer an den Gewehren spürten die Blicke. Sie fühlten sich wie gefangen und unwohl, während sie auf das Kommando warteten.
Der Captain holte tief Luft. Es war ihm selbst komisch, aber auch er schaffte es nicht, den beiden Brüdern in die Gesichter zu schauen. Dann durchlief ein Ruck seine Gestalt. Er sah aus, als hätte er sich selbst einen Befehl gegeben und dabei seine innere Sperre überwunden, die ihn noch trennte. Der Ruf. »Feuer!« Darauf hatten die vier Soldaten gewartet. Sie schössen. Nicht nur einmal, sie repetierten und schössen erneut. Sie jagten die Kugeln in die Körper, bis die schlaff in den Fesseln hingen. Der Captain atmete auf. Mit dem Uniformärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er hätte erleichtert sein müssen, seltsamerweise war er es nicht. Sein Kopf schien mit Watte gefüllt zu sein. Auch die anderen Männer in seiner Nähe sprachen kein Wort. Sie alle waren harte Typen und durch die Hölle eines erbitterten Krieges gegangen, aber sie wußten auch, daß in diesem Moment etwas zwischen ihnen stand, mit dem sie nicht zurechtkamen. Etwas Unheimliches, das sie sich nicht erklären konnten. Die vier Schützen hatten ihre Waffen sinken lassen. Der Captain nickte ihnen zu, zum Zeichen, daß er mit ihnen zufrieden war. Keiner sprach. Nur das leise Knattern der Flammen war zu hören. Dann auch die Tritte des Captains, als er auf die beiden an den Laternenmasten hängenden Körper zuging, sein Messer zog und vor den Toten stehenblieb. Die Klinge des Bowie-Messers sah düster und zugleich glatt aus. Der Captain starrte sie für einen Moment an, dann drehte er das Messer und trat noch einen Schritt näher. Schließlich schob er bei Jacques die Klinge zwischen Pfahl und Strick. Ein Ruck, und er hatte das Seil durchtrennt. Die Leiche sackte tiefer. Nach zwei weiteren Schnitten war sie befreit. Vor der Laterne blieb der Körper verkrümmt liegen. Die Einschläge der Kugeln waren deutlich zu sehen, aber so gut wie kein Blut. Über dieses Phänomen wollte der Offizier erst gar nicht nachdenken. Er ging auch zu dem zweiten Toten. Wieder trat sein Messer in Aktion, die Leiche sackte vor dem Pfahl zusammen. Auch sie hatte zahlreiche Kugeleinschläge aufzuweisen, und auch hier war das gleiche Phänomen aufgetreten. Kaum Blut. Ihn schauderte, als er darüber nachdachte. Gleichzeitig drückte er seine Gedanken zur Seite, denn es durfte nicht sein, was ihm durch den Kopf schoß. Nicht hier und nicht vor seinen Männern. Er drehte sich um. Gesichter starrten ihn an, er schaute gegen sie. Es waren die Gesichter der Männer, die eine Hölle hinter sich hatten und nicht mehr an Gut und Böse oder Recht und Unrecht glaubten. Der Krieg und der Tod bügelten alles glatt.
»Männer, geht zurück ins Haus. Die Wachtposten wissen Bescheid, sie sind ausgelost worden. Wir werden uns das Haus näher ansehen, und wir wissen auch, daß sich kein Feind mehr in der Nähe aufhält. Wir werden diese Nacht zum Tage machen, feiern und trinken. Es muß mal sein.« Normalerweise hätten die Soldaten gejubelt. In diesem Fall blieben sie stumm, denn keinem war danach zumute. Sie würden trinken, sie würden auch von den Vorräten essen, wenn sie welche fanden, aber sie würden es nicht mit der Gier und Freude tun, wie sie es gewohnt waren. Der Reihe nach verschwanden sie im Haus. Die Soldaten rammten ihre Fackeln in den weichen Boden, wo die Flammen weiterhin tanzten und helle Löcher in die Nacht rissen. Der Captain betrat das Haus als letzter. Wachen waren nicht in der unmittelbaren Nähe aufgestellt worden. Sie umstanden in großer Entfernung das Haus, obwohl mit einer Gefahr aus den Südstaaten nicht mehr zu rechnen war. Die Konföderierten waren geschlagen, sie würden kapitulieren müssen. Bevor der Offizier das Haus betrat, drehte er sich noch einmal um. Er schaute dorthin, wo die Laternen standen und die beiden Körper am Boden lagen. Starr – oder...? Für einen winzigen Moment hatte er den Eindruck, als hätte sich zumindest einer der Toten bewegt. Unsinn! Der Captain schalt sich selbst einen Narren. Die beiden Männer waren tot. Davon hatte er sich persönlich überzeugt. Diese Bewegungen waren nicht mehr als ein Spiel der Schatten gewesen. Sie hatten nicht tatsächlich stattgefunden. Seine Nerven waren überreizt. Mit einer entschlossenen Bewegung betrat er das Haus. Er drosch die Tür hinter sich zu. Es klang so laut wie ein Schuß. »Bruder«, flüsterte Jacques, »Bruder – wie geht es dir?« Igor lachte leise. »Es geht dir also gut.« »Sie haben uns nicht töten können.« Jetzt kicherte Jacques. »Ich weiß es. Ich erinnere mich. Sie haben geschossen, und ich spürte genau, wie die Kugeln in meinen Körper schlugen. Es war für mich ein wunderbares Gefühl zu wissen, daß ich nicht sterben kann. Nicht durch Kugeln.« »Du sprichst mir aus dem Herzen, Bruder.« »Wie schön.« Jacques kicherte. »Was tun wir jetzt?« »Wir bleiben liegen.« »Ach ja?«
»Vorerst«, schränkte Igor ein. »Sie müssen sich erst in Sicherheit glauben.« »Und dann?« »Was schon?« Igor schnüffelte. »Dann werden wir uns stärken. Das hast du doch gewollt?« »Ja, das habe ich gewollt. Ich hatte nur Furcht davor, daß du es vergessen haben könntest.« »Nie und nimmer. Wir brauchen das Blut, und wir werden es bekommen, bestimmt.« Sie schwiegen. Aber sie hatten sich anders hingelegt. Ihre Gesichter waren dem Haus zugewandt. Da beide noch am Boden lagen, kam es ihnen viel größer vor, als es tatsächlich war. Obwohl die breite Tür geschlossen war, hörten sie das Johlen der Soldatenstimmen, und sie konnten sich sehr gut vorstellen, was die Männer jetzt taten. Sie würden trinken, sie würden feiern und sich dabei benehmen wie die Tiere. Soldaten waren gleich, egal ob in der Alten oder in der Neuen Welt. Jacques kicherte plötzlich. »Was ist los?« fragte Igor. »Ich fühle mich schwerer.« »Durch das Blei, nicht?« »Genau.« Jacques schmatzte. Er glaubte schon, Blut zwischen seinen Zähnen zu spüren. Warmes Blut, das aus einer Quelle in seinen Mund gesprudelt war. Er bewegte sich, kroch nach vorn, und seine Hände krallten sich in den Boden, als wäre es die Haut eines Menschen. Das Blut würde ihm schmecken, es war einfach köstlich, es war für ihn einmalig, immer wieder, und es würde dafür sorgen, daß es ihm wieder gutging. Er setzte sich aufrecht. Sein Blick war gegen das Haus gerichtet. Er sah die erleuchteten Fenster, aber dahinter bewegten sich keine Schatten. Die Soldaten hielten sich zurück. Sie randalierten nicht, sie tranken stumm. »Willst du noch bleiben, Igor?« »Nein, Bruder.« Auch er war dabei, sich von den Fesseln zu befreien. Er schleuderte sie weg, wie Gewürm, das er haßte. Dann kam er mit einem Ruck in die Höhe, hielt sich aber am Laternenpfahl fest, was nicht nötig war, denn er fühlte sich kräftig. Mit beiden Händen strich er durch sein dunkles Haar. Dabei schaute er zu, wie auch der engelhafte Jacques auf die Beine kam. Er hatte über den Krieg nachgedacht und sprach die Gedanken auch aus. »Der Krieg wird bald vorbei sein, wie du gehört hast. Ich glaube es auch. Unser Süden hat verloren.« »Stört dich das?« fragte Igor. Jacques überlegte. »Eigentlich nicht. Es kann für uns nur gut sein, wenn die Zeiten wieder ruhiger werden.«
»Das meine ich auch.« »Laß uns gehen!« Igor lächelte. »Ins Haus?« »Ja.« »Wir sollten warten«, schlug der vorsichtigere Igor vor. »Wir sollten aufpassen, bis sie ganz betrunken sind. Dann haben wir freie Bahn, dann werden wir ihr Blut trinken, und es wird für uns ein Fest werden, dem wir noch einen Höhepunkt hinzufügen werden.« »Welchen?« »Wir werden das Haus anzünden und bis auf die Grundmauern niederbrennen.« Jacques’ Gesicht strahlte plötzlich. »Feuer!« flüsterte er. »Das alles reinigende Feuer. Das Feuer des Kriegs, das auch für uns tödlich sein kann, Bruder.« »Ich weiß, aber wir werden uns zu schützen wissen.« »Nun gut, ich bin einverstanden«, sagte Jacques. »Wie schön Bruder, wie schön.« Jacques strich sein langes Blondhaar zurück, als in dem Haus plötzlich eine Fensterscheibe zerklirrte. Jemand hatte etwas durch das geschlossene Fenster geworfen. Der Gegenstand landete auf der Auffahrt. Es war eine leere Weinflasche. Die Brüder hörten auch das Grölen der Soldaten. Ihre Stimmen überschlugen sich. Sie alle waren angetrunken und nicht mehr Herr ihrer Sinne. Zwei Blutsauger strafften sich. Sie nickten sich zu, und Igor sagte: »Ich denke, es wird Zeit für uns.« »Ja, holen wir uns das Blut!« *** Der Captain hieß Wade mit Vornamen und Conrad mit Nachnamen. Er war halb Engländer, halb Deutscher. Seine Eltern waren in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gekommen, hatten in Maine eine Fleischerei eröffnet, waren zu guten Amerikanern geworden und hatten ihren Sohn voller Stolz in den Bruderkrieg ziehen lassen. Wade Conrad war ein guter Soldat gewesen. Durch seine Tapferkeit und Entschlossenheit war er den Vorgesetzten aufgefallen und hatte es schnell bis zum Captain gebracht. Nun gehörte er zu denen, die die Befehle gaben. Aber auch er war ausgelaugt. Der Krieg hatte ihn geschafft. In den letzten Wochen war es besonders schlimm gewesen. Jeder wußte, daß die Entscheidung dicht bevorstand, der Süden konnte einfach nicht mehr gewinnen, aber die Truppen der Konföderierten wollten es nicht wahrhaben und bäumten sich noch einmal dagegen auf. Vergebens. Bald würde Ruhe einkehren, Frieden, dann konnte er zurück in seine Heimat. Die schwarzen Sklaven waren befreit, obwohl er daran nicht
glaubte, aber das war nicht mehr seine Sache, sondern die der großen Politik. Er würde den Krieg vergessen. Er würde sich eine Frau suchen und heiraten. Keine von den Flittchen, die in den Offiziers-Bordellen herumliefen und auf Gäste warteten, nein, es sollte eine Frau werden, mit der er durchs Leben gehen konnte. Conrad lächelte versonnen, als er daran dachte. Dann würde er auch wieder den Wein aus Gläsern trinken und nicht aus Flaschen, wie er es jetzt tat. Er griff trotzdem danach, setzte sie an und ließ den schweren Roten durch seine Kehle rinnen. Wein aus Frankreich, aus Europa, seiner eigentlichen Heimat. Er schmeckte ihm. Er machte alles so leicht. Er ließ den Krieg und den Schrecken vergessen. Es war ihm auch egal, was seine Leute taten. Sollten sie sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, sie hatten es verdient, sie alle hatten es verdient. Jeder Tag öffnete eine neue Tür, die in die Hölle führte, jede Nacht brachte das Grauen und die Furcht vor einem heimtückischen Feind. »Vorbei«, rief er, hob die ausgestreckten Beine an, ließ sie wieder fallen und drückte die Hacken der Stiefel in den weichen Teppich. Der Tisch war lang, an dem er saß. Einige seiner Soldaten hatten ebenfalls daran ihre Plätze gefunden, und sie glichen eher Figuren aus Wachs als Menschen. Sie hatten getrunken, und der schwere Wein hatte ihre Glieder müde gemacht. Die Augendeckel waren ihnen schwer geworden, die Müdigkeit verlangte ihr Recht. Ein Corporal stand auf, blieb schwankend vor seinem Stuhl stehen, brabbelte vor sich hin, stierte seine leere Weinflasche an, sprach mit ihr und schleuderte sie dann auf ein Fenster zu. Die Scheibe zerbrach mit einem lauten Geräusch. Inmitten der Scherben flog die Flasche nach draußen, wo sie liegenblieb. Der Corporal drehte sich um. Er stierte mit rot geränderten Augen schräg über den Tisch hinweg auf seinen Captain, grinste dümmlich und fiel plötzlich um. Neben dem Tisch blieb er rücklings liegen und rührte sich nicht mehr. Er würde schlafen, bis die Sonne hoch am Himmel stand, und er war nicht der einzige, der schlief. Die meisten Soldaten hatten zu viel und auch zu schnell getrunken. Zudem waren sie körperlich nicht mehr so auf der Höhe, der lange Kampf hatte seine Spuren hinterlassen, sie alle sahen gezeichnet aus, und eigentlich konnten sie nur dann tief und fest schlafen, wenn sie genügend Alkohol getrunken hatten. Da waren die Gedanken an den Tod und an all das Grauen verschwunden. Wade Conrad schaute seinen Leuten zu. Es war ihm egal, wie die handelten. In dieser Nacht war er keine Respektsperson mehr, sondern
einer von vielen. Einer, der endlich Ruhe haben wollte, wieder trank und damit rechnete, daß er auf dem gut gepolsterten Stuhl mit den beiden geschwungenen Armlehnen einschlafen würde. Die Kerzen waren stark herabgebrannt. Einige Hammen hatten ihren Geist bereits aufgegeben, andere wiederum tanzten über die letzten Reste der Dochte hinweg. Er trank noch einmal. Der Wein schmeckte jetzt säuerlich. Wade wollte schlafen, aber er schaffte es nicht, obwohl er müde war. Etwas hielt ihn wach. War es ein Wissen? Er wußte es nicht, aber er sah es als eine innere Unruhe an, die den Körper durchströmte und sich in seinem Kopf breitmachte, wo sie alle Gedanken beeinflußte. Er mußte immer wieder an die beiden Brüder denken. Sie waren von seinen Leuten erschossen worden, und er hatte den Befehl gegeben, nicht zum erstenmal übrigens, aber in dieser Nacht war es einfach anders gewesen, das wußte er auch. Lag es an den Erschossenen? Wade Conrad wußte es nicht. Er konnte diese beiden Männer nur nicht aus seinem Gedächtnis verbannen. Sie waren anders als er und seine Soldaten gewesen. Normale Männer? Keine Soldaten, keine Männer, die in den Krieg gezogen waren und für die gerechte Sache kämpften. Sie waren eher Weichlinge, besonders der Blonde mit den langen Haaren. Furchtbar... Conrad haßte diese Typen. Sie waren ihm suspekt. So etwas gehörte seiner Meinung nach nicht in diese Welt. Das waren keine Männer, sondern Waschlappen, die sich bei anderen einschmeichelten und bei den Damen sicherlich gut ankamen. Salonlöwen wurden sie genannt... Traumtänzer, Typen, die andere mit Worten einlullten und es immer wieder schafften, die Komplimente an den richtigen Stellen anzubringen. Wade Conrad mochte derartige Männer nicht. Es tat ihm nicht leid, den Befehl für ihre Erschießung gegeben zu haben. Aber er war auch nicht zufrieden. Er hatte irgend etwas falsch gemacht oder nicht richtig eingeschätzt. Dabei konnte er nicht einmal sagen, was es gewesen war, es ging nur nicht nach seinen Regeln. Er hätte erleichtert sein müssen und war es nicht. Was war falsch gelaufen? Sein Blick schweifte durch den Raum. Der lange Tisch, die Stühle, die Sessel, die Vorhänge, nichts davon war puritanisch glatt, hier schwamm und schwelgte man in Farben und Formen, überladen waren die Räume mit Möbelstücken, mit Gobelins und Bildern an den Wänden. Der prächtige, der lebenslustige und pralle Süden. In dieser Einrichtung spiegelte er sich wider.
Es war keine Decke mehr über ihm, sondern der Himmel. Oder täuschte er sich? Hatte er zuviel getrunken, daß er schon Wolken sah, wo sonst eine Glätte vorhanden war? Conrad war es egal. Er schrak zusammen, als er einen dumpfen Aufschlag hörte. Einer seiner Soldaten war vom Stuhl gefallen. Total betrunken, er hatte sich nicht mehr halten können, und der Wein hatte ihn einfach umgeworfen. Wade Conrad blieb als einer der letzten hocken. Nein, er war der letzte, wie er sehen konnte, als er den Kopf drehte. Alle anderen hatten sich betrunken. In den verschiedenen Räumen, auch der oberen Etagen, würde es bestimmt nicht anders aussehen. Er schüttelte den Kopf. Das Blut hämmerte hinter seinen Schläfen. Kälte und Hitze durchströmten ihn gleichzeitig, ein mieses Gefühl lag in seinem Magen, als hätte man ihm eine Faust hineingestoßen. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt, ohne daß er überlegte. Er fühlte sich als Kapitän, der noch als einziger auf der Brücke seines Schiffes stand, während um ihn herum die Welt versank. Durch das offene Fenster wehte die laue Nachtluft in den Raum. Sie brachte den schweren süßlichen Geruch der Blüten mit. Der Wind war leicht aufgefrischt, er spielte auch mit den letzten Flammenresten der Fackeln, die sehr bald verlöschen würden. Alles war anders geworden, und nicht nur der Krieg hatte die Welt so verändert. Er stöhnte auf, sein Kopf sank nach vorn, dem Tisch mit der weißen Decke entgegen, die jetzt an vielen Stellen stark beschmutzt war. Nur kam es nicht mehr dazu, daß die Stirn den Tisch berührte, denn von der offenstehenden Tür zur Halle hin hatte er ein Geräusch vernommen, das ihn alarmierte. Tritte... Nicht normal, nicht so, wie seine Soldaten gegangen wären. Mehr schleichend, als wäre jemand dabei, durch das Haus zu huschen. Conrad war zu müde und betrunken, um noch normal und schnell zu handeln. Seine Bewegungen waren einfach zu langsam. Er führte den Arm hoch, er drehte dabei seinen Oberkörper der Tür zu, weil er sicher war, daß jemand durch die offene Tür kommen würde. Es brannten einfach zu wenige Lichter, um alles optimal sehen zu können. Nicht einmal die Hälfte der vorhandenen Kerzen gab ihr Licht ab, und die Schatten waren der Helligkeit überlegen. Conrad stierte auf die Tür. Sein Gesicht war schweißnaß. An der linken Seite spürte er das Gewicht seines Offiziersäbels. Die blaue Mütze lag irgendwo, und er vermißte sie auch nicht. An der rechten Hüfte befand sich die Revolvertasche. Er war zu müde, um die Waffe zu ziehen und auf die Tür zu zielen.
Wer kam? Er sah immer noch nichts. Dafür vernahm er Stimmen. Leise und flüsternd. Fremde Stimmen oder bekannte? Es wollte ihm nicht in den Sinn, welche er waren. Fremde Personen konnten es eigentlich nicht sein, erst recht keine aus den Südstaaten. Wie hätten sie das Haus ungesehen betreten sollen? Er hatte keine Schüsse oder andere Kampfgeräusche gehört. Wer war es? Wade Conrad setzte sich gerade hin. Er drehte den Kopf noch weiter nach links, um den Türspalt erkennen zu können, und genau dort zeichneten sich zwei Schatten ab, die sich bewegten. Die Gestalten schlurften näher. Sie sprachen miteinander. Scharfe, geflüsterte Worte, leises Lachen, dann sah er einen Fuß, der gegen die Tür trat und sie bis zum Anschlag aufschob. Sie kamen. Sie waren zu zweit. Und sie hätten eigentlich tot sein müssen. Aber sie standen im Zimmer, und ihre Kleidung schwamm in einem Strom aus hellem Blut... *** Die Toten waren wieder da! Die von Kugeln durchlöcherten Leichname waren zurück! Der Captain konnte und wollte es nicht glauben. Das waren Trugbilder, die der Alkohol bei ihm geschaffen hatte. Schreckliche Visionen, Alpträume, wie sie bei Männern, die im Krieg kämpften, immer wieder vorkamen. Das konnte nicht wahr sein. Er starrte trotzdem hin, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Die beiden waren noch immer nicht verschwunden. Sie hatten sogar den unmittelbaren Bereich der Tür verlassen und waren in das große Zimmer hineingetreten. Zu beiden Seiten des langen Tisches hatten sie sich aufgebaut, und der Schein einiger Kerzenflammen wischte über sie hinweg. Er machte aus ihnen fleckige, flackernde Gestalten, die zwar stillstanden, aber trotzdem so aussahen, als würden sie sich bewegen. Für den Captain war es nicht zu fassen, er sah sie als Geister an, er hatte sie doch tot bei den Laternen liegen sehen, und jetzt standen sie hier in seiner Nähe, und sie waren voller Blut. Überall klebte es. An der Kleidung, an den Händen, im Gesicht. Es gab nur das verdammte Blut, das aber nicht von ihnen stammte, sondern von anderen Menschen. »O Gott!« stöhnte der Offizier und schlug beide Hände vor sein Gesicht. »Ich kann es nicht mehr sehen...«
Er schloß die Augen, hörte aber noch die Stimmen. Sie flüsterten sich die Worte zu. »Er ist noch da, Bruder, du hast recht gehabt.« »Er ist wichtig.« »Sicher, sein Blut...« »Es wir uns Kraft geben.« »Wir werden ihn leertrinken.« Das leise Lachen war noch furchtbarer als die Worte. Wieder hörte Wade die schleichenden Tritte. Näher und näher kamen sie. Zwei Tote, die lebten, und das wollte ihm nicht in den Sinn. Er spürte den Druck im Magen. Es war grauenhaft, die Säfte schössen in ihm hoch, das Blut raste durch seine Adern, wo es sich mit dem Wein vermischte, wie der Captain meinte. Er hatte Mühe, seine Übelkeit zu unterdrücken, und es kam der Moment, wo er wieder hinschaute. Die beiden standen vor ihm. Nur die Breite des Tisches trennte sie noch. Wade roch das Blut. Das frische, helle Blut, das an ihren Körpern klebte. Sie schauten auf ihn nieder und grinsten. Zähne... Zwei lange, die aus den Oberkiefern wuchsen. Die Zähne von schrecklichen Geschöpfen, deren Name ihm im Moment nicht einfiel. Aber er hatte von ihnen gehört und gelesen. Es gab diese schrecklichen Wesen, diese grauenhaften Gestalten, über die sogar Dichter geschrieben hatten. Schattenwesen aus unheimlichen Reichen und Todeszonen. Etwas funkelte, als der Mann mit den langen, blonden Haaren den rechten Arm anhob. Das Funkeln blieb, denn die Klinge eines Messers glitt über den Tisch. Völlig sauber war sie nicht, denn sie hinterließ auf der weißen Decke noch einen rosigen Streifen. Wieder Blut... Zwei kalte Augenpaare starrten auf ihn nieder. Der Blonde hob das Messer an. Er drehte die Hand, so daß die Fläche nach oben lag. Wade Conrad schaute zu. Er wollte wegsehen, aber etwas zwang ihn, seinen Blick auf keinen Fall von der Hand zu nehmen, deren Innenseite einen Schatten bekam, als das Messer darüber hinwegfuhr und sich an einer bestimmten Stelle, am Ballen, senkte. Der Schnitt. Er wurde langsam geführt, und kein einziger Schmerzensschrei drang aus dem Mund des Blonden. Blut quoll hervor. Der Blonde senkte den Kopf der verletzten Hand entgegen und begann damit, sein eigenes Blut zu trinken. Dabei schaute er den Captain an, und der Glanz in seinen Augen veränderte sich. Er strahlte jetzt...
Der andere lachte. Er fuhr mit seinen Händen über die dunkle und feuchte Kleidung an der Brust hinweg, ließ sie dann auf die Tischdecke sinken, wo er sie abputzte. Rote Spuren auch hier... Wade Conrad begriff es nicht. Er wußte nicht, welch grausamer Traum ihn gefangen hielt, aber leider war es kein Traum, es war die Wirklichkeit, die er erlebte, und sie kam ihm schlimmer vor als alle Schlachten, die er durchgemacht hatte. Der Blonde hatte genug Blut getrunken. Er senkte seine Hand wieder. Er lächelte. Seine Lippen sahen noch verschmierter aus. In den Augen funkelte es. Die Gier war verschwunden, und ein gewisser Grad an Sättigung durchströmte ihn. Er lachte. Und der andere griff zu. Er war dabei so schnell, daß der Captain nicht mehr ausweichen konnte. Die Hand schnellte über den Tisch hinweg, sie griff in seine Kleidung, und wie eine Puppe wurde der Captain in die Höhe gezerrt. Die Welt um ihn herum schwankte, sie verschob sich. Er bekam für einen Moment nicht mehr mit, wo er sich befand. Erst als er mit dem Rücken auf dem Tisch lag und kräftige Hände ihn festhielten, wurde ihm bewußt, in welch einer Lage er steckte. Er war dem Tod näher als dem Leben. Der düstere Kerzenschein schien aus zahlreichen Seelen zu bestehen, die ihre Totenwelt verlassen hatten und ihn jetzt streiften. Warum schreie ich nicht? überlegte er. Warum habe ich keine Angst? Ich müßte mich wehren, ich müßte mich... Die Bilder verschwammen vor seinen Augen. Plötzlich sah er sein Elternhaus in Maine und das weite Land dahinter. Er sah seine Eltern, er sah den blauen Himmel, der immer düsterer wurden. Nein, das war kein Himmel mehr. Das war das quer vor seinen Augen liegende Mordmesser. Der Blonde hielt es. Er hatte sich auch über ihn gebeugt, und Wade Conrad nahm den Blutgeruch wahr, den der Mann ausströmte. »Wir holen uns dein Leben!« verkündete der Blonde, und das Messer tanzte vor den Augen des Liegenden. »Wir werden uns dein Leben holen, und wir werden es genießen...« Conrad konnte nicht mehr sprechen. Und der Blonde setzte die Klinge an... *** Flammen waren wie gierige Teufel, die nichts, aber auch gar nichts außer acht ließen. Sie schössen in den Himmel, und sie hatten das
herrliche Haus in eine Gluthölle verwandelt. Sie waren nicht zu stoppen, sie fraßen sich durch Stoff, Holz, Stein und auch durch Leiber. Die Brüder beobachteten aus sicherer Entfernung diesen Untergang. Sie sahen auch die Soldaten, die einmal in der Nähe Wache gehalten hatten. Wie irre geworden umliefen sie das Haus, ohne es retten zu können. Die Pferde hatten sich längst losgerissen und waren in dem großen Park verschwunden. Es gab keine Rettung mehr – KEINE! Die Brüder genossen diesen Anblick. Sie sprachen mit dem Feuer, während sie sich wie zwei Verliebte an den Händen gefaßt hielten. Die Pracht war zu einem Raub der Flammen geworden, die nichts mehr aufhalten konnte. Alle Etagen waren erfaßt worden, und auch das Dach konnte nicht widerstehen. Es explodierte. Das laute Krachen war weit zu hören. Große, glühende Teile wirbelten durch die Luft. Flammen schössen fauchend in den dunklen Himmel. Diese Welt ging unter... Eine Welt, die von den beiden Vampiren nur ausgenutzt worden war. Sie hatten sich ihr nie richtig zugehörig gefühlt. Sie war anders als die Welt, die sie liebten. Das Reich der Dunkelheit, der Toten, der alten Vergangenheit... Hochaufgerichtet standen sie da und starrten auf das brennende Haus. Es kam ihnen vor wie ein Kunstwerk, das allmählich verging. Die Flammen waren überall, sie fraßen alles, sie brachten auch die Hitze mit, die wie Wellen über den Vampiren zusammenschlugen. Menschen konnten nicht mehr helfen. Die Soldaten der Wache hatten das brennende Gebäude zwar umlaufen, aber sie konnten nichts mehr löschen. Sie taten das einzig Richtige in ihrer Lage, sie flohen. Zurück blieben die beiden Brüder, die den Anblick des brennenden Hauses so lange genossen, bis das einst so stolze Gebäude nur noch ein von Rauch umtanzter, kohliger Gluthaufen war. Jacques Lacourte lachte. Er hob das linke Bein an und auch den linken Arm. Die Hand preßte er für einen Moment an die Lippen, ohne das Kichern jedoch ganz unterdrücken zu können. »Wer will uns jetzt noch vernichten, Bruder, wer?« »Keiner...« »Das meine ich auch.« »Wir werden leben...« Jacques nickte heftig. »Ja, ewig leben. Immer leben, wir sind schon jetzt eine Legende.« »Die Vampir-Legende«, bestätigte Igor... ***
Es roch nach gebratenem Fisch, nach altem Fett und auch nach einem scharfen Schnaps. Unter der Decke der Außenveranda hing ein Ventilator mit großen Flügeln, der aber seinen Geist aufgegeben hatte, und vom nahen Sumpf her erklangen die Stimmen zahlreicher Tiere in einem wirren Geschrei. Insekten und Mücken tanzten durch die Luft, obwohl es auch hier in Louisiana nicht mehr Sommer war, aber die verfluchten Quälgeister ließen sich nicht töten. Das Lokal, in dem Suko und ich hockten, lag in einer Nebenstraße und war nicht mehr als eine billige Holzbude, zu der auch die Veranda paßte, die auf dünnen Stäben stand, von denen der ehemals weiße Lack längst abgeblättert war. Durch die Hintertür kam unser Freund Abe Douglas, der G-man aus New York, der wieder einmal für eine Sonderaufgabe abgestellt worden war, die auch uns betraf, wie so oft, wenn es um Fälle ging, die die Grenzen des Normalen überstiegen. Der blonde Abe Douglas trugt ein Tablett, auf dem drei kalte, mit Saft gefüllte Dosen standen. Er nahm auf dem dritten Holzstuhl Platz, stellte das Tablett auf den Tisch und verzog die Nase, weil der aus der Lüftung dringende Fischgestank kaum zu ertragen war. Wir hatten keine Mahlzeit bestellt und es den Leuten überlassen, die im eigentlichen Lokal saßen. Ein Querschnitt dieser Gegend. Zumeist Farbige, Schwarze und Kreolen, aber auch Weiße, die hier gestrandet waren und noch immer auf das große Glück warteten. Hin und wieder hörten wir eine laute Stimme, die fluchte oder schrie. Manchmal sang auch jemand ein schwermütiges Lied. Es war zum Glück keine gewaltgeladene Atmosphäre. Man hatte uns nur angeschaut, doch nicht angemacht oder angegriffen, als wir als Fremde erschienen waren. Ich riß die Lasche auf. Da wir auf Gläser verzichtet hatten, wischte ich nur den Rand der Dose ab und nahm den ersten Schluck. Der Saft war okay. Zugleich stellten wir die Dosen ab, atmeten auf, und ich spürte den Schweiß in meinen Achselhöhlen. Die Südstaaten waren wirklich kein Platz für mich. Nicht im Sommer und auch nicht im Winter, aber was sollten wir machen, wenn Abe Douglas uns holte? Da brannte es mal wieder lichterloh. Und wir mußten Feuerwehr spielen. Douglas grinste mich an, als er die Dose wieder zurück auf den Tisch stellte. Er amüsierte sich über meinen mürrischen Gesichtsausdruck und meinte: »Amerika ist nicht überall so schlimm wie hier.« »Das weiß ich ja«, erwiderte ich und schlug nach einer Mücke. »Ich ärgere mich immer nur darüber, daß es uns besonders erwischt, wenn du verstehst.« »Immer. Das ist eben Schicksal.« »Darauf kann ich auch verzichten.« »Glaube ich dir gern.«
Suko, der bisher geschwiegen hatte, drehte seine Dose zwischen den Handflächen. »Und es stimmt, daß einige deiner Kollegen einem Vampirkult frönen?« »Ja, das ist richtig.« »Gab es Opfer?« »Nein, sie befinden sich noch in der Vorbereitung. Das ist es ja, was mich hoffen läßt. Noch sind keine Blutsauger hier in der Nähe von New Orleans erschienen, aber es gibt eben diese Hinweise, die sehr deutlich sind. Ich habe mit den Vorgesetzten in Washington gesprochen. Dort sind wir übereingekommen, nichts an die große Glocke zu hängen. Stellt euch mal vor, es spricht sich herum, daß FBI-Agenten zu Vampiren wurden.« »Das haben wir schon alles erlebt«, sagte Suko. »Wie?« »Wir mußten mal eine Vampir-Polizei bekämpfen. Polizisten als Blutsauger...«* Abe trank einen Schluck. Der Saft gluckerte aus der Dose in seine Kehle. »Aber hier sind es FBI-Beamte, die dem Kult frönen, das wißt ihr.« Das wußten wir in der Tat, sonst hätten wir uns auch nicht auf die Reise in die Staaten gemacht. Die Unterwelt hatte Wind bekommen, und es gab genügend Spitzel, die an die Polizei herangetreten waren, um Meldungen abzugeben. Es offiziell alles unter einer Decke des Schweigens vertuscht worden, aber die Alarmglocken hatten sogar im fernen Washington geläutet. Und dort saßen die Leute, die sich an einen Mann namens Abe Douglas erinnerten, der ihnen bisher gute Dienste erwiesen hatte. In kleinen Dingen, aber auch in Fällen, die als Staatsgeheimnis galten. Abe Douglas war nicht faul geblieben. Er hatte recherchiert und festgestellt, daß es tatsächlich so etwas wie einen Geheimbund oder eine Bruderschaft unter seinen Kollegen gab. Spuren wiesen auf eine Sekte hin, die sich mit altägyptischen Religionen beschäftigten, was vordergründig mit Vampiren nichts zu tun hatte. Auch wenn Blutsauger nicht gesichtet worden waren oder Opfer hinterlassen hatten, wollte Abe alles in seiner Macht Stehende tun, um dieses auch in Zukunft zu verhindern. Deshalb hatte er uns kommen lassen. Wir wollten uns bei denjenigen umschauen, die in Verdacht standen, dieser Vereinigung anzugehören. Das war aber nicht alles. Denn auf der anderen Seite mußten wir die Zentrale oder den Tempel der Organisation finden, den es irgendwo geben sollte.
* Siehe John-Sinclair-Taschenbuch 73.065: »Die Vampir-Polizei«
Viel war es also nicht, was wir in der Hand hielten; aber wir hatten schon mit weniger angefangen. Mir paßte nur nicht ganz, daß wir wieder in der Gegend von New Orleans und Baton Rouge umherwanderten, denn an die Sümpfe hatten wir keine guten Erinnerungen. Es waren schlimme Fälle gewesen, die wir hier erlebt hatten. Es wurde dunkler. Die Nacht kam. Das Geschrei der Tiere aus den Sümpfen hatte etwas abgenommen. Wenn ich den Kopf nach links drehte, konnte ich zwar nicht viel sehen, aber ich wußte, daß dort Sümpfe sowie Nebenarme des Vaters aller Ströme lagen, ein weit verzweigtes Netzwerk und Delta, eine feuchtheiße Hölle. Es brannte nur eine Lampe am Rand der Veranda. Durch ihr gelbliches Licht wirbelten Mücken und Nachtfalter, aber auch fette Fliegen und anderes Getier. Abe schaute auf seine Uhr. »Wie lange noch?« fragte ich. »In zehn Minuten müssen wir los.« »Gut.« Wir würden nicht in einen Wagen steigen, sondern mit einem Boot den Kanal entlangfahren, um zu unserem Ziel zu gelangen. Wir wollten eine gewisse Lucille Clayton besuchen, die uns angeblich mehr über die Vereinigung sagen konnte. Sie war mit einem der Verdächtigen verheiratet, aber beide hatten sich vor kurzem getrennt, und zuvor war es zwischen ihnen zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, wie Abe Douglas aus sicherer Quelle erfahren hatte. Diese Lucille Clayton haßte ihren Mann, und sie würde alles tun, um ihn zu schädigen. Ob das alles so stimmte, wußten wir nicht, hofften aber, es herauszufinden. Zudem war Lucille aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und lebte jetzt bei einer Bekannten oder Freundin in einem der zahlreichen Billighäuser an den Flußarmen, die wegen der Hochwassergefahr auf Stelzen gebaut waren. Wir tranken unsere Dosen leer. Abe hatte schon gezahlt. Als wir uns erheben wollten, betrat der Wirt die Veranda. Er war ein Schwarzer mit einem grauen Oberlippenbart. Er hatte eine Schürze umgebunden, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Er blieb stehen und grinste schief. »Wir wollen nichts mehr«, sagte Abe und stand auf. »Ich habe guten und frischen Fisch.« Douglas deutete auf das Abzugsrohr. »Ja, das haben wir gerochen.« »Und?« »Dabei ist uns der Appetit vergangen.« Der Wirt war nicht beleidigt. Er lachte, drehte sich wieder um und verschwand in seinem Reich.
»Lieber verhungern, als hier Fisch zu essen«, murmelte der G-man. Wir verließen die Veranda und bewegten uns über eine weiche Rasenfläche dem Schwemmland entgegen. Die Vegetation war zwar kräftig und dicht, hielt sich aber mit ihrem Wachstum zurück, denn nur die wenigsten Büsche überragten uns. Ein schmaler Pfad schlängelte sich der künstlichen Wasserstraße entgegen, die auch angelegt worden war, um Hochwasser abzumildern. Dennoch war im vergangenen Jahr alles unter den Wassermassen zusammengebrochen. Der Himmel über uns sah aus wie dunkelgraue Asche. Mond und Sterne waren hinter der Wolkendecke nicht auszumachen. Die Luft war schwer, zwar kühler als im Sommer, aber für Suko und mich noch immer zu warm, da wir im Spätherbst andere Temperaturen gewohnt waren. Es gab keinen Hafen an diesem Kanal, nur einen Kai, wo einige ihre Boote angeleint hatten, nachdem ihnen die Erlaubnis erteilt worden war. Durch eine Böschung kündigte sich die Nähe des Kanals an. Wir liefen sie hoch und sahen in der Ferne die Lichter einer gewaltigen Industrieanlage funkeln. Am Himmel kreiste ein Flugzeug mit blinkenden Positionslichtem. Wir hätten auch einen Wagen nehmen können, aber Abe Douglas war dagegen gewesen. Sollte Lucilles Mann tatsächlich zu diesem Geheimbund gehören, mußte er damit rechnen, daß der FBI-Agent seine Frau beobachten ließ. Und entdeckt werden wollte er zu diesem Zeitpunkt auf keinen Fall. Dazu war es noch viel zu früh. Wir erreichten den Kanal, der wie mit dem Lineal gezogen aussah. Leichte Wellenbewegungen kräuselten die Oberfläche, auf die sich hin und wieder ein Lichtreflex verirrte. Abe war dorthin gegangen, wo die Boote dümpelten, nicht weit entfernt lag ein schlankes Tankschiff im Wasser. Ich entdeckte in seiner Nähe auch zwei barackenähnliche Bauten, hinter deren Scheiben Licht brannte. Sicherlich eine Tankstation. Abes Boot war dunkel und besaß einen kräftigen Motor. Es gab keine Kajüte. Die wenigen Sitzgelegenheiten befanden sich am Heck. Der Steuerstand wurde durch ein Scheibe gegen das spritzende Wasser und Fahrtwind geschützt. Ahe war schon auf dem Boot. Wir lösten die Taue und sprangen ebenfalls in das schwankende Gefährt. Das Klatschen der Wellen gegen die Bordwand würde uns in der nächsten Zeit begleiten. Daran konnten wir uns schon gewöhnen. »Kann ich starten?« »Klar.«
Abe betätigte den Anlasser, und der Motor sprang stotternd an. Kurz darauf legten wir ab. Suko und ich saßen am Heck. Hinter uns schäumte das Wasser. Der Kanal war dunkel. Es gab kein Licht, das ihn erhellt hätte, und auch wir tuckerten ohne Beleuchtung, was zwar nicht gestattet war, aber darum kümmerte sich Abe Douglas nicht. Bei ihm heiligte der Zweck die Mittel. Ich dachte daran, daß es nicht meine erste Bootsfahrt auf einem der Kanäle rund um New Orleans war. So etwas kannte ich, und damals, als es um Crowleys Magie gegangen war, da waren wir auf dem Boot überfallen worden. Das passierte uns diesmal hoffentlich nicht. »Haben wir heute Glück?« fragte Suko. »Wie meinst du das?« »Ob uns die Vampire über den Weg laufen?« »Lieber nicht.« Mein Freund wunderte sich. »Seit wann fürchtest du dich vor ihnen, John?« »Das ist nicht so ganz richtig. Ich wünschte mir wirklich, daß sich Abes Verdacht in diesem Fall nicht bestätigen würde.« »Du denkst an die FBI-Agenten.« »So ist es.« Suko strich durch sein Gesicht. »Das wäre wirklich fatal«, murmelte er. »Eine von Vampiren unterwanderte Polizei-Organisation hätte uns gerade noch gefehlt. Überleg mal, welche Möglichkeiten sich da eröffnen.« »Lieber nicht.« Noch war alles Spekulation. Noch lag zuviel im Dunkel begraben. Wenn sich herausstellen sollte, daß wir es tatsächlich mit Vampiren zu tun bekamen, dann mußte es auch eine Person geben, die für diese Verwandlung gesorgt hatte. Natürlich spukte uns Mallmann durch den Kopf, denn Dracula II versuchte es immer wieder mit allen Tricks und Finessen. Er wollte die Herrschaft, und auf diesem Weg war er verdammt erfindungsreich. Mal sahen wir einzelne Lichter in der Nacht, mal regelrechte Lichthaufen, dann wieder mehrere Straßenlaternen. Im Prinzip blieben die Ufer gleich. Keine Häuser, die bis dicht an den Kanal herangebaut waren. Die Orte lagen zumeist weiter weg. Leider blieben auch die Insekten in der Nacht nicht versteckt. Immer wieder huschten sie vor unseren Augen entlang. Durch unser Gewicht lag das Heck ziemlich tief im Wasser. Hin und wieder wehten kleine Spritzer über die Bordwand und erwischten uns wie kühle Flecken. Ich ließ Suko allein und ging zu Abe Douglas. Als ich neben ihm stehenblieb, drehte er den Kopf. Ein schmales Grinsen huschte über seine Lippen. »Na...?« »Mehr wolltest du nicht sagen?«
»Doch.« »Aber...« »Ich mache mir Sorgen. Wenn sich der Verdacht bestätigt, darf ich an die Folgen erst gar nicht denken.« »Noch wissen wir nichts.« »Das stimmt schon, aber auch du bist ein Mensch, der auf sein Feeling horcht – oder?« »Das schon«, gab ich zu. »Eben. Und mein Gefühl sagt mir, daß wir hier keinen Schlag ins Wasser landen.« »Du rechnest also damit, auf Vampire zu treffen.« Douglas brummelte etwas und wiegte den Kopf. »Ja und nein. Weißt du, John, ich kann mir vorstellen, daß sich diese Vampire gewissermaßen in einer Aufbauphase befinden. Es läuft und fließt alles. Es ist in Bewegung. Wir erleben noch die Grauzone, aber die Finsternis lauert bereits auf uns.« »Du siehst vielleicht zu schwarz.« »Mag sein, John. Mag auch sein, daß ich parteiisch bin, aber Kollegen als Blutsauger«, er entließ ein freudloses Lachen, »nein, das braucht wirklich nicht zu sein.« »Das denke ich allerdings auch.« »Eben, dann wirst du mich auch verstehen können.« »Und ob...« Abe holte Zigaretten hervor und bot mir ein Stäbchen an. Ich war überrascht. »Du rauchst wieder?« »Ist nur gegen die Mücken. Hast du es dir abgewöhnt?« »Bin dabei.« »Immer noch?« Ich hob die Schultern. »Was willst du machen? Der Mensch ist schwach. Ich habe es stark reduziert...« »Nimmst du eine?« »Diesmal nicht.« »Gut.« Er klemmte sich das weiße Stäbchen zwischen die Lippen. Ich gab ihm Feuer. Die Flamme ließ sein Gesicht hart und kantig erscheinen. Abe war eigentlich ein Mensch, der gern und oft lachte, mit dem man seinen Spaß haben konnte, aber dieser Fall, der im Prinzip noch keiner war, drückte schon auf sein Gemüt. Die ersten Rauchwolken wehten an meiner Nase vorbei, als Abe sie durch die Nasenlöcher ausströmen ließ. Ob er damit die Mücken tatsächlich vertreiben würde, glaubte ich nicht, aber es war sein Problem. Er ließ die Zigarette beim Sprechen im Mundwinkel kleben, als er sagte: »Auf der linken Seite werden wir gleich anlegen müssen.« »Ist das normal zu schaffen?«
»Ja. Größere Schwierigkeiten wird es nicht geben. Wir werden in einen schmaleren Seitenkanal hineinfahren, und dort sind wir praktisch schon am Ziel.« Unter einer Brücke waren wir bisher noch nicht hergetuckert. Sie lagen weiter südlich, im Bereich der Küste und der großen Industrieanlagen. »Hoffentlich kann uns Lucille Clayton helfen«, sagte der G-man nach einer Weile. »Kennst du ihren Mann?« »Frank Clayton?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, den kenne ich nicht persönlich. Ich bin ihm auch noch nicht auf einer Tagung oder Schulung begegnet. Ich weiß nur, daß er ein Kollege von mir ist, mehr auch nicht. Allerdings habe ich ein Foto von ihm gesehen.« »Und?« »Was willst du jetzt hören? Ob er mir vom Foto her sympathisch gewesen ist oder...« »So ähnlich.« »Er sieht ziemlich normal aus. Dunkles Haar, kurz geschnitten. Na ja, normal eben.« Er warf die Kippe über Bord. »Du weißt selbst, daß man einem Menschen nur ins Gesicht schauen kann und nicht dahinter. Wir werden ihn sicherlich beide zusammen fragen können.« »Das hoffe ich.« Abe deutete nach links. »Ich möchte keinen Scheinwerfer einschalten. Tu mir einen Gefallen und schau mal mit. Gleich werden kleinere Seitenkanäle erscheinen, die sind nicht befestigt und erinnern mehr an Gräben. Deshalb kann man sie nur mit einem kleinen Boot befahren.« »Die kenne ich aus den Niederlanden.« »Na bitte. Aber wir müssen in den ersten Kanal hinein. Anschließend wird es keine Probleme mehr geben.« »Das hoffe ich auch.« Ich wechselte zur Backbord-Reling. Suko hockte noch immer auf seinem Platz. »Alles okay?« fragte er. »Bis jetzt schon.« »Aber...?« »Wir werden gleich abbiegen, und ich halte mal die Augen offen.« »Ist okay.« Die Gegend am Ufer hatte sich nicht verändert. Nach wie vor war das Land sehr flach. Wenn hier Sturm aufkam, hatte er freie Bahn. Eine Veränderung gab es dennoch. Ich sah die Lichter in der Dunkelheit schweben, als wollten sie uns Bescheid darüber geben, daß unser Ziel nicht mehr weit entfernt war. In der Tat sah ich die Lücke in der linken Kanalwand. Sie war dunkler als das Wasser und deshalb einigermaßen zu erkennen. Auch Abe hatte sie bereits entdeckt. Er steuerte das Boot auf den Graben zu, dessen
Wasser mir grünlich vorkam, als wäre es von Algen und Wasserpflanzen überwuchert. Dieser Graben war viel schmaler als der Kanal. Auch Suko hatte sich jetzt erhoben. Wir beide ließen die Lichter nicht aus den Augen, die zwar näher gerückt sein mußten, was aber in der Dunkelheit kaum nachzuvollziehen war. Die Wände des Grabens waren nicht mit Beton abgestützt worden, und so harte sich die Natur ihr Recht genommen, dort zu wachsen, wo sie wollte. So waren die schrägen Wände mit Bodendeckern bewachsen. Hin und wieder schimmerte durch das Dunkel eine hellere Blüte. Die ersten Bauten erschienen. Hütten auf Stelzen, aber keine Häuser, in denen man leben konnte. Sie waren denn auch leer. Zumindest schimmerte kein Licht hinter den Fenstern. Boote lagen an den Ufern. Einfache Ruderboote, manche mit einer Plane abgedeckt, andere offen. Von vorn, wo die Häuser dichter standen, fiel Licht auf das Wasser. Wellen glitzerten, und wir entdeckten, daß die Häuser jetzt besser und wohnlicher geworden waren. Abe Douglas nahm noch mehr Gas weg. Sein linker Arm wurde zum Signal, als er ihn mehrmals hob und senkte und damit auf die linke Seite deutete. Dort also würden wir anlegen. Es würde auch klappen, denn aus der schrägen Innenwand des Kanals schauten Poller hervor, denen ich persönlich kein größeres Boot anvertraut hätte. Doch für unseren Kahn und auch für die anderen Ruderboote reichten sie völlig aus. Über Eisentritte konnte die Böschung erklommen werden. Auf einer diesen kleinen Leitern fand Suko seinen Platz. Er fing auch die Taue auf, die ich ihm zuwarf, während Abe das Boot bis dicht an die Wand manövrierte. Es war alles ein wenig primitiv gebaut worden, und mir kam es vor wie eine Übergangslösung. Die nächste große Überschwemmung würde die Häuser wegfegen, denn soviel Wasser konnten die Kanäle nicht ableiten. Ob die Pfahlbauten dann wieder an derselben Stelle errichtet wurden, war fraglich. In den Staaten waren die Menschen mobil. Unser Boot schaukelte nach, als wir an Land gingen. Die gesamte Atmosphäre kam mir außergewöhnlich vor. Es war nicht warm, es war nicht kalt. Die Temperatur lag irgendwo dazwischen. Sie sorgte allerdings dafür, daß wir ins Schwitzen gerieten, denn unsere Systeme waren zu dieser Jahreszeit darauf nicht eingestellt. Es gab auch keinen Lärm, keine Stimmen, kein Geschrei aus irgendwelchen TV-Geräten, man achtete hier auf Ruhe, die mich an eine Agonie erinnerte. »Wer wohnt hier, Abe?« Der G-man hob die Schultern. »Frag mich was Leichteres. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß alle Häuser bewohnt sind.« »Das denke ich auch.« Wir hatten uns, was die Geräusche anging, geirrt. So leise war es doch nicht. Der Schall war nur über den tiefer
liegenden Kanal hinweggeglitten. Wir hörten schon Stimmen, und hinter den Fenstern sahen wir die bunten Bilder der Glotzen. »Wo lebt die Frau?« »Am Ende, hat man mir gesagt.« Abe deutete nach vorn. »Wir müssen geradeaus weiter.« Eine asphaltierte Straße oder feste Wege existierten nicht. Wir schritten über Schottersteine hinweg, die man auf dem Boden verteilt hatte. Der Geruch nach fauligem Wasser wehte über das flache Land. In der Ferne schwebte eine Lichterkette durch die Dunkelheit. Dort führte ein Highway entlang. Das Haus der Lucille Clayton war tatsächlich das letzte auf der linken Seite. Eine Laterne stand in seiner Nähe und schickte ihr Licht auch gegen einen Briefkasten, auf dem der Name der Bewohnerin klar und deutlich zu lesen stand. Abe lächelte. »Geschafft, Freunde.« Wir waren an der Treppe stehengeblieben. Sie führte zu einer erhöht liegenden Veranda auf Stelzen, auf der ein leerer Schaukelstuhl stand. Eine Tür mit Glaseinsatz ließ es zu, daß wir in das Haus hineinschauten, ohne allerdings viel erkennen zu können. Wir stellten nur fest, daß im Haus Licht brannte. Weiter hinten, jenseits der Eingangstür. »Kennt sie dich?« fragte ich den G-man. »Nicht persönlich. Wir haben einige Male am Telefon miteinander gesprochen.« »Und sie weiß, daß wir kommen?« »Nicht direkt. Ich habe es offengelassen.« »Dann geh vor.« Abe Douglas stiefelte als erster die Treppe hoch. Die Stufen kamen mir weich und angefault vor. Sicherlich hatten sie schon oft unter Wasser gestanden. Auf dem Holz hatten sich auch feuchte Rückstände gebildet. Winzige Pflanzen wie Schlamm. Während Abe Douglas sich der normalen Tür näherte, standen Suko und ich nahe der beiden Pfosten und schauten zurück. Es war durchaus möglich, daß wir aufgefallen waren. Schließlich konnte es nicht geheim bleiben, wenn drei Männer durch die Siedlung streiften. Keine Regung, nichts bewegte sich. Die Stille und die Luft waren zu Verbündeten geworden, die drückten. Deshalb kam uns die Luft auch so schwer vor. Am Himmel war der dünne Vorhang aus Wolken an einigen Stellen zerrissen. Das kalte Mondlicht schimmerte durch. Es hatte an den Rändern der Wolken eine bläuliche Schicht hinterlassen. Der Mond nahm zu und würde in den nächsten Tagen seine volle Größe erreicht haben.
Da Douglas keine Klingel entdeckt hatte, versuchte er es mit Klopfen. Die Holztür zitterte noch unter den nicht eben leichten Schlägen nach, aber es kam niemand, um sie zu öffnen. Abe umfaßte den Knauf, der hier die Klinke ersetzte. Er drehte ihn und schob die Tür auf. »Es ist offen«, meldete er. Das Haus stand nicht nur auf dicken Holzstelzen, es war auch selbst aus Holz gebaut worden. Wir betraten es mit schleichenden Schritten, deren Geräusche durch einen dicht hinter der Tür liegenden Teppich gedämpft wurden. Ein Flur nahm uns auf, an dessen Ende eine Tür auffiel, die nicht geschlossen war. Durch sie fiel auch das Licht. Es drang uns entgegen, malte das dunkle Holz hell und leuchtete auch das hinter der Tür liegende Zimmer aus. Es war ein großer Raum. Ein Wohnzimmer mit alten Möbeln. Die kleinen Schränke wirkten allesamt verspielt, als wären sie direkt aus einem Kitschladen gekommen oder willkürlich auf Flohmärkten aufgekauft worden. Überall standen kleine Lampen, aber keine von ihnen gab Licht ab. Dafür sorgte eine Schalenlampe unter der Decke, die aussah, als wäre sie aus vier flachen Untertassen gebaut worden. Das Licht versickerte in den dunklen Möbelstücken. Es floß auch zu einer zweiten Tür hin, auf die wir schauten. Sie war nicht geöffnet, und Abe Douglas ging hin. Vor ihr blieb er für einen Moment stehen und drehte sich um. »Ich gehe mal davon aus, daß es das Schlafzimmer der Lucille Clayton ist.« »Sicher.« Ich grinste. »Aber sei höflich.« »Mach ich glatt.« Er öffnete die Tür. Die Angeln waren gut geölt, wir hörten kein Geräusch. Im Raum selbst war es dunkel. Douglas bewegte seine Hand an der Wand entlang, weil er dort nach einem Lichtschalter suchte. Er fand ihn an der rechten Seite. Der kleine Druck, es wurde hell. Abe wollte in das Zimmer hineingehen. Er hatte sich schon in Bewegung gesetzt, als sein Bein nach dem ersten Schritt wieder zurückzuckte und er starr auf dem Fleck stand. Wir sahen nur seinen Rücken. An der Haltung aber erkannten wir, daß etwas geschehen sein mußte. Bevor wir noch zu ihm eilen konnten, drehte er sich um, preßte eine Hand auf sein Gesicht, ließt dabei die Augen frei, so daß wir das Entsetzen darin erkennen konnten. Wir wußten plötzlich, daß Lucille Clayton nicht mehr lebte. »Und?« fragte Suko. Abes Hand sank nach unten. »Schaut selbst nach«, würgte er flüsternd hervor. Das taten wir – und wir waren geschockt.
Wir standen auf der Schwelle. Wir schauten uns an, schüttelten die Köpfe, wollten einen Kommentar abgeben, was nicht möglich war, denn uns würgte das Grauen. Es war ein Schlafzimmer. Und zu einem Schlafzimmer gehört ein Bett. In diesem Bett lag eine Frau, Lucille Clayton. Sie lag auf dem Rücken. Viel mehr an Beschreibung möchten ich Ihnen ersparen, denn jemand hatte diese Frau getötet. Auf eine grauenvolle Art und Weise umgebracht, und die roten Spuren waren überall im Zimmer verteilt. Auf den Wänden, dem Fußboden, der Bettdecke, die einmal blütenweiß gewesen war. Zugleich drehten Suko und ich uns um. Wir hörten das Schnicken eines Feuerzeugs. Die blasse Flamme tanzte dem Ende einer Zigarette entgegen, die sich Douglas mit zitternder Hand anzündete. »Gib mir auch eine.« Meine Stimme klang rauh. Er warf mir die Schachtel entgegen. Ich holte ein Stäbchen hervor und zündete es an. Die Schachtel legte ich wieder auf den Tisch. Suko hatte sich auf die Lehne des Sessels gesetzt. Er starrte ins Leere, die Stirn zeigte Falten, und Schweiß schimmerte in den kleinen Tälern. Er schüttelte den Kopf. Keiner von uns sprach. Jeder hing den gleichen Gedanken nach, bei jedem bauten sich die gleichen Fragen auf. Bis Abe Douglas auf einen Schrank zuging, ihn öffnete, hineinschaute, etwas suchte und sich zufrieden nickend umdrehte. »Hier stehen Getränke. Bourbon und...« »Ja, ich brauche auch einen Whiskey, Abe.« »Und du, Suko?« »Nein, nichts.« Er holte Gläser. Mit dem Fuß trat er auf einen Kontakt, und rechts von ihm erhellte sich der Schirm einer Stehlampe. Abes Gesicht war noch immer starr. Es wirkte wie eine Maske, er selbst tat alles automatisch. Er goß Whiskey in die Gläser und ging dabei sehr großzügig mit ihm um. Auf einem Tisch, dicht neben einer bauchigen Blumenvase, fand die Flasche Platz. Ich nahm das Glas hoch, wir tranken. Aber auch der Bourbon, der sicherlich nicht der schlechteste war, konnte zumindest bei mir den faden Geschmack nicht aus der Kehle spülen und mir auch nicht den Druck aus dem Magen nehmen. In einem Ascher aus grünem Marmor drückte ich die Kippe aus. Die Zigarette hatte strohig geschmeckt. Mit einer entschlossenen Bewegung stellte der G-man sein Glas zur Seite. Er starrte mich an. »Du erwartest von mir eine Erklärung?« »Von Suko auch.« »Warum?«
»Ihr seid die Fachleute.« »Aber du hast das gleiche gesehen wie wir. Falls du dir keinen Reim darauf machen kannst, ich kann es auch nicht.« Ich hatte mich ebenfalls auf eine Sessellehne gesetzt und schaute aus dem Fenster, hinter dem die schwarzgraue Dunkelheit lastete. »Was ist mit dir, Suko?« Er hob die Schultern. »Scheiße«, sagte unser Freund. Er wollte uns die Stummheit nicht abnehmen. »Wißt ihr wirklich nichts, oder wollt ihr nichts sagen?« »Wieso sollten wir dir etwas verschweigen?« fragte Suko. »Weil ich euch so nicht kenne.« Der Inspektor hob die Schultern. »Ich denke, daß ich weiß, worauf du hinauswillst, Abe. Du hast erstens nicht damit gerechnet, eine Tote zu finden, und zweitens bist du überrascht, daß, wenn schon eine Tote, sie nicht so ums Leben gekommen ist, wie es sich für einen Vampirangriff geziemt. Also in den Hals gebissen, mit zwei kleinen Wunden versehen, tot, aber im Endeffekt nur untot, so daß wir damit rechnen können, daß sie sich erhebt, um auf die Suche nach Blut zu gehen. Liege ich damit richtig?« »Sehr genau.« Douglas hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wer die Frau getötet hat. Ich habe tatsächlich mit einem Vampir gerechnet, aber er ist es nicht gewesen, verdammt! Oder kennt ihr einen Vampir, der jemand auf derartig schreckliche Weise umbringt. Der... der... muß ja wie ein Amokläufer gehandelt haben. Habt ihr die Wunden am Körper der Frau gesehen?« »Sicher.« »Dein Kommentar, Suko?« »Tja, was soll ich sagen?« Er hob die Schultern. »Ich weiß es einfach nicht. Du hast recht, Abe, auf den Angriff eines normalen Vampirs deutet es nicht hin.« »Dann war es ein unnormaler?« »So ähnlich.« Der G-man schüttelte den Kopf. »Wenn mir alles gefällt, das aber bestimmt nicht.« Er suchte bei mir Rückendeckung. »Du hast bisher noch nichts gesagt, John. Was ist deiner Meinung nach geschehen? Vampir oder nicht? Die Theorie weist darauf hin. Ich habe euch ja deshalb geholt, weil hier ein neuer Geheimbund gegründet worden ist, der etwas mit Vampiren zu tun haben soll oder muß.« Ich strich zuerst über meine Stirn, dann an der linken Wange entlang. »Bitte, tut mir einen Gefallen, und verlangt auch von mir keine Lösung. Ich denke so wie Suko. Auf der anderen Seite können wir es mit einer Sekte zu tun haben, die durchaus dem Vampirismus frönt. Vor einigen Wochen waren die Zeitungen voll von einer Bluttat, die sich in der Schweiz und parallel dazu in Kanada ereignet hat. Das sind auch die
Mitglieder einer Sekte gewesen, die dort umgebracht wurden oder sich selbst das Leben genommen haben.« »Willst du die Tat mit dieser hier vergleichen?« »Nein, Abe, das ist ein Einzelfall.« »Das meine ich auch.« »Aber wir sollten den Begriff Sekte oder Geheimbund nicht zu weit aus unserem Gedächtnis entfernen. Da liegt noch einiges im argen, denke ich.« »Stimmt. Und was ist mit unserem Vampir?« »Das ist das Problem.« »Das auch du nicht lösen kannst, John?« Ich runzelte die Stirn. »Wenn wir mal bei dem Begriff Vampir bleiben, so sollten wir zumindest nicht mehr daran denken, daß hier jemand erschienen ist und nur gebissen hat. Nein, dieser Täter, dieser Vampir, wollte einfach nur Blut trinken. Und er hat es eben auf seine Art und Weise getan.« »Du meinst, indem er ihnen Verletzungen zugefügt hat«, nahm Abe den Faden auf. »Ja. Es muß eine gewaltige Gier in ihm gesteckt haben. Eine unendliche Gier nach Blut. Etwas, das wir nicht begreifen können. Das über unseren Horizont hinausgewachsen ist. Ein Vampir, der nicht so klassisch reagiert, wie wir es kennen. Es ist durchaus möglich, daß wir mit etwas völlig Neuem konfrontiert worden sind. Wie dem auch sei, diese eine Spur ist zunächst unterbrochen worden.« Douglas nickte heftig. »Und sie hätte etwas gewußt«, flüsterte er, »verdammt noch mal, sie hätte uns Auskünfte geben können! Um noch einmal auf deine Theorie zu kommen, John, kannst du dir denn vorstellen, daß sich diese Person irgendwann erheben und auf die Suche nach Blut gehen wird, wenn sie tatsächlich von einem Vampir angegriffen worden ist? Rechnest du damit? Es würde den Regeln entsprechen.« »Ja, das stimmt.« Meine Antwort konnte ihn nicht zufriedenstellen. »Und? Willst du nicht weitersprechen?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich werde einen Versuch starten. Sollte die Tote ein klassisches Vampir-Opfer sein, wird sie auf mein Kreuz reagieren. Auch wenn sie noch im Zustand der Lethargie liegt, würde das Kreuz ihr die endgültige Erlösung geben. Deshalb muß ich nochmals zurück und es probieren.« »Okay, tu das.« Es bereitete mir keinen Spaß, wieder den anderen Raum zu betreten, der eine Stätte des Todes war. Doch an gewissen Dingen kommt man eben nicht vorbei, und so blieb mir nichts anderes übrig, den Schlafraum wieder zu betreten, noch einmal das Grauen optisch zu erleben, aber ich
konzentrierte mich einzig und allein auf das Gesicht der Frau, das kaum in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Haut war bleich wie frisch gefallener Schnee, das Haar schwarz, es stand in einem scharfen Kontrast zu dieser Blässe. Ich bemühte mich, nicht in die Blutpfützen zu treten und blieb neben dem Bett stehen. Das Kreuz hielt ich bereits in der Hand. Der Kopf lag etwas schief, das Gesicht war mir zugewandt, und aus dem halb geöffneten Mund strömte kein Atemhauch mehr. Das Kreuz lag auf meiner Handfläche. Es kam mir plötzlich schwer vor. Den Grund wußte ich selbst nicht. Vielleicht lag es an der gesamten Situation, die so schrecklich geworden war. Uns hatte sich die Tür zu einer Hölle geöffnet, und auch wir waren keine Supermänner, die so etwas einfach abschüttelten. Für einen Moment schwebte das Kreuz über der Stirn, als ich es an der Kette hielt. Dann sank es nach unten. Es berührte die Haut. Wenn diese Frau zu einer Blutsaugerin geworden wäre, hätte sie jetzt reagieren müssen, weil ihr das Kreuz das untote Leben aus dem Körper getrieben hätte. Es geschah nichts. Ich hörte kein Zischen, kein Abdruck war auf der Stirn zu sehen, und auch der Körper zuckte nicht. Steif blieb er liegen. Ich wußte nicht, ob ich mich erleichtert fühlen sollte oder nicht. Es war alles so verdammt anders geworden. Da die tote Person nicht auf das Kreuz reagiert hatte, mußte ich davon ausgehen, daß sie es mit keinem Vampir zu tun gehabt hatte. Trotzdem wollte mir dieser Gedanke nicht gefallen. Ich wußte selbst nicht so recht, was mich daran störte, es war wohl das Grundmuster. Ich kam damit nicht zurecht. Ein normaler Killer würde nicht so handeln, es sei denn, er befand sich in einem regelrechten Blutrausch. Hier mußten Killer am Werk gewesen sein, die ich mit normalen Maßstäben nicht messen wollte. Sie hatten sich bestimmt Blut geholt. Als ich von der Bettkante hochkam und mich drehte, sah ich Suko und den G-man in der offenen Tür. Sie hatten mich beobachtet und warteten auf meine Reaktion. Ich hob die Schultern. Das gefiel Douglas nicht. »Du weißt es also noch immer nicht, John, nehme ich an.« »So kann man es nicht sagen.« »Wie dann?« »Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob diese Person wirklich von einem Vampir angefallen worden ist. Das klassische Muster stimmt nicht, doch
es muß ja nicht so sein. Auch Vampire handeln nicht immer nach denselben Verhaltensmustern. Wir können es hier durchaus mit einem Vampir zu tun gehabt haben, einem Untoten, der sich in einem gewaltigen Blutrausch befand und auf andere Regeln nicht achtete.; Gehen wir davon aus, daß der Killer nur Blut gebraucht hat. Daß er schnell gewesen ist, daß er sich keine Zeit genommen hat, daß er sich auf sein Opfer stürzte und es grausam umbrachte, aber das Blut bekam. Genau das ist auch eine Form oder Abart des Vampirismus.« »Verstehe«, sagte Douglas. »Dann hast du dich von dem Gedanken an den klassischen Blutsauger befreit.« »In diesem Fall schon.« Abe drehte sich um. Er ging als erster zurück. Wir folgten ihm. Neben dem Telefon blieb er stehen, die Hand auf den Hörer gelegt, den er nachdenklich anschaute. »Wenn ich es mir überlege, dann kannst du recht haben, John. Ich weiß, daß es immer schon Fälle von Vampirismus gegeben hat. Daß sich Menschen eingebildet haben, sie wären Vampire, um über ahnungslose Opfer herzufallen. Da ihnen die beiden Zähne fehlten, haben sie diese Menschen nicht gebissen, sie sind wie die Tiere über sie hergefallen und haben sie regelrecht gerissen. Können wir uns auf diesen Kompromiß einigen, John?« »Das können wir.« »Gut, dann werde ich jetzt die Kollegen von der Mordkommission und der Spurensicherung anrufen. Ich hoffe, daß sie etwas finden.« Er war Polizist, es war seine Aufgabe, so zu handeln, wir hätten es ebenfalls getan. Suko und ich blieben nicht im Haus, wir verließen es und blieben auf der Veranda stehen. Mit einer Handbewegung brachte ich den Stuhl aus seiner ruhenden Position. Er fing an zu schaukeln. »Sicherlich hast du dir Gedanken gemacht, wer dahinterstecken könnte«, sagte mein Freund. »Natürlich.« »Und wer ist es deiner Meinung nach?« »Du weißt selbst, daß ich dir darauf keine Antwort geben kann, Suko.« »Ja, das denke ich. Zumindest keine direkte. Ich dachte auch mehr an eine indirekte.« »Dann sag du sie mir.« »Für mich steht fest, daß unser Freund Mallmann diesmal nicht die Hand im Spiel hat. Er würde so etwas nicht tun. Zwar kann man ihn nicht zu den klassischen Vampiren zählen, aber er hält sich schon an die Muster, meine ich. Was hier passiert, kann uns möglicherweise neue Dimensionen eröffnen, und das wäre schlimm.« »Stimmt.« »Etwas Neues.« Ich nickte.
»Etwas, mit dem wir noch nie zu tun gehabt haben. Weg mit der Vorstellung der klassischen Vampire aus unserem Kulturkreis.« Die letzten Worte hatten sich interessant angehört. »Kannst du dich da genauer erklären?« »Mach ich gern. Es gibt nicht nur den abendländischen Vampirismus, John, das weißt du auch. Vampire sind in allen Kulturen und Mythen aufgetreten. Die Geschichten der Völker sind voll damit. Es gab sie in der asiatischen Kultur ebenso wie in der afrikanischen. Du findest sie im Süden, im Osten und im Westen, nur immer etwas anders. Nicht jeder Vampir muß in die Halsschlagader beißen, um sein Opfer leerzusaugen, es gibt da auch andere Möglichkeiten.« »Richtig.« »Möchtest du Legenden oder Geschichten aus meinem Kulturkreis hören, John?« »Nein, laß mal.« »Du akzeptierst aber, was ich gesagt habe.« »Voll und ganz, denn meine Gedanken bewegen sich in eine ähnliche Richtung.« »Eine neue, alte Art von Vampir«, sagte Suko. »Eingefallen aus einer fremden Kultur.« Er hob die Schultern. »So könnte es gewesen sein. Und wenn es so ist, frage ich mich, ob wir ihn mit unseren klassischen Waffen bekämpfen können.« »Das will ich hoffen.« »Aber keiner weiß es.« Ich betrachtete die dunklen Hütten. »Nein, Suko, das weiß keiner...« *** Sie hatten den alten Chevrolet auf den schmalen Hinterhof des Hotels rangiert und waren ausgestiegen. Über das Autodach hinweg schauten sie sich an, lächelten, und auf ihren Gesichtern blieb eine satte Zufriedenheit zurück. »Es war gut, nicht wahr, Bruder?« Der angesprochene Igor nickte. »Ja, sehr gut sogar.« »Wie in alten Zeiten.« Igor hob die Schultern. »Wir können sie nicht mehr zurückholen, wir müssen uns mit den neuen abfinden, wo alles anders ist. Die Menschen, die Umgebung, dieser Verkehr...« »Aber das Blut ist gleichgeblieben«, sagte Jacques. »Zum Glück.« »Laß uns hochgehen, Bruder.« Sie betraten das Hotel durch den Hintereingang und gelangten in einen schmalen Flur, in dem es nach Gewürzen roch. Die Küche lag nicht weit entfernt, man kochte kreolisch und dementsprechend scharf. Chili gehörte zu den bevorzugten Gewürzen.
Der Flur war eng. Sie gingen hintereinander her, und sie hatten sich nicht verändert. Mehr als hundert Jahre waren an ihnen spurlos vorübergegangen. Sie wollten auch nicht anders sein, sie hatten sich lange genug versteckt gehalten, sie paßten sich nicht an, und sie trugen noch die alte Kleidung. Einquartiert hatten sie sich in einem Hotel, wo sie nicht so sehr auffielen. Es war in älterer, viereckiger Holzbau. Jedes Zimmer, ob nach hinten oder vorn, hatte einen kleinen Balkon, hier Veranda genannt, war mit einem Dach versehen, so daß der Gast dort auch im Regen stehen konnte. Die Treppen waren aus Holz, die Fenster im Restaurant reichten bis zum Boden, die Einrichtung erinnerte an den Jugendstil, und das französische Flair ließ sich nicht aus dem Haus und den Zimmern vertreiben. Das Hotel stand in der Altstadt von New Orleans. Dort, wo sich das Leben ballte und immer wieder zahlreiche Kulturen aufeinandertrafen. In dieser Gegend war alles möglich. Hier lebte der Voodoo-Kult neben dem aus Südamerika importierten Macumba-Zauber friedlich zusammen. Die Menschen entstammten zahlreichen Rassen. Schwarze, Latinos, Weiße, Franzosen, Amerikaner, Mulatten und Südeuropäer kamen zusammen und bildeten eine farbige Vielfalt. Das Viertel schlief niemals. Es hatte immer Saison. Da wurde die Nacht zum Tage gemacht, und hier, wo die Amerikaner die Wiege des Jazz suchten, regierte trotz aller Veränderungen noch immer die Musik. In unzähligen kleinen Lokalen wurde Jazz gespielt, aber auch an den Straßenecken hörte man die Musik, und es waren vor allen Dingen die Touristen aus Übersee, die standen und staunten. Hier lebte die Stadt, hier kochte sie, und im Sommer kochte sie oft über. Da war die Hitze eine Plage, da drehten die Menschen oft durch, da brachten die nahen Sümpfe und der Strom eine kaum zu beschreibende Schwüle in die Stadt hinein und drehte die Emotionen hoch. Im Sommer passierten viele Verbrechen aus Leidenschaft, aber auch die kühlere Jahreszeit war nicht ohne. Ein Fremder allein im French Quarter, der Altstadt, konnte immer zu einem Opfer krimineller Subjekte werden. Es war ein Geflecht, ein Gespinst aus Verbindungen und Seilschaften, durch das keiner mehr durchschaute, und sehr oft stand die Polizei auf verlorenem Posten und vor einer Mauer des Schweigens. Wenn es Probleme gab, regelten die Bewohner des Viertels sie untereinander. In einem Bereich wie diesem fielen selbst die Brüder Lacourte nicht weiter auf. Man ließ sie in Ruhe leben. Sie waren an der Treppe vorbeigegangen und in der Nähe der Rezeption stehengeblieben. Über ihnen brannte eine Lampe. Das Licht war nicht zu hell, weil es durch buntes Glas gefiltert wurde. »Sieh mich an!« verlangte der blonde Jacques.
»Warum?« »Siehst du Blut an mir?« Igor tastete mit seinen Blicken den Körper ab, bevor er den Kopf schüttelte. »Nein, nicht einen Hecken.« »Das ist gut.« »Habe ich mich beschmutzt?« Jacques lächelte, bevor er mit einer lässigen Bewegung ein Stäubchen von Igors Jackett putzte. »Du bist auch sauber.« »Wunderbar.« »Wir können es noch – oder?« Igor lächelte. »Ja, Bruderherz, wir haben nichts verlernt, und das wird auch so bleiben.« »Ich hoffe es.« »Was willst du tun?« »Unter die Leute gehen.« Igor war erstaunt. »Jetzt noch durch die Nacht wandern und nach anderen Ausschau halten?« »Nein, laß uns einen Drink in der Bar nehmen.« »Hier im Hotel?« »Sicher.« »Einverstanden.« Die Bar war nicht weit entfernt. Ihre Tür stand weit offen. Ein Keil hielt sie fest. Aus der Öffnung wehten die Klänge eines Klaviers. Abends und bis hinein in die späte Nacht hockte hier immer ein alter Schwarzer, der auf den Tasten eines Klaviers klimperte und mit seiner Musik die Gäste unterhielt. Das Instrument selbst stand auf einem kleinen Podium, wo auch der Mann mit seinem nach vom gebeugten Rücken hockte. Alte Sofas und Sessel rahmten ebenso alte Tische ein und verteilten sich im Raum. Das Licht war trübe, hin und wieder etwas farbig, und noch an wichtigen Stellen schickten Spots ihre hellen Streifen nach unten, wie auch nahe der Bar, die von den beiden Brüdern angesteuert wurde. Sie waren nicht die einzigen Gäste, die auf den Hockern saßen. Ob alle im Hotel wohnten, wußten sie nicht. Sie nahmen dort Platz, wo sie relativ ungestört waren. Hinter der Bar bediente Lulu. Keiner wußte genau, ob sie sich als Mann oder als Frau fühlte. Jedenfalls war sie ein Zwitter, aber sie liebte die Frauenkleidung besonders dann, wenn sie eng ihren Körper umspannte, und sie mochte kräftige Farben, zum Beispiel das blutige Rot des Stoffs, den sie an diesem Abend präsentierte. Es umgab ihren Körper wie eine zweite Haut und ließ ihren Busen, auf den Lulu sehr stolz war, voll zur Geltung kommen. Ihr Haar war schwarz gefärbt. Es glänzte durch ein Spray und die eingeflochtenen Perlen zusätzlich noch. »Hallo, ihr beiden, noch Durst?« Wenn sie alles versucht hatte, wie eine Frau zu wirken, so war ihr das bei der Stimme nicht ganz gelungen. Als
Frauenstimme war dieser Tenor einfach zu tief. Die Bardame versuchte ihr durch leichte Schwingungen einen erotischen Klang zu geben, und sie hatte auch die Angewohnheit, beinahe jeden Satz mit entsprechenden Wimpernaufschlägen zu begleiten. Lange Wimpern, lange Augenlider, mit Goldlack besprüht, natürlich alles sehr künstlich, wie überhaupt die gesamte Person wie eine Kunstfigur wirkte und nicht wie ein Mensch. »Ja, wir haben noch Durst.« Lulu schaute Jacques an. »Was soll es denn sein, schöner Mann?« Der Vampir lächelte schmallippig, als er seinen Blick an der Reihe der Flaschen im Regal entlanggleiten ließ. »Was kannst du uns denn empfehlen, Lulu?« »Ohhh – sehr viel.« »Dann nimm davon das Beste.« Ihre Augen funkelten. Auch ihre Pupillen hatten durch eine Flüssigkeit einen künstlichen Glanz bekommen. »Ich würde euch zu meinem Weichmacher raten.« »Und was ist das?« Lulu gab sich geziert und strich über Jacques’ Handrücken hinweg. »Laß dich überraschen, schöner Mann.« Sie ließ ihre Hand noch liegen und sagte: »Was ist das denn?« »Wie meinst du?« »Deine Haut ist so weich.« »Ich weiß.« »Und?« »Sie ist voller Blut. Frisch gefüllt.« Er lachte scharf, und Lulu zog sich zurück. »Du bist mir ja einer«, sagte sie und schüttelte sich. Der Modeschmuck an ihren Ohren und um den Hals fing an zu klimpern. Jacques grinste ihr hinterher. Sein Bruder: »Ubertreib es nicht, Jacques.« Er hob die Schultern. »Was willst du machen? Sie gefällt mir eben, und zwar auf eine besondere Art und Weise.« »Du willst ihr Blut.« »Auch das.« »Nicht hier.« »Warum nicht?« »Wir wollen hier nicht auffallen. Später vielleicht. Erst müssen wir unsere Pläne durchgeführt haben.« Jacques seufzte. »Ja, du hast recht, andere Dinge sind wichtiger, viel wichtiger. Wir dürfen nicht undankbar sein, und wir stehen wieder vor einem Neubeginn.« Lulu warf ihnen hin und wieder einen scheuen, auch lächelnden Blick zu, während sie den Weichmacher mixte.
Sie kippte aus verschiedenen Faschen die Flüssigkeiten in den Becher, füllte ihn dann mit Sekt auf und schüttelte kräftig durch. In zwei große Gläser Heß sie die Drinks fließen, dann servierte sie sie. »Bitte«, sagte sie und stellte noch zwei abgeknickte Strohhalme hinein. »Danke.« Beide probierten, und Lulu blieb in ihrer Nähe stehen, um sich einen Kommentar anzuhören. Der Drink zeigte die Farbe von altern Mississippi-Wasser, er schmeckte nach allem möglichen, aber nach keiner bestimmten Zutat. »Gut...?« »Man kann ihn trinken«, sagte Igor. »Ach, was du immer hast. Da gibt man sich Mühe, und dann bekommt man so eine Reaktion.« Beleidigt verließ sie die Ecke, um sich anderen Gästen zu widmen. Die Brüder tranken. Sie schwiegen sich in den ersten Minuten aus, bis Igor schließlich fragte: »Du weißt, wen wir da getötet haben?« »Sicher, eine Frau.« »Franks Gattin.« »Die ehemalige.« »Was macht das?« Igor hob die Augenbrauen. »Es wird Ärger geben oder könnte Arger geben, denn sie ist immerhin die Frau eines Polizisten gewesen.« Jacques’ Augen strahlten. »Aber ihr Blut war so köstlich, einfach wunderbar.« »Da hast du recht.« »Wer soll uns denn was? Frank steht auf unserer Seite. Er will noch andere holen, damit wir unseren Bund schließen können. Die VampirLegende muß auch in der Zukunft weiter am Leben bleiben. Gerade hier, gerade in dieser Stadt, die wieder aufgebaut wurde, wo viel Neues, aber auch viel Altes und Bekanntes zusammenstehen.« Jacques trank und schüttelte sich leicht. »Es wird unsere Stadt werden. Wir werden Zeichen setzen, und wir werden den Voodoo-Kult vertreiben. Die VampirLegende soll hier die Herrschaft übernehmen.« »Laß uns darauf trinken!« Sie hoben die Gläser, stießen an, lauschten dem hellen Klingeln und sahen die Männer, die die Bar des Hotels betreten hatten. Sie gehörten nicht zu den Gästen, sondern zu denen, die im Viertel die Straßen unsicher machten, deren Leben zwischen Gewalt und Frust ablief und dabei immer wieder von irgendeiner Musikströmung begleitet wurde, wie sie im Moment der Jungle war. Jungk hatte den Techno abgelöst. In London kreiert, war er über den Atlantik und bis in die Staaten geschwappt und hatte hier das Lebensgefühl der Menschen sehr genau getroffen. Auch hier in der Bar.
Einer von ihnen trug ein Radio unterm Arm. Jungle-Musik peitschte in das Klavierspiel hinein. Die drei Typen waren aufgedreht, sie schienen Stoff genommen zu haben. Nichts an ihnen war mehr ruhig. Die Unruhe begann bei den Augen, um danach ihre gesamten Körper zu erfassen. Drei Farbige, noch jung, etwa zwanzig, kräftige Gestalten mit BaseballMützen, sie waren zu gut drauf, sie rochen nach Gewalt, blieben wenige Schritte hinter dem Eingang stehen, bewegten sich tänzelnd, denn da fiel es nicht so auf, daß sie sich umschauten. Die drei suchten Opfer... Es war still in der Bar geworden. Auch der alte Klavierspieler hatte seine Finger von den Tasten genommen und sich umgedreht. Die anderen Gäste taten nichts. Stumm saßen sie vor ihren Drinks. Auch Lulus Mund blieb geschlossen. Er oder sie hatte sich mit dem Rücken gegen das Regal gelehnt und beobachtete die drei Typen, die sich grinsend der Theke zuwandten und einen freien Platz fanden, links neben den beiden Brüdern. Der mit den Rasta-Zöpfen griff über die Theke. Er bekam eine Rasche mit Saft zu fassen und winkte damit. »Hi, Lulu, du Schwuchtel, wie geht es dir denn?« »Das braucht euch nicht zu interessieren. Geht, verschwindet! Hier ist nicht eure Welt!« »Wo die ist, bestimmen wir, nicht du«, erwiderte der Radioträger und stellte seinen Kasten auf den Tisch, wo er ihn auch ausmachte. »Was kannst du uns denn bieten?« »Euch nichts.« »Oh, sei doch nicht so«, sagte der Rasta-Mann. Er warf die Hasche in einen Eiskübel. »Wir haben Durst, wir wollen Spaß, wir haben uns entschlossen, es hier zu versuchen.« Er saß den beiden Brüdern am nächsten, drehte sich zu ihnen um, wollte ihnen zugrinsen, doch sein Gesicht erstarrte plötzlich. »Das gibt es nicht«, flüsterte er. »Wieso?« »Sieh dir die beiden Vögel mal an, Orry. Schau genau hin. Sieh in ihre Gesichter...« Orry nickte. »Die sind schon komisch.« »Ob die wohl auch einen Spaß vertragen können?« »Wir werden es versuchen.« »Ja, Orry, das werden wir...« *** Das Haus war vom grellen Licht der Standscheinwerfer erfüllt, und gerade wegen dieser Helligkeit wirkte die Szenerie noch erschreckender. Chef der Mordkommission war ein Mann namens Cartres, ein Schwarzer mit kurzen Haaren, einem blütenweißen Hemd und einer bunten
Krawatte. Er hatte kalte, wissende Augen und dirigierte seine Mannschaft durch Zeichen und wenige Worte. Mit Suko und mir hatte er sich so gut wie nicht unterhalten. Sein Ansprechpartner war der FBI-Mann Abe Douglas, der auch die Identität der Toten gelüftet hatte. »Die Frau eines Kollegen also«, sagte Cartres. »Ja.« »Rache?« »Ich weiß es nicht.« »Aber Sie haben gewußt, daß Sie die Frau hier tot finden würden.« »Nein, das wußten wir auch nicht. Wir wollten nur mit ihr reden.« »Uber was?« »Es ging um einen Fall.« »Klar, daß Sie sich kein Kochrezept abholen wollten. Deswegen kommt man nicht von New York hierher.« Wir zogen uns zurück und taten Abe Douglas damit auch einen Gefallen. Er hatte uns gebeten, nichts zu sagen, weil er mit seinem Kollegen reden wollte. Auch im Flur war ein Scheinwerfer aufgebaut, der mit seiner Lichtfülle jedes Staubkorn aus der Dunkelheit riß. Unter einem Wandspiegel entdeckte ich eine Handtasche. Ich bückte mich, hob sie an und nahm sie mit auf die Veranda, wo mich Freund Suko bereits lächelnd erwartete. »Hast du es wieder nicht sein lassen können?« »Sie stand so herum.« »Dann klapp sie wenigstens auf.« Wir drückten uns in eine Ecke, denn neugierige Bewohner hatten einen ersten Ring gebildet. Plötzlich war diese Ansammlung von Stelzenhäusern nicht mehr so tot. Daß hier ein Verbrechen geschehen war, hatte sich blitzartig herumgesprochen, und die meisten Gaffer hatten es nicht mal für nötig gehalten, sich die normale Kleidung überzustreifen. Sie standen da in langen Nachthemden oder Schlafanzügen. Manche waren auch mit Bademänteln bedeckt. Ich hatte die Tasche offen, griff hinein und förderte den üblichen Kram hervor, den eine Frau so bei sich trug: Lippenstift, Papiertaschentücher, ein winziges Schminketui, ein Feuerzeug, ein Portemonnaie... Es war ziemlich groß, glich beinahe schon einer Brieftasche. Darin hatten auch vier Kreditkarten Platz, etwas Bargeld, die Scheine steckten hinten, und wir fanden auch eine blaue Visitenkarte mit dem rot aufgedruckten Namen HOTEL CONCORDE. Ich zeigte Suko die Karte. »Kennst du es?« »Nein.« Er nahm sie entgegen und las die kleine gedruckte Adresse. »Wenn mich nicht alles täuscht, finden wir das Haus in der Altstadt von New Orleans.« »Zufall oder nicht?«
Suko gab mir die Karte wieder. »Du rechnest damit, daß wir in diesem Hotel eine Spur finden?« »Ich schließe es zumindest nicht aus.« »Das ist möglich. Anschauen werden wir es uns auf jeden Fall. In New Orleans wird ja die Nacht zum Tag gemacht. Vielleicht schaffen wir es noch heute.« »Ich frage Abe.« Die Tasche nahm ich mit und stellte sie wieder an ihren Platz. Zwar würde man meine Fingerabdrücke darauf finden, aber das ließ sich leicht erklären. Abe war wütend. Er kam mit seinem Kollegen nicht zurecht. Cartres war sauer, weil er kaum Informationen erhielt, aber Douglas konnte es sich beim jetzigen Stand der Dinge einfach nicht leisten, ihn einzuweihen. Ich schlug ihm vor, von hier zu verschwinden. »Das habe ich Cartres auch gesagt.« »Wie reagierte er?« »Ruchend.« »Stört uns das?« »Nein.« »Dann komm.« »Moment noch.« Abe ging dorthin, wo er den Kollegen fand und machte ihm klar, daß wir drei hier nichts mehr zu suchen hatten. Wir würden uns melden, und Cartres mußte zähneknirschend nachgeben, denn dienstrangmäßig stand Douglas über ihm, zudem war er mit einer Sonderaufgabe betreut worden, und die ließ ihm einige Freiheiten. Wir waren froh, den Schauplatz des Geschehens hinter uns zu lassen. Durch ein Spalier von Neugierigen schritten wir, beantworteten keine Fragen und schwiegen so lange, bis wir das kleine Boot erreicht hatten. »So, jetzt mal zur Sache, John«, sagte der G-man. »Ich kann euch ja verstehen, trotzdem kam der Aufbruch für mich ein wenig überraschend und auch hektisch.« »Da gebe ich dir recht.« »Und ich kenne euch. Was ist der Grund gewesen?« Ich berichtete ihm, was ich gefunden hatte: Er war auch fremd hier und kannte das Hotel nicht, war aber mit uns einer Meinung, daß wir es uns ansehen sollten. »Das schaffen wir noch in dieser Nacht – oder?« »Du bist aber hektisch, John.« »Manchmal schon.« »Brennt es?« »Nicht ganz, aber ich spüre schon ein gewisses Feuer.« »Okay, dann machen wir uns auf die Socken. Wir werden ein Taxi nehmen, sind aber mehr als eine Stunde unterwegs.« »Wird in dieser Stadt nicht auch die Nacht zum Tag gemacht?«
Der G-man grinste. »Ich hörte davon.« Wenig später waren wir unterwegs. Diesmal schneller. Unser Boot zerschnitt die Wellen und schleuderte das Spritzwasser über Bord. Der Motor vibrierte, und ich verglich ihn mit der eigenen Unruhe, die mich erfaßt hielt... *** Der Knabe mit den Rasta-Zöpfen war zwar der kleinste unter den dreien, er fühlte sich aber als größter. Sein Mund war beinahe so geformt wie ein Entenschnabel. Immer wenn er sprach, rückte er beide Lippen nach vorn, und es klebten zwischen ihnen stets dünne Speichelfäden. »Seid ihr auch Schwuchteln?« fragte er und hatte den Kopf dabei schief gelegt. Mit den Fingerspitzen der linken Hand trommelte er auf den dunklen Handlauf. Igor stand direkt vor ihm. »Bitte...?« »Ob ihr Schwuchteln seid?« Igor drehte den Kopf. Er fragte seinen Bruder. »Kennst du das Wort, Jacques?« »Nein, kenne ich nicht.« »Lulu ist eine Schwuchtel«, erklärte der Rasta-Mann. »Wißt ihr jetzt Bescheid?« »Nein, auch nicht!« Die drei fühlten sich auf den Arm genommen. Außerdem gefielen ihnen die Brüder nicht. Sie paßten einfach nicht in die Gegend, was schon allein an ihrer Kleidung lag, den schwarzen Jacken, den hellen Rüschenhemden mit den bauschigen Schleifen unter den Hälsen, und auch die Gesichter der beiden paßten den Typen nicht. Andere Gäste hatten die Gelegenheit genutzt und schnell bezahlt. Sie schlichen sich davon. Nur Lulu und der Klavierspieler blieben zurück. Lulu, weil er sich nicht traute, und der Klavierspieler deshalb, weil er in seinem Alter keine Furcht mehr spürte. Gelassen saß er vor dem Kasten und sog hin und wieder an seiner billigen Zigarre. Er hatte sogar seinen schwarzen Hut mit steifer Krempe aufgesetzt und sich vom Nachbartisch nichtgeleerte Gläser besorgt. »Wir wollen Spaß«, sagte Orry. »Warum auch nicht?« »Aber mit euch.« »Nein!« Die drei schauten sich an. Sie hatten zwar die klare Antwort vernommen, allein, sie würden sie nicht akzeptieren, denn sie waren hier die Macher und nicht die anderen. Sie waren es, die diktierten, was laufen sollte oder nicht. Und wenn sie Menschen fanden, die schwächer waren als
sie, nutzten sie es aus. Zudem standen sie unter Dampf und lechzten nach ihrem Spaß, der in Wirklichkeit einer brutalen Gewalt gleichkam. »Also nicht?« »Du hast es gehört, Orry.« Der Schwarze grinste seine Kumpane an. »Da, er hat mich angesprochen, dieser Weichling. Er hat doch tatsächlich meinen Namen genannt. Darf er das?« »Nicht ohne deine Erlaubnis.« »Genau.« Orry nickte. Er drängte seinen Rasta-Freund zur Seite und stand plötzlich vor Igor. Der schaute ihn nur an, und auch Orry wollte den Blick von den Augen des anderen nicht abwenden, deren Ausdruck ihm aber gar nicht gefiel. Er hatte damit gerechnet, die Angst dort schimmern zu sehen, das war nicht eingetreten. Im Gegenteil, der Blick des dunkelhaarigen Gastes war irgendwie sezierend, er ging durch und durch. Einen Rückzieher konnte sich der Knabe nicht erlauben. Er hätte vor seinen Kumpanen das Gesicht verloren, also mußte er den Weg nach vorn suchen, schaute aber zu Boden und meinte dabei: »Wir sollten sie aus der Ecke holen.« »Gute Idee.« Was die Gewalt anging, da kannten sich die drei Straßentypen aus. Sie hatten es lernen müssen, auf der Straße und hier im Viertel zu überleben, sie waren immer wieder auf andere Banden gestoßen, die stärker gewesen waren, aber sie hatten es letztendlich immer geschafft, sich durchzuboxen. Zwei reichten aus, um die Brüder aus der Ecke an der langen Bar zu holen. Sie hielten Igor und Jacques an den Kragen ihrer Jacken fest, zerrten sie zuerst zu sich heran, wuchteten sie dann herum und schleuderten sie in den Raum hinein, wo die beiden zu Boden fallen sollten. Zum Glück konnten sie den Schwung abfangen und blieben auf den Füßen. Dabei drehten sie sich um die eigene Achse. Das lange Blondhaar Jacques Lacourtes flog in die Höhe, und mit seinen weichen Gesichtszügen sah er tatsächlich aus wie eine Frau. Orry lachte. »Das ist ein Weib!« »Die machen wir fertig.« »Eine Schwuchtel!« Lulu schaute von der Theke aus zu. Er haßte Gewalt, er konnte es nicht sehen, wenn sich andere schlugen, und er konnte vor allem nicht hinschauen, wenn Blut floß. »Nein! Nein!« keifte er. »Nicht! Um Himmels willen, nein! Bitte, tut es nicht...« Keiner kümmerte sich um sein Geschrei. Die drei Straßenräuber waren jetzt in ihrem Element. Den Weg zur Tür hatten sie den Brüdern verbaut,
sie bildeten einen Halbkreis, wippten in den Knien, und das kalte Lächeln auf ihren Gesichtern sagte genug. Sie kamen näher. Eine diebische Freude hatte sich auf ihre Gesichter gelegt. Die Augen schimmerten hell. Sie waren gewaltbereit. Welche Drogen auch immer ihren Verstand benebelten, sie heizten die Gier noch stärker an, sie würden sie in einen Taumel reißen, bis hin zum Exzeß, der mit dem Begriff Mord umschrieben werden konnte. Igor drehte den Kopf seinem Bruder zu. Jacques hatte das gleiche getan, und so schauten sich die beiden an. Nur für einen kurzen Moment, dann nickten sie. »Blut?« flüsterte Igor. Jacques leckte über seine Lippen. »Und wie!« »Gut, wir holen sie uns...« Sie hatten sich flüsternd unterhalten, und die drei Schläger hatten nichts verstanden. Igor und sein Bruder lächelten. Es war zu dunkel, um ihre Zähne zu sehen, aber es war das Zeichen, daß sie nicht aufgegeben hatten, und keiner der Angreifer ahnte, welche Kräfte in diesen so wenig gestählt wirkenden Körpern steckten. Orry wollte es wissen. Er sprang vor. Er wollte den Blonden, diesen weibischen Kerl. Er wollte ihm die Haare ausreißen, ihn zu Boden schmettern und ihm die Arroganz aus dem Gesicht treten, das wollte er alles, und es gelang ihm auch, in seine Haare zu greifen und Jacques nach vorn zu zerren. Mit der anderen Hand schlug er in den Magen des Marines. Er wollte den Blonden in die Knie zwingen. Er sackte zusammen, dann aber kam er hoch, und er entwickelte sich zu einer regelrechten Furie. Plötzlich waren seine Hände im Gesicht des Mannes. Fingernägel wirkten wie Messer und rissen die Haut auf. Blut strömte über das Gesicht. Orry brüllte wie verrückt, mit dieser heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Das war ihm noch nie zuvor passiert. Er ließ den Blonden los, preßte die Hände vor sein Gesicht und taumelte zurück. An der Theke blieb er stehen, noch immer heulend. Jacques aber lachte und richtete sein Haar. Den Schock hatten die anderen beiden Schläger sehr rasch überwunden. Sie wollten natürlich nicht aufgeben, sie wollten ihren Freund rächen, und so griffen sie erneut an. Der Rasta-Mann hielt plötzlich ein Stilett in der Hand. Die Klinge funkelte wie ein gefallener Stern, und sie bewegte sich blitzschnell auf den Körper des dunkelhaarigen Igor zu. Der hätte vielleicht ausweichen können, was er nicht tat. Er ließ es zu, daß ihn die Klinge traf und dann dicht über seinem Bauchnabel im Körper verschwand. Der Rasta-Typ stöhnte auf. Es hatte ihm persönlich gutgetan, es diesem Hund zu zeigen, und er wollte die Klinge wieder aus dem Körper
hervorziehen, um zu sehen, wie der Mann zusammenbrach. Das war nicht möglich. Etwas hielt seine Hand fest. Es war eine andere Hand, die sich um sein Gelenk gelegt hatte. Wieso? Wie war das möglich? Er schaute nach unten. Eine bleiche Hand mit langen, kräftigen Fingern hielt sein Gelenk umschlossen. Es war die Klaue des Opfers, die nicht wollte, daß die Klinge wieder aus dem Körper gezogen wurde. War der Kerl denn wahnsinnig? Der mußte doch zusammenbrechen und verbluten! Der Rasta-Mann begriff die Welt nicht mehr. Einiges war für ihn in den letzten Sekunden in Scherben gebrochen, und auch die Umgebung in der Bar war erstarrt. Er stand noch immer da, die Klinge in den Körper des anderen versenkt, der seine Hand festhielt, als würde es ihm Vergnügen bereiten, das Messer zu spüren. Dann drückten die Finger des Mannes zu. Der Rasta-Typ ächzte. Tränen schimmerten in seinen Augen, und der Schmerz brachte ihn beinahe um den Verstand. Es gab nur eine Möglichkeit, ihm zu entgehen. Er mußte sein Stilett loslassen, erst dann würde sich alles ändern. Er tat es auch, dann taumelte er zurück, sah nur den Verletzten vor sich, der lächelte und keinen Anflug eines Schmerzes zeigte. Die Waffe steckte in seinem Leib. Kein Blut drang aus der Wunde oder nur wenig, ein rötlicher Saft, der aber mit dem normalen Blut eines Menschen nicht vergleichbar war. Fremde Finger umfaßten den Griff des Stiletts. Der Vampir zog die Waffe mit einer glatten Bewegung aus seinem Körper hervor, beobachtet von einigen Augenpaaren, und niemand hatte so recht auf Jacques geachtet, der lautlos in Richtung Tür geschlichen war, um dort den Rückweg abzuschneiden. Er stand davor wie ein mörderischer Engel, seine Vampirzähne lagen frei, das lange Haar hatte er hochgewühlt, und er schaute zu, was sein Bruder tat. Der hielt das Stilett fest, starrte den Rasta-Mann an, und dann stach er zu. Er war blitzschnell, er war wie ein Blitz. Er hörte noch den Schrei des anderen, der die Arme hochriß, nicht schnell genug war und plötzlich das Gefühl hatte, als wäre seine Haut vom Gesicht gerissen worden, denn dort hatte ihn die Klinge erwischt, von rechts nach links, und einen tiefen Schnitt hinterlassen. Igor brüllte auf wie ein Tier. Er warf sich mit einem gewaltigen Sprung dem Rasta-Kerl entgegen, drosch ihn zu Boden und stieß wieder zu. Diesmal tödlich. Das Grauen hatte endgültig in die Bar Einzug gehalten, der Tod war der größte Gast, das Blut floß, und Igor beugte sich über die Leiche.
Sein Bruder schlich auf den dritten zu. Der junge Mann hatte sich nicht gerührt. Orry lag an der Theke und jammerte, wollte aber aufstehen und fliehen. Der dritte Typ ahnte, daß etwas nicht stimmte. Er drehte sich und sah den Blonden in seiner Nähe. Für einen Moment starrte er in das verzerrte Gesicht, um dort etwas zu entdecken, das es eigentlich nicht geben durfte. Zwei weißgelbe Blutzähne stachen aus dem Oberkiefer nach unten. Ihn durchschoß der Gedanke, einen Vampir vor sich zu haben, und er wuchtete seinen Körper zurück. Der Knabe hatte Glück. Jacques war sich zu sicher gewesen. Er hätte noch schneller sein müssen, zudem hatte er seinen Arm nicht weit genug ausgestreckt, und nur so konnte die Beute entwischen. Der Schwarze rutschte noch aus, prallte dabei gegen die Tür und taumelte in die Rezeption hinein, wo ein Mann im hellen Anzug stand und sich mit einer jungen Kreolin unterhielt. Beide hatten den Krach aus der Bar gehört, trauten sich nicht rüber und sahen den Schwarzen aus dem Raum rennen, von Panik gezeichnet und getrieben. Der Ausgang war nicht weit. Nur wenige Schritte mußte er laufen und sich dann gegen die Tür werfen. Er tat es, er rammte sie auf, die Luft der Straße umfing ihn, und sein Gesicht war eine einzige Maske des Grauens. Schreiend rannte er auf die Straße, brüllte etwas von einem Vampir und achtete nicht darauf, wo er hinlief. Er sah noch die hellen Glotzaugen der Scheinwerfer, die so verdammt nahe waren, und bekam den Schlag gegen die linke Hüfte. Der Körper wurde in die Höhe geschleudert und landete dicht neben der Kühlerhaube des Taxis wieder auf dem Boden... *** Ich hatte mit meiner Vermutung nicht verkehrt gelegen. In New Orleans kehrte niemals Ruhe ein. Auch in der Nacht ging es in dieser Stadt hoch her, besonders im French Quarter, der Altstadt, durch die wir fahren mußten, und wir sahen so manchen Bau, der uns bekannt vorkam, denn hier hielten wir uns nicht zum erstenmal auf. Wir hatten das bunte Treiben erlebt. Wir hatten es genossen und auch gefürchtet, und wir dachten noch heute mit Schrecken an den VoodooKult, gegen den wir damals gekämpft hatten.*
* Siehe Sinclair Paperback 73.501: »Voodoo-Land«
Heute ging es um Vampire – vielleicht, denn zu Gesicht bekommen hatten wir sie nicht. Der Fahrer tat sein Bestes, er hupte, er fuhr sogar über Gehsteige, aber er kam nie so schnell voran, wie wir es uns gern gewünscht hätten. Irgendwo blieben wir immer stecken. Für uns war die Nacht und die Umgebung ein einziger bunter Jahrmarkt, was auch an den unzähligen bunten Lichtern lag. Keine grellen, weißen Farben, dafür ein buntes Flackern. Signale von Lokalen, in denen gegessen, getrunken, gefeiert und abgeschleppt werden konnte. Auch leichte Mädchen gab es in dieser Stadt genug. Sie hielten sich in den Lokalen auf, standen auf der Straße, warteten in Hauseingängen oder bewegten sich dicht bei den zahlreichen Hotels oder hockten in deren Bars. Zumeist farbige, exotische Wesen, die das Herz eines interessierten mitteleuropäischen Touristen bis zum Hals schlagen ließen. Uns machten sofort einige dieser Damen an, wenn wir mal wieder irgendwo feststeckten. Vor den Scheiben erschienen sie und gaben durch eindeutige Gesten zu verstehen, was sie mit uns alles anstellen würden. Wir gingen darauf nicht ein. Die Girls würden weiterhin auf Kundschaft warten müssen. Abe Douglas tippte dem Fahrer auf die Schulter. »Wie lange noch?« fragte er. »Keine Ahnung, Sir.« Der Mann mit der Wollmütze schob seinen Kaugummi von einer Mundseite in die andere. »Ich kenne mich hier auch nicht aus, mit dem Verkehr meine ich. Heute ist er allerdings besonders schlimm.« »Ihr habt es gehört«, sagte Abe, dem unsere Nervosität nicht verborgen geblieben war. »Sicher.« »Wir packen das noch.« Abe grinste. Den Schock des Mordes hatten wir mittlerweile verdaut. Was uns erwartete, wußten wir nicht. Wir hofften allerdings, endlich eine Spur zu finden, die uns zu einem Blutsauger hinführte. Bisher hatten wir nur ein Opfer gesehen und nicht den Täter, und der war wichtiger. Der Fahrer wollte es uns beweisen. Unter Mißachtung einiger Verkehrsregeln benutzte er wieder einen Gehsteig als Straße, drängte sich durch eine Einfahrt in einen Hinterhof hinein, fuhr ihn durch, umkurvte einige der im Weg stehenden Gegenstände und erreichte schließlich eine zweite Durchfahrt. Sie führte uns auf eine belebte Straße. Hupend erreichten wir sie. Auf dem Gehsteig spritzten die Menschen zur Seite. Unser Fahrer lachte nur und kurbelte das Lenkrad nach rechts.
»Jetzt sind wir da.« Er wedelte mit der rechten Hand nach vorn. »Da hinten liegt das Hotel.« Er hupte, bahnte sich einen Weg und gab wieder Gas. Ich saß neben dem Fahrer, schaute nach rechts, den Gehsteig entlang und sah die zahlreichen Bauten, die den typischen Südstaatencharakter aufwiesen. In der unteren Hälfte die auf Säulen ruhenden Vorbauten, weiter oben die Veranden. Auch den Namen des Hotels konnte ich lesen. Von oben nach unten verteilten sich Buchstaben in einem grellen Blau auf einem weißen Untergrund. Hotel Concorde. Und aus diesem Hotel stürmte plötzlich eine Gestalt. Im Nu erschien sie im Licht unserer Scheinwerfer. Es war zu erkennen, daß ein Farbiger das Haus verlassen hatte, und ich sah auch die grelle Angst in seinem Gesicht wie eingemeißelt. Er lief auf die Straße, ohne sich umzuschauen, und er hatte die Hände dabei ausgestreckt, als wollte er irgendeinen Feind abwehren. Der Feind war das Taxi. Unser Fahrer kreischte und schimpfte zugleich. Er trat aber auch auf die Bremse. Zu spät für den farbigen jungen Mann. Den erwischte die Frontpartie des Wagens! Das Taxi stand. Der Fahrer war wütend. Er trommelte mit beiden Händen auf den Lenkradring. Um den jungen Mann kümmerte er sich nicht, das überließ er uns. Suko, Abe und ich waren zur gleichen Zeit draußen. Der Vorfall war natürlich nicht unbemerkt geblieben. Für Sensationen hatte man hier immer ein Auge. So wunderte es mich nicht, daß aus allen Richtungen die Gaffer herbeiströmten. Trotzdem erreichten wir den jungen Mann zuerst, der auf der Seite lag. Das linke Knie hielt er mit beiden Händen umklammert, während das rechte Bein zuckte. Der junge Mann schaute uns an, Entsetzen zeichnete sein Gesicht. Mir kam der Gedanke, daß es nicht nur an diesem Aufprall liegen konnte. Er war wie von allen Teufeln gehetzt aus dem Hotel gerannt, als hätte er dort etwas Schreckliches gesehen. Ich fuhr ihn an. »Was ist los?« Er schüttelte den Kopf. »Was?« Plötzlich brach es aus ihm hervor. »Vampire!« brüllte er. »Blut und Vampire...!« Ich saß noch nicht mal eine Sekunde in der Hocke, dann schnellte ich ebenso hoch wie Suko und der G-man. Daß uns die Neugierigen umstanden, war uns egal. Wir räumten sie zur Seite. Die Reklame wies uns den Weg. Wenn, dann mußten sich die Vampire hier im Hotel aufhalten!
*** Orry saß auf dem Boden. Er wollte es nicht, aber er strich permanent durch sein Gesicht, verteilte das Blut, das aus den Kratzwunden lief, noch stärker, weinte, jammerte und hörte nicht weit von sich entfernt ein zufriedenes Knurren und Grunzen. Was dort geschah, das wollte er gar nicht sehen, es ging ihm gegen den Strich. Da war etwas im Gange, das es nicht geben konnte, von dem er höchstens mal geträumt hatte. Ihn hatten sie in Ruhe gelassen. Noch – denn als er wieder einmal durch die Lücken der gespreizten Hände schaute, da sah er den zweiten, diesen Blonden, der es nicht geschafft hatte, seinen Kumpanen zu bekommen, denn der war mit Riesenschritten nach draußen gerannt. Der Blonde schleuderte das blonde, strähnige Haar zurück, hielt die Augen weit geöffnet, die wie Diamanten strahlten, in einem kalten, brutalen Licht. Er hatte ein Opfer gefunden. Es hockte auf dem Boden, von der Angst gepeitscht und festgehalten. Die Zeit rann viel zu schnell vorbei, der Blonde war einfach zu nahe an ihn herangekommen, er würde... Ein scharfer Pfiff erklang. Nicht der Blonde hatte ihn ausgestoßen, sondern sein Bruder. Er war dabei in die Höhe gekommen, hatte von seinem Opfer abgelassen, und es kam dem Zuschauer vor, als würde er sich in zeitlupenartigen Schritten auf den Blonden zubewegen. Er packte ihn an der Schulter, wirbelte ihn herum, ließ keine Fragen zu und stieß ihn durch die offene Tür in die kleine Lobby des Hotels. Wohin sie sich von dort wandten, sahen weder Orry noch der RastaMann. Orry deshalb nicht, weil der Winkel zu schlecht war, und der zweite sah überhaupt nichts mehr, weil ihn der Vampir getötet hatte. Das Wort Vampir hatte auf uns gewirkt wie ein Kick oder ein Adrenalinstoß. Es gab keinen Grund, den Worten nicht zu trauen, denn so etwas saugte man sich nicht aus den Fingern, da mußte schon mehr dahinterstecken. Der Schwarze war geflohen, weil er den Vampir gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte er Glück gehabt, daß ihm der Blutsauger nicht an die Kehle gefahren war. Aber wie stand es mit den anderen Gästen des Hotels? Waren sie bereits angefallen worden? Ich konnte selbst nichts dagegen tun, aber diese Vermutungen und Fragen huschten immer wieder durch meinen Kopf. Der Job hatte es mitgebracht, immer einen Schritt nach vorn zu denken, um sich dann auf Eventualitäten einstellen zu können. Das Hotel zeigte sich der Gegend angepaßt. Es wich nicht von den anderen Bauten dieser Preisklasse ab. Die auf alt getrimmte Fassade, der Vorbau, die Balkone zur Straße hin, die wie große Rechtecke dicht an dicht lagen.
Die Umgebung raste vorbei. In der kleinen Lobby hinter der Tür war es glatt. Ich hörte eine Frau schreien und schaute nach rechts und sah sie an der Rezeption stehen. Aufgetakelt, nuttenhaftes Outfit und entsetzt. Ich hatte mich von dieser Person etwas zu lange ablenken lassen. Meine Freunde waren bereits in die andere Richtung fortgehuscht und in einer Hotelbar verschwunden. Was sie und ich sahen, war einfach furchtbar. Wie von einem Magneten angezogen, glitt unser Blick hin zu dem Toten. Diesem Mann war nicht mehr zu helfen. Er lag am Boden inmitten einer Blutlache, er war durch eine Waffe getötet worden, das erkannte ich auf den ersten Blick, und er wurde von einem ebenfalls jungen Mann mit einem Rasta-Schnitt angestiert, über dessen Gesicht das Blut in Fäden aus dünnen Wunden rann. Der junge Mann starrte seinen Freund an. Er war unfähig zu sprechen, er jammerte nur. Hinter der Theke stand eine Figur. Ich mußte zweimal hinschauen, um den Menschen zu erkennen, so steif verhielt sich die Bedienung. Auf einem Podest an der anderen Seite des Raumes stand ein Klavier, und ein alter Schwarzer saß davor. Er starrte ins Leere. Seine Lippen bewegten sich zitternd, als wäre er dabei, ein Gebet zu sprechen. Suko und Abe kümmerten sich um den Lebenden. Sie knieten neben ihm und hatten ihn in die Zange genommen. Mit ruhigen Stimmen sprachen sie abwechselnd auf ihn ein, denn dieser Mensch war ein Zeuge. Ob er den Schock überwinden und sprechen konnte, war fraglich. Ich kümmerte mich um den Klavierspieler. Am Eingang der Bar hatten sich Gaffer versammelt. Die grauenhaften Geschehnisse mußten sich blitzschnell herumgesprochen haben. Ich ging auf den Klavierspieler zu. Er sah mich kommen, bewegte sich zuerst nicht, dann ließ er eine Hand über die Klaviatur hinweggleiten, drückte sie nach unten und fing an zu klimpern. Die Töne hörten sich hell an und arhythmisch, wie ein makabres Totenlied. Erst als ich die beiden Stufen des Podestes erklommen hatte und neben ihm stehengeblieben war, stoppte er seine Spielerei. Er schaute mich an, seine Augen wirkten müde und wissend zugleich, doch die Angst sah ich nicht in ihnen. »Sie wissen Bescheid, Mister?« »Kannsein...« »Sie haben es gesehen.« »Ich war Zeuge.« »Und Sie sahen den Mörder?« Er schüttelte den Kopf. »Es waren zwei, Mister. Zwei Mörder, die hier die Hölle entfacht haben. Sie waren keine Menschen mehr.« Er redete mit tonloser Stimme. »Sie waren Boten aus dem Schattenreich. Geißeln, die uns die Hölle geschickt hat. Sie waren das, was man sonst nur aus verdammten Alpträumen kennt.«
»Vampire?« Der alte Musiker schaute mich an. Er nickte sehr langsam. »Es müssen Vampire gewesen sein, denn sie tranken das Blut. Aber sie tranken es anders als sonst. Sie... sie... umklammerten nicht die Hälse und hackten auch dort nicht hinein, sie machten es auf ihre Art und Weise. Der eine trank das Blut aus der Wunde.« »Bei dem jetzt Toten?« »Ja.« »Und wie passierte das?« Der Schwarze spielte eine leise Melodie. Dazwischen waren seine Worte zu hören. Ich schaute auf seine Finger, die sich noch so jung bewegten. Ich erfuhr, wie die beiden Blutsauger den Kampf aufgenommen hatten und daß ihnen auch ein Messerstich nichts hatte anhaben können. Sie waren einfach zu mächtig. Er hörte auf zu spielen, schaute mich an und nickte. »Jetzt wissen Sie alles.« »Ja, und dafür bedanke ich mich. Sie gestatten mir trotzdem noch eine Frage, Mister?« »Bitte.« »Kannten Sie die beiden? Oder sind sie Ihnen bekannt vorgekommen? Hier in der Stadt müssen sie eigentlich aufgefallen sein, denke ich.« Er schaute mich lange an. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte und fragte mich, ob ich eventuell etwas falsch gemacht hatte. Schließlich runzelte er die Stirn, seine Augen blickten plötzlich hellwach. »Kennen?« murmelte er. »Nein, das ist eigentlich zuviel gesagt. Ich kenne sie nicht. Zumindest nicht gut, aber ich weiß, daß sie hier gewohnt haben. Hier im Hotel. Da werden Sie die Namen der beiden Männer sicherlich bekommen, Mister.« Manchmal muß man eben Glück haben. Ich hatte Glück in dieser Situation und war wie elektrisiert. Ich konnte es nicht fassen. Ich begriff nicht, wie man so unvorsichtig sein konnte, dort zu leben oder zu wohnen, wo Morde begangen wurden. Vielleicht sah ich die Dinge auch falsch. Vampire sind keine Menschen, sie sind Wesen, die zwar menschlich aussehen, ansonsten aber nichts mit ihnen gemein hatten. »Sie wohnen hier!« flüsterte der Klavierspieler, dann drehte er sich von mir weg und schlug die Hände vor sein Gesicht. »Danke«, sagte ich und verließ meinen Platz auf dem Podium. »Sie haben mir sehr geholfen.« »Schon gut.« Ich ging zu den anderen beiden. Suko und Abe Douglas standen an der Bar und befragten den Typ dahinter. Bei ihm war nicht klar, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte. Wahrscheinlich um beides zusammen. Er hatte nicht viel reden können, weil er unter Schock stand. Er bewegte sich, aber an ihm wirkte alles fremd, und als ich meinen Kopf
nach rechts bewegte, wußten meine Begleiter Bescheid, daß ich ihnen etwas zu sagen hatte. Wir hörten den leisen Klang einer Sirene. Jemand hatte die Polizei alarmiert. Die Beamten würden überfordert sein, das stand für mich schon jetzt fest. Ich hatte nur zwei Sätze benötigt, um den Freunden die Sachlage zu erläutern. Sie konnten es kaum fassen, und den endgültigen Beweis bekamen wir an der Rezeption, als wir dort mit einer jungen Frau sprachen, die wie Espenlaub zitterte. In der Lobby standen die Gaffer. Stimmen durchwehten den Raum. Jeder hatte etwas zu sagen, jeder gab seine Meinung dazu, die Beamten würden sich um die Zeugen kümmern müssen, wir aber wollten von der jungen Frau wissen, wo die Zimmer der beiden lagen. »Sie hatten nur ein Zimmer.« »In welcher Etage?« fragte Abe. »Es ist die erste. Sie müssen ganz durchgehen. Der letzte Raum auf der linken Seite.« »Danke.« »Das Zimmer geht zum Hof.« Wir verschwanden, bevor noch die Kollegen eintrafen. Ihnen Rede und Antwort zu stehen, hätte zuviel Zeit gekostet. Einen Lift gab es in dem Hotel nicht. Wir mußten die Treppe nehmen. Unsere Hände strichen über das glatte Geländer hinweg, die Tritte wurden durch einen abgetretenen Teppich auf der Flurmitte gedämpft. Der Flur war dunkel. Es lag an den ebenfalls dunklen Mahagoniwänden. Nur wenige Messinglampen gaben ihren Lichtschein ab, der über das Holz hinwegfloß. Das letzte Zimmer auf der linken Seite. Wir erreichten es gleichzeitig und hatten auch unsere Waffen gezogen. »Wer zuerst?« fragte Suko. Ich griff bereits nach der Türklinke, dann stürmte ich in den Raum, wischte sofort nach rechts, während Suko zur anderen Seite hin abtauchte und nur unser Freund Abe auf der Schwelle stehenblieb. Seine und unsere Waffen wiesen in einen Raum, der von seinen Mietern verlassen worden war. Sie waren durch das Fenster verschwunden und hatten es auch nicht wieder verschlossen. Ich beugte mich hinaus. Unter mir befand sich der Hof, in dem einige Autos abgestellt waren. Von der gegenüberliegenden Hausseite fiel ein schmaler Lichtstreifen auf die Wagen, doch nichts bewegte sich in ihm. Die beiden Vampire hatten das Weite gesucht. Meine Freunde durchwühlten das Zimmer. Sie fanden zwei Koffer und waren recht zufrieden. Wenn die Vampire hier persönliche Dinge hinterlassen hatten, war es durchaus möglich, ihnen auf die Spur zu
kommen. Möglicherweise wollten sie ihre Sachen auch wieder abholen, denn die Flucht war überstürzt gewesen, und so hatten sie sich den Abgang bestimmt nicht vorgestellt. »Wir werden das Zimmer unter die Lupe nehmen!« versprach der FBIAgent. Das sollte er meinetwegen, ich hatte etwas anderes vor. Mein Gefühl sagte mir, daß die beiden Blutsauger nicht allzu weit geflohen waren. Sie hielten sich bestimmt in der Nähe versteckt, um das Haus zu beobachten, und vielleicht konnte ich sie finden. Ich trat auf den Balkon, stützte mich auf die Brüstung und blickte in die Tiefe. Für einen Sprung war es nicht zu hoch. Weder für die Blutsauger noch für mich, und bevor ich den Kollegen in die Arme lief, was bestimmt geschah, wenn ich den normalen Weg nahm, würde ich in den Hof springen. Mit der Ruhe war es vorbei. Der Krach an der Vorderseite des Hauses hallte über das Dach hinweg und erreichte auch meine Ohren. Der Klang der Sirenen hatte sich vervielfacht, und der schwache Widerschein eines Rotlichts fuhr über den Himmel. Ich brauchte nicht nach unten zu springen, denn über mir hörte ich plötzlich Stimmen. Zuerst dachte ich daran, daß sich jemand auf einen der Balkone in der zweiten Etage aufhielt. Ich beugte mich weit über die Brüstung hinweg, drehte dabei Körper und Kopf nach links, um so in die Höhe schauen zu können. Viel bekam ich nicht zu sehen. Treibende Wolken vor einem fast vollen Mond. Die dichte Bank war weiter aufgerissen, der Wind hatte sich leicht verstärkt, und die Wolkenränder bekamen einen grünlichblauen Schimmer, wenn der Mond sie anstrahlte. Die Stimmen hatte ich gehört, daran gab es keinen Zweifel. Flüsternde Worte, und ich hatte nicht herausgefunden, ob sie von einem Mann oder einer Frau abgegeben worden waren. Am Dachrand bewegte sich ein Schatten entlang. Nein, kein Schatten, eine Gestalt, denn das weiße Hemd war deutlich zu erkennen. Ein Mann. Der Vampir? Ich zögerte nicht mehr. Während Suko und Abe das Zimmer verlassen hatten, um mit den Kollegen zu sprechen, die in das Hotel hineingestürmt waren, kletterte ich an einem Verandapfosten in die Höhe und kam mir dabei vor wie ein Schüler, der sich in der Turnhalle an der Metallstange hochziehen muß. Es klappte besser, als ich gedacht hatte. Auf den anderen Baikonen befand sich niemand. Ich kletterte am nächsten Pfosten in die Höhe und sah vor mir den Dachrand. Mit beiden Händen klammerte ich mich fest. Meine Füße hatten jetzt keinen Halt mehr, sie baumelten. In dieser Lage war ich verwundbar, ich
mußte sie so rasch wie möglich überwinden. Klimmzug, einen Fuß in die Dachrinne, so arbeitete ich mich hoch. Dann wälzte ich mich auf das Flachdach. Ich sah die Schornsteine wie starre Arme in die Höhe ragen, aber nichts von den beiden Gestalten, die miteinander geflüstert hatten. Ich blieb in einer geduckten Haltung. Nur langsam stemmte ich mich wieder hoch, schaute mich um und mußte feststellen, daß ich allein auf dem Hoteldach war. Aus der Tiefe floß das Licht der Polizeilampen hoch. Das Wimmern der Sirenen war verstummt. In der engen Straße ballte sich der Klang menschlicher Stimmen, auch ihr Echo lenkte mich ab. Ich dachte darüber nach, ob mir ein Irrtum unterlaufen war. Das wollte ich nicht zugeben, ich hatte die Stimmen gehört, sie waren keine Einbildung gewesen, und ich huschte jetzt auf die andere Seite des Dachs zu, wo meine Sicht nicht mehr durch die dünnen Kamine zu stark eingeschränkt wurde. Mir fiel ein, daß sie als Deckung dienen konnten. Hoch genug waren sie, um einem Menschen Schutz zu bieten. Mit diesem Gedanken hatte ich mich kaum beschäftigt, als es passierte. Urplötzlich traten die beiden Gestalten aus dem Schutz eines Schornsteins hervor. Der eine mit dunklen Haaren, der andere mit langen blonden. Sie sahen mich, ich sah sie. Und wir wußten sofort, daß wir Todfeinde waren! *** Die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß es auch unter den Vampiren Unterschiede gibt. Ich wollte nicht erst bei Mallmann beginnen, der sich seine Vampirwelt aufgebaut hatte, nein, auch die normalen Blutsauger verhielten sich nicht immer gleich, und diese beiden hier gehörten zu einer besonderen Sorte. Das sah ich ihnen nicht nur an, das hatte ich auch durch die Zeugen erfahren müssen, und als ich die dunkle Nässe auf der Kleidung des schwarzhaarigen Blutsaugers sah, da wußte ich, daß es sich nur um Blut handeln konnte. Das Blut des Toten, den ich in der Bar gesehen hatte, der von dieser Gestalt mit einem Messer angegriffen und verletzt worden war, wobei ihn schließlich der Tod erlöst hatte. Noch taten sie nichts. Sie waren überrascht. Wohl deshalb, daß es jemand gewagt hatte, ihnen zu folgen. Beide schauten sich an. Ich nutzte die Chance, unbeobachtet nach der Kette mit dem Kreuz zu greifen und zog es unter dem Wollhemd hervor. Ich hätte auch mit geweihten Silberkugeln auf sie schießen können, aber irgend etwas hielt mich davon ab. Vielleicht ahnte ich, daß sie zu stark waren, um an einer Silberkugel einzugehen, vielleicht hatte es auch an der Bewegung
gelegen, die doch aufgefallen wäre, denn der Griff zur Waffe war nicht normal und signalisierte dem anderen höchste Alarmbereitschaft. Mein Kreuz schimmerte, als es seinen Platz unter dem Hemd verließ. Ein einsamer Lichtfleck mußte sich auf ihm gefangen haben, er irritierte auch die beiden Blutsauger, und plötzlich stand ich wieder für sie im Mittelpunkt. Sie starrten mich an. Ich hielt ihnen mein Kreuz entgegen. Noch waren wir einige Schritte voneinander entfernt, aber die Reaktion ließ bei ihnen nicht auf sich warten. Sie waren beide geschockt. Der Blutsauger mit den langen, blonden Haaren riß plötzlich sein Maul auf, und ich sah seine beiden bösen Zähne. Er breitete die Arme aus, sein Hemd flatterte, weil es von einem Windstoß erfaßt worden war, der so stark war, daß der Vampir abhob. Diese Tatsache ließ mich erstarren! Damit kam ich nicht zurecht. Ich schüttelte den Kopf, traute meinen Augen nicht, vertraute aber auf den Glanz und die Wirkung meines Kreuzes, denn es würde mir die Blutsauger vom Leib halten. Der andere reagierte schneller. Er besaß noch immer das Messer. Es steckte in seinem Gürtel, Die Hand huschte hin, er zog es hervor und bewegte seinen Arm zurück und dann nach vorn. Bevor ich noch meine eigene Waffe ziehen konnte, schleuderte er die Klinge auf mich zu. Auch wenn er kein geübter Messerwerfer war, es bestand durchaus die Gefahr, daß ich getroffen wurde. Deshalb mußte ich blitzschnell abtauchen. Ich prallte mit dem Rücken gegen einen der Schornsteine. Am Schulterblatt spürte ich einen scharfen Schmerz und hörte es in meiner Nähe klirren, als das Messer aufschlug. Ich griff zur Waffe. Noch halb liegend und mitten in der Bewegung erstarrte ich, denn vor meinen Augen spielte sich etwas Ungeheuerliches und auch Unwahrscheinliches ab. Beide Blutsauger waren in die Höhe gestiegen. Sie hatten tatsächlich vom Dach abgehoben, sie schwebten über mir, zwei Gestalten, vom Wind in die Höhe gedrückt, flach auf dem Bauch liegend, dabei mit ausgebreiteten Armen, die vom flatternden Stoff der Hemden umweht wurden. Ihre Gesichter waren so bleich, daß ich sie genau erkennen konnte, bösartige, glatte Fratzen, auf eine gewisse Art und Weise faszinierend und auch erotisch, und sie waren gut, sogar verdammt gut, denn sie beherrschten die Kräfte der Natur. Mit einem heftigen Ruck stiegen sie hoch!
Sie jagten in den nachtdunklen, wolkigen Himmel hinein, als wollten sie den Mond küssen. Ich hatte auf sie anlegen wollen, mußte die Beretta jedoch sinken lassen, denn sie waren einfach zu schnell für mich und die Kugel. Wie zwei flatternde Schattenwesen glitten sie höher in den Himmel, und ich wußte nicht, ob sie sich dabei in große Hedermäuse verwandelten oder nicht. Schon sehr bald hatten die Wolken sie verschluckt und würden sie auch so leicht nicht mehr hergeben. Ich hatte das Nachsehen. Natürlich war ich sauer, aber ich wußte auch, daß es sie gab. Ich hatte sie gesehen, ich würde sie identifizieren können. Sie waren bestimmt nicht namenlos, denn auch in einem Hotel wie diesem mußte man sich eintragen. Ich wartete noch eine Weile ab, aber sie kehrten nicht mehr zurück. Dann suchte ich die Mordwaffe, fand das Messer nicht weit von mir entfernt und legte ein Taschentuch darum, bevor ich es aufhob. Der große Streß war vorbei. Die Müdigkeit hatte sich in meine Glieder geschlichen und machte sie schwer. Es lag nicht nur an der Hektik, die uns umfangen gehalten hatte, sondern auch am Wetter, denn im Gegensatz zu London war dieses Klima hier nichts für uns, zumindest nicht in dieser Jahreszeit. Mit müden Schritten bewegte ich mich auf eine Klappe zu, die ich nur anzuhieven brauchte. Darunter lag der Zugang zum Hotel. Ich ging über eine Holzstiege in die zweite Etage hinein und erreichte damit die Hektik und Unruhe. Die Polizisten hatten die einzelnen Etagen abgesperrt. Auch mich wollte man aufhalten, als ich von oben kam. Der Uniformierte griff sogar nach der Waffe. Zum Glück tauchte hinter ihm Abe Douglas auf, der die Sache klärte. Ich drückte mich an dem Wachtposten vorbei und nahm noch dessen Schweißgeruch wahr. »Was hast du erreicht?« fragte der Abe. »Nicht viel.« »Wieso?« »Erzähle ich dir gleich. Zuvor noch eine andere Frage. Habt ihr die Namen der beiden Männer herausbekommen?« »Ja, es sind Brüder. Der Blonde heißt Jacques Lacourte, der andere mit Vornamen Igor.« »Gut. Und weiter?« »Nichts weiter.« »Habt ihr die Namen nicht abchecken lassen?« »Ja, das haben wir, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Sie waren nicht registriert.« »Das dachte ich mir.«
»Weißt du mehr?« Ich hob die Schultern. »Alles, was ich sah, ist Spekulation. Sie sind mir entwischt, Abe, das mal vorweg.« »Entwischt?« »Ja.« »Wie denn?« Ich deutete nach oben. Douglas bekam große Augen. »Durch die Luft?« hauchte er. »Das kann doch nicht wahr sein.« »Es ist aber so.« Der G-man holte tief Luft. »Na denn«, sagte er und strich über seine Haare. »Da werden wir ja noch Spaß bekommen, denke ich...« In den frühen Morgenstunden erreichten wir endlich unser Hotel und waren froh, uns in die Betten werfen zu können. Viel tun konnten wir nicht, eine Fahndung lief, und es würde auch sehr intensiv nach der Herkunft der beiden Brüder geforscht werden. Das konnten wir den Experten überlassen. Uns war der Schlaf wichtiger, und die folgenden Stunden rauschten tief und traumlos an mir vorbei. Ich wurde wach, weil die Sonne in mein Zimmer in der achtzehnten Etage schien und mich zwang, die Augen zu öffnen. Ich kam mir wie zerschlagen vor, müde, hörte das Summen in meiner Nähe und stellte fest, daß es die Klimaanlage war. Mühsam kam ich hoch, blieb auf der Bettkante sitzen, stöhnte und rieb dabei mein Gesicht. Es war nicht meine Nacht gewesen, und wie es so aussah, würde es auch nicht mein Tag werden. Blei in den Knochen, Blei im Kopf, keine Lust und das Wissen, auf der Todesliste zweier Vampir-Brüder zu stehen. Ich kannte mich und wußte auch, daß die Welt nach einer Dusche wieder ganz anders aussehen würde. Davon hielt mich zunächst das Telefon ab, das auf dem Nachttisch summte. Ich wußte, wer es war und verzog das Gesicht, weil Sukos Stimme so frisch klang. »Bist du fertig, John?« »Wie meinst du?« »Ich wollte eigentlich frühstücken.« »Geh schon mal vor.« Suko lachte. »Weißt du eigentlich, wie deine Stimme klingt?« »Ja, das höre ich selbst. Du brauchst mir nichts zu sagen. Ich kann dir versichern, daß ich die Minibar nicht ausgeräumt habe.« »Hätte ich dir auch nicht zugetraut.« »Bis gleich dann.« Der Hörer fiel wieder zurück, ich erhob mich endgültig und betrat das Bad. Es war zu klein für das Geld, was ich für das Zimmer bezahlte, aber
über diese Dinge wollte ich mich nicht aufregen. So etwas war eben nicht zu ändern. Die Dusche tat gut. Auch in dieser Etage hatten die Strahlen den nötigen Druck, und als ich mich noch kalt duschte, da ging es mir schon wieder besser. Auch mein Gehirn arbeitete wieder. Während ich das Haar kurz fönte, dachte ich über den Fall nach, und natürlich standen die beiden Vampir-Brüder im Mittelpunkt, die Jacques und Igor Lacourte hießen. Namen, die ich als außergewöhnlich einstufte. So hieß man eigentlich nicht, es sei denn, man gehörte einer bestimmten Kaste an, war im Filmgeschäft tätig oder hatte sich ein Pseudonym als Schriftsteller zugelegt. Oder man wollte eine gewisse Vergangenheit vergessen machen. Ich befand mich hier im amerikanischen Süden, der noch heute seinen französischen Einfluß nicht verleugnen konnte. Es gab sogar Separatisten, die eine Ablösung des Staates von den USA wünschten, aber deren Wünsche würden immer Träume bleiben. Französischer Einfluß, der sich in mehr als zweihundert Jahren aufgebaut hatte. Herrenhäuser, Baumwolle, Sklaven, elegante Menschen, in Kleidung gehüllt, die der dieser beiden Vampir-Brüder gar nicht so unähnlich war. Alte Kleidung. Aus dem letzten Jahrhundert... Ich fing an zu überlegen, und es war nicht mal schwer, auf die richtige Schiene zu gelangen. Ich konnte durchaus davon ausgehen, daß die beiden Vampir-Brüder Überbleibsel aus dem letzten Jahrhundert waren, die überlebt hatten. Vampire taten das immer. Vampire brauchten keine normale Nahrung. Das Blut der anderen Menschen garantierte ihm das Leben und auch das Überleben. Der Name Lacourte hatte sich bei mir festgesetzt. Es würde bestimmt nicht schwer sein, den Weg dieses Namens zurückzuverfolgen, und dann gab es da noch den Geheimbund, von dem Freund Abe Douglas gesprochen hatte. Bestimmt paßte das eine zum anderen, aber das würde sich noch herausstellen. Ich fuhr mit dem Lift nach unten. In der Halle herrschte der morgendliche Betrieb. Sie war klimatisiert, und wenn ich durch die Glaswände nach draußen schaute, dann sah ich die Sonne wie einen großen Messingball am Himmel schweben. Ein Lächeln umhuschte meine Lippen, wenn ich an die Sonne dachte. Sie war der Todfeind der Vampire, und sie würde die Brüder auf Distanz halten. Suko saß nicht mehr allein am Tisch. Abe Douglas war schon eingetroffen und frühstückte mit ihm. Beide waren in ihr Gespräch vertieft
und bemerkten mich erst, als ich mein Glas mit Orangensaft auf den Tisch stellte und einen »Guten Morgen« wünschte. »Auch schon wach?« »Nicht richtig, Abe.« Ich ging zum Büffet und entschied mich zunächst einmal für Rührei mit Speck. Zwischen Suko und Abe fand ich meinen Platz. Die beiden Männer lächelten mich an. »Was ist?« »Iß erst mal, John.« »Danke, mein lieber Abe. Gibt es was Neues?« »Ja.« »Ich höre.« »Später.« »Wie du willst.« Ich schenkte mir aus der Warmhaltekanne Kaffee ein, der schwarz war wie Teer. Er schmeckte mir nicht besonders und hielt keinem Vergleich mit dem Getränk meiner Sekretärin Glenda Perkins stand. Der G-man hielt auch nicht lange mit den Informationen hinter dem Berg. Er sah ziemlich müde aus, unter den Augen lagen Schatten, aber er zeigte es zumindest nicht. »Es gibt die Spur zu den Lacourtes«, sagte er. »Das dachte ich mir. In der Vergangenheit, nicht?« »Richtig, John.« »Was ist mit ihnen geschehen?« »Sie waren einmal sehr reich und mächtig. Ein großes Geschlecht aus dem Süden Frankreichs. Noch leben zahlreiche Lacourtes dort, aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts sind einige aus dem Clan in die Staaten ausgewandert, haben sich hier in der Nähe von New Orleans festgesetzt und ihr Geld mit Baumwolle gemacht. Ihnen gehörten große Plantagen, sie beschäftigten zahlreiche Sklaven, und sie gehörten auch immer zu den ersten Adressen, wenn es darum ging, große Feiern und Feste zu geben. Da waren sie dann top.« »Und wann kam der Bruch?« fragte ich. Abe Douglas hob die Schultern. »Wie bei so vielen Familien. Es begann mit dem Bürgerkrieg. Der stolze Süden wurde geschlagen. Die großen Familienclans wurden zerrissen. Es gab wohl keine Familie, die nicht einen oder mehrere Tote zu beklagen hatte, und wie ich nachlesen konnte, wurden auch die Lacourtes davon nicht verschont.« Ich schob meinen leeren Teller zur Seite. »Moment mal, sag nur nicht, daß die beiden Blutsauger auch in den Seziessionskrieg gezogen sind. Als Vampire und...« »Nein, die nicht.« »Aha.«
»Die blieben auf ihrem Wohnsitz. Die Familie flüchtete und verstreute sich in alle Winde, aber die Brüder blieben zurück. Sie wollten nicht, sie wollten die Soldaten des Nordens erwarten, was sie auch taten. Welches Drama sich in ihrem Haus genau abgespielt hat, weiß niemand. Es gibt auch keine Unterlagen darüber, aber eines ist sicher. Das Haus brannte ab. Wer es angezündet hat, die Vampire oder die Soldaten des Nordens, konnte auch nicht geklärt werden. Ich weiß auch nicht, ob Tote zurückgelassen wurden. Aber fest steht, daß die Brüder überlebt haben, und zwar mehr als hundert Jahre.« Ich nickte. »Und sie sorgen wieder für Furore«, sagte Suko. Das hörte ich, als ich wieder zum Büffet ging. Es gab auch heiße, gut gewürzte Bohnen, die ich mir auf einen Teller häufte. Dazu nahm ich Brot. Wenn ich schon mal hier war, wollte ich auch kreolisch essen. Als ich mich setzte, sah ich Abe Douglas an, daß er noch einen Trumpf in der Hinterhand hielt. »Los, rück schon raus damit! Was ist das Fazit?« »Es sieht gut aus.« »Wieso?« »Wir haben herausgefunden, daß die beiden Brüder ihr Haus oder ihren Stammsitz wieder aufgebaut haben.« Mir fiel fast die Gabel aus der Hand, so überrascht war ich. »Und das stimmt?« »Ja.« »Auch an derselben Stelle?« Er nickte. Ich aß meine Bohnen. Sie waren scharf gewürzt, aber ich stand es tapfer durch. Suko mampfte neben mir Joghurt und frisches Obst, er war mal wieder auf dem Gesundheitstrip und hatte über seinen Joghurt sogar noch Sonnenblumenkerne gestreut, Vogelfutter. »Wie ich dich kenne, Abe, hast du dich mit diesen Auskünften nicht zufriedengegeben, sage ich mal.« »Stimmt.« »Was hast du noch herausgefunden?« Er zündete sich eine Zigarette an, obwohl das hier nicht gern gesehen wurde, aber wir hockten nun mal in der Raucherecke, und es standen auch Aschenbecher auf den Tischen. »Wir haben herausgefunden, daß dieses Haus nicht leersteht. Es ist bewohnt.« »Von den beiden?« »Davon gehe ich aus.« »Warum weißt du es nicht?« »Bei den Nachforschungen mußte ich vorsichtig sein. Das Haus liegt nicht direkt in New Orleans, sondern südwestlich davon, auf der Halbinsel, die in den Golf hineinragt. Auch dort sind zahlreiche kleine Orte. Ich habe mit dem für sie zuständigen Sheriff telefoniert, der mir
berichtete, daß in diesem Haus oft Versammlungen stattfinden, die Leute aber unter sich blieben und Fremde waren.« »Das paßt zu unserer Geheimbund-Theorie«, sagte ich. »Eben.« »Und bringt mich wieder auf einen gewissen Frank Clayton, dessen tote Frau wir gefunden haben.« Abe lächelte nur. »Was hast du?« Mir gefiel das Lächeln nicht. »Habe ich etwas Falsches gesagt?« »Nein, das nicht. Natürlich bin ich auch darauf angesprungen und habe sogar versucht, den Kollegen zu erreichen.« Ich hob den Blick. »Zu raten brauche ich nicht. Du hast es nicht geschafft, Abe.« »So ist es.« »Warum nicht?« »Clayton hat seit gestern Urlaub. Und keiner seiner Kollegen weiß, wohin er gefahren ist.« Die Aussage konnte mich nicht mal überraschen, denn an Claytons Stelle hätte ich nicht anders gehandelt. »Hat er denn keine Andeutungen gemacht?« »Nur sehr vage.« »Wie wage?« »Er sprach davon, daß er im Urlaub seine Erfüllung finden würde, daß es endlich soweit gekommen wäre.« »Hört sich direkt religiös oder pseudoreligiös an. Sekte, Sektierer und so weiter.« »Sogar ägyptisch.« »Ach.« Abe nickte. »Ich weiß es aus seinem Umfeld. Clayton hat sich in der letzten Zeit viel mit den alten Ägyptern beschäftigt und mit ihrem Glauben und der Mystik.« »Auch mit Vampiren?« fragte Suko. Darauf konnte ihm ein Mann wie Abe Douglas keine Antwort geben. Das wollte Suko auch nicht, denn bei seiner Frage hatte er mich angeschaut. Ich war zwar kein Experte, was die alten Ägypter und ihre Kultur anging, aber ich wußte, daß es viele dunkle Stellen gab und Vampire durch viele Mythologien geisterten. Sie traten oft unterschiedlich auf. Mal in menschlicher Form, dann wieder als monströse Fabelwesen. »Und diese hier können fliegen«, sagte ich, noch immer in Gedanken versunken. »Ich habe gesehen, wie sie vom Dach des Hotels aufstiegen, als wollten sie die Wolken erreichen.« Ich hob die Schultern. »Es war ein Bild, das ich nicht vergessen kann. Sie standen vor mir, dann hoben sie ab, plötzlich kippten sie, und dann waren sie plötzlich weg.« Ich runzelt die Stirn und fügte leise hinzu: »Dabei haben sich die beiden nicht in Hedermäuse verwandelt. Sie müssen wirklich etwas Besonderes sein.«
»Und sind wieder in Action«, bemerkte Douglas. »Okay«, sagte ich und nickte. »Wir haben einen Vorteil. Vor uns liegt ein ganzer Tag. Wie es aussieht, wird dieser Tag sonnig werden, und ich könnte mir vorstellen, daß es nicht eben das ideale Wetter für unsere beiden Bluttrinker ist. Wir werden die Stunden nutzen.« Abe Douglas lächelte. »Mein Wagen steht in der Hotelgarage. Wir können sofort starten.« »Moment noch.« Ich deutete auf den leeren Teller, auf dem einmal die Bohnen gelegen hatten. »Das Zeug hat mich durstig gemacht. Ich werde mir noch Saft holen.« »Tu das.« Ich setzte mich nicht mehr hin, sondern leerte das Glas am Büffet stehend. Neben mir stand eine junge Frau und lächelte mich an. Ich lächelte zurück und wünschte ihr noch einen schönen Tag. »O danke, den werde ich bestimmt haben, Mister.« Ich nicht, gab ich zurück. AbeT nur in Gedanken, denn ich wollte nicht die Frau enttäuschen... *** Sie standen in der großen Halle des Hauses und umarmten sich. Sie hatten kein Licht gemacht, die Vorhänge waren zugezogen worden, so daß das Innere des wieder aufgebauten Hauses einem großen Schattenreich glich, in dem es leer war, denn auf Möbelstücke hatten die Brüder verzichtet. Das brauchten sie nicht in ihrer Welt. Dafür war der Boden der Halle mit schwarzen Symbolen bemalt worden, die nur Eingeweihten bekannt waren. Zwischen den Symbolen hockten ungewöhnliche Tiere, die aussahen wie Kreuzungen aus Katzen und Wölfen, aber eines gemeinsam hatten. Weit aufgerissene Mäuler, aus denen spitze Vampirzähne hervorragten wie Messer. Es war ihre Welt. Es war ihre Vergangenheit, ihre uralte Vergangenheit, ihr archaisches Leben. Sie schauten sich an und lächelten dabei. Sie zeigten sich gegenseitig ihre Blutzähne, und sie ergötzten sich dabei am Funkeln in ihren Augen. Der blonde Blutsauger wirkte immer mehr wie ein Engel oder ein Zwitter, weil das Weibische bei ihm zum Vorschein kam. Das Gesicht hätte auch einer Frau gehören können, so weich war es geschnitten und konturiert. »Es war gutes Blut, das wir bekommen haben«, flüsterte Igor. »Ich hätte es auch nicht mehr länger ausgehalten.« »Stimmt, aber wir müssen vorsichtig sein. Ich habe immer wieder an den Mann denken müssen.« »An den mit dem Kreuz?«
»Ja.« Auch Igor nickte. Und er behielt das Nicken bei, als er einige Schritte zur Seite ging. »Dieser Mann ist ungewöhnlich, Bruderherz. Ich will nicht unbedingt schwarzsehen, aber ich könnte mir vorstellen, daß wir ihm nicht entkommen wären, hätten wir nicht unsere besonderen Kräfte besessen, das Erbe der Vergangenheit.« »Was meinst du genau?« Igor drehte sich wieder um, damit er seinen Bruder anschauen konnte. Im Gegensatz zu Jacques war er derjenige, der weniger emotional reagierte, abgesehen davon, wenn ihn ein plötzlicher Blutrausch überkam. Auch jetzt machte sich dieser Unterschied wieder bemerkbar, denn er hatte diesen Mann besonders unter Kontrolle gehalten und sich dabei auch auf sein Kreuz konzentriert. »Ich möchte mit dir über das Kreuz sprechen, Bruder.« Jacques winkte ab. »Warum? Es kann uns nichts anhaben. Wir haben es gesehen, und wir...« »Haben fliehen müssen, Bruder.« Igor ging wieder auf Jacques zu. »Ja, wir haben fliehen müssen, denn dieses Kreuz besaß eine Besonderheit, wie du weißt.« »Nein...« Die Antwort klang unsicher und zögernd. »Hast du nicht das Auge gesehen?« »Das... Auge...?« »Ja, das Allsehende Auge. Ich habe es gespürt. Es war wie ein Schlag, und es war gut, daß wir so schnell verschwunden sind. Dieser Mann ist gefährlich, und ich denke, daß er uns auf der Spur bleiben wird, da er sie schon aufgenommen hat.« »Dann müßte er herkommen, Bruder.« »Damit rechnete ich sogar.« Jacques Lacourtes Mund zeigte ein widerliches Lächeln. »Könnte uns Besseres passieren, Igor?« Er legte seine Hände auf die Oberarme des Bruders. »Könnte uns wirklich etwas Besseres passieren? Wir werden ihn packen, wir werden ihn fangen, und wir werden sein Blut trinken. Das Blut unserer Feinde hat uns schon immer mehr Kraft gegeben als der Lebenssaft eines normalen Menschen. Kannst du dich daran nicht erinnern? Weißt du denn nicht mehr, wie es damals gewesen ist, als die Soldaten kamen, uns erschossen, sich anschließend betranken und wir das Blut ihres Anführers getrunken haben? Ich schmecke es noch immer, obwohl es schon so weit zurückliegt. Aber ich erinnere mich gern an diese Köstlichkeit. Es war das Blut eines Todfeindes, und so wird es heute auch wieder sein.« Igor schüttelte den Kopf. »Warum tust du das, Bruder?« »Weil du die beiden Männer nicht miteinander vergleichen kannst, mein Lieber.«
»Wieso denn nicht?« »Dieser Soldat ist ahnungslos gewesen. Er wußte nicht, was auf ihn zukam. Das wird dir bei dem anderen Mann nicht passieren. Er weiß Bescheid, und er ist erschienen, um uns zu jagen. Hast du das vergessen?« »Nein, habe ich nicht.« »Dann solltest du dich danach richten.« Jacques überlegte. »Schön, aber kannst du mir auch sagen, was ich da tun soll?« »Natürlich. Du wirst die Augen ebenso offenhalten wie ich. Wir werden alles genau kontrollieren. Wir werden auf jede Veränderung in unserer Umgebung hier achten. Das müssen wir tun.« »Schon jetzt?« »Ja.« »Aber es ist Tag und...« »Wir werden natürlich ruhen, aber ich möchte dir trotzdem etwas zeigen, Bruderherz.« Jacques war irritiert, weil er von Igor angelächelt wurde. Sekundenlang stand er in einer Abwehrhaltung. Igor tat es trotzdem. Er legte seinem Bruder die flache Hand auf die Schulter und drückte ihn so herum. Dann schob er ihn vor, und beide gingen auf eines der Fenster zu, dessen Scheibe durch den Vorhang abgedeckt worden war. »Was soll das?« Jacques stemmte sich wieder gegen den Griff. »Dahinter lauert ein Todfeind, die Sonne.« »Ich weiß, aber ein kurzer Blick müßte uns reichen, dann wirst du anders denken.« Jacques war einverstanden. Manchmal war es besser, wenn er seinem Bruder gehorchte. Igor zog den Vorhang nicht ganz auf, ein Spalt reichte aus, um ein gutes Blickfeld zu haben, und beide Brüder schauten über den Platz bis hin zu den Bäumen, wo es große Lücken gab. Dahinter führte eine Straße vorbei, die es damals noch nicht gegeben hatte. Und auf dieser Straße stand der Wagen des Sheriffs. Igor ließ den Vorhang wieder zusammenfallen. »Du hast ihn gesehen, Bruderherz?« Jacques ging einige kleine Schritte zurück. »Ja.« »Er beobachtet uns.« »Wer?« »Es muß der Sheriff sein.« Jacques’ Augen funkelten. Er senkte seine Stimme. »Ein Mensch also, nicht wahr?« . »Natürlich.« »Holen wir uns sein Blut.« »Nein, nicht jetzt.«
»Aber wenn er ein Feind ist. Die Sonne scheint, sie wird uns schwächen, doch es gibt auch Schatten, den wir ausnützen können. Wir werden einen Bogen schlagen und...« Igor schlug leicht gegen das weiche Fleisch auf der Wange seines Bruders. »Wir tun nichts, Jacques’ gar nichts. Wir werden hier warten und die Dinge auf uns zukommen lassen.« »Daß er uns...« »Er wird nichts mehr tun können«, erklärte Igor mit ruhiger Stimme. Damit hatte er seinen Bruder verunsichert, der fragte: »Weißt du denn mehr als ich?« »Ja.« »Was?« »Wir haben Freund und Helfer. Dieser Mann im Wagen ist schon so gut wie tot. Er weiß es nur nicht. Wir werden uns jetzt ein wenig ausruhen, um am Abend unsere Gäste begrüßen zu können. Es wird für alle ein wichtiger Tag werden, das weißt du.« »Stimmt.« »Dann komm, Bruder.« Igor nahm Jacques wie einen kleinen Jungen an die Hand und führte ihn weg... *** Der Sheriff in diesem Distrikt hieß Gary Ducess. Er war ein Mann von fünfundvierzig Jahren und hatte den Posten seit genau fünf Jahren inne. Ginge es nach ihm, würde er ihn bis zur Pensionierung behalten. Den Job, ein Haus zu beobachten, hätte er normalerweise seinen Mitarbeitern überlassen, doch der Auftrag war vom FBI gekommen. Sie hatten ihn um Unterstützung ersucht. Dieses Haus hinter den Bäumen. Ducesse, dessen Haut für diese Gegend eigentlich recht hell war und ein Muster aus Sommersprossen zeigte, nagte auf der bleichen Unterlippe. Schon oft genug hatte er sich darüber Gedanken gemacht. Es war erst in den letzten beiden Jahren nach den alten Plänen aufgebaut worden, und die Besitzer, zwei Brüder, die man kaum zu Gesicht bekommen hatte, mußten sehr viel Geld besitzen, um so etwas durchzuziehen. Vielleicht waren sie auch entschädigt worden, denn das Haus ihrer Familie war während des Bürgerkriegs abgebrannt. So etwas hatte gerade bei den stolzen Südstaatler-Familien tiefe Wunden hinterlassen, die auch nach mehr als hundert Jahren noch nicht verheilt waren. Noch etwas ärgerte den Sheriff. Man hatte ihm zwar gesagt, was er tun sollte, aber man hatte ihn nicht in die Details eingeweiht. Das paßte ihm überhaupt nicht, denn ein Sheriff war so etwas wie ein kleiner Herrgott. Er hatte zu sagen und brauchte keine Befehle anzunehmen.
Im Wagen war es warm, und deshalb hatte er das Fenster herabfahren lassen. Die Luft streichelte sein Gesicht und glitt auch über die Schweißperlen auf seiner Stirn hinweg. Sie roch alt und feucht. Er stellte wieder einmal fest, daß es für diese Jahreszeit viel zu warm war, aber auf das Klima konnte man sich nicht mehr verlassen. Ebensowenig wie auf die Menschen, die ihn immer wieder enttäuschten. Zuletzt noch seine Frau, die kurzerhand von einem auf den anderen Tag verschwunden war. Sie hatte ihn verlassen, war in eine Großstadt gefahren, um dort ein Leben zu führen, das nicht von Enge, Spießigkeit und von Mief geprägt war. Sie wollte zunächst einmal nicht die Scheidung, aber sie brauchte Abstand, auch von ihrem Mann, der hier geboren war. Ducesse stöhnte auf. Die Weiber, dachte er, kein Verlaß mehr auf sie. Das hatte es früher nicht gegeben. Wenn er da an seine Mutter dachte, sie hatte immer an der Seite seines Vaters gestanden, und es war für sie nicht leicht gewesen, mit einem jähzornigen Polizisten zu leben, der zudem noch für einige Jahre dem Klan angehört hatte und sich immer davor hatte fürchten müssen, enttarnt zu werden. Gary kam ganz auf seinen Vater. Er war ebenso breit und massig, ebenso hellhäutig. Selbst im Denken waren sie sich ziemlich gleich, aber das gab der jetzige Sheriff öffentlich nie zu. Er wartete. Er fluchte, und er stellte sich dabei diese beiden Brüder vor, die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Diese Weichlinge, die aussahen, als stammten sie aus dem letzten Jahrhundert und wären aus dieser Zeit zurückgekehrt. So wie sie sich kleideten, lief man heute nicht mehr herum. Das paßte einfach nicht in die Zeit. Es war dem Sheriff nicht gesagt worden, wie lange er das Haus beobachten sollte, und er würde sich hier auch keine Stunden aufhalten, das stand fest. Noch vor dem Mittag würde er in die Stadt fahren und einen anderen mit der Observierung beauftragen. Hin und wieder hob er das Glas und holte die breite Fassade nahe heran. Das Haus war prächtig, es gefiel ihm, aber ihm gefiel nicht, daß tagsüber die Vorhänge zugezogen waren. Wer das tat, hatte etwas zu verbergen. Neugierig war der Sheriff schon immer gewesen. Ihn drängte es, nachzuschauen, was sich hinter den Vorhängen abspielte. Dabei stellte er sich die ungewöhnlichsten Szenen vor, wobei. die meisten davon mit Sex zu tun hatten. Diese beiden Typen waren zwar nicht sein Fall, er sah sie sogar als schwul an, komischerweise aber flogen manche Frauen auf sie, und das konnte Ducesse nicht begreifen. Sicherlich würden ihnen die Frauen auch in dieses Haus folgen, und er schüttelte sich, wenn er daran dachte. Zugezogene Vorhänge...
Konnten sie deshalb geschlossen worden sein, damit niemand sah, welche heimlichen Orgien sich dahinter abspielten? Der Sheriff leckte über seine Lippen. Er brauchte mal wiedej einen spektakulären Fang, um in die Zeitungen zu kommen und in die regionalen TV-Sender. Wäre das nichts, wenn es ihm gelänge, eine dieser Lasterhöhlen auszuheben? Es wäre super gewesen. Nicht, daß er diese Orgien haßte, aber er war frustriert darüber, daß man ihn nie dazu einlud, denn er hätte für sein Leben gern mitgemacht. Wenn schon nicht auf diese Art und Weise, dann eben auf die andere. Der Gedanke setzte sich immer stärker in seinem Kopf fest. Er kannte sich selbst sehr gut. Irgendwann würde er soweit sein, daß er seine Order über Bord warf und allein die Verantwortung übernahm. Noch einmal hob er das Glas an. Sehr nahe befanden sich die Fenster vor ihm. Er schaute nach rechts. Fenster für Fenster wanderte durch sein Blickfeld, und überall waren die Vorhänge von innen zugezogen. Oder? Einer bewegte sich. Ein kleiner Spalt entstand, eine schmale Öffnung. Keine Täuschung und auch nicht durch den Wind bewegt. Ein Spalt, durch den er in das Zimmer schauen konnte. Ducesse war plötzlich aufgeregt. Er kaute, ohne zu essen, und er glaubte auch, die beiden Gestalten hinter dem Spalt erkannt zu haben. Sie schauten ebenfalls in seine Richtung! Hatten sie ihn gesehen? Ja, das mußten sie, wenn sie nicht blind waren. Er dachte nicht mehr weiter darüber nach. Der Spalt schloß sich, und somit war dem Sheriff die Sicht genommen. Die Hände, die das Glas hielten, sanken nach unten. Wie eine Statue hockte der Mann auf dem Sitz. Er mußte etwas unternehmen, und er hatte auch schon einen Plan. Er würde aussteigen und zum Haus gehen. Er mußte einfach wissen, was sich hinter diesen Fenstern abspielte. Es ging bestimmt nicht mit rechten Dingen zu. Da war alles sehr geheimnisvoll gewesen. Ducesse nahm den Telefonhörer aus der Halterung und stellte eine Verbindung zu seinem Office her. Die müde Stimme seines Vertreters Peter Dawson meldete sich, bekam aber einen anderen Klang, als der Mann hörte, wer da anrief. »Was gibt es denn, Chief?« »Nichts Besonderes. Ich wollte dir nur sagen, daß du noch die Stellung halten kannst.« »Dann kommen Sie nicht zurück wie besprochen?«
»Nein, den Zeitpunkt kann ich nicht halten. Ich werde später im Office sein.« Ducesse wußte, daß sein Vertreter vor Neugierde platzte, aber er dachte nicht daran, ihn einzuweihen. Dawson konnte froh sein, im gemütlichen Office zu sitzen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Ducesse stieg aus und setzte den Hut auf, weil die Sonne blendete. Ducesse konnte offiziell oder ein wenig inoffiziell vorgehen. Er entschied sich für den zweiten Weg. Es machte einfach mehr Spaß und erinnerte ihn auch an die alten Zeiten, wenn er sich, damals war er Streifenpolizist, an gewisse Orte angeschlichen hatte. Es gab einen Weg, der zum Haus hinführte. Die Brüder hatten ihn erst vor kurzem anlegen lassen. Die schmale Straße war mit Kies bestreut, der unter den Füßen des Sheriffs knirschte, und das wollte er nicht, deshalb näherte er sich dem Ziel über den Rasen. Die Bäume gaben ihm zum Teil Schutz, der allerdings in der unmittelbaren Nähe des Hauses verschwinden würde. Aus der Ferne hatte der Bau alt ausgesehen. Das traf bei näherem Hinsehen nicht mehr zu. Da war schon zu erkennen, daß die Steine nicht aus dem letzten Jahrhundert stammten, sondern diesem nachgebaut worden waren. Auch der frische Anstrich paßte nicht zu einem sehr alten Gemäuer, es war auch kleiner als das erste Gebäude, meinte der Sheriff zumindest. Er suchte eben nach irgendwelchen negativen Dingen, um für sich selbst eine Entschuldigung zu finden. Immer wieder blickte er gegen die Fenster, um zu sehen, ob sich hinter den Scheiben etwas bewegte. Er sah nichts, was seinen Verdacht erregt hätte. Zumindest nicht am Haus. Einem Impuls folgend, drehte er sich blitzartig in die andere Richtung, nach rechts, wo die Bäume ziemlich dicht beisammen standen, und dort sah er die Bewegung. Da stand ein Mensch! Oder? Der Sheriff zwinkerte, denn dieser Mensch war im nächsten Augenblick wieder verschwunden. So schnell, daß der Sheriff jetzt an eine Täuschung glaubte. Er grinste. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Als er seine Hand auf den Revolver legte, fühlte er sich wieder etwas besser. Keiner würde es wagen, ausgerechnet ihn anzugreifen. Er war eben etwas überreizt. Seine Nerven hatten ihm einen Streich gespielt. Wäre tatsächlich jemand in der Nähe gewesen, hätte er ihn längst vom Wagen her gesehen. Das redete er sich zumindest ein. Der Eingang des Hauses lag nicht mehr weit entfernt. Es war keine Tür, schon mehr ein Portal, zu dem breite Stufen hochführten. Der Säulenvorbau, wie man ihn früher gehabt hatte, fehlte bei diesem Haus. So konnte Ducesse geradewegs auf die Tür zugehen, und er blieb davor
stehen. Öffnen, hineingehen und sich umschauen. Es war alles so leicht oder wäre so leicht gewesen, doch der Mann zögerte. Ihn hielt etwas zurück. Er konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht ein Gefühl, eine innere Stimme, etwas, das er nicht beschreiben konnte, jedenfalls fühlte er sich mehr als unwohl, und er brauchte eine Weile, um sich zurechtzufinden und die innere Belastung von sich abzuschütteln. Er mußte es tun, er war kein Feigling, und nach dem innerlichen Ruck streckte er den Arm vor, wobei die Hand zielsicher eine gebogene Klinke umfaßte, die ziemlich schwer war und sich nur mühsam bewegen ließ. Die Tür klemmte etwas. Zudem roch sie noch nach Farbe. Er zerrte daran, dann schwang sie auf, und der Sheriff mußte einen Schritt zurückgehen, um nicht von der Tür selbst erwischt zu werden. Er drängte sich um sie herum und konnte endlich in das Innere des Hauses schauen. Düsternis! Schatten, die sich in der Halle ausbreiteten. Er betrat sie noch nicht, sondern bewegte schnüffelnd seine kleine dicke Nase, weil ihm ein ungewöhnlicher und unbekannter Geruch aufgefallen war. Die innere Stimme kehrte zurück. Sie warnte ihn. Der Sheriff spürte es wie ein Flüstern. Noch war es Zeit, kehrtzumachen und zu verschwinden. Aber nicht bei Gary Ducesse. In ihm steckte ein gewaltiger Ehrgeiz, gepaart mit Neugierde. Er gehörte zu den Menschen, die nie kapituliert hatten. Er würde sich durchbeißen und durchkämpfen müssen, denn er kannte die Regeln. Feiglinge wurden abserviert, sie zählten nichts, und er dachte wieder an die Sender und die Kameras, wenn er vor ihnen stand und von seinen großen Erfolgen berichtete. Seine Achtung würde steigen. Der Sheriff als Medienereignis, das war eben etwas Besonderes. Auch deshalb ging er den nächsten Schritt, während hinter ihm die Tür langsam wieder zuschwang, als wäre sie von großen Händen geschoben worden. Sie fiel ins Schloß. Der Sheriff war im Haus. Tief atmete er durch. Er mußte es, um sich selbst unter Kontrolle zu bekommen, und er schmeckte schon beim ersten kurzen Luftholen den anderen Geschmack auf der Zunge. Der gehörte nicht hierher. Nicht in das Haus, nicht in die Umgebung. Er war widerlich und eklig, und er konnte sich nicht vorstellen, daß so ähnlich altes Blut schmeckte. Es würgte ihn in der Kehle. Er preßte seine Hand gegen den Magen, und sein Instinkt riet ihm, noch vorsichtiger zu sein oder ganz zu verschwinden. Dagegen sprach die offenstehende Tür an der rechten Seite. Von der Halle aus konnte er sie mit wenigen Schritten erreichen. Es war eine Doppeltür, und beide Hälften standen offen. Kam von dort der Geruch? Es setzte sich in Bewegung. Dabei zog er mehrmals die Nase hoch, schnüffelte, und auf seinem Gesicht erschien ein lauernder Ausdruck.
Auf der Schwelle der nächsten Tür blieb er stehen und schaute in den zweiten, ebenfalls großen Raum. In ihm befand sich auch die Quelle des Geruchs. Modrig und alt. So stank Kanalwasser, das hatte er herausgefunden, aber in dem großen ovalen Bottich, den er vor sich sah, befand sich bestimmt kein Wasser. Er kniff die Augen zu, öffnete sie wieder. Der Bottich stand noch immer da, wie ein Gartenpool an der verkehrten Stelle. Er selbst war dunkel, und er war auch mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt, wie der Sheriff sehen konnte. Er hörte das leichte Plätschern. Der Gestank war intensiver geworden. Durch die Fenster fiel zwar Licht, aber die Vorhänge hielten das meiste ab, so daß nur ein paar faserige Streifen zu sehen waren, die sich auf dem Fußboden verliefen. Seine Nervosität hatte er nicht abgelegt. Im Gegenteil. Das Plätschern irritierte ihn auch weiterhin. Da mußte doch jemand die Flüssigkeit bewegen, von allein gab sie diese Geräusche nicht ab. Schwammen die Brüder darin? Der Sheriff konnte es sich nicht vorstellen, aber er wollte es auch nicht abstreiten, er mußte es genau wissen, überwand seine eigene Angst und auch die letzte Distanz, erreichte den Bottich, legte die Hände auf den Rand und blickte darüber hinweg. Ein Schwall dieses widerlichen Geruchs erwischte ihn. Sein Gesicht verzog sich, er hielt den Atem an. Er schüttelte sich und drückte den Kopf vor. Ducesse schaute in den Bottich. Er war mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt. Und inmitten dieser Flüssigkeit schwammen zwei Männer. Jacques und Igor Lacourte! *** Beide waren nackt! Sie lagen auf dem Rücken, sie fühlten sich in der dicken Flüssigkeit pudelwohl. Sie bewegten nur die Hände; kaum die Arme und ein wenig die Füße, ansonsten überließen sie sich dem Auftrieb des Inhalts. Der Sheriff zwinkerte. Er verzog das Gesicht, auch als die beiden Männer zu ihm hochlächelten. Sie hatten ihre Köpfe ein wenig angehoben, so daß es wirkte, als würden sie über oder auf der Oberfläche schwimmen und höher als der Wasserspiegel sein. Dem Sheriff kam es vor, als bestünden diese Männer nur aus Gesichtern, bleichen Masken, die auf der dunklen Flüssigkeit dümpelten. Runde und leere Augen starrten in die Höhe; die Münder waren zu einem Lächeln verzogen.
Da die Gestalten dicht nebeneinander schwammen, konnte der Sheriff sie gut erkennen. Mit einem Blick behielt er sie im Auge, und er sah ihre hellen Zahnreihen. Normale Zähne? In der Regel schon. Aber jeweils zwei stachen aus dem Rahmen. Sie wuchsen bei ihnen von oben nach unten, und sie waren an ihren Enden spitz wie Pfeile. Vampirzähne! *** Dieser Ausdruck schoß auch durch den Kopf des Sheriffs, doch er nahm ihn nicht so recht zur Kenntnis, denn das war einfach zu realitätsfern. Er sah hier etwas, das es nicht geben durfte, das normalerweise ins Reich der Sagen und scheußlichen Legenden gehörte. Beide Brüder hatten bisher kein Wort gesprochen und sich absolut still verhalten. Nur ihre Hände bewegten sie, um sich auf dem Wasser zu halten. Wasser? Plötzlich hatte der Sheriff einen bestimmten Verdacht. Er dachte an den Geruch des alten Franklin, den sie vor drei Jahren tot in seiner Hüte am See gefunden hatten. Er war zerfleischt worden und hatte lange in seinem eigenen Blut gelegen. Und dieses Blut hatte so ähnlich gerochen wie die Flüssigkeit in dem Bottich. War das Blut? Altes Blut vielleicht, das sich bereits zersetzte. Er wollte es jetzt ganz genau wissen, und es kostete den Sheriff Überwindung, seine Hand über den Rand hinweg in den Bottich zu schieben und den praktischen Versuch zu starten. Er tauchte mit der Spitze des Zeigefingers hinein und zog die Hand wieder zurück. Es war zu dunkel, um genau erkennen zu können, was da an der Haut klebte. Probieren wollte er es auch nicht. Eine Taschenlampe lag im Wagen, dafür steckte ein Feuerzeug in seiner Brusttasche. Er holte es hervor. Die kleine Hamme brachte er dicht an den ausgestreckten Finger heran, und er betrachtete die schwarzrote Flüssigkeit. Sein Blut und das der anderen Menschen war heller. Dieses hier, das an seinem Finger klebte, war alt und verbraucht. Der Sheriff verzog das Gesicht. Er wischte den Finger hastig an einem Taschentuch trocken, und er befürchtete bereits, daß er sich einen Schritt zu weit nach vorn bewegt hatte. Was da vor ihm im Wasser schwamm, war einfach furchtbar. Das durfte es nicht geben, das waren keine Menschen mehr, sondern Monstren, und Monstren mußten getötet werden. Radikal!
Die Kugeln steckten in der Trommel des Revolvers. Er brauchte die Waffe nur hervorzuholen und abzudrücken. Plötzlich lächelte der Blonde. Ein Lächeln, das Gary Ducesse anwiderte, denn es war so wissend und zugleich so verflucht arrogant. »Hallo, Blutspender, weißt du nun Bescheid...?« Der Sheriff sagte nichts. Er konnte nichts sagen. Er mußte über die Worte zunächst nachdenken, und es wollte ihm auch zuerst nicht in den Sinn, daß er damit gemeint war. Blutspender... Zwei mal zwei Zähne... Vampirhauer... Da entstanden schon die entsprechenden Bilder in seinem Kopf, und die waren nicht freundlich. Was immer er von Vampiren gehört oder was immer er über sie gelesen und gesehen hatte, es hatte jedesmal grauenvoll geendet. Er mußte schneller sein und schießen. Gary Ducesse griff nach der Waffe. Seine Hand lag bereits auf dem Griff, als er zuerst die Schritte hörte, und dann die kalte Stimme. »Laß stecken, Sheriff, sonst bist du sofort tot...« *** »Heißen Sie Gary Ducesse? Sind Sie der Sheriff?« Mit diesen Worten betrat Abe Douglas das Office, wobei er seine Dienstmarke mit dem Stern hochhielt, uns in seinem Schlepptau wußte und mitansah, wie der schlaksige Typ blaß wurde, die Beine vom Schreibtisch nahm und das Comic-Heft fallen ließ. »Nein, ich bin nicht der Sheriff.« »Wer sind Sie dann?« »Peter Dawson, der Vertreter.« »Okay, Dawson, mein Name ist Abe Douglas, FBI. Ab sofort übernehmen ich und meine Kollegen Sinclair und Suko hier das Kommando. Man hat Sie hoffentlich eingeweiht, Mr. Dawson.« »Eigentlich nicht. Oder nicht so überzeugend.« »Wo finde ich den Sheriff?« »Er ist unterwegs.« »Genauer!« Peter Dawson geriet ins Schwitzen. Mit der forschen Art des FBIAgenten kam er nicht zurecht. Dieser Mann aus dem Norden störte seinen beschaulichen Dienst. Er sprach schnell, kam sofort auf den Punkt, und Dawson verfluchte seinen Job, der ihn an den Schreibtisch gezwungen hatte. Er hob die Schultern. »Ist das alles?« Douglas’ Stimme klang wie eine Drohung. »Nein, ich...«
»Meine Güte, in was bin ich hier hineingeraten. Ich will endlich Klarheit. Ich habe mit dem Sheriff telefoniert. Er weiß Bescheid. Ich wollte Informationen über...« »Ich weiß ja, wo er ist.« »Endlich!« »Er hat angerufen. Er beobachtet das Haus, in dem die beiden Brüder leben.« Douglas lächelte und drehte sich zu uns um. Wir waren an der Tür stehengeblieben, wo auch eine schlichte Holzbank stand, auf der einige Zeitungen lagen. Eine Barriere trennte den Besucher von den hier arbeitenden Gesetzeshütern. Zwei Schreibtische, ein dritter in der Ecke, auf dem ein Computer seinen Platz gefunden hatte. An den Wänden hingen alte Fahndungsplakate neben neuen Steckbriefen. Ein Kühlschrank und eine Kaffeemaschine waren ebenfalls vorhanden, und zu den Zellen führte eine zweite Tür. Dawson schwitzte. Er war noch jünger und sah in diesen Momenten aus wie jemand, der sich weit weg wünschte. »Hat der Sheriff Ihnen etwas gesagt oder angeordnet?« fragte ich. »Nein. Ich soll hier warten.« »Auf ihn?« »Das denke ich schon.« »Können Sie ihn erreichen?« fragte Abe. »Ja.« »Dann los.« Der Vertreter griff nach einem Handy. Während er wählte, erklärte er uns, daß sein Chef das Haus unter Kontrolle halten wollte, allerdings vom Wagen aus und aus relativ guter Deckung, denn die beiden sollten nicht wissen, daß sie beobachtet wurden. Dawson hielt das Gerät an sein Ohr. Er wartete darauf, die Stimme seines Vorgesetzten zu hören und schüttelte den Kopf, als dies nicht geschah. Kein Sheriff meldete sich. »Das verstehe ich nicht...« »Kriegen Sie keine Verbindung?« fragte ich. »Schon. Aber er geht nicht ran. Er... er... hebt nicht ab. Gestört ist es nicht.« Abe Douglas fluchte leise, und auch wir schauten nicht eben begeistert. »Vielleicht ist er mal pinkeln«, sagte Dawson. »Ja, vielleicht«, murmelte ich. Douglas nickte dem Knaben zu. »Versuchen Sie es in zwei Minuten noch einmal.« »Natürlich, Sir.« Abe klemmte sich ein Stäbchen zwischen die Lippen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er starrte zu Boden und schüttelte einige Male den Kopf. »Was sagt ihr dazu?«
»Abwarten.« »Deine Ruhe möchte ich haben, Suko.« »Was bringt es, wenn du aufgeregt bist?« »Nichts, ich weiß.« »Eben.« »Soll ich Kaffee kochen?« Abe warf Dawson einen Blick zu, der den Mann verstummen ließ. Er lächelte und schaute verlegen zur Seite. Auch ich hatte kein gutes Gefühl. Gegen wen wir auch immer kämpften, eines stand fest, diese beiden Vampirbrüder waren gefährlicher und auch mächtiger, als es den Anschein gehabt hatte. Hinzu kam, daß wir zuwenig von ihnen wußten. Wo kamen sie her, wo wollten sie hin? Welche Pläne verfolgten sie? Da ging noch zuviel durcheinander, und Abe Douglas wies Dawson darauf hin, es noch einmal zu versuchen. »Natürlich, Sir.« Er tippte wieder die Nummer und erreichte das gleiche wie beim ersten Versuch, nämlich nichts. »Das verstehe ich nicht«, murmelte er. »Aber wir«, sagte der G-man. »Kommt ihr?« »Sicher.« »He, wollen Sie...?« Da konnte uns Dawson nachrufen, was er wollte. Wir würden nicht auf ihn hören. Ohne uns abgesprochen zu haben, verfolgten wir den gleichen Gedanken. Sheriff Ducesse konnte in eine Falle gelaufen sein... *** Die Stimme! Diese verdammte Stimme. Ducesse wußte, daß er sie schon einmal gehört hatte. Er hatte sich auch mit dem Sprecher unterhalten, in diesem Haus kam sie ihm dumpf und verfremdet vor, als würde der Sprecher noch unter irgendwelchen Problemen leiden. Er nahm die Hand von seiner Waffe weg und schaute noch in den Bottich, in dem die beiden Gestalten schwammen. Ihre grinsenden Gesichter sagten ihm genug. Er wußte, daß auch sie von der Veränderung erfahren hatten. »Tritt zurück, Ducesse! Weg von dem Bottich!« . »Und dann?« »Mach schon.« Nach zwei Schritten durfte der Sheriff wieder stehenbleiben, mußte aber die Waffe hervorholen und sie wegwerfen. Er ärgerte sich, daß er so reagierte, wobei er nicht mal die Waffe des anderen Mannes geschweige
ihn selbst gesehen hatte, aber er wußte auch, daß er keinem Bluff erlegen war. »Sehr gut, Sheriff. Jetzt kannst du dich umdrehen!« Er tat es längsam. Er war wütend und fürchtete sich zugleich. Er sah den anderen noch nicht, aber das Schimmern der Waffe fiel ihm zuerst auf. Dann schauten sie sich an. Der Sheriff schluckte. Das war die Stimme, die ihm bekannt vorgekommen war. Jetzt wußte er auch, zu wem sie gehörte. Vor ihm stand Frank Clayton, der G-man. Ein FBI-Agent, mit dem er zu tun gehabt hatte. Clayton war schon bei ihm gewesen. Er hatte auch mit ihm telefoniert gehabt, er hatte sich nach dem Haus erkundigt, nach den Bewohnern, aber niemals so richtig dienstlich. Sein Interesse hatte sich mehr privat angehört, als hätte er vorgehabt, das Haus zu kaufen. Und jetzt stand er da und bedrohte den Sheriff mit seinem 38er, und das war kein Spaß. Es war düster. Trotzdem sah der Sheriff das Lächeln auf Claytons Gesicht. Nur zeigte es keine Freude, sondern einen gewissen Triumph. Dann schüttelte der G-man den Kopf und zielte genau zwischen die Augen des Sheriffs. »Wie kann man nur so dumm sein und sich um Dinge kümmern, aus denen man seine Finger möglichst heraushalten sollte?« »Wieso denn...?« »Du hättest nicht in dieses Haus hineingehen sollen. Es ist für dich eine Tabuzone.« Ducesse begriff das nicht. »Warum denn nicht? Ich... ich... mußte es beobachten.« Clayton senkte die Waffe wieder, zielte auf die Brust. »Ja, das stimmt. Beobachten. Mehr auch nicht. Beobachten heißt nicht, daß du das Haus betreten sollst. Aber das hast du getan, und das wird dir letztendlich das Genick brechen.« »Wieso?« »Willst du nicht verstehen?« »Ich habe nichts getan. Ich... ich... habe mich schon gewundert.« »Über was?« »Über die beiden hier.« »Meine Freunde«, erklärte Clayton lächelnd. »Wie?« »Ja, es sind meine Freunde. Sie sind uralt und gleichzeitig so herrlich neu. Sie gehören einer neuen Generation von sehr Alten an. Sie sind eine Legende, eine Sage, und sie werden das weiterführen, was sie damals begonnen haben.« »Was... was war das denn?« »Blut. Sie saugen Blut. Sie trinken Blut. Sie sind eine Blut-Legende. Du hast doch ihre Zähne gesehen, nicht wahr?« Ducesse nickte.
»Kannst du dir vorstellen, was sie damit machen?« Der Sheriff senkte den Blick. Clayton trat näher und lachte dabei leise. »Warum sagst du das Wort nicht? Es ist doch so einfach. Du brauchst es nur auszusprechen. Vampire, Sheriff. Die beiden sind Vampire, aber sie sind noch mehr. Sie sind eine alte Vampir-Legende...« Der Sheriff hatte mit offenem Mund zugehört. Er hatte alles verstanden, er wollte es nur nicht begreifen. Dabei hatte er sie selbst in diesem Blut schwimmen sehen. Sie hatten ihm die Gesichter und ihre Zähne gezeigt, es war alles so plastisch für ihn gewesen, doch erst jetzt, wo ihm der Gman die Zusammenhänge noch einmal erklärt hatte, wurde ihm die gesamte Tragweite bewußt. Er befand sich noch mit beiden Beinen in der Realität, doch er war von etwas Irrealem umgeben, das gleichzeitig wieder real war. Damit kam er nicht zurecht. Das war zuviel für ihn. Er war ein Gefangener zwischen den Zeiten. Er wußte nicht, wo er hinschauen sollte. Nach vorn oder zurück. Er blieb stehen. Seine Lippen zuckten, er sah das Lächeln auf Claytons Gesicht, und ihm fiel erst jetzt auf, daß dieser Mann eine Brille trug. Das Gestell war so dünn, daß die Brille nicht auffiel. Sie hatte sich auch dem fahlblonden Haar angepaßt. »Hast du es gepackt, Sheriff?« Gary Ducesse konnte nicken. In der Tat hatte sich der Vorhang ein wenig geöffnet. Scharf holte er Luft und suchte dabei nach den richtigen Worten. »Das sind... das sind echte Vampire?« »Natürlich.« Noch einmal versuchte er es. »Abe die gibt es doch nicht.« Der G-man verdrehte die Augen, so daß sie einen regelrechten Aufschlag zeigten. »Was heißt, es gibt sie nicht? Du hast doch selbst gesehen, daß es sie gibt.« »Aber...« »Nein, Ducesse, sie sind echt. Sie werden bald aus ihrem Bad steigen und sich mit dir beschäftigen. Du bist uns in die Falle gelaufen. Es war deine Schuld.« Gary Ducesse hatte zugehört, aber es nicht richtig verstanden. Seine Gedanken drehten sich einzig und allein um die beiden Vampire und um ihre Gier. Sie wollten Blut, sein Blut! Dieser Satz wiederholte sich ständig in seinem Kopf. Immer und immer wieder. Er wurde lauter, er steigerte sich, in seinem Kopf brandete er hin und her. Es war wie eine Musik, die sich von Sekunde zu Sekunde verstärkte.
Es kam, wie es kommen mußte. Seine Gedanken explodierten. Er bekam einen psychischen Riß, und plötzlich war ihm alles egal. Der Gman, die Waffe, das Haus – er wollte nur raus aus dieser verdammten Falle. Deshalb rannte er vor. Damit überraschte er selbst den G-man. Er hatte nichts vom inneren Kampf des Mannes mitbekommen, sah den Sheriff nur plötzlich dicht vor ihm erscheinen, und dann rammte ihn die mächtige Gestalt des Gesetzeshüters. Sie traf ihn hart. Er hätte schießen können, aber Ducesse wußte auch, daß die Vampire mit dem Blut eines Toten nichts anfangen konnten, denn dieses Blut floß nicht mehr. Beide prallten zu Boden. Der Sheriff hatte es dabei besser, weil Clayton unter ihm lag. Er trat noch auf den Körper des Mannes, sprang nach vorn auf die Tür zu, aber Clayton drehte sich auf dem Boden liegend herum, streckte den linken Arm aus, und es gelang ihm, den rechten Knöchel des Fliehenden zu packen. Eisern hielt er fest. Der Sheriff brüllte, dann fiel er nach vorn. Er konnte sich nicht mehr so abstützen, daß es etwas gebracht hätte. Sein Arm knickte weg, er prallte mit dem Gesicht auf den harten Boden, hatte Blut im Mund und spürte es auch aus der Nase rinnen. Das war es gewesen. Er wußte es. Das war es... Er schrie! Clayton hatte ihm in den Rücken getreten und drückte ihm nun den Fuß ins Kreuz. Durch sein eigenes Schreien hörte er die Stimme des G-man, aber er verstand nicht, was der Mann sagte. Dafür spürte er sehr bald die Hände an seinen Schultern. Clayton wuchtete ihn hoch und schleuderte ihn so weit herum, bis er gegen die Wand prallte. Dort blieb er stehen, mit weichen Knien und keuchendem Atem. Die Schmerzen in seinem Gesicht beeinträchtigten sein Sehvermögen. Er schaute nach vorn, er sah in die Düsternis hinein, die für ihn voller dunkler Schatten hing. Dann wischte er sich mit einer automatischen Bewegung das Blut aus dem Gesicht. Hinter der Stirn hämmerte es. Es waren Stiche, die durch seinen Kopf peitschten, die ihn folterten, die ihn keinen klaren Gedanken mehr fassen ließen. Seine Füße waren schwammig geworden, die Knie weich. Er hätte sich am liebsten auf den Boden gesetzt und geweint wie ein kleines Kind. Er war verweichlicht worden, keine Kämpfe mehr, das Leben hatte ihn satt und prall gemacht. »He, Sheriff!« Clayton sprach ihn an. Er wollte nicht hören, hielt den Kopf gesenkt. Blut tropfte aus seiner Nase und prallte vor den Fußspitzen zu Boden, wo es Flecken bildete.
Er spürte eine Hand unter seinem Kinn, und sein Kopf wurde wieder in die Höhe gedrückt. »Sieh mich an!« Der Sheriff tat es, und sein Blick blieb trotzdem verschwommen. Ihn umgab eine andere Welt, und er hatte Mühe, sich in dieser wieder zurechtzufinden. »Die Vampire warten, Sheriff...« »Nein...« Mehr brachte er nicht hervor. Clayton spielte den Fürsorger. Er wischte und tupfte Blut aus dem Gesicht seines Gegenübers. Dabei reinigte er auch die Umgebung seiner Augen und begleitete das Tun mit einem Kommentar. »Schließlich sollst du sehen, was dich erwartet. Das sind wir dir schuldig...« Ducesse begriff noch nicht sofort. Erst wenig später, als man ihn gedreht und vorgeschoben hatte. Da bewegte er sich mit unsicheren Schritten nach vorn, und zwar dorthin, wo sich auch der mit Blut gefüllte Bottich befand. Zuerst wollte er es nicht glauben. Er dachte, es sei ein böser Traum, aber es stimmte. Sie schwammen nicht mehr, dafür waren sie dabei, aus ihrem makabren Pool hervorzuklettern... *** Beide waren nackt! Und beide boten einen schrecklichen Anblick. Er konnte sie besser erkennen, denn der G-man hatte bei etwas entfernt liegenden Fenstern die Vorhänge ein wenig zur Seite gezogen, damit mehr Licht in den Raum dringen konnte. Aber nicht soviel, als daß es die Vampire gestört hätte, es reichte nur für den Sheriff aus, der nicht glauben wollte, was er zu sehen bekam. Das war der kalte Horror. Das durfte nicht die Wirklichkeit sein. Die nackten Vampire, an deren bleicher Haut das Blut in dicken Strömen herabfloß, als wäre es gefärbter Leim. Es klebte überall, in den Haaren, den Gesichtern, am Oberkörper, den Beinen, und es rann tiefer, wobei es bald um die Füße herum Lachen bildete. Sie kamen auf ihr Opfer zu Sie gingen nebeneinander und fühlten sich gut. Es war ihren Bewegungen anzusehen. Der Vampir mit den weichen Gesichtszügen hob seine Arme an und preßte sein verschmiertes Haar nach hinten. Es war zu einer blutbeschmierten Perücke geworden. Im Nacken drehte er es zusammen, er lächelte dabei, und auch über seine Zähne rannen dünne Fäden aus Blut. Makaberes Theater war es nicht. Es war die Wirklichkeit, und das machte alles um so schlimmer.
Der Sheriff konnte es nicht glauben. Er träumte. Er spürte etwas anderes in sich. Ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte, das eigentlich keines war, aber trotzdem noch in seinem Innern festsaß. Die Gestalten schwankten vor seinen Augen wie die Bilder eines schlecht ablaufenden Filmstreifens. Soßig, mariniert, in düsteren Farben, die verliefen. Ducesse war verwirrt, allerdings nicht so stark, als daß er nicht mitbekommen hätte, was in den folgenden Sekunden mit ihm geschah. Die beiden nackten Blutsauger kamen auf ihn zu. Sie gingen, aber ihm kamen sie vor, als würden sie schweben. Sie waren sehr, sehr mächtig, sie waren die Protagonisten einer neuen Vampirzeit, die aus einer alten Blut-Legende entstanden war. Und sie waren bei ihm. Sie faßten ihn an. Der Sheriff zuckte unter den Berührungen zusammen, als die glatten und glitschigen Finger zuerst über sein Gesicht und dann über seine Schultern fuhren. An den Armen entlang und schließlich über seine Brust hinweg, die durch das Aufreißen des Hemds vom Stoff befreit worden war. Eine Hand blieb dort liegen, wo sein Herz schlug. Es war eine kalte und glatte Hand. Spitz waren die Fingernägel. Er konnte sich vorstellen, daß sie sich plötzlich bogen wie Messer und in sein Fleisch eindrangen. Sie taten es nicht. Seine Knie gaben nach. Er sprach und wußte nicht, was er sagte. Alles war anders geworden. Die gesamte Welt hatte ihn abgestoßen. Es gab noch das Grauen, ein Gefängnis des Schreckens, und er wartete darauf, daß es geschah. »Halte ihn fest, Clayton!« »Okay.« Der Sheriff unternahm nicht mal den Versuch einer Gegenwehr, als zwei Hände seine Gelenke packten und ihm die Arme erst nach hinten zogen und dann auf den Rücken drehten. Er war wehrlos gemacht worden. Bereit für die Bluttrinker... Bisher hatten sie zusammengestanden, was sich nun änderte, als sie sich voneinander lösten und ihn in die Zange nahmen. Der Blonde stand an seiner rechten, der schwarzhaarige hielt sich an seiner linken Seite auf. Er befand sich zwischen ihnen, die Hände auf dem Rücken, keine Chance, sich zu wehren. »Wollt ihr ein Messer?« fragte Clayton. »Nein.« »Gut.« Sie wollten es auf die alte Methode versuchen. Es war zwar nicht ihre Art, aber in anderen Kulturen hatten sich die Blutsauger an ihren Opfern festgebissen.
Die Blicke der beiden Untoten trafen sich. In den Augen leuchtete die Gier. Sie waren fertig. Und sie bissen zugleich zu. Rechts und links trafen die spitzen Zähne die Haut des Opfers, bohrten sich hinein und hindurch, und die Wiedergänger spürten, wie der rote Strom ihnen entgegenquoll. Gary Ducesse war nur einmal zusammengezuckt, als ihn die Zähne erwischt hatten. Sehr bald schon floß die Kraft aus seinem Körper. Jacques und Igor hatten freie Bahn. Clayton ließ den Mann los. Er trat zurück. Er schaute zu, und sein Lächeln zeigte Triumph. Die alte Vampir-Legende hatte auch Jahrtausende später noch Bestand... *** Wir hatten uns den Weg sicherheitshalber noch beschreiben lassen, denn ein großartiges Suchen konnten wir uns nicht erlauben. Jedem von uns war klar, daß Sheriff Ducesse höchstwahrscheinlich in gewaltigen Schwierigkeiten steckte. Wenn er mit den beiden Blutsaugern zusammengetroffen war, dann würden sie auch an seinen Lebenssaft herankommen, denn Chancen hatte er keine. Wir fuhren durch ein flaches, winterliches Land, das gar nicht so winterlich aussah. Die Temperaturen lagen bei zwanzig Grad über Null, und im direkten Schein der fahlen Sonne waren sie sicherlich noch um einige Grade höher. Zwischen den Orten gab es viel Platz. Die weiten Felder lagen da wie flache Matten. In der Ferne schimmerten die Aufbauten einer Raffinerie, und dazwischen lagen Waldstücke wie Inseln auf einem weiten Meer. Straßen und auch Kanäle durchzogen das Land. Oft genug fuhren wir über Brücken hinweg, und wir sahen auch die hin und wieder einzeln und einsam stehenden alten Häuser. Einige renoviert, aber viele von ihnen wirkten auch verfallen. Abe Douglas fuhr, ich saß neben ihm und konnte ihn so direkt ansprechen und fragen. »Daß wir es mit Vampiren zu tun haben, ist uns ja nicht neu, aber ich sehe noch immer keinen Grund für einen Mann wie Frank Clayton, einen G-man, dabei mitzumischen. Was steckt dahinter, Abe? Du hast doch sicherlich nachgedacht.« »Das habe ich auch.« »Und was ist dabei herausgekommen?« Er winkte ab. »Nicht besonders viel, wenn ich ehrlich sein soll. Ich weiß einfach zuwenig über Clayton, ich bin hier fremd. Er ist nur durch die Reden seiner Noch-Ehe-frau aufgefallen. Sie hat von seinem Doppelleben berichtet. Natürlich ist er kein Vampir, aber er war von
diesen Geschöpfen fasziniert, und er muß auch einen Kontakt zu ihnen gefunden haben, den Brüdern Lacourte.« »Sie sind vorher nicht aufgefallen?« »Nein, John. Es hat auch keine Vampiropfer gegeben, sage ich mal. Es sind keine gefunden worden, verstehst du?« »Sicher.« Er hob die Schultern. »Es war ihr Haus. Sie haben im letzten Jahrhundert darin gelebt. Es brannte ab.« Douglas hob die Schultern. »Na ja, sie haben überlebt und sind wieder hier.« »So sieht es aus.« Ich schaute aus dem Fenster. Rechts neben der Straße führte ein Graben entlang. Gesäumt wurde er von hohen Bäumen. Dahinter war flaches Land, und ich entdeckte im Sonnenlicht auch ein einsam stehendes Haus. Auch Abe hatte einen schnellen Blick zur Seite geworfen, genickt und gesagt: »Das ist es...« »Da vorn steht auch der Wagen«, meldete sich Suko. Er parkte am rechten Straßenrand. Die Türen waren geschlossen. Wir hielten hinter ihm an, stiegen aus und stellten schon nach dem ersten flüchtigen Blick fest, daß sich niemand in ihm befand. Abe öffnete die Tür. Er tauchte in den Wagen ein, sah das Telefon und zeigte es uns. Dabei sagte er: »Es hat keinen Sinn, wenn wir die Umgebung absuchen, er wird hier bestimmt nicht sein. Wir sollten sofort hinüber zum Haus gehen.« »Da leben die Brüder?« fragte ich. Douglas grinste schief. »Was man halt so leben nennt.« Er wuchtete die Tür zu, schaute uns an und fragte: »Wie machen wir es?« Suko verzog den Mund. »Viel Deckung gibt es nicht.« »Leider.« »Und du weißt sicherlich auch nicht, ob es Hinter- oder Nebenausgänge gibt – oder?« »Nein.« »Wofür bist du?« »Wir könnten uns trennen«, schlug Douglas vor. Suko schaute mich an. Ich nickte. »Wäre eine Möglichkeit, doch ich bin sicher, daß man uns trotzdem entdecken würde. Deshalb schlage ich vor, daß wir ganz offiziell dem Haus einen Besuch abstatten und es auch durch den normalen Vordereingang betreten.« Dagegen hatte keiner etwas einzuwenden, und der G-man checkte seine Dienstwaffe durch. »Ist sie mit geweihten Silberkugeln geladen?« fragte ich. »Nein.« »Dann gebe ich dir meine.«
»Und was ist mit dir?« »Ich habe das Kreuz.« Douglas nickte. »All right, es ist deine Entscheidung.« Er nahm die Beretta entgegen. »Dann laß uns gehen...« *** Clayton war voll zufrieden. Faszinierend hatte er zugeschaut, wie die beiden Vampire das Blut des Sheriffs getrunken hatten. Sie waren in ihrer Gier nicht zu halten gewesen, und die beiden nackten Körper waren von Sekunde zu Sekunde mehr aufgeblüht. Schließlich hatten sie von ihrem Opfer abgelassen, sich gestreckt und sich gegenseitig auf die Wangen geküßt. Dann schauten sie Clayton an. »Jetzt hast du gesehen, wozu die alte Vampir-Legende fähig ist«, sagte der Blutsauger mit den dunklen Haaren. »Sie ist sehr alt. Man hat versucht, sie zu zerstören, aber es ist nicht gelungen.« »Das freut mich.« Clayton nickte. »Ich habe zugeschaut, und ich weiß, daß unser Bund bestehen bleiben wird. Ich habe schon viele Menschen angesprochen. Ich habe ihnen von der Faszination berichtet, die ich gespürt habe, und es ist mir gelungen, sie zu überzeugen. Sie werden hier erscheinen und das Blutfest feiern. Wir werden hier unseren Bund besiegeln, in diesem wunderschönen Haus, das zu eurer zweiten Heimat werden wird.« Frank Clayton hatte sich in eine regelrechte Euphorie hineingeredet, die von den beiden Blutsaugern aber nicht geteilt wurde. Und sie gaben ihre Bedenken auch kund. Diesmal war es der blonde Jacques, der redete. »Da gibt es einen Mann, den wir gesehen haben. Er ist uns auf der Spur. Er ist derjenige, der...« »Ich töte ihn!« »Nein, nicht töten, wir wollen ihn haben.« Igor nickte dazu, was Clayton überraschte. »Warum wollt ihr ihn bekommen?« fragte er. »Wir müssen ihn haben. Wir müssen wissen, wer er ist. Er ist nicht so wie andere Menschen. In ihm steckt mehr, viel mehr. Er trägt etwas bei sich, das uns mißtrauisch gemacht hat. Er kennt etwas von der uralten Zeit, von der Legende. Das alte Blut wird ihm nicht fremd sein. Unser Ägypten ist in Gefahr, deshalb müssen wir von ihm erfahren, was er alles weiß, und wir werden ihn dazu zwingen.« »Auch recht.« »Du kannst ihn herlocken.« Clayton hob die Schultern. »Zumindest werde ich es versuchen. Ob es mir gelingt, weiß ich nicht, aber ich verspreche euch, mein Bestes zu geben, Freunde.«
»Das ist gut.« »Was tut ihr?« Sie schauten sich an und bückten dann auf den mit altem Blut gefüllten Bottich. »Wir werden auch weiterhin in ihm baden, um die alte Kraft in uns aufzusaugen.« »Und der Sheriff?« »Ist jetzt einer von uns, denke ich.« Clayton zuckte für einen Moment zusammen. An den Gedanken, daß ein Sheriff ein Vampir war, mußte er sich erst noch gewöhnen, aber die Tatsachen sprachen dafür. »Gut«, sagte er, »gut...« Die Brüder zogen sich wieder zurück. Sie stiegen mit langsamen und geschmeidigen Bewegungen in den Bottich. Clayton hörte es leise klatschen, als sie in das Blut eintauchten. Er selbst wandte sich ab und schloß die Tür. In der Halle blieb er stehen. Er schaute auf die magischen Zeichen am Boden, die er nicht begriff, weil sie aus einer anderen Zeit und einer anderen Mythologie stammten. Für seine neuen Freunde waren sie wichtig, denn sie wiesen ihnen den Weg und waren auch der Beweis dafür, wie stark sie noch mit der Vergangenheit verbunden waren. Frank Clayton hatte genau zugehört. Er kannte den Mann nicht, von dem gesprochen worden war. Einer seiner Kollegen war es nicht. Auch nicht aus einer anderen Stadt. Da war zwar jemand gekommen, aber dieser Jemand sah anders aus. Er hatte es durch gute Bekannte und auf Umwegen erfahren. Schlimm war seine Frau gewesen. Sie hatte ihn verraten, aber er suchte den Fehler auch bei sich. Er hätte ihr auf keinen Fall so viel erzählen sollen. Leider war er zu euphorisch gewesen, und schon allein die wenigen Andeutungen und das Nachfragen seiner Frau hatten ausgereicht, um Verdachtsmomente aufzubauen. Jetzt war Lucille tot. Ihm konnte niemand die Tat anhängen, denn er war zu dieser Zeit im Dienst gewesen und hatte das beste Alibi, was man sich überhaupt vorstellen konnte. Wichtig war der Abend. Am heutigen Tag noch sollte die Versammlung stattfinden. Dann würden all diejenigen hier erscheinen, die er ins Vertrauen gezogen hatte. Er hatte von einer neuen Zeit gesprochen, die mit dem Wissen der Vergangenheit gewürzt war. Und er hatte viele Menschen gefunden, die zumindest Interesse bewiesen hatten. Sie waren nicht überzeugt, aber sie würden bald überzeugt sein, das stand fest. Sie alle sollten zu Blutsaugern werden, angeführt von den beiden Lacourte-Brüdern. Er betrat den großen Saal, ging durch die Düsternis, und seine Blicke streiften dabei an den Vorhängen der Fenster entlang. Er betrachtete
den dunklen Stoff, der von zwei Seiten aufeinander zukam. Die Hälften waren nie ganz geschlossen. Es gab immer wieder Spalten, mal größer, mal kleiner. Auf eine der Lücken ging er zu. Mit zwei Fingern erweiterte er sie. Er dachte auch daran, daß der Sheriff nicht zu Fuß gekommen war. Sein Wagen mußte so rasch wie möglich in ein Versteck gefahren werden, bevor man noch Verdacht schöpfte. Dann hörte er Stimmen. Für einen Moment erstarrte Clayton. Der Spalt war nicht breit genug, um nach rechts schauen zu können, denn aus der Nähe des Eingangs waren die Stimmen aufgeklungen. Er drückte den Spalt weiter auf. Da kamen drei Männer. Fremde! Aber er wußte, daß plötzlich die Uhr auf Alarmstufe rot stand! *** Auf dem Weg zum Haus war nichts passiert. Wir hatten nicht mal feststellen können, ob man unser Kommen beobachtete, denn die Vorhänge jenseits der Scheiben hatten sich nicht bewegt. »Sieht leer und tot aus«, stellte Douglas fest, als wir vor der Tür stehenblieben. »Um so besser.« »Abwarten.« Ich blieb skeptisch. Suko wollte öffnen, doch dazu kam er nicht mehr, denn plötzlich wurde die breite Tür von innen aufgezogen. Nicht mal sehr schnell, sondern normal. Uns öffnete sich so etwas wie eine kleine Bühne, und auf ihr stand nur eine Person, ein Mann. »Clayton!« brachte Abe Douglas mühsam hervor. Es war ihm anzusehen, wie überrascht er war. »Ja, das bin ich. Und wer sind Sie?« Der FBI-Mann gab sich gelassen. Er war ein mittelgroßer Typ, mehr Durchschnitt, trug eine Brille, sein fahlblondes Haar war zurückgekämmt, und in seinem Gesicht fiel die leicht gekrümmte Nase mit dem schmalen Rücken besonders auf. »Und?« fragte er. Seine Stimme hatte einen neutralen Klang. »Guten Tag.« Wir hatten abgesprochen, daß Abe Douglas das Reden übernahm. »Sie sind Frank Clayton?« »Ja.« »FBI-Agent Clayton?« »Auch das.« »Gut, wir...«
»Moment mal«, sagte Clayton. »Sie haben selbst gesagt, wer ich bin, Mister. Ich leite hier eine polizeiliche Aktion, eine Untersuchung, und ich erlaube es nicht, wenn Fremde...« Abe lächelte kalt. »Natürlich, Mr. Clayton. Das ist alles klar. Ich muß mich entschuldigen, denn ich hatte auch vergessen, mich vorzustellen. Ich heiße Abe Douglas und bin ebenfalls FBI-Agent. Wir sind Kollegen.« »Bitte?« Ich hatte ihn genau beobachtet. Er war nicht irritiert, eher überrascht und leicht böse. Abe blieb gelassen. »Die Zentrale hat mich geschickt, Frank. Ich soll Sie in einer Aktion unterstützen, und ich habe zwei Kollegen mitgebracht.« Die Augen hinter der Brille verengten sich. »In meiner Aktion, sagten Sie?« »Ja.« »Das geht nicht. Das geht auf keinen Fall, denn diese Aktion führe ich alleine durch.« »Nein, ich werde...« »Sagen Sie der Zentrale, daß Sie sich zum Teufel scheren soll, verdammt noch mal!« Endlich zeigte er sein wahres Gesicht, endlich hatten wir ihn aus der Reserve gelockt, einen Mann, der auf das Gesetz geschworen, sich aber nicht gescheut hatte, einen Mord, den an seiner Frau, in Auftrag zu geben. Ich verachtete ihn und betrachtete den Schweiß auf seinem Gesicht. Zugleich strömte ein Geruch aus dem Haus durch die offene Tür, der einfach widerlich war. So süßlich und abgestanden, modrig... Hier stimmte einiges nicht. Douglas blieb gelassen. »Das kann ich nicht, Frank. Sie kennen die Regeln selbst.« Er bewegte seine Hände, ballte sie zu Fäusten. Innerlich war er aufgewühlt, aber er hielt sich unter Kontrolle, lächelte sogar und meinte: »Gut, da kann man nichts machen, aber ich muß Ihnen leider sagen, daß meine Nachforschungen hier beendet sind.« »Können Sie uns das genauer erklären? Haben Sie die Brüder Lacourte gefunden?« »Nein.« »Bitte?« Clayton lachte. »Ich habe sie nicht gefunden, verdammt noch mal! Das Haus ist leer. Sie sind ausgeflogen. Sie sind verschwunden, und ich glaube kaum, daß sie hier noch weiterhin wohnen werden. Wer hält es schon in einem leeren Haus aus?« »Da haben Sie recht«, meinte Abe. »Deshalb ist die Sache auch erledigt.«
Douglas spielte gut mit. »Gut.« Er wandte sich an Suko und mich. »Was meint ihr dazu?« »Wenn er es sagt«, murmelte ich. »Sie können sich darauf verlassen!« sprach Clayton mich an. »Mich allerdings stört eines«, sagte Suko. Seine Stimme klang nicht laut, eher leise. Sie war allerdings gut zu verstehen, und sie hatte einen Klang, der aufhorchen ließ. Vor allen Dingen Frank Clayton, denn er blickte Suko scharf an. »Was stört Sie, Mister?« »Der Geruch...« Clayton preßte die Lippen hart zusammen. Für einen Moment entstand eine Schweigepause. Zwischen uns und Clayton schien sich eine Wand aus Eis aufgebaut zu haben, und die Schweißperlen auf der Stirn des Gman vermehrten sich. »Sie sagten der Geruch?« »So ist es.« »Ich rieche nichts.« »Ist möglich, denn Sie haben sich lange genug in diesem Haus aufgehalten und sind voreingenommen.« »Himmel, in alten Häusern riecht es immer so. Das ist der Unterschied zu neuen.« »So alt ist das Haus doch nicht, wie ich erfuhr. Außerdem ist es kein alter Geruch, sondern eher einer, der mit Blut in einem Zusammenhang steht.« Clayton schluckte. Dann fragte er heiser: »Blut...?« »Ja, Blut...« »Das ist unmöglich...« »Sagen Sie, Frank. Aber Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir uns davon überzeugen. Wir werden nur einen kurzen Blick in das Haus werfen.« Suko hatte den Satz noch nicht vollendet, als er sich bereits in Bewegung setzte und auf Clayton zuging, der keinerlei Anstalten traf, zur Seite zu gehen. Er blieb stehen, reckte sich sogar, und Suko schob ihn wie eine Puppe zur Seite. »Darf ich mal...?« Dann war er drin. Frank Clayton kam zu keinem Protest. Er wußte auch nicht, wohin er schauen sollte, denn auch Abe und ich hatten uns in Bewegung gesetzt, um das Haus zu betreten. Claytons Proteste waren nur schwach. Die Tür stand jetzt weit offen. Licht flutete in die große Halle und berührte auch die ungewöhnlichen Zeichen auf dem Boden. Sie waren aufgemalt und erweckten natürlich mein Interesse. »Was ist das?« fragte ich.
Clayton hatte einen Flügel der Tür wieder zugeschoben, so daß es dämmriger geworden war. »Ich hab keine Ahnung, was diese Zeichen bedeuten könnten«, erklärte er. »Auch keine Spur?« »Nein. Sie waren schon vorhanden, als ich das Haus betrat. Oder haben Sie gedacht, ich hätte sie gemalt?« »Nein, nein, es sei denn, Sie kennen sich in alten Mythologien aus, Frank.« »Was ist das denn?« Ich winkte ab. »Lassen wir es.« Mein Blick schweifte zur Decke. »Sie haben also das ganze Haus durchsucht und die Brüder nicht gefunden.« »So ist es.« Ich zeigte auf die Treppe. »Waren Sie auch oben?« »Ja, da ist aber nichts.« Abe Douglas war von der Halle aus in einen großen Raum gegangen, hatte ihn durchwandert, ihn auch durchsucht, kehrte zurück, schüttelte den Kopf und hob die Schultern. »Leer...« »Das sagte ich Ihnen doch.« Clayton wirkte erleichtert. Er hatte die Sicherheit zurückgewonnen. »Aber da ist noch eine Tür«, sagte Suko. Er deutete an Clayton vorbei. »Richtig.« »Sie haben dort auch nachgeschaut?« »Der Raum ist leer. Die Möbel werden erst später eintreffen, nehme ich an.« Mir waren dunkle Flecken aufgefallen. Teer war es nicht, Schmutz auch nicht, und mir war ein bestimmter Verdacht gekommen, denn diese Hecken konnten Blut sein. Ich ging hin, bückte mich, streckte die Hand aus, um einen Finger einzutauchen. In diesem Augenblick drehte Clayton durch. Bevor wir etwas unternehmen konnten – und wir hatten auch mit einer derartigen Situation nicht gerechnet –, zog er seine Waffe, drehte sich damit im Kreis, so daß er auf jeden von uns anlegen konnte. »Okay, Kollegen!« schrie er. »Es ist euer Pech, aber ich lasse mir von euch nichts kaputtmachen...« Dann schoß er! *** Es war der reine Wahnsinn, was er tat. Aber Clayton konnte nicht mehr als normal angesehen werden. Er war in diesem Augenblick ein von der Leine gelassener und gefährlicher Psychopath, der nichts anderes im Sinn hatte, als zu vernichten oder diejenigen aus dem Weg zu schaffen, die ihn behinderten.
Er befand sich zwar nicht direkt im Nachteil, aber er konnte uns nicht auf einmal erwischen. Er mußte sich zunächst ein Ziel aussuchen, auf das er sich konzentrierte, und dies wiederum kostete ihn etwas Zeit. Das Ziel war Abe Douglas. Der bekam dies auch mit, griff selbst zur Waffe, war aber nicht schnell genug. Dafür Suko. Manche behaupten, daß er sich wie der berühmte Blitz bewegen konnte. Was er in diesem Augenblick auch demonstrierte. Er riß seinen Fuß hoch, und plötzlich flog der G-man zur Seite, als die Spitze gegen seine Schulter und auch gegen seinen Hals rammte. Frank Clayton flog zurück. Er brüllte wütend auf. Dann prallte er gegen die Wand, an der er nach unten sackte. Aber er war nicht ausgeschaltet, er schoß trotzdem. Die Kugel jagte schräg in die Decke, was Clayton nicht sah. Er wollte einfach nicht aufgeben, rollte sich herum, feuerte wieder, und schließlich waren es Abe und Suko, die ihn trafen, denn sie hatten zurückschießen müssen. Das Risiko, von seinen Kugeln erwischt zu werden, war einfach zu groß. Eine normale und eine Silberkugel bohrten sich in seine rechte Schulter und rissen dort Wunden. Plötzlich war die Waffe für den G-man wertlos geworden. Er hatte auch keine Kraft mehr, sie noch halten zu können. Sie rutschte ihm aus den Fingern und blieb ein Stück entfernt auf dem Boden liegen. Vorbei... Ich eilte zu ihm, weil ich ihm am nächsten stand. Er lag da, konnte nicht sprechen, starrte mich an, und in seinen Augen las ich kein Gefühl mehr. Der Schock hielt ihn in seinem Griff. Er brauchte bald einen Arzt, doch ihn zu alarmieren, blieb uns keine Zeit mehr. Nicht, weil wir es nicht wollten, sondern aus einem anderen Grund. Die Tür, von der wir vorhin gesprochen hatten, bewegte sich. Sie wurde in die Halle hinein aufgedrückt, schwang dabei nur sehr langsam, und sie ließ die Spannung in uns ansteigen. Jemand kam. Die Brüder? Nein, wir sahen plötzlich einen Uniformierten, der sich über die Schwelle schob. Es war der Sheriff, mit dem wir uns hatten treffen wollen. Unser Aufatmen dauerte nicht mal drei Sekunden, denn sehr bald sahen wir, was mit ihm geschehen war. Aus den beiden Halswunden rann noch Blut. Dieses Zeichen reichte uns aus. Sheriff Ducesse war zu einem Vampir geworden!
*** Mit einer hastigen Bewegung, der ein Knall folgte, wuchtete er die Tür wieder zu. Abe Douglas hielt meine Beretta in der Hand. Sie zielte auf den Sheriff. Er wollte es mit einer geweihten Silberkugel versuchen, doch ich war dagegen, vorläufig zumindest. »Laß es, Abe!« »Warum?« »Bitte.« Er senkte die Waffe. Auch Suko behielt Ducesse im Auge. Wir verfolgten ihn genau, sahen auch, wie er sich mit einer mühsamen Bewegung drehte und dorthin ging, wo die Tür noch zur Hälfte offenstand. Er mußte dabei durch das Licht, und ich war gespannt, wie es auf ihn wirken würde. Daß er zu einem Vampir geworden war, daran gab es nichts mehr zu rütteln, aber er befand sich noch in einem Anfangsstadium und war dabei, sich zu orientieren. Bleiche Haut und rotes Blut. So konnte er beschrieben werden. Seine Augen glichen Glaskugeln, der Mund stand offen, aber wir sahen noch keine spitzen Zähne. Mit dem rechten Fuß trat er heftig auf. Das linke Bein zog er nach, ging dann weiter, schüttelte den Kopf, als wollte er etwas verneinen. Sein Körper ruckte, er bewegte sich noch weiter, und er streckte dabei die Arme nach vorn, als gäbe es dort eine Stange, an der er sich festhalten konnte. Er griff ins Leere und fiel doch nicht. Der nächste Schritt. Wir hielten den Atem an, denn an uns zeigte er kein Interesse. Er warf auch dem Verletzten keinen Blick zu, er stierte nur nach vorn, als würde ihn das Licht anziehen. Der nächste Schritt brachte ihn hinein. Wir alle wußten, daß das Licht der Sonne für Vampire tödlich war. Sie gerieten hinein, sie wurden zerstört, sie verfaulten, sie zerbrachen, sie wurden zu Asche. Das geschah bei alten Vampiren. Und wir waren gespannt, wie es dem Sheriff erging. Sein Körper ruckte hoch. Und dann riß er den Mund so weit wie möglich auf. Wir hörten einen Laut, der kaum einzuordnen war. Ein Keuchen, ein Stöhnen, ein Schreien? Keiner von uns wußte Bescheid. Irgendwo dazwischen lagen diese fürchterlichen Geräusche, und er ging noch weiter in die Helligkeit hinein, als wäre die Sonne ein Magnet. Sie holte ihn ein. Aber er verfaulte nicht. Er blieb auf den Beinen. Die Kraft steckte noch in ihm. Würde er das Licht überstehen?
Wir waren bereit, diese neue Erfahrung zu machen, aber er kam nur bis zur Tür. Dicht vor der Schwelle stoppte er, und er hielt sich dabei voll im Licht auf. Plötzlich sahen wir die feinen Fäden, die seinen Kopf und auch den Körper umwehten. Sie sahen aus wie ein silbriges Gespinst, aber es waren keine Fäden, sondern Rauchwolken. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Wir erlebten es, denn plötzlich schlugen die Flammen überall aus ihm hervor. Dem Gesicht, den Haaren, den Händen, den Füßen, sie waren an jeder Stelle seines Körpers vorhanden, und sie reagierten wie ein Motor, denn sie trieben ihn voran, hinaus ins Freie! Auf der Treppe brach er zusammen. Suko hatte auch den zweiten Flügel aufgezogen, starrte nach unten, und auch Abe und ich sahen, daß ihm nicht mehr zu helfen war. Das Feuer zerstörte keinen Menschen mehr, sondern nur noch eine Hülle, die aussah wie ein Mensch. Er verbrannte, und der ätzende Rauch wehte in das Haus. Ich drehte mich um. Die anderen beiden folgten mir. Als ich stoppte, blieben auch sie stehen. Ich deutete auf die Tür. »Er war in diesem Raum. Dort muß es passiert sein. Okay, schauen wir uns mal um...« Jacques und Igor schwammen im alten Blut. Sie fühlten sich wohl, sie lagen auf dem Rücken, sie spürten den Auftrieb, die Kraft, die ihnen das Erbe gab. Andere lagen in Särgen und verbrachten dort den Tag. Aber sie waren nicht wie andere. Sie >lebten< auf ihre Art und Weise. Sie lagen auf dem Rücken, sie bewegten die Hände, auch mal die Beine, sie genossen es, und sie waren auch satt. Trotzdem spürten sie die dunklen Wolken, die sich zusammenbrauten. Es war Igor, der sich plötzlich aufrichtete und die Beine nach unten drückte. Die Füße fanden den Grund, so blieb er stehen und ließ seine nackten Arme auf der Blutoberfläche schweben. Jacques Lacourte lag noch auf dem Rücken, den Kopf seinem Bruder zugewandt. »Was hast du? Was gefällt dir nicht. Du benimmst dich seltsam, Bruderherz.« »Ich spüre die Gefahr.« »Für uns?« »Ja.« Jacques kicherte wie ein Mädchen. »Wer sollte uns denn gefährlich werden können?« Igor überlegte einen Momeat. »Dieser Mann erscheint, der uns schon einmal jagte. Ich spürte ihn. Er trägt etwas bei sich, vor dem man uns gewarnt hat.« »Fürchtest du dich?«
Jacques erhielt keine direkte Antwort. »Es ist nicht gut, wenn er sich in unserer Nähe aufhält.« »Dann sollten wir ihn töten.« »Du? Wir...?« »Wer sonst?« »Unser Freund«, flüsterte Igor. »Wer wird denn...?« »Sei ruhig, sie sind da!« Jacques schwieg. Auch er veränderte seine Haltung und stellte sich hin. Langsam drehte er seinen Kopf nach links, denn dort lag die Tür zur Halle. Die Brüder lauschten. Die fremden Stimmen gefielen ihnen nicht, denn es war nicht nur ein Mensch erschienen, sondern gleich mehrere. »Wir werden unser Bad verlassen müssen«, schlug Igor leise vor. »Warum das?« »Ich fühle mich hier nicht mehr wohl. Es könnte sein, daß wir uns zurückziehen müssen.« »Nein, das Blut...« »Holen wir uns woanders.« Igor kletterte bereits aus dem Bottich. Das Blut rann an seiner nackten Gestalt entlang nach unten und ließ auf dem Boden Lachen zurück. Jacques folgte ihm langsamer. Er war im Prinzip dagegen, aber er wußte auch, daß Igor recht hatte. Er war derjenige, der pragmatischer dachte und seine Gefühle zurückdrängen konnte. Igor stand schon neben dem Bottich, als Jacques ins Freie kletterte. Und noch etwas geschah. Der regungslos am Boden hegende Sheriff bewegte sich plötzlich. Seine Arme zuckten ebenso wie die Beine. Er öffnete den Mund, wälzte sich herum und streckte die Arme aus, um sich an der Außenhaut des makabren Pools abzustützen. Wenig später stand er. Für die Brüder hatte er keinen Blick. Er stierte gegen die geschlossene Tür, hinter der sich die Personen aufhielten, in deren Körpern frisches Blut floß. Saft für ihn... Und dort wollte er hin! Die Brüder ließen ihn gehen. Sie hatten sich tiefer in den Raum zurückgezogen. Sie wußten, wohin sie sich wenden konnten, denn es gab hier einen Fluchtweg. Sie hatten das Haus wieder aufgebaut, die alten Pläne waren nicht aus ihrem Gedächtnis verschwunden, und der geheime Gang existierte. Es war von diesem Raum aus zu erreichen. Eigentlich lächerlich, aber hinter der Tür des einzigen Schranks befand sich der Zugang. Schüsse peitschten auf. Nebenan und sehr laut zu hören.
Jacques und sein Bruder nickten sich zu. Sie faßten sich an den Händen. Zu reden brauchten sie nicht. Beide wußten, daß es zu einem Kampf gekommen war, und sie wußten auch, daß ihr Freund nicht gewonnen hatte. »Man hat den Menschen besiegt«, flüsterte Jacques. Igor nickte. »Laß uns jetzt gehen.« »Warte noch.« Igor war aufgefallen, daß sich ihr Opfer der Tür näherte. Die Gier nach Blut war einfach zu groß. Er konnte es nicht mehr aushalten. Er würde hinausgehen müssen, um sich auf die Menschen zu stürzen. Sie ließen ihn laufen. Er öffnete die Tür. Als Schatten sahen sie ihn nur, und es drängte ihn auch niemand wieder in den Raum zurück. Die anderen Menschen warteten auf ihn. Vielleicht begriffen sie auch nicht, wer er war. Jacques leckte sich die Lippen. »Ich denke, es sieht ganz gut aus, Bruder.« »Warum?« »Er existiert noch. Er wird sich holen, was er braucht. Und wir werden bleiben können.« »Ich weiß nicht...« »Keine Sorge, du... ahhh...« Jacques zuckte zusammen. Sein nackter, blutbeschmierter Körper krümmte sich. Er sackte in die Knie. Er keuchte und spie rosigen Schleim aus. Dann kam er wieder hoch. »Er stirbt. Ich habe es gespürt. Er ist gestorben. Das Licht, er ging ans Licht...« Jacques fuchtelte mit den Armen. »Er verbrennt. Keine Sonne, der Sonnengott ist grausam!« »Laß uns fliehen!« »Nein, nicht mehr... sie sind schnell...« Plötzlich waren die beiden durcheinander. »Kraft, ich brauche Kraft«, keuchte Jacques. »Ich verfluche die Sonne. Ich verfluche die Sonne. Sie brennt mich aus...« Plötzlich schrie er, das heißt, er wollte schreien, doch es drang nur ein Jammern aus seiner Kehle. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür! *** Diesmal waren wir nicht vorsichtig. Wir stürmten in den Raum, wir wußten nicht, was uns erwartete, aber wir rechneten mit dem Schlimmsten. Leider war es zu dunkel, denn auch hier verdeckten Vorhänge die Scheiben der Fenster. Der Raum war sehr groß und leer, bis auf einen Gegenstand, der in seiner Mitte stand.
Es war ein großer Bottich, der Ähnlichkeit mit einem Gartenpool aufwies. Und aus ihm drang dieser widerliche Gestank, der uns schon zuvor aufgefallen war. Was der Bottich für eine Funktion besaß, das erfuhren wir später, denn da hatten es Suko und Abe Douglas in einer blitzschnellen Aktion geschafft, einen Teil der Vorhänge auszureißen. Das Sonnenlicht hatte freie Bahn. Es fiel normal in den großen Raum hinein, aber für die Brüder mußte es wirken wie eine Flut. Und wir sahen den Bottich zum erstenmal im Tageslicht! Blut schwappte darin! Dunkles, altes, stinkendes Blut, über dessen Oberfläche kaum erkennbare Schwaden schwebten. Und als wir die beiden Gestalten sahen, da mußten wir davon ausgehen, daß sie in diesem Blut gebadet und sich Kraft geholt hatten. Ja, wir sahen sie, und wir schauten sie von drei verschiedenen Seiten an. Sie standen im Licht, sie zitterten und boten einen makabren Anblick. Beide waren völlig nackt, aber über ihre Oberkörper lief das Blut in langen Streifen. Es rann aus den Haaren hervor, es war eigentlich überall, es bedeckte die Haut wie ein roter Schleim und machte ihre Gesichter zu widerlichen Fratzen. Sie taten nichts. Ich ging auf sie zu. Das Kreuz hielt ich fest. Diese Vampire waren keine Blutsauger, wie wir sie kannten. Sie holten sich zwar ihre Kraft aus dem Lebenssaft, aber sie entstammten einer anderen Mythologie, denn sie waren sogenannte Blutbader, und diese Flüssigkeit mußte Substanzen beinhalten, die sie so gefährlich machte. Ihre Münder zuckten. Sie öffneten sich. Wir sahen die Zähne. Wir hörten das Knurren, und wir sahen, wie sie sich an den Händen hielten, um sich gegenseitig zu stützen, denn das in den Raum fallende Licht sorgte bereits für eine Schwächung. Ihre Schritte waren müde, die nackten, blutigen Füße schleiften über den Boden. Von gezogenen Waffen ließen sie sich nicht beeindrucken, und noch hielt ich mein Kreuz durch die Hand verborgen. Bei mir war plötzlich das Wissen oder Bedürfnis vorhanden, zunächst nicht eingreifen zu müssen, denn es konnte sein, daß sich die alte VampirLegende selbst erledigte. Ihr Ziel war der Bottich. Sie näherten sich ihm Schritt für Schritt. Das Sonnenlicht fiel dabei gegen ihren Rücken. Irrte ich mich, oder schwebten bereits dünne Rauchschleier über der hellen Haut? Es spielte keine Rolle mehr, denn beide hatten zugleich den Rand des Bottichs erreicht, und beide bewegten sich synchron.
Sie legten ihre Hände auf den Rand des blutgefüllten Pools. In dieser Haltung blieben sie zunächst. Ihre Gesichter waren verzogen, sie schauten sich wieder an, sie nickten und hatten für uns keinen Blick. Zugleich stemmten sie sich hoch! Es waren keine geschmeidigen Bewegungen. Wir sahen ihnen an, daß sie große Teile ihrer Kräfte verloren hatten. Sehr mühevoll kamen sie weiter, ihre Füße verloren den Kontakt mit dem Boden, dann aber hatten sie sich so weit nach vorn gebeugt, daß sie das Übergewicht verloren und kopfüber in die Masse stürzen konnten. Dabei gelang uns der Blick auf ihre Rücken. Ich hatte mich nicht geirrt. Die Sonnenstrahlen hatten bereits Spuren auf ihrer Haut hinterlassen. Sie war nicht mehr so glatt, auch nicht mehr so hell. An bestimmten Stellen hatte sie einen aschigen und grauen Farbton bekommen und sah aus wie altes zusammengequetschtes Fleisch. Es klatschte dumpf, als sie in die rote Flüssigkeit hineinfielen und sofort untertauchten. »Mein Gott«, flüsterte Abe Douglas. »Was geschieht hier?« »Weiß ich auch nicht«, murmelte ich. Aber ich näherte mich dem Bottich. Ich wollte nicht, daß sie noch einmal Kraft bekamen und sich regenerierten. Die Vampir-Legende mußte endlich sterben. Am Rand blieb ich stehen. Auch die anderen beiden kamen, und wir konnten gut über ihn hinwegschauen. Es war eine schwere Flüssigkeit, die Wellen warf. Das aber, weil sich beide unterhalb der Oberfläche bewegten. Jetzt lag mein Kreuz frei. Durch die Fenster an der rechten Seite fielen die Sonnenstrahlen und berührten auch mein Kreuz. Sie sorgten für einen hellen Reflex, der sich plötzlich steigerte und sogar eine dreieckige Form annahm, als er das Allsehende Auge auf meinem Kreuz traf. Dies geschah genau in dem Augenblick, als der Kopf des Blonden aus der Flüssigkeit hervortauchte. Das Gesicht war verzerrt, der Mund stand weit offen, der Blutsauger mußte Qualen erleiden, aber sie waren nichts im Vergleich zu denen, die ihn überkamen, als er von dem grellen Licht des Allsehenden Auges getroffen wurde. Sonnenlicht und dieses alte ägyptische Zeichen hatten sich zusammengetan und so etwas wie eine magische Linse gebildet, die das strahlende Dreieck haargenau auf das Gesicht des Vampirs focussierte. Es war die Kraft des Guten, des Lichts, der Sonne, wie auch immer, die gegen die obskuren Kreaturen der Nacht ankämpfte, und dabei spielte es keine Rolle, wie weit die Zeiten fortgeschritten waren, denn diese Dinge blieben existent, mochte sich die Welt auch noch so verändern und Menschen andere Wege gehen.
Dieses Geschöpf der Nacht existierte schon zu lange. Tausende von Jahren vielleicht, möglicherweise in verschiedenen Formen, in der letzten Zeit als Mensch, aber das war nun vorbei. Das Gesicht zog sich zusammen. Die Haut nahm eine bläulichgraue Farbe an. Sie ribbelte sich regelrecht auf, und der Strahl bohrte sich immer tiefer in den Schädel hinein, der dampfte das Schlechte weg, wobei die Masse schrumpfte, stärker und stärker wurde, so daß nur mehr ein Klumpen zurückblieb. Ein kleiner Kopf, vergleichbar mit dem einer Mumie. Er schwamm auf dem alten Blut, das ebenfalls durch das Licht seine Dichte verloren hatte und nicht nur dünnflüssig, sondern auch durchsichtig wurde. Uns gelang ein Blick in die Tiefe des Bottichs, wo die zweite Gestalt schwamm. Nein, sie schwamm nicht, sie trieb dahin. Und sie schaffte es ebenfalls nicht, sich gegen die Kräfte anzustemmen. Sie war dabei, sich aufzulösen oder zusammenzuklumpen, so genau war es nicht zu erkennen. Jedenfalls wurde sie zu einem Teil dieser Flüssigkeit, wie auch zuvor Bruder Jacques Lacourte. Das alte Blut nahm sie auf. Das alte Blut war dadurch im Prinzip ein Sammelhort für Vampire geworden, und keiner von uns wußte, ob es mit seinen jetzt zurückgezogenen Kräften überleben würde. Deshalb ging ich aufs Ganze! Ich tauchte mein Kreuz in die Masse hinein, behielt die Kette in der Hand, betete, daß es die Macht des Allsehenden Auges schaffen würde, und tatsächlich freuten wir uns über das silbrigblaue Licht, das den Inhalt des Bottichs durchzuckte. Das alte Blut schäumte auf. Es kochte. Es warf Blasen, es entstand Dampf. Ich zog mein Kreuz wieder hervor, und wir traten zu dritt von dieser Quelle zurück. Jetzt hatte das Licht der Sonne freie Bahn. Es fiel auf und in den Bottich. Und es tötete ab! Es gab kein dickes Blut mehr, das den Bottich füllte. Was darin schwamm, konnte mit einer dunklen Wasserbrühe verglichen werden, und ich ging einfach davon aus, daß der magische Keim genommen worden war. Die Vampir-Legende war zerstört worden... *** Während Abe Douglas zum Wagen zurückgelaufen war, um einen Arzt sowie einen Leichenwagen telefonisch zu bestellen, standen wir vor dem Haus und atmeten endlich wieder die normale, von einem widerlichen Blutgeruch befreite Luft ein. Suko lächelte, ich lächelte ebenfalls.
Wir waren froh, diese Legende zerstört zu haben, obwohl wir über die genauen Ursprünge nicht Bescheid wußten. Den Zeichen und Symbolen nach zu urteilen, hatte sie im alten Ägypten ihre Basis gehabt. Auch dort hatte man schon Bluttrinker gekannt, und ob diese beiden Brüder bereits Jahrtausende gelebt hatten oder wiedergeboren waren, wußten wir nicht. Es war auch nicht mehr wichtig. Daß sie zerstört waren, das allein zählte. Trotz der Toten hatten wir das große Grauen in Grenzen halten können. Kaum vorzustellen, was geschehen wäre, hätte es der G-man Frank Clayton geschafft, einen Geheimbund zu gründen, dessen Gebote sich nach den Regeln alter Vampire richteten. Er hätte die Welt damit in ein Unglück stürzen können. »Soll ich dir mal was sagen, John?« »Wenn ich nein sage, tust du es doch.« »Stimmt.« »Also los!« Suko warf einen Blick zurück auf das Haus. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann sind mir die klassischen Vampire lieber.« »Bingo, Alter, mir auch...« Ich grinste. »Da weiß man wenigstens, woran man ist...«
ENDE