Vom Uran und seinen Fundstätten In früherer Zeit glaubte man, in den 92 chemischen Grundstoffen oder Elementen die letz...
32 downloads
405 Views
3MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Vom Uran und seinen Fundstätten In früherer Zeit glaubte man, in den 92 chemischen Grundstoffen oder Elementen die letzten und kleinsten Bausteine der Materie gefunden zu haben. Diese Elemente galten als nicht mehr weiter zerlegbar. Erst die Entdeckung der Radioaktivität gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erbrachte den Beweis, daß es Elemente gibt, die auf natürliche Weise „zerfallen“, d. h. die sich unter Abgabe von Strahlungsenergie in andere Elemente verwandeln. Ein solches radioaktives Element ist das Metall Uran, der schwerste unter den natürlichen Grundstoffen. Einstmals als lästiges „Abfallprodukt“ bei der Radiumgewinnung mißachtet, ist das Uran heute zum begehrtesten Stoff der Erde geworden; denn man hat es in neuester Zeit gelernt, die ungeheuren Energien, die im Uranatom gebunden sind, freizumachen und für mehr oder weniger nützliche Zwecke zu verwenden. Dabei kommt es auf das Uran-„Isotop“ 235 an, das in dem „gewöhnlichen“ Uran (mit der Massenzahl 238) nur zu 0,7% vorhanden ist. Uran kommt in der Natur in Erzen, wie Uranpechblende, Uranit u. a., vor. Die wichtigsten Fundstätten liegen in BelgischKongo, am Großen Bärensee in Kanada und im Gebiet von Aue und Joachimsthal. Weitere Vorkommen werden in Colorado, Südafrika, Australien, Sibirien und in verschiedenen europäischen Ländern ausgebeutet. Auch unter dem Eis der Nord- und Südpolargebiete wurde Uranerz festgestellt. Die neuesten Abenteuer Jim Parkers führen uns in eine Zeit, in der durch plötzliche Erschöpfung der Uranvorkommen eine Katastrophe über die Menschheit hereinzubrechen droht.
Von Alf Tjörnsen
„Hallo, Sanford! Was macht die H2-Pumpe? Hält die Anlage bis zur Außenstation durch?“ Bill Burton, der Kommandant des Uran-Transportraumschiffes A 44, schob sich durch die Tür des Maschinenraums und trat auf den Ersten Ingenieur zu. Sanford wandte den Blick von den Zeigern und Skalen der Kontrollgeräte und stand auf. „Kein Grund zur Besorgnis, Käpten. Der Schaden war schnell behoben. Ein vereistes Ventil – sowas kann bei diesen Wasserstofftriebwerken leicht vorkommen.“ „Stimmt, Sanford.“ Der Kapitän reckte sich und gähnte. „Na ja, in sechs Stunden haben wir’s geschafft – Gott sei Dank!“ „Laufen wir ‚Luna nova’ an, Käpten?“ „Wir werden an der Außenstation kurz zwischenlanden, um Urlauber zur Erde mitzunehmen.“ Die A 44 gehörte zu den größten und modernsten Weltraumschiffen des S.A.T., des Staatlichen Atom-Territoriums der 3
USA, und versah mit ihren Schwesternschiffen den regelmäßigen Transportdienst zwischen der Forschungsstadt Orion-City und den Außenwerken des S.A.T., die bereits vor Jahren auf der Rückseite des Mondes entstanden waren. Hier wurde Uranerz gewonnen, jener kostbare Ausgangsstoff für die Erzeugung der Atomenergie, des Lebenselements der gesamten neuzeitlichen Technik. Auch die Laderäume der riesigen A 44 waren bis in den entferntesten Winkel mit Uranerz gefüllt, als das Schiff jetzt der heimatlichen Erde zustrebte. Kapitän Burton gähnte. „Ein stures Kommando, diese Transportfahrerei, Sanford. Es wird meine letzte Reise auf der Mondroute gewesen sein.“ „Sie wollen uns verlassen, Käpten?“ fragte der Ingenieur überrascht. „Ich habe mich bereits weggemeldet – zur Venus-Flotte. Hier, zwischen Erde und Mond, passiert doch rein gar nichts. Nicht das kleinste Ereignis in all den Jahren, die ich schon auf dieser Strecke fahre, erst als Schiffsoffizier und seit acht Monaten als Kapitän. Es ist wirklich zum –“ Der Bordfernsprecher fuhr Bill Burton schrill und respektlos in die Rede. Gleichmütig hob der Kapitän den Hörer ab und meldete sich. Aus der Muschel klang verzerrt, aber so laut, daß der einige Schritte abseits stehende Sanford jedes Wort verstehen konnte, die Stimme des Steuermanns: „Käpten – backbord voraus ein Wrack! Es scheint zu brennen und gibt Notsignale.“ „Danke – ich komme. Geben Sie Bremsschüsse. Klar zum Manöver!“ Der Hörer flog auf die Gabel. Mit schnellen Schritten eilte der Kommandant zur Tür. Er war plötzlich wie verwandelt. „Hier passiert doch rein gar nichts“, grinste Sanford hinter ihm her. Aber Bill Burton hörte es schon nicht mehr. Durch den endlos langen Hauptgang des Schiffes hastete er nach vorn, wo 4
in der Spitze der Führerstand lag. Überall im Schiff schrillten die Alarmglocken, trampelten die Männer der Besatzung auf ihre Einsatzposten. Da – ein scharfer Ruck ließ Burton jäh nach vorn schnellen, daß er niederstürzte. Ein Bremsschuß – der Steuermann setzte die Fahrtgeschwindigkeit herab, um an dem fremden Fahrzeug längsseit zu gehen. Endlich hatte Burton den Führerstand erreicht und stürzte, ein starkes Marineglas vom Haken reißend, zum großen Backbord-Bullauge. Tatsächlich – da drüben, knapp dreihundert Meter entfernt, trieb ein kleines Raumfahrzeug. Es hatte aerodynamische Geschoßform, wie sie übrigens auch die A 44 besaß, kurze Tragflächen und Steuerflossen in Doppelkreuzform und war von der Spitze bis zum Heck mit einem mattschwarzen Anstrich versehen, so daß es sich – selbst im Sonnenlicht – kaum vom nachtschwarzen Himmelsgrund abhob. Das Triebwerk war abgestellt. Irgendwelche äußeren Beschädigungen waren an dem fremden Schiff auf den ersten Blick nicht festzustellen. Doch eine blaue Signallampe blinkte hinter einem der Bugfenster unaufhörlich das internationale Notsignal: SOS – SOS – SOS … Aus der Funkstation der A 44 kam jetzt der Erste Offizier und trat auf Kapitän Burton zu. „Wir haben die da drüben immer und immer wieder gerufen, Sir“, meldete er und wies mit einer Kopfbewegung aus dem Fenster. „Aber ohne Erfolg. Anscheinend ist ihre Funkanlage im Eimer.“ „Möchte nur wissen, was das für ein komischer Kasten ist“, bemerkte Burton kopfschüttelnd und setzte das Glas ab. „Wette, daß wir beim S.A.T. diesen Typ nicht haben. Doch was für ein Landsmann könnte es sonst sein? Ein Australier vielleicht?“ Der „Erste“ zuckte die Achseln. „Da bin ich überfragt, Sir. Habe diese Bauart bisher nirgends gesehen. Diese kreuzförmige Anordnung der Tragflügel und Heckflossen …“ 5
„… muß dem Schiff eine unerhörte Wendigkeit geben, wenigstens beim Flug innerhalb der Atmosphäre eines Planeten“, vollendete Burton den Satz. „Sehen Sie doch, Sir, das Schiff brennt ja über und über!“ Der Kommandant setzte das Marineglas an die Augen und erschrak. Am Bug, im Mittelteil, am Heck – überall dampfte und rauchte es aus zahllosen unsichtbaren Lecks. Das fremde Schiff war verloren. Jeden Augenblick konnten die Treibstofftanks explodieren. „Sie geben eine Meldung, Sir“, rief der „Erste“ aufgeregt. Die SOS-Blinkzeichen hatten aufgehört. Statt dessen kamen jetzt neue Lichtsignale – Morsezeichen – in rascher Folge. Der Erste Offizier entzifferte: „… und müssen Schiff aufgeben. Beginnen mit Ausbooten der Besatzung. Erbitten Übernahme unserer Mannschaft.“ „Alles klar zur Übernahme der Schiffbrüchigen!“ kommandierte Bill Burton. „Luftschleuse auf!“ Im gleichen Augenblick schob sich die Einstiegluke des fremden Schiffes auf, und die Mannschaft quoll heraus. Zehn, fünfzehn, zwanzig Gestalten schwebten und purzelten durcheinander, komisch anzusehen in ihren plumpen Weltraumpanzern. Doch schnell kam Ordnung in den Haufen. In geschlossener Formation strebten die Schiffbrüchigen der A 44 zu. „Zwanzig Mann“, wunderte sich der „Erste“. „Eine auffallend starke Besatzung für solch ein kleines Schiff.“ „Kommen Sie“, befahl Burton. „Wir wollen sie an der Luftschleuse in Empfang nehmen.“ Sie gingen zusammen nach mittschiffs, wo die Schleusenkammern lagen, welche die Verbindung mit der Außenwelt herstellten. Ein Teil der Besatzungsmitglieder der A 44 hatte hier bereits Aufstellung genommen, um den Geretteten unverzüglich erste Hilfe angedeihen zu lassen. 6
Über der Innentür der Schleuse glühte ein rotes Warnlicht – das Zeichen, daß die Kammer nach dem leeren Weltraum hin offen war und nicht betreten werden durfte. Unmerklich erst, dann immer schneller, verblaßte das rote Licht. Die Außentür war jetzt geschlossen, und die Schleusenkammer füllte sich mit Atemluft. Jetzt flammte eine grüne Lampe auf. Langsam wurde die Gangtür von innen her aufgeschoben. Die Schiffbrüchigen drängten sich herein und begannen, sich ihrer unförmigen Schutzanzüge zu entledigen, wobei ihnen die Männer der A 44 hilfreich beistanden. Bill Burton ging auf einen vierschrötigen, untersetzten Mann mit breitem Gesicht zu, in dem er den Kommandanten des fremden Schiffes vermutete, und streckte ihm die Hand entgegen. „Willkommen an Bord“, grüßte er höflich. „Befindet sich Ihre Mannschaft vollzählig in Sicherheit? Wo kommen Sie her? Was für ein Malheur ist Ihrem Schiff denn zugestoßen? Können wir irgendwas für Sie tun?“ Der Fremde zögerte einen Augenblick. Er schien nicht recht zu wissen, welche der vielen Fragen er zuerst beantworten sollte. Scheu sah er sich nach seinen Begleitern um, die sich inzwischen aus den Weltraumpanzern herausgeschält hatten und ihren Kapitän erwartungsvoll anschauten. Da erscholl plötzlich die Stimme des Funkers aus dem Vorschiff: „Hallo, Käpten, was ist denn das? Da drüben sind ja noch mehr Leute an Bord. Es wimmelt nur so hinter den Bullaugen. Und das Schiff brennt auch gar nicht mehr!“ Verdutzt fuhr Bill Burton herum – und bekam im selben Moment einen schweren, schmerzenden Schlag über den Schädel. Seine Knie wurden weich. Instinktiv tastete er nach dem Knopf der Alarmanlage. Aber seine Hand rutschte kraftlos an der glatten Wand herunter. Im Fallen nahm er noch das grinsende Gesicht des fremden Kommandanten wahr, in dessen Hand ein Gummiknüppel wippte. Er sah noch, wie der Erste 7
Offizier von zwei Männern überwältigt wurde, wie die Männer seiner Besatzung niedergerungen wurden und ein Teil der seltsamen „Schiffbrüchigen“ durch den Gang zur Funkstation und zum Führerstand rannte. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen … Das große Abenteuer, auf das Bill Burton in langen, eintönigen Raumfahrerjahren vergeblich gewartet hatte, es war auf seiner letzten Fahrt zwischen Mond und Erde überraschend zu ihm gekommen – wenn auch auf ganz andere Art, als er es sich erhofft hatte. * Wie ein gewaltiges, langsam sich drehendes Riesenrad schwebte die künstliche Weltraumstation „Luna nova“ in 1730 Kilometer Höhe über Ländern und Meeren der Erde. Sie war der große, kosmische Umsteigebahnhof. Hier liefen die schlanken, granatförmigen Zubringerraketen von der Erde ein und luden ihre Fracht an Menschen und Material in die plump wirkenden Planetenschiffe um, die den Dienst nach dem Mond und den Kolonien auf der fernen Venus versahen. In dem mit nüchterner Sachlichkeit ausgestatteten Raum der Befehlszentrale, in dem nur ein Gemälde des Arc de Triomphe eine etwas persönlichere Note hervorrief, saß Henri Lasalle, der Kommandant der Station, am Schreibtisch und arbeitete emsig an der Fertigstellung des Monatsberichts, der mit dem nächsten Raumschiff nach Orion-City abgehen sollte. Das Tischtelefon summte. Lasalle hob ab. Am anderen Ende meldete sich die Funkstation. „Funkspruch vom Transportschiff A 44, Sir. Das Schiff hat ein brennendes Wrack getroffen und unterbricht die Fahrt, um die Besatzung zu übernehmen.“ „Ein Wrack? Sacre nom – ja wo denn, zum Donnerwetter?“ 8
„In 285 000 Kilometer Abstand vom Mond, Sir.“ „Das verstehe ich nicht.“ Lasalle drückte auf einen Knopf. An der gegenüberliegenden Wand flammte ein Transparent auf: Auf matt-dunklem Untergrund leuchteten die hellen Scheiben von Erde und Mond, dazu in geringem Abstand von der Erde die Außenstation. Feine, helle Ellipsen stellten die Fahrtrouten zwischen den drei Himmelskörpern dar, und kleine, rotleuchtende Punkte bezeichneten den jeweiligen Standort der Raumschiffe, die sich nach einem ganz bestimmten Fahrplan auf ihnen bewegten. Henri Lasalle überprüfte gewissenhaft das anschauliche Bild und sagte dann noch einmal: „Das verstehe ich nicht. Wo soll denn dieses rätselhafte Wrack herkommen?“ „Vielleicht ein Australier?“ mutmaßte der Mann in der Funkstation. „Nicht sehr wahrscheinlich. Was sollte der auf unserer Mondroute suchen? Außerdem wäre er uns von der AIC * avisiert worden. Na schön – bleiben Sie mit der A 44 in Verbindung und halten Sie mich auf dem laufenden.“ Seufzend wandte sich Lasalle wieder seiner Arbeit zu und hatte den Vorfall gleich darauf vergessen. Doch man ließ ihm keine Ruhe. Schon zehn Minuten später summte das Telefon erneut auf. „Die A 44 hat die Schiffbrüchigen soeben übernommen“, teilte die Funkstation mit. „Es handelt sich um zwanzig Mann. Das Wrack selbst steht in Flammen und dürfte jeden Augenblick …“ „Augenblick mal“, unterbrach Lasalle erstaunt. „Zwanzig Mann? Das muß ja ein recht stattlicher Kasten sein – doch hoffentlich keins von unseren Venus-Passagierschiffen, das aus der Bahn geraten ist? Halten Sie die Verbindung aufrecht! Ich komme gleich selbst rüber.“ *
AIC = Australian Industrial Company, eine Raumfahrt-Organisation in Sydney.
9
Drei Minuten später hockte Lasalle bereits in der Funkstation, wo zwei Männer an der Empfangsanlage hantierten. Im Kopfhörer rumorten verworrene Geräusche. Plötzlich eine aufgeregte Stimme: „Achtung –‚Luna nova’! Hier A 44. Da drüben, da stimmt doch etwas nicht. Der Brand scheint eingedämmt – völlig gelöscht zu sein. Ein großer Teil der Besatzung befindet sich offenbar noch an Bord des havarierten Schiffes. Jetzt – jetzt nimmt es plötzlich Fahrt auf und – und –“ „Ja, was denn, Menschenskind?“ stieß Lasalle heiser hervor. Er machte sich keine Gedanken darüber, ob der andere seine Frage wohl überhaupt vernehmen könnte. Doch von Bord der A 44 kam keine Antwort mehr. Nur ein Durcheinander von Schritten, unverständlichen Rufen und wirrem Gepolter klang noch in den Kopfhörern. Dann nichts mehr. „Aus!“ bemerkte einer der Funker wenig geistreich. „Verstehen Sie das, Sir?“ „Mort de ma vie!“ schimpfte Lasalle in der Sprache seiner Heimat. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Da sind wohl wieder einmal Weltraumgespenster am Werk.“ Der andere Funker hatte inzwischen unablässig das Rufzeichen gesandt. Schließlich lehnte er sich entmutigt zurück und sah seinen Chef fragend an. Henri Lasalle riß sich zusammen. „Rufen Sie Orion-City an“, sagte er mit belegter Stimme, „und rufen Sie mich, wenn die Verbindung hergestellt ist.“ * „Thunderstorm – das ist ja wirklich enorm, was Sie da geleistet haben! Ein Kraftwerk für dreieinhalb Millionen Kilowatt – damit können Sie ja den Elektrizitätsbedarf des ganzen S.A.T. decken.“ Unterstaatssekretär Baker, der mit Generaldirektor 10
Cunningham durch den riesigen Schaltraum schritt, war offensichtlich tief beeindruckt. „Mehr noch als das“, erwiderte der dicke Atomboß stolz. „Das neue Kraftwerk arbeitet gewissermaßen in zwei Stufen. Die erste Stufe, die mit Uran betrieben wird, leistet drei Millionen Kilowatt. Das ist mehr als ausreichend für unsere gesamten Anlagen.“ „Und die zweite Stufe?“ „Sie wird mit Plutonium betrieben, das in der ersten Stufe anfällt, und hat nochmals eine Leistung von 600 000 Kilowatt. Den Strom, der hier erzeugt wird, geben wir an die City und einen Teil des Countys ab.“ „Ausgezeichnet, wirklich phänomenal“, murmelte der Unterstaatssekretär, aber es klang, als bedrückte ihn eine geheime Sorge. „Und der Energielieferant ist einzig und allein …“ „… Uran“, erklärte Ted S. Cunningham gewichtig. „Ja, mein Lieber, das hätten sich die Pessimisten vor einem Jahrzehnt nicht träumen lassen, daß die Atomenergie eines Tages Kohle und Wasserkräfte in der Elektrizitätserzeugung fast restlos verdrängen würde. Heute ist es soweit: Überall in den Staaten sind die Atomkraftwerke wie Pilze aus dem Boden geschossen, und – was das Wichtigste ist – die Sache ist allmählich rentabler geworden als die alten Verfahren. Doch kommen Sie, Sir! Wir wollen uns noch die anderen Anlagen anschauen, den Uranmeiler, den Plutoniumbrenner und die beiden Turbinenhäuser.“ Cunningham nahm seinen Gast beim Arm und steuerte ihn durch das Heer der Elektriker, die den großen Saal mit reger Betriebsamkeit erfüllten. Noch vierzehn Tage, dann sollte das neue Kraftwerk feierlich eingeweiht werden, das zwar nicht das erste seiner Art war, dafür aber das größte und modernste. Unterstaatssekretär Baker folgte dem dicken Atomboß nur zögernd. Als sie über den gepflasterten Hof zu dem mächtigen Betonklotz des Uranmeilers hinüberschritten, verhielt er plötz11
lich den Schritt und zog Cunningham in den Eingang der Trennanlage hinein, deren Gebäude bereits fertiggestellt und im Augenblick menschenleer waren. „Hören Sie, Cunningham“, flüsterte er, und sein Gesicht drückte größte Besorgnis aus, „was Sie da eben vom Sieg der Atomenergie über die alten Verfahren andeuteten, beruht leider auf einem – äh – verhängnisvollen Irrtum. Die Pessimisten haben doch recht behalten. Wären wir nur lieber bei der Elektrizitätserzeugung aus Kohle geblieben, hätten wir nur alles darangesetzt, um die Erschließung der Wasserkräfte voranzutreiben – denn …“ Der dicke Cunningham starrte seinen Besucher an, wie eine Erscheinung. War der gute John Baker etwa übergeschnappt? „ … denn es deutet alles darauf hin, daß die bekannten Uranerzvorkommen in kürzester Zeit erschöpft sein werden“, vollendete Baker düster. „Wir bekommen seit Monaten höchst beunruhigende Informationen aus allen bedeutenden Fundstätten, die so ziemlich dasselbe behaupten. In Kanada und am Kongo, in Colorado wie in Joachimsthal, überall sinkt die Ausbeute erschreckend schnell. Daß es auch in Sibirien nicht anders zu sein scheint, ist dabei nur ein schwacher Trost.“ Dem Atomboß klappte die wuchtige Kinnlade herunter. Wie ein eisiger Guß trafen die Eröffnungen des hohen Regierungsbeamten den Mann, dessen ganzes Tun und Trachten um das kostbarste Element der Welt, um das Gold der Neuzeit, kreiste: das Uran. Aber schnell hatte er sich wieder gefaßt. Die bedrohliche Mitteilung Bakers hatte offenbar auch ihre guten Seiten. Ted S. Cunningham witterte seine Chance. „Schlimm“, sagte er leichthin, „wirklich höchst fatal – allerdings weniger für das S.A.T. Dank den unerschöpflichen Erzlagern, über die wir im Gebiet unseres Mondwerkes ‚Luna IV’ verfügen, sind wir von den irdischen Uranvorkommen praktisch unabhängig. Eventuell wären 12
wir sogar in der Lage“, fügte er jovial hinzu, „einen gewissen Teil unserer Förderung zu mäßigen Preisen an andere Betriebe abzugeben.“ „Diese ‚mäßigen Preise’ werden es wohl in sich haben“, lächelte der Unterstaatssekretär säuerlich. „Aber wohl oder übel werden wir wohl von Ihrem großherzigen Entgegenkommen Gebrauch machen müssen. Wieviel würden Sie fürs erste zur Verfügung stellen können?“ Cunningham überlegte schnell. Der Vorrat an Uran 235, der im Augenblick frei verfügbar war, mußte für das neue Kraftwerk reserviert bleiben, wenn es termingerecht in Betrieb genommen werden sollte. Aber die A 44 mußte stündlich eintreffen, mit hochwertigem Erz „bis an den Rand“ vollgestopft, und die A 39 würde in Kürze von „Luna IV“ starten. „Ich trete Ihnen die ganze Ladung der A 44, unseres größten Transporters, ab“, erklärte er großmütig. „Über das Geschäftliche können wir uns ja nachher unterhalten. – Ja, was gibt es denn, Shilling?“ Der Privatsekretär des Atomgewaltigen, der seinen Chef auf wunderbare Weise hier, im Eingang der Trennanlage, aufgefunden hatte, steuerte aufgeregt auf die beiden Herren zu. „Pardon, Sir, soeben traf ein dringender Anruf von ‚Luna nova’ ein. Monsieur Lasalle meldet, daß die A 44 zwischen Mond und Außenstation auf unerklärliche Weise verschwunden sei.“ „Ausgerechnet jetzt“, stöhnte der Unterstaatssekretär, „wo wir jedes Gramm Uran so nötig brauchen wie das tägliche Brot!“ Ted S. Cunningham aber fluchte wie ein Hafenkuli. * „Na – da wird der dicke Boß schön fluchen.“ Doktor Keßler, ein glatzköpfiger, ungemein temperamentvoll 13
wirkender Fünfziger, nahm die Brille ab und rieb sich die entzündeten Augen. Das grelle Licht des Mondnachmittags fiel gleißend durch die halbgeöffneten Fenster herein und tauchte die Einrichtungsgegenstände des modern gestalteten Privatlabors in eine fast schmerzhafte Helligkeit. Der kleine Abteilungsleiter schob die Protokollbücher zurück und sprang auf. Ein paarmal durchmaß er den Raum mit kurzen, schnellen Schritten. Schließlich blieb er vor seiner Assistentin stehen, die sich an dem kleinen Schreibmaschinentisch niedergelassen hatte. „Ein Irrtum ist ganz ausgeschlossen?“ fragte er gepreßt. „Ganz ausgeschlossen, Sir“, bestätigte die junge Französin. „Wenn Sie sich selbst überzeugen wollen? Wir haben noch ein paar Proben von der Lieferung VII/412 vorrätig …“ „Schon gut“, winkte Keßler ab. Er wußte, daß er sich auf Yvonne Boucher unbedingt verlassen konnte. Die junge Chemikerin arbeitete seit anderthalb Jahren in seinem Laboratorium im Mondwerk „Luna IV“ und war auf die Analyse der kostbaren Uranerze, die hier, auf der Rückseite des Erdtrabanten, seit etlichen Jahren gefördert wurden, spezialisiert. „Daß die Uranvorkommen im Bereich des Mond-Himalaja nicht halten würden, was sie versprachen, hatte ich mir ja damals gleich gedacht, als die Erschließung mit einem Riesenrummel begann“, meinte Doktor Keßler. „Aber Cunningham wußte es ja besser. Allerdings – daß der Ofen so schnell aus sein würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen.“ „Die Lagerstätten auf dem Mond waren bisher stets ziemlich schnell erschöpft …“ „… was auch weiß Gott kein Wunder ist – bei diesem irrsinnigen Uranhunger des S.A.T.! Wenn sich die Umstellung der ganzen irdischen Energiewirtschaft auf Uran nur nicht eines Tages bitter rächt. Auch der Atomenergie sind Grenzen gesetzt.“ 14
„Die A 21 startet in drei Stunden zur Erde, Sir.“ Yvonne hielt es für richtig, ihren Chef an die nächstliegenden Pflichten zu erinnern. „Ja, richtig. Notieren Sie bitte das Avis für Orion-City: ‚Transportschiff A 21 – Lieferung VI/412 an Bord – abgefertigt am …’ – heutiges Datum! Schreiben Sie weiter: ‚Besondere Bemerkungen: U-Gehalt durchschnittlich um 50 Prozent zurückgegangen!’ So, nun noch unterschreiben, und dann bringen Sie den Wisch gleich selbst zur Funkzentrale. Die Sache läuft natürlich als ‚streng geheim’.“ Yvonne Boucher beeilte sich, den Auftrag zu erledigen. Doch als sie eine Viertelstunde später wieder vor ihrem Chef stand, fragte er unvermittelt: „Wann startet die A 21?“ „In zwei Stunden, 42 Minuten, Sir“, erwiderte Yvonne, nach einem Blick auf die Armbanduhr. „Das reicht“, stellte Doktor Keßler befriedigt fest. „Machen Sie sich bitte gleich fertig.“ „Aber – wozu denn?“ staunte Yvonne. „Wozu? Ach ja – das hätte ich fast vergessen: Sie sollen nämlich nach Orion-City mitfahren. Ich halte es für dringend erforderlich, daß Sie mit dem Boß persönlich reden und ihn über die Lage hier aufklären. Das Schwinden der Uranvorräte wird mir nämlich unheimlich. Irgend etwas muß geschehen, und zwar sofort. Gute Reise, Miß Boucher!“ * Zur selben Stunde, als Yvonne in ihrem Zimmer im Unterkunftshaus F, in dem die weiblichen Angestellten des Mondwerks „Luna IV“ untergebracht waren, in fliegender Hast ihren Koffer packte, saß der Atomboß im fernen Orion-City in seinem Arbeitszimmer im Gespräch mit zwei Besuchern – und 15
diese beiden waren niemand anders als Jim Parker, der Raumschiffkommodore, und sein treuer Kamerad Fritz Wernicke. Ted S. Cunningham schüttelte ein ums andere Mal sein mächtiges Haupt, als der Kommodore ihm von den näheren Einzelheiten seiner Jagd auf den gefährlichen Weltraumgangster Ivor Mexass * berichtete. Als Parker geendet hatte, lehnte sich der Boß zurück und nahm einen tiefen Zug aus seiner geliebten Havanna. „Sie haben Ihr Leben sehr leichtsinnig aufs Spiel gesetzt, Parker“, sagte er mit sanftem Verweis. „Anders wäre es kaum gelungen, diesen Verbrecher zur Strecke zu bringen und die Sicherheit im Weltraum wiederherzustellen.“ „Sicherheit im Weltraum?“ knurrte Cunningham. „Schätze, die läßt noch sehr zu wünschen übrig. Von der A 44 haben wir noch immer keine Spur gefunden.“ „A 44 – der große Urantransporter?“ rief Fritz Wernicke und setzte das Whiskyglas hart auf die Tischplatte. „Habe schon von der Geschichte gehört. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu …“ „Man scheint es neuerdings in auffallender Weise auf unsere Uran-Transporte abgesehen zu haben“, stellte Jim Parker fest. „Erst Mexass’ Anschlag auf das Venusuran, und nun das mysteriöse Verschwinden dieses Mondschiffes.“ „So – fällt Ihnen das auch schon auf?“ grunzte Cunningham ärgerlich und schleuderte die halbgerauchte Havanna, die ihm plötzlich gar nicht mehr schmecken wollte, in den Ascher. „Na, mich wundert es weniger. Schließlich ist Uran über Nacht zu einer Mangelware erster Ordnung geworden.“ Und er erzählte den überrascht aufhorchenden Freunden von den alarmierenden Nachrichten, die Unterstaatssekretär Baker aus Washington mitgebracht hatte. *
Siehe UTOPIA, 27. Band
16
„Pech“, meinte Jim lakonisch. „Aber für das S.A.T. bedeutet das Versiegen der irdischen Uranvorkommen Glück im Unglück. Mit seinen Lagerstätten auf dem Mond wird es nicht nur die gegenwärtige Krise überbrücken, sondern auch einen Teil seines Überschusses für gutes Geld verkaufen können.“ „Ich weiß nicht recht, Parker“ – der Atomboß wiegte das Haupt – „habe da so ein unsicheres Gefühl. Sagen Sie – ahem – wäre es nicht möglich, die Erzförderung auf Venus zu vervielfachen?“ „Von Venus halte ich einstweilen nicht viel, Boß. Bedenken Sie: Wir haben im Bereich von Silverfield of Venus erst ein einziges wirklich abbauwürdiges Erzlager entdeckt. Hinzu kommt, daß die Sache erst dann lohnend wird, wenn wir auf Venus selbst die nötigen Anlagen errichtet haben, um das Erz an Ort und Stelle aufzubereiten. Vorläufig müssen wir es in Transportfahrten von vierteljährlicher oder gar noch längerer Dauer zur Erde schaffen, und dabei geht der ganze Gewinn für die Beförderungskosten drauf. Nein, einstweilen müssen wir uns wohl oder übel mit dem Ertrag der Mondgruben begnügen.“ Das Summen des Tischtelephons ließ ihn verstummen. Ächzend stemmte sich Cunningham aus dem Ledersessel hoch und wuchtete zum Schreibtisch hinüber. Unwirsch meldete er sich. Doch plötzlich trat der Ausdruck des Schreckens in seine Stimme: „… Wie war das? Von Keßler sagen Sie? Kann das nicht ein Irrtum sein? – Ja, danke – ich habe verstanden.“ „Da haben wir die Schweinerei schon“, stöhnte Cunningham und sank bleich in seinen Sessel zurück. „Ist Ihnen nicht gut, Boß?“ fragte Fritz Wernicke teilnahmsvoll. „Hier, trinken Sie einen doppelten Whisky. Das ist die beste Medizin in allen Lebenslagen.“ Doch der dicke Generaldirektor achtete nicht auf den wohlmeinenden Rat des trinkfesten Weltraumpiloten. „Keßler mel17
det, der Urangehalt der Monderze sei um fünfzig Prozent zurückgegangen. Und das ausgerechnet jetzt, wo wir auf jedes Milligramm angewiesen sind …“ In das betretene Schweigen hinein klang die feste Stimme des Kommodores – doch auch sie wirkte ein wenig belegt: „Wir wußten, Boß, daß die Erzlager im Gebiet des Mond-Himalaja nur begrenzten Umfang hatten. Daß sie ausgerechnet in diesem Moment schlapp machen müssen, ist natürlich peinlich, aber noch längst kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Kopf hoch, Boß! Wir werden uns unverzüglich aufmachen und nach neuen Fundstätten suchen – nordwärts, in den wilden, unerforschten Gegenden der Mondrückseite.“ „Bravo!“ rief Fritz Wernicke und hob sein Glas. „Auf die neuen Fundstätten!“ Ted S. Cunningham klammerte sich an die zuversichtlichen Worte seines Kommodores, wie der Ertrinkende an den Strohhalm. „Tun Sie es, Parker, fahren Sie noch heute! Nehmen Sie die nächste Zubringerrakete zur Außenstation und von dort das fahrplanmäßige Mondschiff. Und geben Sie mir sofort Nachricht, wenn Ihre Mission Erfolg hatte. – Good bye, boys, und glückliche Fahrt.“ Der Atomboß drängte seine Besucher zur Tür und ließ sich dann mit Washington verbinden. Er hatte die unangenehme Aufgabe vor sich, Unterstaatssekretär Baker darauf vorzubereiten, daß er mit der so voreilig zugesagten Ladung der UranerzTransportrakete A 44 nicht mehr rechnen könnte. * Noch ein wenig benommen von den Aufregungen des gerade überstandenen Bremsmanövers kletterte Yvonne Boucher über die fahrbare Treppe auf das Zentralflugfeld von Orion-City hinab, gefolgt von einem Matrosen der A 21, der ihr diensteifrig 18
den Koffer nachtrug. Yvonne warf noch einen scheuen Blick auf den riesigen Rumpf des Transportraumschiffes zurück und schritt dann entschlossen auf das Gebäude der Flugleitung zu. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Madam?“ Überrascht blickte Yvonne auf und sah in das gebräunte Antlitz eines jungen Mannes in der schmucken Fliegeruniform des S.A.T. Zwei braune Augen lachten sie unternehmungslustig an. „Fischer“, verbeugte sich der Flieger höflich, als er Yvonnes Verwirrung bemerkte. „Flugkapitän Horst Fischer, derzeit abkommandiert zur besonderen Verfügung Seiner Hoheit, des großmächtigen Generaldirektors Cunningham.“ „Das trifft sich ja großartig“, rief das junge Mädchen erfreut und musterte ihren neuen Bekannten genauer. Horst Fischer bot wirklich eine sehr erfreuliche Erscheinung – mit seiner sportlich-schlanken Gestalt und seinem unbekümmerten Jungengesicht war er der Prototyp jener jungen Generation, ohne die ein Unternehmen wie das S.A.T. nie und nimmer zu Ruhm und Erfolg gelangt wäre. Genau so mußte der Kommodore selbst ausgesehen haben, als er vor einigen Jahren seine Laufbahn in der Raumfahrerei begann. „Ich komme nämlich von Doktor Keßler von ‚Luna IV“, fuhr Yvonne fort, „und muß Mister Cunningham persönlich sprechen – in einer äußerst wichtigen Angelegenheit.“ „Sie sind bereits avisiert, Miß Boucher. Der Boß wünscht, daß Sie sofort zu Kommodore Parker fahren, um ihm vor seiner Abreise zum Mond noch Bericht zu erstatten. Mister Cunningham hat mich beauftragt, Sie zum Kommodore zu bringen, und ich bin aufrichtig froh darüber, daß er gerade mir diesen ehrenvollen Auftrag gegeben hat.“ „Ich verstehe“, lächelte Yvonne. „Es ist gewiß eine Ehre, mit Kommodore Parker …“ „Aber, nicht doch“, rief Fischer. „Ich meine – das mit der Ehre – das bezog sich doch auf – auf Sie, Miß Boucher.“ Der 19
gute Horst fing tatsächlich an zu stottern und errötete wie ein Schuljunge. „Vielen Dank für das Kompliment“, lachte Yvonne. „Doch kommen Sie, wir wollen den Kommodore nicht warten lassen.“ „Gewiß, Miß Boucher. Wir sehen uns ja nachher noch. Sie haben doch hoffentlich etwas Zeit? Bitte sehr, dort drüben steht mein Wagen.“ * „Willkommen auf ‚Luna nova’!“ Henri Lasalle, der kleine, quicklebendige Kommandant der Außenstation, hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen berühmten Gästen entgegenzufahren und sie höchstpersönlich mit dem Raumtaxi von Bord der Zubringerrakete abzuholen. Und während vom Beobachtungsstand der Station aus das Entladen der Transportrakete in gewohnter Weise geleitet wurde, flitzte das kleine Raumboot in kühner Kurve auf das Riesenrad von „Luna nova“ zu. „Da scheint ja wieder einmal ein toller Rummel los zu sein – bei euch, dort unten auf der Erde“, begann Lasalle, als er wenige Minuten später mit den beiden Freunden in seinem behaglichen Wohnraum im Inneren der Weltraumstation saß und eine Flasche echt französischen Kognaks entkorkte. „Die Angebote überschlagen sich ja förmlich. Hätte nicht übel Lust, meinen gutbezahlten Posten beim S.A.T. aufzugeben und unter die Prospektoren zu gehen.“ „Machen Sie keine Witze“, lachte Jim Parker. „Sind Sie etwa vom Goldrausch erfaßt?“ „Goldrausch? Pah! Uran lautet die Devise! Die ganze Welt zuckt ja bereits im Uranfieber! Nur Sie, großer Kommodore, haben natürlich noch nichts davon bemerkt. Das sieht Ihnen wieder mal ähnlich, Sie hoffnungsloser Idealist.“ 20
„Ahem – hatte tatsächlich noch keine Zeit, mich dafür zu interessieren“, gestand der Kommodore verlegen. „In unserem Beruf kommt man oft wochenlang nicht dazu, Zeitung zu lesen.“ „Und das Radio ist wohl bei euch noch nicht erfunden, he?“ Genießerisch zündete sich Lasalle eine „Gaulois“ an und fischte dann in einem Berg von Depeschen herum, die den Eingangskorb auf seinem Schreibtisch bis zum Überquellen füllten. „Also, hören Sie sich mal ein paar der neuesten Meldungen an: ,Washington: Uranmangel bedroht die Energiewirtschaft der Welt. Regierung der USA verzehnfacht Prämien für Entdeckung neuer Erzlager.’ ,Ottawa: Fieberhafte Suche nach neuen Uranvorkommen im Gebiet des Großen Bärensees. Riesige Chancen für Prospektoren!’ ,Canberra: Systematische Uransuche in der zentralaustralischen Wüste. Spezialhubschrauber mit Super-Zählrohren im Einsatz.’ ,Leopoldsville: Wilde Schürfkolonne im Kampf mit Bantunegern vernichtet.’ ,Buenos Aires: Neue Uranvorkommen in der Antarktis vermutet. Argentinien sichert jedem Entdecker neuer, abbaufähiger Erzlager zehnprozentige Gewinnbeteiligung zu.’“ „Aufhören!“ rief Fritz Wernicke in komischem Entsetzen. „Mir wird ganz schwindelig. Die müssen’s ja verdammt nötig haben.“ „Kunststück“, brummte Lasalle, „wenn ihnen der Stuhl unterm Hinterteil brennt. Nun, dem S.A.T. kann es egal sein. Unsere Uranlager auf dem Mond …“ „Hoffen wir das Beste“, unterbrach ihn der Kommodore ernst. „Auf jeden Fall könnte der Uranmangel zu einer folgenschweren Gefährdung für die ganze menschliche Zivilisation werden. Hallo, Lasalle – da wünscht Sie jemand zu sprechen.“ 21
Der kleine Franzose hob den Hörer des wie rasend klingelnden Tischtelephons ab und meldete sich. Die aufgeregte Stimme des Wachhabenden in der Funkstation schrillte so laut an sein Ohr, daß auch Parker und Wernicke jedes Wort verstehen konnten: „Notruf von A 39, Sir: Das Schiff meldete vor zehn Minuten Begegnung mit einem Raumschiff unbekannter Nationalität. Dann kamen plötzlich SOS-Rufe …“ „… und dann?“ Lasalle war aufgesprungen, bleich im Gesicht. Es schien, als wollte er in die Sprechmuschel hineinkriechen. „Dann – nichts mehr“, kam die betretene Antwort. „Die Position des Schiffes?“ „Nach letzter Meldung 270 000 Kilometer Abstand vom Mond, im direkten Anflug auf ‚Luna nova’.“ „Danke. Versuchen Sie weiter, Verbindung zu bekommen.“ Erschöpft sank Lasalle auf seinen Stuhl zurück. „Was sagen Sie nun, Gentlemen? Das ist der zweite Fall dieser Art innerhalb weniger Tage.“ „Na, dann prost!“ bemerkte Wernicke trocken. „Zwei Schiffsladungen Uranerz im Eimer, und das ausgerechnet jetzt. Der arme Cunningham!“ Jim Parker warf ihm einen verweisenden Blick zu. „Und an die armen Besatzungsmitglieder denkst du nicht, du Gemütsmensch, was? Schätze, daß dort in 270 bis 285 000 Kilometer Monddistanz eine erstaunlich windige Gegend liegen muß. Höchste Zeit, sich dort mal etwas genauer umzusehen.“ „Sie werden gewiß gleich aufbrechen wollen, Kommodore?“ rief Lasalle erwartungsvoll. „Das fahrplanmäßige Mondschiff soll zwar erst in fünf Stunden starten, aber ich werde den Leuten Beine machen. Vielleicht …“ „Zwecklos“, winkte Jim Parker ab. „Wir fahren mit ganz bestimmter Order zum Mond und können uns nicht mit Suchak22
tionen und ähnlichen Eskapaden aufhalten. Habe übrigens den unangenehmen Verdacht, daß hier eine Teufelei im Gange ist, die in Oberst Mortimers Ressort fällt. Komm, Fritz, wir wollen uns noch ein wenig in die Mondkarte vertiefen und das Programm für die nächsten Tage festlegen. Alarmieren Sie inzwischen den Sicherheitsdienst, Lasalle. So long!“ * Uranfieber packte die ganze Welt! In allen Ländern machten sich die Goldsucher des Atomzeitalters auf, um nach Uran zu fahnden, dem kostbarsten Element der neuen Zeit. Freilich zogen sie nicht aus wie jene Prospektoren der alten Zeit – hochbepackt mit Spaten, Pickel und Waschpfanne, Zelt und Proviant, Decken, Colt und Munition. An ihre Stelle war das handliche Geiger-Zählrohr getreten, und man fuhr im geländegängigen Jeep oder flog – noch bequemer und zweckmäßiger – im Hubschrauber. Die Rolle des 48er Colt aber hatten Maschinenwaffen modernster Konstruktion übernommen. Vielfach waren es Gruppen ernsthafter Wissenschaftler, die im Dienst der Regierungsbehörden oder der Privatindustrie nach neuen Uranvorkommen forschten. Aber die Aufrufe wandten sich an alle, und die Abenteurer und Glücksritter – oft dunkle und fragwürdige Existenzen – waren bei weitem in der Überzahl. Und den Regierungen der uranhungrigen Nationen war es letzten Endes ganz gleich, wer die neuen Fundstätten für sie entdeckte und mit welchen Mitteln es geschah. Ströme von Uransuchern ergossen sich in die fieberschwangeren Urwälder des Kongo, über denen die Tropensonne brütete. Andere überfluteten das Land am Großen Bärensee, hoch im Norden Kanadas, unter dem Polarkreis. Sie durchstreiften die 23
trockenen Wüsten Australiens und wühlten die Erde in Schweden und Frankreich auf, in England, Portugal und Spanien. Ja, selbst dem Eispanzer Grönlands gingen sie mit fanatischem Eifer zu Leibe – auf der gierigen Suche nach dem so heißbegehrten Erz. Uranfieber hatte die ganze Welt gepackt. * Mit mürrischer Miene blickte Generaldirektor Cunningham auf seinen Privatsekretär, der lautlos den Arbeitsraum des Atomgewaltigen betrat und einen Brief auf die Schreibtischplatte legte. „Nachricht von Professor Westermann, Sir. Fischer hat sie soeben aus der Antarktis mitgebracht.“ „Her damit!“ rief Cunningham, und ein Hoffnungsschimmer belebte seine verdüsterten Züge. „Hoffentlich hatte Westermann Erfolg.“ Er riß den Umschlag auf und überflog den Bericht, den der Leiter der Antarktis-Expedition des S.A.T. geschickt hatte. Und während er las, wich der Ausdruck der Hoffnung in seinem massigen Gesicht erneut einer tiefen Niedergeschlagenheit. „Nichts“, murmelte er, „das heißt – hier schreibt Westermann noch: ‚Immerhin wäre es wohl verfrüht, die Suche in diesem Gebiet schon jetzt abzubrechen. Hancock schwört darauf, daß wir auf der richtigen Spur seien, und die Registrierungen der neuen Super-Spezialzählrohre scheinen ihm recht zu geben, wenn sie auch nicht ganz widerspruchsfrei sind. Wir brechen heute unser Lager ab und stoßen in südöstlicher Richtung, um den Gauß-Berg herum, weiter vor’.“ Hancock – Doktor Charles Hancock – das war der Geologe, den man Professor Westermann mitgegeben hatte. Ein etwas versponnener, junger Gelehrter, der sein Fach zweifellos 24
verstand. Aber hier schien er doch auf dem Holzweg zu sein. Und während die Erzsucher in allen Gegenden der Erde den Boden aufwühlten, quälte sich die Expedition des S.A.T. mühsam durch das Eis des Südpolargebietes, jagte einem Hirngespinst nach und verlor kostbare Zeit. Cunningham trat an das hohe Fenster und blickte gedankenverloren auf den Central-Park hinunter. Das fiebernde Brausen der Atomstadt Orion-City drang zu ihm herein und nahm ihn für Augenblicke gefangen. Doch dieses arbeitsame Hasten, dieser hetzende Rhythmus, das atemlose Tempo der hunderttausend schaffenden Hände und Hirne, sie hungerten nach ständig neuer Nahrung – nach Uran! Was würde sein, wenn die letzten Reservevorräte spaltbaren Materials verbraucht wären, bevor es gelang, neue Vorkommen zu erschließen? Das diskrete Räuspern Shillings riß den Atomboß aus seinen sorgenvollen Gedanken. „Ahem – da wäre noch ein Besucher, Sir. Er nennt sich Joe Hall und tut furchtbar geheimnisvoll. Behauptet, Sie unbedingt persönlich sprechen zu müssen. Es handele sich um Uran …“ „Herein mit ihm!“ kommandierte Cunningham und fuhr herum. „Aber sagen Sie dem Kerl das eine: Wenn er etwa versuchen sollte, uns mit irgendeinem Schwindel zu bluffen, wie es seit acht Tagen alle naselang geschieht, dann würde ich ihn höchstpersönlich die Treppe hinunterwerfen.“ Joe Hall jedoch ließ sich durch diese fürchterliche Drohung nicht einschüchtern. Mit siegessicherem Lächeln trat er ein, holte feierlich einen Kasten, der in einer Kunststoffhülle steckte, aus seiner Aktentasche und deponierte ihn auf Cunninghams Schreibtisch. Der Atomboß musterte seinen Besucher mit mißtrauischen Blicken. Joe Hall war ein schmächtiger Mann in mittleren Jahren; mit schütterem, angegrautem Haar und einer riesigen Habichtsnase in dem hageren Gesicht, das die typischen Züge ei25
nes aalglatten Geschäftsmannes aufwies. Sein Teint war gelblich-braun – ob von der Sonne oder vom übermäßigen Zigarettengenuß, war schwer zu entscheiden. „Was ist denn in diesem komischen Kasten drin?“ grunzte der Atomboß. „Wohl ’ne Höllenmaschine, was?“ Joe Hall ließ sich nicht beirren. Mit freundlichem Grinsen entfernte er die Hülle und brachte eine Bleikassette zum Vorschein. „Pardon, Sir“, fragte er, „stimmt es wirklich, daß das S.A.T. dem Entdecker eines neuen Uranlagers 200 000 Dollar zahlt?“ „Allerdings – sofern es abbauwürdig ist. Wollen Sie etwa behaupten …“ „Jawohl, Sir, so ist es. Durch einen glücklichen Zufall ist mir die Entdeckung einer Fundstätte gelungen, die Ihre kühnsten Erwartungen übertreffen wird.“ „Und warum bieten Sie Ihre Entdeckung ausgerechnet uns an? Alle Welt jagt heute nach Uran, und es gibt Organisationen, die zwar nicht so hohe Prämien wie wir zahlen, dafür aber dem Entdecker Gewinnbeteiligung auf lange Sicht bieten.“ „Ich tue es aus nationalen Gründen“, erklärte Hall feierlich und verdrehte die Augen. „So, hm – na, dann zeigen Sie mal, was Sie da mitgebracht haben.“ Joe Hall öffnete die Kassette und ließ ein paar kleine Erzbrocken auf die Schreibtischunterlage gleiten. Cunningham stieß einen Ruf der Überraschung aus. „Das ist ja – Shilling, sehen Sie doch: Das muß eine Art Lunarit sein. Genau so sehen doch die hochwertigen Uranerze aus unseren Mondgruben aus. Lieber Mann, wo haben Sie das Zeug bloß gefunden? Nun sagen Sie bloß: in der Antarktis!“ „No, Sir!“ lachte Joe Hall scheppernd. „Da sind Sie ganz gewaltig auf dem Holzweg. Sobald wir uns geeinigt haben, führe ich Ihre Leute persönlich zum Fundort hin. Sie gehen absolut 26
kein Risiko ein; denn es genügt mir vollkommen, wenn ich meine Prämie nach unserem Eintreffen an der fraglichen Stelle ausgehändigt bekomme. Zunächst rate ich Ihnen, die Erzproben einmal auf ihren Urangehalt untersuchen zu lassen.“ „Richtig!“ Cunningham schüttelte seinem Besucher, der ihm anfangs gar nicht besonders sympathisch vorgekommen war, kräftig die Hand. „Shilling, sorgen Sie dafür, daß Mister Hall gut untergebracht wird. Good bye, Mister Hall, wir sprechen morgen weiter über die Sache.“ * Auf den ersten Blick schien es Jim Parker, als wäre auf dem Mond alles unverändert. Der streng geregelte Dienstbetrieb in den ausgedehnten Anlagen des riesigen Mondwerks „Luna IV“ lief mit gewohnter Präzision ab. In den Uranschächten auf den weit vorgeschobenen Außenposten ratterten die Förderbänder. Lange Transportzüge der Atobahn beförderten das Erz in Windeseile zu den nahe dem Raketenflugplatz gelegenen Halden. Überall, wo Jim Parker und Fritz Wernicke mit ihrem Schnellwagen auftauchten, strömten die „Mondmänner“ zusammen, um ihnen begeistert die Hand zu drücken. Der Kommodore freute sich über das Wiedersehen mit manch einem alten Gefährten – aus der Zeit, da er noch selbst den Aufbau des Mondwerks leitete. Doch als sie sich später dem Flugplatzgelände näherten, verdüsterten sich seine Züge, und auch der stets lustige Wernicke machte ein bedeppertes Gesicht. Hoch türmten sich die Erzhalden und warfen unheimliche Schatten im Schein der sinkenden Sonne. Vor den Startbahnen aber lag eine kleine Armada von Transportraumschiffen vertäut – regungslos und verlassen – und bot ein ebenso ungewohntes wie trostloses Bild. Nicholas Moll, der Kommandant von „Luna IV“, hatte den Erztransport 27
zur Erde stillgelegt, da der starke Rückgang des Urangehalts die Transportkosten nicht mehr rechtfertigte. Es war eine trübe Stimmung, die das Chefbüro von „Luna IV“ beherrschte, als die beiden Freunde eine Stunde später mit Nicholas Moll und Doktor Keßler zusammensaßen und den Erklärungen des Wissenschaftlers lauschten. „Natürlich ist die Ausbeute nicht überall gleich stark zurückgegangen“, schloß Keßler seine Ausführungen, „aber im großen und ganzen ist der Ofen bei uns aus.“ „Eben deshalb sind wir ja gekommen“, erklärte der Kommodore. Er stand auf, trat an die große Reliefkarte der Rückseite des Mondes, die eine Wand des Büros bedeckte, und drückte auf die Knöpfe einer Tastatur. Bunt flammte es auf der Wandkarte auf: grün in einem schmalen Sektor in der Gegend des Mondsüdpols – das war das Werkgebiet von „Luna IV“, genau vermessen und weitgehend erschlossen und bebaut; an seinem Rand eine Kette rotleuchtender Punkte – sie stellten die Förderanlagen des „Lunarit“, jenes stark uranhaltigen Erzes dar, das plötzlich in so bedenklichem Maße knapp und immer knapper wurde; und jenseits dieser Kette die weite, weißleuchtende Kreisfläche des unerforschten Mondes. Wohl hatte man schon vor Jahren von Raketenflugzeugen aus die ganze Rückseite des Erdtrabanten photographisch aufgenommen und haargenau vermessen, wohl trugen jede Ebene, jeder Berggipfel und jeder Krater längst ihren Namen – aber noch hatte keines Menschen Fuß diese Wildnis je betreten. Niemand wußte wirklich, welche Bodenschätze sie barg. 28
„Wir haben einstweilen keinen Grund, pessimistisch zu sein“, wandte Jim Parker sich an seine Zuhörer. „Sehen Sie her, Gentlemen: Nur dieser winzige Ausschnitt hier, am Südpol, ist bisher erschlossen. Jenseits der Grenzen von ‚Luna IV’ erstreckt sich jungfräuliches Land – Tausende von Meilen.“ „Die Uransuche vom Flugzeug aus verlief ergebnislos“, zweifelte Nicholas Moll. „Die Zählrohre sprachen nicht an.“ „Das besagt noch nicht viel“, wehrte der Kommodore ab. „Vielleicht liegen die Uranvorkommen in sehr großer Tiefe, wie wir es auch im Bereich von ‚Luna IV’ erlebt haben. Wahrscheinlich aber schirmt die Staubschicht, die überall den Mondboden zentimeterhoch bedeckt, die radioaktive Strahlung aus der Tiefe ab.“ „Es bleibt also nichts anderes übrig, als selbst an Ort und Stelle nachzugraben?“ fragte Moll. „Eine Hundearbeit, erinnert fast an die gute, alte Zeit der Goldgräberei.“ „So ist es“, nickte Jim. „Immerhin haben wir schon ein paar Anhaltspunkte. Hier, der Krater Heisenberg“, – sein Finger fuhr äquatorwärts über das weißleuchtende Relief – „dann die Gegend um die Hades-Rillen und der Palus Noctis. Diese Stellen sind zumindest uranverdächtig.“ „Und wann wollen Sie aufbrechen?“ „Morgen in aller Frühe. Halten Sie die Zweite Düsenhubschrauber-Staffel zu meiner Verfügung, Moll. Fritz Wernicke bricht gleichzeitig mit zwölf Schnellwagen nach Norden auf. Die Dritte Staffel bleibt in Reserve. Stellen Sie alles Notwendige bereit: Proviant für acht Tage, Zelte, Brennstoff – Meßinstrumente, Hacken und Bohrmaschinen nicht zu vergessen.“ „Und ich, Kommodore?“ fragte Doktor Keßler erwartungsvoll. „Sie sind die Hauptperson, Doc. Machen Sie Ihren Laden hier dicht und kommen Sie mit.“ 29
* Die Antarktis-Expedition des Staatlichen Atom-Territoriums hatte den Gauß-Berg umgangen und lenkte auf seiner Südseite nach Osten ein. Langsamer ging es jetzt voran, das Gelände wurde schwieriger. Doch Charles Hancock war fest davon überzeugt, dicht am Ziel zu sein. „Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, Hancock“, sagte Professor Westermann zweifelnd. „Das Gerät benimmt sich gar zu merkwürdig.“ Sie standen neben dem SuperSpezialzählrohr, einem höchstempfindlichen Meßinstrument, mit dem man radioaktive Strahlungen nicht nur auf größte Entfernungen ermitteln, sondern auch ihre Richtung haargenau feststellen konnte. Hier aber schien das Instrument zu versagen. Der Richtungszeiger zuckte in einem Halbkreis hin und her, und auch die Stärke der gemessenen Strahlung schwankte wie toll. „Wahrscheinlich sind wir zu nahe am magnetischen Südpol“, mutmaßte einer der Expeditionsteilnehmer. „Das dürfte keinen Einfluß haben“, erwiderte der Professor. „Ich glaube, was wir hier messen, das sind die Nordlichter – und sonst gar nichts“, lachte ein anderer und deutete zum Nachthimmel empor, an dem rote Draperien und grüne Strahlen einen farbigen Reigen vollführten. „Unsinn“, sagte Professor Westermann ärgerlich. „Erstens ist es unsinnig, am Südpol von Nordlichtern zu sprechen, und zweitens reagiert unser Apparat überhaupt nicht auf Elektronenstrahlung.“ „Ich glaube, ich hab’s!“ rief Charles Hancock strahlend. „Gentlemen, wir sind auf der richtigen Fährte …“ Doch der gute Charles kam nicht mehr dazu, seine Erklärung an den Mann zu bringen. In den Lüften war plötzlich ein schril30
les Pfeifen und Brausen. Irgend etwas raste pfeilschnell vor den bunten Geisterfingern des Südlichts dahin – spukhaft, mit hellen Flammenschweifen. Unwillkürlich duckte sich alles. „Was war denn das? Ein Meteorschwarm?“ „Flugzeuge!“ rief einer. Leuchtkugeln schwebten in Trauben herab. Es wurde taghell. „Tatsächlich“, wunderte sich der Professor. „Das kann doch nur Fischer sein. Sollte er wirklich schon zurück sein?“ Ja, es war Horst Fischer, der junge Flugkapitän, der kurz danach aus der Kanzel seiner ausrollenden Maschine sprang und mit dem Ruf „Wo ist der Professor?“ über die Schneefläche herangestapft kam. „Hallo, junger Mann – wo brennt’s denn?“ rief der Expeditionsleiter zurück. „In Orion-City, Sir. Da ist der Teufel los. Uranerz ist gefunden worden – ein riesiges Lager!“ „Ja, wo denn, zum Donnerwetter?“ „In der arabischen Wüste. Sie sollen mit Ihren Leuten sofort dort hin. Befehl vom Boß.“ „Was? Ist der dicke Cunningham verrückt geworden? Was sollen wir denn mit unseren Motorschlitten und Eskimoausrüstungen in Arabien anfangen?“ „Halb so schlimm, Sir. Der Boß hat mir sechs MammutDüsentransporter mitgegeben. Die Maschinen sind hinter dem flachen Hügelzug, dort drüben im Süden, gelandet. Sie brauchen Ihren ganzen Verein nur zu verladen, und auf geht’s – nach Orion-City. Alles Weitere dort. Hier haben Sie’s schwarz auf weiß. – Hallo, Hancock! Habe Grüße an Sie auszurichten. Raten Sie mal, von wem!“ Doch Charles Hancock stand nur ganz verdattert da und schnappte nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Na, von einem gewissen Fräulein Yvonne. Menschenskind, freut Sie das etwa nicht?“ 31
Charles Hancock fand leider keine Zeit mehr, sich zu freuen. Professor Westermann, der das Schreiben Cunninghams inzwischen gelesen hatte, kommandierte mit dröhnender Stimme: „Das Ganze halt! Fertigmachen zum Verladen!“ „Ich protestiere!“ rief Charles Hancock und stolperte erregt auf seinen Chef zu. „Professor, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Jetzt, wo wir unmittelbar vor dem Ziel stehen, sollen wir umkehren?“ „Befehl ist Befehl, Hancock. Bitte, machen Sie sich fertig.“ „Aber, so warten Sie doch noch, Herr Professor – nur noch einen oder zwei Tage, dann werden wir das größte Uranlager der Welt gefunden haben.“ „Es geht nicht“, entschied Professor Westermann. „OrionCity drängt zur Eile, und wir dürfen uns nicht die sichere Fundstätte in Arabien durch die Lappen gehen lassen – einem Erzlager am Südpol zuliebe, das einstweilen nur in unserer Phantasie existiert.“ „Ich glaube nicht an diese Funde in der arabischen Wüste.“ Zornig stampfte Charles mit dem Fuß auf. „Nach meiner Theorie …“ „Ihre Theorie in Ehren, Herr Kollege, aber jetzt kommen Sie bitte.“ Charles Hancock hätte später nicht zu sagen vermocht, was ihn in diesem Augenblick dazu ermutigte, sich wie der Held eines Cowboyfilms zu gebärden. Mit zwei, drei langen Sätzen hastete er zu jener Stelle zurück, wo der Raketenschlitten mit dem Super-Spezialzählrohr stand. Ein kräftiger Stoß ließ den Fahrer, der den Motor gerade angelassen hatte, in den Schnee kollern. Charles Hancock schwang sich ans Steuer und gab Gas. Aufheulend schoß das Fahrzeug davon und verschwand mit zuckendem Flammenschweif ostwärts im Dunkel der Polarnacht. 32
* Die tiefe Dämmerung des späten Nachmittags lag über den Gebirgen und Tälern, den tiefen Kratern und Rillen auf der Rückseite des Mondes. Steil ragten die schroffen Wände des Mount Cunningham aus der Ebene im Norden auf, und während das Tal selbst schon in Dunkelheit versank, gleißte die Spitze des fast fünftausend Meter hohen Berges noch im grellen Sonnenlicht. „Ein phantastisches Bild, Kommodore“, sagte Doktor Keßler fast andächtig. „Für Sie freilich wird es nicht viel bedeuten. Sie kennen das All und die fremden Planeten. Was kann Ihnen unser alter Mond noch Besonderes bieten?“ „Sie irren, Doc“, lächelte Jim Parker. „Gewiß – meine Augen haben mehr erschaut, als die irgendeines anderen Sterblichen. Aber es kommt doch nicht auf die Zahl und die Größe des Gesehenen an. Auch im Kleinen und Alltäglichen offenbaren sich die Schönheit der Natur, die Wunder der Schöpfung. Man muß nur das rechte Verständnis dafür haben, den wachen Sinn, der alle diese Wunder aufzunehmen vermag.“ Eine Weile herrschte Schweigen. Vom Lager, am Fuße des steilen Bergkegels, drangen verworrene Geräusche zu der kleinen Anhöhe herüber, auf der die beiden Männer standen. Dort unten zog man die Schutzhüllen über die bizarren Leiber der großen Hubschrauber und richtete die Zelte auf für die Nacht. Ein kalter Wind strich über die Ebene. Der Kommodore zog fröstelnd die Schultern zusammen. „Wo nur Wernicke mit seiner Gruppe bleibt?“ fragte er unvermittelt. „Wenn man vom Teufel spricht …“, lachte Doktor Keßler belustigt. Tatsächlich bogen in diesem Augenblick die Scheinwerferstrahlen der Schnellwagenkolonne um einen benachbarten Hügelzug, und die fröhliche Stimme des kleinen Weltraumpiloten krähte: 33
„Hallo, ihr komischen Mondkälber, was gibt’s denn bei euch zu trinken?“ „Nun, mein lieber Alter“, erkundigte sich der Kommodore, als man nachher beim Abendbrot am Lagerfeuer saß, „was habt ihr gefunden?“ „Nichts“, grunzte Fritz und kaute mit vollen Backen. „Das ist wenig“, stellte Jim sachlich fest. „Stimmt auffallend, großer Kommodore. Und was habt ihr gefunden?“ „Auch nichts.“ „Das heißt: bisher auch nichts“, korrigierte Doktor Keßler. Schweigen. Und in dieses Schweigen hinein plötzlich ein feines Singen in der dünnen Luft des Mondes, das rasch näher kam. Jim Parker hob den Kopf. „Ein Hubschrauber! Wir bekommen Gäste zum Abendessen. Die Landemarken aufstellen, Jungens!“ Aus dem blassen Mondhimmel senkte sich eine kleine Kuriermaschine hernieder und setzte mit sanftem Ruck auf. Ein Leutnant in der Uniform des Mondsicherheitsdienstes sprang heraus. „Kommodore Parker?“ „Hierher, mein Lieber! Was gibt’s?“ „Geheimbefehl aus Orion-City.“ „Den hättet ihr auch auf dem Funkwege übermitteln können“, brummte Jim. „Die Angelegenheit ist äußerst geheim, Kommodore, und Funksprüche kann man abhören, auch wenn sie chiffriert sind“, erklärte der Leutnant weise. „Was Sie nicht sagen!“ Mit ironischem Lächeln nahm der Kommodore die Depesche entgegen und las. „Hm“, machte er gedankenvoll und stand auf. „Ja, Fritz – dann woll’n wir mal.“ 34
„Okay, Jim“, sagte Fritz Wernicke nur und zog seine Kombination zurecht. Doktor Keßler verstand kein Wort. „Sie wollen uns verlassen, Kommodore?“ „Sie müssen die Expedition allein zu Ende führen, Doc. Der Boß hat offenbar dringlichere Aufgaben für uns.“ „Kann es im Augenblick etwas Dringlicheres geben, als – Uran?“ „Eben darum, Doc. Machen Sie’s gut – und viel Erfolg! So long, Gentlemen!“ Mit surrenden Flügeln schwang sich der kleine Hubschrauber in die Lüfte und trug die beiden Freunde dem Raketenflugplatz von „Luna IV“ entgegen, wo bereits das Transportschiff A 40 startbereit auf sie wartete. * Als Professor Westermann nach dem überstürzten Aufbruch seiner Antarktis-Expedition, noch halb benommen, in OrionCity eintraf, schien ihm das sonst so seriöse, repräsentable Hauptverwaltungsgebäude des S.A.T. in ein Tollhaus verwandelt zu sein. Kuriere eilten durch die Korridore, Befehle wurden gegeben und widerrufen, Türen knallten, würdige Abteilungschefs hasteten mit wehenden Rockschößen von Büro zu Büro. Schließlich stand der Professor dem Atomboß in seinem Allerheiligsten gegenüber und schickte sich an, über den Verlauf der Expedition zu berichten. Doch Cunningham wischte nur ungeduldig mit dem großen Schnupftuch durch die Luft und dann über seine schweißbedeckte Stirn. „Unwichtig“, schnaubte er und spuckte den Zigarrenstummel kurzerhand aus dem Fenster. „War ’ne Schnapsidee von diesem Hancock, am Südpol Uran zu suchen. Völlig veraltete Vorstellungen! Inzwischen sind neue Funde gemeldet worden: 35
in den Anden und in Südafrika, im Harz, in Spanien und in China – kurzum, überall in der Welt, nur in der Antarktis nicht. Sicheren Informationen zufolge, haben auch die anderen Nationen, die dort auf der Suche waren – ich meine die Argentinier und Neuseeländer – ihre Nachforschungen inzwischen eingestellt.“ „Ja, aber …“ „Kein Aber, Herr Professor! Und nun hören Sie zu: Den Vogel hat – wie üblich – das S.A.T. abgeschossen. Unser Freund Hall hat in der arabischen Wüste, in einem praktisch herrenlosen Gebiet, ein Uranvorkommen von unermeßlichem Wert entdeckt. Jetzt gilt es, sofort aufzubrechen und mit dem Ausbeuten zu beginnen. Natürlich läuft alles streng geheim, damit uns nicht im letzten Moment noch irgendein Halunke zuvorkommt.“ „Und wann soll es losgehen, Sir?“ „Sobald Kommodore Parker vom Mond zurück ist. Ich erwarte ihn mit dem nächsten Transportschiff. Parker soll die Organisation des Ganzen übernehmen, er hat einige Erfahrung in solchen Dingen. Die wissenschaftliche Leitung liegt wieder in Ihrer Hand, Professor. Halten Sie sich also bereit.“ Noch ganz wirbelig im Kopf strebte der Gelehrte durch die breiten, gepflegten Straßen der Atomstadt seinem Hotel zu. Überall glaubte er, eine künstlich gesteigerte Ruhelosigkeit wahrzunehmen, eine ganz ungewohnte Gehetztheit. Grell schleuderten ihm die Mittagsblätter ihre Schlagzeilen entgegen, laut brüllten es die Zeitungsboys: „Uranschwindel in Tanganjika aufgeflogen! – Dänemark schürft unter dem Grönland-Eis. – Gangsterunwesen am Großen Bärensee. – Überfall auf Atomwerke am Atlantik. – Britischer Atomforscher entführt! – Neue Erzvorkommen in Mexiko? – Kein Uran in der Antarktis!“ Ja, wahrhaftig: Die ganze Welt zuckte im Uranfieber … Kopfschüttelnd betrat Professor Westermann das Hotel. 36
* „Mister Fischer, wo haben Sie Charles gelassen?“ Flugkapitän Horst Fischer fuhr zusammen, als er die leise, vorwurfsvolle Stimme vernahm. Er trieb sich an der großen Sperre des Zentralflughafens von Orion-City herum und hielt eifrig Ausschau nach dem Transportschiff A 40, das den Kommodore und Fritz Wernicke vom Mond zurückbringen sollte. Und dieses Transportschiff hatte unerklärlicherweise schon eine volle Stunde Verspätung. Jetzt aber blickte er in die großen, dunklen Augen Yvonnes und senkte verlegen den Blick. „Doktor Hancock – er ist – ist nicht mitgekommen“, stotterte er. „Das verstehe ich nicht“, sagte Yvonne beunruhigt. „Ich hörte doch, Sie hätten die ganze Antarktis-Expedition mit Kind und Kegel nach Orion-City zurückgeschafft.“ „Ja eben – bis auf Doktor Hancock.“ Und er erzählte der erschrocken zuhörenden Yvonne, was sich fern im Süden des Gauß-Berges zugetragen hatte. „Das sieht ihm ähnlich“, schluchzte das junge Mädchen. „Er ist immer so starrsinnig, wenn es sich um seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz handelt. Und nun ist er allein – allein in der Kälte der Polarnacht! Er ist verloren – wenn wir ihm nicht helfen.“ Horst Fischer machte ein ziemlich dummes Gesicht. „Wie – wie sollen wir ihm denn helfen, Miß Yvonne?“ „Indem wir hinfliegen und ihn holen“, sagte Yvonne entschlossen. „Oder haben Sie etwa Angst?“ Der junge Flieger wurde rot. „Angst? Darum geht es hier nicht, Yvonne. Ich bin im Dienst und muß dauernd auf dem Sprung sein. Jeden Augenblick kann der Kommodore eintreffen, und dann heißt es, bereit sein zu neuem Einsatz.“ Yvonne suchte fieberhaft nach einem Ausweg. „Der Kom37
modore hat sich verspätet – vielleicht kommt er erst morgen. Und mit dem Raketenflugzeug können wir bis heute abend zurück sein – und ein Menschenleben gerettet haben.“ „In Orion-City herrscht höchste Alarmstufe, Yvonne. Sie wissen selbst am besten, daß es in diesen Tagen um Sein oder Nichtsein der ganzen Atomstadt geht. Nie würde ich die Erlaubnis für diesen Flug bekommen.“ „Dann tun Sie es auf eigene Verantwortung! Ach, Horst, wenn Sie nur ein klein wenig für mich übrig hätten …“ Der junge Flieger mußte es in diesen Augenblicken auskosten, was es bedeutete, „zwischen Pflicht und Liebe zu schwanken“. Doch als er wieder den flehenden, angstvollen Blick Yvonnes spürte, stand sein Entschluß fest. „Kommen Sie“, sagte er rauh. „Der ‚Shooting Star 51’ ist startbereit.“ * Doch wo war die A 40 geblieben, der große Uran-Transporter, der allerdings diesmal ohne die gewohnte Erzladung fuhr und statt dessen zwei prominente Fahrgäste an Bord hatte: Jim Parker und Fritz Wernicke … Die beiden „Prominenten“ aber hockten im Führerraum an einem kleinen Klapptisch und vertrieben sich die Langeweile mit einer Schachpartie. Jim Parker galt als ein vorzüglicher Spieler, doch heute schien er nicht ganz bei der Sache zu sein. Der kleine Wernicke nutzte seine Chance. Mit listigem Lächeln zog er seinen Läufer und schlug den ungedeckten Turm seines Partners. „Schach!“ verkündete er mit Genugtuung. Der Kommodore sah keine andere Möglichkeit, als seine Dame zu opfern. „O Jim, alte Mondrakete“, grinste der kleine Steuermann 38
scheinheilig, „auf welch schönem Planeten weilen deine Gedanken?“ „Auf dem schönsten, den ich kenne, lieber Fritz: auf unserer alten Erde.“ Die Schachpartie fand ein jähes Ende, als die Stimme des Bordfunkers aus dem Lautsprecher klang: „Unbekanntes Raumschiff funkt SOS!“ „Ich hatte es erwartet“, lächelte der Kommodore. „Wie ist unser Mondabstand, Osborn?“ Der Kommandant der A 40, der am Steuerknüppel saß, warf einen raschen Blick auf das Armaturenbrett. „260 000 Kilometer, Kommodore.“ „Aha – die bewußte Gefahrenzone, in der unser ‚Fliegender Holländer’ herumspukt. Geben Sie Alarm, Osborn. die Leute sollen die Atomwaffen klarmachen.“ In das Schrillen der Alarmglocken, in das Trappeln der Schritte der Besatzung hinein tönte der Ruf des Ausgucks: „Brennendes Wrack backbord voraus!“ „Immer dieselbe alte Platte“, brummte Jim Parker. „Der ‚Holländer’ scheint nicht sehr erfinderisch zu sein.“ „Solange er Dumme findet, die darauf hereinfallen“, meinte Wernicke achselzuckend. „Die Sache sieht wirklich gefährlich aus“, rief Käpten Osborn mit einem Blick aus dem Backbordfenster. „Der Kasten qualmt aus allen Ritzen und Fugen.“ „Sogar aus einigen Ritzen mehr, als selbst das ramponierteste Wrack haben kann“, lachte Jim Parker grimmig. „Na wartet, old chaps, die Suppe werden wir euch versalzen. Geben Sie dem Funker Anweisung, Osborn – er soll alles so machen, wie wir verabredet hatten.“ Vom Backbordfenster des Führerraumes aus konnte man die Vorgänge, die nun folgten, genau beobachten. Aus der Luftschleuse des fremden, namenlosen Schiffes quoll es heraus: 39
zehn – fünfzehn – zwanzig Mann in schweren Raumtaucheranzügen. In vorbildlicher Formation schwebten die „Schiffbrüchigen“ heran. „Achtung, große Schleusenkammer!“ rief der Kommodore ins Mikrophon. „Außentür auf! Und daß mir keiner ohne ausdrücklichen Befehl die Innentür aufmacht. Verstanden?“ „Verstanden, Kommodore.“ Die fremden Gestalten verschwanden aus dem Gesichtsfeld. Die große Schleusenkammer hatte sie aufgenommen. „Außentür zu!“ rief Jim Parker. „Geht nicht, Kommodore“, kam die Antwort. „Die Tür bewegt sich nicht. Man muß das Kabel zerschnitten haben.“ „Schade“, bedauerte Wernicke. „Wir hätten sie so schön in der Falle gehabt. Was nun, großer Kommodore?“ „Das ist entschieden ein neuer Trick, und noch dazu ein recht gefährlicher. Na, dann hilft es nichts – wir müssen die Querschotte dicht machen und diese Himmelhunde ins Schiff lassen.“ Käpten Osborn gab schon die nötigen Befehle. Gespannt verfolgten die drei Männer im Schiffsfernseher die Szene im Hauptgang des Schiffes. Die Innentür der großen Luftschleuse schwang auf. Und nun geschah etwas Unerwartetes … Von der ausströmenden Atemluft mitgerissen, wurden die zwanzig Eindringlinge kopfüber in den Raum hinausgeschleudert und purzelten – ein wirres Knäuel zappelnder Kolosse – hilflos in der Leere durcheinander. Ein paar kurze, metallische Schläge ließen die Männer im Führerstand zusammenfahren. Die Atemluft entwich mit bösem Pfeifen. An Bord des fremden Schiffes blitzte es in rascher Folge auf. „Sie schießen auf uns“, rief Fritz Wernicke. „Achtung – Taucherhelme dicht! Das Schiff ist leck!“ Jim Parker brüllte den Befehl ins Mikrophon und klappte selbst das 40
Visier seines Helmes zu. Viel konnte nicht passieren; denn die Mannschaft hatte schon bei Beginn des Alarms die Schutzanzüge angelegt. Ohne sich weiter um seine hilflosen Männer zu kümmern, nahm das fremde Raumschiff – fortgesetzt feuernd – volle Fahrt auf und schlug die Richtung zur Erde ein. Der vermeintliche Brand an Bord schien wie von Geisterhand gelöscht zu sein. „Stoppen Sie sofort!“ ließ der Kommodore funken. „Geben Sie Namen und Nationalität bekannt!“ „Go to hell!“ lautete die wenig liebenswürdige Antwort. „Hinterher!“ befahl Jim Parker. Die Gewalt des Andrucks warf die Männer zur Boden, als Osborn ohne vorherige Warnung den Raketenmotor zu vollen Touren auflaufen ließ. „Willst du ihn rammen, Jim?“ fragte Fritz Wernicke besorgt. „Werde mich hüten. Nur die Flügel will ich ihm ein wenig stutzen.“ „Damit er manövrierunfähig wird?“ „So ist es. Wenn dieser Gangsterkapitän erkennt, daß er nicht mehr auf der Erde landen kann, wird er das Rennen aufgeben müssen.“ Aber der Kommodore hatte sich getäuscht. Als sich die A 40 langsam am Rumpf des Gegners vorbeischob, richtete Jim Parker aus der Öffnung des zertrümmerten Backbordfensters die Mündung des Atombrenners auf Heckflossen und Tragflächen des fremden Schiffes. Drüben glühte es bös und vernichtend auf. „Geben Sie auf!“ ließ der Kommodore funken. „Ergeben Sie sich! Ihr Leitwerk ist zerstört.“ Aber der andere antwortete nur mit einem neuen Feuerstoß aus dem Bord-MGs Und dann verdoppelte er seine Geschwindigkeit und ließ den Verfolger weit hinter sich zurück. In rasender Fahrt stürzte das steuerlose Schiff der Erde zu, die mit den starken Armen ihrer Anziehungskraft unwiderstehlich nach ihm griff. 41
* „Und was mag dann aus Ihrem – ahem –‚Fliegenden Holländer’ geworden sein?“ Atomboß Ted. S. Cunningham hatte dem Bericht seines Kommodores gespannt zugehört. Jetzt lehnte er sich in seinem Sessel zurück und entzündete umständlich die geliebte Havanna. „Geplatzt“, antwortete Fritz Wernicke lakonisch. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten“, sagte Parker nachdenklich. „Entweder ist das Schiff auf die Erde gestürzt – und in diesem Fall wahrscheinlich schon beim rasenden Flug durch die Lufthülle wie eine Sternschnuppe verglüht –, oder es ist an der Erde vorbeigeschossen und irrt nun auf unbekannter Bahn für alle Ewigkeit durch den Raum – ein wirklicher ‚Fliegender Holländer’ des Weltalls.“ „Danke für Backobst“, rief Fritz Wernicke. „Wenn ich in dem Kasten drinsäße, ich hätte die erste Lösung vorgezogen.“ „Und was wurde aus den zwanzig Männern, die versucht hatten, Ihr Schiff zu kapern?“ wollte Cunningham wissen. „Wir wissen es nicht, Boß“, meinte Jim bedrückt. „Zweifellos sind sie samt und sonders elend zugrunde gegangen. Wir konnten uns nicht mehr um sie kümmern, als die Verfolgungsjagd zu Ende war. Immerhin hatten wir uns, rund gerechnet, 80 000 Kilometer vom Ort des Überfalls entfernt und dabei eine recht kurvenreiche Bann durchlaufen. Selbst mit einer ganzen Flotte von Rettungsbooten hätten wir die Kerle nicht mehr gefunden.“ „Schade. Hätten Sie nur einen davon mitgebracht, dann würden wir jetzt klarer sehen.“ Der Kommodore hob bedauernd die Schultern. „Das bringt uns auf die Frage nach dem Motiv“, ließ sich jetzt die knarrende Stimme Oberst Mortimers, des Chefs des 42
Sicherheitsdienstes von Orion-City, vernehmen. „Haben Sie irgendeinen Verdacht, Kommodore, was diese rätselhaften Weltraumgangster zu ihren Piratenstückchen veranlaßt haben könnte?“ Jim Parker blies den Rauch seiner „Maza Blend“ durch die Nase und wandte sich Mortimer zu. „Das Motiv liegt klar auf der Hand, Oberst. Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß diese Anschläge nur den großen Transportern gegolten haben, während die normalen Passagier- und Kurierraketen unbehelligt blieben?“ „Das hieße also, daß es die Gangster einzig und allein auf …“ „… auf Uran abgesehen hätten – jawohl“, vollendete der Kommodore mit Nachdruck. „Hm“, grunzte Cunningham nachdenklich, „vielleicht gibt uns dieser Tatbestand einen Hinweis auf die Hintermänner der mysteriösen Überfälle. Sorgen Sie dafür, Mortimer, daß jedes Uran-Tranportschiff künftig den erforderlichen Geleitschutz mitbekommt.“ * Wenn Jim Parker gehofft hatte, in Orion-City ein paar Stunden Ruhe finden zu kennen, so sollte er sich schwer getäuscht haben. Er wurde in den Wirbel des Uranfiebers hineingerissen, das die Atomstadt in noch höherem Maße ergriffen hatte, als die gesamte übrige Welt. Bereits am Morgen nach seiner Unterredung mit Generaldirektor Cunningham startete die geheime Arabien-Expedition, die der Kommodore in ununterbrochener, vierundzwanzigstündiger Arbeit – unterstützt durch Fritz Wernicke und Professor Westermann – in Rekordzeit organisiert hatte. Sechs MammutTransportmaschinen waren es, die auf dem Zentralflugfeld der Atomstadt warteten. Sie waren dazu bestimmt, die 150 Wissenschaftler, Piloten und Facharbeiter der Expedition sowie Provi43
ant, Maschinen und alles benötigte Gerät zur Ausbeutung der sagenhaften Bodenschätze unter glühendem Wüstensand zu befördern. Wie riesige, überdimensionierte Bomber wirkten sie. Doch ihre Bombenschächte bargen anstelle der tödlichen Fracht nur je ein kleines, zweisitziges Raketenflugzeug. In Begleitung Cunninghams und zwei seiner engsten Mitarbeiter schritt der Kommodore noch einmal die Front seiner Heerschar ab. Es waren ausgewählte Männer, jeder von ihnen zuverlässig und ein Meister seines Fachs. Plötzlich blieb Jim Parker stehen und blickte sich befremdet um. „Wo steckt denn Flugkapitän Fischer?“ „Ausgerückt“, knurrte der Atomboß bissig. „Ist gestern morgen mit seinem ‚Shooting Star’ zu einem Probeflug gestartet und nicht zurückgekehrt. Die Maschine war voll betankt und hatte Zusatzkanister an Bord. Habe den Burschen schwer im Verdacht, daß er auf eigene Faust auf Uransuche gegangen ist Eine Expertin hat er gleich mitgenommen – ich meine diese – äh – diese Miß Boucher. Na, der Knabe kann sich auf was gefaßt machen, wenn er wiederkommt.“ Die elektrische Uhr am Kontrollturm zeigte auf fünf Minuten vor neun. Jim Parker schüttelte dem Generaldirektor noch einmal die Hand. „Machen Sie’s gut, Parker“, sagte Cunningham bewegt. „Die Zukunft des S.A.T. hängt vom Erfolg Ihrer Expedition ab.“ Gefolgt von Fritz Wernicke kletterte der Kommodore in den Führerraum seiner Maschine. Er nahm selbst das Steuer. Fauchend und donnernd rasten die sechs geflügelten Kolosse über die Startbahnen und schwangen sich in den blauen Sommerhimmel hinein. Die Uhr am Kontrollturm stand auf neun. *
44
Während die Mammut-Transporter des S.A.T. ihre Bahn nach Osten zogen, hoch über dem Atlantik, um im tiefsten Arabien märchenhafte Schätze zu heben, schoß das Uranfieber in aller Welt von Stunde zu Stunde sprunghaft in die Höhe. An der Börse von Tanger wurde das heißbegehrte, weiße Metall am Morgen dieses Tages noch mit dem Zehnfachen des normalen Preises gehandelt. Am Mittag wurde bereits das Dreißigfache geboten, und die Preise schnellten weiter in schwindelnde Regionen hinauf. Schon hatten die Regierungen fast aller Staaten den freien Handel mit Uran gänzlich unterbunden. Die Zeitungen waren voll von widersprechenden Erfolgsmeldungen. Allerorten sollten neue, ergiebige Erzlagerstätten entdeckt worden sein. Die Optimisten atmeten auf. Doch meist entpuppten sich diese Nachrichten überraschend schnell als Zeitungsenten. Besorgte Gemüter tätigten Angstkäufe auf dem Kohlenmarkt. Man griff reumütig auf die längst überholten, oft belächelten Energiequellen vergangener Zeiten zurück. Eine Welt, die ihre ganze Technik, ihre Wirtschaft und ihre Zivilisation auf einem seltenen, radioaktiven Metall aufgebaut hatte, geriet aus den Fugen, als dieses Metall urplötzlich versiegte. Es war die große Zeit für Hochstapler und Betrüger aller Völker und Rassen. Arglose Geldgeber verloren Unsummen an angebliche erfolgreiche Prospektoren, die ihre völlig wertlosen Claims zu Phantasiepreisen verkauften, um anschließend mit ihrer Beute spurlos unterzutauchen. Oder sie steckten ihr gutes Geld in neugeschaffene Atomkraft-Syndikate, deren Aktien einen Tag später nur noch den Wert des bedruckten Papiers besaßen. Uranfieber erschütterte die Welt! *
45
Diese und ähnliche Nachrichten vernahm auch Jim Parker, als er in der Führerkabine seiner Mammut-Maschine am Steuerknüppel saß und den Meldungen aus dem Bordlautsprecher lauschte. Verstohlen wanderte sein Blick nach links, wo Joe Hall in seinem Sitz lehnte und gelassen eine Zigarette rauchte. Wer war dieser Hall überhaupt – diese nichtssagende Erscheinung mit der gewaltigen Geiernase? Sollte auch er einer dieser Hochstapler sein? War es nicht möglich, daß der dicke Cunningham einem Schwindler ins Netz gegangen war? Doch ärgerlich verscheuchte Jim seine Zweifel. Das allgemeine Mißtrauen, das in diesen Tagen überall umhergeisterte, schien auch ihn schon infiziert zu haben. Schließlich hatte Joe Hall dem Boß Proben hochwertiger Uranerze vorgelegt, und die waren immerhin beweiskräftig genug. „Nun, Sie alter Geheimniskrämer“, wandte er sich an den Prospektor, „wollen Sie uns nicht endlich verraten, wo Ihr sagenhaftes Eldorado liegt?“ „Halten Sie sich nur weiter auf dem 20. Breitengrad, Sir“, lächelte Joe Hall geheimnisvoll. „Ich sage Ihnen Bescheid, wenn wir am Ziel sind.“ „Das dürfte also mitten in der Großen Arabischen Wüste liegen“, stellte Jim mit einem Blick auf die Karte fest. „Eine Gegend, in der man auf Hunderte von Meilen keiner Menschenseele begegnet.“ „Halb, so schlimm“, meckerte Hall. „Wir halten uns am Westrand, wo es vereinzelte Oasen und Wadis gibt. Nahe dem Fundort lagert ein Wahabiten-Stamm – riesig nette, friedliche Kamelzüchter, die Ihnen bestimmt nützlich sein werden.“ „Sag, Jim, was ist das für ein Graben, der da unter uns liegt?“ ließ sich Fritz Wernicke von der anderen Seite her vernehmen. „Man nennt ihn im allgemeinen das Rote Meer, mein Lieber, und es soll die heißeste Ecke des ganzen Orients sein, eine wahre ‚Hölle auf Erden’. Da, schau: Vor uns Arabien!“ 46
„Arabien!“ Der kleine Steuermann war aufgestanden und breitete feierlich die Arme aus. „Land meiner Sehnsucht! Auf edlen Rossen jagen kühne Krieger über das Land. Kamelkarawanen schwanken durch den Wüstensand, reich beladen mit den erlesensten Teppichen, mit Kaffee und herrlichsten Parfümen. Und wenn im Glanz der Abendsonne die goldenen Dächer der alabasterfarbenen Moscheen leuchten …“ „Hör bloß auf, Whiskytöter. Werde bloß nicht poetisch“, lachte der Kommodore. „Ich fürchte, das gibt ’ne arge Enttäuschung. Sieh dir diese reizvolle Gegend doch mal genauer an.“ Sie überflogen eine Gebirgsgegend, die ziemlich unwirtlich wirkte. „Das kommt noch ganz anders, Gentlemen“, grinste Joe Hall. Allmählich ging das Bergland in die weite Wüstenlandschaft über. Sie mochten von den letzten Ausläufern des Gebirges etwa zweihundert Kilometer weit nach Osten geflogen sein, als Hall begann, die Gegend aufmerksam mit dem Feldstecher zu mustern. Plötzlich deutete er auf eine Gruppe zerstreut stehender Palmen, die verloren aus dem Einerlei des Wüstensandes aufragte. „Oase Djinnah. Hier müssen wir landen.“ Gefolgt von den fünf anderen Maschinen, flog der Kommodore eine Runde über dem armseligen Fleckchen Vegetation und steuerte eine Stelle im Norden der Palmen an, deren Bodenbeschaffenheit für eine Landung der schweren Transporter geeignet zu sein schien. Weich setzten die Maschinen auf und rollten aus. Fritz Wernicke hatte bereits das Nomadenlager erspäht. „Gib acht, Jim, gleich kommen die tapferen Söhne der Wüste auf ihren feurigen Rossen angebraust. Sie werden mit ihren langen Flinten in die Luft knallen und uns zu Ehren eine Fata Morgana reiten. Wenigstens habe ich das bei Karl May so gelesen.“ 47
„Mein lieber Fritz – erstens meinst du eine Phantasia, und keine Fata Morgana, und zweitens fürchte ich, daß sich hier seit Kara ben Nemsis Tagen manches geändert hat.“ Er öffnete die Einstiegluke und sprang hinaus. „Aha – da kommen sie schon, die edlen Wüstensöhne.“ Fritz Wernicke war ehrlich enttäuscht. An den drei Reitern, die von der Oase herüber kamen, wirkten tatsächlich nur die Pferde gepflegt und repräsentabel. Die Reiter machten einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Sie waren schmutzig und musterten Menschen und Maschinen mit feindseligen Blicken. „Das ist Scheik Ibn Asir mit seinen beiden Söhnen“, erklärte Joe Hall, der die Vorstellung besorgte. „Salem aleikum, o Scheik!“ grüßte Jim Parker und trat näher. „Sal’ al“, kam die wenig höfliche Erwiderung. Joe Hall zog den Scheik, der abgestiegen war, zur Seite und diskutierte lebhaft und mit leiser Stimme mit ihm. Endlich wandte er sich wieder an den Kommodore: „Ibn Asir ist bereit, mit all seinen Männern – es handelt sich um 132, die gegenwärtig in der Oase Djinnah lagern – gegen entsprechendes Entgelt in Ihre Dienste zu treten.“ „Und wie hoch soll dieses Entgelt sein?“ „Hundert Dollar pro Kopf und Woche.“ „Hahaha!“ lachte Wernicke. „Der alte Gauner versteht sein Geschäft.“ „Pst! Vorsicht, Gentlemen“, warnte Joe Hall. „Der Scheik versteht recht gut Englisch. Gewiß, er ist ein Halsabschneider. Aber ich rate Ihnen doch einzuschlagen. Woher wollen Sie sonst in dieser Einöde Hilfskräfte für die groben Arbeiten nehmen?“ „Ahem – ja, sagen wir also: zehn Dollar“, erklärte der Kommodore mit dem verbindlichsten Lächeln der Welt. Ibn Asir war empört. Es entspann sich ein endloses Palaver. 48
Die Streitenden hockten sich in den heißen Wüstensand und redeten „mit Händen und Füßen“. Die S.A.T.-Männer kamen aus den Flugzeugen herbei und hörten belustigt zu. Von der Oase her näherten sich Ibn Asirs Krieger, zerlumpte, verwegen ausschauende Gestalten, und bildeten einen schweigenden Halbkreis. Schließlich einigte man sich auf fünfzig Dollar pro Mann und Woche. Beide Parteien schienen befriedigt zu sein. Als es Abend wurde, und die Sonne blutrot zum Westhorizont sank, stand das Zeltlager der S.A.T.-Expedition unter den dürftigen Palmen rings um den größten Wassertümpel der Oase herum. Ein Teil der Männer, unter der Aufsicht des Professors, hatte es vorgezogen, in den Flugzeugen zu kampieren. Langsam schritt der Kommodore mit Fritz Wernicke um die Zelte herum. Als sie in die Nähe des etwas abseits liegenden Araberlagers kamen, hörten sie plötzlich wildes Schelten, klatschende Hiebe und jämmerliches Wehgeschrei. Erschrocken eilten sie auf die Zeltgruppe zu, hinter welcher der Lärm hervorkam. Eine wüste Szene bot sich ihren Blicken dar. Ibn Asir, der finstere Scheik, hielt einen Araberjungen gepackt und bearbeitete ihn rücksichtslos mit einer schweren Kamelpeitsche. Das Jammern des Kleinen wurde vom Wutgeschrei des Scheiks übertönt. „Jim, der schlägt ihn ja tot“, rief Fritz Wernicke entsetzt. Dem Kommodore zuckte es in den Fäusten. Mit einem Sprung war er heran, riß dem Tobenden die Peitsche aus der Faust und schleuderte sie in das aufstiebende Lagerfeuer. „Bist du verrückt geworden, Ibn Asir? Ich dulde hier keine Gewalttätigkeiten.“ „Mach, daß du weiterkommst, Fremder!“ fauchte der Scheik. „Dieser räudige Sohn eines Schakals – er hat mein bestes Eilkamel zuschanden werden lassen. Er ließ es in ein Erdloch tre49
ten, daß es den Vorderhuf brach. Ich mußte es töten. Allah verdamme ihn und alle seine Vorfahren! Tritt zur Seite, Fremder, ich will ihn erwürgen. Er ist mein Sklave, mein Eigentum. Du hast kein Recht …“ „Spare deine Worte, o Scheik! Der Kleine steht unter meinem Schutz.“ „Er ist mein Eigentum. Zurück, Fremder!“ Die beiden Freunde sahen sich plötzlich in der Dämmerung von Gestalten umringt, die drohend die Waffen hoben. „Das kann ja nett werden, Jim“, murmelte Fritz Wernicke. „Soll ich die Wachen alarmieren?“ „Laß. Fritz!“ Dem Kommodore kam ein Gedanke. Er wandte sich wieder an Ibn Asir. „Ein toter Sklave kann dir nichts nützen, o Scheik. Nimm dies hier – ich kaufe ihn dir ab.“ Gierig fischte die schmutzige Hand des Stammeshäuptlings nach dem Geldschein, den Jim Parker ihm vor die Füße warf. Parker und Wernicke kehrten sich wortlos ab und verließen mit ihrem Schützling das Araberlager. Der Kommodore fühlte, wie sich eine kleine, warme Hand in seine kräftige Faust schlich. „Omar dankt dem fremden Efendi. Omar ihm jetzt für immer gehören.“ „Nett von dir, kleiner Spatz. Aber sag mal, woher hast du denn deine englischen Sprachkenntnisse?“ „Omar früher Diener bei britischem Konsul in Sana. Ibn Asir kommen und töten weißen Herrn, rauben Omar ben Kalef.“ „Mensch, Jim, da sind wir ja anscheinend an den Richtigen geraten“, sagte Wernicke. „Wüstenräuber – ich hatte es gleich vermutet. Wir werden auf der Hut sein müssen.“ „Ibn Asir und sein Stamm sehr böse Männer. Omar aufpassen und warnen weißen Efendi, wenn Gefahr droht.“ „Gut so, my boy. Ich verlasse mich auf dich. Du schläfst vor meinem Zelt. Gute Nacht!“ 50
* Charles Hancock riß den Karabiner an die Backe. „Halt! Stehenbleiben – oder ich schieße.“ Die beiden Gestalten, die aus dem Dämmer der Polarnacht unvermittelt vor ihm aufgetaucht waren, verhielten überrascht den Schritt. Aber Hancocks Überraschung war noch größer, als eine dieser Gestalten die Arme ausbreitete und mit einem kleinen Jubelschrei auf ihn zugestürzt kam: „Charly! Gott sei Dank, daß wir dich gefunden haben.“ Doktor Hancock ließ die Waffe sinken. „Yvonne – ja, träume ich denn?“ „Nein, Charly, ich bin es wirklich.“ Und sie warf sich ungestüm in seine Arme. „Ahem – ihr müßt schon entschuldigen, wenn ich euer Liebesidyll auf 70 Grad Süd so unsanft störe“, ließ sich da eine männliche Stimme dicht neben ihnen vernehmen, „aber …“ Charles fuhr herum. „Fischer, Sie häßlicher Vogel, wie kommen Sie denn hierher?“ „Sei nicht so schlecht zu ihm, Charly“, ermahnte ihn Yvonne. „Horst Fischer hat mich in seinem ‚Shooting Star’ mitgebracht, und noch dazu ohne Flugerlaubnis. Er hat seine Karriere aufs Spiel gesetzt – allein mir zuliebe … uns zuliebe“, korrigierte sie sich schnell und konnte es nicht verhindern, daß sie errötete. „Und – wozu das alles?“ fragte Hancock mißtrauisch. „Charly – so höre doch: Was du hier tust, ist der reinste Selbstmord. Du ganz allein in der Eiswüste der Antarktis, auf der Jagd nach einem Phantom …“ „Wie meinst du das, Yvonne?“ „Du verstehst mich ganz genau, Charly. Die ganze Fachwelt ist sich darüber einig, daß in der Antarktis keine neuen Uran51
funde zu erwarten sind, wenigstens nicht in nennenswertem Umfang. Man lacht über deine Theorie. Sei doch endlich vernünftig, du lieber Dickkopf, und setze nicht unnötig dein Leben aufs Spiel!“ „Du täuschst dich, Yvonne, und die ganze Fachwelt befindet sich auf dem Holzweg, wenn sie meint …“ „Kommen Sie, wir müssen zur Maschine zurück“, drängte Fischer und hob das Gesicht zum dunklen, wolkenverhangenen Himmel. „Ich traue dem Frieden nicht. Es sieht verdammt nach einem Schneesturm aus.“ In der Luft war plötzlich ein bösartiges, hohles Sausen. Ringsum wirbelte der Schnee in kleinen Fontänen auf. „Er hat recht, Charly“, rief Yvonne besorgt. „Komm, ehe es zu spät ist.“ „Ich bleibe“, erklärte Charles trotzig. „Ich stehe unmittelbar vor dem Ziel und denke gar nicht daran zu kapitulieren.“ „Dann bleibe ich bei dir, Charly.“ „Himmeldonnerwetter!“ schimpfte Horst Fischer. „Bei euch ist wohl der Polarkoller ausgebrochen? Wenn ihr schon nicht zu retten seid, dann helft mir wenigstens, die Maschine zu sichern, bevor der Schneesturm …“ Aus der Nebelwand, die den Landeplatz des „Shooting Star“ verhüllte, kam ein dumpfer Knall. Ein Klirren von Glas, das Scheppern von Metall. Der Flugkapitän stürzte davon. Mit hängenden Ohren kam er gleich darauf zurück. „Umgekippt und ausgelaufen.“ Das war alles, was er sagte. Aber Charles und Yvonne waren bereits im Bilde … * Was Jim Parker und die Wissenschaftler der ArabienExpedition des S.A.T. an diesem Morgen erlebten, grenzte ans Wunderbare und ließ selbst diesen nüchtern denkenden Män52
nern das Uranfieber zu heller Flamme aufflackern. Kaum, daß die Sonne über den Horizont gestiegen war, hatten sie zwei kleinere Raketenflugzeuge klar gemacht und waren zu einem Vermessungsflug über das von Joe Hall auf der Karte bezeichnete, uranhaltige Gebiet gestartet. Der Kommodore saß mit Professor Westermann und dem Prospektor in der einen der beiden Maschinen und steuerte Kurs Südost. Begleitet von einem Assistenten des Professors und dem finsteren Araberscheik flog Fritz Wernicke auf NordostKurs über die trostlose Wüstenlandschaft. Nein, hier konnte es keinen Zweifel geben: Das ganze Land dort unten war hochgradig radioaktiv! Die Zählrohre, die man an Bord mitführte, waren mit akustischen Signalgeräten gekoppelt, und ihre Klingeln gebärdeten sich wie rasend. „Stellt doch endlich den verdammten Wecker ab!“ schimpfte Wernicke, dem die Klingelei allmählich auf die Nerven ging. Als die Flugzeuge schließlich in der Nähe der Oase landeten, hatte man ein Gebiet von nahezu zehntausend Quadratkilometern überflogen und durch Abwurf von Fähnchen in den Farben des S.A.T. abgegrenzt. „Nun, Kommodore, habe ich zu viel versprochen?“ strahlte Joe Hall. „Es ist unfaßbar“, sagte Jim Parker kopfschüttelnd und überreichte dem Prospektor den versprochenen Scheck. „Ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Und was gedenken Sie jetzt zu tun, Mister Hall?“ „Ich werde auf schnellstem Wege nach Aden reiten und meinen Scheck in der dortigen Filiale der Weltbank einlösen. Ibn Asir war so freundlich, mir Kamele und zwei seiner Männer zur Begleitung zu überlassen.“ „Ein riskantes Unternehmen, Mister Hall. Mit so viel Geld in der Tasche würde: ich mich der Wüste lieber nicht anvertrauen – und solchen ‚Beschützern’ schon gar nicht. Da wüßte ich besse53
ren Rat: Ich werde Sie im Raketenflugzeug nach Aden bringen lassen. In einer knappen Stunde sind Sie dort.“ „Nein, nein“, wehrte der Prospektor hastig ab. „Das heißt – vielen Dank für Ihr freundliches Anerbieten, aber – ich liebe nun einmal den einsamen Ritt durch die endlose Weite der Wüste. Und außerdem möchte ich noch an der Grenze von Jemen ein paar gute, alte Freunde besuchen.“ Der Kommodore warf ihm einen langen, prüfenden Blick zu. „Wie Sie wollen“, sagte er schließlich. „Nun, dann also glückliche Reise!“ Als die größte Mittagshitze überstanden war, brach Joe Hall mit seinen beiden „Beschützern“ auf. Lange noch blickten die Zurückbleibenden den Reitern nach, bis sie in der Ferne im Süden verschwanden. * Während die Männer des S.A.T. in der Oase Djinnah unter der Gluthitze des arabischen Sommers stöhnten, bahnten sich in der Antarktis, auf 70 Grad Süd, drei Menschen nicht minder mühsam den Weg durch Kälte, Schneesturm und ewiges Eis. „Nett von Ihnen, daß Sie sich uns angeschlossen haben, Fischer“, spöttelte Charles. Hancock. „Und das entgegen Ihrer besseren Einsicht.“ „Euch törichte junge Leute kann man doch nicht einfach allein lassen“, brummte der Flugkapitän. „Außerdem ist es ohnehin ziemlich egal, was ich jetzt mache. Meine Laufbahn beim SAT. ist so oder so im Eimer.“ „So sollten Sie nicht sprechen, Horst“, ereiferte sich Yvonne. „Sie haben sich prächtig benommen, wie ein guter, zuverlässiger Kamerad. Mister Cunningham wird Ihnen keinen Vorwurf machen können, wenn wir erst wieder in Orion-City sind und ihm unseren Erfolg präsentieren.“ 54
„Sie glauben also im Ernst …“ „Ja, Sie etwa nicht?“ lachte Charles und zog den „ungläubigen Thomas“ zu dem Raketenschlitten, auf dem das kostbare Super-Spezialzählrohr montiert war. „Na, was sagen Sie nun?“ Horst Fischer wischte sich über die Augen. In rasendem Wirbel sprangen die Ziffern des Registrierinstruments … „Es kann nicht mehr weit sein – wir sind tatsächlich ganz nahe am Ziel“, murmelte er heiser. „Vorwärts!“ Fauchend bahnte sich der Raketenschlitten weiter seinen Weg nach Osten.
* In der Befehlszentrale des Mondwerks „Luna IV“ saßen sich drei Männer mit sorgenvollen Mienen gegenüber. „Man sollte es nicht für möglich halten“, sagte Doktor Keßler ärgerlich. „Da plage ich mich mit meinen Suchkommandos Tag und Nacht in den entlegensten Winkeln des Mondes herum, setze einen Bohrturm nach dem anderen in Gang und habe – 55
endlich! – das große Glück, die Uranförderung wieder auf Touren zu bringen. Und was ist der Dank für alle Mühe? Lange Gesichter und ratloses Schweigen! Dabei hungert die ganze Erde – und vor allem unser S.A.T. – förmlich nach dem so selten gewordenen Lunarit.“ „Sie dürfen das nicht gleich so persönlich nehmen, Doc“, meinte Nicholas Moll unwirsch. „Wir wissen Ihre Arbeit voll und ganz zu würdigen und haben nichts Eiligeres zu tun gehabt, als alle verfügbaren Transporter bis an den Rand mit dem frisch geförderten Erz zu füllen. Aber – die schwierigste Aufgabe steht uns leider noch bevor.“ „Sie tun ja beinahe so, als handelte es sich um die erste Weltraumfahrt aller Zeiten. Schließlich leben wir doch nicht mehr in den Tagen des seligen Jules Verne.“ „Und Sie vergessen, was sich in letzter Zeit zwischen Erde und Mond abgespielt hat“, begehrte Major Williams, der Chef des Mond-Sicherheitsdienstes, ärgerlich auf. „Zwei Urantransportschiffe vom neuesten Typ verschwanden spurlos, und nur dem entschlossenen Handeln des Kommodores ist es zu verdanken, daß nicht auch noch ein drittes verlorenging. Die Verantwortung für die weiteren Transporte liegt auf meinen Schultern, Doc. Aber treffen Sie doch mal die richtigen Maßnahmen gegen einen Gegner, von dem Sie nicht das geringste wissen.“ „Verzeihen Sie, Sir, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Allerdings glaube ich doch, Sie überschätzen die Gefahr. Soweit ich informiert bin, hat doch Jim Parker das Piratenschiff vernichtet.“ „Gewiß“, erwiderte der Major. „Aber glauben Sie nur nicht, daß der Spuk damit ein Ende hätte.“ „Die Kreise, die sich hinter diesen Überfällen verbergen, dürften noch über ganz andere Möglichkeiten verfügen.“ Nicholas Moll sagte es ahnungsvoll und stand auf. „Ich habe den Start 56
der vier Transportschiffe auf heute abend, 21 Uhr mittlerer Ortszeit, festgesetzt. Die Zeit bleibt natürlich streng geheim. Was werden Sie unternehmen, Williams?“ „Ich werde Oberst Mortimer sofort durch chiffrierte Depesche bitten, ein Detachement des Sicherheitsdienstes auf ‚Luna nova’ zu verlegen und dort mit schnellen Kurierraketen in Bereitschaft zu halten. Ich selbst begleite den Transport mit den Passagierschiffen 69, 72, 76 und 89.“ „Was, mit diesen alten Gurken?“ „Haben Sie bessere greifbar, Mister Moll? Ich bitte Sie, die Schiffe für alle Fälle mit Zusatzraketen auszurüsten. Wer weiß, was uns auf dieser Fahrt alles bevorsteht? Good bye, Gentlemen.“ * „O Jim – das also sind die gepriesenen ‚arabischen Nächte’! Ich habe mal einen Film gesehen: ‚Die Rache des Beduinen’, oder so ähnlich. Ja, da ging es hoch her! Strahlende Moscheen, Paläste in wunderbaren Gärten, Reiterturniere in der Wüste, – und rauschende Feste in den milden Nächten, unter dem diamantenflimmernden Sternhimmel des Südens. Beschaulich raucht der Emir mit seinen Gästen aus der Wasserpfeife den edelsten türkischen Tabak. Die Mokkatassen dampfen, und die Blicke ruhen auf den schlanken Tänzerinnen, die nach dem schwermütigen Klang der Zimbeln in buntem Reigen um den Springbrunnen schweben. Wunderbar war es – und dieses hier?“ Fritz Wernicke machte ein todunglückliches Gesicht und rückte näher an den kleinen Atomofen heran, der das Zelt des Kommodores erwärmte. „Tja, Fritz, in der rauhen Wirklichkeit geht es meist sehr viel anders zu, als in der Traumfabrik“, lachte Jim Parker. „Aber was willst du? Wir haben hier den flimmernden Sternhimmel 57
des Südens, wir haben die Wüste und die Nächte, und wenn sie auch ein bißchen kalt und ungemütlich sind, so sind die Tage dafür um so wärmer.“ „Und Sandstürme haben wir, giftige Vipern und die lieblichen Sandflöhe, jene Geißel der Menschheit, die Allah im Zorn erschaffen haben muß. Und schmutzige Beduinen, die uns anschauen, als wollten sie uns im nächsten Augenblick aus dem Hinterhalt erdolchen.“ „Na also, Fritz, du siehst: wir haben alles …“ „Nur eins haben wir nicht,“ fiel Professor Westermann ernst ein. „Wir haben kein Uran gefunden.“ Das Gespräch verstummte. Dies war ein wunder Punkt. Obwohl man seit Tagen suchte, mit Spezialbaggern die Wüste umpflügte, mit Bohrmaschinen in die Tiefe vordrang, hatte man bislang keine Spur des begehrten Erzes gefunden, das – nach Joe Halls Behauptungen – überall offen herumliegen sollte. Wieder regte sich der Verdacht im Herzen Parkers. „Ob wir nicht vielleicht doch – einem Schwindler zum Opfer gefallen sind?“ „Ausgeschlossen“, erklärte der Professor bestimmt. „Die Instrumente zeigen so starke Ausschläge an, daß wir mit Erzlagern von nie erlebter Mächtigkeit zu rechnen haben.“ „Und trotzdem finden wir nichts.“ „Wahrscheinlich liegt das Erz in einer Schicht, die wir bisher noch nicht erreicht haben. Wir müssen eben noch tiefer schürfen.“ Der Kommodore antwortete nicht. Sein Blick ruhte auf dem Zelteingang, wo sich die Falten des Stoffes leise bewegten. Eine Schlange? Jim griff in die Tasche und faßte nach der Pistole. Doch es war nur Omars munteres Jungengesicht, das sich aus dem Leinen schälte. Der Kleine legte den Finger auf die Lippen und gab seinem Beschützer ein Zeichen, ihm zu folgen. Zu Jims Verwunderung zog ihn Omar zum Nordrand des La58
gers hin, wo im ungewissen Licht der Sterne die Umrisse der transportablen Trinkwasser-Destillieranlage undeutlich sichtbar wurden. Und da – bewegte sich da drüben nicht ein Schatten? Unhörbar schlich der Kommodore näher – und stolperte polternd über einen Wasserkanister, der im Weg gelegen hatte. Fluchend rappelte er sich hoch und stürzte auf die Schattengestalten zu, die plötzlich in alle Richtungen auseinanderstoben. Doch sie waren schneller als er und verschwanden in der Nacht. Auf den Lärm hin kamen die S.A.T.-Männer aus den Zelten herbei. Im Schein der Magnesiumfackeln ließ sich unschwer erkennen, daß man die nächtlichen Besucher gerade im richtigen Moment ertappt hatte. Sie waren drauf und dran gewesen, die lebenswichtige Destillieranlage kunstgerecht zu demontieren. War es ein dummer Streich – die Tat einiger Strolche, denen das Stehlen im Blut lag? Oder steckte mehr dahinter? Der Kommodore beschloß, auf der Hut zu sein. „Verdoppele die Posten, Fritz. Sie sollen jedem Halunken, der sich unbefugt ins Lager einschleicht, eins auf den schmutzigen Pelz brennen.“ * Über das Adélie-Land, auf dem südlichen Polarkreis gelegen, brauste der Schneesturm. Er schüttelte an den drei kleinen, kältesicheren Wellblechbuden der Station, die hier, am Rande der Antarktis, jenseits aller Grenzen der menschlichen Zivilisation, von den französischen Luftstreitkräften zur Flugsicherung unterhalten wurde. Die drei Männer der Besatzung saßen in der kleinen Funkstation am Ofen und rauchten ihre Pfeifen. Aus dem Lautsprecher kamen abgerissene Fetzen einer Nachrichtensendung, immer wieder übertönt vom Heulen des Sturms, der durch die Polarnacht toste. 59
„… großes Rätselraten um die neuen Uranfunde des S.A.T. … Zwei norwegische Flugzeuge bei Uransuche über Spitzbergen abgestürzt … Internationale Spannungen wegen angeblicher Erzfunde in Turkestan … Moskau: Professor Kowalewski bezeichnet jede Hoffnung auf neue Erzfunde in der Antarktis als lächerlich.“ „Na, der muß es ja wissen“, brummte der Funker. „Glaubst du das auch, René?“ Der Angesprochene, ein langer, bärtiger Bretone, rührte bedächtig in seinem Teeglas. „Diese Russen zeigen einen merkwürdigen Eifer, die Aufmerksamkeit von der Antarktis abzulenken. Findet ihr nicht auch?“ Pierre, der Dritte im Bunde, hob lauschend den Kopf. „Da – hört ihr es nicht?“ „Tatsächlich!“ rief der Funker. „Pierre hat recht. Wir bekommen Besuch.“ Deutlich vernahm man durch das Brausen des Schneesturms jetzt einen anderen Laut: das Lärmen starker Flugzeugmotoren. „Wer könnte denn das sein?“ wunderte sich René. „Hört sich ja wie ein ganzes Geschwader an. Und so ganz ohne Vorankündigung …“ „Komm, wir wollen nachsehen“, rief Pierre und kletterte bereits in seine Pelzkombination. Doch die Besucher kamen schon selbst – und es zeigte sich leider, daß es sich um recht ungebetene Gäste handelte. Die Tür wurde aufgerissen – überrascht starrten die drei Franzosen in ein halbes Dutzend drohender Gewehrmündungen. Ein scharfer Befehl – in einer fremden Sprache gegeben, aber dennoch nicht mißzuverstehen. Gehorsam hoben die Überrumpelten die Arme. *
60
Atemlose Stille herrschte im interplanetarischen Senderaum der Radiozentrale von Orion-City. Die Luft knisterte förmlich vor Spannung. Man hatte Sprechverbindung mit der Mondrak 89, dem Flaggschiff Major Williams’, und verfolgte zwischen Hoffen und Bangen den Weg des kosmischen Geleitzugs, der vier Schiffsladungen Lunarit, des Uranerzes, nach dem die Welt hungerte, zur Erde bringen sollte. Vier Schiffsladungen Lunarit! Wenn das nur gut ging … Generaldirektor Cunningham hockte weit vorgebeugt in seinem Sessel. Es sah aus, als wollte er in das Lautsprechergehäuse hineinkriechen. Verbissen kaute Oberst Mortimer auf seinem Füllfederhalter. Captain Graham, sein Adjutant, lehnte regungslos an der Wand. Vor ihnen bedienten zwei Techniker mit geübten Griffen die Sende- und Empfangsgeräte. „Hier Mondrak 89“, kam die hohle Geisterstimme. „Hier Mondrak 89. An Bord alles wohl.“ Das war die verabredete Formel, die besagen sollte, daß der Geleitzug planmäßig und ungehindert seine Bahn verfolgte. „Hier Orion-City“, antwortete einer der beiden Funker. „Verstanden – meldet euch wieder.“ Das gepreßte Schnaufen Ted S. Cunninghams unterbrach die Stille. Wie hilfeflehend ruhte sein Blick auf der elektrischen Wanduhr. Und wieder die Geisterstimme aus dem Lautsprecher: „Hier Mondrak 89. Befinden uns jetzt im Areal 7c.“ „Jetzt wird’s Ernst“, knurrte Oberst Mortimer und nickte dem Atomboß vielsagend zu. Areal 7c – das war nichts anderes als ein Tarnausdruck, der bedeutete, daß der Geleitzug das gefährdete Gebiet zwischen 270 000 und 285 000 Kilometer Mondabstand erreicht hatte. Die Minuten tropften unendlich langsam dahin. Im Lautsprecher war nur noch ein leises Knistern zu hören. Bei jedem lauteren Nebengeräusch zuckten die Männer im Senderaum fast 61
schmerzhaft zusammen. Die Spannung wuchs bis zur Unerträglichkeit. „So – so rufen Sie doch“, ächzte Cunningham. Schweiß stand in dicken Tropfen auf seiner Stirn. Der Funker gehorchte und gab das Rufzeichen – einmal, zweimal, immer wieder. Endlich die Antwort: „Hier Mondrak 89. Haben Areal 7c verlassen. An Bord alles wohl.“ „Hurra!“ brüllte der Atomboß und stürzte mit ausgebreiteten Armen auf seinen Sicherheitshäuptling zu, der unter dem Anprall der Fleischmassen fast zusammenknickte. „Hurra, wir haben es geschafft! Vier Schiffsladungen Lunarit! Menschenskind, Mortimer, das gibt uns wieder mal Luft. – Ja, was ist denn los? Leiden Sie an Veitstanz?“ Der lange Oberst mühte sich verzweifelt ab, den lärmenden Boß zum Schweigen zu bringen und seine Aufmerksamkeit auf den Funker zu lenken, der heftig herüberwinkte. Cunningham sah es und verstummte jäh. Aus dem Lautsprecher tönte eine hastige Stimme: „Hier Major Williams. Hallo, Oberst Mortimer – Mortimer, hören Sie mich?“ Der Oberst war mit einem einzigen Schritt seiner endlosen Beine am Mikrophon. „Hier spricht Mortimer. Was ist los, Williams?“ „Das möchte ich von Ihnen wissen, Oberst. Was sind denn das für Raumschiffe, die Sie mir da zum Empfang entgegengeschickt haben? Die Piloten scheinen betrunken zu sein, kurven hier herum wie verrückt …“ „Was sagen Sie da? Thunderstorm! Wie viele sind es denn?“ „Kann ich nicht mal genau sagen, mindestens aber zehn oder zwölf.“ „Damned! Die kommen nicht von uns, Williams. Wehrt euch eurer Haut, Leute, und haltet aus! Durchhalten, bis die Verstärkungen von der Außenstation eintreffen.“ 62
Der Oberst gab Captain Graham ein Zeichen. Der stand schon am Fernsprecher und ließ die Nummerscheibe surren. Er wählte die Nummer des Sicherheitsdienstes und sagte nur ein Wort: „Großalarm!“ Der große Alarmplan, der für diesen Sonderfall ausgedacht worden war, lief in allen Abteilungen des Sicherheitsdienstes – in Orion-City sowohl wie auf der Außenstation und in den fernen Mondwerken – wie ein Uhrwerk ab. Und während Mortimers Wagen mit heulender Sirene und blinkenden Warnlichtern zum Zentralflugplatz raste, setzte Ted S. Cunningham mit zitternder Hand einen Funkspruch an Kommodore Parker auf. * Über der Oase Djinnah brütete wie üblich die Hitze eines arabischen Sommertages. Unerbittlich brannte die Sonne auch an diesem Morgen vom wolkenlosen Firmament, und doch war es, als schwebte eine drohende, spannungsgeladene Wetterwolke über den dürftigen Palmen, den Zelten und ihren Bewohnern. Der Kommodore spürte es, als er mit Fritz Wernicke zum Araberlager hinüberschlenderte, um mit Scheik Ibn Asir den Einsatz seiner Männer für den heutigen Tag zu besprechen. Er spürte es während der Unterhaltung und teilte seine Wahrnehmungen auf dem Rückweg dem kleinen Steuermann mit. „Sie sind uns böse, weil wir ihnen heute nacht die Suppe versalzen haben“, lachte Fritz Wernicke. „Und dann sind sie natürlich über die Verstärkung der Wachen erbost, diese Himmelhunde.“ „Die Schufte sollten lieber dankbar sein, daß sie so leichten Kaufs davongekommen sind. Nanu, Fritz, was ist denn da los?“ Vom Landeplatz der Flugzeuge im Norden der Oase klangen Lärm und Geschrei. Zwei Flintenschüsse krachten. 63
„Los, Fritz!“ Die beiden Freunde hetzten davon. Doch schon auf halbem Wege kam ihnen eine Gruppe S.A.T.-Männer entgegen. Sie zerrten einen sich heftig sträubenden Eingeborenen mit sich. „Wir fanden den Burschen zwischen den Raketenflugzeugen, Sir“, berichtete ein junger Pilot. „Er machte sich an den Spritbehältern zu schaffen.“ „Hatte wahrscheinlich Durst“, meinte Fritz Wernicke ernsthaft. „Unsinn, Fritz. Der Koran verbietet dem gläubigen Moslem das Saufen.“ „Durst schien er nicht zu haben“, fuhr der Raketenflieger fort. „Er ließ den kostbaren Stoff nämlich kurz und bündig in den Wüstensand rinnen.“ „Aha“, sagte der Kommodore. „Dann wollen wir dem Knaben mal ein wenig auf den Zahn fühlen. Schafft ihn in mein Zelt.“ Das Verhör des Übeltäters erwies sich – trotz der Dolmetschung durch Omar ben Kalef – als sehr schwierig; denn der Gefangene reagierte auf alle Fragen mit eisigem Schweigen. Gerade wollte Jim Parker die nutzlose Vernehmung abbrechen, als vor dem Zelt erregte Stimmen laut wurden. Die Zelttür klappte auf, und herein stolperten in wildem Handgemenge zwei Wachtposten und Scheik Ibn Asir mit vier, fünf seiner Männer. In diesem Augenblick ertönte in der Ecke, wo die hochempfindlichen Zählrohre aufbewahrt wurden, ein schrilles Klingelkonzert. Überrascht eilten Parker, Wernicke und Professor Westermann zu den Geräten, die wie toll registrierten. Eine starke radioaktive Strahlung mußte ganz unvermittelt aufgetreten sein. Fassungslos blickten die drei Männer sich an. Die Ausschläge wurden wieder schwächer und erstarben schließlich ganz. Als der Kommodore aufblickte, sah er, daß es 64
der Wache gelungen war, die Eindringlinge zu vertreiben. Der festgenommene Saboteur hatte das Durcheinander benutzt, um unbemerkt zu entkommen. „Was – war denn das?“ fragte Jim Parker verständnislos. Der Professor zuckte die Achseln. „Es gibt nur eine einzige mögliche Erklärung für das Phänomen: Ein plötzlicher, kräftiger Schauer kosmischer Strahlen aus dem Weltraum muß die Instrumente zum Ausschlagen gebracht haben.“ „Hm.“ Der Kommodore wiegte zweifelnd den Kopf. Aber er kam nicht mehr zu einer Erwiderung. Sein Bordfunker trat ein, grüßte und übergab ihm eine Depesche. Jim Parker las, und sein Gesicht wurde sehr ernst. „Ich muß sofort nach Orion-City zurück, Gentlemen. Befehl von Cunningham. Ich nehme eins von den kleinen Raketenflugzeugen und mache auf Malta, auf den Azoren und in Baltimore Zwischenlandung, um nachzutanken. Dave, rufen Sie sofort die betreffenden Flughäfen an, daß alles klar geht.“ „Jawohl, Kommodore!“ Der Funker stob davon. „Wann starten wir, Jim?“ Fritz Wernicke ordnete schon sein Reisegepäck. „Was heißt wir, mein Lieber? Ich fliege allein. – Nein, nein, Fritz, keinen Widerspruch! Du wirst hier in Djinnah genau so nötig gebraucht, wie ich draußen im Weltraum, wo Williams’ Geleitzug um sein Leben kämpft. Halte inzwischen die Augen offen. Diesem Räuberscheik und seinen Banditen ist nicht über den Weg zu trauen. So long – ich bin so bald wie möglich zurück.“ * „Bei allen Planeten! Dieses Super-Spezialzählrohr ist ja wirklich ein wahres Wunderinstrument“, rief Horst Fischer ehrlich erstaunt. 65
„Gewiß“, lachte Yvonne. „Schließlich war es doch Charly, der es erfunden hat.“ „Meine Anerkennung, Charles! Ich habe den Eindruck, daß Ihre Erfindung eine große Zukunft hat …“ „… sofern es überhaupt noch genug Uran in der Welt gibt, daß sich der Einsatz des Gerätes lohnt“, warf Charles Hancock ein. „Nun – hier hat es sich bestimmt gelohnt. Das Instrument hat seine Generalprobe bestanden. Seht doch nur – hier …“ Er riß den langen Streifen photographischen Papiers von der Rolle, auf dem das Gerät selbständig die Stärke und Richtung der gemessenen radioaktiven Strahlung aufzeichnete. Nach anfänglich starken Schwankungen zeigte die Registrierkurve ein langsames, aber stetiges Ansteigen, das zuletzt in steilem Schwung einem Höchstwert zustrebte. „Wir sind am Ziel“, sagte Yvonne andächtig. „O Charly, du hast recht behalten, obwohl dich die ganze Welt verlacht hat.“ Stürmisch fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn. Horst Fischer sah es mit einem kleinen Gefühl von Neid. Er räusperte sich. „Ahem – es ist ja alles ganz gut und schön, aber wer wird uns die Entdeckung glauben? Wir brauchen handfestes Beweismaterial, das wir dem dicken Cunningham unter die Nase halten können.“ „Wir haben die Registrieraufnahmen“, meinte Charles. „Ein paar solide Erzbrocken wären beweiskräftiger.“ „Ihr vergeßt dabei das Wichtigste“, erinnerte Yvonne. Sie lief zu dem Raketenschlitten, der am Fuß der kleinen Anhöhe stand, und kam gleich darauf mit einem Bündel zurück, das sie sorgsam auseinanderfaltete. Sekunden später wehte knatternd die Flagge des S.A.T. auf der Hügelkuppe. Die drei jungen Menschen blickten sich jetzt etwas genauer um und betrachteten das Land, das sie für das Staatliche AtomTerritorium in Besitz genommen hatten. Es war ein weites, wel66
liges Tal, in zwei Ausläufern des Gebirges eingebettet und nach Süden hin offen. Horst Fischer überlegte bereits, wie man am besten Menschen und Material von Orion-City heranschaffen könnte. Da draußen, hinter dem Talausgang im Süden, würde man den Flugplatz anlegen – wenn es nach ihm ginge. Der Flugplatz … War da nicht bereits die Luft erfüllt vom Brausen der Motoren? Nein – die Phantasie spielte ihm einen Streich. Er war ganz einfach übermüdet. „Flugzeuge!“ Aufgeregt streckte Yvonne den Arm aus und deutete zum Himmel. Über den westlichen Gebirgskamm kam es herangeschossen: drei Maschinen! Sie rasten über das Tal hinweg, kehrten zurück und kreisten in großer Höhe. Dann setzten sie weiter im Süden zur Landung an. „Was sind denn das für seltsame Vögel?“ fragte Charles beunruhigt. Der Flugkapitän ließ den Feldstecher sinken. „Keine Ahnung. Sie tragen keinerlei Kennzeichen.“ * Wieder war ein glühend heißer Tag in der Oase Djinnah zu Ende gegangen. Mit Baggern und Bohrern war man der Wüste zu Leibe gerückt. Die S.A.T.-Männer hatten in der mörderischen Sonnenglut geschuftet wie Roboter. Überall hatten die Zählrohre starke radioaktive Strahlungen registriert – doch nicht die kleinste Spur des begehrten Erzes war zu Tage gefördert worden. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu“, stöhnte Professor Westermann, als er am Abend mit Fritz Wernicke vor seinem Zelt am Lagerfeuer hockte und sich bemühte, mit dem Taschenmesser die quälenden Sandflöhe aus seinen Fußsohlen herauszuoperieren. „Wir kriegen hier noch alle ’nen Sonnenstich“, schimpfte Fritz und nahm zur Vorbeugung einen herzhaften Schluck aus 67
der Whiskyflasche. „Wäre ich nur bei Jim Parker im Weltraum! Der Gute weiß ja gar nicht, wie beneidenswert er ist.“ „Na, so beneidenswert finde ich es wiederum nicht, sich da draußen mit Gespensterschiffen und Weltraumgangstern herumzuschlagen“, meinte der Professor zweifelnd. „Doch schauen Sie: Ich glaube, der junge Mann da hat was auf dem Herzen.“ Wernickes Blick fiel auf Omar ben Kalef, der sich neben dem Feuer in den Sand gehockt hatte und ein ungemein wichtiges Gesicht zog. „Na, du kleiner Wüstenkönig, was hast du auf dem Herzen?“ Omar grinste und zeigte seine prächtigen, schneeweißen Zähne. Er mochte den kleinen Steuermann, den Freund seines Beschützers, gern leiden. Langsam streckte er die Hand aus und ließ einen viereckigen Gegenstand, ein kleines Stück weißes Metall, in Wernickes Rechte fallen. Fritz erschrak, als er das Gewicht des Brockens spürte. „Professor – sagen Sie, ist das nicht …“ „… Uran!“ rief Westermann entgeistert. „Es ist ohne Zweifel reines Uran.“ „He, du kleiner Schmuggler!“ Fritz Wernicke zog den grinsenden Jungen am Ohrläppchen ganz dicht heran. „Wo hast du denn das gefunden?“ „Hier“, sagte Omar nur und zauberte aus den Falten seines zerrissenen Gewandes eine dicke Bleikassette hervor. Die beiden Männer betrachteten den merkwürdigen Fund von allen Seiten. „Es scheint sich um eine Spezialanfertigung zu handeln“, sagte Westermann. „Aber zu welchem Zweck wohl? Und wie kommt das Ding hierher?“ „Gefunden“, erklärte Omar stolz, „in Satteltasche von Scheik Ibn Asir.“ „Du scheinst ja ein ganz raffinierter Taschendieb zu sein“, sagte der Professor, und es klang halb verweisend und halb anerkennend. 68
Fritz Wernicke pfiff durch die Zähne. „Professor, ich habe eine Idee. Nehmen Sie den Brocken einstweilen in Verwahrung. Und du, Omar, König aller Meisterdiebe des Morgenlandes, du nimmst jetzt die leere Kassette, füllst sie mit Sand und zauberst sie dem edlen Scheik wieder in die Satteltasche, bevor er den Verlust bemerkt. Klar?“ Wie eine Schlange glitt Omar davon und tauchte in der Dämmerung unter. Fritz Wernicke sah ihm eine Weile nach. „Gute Nacht, Professor“, gähnte er. „Schätze, daß wir morgen interessanten Enthüllungen entgegengehen.“ * Großalarm in der Außenstation! In den Gängen, in sämtlichen Räumen des künstlichen Riesenrades, das die Erde in 1730 Kilometer Abstand umschwebte, schrillten die Glocken, heulten Alarmsirenen, flackerten rote Signallampen. Die Schritte der Besatzungsmitglieder trampelten durch den gewundenen Mittelgang. Schwere Schotten schlossen sich langsam, teilten die ganze Station in einzelne Zellen auf, damit eine Katastrophe vermieden würde, wenn irgendwo die Außenwand verletzt wurde und die Atemluft in den Weltraum entströmte. Großalarm in der Außenstation 1. Von den Außenstellen im Raum eilten die Arbeiter in Raumtaxi herbei und ließen sich in das Riesenrad einschleusen. Die Raumschiffe, die draußen in einiger Entfernung „vor Anker“ lagen, schlossen ihre Luftschleusen und machten sich startbereit. Durch die Lautsprecheranlage der Station erteilte Henri Lasalle seine Befehle an die Einsatzgruppen: „Kurierschiffe 5 bis 10 starten sofort ferngesteuert mit äußerster Kraft zum Kampfplatz! – Das zweite Geschwader folgt mit 69
tausend Meilen Abstand. – Sämtliche Sicherungskommandos der Station bleiben mit Atomwaffen in Bereitschaft. Der Alarmzustand für ‚Luna nova’ bleibt bis auf weiteres bestehen.“ Mit dem Captain vom Sicherheitsdienst, dem der Schutz der Station anvertraut war, turnte Lasalle durch die „Achse“ des Rades zum Observatorium hinauf. Der Astronom kam ihm aufgeregt entgegen. „Wollen Sie es sehen, Sir? Ich habe den Geleitzug im Fadenkreuz des großen Kometensuchers.“ Lasalle schnallte sich im Beobachtungsstuhl fest – eine Vorsichtsmaßnahme, auf die man hier, im schwerefreien Teil der Raumstation, nicht verzichten konnte. Gespannt blickte er ins Okular des lichtstarken Instrumentes, das ein besonders weites Gesichtsfeld umfaßte. Doch enttäuscht wandte er sich um. Eine Anzahl leuchtender Punkte – die wie ein Mückenschwarm durcheinanderschwirrten –, das war alles, was er entdecken konnte. „Haben Sie keine stärkere Vergrößerung?“ Dem Astronom kam ein Einfall. „Vielleicht könnten wir es mit dem neuen Elektronen-Teleskop versuchen, Sir. Eine ganz neuartige Konstruktion, die wohl bislang nur in zwei oder drei Exemplaren existiert. Mein Kollege, Doktor Douglas vom Mount-Palomar-Observatorium, schickte es mir mit der letzten Zubringerrakete zur Erprobung. Allerdings verfügen wir über keinerlei Erfahrungen …“ „Also, her damit! Wollen mal sehen, ob die neue Himmelskanone was taugt.“ Das neue Instrument, das auf dem Prinzip des bereits seit langem bekannten Elektronen-Übermikroskops arbeitete, erinnerte äußerlich durch nichts an die gebräuchlichen Fernrohrtypen. Elektronen, negativ-elektrisch geladene, kleinste Teilchen, waren es, die hier die Rolle der sichtbaren Lichtstrahlen übernahmen. 70
Auf einem Bildschirm huschten Lichtfünkchen von rechts nach links. Der Astronom drehte an einem Triebknopf. Gestochen scharf erschien mit einem Male die Szene, die sich – 60 000 Kilometer entfernt – in den Tiefen des Weltraums abspielte. Da waren sie, die riesigen Urantransporter des neuesten Typs – die älteren Mondraketen des Begleitkommandos – und die kleinen, wendigen Raumschiffe des unbekannten Angreifers! Major Williams, der den Geleitzug befehligte, hatte die vier Transportschiffe so dicht zusammenrücken lassen, wie es bei der offenbar rasenden Fahrgeschwindigkeit gerade noch verantwortbar erschien. Seine kleinen Mondschiffe umkreisten das Geschwader wie toll. Als der Astronom eine stärkere Vergrößerung einschaltete, konnte man sogar das Mündungsfeuer der Atomstrahler aufblitzen sehen. „Sie halten sich wacker“, rief Lasalle anerkennend. „Da kommt keiner ran.“ „Der Feind hat schon Verluste“, stellte der Astronom fest. „Zwei seiner Schiffe sind ausgefallen.“ Tatsächlich – zwei der gegnerischen Raumschiffe trieben antriebslos abseits. Aus dem Rumpf des größeren von ihnen quollen dichte Rauchschwaden. „Lange können sich unsere Fahrzeuge nicht mehr halten“, sagte der Captain besorgt „Da – das Flaggschiff ist ausgefallen!“ Die Mondrakete 89, das Flaggschiff Major Williams’, drehte sich wie ein Kreisel und blieb hinter dem Konvoi zurück. Plötzlich löste sich die ganze Formation der Raumschiffe auf. Die Transporter jagten mit noch größerer Geschwindigkeit der rettenden Erde entgegen, während sich die drei übriggebliebenen Begleitschiffe mit dem Mut der Verzweiflung auf den Gegner stürzten. „Die sind wohl verrückt geworden“, stöhnte Lasalle. „Wenn nur unsere Kurierschiffe erst da wären …“ „Kommodore Parker trifft in fünf Minuten auf der Station 71
ein“, meldete in diesem Augenblick eine Ordonnanz, „an Bord der Zubringerrakete 43.“ * „Köpfe weg! Volle Deckung!“ Nicht einen Augenblick zu früh hatte Horst Fischer seinen Warnungsruf ausgestoßen. Mit dem Feldstecher hatte er den Talausgang im Süden im Auge behalten. Plötzlich waren dort Gestalten aufgetaucht – ein Dutzend erst, doch hinter ihnen quoll es in Scharen heran. Und der Flugkapitän erkannte noch mehr … Über die Köpfe der drei Menschen pfiff es scharf hinweg. Das Knattern des Gewehrfeuers wurde vom Wind herangetragen. Regungslos duckten sie sich hinter die natürliche Deckung, die ihnen der felsige Hügelrand bot. Einige Minuten lang hallten die Schüsse durch das Tal. Querschläger und Gesteinssplitter sangen durch die Luft, verletzten jedoch niemand. Das Feuer erstarb. „Sie halten uns für tot“, grinste Horst Fischer böse. Durch das Glas verfolgte er aufmerksam die Bewegungen der rabiaten Eindringlinge. „Na, wartet, ihr Halunken. Kommt nur näher heran.“ Sie kamen näher. Und plötzlich fuhr ein Feuerstoß aus Fischers Maschinenpistole in ihre Reihen. Auch Charles feuerte, was aus seiner Waffe herauswollte. Ein paar Gestalten purzelten in den Schnee. Die übrigen stoben in wilder Flucht zum Talausgang. „Die haben genug“, rief Yvonne aufgeregt. „Sie haben uns das Leben gerettet, Horst. Ohne Ihre Aufmerksamkeit …“ „Die haben noch lange nicht genug“, prophezeite der junge Flieger. „Weiß der Teufel, woher die Schufte ihre Kenntnis haben – aber soviel ist mir klar: Sie wissen genau so gut wie wir, daß es hier Uran in rauhen Mengen gibt. Und sie werden nicht eher Ruhe geben, bis das Tal in ihrem Besitz ist.“ 72
Charles Hancock schob ein frisches Magazin in seine Waffe. „Das wird – solange ich lebe – niemals der Fall sein.“ Fischer zuckte die Achseln. „Ich fürchte, unsere unbekannten Feinde haben alle Trümpfe in der Hand. Sie können uns von Süden her angreifen, und ebenso gut aus der Luft. Und wenn sie es auf die unblutige Tour machen wollen, brauchen sie uns nur auszuhungern. Wir dagegen können uns nicht einmal bemerkbar machen; denn wir haben leider kein Funkgerät.“ „Dann wäre es also – das Ende“, sagte Yvonne leise. Der Flugkapitän stampfte mit finsterer Miene auf und ab. Plötzlich blieb er stehen. Ein Hoffnungsschimmer leuchtete in seinem Gesicht. „Vielleicht gibt es noch eine Rettung. Helft mir, den Raketenschlitten klar zu machen.“ „Ich bleibe hier“, erklärte Doktor Hancock schroff. „Sollen Sie ja auch, mein Lieber. Aber ich – ich mache mich jetzt auf, um meinen ‚Shooting-Star’ zu suchen. Dort drüben, im Norden, scheint ein Quertal einzumünden. Vielleicht komme ich da durch.“ „Aber, Menschenskind, Ihre Maschine ist doch zum Teufel gegangen. Haben Sie das ganz vergessen?“ „Die Maschine schon, aber die Funkanlage nicht. Halten Sie inzwischen die Stellung, Charles. Los, Yvonne, steigen Sie ein!“ „Ich bleibe bei Charly.“ Horst Fischer maß das Mädchen mit Einern bewundernden Blick. Er ist ein Glückspilz, dieser Charly, dachte er, und er weiß es wahrscheinlich nicht einmal. Laut sagte er: „Na, dann also ‚Hals- und Beinbruch!’ Haltet die Augen offen und laßt euch nicht bluffen!“ Minutenlang starrten die Zurückbleibenden der weißen Flamme aus der Heckdüse des Raketenschlittens nach, bis sie hinter der Mündung des Nebentales verschwand. Sie waren allein. Und drüben, in der Dunkelheit im Süden, 73
lauerte die feindliche Übermacht. Würde Horst Fischer die ersehnte Hilfe bringen, bevor sie dem Ansturm des offenbar zum äußersten entschlossenen Gegners erliegen mußten? Würde er es schaffen? * In der Nacht hatte sich Fritz Wernicke einen Kriegsplan ausgedacht, und er freute sich schon diebisch auf das dumme Gesicht des Scheiks, wenn er ihn am nächsten Morgen überführen würde. Alles klappte wie am Schnürchen. Mit zwei Raupenschleppern, allem erforderlichen Gerät und dem notwendigen Bedienungspersonal rückte Wernicke zu jener Stelle in der Wüste aus, an der man die bisher stärkste radioaktive Strahlung gemessen hatte. Ibn Asir begleitete die Fahrzeuge mit einem Dutzend seiner Reiter. Bei Annäherung an die Schürfstelle machte sich der Scheik an seiner Satteltasche zu schaffen. Es geschah ganz unauffällig, aber Fritz Wernicke bemerkte es doch und grinste still vor sich hin. Man kam ans Ziel. Die Männer sprangen ab und luden die Werkzeuge aus. Wie von ungefähr nahm Wernicke das Zählrohr in die Hand – und stieß einen Ruf der Überraschung aus. „Alle guten Geister – was ist denn das?“ Mit ungläubigem Staunen hob er das Gerät ans Ohr und schüttelte es vorsichtig. „Hier, edler Scheik, schau doch nur: Das Instrument zeigt keinen Ausschlag. Das Erzlager, das in der Tiefe schlummert, muß über Nacht plötzlich verschwunden sein.“ Die Überraschung gelang vollkommen. Scheik Ibn Asir griff hastig in sein Gewand, zog die geöffnete Bleikassette hervor und drehte sie um. Und nun machte der würdige Stammeshäuptling tatsächlich 74
das allerdümmste Gesicht, das dem kleinen Weltraumpiloten in seinem abenteuerlichen Leben je begegnet war. Die Kassette war leer! „Suchst du etwas Bestimmtes, o Scheik?“ fragte Wernicke liebenswürdig. „Gib dir keine Mühe – du suchst vergeblich. Dein Spiel ist aus, wir haben dich durchschaut: Mit dem Inhalt dieser netten, kleinen Schachtel, die du so verzweifelt schüttelst, sollten unsere Meßinstrumente zum Ausschlagen gebracht werden. Dadurch wolltest du uns Erzlager vortäuschen, die es in deiner trostlosen Wüste nie und nimmer gegeben hat. Und nun, du Vater des Betruges, du Großvater der Heuchelei, nun erzähle mir mal, was hinter diesem ganzen Schwindel steckt, den du mit dem sauberen Mister Hall ausgeheckt hast. Wo steckt dieser Erzhalunke überhaupt? Möchte wetten, daß seine Reise nach Aden genau so ein Schwindel war, wie … – Achtung, Leute!“ Der kleine Weltraumpilot warf sich blitzschnell zur Seite und entging nur um Haaresbreite der Revolverkugel, die Ibn Asir ihm zugedacht hatte. Die Wüstensöhne, die dem Vorgang verständnislos gefolgt waren, griffen zu den Flinten. Doch schon sprangen die S.A.T.-Männer von den Raupenwagen und schwärmten aus, die Pistolen im Anschlag. Ibn Asir erkannte, daß hier nichts zu gewinnen war. Ein scharfer Befehl an seine Reiter, und die Araber sprengten – in eine Sandwolke gehüllt – in der Richtung des Lagers davon. „Hinterher!“ brüllte Wernicke. „Wir müssen vor ihnen in der Oase sein!“ Die Männer sprangen wieder auf die Wagen. Die Motoren sprangen an. In gefährlichem Tempo durchpflügten die schweren Kettenfahrzeuge den Wüstensand. Aber diesmal zeigte sich die Natur der Technik überlegen. Immer größer wurde der Abstand zwischen der Kavalkade der feurigen Araberpferde und den rasselnden Raupenwagen der Verfolger. 75
„Wir müssen das Lager warnen, Sir“, rief einer der Meßtechniker. „Wir holen sie nicht ein.“ Verbissen zog Fritz Wernicke, der im vorderen der beiden Fahrzeuge stand, eine Signalpistole hervor. Zwei rote Leuchtkugeln, das verabredete Alarmzeichen, stiegen zum Himmel empor. Die Warnung schien ihren Zweck erfüllt zu haben; denn als die mageren Palmen der Oase Djinnah endlich aus dem Wüstensand tauchten, fand Wernicke das Lager im Zustand der vollen Verteidigungsbereitschaft Zwischen den Zelten, hinter flachen Hügelwellen hervor blitzte das Mündungsfeuer. Die Angreifer schienen ihre Streitmacht im Süden konzentriert zu haben. Schlangengleich glitten die Gestalten im weißen Burnus durch den Sand und pirschten sich geschickt an die Oase heran. „Hinein!“ schrie Wernicke. Mit äußerster Kraft brausten die Raupenfahrzeuge heran. Die Männer feuerten, was aus den Läufen herauswollte. Als die Wüstenräuber den neuen Gegner in der Flanke auftauchen sahen, sprangen sie auf und suchten das Weite. Fritz Wernicke strahlte wie ein Honigkuchenpferd, als er mit seinen beiden Wagen in die Lagerstraße einfuhr. „Hallo, Professor, denen hätten wir heimgeleuchtet. Viktoria!“ Aber der Siegesruf erstarb ihm auf den Lippen. Von Norden, vom Flugplatz her, erscholl das Knattern von Schüssen. Dann dumpfe Detonationen. Rauch und Flammen quollen über den Wipfeln der Palmen zum Himmel. „Die Flugzeuge!“ Der Schreckensschrei riß die Männer hoch, ließ sie – alles um sich vergessend – durch die paar hundert Meter Wüstensand nach Norden hetzen – Fritz Wernicke an der Spitze. Sie erkannten sofort, daß hier nichts mehr zu retten war. Die Maschinen, das Treibstoffdepot, alles stand in hellen Flammen. Während ein Teil der Araber im Süden der Oase einen Schein76
angriff durchgeführt hatte, war das Gros unter Scheik Ibn Asir unbemerkt an den Flugplatz herangeschlichen und über die Wachtposten hergefallen. Der Überfall war restlos gelungen. Die Wache hatte ein paar Angreifer niedergeschossen, aber die Flugzeuge standen bereits in Flammen. Der kleine Wernicke lief vor Wut blaurot an. Aber er kam nicht einmal dazu, die überrumpelten Wächter zur Rede zu stellen. Aus der Oase, die in diesem Augenblick nur von wenigen Verteidigern besetzt war, ertönten Schüsse und wildes Kampfgeschrei. „Sie greifen das Lager an. Wir räumen den Flugplatz. Alle Mann zurück in die Oase!“ Die S.A.T.-Männer kamen gerade noch zurecht, um die eingedrungenen Wüstenräuber in wildem Handgemenge aus dem Lager zu vertreiben. Kaum glaubten sie, aufatmen zu können, als die Araber sich auch schon eine neue Taktik ausgedacht hatten. Sie umritten die Oase in rasendem Galopp und feuerten zwischen die Palmen und Zelte, ohne freilich viel Schaden anzurichten. „Verdammtes Karussell“, schimpfte Wernicke. „Los, Leute, gebt es ihnen!“ Vor dem gutgezielten Feuer der Verteidiger wichen die Araber zurück, bis sie sich außer Schußweite wußten. Fritz Wernicke zählte die Häupter seiner Lieben. Etwa ein Dutzend seiner Leute war mit mehr oder weniger schweren Verwundungen ausgefallen. Der kleine Weltraumpilot teilte die Wachen ein. Draußen, in der glühenden Wüste, herrschte jetzt Ruhe. Aber jeder von den Eingeschlossenen fühlte, daß es eine trügerische Stille war. Hundert wachsame Augenpaare lauerten im Wüstensand. Unhörbar würden die Gegner wiederkommen, stets von neuem würden sie ihre Angriffe wiederholen, bis der letzte Widerstand der Verteidiger niedergekämpft wäre … 77
Mit einem grimmigen Fluch ging Fritz Wernicke in das Zelt des Funkers und gab einen dringenden Hilferuf nach Orion-City durch. * Kommodore Parker traf gerade in dem Augenblick mit der Zubringerrakete 43 an der Außenstation ein, als das zweite Geschwader bewaffneter Kurierschiffe sich nach dem Kampfplatz in Marsch setzte. Sich ausschleusen, den Sprung durch hundert Meter Nichts wagen und sich in die schmale Einstiegluke des Raketenschiffes „Whirlwind“ zwängen, war für ihn das Werk weniger Augenblicke. „So, Curtis“, rief er, als er gleich darauf im engen Führerstand des Schiffes erschien, „nun drücken Sie mal ordentlich auf die Tube!“ Kapitän Curtis, ein junger, waghalsiger Weltraumpilot, ließ es sich nicht zweimal sagen. Die Treibstoffpumpen liefen auf höchste Touren auf, die Heckdüse spie Feuer. Wie ein Pfeil schoß das schlanke Raumschiff davon, setzte sich in kühner Kurve an die Spitze des kleinen Verbandes und tobte los – hinter dem bereits vorausgeschickten ersten Geschwader her. Die vier Kurierschiffe der zweiten Welle waren vollgestopft mit ausgesuchten Männern des S.A.T.-Sicherheitsdienstes. Mit modernsten Atomwaffen ausgerüstet, hockten sie dichtgedrängt in den engen Räumen, die eigentlich nicht für die Mitnahme so vieler Passagiere eingerichtet waren. In der winzigen Funkstation der „Whirlwind“ saßen zwei Männer an den Radar- und Radioempfangsgeräten und gaben ihre Wahrnehmungen laufend durch die Bordanlage nach dem Führerstand durch: „Transporter A 28 mit schwerer Havarie ausgefallen. Begleitschiff 72 zu seinem Schutz abkommandiert.“ 78
„Neuer gegnerischer Verband mit zehn Raumschiffen aufgetaucht. Versucht, den Geleitzug aufzusprengen.“ „Transport-Rakete A 31 in Richtung Außenstation durchgebrochen.“ „Gut so“, lobte Jim Parker. „Aber trotzdem ist die Lage noch höchst fatal.“ Er hatte eine astronomische Karte vor sich liegen, die den Raum zwischen den Bahnen der Erde, der Außenstation und des Mondes darstellte, und trug die gemeldeten Bewegungen der kämpfenden Schiffe ein. „Sehen Sie hier, Curtis: Dort hinten, weit abseits, treibt die Mondrak 89. Sie ist ausgefallen und kommt praktisch nicht mehr in Betracht. Rakete 72 ist durch den havarierten Transporter A 28 gebunden. Transportschiff A 31 nähert sich uns mit Kurs Außenstation und ist praktisch in Sicherheit. Bleiben noch die Mondschiffe 69 und 76, mit der schwierigen Aufgabe, die beiden restlichen UranTransporter gegen eine zehnfache Übermacht zu verteidigen.“ „Zum Glück bewegt sich der ganze ‚Kampfplatz’ auf uns zu“, stellte Kapitän Curtis fest. „Das Erste Geschwader meldet Feindberührung“, ertönte wieder die Stimme des Funkers. „Unmöglich“, rief der Kommodore verblüfft zurück. „Die Schiffe können doch noch gar nicht an Ort und Stelle sein. Fragen Sie bei Mortimer an, was da los ist.“ Oberst Mortimer, der persönlich im Flaggschiff der „ersten Welle“ mitgefahren war, ließ nicht lange auf Antwort warten. „Die Schufte haben uns den Weg verlegt“, kam es prompt zurück. „Sie haben Reserven in den Kampf geworfen, von denen wir keine Ahnung hatten.“ „Armer Mortimer“, rief Parker, „wir können dir nicht helfen. Vorwärts, Curtis!“ Sie überholten das Erste Geschwader in rasender Fahrt und ließen die fünf Raumschiffe hinter sich, die sich mit einem überlegenen Gegner herumbalgten. Nun, Mor79
timers Elitetruppen würden sich ihrer Haut schon zu wehren wissen. Weiter ging die rasende Fahrt. Und dann hatte man endlich den Punkt erreicht, in dem der Rest des kosmischen Geleitzuges zusammengedrängt einen ungleichen Kampf führte. Drei Urantransporter und zwei Begleitschiffe, alle mehr oder weniger stark beschädigt, wurden von etwa fünfzehn feindlichen Schiffen umkreist, die rücksichtslos mit ihren Maschinenwaffen feuerten. Nur hier und da zuckte noch aus einem der eingeschlossenen Begleitfahrzeuge der grünliche Strahl eines Atombrenners. „Fünf Sekunden vor zwölf“, murmelte Kapitän Curtis bedeutungsvoll. Jim Parker hob das Mikrophon an die Lippen. Seine Kommandos kamen knapp und bestimmt: „Wir nehmen sie in die Zange. ‚Lightning’ und ‚Thunder’ von steuerbord –‚Sunbeam V’ und ‚Whirlwind’ von backbord. Macht die Super-Atomstrahler klar! Achtung – Schleusen auf!“ Im weiten Bogen schossen die vier Kurierschiffe um den wirbelnden Zirkus der feindlichen Raumer herum. In den weitgeöffneten Kammern der Luftschleusen standen die S.A.T.-Männer – wie Tiefseetaucher anzuschauen – in ihren schweren Weltraumschutzanzügen an den Atomstrahlern … … und diese Strahler spien Feuer – kaltes, grünliches bösartiges Feuer in breiten Bündeln. Messerscharf schnitten die Strahlen in die Rümpfe der feind80
lichen Schiffe hinein. Hier wurde eine Wand aufgetrennt, dort stand ein Heck in Flammen. Abgeschnittene Flügel und Flossen wirbelten durcheinander. Plötzlich stand ein ganzes Raumschiff in weißer Glut. Eine furchtbare Explosion zerriß es in Atome … Als sei diese Katastrophe das Signal zum allgemeinen Rückzug gewesen, brachen die feindlichen Schiffe schlagartig den Kampf ab und stürzten, soweit sie noch manövrierfähig waren, in panikartiger Flucht auf die Erde zu. In letzter Minute hatte Jim Parker die Schiffe des kostbaren Geleitzuges gerettet. Auch Oberst Mortimer hatte mit seinen Raumfahrzeugen den gegnerischen Flankenangriff abgewehrt und erschien gerade noch zur rechten Zeit, um sich an der Suche nach den versprengten Mondschiffen A 76 und 89 zu beteiligen. Nach einer Stunde hatte man den Konvoi von neuem zusammengestellt. An eine direkte Weiterfahrt zur Erde war angesichts der schweren Schäden nicht zu denken. Man mußte „Luna nova“ als „kosmischen Nothafen“ anlaufen. Dem Kommodore selbst sollte es nicht beschieden sein, seine Schützlinge auf der Außenstation abzuliefern. Er mußte das Kommando an Oberst Mortimer abtreten, als ein dringender Funkspruch Cunninghams ihn zum Einsatz in die arabische Wüste beorderte. „Wie steht’s, Curtis – langt unser Sprit noch bis zur Erde?“ „Er langt, Kommodore. Meinetwegen noch zweimal hin und zurück.“ „Na schön – dann lassen Sie mich mal ans Steuer!“ * In der Oase Djinnah hatte sich die Lage der Verteidiger über Nacht in bedrohlicher Weise verschlechtert. Unter dem Schutz der Dunkelheit war den Arabern ein überraschender Einbruch gelungen. Zwar hatte Wernicke mit seinen Männern die Ein81
dringlinge in erbittertem Nahkampf zurückgeschlagen, aber es war ihnen gelungen, die Funkstation und die unersetzliche Trinkwasseranlage zu zerstören. Und als die Morgensonne blutrot über dem Osthorizont aufstieg, sahen die Wachtposten zu ihrem Entsetzen, daß der einzige größere Wassertümpel durch einen aufgedunsenen Pferdekadaver verseucht war. Kein Trinkwasser mehr – und keine Verbindung zur Außenwelt! Wenn Atomboß Cunningham nicht sehr bald Entsatz schickte, war es um die Männer der glorreichen ArabienExpedition geschehen, die vor einigen Tagen so hoffnungsfreudig aufgebrochen waren – voller Zuversicht, das größte Uranlager der Welt in Besitz zu nehmen. Völlig apathisch lagen diese selben Männer jetzt in den Zelten oder im dürftigen Schatten der mageren Palmen, ausgedörrt von der glühenden Hitze und halbtot vor Durst. In ihren eilig ausgehobenen Schützenmulden dösten die Wachtposten. In halbstündlichen Abständen wurden sie abgelöst. Fritz Wernicke, nur noch ein dürres, ausgetrocknetes Schattenwesen, ging unablässig die Runde und rüttelte die Männer hoch, wenn sie ihrer Erschöpfung nachgeben wollten. Wo nun die Araber blieben? Sollten sie sich endgültig zurückgezogen haben? Das war nicht sehr wahrscheinlich. Unendlich langsam kroch die höllisch glühende Sonnenscheibe über das Firmament, kaum merklich schlichen die Stunden. Da – plötzlich waren sie wieder da! Aus der sinkenden Sonne heraus kamen sie. Die weite Wüste wimmelte von Reitergestalten. Sandwolken wirbelten auf. Schüsse peitschten. Schrill klang das Kriegsgeschrei der Wüstenräuber. „Alarm! Sie kommen!“ Wernickes überschnappende Stimme riß die Männer aus ihrer Lethargie. Sie taumelten hoch, griffen nach ihren Waffen, warfen sich hinter die niedrigen Sandhügel und schossen, daß die Läufe glühten. 82
„Diesmal – erwischen sie uns“, murmelte Professor Westermann düster. „Ruhe – weiterschießen!“ „Da, schau, Efendi – ein Geist vom Himmel!“ Aufgeregt sprang Omar auf und wies mit ausgestreckten Armen nach oben. Ein riesiges Ungeheuer stürzte – in brausende Flammen gehüllt – aus dem gelblich glühenden Himmel der Wüste herab. Es fauchte über Reiter und Pferde dahin und setzte mitten in den galoppierenden Haufen mit dumpfem Knall auf. In wilder, hemmungsloser Panik rasten die Wüstenräuber davon. „Der Kommodore!“ schrie Wernicke und warf beide Arme in die Luft. „Wir sind gerettet – gerettet!“ Ja, es war Jim Parker, der gleich darauf – noch immer mit dem dicken Weltraumpanzer angetan – über die Strickleiter aus der Luke des Raumschiffs „Whirlwind“ herunterturnte und sich des Ansturms seiner begeisterten Kameraden kaum zu erwehren vermochte. „O Jim, alte Mondrakete“, rief Fritz Wernicke, „dich schickte der Himmel im rechten Augenblick.“ „Der dicke Boß hat mich geschickt“, stellte der Kommodore richtig. „Aber ich bin nur gekommen, um gleich wieder zu gehen. Cunningham hat mich vor fünf Minuten durch dringenden Funkspruch nach dem Südpol umdirigiert. Schnell, Fritz, laß die Leute die Wasserkanister nachfüllen. Das wird fürs erste reichen. In spätestens drei Stunden sind die Transportmaschinen von Orion-City hier, um die ganze Expedition noch vor Einbruch der Dunkelheit heimwärts zu schaffen.“ „Und du, Jim? Was hast du denn am Südpol zu tun?“ „Ich muß Hancock und Fischer heraushauen, die dort in der Polarnacht einen verzweifelten Kampf gegen eine feindliche Übermacht führen. Sie haben Uran gefunden, ein gewaltiges Lager …“ 83
„Uran in der Antarktis? Dann hat Hancock also doch recht behalten? Kommodore, bitte nehmen Sie mich mit!“ Professor Westermann war ganz außer sich vor Aufregung. „Ich wollte Sie gerade darum bitten, mitzukommen, Professor“, erwiderte Jim Parker. „Bitte, steigen Sie ein.“ „Und ich? – Und ich?“ riefen Fritz Wernicke und Omar ben Kalef. Der Kommodore mußte lachen: „Meinetwegen – kommt mit. Kapitän Curtis übernimmt hier das Kommando. Los, hinein mit euch!“ * In steilem Sprung durch die Ionosphäre überbrückte das schlanke Kurier-Raketenschiff die zehntausend Kilometer zu seinem neuen Ziel. Eine Viertelstunde war erst vergangen, als es an jenem Punkt des Sechsten Erdteils landete, an dem Horst Fischer neben seinem umgestürzten „Shooting Star“ hockte und mit der notdürftig reparierten Funkanlage unablässig seinen Notruf in den Äther jagte. Der Kommodore hielt sich nicht lange auf. Die Außentür der Luftschleuse öffnete sich. Eine Strickleiter flog heraus. Geschickt turnte Horst Fischer daran in die Höhe. Die Schleusentür schwang zu. Der Raketenmotor sprang im gleichen Moment an. Leicht hob sich der „Whirlwind“ vom schneebedeckten Boden ab. Horst Fischer, der sich im engen Führerstand des Kurierschiffes mit einem Gemisch von Verlegenheit und Erleichterung dem Kommodore gegenübersah, deutete nur kurz auf einen Punkt auf der Karte des Südpolargebietes. Fritz Wernicke nickte und griff ins Steuer. Knapp fünf Minuten später kreiste der „Whirlwind“ in zehntausend Meter Höhe über dem Talkessel. Die starke Elektronenoptik der Beobachtungsinstrumente sog den Grund des Tales förmlich heran. 84
Über dem kleinen, felsigen Hügel in der Talmitte flatterte noch immer die von Kugeln zerfetzte Flagge des S.A.T. Zwei Gestalten duckten sich hinter der natürlichen Brustwehr der Hügelkuppe und hielten die Angreifer in Schach, die sich von Süden her, weit ausgeschwärmt, heranpirschten. „Sie können sich nicht mehr lange halten“, sagte Horst Fischer besorgt. „Runter, Fritz!“ kommandierte Jim Parker. „Hier kommt es wieder mal auf Sekunden an.“ Der kleine, unerschrockene Steuermann wagte ein geradezu tollkühnes Landungsmanöver. Aus stratosphärischen Höhen ließ er den „Whirlwind“ – mit dem Heck voran – einfach fallen. Die Bremsdüsen am Bug flammten auf und beschleunigten noch den rasenden Sturz. Erst tausend Meter über der Talsohle stellte Wernicke die Bugdüsen ab und ließ das Hecktriebwerk aufheulen. Den Insassen des Kurierschiffes wurden durch den starken Andruck schier die Brustkörbe zerquetscht. Doch das tolle Bremsmanöver gelang. Kaum zehn Meter über dem Boden kam der Sturz zum Stillstand. Mit gedrosseltem Motor setzte das Raumschiff sanft auf. Die Männer des Sicherheitsdienstes, die sich noch vor wenigen Stunden im Weltraum herumgeschlagen hatten, sprangen aus der Luke und stürzten sich – die Atombrenner schwingend – auf den Feind, der in völliger Verwirrung dem Talausgang zustrebte. Nur ein einziger, offenbar der Anführer, versuchte, heftig gestikulierend, sich der allgemeinen Flucht entgegenzustemmen. Ein Kinnhaken Jim Parkers streckte ihn zu Boden. Der Kommodore riß dem Bewußtlosen Schal und Pelzkappe vom Kopf. Ein erstaunter Ausruf kam über seine Lippen: „Joe Hall! Hier also sehen wir uns wieder. Fast hatte ich damit gerechnet, daß du nicht nur Spezialist für Abenteuer in der Wüste wärest.“ Am Talausgang hatten die S.A.T.-Männer noch einen kurzen 85
Kampf zu bestehen. Eine kleine Gruppe des Gegners leistete erbitterten Widerstand. Doch als die Flugzeuge in ihrem Rücken mit jaulenden Düsen in den Himmel stiegen, um mit Nordkurs fluchtartig das Schlachtfeld zu verlassen, warfen auch diese letzten die Waffen weg und ließen sich gefangennehmen. „Sie sind entkommen“, rief Fritz Wernicke und schaute erbittert den abfliegenden Maschinen nach, die rasch außer Sichtweite kamen. „Laß sie, Fritz“, tröstete Jim Parker den enttäuschten Freund. „Wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Wieder einmal ging es um Haaresbreite. Und nun geh’ zum ‚Whirlwind’ und laß alles ausladen, was irgendwie entbehrlich ist. Mich dünkt, unser Professor fiebert schon danach, mit der Arbeit zu beginnen.“ „Du willst ihn doch nicht allein hierlassen, Jim?“ „Unsere wackeren Sicherheitsmänner bleiben zu seinem Schutz hier. Und es kann sich ja auch nur um Stunden handeln, bis eine neue Expedition aus Orion-City eintrifft. Ihr anderen aber: du, Fischer, Hancock, Miß Boucher – Omar nicht zu vergessen – begebt euch sofort an Bord. In fünfzehn Minuten starten wir zum Heimflug.“ * „Hat der Bursche gestanden?“ Diese Frage interessierte den Kommodore brennend, und er zögerte nicht, Oberst Mortimer damit ins Haus zu fallen, als er einige Tage später mit Fritz Wernicke in das Allerheiligste des Sicherheitschefs eindrang. Der Oberst lud seine Besucher ein, Platz zu nehmen, und ließ ein paar Erfrischungen auffahren. Dann drehte er sich eine seiner gefürchteten Zigaretten und zog ein saures Gesicht. „Kein Wort hat dieser Joe Hall über seine Auftraggeber verraten. Übrigens ist er im Verbrecheralbum der Weltpolizei kein Neuling mehr. Er hat so manches liebe Mal wegen Betrugs und Hochstapelei 86
in den verschiedensten Ländern der Welt hinter schwedischen Gardinen gesessen. Dieses letzte Abenteuer wird ihm abermals einige Jährchen einbringen. Allerdings dürfte es ihm auch genug Moneten eingebracht haben, daß er sich – einmal wieder in Freiheit – einen sorgenfreien Lebensabend leisten kann.“ „Und die übrigen Männer, die wir gefangennahmen?“ „Unwichtige Randfiguren“, winkte Mortimer ab. „Gangster kleineren Formats, die nicht ahnten, für wen sie arbeiteten.“ „Aber ich ahne etwas“, bemerkte Fritz Wernicke und ließ genießerisch den Gin in sein Glas laufen. „Ich weiß, was Sie meinen“, pflichtete ihm Mortimer bei. „Daß eine gewisse Großmacht dahintersteckt, liegt auf der Hand. Nur verfügen wir leider nicht über das geringste Beweismaterial. Der Plan, der den letzten Ereignissen zugrunde lag, zielte eigentlich auf zwei verschiedene Absichten hin: Einmal sollten die wertvollen Urantransporte von den Mondwerken abgefangen und in ganz bestimmte Kanäle geleitet werden, nachdem Uran in aller Welt zur Mangelware erster Ordnung geworden war …“ „… was in einigen Fällen leider auch gelungen ist“, warf Jim Parker bedauernd ein. „Allerdings. Zum anderen sollte unsere Aufmerksamkeit von der Antarktis abgelenkt werden, wo man – mit Recht – neue, riesige Uranvorkommen vermutete.“ „Gewiß – und deshalb dieser Schabernack in der Oase Djinnah, dem Freund Wernicke schließlich auf die Spur kam.“ „Dank der Aufmerksamkeit Omars, dieses kleinen, braunen Amateurdetektivs“, lachte Fritz Wernicke. Dem Sicherheitschef waren die Vorgänge in der Arabischen Wüste noch nicht ganz klar. „Wie war es nur möglich, daß dieser Joe Hall selbst einen Fachmann, wie Professor Westermann, erfolgreich hinters Licht führen konnte?“ „Ganz einfach“, sagte der Kommodore. „Etwas echtes Uran 87
war tatsächlich vorhanden. Nur steckte es in jenen handlichen Bleikassetten, mit denen Hall seine Wüstenmänner ausgerüstet hatte. Sie brauchten es nur hervorzuholen, wenn die Zählrohre ausschlagen sollten.“ „Nicht übel. Und fast wäre uns das antarktische Erzlager dabei durch die Lappen gegangen …“ „… wenn Mister Hancock und Miß Boucher – den wackeren Fischer nicht zu vergessen – es nicht unter Einsatz ihres Lebens verteidigt hätten“, vollendete Jim Parker ernst. „Ihnen gebührt der Dank des ganzen S.A.T.“ Oberst Mortimer blätterte in den Akten, die sich auf seinem Schreibtisch türmten. „Nach den neuesten Meldungen ist das Uranfieber in der ganzen Welt im Abklingen. Die neuesten Funde sind mächtig genug, um den Bedarf der Menschheit an diesem lebenswichtigen Metall auf Jahre hinaus zu decken. Ihr Ertrag wird allen Nationen unseres Planeten zur Verfügung stehen, die mit uns die gleichen Ziele verfolgen: Die nutzbringende Verwendung der Atomenergie für den Fortschritt der Technik, für das Wohl der gesamten Menschheit.“ ENDE
Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden, 1954 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Scan by Brrazo 08/2010
88
UTOPIA-BRIEFKASTEN Liebe UTOPIA-Freunde! Bei allen Planeten! Da haben einige Jungen in Hude in Oldenburg einen Klub gegründet, den sie unternehmungslustig „Societas Interplanetarum (S.I.P.)“ getauft haben. Die Abenteuer unseres Kommodores haben ihnen die Anregung dazu gegeben. Wahrscheinlich wissen die Huder Bürger gar nichts von diesem astronautischen Ereignis in ihrer nächsten Nachbarschaft, aber das wird unseren norddeutschen Freunden egal sein. Sie haben ihre eigene „Außenstation“, besuchen benachbarte Planeten und studieren ernsthafte Fachlektüre. Gibt es etwa noch mehr solcher Klubs? Dann laßt es uns bitte wissen! Und noch ein Wort voraus: Wir wurden in der letzten Zeit gebeten, den Umfang unseres Briefkastens zu erweitern. Wenn wir an die vielen Anfragen denken, die immer einige Monate auf ihre Erledigung warten müssen, würden wir gern zustimmen. Tatsächlich sind wir solchen Wünschen ja bereits entgegengekommen, und vielleicht können wir noch einen Schritt zulegen! An uns soll es nicht liegen! Jürgen v. Sch. aus Rehau/Oberfranken danken wir für die Anerkennung. Seine Bitte um Vermittlung einer Probenummer der Zeitschrift „WELTRAUMFAHRT“ haben wir inzwischen erfüllt. Er stellt dann folgende Fragen: 89
a) Bringen Sie noch einmal etwas über die Monde der Planeten, sofern sie einen haben? Unsere Antwort: Selbstverständlich! Aber erst dann, wenn Jim Parker zu Mars und Jupiter vordringt! b) In Heft 23 steht etwas über die tiefsten erträglichen Temperaturen. Wie verhält es sich mit dem Kälteschlaf, mit dem schon erfolgversprechende Versuche angestellt wurden, und bei dem die Zellen zwar ruhen, aber nicht absterben? Unsere Antwort: Auch bei Kälteschlaf darf die Temperatur des Körpers nicht unter +23 Grad Celsius sinken. c) Ich würde gern einmal ein Bild der Sammelmappe und eine kurze Gebrauchsanweisung sehen. Unsere Antwort: Bitte noch einmal beim PABEL-Verlag direkt (nicht UTOPIA-Schriftleitung) anfragen. Das Technische soll in unseren Jim-Parker-Erzählungen selbstverständlich nicht zu kurz kommen, aber wir können es nur einmal bringen und dürfen uns nicht immer wiederholen. Auch Karl-Heinz F. in Heiligenhaus danken wir für seine Anerkennung. Bedeutendster Raketenforscher in den USA.: Prof. Dr. Wernher von Braun, früherer Technischer Direktor der Raketenversuchsanstalt Peenemünde, jetzt: 907 MacClung Street, Huntsville, Alabama, USA. Andere Raketenforscher treten kaum an die Öffentlichkeit, da die Raketenforschung der USA. unter „Streng geheim“ läuft – wie gegenwärtig überall in der Welt! Hartmut K. in Ülzen, R. W. in Hilchenbach/Sieg, Uwe S. in Braunschweig und Peter P. in Gießen danken wir für ihre Vorschläge zur Schaffung eines Jim-Parker-Abzeichens und freundliche Worte der Anerkennung. Es ist nett, daß sie sich solche Mühe machten; wir müssen sie jedoch um Geduld bitten. Soviel für heute. Zu jeder Auskunft gern bereits ist stets Ihre UTOPIA-Schriftleitung! (im PABEL-Verlag, Rastatt Baden).
90
Lesen Sie im nächsten (29.) UTOPIA -Band: Durch die Gluthölle des sonnennahen Planeten Merkur irren zwei schiffbrüchige Raumfahrer. Während das Staatliche Atom-Territorium noch zu einer Rettungsexpedition rüstet, trifft die Meldung von gewaltigen Ausbrüchen radioaktiven Staubes auf Merkur in der Atomstadt ein. Auf höheren Befehl wird nun die Durchführung weiterer Hilfsaktionen abgebrochen. Doch Kommodore Parker kann die Hilflosen auf dem fernen Höllenplaneten nicht im Stich lassen. Wird es Jim Parker gelingen, ihnen – allen Gefahren und Widerständen zum Trotz – die Rettung zu bringen? Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 27 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Zahlen Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pf) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 28) Ein Planet, der am Schreibtisch entdeckt wurde Wie wir in der letzten Folge gesehen haben, wurden die Grenzen des Sonnensystems, die man bislang im Abstand der Saturnbahn vermutet hatte, durch die Entdeckung des Planeten Uranus auf die doppelte Entfernung in den Weltraum vorgeschoben. Das war im Jahre 1781 gewesen. Doch nicht lange sollte sich Uranus des Ruhmes erfreuen, der letzte und äußerste Planet unserer Sonne zu sein. Schon bald zeigten sich Bahnstörungen, die auf das Vorhandensein eines noch weiter entfernten, unbekannten großen Planeten schließen ließen. Der Franzose Leverrier und der Engländer Adams berechneten – unabhängig voneinander – die Bahn dieses unentdeckten Himmelskörpers. Im September 1846 teilte Leverrier dem Observator der Berliner Sternwarte, Galle, den errechneten Ort des Planeten mit, und tatsächlich fand dieser ihn noch im gleichen Monat mit dem Fernrohr, nahe der bezeichneten Stelle. Der neue Planet, der den Namen Neptun erhielt, ist rund 4,5 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt. Länger als vier Stunden braucht das Sonnenlicht, um bis zu ihm zu gelangen. Wahrscheinlich dreht sich Neptun in knapp 16 Stunden um seine Achse. Zu einem vollen Umlauf um die Sonne benötigt er 165 Jahre. Mit seinen 44 600 km Durchmesser zählt er zu den vier größten Planeten des Systems, denen er auch sonst ähnlich zu sein scheint; denn ebenso wie auf Jupiter, Saturn und Uranus wurde auch auf Neptun eine Atmosphäre aus Methan und Ammoniak gefunden. Vermutlich befindet sich die Oberfläche Neptuns noch weitgehend in glühendem Zustand. Zwei Monde, Triton und Nereide, umkreisen diesen fernen Planeten. Über ihre Größen und ihre Oberflächen wissen wir noch nichts Genaues zu sagen. (Fortsetzung folgt)