K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
FRED
H...
30 downloads
578 Views
588KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
FRED
H E F T E
SCHMIDT
AUS D E R ZEIT D E R PIRATEN
UND
KAPERfAHRER
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
XLben um die Zeit, als Raubritter die Landstraßen unsicher zu machen begannen, gegen Ende des 14. Jahrhunderts, scherten von Gotland aus die Raubschiffe der Vitalienbrüder, der Liekedeelers, über die Schifffahrtswege der Nord- und Ostsee, überfielen friedliche Kauffahrteischiffe, enterten sie und plünderten sie aus. Unter so berühmten und berüchtigten Piratenführern wie Claus Störtebecker und Götke Michael lieferten sie, wenn es brenzlig wurde, ganzen Geleitzügen und Kriegsflotten vernichtende Schlachten. Zur gleichen Zeit wurde die Schiffahrt im Mittelmeer von nordafrikanischen Raubgeschwadern bedroht, die aus ihren unangreifbaren Korsarennestern hervorbrachen, zupackten und sich wieder in ihre Verstecke zurückzogen. Im Indischen Ozean waren es arabische, persische, indische, malaiische und chinesische Freibeuter, die die Handelswege umlagerten. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden auch die Atlantikstraßen heimgesucht: Von den westindischen Inseln St. Christopher, Haiti, Tortuga aus überfielen die räuberischen Bukanier und Flibustier die von Europa kommenden oder nach Europa segelnden Handelsfahrer und die Silberflotten der Spanier und wurden zum Schrecken der südamerikanischen Küsten. In Kriegszeiten — und wann hätte es keinen Krieg gegeben damals! — wurde die Plage vermehrt durch die Kaperfahrer, beutegierige und abenteuerlustige Kapitäne mit eigenem Schiff, die sich wie Landsknechte einer fremden Macht verdingten und auf eigene Faust Krieg führten, gegnerische Schiffe aufbrachten und in die Häfen ihrer Auftraggeber zwangen. Mit dem Kaperbrief der fremden Regierung ausgestattet, galten sie völkerrechtlich" zwar nicht als Piraten, aber auch die Kaperleute waren oft nichts anderes als Wegelagerer zur See, denen die Kaperberechtigung nur willkommener Freibrief zu unbekümmertem Räubern und Plündern wurde. Laßt uns einmal in den Schiffschroniken von damals hlättern: Ein buntscheckiges Mosaik von Abenteuern und Schicksalen breitet sich Tor uns aus . . .
Die Salzheringe Käptn Schümanns Ja, es gab bei der Seefahrt schon etwas zu erleben zu jener Zeit. Und selbst, als die übelsten Gewaltnaturen von den nordeuropäischen Meeren verschwunden waren und die Vitalienbrüder und Hiekedeelers nur noch in Sagen und dickleibigen Schauerromanen lebten, hatten die friedlichen Küstenbewohner und Kauffahrer in anderen Teilen des Erdenrunds noch keine Ruhe. Auf den Seewegen zum Mittelmeer lauerten wie eh und je die schnellen Galeeren und Felukken algerischer und marokkansicher Seeräuber. Unter den vielen Christenschiffen, die diesen Seehabichten in die Fänge gerieten, befand sich eines Tages auch die friedliche kleine Brigg „Industrie" des Kapitäns Schümann aus Lübeck. Das Handelsschiff kam von Riga und war mit einer Ladung Getreide, Eichenbrettern und Hanf nach Lissabon unterwegs. Schon konnten die scharfen Augen des Matrosen im Auslug den kühnen Buckel des Kap Roca an der Einfahrt zur portugiesischen Hauptstadt ausmachen, schon glaubten sie, sie hätten die Reise ohne Malheur geschafft, da blickte der Steuermann achteraus und gewahrte zwei schmale Segel, die sich vor dem frischen Wind verdächtig rasch näherschoben. Dübel ja — solche Segel fuhr kein anständiger Christenmensch, wenn das nur nicht .. . Aufmerksam beobachtete der Kapitän der „Industrie" einige Minuten das fremde Schiff, dann wußte er Bescheid: „Gottverdori! Nu hebbt se uns doch noch kreegt." Schiffer Schümann ließ sein Schiff gefechtsklar machen. Aber was hatte das Häuflein seiner Leute mit den wenigen Ballerbüchsen für Chancen gegen die kampferprobte Bande der braunhäutigen Piraten? Tapfer brannten sie den Seeräubern zwei Breitseiten entgegen. Doch die lachten nur. Wie der Wind brausten sie unter den ragenden Raubvogelfittichen der riesigen Segel längsseits. Ein brüllender Haufe dunkler Galgenvögel ergoß sich über das Deck der „Industrie", und im Nu war die kleine Besatzung umzingelt. Weiterer Widerstand wäre barer Selbstmord gewesen, darum strich Kapitän Schümann schweren Herzens die Flagge —i er und seine Mannschaft waren damit nach dem Brauch jener Gewässer der Sklaverei verfallen. . Eine Hoffnung blieb noch: -der Loskauf. In den bedeutendsten Ha3
fenstädten unterhielten in jener Zeit die Gilden der Kapitäne eigens zu diesem Zweck gemeinsame Kassen, die „Sklavenkassen". Jedes Schiff bezahlte nach Beendigung einer glücklidien Reise einen Beitrag je nach der Größe und dem Wert seiner Ladung. In Hamburg trug dieses Gemeinschaftswerk den Namen „Die Kasse der Stücke von Achten". Sie besteht noch heutigentags; manchem erscheint ihr merkwürdiger Name ein Rätsel. Er rührt von den schönen runden „Achteristücken" her, jenen blanken spanischen Goldmünzen, in denen die Höhe der Beiträge zur Sklavenkasse berechnet und auch meistenteils bezahlt wurde. Ein Hort, der im Laufe der Jahre Hunderte von Seeleuten aus der Leibeigenschaft in braunen oder schwarzen Ländern befreit hat. Viele christliche Seeleute aber wanderten, wenn das Lösegeld nicht reditzeitig eintraf, auf die Märkte in Algier, Fez oder Marrakesch, um von hier tief ins afrikanische Land, nach Arabien oder noch weiter verschleppt zu werden. Fast nie ist dann eine Nachricht über das Schicksal dieser Unglücklichen in die Heimat gedrungen. — Keine rosigen Aussichten für die Besatzung der „Industrie" . . . Der Korsar nahm Schümann und seinen Leuten ihre wenigen Waffen ab; dann beorderte er eine Prisenbesatzung an Bord der „Industrie", wendete mit seinem Schiff und steuerte seinem algerischen Heimathafen zu. In seinem Kielwasser segelte Schümanns Brigg. Sehnsüchtig sah ihre Besatzung über die Backbordseite hinaus, wo langsam der schmale Streifen der portugiesischen Küste, der Schatten Europas, versank. Ob man ihn je im Leben wieder würde auftauchen sehen? Doch ein fixer Seemann gibt sich so leicht nicht auf. Wenn einmal" gar zu dicke Luft ist, wie jetzt, dann dreht er eben bei und wartet ab, bis der Herrgott ihm eine neue Chance in den Weg schickt. Käptn Schümanns wache Augen sahen die Chance kommen, als die Zeit zum Abendbrot heranrückte; denn er sagte sich, Piraten mögen wohl schlechte Menschen sein, abscheulich schlechte sogar — aber Menschen bleiben sie immerhin. Und als solche sind sie einem menschlichen Hunger Untertan und — laß sehen — vielleicht auch einem entsprechenden Durst. Auf alle Fälle kann man ja mal nachhelfen mit dem Durst. Und damit schritt er zur Kombüse. 4
Der Anführer der Vitalienbrüder, störtebeker, wird als Gefangener an Land gebracht Dort hatte sein Koch zur allgemeinen Wiederherstellung der am Tage verbrauchten Kräfte eine Schüssel Heringssalat vorbereitet, eine gewaltige Schüssel. Er war gerade beim Mischen, als Schümann zu ihm hereintrat, sich schnell zum Deck umdrehte, und — als er die Nähe der Kombüse von den braunen Burschen der Prisenmannschaft rein gefunden hatte — schnell und leise auf seinen Küchenchef einredete. Aufmerksam lauschte der Mann, sah seinen Kapitän nachdenklich an und nickte verständnisinnig. Er verschwand in Richtung Proviantraum, um mit einer stattlichen Portion Salz wieder aufzutauchen. Der Kapitän saß unterdessen mit dem Hauptmann der Prisenmannschaft in seiner Kajüte und lauschte andächtig, wie der Braune ihm in einem Gemisch von Spanisch, Italienisch und Französisch von gelungenen Überfällen berichtete. Und während der genußvoll erzählte, führte Käptn Schümann zwischendurch seinen Zinnbecher mit gutem lübischen Starkbier an die Lippen. Und wenn er ihn hob, geriet des Piraten Erzählung vor lauter durstiger Gier ins Stocken. Da es aber ein 5
heißer Tag gewesen, hob der Kapitän Schümann das Zinn nicht selten, und des Piraten Augen wurden allmählich beredt: Allah ist wohl groß — sagten sie — und sein Prophet unbestritten der Weiseste unter allen. Aber daß er seinen Anhängern auch nicht die kleinste alkoholische Labe gestattet hat, nicht einmal nach einem warmen Tage wie diesem heutigen, an dem man ein ganzes Schiff voller Ungläubiger zu seinem Ruhm genommen hat, das war unverständlich. Draußen sank langsam der Abend, und die See gurgelte in schäumenden kleinen Wirbeln um das Heck der Brigg, die hinter dem Schiff des Piraten her unentwegt südwärts rollte, der Sklaverei entgegen. Und dann brachte der Koch das Abendbrot für die Kajüte. Es nahmen Platz der Korsarenhauptmann und die drei Offiziere des Prisenkommandos, alle vier bis an die Zähne bewaffnet, ihnen gegenüber Kapitän Jochen Schümann und sein Steuermann, gewappnet mit nichts als ihren Seemannsfäusten und einer guten Portion niederdeutschen Mutterwitzes. Zwischen ihnen auf der starken Tischplatte stand die staatliche Schüssel, darin glänzte in appetitlicher Frische der Heringssalat. Die Christen besannen sich nicht lange, sondern lächelten die Ungläubigen einladend an, ergriffen die Löffel und hieben so herzhaft drein, daß ihnen die Kehlen brannten. Die Mohammedaner blickten mißtrauisch auf das fremdartige Gericht, das in so verlockenden Farben prangte. Doch dann haben sie sich nicht lange aufs Zuschauen beschränkt, der Salat sah zu lecker aus. Jeder neue Löffel voll schmeckte besser als der vorangegangene. Bald bewiesen die Korsaren, daß sie auch beim Tafeln eine gute Klinge zu schlagen verstanden; zwar war die fremde Fischspeise gesalzen wie Höllenfeuer, aber den rauhen Piratenzungen war's eben recht. Nur daß sie den Brand nicht mit dem Bier aus den Zinnbechern löschen durften, wie es die Fremden taten, das ging ihnen nicht ein. Beim Barte des Propheten! Das konnte doch unmöglich die Absicht des Koran gewesen sein, daß diese Barbaren in Genüssen schwelgten, die einem Anhänger des Propheten unzulänglich blieben, und daß man als gläubiger Muselmann wehrlos mit ansehen mußte, wie es diesen Ungläubigen schmeckte. Wo man einen Durst 6
aufsteigen spürte, einen Durst — oh Allah! So etwas schickte sich vielleicht für einen schmutzigen Kameltreiber im Lande Wak-Wak, aber nicht für einen schneidigen Korsaren und tapferen Prisenoffizier am Ende eines siegreichen Tages. Auf einmal standen vier frisch gefüllte Becher vor den lechzenden Piraten. Acht schwarze Augen funkelten durstig auf die Labsal hinab. Der Kapitän wies mit beredter Geste auf die Becher, einladend unwiderstehlich entstieg dem Getränk eine wohltuende Kühle. Fragend blickten sich die Vier an: Durften sie es wagen? Würde ihnen der Prophet wirklich einen Becher voll verargen, einen einzigen nur, heute, wo sie so tapfer zu seiner Ehre gestritten hatten? Also — Inschallah! Und schon streckte sich die erste braune Hand zögernd dem Zinn entgegen. Behender folgten die anderen. Harmlos lächelte der blonde Kapitän und nickte ermunternd dazu. Alles auf Allahs Erde geschieht, wie es im Buche des Schicksals geschrieben steht. .. Auf den höllisch würzigen Heringssalat schmeckte das Bier wie Nektar. Aber besser noch — weit besser —- schmeckte der duftende Muskateller, den Jochen Schümann gastfreundlich kredenzte. Doch was er danach vor die geweitet sich blähenden Piratennüstern auf den Tisch stellte, dieses wasserklare Labsal, das lohte auf den Lippen. Diese schlauen Ungläubigen — sie verstanden sich darauf, was einer Kriegergurgel gut tat. Und sie ließen nach dem Bier und dem Wein den puren Schnaps, beste Botterdamer Marke, in sich hineinrinnen und merkten gar nicht mehr, wie die beiden gegenüber sich nur noch Wasser in die Becher füllten ,. . Und dann war es so weit, daß Jochen Schümann seinem Steuermann kurz zuzwinkerte. Froh schwenkten sie ihre Becher zum fröhlichen Umtrunk. Zusehends senkte sich Bleischwere auf die vom Gefecht und Feuerwasser ermatteten Algerier. Die Lübecker tun einen blitzgleichen Griff; mit einem Schwung reißen sie zweien der Korsaren die schweren Pistolen aus den Gürteln, und schon sacken die vier Piraten unter den Tisch. Draußen rauscht schläfrig die See und übertönt mit ihrem Nachtlied jedes Geräusch, das aus der Kajüte dringen will. Unauffällig ging der Steuermann an Deck,-holte den Bootsmann
7
und den Zimmermann in die Kajüte. Währenddes begann der Kapitän seine eingeschlummerten Gäste mit haltbaren Seemannsknoten zusammenzuschnüren. Die kleinen Waffenarsenale, die sich in den Gürteln der vier Piraten befanden, hätten genügt, um zwölf Männer zu bewaffnen. Leise traten sie hinaus in den Schatten des Großmastes. Schnell drückten sie noch zweien ihrer Matrosen die krummen Säbel in die Fäuste, und dann fielen sie entschlossen über die führerlose Prisenwache her. Es dauerte nicht lange, da konnten sie die vier Schläfer aus der Kajüte nach oben bringen und neben eine Reihe anderer gut verschnürter Gestalten legen. Die Nachtluft würde ihnen gut tun. Beim Knarren der Blöcke schwangen die Rahen herum, und bald zeigte der Klüverbaum der Brigg nicht mehr dorthin, wo das Licht des vorausfahrenden Raubscbiffes in iinruhigen Reflexen auf der dunklen See tanzte. Es wurde matter und matter, und bei dejn sanft singenden Nordwind steuerte Kapitän Schümann mit seinen Gefangenen den neuen Kurs ein — fort aus der Sklaverei in die Freiheit.
„Der Große da — das ist Roberts!" Nicht alle Seeleute konnten heimkehrend berichten, daß sie einen Strauß mit Piraten gehabt hätten und wie er abgelaufen sei — nicht alle. Ganz bestimmt nicht die Mehrzahl derjenigen, die ihr Unstern einem L'Olouois, der Venezuela brandschatzte, oder einem Morgan, der Panama heimsuchte, oder einem Roberts in den Weg führte. Die griffen zu und hielten eisern, was sie gepackt hatten. Die Chroniken melden, der furchtbare Seepirat Roberts habe mehr als vierhundert Schiffe mit Kampf genommen. Deren Besatzungen? Darüber wissen die alten Bücher nichts Genaues . . . Im Jahre 1682 soll er geboren sein, als Sohn einer guten Familie in Wales. Er schien zum Richter bestimmt, zum Prediger oder für die menschenfreundliche Arbeit des Arztes. Was ihn dazu brachte, Seemann zu werden, wer kann es sagen? Möglich, daß ein Übermaß an Energien ihn trieb oder daß die unüberwindliche Sehnsucht nach Abenteuern ihn die Schiffsplanken betreten ließ. Der schwere Aufstieg des Schiffsjungen zum Matrosen des achtzehnten Jahrhunderts — für uns Menschen von heute fast unvor8
Seeräuberkarte Westindiens, Schauplatz der Raubfahrten der Flibustier. (Aus „Geschichte der Flibustier-Abenteuer", Paris 1699.) stellbar reich an Strapazen und Entbehrungen — sie macht den Jüngling zu einem Manne von herkulischer Kraft. Jung, kaum zwanzig Jahre, fährt er schon auf der Mittelpassage als Steuermann eines Sklavenfahrers, eines jener Schiffe, welche die dunklen Arbeitsleute für die Plantagen der Neuen Welt von der Guineaküste nach Westindien transportieren. Das ist ein Wirkungsfeld für ihn! Seine ganze Tatkraft und Umsicht können sich hier ausleben. Stets soll er schonungsvoll mit den Wesen seiner schwarzen „Ladung" umgegangen sein und jeder, der sich an den wehrlosen Sklaven verging, bekam unerbittlich die Faust des starken Steuermanns zu spüren. Da wird das Schiff auf der Überfahrt von dem wilden Flibustier Davis angegriffen, dessen Leute ihr Handwerk verstehen. Bald ist der größte Teil der Besatzung des Sklavenfahrers niedergemacht. Davis sieht den Steuermann, der sich wie ein Tiger wehrt. Was für 9
ein Kerl! Rasch ruft er seine stärksten und mutigsten Männer zusammen — ein Pfiff, im Handumdrehen ist der Junge überwältigt. Doch zweien der Piraten hat er noch tiefe Wunden gehauen. Davis läßt ihn gebunden vor sich führen. Wie ein wiedererstandener Schiffshauptmann der Wikinger, breitschultrig, mit einem dichten Schopf rötlich-blonden Haares auf dem Schädel, die meerblauen Augen sprühend vor Grimm, so steht er mehr als sechs Fuß hoch in seinen Schuhen. Welch ein Bild von Kraft und Mannhaftigkeit noch in Fesseln! Dem hartgesottenen Piraten wird warm ums Herz: „Wie heißt du, mein Junge? Roberts — hm .. . Sieh mal dahin, du! Willst du über die Planke spazieren wie die da? Hm? Du bist noch jung, du hast ja noch gar nicht richtig gelebt . . . Bleib bei uns, da wirst du wissen, wie schön das Leben ist. Kerl, du bist viel zu schade für die Haie .. . Bleib bei uns, Roberts, hier kannst du was werden — schlag ein!" Ein kurzes Besinnen, dann schlug der Junge ein, er wurde Pirat. Schon kurze Zeit darauf gerieten sie in ein Gefecht mit portugiesischen Kriegsschiffen. Davis fiel im Kampf gegen die Übermacht. Und sie wären alle verloren gewesen samt ihrem Schiff, wenn Roberts es nicht durch ein kluges Manöver aus der Klemme gezogen hätte. Die ganze Mannschaft des Piraten wählte ihn einstimmig zu ihrem Führer. Noch nie hatten sie jemanden kämpfen gesehen wie ihn. Ein Mann, zum Befehlen geboren, denn in ihm wohnten ein scharfer Verstand und absolute Furchtlosigkeit neben jenem höchsten Grad kaltblütiger Geistesgegenwart. Zwei Jahrzehnte lang hat er seinen Haufen geführt, der unbesiegbare Roberts. Nichts gab es, was ihn schrecken konnte, was er nicht gewagt hätte. Und stets war er an der Spitze, immer war es sein Löwenmut, der den Sieg an seine schwarze Flagge riß. Gleich »ein erstes Unternehmen bewies die unvergleichliche Kühnheit dieses Mannes: Er griff mit seinem Schiff einen großen portugiesischen Geleitzug von zweiundvierzig Kauffahrern an, der unter starker Bedeckung nach Lissabon segelte. Welche Übermacht! Roberts wagte den Handstreich. In blitzsdinellem Zugreifen kaperte er aus dem Konvoi einen Transporter — ausgerechnet denjenigen, der die reichste Ladung an Edelmetallen und gemünztem G°W 10
unter seinen Luken trug. Eine schier unermeßliche Beute für jeden einzelnen Kopf der verhältnismäßig kleinen Piratenmannschaft. Sie verjubelten ihren Schatz in einem Hafen der französischen Kolonie Guyana. Bald strotzten die Geldbeutel der Schankwirte und Krämer der Stadt von den Golddublonen der Piraten. Roberts selbst war der populärste Mann der ganzen Kolonie, die reichen und vornehmen Salons der guten Gesellschaft rissen sich um den über Nacht berühmt gewordenen Gast. Mit einfacher Eleganz gekleidet, nur wenige, aber überaus kostbare Schmuckstücke an sieh, bewegte er sich mit der Sicherheit des geborenen großen Herrn. Und es trauerte ihm die Geschäftswelt aller Branchen nach, als er wieder in See ging, ihm und seinen Leuten, der besten Kundschaft, die Guyana je besuchte. Bald danach überfiel Roberts einen Hafen der amerikanischen Küste. Nicht weniger als zweiundzwanzig Schiffe verschiedener Nationen lagen hier vor Anker, als der gefürchtete Räuber unter vollem Zeug einlief. An den Toppen knatterten riesenlange schwarze Flaggen aus schwerer Seide. Ein kalkweißes Skelett mit grinsendem Schädel war darauf gemalt; ein Stundenglas mahnend in der Hand erhoben, die Brust durchbohrt von einem Speer und unter den dürren Knochenfüßen ein blutendes Herz. Ein Bild, das uns heute kaum noch Ängste einjagt. Aber vergeßt bitte nicht eins: Man schrieb das J a h r 1710. Eine Zeit, in welcher der Rechtsgelehrte Carl Friedrich Romanus eine Doktorarbeit veröffentlichte über die Frage, ob ein Mietsvertrag wegen Gespenstern hinfällig und ungültig sei. Ansichten wandeln sich! Man darf schon glauben, daß Roberts die Flaggen seiner Schiffe richtig gewählt hat. Der Erfolg beweist es; auf allen zweiundzwanzig Schiffen, die im Hafen lagen, rissen sie aus wie Schafleder. Der Ruf „Roberts kommt!" genügte. In panischem Entsetzen stürzte alles von Bord in die Boote und floh landein. Und mitten unter der ankernden Flotte lag ein vollbemanntes wohlbewaffnetes Kriegsschiff! Der Pirat wählte es zu seinem Flaggschiff; denn er hatte ein Auge für tüchtige Fahrzeuge und erkannte Qualität, wo sie sich bot. Sein Meisterstück jedoch lieferte er später an der Küste der Kolonie Sierra Leone in Westafrika. Hier lag im Hafen von Free11
town eine schnittige Fregatte der Königlich Afrikanischen Handelsgesellschaft, brandneu, funkelnd im Glänze geteerter Pardunen und gewienerter Messingbeschläge. Auf den ersten Blick hatte das Schiff es dem wilden Roberts angetan. Dies wollte er haben — dies oder keins! Er hat es bekommen — sogar ganz ohne Kampf — . . . Mit einem unverdächtigen kleinen Handelssegler legte er sich neben das schöne große Schiff. Eine beispiellose Frechheit angesichts der starken Garnision und des Umstandes, daß seit Jahren die Galgen aller königlichen Gerichte auf seinen Hals warteten. Er aber sieht kaltblütig zu, wie der Kapitän und die Offiziere der Fregatte sich an Land zu einer Gesellschaft beim Gouverneur begeben. Nun ist seine Zeit gekommen. Als bescheidener Kauffahrerkapitän macht er in aller Artigkeit einen Anstandsbesuch auf der stolzen Fregatte. Ein junger Leutnant hat die Wache, ein netter Kerl, der sich über die Unterbrechung des eintönigen Nachmittags freut. Ob der Leutnant erlaube, daß er seine beiden Steuerleute mit an Bord bringe — und auch die Leute der Bootsbesatzung möchten sich gar zu gern solch ein feines und vornehmes Schiff einmal genauer beschauen — dürfen sie? Aber bitte schön, laßt sie immerhin raufkommen, Eure Burschen! Sie kamen, die Burschen — . . . Und dann schrie auf einmal einer von der Fregattenbesatzung: „Der da — der Große — das ist Roberts!" Aber da war es schon zu spät. Übrigens dachte keiner der Soldaten und Matrosen an Widerstand. Im Gegenteil: Die militärische und seemännische Besatzung — soweit sie an Bord war — bat Roberts, sie möchten in seine Dienste treten. Seemannsgarn? Heutzutage vielleicht, aber in jener Zeit durchaus nichts Ungewöhnliches. Man gebe sich nur die Mühe, in einem Geschichtswerk nachzulesen, wie rasch und willig große Heerführer samt ihren Stäben und Truppen die Fronten wechselten. Was konnte man da von schlecht ernährten, noch schlechter behandelten und miserabel entlohnten Leuten einer Schiffsbesatzung erwarten, wenn sich vor ihnen das goldene Tor des Freibeuterlebens auftat? Obendrein unter einem sieggewohnten Führer, wie Roberts es war . . . 12
Sir Johan Morgan, der Schrecken der Meere. (Aus „Die amerikanischen Seeräuber", Amsterdam 1678.) So nahm er die neue Fregatte mühelos in Besitz und verließ in einem schneidigen Segelmanöver unter den Augen des verblüfften Kommandanten am Strande den Hafen. Er gab seiner schönen Beute den Namen „Royal Fortune". Das bedeutet „königliches Glück", es kann aber auch als „königliches Vermögen" gedeutet werden, und ein fürstliches Vermögen soll das in ungezählten Überfällen siegreiche Schiff dem Roberts gebracht haben. Doch auch ihn ereilte sein Geschick. Im Gefecht mit H. M. S. 13
„Swallow" traf ihn eine verirrte Musketenkugel, ein Querschläger, und zerriß ihm die Kehle. Am Steuer seines Schiffes, aufrecht und unbesiegt, starb er den freien Tod des freien Piraten. Keiner kann sich rühmen, jemals Hand an den Riesen gelegt zu haben — auch im Tode nicht. Sein treuer Steuermann Glasby hob den Gefallenen auf seine Arme, trug ihn zur Reling und senkte ihn in die blaue Flut, auf der er für zwei Jahrzehnte ein absoluter Herrscher eigenen Rechtes gewesen war. Dieser Roberts hatte das Zeug zu einem großen Anführer in sich. Was ihn auf Abwege getrieben, wer könnte es sagen? Auf seinen Schiffen hielt er eine eiserne Manneszucht aufrecht, duldete weder Trunk noch Kartenspiel auf See. Nie ließ er zu, daß nach der Eroberung eines Schiffes jemand gemordet wurde; wer sich ihm ergab, der durfte mit heiler Haut davonziehen. Manch schiffbrüchiger Seemann jedoch dankt ihm sein Leben. Der schreckliche Roberts ließ keinen im Boot verhungern oder verdursten noch im Sturme versinken, wenn er es hindern konnte. Der blutige Morgan Jedoch zur Schande der Gilde der Piraten muß es gesagt sein: Sie glichen nicht alle dem langen Roberts, die Männer, die mit Bug und Kiel den blauen Acker pflügten — bei weitem nicht alle. Eher muß man ihn als Ausnahme gelten lassen. Doch wenige haben es wieder so schlimm getrieben wie der blutige Morgan. Das Gegenstück mit umgekehrtem Vorzeichen könnte man ihn nennen. Während Roberts nie tötete oder töten ließ außer im offenen Kampf, ist Morgan durch ein Meer von Blut und Tränen gewatet. Ihn schien eine teuflische Lust am Vernichten zu beherrschen, am nackten Mord. Unbestimmbar seine Herkunft. Ein zeitgenössischer holländischer Stich zeigt einen plumpen Kerl in protzigem Gewände, ein aufgeschwemmtes Gesicht, dem scheel blickende Augen einen Ausdruck von Mißtrauen und Heimtücke verleihen. Eine ungute Erscheinung. Darunter die Zeilen: Johan Morgan Geboren in der Provincie van Walles in Engelandt General van de Roovers op Iamaica. 14
Er ist also wohl ein Landsmann des kühnen Roberts gewesen. Aber sonst, scheint's, hat er nichts mit diesem gemein. Er soll um 1635 als Junge aus Bristol entführt worden sein, shanghait, wie man das später genannt hat. Das kam damals nicht allzu selten vor, und wenn es bei Morgan zutrifft, wird es keineswegs zur Milderung etwaiger Härten seines Wesens beigetragen haben. Das muß man ihm bei der Betrachtung des Folgenden zugute halten. Als Sklave wurde er nach Jamaika verkauft. Ja — auch das gab es noch: Weiße als Sklaven regelrecht verkauft! Dem jungen John gelang es, aus der Leibeigenschaft zu entwischen, und er nahm seine Zuflucht wie fast alle entflohenen Sklaven in Westindien zu der freien Bruderschaft der Flibustier auf der Insel Tortuga, die vor der Nordwestküste von Kuba liegt. Hier fand er zu seinem blutigen Gewerbe. Im Jahre 1666 kommandierte er ein Schiff unter dem berühmten Mansfeld bei der Eroberung der Insel Santa Catalina. Es ist seine Feuerprobe als Flibustierkapitän. Nach zwei Jahren erhält er vom Gouverneur von Jamaika einen Kaperbrief. Nun ist er Seesoldat im völkerrechtlichen Sinne, ist autorisiert, gegen alles, was Spanisch ist, Krieg zu führen. England muß sich seiner Haut wehren. Das übermächtige Spanien, in dessen Reich die Sonne nicht untergeht, schließt alle anderen vom Welthandel aus. Aber das wachsende britische Inselvolk muß hinaus auf die See, wenn es leben will. Und das Geld ist knapp, da muß man die Kämpfer da nehmen, wo man Bie bekommen kann. Und wer weiß schließlich auch daheim, was für ein Mann das ist, der Kapitän Morgan! Und wer es weiß, hat Grund, darüber zu schweigen . .. Morgan zeigt nun bald, wes Geistes Kind er ist. Bei der Einnahme der Stadt Puerto Bello hält ihn die feste Zitadelle auf. Da läßt er lange Sturmleitern zimmern. Und um die spanische Besatzung auf den hohen Zinnen am Sdiießen zu hindern, zwingt er Einwohner der Stadt, die Leitern gegen die Mauern zu tragen. Ein schauerliches Handgemenge beginnt. Sprengungen legen Breschen ins Gemäuer. Noch wehren sich die Spanier mit größter Erbitterung. Das heimtükische Manöver mit Frauen und Männern als Kugelschutz hat ihnen nur zu deutlich gezeigt, was sie von einem 15
Feind zu erwarten haben, den ein Morgan anführt. Den ganzen Tag währt das Ringen um die letzten Bollwerke, dann ist Morgan Herr der Stadt. Er überläßt sie hohnlachend seinen Horden, die erbarmungslos alles niedermetzeln, was ihnen in den Weg kommt. Frauen und Mädchen ohne Zahl geben sich selbst den Tod oder bitten den Vater, den Gatten, sie zu töten, um nicht in die Hände des entmenschten Gesindels zu fallen. Ein Schrecken ging hinfort vor dem bloßen Namen des Piraten durch alle Siedlungen Westindiens. Mordbrennereien, Plünderung und Grausamkeit — das waren Morgans Methoden. Das reiche Panama nahm und verwüstete er, einige Zeit darauf überfiel er Maracaibo und trieb dort wochenlang sein schreckliches Unwesen. Kein Landstrich d_er weiten mittelamerikanischen Küsten schien mehr sicher. Da endlich langt die Nachricht an, daß der Friede zwischen England und Spanien geschlossen ist, der Alpdruck weicht. Doch nach einiger Zeit geht ein seltsames Gerücht durch die Häfen der karibischen See: Morgan sei General-Gouverneur von Jamaika geworden, heißt es. Die meisten schütteln ungläubig den Kopf: Morgan? das hieße doch wahrhaftig den Bock zum Gärtner machen. Aber Eingeweihte lächeln nur und zucken die Achseln: wartet ab, ihr werdet ja sehen . .. Allmählich spricht sich die Wahrheit herum. Morgan war nach Beendigung des Krieges nach London beordert worden. Ihm schwante Unheil, darum hatte der alte Fuchs mit Bestechungsgeldern vorgebaut. Und so ist alles gut abgelaufen, und sein Leumund fiel so günstig aus, daß er nicht nur die Ernennung zum General-Gouverneur erhielt, sondern in seiner Tasche dazu ein funkelnagelneues Adelspatent knisterte, als er vergnügt von England gen Westen heimkehrte. Der Pirat Morgan kam als Sir Henry Morgan zum Schauplatz seiner Untaten zurück. Doch die Katze läßt das Mausen nicht, auch wenn man ihr ein Adelskrönchen aufsetzt. Von Jahr zu Jahr mehrten sich die Klagen über die Art, wie Sir Henry sein Amt mißbrauche. Man warf ihm vor, er begünstige das Treiben seiner Seeräuberfreunde, man sagte, die Piratenkapitäne erhielten von ihrem alten Freund und Kumpan Morgan stets Warnungen, wenn Kriegsschiffe gegen sie einge16
setzt würden. Man munkelte von gewaltigen Erpressungssnummen, die in Morgans Taschen flössen und von da durch seine Kehle, die an Weite nur von der seines salzwassergegerbten Gewissens übertroffen wurde. Schließlich trieb er es in seiner maßlosen Unverschämtheit und Gier so arg, daß der englische Handel mit Westindien fast lahmgelegt wurde. Seine Gegner bei Hofe konnten erdrückendes Beweismaterial vorigen, alle Ausflüchte der gut geschmierten Freunde fruchteten nichts mehr. Der König wurde aufmerksam und ordnete eine Untersuchung der gegen seinen Gouverneur gerichteten Klagen an. Was dabei an den Tag kam, war haarsträubend. Sir Henry fiel in Ungnade und wurde unverzüglich seiner sämtlichen Ämter enthoben. Es war ein Freudentag für ganz Westindien . . . Fünf Jahre schmollte der alte feiste Pirat noch heftig über den Undank der schnöden Welt, dann segelte er im August 1688 der unabsehbaren Reihe seiner Opfer nach in den Tod. Und es fand sich wohl kaum eine Menschenseele, die diesem Piraten Friede gewünscht hätte.
Seeräuberkönig von Madagaskar Sic transit gloria . . . So vergeht der Ruhm der Welt! . . . das könnte man als passendes Motto auch über die seltsame Laufbahn des Kapitäns John Avery setzen. Avery beginnt wie jeder Seemann der alten Schule als Schiffsjunge und Matrose. Ein harter, geiziger Kapitän, dazu ein roher Patron von Steuermann treiben ihn auf die Bahn des Meuterers. Für dieses Verbrechen droht Kerkerstrafe oder Deportation. Da ist es doch einerlei — wenn wir schon büßen sollen, dann laßt uns vorher wenigstens das Leben genießen! So wird auch John Avery Seeräuber, erlernt als solcher die hohe Kunst der Navigation und macht sich schließlich zum Führer einer eigenen Bande von Piraten, mit der er bei wechselndem Glück die Gewässer des Golfs von Guinea und Westindien abgrast. Schließlich jedoch wird ihm der Boden zu heiß unter den Füßen — oder richtiger: Das Atlantikwasser wird ihm zu heiß unter dem Kiel, und er beschließt einen gründlichen Szenenwechsel vorzunehmen. Sein Stern führt ihn ins Rote Meer, und hier geschah es, daß er in der Lotterie der Seeräuberei wahrhaftig einen Hauptgewinn zog: 17
Er nahm mit stürmender Hand ein Schiff des Großmoguls, des Kaisers von Indien, und den darauf verstauten Schatz von hunderttausend Stücken von Achten. Auch die an Bord weilende Tochter des Beherrschers aller Gläubigen, eine Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht, fiel in seine Hand. So machte sichAvery mit seinen erbeuteten Schätzen auf den Weg, um ein stilles Land zu suchen, wo .er sich seiner Geld- und Menschenbeute in Ruhe erfreuen könne. Seine Wahl fiel auf Madagaskar. Er vermählte sich mit der Prinzessin. In der Erkenntnis, daß sich angesichts der sozialen Stellung seines Schwiegervaters der bisher ausgeübte Beruf für ihn nicht mehr schicke, sattelte er um und wurde regierender Fürst, absoluter Monarch eines nicht gerade sehr ausgedehnten, aber desto gesünderen und ruhigeren Zipfels der schönen großen Tropeninsel. Zu allen klimatischen und landschaftlichen Reizen seines Reiches gesellte sich noch der Vorzug, daß es weit von allen Gerichtshöfen des in Fragen des Besitzrechtes etwas überempfindlichen alten Europa gelegen war. Es würde zu weit führen, die Geschichte im einzelnen auszumalen. Eine Siedlung entstand, in der Averys ehemalige Matrosen sich häuslich einrichteten. In einem verandaumgürteten Holzpalast residierte Seine Majestät, John Avery I., König von Klein-Madagaskar. Es soll ihm gut gegangen sein, zu gut vermutlich; denn was tut der Esel, wenn ihm zu wohl wird? Er geht aufs Eis tanzen . . . In S.M.King Alverys Falle heißt diese Eisbahn Old England. Hier taucht er eines Tages mit einem kleinen Schiff vor dem Hafen von Boston in der Grafschaft Lincoln auf, den Laderaum gefüllt mit den Schätzen der Tropen und der Raubfahrten. Er will sie zum Tageskurs in die Münze des Landes umsetzen, um dann in einer netten Gegend seiner alten Heimat der wohlverdienten Ruhe zu pflegen. Zuerst macht es einige Schwierigkeiten, die erstaunliche Ladung handelsgerecht unterzubringen. Es kommt nicht alle Tage vor, daß die Zollbeamten Ihrer Britischen Majestät die Höhe der Abgaben für einzuführende Piratenschätze zu berechnen haben. Es ist nicht geklärt, wie es dabei zuging. Ich für meine Person vermute, daß er mit Hilfe gewandter Fachleute im „stillen" Import — um das harte Wort Schmuggel zu vermeiden — seine Reichtümer an Land brachte 18
und der Zollbehörde so die Mühe der schwierigen Berechnung des Einfuhrzolls taktvoll ersparte. So kam Avery nach langen Wanderjahren heim, ein gemachter Mann. Irgendwie schien er des Lebens als madagassischer König überdrüssig geworden zu sein. Europa lockte doch stärker als eine Krone unter Palmen. John Avery, Expirat, Exkönig und Exschwiegersohn des Großmoguls, steuerte nun in das Fahrwasser eines wohlhabenden Privatmannes hinein. Zu diesem Leben jedoch paßte es schlecht, wenn er jede Woche eine Handvoll seltsamer exotischer Goldmünzen, perlenbesetzter Krummdolche oder einen Armreif mit erbsengroßen Rubinen verkaufen mußte, um seine Rechnungen bezahlen zu können. Wohlmeinende Freunde — sie umschwirrten ihn wie die Wespen einen Honigtopf — rieten: Kaufen Sie Wertpapiere, legen Sie Ihr Vermögen in sicheren Aktien und Kuxen an, es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen zu helfen, lieber Captain! Und sie haben ihm geholfen, dem ehemaligen Piraten. Er, ein Turm von Geistesgegenwart, ein Riese an Umsicht auf blauer See und im tropischen Dickicht des Küstendschungels, er war ein Dummkopf in der Hand der gewiegten Geschäftsleute von Bristol. Nun kam er an die Reihe, nun fiel er unter Piraten. Sie zogen den Gutgläubigen in Spekulationen hinein, und es dauerte nicht lange, da waren die Schatzkisten und Taschen des alten Seeräubers ausgeräubert bis auf die letzte Dublone. Im Armenhaus von Bideford hat der ehemals steinreiche Seekönig geendet, verbittert, hungrig, abgerissen, von allen Freunden verraten und verlassen. Kapitän Kidds Piratenschatz Noch undankbarer verfuhr die Welt mit einem Seemann, dessen Namen einen weltweiten Ruf erlangte. Denn wer hätte nicht schon einmal vom Schatz des Kapitän Kidd gehört? Kitt wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts geboren, vor nunmehr dreihundert Jahren. Das erste, was man aus alten Urkunden über ihn vernimmt, ist, daß der Magistrat New Yorks — zu jener Zeit noch eine königlich-englische Stadt — ihm eine Ehrengabe von einhundertundfünfzig Pfund Sterling zusprach. Das war damals eine stattliche Summe, dem Jahreseinkommen eines höheren Beamten 19
vergleichbar. Kidd muß seiner Mitwelt also einen nennenswerten Dienst geleistet haben, wenn man ihn so auszeichnete. Und wir erfahren aus dem Dokument, er habe diese Belohnung für seine Verdienste bei der Unterdrückung politischer Unruhen erhalten. Man sieht, er war ein durchaus loyaler Untertan der englischen Krone und bereit, seine Regierungstreue snich durch die Tat zu beweisen. Vier Jahre darauf, Anno 1695, segelt er mit einem eigenen kleinen Handelsschiff nach England. Man muß ihn auch dort als zuverlässigen, tüchtigen und tapferen Seemann geschätzt haben, sonst hätte der damalige Kolonial-Gouverneur Lord Bellomont wohl kaum vorgeschlagen, Kapitän Kidd als Kaperkommandant gegen die Piratenplage im Indischen Ozean einzusetzen. Der Vorschlag wird angenommen. Für Kapitän Kidd wird aus Privatmitteln ein kriegstüchtiger Segler ausgerüstet. Auch das spricht für den Mann. Denn auf wessen Namen Geschäftsleute jener Zeit ihr Geld anlegen, der muß wahrhaftig Garantien für eine angemessene Verzinsung geboten haben, mindestens aber als ein sicherer Geschäftsmann bekannt gewesen sein. Kitt nannte sein Schiff „Adventure". Im Mai 1696 ging er von Plymouth in See und segelte erst einmal nach New York, wo er noch eigene Angelegenheiten zu erledigen hatte. Von dort aber steuerte er südwärts, rundete das Kap der guten Hoffnung und war nun auf dem Feld seiner Wirksamkeit angelangt. Zwei Jahre hörte man nichts mehr und nicht weniger von ihm, als von jedem anderen Kaperkapitän jener Zeit. Doch dann tauchten die ersten unbestimmten Gerüchte auf, die sich mit seiner Person befaßten. Es heißt, in den Tavernen am Hafen hätten fremde Seeleute erzählt, Kapitän Kidd sei an der Beraubung englischer Schiffe beteiligt gewesen. Kidd? Oh no, Sir! Der hat doch einen Kaperbrief gegen französische Schiffe erhalten und selbstredend auch gegen die Piraten. Kidd segelt ja im Auftrage der englischen Regierung, da kann er also unmöglich englische Fahrzeuge angegriffen haben. Das sei wieder so ein Gerede, wie es hinter Portweinhumpen leider oft zusammengebraut werde. Das nächste Mal jedoch klingt es bereits ernster, was man von Kidds Treiben vernimmt. Da sind es nicht mehr unbekannte Matrosen, die auspacken. Nein — ein englischer Steuermann ist es, ein
Ausfahrt der Deutschritter-Flotte gegen die Piraten der Ostsee. vernünftiger Mann in gesetzten Jahren, der einen seltsamen Bericht mitgebracht hat. In Bombay habe er einen alten Freund getroffen, den Steuermann eines spanischen Seglers. Dieser habe auf See auf der Höhe der Chagos-Inseln ein Boot mit Überlebenden einer englischen Brigg aufgenommen. Keine Schiffbrüchigen, nein, sie seien von Piraten überfallen worden, und so erbittert sie sich auch gewehrt hätten, die Übermacht sei zu groß gewesen. Mehr als die Hälfte der Besatzung sei gefallen oder niedergemacht worden. Den Rest habe der Seeräuber im Boot ausgesetzt. Und darunter sei ein Matrose gewesen, ein Mann aus Neu-England, der habe bei dem Gefecht unter den Piraten Kapitän Kidd erkannt, den er von Amerika her zu kennen behauptete. Ganz deutlich wolle er ihn erkannt haben! Er sei seiner Sache ganz sicher gewesen. 21
Phantastisch klang das, viele wiegten zweifelnd die Kopfe. Aber manche meinten, es könnte doch etwas daran sein. Denn der Kidd — hm! —, aber sie wollten nichts gesagt haben . . . Bald sollte es noch abenteuerlicher kommen, was über Kidd erzählt wurde. Kapitän und Steuermann des englischen Schiffes „St. Matthews" seien an der afrikanischen Südspitze angekommen. Ein Portugiese habe sie und zehn ihrer Schiffsleute im Boot angetroffen und an Bord genommen. Die „St. Matthews" sei nördlich Madagaskar von einem französischen Kaper aufgebradit worden. Der Kapitän habe jedoch gemeint, der Kaper sei gar kein Franzose gewesen, sondern in Wirklichkeit ein Engländer. Den Steuerleuten und vielen der Matrosen habe man es deutlich angesehen, daß sie keine Franzosen waren, und erst der Kaperkapitän — der habe so wenig französisch ausgesehen wie ein Londoner Hafenarbeiter! Auch unter den Seeleuten der arabischen Dhauen dort unten gehe das Gerücht um, es gebe ein englisches Schiff, das manchmal mit der französischen Flagge im Topp gesehen worden sei. .. Und nach allem, was man in den Häfen draußen vernommen habe, könne es sich nur um Kidd handeln. Das klingt nicht mehr nach Abenteuer, das verdient ernstere Namen — wenn es wahr ist! Noch will die Öffentlichkeit nicht glauben, was man Kidd vorwirft: Plünderung der heimischen Schiffe, Angriff auf englische Seeleute unter dem Schutze der Flagge des Feindes . . . ungeheuerlich, wenn es zutrifft. Die Meldungen dieser Art mehren sich jedoch, fast jeder Monat bringt eine neue Anschuldigung. Die Gerüchte haben sich längst zu bestimmten Anklagen verdichtet. Namen werden genannt, genaue Daten, ein Netz von Beweisen beginnt sich über Kidds Haupt zusammenzuziehen. Da trifft ein Brief von des Kapitäns eigener Hand in London ein. Er ist von New York datiert und an Kidds Gönner Bellomont gerichtet. Der Seemann schreibt, er habe von den Anschuldigungen gegen sich gehört, aber alles sei erlogen und nichts als politische und geschäftliche Intrige gegen seine Geldgeber und Freunde. Immer habe er einzig und allein im Interesse Englands und seiner Schifffahrt gehandelt, das könne er beweisen. Er selbst wolle sich vor Gericht gegen alle Anwürfe rechtfertigen. Schon sei er auf dem Wege nach England, um seine Verteidigung selbst zu führen. 22
Doch es scheint, daß jene, die ihm mißtrauten, schneller handelten. Im Juli 1600 wurde er in New York verhaftet und nach England gebracht, dort machte man ihm den Prozeß. Die Anklage lautete auf Piraterie und Mord — es ging um Kopf und Kragen. Wie bestimmt Kapitän Kidd auch seine Unschuld beteuerte, wie viele Zeugen er auch vorführen ließ, es hat ihm nichts geholfen. Die Schar seiner Gegner war noch besser gerüstet, vielleicht mächtiger und geschickter in der Führung des Streites, an dem das ganze Land lebhaftesten Anteil nahm. Über ein Jahr lang zog sich der Prozeß hin, er wirbelte viel Staub auf und warf seinen Schatten auf manchen Namen, der einen guten Klang hatte. Doch die Beweise dafür, daß Kidd nicht nur als Kaper gegen den Feind gefahren war, sondern daneben als Pirat gegen die Schiffahrt des eigenen Landes, sie häuften sich und entschieden den Prozeß. Er endete mit der Verurteilung des Kapitäns durch den Strang. Am 23. Mai 1701 wurde Kidd als Seeräuber dem Henker übergeben. Auf seinem Schiff und auf einer kleinen Insel im Long Island Sound fand man vierzehntausend Pfund Sterling in Gold. Es war alles, was man von den sagenhaften Reichtümern des abenteuerlichen Mannes entdeckte. Die Legende von seinem unermeßlich großen Piratenschatz jedoch hat sich über zwei Jahrhunderte erhalten. Sie hat schon manchen jungen, aber auch manchen grauen Kopf in Unruhe versetzt. Ganze Expeditionen wurden für teures Geld ausgerüstet. Sie haben an den Küsten von Madagaskar und in vielen gottverlassenen Winkeln der Erde gesucht, und manche Tonne Sand und Korallen wurde um und um gebuddelt. Vergehens — der Schatz des Kapitäns Kidd ist immer noch zu haben. Kapitän C r o w irrte sich Ja — mitunter war es früher auf den ersten Blick nicht zu erkennen, ob man Freund oder Feind vor sich hatte bei einer Begegnung auf einsamer See. In manchen Winkeln der Welt wimmelte es von beauftragten Kapern in jenen Zeiten. Natürlich sollten sie ihre Flagge zeigen. Aber wer konnte genau wissen, ob es auch tatsächlich die eigene war und nicht nur eine für diese Gelegenheit geliehene? Flaggen sind geduldig, sie lassen sich an jeder Gaffel heißen und flattern dort mit immer demselben ehrsamen Gesicht. 23
Noch geduldiger aber ist Papier. Es läßt sich jeder Kaperbrief darauf schreiben, in jeder Sprache, wenn die Hand, die die Feder führt, und das trügerische Siegel, das daran hängt, nur täuschend genug ist. Vertrauen zu Geschriebenem ist schon damals manch ehrlichem Kauffahrer zum Verhängnis geworden. Wenn die „Freunde" erst an Deck standen, war es zu spät zum Besinnen . . . Da war es schon richtiger, man verließ sich weniger auf völkerrechtliche Kniffe als auf seine guten Seemannsaugen. Seeleute aller Völker haben in der Art, wie sie ihre Takelage bauen, trimmen und kleiden, nationale Eigenheiten. Das Verhältnis der Länge von Stengen und Rahen, Breite und Schnitt der Segel, der Fall der Masten und die Größe und Steigung des Klüverbaumes weisen Unterschiede auf, nicht erkennbar zwar dem Auge der Landratte, aber für den kundigen Blick des Seemannes schon von weitem deutlicher lesbar als Wappen und Siegel. Und in der Nähe erst, wenn man Taljerreeps und Juffern erkennt, Bändsei, Stagen und Buliens, da vermag jeder Matrose zu sagen, ob die Hände, die jene Dinge formten, diesseits oder jenseits des Kanals ihre Kunst erlernt haben. Wie aber, wenn man einem englischen und nach guter heimischer Manier gebauten Schiffe den Kurs kreuzt, das eine Woche vorher von so einem dreimalverwünschten Hunde gekapert worden war und von diesem nun zu neuen Kaperfahrten benutzt wurde? Wie? Dann könne man ja an der Flagge sehen, wen man vor sich habe, meint ihr? Schön! Wenn der andere aber mit den erbeuteten Marssegeln auch die erbeutete Flagge gesetzt hat? Oder in seinem Flaggenkasten schon längst eine für eine solche Gelegenheit bereithält, die er vom Heimathafen mitgebracht hat? Wer kennt sich da noch aus? Und es geht um hohen Einsatz — um all den sauer erworbenen Besitz, um die Freiheit und vielleicht ums liebe Leben dazu. Also heißt es, die Augen aufhalten und das Mißtrauen nicht einschlafen lassen. Daß aber auch ein alterfahrener Kaperfahrer darin des Guten zuviel tun kann, dafür ist der britische Käptn Crow ein beredtes Beispiel. Dieser Kapitän Bonny Crow war alles andere als ein Streitmacher. Alle seine Bekannten hätten das gerne bezeugt, und auch sein Freund, der dicke König Holiday an der Küste von Guinea, in dessen Residenz Bonny manche Ladung Sklaven erstand. Ja sogar
24
die Schwarzen bewiesen, daß Crow kein Unmensch war, sondern im Gegenteil ein umgänglicher Kerl, der nicht einmal mit rechtloser afrikanischer Menschenware hart umsprang. Denn segelte sein Schiff, die „Mary", in den Hafen von Habana, dann rannten alle Neger zum Bollwerk und schrien aus vollem Halse: Long live Massa Crow! Stieg er aus dem Boot an Land, dann umringten ihn die Schwarzen, die er früher im Sklavendeck seiner „Mary" über den Atlantik gebracht hatte, und straßenweit konnte man hören, wie sie ihn hochleben ließen und „God bless Massa Crow" brüllten. Warum hätten sie es getan, wenn sie es nicht so meinten? Aber laßt mich erzählen, wie Crow es machte, wenn ihm auf See einer zu nahe kam, den er nicht ganz genau kannte. Wieder einmal segelte er mit einer vollen Ladung über die Mittelpassage gen Westen, Habana entgegen. Ein guter Reiseabschluß stand bevor, die Neger wurden an Deck gut gehalten und waren alle gesund. Nur eine Gefahr drohte. Die See vor den westindischen Eilands war nicht geheuer, jeden Augenblick konnte ein französischer Kaper über der Kimm auftauchen, um einem ehrbaren Sklavenfahrer sein ehrlich erworbenes Vermögen abzunehmen. Da hieß es, gegen diese Burschen gewappnet sein und immer auf der Hut. Deshalb waren die schlanken Neunpfündergeschütze auf dem Hauptdeck, ein volles Dutzend an jeder Seite, seit einigen Tagen schon geladen. Auch Crows besonderer Stolz, die vier Achtzehnpfünder, standen bereit. Man brauchte nur noch frisches Pulver in die Zündlöcher zu schütten und die Lunten anzustecken. Die „Mary" konnte es getrost mit jedem aufnehmen. Die Besatzung, siebzig stramme Kerle, kannte ihr Handwerk. Aber auch die Männer der Sklavenladung waren in der Bedienung der Stücke geübt. Die Schwarzen zu drillen, das war Crowä Spzialität. Wenn er zwei Wochen unterwegs war, dann exerzierten seine unfreiwilligen Passagiere mit den Neunpfündern wie alte Matrosen irgendeiner königlichen Marine. Wieder ist die „Mary" also unterwegs nach Habana, hat nur noch wenige hundert Meilen bis zur Windward-Passage. Sie war immer ein flotter Segler, und geschwind rauscht sie vor dem frischen Passat gen Westen. Da ruft am späten Nachmittag der Ausguck ein Segel aus. Bald erkennt man, daß es auf die „Mary" zuhält. Das 25
kann Zufall sein, aber Mißtrauen ist besser als Nachsehen, vor allem für einen englischen Sklavenfahrer, Anno 1806, wo die französischen Kaper „ehrlichen" Briten allenthalben in die Quere kommen. Als dann aber ein zweites Schiff von der anderen Seite gemeldet wird, da weiß Kapitän Crow, was seine Pflicht ist. Er läßt Kanonen klarstellen, und die Schwarzen beginnen, die dunkel glänzenden Kugeln und die kleinen Pulverfäßchen an Deck zu schleppen. Crow selbst aber steht am Luvwant, hat das Fernrohr gegen den Mast geklemmt und luchst, ob ihm die scheidenden Sonnenstrahlen noch etwas von der Fremden Nam und Art enthüllen. .Schon ist der Rumpf des ersten klar auszumachen. Die Bordwand starrt von Geschützen! Die Segel — hm — sie könnten von britischen Jungs zugeschnitten sein, aber so ganz genau kann man sie von dieser Richtung nicht überblicken. Der Segler ist eine Schlup, ein Einmaster, und sie läuft wie der Teufel, das muß man ihr lassen. Segeln können die da drüben — alle Wetter! Alle Leesegel haben sie gesetzt — und nun hängen sie noch ein Vorsegel raus, sie wTollen Crow den Kurs verlegen mit aller Gewalt. Der führt nichts Gutes im Schilde, dieser Bursche. Könnte man nur die Einzelheiten genauer ausmachen! .. . Aber da wird die „Mary" von einer Woge emporgehoben, gerade, als der Fremde einmal besonders weit überkrängt, und es will Crow scheinen, als habe er drüben unter dem Besansbaum etwas von französischen Uniformen blinken gesehen. Aha — dacht' ich's mir doch! Aber komm nur mein Freund! Du bist der erste nicht, der den Crow, den Kaperkapitän Ihrer Britischen Majestät fangen will und dabei eine der größten Enttäuschungen seines Lebens erfuhr. Ist alles klar, Steuermann? Alles klar, Sir! Danke. Dann lassen Sir mir noch meinen Säbel bringen .. . Weg geht da das letzte Licht, und herauf zieht die Nacht. Aber es ist Mondschein, heller Mondschein. Nicht die geringste Aussicht, den beiden Fremden davonzulaufen. Aber wenn schon! Man wird ihnen zeigen, daß britische Kanoniere nicht schlechter sind als die von Brest oder Toulon. Da rauscht der erste der beiden Kaper schon heran, hält mit 26
schäumender Bugwelle kunstgerecht näher, und eine starke Stimme ruft deutlich verständlich herüber: Ship ahoy! What is your name and nationality? Haha! Die bekannte Frechheit von der Bande! In gutem Englisch rufen sie einen an, als ob sie Briten wären und nicht ..-. na wartet! Und schon formt Crow die Hände zum Sprachrohr und ruft zurück, daß er längsseit kommen werde. Und dann ruft er über Deck: Gebt's ihm, boys! Und sie haben ungeduldig darauf gewartet, seine Jungs, Lunten sprühen auf von der Back bis zur Achterluke und — Rrumms! —• dröhnt die erste Breitseite hinein in die friedliche Nacht. So begann die Affäre, über die sich Kapitän Crow sein Leben lang nicht wird beruhigen können. Die ganze Nacht schössen sie sich herum, der Eisenfresser Crow und die beiden Fremden. So raffiniert sie auch manöverierten, sie brachten es nicht fertig, dem Sklavenschiff den Weg zu verlegen, Crow war ihnen in allen Kunstgriffen der Schiffsführung mindestens ebenbürtig. Wenn aber zwei auf einen losballern, Lage um Lage, Stunden hindurch, so hat das schließlich einmal eine Wirkung. Als der Tag graute, da sah die Takelage der „Mary" aus wie das Gefieder eines Papageien, der sich in eine Unterhaltung mit dem Hauskater eingelassen hat. Daß Crow sein Schiff überhaupt noch segeln konnte, das war mehr als halbes Kunststück! Doch es half ihm nun nichts mehr, er mußte beidrehen, und auf der „Mary" nahmen sie nun alle Mann die schweren Hieber und die Pistolen in die Fäuste — auch die Schwarzen. Dann kamen die Boote der Fremden, von beiden Seiten zugleich natürlich, auch sie mit den üblichen Utensilien, gleidi sollte die Holzerei losgehen; da — ja da kam nun der Reinfall zutage. Und was für einer! Die Fremden waren gerade so wenig Franzosen wie der Kapitän Crow selber. Mit zwei befreundeten englischen Kriegsschiffen hatte er sich gebalgt die liebe lange Nacht . . . Sie halfen sich, ihre zerrauften Tagelagen wieder in Ordnung zu bringen. Als Crow aber wieder die Segel gesetzt hatte, um seine Ladung armer Negersklaven nach Habana zu bringen, da lag in seinem Schiffstagebuch ein sauber gefaltetes Dokument folgenden Inhaltes: 27
S. M. Slup „Dart" 1. Dezember 1806 Hiermit bescheinige ich, daß Kapitän Hugh Crow, Führer des Schiffes „Mary" von Liverpool auf der Reise von Afrika, sein Schiff in einem Gefecht unter Segel in ungewöhnlich tapferer Weise unter Beschuß S. M. Schlup „Wolverine" sowie der unter meinem Kommando stehenden Schlup Sr. Majestät, beide bestückt mit zweiunddreißigpfündern, verteidigt hat von zehn Uhr abends bis zum Tagesanbruch; denn er hielt uns für französische Kaper aus Cayenne. Und er gab den Kampf nicht eher auf, bis seine Takelage und die Segel in Fetzen geschossen und mehrere Leute verwundet waren. Auf 11°27' Nordbreite und 43° Westlänge. Joseph Spear, Commander
Der „Blaue Peter" Kurz nach der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden nicht nur die Piraten, sondern auch die Kaperkapitäne seltener. Im Jahre 1856 beschlossen viele Kulturstaaten die Abschaffung der Freibeuterei und der Kaper. Ein Mann wie Kapitän Hayes wirkt da nur noch wie letztes Meeresunkraut. Er war im eigentlichen Sinne auch kein Pirat mehr, obwohl er seine Mitmenschen um viele Reichtümer erleichterte; er war mehr ein Gauner zu Schiff, der lange Zeit allen Nachstellungen zu entgehen wußte. Von seinen Plündertaten sei nur die letzte erzählt, die von ihm bekannt geworden ist. Kapitän Hayes trieb sein Unwesen, als alle Welt schon hoffte, von den Freibeutern der See endlich befreit zu sein. Hayes kam aus dem Westen Amerikas. Bald nannte ihn die Welt „Bully Hayes", welcher Umstand einen ungefähren Schluß auf die Art seiner Gepflogenheiten gestattet, die von denen eines Kapitäns vom Normaltyp — nicht unwesentlich abwichen. Für Kapitän Hayes ist der Große Ozean wahrhaftig ein Tummelplatz, geräumig genug, um auch in der Zeit der Dampfschiffslinien für Monate zu verschwinden — wenn es sein muß, sogar einmal für ein oder zwei Jahre, ohne daß einem ein Gläubiger oder ein Vollzieher gerichtlicher Entscheidungen über den Kurs schert. Man denke daran, daß es damals weder Schiffstelegraphen gab noch 28
interkontinentale Seekabel, von der drahtlosen Geschwindigkeit des Polizeifunks ganz zu schweigen. Sie hätte unserem Bully Hayes bestimmt nicht behagt, nein, ganz und gar nicht; denn bei all seiner Geselligkeit, dem nie versagenden Quell grenzenloser Beliebtheit, gab es doch Zeiten, wo er die Einsamkeit stiller Korallenatolle dem eitlen Getriebe der Welt vorzog — nicht ohne zuvor die Häfen am Pazifik wieder einmal heimgesucht zu haben. Bully Hayes besaß zu jener Zeit ein eigenes Schiff, eine ihrer Anmut wegen berühmte handige kleine Brigg. Damit hatte er eine Ladung Stückgut nach Singapore gebracht und zur vollen Zufriedenheit der Empfänger ausgeliefert. Dergleichen spricht sich in Schiffahrtskreisen schnell herum, es erwirbt dem Schiff Vertrauen — und auch seinem Kapitän. So brauchte Hayes auch nicht lange auf ein Frachtangebot zu anständigen Bedingungen zu warten. Täglich kamen tiefbeladene chinesische Sampans mit gewichtigen Bündeln und Ballen hinaus zu seinem Schiff, das ziemlich weit draußen auf der Reede ankerte. Eigentlich ungewöhnlich weit draußen, wollte es manchen scheinen. Aber Kapitän Hayes ließ gelegentlich durchblicken, das sei eben eine seiner Gepflogenheiten. Ein Narr, wer dem Wetter zuviel traue! ET bleibe lieber draußen . . . Auch das mehrte seinen Ruf als vertrauenswürdiger Mann; denn Vorsicht ist beim Seemann die halbe Klugheit. Flott füllte sich der Laderaum der Brigg, in wenigen Tagen konnte sie ihre Reise antreten. Damals hatte der sogenannte „Blaue Peter" noch seine wohlerwogene Bedeutung. Viele kennen ihn, eine blaue Flagge mit einem weißen Rechteck darin. Sie wissen auch, was er bedeutet: Ich gehe binnen vierundzwanzig Stunden in See. Stimmt! Das ist jedoch nicht alles, das Wichtigste im Wesen dieses Flagensignals ist nämlich im Fehlen des Telegraphen zu jener Zeit begründet. Wenn diese Flagge damals zum Topp eines Schiffes emporkletterte, rief sie eine Mahnung über den Hafen: Kommt herbei, die ihr Forderungen an mich habt, ich werde euch bezahlen! Aber beeilt euch bitte, denn morgen bin ich fort! Alle Geschäftsleute hatten ein gutes Auge für dieses Signalzeichen. Sahen sie es emporsteigen, so zückten sie die wohlvorbereiteten Rechnungen und sausten an Bord. Denn wer konnte wissen, ob dieses Schiff noch einmal hier 29
gesehen werden würde! Wer seine Rechnungen nicht rechtzeitig vorlegte, hatte das Nachsehen. Die See ist ein unsicheres Feld und die Welt ein unmenschliches Haus. Schon manches Schiff ist darin spurlos verschwunden .. . Das Schiff des Kapitäns Hayes heißt „Leonora". Ein schöner Name, einer, der Vertrauen einflößt. Die Lieferanten des Kapitäns Hayes müssen in diesem Punkt ganz ähnlich empfunden haben. Denn seit die „Leonora" auf der Reede lag, genoß ihr Führer und Reeder bei der Geschäftswelt von Singapore einen fast unbegrenzten Kredit. Nicht verwunderlich; denn ihr hättet Bully Hayes sehen müssen! Eine hohe Gestalt mit breiten Schultern und von schlankem Wuchs, elegant, athletisch, ohne schwerfällig oder roh zu wirken. Ein Gesicht von kühnem Schnitt, wettergebräunt; über der auffallend weißen Stirn ein Schwall dichten Haares. Die Augen stehen für einen sehr genauen Beobachter eine winzige Spur zu nahe beieinander. Aber sie sind von einem durchdringenden Stahlblau, blicken offen in die Welt und haben etwas, was jeden für den Mann einnimmt. Und Bully Hayes, der sechsfußhohe Schlingel, er weiß ganz genau, was er seinem Ruf schuldig ist. Nie sieht man ihn an Land anders als nach der letzten Mode gekleidet,.noch keiner traf ihn am Abend in demselben Anzug, den er am Morgen anhatte. Jedes Stück an ihm ist bei ersten Schneidern gearbeitet. Schmuck trägt er kaum, aber wenn er einen Ring an sich zeigt oder eine Krawattennadel, so ist es ein erlesenes Stück von großem Wert, selbst für den Osten, wo schöne Steine und Perlen keine Seltenheit sind. Solch ein Gentleman kann mit Garderobe gar nicht reichlich genug eingedeckt sein. Darum hat er, wie ganz Singapore weiß, bei den drei teuersten Schneidern der Stadt eine Anzahl neuer Anzüge in Auftrag gegeben, im ganzen zwanzig, wie man sich mit hochgezogenen Augenbrauen erzählt. Die noch fehlenden hat der Herr Kapitän Hayes für zwei Tage vor dem Auslaufen bestellt. Zwei Tage, nicht später, falls noch Änderungen vorzunehmen sind; denn er hält peinlich auf guten Sitz. Die Anzüge werden pünktlich geliefert, einen Mann wie Kapitän Hayes läßt kein kluger Geschäftsmann warten. Aber da sind außer 30
den Sampans der Schneider noch viele andere Boote, die sich an das messingblinkende kleine Fallreep der „Leonora" drängen. Was wird da alles an Bord gebracht! Herrenwäsche, vom Feinsten natürlich. Neues Schuhzeug, viele Paare. Tischwäsche vom besten Damast und schwere Vorhänge für die Kajüte der Brigg, deren Eleganz das Gespräch der ganzen Wasserfront ist. Zu allem kommen die Lieferboote der Provianthändler, und man sieht deutlich, daß der Eigner der „Leonora" auf beste Küche hält. Preise spielen keine Rolle, nur Qualität gilt. Am erstaunlichsten jedoch ist, was da an guten Weinen und Likören an Bord geschafft wird. Nun, der Reeder eines Schiffes, wie Kapitän Hayes es sein Eigen nennt, ist für eine erkleckliche Summe gut. Man freut sich des guten Kunden, man begegnet ihm mit ausgesuchter Artigkeit. Man wird eine nette Rechnung zu präsentieren haben, wenn der Blaue Peter am Mast der „Leonora" flattert. Kapitän Hayes rüstet zum Auslaufen, wie man aus bester Quelle gehört hat. Die Ladung ist fast komplett. Es hat sich herumgesprochen, daß Hayes die Stunden bis zur Abfahrt nicht an Land verbringen wird. Nein, er wird noch zweimal Gäste an Bord bewirten. Für den heutigen Abend ist ein „kleiner Kreis der intimsten Freunde" geladen, nur die bevorzugten. Am morgigen Vormittag vor dem Auslaufen jedoch will er eine große Party geben. Dazu hat er alles geladen, was mit ihm geschäftlich zu tun hatte. Bei dieser Gelegenheit werde er auch die Rechnungen begleichen. Richtig. Am Abend, an dem die Gesellschaft der „intimsten Freunde" statfinden soll, sieht man kurz vor Eintritt der Dämmerung den Blauen Peter zum schlanken Vortopp der „Leonora" klettern. Und als sich die Nacht still und samten auf die Reede senkt, flackern unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck geschäftig Reihen von Windlichtern auf: Kapitän Hayes hat seine ,guten Freunde' um sich. Wenn man dabei sein könnte . . . Aber eine doppelte Hoffnung tröstet über das Bedauern, nicht zu der Schar der Auserlesenen zu gehören: Morgen vormittag bei der „Party", wird man selber unter dem Sonensegel der schönen Brigg schwelgen, und nun kann man sich den Abend mit einem anregenden Zeitvertreib würzen: Man nimmt seine Geschäftsbücher vor und überprüft noch einmal die langen Kolonnen, die des Kapitäns 31
Einkäufe aufzählen. Ein nobler Kunde! Solche Großzügigkeit findet man nicht oft bei einem Seemann .. . Im Laufe des Vormittags kamen sie alle zum Hafen, die den netten Kapitän Hayes beliefert hatten. Es wurde eine stattliche Schar, eine Vertretung der gesamten Geschäftswelt von Singapore, und es gab kaum eine Branche, die keinen Abgesandten geschickt hätte. In ihren Händen hielten sie längliche Zettel, und alle fingen mit denselben Worten an: Für Lieferungen an Kapitän Hayes . .. Die Gesichter jedoch begannen zusehends länger zu werden. Soviel sie auch die Hälse reckten, so scharfe Augen durch noch schärfere Brillengläser die Reede absuchten: Von den schlanken Masten der schmucken „Leonora" war auch kein Flaggenknopf mehr zu finden. Bully Hayes hatte „aus Versehen" den Blauen Peter um zwölf Stunden zu spät setzen lassen . . .
* Auch echte Piraten hat es seit Hayes Gaunerfahrten noch gegeben, aber sie waren keine Zunft mehr wie einst. Kaperei feindlicher Schiffe im alten Stil spielte zwar noch eine Rolle im Bürgerkrieg der Vereinigten Staaten; dann aber nahm sie neue Formen an — in den Kriegen unseres Jahrhunderts, in denen zwar das internationale Seekriegsrecht die Wegnahme feindlicher und mit dem Feind zusammenarbeitender neutraler Schiffe und die Beschlagnahme ihres Ladungsgutes geregelt hat, in denen aber auch die Regeln des Völkerechts allzu oft aufs schwerste verletzt worden sind und Kapern wieder zum Seeraub geworden ist.
Umschlagbild: Karlheinz Dobsky Bilder: Hlstor. Bildarchiv Lolo Handke und Verlagsarchiv L u x - L e s e b o g e n 2 9 7 (Geschichte) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . iSatur- und kulturkunciliche Hefie - Bestellungen (vlerteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind In jeder guten Buchhandlung vortätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München
Warum eigentlich nicht? Der ermunternde Zuruf: »Wohl bekomm'sj« paßt haargenau auf SINALCO, das zünftige Erfrischungsgetränk aus wertvollen Citrus-Früchten. Pfadfinder aller Länder erheben das Glas mit SINALCO-. »A votre sante!« oder: »Your healrh!« oder: »Sköl!« In diesem Sinne also getrost: »Prost!«
Mit Recht ist auch die junge Welt längst auf S I N A L C O eingestellt: Den Trank aus köstlichen Früchten. Die S I N A L C O Flosdie mit Kelch im roten Punkt:
DER Q U A I I T Ä T S - U N D ECHTHEITSBEWEIS