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Don Gaspar Nunez de Arce, der Kapitän der spanischen Dreimast-Galeone „Vadavia“, stand an...
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Roy Palmer 1.
Don Gaspar Nunez de Arce, der Kapitän der spanischen Dreimast-Galeone „Vadavia“, stand an diesem frühen Nachmittag nicht weit vom Besanmast entfernt auf dem Achterdeck seines Schiffes und blickte genau in dem Moment zu seinem Ersten Offizier Juan de Rivadeneira, als dieser die Obersten Stufen des Backbordniederganges, der die Kuhl mit dem Achterdeck verband, mit drei unbeholfenen, wankenden Schritten bewältigte. Eine böse Ahnung beschlich den Kapitän und ließ ihn nicht mehr los. Er nahm eine steife Körperhaltung an. Seine Hände ballten sich allmählich zu Fäusten. Er war ein schlanker und hochgewachsener Mann mit harten, wettergegerbten Zügen, die von dem Erkennen einer tödlichen Wahrheit gezeichnet waren. Noch vor zwei Stunden hatte er mit de Rivadeneira in der Kapitänskammer am Pult gesessen. Sie hatten bei einer gemeinsamen Mittagsmahlzeit beratschlagt, was in der erschütternden Lage, in der sich die Besatzung des Schiffes befand, wohl am besten zu tun sei. Juan de Rivadeneira war nicht nur de Arces ranghöchster und zuverlässigster Schiffsoffizier, er war auch der einzige echte Vertraute, den es für den Kapitän an Bord der „Vadavia“ gab, ein Mann, mit dem er offen alle Probleme besprach. Seit jener bedrückenden Mittagsstunde jedoch, in der sie alles Für und Wider einer möglichen Notlösung erwogen hatten, hatte sich de Rivadeneiras Gestalt merklich gekrümmt, und auch mit seinem Gesicht schien eine Veränderung vorgegangen zu sein. Don Gaspar Nunez de Arces Ahnung wurde zur Gewißheit, als der Erste Offizier zu taumeln begann und sich an der Schmuckbalustrade festhalten mußte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dort verharrte er nun, vornübergebeugt Und mit einem seltsam starren Blick, der auf einen imaginären Punkt des Achterdecks gerichtet zu sein schien.
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Mein Gott, dachte der Kapitän, heilige Jungfrau Maria, jetzt hat es auch ihn erwischt! Er trat auf de Rivadeneira zu, und ihre Blicke begegneten sich plötzlich. Dem Kapitän entging nicht das fiebrige Flackern, das jetzt in de Rivadeneiras vormals so klaren hellen Augen war. Das Achterdeck schwankte nur leicht unter Don Gaspar Nunez de Arces Füßen, und es bedurfte kaum der ausgleichenden Beinbewegungen, um die Körperbalance zu halten. Es war ein sonniger Tag und doch nicht zu heiß. Eine frische Brise wehte von Norden, aus dem Golf von Bengalen her, und trieb die „Vadavia“ auf ihrem südöstlichen Kurs genau auf die Andamanensee zu. De Arces Blick wanderte nach Lee, zum tief blauen Spiegel der See, dem die leichte Dünung ein sanftes Kräuselmuster verlieh. Zum erstenmal seit ihrem Auslaufen aus dem Heimathafen Malaga — Malaga in Süd-Andalusien, das jetzt so unerreichbar weit entfernt war — verspürte er den Wunsch, alle Verantwortung ablegen zu können, nur noch Beobachter der Geschehnisse zu sein und in die Rolle eines Mannes schlüpfen zu dürfen, der die Szene verlassen konnte, wann immer er es wollte. „Senor“, sagte Juan de Rivadeneira. Seine Stimme klang rauh und schleppend, und das Sprechen schien ihm plötzlich erhebliche Mühe zu bereiten. De Arce kehrte abrupt aus seinem Tagtraum in die erschreckende Wirklichkeit zurück. Sein Blick richtete sich wieder auf das Gesicht seines Ersten. De Rivadeneira war kalkweiß. Kleine Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Züge hatten sich verzerrt. „Senor, jetzt ist es auch bei mir soweit“, stieß er hervor. „Jesus Maria, und ich Narr dachte, daß die verfluchte Krankheit mir nichts anhaben könne. Ich ...“ De Arce stellte sich dicht vor ihn hin und legte ihm die Hand auf die rechte Schulter. „Sie reden mehr, als Ihnen vielleicht gut tut, mein lieber de Rivadeneira. Sie sollten
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jetzt ins Achterkastell zurückkehren und Ihre Kammer aufsuchen.“ „Es fing ganz plötzlich an, Senor.“ „Und jetzt ist Ihnen hundeelend zumute, nicht wahr?“ „So übel war mir noch nie zuvor, nicht einmal auf meiner ersten Seereise und ...“ „Wie ich annehme, wird es Ihnen auch abwechselnd heiß und kalt?“ erkundigte sich der Kapitän. Er hatte Mühe, das Gefühl aufkeimender. Panik zu bezwingen. Juan de Rivadeneira nickte mühsam. „Si, Senor. Heiß und kalt. Es ist entsetzlich.“ „Ich rufe den Medico, den Feldscher“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. Er sah auf und richtete seinen Blick über die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Achterdecks zur Kuhl hin bildete, hinunter auf das Hauptdeck. Er entdeckte die Gestalt von Pedro Gavena, dem Profos, und schrie ihm zu: „Senor Gavena, holen Sie sofort den Feldscher! Er wird hier auf dem Achterdeck gebraucht!“ „Si, Senor!“ rief der Profos und setzte sich eilends in Richtung auf das Vordeck in Bewegung. Juan de Rivadeneira sah seine Umgebung durch gelbliche, wogende Schleier. Er spürte, wie seine Knie weich wurden, und klammerte sich mit beiden Händen an der Balustrade fest. Siedende Hitze stieg in seinem Inneren auf und trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Im nächsten Augenblick jedoch wurde ihm kalt, entsetzlich kalt, gerade so, als befände sich die „Vadavia“ mitten im Eismeer. Er begann am ganzen Leib zu beben und die Zähne aufeinanderzuschlagen. Er riß die Augen weit auf, drehte sich halb herum, ließ die Balustrade los und torkelte zum Steuerbordschanzkleid. Er drohte zusammenzubrechen, hielt sich aber mit letzter Kraft doch noch aufrecht und schaffte es, sich mit dem Oberkörper über das Schanzkleid zu lehnen. Die Übelkeit übermannte ihn. Er erbrach sich. Während er sich mit beiden Händen festhielt, um nicht über Bord zu kippen, opferte er der See, wie die Seeleute zu sagen pflegten. „Feldscher!“ schrie Don Gaspar.
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Pedro Gavena, der Profos, hatte den Feldscher inzwischen aus dem Mannschaftslogis geholt, wo der Mann um diejenigen Decksleute bemüht gewesen war, die in den vergangenen Tagen bereits von der schweren Krankheit befallen worden waren. Das wären Diego de Fajardo, der Schiffszimmermann, sowie die einfachen Seeleute Antonio, Aurel, Solis und Luis. In zwei Kammern des Achterdecks waren überdies Victor de Andrade, der Bootsmann der „Vadavia“, und Herra de Canduela, der Zweite Steuermann, untergebracht, die unter den gleichen Beschwerden litten. Nun war auch noch der Erste Offizier erkrankt, und somit waren es acht Männer der Galeone, denen Übelkeit, Brechreiz und Fieber heftig zusetzten. Angefangen hatte dies alles mit dem Zusammenbruch von Zimmermann Diego de Fajardo, den die Kräfte vor nunmehr achtzehn Tagen verlassen hatten, und zwar querab von Madras. Die „Vadavia“ hatte sich in Küstennähe gehalten, statt den Indischen Ozean südlich von Ceylon. zu. durchsegeln. Drohende Stürme hatten Kapitän de Arce zu diesem zeitraubenden Kurswechsel veranlaßt. Alles Übel, so glaubte er jetzt, hatte begonnen, seit er jene Entscheidung getroffen hatte. Mein Gott, mein Gott, dachte er in diesem Moment, vielleicht hätte ich doch lieber die Stürme abwettern sollen! José Tragante, der Feldscher, stürzte aus dem Vordecksschott auf die Kuhl, hastete zum Steuerbordniedergang des Achterdecks und erstieg das Deck, indem er jeweils drei hölzerne Stufen mit einem Schritt nahm. Es war ihm sonst nicht erlaubt, das Achterdeck zu betreten, denn dieser Platz des Schiffes war dem Kapitän und seinen Offizieren vorbehalten, doch in dieser Ausnahmesituation war es Don Gaspar mehr als selbstverständlich, seinem „Medico“ den Zutritt zu gewähren. Tragante hingegen wünschte inständig, es hätte sich niemals ein Grund für diese Sondergenehmigung ergeben.
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„Tragante!“ rief Don Gaspar. „Santa Madre, wo bleiben Sie denn? Sehen Sie doch, wie es dem armen de Rivadeneira ergeht, dabei war er vor zwei Stunden noch völlig auf der Höhe. Sie ...“ Er unterbrach sich. Juan de Rivadeneiras Hände rutschten vom Schanzkleid ab. Er kippte rücklings auf die Planken, streckte die Arme und Beine von sich und rührte sich nicht mehr. Jose Tragante beugte sich über ihn und horchte an seiner Brust. Er sah wieder auf und meldete seinen Kapitän, der das Entsetzen in seinen Zügen nicht mehr zu verbergen vermochte: „Senor Capitan, er ist nur ohnmächtig geworden. Ich brauche einen Helfer, um ihn ins Achterdeck schaffen zu können.“ „Dieser Helfer ist schon zur Stelle“, sagte Gavena, der Profos, vom Steuerbordniedergang her. Seine Miene war starr, seinen Blick hatte er auf die Gestalt des Ersten Offiziers gerichtet. „Es ist - dieselbe Krankheit, nicht wahr, Tragante?“ fragte der Kapitän seinen Feldscher. „Ja, Senor.“ „Es handelt sich um eine Seuche, oder?“ „Die Befürchtung besteht, Senor“, antwortete Jose Tragante. „Ist es Cholera?“ „Vielleicht. Vielleicht auch die Ruhr.“ „Mein Gott“, stammelte Don Gaspar. „Warum können wir nichts dagegen tun, warum nicht?“ „Die Arzneien, die wir an Bord mitführen, haben sich als wirkungslos erwiesen“, erklärte der Feldscher leise - so leise, daß weder der Profos noch der Rudergänger es hören konnten. „Ich kann den Kranken nur kalte Umschläge auflegen, die ihr Fieber etwas dämpfen, Senor.“ „Wir werden alle erkranken, wenn nicht ein Wunder geschieht“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. „Und wir müssen alle sterben, ehe wir Manila, unser Ziel, erreichen. Wir sind verdammt dazu.“ „Es gibt einen Weg zur Rettung, Senor.“ „Diese Möglichkeit habe ich vorhin. mit de Rivadeneira erörtert.“
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„Wir müßten die Kranken unter Quarantäne stellen“, sagte der Feldscher. „Wo?“ „Hier, auf der ,Vadavia`, ist es kaum möglich, denn ich könnte die übrigen Schiffsräume kaum ausreichend gegen ein Übergreifen der Seuche abschirmen. Ich würde es mir nicht zutrauen, Senor.“ „Folglich ?“ „Folglich müßten wir die Kranken mit einigen Betreuern auf einer Insel aussetzen. Anders kann ich es mir nicht vorstellen“, sagte Tragante, obwohl es ihm schwerfiel. „Ich selbst würde mich freiwillig dazu melden, bei den armen Teufeln zu bleiben.“ „Wir könnten die Überlebenden erst auf der Rückreise von Manila nach Malaga wieder übernehmen“, sagte der Kapitän. „Sechzig Tage würden mindestens verstreichen, vergessen Sie das nicht.“ „Senor Capitan, dieses Risiko müßten wir eingehen.“ Don Gaspar wandte sich dem Profos zu, der sich jetzt anschickte, näherzutreten und sich nach dem bewußtlosen Juan de Rivadeneira zu bücken. „Senor Gavena“, sagte Don Gaspar. „Geben Sie folgenden Befehl an den Ausguck weiter: Ich will unverzüglich unterrichtet werden, wenn eine Insel vor uns auftaucht. Wir werden sie anlaufen, und ich werde feststellen lassen, ob sie unbewohnt ist, denn das ist die Grundvoraussetzung für unser Unternehmen. Falls wir eine Insel finden, die unseren Anforderungen entspricht, werde ich nicht zögern, unsere Kranken dort mit dem nötigen Proviant und Trinkwasser versehen zu isolieren.“ Er blickte Pedro Gavena fest in die Augen und fügte hinzu, als müsse er sich für seinen Beschluß rechtfertigen: „Anders geht es nicht, wenn wir leben wollen. Zwei Drittel der Besatzung sind noch gesund, aber falls wir so weiterreisen wie bisher, wird es früher oder später uns alle erwischen.“ „Si, Senor“, sagte der Profos.
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„Bringen Sie jetzt de Rivadeneira ins Achterdeck, und kümmern Sie sich um ihn“, befahl der Kapitän. „Si, Senor Capitan“, sagten Gavena und Tragante. Don Gaspar richtete seinen Blick voraus und dachte daran, was werden sollte, wenn innerhalb der nächsten Tage keine Insel gesichtet wurde. * Messerscharf zeichnete sich nur der Rand des kreisrunden Ausschnittes gegen die Helligkeit des Tages ab,’ undeutlich hingegen war die Kimm, jene Linie, die sich dort bildete, wo der Himmel mit der See zusammenzutreffen schien. Nur verschwommen zeigten sich auch die Umrisse des kleinen Schiffes, das -tief im Wasser liegendan der Kimm entlangsegelte, doch das Bild war ausreichend, um einige genauere Feststellungen zuzulassen. „Ein Einmaster“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Sein einziges Segel scheint ein Lateinersegel zu sein. Der Form des Rumpfes nach könnte er einer der kleinen Küstenkähne sein, wie sie vor Malakka und Siam anzutreffen sind.“ „Ein Praho also?“ fragte Bill, der Moses. „Nicht unbedingt. Ich glaube, diese Art von Einmaster hat einen anderen Namen.“ „Ja, Sir. Wir könnten ihn aber auch als Schaluppe oder als Pinasse bezeichnen, oder? Wie genau, das ist letzten Endes doch egal, nicht wahr?“ „Eben.“ Der Seewolf nahm den Messingkieker, durch den er angestrengt spähte, etwas weiter nach rechts und konnte nun die Konturen eines zweiten Schiffes erkennen, das noch etwas weiter hinter der nördlichen Kimm lag als das erste. „Wichtig ist etwas ganz anderes, nämlich, um wie viele Segler es sich handelt. Von diesem hier kann ich nur den Mast, die beiden Segel und ganz knapp den oberen Rand der Bordwand sehen, aber er scheint mir nicht größer als der andere zu sein.“ Bill, der mit seinem Spektiv ebenfalls
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Ausschau hielt, sagte: „Das kann ich nur bestätigen, Sir. Aber wo steckt der dritte?“ Hasard zog den Kieker noch eine Idee weiter nach rechts und forschte den Horizont gründlich ab, vermochte aber kein anderes Schiff zu entdeckten. Er bewegte die Optik wieder nach links und fing noch einmal die dunklen Schattenrisse der beiden Einmaster ein. Danach schwenkte er das Rohr noch ein Stück nach links, konnte aber wieder nichts anderes erkennen als die glitzernde Einöde der See. „Nichts, Bill“, sagte er. „Keine Spur von einem dritten Kahn.“ „Ich bin aber ganz sicher, vorhin, als ich meine Meldung erstattete, drei Mastspitzen gesehen zu haben.“ „Das bezweifle ich auch nicht.“ „Sie meinen also, daß die drei in Dwarslinie segeln, wobei der letzte so weit nördlich querab des zweiten läuft, daß seine Mastspitze für uns jetzt ganz hinter der Kimm verschwindet?“ Hasard ließ den Kieker sinken und blickte seinen Moses an. „Ich halte es für sehr wahrscheinlich. Und wer immer sich an Bord dieser Schiffe befindet, er beobachtet uns.“ „Glauben Sie, daß er näher heransegeln wird?“ fragte Bill. Seine Züge verhärteten sich. Deutlich war ihnen abzulesen, wie der junge Mann sich eine Begegnung mit den fremden Seglern vorstellte - alles andere als freundschaftlich-herzlich. Hasard lächelte ein wenig, wurde aber gleich wieder ernst. Er schob seinen Kieker zusammen und steckte ihn weg. „Wenn der Anführer dieses kleinen Verbandes etwas gegen uns plant und sich wirklich an uns heranwagt, dann wird er das nach Einbruch der Dunkelheit tun. Halt die Augen offen, Bill, und melde mir sofort jede neue Bewegung, die er vornimmt.“ „Aye, Sir.“ Bill nahm das Spektiv nur kurz herunter, um seinem Kapitän zuzunicken, dann hob er es wieder vors Auge und blickte hindurch. Hasard richtete sich auf der Plattform des Großmarses auf. Vor einer halben Stunde, als Bill die Mastspitzen an der Kimm zum erstenmal gesichtet hatte, hatte er sich hier
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heraufbegeben, um sich selbst ein Bild von dem oder den fremden Schiffen zu verschaffen. Kurze Zeit später, nachdem die Masten zunächst wieder verschwunden waren, waren allmählich zunächst der eine und dann der andere Einmaster aufgetaucht und hatten ihm und den anderen Männern der „Isabella VIII.“ erneut ein Rätsel aufgegeben. Das Großmarssegel bauschte sich neben dem Großmars und knatterte ein wenig in dem Wind, der aus Norden blies. Hasard hatte hart anbrassen lassen und segelte sein Schiff hoch am Wind auf Kurs Westnordwest, also über Backbordbug liegend. Vom Großmars aus konnte man folglich zwar nach Norden Ausschau halten, hatte das Großmarssegel aber im Rücken, so daß von hier aus nicht einmal der Vormars zu sehen war. Hasard kletterte über die Segeltuchumrandung und enterte in den Luvhauptwanten ab, bis er unter dem Großmarssegel-Unterliek hindurch zu Gary Andrews hinüberblicken konnte, der als Fockmastgast in den Vormars aufgeentert war. Er winkte ihm zu und gab ihm ein Zeichen, auf dem Posten zu bleiben. Gary zeigte klar, dann hob auch er wieder den Kieker an und beobachtete, was an der nördlichen Kimm vorging. Der Seewolf enterte bis auf die Kuhl ab, trat zu Ed Carberry, den beiden O’Flynns, Blacky, Smoky, Luke Morgan und all den anderen, die ihn fragend ansahen, und erklärte: „Der Teufel soll mich holen, wenn das keine Piraten sind.“ fügte hinzu, was Bill und er im einzelnen erspäht hatten. „Nußschalen!“ stieß der Profos verächtlich aus. „Wenn die Kerle in diesen lächerlichen Kübelchen sich wirklich erdreisten, es mit uns aufzunehmen, machen wir nicht viel Federlesens mit ihnen. Denen heizen wir ein, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.“ „Langsam, langsam, Ed“, sagte Hasard. „So klein ihre Schiffe auch sind, man soll sie nicht unterschätzen. Du weißt doch selbst genau, was für hartnäckige Gegner
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Seeräuber sein können, die sich mit Pinassen, Schaluppen oder winzigen Küstenseglern an Galeonen heranpirschen.“ „Schon, aber es sind doch nur drei“, brummte der Narbenmann. „Wer sagt dir das?“ ließ sich jetzt Old Donegal Daniel O’Flynn vernehmen. „Zur Zeit sind ohnehin nur zwei von den verteufelten Kähnen zu sehen, der dritte scheint verschwunden zu sein. Doch ist er da, Bill hat ihn vorhin gesehen, und der Junge hat. keinen Schlick auf den Augen. Also: Wie viele von diesen Seglern können sich noch hinter der Kimm versteckt halten? Drei, vier, fünf, ein halbes Dutzend oder noch mehr, was, wie?“ „Du sollst mich nicht nachäffen, Donegal“, sagte der Profos drohend. Der Seewolf hob die rechte Hand. „Schluß der Debatte! Wir treffen unsere Vorbereitungen und gehen Klarschiff zum Gefecht!“ „Aye, Sir“, sagten die Männer. „Im übrigen halten wir unseren Kurs und warten die Entwicklung der Dinge ab. Bill und Gary werden uns jede Bewegung des mutmaßlichen Gegners melden.“ Hasard drehte sich mit diesen Worten um und schritt zum Achterdeck. Er enterte auf und setzte auch Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker sowie Pete Ballie, der sich aus dem Ruderhaus hervorbeugte, auseinander, was es mit den Einmastern auf sich hatte. Carberry brüllte unterdessen auf der Kuhl seine Befehle. Es waren die üblichen Worte, gewürzt mit den deftigsten Flüchen und Beleidigungen, die typische Bordmusik, die auf der „Isabella“ erklang, wenn ein Manöver durchgeführt oder zum Gefecht gerüstet wurde. Die Männer hatten sich daran gewöhnt und - so absurd es klang - es hätte ihnen sogar etwas gefehlt, wenn der Profos sie nicht in den lautesten Tönen als Rübenschweine, triefäugige Kanalratten und plattfüßige Kakerlaken bezeichnet hätte. Er war ihnen eben so richtig ans Herz gewachsen.
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Die Männer öffneten also die Stückpforten und rannten die Culverinen aus. Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs, streuten auf der Kuhl Sand aus, um den Geschützführern im eventuellen Kampf einen sicheren Stand zu gewährleisten. Der Kutscher füllte Pützen und Kübel mit Seewasser, die er zum Befeuchten der Wischer und Bürsten bereitstellte. Alles lief mit traumhafter Schnelle und größter Präzision ab, jeder Handgriff saß. „Ich glaube nicht, daß die Kerle an Bord der Einmaster uns von Siam aus gefolgt sind“, sagte Ben Brighton, der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“. „Wäre dem so, hätten wir sie schon früher bemerkt. Nein, sie müssen uns ganz zufällig entdeckt haben.“ „Und von jetzt an sitzen sie uns am Hals“, schlußfolgerte Big Old Shane. „Schnell sind ihre Kähne bestimmt, wendig auch. Wir können ihnen nicht davonsegeln.“ „Das wollen wir doch auch nicht, oder?“ warf Ferris Tucker ein. „He, Hasard, wir kneifen doch wohl nicht vor diesen Himmelhunden, wie?“ „Nein. Aber wir schlagen uns nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt.“ „Es wird sich nicht vermeiden lassen“, sagte der rothaarige Riese. „Vielleicht sind es birmanische Piraten, wer weiß. Vielleicht sind sie auch aus dem Golf von Bengalen heruntergesegelt. Oder ihr Schlupfwinkel liegt- drüben in Malakka. Egal. Sicher ist, daß sie sich eine fette Beute erhoffen und annehmen, sie in uns gefunden zu haben. Blutrünstig, wie sie sind, werden sie mit allen Waffen, die sie haben, über uns herfallen.“ „Vielleicht kennen sie den ,Tiger von Malakka`!“ rief Pete aus dem Ruderhaus herüber. „Wenn wir Sotoro ihnen gegenüber erwähnen, sobald sie auf Rufweite heran sind, werden sie vielleicht friedlich!“ „Kinderkram“, erwiderte Ferris in der gleichen Lautstärke. „Daran glaubst du doch wohl selber nicht, Pete!“ „Himmel, darf man hier jetzt gar nichts mehr sagen?“ rief der Rudergänger erbost.
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„Sicher darf man das“, entgegnete Shane. „Und du, Ferris, solltest nicht so eine dicke Lippe riskieren. Du tust so, als könntest du gar nicht abwarten, mit Freibeutern herumzuholzen. Hast du Airdikit auf Sumatra schon vergessen?“ Ferris’ Miene verdunkelte sich. „Es war nicht meine Schuld, daß die Dons mir eine Kugel verpaßten. Außerdem war das Ding nur ein kleiner Kratzer.“ „Na, na“, sagte Shane. Hasard ergriff wieder das Wort. „Shane hat recht, wir sollten nicht zu sehr auftrumpfen, Ferris. Denk an Yao-Yai, unser letztes Abenteuer mit den achtundzwanzig spanischen Galeonen auch das hätte ins Auge gehen können. Ich will damit sagen, wir haben schon eine gehörige Portion Glück gehabt, daß wir dem Gefecht heil entronnen sind. Und ich will das Risiko für uns so gering wie möglich halten. Anders ausgedrückt, ich wäre ziemlich froh darüber, wenn wir ohne große Reibereien in den Indischen Ozean hinübergelangen könnten.“ „Na ja“, meinte Ferris Tucker jetzt einlenkend. „Dagegen hätte ich natürlich auch nichts einzuwenden.“ Hasard grinste. „Dann sind wir uns ja einig.“ „Sir!“ rief Bill hoch über ihren Köpfen. „Jetzt verschwinden die Einmaster wieder hinter der Kimm. Sie haben angeluvt und segeln Kurs Nordwesten!“ „Die wollen uns an der Nase herumführen“, sagte Ben Brighton. „Aber vielleicht haben wir ja die besseren Nerven“, meinte Ferris Tucker. „Zumindest genauso gute wie sie”, sagte der Seewolf. „Das werden wir ihnen beweisen. Wir halten unseren Kurs und zeigen uns von unserer sturen Seite.“ 2. Am Nachmittag, kurz nach dem Beginn der Abendwache um vier Uhr, erwachte der Erste Offizier Juan de Rivadeneira für kurze Zeit aus seiner Ohnmacht. Don Gaspar setzte sich zu ihm ans Krankenlager in einer der Kammern des
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Achterkastells, doch er vermochte kein einziges Wort mit dem Mann zu wechseln, da dieser nur Unzusammenhängendes stammelte und die Anwesenheit seines Kapitäns überhaupt nicht wahrzunehmen schien. José Tragante, der Feldscher, legte de Rivadeneira in regelmäßigen Zeitabständen kalte Umschläge auf die Stirn, die er aus in Streifen geschnittenem und in Wasser getauchtem Leinentuch angefertigt hatte. De Rivadeneira schwadronierte noch eine Weile, dann fiel er wieder in tiefe Bewußtlosigkeit. Tragante blickte den Kapitän an. „Er hat hohes Fieber. Ich habe ihm einen Pflanzenextrakt zu trinken gegeben, der die Temperatur senken soll, aber er hat alles wieder ausgespuckt.“ „Muß er sterben, Tragante?“ „Bislang ist noch keiner der Männer ums Leben gekommen, Senor.“ „Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ „Senor, falls es sich wirklich um Cholera oder Ruhr handelt, dann gibt es für keinen der Kranken eine Rettung, das wissen auch Sie“, sagte der Feldscher so ruhig wie möglich. „Ja. Wie nun, wenn es eine schlimme Art von tropischem Fieber ist?“ „Mit Brechdurchfällen, Senor?“ „Nehmen wir einmal an, es handle sich um eine uns unbekannte Krankheit.“ „Gut. Auch dann sind die Aussichten auf eine Gesundung dieser Männer äußerst gering. Auch an Fieber kann man sterben. Es kann einen um den Verstand bringen und langsam zu Tode quälen.“ „Mit anderen Worten, sowohl de Rivadeneira, Victor de Andrade, Herra de Canduela und Diego de Fajardo als auch die vier einfachen Decksleute sind zum Tod verurteilt?“ „Mit größter Wahrscheinlichkeit“, sagte Tragante. „Mein Gott.“ Don Gaspar Nunez de Arce warf noch einen erschütterten Blick auf die reglose Gestalt seines Ersten, dann erhob er sich. „Himmlische Dreieinigkeit, Santa Trinidad, hab’ Erbarmen mit diesen bedauernswerten Geschöpfen, die nichts
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Unrechtes getan haben und der göttlichen Gnade bedürfen.“ Er fügte noch ein paar flehende Worte hinzu, brach dann ab, verließ den Raum und schickte sich an, zu de Andrade, dem Bootsmann, und zu de Canduela, dem Zweiten Steuermann, zu gehen, die ebenfalls in Kammern des Achterdecks lagen. Nie hatte Don Gaspar, der im Grunde seines Herzens kein besonders gläubiger Christ war, gesteigerten Wert auf die Mitnahme eines Kaplans an Bord eines Segelschiffes gelegt. Jetzt aber wünschte er sich einen Geistlichen herbei, denn in seiner wachsenden Verzweiflung wußte er nicht mehr, an was er sich klammern sollte. Die Heilkunst des Feldsehers mußte vor dieser Art von Krankheit kapitulieren, eine Erlösung konnte nur von den überirdischen Mächten kommen. Don Gaspar bereute es jetzt zutiefst, nie mehr gebetet zu haben und in den Häfen die Heilige Messe in den Kirchen nur besucht zu haben, wenn es unumgänglich gewesen war. Er schämte sich seiner selbst, aber er schimpfte sich vor sich selbst auch einen erbärmlichen Schwächling, der der Lage nicht gewachsen war. Du mußt dich selbst besiegen, hämmerte er sich immer wieder ein, du mußt es schaffen! Das Schott des Achterkastells schwang auf, als er sich noch im Gang befand und gerade die Tür zu de Andrades Kammer öffnen wollte. Don Gaspar blickte nach links, erkannte die breite Gestalt seines Profos’ in der Öffnung des Schotts und verlieh sich einen inneren Ruck. „Senor“, sagte Pedro Gavena. „Eben gerade ist dem Decksmann Pascual schlecht geworden. Ich habe ihn in eine der Kojen im Logis verfrachtet.“ „Der neunte Fall“, sagte der Kapitän. „Und wieder sind es genau die gleichen Anzeichen?“ „Ja, Senor.“ Don Gaspar trat auf ihn zu. „Ich will selbst sehen, wie es um diese armen Teufel bestellt ist, Profos. Gehen wir zusammen ins Mannschaftslogis.“
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„Ins Logis, Senor?“ wiederholte Gavena verwundert. „Ja, Sie haben mich schon richtig verstanden. Gehen wir.“ Der Profos verkniff sich ein Achselzucken. Er ließ den Kapitän an sich vorbei und folgte ihm dann in zwei Schritten Abstand auf das Hauptdeck hinaus, an der Nagelbank, am Großmast und an der Gräting vorbei in Richtung auf das Vordecksschott. Gavena hielt es nicht für richtig, daß Don Gaspar höchstpersönlich die Mannschaftsunterkunft aufsuchte. Nicht etwa, weil es dort irgendwelche Unregelmäßigkeiten gab, die dem Mann sofort auffallen mußten — alles war aufgeräumt und sauber und befand sich in mustergültigem Zustand, dafür sorgte der Profos. Nein, Gavena war vielmehr der Ansicht, daß es unter der Würde eines Schiffsführers war, das Vordeck zu betreten. Wie es den einfachen Dienstgraden an Bord eines spanischen Kauffahrers versagt war, das Achterdeck zu entern, so sollte auch ein Kapitän niemals bis in das Logis vordringen, fand der Profos, denn dies war ein Zugeständnis, durch das er die eigene Autorität untergrub. Don Gaspar Nunez de Arce hatte dieses Gebot der Borddisziplin bislang in aller Strenge gewahrt, aber jetzt sah er die Dinge in einem anderen Licht. Ihm selbst verlieh der Besuch im Vordeck alles andere als einen inneren Auftrieb, aber vielleicht würde ihn die direkte Konfrontation mit dem Übel doch irgendwie aufrütteln. Das Wichtigste aber schien ihm die Hoffnung zu sein, die die Kranken vielleicht schöpften, wenn er sich direkt an ihre Kojen begab und zeigte, daß er keine Furcht vor dem schrecklichen, rätselhaften Leiden verspürte, wenn er ihnen aufmunternd zuredete und ihnen zusicherte, daß doch noch alles gut werden würde. Was an Bord der „Vadavia“ seinen Lauf nahm, glich einem Ausnahmezustand, und
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Don Gaspar hatte den Entschluß gefaßt, seinen Männern gegenüber Menschlichkeit walten zu lassen — vor allen Dingen Menschlichkeit. Er hatte eine gute Mannschaft, vielleicht die beste, die je unter seinem Kommando gefahren war. Gerade deshalb setzte es ihm besonders hart zu, daß ein Teil von dem gräßlichen Leiden befallen worden war. Don Gaspar öffnete das Vordecksschott, tauchte in dem Halbdunkel des anschließenden Ganges unter und näherte sich mit entschlossenen Schritten dem Logis. Ein unangenehmer Geruch schlug ihm entgegen, vermochte ihn aber nicht aufzuhalten. Jose Tragante hatte alles getan, um in den engen Räumen des Vorschiffs für Lüftung zu sorgen, doch den Hauch der Krankheit konnte auch er nicht von der „Vadavia“ verbannen. Don Gaspar bekräftigte sich selbst in der Überzeugung, daß eine wirkungsvolle Quarantäne an Bord der Galeone nicht durchzuführen war. Unter dem Türpfosten des Logis’ blieb er stehen und ließ seinen Blick schweifen. Er betrachtete jede einzelne Koje und konnte jetzt, da seine Augen sich zunehmend an die Dunkelheit gewöhnten, die Gestalten der Männer darin erkennen. Ganz vorn lag Diego de Fajardo, der Schiffszimmermann. Don Gaspar verspürte bei seinem jammervollen Anblick tiefste Betroffenheit. Weiter im Hintergrund sah der Kapitän die Decksleute Antonio, Aurel, Solis und Luis und auch Pascual, den man soeben hereingebracht hatte. Zwei Männer der Freiwache kümmerten sich um die Kameraden und legten ihnen immer wieder nasse Lappen auf, wie der Feldscher es ihnen aufgetragen hatte. Don Gaspar schritt langsam durch den Raum. Die Planken knarrten unter seinen Stiefeln. Die Männer der Freiwache blickten verdutzt zu ihm auf, aber sie stellten keine Fragen und sprachen kein Wort. Der Profos verharrte in der Tür. Rasch hatte Don Gaspar festgestellt, daß der Decksmann Pascual der einzige war,
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der noch nicht in tiefen Fieberträumen lag oder bewußtlos geworden war. Deshalb setzte er sich auf den Rand seiner Koje und fragte ihn: „Pascual, kannst du mich hören und sehen?“ „Si, Senor.“ „Hast du Schmerzen?“ „Keine, Senor Capitan, aber - aber ich darf nicht mit Ihnen reden, weil es - untersagt ist.“ Don Gaspar schüttelte den Kopf. „Vergiß es. Ich will, daß du dich mit mir unterhältst. Ich will, daß ihr alle wißt, wie sehr ich um euch besorgt bin. Das ist ein dienstlicher Befehl. Was quält dich, Pascual?“ „Die Übelkeit - und die Schwäche. Mal ist mir heiß, daß ich glaube, ich brenne, und mal so kalt, daß ich denke, jetzt erfrierst du.“ „Das ist das Fieber, Pascual. Aber so sehr es dir auch zusetzt, es wird wieder vergehen.“ „Danke, Senor“, sagte Pascual mühsam. „Wenn Sie das sagen, glaube ich es.“ „Senor Capitan“, sagte der Profos verhalten hinter Don Gaspars Rücken. „Darf ich mir eine Bemerkung erlauben? Es hat doch keinen Zweck, daß Sie ...“ „Nein, dürfen Sie nicht“, unterbrach der Kapitän ihn schroff. Dann wandte er sich wieder dem kranken Mann zu. „Es wird alles wieder gut werden, denn es kann keine schlimme Krankheit sein, verstehst du?“ „Ja, aber - aber Sie werden sich hier anstecken, Senor.“ „Ich kann mich auch im Achterdeck schon angesteckt haben, denn dort liegen ebenfalls drei Patienten: der Erste Offizier, der Bootsmann und der Zweite Steuermann“, sagte de Arce ruhig. „Darum brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu bereiten, Pascual. Ich habe auch keine Angst vor dieser Krankheit, weil ich weiß, daß sie wieder abklingt, ohne Spuren zu hinterlassen.“ „Ich bin froh darüber, Senor Capitan.“ Don Gaspar blickte dem kranken Mann in die Augen und nickte ihm lächelnd zu. Wenn Pascual ihn gefragt hätte, wie er in
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seiner Vorhersage so sicher sein könne und ob er denn überhaupt wisse, um welche Krankheit es sich handele, hätte er keine Antwort darauf gewußt. Er war froh, daß dem armen Teufel keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Darstellung der Dinge aufstiegen. Und wenn es hundertmal eine Lüge war Don Gaspar wußte, daß seine Worte den Widerstandsgeist in diesem Mann stärken würden. Wenn ein Mann kämpfte und sich nicht selbst aufgab, hatte er größere Chancen, doch noch zu überleben. „Pascual“, sagte Don Gaspar langsam. „Was würdest du davon halten, wenn ich dich und die anderen vorläufig an Land absetzen würde - mit einigen Betreuern und dem nötigen Proviant?“ „An Land?“ Pascual keuchte, griff sich an den Kopf und bäumte sich unter der Hitze und den Krämpfen auf, die seinen Leib schüttelten. Der Profos brachte einen kalten Umschlag, und Don Gaspar selbst legte ihn dem Kranken auf die Stirn, nachdem er das Tuch weggenommen hatte, das sich auf dem Gesicht des Mannes erwärmt hatte. „An Land“, wiederholte Pascual. „Das wäre eine gute Idee, und die anderen wären vor der - Ansteckung bewahrt, nicht wahr? Die ,Vadavia` könnte bis nach Manila segeln und wieder zurück ...“ An dieser Stelle brach er ab und wurde ohnmächtig. Don Gaspar wandte den Kopf und blickte zu den anderen Männern, vorbei an dem Profos, der ihn nur verständnislos ansah. Der Decksmann Aurel war soeben zu sich gekommen. Da er nicht schwadronierte, sondern bei klarem Bewußtsein zu sein schien, stand Don Gaspar von der Koje Pascuals auf und ging zu dem Mann hinüber, um ihm die gleiche Frage zu stellen. * Als die Dämmerung über die See kroch und die „Vadavia“ mit ihren Schleiern gefangen setzte, ertönte aus dem Vormars
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der Ruf des Ausgucks: „Deck ho, Backbord voraus! Land in Sicht!“ Die Männer der Deckswache hoben die Köpfe und spähten voraus, aber sie vermochten in dem bleigrauen, verklingenden Büchsenlicht nichts zu erkennen, das wie ein Streifen Küste über die Kimm hinauswuchs. Don Gaspar, der inzwischen wieder das Achterdeck betreten hatte, stellte sich mit dem Spektiv bewaffnet an die Schmuckbalustrade und richtete seinen Blick durch die Optik nach vorn. Bald sichtete er wie einen Schemen den schmalen schwärzlichen Streifen an der östlichen Kimm und gab den Befehl, Kurs auf die Erscheinung zu nehmen. „Kurs Osten liegt an!“ meldete ihm kurz darauf Ruben Dario, der Zweite Offizier, der inzwischen die Aufgaben von de Rivadeneira und de Andrade mit zu versehen hatte. Eine halbe Stunde später war die Insel im letzten ersterbenden Licht des Tages vor der „Vadavia“ zu erkennen. Daß es eine Insel und kein Festland war, stand außer Zweifel, denn auf dieser Position zwischen Indien und Malakka gab es keine Kontinentalmasse. Die Sonne zeigte den letzten Rest ihrer roten Scheibe über dem westlichen Horizont, dann verschwand auch dieser von einem Augenblick auf den anderen, wie es in den Tropen üblich war. Die Nacht senkte sich auf das Schiff und die See. Don Gaspar drehte sich im Dunkeln zu Ruben Dario und zu Bernardo Altez, seinem Ersten Steuermann, um. Er konnte die beiden und die Gestalt des Rudergängers gerade noch erkennen. „Senores, wir segeln dicht unter Land, geien die Segel auf und gehen vor Anker. Es hat keinen Zweck, die Insel während der Nacht erkunden zu wollen. Wir warten das Morgengrauen ab, segeln einmal um die Insel herum, um festzustellen, wie groß sie ist und welche Beschaffenheit sie hat, setzen dann mit einem Trupp von Männern über und erforschen ihr Inneres.“ „Jawohl, Senor Capitan“, antworteten sie.
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Pedro Gavena, der Profos, stand zu diesem Zeitpunkt an der Nagelbank hinter dem Großmast und konnte deutlich verstehen, welche Anweisungen sein Kapitän erließ. Ja, dachte er, gut so, und hoffen wir, daß die Insel menschenleer ist, damit wir die Kranken dort zurücklassen können. Damit der Kapitän sein angekratztes Selbstvertrauen bald wiedergewinnt und den Don Gaspar herauskehrt, den wir von ihm gewohnt sind. Er mußte sich plötzlich an der Nagelbank festhalten. Eine heiße Welle schoß durch seinen Körper und fuhr ihm bis in die Knie. Er begann zu zittern und spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat und an seinem Gesicht niederrann. 3. Während der Nachmittagsstunden war nur noch einmal eine Mastspitze an der nördlichen Kimm erschienen, und dies auch nur für kurze Zeit. Nach wenigen Minuten war sie wieder verschwunden, wie Bill und Gary übereinstimmend gemeldet hatten. Jetzt, beim Anbruch der Dunkelheit, versammelte Hasard seine wichtigsten Männer in der Kapitänskammer und sagte: „Natürlich ist das Ganze eine Verschleierungstaktik. Es soll der Eindruck entstehen, daß der Verband von Einmastern sich mehr und mehr nach Norden entfernt und keinerlei Interesse an uns hat.“ „Hol’s der Henker!“ stieß Ben Brighton aus. „Für wie dumm halten uns diese Kerle eigentlich?“ „Für total beschränkt“, sagte der Profos. „Aber die werden sich noch wundern. Wenn wir heute nacht Feindberührung kriegen, veranstalten wir einen Feuerzauber, den die Hundesöhne ihr Leben lang nicht wieder vergessen. Was, Sir?“ Hasard erwiderte: „Ich habe den Befehl gegeben, weder die Hecklaternen noch irgendein anderes Licht an Bord anzünden zu lassen. Die Deckswache wird die Augen aufhalten und höllisch auf der Hut sein.
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Wenn die Nacht klar bleibt und das Wetter nicht umschlägt, müßten wir es rechtzeitig bemerkten, falls der Gegner sich anschleicht, ganz gleich, von welcher Seite er auftaucht.“ „Ja“, sagte Big Old Shane. „Und wir halten uns jederzeit klar zum Gefecht.“ „Das ist doch selbstverständlich“, meinte der alte O’Flynn und handelte sich wieder mal einen wilden, drohenden Blick von dem ehemaligen Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle ein. Der Seewolf öffnete seinen Kartenschrank und entnahm ihm einen der „Roteiros“, der Seekarten der Spanier, die er seinerzeit bei einem seiner Raids erbeutet hatte. Er trat damit an sein Pult, rollte das große Stück Pergament auf der Platte auseinander und bedeutete seinen Männern, näher zu treten. Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker, der Profos, Old O’Flynn, Dan O’Flynn und Smoky, der Decksälteste, umringten das Pult und beugten sich über die Karte. Hasard hatte die Bleiglasfenster seiner Kammer durch Vorhänge verdunkelt. Im Schein der Öllampe, die er angezündet und an den Haken eines Deckenbalkens gehängt hatte, konnten die Männer die Zeichnung der Karte klar erkennen. Mit dem Ladestock einer Pistole deutete der Seewolf auf die eigentümlich bizarr geformten Zeichnungen im Mittelpunkt der Karte. Sie bildeten einen zerfaserten Streifen, der von Norden nach Süden verlief und von einigen wenigen kleineren, verloren wirkenden Flecken im Westen und im Osten umlagert war. „Das sind die Andamanen“, erklärte Hasard. „Sie liegen in einem Seegebiet, das im Norden von dem Golf von Bengalen und Burma begrenzt wird, im Osten von Siam und Malakka, im Süden von der nördlichen Spitze Sumatras und im Westen von der Insel Ceylon. Westlich des Archipels öffnet sich der Indische Ozean. Unser Kurs führt mitten durch die Andamenen hindurch. Wir befinden uns nach meinen Berechnungen zur Zeit hier.“
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Er wies auf einen Punkt, der südwestlich der als „Süd-Andaman“ bezeichneten Insel lag. „Donnerwetter“, - sagte Dan O’Flynn. „Wenn ich die Entfernungen richtig bemesse, müßten wir - über den Daumen gepeilt - morgen früh Süd-Andaman erreicht haben.“ „Damit rechne ich fest“, meinte Hasard. „Vorausgesetzt natürlich, der Wind schläft nicht ein.“ Der Profos senkte seinen kantigen Schädel so weit auf das Pult, daß seine Nasenspitze fast die Karte berührte. „Teufel auch, in dieser Ecke Welt sind wir noch nie gewesen. Wie viele Inseln sind denn das? Hundert? Zweihundert?“ „Ich habe ein halbes Dutzend großer und mehr als zwei Dutzend kleinerer Insel gezählt“, entgegnete der Seewolf, „nehme aber fest an, daß es in Wirklichkeit fünfzig oder noch mehr sind.“ „Leben dort Menschen?“ wollte Ferris Tucker wissen. Hasard antwortete: „Aus meinen Aufzeichnungen, die ich durchgeblättert habe, geht wenig hervor. Es heißt aber, daß spanische und portugiesische Seefahrer dort kleine, dunkelhäutige Männer und Frauen gesichtet haben.“ Carberry hob den Blick und sah zuerst Ferris und dann den Seewolf an. „Wie denn? Was denn? Etwa Pygmäen?“ „Quatsch“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann. „Die Pygmäen leben in Afrika.“ „Das weiß ich auch, du Stint.“ „Warum fragst du dann?“ „Die Pygmäen könnten von Afrika ‘rübergekommen sein, in Booten oder Schiffen, meine ich. Dann haben sie sich hier niedergelassen und angesiedelt“, sagte der Narbenmann. „Vor hundert oder tausend Jahren oder weiß der Himmel wann.“ „Die Pygmäen sind aber kein seefahrendes Volk, soweit mir bekannt ist“, wandte Dan O’Flynn ein. „Ja, genau“, pflichtete Ferris Tucker ihm sofort bei.
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Carberry stemmte beide Fäuste in die Hüften und sah die beiden drohend über das Kapitänspult hinweg an. „Ich will euch mal was sagen, ihr beiden Holzköpfe. Wenn ihr schon alles so genau wißt und große Sprüche klopft, dann müßte es euch ja wohl auch bekannt sein, wie die Zwerge von diesen elenden Andamanen-Inseln der Teufel soll sie holen - mit richtigem Namen heißen. Und wenn ihr’s nicht wißt, dann haltet ihr am besten eure Luke. Also?“ „Keine Ahnung“, erwiderte Dan und grinste. Ferris sagte: „Nun, es ist doch wohl anzunehmen, daß sie Verwandte der Bengalen sind oder so.“ „Oder so“, ahmte der Profos ihn verächtlich nach. „Glauben ist nicht wissen, Mister Tucker.“ „Sie werden Negritos genannt“, sagte der Seewolf. „Ihre Hautfarbe ist fast schwarz und da endet meine Weisheit auch schon, denn viel scheint über diese Eingeborenen nicht bekannt zu sein, oder aber es besteht eine Lücke in meinen Schriften, die aufzufüllen wäre.“ „Negritos“, wiederholte Carberry. „Also doch, ich hab’s ja gleich gesagt. Pygmäen oder nicht, es sind auf jeden Fall Neger.“ „Da würde ich nicht so sicher sein“, sagte Hasard. „Ich bin zwar kein Gelehrter, aber ich kann mir vorstellen, daß diese Menschen mit den Schwarzen in Afrika nichts gemeinsam haben außer eben ihrer dunklen Farbe.“ „Eine Untersuchung würde sich lohnen“, meinte Ben Brighton. „Vielleicht würden wir Erstaunliches und Überraschendes über diese Leute herausfinden, wenn wir sie besuchen.“ Carberry schnappte nach Luft, dann rief er: „Soll das etwa heißen, daß wir auf den Inseln landen? Mann, ich werd’ verrückt! Ich laufe lieber auf Grund, als daß ich mich von diesen Menschenfressern in eine Falle locken und mir den Kopf abschlagen lasse!“ „Nicht so laut, Ed“, sagte der Seewolf. „Wir sind doch nicht taub.“ „Ja, Sir. Äh - Verzeihung.“
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„Erstens habe ich nicht vor, auf den Andamenen Station zu machen, zweitens ist aber auch nicht gesagt, daß die Negritos Kannibalen und Kopfjäger sind.“ „Eben“, sagte Old O’Flynn gedehnt. „Aber unser Profos sieht ja überall nackte Wilde, die mit Keulen um sich hauen, einen bei lebendigem Leib verspeisen oder einem den Schädel vom Rumpf reißen.“ Er verzog spöttisch die Lippen. „Und du?“ fuhr der Narbenmann ihn aufgebracht an. „Was siehst du? Gespenster und Kobolde, Wassermänner und Seeschlangen! Halt bloß die Luft an, Mister O’Flynn, du alter Schwarzseher!“ „Ich muß doch sehr bitten“, sagte der Seewolf, und diesmal klang seine Stimme etwas schärfer. „Wir sind nicht hier, um zu erörtern, was die Negritos alles sein könnten und was nicht. Das führt zu nichts. Noch einmal, ich habe nicht vor, die Andamanen näher zu erforschen, weil ich mir nicht allzu viel davon verspreche. Ich habe wohl auch schon gesagt, daß mir sehr daran gelegen ist, den Indischen Ozean so schnell wie möglich zu erreichen. Trinkwasser und Proviant haben wir auch noch genug an Bord, folglich segeln wir an Süd-Andaman vorbei und nehmen Kurs auf Ceylon, das für uns die nächste Orientierungsmarke darstellen wird.“ „Aye, Sir“, murmelten die Männer. „Ed, du solltest deine Vorurteile gegenüber Eingeborenen ein wenig abbauen, es würde nichts schaden.“ „Jawohl, Sir“, sagte der Profos mit betretener Miene. „Wir sind vielen angriffslustigen Wilden begegnet, aber es gibt auch friedfertige Völker, das dürfen wir nicht vergessen“, sagte der Seewolf. „Ich betone das, weil ich möchte, daß ihr euch immer eins vor Augen haltet: Wir sollten nie in den Fehler verfallen, den vor uns die meisten Korsaren und Entdecker begangen haben, nämlich die Bewohner fremder Länder von vornherein für heimtückische, minderwertige Kreaturen zu halten.“ „Sir, das tue ich auch nicht“, verteidigte Carberry sich jetzt. „Ich meine nur, wir sollten vorsichtig sein. Aus Erfahrung wird
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man ja klug. In China sollte ich ersäuft werden, auf Seribu auch, und wenn ich daran denke, was mir und den anderen sonst noch alles zugestoßen ist, besonders bei unseren Insel-Abenteuern, dann muß ich mich fast wundern, daß wir nicht längst alle Mann krepiert sind. Ich würde Old England ganz gern noch mal wiedersehen, aber wenn das nicht drin ist, gehe ich lieber bei einem zünftigen Seegefecht vor die Hunde als im Kochtopf von hungrigen Wilden - äh, Eingeborenen zu landen.“ Die Männer lachten. Hasard sagte: „Schon gut, Ed. Du bist eben unverbesserlich.“ „Aber laß dir versichert sein, daß wir gerade in dem Punkt, den du zuletzt angeschnitten hast, genauso denken wie du“, sagte Ben Brighton. „Danke, Sir, ich bin also noch ganz der alte Carberry.“ Der Profos sah seinen Kapitän an und lächelte, was sein Gesicht so lieblich verwandelte, daß der Anblick Uneingeweihten das Grausen beigebracht hätte. Carberry blickte zu Ben und sagte: „Ben, es freut mich, daß du das gesagt hast. Ja, ich bin richtig froh darüber.“ „Na, hoffen wir, daß dieser Zustand des Frohsinns andauert“, sagte Dan O’Flynn grinsend, aber so leise, daß Carberry es nicht verstehen konnte. * Hasard verließ die Kapitänskammer und trat durch den Achterdecksgang auf die Kuhl hinaus, als vier Glasen der ersten Nachtwache verstrichen waren. Er stieg .über den Backbordniedergang auf das Achterdeck und nickte Big Old Shane zu, der gerade das Stundenglas umdrehte, dann enterte er das Quarterdeck und warf einen Blick zu Blacky ins Ruderhaus, der für diese Wache das Ruder übernommen hatte. Er wechselte ein paar Worte mit Blacky und schritt anschließend ganz nach achtern, verharrte an der Heckreling und warf an der großen Eisenlaterne vorbei einen Blick in die klare Nacht.
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Frische Luft hätte er auch auf der Heckgalerie schöpfen können, die durch eine Tür mit der Kapitänskammer verbunden war, aber er zog es vor, dies auf dem erhöhten Teil des Achterdecks zu tun. Er hatte beschlossen, in dieser Nacht nicht zu schlafen, sondern ständig seine Umgebung zu kontrollieren. Von dem Platz aus, an dem er jetzt stand, hatte er den besten Überblick. Das hieß nicht, daß er kein volles Vertrauen zu Dan O’Flynn, der jetzt im Großmars hockte, Batuti, der in den Vormars aufgeentert war, Shane, Blacky und die anderen Männer der Nachtwache hatte. Er wollte ganz einfach nur sofort zur Stelle sein, falls etwas geschah. Daß es noch einen Zwischenfall geben würde, glaubte er mit jedem Nerv zu spüren. Auf Ahnungen gab er zwar nicht viel, aber die Erfahrung hatte ihn im Laufe der Jahre gelehrt, was sich bei Dunkelheit ereignen konnte, wenn tagsüber verdächtige Segler an der Kimm gesichtet worden waren. Hasard senkte seinen Blick etwas und sah das rauschende, leicht schäumende Kielwasser der „Isabella“, das zu einem breiten Fächer auseinanderlief und sich dann in der Nacht verlor. Seine Gedanken wanderten ab zu Sotoro und Yaira, dem „Tiger von Malakka“ und dessen Frau, zu den Vorfällen im südlichen Sumatra und all dem, was er im Schlupfwinkel von Jonny und dessen „glorreicher Crew“ vernommen hatte. Sotoro, der von dem Isthmus von Kra gebürtige Malaie, der Korsar und Draufgänger, der den Spaniern und Portugiesen so empfindlich zugesetzt hatte, war ein vom Schicksal gezeichneter Mann. Seinerzeit hatte er auf Rempang, einer der Inseln vor Malakka, eine richtige Republik mit all seinen Anhängern und Blutsbrüdern eingerichtet, aber von langer Dauer war das Idyll nicht gewesen, denn die Spanier hatten das Versteck entdeckt und angegriffen. Es hatte viele Tote gegeben, nur wenige Schützlinge Sotoros waren mit ihren Prahos entwischt und in alle Winde zerstreut worden. Auch Bulbas, der Tiger,
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war aus seinem Käfig ausgebrochen und im Dschungel verschwunden. Auf der Flucht vor den Spaniern war Sotoro mit Yaira und wenigen Getreuen bis zur Westküste von Java gelangt und hatte sich hier endlich vor seinen Erzfeinden verstecken können. Dann aber war er schwer erkrankt. Wenn nicht Sumatra-Jonny mit der „San Rosario“ aufgetaucht wäre, hätte es wahrscheinlich sein Ende sein können, denn das Fieber, das ihm so schwer zusetzte, sollte sich später als die Schlafkrankheit entpuppen. Ausgerechnet die beiden Maori-Mädchen, die mit an Bord der „San Rosario“ fuhren und eigentlich längst wieder auf Neuseeland hätten sein sollen, hatten ein wirksames Mittel gegen die Schlafkrankheit gekannt und bei Sotoro angewandt. So war der „Tiger“ allmählich genesen, als Jonny und seine Meute den Schlupfwinkel auf Sumatra aufgesucht hatten. Es war Jonnys ausgesprochenes Pech gewesen, daß er von den Spaniern gefangengenommen wurde, als er einem ihrer Schiffe ein wenig Proviant und Trinkwasser abjagen wollte. Mit seiner „glorreichen Zehn“ wurde er nach Airdikit gebracht und dort in Ketten gelegt. Sie mußten schwere Zwangsarbeit verrichten. Hasard hatte ihn aus der Klemme befreit und ihm gleich zu einer Bereicherung seiner Crew um mehr als zwanzig Männer verholfen. Die „San Rosario“ war inzwischen vollständig instand gesetzt und verfügte nun über eine komplette Besatzung. Sotoro und Yaira wollten mit an Bord der „San Rosario“ gehen, sobald der „Tiger“ vollends gesundet war. Dann führte die erste bedeutende Reise bis nach Neuseeland hinunter, wo Jonny die MaoriMädchen zurück zu ihrem Stamm bringen sollte — wie er dem Seewolf hoch und heilig versprochen hatte. Mit diesem feierlichen Gelübde hatte er sich von Hasard verabschiedet, ehe die „Isabella“ nach einer Woche Aufenthalt den Schlupfwinkel auf Sumatra verlassen hatte.
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Jonny war ein ausgesprochener Optimist und Lebenskünstler, der davon überzeugt war, daß das Leben voll von wunderbaren, angenehmen Zufällen war. Sotoro hingegen war in der Tiefe seines Wesens und seiner Seele eher ein Grübler und Zweifler, der an der Grausamkeit und Niederträchtigkeit der Welt zu zerbrechen drohte. So stark und mutig, unbeugsam und willensstark er auch war, er hatte seine großen Schwächen, die er dem Seewolf gegenüber eingestanden hatte. Hasard bedauerte zutiefst, daß Sotoro so wenig Glück gehabt hatte. Gleichzeitig fragte er sich, ob die Ziele des Mannes nicht vielleicht doch zu hoch und weltfremd waren. Was nutzten aller Idealismus und guter Wille, wenn sie am Ende doch wieder mit menschlichem Blut bezahlt werden mußten? Gewiß, auch er, Hasard, hatte seine Prinzipien und Ideale. Aber nie hätte er sich einfallen lassen, aus der SchlangenInsel beispielsweise eine kleine Republik oder ein Königreich bilden zu wollen, eine Domäne aller anständigen und ehrenhaften Korsaren sozusagen, an deren Spitze SiriTong, Jean Ribault und Karl von Hutten, Thorfin Njal und ein gewisser Philip Hasard Killigrew gestanden hätten. Sich zur Ruhe zu setzen und eifersüchtig über sein Paradies zu wachen, das wäre der Anfang vom Ende gewesen. Nein, die Schlangen-Insel würde stets ein Lagerplatz für die gehorteten Schätze bleiben, Unterschlupf und AusweichQuartier allenfalls, mehr aber auch nicht. In diesem Punkt dachte der Seewolf ganz anders als Sotoro. Der Mann von Kra war ein echter Patriot und würde nie von seinen Plänen ablassen. Vielleicht gab es einen Tages eine neue Inselrepublik der Malaien - Hasard hatte nicht versucht, ihn von seinen Hoffnungen und Wünschen abzubringen, er hätte ihn damit nur noch unglücklicher gestimmt. Er, Philip Hasard Killigrew, blieb indes der „Bastard“ und Rebell, der über die Weltmeere segelte und an SpanienPortugals Ruhm und Ehre kratzte, der Mann, der zwar von der königlichen Lissy
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zum Ritter geschlagen worden war und einen Kaperbrief Ihrer Majestät mit sich führte, der sich aber dennoch nicht als ein Vorkämpfer englischer Ansprüche in den neu entdeckten Ländern der Welt empfand, sondern sich in erster Linie auf eigene Rechnung schlug. Aus Überzeugung ergriff er dabei für die Wehrlosen und Armen, für die Verzweifelten und zu Unrecht Mißhandelten Partei, ganz gleich, welcher Herkunft und Rasse sie waren. Er hatte auch schon Spaniern und Portugiesen aus bedrohlichen Situationen geholfen. Sein Sinn für Gerechtigkeit und Fairneß war hochentwickelt, aber er fühlte sich dennoch nicht als Wohltäter der Menschheit. Er war ganz einfach nur ein Seefahrer, der von Kontinent zu Kontinent segelte, und sich mal als Korsar, mal als Entdecker, mal als Abenteurer und Glücksritter betätigte. Dies war seine Rolle, und so würde es auch bleiben, solange er lebte. Eine schwache Wahrnehmung riß ihn aus seinen Gedanken und holte ihn augenblicklich in die Gegenwart zurück. Rasch hob er den Blick, lenkte ihn ein Stück nach Steuerbord und glaubte, nicht weiter als eine halbe Kabellänge entfernt achteraus eine undeutliche Bewegung zu erkennen. Dan O’Flynn, der Ausguck im Großmars, konnte darauf noch nicht aufmerksam geworden sein, weil das Besansegel ihm ausgerechnet in dieser Richtung den Blick versperrte. Batuti, dem schwarzen Herkules aus Gambia, wurde die Aussicht nach achtern durch das Großmarssegel stark eingeschränkt. Hasard kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Hatte er sich getäuscht? Hatte seine Phantasie ihm ein Trugbild vorgegaukelt? Er versuchte, mehr zu erkennen, aber die Nacht war ein schwarzer Vorhang, der auf eine größere Entfernung als schätzungsweise achtzig, neunzig Yards mit dem Blick nicht mehr zu durchdringen war. Dennoch sah er wenig später, daß er sich nicht geirrt hatte. Die Distanz zwischen der „Isabella“ und dem schemenhaften Etwas
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dort draußen schrumpfte etwas zusammen. Deutlicher hoben sich die Konturen jetzt in der Dunkelheit ab, und dafür gab es einen sehr plausiblen Grund: das kleine Schiff, dessen Bugpartie nunmehr klar zu erkennen war, war mit seinem großen Lateinersegel und der kleinen Fock über dem Bugspriet ein ausgezeichneter AmWind-Segler, der sich an Geschwindigkeit nicht nur mit der Galeone messen, sondern sie sogar noch übertrumpfen konnte. Wie die Besatzung des Einmasters es fertiggebracht hatte, die „Isabella“ auch im Dunkeln zu orten und sich an sie heranzupirschen, blieb ein Geheimnis. Fest stand, daß diese Mannschaft aus Schnapphähnen bestand, die ihr Handwerk beherrschten. Fast lautlos schob sich der Einmaster an die „Isabella“ heran, gespenstisch und drohend. Hasard fuhr zu Big Old Shane herum, der sich ihm genähert hatte. „Sie sind da, Shane“, zischte er ihm zu. „Gib das weiter und alarmiere die Freiwache! Die Männer sollen sich leise verhalten, ich will keinen Laut hören. Sag Dan und Batuti, sie sollen so tun, als hätten sie nichts bemerkt. Ich will, daß die Piraten den Eindruck gewinnen, unsere komplette Deckswache schlafe mit offenen Augen.“ Shane konnte sich eines dünnen, grimmigen Grinsens nicht erwehren. „Aye, Sir“, raunte er. Dann drehte er sich um und hastete zu Blacky, dem er durch eine Gebärde zu verstehen gab, was der Seewolf beobachtet hatte, und dann weiter auf die Kuhl hinunter, wo er Luke Morgan, Sam Roskill, Bob Grey und Gary Andrews, die jetzt verblüfft zu ihm herumfuhren, Zeichen gab. Die Männer liefen auseinander und belogen Posten an den Siebzehnpfündern, nur Gary verschwand im Vordeck, um die Männer in den Kojen wachzurütteln und zu alarmieren. Der Seewolf justierte die beiden achteren Drehbassen, die fix und fertig geladen waren, dann bückte er sich und schürte die Holzkohlenglut in dem Kupferbecken auf, das zu seinen Füßen bereitstand. ,
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Die Kohle färbte sich hellrot, knisterte ein wenig und verbreitete schwachen Rauch, der kräuselnd zur Heckreling aufstieg. Ein paar kleine Flammen züngelten hoch. Der Seewolf war bereit zum Schuß. 4. Pedro Gavena, der Profos, sah das Gesicht seines Kapitäns Don Gaspar Nunez de Arce über sich in tosenden Schleiern verschwimmen. Das dämmrige Licht einer Öllampe, die der Feldscher José Tragante entfacht hatte, wurde in Gavenas vom Fieber gepeinigten Geist zu einem infernalischen Feuer, das auf ihn einprasselte, über ihm zusammenschlug und ihn in einen brüllenden Sog alles verschlingender Hitze zerrte. Er stöhnte und wälzte sich auf seinem Lager. Tragante wischte ihm den Schweiß vom Gesicht, legte ihm einen kalten nassen Umschlag auf die Stirn und redete beschwichtigend auf ihn ein. Für kurze Zeit erlangte der Profos der „Vadavia“ sein klares Bewußtsein zurück und richtete an den Kapitän, dessen Gesicht jetzt wieder deutlichere, ruhigere Formen annahm, die Frage: „Jetzt bin auch ich -erledigt, nicht wahr, Senor Capitan?“ Don Gaspar zwang sich zu einem Lächeln. „Mein lieber Gavena, Sie sollten die Sache nicht dramatisieren. Sie sind vorhin ganz einfach umgekippt, und zwar an der Nagelbank des Großmastes.“ „Daran kann ich mich erinnern.“ „Sie kommen schon wieder auf die Beine.“ „Wo bin ich?“ „In einer Kammer des Achterdecks“, sagte der Kapitän. „Senor, bitte, lassen Sie mich ins -ins Logis bringen“, preßte Gavena hervor. während das Fieber und die Übelkeit ihn zu überwältigen drohten. „Dort ist mein Platz ...“ „Kommt gar nicht in Frage“, unterbrach ihn Don Gaspar. „Sie bleiben jetzt hier. Vorn im Logis ist keine Koje mehr frei für Sie, daher denke ich nicht daran, Sie dorthin zu verfrachten.“
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„Ich habe kein Anrecht auf eine Achterdeckskammer“, murmelte der Profos. Der rötliche Glanz in seinen Augen nahm zu, sein Blick huschte hin und her und schien das Antlitz des Kapitäns nicht mehr erfassen zu können. Gavena war ein großer, besonders breitschultrig gebauter Mann mit starken Muskeln und einem fast viereckigen Gesicht, das Willenskraft, Unnachgiebigkeit und Aufrichtigkeit ausdrückte. Kein Mensch hätte damit gerechnet, daß eine Krankheit diesen vor Gesundheit strotzenden Mann umwerfen könne. Jetzt lag er da und schien sich aus eigener Kraft nicht mehr erheben zu können. Don Gaspar, der sich tief über seine Koje gebeugt hatte, versuchte, seinen Blick einzufangen, aber es wollte ihm nicht gelingen. „Und ich habe im Mannschaftslogis nichts verloren, nicht wahr, Gavena?“ sagte er. „Geben Sie’s ruhig zu, für Sie war das so etwas wie ein Sakrileg, als ich mich persönlich mit Pascual, Antonio, Aurel, Solis und Luis befaßte.“ „Ja.“ „Sie sind auch mit dem nicht einverstanden, was ich zu den Männern gesagt habe.“ „Senor ...“ „Das war weder Heuchelei noch Betrug, mein lieber Gavena“, sagte der Kapitän ruhig. „Ich will nur meinen Einfluß auf die armen Teufel voll zur Wirkung bringen, damit sie etwas haben, an dem sie sich zumindest innerlich aufrichten können.“ „Senor Capitan“, flüsterte der kranke Mann. „Ich bin kein Meuterer - und habe kein Recht, gegen Ihre Entscheidungen anzugehen. Meine Pflicht ist es, Ihre Befehle auszuführen.“ „Sehr gut. Dann befehle ich Ihnen, gefälligst nicht an mir zu zweifeln, verstanden, Profos?“ „Si, Senor. Aber mir - mir brauchen Sie nichts vorzugaukeln, um mich aufzumuntern. Ich...“ „Sie glauben, daß Sie sterben müssen?“ „Ja.“
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De Arce spürte, wie ihm der Schweiß über das Gesicht rann, aber er bemühte sich, sich nicht darum zu kümmern. Mißbilligend verzog er den Mund. „Jetzt bedauern Sie sich selbst, Profos. Sie werden nicht krepieren. Ich werde Sie mit den anderen zusammen auf dieser Insel aussetzen, damit Sie in einem angenehm warmen Klima, von der Sonne beschienen und von den Früchten des Dschungels ernährt, in aller Ruhe genesen können.“ „Ich bitte Sie darum, Senor.“ „Tragante wird bei Ihnen sein.“ Gavena versuchte ein Grinsen, doch es mißlang ihm. „Schicken Sie den Feldscher — zum Teufel, Senor, wir brauchen ihn nicht.“ „Er hat sich freiwillig gemeldet“, sagte der Kapitän und fühlte, wie sich allmählich ein dicker Kloß in seiner Kehle festsetzte. Er wollte ihn herunterwürgen, aber es wollte ihm nicht gelingen. „Ich werde die Kranken betreuen“, versicherte Jose Tragante, der Feldscher, noch einmal. An Oberdeck ertönte mit einemmal ein Ruf. Der Kapitän und der Feldscher hoben gleichzeitig die Köpfe. Don Gaspar stand auf. Seine Miene war argwöhnisch verzerrt, er ahnte, daß dieser Laut wieder nichts Gutes verhieß. Schritte trappelten, näherten sich dem Achterdecksschott, waren gleich darauf im Gang und polterten auf die Kammer zu. Don Gaspar Nunez de Arce warf noch einen raschen Blick auf seinen Profos. Der Mann hatte die Augen geschlossen, sein Kopf war auf das Lager zurückgesunken. Er lag jetzt in tiefer Ohnmacht, die Krankheit nahm ihren Lauf. Die Tür öffnete sich. Ruben Dario, der Zweite Offizier, steckte seinen Kopf durch den Spalt herein. „Senor“, sagte er. „Wir haben den Schuß eines Geschützes vernommen, wahrscheinlich wurde er von einer leichten Schiffskanone abgegeben.“ Don Gaspar verließ den Raum, enterte mit dem Zweiten zusammen das Achterdeck und trat zu Bernardo Altez, dem Ersten
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Steuermann, der einen prüfenden Blick in die Runde warf. Die „Vadavia“ lag vor Anker und hatte ihr Vorschiff nach Norden und ihr Heck nach Süden gerichtet, so daß sich die Insel, deren Ufer in der Dunkelheit eher zu ahnen, als wirklich zu erkennen war, an ihrer Steuerbordseite erhob. Don Gaspar stellte fest, daß sowohl Altez als auch Dario jetzt zu der Insel hinüberspähten. Deshalb fragte er sie: „Kam der Schuß aus östlicher Richtung?“ „Ja, Senor“, antwortete der Erste Steuermann. „Der Nordwind trägt alle Geräusche zwar nach Süden, aber ich bin ziemlich sicher, daß er irgendwo im Osten abgegeben wurde.“ „Haben Sie den Mündungsblitz sehen können?“ „Nein. Auch der Ausguck hat keine Stichflamme bemerkt.“ „Könnte der Schuß auf der Insel abgefeuert worden sein?“ fragte Don Gaspar. Dario und Altez schüttelten die Köpfe. „Mit Sicherheit nicht“, versetzte der Steuermann. „Er lag viel weiter entfernt und wurde auf See gezündet, wie an dem dumpfen Nachhall des Donners zu hören war.“ „Sie glauben also nicht, daß dieser Schuß uns gegolten haben könnte – als Warnung?“ „Ich halte das für ausgeschlossen“, entgegnete Altez. „Ich bin derselben Meinung“, sagte Dario. De Arce atmete tief durch, dann stellte er seine nächste Frage. „Wie groß könnte Ihrer Ansicht nach die Entfernung zwischen uns und dem fremden Schiff sein, das den Schuß abgegeben hat?“ „Das kann man nur grob schätzen“, erwiderte der Zweite Offizier. „Aber ich glaube, daß es mehr als vierzig, vielleicht sogar fünfzig Meilen waren.“ Altez nickte bestätigend. Don Gaspar, der bereits mit neuem Verdruß gerechnet hatte, beruhigte sich wieder ein wenig. „Lassen Sie die Hecklaterne löschen“, befahl er. „Senores, wir warten die weitere Entwicklung der Dinge ab. Wir liegen hier, vor dem Westufer der Insel, ziemlich
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geschützt und können uns während der Nacht jederzeit eventuellen Unannehmlichkeiten entziehen, die von außen drohen. Sollten noch mehr Schüsse fallen, sollte sich möglicherweise sogar ein Gefecht entwickeln, dann haben wir Zeit genug, entweder eine Bucht aufzusuchen, in der uns niemand entdeckt, oder aber in die offene See hinaus zu segeln. Auf einen Kampf dürfen wir uns auf keinen Fall einlassen.“ Er schwieg und blickte unausgesetzt nach Steuerbord. Altez ließ derweil die große, schmiedeeiserne Achterlaterne löschen, und somit wurde die Dunkelheit zu einem schwarzen Seidentuch ohne Lücken, das sich über das ganze Schiff legte und keinen Winkel mehr aussparte. Don Gaspar dachte an die Armierung seines Schiffes und an die Männer, die er jetzt noch zur Verfügung hatte. Achtzehn Kanonen, davon nur vier Demi-Culverinen und der Rest Culverinen, waren eine ausreichende Bewaffnung für eine Galeone dieser Größe, aber im Falle eines Gefechtes hätte de Arce nicht mehr genügend Leute gehabt, um die Segelmanöver auszuführen und gleichzeitig dem Gegner mit Breitseiten einzuheizen. Wer immer der geheimnisvolle Schütze im Osten war – es war besser, ihm auszuweichen. Don Gaspar wartete darauf, daß in der Ferne der nächste Kanonenschuß fiel, aber bald stellte sich heraus, daß es ein vergebliches Ausharren war. Die Nacht blieb von jetzt an so ruhig, als sei nichts geschehen. War denn überhaupt etwas geschehen? Immer wieder fragte sich der spanische Kapitän, was wohl der Grund für den Schuß gewesen sein mochte, aber es gab keine Antwort, denn die Dunkelheit verbarg jede Erklärung so völlig, als müsse sie ein wichtiges Geheimnis decken. * Hasard hatte sich geduckt und hinter der Heckreling versteckt. Nachdem er das
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kleine Schiff im Kielwasser der „Isabella“ eine Zeitlang beobachtet hatte, war jeder Zweifel ausgeschlossen: Die Besatzung wollte entern. Die Gestalten, die auf der Pflicht mit Enterhaken und gezückten Waffen bereitstanden, konnte er jetzt deutlich genug erkennen. Es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Wenn er nicht den ersten Schuß abgab, riskierte er, daß die Piraten ihre Haken warfen und wie die Teufel das Heck der Galeone enterten. Oder aber sie brachten eins ihrer Bordgeschütze so in Position, daß sie der „Isabella“ das Ruder wegschießen konnten. Hasard entschloß sich deshalb, mit der von ihm aus gesehen - linken der beiden Drehbassen über die Köpfe der Kerle zu feuern. Er zündete die Lunte an, hielt sie an das Bodenstück und nahm im nächsten Augenblick, als das Zündkraut zu zischen und zu knistern begann, etwas mehr Abstand von dem Geschütz. Die Drehbasse krachte. Der Schuß fegte über die aufheulenden Kerle weg und riß ein ansehnliches Loch in das Großsegel des Einmasters. Hasard verfolgte, wie für einen Moment größte Unruhe entstand und die Piraten unschlüssig zu sein schienen, was jetzt zu tun sei. Sie hatten sich unentdeckt gefühlt und sich leichtes Spiel von einem Überfall auf die Galeone erhofft - und jetzt dies! Jetzt begriffen sie, daß man sie getäuscht hatte, daß sie längst entdeckt und belauert worden waren. Sie schrien vor Überraschung und Entsetzen durcheinander. Aber ihre Verwirrung dauerte nicht lange an. Schon sammelten sie sich erneut auf der Pflicht, wilde Kerle mit langen Bärten und bunten Tüchern, die sie sich um den Kopf geschlungen hatten. Die meisten von ihnen hatten nackte Oberkörper und trugen nur pludrige Hosen, aber einer stach aus der Masse der Leiber hervor, weil er in ein purpurrotes Hemd gekleidet war und sich einen breitkrempigen, lappigen Hut übergestülpt hatte, der sicherlich von einem europäischen Seefahrer stammte. Er schwenkte einen riesigen Säbel, und auch seine Kumpane hatten lange, vorwiegend
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gebogene Schiffshauer, die den von den Malaien verwendeten Parangs sehr ähnlich sahen. Der Kerl mit dem Hut war zweifellos der Anführer der Seeräuberbande, zumindest gebärdete er sich dementsprechend. Hasard war anfangs versucht, die Kerle für Malaien zu halten, aber dann registrierte er in ihrer Physiognomie, ihrer Kleidung und ihrer Bewaffnung doch einige Unterschiede. Er entsann sich dessen, was Sotoro ihm während der Woche in dem Schlupfwinkel von Sumatra über die siamesischen und birmanischen Freibeuter erzählt hatte. Es waren genaue Beschreibungen gewesen, anhand derer der Seewolf seine Gegner nunmehr klar zu identifizieren glaube. Es waren Birmanen. Sie brüllten und schwangen ihre Enterhaken, und ihr Schiff rückte trotz des Loches im Segel immer näher auf den Heckspiegel der „Isabella“ zu. Sie ließen sich also nicht warnen, zurückwerfen schon gar nicht, im Gegenteil, der Schuß schien ihre Kampflust nur noch angeheizt zu haben. Hasard hätte die zweite Drehbasse zünden und diesmal tiefer halten können. Er hätte sich auch der Flaschenbomben bedienen können, Ferris Tuckers liebster. Bastelei, aber ihm war nicht daran gelegen, den Piratensegler mit Mann und Maus zu versenken. Da waren wieder die Gebote der Fairneß, und diese Gebote veranlaßten ihn, zu einer anderen Taktik zu greifen. Längst hatte Gary Andrews die Freiwache geweckt, so daß jetzt alle Mann an Deck waren und die Gefechtsstationen besetzten. Batuti war auf den Befehl des Seewolfes hin aus dem Vormars abgeentert und lief jetzt quer über die Kuhl auf das Achterdeck zu. Big Old Shane hastete am Ruderhaus vorbei nach achtern und schleppte einen Köcher mit Pfeilen und zwei Bogen mit. Er langte als erster bei Hasard an und duckte sich, dann traf auch der GambiaMann mit seinem riesigen, geschnitzten Bogen ein. Der Seewolf übernahm einen
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Bogen von Shane, und alle drei tunkten sie jetzt die lappenumwickelten Spitzen der Pfeile in die Glut des Kupferbeckens. Die Tuchfetzen waren ölgetränkt und fingen rasch Feuer. Hasard, Shane und Batuti richteten sich auf. Die Flammen der Brandpfeile waren zuckende Fanale in der Nacht, die für einen Moment in der Luft zu stehen schienen, dann aber, von den Bogensehnen geschnellt, vom Achterdeck der „Isabella“ huschten und auf den Einmaster hinunterzischten. Bill, der Moses, hatte auf die Order des Profos’ hin ebenfalls das Achterdeck geentert und legte jetzt neue Brandpfeile in die Holzkohlenglut, so daß der Seewolf, Big Old Shane und der schwarze Herkules sich nur noch zu bücken brauchten, um ihre nächsten Geschosse aufzuheben und anzulegen. Das Großsegel des Piratenschiffes begann zu brennen, Hasards Pfeil hatte es getroffen. Shanes und Batutis erste Pfeile hatten sich in die Planken des Decks gebohrt. Die Flammen griffen bereits gierig auf das Holz über. Die folgende Pfeilsalve ging voll in die Segel des Einmasters, Augenblicke später loderten sowohl das Großsegel als auch die kleine Fock wie Zunder. Die Piraten schrien und gestikulierten und wollten auf die „Isabella“ schießen, aber ihr abenteuerlich kostümierter Anführer brüllte auf sie ein und teilte hier und da auch Fausthiebe aus. Daraufhin griffen die Kerle zu Kübeln und Pützen, schöpften Seewasser und begannen, den Brand zu löschen. „Recht so!“ rief Big Old Shane. „Anständige Arbeit hat noch keinem was geschadet! Schuftet, ihr Hunde, was das Zeug hält, sonst brennt euch der Kahn noch unter den Füßen weg und ihr versengt euch den Achtersteven!“ Hasard sandte noch einen Brandpfeil zu dem Piratenschiff hinüber, und dieser fuhr mit einem plockenden Laut mitten in die Pflicht. Schreiend stoben die Freibeuter auseinander. Im nächsten Moment mußten sie sich ducken, denn Shanes und Batutis
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Pfeile zischten haarscharf über ihre Köpfe. Der eine bohrte sich in den Mast, der andere rammte sich in den Planken fest. Der Einmaster fiel zurück, denn mittlerweile war fast seine gesamte Segelfläche weggebrannt. Schnell verlor er an Fahrt und blieb hinter der „Isabella“ liegen, die mit unverminderter Geschwindigkeit weiterrauschte. Hasard lachte. „Die Kerle können noch froh sein, daß unsere Pfeile nicht ihre Pulverfässer getroffen haben“, sagte er. Shane wandte den Kopf und grinste ihn an. „Ganz ehrlich, Sir, ich hätte nicht übel Lust gehabt, diesen Hurensöhnen einen zünftigen Pulverpfeil zwischen die Beine zu setzen.“ Pfeile mit pulvergefüllten, ausgehöhlten Schäften, die durch ihre brennenden Spitzen zur Explosion gelangten, waren seine Spezialität. „Aber ich weiß ja, daß du sie nur abschrecken wolltest“, fügte er hinzu. „Glaubst du wirklich, daß sie jetzt genug haben?“ Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nein. Sie werden das Feuer löschen und neue Segel setzen. Entsprechenden Ersatz für das verbrannte Rigg haben sie bestimmt zur Verfügung. Im übrigen sind wir vor einem ernstzunehmenden Angriff nur dadurch bewahrt worden, daß die anderen Piratenschiffe nicht schnell genug aufgeholt haben, um an dem Überfall teilzunehmen.“ Ben Brighton war zu ihnen getreten und sagte: „Du meinst, dieser eine Kahn war der schnellste von allen und hatte sich so weit nach vorn gebracht, ohne sich um den nachfolgenden Verband zu kümmern?“ „So ungefähr“, erwiderte der Seewolf. „Habt ihr den Kerl mit dem roten Hemd und dem Hut gesehen? Er ist meiner Ansicht nach der Anführer der Meute. Wahrscheinlich hat er unsere alte Lady mehr aus Zufall als aus Absicht entdeckt. Als er sie einmal vor sich hatte, beschloß er, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.“ „Was wir gründlich vereitelt haben“, sagte Big Old Shane voll Genugtuung. „Fein. Das nächste Mal wird er uns nicht für
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Idioten halten, die wie die blinden Seekühe durch die Weltgeschichte ziehen.“ „Piraten haben jetzt Stinkwut im Bauch“, bemerkte Batuti. „Sie warten den Morgen ab, und dann unternehmen sie einen neuen Angriff.“ „Nur zu!“ rief der Profos, der jetzt neben dem Ruderhaus stand und jedes Wort gehört hatte. „Wir bereiten ihnen einen heißen Empfang!“ Hasard drehte sich zu ihm und den anderen Männern um, die erwartungsvoll zu ihm aufblickten. „Wir dürfen die Kerle auf keinen Fall unterschätzen. Von jetzt an verdoppeln wir die Wachen und halten uns weiterhin gefechtsbereit. Ed, du teilst die Männer entsprechend ein!“ „Aye, Sir!“ „Ferris!“ „Sir?“ rief der rothaarige Riese von der Kuhl herauf. „Soll ich meine Höllenflaschenabschußkanone aufbauen?“ „Ja, Ferris. Und halte genügend Flaschen bereit.“ „In Ordnung, Sir. Al Conroy und ich haben heute nachmittag schon jede Menge Bomben vorbereitet. Ich warte nur darauf, die Dinger loslassen zu können.“ „Mensch, Mister Tucker“, sagte der Profos grollend. „Ich mag ja unverbesserlich sein, aber du bist es auch.“ Hasard händigte Shane den Bogen aus, stieg zum Achterdeck hinunter und betrat das Ruderhaus. „Gegen Mitternacht müßten wir Süd-Andaman im Süden passieren“, sagte er zu Blacky. „Danach werden wir unseren Kurs geringfügig korrigieren und ein paar Strich weiter nach Nordwesten ausrichten, um auf NordSentinel zuzusteuern.“ „Nord-Sentinel?“ „Ja. Die Insel gehört zu den am weitesten westlich liegenden kleineren Andamanen. Ich rechne damit, daß wir sie im Morgengrauen erreichen. Wenn sie hinter uns liegt, sind wir im Indischen Ozean.“ „Gut, Sir.“ „Willst du einen Blick auf die Karte werfen, Blacky?“ „Nicht nötig. Außerdem kann ich sie ja sowieso nicht erkennen. Und Licht zu
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entzünden, wäre wohl nach wie vor zu riskant, wie ich annehme.“ „Richtig. Ich habe die Karte aber im Kopf und sage dir Bescheid, wenn wir die Position haben, an der wir den Kurs ändern.“ Er trat wieder ins Freie und blickte zum Himmel auf. Zum Glück war die Nacht sternklar, so daß er mit der Navigation keine Schwierigkeiten haben würde. Hinter der „Isabella“ wurde das Feuer an Bord des Piratenseglers allmählich zu einem kleinen leuchtenden Fleck in der Nacht, der bald ganz erlosch. Der Seewolf beschloß, sich wegen der birmanischen Freibeuter keine allzu großen Sorgen mehr zu bereiten. Er ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, in welche bedrohliche Situation er mit seinen Männern noch geraten sollte. 5. Erste blasse Streifen von Helligkeit kündeten das Heraufziehen des neuen Tages an. Don Gaspar Nunez de Arce, der die ganze Nacht über kein Auge zugetan hatte, gab jetzt den Befehl, den Anker zu lichten und die Segel zu setzen. Mit der frischen Morgenbrise, die wieder aus Norden blies, lief die „Vadavia“ nach Süden ab und folgte dem Verlauf des Ufers der Insel, das jetzt wie eine schwarze Mauer an Backbord der Dreimast-Galeone aussah. Die „Vadavia“ umrundete ein Kap im Südwesten, luvte an, segelte nach Osten und ging knapp eine halbe Stunde später auf nordöstlichen Kurs, um mit Kreuzschlägen gegen den Wind an der östlichen Küste des Eilandes hinaufzufahren. Rötlichweiß stieg die Sonne im Osten auf. Sie schien von der See geboren zu werden wie eine wunderbare Wesenheit, die Licht, Wärme und Erlösung brachte. An diesem Morgen wäre Don Gaspar fast versucht gewesen, an eine glückliche Wende des Schicksals zu glauben. Mit einemmal schien alles in Ordnung zu sein - und doch wußte er nur zu genau, daß nicht alles in
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Ordnung war und mit jeder Stunde, die die Kranken auf dem Schiff verweilten, das Grauen wuchs. Ein letzter Kreuzschlag nach Nordwesten brachte die „Vadavia“ um eine sanfte Rundung des Ufers herum an die nördliche Küste. Von nun an segelte sie mit Steuerbord-halsen über Backbordbug liegend. Prall bauschte sich das Zeug. Don Gaspar hätte seine Freude an dem Schiff haben und zufrieden sein können mit seiner Mannschaft, wenn nicht das Fieber gewesen wäre, das wie ein Fluch auf der Galeone lastete und sich nicht abschütteln ließ. Dennoch hegte Don Gaspar eine gewisse Zuversicht, das Problem durch die Quarantäne lösen zu können. Er hatte zumindest sein Selbstvertrauen wiedergewonnen und fühlte sich der Situation gewachsen, wie er sich auch früher gegen alle Entbehrungen und Nöte zu behaupten gewußt hatte. In der vergangenen Nacht war er der schwachen Seite seines Ichs begegnet. Er hatte beschlossen, dieses Wesen mit allen Mitteln zu bekämpfen. Nur durch Entschlossenheit konnte er Abhilfe von dem Übel schaffen, Wankelmut bedeutete den Tod für alle. Er blickte durch sein Spektiv und betrachtete die Küste. Eine üppige Vegetation bot sich da dem Auge dar. Der Urwald war ein dunkles, ledriges, dampfendes Gemisch aus Mangroven und Lianen, Seidenbäumen und bis zu fünfzig Yards hohen Gurjanen, Ranken mit Blüten und dichtbelaubten Büschen. Die Vögel des Dschungels stimmten -ihr Morgenkonzert an. Don Gaspar konnte sie hin und her flattern sehen und beobachtete auch großäugige Affen mit langen Armen, die sich von starken Ästen herabbaumeln ließen oder in den Baumkronen hockten und neugierig zu dem Schiff sahen. Dies alles nahm der Kapitän aber nur oberflächlich in sich auf. Was ihn vorrangig interessierte, war die Antwort
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auf die Frage, ob auf dieser Insel Menschen lebten oder nicht. Als der Ausguck meldete, daß er am nordwestlichen Ufer eine Bucht entdeckt habe, hatte sich den Fernrohren der Besatzung immer noch kein Eingeborener gezeigt. Keine feindseligen Gesichter waren aufgetaucht, keine speerschwingenden Gestalten hatten sich aus dem Dickicht geschoben. Doch das war noch lange kein Beweis dafür, ob die Insel tatsächlich unbewohnt war. Don Gaspar wollte es genauer wissen: Er ließ Kurs auf die Bucht nehmen, und wenig später glitt die „Vadavia“ mit aufgegeitem Vormars-, Großmars- und Besansegel durch die dicht bewachsene Einfahrt in das recht geräumige Oval, das nach de Arces Schätzungen gut einem halben Dutzend Schiffen als .Ankerplatz hätte dienen können. Der Kapitän ließ die Wassertiefe loten und ging bei acht Faden vor Anker, nicht mehr weit entfernt von dem weißen Sandstrand des Ufers, der von sanft rauschenden und leicht schäumenden Brandungswellen beleckt wurde. Don Gaspar ließ sofort die beiden Beiboote abfieren, bemannte jedes mit fünf Leuten und übernahm selbst die Führung des Inspektionstrupps, indem er als letzter in die eine Jolle abenterte. Der Zweite Offizier Ruben Dario übernahm auf seine Order hin für die Zeit seiner Abwesenheit das Kommando über die Galeone. Ungehindert erreichten die Boote das Ufer, unbehelligt konnten die Spanier kurz darauf zum Urwald marschieren. Es zeigte sich keine Menschenseele. Der Busch war dicht, aber nicht undurchdringlich. Bald hatten sich Don Gaspar und seine zehn Begleiter einen Pfad durch die Dornen-, Blüten- und Schlinggewächse gebahnt und drangen tief ins Innere der Insel ein. Das Konzert der Urwaldfauna war neben und über ihnen, es folgte ihnen und ließ sie nicht mehr los, ehe sie den Regenwald nicht wieder verlassen hatten. Augen waren aus dem Halbdunkel des Dickichts auf die Männer gerichtet, doch
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es waren keine menschlichen Augen. Immer, wenn Don Gaspar eine überraschende Bewegung zu einem dieser heimlichen Beobachter hin unternahm, scheuchte er nur einen Affen oder Halbaffen auf, der mit empörtem Keckern davonstob und sich hoch in die Bäume hinaufschwang. Als der Trupp schließlich zur Ankerbucht der „Vadavia“ zurückkehrte, verkündete die Schiffsglocke gerade durch vier Doppelschläge, daß es acht Uhr geworden war. Don Gaspar wußte jetzt, daß er gute zwei Stunden unterwegs gewesen war. Er hatte Lichtungen entdeckt, die er abgeforscht hatte, war mit seiner Gruppe auf kleine Anhöhen gestiegen, hatte nach Hütten, Erdlöchern, Feuerstellen und anderen Relikten menschlichen Seins und Schaffens gesucht. Nichts. „Jetzt bin ich davon überzeugt, dass es hier keine Eingeborenen gibt“, sagte er zu Ruben Dario, Bernardo Altez und José Tragante, als er an Bord seines Schiffes zurückgekehrt war. „Wir können also mit unserer Aktion beginnen. Wir schaffen alle Kranken an Land, versorgen sie mit genügend Proviant, Trinkwasser, Kleidung und Waffen und lassen eins unserer Beiboote am Ufer der Bucht zurück. Senor Dario, veranlassen Sie alles Erforderliche!“ Ruben Dario trat an die Schmuckbalustrade des Achterdecks und gab die Befehle weiter. Der Feldscher Tragante richtete seinen Blick auf die Insel und überlegte sich, wo wohl am besten das Krankenlager einzurichten sei. Er gelangte zu dem Schluß, daß eine der Lichtungen auf den bewaldeten Anhöhen am geeignetsten war, weil dort weniger Feuchtigkeit herrschte. Don Gaspar dachte noch einmal an den Schuß zurück, den sie in der Nacht vernommen hatten. Da aber sein Ausguck seit dem Morgengrauen keine fremden Schiffe am Horizont erspäht hatte, sagte er sich, daß er die Angelegenheit wohl vergessen könne, weil sie in keinerlei Zusammenhang mit seinen Unternehmungen stand.
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„Land in Sicht!“ rief Bill, der seinen Stammplatz im Großmars der „Isabella“ wieder eingenommen hatte. „Steuerbord voraus, Sir!“ Hasard verließ das Ruderhaus, wo er noch einmal seine Eintragungen auf der Karte und seine Berechnungen überprüft hatte, und richtete sein Spektiv über das Schanzkleid hinaus nach Steuerbord. Ben Brighton trat neben ihn, zog ebenfalls seinen Kieker auseinander und warf einen langen, prüfenden Blick hindurch. Grauschwarz zeichnete sich über der nordwestlichen Kimm die Kontur der Insel ab. „Das ist sie also — Nord-Sentinel“, sagte der Seewolf. „Ich habe mich etwas verschätzt und dachte, wir würden sie schon früher passieren, nämlich im Morgengrauen. Jetzt ist es kurz .nach acht Uhr. Gegen neun müßten wir auf gleicher Höhe mit ihr liegen, und etwas später sind Wir dann im Indischen Ozean.“ „Auf wie viele Meilen Abstand willst du südlich an Nord-Sentinel vorbeisegeln?“ „Sagen wir — auf zwanzig Meilen.“ „Und dann nehmen wir Kurs direkt auf Ceylon?“ „Ja.“ „Es würde mich nicht wundern, wenn die Piratenschiffe, die wir bislang nicht wieder zu Gesicht gekriegt haben, im Indischen Ozean wieder auftauchen würden.“ „Und wenn schon“, sagte Big Old Shane, der sich zu ihnen gesellt hatte. „Der Teufel soll sie holen, sie werden sich ganz schön die Finger versengen, wenn sie wagen, sich noch mal mit uns einzulassen.“ „Sir!“ schrie Bill plötzlich. „Mastspitze an Steuerbord!“ „Beim Henker“, stieß Shane hervor. „Man soll’s doch nicht berufen.“ Fast alle Männer, allen voran der Seewolf, traten jetzt an das Schanzkleid der Steuerbordseite und hielten nach Norden Ausschau. Matt Davies und Luke Morgan hangelten ein Stück in den Luvwanten des Großmastes auf, um einen besseren
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Aussichtspunkt zu gewinnen. Wer ein Spektiv zur Hand hatte, entdeckte schon nach kurzer Zeit die Mastspitze über der Kimm. Nicht lange hielt sie sich dort, dann war sie wieder verschwunden. „Wie ein Spuk“, begann Old O’Flynn zu wettern. „Beim Donner, da soll doch der Blitz dreinschlagen! Hölle und Teufel, fängt das verfluchte Spiel jetzt wieder an?“ „Du hast wohl schlechte Nerven, Donegal, was?“ fragte Carberry. „Weit gefehlt, Mister Carberry“, erwiderte der Alte mit gallebitterer Miene. „Ich würde nur endlich zu gern wissen, wie viele gottverdammte Elendskähne das eigentlich sind.“ „Mindestens drei mit je einem Mast und einem oder zwei Segeln daran“, sagte sein Sohn trocken. „Wahrscheinlich aber sind es doppelt so viele oder vielleicht sogar dreimal so viele — was kümmert uns das schon? Die Birmanen vergehen zwar vor Haß auf uns, aber sie trauen sich nicht mehr so recht an uns heran, das ist doch klar. Mit denen kriegen wir keine Scherereien mehr.“ Sein Vater musterte ihn aus schmalen, blitzenden Augen. „Wenn du da man bloß recht behältst, du Klugscheißer. Oh, ich will es uns allen wünschen. Aber es kommt ja doch anders. Ich schwöre euch, ich habe da wieder so ein unerfreuliches Gefühl und ein Jucken im Beinstummel, daß mir ganz blümerant wird. Ihr wißt ja, was das zu bedeuten hat.“ „Zur Hölle mit deinen verdammten Ahnungen“, sagte der Profos respektlos, drehte sich auf dem Stiefelabsatz um und schritt davon. Der Seewolf hatte unterdessen wieder das Ruderhaus betreten und gab Pete Ballie, der seinen Posten als Rudergänger erneut versah, die Anweisung, das Ruder zwei Strich weiter nördlich zu legen. Pete tat es. Dann fragte er: „Was ist mit den Piraten, Sir? Gibt es wieder Ärger?“ „Schwer zu sagen, Pete. Sie segeln mehr als dreißig Meilen nördlich von uns — wenn sie es wirklich sind, was wir ja nicht einwandfrei feststellen konnten.“
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„Sie passieren Nord-Sentinel im Norden?“ „Wenn sie auf ihrem Kurs bleiben, ja.“ Pete grinste. „Hoffentlich brummen sie mit ihren Kähnen auf ein hübsches Korallenriff. Ich wünsche es ihnen.“ 6. Don Gaspar Nunez de Arce hatte die Kranken an Land übersetzen lassen, und die gesunden Männer der „Vadavia“ trugen ihre Kameraden jetzt durch den Inseldschungel zu der Lichtung auf einem der Hügel hinauf, die der Feldscher ausgewählt hatte. Juan de Rivadeneira, Pedro Gavena, Victor de Andrade, Herra de Canduela, Diego de Fajardo, Pascual, Antonio, Aurel, Solis und Luis — zehn Männer waren es somit, die die Galeone verließen, und Jose Tragante blieb als einziger Betreuer bei ihnen. Auf der Lichtung ließ de Arce aus Holzpflöcken und Persenning ein einfaches Zelt errichten, unter dem alle elf genug Platz hatten für den Fall, daß es regnete. Bald waren auch die Essens- und Trinkwasservorräte in das Lager geschafft, und Don Gaspar verabschiedete sich am weißen Strand durch einen Händedruck von seinem Feldscher. „Senor Tragante“, sagte er. „Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihr Anerbieten, bei diesen armen Teufeln zu bleiben, und für Ihren großen Mut.“ „Das ist nicht der Rede wert, Senor. Es ist meine Pflicht, sie so lange mit allem Erforderlichem zu versorgen, wie sie meiner Hilfe bedürfen.“ „Noch einmal, Tragante: Ich lasse Ihnen gern zwei oder drei Männer als Unterstützung hier.“ „Nein, Senor, danke. Ich schaffe das allein, davon bin ich überzeugt. Jeder Mann wird jetzt dringend an Bord der ,Vadavia` gebraucht. Sie haben nur noch achtzehn Männer unter sich, Capitan, und das ist eigentlich schon zu wenig, um bis nach Manila zu gelangen.“ Don Gaspar versuchte ein Lächeln. „Lassen Sie das um Himmels willen meine Sorge sein. Ich versuche jetzt, auf dem
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schnellsten Weg nach Manila zu gelangen. Wenn wir keinen Sturm kriegen und uns nicht mit Piraten herumschlagen müssen, können wir in weniger als dreißig Tagen auf den Philippinen sein. Dort löschen wir unsere Ladung und kehren sofort hierher zurück. Ich habe die Lage der Insel genau auf meinen Karten eingezeichnet. Leider weiß ich immer noch nicht, wie sie heißt. In Manila werde ich versuchen, mich mit besseren Seekarten zu versorgen, da scheint nämlich ein Mangel in meinen Unterlagen zu bestehen.“ „Senor, wollen Sie durch die Straßen von Malakka segeln?“ „Lieber nicht. Dort gibt es zu viele Seeräuber. Ich werde wohl den Seeweg um die Südküste von Sumatra herum wählen, also durch die Straße von Mentawai.“ Tragante nickte. „Ja, das dürfte wohl besser sein. Später gehen Sie dann durch die Sunda-Straße und nehmen Kurs nach Norden, um an Kalimantan vorbeizufahren. Viel Glück, Senor.“ „Haben Sie alle Männer der ,Vadavia’ noch einmal eingehend untersucht?“ „Ja. Ich habe keine Anzeichen der Krankheit bei ihnen feststellen können. Bitte sorgen Sie dafür, daß die Seegrasmatratzen der Kojen im Logis durch neue ersetzt werden, die Hängematten verbrannt oder in die See geworfen werden und die Männer alle Räume, in denen die Kranken untergebracht waren, gründlich waschen und aufklaren.“ „Natürlich. Sobald wir die Bucht verlassen haben, fange ich damit an.“ De Arce blickte zu den Männern, die die letzten Wasserfässer und Waffen zur Lichtung hinauftransportiert hatten. Sie traten in diesem Moment aus dem Dickicht und marschierten über den Strand auf die beiden Jollen zu. Der Kapitän sah seinen Feldscher noch einmal ernst an, dann sagte er: „Also dann - bis bald, Senor Tragante.“ „Adios, Senor.“ „Nein. Hasta la vista - auf Wiedersehen.“ Don Gaspar wandte sich ab und schritt zu der einen Jolle hinüber. Als die Männer -
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es waren sechs - sie in die Brandung geschoben und geentert hatten, begab auch er sich an Bord und ließ sich zurück zur „Vadavia“ pullen. Die zweite Jolle blieb zur Verfügung von Jose Tragante zurück. Sie war von den Decksleuten der Galeone soweit auf den weißen Sand gezogen worden, daß sie nicht wieder abtreiben konnte, und zusätzlich an einem in den Strand gerammten Pflock festgeleint worden. Tragante sah noch zu, wie die Männer zurück an Bord der „Vadavia“ enterten, dann hörte er die Kommandorufe und verfolgte, wie sich der Stockanker an seiner Trosse hob. Das Großsegel, die Fock und die Blinde wurden gesetzt. Damit kreuzte der Dreimaster kurze Zeit später aus der Bucht nach Norden und nahm dann Kurs nach Südosten. Jose Tragante verspürte jetzt doch ein dumpfes Gefühl der aufkeimenden Verzweiflung. Trotz aller Versicherungen des Kapitäns, er würde sich beeilen, hatte das Ganze wie ein Abschied für immer gewirkt. Selbstverständlich lag es dem Feldscher fern, an dem Wort Don Gaspars zu zweifeln, aber er dachte an die Unbilden der Natur und all jene unvorhersehbaren Fälle „höherer Gewalt“, die der „Vadavia“ im weiteren Verlauf ihrer Reise zusetzen konnten —alles Dinge, die de Arce bei allem guten Willen doch nicht einkalkulieren konnte. Er versuchte, Angst und Beklemmung abzuschütteln. Abrupt drehte er sich um und wanderte über den Strand auf jene Stelle im Urwald zu, die auch vorher schon als Durchschlupf benutzt worden war. Mit seinen Händen teilte er das Dickicht, dann schritt er auf dem Trampelpfad weiter, der durch das mehrfache Hinund Hermarschieren der Männer der „Vadavia“ vom Strand zur Lichtung geschaffen worden war. Die Entfernung bis zur Lichtung betrug nach Tragantes Schätzungen etwa zweieinhalb Meilen — Landmeilen. Er brauchte keine halbe Stunde, um den Hügel zu erreichen, wenn er zügig ausschritt. Dies hatte er vermittels einer
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kleinen Sanduhr, die Don Gaspar ihm überlassen hatte, bereits errechnet. In den nächsten Tagen wirst du viele Berechnungen anstellen, sagte er sich im stillen, du wirst die ganze Insel mit deinen Schritten vermessen und dir jeden Platz genau einprägen, bis du alles im Schlaf kennst. Innerhalb von einem Monat weißt du auf dieser Insel besser Bescheid als daheim in Malaga. Er hob den Kopf und sah zu den Vögeln auf, die in den Baumkronen auf und ab flatterten, Papageien und Langschnäbler, deren Namen er nicht kannte, bunte kleine Gesellen, die Finken ähnelten, aber ganz andere Laute von sich gaben, und majestätisch weiß gefiederte Seevögel. Die Affen schienen überall zu sein, sie blickten aus Büschen hervor, hockten auf Baumästen und glitten mit erstaunlicher Behändigkeit an Lianen hinunter, um sich von einem Baumriesen zum anderen zu befördern. Sie plapperten und schnatterten, schnitten Grimassen und ließen den Fremdling keinen Moment aus den Augen: Dennoch fühlte sich Tragante jetzt, da die Kameraden mit dem Schiff auf und davon waren, entsetzlich allein. Dieses Gefühl dauerte auch noch an, als er die Anhöhe erklettert hatte und die Lichtung betrat. De Rivadeneira, Pedro Gavena und die acht anderen Kranken lagen unter der Persenning, die jetzt, in zunehmendem Licht und steigender Wärme, auch als Sonnendach gut geeignet war. Sie lagen da und atmeten schwer, stöhnten manchmal und gaben würgende Laute von sich, aber es war fast so, als ob sie nicht vorhanden wären, jedenfalls nicht als Menschen, mit denen der Feldscher sprechen und sich beraten konnte. Sie waren hilflose Wesen, die ihm ausgeliefert zu sein schienen. Opfer ihres eigenen Schicksals, und er stand allein auf einem aussichtslosen, verlorenen Posten. Er untersuchte sie der Reihe nach, legte ihnen neue Tuchumschläge auf und redete für kurze Zeit auf den Profos ein, der die Augen aufschlug und zu schwadronieren begann.
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Dann fiel Gavena zurück in seinen tiefen, ohnmachtsgleichen Schlummer, und Tragante saß wieder da als einsamer Wächter. Jose Tragante vertrieb sich die Zeit damit, seine Arzneien noch einmal durchzugehen und angestrengt zu überlegen, ob er wirklich alles, aber auch alles für seine Patienten getan hatte. Als es Diego de Fajardo, den Zimmermann, erwischt hatte und kurz darauf den Decksmann Antonio, hatte er es mit Blutegeln und Schröpfköpfen versucht — ein drastisches, aber oft sehr wirksames Mittel, das half, das Blut im Menschen zu erneuern und alle Krankheitskeime zu entfernen. Aber es hatte nichts genutzt. Er hatte die Kranken zur Ader lassen können, sooft er wollte, auch das hatte ihm keinen Erfolg gebracht. De Fajardo, Antonio und Solis, der mittlerweile ebenfalls an Fieber und Übelkeit gelitten hatte, waren nur noch schwächer geworden, so daß er, Tragante, ähnliche Mittel bei den folgenden Kranken schon gar nicht mehr angewandt hatte. Es gab keine Mittel gegen dieses Leiden. Auch die vielen Zitronen, die der Feldscher den Männern zu essen gegeben hatte, waren kein Heilmittel gewesen. Zitronen — das wußte man in Andalusien von alters her — waren gut gegen Cholera und auch gegen den Skorbut, aber in diesem Fall stellte sich keinerlei Wirkung ein. Nein, er konnte nichts mehr tun. Handelte es sich wirklich um Cholera oder Ruhr, dann konnte er nur da hocken, die nassen Wickel auswechseln und darauf hoffen, daß er nicht auch noch angesteckt wurde. Im übrigen würde er auf den Tod warten, der sich früher oder später einschlich. Dann war es seine Aufgabe, Mann um Mann auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen, nicht zu vergraben, denn nur das Feuer konnte die letzten Keime der Seuche vernichten. Jose Tragante war derart tief in seine düsteren Gedanken verstrickt, daß er seine Umgebung nicht mehr sehr aufmerksam beobachtete. Aus diesem Grund hob er erst wieder überrascht und bestürzt zugleich
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den Kopf, als er keine zehn Schritte vor sich einen dumpfen, kehligen Laut vernahm, der wie „Ku-uh“ klang. Sein Blick erfaßte die Gestalten von zwei kleinen, völlig nackten Männern, deren Haut sehr dunkel, fast pechschwarz, war. Sie standen am Rand der Lichtung, hielten klobige Bogen und Pfeile in den Händen und starrten ihn feindselig an. Tragante fühlte sich wie von einer Lähmung an seinen Sitzplatz gefesselt. Steif hockte er da. Nur seine Augen weiteten sich zu einem Ausdruck des panischen Entsetzens. * Die „Vadavia“ segelte etwa fünf Meilen vom östlichen Ufer der Insel entfernt, als der Ausguck im Vormars plötzlich an der nordöstlichen Kimm etwas Beunruhigendes entdeckte. Zuerst waren es nur zwei Mastspitzen, die da durch das Spektiv zu erkennen waren, aber wenig später entpuppten sie sich als die Masten von zwei kleineren Seglern, und zu diesem Zeitpunkt schoben sich drei, vier und noch mehr andere Schiffe über die Linie des Horizonts. Der Ausguck erstattete seinem Kapitän fortwährend Meldung und wurde immer aufgeregter, denn die Zahl der Einmaster, die sich jetzt deutlich sichtbar zu einem stattlichen Verband formierten, wuchs unaufhörlich und schien kein Ende zu nehmen. Don Gaspar Nunez de Arce begab sich mit seinem Spektiv nach vorn auf die Back, um einen besseren Ausblick zu haben. Ruben Dario begleitete ihn. Bernardo Altez blieb auf dem Achterdeck, um die Tätigkeit des Rudergängers zu überwachen. „Senor!“ schrie der Ausguck. „Jetzt fallen die Schiffe etwas ab und nehmen Kurs auf uns! Senor Capitan!“ „Wir haben verstanden!“ rief Dario zu ihm hinauf. Dann hob auch er sein Fernrohr vors Auge und warf einen prüfenden Blick auf die kleinen Segler, die so völlig unvermittelt aufgetaucht waren.
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„Keine Flagge, nicht die Spur eines Nationalitätszeichens“, sagte de Arce. „Die segeln unter eigener Flagge, Senor Dario. Das sind Piraten, darauf möchte ich meine Ladung verwetten.“ Der Zweite Offizier fragte mit seltsam spröder Stimme: „Sie glauben, daß die Kerle uns angreifen, wer immer sie sind?“ „Damit rechne ich.“ „Senor, die werden es doch wohl nicht mit einer voll armierten Galeone aufnehmen wollen!“ stieß Dario, der im Gegensatz zu seinem Kapitän zum erstenmal nach Ostindien fuhr, entsetzt hervor. Don Gaspar ließ sein Spektiv langsam sinken und richtete seinen Blick auf das verzerrte Gesicht des Zweiten. Nein, das war kein Mann vom Format eines Juan de Rivadeneira, er hatte nicht annähernd dessen Rückgrat und Profil. Don Gaspar wußte, daß er jetzt mit harter Hand regieren mußte, wenn innerhalb der nächsten halben Stunde oder Stunde an Bord der „Vadavia“ nicht Chaos und Panik herrschen sollten. Männer wie de Rivadeneira und Gavena sorgten dafür, daß die Disziplin auch in kritischen Situationen gewahrt wurde. Männer wie Ruben Dario taten genau das Gegenteil davon, wenn auch unbewußt. „Senor!“ schrie der Ausguck. „Ich kann jetzt vierzehn Schiffe zählen, aber mir scheint, an der Kimm taucht in diesem Augenblick noch eine weitere Mastspitze auf – ja, Senor Capitan, es sind fünfzehn Segler!“ Don Gaspar betrachtete den seltsamen Verband noch einmal durch sein. Spektiv. Alle Schiffe hatten dreieckige Lateinersegel, manche zwei, also Großsegel und Fock, manche nur eins. Auf den Decks waren jetzt schon Gestalten zu erkennen, aber der Kapitän der Galeone vermochte nicht zu sehen, ob die Schiffe, die nicht größer als Schaluppen oder Pinassen waren, auch Geschütze führten. „Herrgott“, sagte der Zweite Offizier. „Tun wir doch was. Auf was warten wir, Senor? Wir müssen abfallen und halsen und so schnell wie möglich in die Bucht der Insel zurückkehren. Nur dort sind wir sicher.“
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„Dort sitzen wir in der Falle, wollten Sie sagen, oder?“ Don Gaspar bemerkte, daß seine Stimme kalt und unpersönlich klang. Er spürte ein unerklärliches Gefühl der Ruhe und Unerschütterlichkeit in sich aufsteigen, aber wenig später wußte er, was es war: Er hatte keine Angst, sondern begegnete dem drohenden Anrücken des fremden Verbandes mit Stolz und Entschlossenheit. Die Ge- fahr war greifbar, hier fühlte er sich nicht unterlegen und machtlos wie angesichts der schleichenden, heimtückischen Krankheit. „Senor!“ sagte der Zweite entsetzt „Soll das heißen ...“ „Daß ich mich schlagen will? Natürlich.“ „Aber - wir sind unterbemannt!“ „Davonsegeln können wir dieser Streitmacht nicht, ist Ihnen das nicht klar? Sehen Sie nicht, wie schnell und wendig die Kähne sind?“ „Das ist unser aller Ende, Senor!“ stieß Ruben Dario aus. Er war kalkweiß im Gesicht geworden und empfand die Furcht vor dem Tod wie eine eiserne Klammer, die sich um seine Kehle schloß. „Reißen Sie sich zusammen!“ fuhr der Kapitän ihn an. „Und noch etwas. Wir würden Tragante und die zehn kranken Männer auf der Insel unnötig gefährden, wenn wir jetzt in die Bucht zurückmanövrierten, denn unser Feldscher sähe sich veranlaßt, mit in den Kampf einzugreifen - und genau das will ich vermeiden.“ Er wandte sich ruckartig um und trat an die Querbalustrade der Back, die zur Kuhl wies. „Alle Mann auf Gefechtsstation und Klarschiff zum Gefecht!“ rief er. „Senor Altez, Sie übernehmen selbst den Kolderstock! Der Rudergänger wird auf der Kuhl gebraucht!“ „Si, Senor!“ schrien die Männer. Dann liefen sie auch schon über das Hauptdeck, lösten die Taue der Kanonen, öffneten die Stückpforten und rannten die Geschütze aus. Don Gaspar legte den Kopf in den Nacken und rief zu seinem Ausguck hinauf: „Dem Führer des Verbandes signalisieren, er solle sich zu erkennen geben!“
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„Si, Senor!“ Der Ausguck griff zu den Signalfahnen und begann, damit zu hantieren. Don Gaspar richtete wieder sein Spektiv auf die Einmaster, die in Dwarslinie heransegelten und die Distanz zwischen den beiden Parteien wegen ihrer hohen Geschwindigkeit erschreckend schnell verkürzten. Sie hielten in einem stumpfen Winkel auf die nach Südosten laufende Galeone zu und schnitten ihr praktisch den Weg ab. Spätestens zu diesem Zeitpunkt mußte jeder Mann an Bord der „Vadavia“ erkennen, daß es hoffnungslos war, den Anrückenden davonsegeln zu wollen. Die Galeone hatte zwar Vollzeug gesetzt, doch sie hatte keine Chance, der Konfrontation auszuweichen. So heftig der Ausguck auch zu den Einmastern hinübersignalisierte, er erhielt keine Erwiderung. Fünfzehn Schiffe, dachte Don Gaspar, wenn jedes nur mit zehn Mann besetzt ist, haben wir hundertfünfzig Kerle gegen uns. „Schiff klar zum Gefecht, Senor“, meldete jetzt der Zweite Offizier. Seine Stimme klang immer noch belegt. „Entern Sie auf die Kuhl ab, Senor Dario“, sagte de Arce. „Sie warten, bis ich den Befehl zum Feuern gebe, und wenn es soweit ist, packen Sie selbst mit zu und helfen, die Geschütze zu zünden und nachzuladen.“ „Senor ...“ „Sie können doch mit Kanonen umgehen, oder?“ „Selbstverständlich, Senor.“ „Dann gehen Sie!“ herrschte de Arce ihn an. „Auf was warten Sie noch?“ Dario verschwand von der Back. Er hastete den Backbordniedergang zur Kuhl hinunter, und dort verharrte er bei einem der schweren Siebzehnpfünder-Geschütze, verwirrt und verärgert zugleich darüber, daß der Kapitän ihn, einen Mann des Achterdecks, unter das gewöhnliche Schiffsvolk geschickt hatte. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Don Gaspar gab seinem Ausguck ein Zeichen. Der Mann stellte das Signalisieren ein und enterte schleunigst
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auf die Kuhl ab. Dort wurde er jetzt dringender gebraucht als im Vormars. Somit hatte Don Gaspar jetzt siebzehn Männer auf dem Hauptdeck versammelt, die die achtzehn Kanonen bedienen und die erforderlichen Segelmanöver durchführen sollten, falls es zum Kampf kam. Daß ein Gefecht unvermeidlich war, stand für de Arce fest. Er trat noch einmal ganz nach vorn an die Balustrade der Back, die über der Galionsplattform aufragte, richtete seinen Blick auf die Einmaster und beobachtete durch das Spektiv. Das erste Schiff, das zwei offenbar ganz neue, erst vor kurzem frisch gelohte Segel führte, befand sich jetzt nur noch etwas mehr als eine Kabellänge von dem Rumpf der Galeone entfernt. Es fiel noch mehr ab und lief bald platt vor dem Wind, wodurch sich seine Geschwindigkeit noch ein wenig erhöhte, Allem Anschein nach hatte der Führer dieses Seglers vor, der „Vadavia“ geradewegs vor den Bug zu gehen und sie zu rammen. Nein, so verrückt ist er nicht, dachte der Kapitän. Sein Schiff würde an unserem Vorsteven glatt zerbrechen, wir würden ihn untergraben und mit der kompletten Besatzung versenken. Nein, das tut er nicht. Ganz vorn, auf der Pflicht des schmalen, schnellen Seglers, stand ein großer, muskulöser Mann und winkte mit einem breitkrempigen Hut zur „Vadavia“ herüber. Er stieß einen wilden Schrei aus, dann zog er seinen Säbel und schwenkte ihn hin und her. Die Kerle hinter seinem Rücken stimmten ein markerschütterndes Heulen an. „Da haben wir sie, die Antwort auf unsere Signale“, sagte Don Gaspar Nunez de Arce. „Eine offene Kriegserklärung. Jetzt warten die Kerle darauf, daß wir ihnen einen Warnschuß vor den Bug setzen. Aber den Gefallen tun wir ihnen nicht.“ Er konstatierte durch einen letzten Blick, daß der Segler an der Spitze des Verbandes über vier Geschütze verfügte, leichte Falkonetts oder Minions, die nach Backbord und Steuerbord feuern konnten.
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Am Bug und am Heck hatte der Einmaster jedoch keine Kanonen, und das schien auch bei den anderen nicht der Fall zu sein, soweit de Arce es erkennen konnte. Er schob das Spektiv zusammen und steckte es weg, drehte sich um und schritt an die Balustrade, die den Abschluß zur Kuhl bildete. „Daß mir keiner eigenmächtig handelt!“ sagte er scharf. „Es wird erst geschossen, wenn ich den Befehl dazu gebe. Offenbar haben die Hundesöhne ihren Spaß daran, unsere Nerven zu reizen. Sie wollen, daß wir die Fassung verlieren. Genau das tun wir nicht, verstanden?“ „Jawohl“, murmelten die Männer, obwohl ihnen beim Anblick der heransegelnden Einmaster flau zumute wurde. Es war nicht ihr erster Kampf, und sie wußten das Kräfteverhältnis und die Aussichten, eine solche Schlacht zu gewinnen, sehr wohl einzuschätzen. De Arce gab seinem Ersten Steuermann ein Zeichen, daß er den Kurs halten solle. Bernardo Altez zeigte klar und umklammerte den Kolderstock mit beiden Fäusten. Seine Miene war todernst, fast starr, und von einer ungesunden Farbe überzogen. „Senor!“ rief Ruben Dario plötzlich und zeigte nach Backbord. Don Gaspar fuhr herum und blickte in dieselbe Richtung. Sofort sah er, auf was ihn der Zweite Offizier hinweisen wollte. Das erste Piratenschiff luvte plötzlich nach Backbord an und brachte sich keine halbe Kabellänge von der „Vadavia“ entfernt auf Parallelkurs zu der Galeone. Eine Weile lief es mit und nichts geschah, aber Don Gaspar wußte, warum der Führer der Meute noch nichts unternahm. Erst wartete er darauf, daß sich drei weitere seiner Segler in die Kiellinie seines Schiffes brachten und ein wenig aufholten. Der ganze feindliche Verband schickte sich an, neben der „Vadavia“ herzulaufen, als müsse er ihr als Geleitschutz dienen. Dann puffte vor der Bordwand des Führungsschiffes eine weißliche Qualmwolke hoch. Der Donnerschlag folgte, und im selben Moment duckten sich
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die Männer der spanischen Galeone vor der heranheulenden Kugel. Don Gaspar war der einzige, der den Nerv hatte, an das Backbordschanzkleid des Vorkastells zu stürzen. Dicht neben der Bordwand der „Vadavia“ richtete sich eine Wasserfontäne auf, die sogleich wieder rauschend in sich zusammenfiel. Don Gaspar glaubte auch einen Schlag zu verspüren, der durch die Verbände des Schiffes lief, aber er wußte, daß es Einbildung war, zu glauben, die Kugel habe ein Leck gerissen. Dazu reichte ihre Durchschlagskraft, die von der See gebremst worden war, denn doch nicht aus. Ruben Dario jedoch verlor die Nerven. Er stieß einen Schrei aus, ließ sich einen Luntenstock geben und hielt das brennende Ende der Lunte an das Bodenstück der einen Culverine auf der Backbordseite. Die Glut fraß sich durch den Zündkanal zur Pulverkartusche im Boden des Rohres durch, Dario und die anderen Männer in seiner Nähe sprangen zur Seite, dann spie das Geschütz brüllend seine Ladung aus, rollte dröhnend auf den Hartholzrädern seiner Lafette zurück und rammte gegen die Brook, die seinen Lauf stoppte. „Dario!“ brüllte Don Gaspar außer sich vor Wut. „Sie Narr!“ Ruben Dario schickte sich an, die nächste Kanone zu zünden. Da ihn niemand daran hinderte, stürzte de Arce selbst auf die Kuhl hinunter, um den Mann zu bändigen. Der Siebzehnpfünder-Schuß war schlecht gezielt, die Kugel ging weit vor den Piratenschiffen ins Wasser und riß auch nur eine Fontäne hoch, die für wenige Augenblicke wie eine hohe Krone in der See stand. Durch das Zischen und Rauschen, mit der sie zerfiel, war das höhnische Lachen und Johlen der Piraten zu vernehmen. De Arce packte Ruben Dario und hielt ihn fest. Wütend schüttelte er ihn hin und her und schrie ihm ins Gesicht: „Sie sollten warten, Sie elender Feigling! Sie haben gegen meinen Befehl gehandelt und diesen Hunden gezeigt, wo unsere Schwäche ist! Das werden Sie mir büßen, zum Teufel, das werden Sie mir büßen!“
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Grollend wälzte sich der Kanonendonner von Norden nach Süden über die Andamanensee, einem behäbigen Giganten gleich, der mürrisch das Weite suchte. Hasard, der auf dem Achterdeck der „Isabella“ stand und seinen Blick nach Westen, zum Indischen Ozean hin, gerichtet hielt, fuhr bei dem zweimaligen Klang herum. Sofort hob er das Spektiv und spähte nach achtern, doch er vermochte weder ein Schiff noch das Aufblitzen von Geschützen wahrzunehmen. „Sir!“ schrie Bill aus dem Großmars. „Ich habe schwach einen Mündungsblitz erkennen können!“ „Querab von Nord-Sentinel?“ „Ja, Sir. Im Osten davon und gar nicht weit von den Ufern entfernt!“ „Gar nicht weit vom Ufer entfernt!“ äffte der Profos den Jungen zornig nach. „Was ist das wieder für eine Ausdrucksweise, Bill, du dreimal verfluchte, triefäugige Bilgenratte?“ „Äh – ich bin ganz sicher, daß dicht vor Nord-Sentinel geschossen wird!“ berichtigte der Moses. „Na also“, brummte Carberry. „Das hört sich schon besser an. Na und? Kann es uns nicht scheißegal sein, wenn die Piraten, diese verlausten Wanzen, dort drüben herumballern?“ „Wer sagt dir, daß es die Piraten sind?“ wollte Old O’Flynn wissen. Der Profos grinste hämisch. „Ganz einfach, das hab ich so im Gefühl. Mein Bein juckt mal wieder ganz höllisch, weißt du, und das ist immer ein sicheres Zeichen für ...“ „Du kannst mir mal im Mondschein begegnen“, sagte der Alte, kehrte dem Narbenmann den Rücken zu und marschierte von der Kuhl zum Achterdeck hinauf. Der Seewolf sagte gerade zu Ben Brighton, Shane und Ferris Tucker: „Die Insel liegt Steuerbord achteraus, und wir sind bereits mindestens zehn Meilen von ihr entfernt. Aber das ist für uns noch lange kein
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Grund, einfach zu ignorieren, was dort vorgeht.“ Wieder rollte das Donnern von Kanonen über das Wasser, diesmal schien eine Breitseite abgegeben worden zu sein. „Ganz recht“, sagte Ben Brighton. „Und es ist ja wohl auch nicht anzunehmen, daß sich diese birmanischen Freibeuter untereinander befeuern.“ „Sondern?“ fragte Old O’Flynn angriffslustig. „Wollt ihr etwa sagen, daß sie die Negritos überfallen haben und die armen Schwarzen jetzt der Reihe nach abmurksen, um ihre Frauen vergewaltigen zu können?“ „Nichts gegen deine rege Phantasie, Donegal“, sagte Big Old Shane. „Aber ich glaube nicht, daß die Negritos Siebzehnpfünder haben.“ „Bestimmt nicht“, meinte nun auch Ferris Tucker. „Wie denn? Was denn?“ stieß der Alte aufgebracht hervor. „Hab ich vielleicht behauptet, daß die Wilden Kanonen auf ihrer Insel stehen haben? Das wäre ja noch schöner.“ „Es waren aber Culverinen, die da eben Feuer und Eisen gespuckt haben“, sagte Big Old Shane. „Stimmt’s, Hasard?“ „Ja. Dem Klang der Schüsse nach war nur der erste ein kleineres Kaliber, vielleicht ein Falkon oder ein Minion, mit dem er abgegeben wurde.“ „Auf was wollt ihr hinaus?“ erkundigte sich Old O’Flynn. Dabei legte er seinen Kopf etwas schief wie der Aracanga Sir John, wenn ihm etwas gegen den Strich lief oder er vorhatte, jemand in die Nase oder ins Ohr zu beißen. Der Seewolf lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. „Das ist doch ganz einfach, Donegal. Es ist meiner Ansicht nach ausgeschlossen, daß die Piraten Culverinen an Bord ihrer leichten Schiffe haben. Für solche Kaliber sind die Einmaster nicht gebaut. Folglich muß ein größeres Segelschiff in die Falle der birmanischen Freibeuter geraten sein.“ „Und dessen Besatzung wird mit diesen krummbeinigen Hurensöhnen schon
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aufräumen“, sagte der Alte. „Oder? Wäre doch gelacht.“ „Hängt ganz davon ab, wie viele Schiffe die Piraten haben“, meinte Ferris Tucker. „Bisher haben wir die Stärke ihres Verbandes ja nicht richtig ermitteln können.“ „Hölle“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Ich weiß schon, auf was es jetzt hinausläuft. Also schön, Hasard, du hast allen Ernstes vor, nachzusehen, was da los ist. Siehst es mal wieder als deine Pflicht an, wie?“ „Richtig, Donegal.“ „Und wenn wir dabei selbst in Teufels Küche geraten?“ „Willst du vielleicht kneifen?“ „Ich? Wer hat das denn gesagt?“ „Donegal, keiner soll mir vorwerfen, ich hätte ihm meine Hilfe versagt. Wenn dort drüben, bei Nord-Sentinel, Unschuldige massakriert werden sollen, nur weil sie das Pech hatten, diesen verdammten Galgenstricken zu begegnen, fühle ich mich selbstverständlich dazu aufgerufen, etwas für sie zu tun.“ „Aye, Sir“, sagte Old O’Flynn trocken. „Die Piraten haben eine Mordswut gegen uns im Bauch. Vielleicht lassen sie diese Wut jetzt an Leuten aus, die auf die Dauer nicht gegen sie bestehen können“, sagte Ferris. „Auch nicht mit Culverinen?“ „Siebzehnpfünder sind keine Wunderwaffen“, sagte Big Old Shane. „Und wenn die Besitzer dieser mickrigen kleinen Culverinen nun Spanier oder Portugiesen sind?“ fragte der Alte listig. „Das ist mir doch egal“, sagte der Seewolf. „Los, Ben, Shane und Ferris, wir luven an, gehen überstag und versuchen, im Norden um die Insel herumzusegeln. Schnell, wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir noch etwas ausrichten wollen!“ „Aye, Sir“, sagten die Männer und verließen das Deck, um die Befehle weiterzugeben und selbst mit zu den Brassen und Schoten zu greifen. Carberry begann auf die gewohnte Art herumzubrüllen. Schritte polterten über das Hauptdeck, eilfertige Geschäftigkeit hatte
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eingesetzt. Die „Isabella“ luvte an und segelte nach Nordwesten, wobei die Segel so weit wie möglich angebraßt wurden. Old O’Flynn stand immer noch bei Hasard und musterte ihn aus schmalen Augen. „Hör mal“, sagte er schließlich. „Hast du darüber nachgedacht, daß das Ganze auch eine Falle für uns sein könnte?“ „Donegal, das halte ich für ausgeschlossen“, antwortete der Seewolf, der an die Balustrade getreten war, voraus blickte und die Handgriffe seiner Männer verfolgte. „Die Piraten können sich doch an zehn Fingern abzählen, daß sie uns durch Kanonenfeuer eher verjagen als anlocken.“ „Es sei denn, sie kennen dich und deinen Edelmut.“ „Sie kennen mich nicht. Wir sind ihnen nie zuvor begegnet.“ „Aber die ‚Isabella’ ist allmählich so bekannt wie ein bunter Hund, das solltest du nicht vergessen“, gab der Alte zu bedenken. „Es existieren wohl Beschreibungen, die von Mund zu Mund weitergegeben werden.“ „Donegal, hörst du jetzt auf?“ Hasard begegnete dem Blick Old O’Flynns, und sie starrten sich eine Weile ziemlich biestig an. „Willst du dich vor einem Kampf drücken?“ fragte der Seewolf. „Ist es das, was dich plagt?“ „Jetzt mach du aber mal einen Punkt, Kapitän Killigrew“, versetzte der Alte wütend. „Wer wollte denn so schnell wie möglich ohne Zwischenfälle in den Indischen Ozean segeln?“ „Ich, aber inzwischen liegen die Dinge anders.“ „Ich würde es verdammt bedauern, wenn du mich für einen alten Trottel und Zittergreis halten würdest.“ Hasard blieb stockernst. „Ich versichere dir hoch und heilig, daß das nicht der Fall ist, Donegal.“ „Sondern?“ „Mister O’Flynn, mir wäre mächtig daran gelegen, mal wieder den alten Haudegen in dir zu sehen, der du sonst bist.“ Da fing Old O’Flynn an zu grinsen und sagte: „Fein, Sir. Das laß ich gelten,
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verflixt noch mal. Und nimm’s mir nicht übel, daß ich wieder mal versucht habe, dir in den Kram zu reden. Du kennst mich ja.“ „Ist schon in Ordnung.“ „Gut. Dann gehe ich jetzt mal meinen Säbel wetzen und spucke mir tüchtig in die Hände.“ Er verließ das Achterdeck und zeigte dabei eine so heitere Miene, daß Shane, Ferris, Carberry und Dan O’Flynn sich wunderten. Die „Isabella“ segelte mit Steuerbordhalsen etwa anderthalb Meilen nach Nordwesten, dann gab der Seewolf den Befehl zum Wenden, und das Schiff ging mit dem Bug durch den Nordwind. Das Ruderrad drehte sich unter Petes schwieligen Händen, die Crew schrickte die Backbordbrassen und -schoten weg, holte die Brassen und Schoten der Steuerbordseite dicht und belegte ihre Enden an den Nagelbänken. Mit Kurs Nordosten pflügte die Galeone, jetzt auf dem Steuerbordbug liegend, die See und näherte sich Nord-Sentinel. Nach wie vor war die „Isabella“ gefechtsbereit, aber Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfes, prüften auf Ben Brightons Anweisung hin jetzt doch noch einmal, ob Munition und Ladegerät an jeder Culverine bereitlagen, wie es sich gehörte. Wieder ertönte im Osten Kanonendonner. 8. Die beiden kleinen, dunkelhäutigen Männer hätten ihre Pfeile auf José Tragante abschießen können, aber auch sie schienen nicht recht zu wissen, wie sie sich verhalten sollten. So standen sie da und blickten starr auf den Spanier, der mit kerzengerade aufgerichtetem Oberkörper mitten auf der Lichtung vor dem Zelt aus Persenning hockte — eine merkwürdige, aberwitzige Szene. Als dann aber auf See das Wummern der Schiffsgeschütze ertönte, wandten die Eingeborenen verdutzt die Köpfe und sahen in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
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Jose Tragante nutzte seine Chance, Ihm war zumute, als erwache er aus einem grotesken Traum. Seine Haltung lockerte sich, er war. fähig, sich zu bewegen und griff sofort zu der Pistole, die in seinem Gurt steckte. Er hatte sich schockieren lassen durch das urplötzliche Auftauchen dieser Wilden, denn er hatte ja mit Sicherheit angenommen, daß die Insel unbewohnt sei. Dieser tragische Irrtum hätte ihn fast das Leben gekostet, wie er annahm, und er sagte sich, daß ihm so etwas nie wieder passieren würde. Meisterhaft hatten die Schwarzen es verstanden, sich im Busch zu verstecken, während Don Gaspar Nunez de Arce die Insel mit seinem Trupp erforscht hatte. Vielleicht hatten sie auch große Angst gehabt und sich aus diesem Grund verborgen. Aus ihrem Gebaren schloß Tragante, daß sie wahrscheinlich nie zuvor einem Weißen begegnet waren, deshalb verhielten sie sich wohl auch so unschlüssig und zaudernd. Schußwaffen kannten sie auch nicht. Womöglich hatten sie niemals das Krachen einer Kanone vernommen, denn das Grollen, das vom Meer herübertönte, schien sie zutiefst zu erschrecken. Der Feldscher spannte rasch den Hahn der Pistole, eines Schnapphahnschloß-Modells, hob die Waffe und drückte ab. Im neuerlichen Donnern der Geschütze krachte der Pistolenschuß und raste über die Köpfe der beiden nackten Buschmenschen. Sie schrien auf, duckten sich und zogen sich hastig zur grünen Wand des Dschungels hin zurück. Der eine fiel hin, der andere half ihm wieder auf, verlor aber seinen Bogen dabei. Tragante kroch unter die Persenning, so schnell er konnte, und riß eine der Musketen an sich, die Don Gaspar ihm und den kranken Männern der „Vadavia“ zu ihrem persönlichen Schutz hiergelassen hatte. Er legte den Daumen an den Hahn der geladenen Waffe, rannte unter dem Dach des primitiven Zeltes hervor auf die Lichtung zurück und legte mit verzerrtem
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Gesicht auf die Eingeborenen an, deren Gestalten jetzt in das Blätterwerk des Dickichts tauchten. Er feuerte den Schuß über ihre Köpfe ab, ehe sie ganz verschwanden, und hörte sie vor Angst aufbrüllen. Dann waren sie weg, und er vertauschte die leergeschossene Muskete mit einem geladenen Tromblon. Vorsichtig näherte er sich dem Saum des Waldes, denn er rechnete damit, daß sie aus dem Hinterhalt auf ihn schießen würden. Doch er täuschte sich. Kein Pfeil schwirrte auf ihn zu, nicht einmal ein Rascheln war im Gebüsch, das verkündete, dort irgendwo könnte der Heckenschütze lauern. Mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Brauen hob Jose Tragante den Bogen des einen Mannes auf. In der Hast ihrer Flucht hatten die Wilden die Waffe zurückgelassen. Nachdenklich betrachtete er das grob zurechtgeschnitzte und durch die Zugkraft der Sehne gekrümmte Holz. Dann krachte es wieder dumpf auf See, als wolle ein gewaltiges Beben die Fluten auseinanderreißen, und erst jetzt Wurde dem Feldscher richtig bewußt, daß dort draußen ein Gefecht stattzufinden schien. Madre de Dios, dachte er, heilige Mutter Gottes - die „Vadavia“! Er ließ den Bogen wieder zu Boden fallen, wandte sich um und kehrte zu dem Lagerplatz zurück. Er hatte ein weiteres Tromblon an sich genommen und zwei Steinschloßpistolen in den Gurt geschoben, da bemerkte er eine Regung hinter sich. Mit dem einen Tromblon im Anschlag fuhr er herum. Eine grausige Vision spiegelte ihm vor, wie die Schwarzen Verstärkung erhalten hatten und jetzt unter der Persenning lauerten, um ihn mit ihren Pfeilen und Speeren zu spicken - und nur im letzten Augenblick konnte er sich bezwingen, nicht den Zeigefinger um den Abzug zu krümmen. Es war Pedro Gavena, der sich erhoben hatte und ihn aus geweiteten Augen anblickte. Tragante erschien der Profos wie ein Geist, eine verschwommene Masse
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Mensch mit talgigem Gesicht, die von den Toten auferstanden war. „Hölle, Tragante“, sagte der Profos mit heiserer Stimme. „Bist du des Wahnsinns? Willst du mich mit der Blunderbüchse in Stücke sägen?’ „Um Himmels willen, nein. Aber es waren Eingeborene hier und da dachte ich ...“ „Eingeborene?“ „Die Insel ist bewohnt, Senor Gavena.“ „Aber der Kanonendonner! Was hat der zu bedeuten?“ Gavena hatte sich nur hingekniet, auf seinen Beinen konnte er sich nicht halten. Aber auch so wankte er und drohte, von Schwindel und Übelkeit erneut übermannt zu werden. „Das Krachen der Geschütze“, preßte er hervor. „Es hat mich — aufgeweckt. Santo Padre, auf was haben wir — wir uns bloß eingelassen?“ Der Feldscher ging auf ihn zu und sagte: „Ich will versuchen, herauszufinden, was es mit dem Geschützfeuer auf sich hat. Trauen Sie es sich zu, hier solange Wache zu halten?“ „Ja. Zum Teufel, ja.“ „Waffen haben wir genug.“ „Ich schieße, was das Zeug hält, wenn — wenn diese Wilden sich wieder zeigen“, sagte Gavena stöhnend. „Sind es viele?“ „Bis jetzt habe ich nur zwei gesehen.“ „Späher. Der Rest der Bande lauert wohl irgendwo auf den Hügeln. Der Henker soll mich holen, Tragante —mir ist schlecht und heiß, so furchtbar heiß.“ „Warten Sie, ich lege Ihnen noch eine Kompresse auf.“ „Nein. Lauf du zur Bucht. Sieh nach, ob die ,Vadavia` angegriffen worden ist. Ich komme hier schon - allein zurecht.“ Tragante zögerte jetzt nicht mehr. Er verließ das Zelt, lief über die Lichtung zum Pfad, folgte dessen Verlauf und erreichte wenig später den Strand der Bucht. Wieder rollte der tiefe, unheilvolle Donner über das Wasser, und die Besorgnis des Feldschers um die „Vadavia“ wuchs. Doch von seinem Standort aus konnte er weder die Galeone noch das oder die Schiffe sehen, von denen sie mutmaßlich in Bedrängnis gebracht worden war. Jetzt
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gab es zwei Möglichkeiten. Entweder lief er bis auf die Landzunge, die die Einfahrt der Bucht im Osten begrenzte, oder aber er nahm die Jolle und pullte bis in die Passage, von wo aus er sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen hoffte. Für kurze Zeit fühlte er sich hin und her gerissen zwischen verschiedenen¬ Entscheidungen, dann aber beschloß er, die Jolle flottzumachen und quer über die Bucht zur Ausfahrt zu rudern. Auf See schien eine Feuerpause eingetreten zu sein. Waren es die Eingeborenen der Insel, die die „Vadavia“ mit Booten umzingelt und überfallen hatten? In diesem Fall hatte Kapitän de Arce sicherlich keine Schwierigkeiten, sich ihrer zu entledigen. Schlimmer wäre es gewesen, wenn die Schwarzen die Besatzung überfallen hätte, als sie die Kranken, Proviant, Wasser und Waffen an Land brachte, denn zu dieser Zeit waren sowohl das Schiff als auch die Mannschaft ungeschützt gewesen. Jetzt aber war die Schlacht vielleicht schon entschieden, und die „Vadavia“ segelte frei davon, um ihrem Kurs nach Südosten, nach Sumatra und Kalimantan, zu folgen. José Tragante zögerte nun doch, die Leine des Bootes von dem im Sand festgerammten Pflock zu lösen. Aber noch etwas anderes beschäftigte seine Gedanken: Waren diese Schwarzen wirklich so angriffslustig und blutrünstig, wie er selbst bei ihrem ersten Anblick geglaubt hatte? Oder hatte er vielmehr einen Fehler begangen und sich von seiner jähen Angst vor den wilden Männern zu einer unüberlegten Handlung verleiten lassen? Gewiß, er hatte nicht auf sie geschossen, um sie zu töten. Nur über ihre Köpfe hatte er gezielt, um sie zu verjagen. Aber wäre es nicht besser gewesen, überhaupt nicht zu feuern? Trotz ihrer Bogen und Pfeile war nicht sicher gewesen, ob sie über ihn hatten herfallen wollen. Der Feldscher grübelte darüber noch herum, als plötzlich wieder ein Schuß fiel. Er war von einer Muskete oder von einem
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Tromblon abgegeben worden und drang aus dem Inneren der Insel an sein Ohr. „Gavena“, sagte er fassungslos. „Mein Gott. Sie sind doch wieder in das Lager eingedrungen.“ Er sprang auf, lief mit seinen Waffen über den Strand zum Urwald zurück und ließ die Jolle hinter sich zurück. Was immer der „Vadavia“ widerfahren war, das Wohl der Kranken ging vor. Tragante hatte seinem Kapitän hoch und heilig versichert, sie zu beschützen und nicht aus den Augen zu lassen. * Don Gaspar Nunez de Arce hätte seinem Zweiten Offizier wegen dessen unbotmäßigen Verhaltens am liebsten links und rechts ins Gesicht geschlagen, aber er bezwang sich rechtzeitig genug und beschränkte sich darauf, Dario von sich zu stoßen, daß dieser rückwärts bis zur Gräting taumelte und dabei um ein Haar stürzte. Inzwischen waren die Einmaster der birmanischen Piraten noch näher herangesegelt. Keine vierzig Yards Abstand lagen zwischen den feindlichen Parteien. Von Nordosten her stießen nun auch die letzten Segler des FreibeuterVerbandes nach, um sich teils ihrem Führungsschiff anzuschließen, teils hinter das Heck der spanischen Galeone zu manövrieren. Was die Kerle -auf diesen letzten Einmastern vorhatten, war offensichtlich: Sie wollten sich geschickt bis an den Heckspiegel und an die Steuerbordseite der „Vadavia“ bringen, so daß die Galeone praktisch in einen Zangengriff geriet, aus dessen Umklammerung es kein Entweichen mehr gab. „Senor!’; schrie der Erste Steuermann Bernardo Altez, dem die ganze Entwicklung keineswegs entgangen war. „Sie schieben sich immer näher heran und wollen entern!“ „Backbordbreitseite – Feuer!“ schrie Don Gaspar.
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So zündeten seine Geschützführer die acht Kanonen der linken Schiffsseite, die noch feuerbereit waren. Explosionsartiger Donner erstickte die Rufe der Männer, Feuerblitze stachen aus den Mündungen der Rohre, beißender Pulverqualm breitete sich auf der Kuhl aus, und die „Vadavia“ holte unter der Rückstoßwirkung der Schüsse weiter nach Lee über. Don Gaspar hatte diese Breitseite erst später abgeben wollen, und zwar in dem Augenblick, in dem sich die gegnerischen Schiffe nur noch höchstens zwanzig Yards von der Bordwand der Galeone befunden hätten. Die Wirkung wäre verheerend gewesen, auch wenn die Piraten zwischendurch schon mit ihren Kanonen zu feuern begonnen hätten. Es hätte wenigstens zwei oder drei Einmaster regelrecht zerrissen, und die Wucht der Zerstörung hätte unter den nachfolgenden Kerlen möglicherweise Ratlosigkeit und Verwirrung ausgelöst. So aber ging über die Hälfte der Kugeln fehl, und nur drei rissen dem Nachfolger des Führungsschiffes die Spitze des Mastes weg, rasierten einem anderen den Bugspriet ab und kehrten auf demselben Kahn zwei oder drei in tödlichem Entsetzen aufbrüllende Männer vom Deck. Das war alles, und es war erschreckend wenig. Ruben Dario hatte die simple Taktik Don Gaspars durch sein unbeherrschtes, eigenmächtiges Handeln verhindert. Während die Männer der Galeone die Geschütze in aller Eile nachluden, zündeten die Piraten ihre leichten Kanonen. In schneller Folge blitzte es vor den Mündungen auf, und ein ganzer Hagel von Kugeln schien auf die „Vadavia“ einzuprasseln. Don Gaspar ließ sich auf die Planken sinken und bedeutete auch seinen Männern, in Deckung zu gehen. Plötzlich wirbelten Trümmer, und im Schanzkleid der Backbordseite klaffte eine Lücke. Gigantenfäuste schienen gegen den Rumpf zu hämmern, und die Männer schrien durcheinander. Nicht weit von sich entfernt Sah Don Gaspar zwei Decksleute
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zusammensinken. Als er das Blut erkannte, das aus ihren Wunden hervorschoß, wußte er, daß sie von Kugeln oder Kugelsplittern tödlich getroffen worden waren. Ein lautes Gebrüll der Piraten quittierte den Erfolg des massiven Beschusses. Auch an Steuerbord der „Vadavia“ krachte es plötzlich los, denn einige Segler hatten inzwischen aufgeholt, glitten neben der Galeone her und feuerten ihr mit ihren Falkon- und Minion-Kugeln Löcher in die Bordwand. „Senor!“ schrie Bernardo Altez. „Sie greifen auch von achtern an! Sie entern!“ Don Gaspar erkannte, daß er keine Gelegenheit haben würde, die Culverinen, oder die Demi-Culverinen erneut zu zünden. All sein Bestreben mußte jetzt darauf ausgerichtet sein, ein Überspringen der Freibeuter auf sein Schiff zu verhindern - und das konnte nicht mit den Kanonen geschehen. „Musketen und Tromblons!“ schrie er. „Greift euch die Flinten und schießt auf jeden, der zu entern versucht! Fünf Mann mit mir, wir müssen aufs Achterdeck!“ Er bewaffnete sich selbst mit einer Blunderbüchse und stürmte zum Backbordniedergang, der auf das Achterdeck führte. Er nahm die Stufen mit zwei großen Sätzen, langte bei Altez an, der den Kolderstock festgelascht hatte, und hetzte mit ihm zur Kampanje hinauf, um über die Heckreling weg auf die Piraten zu schießen. Das grelle Geschrei der birmanischen Freibeuter hüllte die „Vadavia“ ein. Die Hölle schien ihre Tore geöffnet und all ihre Teufel entlassen zu haben, um sie auf die Galeone zu hetzen - diesen schrecklichen Eindruck hatte Ruben Dario, der plötzlich wie verlassen an der Kuhlgräting stand und seinen flackernden Blick mal nach links, mal nach rechts schickte. 9. Die „Isabella“ rauschte im Norden an Nord-Sentinel vorbei, Kurs Osten lag an. Noch befand sich die Insel im Blickfeld von Bill und versperrte ihm die Aussicht
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nach Südosten, wo eben die letzten Kanonenschüsse verklungen waren. Was dort seinen Verlauf nahm, ließ sich also noch nicht feststellen, aber schon war das gellende Schreien zu vernehmen, das einem durch Mark und Bein ging. Kurze Zeit später hatte die „Isabella“ die Bucht passiert, in der die „Vadavia“ im Morgengrauen vor Anker gelegen hatte, rundete das nordöstliche Ufer des Eilandes und ging, leicht vom Wind abfallend, auf südöstlichen Kurs. „Sir!“ rief Bill. „Sie segeln uns genau voraus - mehr als ein Dutzend Einmaster mit einem oder zwei Segeln! Der Kerl, der uns in der Nacht angegriffen hat, scheint auch dabei zu sein!“ „Er hat neues Segeltuch gesetzt“, sagte der Seewolf, als er auf dem Achterdeck sein Spektiv hob und hindurchblickte. „Er hat heute nacht den Verband wieder um sich versammelt und dann unsere Verfolgung aufgenommen, obwohl wir einen Vorsprung gewannen und er den Anschluß verlor. Durch Zufall hat der Hund, der diese Bande’ anführt, jetzt ein neues Opfer gefunden.“ „Der Überfall gilt einer spanischen Galeone, Sir!“ meldete Bill. „Ein stattliches Schiff, nicht schlecht armiert. Trotzdem haben die Piraten es bereits umzingelt und setzen gerade zum Entern an!“ Hasard beobachtete die Galeone durch das Rohr. Ja, da flatterte die Flagge von Andalusien im Großtopp, und es gab keinen Zweifel mehr an der Herkunft des in Bedrängnis geratenen Schiffes. Bald aber würde die Flagge niedergeholt werden, denn alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß die Piraten den Sieg davontrugen und den stolzen Dreimaster als Prise nahmen. „Verdammt!“ rief Ben Brighton, der jetzt ebenfalls durch seinen Kieker spähte. „Diesmal sind die Hunde ohne größeres Risiko vorgegangen. Einen Alleingang wie heute nacht hat der Anführer nicht mehr gewagt, er hat seine komplette Meute in die Schlacht geworfen.“
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„Aber warum hat er diesmal nicht die Dunkelheit abgewartet?“ wollte Pete Ballie wissen. Er streckte seinen Kopf rasch aus dem Ruderhaus hervor und blickte seinen Kapitän und Ben Brighton fragend an. „Pete, das ist doch ganz einfach“, erwiderte der Seewolf. „Nach der erlittenen Schlappe muß sich der Piratenführer vor seinen Kerlen schleunigst durch eine Heldentat behaupten, sonst beginnen sie an ihm zu zweifeln. Deshalb dringt er auf die Spanier ein, ehe auch die ihm durch die Lappen gehen.“ „Wie ein Rudel Raubtiere sind sie über die Dons hergefallen“, sagte Old O’Flynn, der inzwischen wieder auf dem Achterdeck erschienen war - mit einem mächtigen Cutlass in der Hand. „Sir, du hattest doch recht. Wir können es nicht zulassen, daß die Birmanen ein derartiges Blutbad anrichten.“ „Aber wie sollen wir die Galeone einholen?“ fragte Ferris Tucker. „Hölle und Teufel, die segelt doch so schnell wie wir, wenn mich nicht alles täuscht, und ...“ „Sie luvt jetzt viel zu weit nach Backbord an!“ schrie Bill. „Irgendwas scheint mit ihrem Ruder nicht zu stimmen!“ rief Dan O’Flynn, der die Back geentert hatte und von dort aus Ausschau nach den Spaniern und den Piraten hielt. „Sie verliert an Fahrt, und gleich fangen ihre Segel wie verrückt an zu killen“, sagte der Seewolf. „Das vergrößert das Unglück des spanischen Kapitäns und seiner Mannschaft, aber uns gibt es die Möglichkeit, sehr schnell bei ihm zu sein und mit ihm gegen die Galgenstricke zu kämpfen.“ Die „Isabella“ segelte mit Backstagsbrise auf die Stätte des Kampfes zu. Sie lief gute Fahrt, fast sieben Knoten, und rasch verkleinerte sich die Entfernung zwischen ihr und der „Vadavia“. Hasards Männer blickten wie gebannt auf den großen Dreimaster und die kleinen Piratenschiffe. Sie fieberten jetzt fast der Auseinandersetzung entgegen. *
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Pedro Gavena war unter der Persenning — an Herra de Canduela und den Decksleuten Aurel und Solis vorbei — zu den Waffen gekrochen, und dabei hatten ihn das Fieber, die Schweißausbrüche und die entsetzliche Übelkeit fast zu Boden gezwungen. Die wenigen Yards erschienen ihm wie eine unendlich lange Strecke, die Umgebung verschwamm vor seinen geröteten Augen. Aber er hatte es dann doch geschafft, ein Tromblon an sich zu nehmen, sich zwischen die reglos daliegenden Kameraden zu kauern und den Waffenhahn zu spannen. Juan de Rivadeneira stöhnte und begann plötzlich mit den Händen um sich zu schlagen. Gavena nahm ihm das Tuch von der Stirn, tauchte es in einen bereitstehenden Holzkübel mit Süßwasser, wrang es aus, so gut er konnte, und legte es ihm wieder auf. Er hielt den Arm des Ersten Offiziers fest und redete besänftigend auf ihn ein. Schließlich beruhigte sich de Rivadeneira wieder. Gavena atmete schwer. Es fiel ihm nicht leicht, den Oberkörper und den Kopf aufrecht zu halten, das Tromblon drohte seinen Händen zu entgleiten. Der Schweiß schien ihm in Bächen über das Gesicht und über den Leib zu rinnen, jedenfalls empfand er es so. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Er glaubte, sich jeden Augenblick von neuem übergeben zu müssen. Dann nahm er hinter seinem Rücken etwas wahr. Er fuhr herum. Täuschte er sich — oder war da wirklich eine Bewegung in der Persenning gewesen? „Wer da?“ stieß er mit rauher Stimme aus. Als er keine Antwort erhielt, beschloß er, vorsichtig unter dem improvisierten Zelt hervorzukriechen, um nach dem Rechten zu sehen. In seinem Kopf dröhnte und kreiste es. Er sah die tiefgrünen Farben des Dschungels und das Braun des Lichtungsbodens plötzlich als Rot und Gelb leuchten und
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wurde sich bewußt, daß er sich nicht mehr lange halten konnte. Dennoch gelangte er bis ins Freie, vollführte eine schwerfällige Körperdrehung und blickte um die Kante des gewachsten und geteerten Segeltuchs herum zu der Stelle, die man vom Inneren des Zeltes aus nicht übersehen konnte. Jetzt entdeckte er sie, die schwarzen Gestalten ohne jegliche Kleidung, die leicht gebückt dastanden, die Persenning mit ihren kleinen Händen betasteten und miteinander tuschelten. Er riß das Tromblon hoch und spürte dabei, wie ihn eine heiße Welle durchflutete. Vor seinen Augen schienen die Eingeborenen wild durcheinanderzuwirbeln. Er wußte nicht mehr, auf wen er zielen sollte. Ein würgendes Gefühl schnürte ihm die Kehle zu, aber er versuchte doch noch, sich in den Knien aufzurichten. Halb schaffte er es. In diesem Moment wurden die Negritos auf ihn aufmerksam und wichen zurück. Gavena stieß ein unterdrücktes Gurgeln aus, dann betätigte er den Abzug des Tromblons. Der Rückstoß warf ihn zurück, er kippte auf den Rücken, und die Ladung aus gehacktem Eisen und Blei stob aus der trichterförmig erweiterten Mündung der Waffe zu den dichten, ausladenden Baumkronen hinauf, ohne Schaden anzurichten. Das Tromblon entglitt den Händen des Profos’. Er glaubte fest daran, daß die schwarzen Männer jetzt über ihn herfallen und ihn totschlagen würden, aber er konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Alles versank in erlösender Finsternis. Gavena wurde ohnmächtig. Der Schuß war von Jose Tragante gehört worden, aber Tragante war noch viel zu weit entfernt, um etwas für den Profos und die neun anderen Kranken tun zu können. Langsam traten die Negritos auf die bewegungslose Gestalt zu. Sie beugten sich über sie, betrachteten das Gesicht und den Körper des großen Mannes und flüsterten etwas, das wie „Alay-olay-olay“ und „Otaly-alay-laylay“ klang.
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Sie schlichen sich in das Zelt, stiegen über die kranken Männer der „Vadavia“ und näherten sich den Fässern und Kisten mit dem Proviant, den Trinkwasserfässern und Kübeln und den Waffen und der Munition. Sehr eingehend untersuchten sie dies alles, dann blickten sie sich an und nickten sich untereinander zu. * Jose Tragante wollte sich zwingen, nicht dauernd daran zu denken, aber die Vision war mächtiger als sein Wille. Immer wieder sah er vor sich, wie die nackten Schwarzen die zehn kranken Männer der „Vadavia“, grausam dahinschlachteten. Gavenas Schuß hatte eine Woge des Hasses ausgelöst, die jetzt über die Lichtung spülte und das Leben der zehn auslöschte wie das Licht einer kleinen, unbedeutenden Talglampe. Tragante lief, so schnell er konnte, und erreichte die Steigung, die die Anhöhe hinauf zu der Lichtung führte, die sich nahezu auf der Kuppe des nicht sehr hohen, dichtbewachsenen Hügels erstreckte. Das Konzert der Urwaldvögel und der Affen begleitete Tragante, und er glaubte, daraus jetzt einen höhnischen Beiklang zu vernehmen, der soviel besagte wie: Du Narr, was hast du hier verloren? Warum scherst du dich nicht fort? Die beiden Tromblons und auch die Pistolen in seinem Gurt behinderten den Feldscher. Ohne sie hätte er schneller laufen können. Aber um keinen Preis der Welt hätte er auch nur eine Waffe im Busch zurückgelassen, denn wenn die Schwarzen sie fanden, würden sie zumindest versuchen, damit auf ihn zu schießen. Er schätzte die Distanz, die ihn noch von dem Lager der Kranken trennte, auf nicht mehr als zweihundert Schritte. Keuchend hastete er voran und hielt nach links und rechts Ausschau, um etwaige Späher der Eingeborenen in den Büschen zu entdecken. Er schaute auch immer wieder
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über die Schulter zurück, doch niemand hatte seine Verfolgung aufgenommen. Tragante hätte besser daran getan, auch einen Blick auf den Trampelpfad zu werfen, aber diese Einsicht kam ihm erst, als es zu spät war. Plötzlich prallte sein linkes Bein gegen einen Gegenstand, der sich bretthart anfühlte. Tragante strauchelte, geriet auch mit dem rechten Fußknöchel an den Widerstand, fiel der Länge nach hin und begrub das eine Tromblon unter sich. Das andere entglitt seiner rechten Hand. Die Steinschloßpistolen, die in seinem Gurt steckten, schlugen ihm wie eine Faust in den Magen. Damit nicht genug. Er stieß sich den Kopf an dem Stamm einer hohen Gurjane und wurde von einem Moment auf den anderen bewußtlos. Der Boden schien unter ihm aufzubrechen, die Welt war ein einziges dunkelgrünes Blätterdach, das über ihm zusammensank und sich schwer auf seinen Leib senkte. José Tragante lag auf dem Bauch, ohne sich zu rühren. Zwei Negritos schlüpften aus den Büschen, beugten sich über ihn und betrachteten ihn eine Weile. Dann nahmen sie das eine Tromblon an sich, drehten den weißen Mann auf den Rücken und entledigten ihn auch der zweiten Flinte und der beiden Pistolen. Das Pulverfläschchen an seinem Gurt ließen sie ihm, sie wußten nicht, was sie damit anfangen sollten. Als sie die Liane, über die er gestolpert war, von den Stämmen der Dschungelbäume lösten, lachten sie schadenfroh. * Don Gaspar Nunez de Arce schob als erster seine Muskete über die Heckreling der „Vadavia“. Im nächsten Augenblick war auch der Steuermann Bernardo Altez neben ihm, dann erschienen zwei Decksleute mit Blunderbüchsen in den Händen. Zu viert zielten sie auf die Piraten, während andere Mannschaftsmitglieder
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vom Quarterdeck aus nachstießen und Musketen und Tromblons heranschleppten. Drei Enterhaken der Piraten hatten sich an der Brüstung der Heckgalerie festgekrallt, die gut drei Yards unter Don Gaspar und seinen Leuten lag. An den Tauen, die die Haken mit den leichten Schiffen der Birmanen verbanden, hangelten jetzt die ersten Gestalten hoch. ..Feuer!“ schrie Don Gasgar. Die Musketen und Tromblons krachten. Zwei Piraten ließen die Taue, an denen sie sich wie die Affen festklammerten, plötzlich los und stürzten schreiend ins Kielwasser der Galeone. Don Gaspar ließ sich eine andere Muskete reichen, auch Altez nahm einem der nachrückenden Männer die Waffe ab, um sie selbst zu benutzen. Drei Decksleute mit geladenen Gewehren drängten sich neben die Kameraden, die soeben ihre Tromblons abgefeuert hatten, zielten und schossen zur selben Zeit wie der Kapitän und der erste Steuermann. Wieder ließen einige Piraten von den Leinen ab, dieses Mal waren es vier. Die Schüsse hatten besser gesessen, doch es war, als hätten Don Gaspar und seine Männer überhaupt nichts ausgerichtet, denn immer mehr wild gekleidete, zum Teil tätowierte und bemalte Gestalten mit Entermessern und Dolchen zwischen den Zähnen schoben sich von den Einmastern her zur Galerie hoch. Jetzt flogen auch an Backbord und an Steuerbord der Galeone die Enterhaken, denn die Segler der Birmanen waren längsseits gegangen. Das Geheul der Feinde nahm noch zu. Das ist das Ende, dachte Don Gaspar. Er gab sich keinen Illusionen mehr hin, aber er wußte, daß er bis zur letzten, bitteren Konsequenz kämpfen würde. Er würde versuchen, ganz zum Schluß, wenn alles verloren war, zu einem Mittel zu greifen, das auch den Piraten den wirklichen Sieg vorenthalten würde, aber eben erst ganz zum Schluß. Er drehte sich zum Deck um und streckte die Hand nach einer Waffe aus, aber es war niemand da, der ihm so. rasch eine
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Muskete oder ein Tromblon nachreichen konnte. Die anderen Männer hatten jetzt genug damit zu tun, ihre Waffen auf die über das Schanzkleid kletternden Leiber abzufeuern. Don Gaspar erkannte zum erstenmal, was es bedeutete, keine Bugund Heckgeschütze auf der „Vadavia“ zu haben, nicht einmal ein paar Serpentinen oder Drehbassen, die in Gabellafetten montiert waren. Damit hätte er weitaus mehr gegen die von achtern aufenternden Freibeuter ausrichten können. Er lud die Muskete nach, die er in den Händen hielt, eine umständliche, langwierige Arbeit, die ihn viel zu sehr in Anspruch nahm. Als er den Ladevorgang endlich abgeschlossen hatte, schüttete er rasch neues Zündkraut auf die Pfanne des Steinschlosses, legte wieder auf die Gegner an und drückte ab. Er traf und sah den Piraten, auf den er gezielt hatte, in die Tiefe stürzen, aber er stellte zu seinem Entsetzen auch fest, daß einige der wüsten Kerle inzwischen die Heckgalerie erklommen hatten. „Altez!“ rief er seinem Steuermann zu. „Kommen Sie mit! Wir müssen ins Achterkastell und zusehen, daß diese Hunde nicht bis auf die Kuhl vordringen!“ „Ja, Senor!“ schrie Bernardo Altez. „Aber sehen Sie doch!“ Er wies nach Nordwesten, und de Arce folgte der Richtung mit dem Blick. So sah er die große Galeone mit den überraschend hohen Masten und den breiten Segeln, die in voller Fahrt auf die „Vadavia“ zuhielt. „Er führt die englische Flagge!“ rief Altez. „Ich kann das rote Georgskreuz auf dem weißen Grund deutlich erkennen!“ „Auch das noch!“ stöhnte de Arce. „So ist das also. Er scheint der wahre Anführer dieser Bande von Schlagetots zu sein. Ein Engländer, der Eingeborene gegen uns aufwiegelt! Der Teufel soll ihn holen!“ brüllte er und wußte nicht, wie sehr er sich irrte. De Arce und Altez verließen die Kampanje, liefen auf das Achterdeck hinunter und von dort aus auf die Kuhl. Sie zückten ihre Degen und wollten sich der
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Tür des Achterkastells zuwenden, da versperrten ihnen drei Piraten, die sich inzwischen bis hierher durchgekämpft hatten, den Weg. Don Gaspar sprang auf den einen zu und führte eine glänzende Parade, die der Kerl augenscheinlich nicht erwartet hatte. Ehe er es sich versah, durchbohrte ihn Don Gaspars Degenklinge. Bernando Altez focht gegen die beiden anderen. De Arce kam ihm zu Hilfe, und gemeinsam setzten sie sich gegen die brüllenden Birmanen zur Wehr, bis es ihnen schließlich gelang, sie in einem mutigen Ausfall zu töten. Sie waren an der Tür zur Hütte und öffneten sie. Ein Blick zur Kuhl genügte Don Gaspar, um die Ausweglosigkeit ihrer Lage zu erfassen: Huben Dario und zwei andere Männer der Galeone lagen in ihrem eigenen Blut, und die anderen wurden von den Piraten hart bedrängt. Ein Dutzend Freibeuter mochten inzwischen ihr Leben gelassen haben, aber es waren immer noch über hundert Kerle, die mit Säbeln und großen Messern gegen die Spanier vordrangen, eine Übermacht, die nicht zu besiegen war. Don Gaspar stürmte mit Altez in den Achterdecksgang. Auf dem halben Weg zur Kapitänskammer, die durch eine Tür mit der Heckgalerie verbunden war, stießen sie mit den Piraten zusammen. Es war ein ganzer Pulk von Kerlen, der sich zwischen den Holzwänden drängte und blitzende Klingen gegen sie schwang. Don Gaspar und sein Erster Steuermann kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Sie hieben und stachen um sich, sahen zwei Gegner zusammenbrechen und versuchten, sich auch gegen den Rest der Meute zu behaupten. Altez stöhnte plötzlich auf. Don Gaspar sah einen Säbel auf sich zuzucken und spürte ein Brennen an seinem linken Oberarm. Durch einen Sprung brachte er sich zur Seite, blockte den tödlichen Stich eines Säbels ab und bearbeitete den Feind weiterhin derart heftig mit seinem Degen, daß dieser nicht an ihm vorbei bis zur Kuhl gelangte.
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Er hatte nur noch das eine, letzte Ziel vor Augen: in die Frachträume hinunterzusteigen. Ein Niedergang führte vom Achterkastell aus direkt in den Bauch der Galeone hinunter. Ich jage die „Vadavia“ in die Luft, dachte er, und ihr Hunde sterbt mit uns zusammen. Dann vernahm er draußen explosionsartige Geräusche und glaubte, es nun doch nicht mehr zu schaffen. 10. Vier Einmaster lösten sich von der Bordwand der „Vadavia“. Die Piraten hatten das Nahen des neuen Feindes bemerkt und schienen auch erkannt zu haben, mit wem sie es zu tun hatten. Die kleinen Schiffe manövrierten auf die „Isabella“ zu und trachteten, ihr den Weg zur spanischen Galeone abzuschneiden. Hasard gab Al Conroy und Smoky ein Zeichen, und die beiden feuerten die vorderen Drehbassen ab. Dann trat Ferris Tucker mit seiner „Höllenflaschenabschußmaschine“ in Aktion. Die erste Flasche segelte in hohem Bogen zu dem vordersten der anrückenden Piratensegler hinüber, landete jedoch neben dessen Bug in den Fluten. Ferris grinste wie der Leibhaftige in Person und legte die zweite Flasche auf die hölzerne Pfanne der Vorrichtung. Die erste Flasche explodierte unter dem Wasserspiegel. Die Lunte war während ihres Fluges bis durch den Korken abgebrannt und folglich nach dem Eintauchen ins Meer nicht erloschen. Die Fluten schienen sich aufzublasen, sie schäumten und gischteten und bildeten eine steile Welle, ähnlich der, die bei einem Seebeben entstehen mochte. Das Piratenschiff kenterte, seine Insassen landeten im brausenden Wasser. Schon näherte sich die nächste Flasche in taumelndem Flug einem anderen Einmaster. Sie senkte sich auf das Deck, rollte noch ein Stück weiter und blieb am Backbordschanzkleid liegen. Ehe die Piraten sie wieder außenbords befördern
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konnten, flog sie auseinander und zerriß das Schiff in zwei Teile. Der dritte Segler luvte an und wollte ausweichen, aber Ferris Tuckers prall mit Pulver, Blei, Eisen und Glas gefüllte Flasche erreichte auch ihn. Sie polterte auf die Pflicht und kollerte von dort aus auf die Kuhl. Ein Pirat mit langen schwarzen Haaren sprang ihr nach und kriegte sie auch tatsächlich zu fassen, aber sie detonierte, als er sie noch in den Händen hielt. Shane und Batuti schickten nur zwei pulvergefüllte Pfeile zu dem vierten Segler hinüber. Ihre Explosion genügte, um die Piraten zur Flucht zu veranlassen. Sie hatten plötzlich nichts Eiligeres zu tun, als abzufallen und in südlicher Richtung davon zu segeln. „Arwenack!“ schrie Ferris Tucker. „Der Weg ist frei!“ „Wir gehen bei dem Spanier längsseits und entern!“ rief der Seewolf. So lief die „Isabella“ auf die Bordwand der „Vadavia“ zu, die jetzt mit ihrem Vorschiff fast ganz im Wind lag. Die Segel der spanischen Galeone killten und verursachten knallende Geräusche, sie drohten zu zerreißen, denn es war niemand da, der sie aufgeien konnte. Hasard ließ anluven und Segelfläche wegnehmen. Die „Isabella“ schob sich an der Backbordseite der „Vadavia“ entlang und drängte die Einmaster der Piraten fort. Auf der Back versammelten sich jetzt die Männer, die nach der Absprache, die der Seewolf vorher mit ihnen getroffen hatte, auf den Dreimaster hinüber springen sollten. Hasard selbst verließ das Achterdeck, stürmte über die Kuhl an Bill, den Zwillingen, Will Thorne und Stenmark vorbei, die ihre Gewehre bereithielten, enterte die Back und kletterte auf die Rüsten der Fockwanten an der Steuerbordseite. Philip junior und Hasard junior begannen mit dem Radschloß -Drehling und dem Schnapphahn-Revolverstutzen ihres Vaters zu feuern, als die Piraten auf der „Vadavia“ den Angriff zu verhindern
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versuchten. Bill, Stenmark und Will Thorne hielten mit Tromblons und Musketen auf die Birmanen. Der Seewolf sprang seinem Enterkommando voran über das zerfetzte Schanzkleid der spanischen Galeone weg auf die Kuhl. Er landete sicher auf beiden Beinen und hob den schweren Schiffshauer, den er mitgenommen hatte. Sofort stürmten drei Piraten auf ihn ein, und von anderen Bereichen der Kuhl rückten auch Widersacher an. Hasard hätte einen aussichtslosen Kampf geführt, wenn jetzt nicht die anderen nachgerückt wären: Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane, Smoky, die beiden O’Flynns, Ed Carberry, Batuti, der Kutscher, Blacky, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy, Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey und Luke Morgan. Immer wieder stießen sie den alten Kampfruf der Seewölfe aus: „Arwenack! Ar-we-nack!“ Bill, Stenmark, Will Thorne und die Zwillinge blieben hinter dem Schanzkleid der „Isabella“ und hielten den Kameraden durch gezielte Schüsse den Rücken frei. Arwenack, der Schimpanse, hockte mit gefletschten Zähnen im Vormars und schleuderte Gegenstände wie leere Kokosnußschalen, alte Belegnägel und Plankenreste auf die Köpfe der birmanischen Freibeuter hinunter. Sir John schließlich, der karmesinrote Aracanga, flatterte aufgeregt zwischen beiden Schiffen hin und her und kreischte in den höchsten Tönen. Hasard verschaffte sich mit seinem Schiffshauer Platz und Respekt; drang bis zur Kuhlgräting vor, wo der Kampf zwischen Spaniern und Piraten am schlimmsten tobte — und hier holte er sich den Kerl mit dem purpurroten Hemd und dem großen Schlapphut vor die Klinge. Sie duellierten sich wie Erzfeinde, die sich ein Leben lang gejagt und belagert hatten. Der Birmane focht mit haßverzerrtem Gesicht und hieb so kräftig mit seinem Krummsäbel drein, als wolle er Hasards Schiffshauer zertrümmern.
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Eine Weile tobte der Zweikampf hin und her, dann trat die Wende ein. Der Birmane nutzte eine winzige Lücke in Hasards Deckung aus, um eine Attacke zu unternehmen. Der Seewolf war jedoch auf der Hut, wich rechtzeitig aus und schlug zu, als der Seeräuber mit der gebogenen Klinge an seiner rechten Körperflanke vorbei stach. Getroffen sank der Pirat auf die Planken. Er verlor seinen Hut, und jetzt konnten alle sehen, daß die Wunde in seinem Hals tief genug war, um ihn ins Jenseits zu befördern. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Freibeuter. Sie hatten die Niederlage ihres Anführers verfolgt und jetzt, da sie ihres Oberhauptes beraubt waren und immer mehr Leute einbüßten, fühlten sie sich verunsichert. Unter dem heftigen Angriff der Männer der „Isabella“ wichen sie zum Steuerbordschanzkleid zurück. Sie kletterten darüber weg, glitten an den Tauen der Enterhaken hinunter und retteten sich in ihre Schiffe. Ihre Wutschreie gellten zu Hasards Männern hinauf, die sich jetzt grinsend über die hölzerne Brüstung beugten. Die Einmaster lösten sich von der Bordwand. Ferris Tucker zündete noch eine Flaschenbombe und schleuderte sie per Hand mitten zwischen die Segler, als sie einige Distanz zu der Galeone gewonnen hatten. Die Detonation und die riesige Wasserfontäne, die darauf folgte, besorgten den Rest: Wieder kenterte ein Einmaster. Die Schiffbrüchigen schwammen zu ihren Kumpanen in den restlichen Seglern hinüber, ließen sich an Bord hieven und stießen Schreie des Entsetzens aus. Der Piratenverband entfernte sich nach Süden. Die Schlacht war geschlagen, ohne daß Hasard auch nur eine der Culverinen der „Isabella“ hatte einsetzen müssen. Hasard betrat das Achterkastell der „Vadavia“. Im Halbdunkel des Ganges sah er mehrere Gestalten daliegen und einen
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Mann mit dem Rücken zur rechten Wand kauern, „Was ist geschehen?“ fragte dieser Mann keuchend. „Was hat – diese Stille zu bedeuten?“ „Senor“, sagte der Seewolf in seinem besten Spanisch. „Der Kampf ist beendet. Die Piraten fliehen. Sind Sie schwer verletzt?“ „Nur an der Schulter.“ „Wo ist der Kapitän?“ „Unten, in den Frachträumen, aber ...“ Hasard half ihm auf, dann ging er an ihm vorbei und suchte den Niedergang, der in die Tiefe führte. Don Gaspar Nunez de Arce stand im größten Laderaum der „Vadavia“ und hatte die Lunte bereits gezündet, mit der er das Schiff in die Luft jagen wollte. Die„Vadavia“ hatte Waffen und Werkzeuge für Manila geladen, aber auch Schießpulver in großen Kastanienholzfässern – sehr viel Schießpulver. Sie beförderte diese Ladung im Auftrag eines Handelshauses in Malaga, das seinerseits die meisten Frachten direkt von den Zulieferern der spanischen Armada überantwortet erhielt. Es kostete den Seewolf einige Überzeugungskraft, dem Kapitän beizubringen, daß er mit den Piraten weder gemeinsame Sache machte noch darauf aus war, diese Ladung in seinen Besitz zu bringen. Erst als der Erste Steuermann Bernardo Altez, der sich inzwischen ein Bild von der Lage an Oberdeck verschafft hatte, auf den unteren Stufen des Niederganges erschien und alle Angaben Hasards bestätigte, löschte de Arce die Lunte und trat auf sie zu. „Danke“, sagte er schlicht. „Ich kann Ihnen versichern, das ist die größte und schönste Überraschung meines Lebens, Senor ...“ „Killigrew. Philip Hasard Killigrew.“ „Ich habe schon von Ihnen gehört.“ „Trotzdem werden wir keine Feinde sein“, sagte Hasard. „Nein, ganz gewiß nicht.“ De Arce wandte sich an Altez. „Sind Sie schwer verletzt?“
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„Nur an der Schulter. Und Sie, Senor Capitan?“ „Ich nur am linken Arm. Wie viele Tote haben wir zu beklagen?“ „Vier, mit Ruben Dario.“ „Der Herr sei ihren armen Seelen gnädig.“ „Senor“, sagte Hasard zu dem Kapitän der „Vadavia“. „Würden Sie mir jetzt erklären, warum Ihr Schiff so hoffnungslos unterbemannt ist? Hat das einen bestimmten Grund?“ „Und ob“, entgegnete Don Gaspar. Dann berichtete er. * Jose Tragante schlug die Augen auf und wollte hochfahren, als er die Gestalten von Männern über sich erkannte. Doch ein heftiger, stechender Schmerz in seinem Kopf warf ihn wieder zurück. Er blieb auf dem Rücken liegen, atmete gequält und murmelte: „Mein Gott, was ist nur geschehen, Santa Madre, womit haben wir das verdient?“ Dann blinzelte er verwundert, denn eine ihm nur allzu wohlbekannte Stimme sagte: „Senor Tragante, bitte nehmen Sie sich zusammen. Eine Beule am Kopf dürfte für Sie noch lange kein Grund dafür sein, sich derart gehen zu lassen.“ Erst jetzt erkannte der Feldscher der „Vadavia“, wer zu seinen Füßen stand: Don Gaspar Nunez de Arce. Rechts neben dem Kapitän war ein Mann, den Tragante zum erstenmal in seinem Leben sah, ein großer und breitschultriger Schwarzhaariger mit verwegenen, aber keineswegs unangenehmen Zügen und einer Narbe, die von der Stirn bis auf die linke Wange verlief. Dieser Mann hielt die Arme vor der Brust verschränkt und lächelte verständnisvoll. Tragante rappelte sich mühsam vom Boden auf, preßte sich die eine Hand auf die Beule an seinem Kopf und nahm vor seinem Kapitän Haltung an. „Senor Capitan“, sagte er sehr förmlich. „Darf ich Sie höflich um eine Erklärung bitten?“
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„Aber sicher doch“, erwiderte Don Gaspar lachend. „Sie sind wahrscheinlich über eine Liane gestolpert, die man für Sie von einem Baum zum anderen gespannt hatte.“ „Man?“ „Die Negritos“, sagte der Schwarzhaarige. Tragante blickte ihn an. „Wer —wer sind Sie?“ „Mein Name ist Killigrew, aber ich bin heute früh schon einmal zu oft danach gefragt worden.“ „Ich verstehe überhaupt nichts“, sagte der Feldscher verzweifelt. „Das muß mit meinem Sturz zusammenhängen. Senor Capitan, ich bitte Sie um Verzeihung.“ „Kommen Sie mit“, forderte Don Gaspar ihn auf. „Was wir Ihnen zu zeigen haben, mein Bester, sagt mehr als hundert Worte.“ Er folgte ihnen zur Lichtung der Anhöhe hinauf, und hier bot sich ihm tatsächlich ein überraschendes Bild. Juan de Rivadeneira, Herra de Canduela, Pedro Gavena, Victor de Andrade, Diego de Fajardo und die fünf Decksleute der „Vadavia“ waren nicht tot. Ein schlanker Mann war um sie bemüht und flößte ihnen mit einem Löffel eine Essenz oder irgendein anderes Präparat ein, einem nach dem anderen, und zwei Jungen, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen, gingen ihm dabei zur Hand. Bernardo Altez, der erste Steuermann, und einige andere Männer der „Vadavia“ standen bei einer Gruppe anderer Weißer, die Tragante ebenfalls nicht kannte. Unter diesen Fremden fiel ihm am meisten ein wuchtig gebauter Mensch mit einem gewaltigen Rammkinn auf, dem ein bunter Papagei auf der Schulter saß. Das Erstaunlichste aber war, daß eine mindestens dreißigköpfige Horde von kleinen Schwarzen damit beschäftigt war, das Persenningzelt mit Hilfe von Holzpfählen neu aufzubauen, Fässer mit Proviant und Trinkwasser und Waffen herbeizutragen. „Ich muß verrückt geworden sein“, stieß Tragante ächzend hervor. „Nein“, sagte Don Gaspar. „Folgendes hat sich zugetragen, mein lieber Tragante: Senor Killigrew half uns aus der Klemme,
Roy Palmer
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und dann erzählte er mir, daß dies NordSentinel sei, eine Insel der Andamanen, auf der mit Sicherheit die Negritos zu Hause sind. Daraufhin kehrten wir hierher zurück - und fanden die Negritos. Sie sind nicht sehr kriegerisch eingestellt. Deshalb konnten wir - dank der Vermittlung von Killigrew und seinem schwarzen Herkules Batuti -Freundschaft mit ihnen schließen.“ „Die Negritos sind Waldnomaden“; erklärte der Seewolf dem verdutzten Feldscher. „Daher fandet ihr bei eurer Insel-Inspektion keine Behausungen und auch keine anderen Spuren, die auf Eingeborene schließen ließen. Die Negritos verstanden, sich hervorragend zu verstecken, aber nach dem Auslaufen der „Vadavia` aus der Bucht erschienen sie, um sich all das zu holen, woran sie großes Interesse hatten: die Persenning, den Proviant und die Waffen samt Munition. Durch viel Radebrechen und Gestikulieren und durch einige Geschenke, die wir ihnen gaben, konnten wir sie davon überzeugen, daß es besser sei, die Sachen wieder zurück auf die Lichtung zu bringen.“ Der Kutscher war mit der Behandlung der zehn kranken, ausgemergelten Männer am Ende angelangt. Er schüttelte dem spanischen Feldscher die Hand und sagte: „Mein werter Kollege, ich darf dich beruhigen. Deine Kameraden sind weder an der Ruhr noch an der Cholera erkrankt. Sie haben vielmehr eine besonders üble Form der tropischen Grippe, die sich durch hohes Fieber, Brechdurchfälle und Ohnmacht äußert.
Unter Quarantäne
Glücklicherweise habe ich auf Sumatra von guten Freunden Kräuterextrakte erhalten, mit denen man dieses Leiden erfolgreich bekämpfen kann. Sie dürfen es mir ruhig glauben. Es sind Mittel, die sogar gegen die gefürchtete Schlafkrankheit wirken.“ Daß es die beiden MaoriMädchen und die Eingeborenen aus Sumatra-Jonnys Crew gewesen waren, die ihm zu diesen Arzneien verholfen hatten, behielt er allerdings für sich. „Ich glaube zu träumen”, stammelte Tragante. „Der Traum wird ein gutes Ende haben“, sagte der Kutscher. „Ich kann schon jetzt behaupten, daß die zehn Männer alle wieder gesund werden. In ein paar Tagen können sie weitersegeln.“ „Senores, kommen Sie“, sagte Hasard lächelnd zu Don Gaspar Nunez de Arce und zu José Tragante. „Ich will Sie jetzt endlich mit meinen anderen Kameraden bekannt machen.“ „Ja, danke, sehr gut“, stotterte Tragante. Sie schritten über die Lichtung zu Ben Brighton, Carberry, Ferris Tucker, Batuti, Shane, den beiden O’Flynns, Smoky und den anderen Männern der „Isabella“, die schon grinsend auf sie warteten. Tragante fühlte sich trotz seiner Kopfschmerzen wie neu geboren. Das Leben hatte einen neuen Sinn erhalten. In ähnlicher Richtung bewegten sich auch die Gedanken von Don Gaspar. Er war einer der wirklich wenigen Spanier, die froh darüber waren, dem Seewolf begegnet zu sein...
ENDE