Ren Dhark Drakhon Band 21 Unheimliche Welt l. Gisol verschwand am Himmel! Von einer unheimlichen Kraft wurde der Worgun ...
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Ren Dhark Drakhon Band 21 Unheimliche Welt l. Gisol verschwand am Himmel! Von einer unheimlichen Kraft wurde der Worgun emporgerissen! Deutlich war zu sehen, wie er dagegen ankämpfte, wie er versuchte, diesem aus dem Nichts kommenden Kraftfeld zu entgehen. Aber es gelang ihm nicht. Und nach den ersten paar Sekunden wäre es ihm wohl auch nicht mehr sonderlich gut bekommen. Da befand er sich bereits viel zu hoch in der Luft. Mochte er zwar auch ein Gestaltwandler sein und als solcher selbst Stürze besser abfedern können als ein Mensch oder irgendein anderes Lebewesen, unverwundbar war er jedenfalls nicht! Wie leistungsfähig sein wandlungsfähiger Körper war, hatte er einigen terranischen Kolonisten unfreiwillig auf dem Planeten Babylon in der Menschheitsgalaxis Nai demonstriert, bei einem Unfall, nach welchem ei^ als Terraner mit schwersten Verletzungen in die nächste KlinikNotaufnahme hatte eingeliefert werden müssen. Nur war von den Verletzungen Gisols schon wenig später nichts mehr festzustellen gewesen. Damals hatte er sich »John Brown« genannt und auf Babylon wie auf vielen anderen Planeten der Galaxis, zum Schluß auf Terra als »Jim Smith« Informationen und Daten gesammelt über das Sternenvolk, welches das Erbe der Worgun angetreten hatte und sich den Grakos entgegenstellte. Und jetzt jagte er dem Himmel entgegen, um als kleiner Punkt in der Feme zu verschwinden! »Hinterher!« kommandierte Ren Dhark. Er, Manu Tschobe und Amy Stewart hetzten zu den beiden Flash. Deren Einstiegsluken waren nicht verriegelt. Dhark und Stewart sprangen gleichzeitig in die erste Maschine, der Afrikaner in die zweite, in welcher er mit Gisol hierher geflogen war. 9 Luken schließen und Blitzstart! Nur fand der nicht statt! Beide Flash blieben am Boden! Die Technik war tot. Alles war abgeschaltet. Es gab nicht einmal eine schwache Grundfunktion. Gerade so, als seien die MKonverter, die alle Energieverbraucher in den kleinen Raumbooten versorgten, ertobit. Leer! Nur konnte das nicht sein, weil diese Konverter bis zum Übermaß mit Tofiritstaub beschickt worden waren und somit noch für Jahre maximale Leistung bringen mußten. Aber warum taten sie es dann nicht? Warum funktionierte nichts mehr in den beiden Flash? Nicht einmal die Lukenverriegelung! Von Hand auf und zuschwenken ließ sich der Verschluß, aber nicht hermetisch verriegeln, weil das nur elektrisch ging, und Dhark war froh, daß sie vorhin die Luken nicht von außen mit der Gedankensteuerung geschlossen hatten, sonst hätten sie jetzt draußen vor den beiden Maschinen gestanden ohne zu wissen, warum diese sie nicht hineinließen. Auch die Gedankensteuerung hatte ihre Tätigkeit eingestellt. Beide Flash, zylindrische, mit drei Metern Länge und e4wa 1,50 Metern Durchmesser etwas plump wirkende Kleinstraumer, die dennoch zu erstaunlichen Flug und Kampfleistungen fähig waren, bestanden nur noch aus etlichen Tonnen Unitallschrott. Bizarr sahen sie aus, wie sie auf ihren spinnenbeinartigen Auslegern parkten und nicht mehr in der Lage waren, sich vom Boden zu erheben. »Bomben und Boliden!« tobte Tschobe. »Das hat uns gerade noch gefehlt!« Trotzdem dachte er nicht daran, ebenfalls auszusteigen, als Dhark und Stewart wieder aus ihrem Flash kletterten. Er blieb sitzen und sah den anderen zu. »Was jetzt?« wollte Amy Stewart wissen. »Die EPOY rufen?« »Vielleicht ist die ebenso stillgelegt«, wurde Tschobe zum Unheilspropheten. Stewart, erster weiblicher Cyborg, wirbelte zu ihm herum und stellte fest, daß er ihrem Blick sofort auswich. »Tschobe, spielen Sie nicht Kassandra, oder glauben Sie in dieser Ruinenstadt Troja wiederzuerkennen?« 10 »Troja?« murmelte Tschobe dumpf.
»Und wer soll die EPOY fliegen?« brachte Dhark es auf den Punkt. »Manlius, Oshuta oder Doorn? Abgesehen davon, daß der Römer und Doorn immer noch in der Medostation festsitzen, ist keiner der drei von Gisol autorisiert, den Ringraumer zu fliegen! Der einzige Autorisierte bin ich...« »Oshuta könnte mit einem dritten Flash...« begann Tschobe. Der Commander der Planeten winkte ab. »Manu, Lad Oshuta bleibt in der EPOY und hält Sitzwache für den Fall der Fälle!« »Und wir schlagen uns zu Fuß durch den Dschungel zurück zum Schiff, wie?« knurrte Tschobe, der Arzt und Funkspezialist. »Kennen wir das nicht von irgendwoher? Wir kämpften uns durch Deluges Regenwald, entdeckten eine tote Stadt, ein Höhlensystem und in dem einen Ringraumer. Hier fehlt uns in dieser Konstellation nur noch das Höhlensystem, aber das brauchen wir ja nicht, weil der Ringraumer bereits im Freien steht...« Dhark seufzte. Die Situation war ja wohl nicht vergleichbar. Damals, vor acht Jahren, waren sie nach der Notlandung der GALAXIS auf Hope von Rocco und seinen Schergen auf den Inselkontinent Deluge verbannt worden und hatten sich irgendwie durchschlagen müssen. Hier aber waren sie fast freiwillig. Das heißt, der Planet war eine Notlösung, aber der Forschungsflug mit den beiden Flash erfolgte nicht unter Zwang, sondern aus Neugier. Ursprünglich war die EPOY von Raumflotten der Zyzzkt- gejagt worden. Der Ringraumer wurde beschädigt, und nur mit einer riskanten Überbrückungsschaltung hatte Arc Doorn es fertiggebracht, Energie für eine letzte Nottransition an die Triebwerkseinheit schicken zu können. Während der Transition kam es zu weiteren Schäden. Die Überschlagsenergie mehrerer Explosionen hatte den Römer Manlius wie auch Doorn und Gisol schwer verletzt, die während der Hetzjagd auf das Schiff Reparaturen vorzunehmen versuchten. Während der Gestaltwandler Gisol seine Verwundungen relativ rasch regenerieren konnte, waren Doorn und Manlius ein Fall für die Medostation. Gisol beschloß, mit Sternensog zu einer Transition war seine stolze, supermoderne EPOY derzeit nicht mehr in der Lage den 11 nächsterreichbaren Sauerstoffplaneten anzufliegen und darauf zu landen, um in einer relativ normalen Atmosphäre das Schiff in Ruhe wenigstens soweit wieder instandzusetzen, daß er zu seiner Geheimwerft fliegen konnte. Die Medostation wurde vollautomatisch betrieben und war nach wie vor intakt; der Arzt Tschobe war dort nicht erforderlich. Also rekrutierte Gisol ihn und Lati Oshuta für die Reparaturarbeiten. Ren Dhark unternahm derweil in Begleitung Amy Stewarts Erkundungsflüge in die nähere Umgebung. Dabei entdeckten die beiden im Dschungel eine verlassene Ruinenstadt. Für die interessierte sich auch Gisol, und gemeinsam mit Tschobe gesellte er sich zu den beiden anderen. Er hatte festgestellt, daß es sich um eine Ansiedlung der Zyzzkt- handelte. Damit stand er vor einem ähnlich großen Rätsel wie einst Ren Dhark und seine Gefährten auf Hope, als sie auf die Ruinenstadt der Mysterious vor dem Höhlensystem stießen. Denn niemals zuvor hatten die Zyzzkt- eine Ansiedlung oder gar einen Planeten wieder aufgegeben, auf dem sie sich erst einmal festgesetzt hatten. Hier aber waren sie verschwunden, hatten alles leer zurückgelassen, so leer, daß die Terraner von sich aus niemals auf dieJdee gekommen wären, es könne sich um eine Zyzzkt-Stadt handeln. Aber Gisol kannte die typische Bienenstockbauweise des insektoiden Mördervolkes. Er schlug vor, nach dem einstigen Verwaltungszentrum der Ruinenstadt zu suchen. Aber dort warteten keine Erkenntnisse auf die Suchenden, dafür aber die Falle, die aus dem Nichts zuschlug und Gisol himmelwärts riß, wie von einem Pressorstrahl getrieben... Und seine Begleiter waren zur Untätigkeit verurteilt... Nur zwanzig Minuten später stellte Tschobe fest, daß die Instrumente des Raumboots wieder erwachten! Er war bisher im Flash sitzengeblieben und sich wunderte, warum sie hier am Rand des Dschungels nicht von Unmengen von Insekten umschwirrt wurden, 12
Schlagartig, von einer Sekunde zur anderen, stand die Energieversorgung wieder! Werte auf Optimum! »Ren, wir haben wieder vollen Saft!« rief er dem Commander zu. Der und Stewart sahen ihn nur ein paar Sekunden lang ungläubig an, dann reagierten sie spontan und sprangen in ihren Flash. »Start! Gisol suchen«, stieß Dhark hervor, ehe die Einstiegsluke sich über ihm und der Cyborg schloß. Tschobe klappte seine Luke bereits zu und bekam den Ruf nicht mehr mit, aber ihm war klar, daß es nichts anderes gab, als unverzüglich die Suche nach Gisol aufzunehmen. Antigrav ein! Blitzschnell wurden die spinnenbeinartigen Ausleger eingeklappt und schlössen fugenlos mit der Außenhülle der Flash ab. SLE kam und trug die Maschinen rasch aufwärts. Die Brennkreise verursachten kleine Feuer, die aber sofort wieder qualmend verloschen, weil die Feuchtigkeit der Pflanzen und des Bodens zu groß war. Dhark und Tschobe überließen die Suche nach dem Mysterious den Gedankensteuerungen der beiden Boote. Die arbeiteten präziser und schneller, als ein Mensch es gekonnt hätte. Die Ortungen spielten. Sie suchten nach Biowerten, die sich von tierischen und pflanzlichen unterschieden. Kalibriert auf die Biowerte eines Worgun, tasteten sie in alle Himmelsrichtungen. Alle fünf, dachte Ren in Erinnerung daran, daß das Völkchen der grünen Insel Irland fünf Himmelsrichtungen kannte Norden, Osten, Süden, Westen und Oben. Was nur logisch war Oben war die einzig wirklich korrekte Himmelsnch\\ing. Tschobe funkte die EPOY an und unterrichtete Oshuta von Gisols Verschwinden und dem vorübergehenden Energieausfall. Der Cyborg an Bord des Ringraumers wußte nur zu gut, daß er zum Abwarten gezwungen war. »Rechnen Sie damit, daß dieser Energieausfall jederzeit erneut auftreten kann, und dann vielleicht dauerhaft«, warnte er. »Wenn Sie dann aus großer Höhe abstürzen, hilft Ihnen kein Intervallfeld und Sie spielen Zaunpfahl mit dem Flash...« »Verstanden«, bestätigte Tschobe. 13 »Noch was«, glaubte Oshuta warnen zu müssen. »Passen Sie auf den Commander auf. Der ist nach Gisol der einzige, der die EPOY noch fliegen kann. Fällt er aus, sitzen wir hier endgültig fest, und ob die POINT OF und der Rest der Flotte uns hier aufspüren und abholen können, bezweifelt nicht nur mein Programmgehim stark. Die Wahrscheinlichkeit, daß uns die Zyzzkt- vorher finden, beträgt...« »99,9 Prozent«, mischte Stewart sich in den Funkverkehr ein. »Haben mitgehört. Ich passe auf den Commander auf.« Die Suche ging weiter, aber sie brachte kein Ergebnis. Die rund zwanzig Minuten Energieausfall hatten völlig gereicht, Gisol spurlos verschwinden zu lassen. Nach über einer Stunde brach Ren Dhark die ergebnislose Suchaktion ab. An eine Rücckehr zum Ringraumer war trotzdem noch nicht zu denken. Zum zweiten Mal besuchten die Terraner die verlassene Ansiedlung der Zyzzkt-. Diesmal landeten sie im Zentrum der Stadt und verbargen die Flash so, daß sie höchstens durch eijlen sehr unglückseligen Zufall gefunden werden konnten. Dann begannen sie zu Fuß mit einer erneuten Suche. Dhark vermutete, daß es hier im Stadtzentrum noch eine funktionierende technische Anlage geben mußte, die den Worgun angepeilt, als solchen erkannt und vermutlich getötet hatte. Es mußte sich um eine Worgunfalle handeln, denn sonst wären die Terraner ebenfalls erfaßt worden. Oder hatte Gisol nur zufällig einen Auslöser berührt, der die Pressorwaffe an exakt der Stelle wirksam werden ließ, wo er sich gerade befand? Aber dort, wo der Mysterious sich im Moment seines unfreiwilligen Höhenflugs befunden hatte, gab es nichts, was auf eine entsprechende Fallenschaltung oder eine energetische Anlage im Boden oder der Umgebung hindeutete. Stewart führte ein kleines tragbares Ortungsgerät mit sich, das eine solche Anlage unweigerlich aufgespürt hätte; es entstammte der Worguntechnologie. »Weiter...« 14
Sie drangen in eines der verfallenen Gebäude in der Nähe ein. Das Verwaltungszentrum befand sich nicht einmal hundert Meter entfernt, aber seine Durchsuchung hatte ja schon beim ersten Mal nichts erbracht. Aber im Gegensatz zu diesem mutmaßlichen Privatbau war es noch erstklassig erhalten. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. »Glauben Sie im Ernst, hier etwas zu finden, Ren?« fragte Tschobe kopfschüttelnd. »Hier bricht doch schon alles in sich zusammen, wenn man nur einmal kräftig hustet.« »Dann versuchen Sie etwas weniger kräftig zu husten«, empfahl Stewart etwas spitz. »Bei den Unmengen an Staub hier?« In der Tat hatte der Afrikaner Schwierigkeiten, halbwegs vernünftig atmen zu können, und klappte schließlich den transparenten Falthelm seines MRauM-Anzugs über den Kopf, allerdings ohne ihn komplett zu schließen. Auch Dhark wurde von dem Staub belästigt, den ihre Schritte ständig aufwirbelten. Stewart hatte auf ihr Zweites System umgeschaltet und war damit von der Außenluft unabhängig geworden. Ebensogut hätte sie sich unter Wasser befinden können, und im Phantzustand sogar im Vakuum des Weltraums. Während das Zweite System aktiv war, brauchte sie nicht zu atmen. Der Staub lag teilweise bis zu zwei Zentimeter hoch und erinnerte die beiden Männer an die Vorhöhle zum Industriedom auf Deluge. Dort waren gigantische Maschinenblöcke jäh zu amorphem Staub zerfallen, als Roccos Sprengkommandos auftauchten, um die Deportierten endgültig auszulöschen. War hier etwas Ähnliches geschehen? War die Einrichtung der Zyzzkt-Häuser zu Staub zerfallen? War das der Grund, weshalb die Insektenwesen die Stadt und vermutlich den ganzen Planeten verlassen hatten? Oder hatte der Zerfall erst nach ihrem rätselhaften Rückzug eingesetzt? Und wieso wenn alles zerfallen war konnte dann die Falle für Gisol noch existieren? Hätte sie nicht auch zu Staub werden müssen? Sie drangen weiter vor. Fenster gab es nur wenige, sie waren schmal und klein. So drang kaum Licht ins Innere des Bauwerks. Die Zyzzkt- waren Insekten, und Insekten verwerteten mit ihren 15 Facettenaugen das Lichtspektmm teilweise anders als die menschliche Netzhaut. Die libellenköpfigen Nogk waren dafür das beste Beispiel, auch wenn sie eine Mischung aus Insekt und Reptil darstellten. »Bäh!« vernahmen die beiden Männer plötzlich Stewarts Stimme. »Spinnen die gibt's aber auch wohl auf jedem Planeten, wie? Zum Teufel mit diesen Biestern!« Sie fuchtelte mit den Händen und wischte ein paar graue Schleiemetze beiseite. »Verdammt noch mal, wieso gibt's hier Spinnen, aber keine einzige Schmeißfliege, Stechmücke oder sonstiges Mistzeug?« »Weil Spinnen keine Insekten sind«, konterte Tschobe trocken. »Fünftes Schuljahr, Biologieunterricht...« »Das fünfte hab' ich glatt übersprungen«, behauptete Amy. Den beiden ist es also auch schon aufgefallen, daß es hier keine Insekten gibt, dachte Dhark. Seltsam,.. eine Welt ohne diesen Urtypus des Lebens, gibt's so etwas überhaupt? Gehört hatte er davon nie. Bisher war die Entwicklung auf allen Welten stets ähnlich verlaufen. Und die Planeten Oms machten keine Ausnahme schließlich gab es auch auf Terra Nostra, der Welt der Römer, jede Menge störender Schwirrer. Und die waren nicht vor r^nd zwei Jahrtausenden von den Mysterious von der Erde mitgebracht worden wie das Troßvieh der damaligen römischen Legion, sondern auf Terra Nostra selbst entstanden, weil sie kaum Ähnlichkeit mit irdischen Insekten hatten. Die besaßen sechs Beine und zwei Flügelpaare, die auf Terra Nostra vier Beine und drei Flügelpaare. Insekten auf Hope dagegen besaßen nur ein größeres Flügelpaar, aber auch sechs Beine. Sie gingen weiter. Trotz vorgeklapptem Raumhelm begann Tschobe plötzlich kräftig zu niesen. Im gleichen Moment gab der Boden unter dem vorangehenden Ren Dhark nach. Der Commander versuchte noch, sich mit einem Sprung rückwärts zu retten, aber der
Boden brach in einer solchen Ausdehnung unter ihm ein, daß er keine Chance mehr hatte. Er stürzte in die Tiefe! Da kam er auch schon auf und schaffte es gerade noch, sich fe 16 demd abzurollen. Dabei stieß er gegen Brocken des Materials, aus dem der mürbe Fußboden bestanden hatte und das mit ihm zusammen nach unten weggebrochen war. Die vorhandenen Reste zerbröselten unter dem Druck seines Anpralls nicht weiter, und der filmdünne M-Anzug konnte zwar nicht reißen, verhinderte aber auch nicht, daß Dhark vor Schmerz aufschreien mußte. Oben wollte Tschobe an die Bruchkante springen. »Ren, sind Sie verletzt?« »Zurück!« fuhr Stewart ihn an. »Die Kante ist nicht sicher! Wollen Sie auch da runterfliegen, Mann?« Tschobe fügte sich. »Ren, was ist mit Ihnen?« rief er erneut. »Ich lebe glaube ich.« Dhark richtete sich im Halbdunkeln wieder auf. Nur ein schmaler Lichthauch drang von oben herunter. Wir hätten Lampen mitnehmen sollen, dachte er. Sein Körper schmerzte an verschiedenen Stellen. Da gab's garantiert blaue Flecken und Blutergüsse. Aber wenigstens hatte er keinen Knochenbruch und auch keine Gehirnerschütterung erlitten. »Doktor Tschobe, Sie sollten wirklich nicht so laut husten«, vermerkte Amy Stewart kritisch. »Ich habe nicht gehustet, sondern geniest!« wehrte sich der Arzt. »Damit schaffen Sie's auch noch, die ganze Stadt zum Einsturz zu bringen.« »Wissen Sie was. Verehrteste?« säuselte Tschobe. »Sie wollten doch auf den Commander aufpassen! Und Sie sollten sich jetzt sehr gut festhalten, weil ich schon wieder einen Niesreiz in der Nase habe!« »Tschobe...!« drohte sie. »Wenn ihr zwei da oben fertig seid mit euren Festreden, könntet ihr vielleicht mal freundlicherweise nachschauen, ob ihr mich hier wieder rausbekommt«, schlug Ren Dhark derweil vor. Amy landete mit einem weiten Sprung nur zwei Meter von Dhark entfernt auf dem Boden. »Schön«, sagte er sarkastisch. »Jetzt sind wir schon zu zweit hier unten. Recht idyllisch für den Rest unseres Lebens, nicht wahr?« 17 »Durchaus nicht«, erwiderte Amy. »Ich werfe Sie nach oben, Tschobe fängt Sie auf, und ich springe dann ebenfalls wieder hinauf.« »Tschobe fängt Sie auf«, ächzte der Afrikaner. »Sind Sie wahnsinnig? Bin ich Herkules?« »Nun stellen Sie sich nicht so mädchenhaft an«, erwiderte Amy Stewart bissig. »Wer anderen Menschen beim Gespräch nicht ins Gesicht sehen kann, sollte wenigstens anderweitig seine Nützlichkeit unter Beweis stellen.« »Moment mal!« Dhark faßte die Cyborg am Arm. »Manu Tschobe hat vielleicht schon mehr für die Menschheit getan als jeder andere von uns! Jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Bei Tschobe ist es eben so, daß er den Blicckontakt scheut. Das sollten Sie akzeptieren.« Sie schwieg ein paar Sekunden. Dann nickte sie dem Commander zu. »Halten Sie sich bereit. Ich werfe Sie jetzt hinauf.« Dhark wußte, daß es kein leeres Versprechen war. Er hatte schon oft genug erlebt, zu welchen körperlichen Kraftanstrengungen Cyborgs nach Umschaltung auf ihr Zweiten Systems fähig waren. Er traute es Amy durchaus zu, daß sie ihn drei, vier Meter hoch schleuderte, um ihm dann mit einem Sprung aus den» Stand zu folgen. Im gleichen Moment glaubte er neben sich etwas Dunkles zu sehen. »Warten Sie!« bat er. »Da ist etwas.« In der Hand der Cyborg lag ein schußbereiter Blaster, dessen Abstrahlpol auf das Dunkle gerichtet war. Dhark machte einen Schritt in Richtung des Dunklen. »Stop!« warnte Stewart. »Gehen Sie da nicht hin!« Aber da hatte der Commander schon den zweiten und dritten
Schritt gemacht und war fast in dem Dunklen verschwunden. »Ein Durchgang«, sagte er. »Da geht es irgendwo hin. Wir scheinen uns in den Kellergewölben des Hauses zu befinden.« »Trotzdem sollten Sie da nicht so leichtsinnig hineingehen«, 18 inahnte Amy. »Was glauben Sie, was der alles kann?« spöttelte Tschobe von oben. »Alles, außer gute Ratschläge entgegennehmen.« »Manu«, drohte Dhark. »Sie scheinen brennend daran interessiert zu sein. Dir eigener Patient zu werden!« Tschobe kicherte vernehmlich. Amy Stewart zuckte mit den Schultern. An den lockeren Umgang dieser Leute miteinander die für die meisten Terraner lebende Legenden waren hatte sie sich noch immer nicht so recht gewöhnen können. »Wir sollten uns diesen Gang mal näher ansehen«, sagte Dhark. »Und das, was sich dahinter befindet.« Wortlos steckte Stewart den Blaster ein und setzte das tragbare Ortungsgerät ein, das sie an einem Schulterriemen trug. »Tatsächlich nur ein leerer Gang«, sagte sie. »Trotzdem sollten wir vorsichtig sein. Es ist nicht sicher, ob es weitere Kelleretagen unter dieser gibt und ob Doktor Tschobe wieder mal husten oder niesen muß.« Sie wandte sich um und sah zu der Öffnung empor. »Springen Sie«, verlangte sie. »Ich fange Sie auf.« Diesmal verzichtete der Arzt auf eine Bemerkung und sprang über die Abbruchkante hinweg. Die Cyborg fing ihn auf, drehte sich mit ihm, um den Schwung abzufangen, und stellte ihn auf die Füße. »Verdammt dunkel hier«, sagte Tschobe. »Dagegen sollten wir etwas tun.« Plötzlich hielt er einen Lichtstab in der Hand, drehte einmal kurz am Ende, und eine nahezu schattenlose Helligkeit breitete sich aus. Schon wieder wie damals auf Hope, dachte Dhark. Damals hatte Rocco den Deportierten nur die Kleidung gelassen, die sie am Leib trugen, nicht ein einziges Stück Ausrüstung, mit dem sie im Dschungel von Deluge den Hauch einer Überlebenschance gehabt hätten. Er wollte nicht, daß sie überlebten. Und dann hielt Tschobe plötzlich ein ThermFeuerzeug in der Hand! Wie er das durch die 19 Leibesvisitation geschmuggelt hatte, war bis heute sein streng gehütetes Geheimnis. Und jetzt tauchte er wieder mit einem besonderen Ausrüstungsstück auf! Er reduzierte die Lichtleistung sofort wieder, so daß nur eine kleine Helligkeitsinsel um die drei Terraner verblieb. »Die Batterie hält nicht besonders lange vor«, erläuterte er. »Deshalb sollten wir sparsam mit dem Licht umgehen.« »Gehen wir«, sagte Dhark. »Ich bin gespannt, was uns hier unten erwartet.« Eines stand schon nach wenigen Schritten fest: Es gab hier keinen Staub. Oder nicht mehr, als er ganz normal im Laufe einiger Dutzend Jahre anfällt. Er wurde auch nicht so aufgewirbelt wie im Erdgeschoß, die drei konnten sich relativ ungestört durch den Gang bewegen. Hier und da hingen Schleier von Spinnweben wie Vorhänge oder Wandteppiche herunter. Seltsame kleine Tiere, Mischungen aus Ratten und Eidechsen, flüchteten quiekend vor den Eindringlingen. An einer Stelle sahen sie das Skelett eines solchen Wesens in halber Höhe in einem der Spinnennetzschleier. Wie mochte es dort hinaufgekommen sein? Diese Netze schienen, so leicht zerreißbar sie einerseits waren, andererseits trotzdem sehr fest zu sein. Wieder huschte eine der Rattechsen vorüber. Plötzlich wurde sie in unmittelbarer Nähe eines der Netze von etwas getroffen. Mit schrillem Quieken sprang die Rattechse aus dem Stand fast zwei Meter hoch und landete direkt im Netz. Unwillkürlich krallte sie sich darin fest, um nicht abzustürzen. Das wurde ihr zum Verhängnis. Denn erst in diesem Moment quoll Klebstoff aus den aufgerissenen Netzfäden. Innerhalb weniger Augenblicke steckte die Rattechse unentrinnbar fest. »Teufel auch!« entfuhr es Stewart. »Und ich habe diese Netze so einfach beiseitegefetzt... kann mir einer sagen, weshalb ich meinerseits nicht dran klebengeblieben bin? An der Masse kann's nicht liegen, sonst müßten Fadenreste an den Handschuhen meines M-Anzugs haften.«
Ihr Programmgehirn gab ihr die Antwort: Es lag an ihrer Schnelligkeit! Sie war nicht lange genug in Berührung mit den Fä 20 den geblieben, als daß der herausquellende Klebstoff seine adhäsive Kraft entfalten konnte. Die Rattechse war abrutschend und festkrallend lange genug in Kontakt damit gewesen. Commander Dhark stellte sich eine ganz andere Frage. Woher war das gekommen, von dem die Rattechse so getroffen wurde, daß sie einen geradezu unwahrscheinlichen Hochsprung machte? Das Geschoß mußte doch irgendwo liegen! »Manu, können Sie mal den Boden ausleuchten? Da muß etwas liegen. So etwas wie ein Stein, eine Bola oder was auch immer.« Tschobe erweiterte das Lichtfeld etwas und begann den Boden abzusuchen. Aber er konnte nichts finden. »Da!« sagte Stewart plötzlich. »Sind Sie denn beide blind? Da liegt es doch und nicht anfassen!« Sie konnte Dhark gerade noch zurückreißen, der dorthin greifen wollte, wohin ihre Hand zeigte. Dabei sah er immer noch nichts. »Eine stachelige Giftkapsel«, verriet Amy, »und von normalen Menschenaugen nicht zu sehen. Ich kann sie sehen, weil ich mein Sehvermögen per Zweitem System am Lichtspektrum entlang verschoben habe.« »Cyborg müßte man sein«, brummte Tschobe, der selbst zeitweilig im BranaTal unter Echri Ezbals Leitung an der Entwicklung dieses Projekts mitgearbeitet hatte. Im gleichen Moment griff Stewart zu und riß den Commander mit einem schnellen Ruck zur Seite. Etwas Großes zischte haarscharf an ihm vorbei. Amys Blaster flog ihr förmlich in die Hand, und im nächsten Moment jagte es gleißend hell aus dem Abstrahlpol der Waffe und traf nur ein paar Meter neben ihnen etwas, das noch viel größer war und in einer Wandnische kauerte. Riesige, borstige Spinnenbeine zuckten, als das Ungeheuer hochschnellte und sich auf die Terraner werfen wollte, aber der Blasterstrahl trennte es mitten durch und ließ einen Teil der breiigen Masse im Spinnenkörper verkochen und verdampfen. Nur wenige Zentimeter vor den Menschen brach die Spinne endgültig zusammen, die noch im Sterben ihre Gegner, die sie mit Opfern verwechselt hatte, orit sich in den Tod hatte reißen wollen. »Teufel auch, wie das stinkt!« stöhnte Tschobe auf. Dhark konnte ihm nur zustimmen. 21 Über ihr Zweites System wurde nur Amy von dem Gestank nicht belästigt, versuchte aber, ihn anhand des Geruchsmusters zu analysieren und kam auf eine Mischung aus Ammoniak und Schwefel. Sie reduzierte die Energieleistung des Blasters und schoß abermals. Ein medizinballgroßes, stacheliges Etwas wurde sekundenlang sichtbar, flammte auf und verbrannte. »Das hatte das liebe Tierchen für Sie vorgesehen, Commander«, sagte Amy lakonisch und stellte die Abstrahlleistung des Blasters wieder auf normal zurück. Dhark schüttelte den Kopf. »Die Stacheln hätten den M-Anzug nicht durchdringen können. Das Material ist stabil genug.« »Das Material vielleicht, aber nicht Ihre Rippen, Dhark. Vermutlich hätten Sie Ihre Wirbelsäule vom im Brustkorb wiedergefunden.« »Herzlichen Dank«, murmelte Dhark und ließ offen, ob er damit die drastische Erklärung oder die Rettung vor der Riesenspinne meinte. »Faszinierend«, sagte Tschobe. »Daß so ein gigantisches Spinnenvieh von so kleinen Tieren wie dieser Rattechse leben kann. Schließlich wird es noch etliche weitere Spinnen hier geben, so versponnen, wie der Kellergang aussieht.« »Oder auch nicht«, hoffte Dhark. »Vielleicht hat das Biest all diese Fangnetze im Alleingang installiert.« Er gab sich einen Ruck. »Gehen wir weiter«, beschloß er. »Glauben Sie im Ernst, daß wir hier irgend etwas finden?« fragte Stewart. »Das Ortungsgerät zeigt nicht die geringste Energieemission an. Unter Umständen hat die Anlage mit Gisols Entführung ihre Kapazität verbraucht und sich zerstört, oder sie wurde abgeschaltet.« »Aber von wem?«
»Vielleicht ist sie auch abgeschirmt.« Sie setzten sich wieder in Bewegung. Überall gab es Abzweigungen. Kavernen, die hinter Wandöffnungen lagen, waren leer allenfalls ein paar Rattechsen versuchten quiekend zu flüchten, wenn Tschobe die Kammern kurz ausleuchtete. Bei Abzweigungen veränderte er das Lichtfeld zu einem Lichtstrahl und leuchtete 22 in die Gänge. Er und Stewart überließen Ren Dhark die jeweils einzuschlagende Richtung. Immer wieder kontrollierte Stewart die Anzeigen des tragbaren Ortungsgeräts, das nicht viel größer war als ein CDSpieler aus dem vergangenen Jahrtausend. Aber es gab nirgendwo ein Energieecho. Nicht einmal ein ganz schwaches. Dabei war Amy sicher, daß sie selbst eine so gut wie entladene HörgeräteBatteriezelle hätte anmessen können. Und das über eine Distanz von mehreren tausend Metern. »Wir müssen uns längst unter einem anderen Gebäude befinden«, sagte Dhark nach einer Weile. »Und zwar auf der anderen Straßenseite. Die Straße haben wir unterquert.« »Das hätten wir an der Oberfläche einfacher haben können«, murrte Tschobe. »Und sicher ungefährlicher. Da oben wird's diese Spinnen wohl kaum geben.« »Da ist etwas«, sagte Amy plötzlich. 2. Bin ich "wirklich ich? Artus, der Roboter? Der einzige seiner Art, der über ein echtes Bewußtsein verfügt? Ich denke, also bin ich! Und trotzdem fühle ich mich, als wäre ich gar nicht vorhanden. Eben noch stand ich kurz davor, geschreddert zu "werden. Nun befinde ich mich in den Armen eines reißen Roboterengels, der mit mir zum Himmel emporschwebt. Demnach wurde ich tatsächlich geschreddert und jetzt bin ich tot. Oder nicht? Kann eine Maschine überhaupt sterben? Normalerweise schaltet man Maschinen ab, und das war's. Andererseits bin ich eine ganz besondere Maschine. Eine, die lebt. Die einen terranischen Paß hat. Die auf der Kommandobrücke des wichtigsten Flaggschiffs der Erde mitfliegen darf. V Gehört das jetzt alles der Vergangenheit an? Aufgrund eines fehlgeschlagenen Experiments wurde mir echtes Leben eingehaucht. Wurde mir dieses Leben soeben wieder genommen? Offenbar waren mir lediglich acht Monate vergönnt, und nun geht es ab in den... Roboterhimmel? Gibt es tatsächlich ein eigenes Jenseits für lebende Maschinen? Der Engel setzt mich auf einer festen Substanz ab, die einer Wolke nicht unähnlich ist. Er strahlt ein helles, wärmendes Licht aus. Mit gütigem Lächeln schaut er mich an. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Er verheißt mir die ewige Glückseligkeit. Ich brauche nur einzuwilligen... Natürlich will ich ins Roboterparadies. Streben denn nicht alle Lebenden nach dem Elysium? Elysium. Das erinnert mich an irgend etwas. Der Roboterengel verzieht ärgerlich sein Gesicht. Er verbietet 24 mir strikt, in meinen Erinnerungen zu kramen, und verlangt nachdrücklich meine Einwilligung. Aber die hat er doch schon. Ja, ja, ja, ich will sie, die ewige Glückseligkeit! Laß mich ein ins Paradies! Bedingung? Was für eine Bedingung? Davon war nie die Rede. Ich soll ihm den Zugang zu meinem innersten Sein öffnen? Kommt gar nicht in Frage! Mein geheimstes Ich gehört nur mir allein. Ich bin ich, und außer mir ist niemand ich. Der Engel wird allmählich zornig. Ohne Überprüfung meiner Roboterseele käme ich nicht ins Jenseits, droht er mir. Na, dann eben nicht! Rutsch mir doch den Blechbuckel runter! Oha! Das hätte ich wohl besser nicht gesagt. Jetzt verwandelt er sich in einen Roboterdämon. Dämon? Augenblick mal, hier stimmt doch was nicht!
Dies hier ist nicht die Realität. Es ist ein Traum, eine Halluzination. Sofort blockieren! Der Engel ist fort. Das Licht hat er mitgenommen. Für einen Moment ist es völlig dunkel um mich herum. Ich löse ein Signal aus, aktiviere meine Sensoren und — erwache! Erwache! Von einem Augenblick auf den anderen war die Realität wieder da. Die seltsame Halluzination hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Ich lag im hohen Gras. Regen prasselte auf mich herab, nicht allzu stark, aber kontinuierlich. Ich stand auf, schaute mich nach allen Seiten um. Das Gras reichte mir jetzt bis zum Bauch. Offensichtlich befand ich mich in einer naturbelassenen Umgebung. Anhand des ungewöhnlichen Pflanzenwuchses erkannte ich, daß es sich nicht um die Erde handelte. Möglicherweise hatte man mich auf einem Dschungelplaneten ausgesetzt. 25 Man? Wer war dafür verantwortlich? Was genau war eigentlich passiert? Ich aktivierte meinen Gedächtnisspeicher und rief mir die vergangenen Stunden in Erinnerung, angefangen bei Dharks Viphoanruf in meiner Kabine auf der POINT OF. »Ich habe jetzt Zeit für dich, Artus, und erwarte dich in meiner Unterkunft.« Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade damit beschäftigt gewesen, einen Sechzehnsekunden-Schnellscan durchzuführen, um meine gesamten Speicher zu überprüfen und eventuelle Fehlerquellen zu beseitigen. Aufgrund der Dringlichkeit hatte ich den Scan zwei Sekunden früher abgebrochen und mich beeilt, der Aufforderung des Commanders Folge zu leisten. Ren Dhark mochte es nicht, wenn man ihn warten ließ. Ich hatte den Commander darum gebeten, die Rotte der von den Zyzzktvertriebenen Völker den Heerzug der Heimatlosen auf eigene Faust erkunden zu dürfen. Anfangs hatte er gezögert, doch nachdem ich ihm von meiner kleinen »Lebensversicherung« erzählt hatte, war er einverstanden gewesen. Der Heerzug war eine gigantische Flotte von Raumschiffen unterschiedlichster Formen und Farben, erbaut und bewohnt ^n mehreren Tausend verschiedenen Völkern. Die Schiffe bewegten sich synchron mit der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung. Es gab feste röhrenförmige oder auch flexible schlauchartige Übergänge, Wege von Schleuse zu Schleuse, die von einem Schiff zum nächsten führten, manchmal auch zu mehreren Schiffen zugleich. Transmitter waren nur vereinzelt vorhanden. Die gesamte Flotte wurde von einem riesigen, grobmaschigen, drahtähnlichen Metallkokon eingeschlossen, der ein spezielles Feld erzeugte, das es fremden Schiffen unmöglich machte, den Heerzug zu orten. Innerhalb der Rotte wurde überwiegend Worgun gesprochen, die Sprache der Mysterious, welche in der Galaxis Om allgemeiner Standard war. Nicht nur ich beherrschte diese Sprache inzwischen dank meiner unübertrefflichen Lernfähigkeit perfekt, auch die übrigen Terraner konnten Worgun sprechen, hatten dafür aber auf Terra Nostra Mentcaps einnehmen müssen. 26 Viele außergewöhnliche Wesen, jedes eine Einmaligkeit für sich, waren mir auf meiner kleinen Exkursion begegnet. Am meisten hatte mich das Volk der Bebir fasziniert. Die blasenförmigen, durchsichtigen Bebir, die in etwa die Größe eines Fußballs hatten, waren sozusagen die Heimatlosen unter den Heimatlosen. Sie verfügten über kein eigenes Raumschiff. Statt dessen schwebten sie von Schiff zu Schiff, unterhielten sich mit den Bewohnern und sammelten Wissen. Ihre Lebenserwartung lag umgerechnet ungefähr bei einer terranischen Stunde. Damit die gesammelten Informationen nicht auf ewig verlorengingen, kam für jeden verstorbenen Bebir sofort ein neuer auf die Welt und das Wissen des Sterbenden wurde komplett auf dessen Nachfolger übertragen. Bei einer Begegnung mit einem Bebir namens Kju hatte ich persönlich miterlebt, wie die Informationsübertragung vonstatten ging. Im Inneren von Kju hatte eine Art Energiefähnchen gewabert, ähnlich einer winzigen Nebelschwade. Diese Schwade hatte sich im Verlauf unserer Unterhaltung ständig vermehrt, bis die gesamte Blase proppenvoll war. Tja, und dann war Kju kurzerhand geplatzt...
... und an seiner Stelle hatte der frischgeborene Bebir Eja das Gespräch mit mir weitergeführt. Eja hatte alles gewußt, was Kju gewußt hatte, sogar meinen Namen. Leider verfügten die Bebir nur über ein begrenztes Aufnahmevermögen. Ältere Informationen verschwanden offenbar unweigerlich aus ihrem Gedächtnis. Kju hatte sich jedenfalls nicht mehr darauf besinnen können, von welchem Planeten er kam und wann sein Volk zum Heerzug gestoßen war. Auch über die genaue Größe seines Volkes hatte er mir keine Auskunft geben können. Meine diesbezüglichen Recherchen bei anderen Völkern innerhalb der Rotte hatten bisher nichts Konkretes ergeben. Keiner konnte sich mehr genau daran erinnern, wann die Bebir zum ersten Mal aufgetaucht waren. Sie waren einfach »schon immer dagewesen«, besuchten sporadisch mal dieses, mal jenes Raumschiff und kamen bei den verschiedenen Spezies mal mehr, mal weniger gut an. Einige mochten sie, anderen wiederum gingen sie auf die Nerven. Zwischendrin hatte ich das Gefühl gehabt, in Bezug auf die Be 27 bir irgend etwas ganz Wichtiges übersehen zu haben. Aber was? Sowohl Kju als auch sonstige Flottenangehörige hatten mich davor gewarnt, bei meiner »Lernwanderung« ins Herz der Flotte vorzustoßen. Dort gab es drei leerstehende, uralte Schiffe, die von allerlei Gesindel bevölkert wurden von Ausgestoßenen, Verbrechern, mit denen niemand im Heerzug etwas zu schaffen haben wollte. Sogar die Deeskalationsbeamten, eine multikulturelle Polizeitruppe, wagten sich nur selten in dieses Gebiet, welches von seinen zwielichtigen Bewohnern selbstironisch als »Elysium« bezeichnet wurde. Trotz der eindringlichen Warnungen hatte ich mich nicht davon abhalten lassen, das Elysium aufzusuchen. Meine Neugier hätte ich allerdings beinahe mit dem Leben bezahlt. Kaum hatte ich eins der verlassenen Schiffe betreten, steckte ich auch schon im dicksten Schlamassel. Eine Bande Diebe und Mörder nahm mich gefangen in der Annahme, ich sei nur ein ganz gewöhnlicher Roboter. Sie wollten mich zur »Festung des Herrn« bringen. Natürlich hätte ich mich leicht befreien können, aber ich war neugierig, was es damit auf sich hatte. Im übrigen hatte ich eh in die gleiche Richtung gewollt, weil ich von dort kurz zuvor ein Signal aufgefangen hatte, das von einem noch nicht fertiggestellten Hyperfunkgerät ausgegangen war. Das hatte mich stutzig gemacht. Seit ein unbekannter Verräter beinahe die Zyzzkt- auf die Spur des Heerzugs gebracht hatte, ließ der oberste Rat der Rotte Jagd auf jedes nicht registrierte Hyperfunkgerät machen. Die Verbrecher hatten mich tief ins Innere eines der drei Schiffe verschleppt, wo ich mit dem »Herrn«, dem Luwaren Dokemtar, Mitglied des Flottenrates, zusammengetroffen war. Noch bevor ich mich in seiner perfekt abgeschotteten »Festung« näher hatte umsehen können, hatte er mich in einem Fesselfeld gefangen und einer Energieentladung ausgesetzt. Obwohl ich mich vehement dagegen gewehrt hatte, war es ihm gelungen, meine interne Energieversorgung größtenteils zu blockieren, so daß ich ihm wehrlos ausgeliefert war. Soweit zu meinen abgespeicherten Erinnerungen. Über den weiteren Verlauf der Dinge konnte ich nur spekulieren. 28 Wahrscheinlich hatte mich Dokemtar irgendwie manipuliert anders war die merkwürdige Halluzination jedenfalls nicht zu erklären. Ich hatte »geträumt«, man habe mich in einen Metallschredder geworfen, und dann war ein Roboterengel gekommen... Wann und wie ich auf diesen Dschungelplaneten gebracht worden war, vermochte ich nicht zu sagen. Scheinbar hatte Dokemtar Teile meines Gedächtnisspeichers gelöscht. Oder einige meiner Speicher waren defekt. Eigentlich war ich eine durch und durch perfekte Konstruktion, dennoch konnte selbst ich Fehler nicht gänzlich ausschließen. Beispielsweise hatte mein Sprachmodul schon zweimal etwas anderes wiedergegeben, als ich beabsichtigt hatte einmal im Gespräch mit Dhark und ein weiteres Mal bei der Rezitation eines Gedichtes bei den Sirr. Ich hatte mich schlichtweg versprochen, obwohl das eigentlich unmöglich war.
Waren das Anzeichen für eine bevorstehende Funktionsstörung? Vielleicht sollte ich mich nochmals einem gründlichen Scan unterziehen, um die Fehlerquelle aufzuspüren und zu beseitigen. Ja, natürlich! Warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Dharks Viphoanruf. Die fehlenden zwei Sekunden. Der abrupte Abbruch meines SechzehnsekundenSchnellscans. Das war die Ursache für meine Versprecher! Ich wußte jetzt, was ich zu tun hatte: Der Scan mußte schleunigst wiederholt werden, und zwar vollständig und ohne Unterbrechung. Danach würde wieder alles mit mir in Ordnung sein. Ich schritt sofort zur Tat hier, mitten im Regen, mitten im Gras, mitten im Urwald. Sechzehn, fünfzehn, vierzehn... ... noch sechs, fünf, vier, drei Sekunden. In diesem Augenblick schoß ein riesiger, klebriger Tentakel aus dem aufgeweichten Erdreich und schlang sich um meinen Metallkörper. Das Untier, zu dem der Tentakel gehörte, mußte gewaltig groß sein. Es brachte mich zu Fall und versuchte, mich in die Erde hineinzuziehen. »Laß los!« brüllte ich mit kräftiger Roboterstimme. »Oder du wirst es berieseln!« Berieseln? 29 Schon wieder ein Versprecher?! Logisch, mir fehlten noch immer neue zwei lausige Sekunden... Die Überprüfung meiner Speicher mußte jetzt warten, denn es gab Dringenderes zu tun. Selbstverständlich war ein auf biologischer Basis existierendes Ungeheuer kein emstzunehmender Gegner für mich. Noch vor wenigen Stunden hätte ich es ohne viel Federlesens aus dem lockeren Erdreich herausgezerrt und bedenkenlos totgeschlagen ganz gleich, wie groß es war. Inzwischen aber hatte ich die Schöpfung in all ihrer Vielfältigkeit kennengelernt. Ich hatte mit bizarren Wesen, die meine verrücktesten Phantasien übertrafen, in ihren Raumschiffen zusammengesessen und hochintelligente Gespräche geführt. Dabei war mir klargeworden, daß nicht überall, wo Untier drauf stand auch eines drin war. So manches vermeintlich primitive Geschöpf verfügte in Wahrheit über einen messerscharfen Verstand. Ich richtete mich langsam auf. Das in der Erde verborgene Ungeheuer versuchte mit aller Macht, mich daran zu hindern, doch gegen die gewaltige Zugkraft einer Hochleistungsmaschine hatte es nicht die geringste Chance. Letztlich stand ich wieder aufrecht im bauchhohen Gras und bewegte mich um keinen Zentimeter. Meine Füße waren zwar bis zu den Metallknöcheln eingesunken, aber tiefer ließ ich mich nicht mehr herabziehen. Früher oder später würde das Tentakelmonster aufgeben oder mit mir in Kontakt treten müssen. Ich probierte es mit einer ersten Kontaktaufnahme per Funksignal so hatte es mit den Bebir Kju und Eja bestens funktioniert. Leider reagierte das im Erdreich befindliche Ungeheuer in keiner Weise darauf. »Wir sollten uns friedlich verständigen«, startete ich den nächsten Versuch auf Worgun. Reaktion gleich Null. Ein weiteres Dutzend Sprachen folgte, doch das Monstrum zog und zerrte an mir, als gäbe es dafür einen Preis zu gewinnen. Ich hielt es für das beste, dem fremden Wesen Auge in Auge, 30 beziehungsweise Auge in Sensor gegenüberzutreten. Mit beiden Greifhänden packte ich den Tentakel und zog ihn nach oben... ... und zog und zog und zog ... Sage und schreibe zwanzig Meter Tentakel holte ich aus dem Erdreich dann war Schluß, ohne daß ich erkennen konnte, wo vom und wo hinten war. Über einen Kopf, einen Rachen oder Augen und Ohren verfügte das Wesen nicht. Es bestand nur aus klebrigem Tentakel und sonst gar nichts. Andersherum ausgedrückt: Der Tentakel war das Wesen. Während ich mich mit dem einen Ende beschäftigte, grub sich das andere wieder ein. Ich ließ den lebenden Tentakel los und schaute zu, wie die gesamten zwanzig Meter langsam, aber sicher ins Erdinnere verschwanden, auf Nimmerwiedersehen.
Allem Anschein nach handelte es sich um eine intelligenzlose Form der Gattung Lebewesen, um eine Art Wurm oder Raupe. Fälschlicherweise hatte ich angenommen, daß zu dem vermeintlichen Fangarm noch ein mächtiger Körper gehörte. Ein Trugschluß. In fremder Umgebung traf nicht zwangsläufig immer das Naheliegendste zu. Wie bei den Bebir. Schon wieder überkam mich das Gefühl, in Bezug auf ihr Volk etwas Bedeutsames übersehen zu haben. Weil ich mich ausschließlich auf das verließ, was am naheliegendsten war... Eins nach dem anderen. Das BebirRätsel konnte warten. Zunächst einmal mußte ich mich um meine fehlerhaften Speicher kümmern. Diesmal hinderte mich niemand daran, den längst überfälligen Scan von vom bis hinten durchzuführen. Volle sechzehn Sekunden verharrte ich ungestört im feuchten Gras, im unaufhörlich niederprasselnden Regen, dann hatte ich es geschafft. Der harmlose Fehler war ausgemerzt. Künftig würde es keine Versprecher mehr geben. Versprochen. Ich verließ die Wiese und drang in den dichten Dschungel vor. Außerhalb des Urwalds spendeten gleich zwei Sonnen ausreichend 31 Helligkeit, dem fortwährenden Regen zum Trotz. Unter den Baumwipfeln hingegen herrschte ewige Dämmerung. Tiere, die hier heimisch waren, mußten verdammt gute Augen haben. Sehr viel trockener war es hier allerdings nicht. Der Regen brauchte nur etwas länger, bis er ganz unten ankam. Manchmal sammelte sich das Wasser in dichten Baumkronen, um sich dann in einem Schwall über den Boden zu ergießen. Zudem gab es zahlreiche Lichtungen, auf denen man ungeschützt war. Meinen Sensoren bereitete das Dämmerlicht keinerlei Probleme. Wenn es sein mußte, konnte ich mich in totaler Dunkelheit zurechtfinden, meist zog ich jedoch den Einsatz meiner eingebauten Augenscheinwerfer vor. Auch diesmal machte ich von ihnen Gebrauch und richtete sie ständig auf den Pfad, den ich entlangging. Mein Respekt vor fremden Existenzen ging inzwischen so weit, daß ich bei jedem Schritt höllisch aufpaßte, nichts zu zertreten. Der winzigste Käfer konnte Intelligenz beherbergen. Nur weil ein Wesen sehr viel kleiner war als ich, bedeutete dies nicht, daß es auch dümmer war. Und nur weil es sehr viel größer war als ich, war es nicht zwangsläufig klüger... So wie der wabbelige, graue Gigant, der auf einer Lichtung schlief und dabei laute Geräusche von sich gab, die menschlichen Schnarchtönen nicht ganz unähnlich waren. Sein schrumpeliger Körper glich einem benutzten Kaugummi, das man am Rinnstein von der Schuhsohle gestreift und anschließend achtlos in die Gosse geworfen hatte. Wohlgemerkt: Ein Riesenkaugummi etwa so groß wie ein zweistöckiges Haus. Der massige Leib des Giganten, der sich gemächlich auf und ab bewegte, war von blutleeren Insektenkadavem übersät. Sie blieben an ihm kleben und wurden in Sekundenschnelle ausgesaugt. Offensichtlich mußte sich der faule Koloß bei der Nahrungssuche nicht sonderlich anstrengen. Wie lange lag er hier wohl schon herum? Wechselte er ab und zu die Lichtung, oder war dies sein Stammplatz? Ich verkniff es mir, ihn zu fragen. Möglicherweise war er genauso beschränkt und angriffslustig wie der ZwanzigmeterTentakel. 32 Seine bequeme Art der Fangmethode zeugte allerdings von einer gewissen Klugheit. Wenn man zu fett war, um auf die Jagd zu gehen, ließ man die Beute halt zu sich nach Hause kommen. Menschen verfuhren manchmal genauso, wenn sie Hunger hatten indem sie den Pizzadienst anriefen. So lautlos wie möglich ging ich an dem schlafenden grauen Monstrum vorbei... ... und mußte aufs neue feststellen, wie falsch es war, stets das Naheliegendste anzunehmen. Der Graue schlief überhaupt nicht. Was ich für Schnarchtöne gehalten hatte, waren seine normalen Atemgeräusche. Der Gigant war hellwach, und er hatte mich längst bemerkt. Schnaufend richtete er sich auf und wollte mich mit seinem ganzen Gewicht unter sich begraben. Ich machte einen Satz nach vom und sprang kopfüber ins Dschungeldickicht. Hinter mir klatschte der graue Riese auf den Boden. Ein paar schwabbelige Schleimfetzen
lösten sich von seinem Körper, spritzten nach allen Seiten weg und blieben in Büschen und Bäumen hängen. Leider nicht nur dort. Ein lappiges, etwa hundert Quadratzentimeter großes Stück blieb in meinem Nacken haften. Ich entfernte es auf der nächsten Lichtung unter der Regendusche. Bei dieser Gelegenheit reinigte ich mich gleich gründlich von der klebrigen Lösung, die der Tentakelwurm auf mir hinterlassen hatte. Eine kleine Erholungs und Denkpause war mir nicht vergönnt. Plötzlich krabbelten aus mehreren Richtungen Scharen von ameisenähnlichen Insekten auf die Lichtung. Sie verströmten ein seltsames, überaus angenehmes Licht. Obwohl ich als Roboter gar nicht müde werden konnte, fühlte ich mich auf einmal irgendwie schläfrig. Die Ameisenwesen kreisten mich ein und kletterten an mir hoch. Sie schienen sich regelrecht in meine Metallhülle zu verbeißen. Nicht mit mir! Mittels eines leichten Stromstoßes schüttelte ich sie ab, woraufhin sie sich eiligst wieder in den Dschungel zurückzogen. Mein internes Überwachungsprogramm meldete sich. Es warnte mich vor einer exotischen, nicht exakt zu analysierenden Säure, die meiner äußeren Hülle schwer zusetzte. 33 Ich machte die Probe aufs Exempel und testete meine Gelenke. In der Tat waren meine Bewegungen nicht mehr so geschmeidig wie ich es gewohnt war. Scheinbar hatte die unbekannte Säure eine Art Korrosion ausgelöst. Ich konstatierte: Zunächst hypnotisierten die »Ameisen« ihre Jagdbeute mit dem wohligen Licht, anschließend fielen sie über ihr Opfer her und zersetzten es mit einer speziellen Säure die so stark war, daß sie sogar meinen unverwüstlichen Roboterkörper beschädigen konnte. Das war zumindest meine erste Schlußfolgerung, basierend auf den Gesetzen der Logik und den vorangegangenen Geschehnissen. Mittlerweile hatte ich jedoch dazugelemt und begriffen, daß in der Fremde der erste Anschein nicht immer zutraf. Deshalb richtete ich eine Detailanfrage an mein Überwachungssystem. Das Ergebnis war mehr als niederschmetternd. Die Korrosion meiner Außenhülle schritt unaufhörlich voran. Bald würde ich mich keinen Schritt mehr bewegen können. Nicht die ameisenähnlichen Krabbler waren schuld daran, sondern meine eigene Nachlässigkeit. Wenn man einen unbekannten Planeten betrat, gab es gewisse Regeln zu beachten. Regel Nummer eins war die sofortige Überprüfung der Umgebung. War sie zum (Über)Leben geeignet? Ich hatte einen solchen Test nicht für nötig gehalten. Schließlich war ich kein Mensch oder sonst ein verletzbares biologisches Lebewesen sondern Artus, der Unverwüstliche. Ich benötigte nicht einmal Sauerstoff zum Existieren. Auf den Gedanken, die Atmosphäre dieses Dschungelplaneten könnte eine für mich schädliche Substanz enthalten, wäre ich nie gekommen. Ein Fehler, wie sich nun herausstellte. Laut meinem Überwachungsprogramm war der in einem fort niedergehende Regen mit einer Säure durchsetzt, die für organisches Leben völlig unschädlich war nicht aber für Maschinen. Ziellos stapfte ich durch den Urwald, auf der Suche nach einem Platz, an dem es nicht allzu stark regnete. Aber mit Felsenhöhlen 34 war es offenbar wie mit Polizisten wenn man sie am dringendsten brauchte, waren sie weit weg. Nirgendwo war ein Berg auszumachen. Mir fiel es immer schwerer, mich zu bewegen. Ich schlich dahin wie ein lahmender Ackergaul. Auf der Erde konnte ich über einen tüchtigen Schauer nur lachen. In dieser Welt war das Regenwetter für mich jedoch eine lebensbedrohliche Gefahr die ich hätte abwenden können, hätte ich rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergriffen. Nun bekam ich die Quittung für meine Nachlässigkeit. Und für meine Überheblichkeit. Hätte ich mich nicht für unfehlbar und nahezu unverwundbar gehalten, wäre mir dieser fatale Fehler nie passiert. »Menschen machen Fehler Maschinen nie!« Wie oft hatte ich mich mit diesem Satz auf der POINT OF unbeliebt gemacht? Kein Wunder, daß die Gesamtheit meiner wahren Freunde an Bord auf einen Stecknadelkopf paßte. Man respektierte meine Leistung, akzeptierte mich als
Kampfgefährten, doch zu kameradschaftlichen Freizeitaktivitäten bat man mich nur selten hinzu. Mehr als einmal hatte ich mich auf Terra und in der übrigen Milchstraße als Menschenretter bewährt. Auch als Besatzungsmitglied des terranischen Flaggschiffs hatte ich bereits des öfteren unter Beweis gestellt, was für ein Potential an außergewöhnlichen Fähigkeiten in mir steckte. Die Menschen brauchten mich. Ohne die Hilfe von Maschinen waren sie nichts als hilflose Schwächlinge. Andererseits konnte ich nicht verleugnen, daß es Menschen waren, die Maschinen erfanden, bauten und programmierten. Sogar für meine Schöpfung waren sie verantwortlich auch wenn sie sich hinterher selbst nicht hatten erklären können, wie ich überhaupt zustande gekommen war. Menschen! Ich konnte nicht mit ihnen und schon gar nicht ohne sie! Was hätte ich darum gegeben, in dieser abgeschiedenen Wildnis eine menschliche Stimme zu hören. Sogar Dan Rikers rüder Tonfall wäre mir jetzt recht gewesen. Dharks Stellvertreter ließ mich ^gtäglich spüren, daß er mich auf der Brücke der POINT OF für 35 eine Fehlbesetzung hielt. In seinen Augen war ich nichts weiter als eine eitle, vorlaute Maschine, die wesentlich besserqualifizierten Besatzungsmitgliedem die Chance auf einen Posten in der Zentrale verbaute. »Man sollte dich auf einem Asteroiden aussetzen und die Koordinaten vergessen!« hatte er kürzlich seinem Ärger Luft gemacht, als ich ihm in einer verbalen Auseinandersetzung fortwährend widersprochen hatte. War er schuld an meiner augenblicklichen Situation? Hatten mich Riker und Dokemtar gemeinsam in eine Falle gelockt und nach hierher verfrachtet? Anschließend hatten sie Teile meines Gedächtnisspeichers gelöscht. Damit war Riker fein heraus, falls mich ein Suchtrupp finden und aufs Flaggschiff zurückbringen würde. Plötzlich empfing ich ein Funksignal. Der Sender, der es ausstrahlte, befand sich ganz in der Nähe. War man auf der Suche nach mir? Ich mußte mich unbedingt bemerkbar machen. Zum Glück betrafen die Zersetzungserscheinungen bisher nur meine äußere Hülle. Innen drin war noch alles in Ordnung mit mir. Problemlos sandte ich ein eigenes Funksignal aus. Kurz darauf stand ich in Verbindung mit einer planetaren Rettungsstation. Man übermittelte mir den genauen Standort, erkundigte sich nach dem Grad meiner Beschädigung und fragte mich, ob ich noch in der Lage sei, den Weg bis dorthin zu bewältigen. Die Unterhaltung wurde auf Worgun geführt. Hielten sich Menschen in der Station auf? Oder Bewohner von Om? »Es wäre mir lieber, mich würde jemand abholen«, erwiderte ich, während ich mühsam einen Fuß vor den anderen setzte. »Mein Bewegungssystem wird immer schwächer. Ich knirsche bei jedem Schritt.« »Streng dich mehr an!« forderte man mich auf. »Wir können niemanden zu deiner Rettung in den Regen hinausschicken. Das wäre viel zu gefährlich. Du mußt es allein schaffen!« »Aber warum?« fragte ich verwundert. »Der säurehaltige Regen ist nur für Maschinen gefährlich. Menschen kann nichts zustoßen.« »Menschen?« kam es über Funk zurück. »Auf unserer Station 36 gibt es kein biologisches Leben. Wir betreiben eine Rettungsstation für Roboter.« »Wer leitet die Station?« »Ich«, erhielt ich zur Antwort. »Der Zentralrechner der Rettungsstation. Ich bin eine lebende und selbständig denkende Maschine wie du.« Mit letzter Kraft kämpfte ich mich durch den Dschungel und den Regen, der immer stärker zu werden schien. Obwohl ich hätte schwören können, daß es weit und breit keine Erhebung gab, stieß ich am Rand des Urwalds auf eine Bergflanke. Hier lag irgendwo der Eingang zur Roboter-Rettungsstation. Während ich dem Leitsignal folgte, kam mir mein absurder Verdacht gegen Riker in den Sinn. Der zweite Mann auf der POINT OF schmiedete ein Komplott mit einem Außerirdischen, um einen unliebsamen Erdenbürger zu beseitigen? Einfach
lächerlich! Bis vor kurzem hatten die Menschen das Volk der Luwaren nicht einmal gekannt. Neun Millionen gab es von ihnen im Heerzug der Heimatlosen, verteilt auf achtzehn walzenförmige Schiffen, die jeweils etwa 2000 Meter dick und 7000 Meter lang waren. Die humanoiden Luwaren hatten sechs Finger und schmale Ohren. Im Schnitt wurden sie zwei Meter groß, bei einem Gewicht von nur knapp 65 Kilo. Dadurch wirkten sie dürr und zerbrechlich. Dokemtar, der sein Volk im Rat der Flotte vertrat, entsprach auf den ersten Blick diesen Durchschnittswerten. Er galt als angesehener Mann. Warum verkroch er sich dann tief im Herzen der Rotte, hinter verschlossenen Toren, in einem abgeschirmten Labor? »Festung« nannten die Bewohner des Elysiums diesen Bereich, den sie nicht betreten durften, und sie bezeichneten Dokemtar als ihren Herrn. Vermutlich nicht aus Respekt vor ihm, sondern weil er sie von Zeit zu Zeit mit Geld versorgte mit einer Währung, die nur innerhalb der drei leerstehenden Raumschiffe als Zahlungsmittel akzeptiert wurde, zum illegalen Erwerb von Drogen und gestohlenen Waren. 37 Höchstwahrscheinlich dmckte Dokemtar die Geldscheine selbst. Die sein Labor umgebenden Panzerschotts und Panzerwände waren mit Energiefeldem abgesichert. Durch das viele Metall ringsum konnten sie von außen nicht geortet werden. Trotz dieser Schutzmaßnahmen war ihm beim Bau eines leistungsstarken Hyperfunkgeräts ein kaum wahrnehmbarer Impuls entwichen den ich aufgefangen hatte. War Dokemtar der Verräter, der beinahe die Zyzzkt- auf die Spur der Flotte gebracht hatte? Plante er, den mißglückten Versuch noch einmal zu wiederholen? Und ausgerechnet mit so einem gewissenlosen Schurken sollte sich Dan Riker verbünden? Wie hatte ich Narr das nur glauben können? Wahrscheinlich nagte nicht nur der Rost an meinen Gelenken, sondern auch die Verzweiflung an meinem Verstand. Wenig später stand ich, fast schon gänzlich bewegungslos, vor dem verschlossenen Eingang zur Rettungsstation ein Bunker im Berginneren. Ich nahm Kontakt zum Zentralrechner auf und bat um Einlaß. »Selbstverständlich darfst du zu uns herein«, antwortete mir der Rechner. »Wir haben ein Mittel gegen die fortschreitende Korrosion und verfügen auch über Ersatzteile zum Auswechseln. Du wirst sehen, in ein paar Tagen fühlst du dich wie neu.« »Klingt verlockend«, meinte ich und wartete darauf, daß sich der Eingang öffnete. »Eine Bedingung mußt du allerdings noch erfüllen«, verkündete der Zentralrechner, dessen Stimme mir plötzlich mächtig bekannt vorkam. »Welche?« fragte ich, das Schlimmste befürchtend. »Wir müssen dich gründlich überprüfen«, sagte der Rechner. »Reine Routine. Du brauchst uns nur den Zugang zu deinem inneren Sein öffnen, alles andere erledigen wir dann schon.« Ich war so überrascht, daß mir drei Worte entfuhren, die auf Terra zum alltäglichen Sprachgebrauch gehörten. Erwachsene verboten ihren Kindern, sie zu benutzen, verwendeten sie aber selbst nur zu gem. »Ach du Scheiße!« 38 Blockieren, blockieren, blockieren...! Dokemtar war offenbar ein ernstzunehmender Gegner, ein Meister der Manipulation. Anfangs hatte er nur eine harmlose Halluzination in mir erzeugt. Der Roboterengel, das Roboterparadies... all das war für mich leicht zu durchschauen gewesen. Dann hatte er zum zweiten Schlag ausgeholt und mich wie einen dummen Ochsen an der Nase herumgeführt. Die verregnete Dschungelwelt hatte er so realistisch gestaltet, daß ich die Feuchtigkeit in meinen Gelenken regelrecht gespürt hatte. Glücklicherweise hatte ich zum Schluß hin doch noch gemerkt, daß man mich manipulierte. Der vermeintliche Zentralrechner hatte mit Dokemtars Stimme gesprochen, und er hatte das gleiche von mir gewollt wie der angebliche Engel.
Meine derzeit nur »auf Sparflamme« arbeitende Sensorik blockierte die Halluzination. Obwohl Dokemtar meine Energiezufuhr kontrollierte, konnte er das nicht verhindern. Seine künstlich erzeugte Scheinwelt brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Aus und vorbei. Ich war bereits gespannt auf die nächste gezielte Manipulation. Dokemtar war nicht der Mann, der nach zwei vergeblichen Versuchen aufgab. Er würde erst Ruhe geben, wenn er bekommen hatte, was er wollte. Bisher war mir »der Herr des Elysiums« jedesmal um einen Schritt vorausgewesen. Nun war es an der Zeit, ihn zu überholen. Falls es mir gelang, vorauszusehen, was er als nächstes plante, konnte ich entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Was würde ich an seiner Stelle tun? Wie würde ich weiter vorgehen, wäre ich Dokemtar? Der Engel war aufgeflogen, den Dschungelplaneten gab es nicht mehr. Das Manipulationsopfer war also gewarnt. Kein halbwegs gescheites Wesen war so leichtgläubig, daß es dreimal hintereinander auf denselben Trick hereinfiel es sei denn, die neue Variante des Tricks erwies sich als wahrhaft perfekt. Daher mußte die dritte Halluzination die ersten beiden um ein Vielfaches übertrumpfen. 39 Von einer Sekunde zur anderen fand ich mich in Dokemtars Labor wieder. Er stand nur einen Meter von mir entfernt und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Bei den Menschen war diese Körperhaltung gleichbedeutend mit Angriffslust. Hingegen wirkte Dokemtar eher lächerlich auf mich, in seiner flattrigen »DonQuichotteGestalt«. Posse statt Pose. Am liebsten hätte ich ihm seinen dürren Hals umgedreht, nach allem, was er mir angetan hatte. Starke Fesselfelder verhinderten allerdings, daß ich ihm zu nahe kam. »Ein Roboter mit eigenem Verstand«, murmelte der Luware. »Dazu sind selbst wir nicht in der Lage.« Ich registrierte seine Anmerkung. Wir? Wen meinte er damit? Offenbar hatte er die Blockade meiner eigenen Energieversorgung aufgehoben, um direkt mit mir zu kommunizieren. Er ahnte, daß ich eine denkende Maschine war doch es fehlte ihm der letzte Beweis. Wie sollte ich mich jetzt verhalten? Mich weiter dumm stellen? Oder... Ach du Scheiße! In diesem Moment wurde mir schlagartig bewußt, was Dokemtar vorhatte. Er beabsichtigte tatsächlich, mich ein weiteres Mal zu manipulieren. Mehr noch: Die dritte Manipulationsphase war bereits angelaufen. Dokemtar selbst war Bestandteil meines neuesten Traumes. Mein Erwachen in seinem Labor war nichts als eine raffiniert gestrickte Halluzination. Die Heimtücke dieses Mannes kannte offenbar keine Grenzen. Ich war weiß Gott kein Dummkopf, aber beinahe hätte er es wirklich geschafft, mich zum drittenmal zu überlisten. Blockieren! befahl ich meiner Sensorik. Sekundenbruchteile später zog ich den Befehl wieder zurück. Ich hielt es für ratsamer, Dokemtar mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und ihn im Glauben zu lassen, er habe mich aufs neue getäuscht. Möglicherweise bekam ich auf diese Weise mehr über seine schändlichen Pläne heraus. Bisher hatte ich ihn lediglich in Verdacht, den Heerzug der Heimalosen an den Feind verraten zu wollen. Sein Motiv war mir jedoch nicht ganz klar. Wurde die Flotte von 40 den Zyzzkt- aufgebracht, würde er wie alle anderen den Tod finden. Wenn ich geschickt genug vorging, fand ich vielleicht heraus, was genau er plante. Dokemtar durfte nur nicht merken, daß ich seine Manipulation durchschaut hatte. Andernfalls würde er den Kontakt zu mir sofort abbrechen, und ich würde hilflos in Dunkelheit versinken. Das durfte nicht geschehen, ich brauchte jetzt mehr denn je einen wachen Verstand. »Wie lautet der Name des Genies, das dich erschaffen hat? War es ein Mensch? Wo lebt er? Wie kann ich mit ihm in Kontakt treten?« Dokemtar, beziehungsweise die halluzinative Darstellung seiner Person, unterzog mich einem scharfen Verhör. Ich überlegte mir meine Antworten sehr sorgfältig. »Red schon!« verlangte der Luware voller Ungeduld. »Sonst wirst du geschreddert!«
Ich wußte, daß er bluffte. Kaputt war ich nutzlos für ihn. Einen zerstörten Roboter konnte man nicht mehr befragen. Und man konnte auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen an ihm durchführen. »Mein Schöpfer ist unser aller Schöpfer, und er trägt viele Namen«, antwortete ich ihm. »Der bekannteste lautet: Gott. Da ich ihm noch nie begegnet bin, vermag ich nicht zu sagen, ob er ein Mensch ist. Zwar behaupten die Menschen, sie seien als Krone der Schöpfung nach seinem Ebenbild geschaffen worden, doch angesichts der wundersamen Schöpfungsvielfalt in anderen Galaxien kommen ihnen allmählich Zweifel. Vielleicht ist Gott tatsächlich ein Mensch, er könnte aber auch genausogut Luware sein. Oder ein Chilp, eine Krowia, ein Bebir...« »Die Bebir als Vorbild für eine Gottheit?« spöttelte Dokemtar. »Dazu fehlt ihnen das Format. Ich hatte mal ein Streitgespräch mit einem von ihnen... ach, was geht's dich an, Roboter? Hör auf, mir solch einen Unfug zu erzählen und beantworte gefälligst meine Fragen.« »Selbstverständlich«, fuhr ich unbeirrt fort. »Wo Gott wohnt, 41 darüber kann ich nur spekulieren. Auf Terra war man früher überzeugt, sein Domizil befände sich im Himmel, hoch über den Wolken. Aber seit Juri Alexejewitsch Gagarin am 12. April 1961 die Erde in einer Raumkapsel umrundet hat, ist das kein Thema mehr. Auch bei späteren Raumflügen wurde im Himmel kein höheres Wesen gesichtet. Gagarin starb übrigens knapp sieben Jahre nach seinem Ausflug ins All bei einem Flugzeugabsturz im Alter von nur 34 Jahren. Ist das nicht paradox? Da bereist der Mann als erster Mensch das Weltall, übersteht dieses Abenteuer unbeschadet, und dann stürzt er in einem Flugzeug ab.« »Ich will keinen terranischen Geschichtsunterricht, sondern eine präzise Auskunft!« fuhr mich der Luware an. »Wie kann ich mit der Person in Verbindung treten, die dich erschaffen hat?« Ich blieb ihm die Antwort nicht schuldig. »Beten, beten und nochmals beten. So versucht man es zumindest auf Terra, schon seit Jahrtausenden. Es wurden sogar spezielle Gebäude für diese Art von Kontaktaufnahme errichtet. Zugegeben, vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist das totaler Unfug. Auf den Dächern jener Gebäude gibt es nicht einmal Antennen oder Satellitenschüsseln. Trotzdem sendet Gott den Seinen manchmal verschlüsselte Zeichen, und dann wissen sie, daß die Botschaft angekommen ist ohne Hyperfunk und andere technische Hilfsmittel. Apropos Hyperfunk. Besitzt du zufällig ein Funkgerät? Ich würde gern mit meinem Schiff Kontakt aufnehmen.« »Das könnte dir so passen, Klugschwätzer!« erwiderte Dokemtar ärgerlich. »Bevor du mir nicht alles gesagt hast, was ich wissen will, bleibst du hier in meinem Labor. Du bist anders als normale Roboter, weil du eigenständig denken kannst; so hat es jedenfalls den Anschein. Verfügst du tatsächlich über ein eigenes Bewußtsein? Hast du Gefühle wie ein lebendes Wesen? Oder ist dein merkwürdiges Gehabe nichts weiter als eine raffinierte Täuschung? Vielleicht bist du in Wahrheit doch nur eine gewöhnliche Maschine, eine, die besonders lebensecht konstruiert wurde. Ich werde dein Geheimnis lüften, selbst wenn ich dich dafür Stück für Stück in deine Einzelteile zerlegen müßte!« Auch ich hätte eine Menge Fragen an ihn gehabt. Auf welche Weise manipulierte er mich? War er telepathisch 42 begabt und las in meinen Gedanken wie in einem offenen Buch? Hatte er mich einer Gehirnwäsche unterzogen? Wurden die verschiedenen Scheinwelten von einem Gerät erzeugt, ähnlich dem Sensorium? Wie zog er seinen Nutzen aus meinen Traumerlebnissen? Verfügte er über einen Apparat, der meine Halluzinationen für ihn sichtbar machte? Fest stand, daß mich Dokemtar in meinem zweiten Traum ständig beobachtet und Rückschlüsse aus meiner Verhaltensweise gezogen hatte. Zum Schluß hin hatte er sogar selbst ins Geschehen eingegriffen, als Stimme des Zentralrechners. Und nun stand er »in persona« vor mir und stellte mir Fragen über Fragen. Aber wie transferierte er meine Antworten hinüber in die Realität? Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Die »Festung des Herrn« war eine Mischung aus wissenschaftlichem Labor und technischer Werkstatt. In Regalen standen Gefäße mit Chemikalien. An einer Wand hingen Werkzeuge, die ich noch
nie zuvor gesehen hatte. Gegenüber der Werkzeugwand befand sich ein großer Bildschirm, der Bestandteil eines noch größeren Suprasensors war. Links von mir hatte man seltsam anmutende Apparate aufgestellt. Rechts von mir stand ein offener Waffenschrank mit zwei luwarischen Strahlengewehren und einer vierläufigen Waffe, die Ähnlichkeit mit einer Schrotflinte hatte. Dies alles nahm nur ungefähr die Hälfte des Raumes ein. Der restliche Platz war leer und ungenutzt. Sah Dokemtars Labor wirklich so aus? Hatte er sich bei der Erzeugung der Scheinwelt an die tatsächlichen Gegebenheiten gehalten? Oder war dieser Raum lediglich ein Produkt seiner Phantasie? Eventuell war sein Originallabor wesentlich kleiner. Und vielleicht stand ich nicht aufrecht in einem Fesselfeld, sondern lag auf einem Seziertisch, angeschlossen an zahlreiche Kabel und Drähte. Als ich Dokemtars reales Labor durch eine Schleuse betreten hatte, hatte er sich mir sofort in den Weg gestellt, so daß ich nicht viel davon hatte sehen können. Er hatte einen blauen, viel zu weiten Kittel angehabt. Jetzt trug er einen enganliegenden olivgrünen Trainingsanzug, in dem er aussah wie ein terranischer Waffenmechaniker. Ich bezweifelte, daß er in der realen Welt genauso ge 43 kleidet war. Die meisten Luwaren bevorzugten schlabberige, bequeme Kleidung. Zweifelsohne hatten Dokemtar und ich ein Verständigungsproblem. Er wollte Auskünfte von mir, bekam aber keine. Statt dessen verarschte ich ihn nach Strich und Faden. Lange würde er sich das sicherlich nicht mehr bieten lassen. Was dann? Würde er seine Drohung wahr machen und mich nach dem Aufwecken zerlegen? Oder hatte er noch weitere Tricks auf Lager? Und wieder fragte ich mich: Was würde ich an seiner Stelle tun? Wie würde ich innerhalb eines Traums jemanden zum Reden bringen? Die wirksamste Methode, die mir einfiel, war Erpressung mit einer Geisel als Druckmittel. Hätte der fiktive Dokemtar einen meiner Schiffskameraden in seiner Gewalt, vielleicht sogar den Commander höchstpersönlich, könnte er mich zwingen, mit ihm zu kooperieren. Allerdings müßte er mir die Anwesenheit der Geisel irgendwie plausibel machen. Tür zum Nebenzimmer auf, Blick auf den gefesselten Commander, Tür wieder zu nein, das wäre zu plump. Das Ganze müßte wesentlich aufwendiger gestaltet werden... »Weißt du überhaupt, mit wem du es zu tun hast, du unwürdiges Nichts?« zischte mich Dokemtar drohend an. »Du würdest in Angst und Ehrfurcht erstarren, würdest du mein Geheimnis kennen!« »Erzähl's mir«, ermunterte ich ihn mit spöttelndem Unterton. »Anschließend messen wir dann, wie hoch mein Furchtpegel angestiegen ist.« Ich spürte, daß er kurz davor stand, die Nerven zu verlieren. In diesem Zustand verriet er mir vielleicht mehr über sich, als gut für ihn war. Sicherlich war auch sein reales Pendant bereits total entnervt. Plötzlich explodierte die Traumszene förmlich vor überraschender Aktion. Durch die hintere, kahle Laborwand schwebten nacheinander zwei Flash ein und setzten zur Landung an. Vier Personen entstiegen den Ringraumerbeibooten: Der dreiunddreißigjährige Ukrainer Pjetr Wonzeff, sein gleichaltriger Freund und Kamerad Mike Do 44 raner sowie zwei Cyborgs. Alle vier hielten Handfeuerwaffen in den Händen. Na bitte, Dokemtar enttäuschte mich nicht. Er hatte sich etwas Originelles einfallen lassen. Kein terranisches Holokino hätte mir aufregendere Unterhaltung bieten können. Meinen »Logenplatz« hätte ich jetzt gegen nichts auf der Welt eingetauscht. Ich war schon höllischgespannt, wie es weiterging. 3. »Ein ganz schwacher Reflex. Kaum wahrnehmbar. Fast hätte ich ihn übersehen.« Amy arbeitete an der Kalibrierung des Ortungsgeräts. »Jetzt kommt's deutlicher. Hier...« Dhark beugte sich zu ihr und betrachtete die Anzeige. »Da läuft aber was nur noch auf äußerster Sparflamme... sehen wir's uns doch mal an.« Hatten sie gefunden, was sie suchten?
Der Weg führte sie an einer Rampe in die oberen Etagen vorbei. »Notausgang«, bemerkte Tschobe lakonisch. Plötzlich standen sie vor einem Kellerraum, der sogar von einer Tür geschützt wurde. Verriegelt war sie allerdings nicht. Stewart schob Dhark rigoros zurück, als dieser als erster den Raum betreten wollte. »Denken Sie daran, wie wichtig Sie sind, Commander«, ermähnte sie ihn. »Wenn Gisol wirklich tot ist, sind Sie der einzige, der die EPOY fliegen kann!« Er sah die Logik zähneknirschend ein, aber es gefiel ihm gar nicht, von Sachzwängen plötzlich zur Nr. 2 degradiert worden zu sein. Das widersprach seinem Naturell. Der breitschultrige, weißblonde Sportlertyp mit dem energischen Kinn und den braunen Augen, in denen so gern ein Lachen aufblitzte, war ein Forscher, ein Sucher. Es drängte ihn immer weiter vorwärts, um die Geheimnisse des Universums zu erforschen. Und mit seinem Elan riß er die Gefährten immer wieder mit sich, aber sein Pflichtbewußtsein ihnen gegenüber brachte ihn auch immer wieder dazu, zuerst sich in die Gefahr zu stürzen und die anderen zu schützen. Daß es jetzt andersherum lief, konnte ihn nicht zufriedenstellen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Er war tatsächlich der einzige, der die EPOY von hier fortbringen konnte! 46 Stewart öffnete vorsichtig die Tür, in einer Hand wieder den Blaster. Das Licht aus Tschobes Stab riß ein bizarres Etwas aus den Schatten. Einen Roboter! Nichts geschah. Starr ragte der gut vier Meter hohe Koloß vor ihnen auf. Der Kopf berührte fast die Decke des Kellerraums. Im Gesicht deuteten sich schwach humanoide Züge an, aber die Nase wurde durch einen dunklen Fleck ersetzt, und statt der Ohren trug der Kopf zwei kurze Antennen mit Kugelköpfen. Der entfernt menschenähnliche, schlanke Metallkörper, dessen Gewicht Amys Programmgehim auf etwa 1,2 Tonnen kalkulierte, verfügte über zwei kräftig geformte Beine mit jeweils zwei Kniegelenken. Ebenso verhielt es sich mit den Armen. »Zwei verschiedenfarbige Augen«, stellte Amy fest. »Woran erkennen Sie das?« wollte Dhark wissen. »Ich sehe nur trübe Linsen.« »Die Linsen sind eingefärbt, eine grün, eine rot. Ich bin nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Optiken handelt oder um eine Kommunikationseinrichtung. Über die Zeit, in der 3DEffekte mit den Farben Grün und Rot simuliert wurden und die Menschen entsprechende Brillen benutzten, dürften die Worgun ja wohl schon seit ein paar Stunden hinaus sein.« »Sie halten diesen Burschen also für einen Worgunroboter?« »Wofür sonst? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Zyzzkt- Roboter in humanoider Grundform konstruieren. Ebensowenig würden wir unseren Maschinen Insektengestalt verleihen, außer, diese Gestalt wäre einer ganz bestimmten Situation angepaßt. Zudem erinnere mich, daß Gisol einmal einen Robotertyp beschrieb, der vor ein paar Jahrhunderten in großen Mengen gebaut wurde und danach nicht mehr. Eine gewisse Ähnlichkeit ist durchaus vorhanden.« »Kommunikationseinrichtung, vermuten Sie also«, sagte Tschobe und sah wieder einmal an Amy vorbei.« »Warum nicht? Vielleicht gibt er damit Blinksignale wie Morse 47 zeichen. Oder noch einfacher, rot für negativ, grün für positiv...« »Oder umgekehrt«, gab Tschobe zu bedenken. »Die Farbspielchen der Mysterious entsprechend annähernd unseren«, sagte Dhark. »Die Geheimnisvollen haben ja teilweise Zahlenbegriffe durch Farbsymbole ersetzt. Und wenn dieses Ungetüm tatsächlich von deren Fließband gelaufen ist, paßt alles zusammen.« »Der hier läuft jedenfalls nicht mehr. Der ist abgeschaltet. Vermutlich defekt. Ertobit, schätze ich mal«, brummte Tschobe. »Oder was zeigt die Ortung jetzt aus der Nähe an?« »Der Meßwert ist geringfügig stärker«, vermeldete Stewart. »Scheint, als wäre doch noch ein wenig mehr Energie verfügbar als angenommen.« »Vielleicht können wir den Burschen ja wecken«, überlegte Tschobe. »Und wie wollen Sie das machen? Anklopfen und >Hallo, aufwachen< sagen?«
Tschobe winkte ab. »Ich glaube, das geht auch anders. Ich brauche nur ein wenig Werkzeug aus dem Flash. Bin gleich wieder hier.« Er eilte davon und benutzte die »Notausgang«Rampe, um nach oben zu gelangen.Sekundenlang überlegte Dhark, ob er ihm Amy hinterherschicken sollte, für den Fall, daß an der Oberfläche inzwischen etwas lauerte, das gefährlich war. Aber Tschobe wußte sich schon zu helfen. Zudem würde die Cyborg nicht zulassen, daß Dhark allein hier unten blieb. Er betrachtete den stillgelegten Roboter. Irgend etwas stimmte mit dieser Maschine nicht! Tschobe eilte die Rampe empor. Es kam ihm vor, als müsse er höher steigen, als vorhin der Sturz in den Keller in die Tiefe geführt hatte. Möglicherweise hatten sie während ihres unterirdischen Weges ein Gefälle hinter sich gebracht. Den Lichtstab hatte er Dhark gelassen. Er selbst bewegte sich in 48 die Dunkelheit hinein. Hoffentlich gab es keine Hindernisse, gegen die er lief... plötzlich wurde es heller. Er näherte sich der Oberfläche! Vor ihm tauchte eine mehreckige Öffnung auf. Vorsichtig trat er ins Freie, die Hand am Kolben des Blasters. Er sah sich um und orientierte sich. Erstaunt stellte er fest, daß sie sich unter der Erde erheblich weiter von dem ursprünglichen Gebäude entfernt hatten, als Ren Dhark geschätzt hatte. Sie mußten eine Distanz von wenigstens fünfhundert Metern hinter sich gebracht haben. Ein leichter Windhauch strich durch die Straße, wirbelte Sand auf und Laub, das von Bäumen abgeworfen worden war. Sonst war nichts zu sehen. Wo war das Haus, in dem sie die Flash versteckt hatten? Er fand es wieder. Er merkte sich, an welcher Stelle er ans Tageslicht zurückgekehrt war, und lief hinüber. Plötzlich sah er einen Schatten, der sich bewegte. Da war etwas zwischen den Häusern! Aber was? Unwillkürlich stoppte er und zog den Blaster. Er lauschte. Da waren kratzende Geräusche und ein heiseres Bellen wie das eines Alligators aus den EvergladesSümpfen. Ein Tier, dachte Tschobe erleichtert. Damit konnte er fertigwerden. Bedrohlicher wären Fremdintelligenzen gewesen, die sich plötzlich hier zeigten. Denn die hätten nur Zyzzkt- sein können. Er ging weiter. Ein Schatten segelte lautlos und rasend schnell über ihn hinweg. Zu schnell, als daß er hätte erkennen können, was das für ein Tier war. Dann erklang wieder das heisere Bellen. »Von wegen tote Ruinenstadt«, murmelte er. Der Dschungel ergriff nicht nur in Form von Pflanzenbewuchs, der über die Randgebiete der Ansiedlung allmählich ins Innere hineinwucherte, von der Zyzzkt--Stadt Besitz, sondern auch die Fauna drängte herein. Etwas huschte zwischen den Häusern hervor, das aussah wie eine in verschiedenen Grautönen gefleckte, schwanzlose Raubkatze auf viel zu kurzen Beinen, von denen es zum Ausgleich acht Stück gab. Damit entwickelte das Biest ein unglaubliches Tempo und raste direkt auf Tschobe zu. 49 Der hielt immer noch den Blaster in der Faust, brauchte nur zu zielen und drückte den Strahlkontakt. Der grelle Energieblitz erfaßte die Acht-kurzbein-katze. Im nächsten Moment erlebte Tschobe die Überraschung seines Lebens. Das Biest hielt in seinem rasenden Lauf nicht an, schnappte aber mit dem Maul nach dem Strahl und bekam ihn direkt hinein, um die Energie im nächsten Moment wieder auf Tschobe zurückzuschleudem! Dabei nahm die Strahlenergie die Form eines Kugelblitzes an! Tschobe schaffte es gerade noch, sich zu Boden zu werfen und zur Seite zu rollen. So wurde er von dem Kugelblitz nur berührt. Der prallte ab und schmetterte in eine Hauswand. Krachend stürzte ein Teil der Fassade ein; es regnete Steinbrocken, und jede Menge Staub quoll empor. Tschobe fand keine Zeit, darauf zu achten. Sein M-Anzug hatte zwar die Teilentladung bei der Berührung durch den Kugelblitz überstanden, war dabei aber
heiß geworden. Und im nächsten Moment war die Achtkurzbeinkatze auch schon bei ihm, warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf Manu Tschobe! Aus! dachte der Afrikaner und schloß mit seinem Leben ab. ^ Vergeblich versuchte Tschobe, das Monstrum von sich abzuwerfen. Es ging nicht; die Bestie war zu stark und auch zu schwer und preßte ihn allein durch ihr Gewicht auf den Boden. Dicht vor seinem Gesicht klaffte das sabbernde Maul der Achtkurzbein-katze mit Reißzähnen, die eine Länge von wenigstens fünf Zentimetern hatten. Wenn die sich in sein Fleisch gruben, rissen sie Wunden, an denen er verbluten mußte, selbst wenn er dem Ungeheuer jetzt noch einmal entkam. Seinen Blaster hatte er beim Aufprall verloren. Ob es sinnvoll war, die Waffe nach dem Erlebnis von gerade eben noch einmal gegen das Tier einzusetzen, war ohnehin mehr als fraglich. Er bedauerte, daß er den Falthelm des M-Anzugs beim Verlassen des Gebäudes wieder nach hinten zurückgeklappt hatte, wo er 50 sich sauber und wie ein kleiner Kragen zusammengerollt hatte. Vielleicht hätte ihm das schwer zerreißbare Material noch etwas Schutz bieten können. Fauliger Atem wurde ihm ins Gesicht geblasen. Jetzt war das Maul des Ungeheuers unmittelbar vor seinen Augen. Und dann zuckte eine lange Zunge aus dem Maul hervor und wischte ihm klebrigklatschig durchs Gesicht! Mal von rechts nach links, mal von links nach rechts, quer, schräg, rauf und runter, und dabei begann das verdammte Biest auch noch in einer Lautstärke zu schnurren, daß es Tschobe beinahe die Trommelfelle platzen ließ! »Ah laß das!« keuchte er verzweifelt. Das war ein Fehler. Kaum war sein Mund offen, als die Monsterzunge einmal kurz hindurchschleckte. Ihm wurde übel. Das Mistvieh wollte ihn gar nicht fressen! Es wollte mit ihm spielen! Er drehte verzweifelt den Kopf zur Seite. »Hör auf damit, du verdammtes Biest! Äh braves Kätzchen, liebes Kätzchen laß ab!« Nur verstand das liebe Kätzchen kein Angloter. Es machte fröhlich weiter und dachte gar nicht daran, seinen bequemen Platz auf Tschobes Körper aufzugeben. Wartete das Biest jetzt vielleicht auch noch darauf, daß er es hinter den Ohren kraulte? Wie wurde er es endlich wieder los? Im nächsten Moment segelte das Blitzschnelle und Lautlose wieder heran, stieß aus der Luft herab und schlug seine Fänge in den Körper der Riesenkatze. Augenblicklich wurde das Tier emporgerissen. Es gab ein schrilles Miauen und Fauchen von sich. Zugleich versuchte es, mit seinen acht Tatzen Tschobe festzuhalten, aber die Krallen drangen nicht in den M-Anzug ein und glitten ab. Aus einem halben Meter Höhe stürzte Tschobe zurück auf den Boden. Der Aufprall war schmerzhaft, weil der Afrikaner keine Chance hatte, ihn abzufedern. Dennoch schaffte er es, sich auf die Seite zu rollen. Neben ihm lag sein Blaster. 51 Er griff zu. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam er auf die Knie und sah den Raubvogel mit seiner achtbeinigen Beute schon hoch am Himmel. Genau konnte er nicht erkennen, welcher Art Vogel der Geflügelte war, aber daß die Acht-kurzbein-katze rettungslos verloren war, war ihm klar. Er zielte beidhändig und schoß. Der Blasterstrahl traf den Raubsegler, dessen Körper in Flammen aufging. Der Vogel schrie, aber er ließ seine Beute nicht fallen. Wenn er normale Vogelkrallen hatte, konnte er das auch überhaupt nicht. Da mußte er das Fleisch der Beute erst mit dem Schnabel von seinen Klauen freihacken. Beide Tiere stürzten irgendwo, einen Dreiviertelkilometer entfernt, in den Dschungel. Tschobe richtete sich endgültig auf und steckte die Strahlwaffe wieder ein. Er wartete einige Minuten auf Feuerschein, aber das Feuer, das den Vogelkörper verzehrte, breitete sich nicht auf die Bäume aus. Keine Qualmwolke stieg empor.
Tschobe atmete tief durch. Prompt stieg ihm der faulige Gestank aus seinem schleimverschmierten Gesicht wieder in die Nase. Er würgte und erbrach sich. Danach ging es ihm auch nicht viel besser. Aber allmählich ließ der Schmerz seines Sturzes nach. Tschobe wankte zu einem in der Nähe stehenden Strauch mit großen, breiten, saftigen Blättern. Er löste einen der Handschuhe seines RauM-Anzugs, pflückte eines der Blätter und zerdrückte ein kleines Stückchen auf dem ungeschützten Handrücken. Dann wartete er ab. Nach etwa einer Viertelstunde zeigte sich noch keine allergische Reaktion. Das besagte zwar noch nicht viel, zeigte ihm aber, daß ein eventuelles Pflanzengift nicht besonders stark sein konnte. Und er wollte das Blatt ja auch nicht versaften. Er nahm einige der Blätter und wischte sich das Gesicht sauber. Dafür mußte es eben reichen. Schließlich fühlte er sich etwas besser. »Verrückte Welt«, murmelte er. »Exotische Raubkatzen, die Terraner nicht als Beute, sondern als Spielzeug sehen...« Er streifte den Handschuh wieder über, sorgte für luftdichten 52 Verschluß und setzte seinen Weg fort. Weiterhin unbehelligt erreichte er das Gebäude, in welchem sie die beiden Flash versteckt hatten. Niemand hatte sich in der Zwischenzeit an den beiden Maschinen vergriffen. Nun, wer hätte das auch tun sollen? Volle Energie war auch noch vorhanden. Er öffnete seinen Flash, kramte im Stauraum zwischen den beiden Sitzen, die Rücken an Rücken positioniert waren, und fischte einige spezielle Werkzeuge heraus. Er atmete auf; es waren genau die, welche er benötigte! Zusätzlich nahm er noch einen weiteren Lichtstab mit. Ein dritter wurde nicht benötigt; die Cyborg war auch in der Lage, im Infrarotbereich zu sehen und benötigte zusätzliches Licht nicht unbedingt. Dann kehrte er zurück in die Tiefe. Er aktivierte den Leuchtstab und kam deshalb auf dem Rückweg schneller voran. Vor Ort war alles unverändert. Im Lichtschein, der von Dharks Stab ausging, schimmerte der Roboter metallisch. Erstaunlich, dachte Tschobe. Eigentlich müßte eine Staubschicht diese Maschinenkonstruktion bedecken. Aber das war offensichtlich nicht der Fall. »Sie haben aber lange gebraucht«, empfing ihn Amy Stewart. »Haben Sie sich verlaufen?« »Ich hatte eine faszinierende Begegnung mit einem Teil der heimischen Tierwelt«, erwiderte er. »Wenn der gute Alfred Brehm das noch hätte erleben können er wäre entzückt.« »Sagen Sie bloß. Sie hätten ein reizendes, schnurrendes Miezekätzchen gestreichelt«, schmunzelte Dhark. Tschobe zuckte zusammen, winkte aber ab. Im Moment wollte er das Thema nicht weiter verfolgen. »Miß Stewart«, bat er. »Können Sie den Blechkameraden vielleicht ein wenig drehen? Ich muß an seine Rückenpartie.« Und die war der Wand zugerichtet. Amy verzog das Gesicht, erfüllte die Bitte dann aber. Für ihre Cyborgkraft war es kein Problem, die rund 1,5 Tonnen Masse zu bewegen. Dhark betrachtete mißtrauisch den Instrumentensatz, den Tschobe an seinem Gürtel befestigt hatte. Der Afrikaner tastete die 53 Rückenpartie des Roboters ab. Plötzlich schwang eine Klappe auf, die einen Teil des technischen Innenlebens der Maschine offenbarte. »Licht, bitte...« Seinen eigenen Lichtstab überreichte Tschobe ebenfalls Dhark. Wenn er sich mit dem Roboter befassen wollte, benötigte er dazu beide Hände. Zunächst sah er sich die Schachtelkontakte und freien Energiepole an. Von Kabeln hatten die Mysterious noch nie viel gehalten. Bei ihnen lief alles über freie Überschlagstrecken, drahtlose Energieübertragung oder Kontaktsätze. Tschobe setzte ein Prüfinstrument an. »Teufel auch«, murmelte er. »In dem Burschen steckt mehr, als wir dachten... Wenn der unter Energiemangel leidet, bin ich der CAL der Giants!«
»Ich messe immer noch nur geringe Werte an«, berichtete Amy. »Dann ist der Knabe verflixt gut abgeschirmt«, knurrte Tschobe und setzte eines der Werkzeuge an. »Ich dachte immer. Sie seien Arzt, kein Feinmechaniker«, spöttelte Dhark. »Habe mir bei den Notreparaturen an der EPOY so einiges bei unserem Freund Gisol abgeguckt«, brummte Tschobe. »Demnächst werde ich Arc Doorn überflügeln.« Er wandte den Kopf und grinste Dhark an, aber ihre Blicke kreuzten sich dennoch nicht. Dann wandte er sich wieder dem Roboter zu. Hin und wieder fluchte er verhalten, während er arbeitete. »Den hat einer ziemlich radikal abgeschaltet«, knurrte er. »Da sind ein paar üble Kurzschlüsse drin, die kein Mensch braucht. Die müssen doch zu überbrücken sein! Heiliger Polarstem, was ist das denn schon wieder für ein Mist... ?« Etwas zischte und knackte. Ein Lichtbogen sprang über. Dann tanzten sekundenlang Elmsfeuer über den Roboterkörper. Tschobe zuckte mit einer Verwünschung zurück. Dann, als die Überschlagelektrizität verpufft war, griff er noch einmal zu, schloß dann die Arbeitsklappe und hieb mit dem Werkzeug kräftig dagegen, als klopfe er einem Pferd auf die Kruppe, um es zum Losgehen zu bewegen. 54 Durch den Roboter ging ein Ruck. Dann machte er seine ersten torkelnden Schritte. Dhark pfiff durch die Zähne. »Perfekt, Manu«, murmelte er. »Wenn wir mal wieder Leute im Maschinenraum der POINT OF brauchen, schicke ich Sie dorthin.« Tschobe verzog das Gesicht. »Ich dachte eher an eine höhere Besoldung.« »Immerhin«, murmelte Stewart anerkennend. »Ich hatte nicht wirklich geglaubt, daß Sie das schaffen. Gratuliere, Doc.« Der Roboter drehte sich jetzt. Durch die jeweils zwei Kniegelenke federte er in den Beinen zunächst leicht schaukelnd durch, ehe sich ein Kniepaar versteifte. Die beiden Augen, grün und rot, glommen schwach. Plötzlich begann der Roboter zu sprechen. Er gab mit leicht metallischer Stimme in rascher Folge schnarrende und klickende Laute von sich, die niemand verstand. Auch Stewarts Programmgehim kapitulierte. Es besaß nicht genügend Informationen, um das, was der Roboter von sich gab, übersetzen zu können. Immerhin erkannte Dhark die Sprache, auch wenn er sie nicht beherrschte. »Zyzzkt«, stieß er leise hervor. »Diese Laute sind charakteristisch.« Tschobe, neben seinem Arztberuf auch ausgebildeter Funker, stimmte ihm zu. »Sie stimmen mit Funksprüchen überein, die wir in Om aufgefangen haben und nicht übersetzen konnten. Feme Sender, die sich unterhielten... richtig anpeilen konnten wir sie nicht, aber hin und wieder fingen wir Fragmente auf. Da war auch dieses Klicken und Schnarren drin.« Dhark atmete tief durch. Ein Worgunroboter, der sich der Sprache des Feindes bediente! In einer verlassenen Ruinenstadt des Feindes! Der Commander redete den Roboter in der Worgunsprache an. Das Resultat war mehr als verblüffend. Im Vorderkörper des Maschinenmenschen öffneten sich drei Waffenluken. Schneller, als die Menschen reagieren konnten, 55 fauchten Schockstrahlen. Paralysiert brachen die Terraner zusammen. Ebenso rasch, wie die Waffen ausgefahren worden waren, verschwanden sie wieder im Körper der Maschine. Die Luken schlössen fugenlos, wie es bei den Mysterious üblich war. Drei Menschen lagen reglos im Staub vor einer Maschine! Amy Stewart war nicht paralysiert. Da ihr Zweites System aktiv war, konnte der Schockstrahl des Roboters sie nicht beeinträchtigen. Sie hätte auch mühelos ausweichen oder den Roboter zerstören können, aber sie verzichtete darauf. Abwarten! befahl ihr Programmgehim. Keine akute Lebensgefahr. Beobachten und analysieren. Natürlich bestand keine Lebensgefahr, sonst hätte der Roboter gleich tödliche Waffen anstelle der Paraschocker benutzt. Also hatte er noch etwas mit seinen Opfern vor.
Er oder die Macht, die hinter ihm stand. Nur zweifelte Stewart, daß es diese Macht derzeit noch gab, weil der Planet offenbar vollständig von intelligenten Lebewesen verlassen worden war. Sie stellte sich also paralysiert, um besser herausfinden zu gönnen, was als nächstes geschah. Sie hütete sich, sich zu bewegen, damit das Rechengehirn des Roboters nicht auf die krude Idee kam, radikalere Mittel gegen sie einzusetzen. Der Maschinenmann zögerte nicht lange, entwaffnete seine drei Opfer und sammelte sie vom Boden auf. Daß er nur zwei Arme besaß, es aber mit drei Personen zu tun hatte, störte ihn dabei nicht. Alle drei umschlang der Viermeterkoloß mit einem seiner Arme so, daß sie ihm nicht wegrutschen konnten, und setzte sich dann in Bewegung. Die noch brennenden Lichtstäbe ließ er achtlos zurück. Trotz seines enormen Gewichts bewegte er sich nicht stampfend, sondern schritt geradezu leichtfüßig und schnell durch den dunklen Korridor und dann die »Notausgang-Rampe« hinauf. Augenblicke später befand er sich bereits an der Oberfläche und erhob sich mit seinen Gefangenen in die Luft. Der Rüg währte nicht lange. Er führte zu einer anderen Gebäu 56 deruine. Der Metallkoloß landete vor einem großen Eingangsportal und betrat den brüchigen Bau. Drinnen erreichte er eine breite Treppe, mußte sich seiner Größe wegen dennoch in Schräglage begeben und flog so eine Etage höher. Dort füllte ein Saal fast die gesamte Etage aus. Sorgsam legte der Roboter seine Gefangenen auf dem Boden ab. Amy sah sich so unauffällig wie möglich um und nutzte dafür die Gelegenheiten, wenn der Koloß ihr den Rücken zuwandte. Dabei ging sie das Risiko ein, daß er auch hinten versteckte optische Systeme besaß, aber als er auch beim vierten Mal nicht reagierte, war sie sicher, daß er nur nach vom sehen konnte. Das Gebäude zumindest dieser Saal war früher offenbar die Kommunikationszentrale der Ansiedlung gewesen. Die Einrichtung deutete jedenfalls darauf hin. Aber es gab nur noch wenige Geräte hier, in denen Stewart ehemals hochwertige Funkgeräte erkannte, doch die sahen samt und sonders zerstört und verfallen aus. Regelrecht verrottet. Dennoch versuchte der Roboter, sie zu aktivieren. Wollte er einer Dienststelle außerhalb des Planeten Bericht über seinen Fang erstatten? Das konnte ihm nicht gelingen, weil er nicht in der Lage war, die beschädigten Funkgeräte in Betrieb zu nehmen. Deren Zerstörungen waren zu groß, so daß nicht einmal ein Arc Doorn aus den Resten von fünf oder sechs Apparaten einen funktionierenden hätte zusammenbasteln können. Allmählich wurde der Koloß immer hektischer. Es war gerade so, als tobe er eine Art maschinellen Wahnsinn aus, er eilte von Gerät zu Gerät, versuchte immer wieder und wieder, den Schrott zu aktivieren, ohne zu begreifen, daß er zum Scheitern verurteilt war. Sein Rechengehim kam mit der Situation offenbar nicht zurecht. Daß diese Kommunikationszentrale ausfallen könnte, war wohl in seinem Programm nicht vorgesehen. Unterdessen erwachten Dhark und Tschobe fast gleichzeitig wieder aus ihrer Paralyse. Mit wenigen Worten erklärte Stewart ihnen, was sich in der letzten halben Stunde abgespielt hatte. »Sie haben richtig gehandelt, indem Sie nicht eingriffen, Amy. Und nun sollten wir zusehen, daß wir schnellstens hier verschwin 57 den, solange der Blechkamerad beschäftigt ist«, flüsterte Dhark. Es war zu spät. Der Roboter hatte die Unterhaltung bemerkt. Blitzschnell wandte er sich den Menschen zu und hatte nicht vergessen, daß Ren Dhark ihn im Keller des anderen Gebäudes in der Worgunsprache angeredet hatte. Drohend baute er sich vor den Terranem auf und redete sie nun ebenfalls auf Worgun an. Nicht nur Dhark, der die Sprache der Mysterious bereits in der Sternenbrücke gelernt hatte, verstand ihn. Auf Terra Nostra hatten alle anderen Terraner der
OmExpedition Mentcaps geschluckt, die ihnen die Sprachkenntnis ebenfalls vermittelten. Sie verstanden, was der Robotergigant ihnen vorwarf! Er hielt sie für Spione oder Hilfswillige des »Volkes der Mörder«! Und mit dem Volk der Mörder waren die Worgun gemeint, das unterjochte Ziel einer über Jahrhunderte währenden schmutzigen Verleumdungskampagne, mit der die Zyzzkt- dafür gesorgt hatten, daß sie selbst als die edlen Retter des Universums dastanden, die Worgun dagegen als Unterdrücker und Ausbeuter. Aber auch wenn die Worgun selbst im Laufe ihrer langen Entwicklungsgeschichte nie sonderlich zimperlich gewesen waren, sah die ^irklichkeit doch eher umgekehrt aus. Nirgendwo in der Galaxis Om hielt noch jemand die Zyzzkt- für die Guten; diesen Ruf hatten sie sich durch ihr Auftreten längst und endgültig verscherzt. Nur den Worgun selbst gegenüber hielten sie diesen Schein immer noch aufrecht. Mit brachialer Gewalt, wenn es sein mußte. Aber im Regelfall reichte die permanente Gehirnwäsche völlig aus. Die Worgun glaubten selbst daran, daß sie als Volk verbrecherisch und mörderisch veranlagt waren und in der Vergangenheit entsprechend gehandelt hatten und daß sie dafür Strafe verdienten. Nur eine Handvoll Rebellen stemmte sich dem immer noch entgegen. Aber sie waren chancenlos, so wie auch Gisol auf Dauer chancenlos bleiben mußte, falls nicht ein Wunder geschah. Denn auf sich alleingestellt konnte er den Zyzzkt- immer wieder nur kleine Nadelstiche versetzen. Und die Terraner, deren Hilfe er erhoffte, konnten sich einen intergalaktischen Krieg rund zehn Millionen 58 Lichtjahre von ihrer Heimatgalaxis entfernt nicht leisten. Terra hatte schon genug geblutet im Krieg gegen die Grakos. Und im Vergleich zu denen waren die Zyzzktnoch weitaus mächtiger und gefährlicher. Allein durch ihre große Zahl. Der Roboter redete immer noch und wiederholte sich dabei mehrmals. Ren Dhark ahnte, worauf alles hinauslief. Über Funk wollte der von den Zyzzkt- übernommene Worgunroboter seine Herren davon informieren, daß er Agenten des »Volkes der Mörder« aufgegriffen habe. Aber da er keinen Kontakt bekam, lag es nahe, daß er den anderen Weg ging und diese Agenten eliminierte. Bedauerlich, daß es Tschobe gelungen war, diese verdammte Maschine zu reaktivieren! Da unterbrach Ren Dhark den Redefluß des Roboters. Er schickte einen Vorrangbefehl voraus, und die Maschine verstummte tatsächlich. »Wir dienen den gleichen Herren wie du«, begann er... Unermüdlich redete er in Worgunsprache auf den Koloß ein. Er versuchte ihm begreiflich zu machen, daß er und seine Begleiter nicht für die Worgun arbeiteten, daß aber ihre Sprechorgane nicht in der Lage waren, die hohe Sprache der »Verehrten« nachzubilden. Nur deshalb bediene man sich der Mördersprache. Die »Verehrten« so ließen die Zyzzkt- sich von den unterjochten Worgun nennen! Dhark ging noch einen Schritt weiter. Er gab sich als Agent der Verehrten aus, der die letzten ihrer Art von diesem Planeten holen sollte. Plötzlich glaubte der Roboter ihm! Geschafft! dachte der Commander erleichtert. »Wo kann ich die letzten Verehrten auf dieser Welt finden?« wollte er wissen. »Ich verstehe nicht«, schnarrte der Koloß. »Du sprichst von den letzten Verehrten auf dieser Welt. Das ist unlogisch. Diese Welt verfügt über viele Ansiedlungen der Verehrten, und alle sind bevölkert.« 59 »Du warst lange abgeschaltet«, widersprach Ren Dhark. »In der Zwischenzeit hat sich sehr viel verändert.« »Ich war niemals abgeschaltet«, entgegnete der Roboter. »Dann sieh dich doch um! Diese Funkzentrale sie ist außer Betrieb, die Geräte beschädigt und zerfallen. Schau aus dem Fenster. Siehst du dort einen Verehrten? Sie sind alle fort aus dieser Stadt.« »Als ich euch hierher brachte, sah ich keinen Verehrten«, bestätigte der Roboter. »Diese Stadt scheint leer.« »Sie ist leer«, beharrte Dhark. »Prüfe es.«
»Aber wie ist das möglich? Gerade eben waren sie doch noch alle hier. Gerade eben sendete und empfmg diese Zentrale noch.« »Die Verehrten sind gegangen. Sie haben die Stadt aufgegeben. Sie geben den ganzen Planeten auf. Wir sollen die letzten von ihnen holen. Wo können wir sie finden?« Er wollte damit die Koordinaten anderer Ansiedlungen herausfinden. Vielleicht war Gisol dorthin entführt worden? In der Tat gab der Roboter ihm die gewünschte Information. Stewart speicherte die Daten in ihrem Programmgehim. Es handelte sich um fast zwei Dutzend Siedlungsanlagen. Eine davon schien einen Raumhafen zu beherbergen. Dhark wurde nachdenklich. Die Zyzzkt- schienen sich auf dieser Welt nicht besonders weit ausgebreitet zu haben. Sie mußten den Planeten schon sehr kurz nach der Inbesitznahme wieder aufgegeben haben. Das war beinahe noch unwahrscheinlicher als die Tatsache, daß sie überhaupt eine ockupierte Welt wieder räumten. Was war hier geschehen? Noch ein Rätsel mehr... 60 4. Dokemtar war unglaublich schnell am Waffenschrank. Er ergriff den Vierläufer und nahm die Eindringlinge sofort unter Beschuß. In der Wirklichkeit war er wahrscheinlich nicht halb so flink, doch als »Herr über meine Träume« bestimmte er seine Reaktionsschnelligkeit selbst. Seine Waffe war kein gewöhnlicher Energiestrahler, sondern eine tragbare Schallkanone. Bevor Doraner und die anderen Deckung fanden, riß es sie mit viel Getöse von den Füßen. Benommen blieben die Piloten liegen. Nur die Cyborgs überstanden die Attacke weitgehend unversehrt. Dokemtars seltsames Gewehr hatte noch mehr Funktionen. Nachdem er einen Sensorschalter betätigt hatte, jagten vier glühendheiße Feuersalven aus den Läufen. Gab es solch eine Waffe wirklich bei den Luwaren, oder war sie nur ein Produkt seiner Phantasie? Diesmal waren die Cyborgs auf der Hut. Sie suchten Schutz hinter den Flash und zogen die beiden Piloten mit sich. Was mich erstaunte, war die Ähnlichkeit von Doraner und Wonzeff mit ihren lebenden Vorbildern. Offenbar war Dokemtar über unsere Besatzung gut informiert. Er wußte sogar, wen man für meine Befreiung entsenden würde die beiden waren ein perfektes Team, Spezialisten für riskante Blitzaktionen. Allmählich kamen sie wieder zu sich. Kaum waren sie wieder vollständig bei Bewußtsein, griffen sie ins Kampfgeschehen ein. Für Dokemtar wurde es jetzt brenzlig. Die Energiestrahlen fauchten ihm nur so um die schmalen Ohren. Kurzerhand kippte er den gepanzerten Waffenschrank um und ging dahinter in Deckung. Doraner sprang hinter seinem Flash hervor und ging zum Direktangriff über. Dokemtar visierte ihn mit ruhiger Hand an. Er 61 konnte den heranstürmenden Piloten gar nicht verfehlen. Gleich würde Doraner in Flammen aufgehen... In letzter Sekunde riß Wonzeff seinen Freund zu Boden. Der vierfache Feuerschwall jagte über beide hinweg. Dokemtar schaffte es nicht, eine weitere Salve auszulösen, da ihn die Cyborgs sofort unter Dauerbeschuß nahmen. Ich kam nicht umhin, ihm eine gewisse Anerkennung zu zollen. Bei der Gestaltung der Kampf szenen gab er sich sehr viel Mühe. Allerdings machte er auch Fehler. Im echten Leben war Wonzeff der schlagfertige Draufgänger mit gelegentlichen Anflügen von Leichtsinn, nicht Doraner. Aber das konnte Dokemtar nicht wissen. Im übrigen war die Anwesenheit der beiden unlogisch. Niemand auf der POINT OF wußte, in welcher Gefahr ich schwebte. Zudem war Dokemtars Labor gegen Anpeilungen von außen geschützt, so daß man mich hier nie gefunden hätte. Wie weit würde Dokemtar wohl gehen? Würde er alle Angreifer »töten«, mit Ausnahme der potentiellen Geisel?
Das Gegenteil war der Fall. Um die Sache noch glaubhafter zu gestalten, legte der Luware sein Gewehr beiseite und ergab sich. Logisch, lange hätte er der geballten Übermacht ohnehin nicht standhalten können. Und nun? Was hatte Dokemtar sonst noch auf Lager? Ich tippte auf einen spektakulären Fluchtversuch seinerseits, bei dem mindestens zwei Protagonisten ums Leben kamen. Doraner befreite mich aus dem Fesselfeld. Da er sich mit den fremden Apparaten nicht auskannte, schaltete er einfach alles ab, was ihm zwischen die Finger kam. »Paß auf, daß du nicht versehentlich die Lebenserhaltungssysteme deaktivierst«, ermahnte ihn Wonzeff. Dabei hatte er allen Grund, selbst aufzupassen. Wie ich es erwartet hatte, war Dokemtars Kapitulation nur eine Finte. Am rechten Handgelenk trug er einen Chronometer, an dem er wie beiläufig herumfummelte. Außer mir fiel das niemandem auf. Die Vorderseite des Chronometers, das vermutlich eine getarnte Handfeuerwaffe war, zeigte in Wonzeffs Richtung. Mach's gut, mein Freund, sagte ich in Gedanken zu dem ukrai 62 nischen Piloten. Auf Wiedersehen in der Realität. Nach meiner Rücckehr auf die POINT OF würde ich dem echten Wonzeff ausführlich von »seinem Tod« in Dokemtars Scheinwelt erzählen. Die Menschen liebten makabre Geschichten. Angeblich lebten Totgesagte länger, doch das war wohl nur ein unbewiesener Aberglaube. »Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?« erkundigte ich mich bei Doraner, ohne Dokemtar aus den Augen zu lassen. »War bestimmt schwierig, oder?« »Nicht im geringsten«, antwortete der Raumpilot. »Deine sogenannte Lebensversicherung hat uns auf direktem Weg hierhergeführt.« Lebensversicherung? Schlagartig wurde mir klar, daß ich einen schwerwiegenden Fehler gemacht hatte. Ohne zu zögern ging ich in die Offensive. Bevor Doraner reagieren konnte, versetzte ich ihm einen heftigen Stoß. Schon auf der legendären GALAXIS hatte der ukrainische Raumpilot Pjetr Wonzeff seinen Militärdienst versehen. Später war er dann in die Dienste von Sam Dharks Sohn Ren getreten. Auf der POINT OF hatte sich der hochgewachsene Mann mit den eisgrauen Augen zu einem der besten Flashpiloten entwickelt. Schade um ihn. Ich hatte einen Fehler gemacht. Nur mir war Dokemtars unauffällige Fummelei am ArmbandChronometer aufgefallen. Anstatt Wonzeff zu warnen, hatte ich meine Beobachtung für mich behalten. Weil ich geglaubt hatte, mich in einer von Dokemtar manipulierten Traumwelt zu befinden. Ein fataler Irrtum! Lediglich der Engel und der Dschungelplanet waren Halluzinationen gewesen, ausgelöst durch irgendeine luwansche Erfindung oder spezielle parapsychologische Kräften Dokemtars. Hingegen war alles, was sich seit meinem Erwachen im Labor abgespielt hatte, real. Meine Befragung, das Eindringen der Flash in die Festung, die Kämpfe, Doraners leichtsinniger Di 63 rektangriff/.. nichts davon war gestellt, alles hatte sich wirklich so zugetragen. Mein Verdacht, bei Dokemtars Chronometer könnte es sich um eine Waffe handeln, hatte sich als richtig erwiesen. Der Luware hatte damit auf Wonzeff gezielt und einen tödlichen Energiestrahl in seine Richtung abgefeuert, ohne daß ich es hatte verhindern können. Es wäre schade um Wonzeff gewesen, hätte'ihn der Strahl getroffen. Glücklicherweise hatte ich letztendlich doch noch das richtige getan und Doraner einen kräftigen Stoß versetzt. Erschrocken hatte Mike Halt gesucht und Dokemtars rechten Arm zu fassen gekriegt. Dadurch hatte Dokemtar den Schuß verrissen, und der Strahl war knapp, sehr, sehr knapp an Wonzeffs Kopf vorbeigezischt. Pjetr hatte keine Sekunde gezögert und Dokemtar paralysiert. »Ich verdanke dir mein Leben«, sagte er nun erleichtert zu mir und ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. »Ich bin dir was schuldig.« »Du bist mir gar nichts schuldig«, erwiderte ich kleinlaut. »Hättet ihr mich nicht aus Dokemtars Gefangenschaft gerettet, hätte er mich bis auf die letzte Schraube auseinandergenommen.«
Daß ich mich beinahe an Wonzeffs Tod mitschuldig gemacht hätte, verschwieg ich den beiden lieber, und ich hatte auch nicht vor, jemals irgendwem davon zu erzählen. Ich hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt. Mein Zögern hätte den Ukrainer fast das Leben gekostet. Zum Glück wußte nicht einmal Dokemtar von meinem Irrtum, obwohl er versucht hatte, mir bis auf den Grund meiner Seele zu schauen. Hätte er mich wie angedroht auseinandergenommen, wäre ihm unter der Wartungsklappe an meiner Brust ein kleiner, batteriebetriebener UKWSender mit Quarzuhr aufgefallen meine »Lebensversicherung«, die ich mir selbst installiert hatte. Auf der POINT OF hatte man darüber Bescheid gewußt. Das extrem primitive Gerät war so geschaltet, daß es entweder nach 36 Stunden oder bei einem Totalausfall meiner Energieversorgung sofort einen UKWImpuls abgab. Außerdem konnte ich es mittels eines kurzen Signals aktivieren was ich beim Übergang vom ersten in den 64 zweiten Traum unterbewußt getan hatte. (Ich löse ein Signal aus, aktiviere meine Sensoren und erwache!) Nichts im unendlichen Universum war unfehlbar. Ich nicht und die geniale Abschirmung von Dokemtars Labor schon gar nicht. Der UKWImpuls hatte sie mühelos durchdrungen. Zwar hatte der Luware an fast alles gedacht, aber sich gegen eine so primitive, längst überholte Technik wie UKWFunk abzuschirmen, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Auf der POINT OF war das entsprechende Frequenzband von der Funkzentrale automatisch überwacht worden. Doraner funkte Riker an und erstattete ihm kurz und knapp Bericht. Daß Wonzeff noch lebte, war in erster Linie seinem Freund zu verdanken. Als Doraner meine »Lebensversicherung« erwähnte, wurde mir schlagartig klar, daß wir uns nicht in einem Traum, sondern in der Realität befanden. Dokemtar wußte nichts von dem versteckten UKWSender demzufolge konnten auch seine vermeintlichen ScheinweltGeschöpfe nichts davon wissen. »Riker ist bereits auf dem Weg hierher, zusammen mit einer Truppe der Flottenpolizei«, sagte Doraner, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Wir wußten, was wir zu tun hatten. Um Dans Begleitern den Zugang zu diesem geschützten Bereich zu ermöglichen, sperrten wir die Schleusen und Tore auf. Die beiden Cyborgs hielten Wache, damit nicht heimlich Gesindel ins Labor eindrang. »Was hat der Luware eigentlich von dir gewollt?« fragte mich Doraner, während wir auf die Eingreiftruppe warteten. »Er hatte sich wohl erhofft, mit meiner Hilfe das Geheimnis des Lebens zu ergründen«, antwortete ich ihm. »Apropos Geheimnis. Dokemtar hat so einiges zu verbergen. Wärt ihr ein klein wenig später eingeflogen, hätte er es mir bestimmt verraten. Ich hatte ihn fast schon soweit.« »Das ist Artus, wie wir ihn kennen und lieben«, spöttelte Wonzeff und verzog seine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. »Wir holen ihn aus der Hölle, und er beschwert sich darüber, daß wir zum falschen Zeitpunkt kamen.« 65 »War nicht so gemeint«, entschuldigte ich mich obwohl Entschuldigungen nicht zu meinem gewohnten Repertoire gehörten. »Ihr konntet ja nicht wissen, wann die Zeit zum Eingreifen am geeignetsten war. Um es mit einem Zitat des Freiherm von Auffenberg zu sagen: >Die Zeit besiegt die Welt und ihren Willen; sie herrscht im Reich der wandelbaren Laune, und ewig wechselnd schreitet sie voranDie Bingermäuseturmnacht