HEYNE SCIENCE FICT1ON & FANTASY Band 06/4985
Titel der amerikanischen Originalausgabe NEVER TRUST AN ELF Deutsche Über...
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HEYNE SCIENCE FICT1ON & FANTASY Band 06/4985
Titel der amerikanischen Originalausgabe NEVER TRUST AN ELF Deutsche Übersetzung von Christian Jentzsch Das Umschlagbild malte Keith Birdsong Die Innenillustrationen zeichnete Jeff Laubenstein
Redaktion: Rainer Michael Rann Copyright © 1992 by FASA Corporation Copyright © 1993 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1993 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: Manfred Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin ISBN 3-453-06615-4
Für Ruth und Paul Johnson. Danke.
PROLOG
"Schmerz ist ein nützliches Hilfsmittel, Mr, Kern." Kerns Halsmuskeln protestierten, als er den Kopf drehte, um den Sprecher anzusehen, der groß und dünn war, ver dächtig dünn, Kern konnte wenig mehr erkennen, da das Licht direkt auf sein Gesicht fiel und den anderen Mann vor ihm nur umrißhaft beleuchtete. Als er gegen das Licht blin zelte und es ihm dabei gelang, spitze Ohren und Schlitzaugen auszumachen, wußte er,daß der andere kein Mensch, sondern ein Elf war. Kern spie ihn an, aber der Speichel zischte und verschwand, ohne mit dem makellosen Anzug oder der dun klen Haut des Elf s in Berührung zu kommen. Zweifellos einSchutzzauber. "Eine überflüssige Geste, Mr. Kern." Die dunklen Schlitz augen zwinkerten. "Ich bin mir Ihrer Abneigung durchaus bewußt." Kern war auf eine Weise in seiner Bewegungsfreiheit ein geschränkt, die er nicht nachvollziehen konnte, aber seine Stimme schien diesen Beschränkungen nicht zu unterliegen. "Häng dich auf, Elf." "Mein Name ist Urdli, Mr. Kern." Das sagte Kern überhaupt nichts. Der Name mußte nicht einmal echt sein. Das Gesicht kannte er gewiß nicht. Das ein zig Sichere war, daß er diesem Urdli gegenüber ernstlich im Nachteil war. Aber das konnte sich ändern. "Wir werden einander ziemlich gut kennenlernen, Mr. Kern. Oder vielmehr werde ich Sie kennenlernen. Und zwar mit Hilfe des Schmerzes." "Lern dich selbst kennen, Müslifresser." "Eine clevere Anspielung auf eine aristotelische Maxime, Mr. Kern. Vielleicht tröstet Sie das Wissen, daß diese Vorge hensweise auch für mich nicht ohne Schmerzen abgehen wird."
Irgendwie bezweifelte Kern das. "Mir blutet das Herz." "Noch nicht, Mr. Kern. Noch nicht." Der sachliche Tonfall des Elfs schien wie ein Verspre chen, daß Kerns hingeworfene Bemerkung buchstäbliche Wirklichkeit werden könnte. Kerns Körper wollte erschau ern, wurde jedoch daran gehindert. Auch konnte er seinem Verlangen nicht nachkommen, aufzuspringen und zu fliehen. Zwar konnte er seine Gliedmaßen spüren, aber er hatte nicht die geringste Kontrolle über sie. Er war hilflos, wurde von der Magie des Elfs festgehalten. Nun, zumindest hatte ihm der Elf Verstand und Stimme gelassen. Zu dumm, daß er nicht selbst ein Zauberer war. Aber dann hätte ihm der Elf die Stimme vermutlich auch genommen. "Du suchst wohl Ärger, daß du dich mit mir anlegst, Müs lifresser. Weißt du nicht, wer ich bin?" "Natürlich weiß ich das, Mr. Kern. Darum sind Sie ja hier." Kern verspürte ein seltsames Gefühl an den Füßen. Eine leichte Berührung, dann noch eine und noch eine. Das Gefühl breitete sich aus, kroch seine Beine empor wie Würmer auf der Haut. Dutzende von ihnen schienen unsichtbar auf ihm herumzukrabbeln. Das Phantomkriechen arbeitete sich an seinen Knien vorbei, die Oberschenkel hinauf, und dann erreichte der erste Gei-sterwurm seinen Schritt. Dann bissen sie alle auf einmal zu, und er schrie auf. Die Geisterwürmer verschwanden bei seinem Auf-schrei. Der Schmerz, den sie verursacht hatten, war ge-ringfügig. Kern war eher überrascht, denn verletzt. Um ihn herum herrschte Dunkelheit, und ihm wurde klar, daß Zeit vergan gen war. Er riß die Augen auf und starrte den Elf giftig an. Urdli betrachtete ihn kühl, als sei dies alles eine Art Expe riment. "Für einen Normalsterblichen haben Sie einen starken
Willen, Mr. Kern. Ihr Herr und Meister hat mit Ihnen eine gute Wahl getroffen." "Wenn Sie wissen, für wen ich arbeite, dann wissen Sie auch, daß Sie ganz tief im Drek sitzen." Auf Utdlis breitlippigem Mund zeichnete sich die Andeu tung eines Lächelns ab. "Trösten Sie sich nicht mit der fal schen Hoffnung, daß Sie gerettet werden, Mr. Kern. Niemand weiß, daß wir Sie haben. Ihre Kollegen bei Saeder-Krupp halten Sie für tot." Kern sagte sich, daß die Behauptung des Elfs unwahr scheinlich war. Seine Leute würden Bescheid wissen, oder nicht? Plötzlich war er nicht mehr so sicher. Wie sollte er auch? Er konnte sich an kaum etwas im Zusammenhang mit seiner Gefangennahme erinnern. Ein Blitz und irgendein Donner, oder vielleicht waren die lauten Stimmen, die in sei nem Kopf nachhallten, auch Gewehrfeuer gewesen. Er erinnerte sich, wie Eunice mit blutüberströmtem Gesicht geschrien hatte. Lebte sie auch noch, ebenfalls eine Gefange ne des Elfs? Sie hatten sich auf einer Reise befunden. Offen sichtlich hatten sie ihren Bestimmungsort nicht erreicht. Seine Leute mußten wissen, daß man sich seiner bemächtigt hatte. "Sie werden kommen." "Wie ich schon sagte, Mr. Kern, eine vergebliche Hoff nung. Für sie weilen Sie nicht mehr unter den Lebenden. Ihre einzige Überlebenshoffnung liegt in der Zusammenarbeit." Nicht sehr wahrscheinlich. Wenn Saeder-Krupp ihn für tot hielt, war er es schon so gut wie. Ohne die Unterstützung sei nes Konzerns gab es keinen Schutz für ihn und niemanden, der ihn rächen konnte. Der Elf konnte Kern gefahrlos umbringen, sobald er das hatte, was er von ihm wollte. Wel che Andeutungen Urdli auch fallenlassen mochte, daß er Kern am Leben lassen würde, falls dieser kooperierte - Kern wußte genau, daß der Elf log. Wenn es seine Absicht gewe sen wäre, seinen Gefangenen am Leben zu lassen, hätte er
niemals mit Folter begonnen. Als hätte der Gedanke daran den Würmern neues Leben eingehaucht, begannen sie wieder Kerns Beine empor zukrie chen. Diesmal drangen sie bis zu seinen Händen vor, wickel ten sich um seine Finger und glitten die Arme hinauf. Er ver suchte sich gegen ihren Biß zu wappnen, aber sie krochen einfach nur weiter auf ihm herum. Noch einen Augenblick, und er machte sich wieder bereit, da er sicher war, daß der Moment gekommen war, aber sie bissen immer noch nicht zu. Ein grausames Spiel, aber er spielte es trotzdem. Als sie schließlich zubissen, hatte er keine Zeit, Überraschung zu empfin- den, daß er sich in bezug auf den Zeitpunkt so ver schätzt hatte. Er hatte nur noch Zeit für den Schmerz. Dunkelheit und Loslösung waren wieder da. Er wußte, daß Zeit verstrichen war. Er hatte an seine Arbeit bei SaederKrupp gedacht. Waren das seine eigenen Gedanken oder die Ergebnisse von Urdlis Sondierungen gewesen? Hatte er gere det? Wenn ja, worüber? Als er die Augen aufschlug, war ein zweiter Elf anwe send. Kern konnte sich nicht an seine Ankunft erinnern. Die ser neue Elf war weder so groß noch so dünn wie Urdli, aber man konnte ihn trotzdem nicht mit einem gewöhnlichen Menschen verwechseln. Sein Gesicht war hübsch, beinahe schön. Seine Haare waren aus feinem Silber gesponnen, die Augen aus geschmolzenem Gold, und seine helle Haut glich in Tönung und Glanz Alabaster. Er hatte das typische alters lose Aussehen des klassischen elfischen Metatypus. Er hätte direkt einem Märchen entsprungen sein können, wenn man einmal von der Tatsache absah, daß er wie Urdli einen Geschäftsanzug von modischstem Schnitt trug. Kern wollte nicht glauben, daß er diesen Elf kannte. Die Implikationen waren zuviel für ihn. Die Würmer kamen wieder und krochen seine Glieder entlang. "Quetschen Sie ihn aus." Das war der neue Elf.
"Sie sind ungeduldig", sagte Urdli, dessen Tonfall an einen Lehrer erinnerte, der die Leistung eines seiner Schüler kommentiert. "Vielleicht gefällt es mir nur nicht, mit ihm zu spie len." "Spielen?" Urdli wandte sich seinem Begleiter zu, und die Würmer verschwanden. "Ich spiele nicht. Hinter allen Din gen steckt eine Ordnung, sogar in dem, was wir hier tun." "Beeilen Sie sich einfach", schnauzte der silberhaarige Elf mit steinerner Miene. "Wenn ich mich >beeile