G. F. Unger Townwölfe Scanned by: crazy2001 Corrected by: mm
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Roman aus dem amerikanischen Westen Mein Name is...
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G. F. Unger Townwölfe Scanned by: crazy2001 Corrected by: mm
@ 01/04
Roman aus dem amerikanischen Westen Mein Name ist Jim Starret. Ich war der jüngste der männlichen Starrets. Aber das bedeutet nicht etwa, daß ich noch Eier schalen hinter den Ohren hatte. Ich war neunzig Kilo schwer, einsneunzig groß, trug zumeist einen Colt und konnte mich überall unter den rauhesten Burschen behaupten. Und ich war nicht nur als Jim Starret bekannt. Man nannte mich auch oft genug Saguero Jim. Doch in El Tuma wußte man das nicht – noch nicht. Und ich war nicht der Bursche, der sich mit seinem „Kriegsnamen“ brüstete. Aber ich will die Sache von Anfang an erzählen. 1. Zuerst hatten wir meinen Bruder Kirby nach El Tuma geschickt. Da wir kein Geld mehr besaßen, mußten wir ihm etwas von dem Goldstaub mitgeben, den wir aus der alten spanischen Mine holten. Oha, wir wußten genau, - 1 -
daß es hier zu beiden Seiten der Grenze gefährlich war, auch nur einen blanken Dollar, einen Silber-Peso oder einen Fingerhut voll Gold zu zeigen. Aber unser Kirby war einer von der Sorte, die einen überfüllten Saloon blitzschnell leer fegen konnte. Obwohl er sich lieber auf seine Fäuste und die gewaltige Kraft seiner Muskeln ver ließ, war er ganz gewiß nicht dumm und konnte auch den Revolver recht schnell herausbekommen. Er war fast so schnell, wie ich. Nun, als wir ihn nach El Tuma schickten, damit er mit dem Goldstaub einige notwendige Einkäufe für uns machte, glaubten wir, daß er in drei Tagen wieder bei uns sein würde. Es fehlte uns an allen notwendigen Dingen. Ganz zufällig waren wir in der alten Spanier-Mine auf neue Goldvorkommen gestoßen. Das war schon viele Wochen her. Uns fehlte es nicht nur an Proviant. Von der schweren Arbeit war auch unsere derbe Kleidung zerschlissen und zerrissen. Wir warteten also auf Kirbys Rückkehr — auf Unterzeug, Tabak, Brandy und all die vielen anderen Dinge. Als drei Tage herum waren, grinsten wir schief und dachten, daß Kirby sich in El Tuma mit einem Mädchen etwas Spaß machen würde. Nun, das gönnten wir ihm. Am vierten Tag kam er immer noch nicht. Da glaubten wir an ein langes Pokerspiel; denn Kirby hatte schon mal drei Nächte und zwei Tage ohne Pause gepokert. Aber als er nach fünf Tagen nicht zur Mine kam, begannen wir uns Sorgen zu machen. Am sechsten Tag machte sich mein Bruder Tom auf den Weg. - 2 -
Wenn unserem guten Kirby etwas zugestoßen sein sollte, dann war Tom genau der richtige Mann, um eine verfahrene Sache wieder in Ordnung zu bringen. Tom war dreißig Jahre und damit der älteste männliche Starret. Während des Krieges hatte er es bis zum Captain in der Texas-Brigade gebracht, und wenn er auch so hart und stark wie Kirby war — und fast so schnell und zäh wie ich, so war er doch der Ruhigste und Bedächtigste von uns, ein Mann also, der erst einmal in Frieden klarzu kommen versucht. Als er fort war, wurden mir die Tag lang und die Nächte noch länger. Aber ich hatte immer Toms Worte im Ohr, die er sprach, bevor er auf seinem narbigen Maultier fortritt, um nach Kirby zu sehen. „El Tuma ist ein böses Pflaster. Ich wußte das schon lange. Doch es ist die einzige Stadt weit und breit, in der wir uns mit allen notwendigen Dingen versorgen können. Kirby wird irgendwelche Schwierigkeiten bekommen ha ben. Und wenn auch ich länger als vier Tage ausbleibe, dann werde ich wahrscheinlich die gleichen Schwierig keiten wie Kirby erleben. Dann paß gut auf, Kleiner! Komm nur nicht wie ein Hammel nach El Tuma und frag nach deinen Brüdern! Denn wenn die Hombres dort deinen Brüdern etwas angetan haben sollten, dann brauchst du nur dein Maul aufzumachen und zu sagen, daß du ein Starret bist, um sofort Verdruß zu bekommen. Zum Glück siehst du nicht so aus wie Kirby und ich. Wenn man dich sieht, fragt man sich wirklich, ob wir die gleichen Eltern hatten. Aber ich weiß noch genau, wie Mum dich bekam. Und du hast auch von unserem Pa das Mal auf der linken Schulter - genau wie er. Du bist also kein Kuckuck, den jemand in unser Nest legte." Lachend ritt er nach diesen Worten davon. Er ärgerte - 3 -
mich oft genug damit, daß ich so anders aussah als alle anderen Starrets. Meine Brüder waren richtige Texaner: blond, blauäugig und etwas sommersprossig. Ich dagegen war dunkel wie ein Comanche, schwarzhaarig und hatte graugrüne Augen. Nun, ich wartete vier lange Tage und dachte immer wieder an Toms Worte. Dann machte ich mich auf die Socken — das heißt, ich setzte mich auf meinen Pinto und ritt los. Zuerst mußte ich zum Rio Grande; denn die alte Spanier-Mine, aus der wir das Gold holten, lag in Mexiko. Sie gehörte uns nicht. Wir hatten einfach nur mal so darin herumgeschnüffelt. Dabei war im Stollen etwas zu Bruch gegangen und eine Menge Zeug niedergeprasselt, das uns fast verschüttet hätte. Doch dieses Zeug war so stark goldhaltig gewesen, daß wir aus einer Tonne Steine und Dreck für hundertfünfzig Dollar Goldstaub herauswaschen konnten, manchmal auch für zweihundert oder dreihundert Dollar. Aber genaugenommen waren wir Goldräuber in einer fremden Mine, die allerdings aufgegeben worden war. Ich mußte also ein Stück durch Mexiko zum Rio Grande reiten, der die Grenze bildete. Ich folgte Kirbys und Toms Fährten. Diese konnte man dann und wann erkennen, und man fand sie immer wieder, weil man ja die Richtung kannte. Außerdem war ich im Fährtenlesen so gut wie ein Comanche. Als ich dann nach einem langen Ritt an den Strom kam, war es Nacht geworden. Im Haus des Fährmannes brannte Licht. Drüben auf der anderen Seite war Texas, und drüben leuchteten die Lichter von El Tuma. Ich wußte, daß meine beiden Brüder ganz gewiß mit der Fähre hinüber waren. - 4 -
Ich war natürlich nicht so dumm, mich ebenfalls von der Fähre übersetzen zu lassen. Wenn meinen Brüdern dort drüben etwas zugestoßen war, so würde man gewiß auf weitere Reiter aus Mexiko warten. Ich zog mein Pferd zur Seite und ritt flußabwärts. Nach etwa fünf Meilen glaubte ich eine Stelle entdeckt zu haben, an der ich es wagen konnte, den Fluß zu durchqueren. Es war gar nicht so einfach, so einen Platz zu finden, denn der Strom war an vielen Stellen schlammig oder voller Treibsand. Beides war schlimm. Deshalb brauchten die mexikanischen Rurales die Grenze auch nicht besonders zu bewachen. Aber selbst, wenn sie es gewollt hätten, die Grenze war viel zu lang für die wenigen Rurales. Überdies nahmen sie es nicht so genau. Als ich meinen Pinto ins Wasser lenkte, schien schon der Mond und ließ den Rio Grande glitzern. Es war mir gar nicht recht, in dieser Helligkeit den Fluß zu durchqueren; wenn wirklich Rurales in der Nähe waren, so würden sie mich ganz bestimmt für einen „krummen Hund" halten, für einen der Burschen, die etwas zu verbergen hatten und auf der Flucht waren. Da fiel für die Rurales immer etwas ab. Entweder hatte man eine Belohnung auf so einen Burschen ausgesetzt, die man sich verdienen konnte - oder der Kerl hatte etwas bei sich, was die Rurales gebrauchen konnten. Ich kam auf meinem Pinto etwa fünfzig Yard weit in den Fluß. Dann kamen ein paar Reiter zum Wasser gejagt, und eine scharfe Stimme befahl mir auf spanisch, umzukehren. Ich aber dachte nicht daran, sondern trieb mein Pferd - 5 -
schneller vorwärts. Es hatte noch Grund unter den Hufen, obwohl dieser Grund schlammig war und das Tier nur mühsam vorwärts kam. Als der Kerl hinter mir seinen Befehl wiederholte, rief ich über die Schulter, daß man mir den Buckel rauf- und wieder runterrutschen solle und daß ich nicht der Dummkopf wäre, der sich von Banditen ausplündern ließe. Ich fluchte dann wütend in mich hinein. Das alles hier war wirklich Pech. Ich hatte in den vergangenen Jahren diesen Fluß schon oft durchquert, ohne jemals auf einen der Rurales gestoßen zu sein. Und diesmal tauchten sie auf, als hätten sie im Uferwald auf mich gewartet. Als die ersten Kugeln kamen, warf ich mich schnell von meinem Pferd ins Wasser. Dabei hörte ich, wie eine Kugel in mein Pferd einschlug. Es kippte tot auf die Seite. In diesem schlammigen Fluß zu schwimmen war gar nicht so einfach. Man sagte immer, der Rio Grande wäre eine Meile breit, einen Fuß tief, zu dünn, um den Pflug darin anzusetzen, und zu dick, um daraus zu trinken. Ich aber mußte schwimmen, um nicht bis zum Bauch im Schlamm stecken zu bleiben. Dabei zischten, die Kugeln um mich herum. Ich tauchte unter, und ich entledigte mich meines Waffengurtes und meiner Stiefel. Desgleichen verzichtete ich auf die zwei Kilo Goldstaub, unsere ge samte Ausbeute, die ich mitgenommen hatte, weil ich nicht wußte, ob ich jemals wieder nach Mexiko zurückgehen würde. Eigentlich hatte ich die Idee, daß unser Kirby einen - 6 -
Saloon zertrümmert und ein halbes Dutzend Burschen verprügelt hatte und daß die Sache mit Geld aus der Welt geschafft werden könnte. Um es kurz zu machen, in jener silbrigen Mondnacht hatte ich eine Menge Pech. Nachdem ich mein Pferd verlor, mußte ich, um in dem Schlammfluß nicht zu ertrinken, alles fahren lassen, was mich in dieser flüssigen Pampe behinderte. Ich kam davon. So sehr sie sich bemühten, ihre Kugeln trafen mich nicht. Vielleicht hatten sie sogar herausgefunden, daß ich von einer alten Mine kam und etwas Gold bei mir haben mußte. Aber sie bekamen es nicht. Der Fluß bekam es. Als ich endlich drüben war, befand ich mich nicht nur fünf Meilen, sondern gewiß acht Meilen von der Stadt entfernt. Das war mir recht, denn ich mußte alles beseitigen, was darauf schließen ließ, daß ich über den Fluß gekommen war. Eine Meile später stieß ich auf eine leere Fischerhütte. *** Als ich mich am späten Nachmittag von Norden her El Tuma näherte, sah man mir nicht mehr an, daß ich in der Nacht ausgiebig gebadet hatte. Ich war staubig und trug Sandalen an meinen nackten Füßen. Ich sah wie ein heruntergekommener Tramp aus. Gleich am Stadteingang stieß ich auf einen Mann von besonderer Art. Er aß von einem gerösteten Maiskolben, kaute mit offenem Mund, dessen aufgeworfene Lippen sich auch im Ruhezustand nicht schließen ließen, und betrachtete - 7 -
mich aus lackschwarzen Knopfaugen. Der Mann war gewiß nicht kleiner als ich, jedoch bestimmt an die zwanzig Pfund schwerer. Sein kleiner Kopf war dicht mit gekräuseltem Haar bewachsen. An der schmutzigen Weste hing ein rostiger Marshal-Stern. „Nun, wer kommt denn da, wen haben wir denn da?“ fragte dieser Bursche kauend. „Sir“, erwiderte ich höflich, wie es einem Tramp zukommt, „ich bin Jim Jones, und mir ging unterwegs mein Pferd an einer Krankheit ein, die ich nicht kenne.“ Er blickte auf meine nackten Füße, die in alten Fischersandalen steckten, und er konnte sehen, daß ich noch nicht lange barfuß in Sandalen ging, denn dann wären meine Füße hornhäutig und ledern gewesen. Er mußte mir schon glauben, daß ich zu der Sorte der Reiter gehörte. In diesem Land teilte man die Menschen in zwei Klassen ein, in jene, die stolz im Sattel ritten, und in jene, die zu Fuß gingen. „Na schön“, brummte er, „jeder Narr kann sein Pferd verlieren. Ich hatte mal einen Hund. Der ging plötzlich ein, und man wußte nicht, warum. Aber wir lassen nicht jeden Strolch in unsere feine Stadt. - El Tuma ißt wie eine feine Lady oder Senorita, die keine Läuse bekommen möchte. - Oder hast du am Ende gar Geld, um für deinen Unterhalt zu sorgen?“ Als er mich nach Geld fragte, begannen seine schwarzen Knopfaugen zu funkeln. Ich grinste und öffnete mein Hemd. Da sah er an einem Goldkettchen ein goldenes Zwanzigdollarstück auf meiner haarigen Brust baumeln. „Das war bisher mein Talisman“, erklärte ich ihm. „Ich hatte immer wieder so ein Ding – und immer wieder mußte ich es klein machen, weil das Leben so wechselhaft ist wie die Laune einer schönen Frau. - 8 -
Darf ich nun in diese noble Stadt, Sir?“ Er starrte auf das goldene Zwanzigdollarstück, und es hätte mich nicht gewundert, wenn er es mir abgenommen hätte. Daß er einen Marshal-Stern trug, hatte damals in dem Land zwischen Rio Grande und Pecos nichts zu sagen. Er war von der Stadt zum Town Marshal ernannt worden. Wenn die Bürger dieser Stadt schlecht waren, so war er es ebenfalls. Er war kein richtiger Sheriff. In diesem Land waren sogar die Richter Banditen. Das wirkliche Gesetz war von Osten her noch nicht über die Pecos-Grenze hinweg nach Westen vorgedrungen. Aber der Marshal beherrschte sich. Ich durfte das Goldstück behalten. Wahrscheinlich war er sicher, daß ich es auf irgendeine Art bestimmt in der Stadt lassen würde. Da er sehen konnte, daß ich unbewaffnet war, ließ er mich mit einem gnädigen Kopfnicken passieren. Mein Magen knurrte laut, als ich genau neben dem Marshal war. „Hier, Hombre!“ sagte er scharf und warf mir blitzschnell den schon zur Hälfte abgenagten gerösteten Maiskolben zu. Um das Ding nicht ins Gesicht zu bekommen, mußte ich es aus der Luft greifen. Es war eine rein instinktive Bewegung. Aber der Marshal grinste so, daß sein aufgeworfener Mund wie eine große Wunde klaffte. Seine Augen funkelten abermals. „Na schön, solange du Geld hast, darfst du in der Stadt bleiben“, sagte er. „Und den Maiskolben kannst du essen.“ Den letzten Satz sprach er gönnerhaft wie ein Wohltäter. Aber ich wußte, daß ich ihn beleidigen würde, wenn - 9 -
ich nicht in das Ding hineinbisse. So tat ich ihm den Gefallen. Er konnte sehen, wie ich gierig meine Zähne in den Maiskolben grub, und das war Balsam für sein Selbstgefühl. Da ich herausfinden wollte, was mit meinen Brüdern geschehen war, mußte ich mich im größten Saloon der Stadt umsehen. Ich kannte Kirby zu gut. Der war ganz bestimmt in den größten, nobelsten Saloon gegangen, um hier außer einem scharfen Schluck auch noch einigen anderen Spaß zu haben. Es war Abend geworden. Die Lichter in den Häusern und Hütten wurden angezündet, und selbst die Kamine der kleinsten Adobehütten begannen zu rauchen. Vor dem Saloon, von dem ich glaubte, daß er Kirbys Ansprüchen genügt haben könnte, standen einige Sat telpferde und zwei leichte Wagen. Beim Frachtwagenhof vor der Stadt hatte ich einen ganzen Wagenzug gesehen. Es waren also schon fast zwei Dutzend Gäste im Saloon, als ich mich durch die Pendeltür schob und mich umsah. Oha, alles war recht nobel! Das war keine zweitklassige Spelunke. Hier waren die Wände weiß getüncht, und es gab alte, spanische Leuchter, Schmie dearbeiten, mexikanische Teppiche – weißgescheuerte Tische und Stühle. Auf die Dielen war weißer Sand gestreut. Von dem großen Gastraum gelangte man in Nebenräume, in denen jedes Spiel gespielt werden konnte. Ich hatte vorerst nur Interesse für den Frei-Imbiß. Im Vorbeigehen bestellte ich mir an der langen Bar ein Bier, nahm es und holte mir vom Frei-Imbiß-Tisch einen Puterschenkel. An so einem Schenkel ist nicht - 10 -
wenig dran, doch für mich war er nicht größer als ein mageres Taubenbein. Als ich wieder zulangte, kam ein Rauswerfer. Ich wußte das sofort, denn er sah wie ein ehemaliger Preiskämpfer aus – gezeichnet von vielen Kämpfen und doch noch hart genug, um sich nicht vor einer Prügelei zu fürchten. „Zeig dein Geld, Amigo!“ sagte er. Ich grinste ihn an, ich wollte keinen Streit. Deshalb öffnete ich wieder mein Hemd und ließ ihn das Zwanzigdollarstück sehen. „Na schön“, knurrte er. „Viel ist das nicht. Du siehst mir ganz so aus, als könntest du für dreißig Dollar in dich hineinstopfen. Bleib nur bescheiden! Dieser Frei-Imbiß ist nicht dafür gedacht, daß du dich für einen Monat satt essen kannst. – Verstanden?“ „Si“, sagte ich höflich, obwohl es in mir kochte. Ich hätte ihn zu gerne nach meinen Brüdern gefragt. Doch ich traute mich nicht. Ich hatte das sichere Gefühl, dann den größten Verdruß zu bekommen. Aber einen Kampf konnte es hier nicht gegeben haben. Ich hatte schon mehr als einen Saloon gesehen, in dem mein Bruder Kirby Kleinholz gemacht hatte. Deshalb wußte ich, wie es selbst Tage später noch dort aussah. Ich trank noch ein zweites Bier und wagte dann das erste Glas Feuerwasser. Meinen ärgsten Hunger hatte ich getilgt und hatte eine Unterlage. Weil wir schon viele Wochen keinen Schnaps mehr gehabt hatten, fuhr mir das Zeug, das ich bekam, wie brennendes Öl durch die Kehle bis in den Magen hinunter. Aber danach wurde ich recht unternehmungslustig. Ich nahm das Goldstück von meiner goldenen Halskette und wechselte es. Von der Seite her trat ein - 11 -
großer, dunkler und schlanker Mann herbei. Er sah aus wie ein spanischer Don, ein edler Hidalgo – wie ein Überbleibsel der Conquistadores. Er sah zu, wie der Barmann mir für das Goldstück eine Menge kleiner Münzen gab. Dann – als ich das Kleingeld wegsteckte – sagte der Don zu mir: „Ich bin Socorro Concho, der Besitzer. Daß Sie noch ein solches Goldstück haben, Amigo, ist in dieser schlechten Zeit geradezu ein Wunder. – Haben Sie noch mehr von der Sorte?“ Er fragte es scherzend. Doch in seinen dunklen Augen war ein Ausdruck von gespannter Wachsamkeit. Ich gab mir Mühe, möglichst dumm zu grinsen. „Ach“, sagte ich, „es wäre schön, wenn ich noch einige dieser Dinger besäße, Mister Concho. – Oder muß ich Senor sagen?“ „Ich bin Amerikaner“, antwortete er. „Zu mir sagt man Mister Concho. Ja, wer hätte nicht gerne eine Menge davon.“ „Es war ein Erbstück“, sagte ich wiederum möglichst dumm, „und wenn ich zu Geld kommen sollte, dann hoffe ich, daß Ihr Angestellter es mir zurückverkaufen wird, damit ich es an die Kette hängen kann – hier, meine ich.“ Ich zeigte ihm wieder die nackte Brust. In meinem Haar-Urwald, der da wuchs, funkelte die goldene Halskette, und er konnte daran erkennen, daß ich auch dann noch einige Dollar wert war, wenn mein Geld fort sein sollte. Er machte eine einladende Handbewegung. „Mein Haus steht Ihnen offen, Freund! – Noch ist hier wenig Betrieb. Doch das ändert sich schnell. Bald gibt es hier eine Menge Leben. Den Höhepunkt des Abends - 12 -
bildet meine Schwester Dolores, wenn sie für uns alle ihre Lieder singt.“ Damit verließ er mich. Ich war mit meinen zwanzig Dollar und der dünnen goldenen Kette ein sehr kleiner Fisch für ihn. Den überließ er seinen Jungens, und er hatte nicht wenige in seinem Laden, haarige Nummern, richtig hart. Das fand ich schnell heraus, als ich durch die Räume bis in den großen Spielraum schlenderte. Hier wartete ein knappes Dutzend Bankhalter, Croupiers und Karten austeiler auf ihr Spiel für das Haus und gegen die Gäste. Alle waren eiskalte, harte, clevere Jungens, das konnte ein Bursche wie ich, der sich auskannte, sofort feststel len. 2. Ja, ich kannte mich aus; denn das Leben von uns Starrets war stets sehr bewegt gewesen, und mit meinen sechsundzwanzig Jahren hatte ich schon mehr erlebt, als mancher Opa auch nur zu träumen wagt. Und als unser guter, alter Paps noch lebte, der einer der geschicktesten Spieler war, die es jemals gab, machten wir sogar auf den noblen Vergnügungsschiffen auf dem Mississippi manchen großen Coup. Einmal hatte unser Alter sogar die River Queen am Spieltisch gewonnen. Doch der Eigner war dann ein schlechter Verlierer. Er ließ uns von seiner Besatzung, zu der einige üble Schlä ger und Revolverschwinger gehörten, von Bord werfen. Heiliger Rauch, was war das für ein Kampf! An Bord wäre an die dreihundert Passagiere, die sieh fein heraushielten und Wetten abschlossen, wer wohl die - 13 -
River Queen bekommen würde. Aber wir Starrets waren halt nur zu viert. Die anderen waren mehr als ein Dutzend. Und so schwammen wir. Da man Spielgewinne nicht einklagen kann, konnten wir nicht vor Gericht gehen. Wir sorgten nur dafür, daß die River Queen bald darauf nicht mehr fahren konnte. Im Hafen von Saint Louis brannte sie eines Tages ab. Nun, man möge mir diese kleine Abschweifung verzeihen; ich wollte eigentlich nur erklären, was für eine haarige Sippe wir waren und daß ich mich in jedem Spiel auskannte. Mit meinen wenigen Silberdollars strich ich von Spieltisch zu Spieltisch, und allmählich füllte sich der große Raum. Es kamen Cowboys, Frachtfahrer, Minenleute und eine ganze Menge Gäste, deren Geschäfte man nur vermuten konnte. Die meisten dieser Burschen hatten sich über den Pecos hinweg vor dem Gesetz in Sicherheit gebracht. Und nun gaben sie hier wie in einem Kurort ihre „Ersparnisse“ aus. Aber es kamen auch viele Gäste aus Mexiko herüber, die es danach juckte, daß man ihnen ihr Fell über die Ohren zog. Es waren Schmuggler, Banditen und die Söhne von reichen Hazienderos. El Tuma war die einzige Stadt auf fünfzig Meilen in der Runde, die all diesen Typen etwas bieten konnte. Und so kamen sie wie Fliegen zum Honig. Ich strich also mit meinen wenigen Silberdollars herum, setzte da mal und riskierte dort mal einen Wurf mit den Würfeln. Beim Faro konnte ich dann mein kleines Kapital verdoppeln. Ich besaß etwa sechsund dreißig Dollar und ging damit zu einem Roulett-Tisch. - 14 -
Oha, mir brannte der Boden unter den Füßen! Ich hätte am liebsten jeden Menschen nach meinen Brüdern gefragt. Doch ich wußte, daß man hier alle Fremden genau beobachtete, ganz besonders mich, der ich so abgerissen war. Ich unterschied mich äußerlich sehr von den anderen Gästen, und wenn ich nicht die paar Dollars besessen hätte, würden sie mich längst an die Luft gesetzt haben. Doch man sagte sich hier, daß Kleinvieh auch Mist macht, deshalb duldete man mich, bis ich mit meinem Geld am Ende wäre. Ich aber hoffte, beim Spiel zu Geld zu kommen. Was blieb mir anderes übrig? Ich besaß kein Pferd mehr, keine Waffe – nicht einmal vernünftige Stiefel hatte ich an den Beinen. Zwanzig Dollar hätten nicht gelangt, um mich wieder einigermaßen auszustaffieren. Ich brachte es innerhalb von zwei Stunden mit vorsichtigen Einsätzen auf siebenundfünfzig Dollar, und ich wechselte dabei vom Roulett zum Faro und von da zum Würfeltisch. Auch der Marshal, der mich bei meiner Ankunft „begrüßt“ hatte, kam irgendwann herein. Ich hörte, wie man ihn mit Brett Jeffreys anredete. Es war inzwischen mächtig voll geworden. Alle Spieltisch waren belagert. Die Luft war voller Tabakqualm, und da zwei flinke Chinajungen ständig Feuerwasser herbeischafften und zu den Spielern brachten, roch es auch nach allen Sorten von Schnaps. Es gab immer mehr Betrunkene. Die berufsmäßigen Spieler, die alle für das Haus spielten, begannen die Betrunkenen schamlos zu betrügen. Zweimal kam es vor, daß Gäste aufbegehrten. Da - 15 -
kamen die Rauswerfer und brachten die Sache blitzschnell in Ordnung. Die Dummköpfe, die es wagten, hier in dieser Wolfshöhle aufzumucken, wurden auf die ganz harte und rauhe Art fertiggemacht und flogen durch die Hintertür hinaus. Schlimmer wurde es noch, als ein wilder Junge vom Brazos den Revolver zog und einen der Black-JackKartenausteiler erschießen wollte. Er bekam so blitzschnell eine Kugel in den Bauch, daß er nicht mehr sagen konnte, warum er brüllend aufgesprungen war und den Colt herausgeschnappt hatte. Er fiel über den Tisch und starb. Als man ihn hinausgetragen hatte, kam bald wieder alles in Gang, so wie es zuvor gewesen war. Man machte hier nicht viel Aufhebens von so einer Sache. Erstens war man zu dicht an einer heißen Grenze, zweitens lebte man jenseits von Gesetz und Ordnung – und drittens war der Krieg noch nicht lange vorbei. Tote waren immer noch nichts Außergewöhnliches. Überdies hatte der wilde Junge vom Brazos zuerst nach dem Colt gegriffen. Es war sein Pech, daß er nicht schnell genug war. Kurz vor Mitternacht kam noch ein Dutzend mexikanischer Banditen mit der Fähre herüber und brachte einen großen Beutel Silberpesos mit. Ich verlor in diesem Moment gerade beim Roulett meine letzten fünf Dollar und war pleite. Ich fluchte leise und nannte mich einen hirnverbrannten Idioten, weil ich bei siebenundfünfzig Dollar nicht aufgehört hatte. Einen Augenblick dachte ich auch an das Gold im Fluß. Mir wurde heiß bei dem Gedanken, daß ich unser Gold vielleicht ohne Grund riskiert und verloren hatte. - 16 -
Was. wenn meine Brüder jetzt schon auf dem Heimweg waren und ich vielleicht besser in der Mine gewartet hätte? Es gab ja so viele Möglichkeiten. Und ich war pleite, so pleite, wie ein Tramp nur sein konnte. Was nun? Mit einem Male ruhte jeder Spielbetrieb, und es wurde so still wie in einer Kirche. Eine Uhr schlug zwölf. Im großen Gastraum begannen Gitarren zu spielen, dazu eine sanfte Trompete, und zwei geschmeidige Hände bearbeiten kleine Trommeln. Dann erklang eine dunkle Stimme. Es war eine Frauenstimme, und sie war wie schwarzer Samt, zugleich aber auch klar wie eine Sternennacht, wenn man alle Düfte des Landes spürt und den Wind durch die Baumwipfel streichen hört. Das war eine Stimme, Leute, bei deren Klang man sofort wußte, daß ihre Besitzerin einmalig schön war. Alle Gäste lauschten wie gebannt. Selbst die schärfsten und hitzigsten Spieler machten Pause. Der größte Pokertopf wurde vergessen. Ich bewegte mich vorsichtig an der Wand entlang zum Durchgang, denn ich wollte – ach was, ich mußte! – die Besitzerin dieser Stimme sehen. Das war wie ein Zwang. Zum Glück konnte ich mich auf den Sandalen fast geräuschlos bewegen. Sonst hätte ich bestimmt Ärger bekommen. Im Durchgang standen natürlich einige Zuschauer, die das Glück hatten, nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Ich konnte über einen kleineren Burschen hinweg schauen. Sein Haar roch zwar nach Wagenschmiere, aber - 17 -
das war mir gleich. Zum ersten Male in meinem Leben sah ich Dolores Concho. Ja, sie war wie ihre Stimme: schön, dunkel, herrlich wie eine Sternennacht, unergründlich wie ein Meer. Sie war für mich wie etwas, von dem man nur träumte und genau wußte, daß es so etwas gar nicht geben kann. Doch sie gab es. Sie war da. Sie ging zwischen den Tischen umher und sang zum Klang der Gitarren und der Trompete. Sie machte ab und zu einige Tanzschritte, hob die Arme, drehte sich und klapperte mit Kastagnetten. In ihrem blauschwarzen Haar war ein rotes Band, und ihre Augen waren grün. Bisher hatte ich nicht für mög lich gehalten, daß ein Mensch solche grüne Augen besitzen könnte. Was sie damals sang, kann ich heute nicht mehr sagen. Die Stimme, der Rhythmus, ihre Bewegungen – das alles verzauberte und behexte jeden, der sie sah und hörte. Es waren noch andere Mädchen da, Tanzmädchen und Flittchen, die man in solchen Saloons immer finden kann. Aber sie waren vergessen. Es gab nur Dolores; sie war die Königin vom Rio Grande. Als sie aufhörte und durch eine Tür verschwand blieb es eine Weile still. Die Männer mußten erst aufwachen und in die Wirklichkeit zurückkehren. Dann brachen sie in Gebrüll aus, klatschten wie besessen und trampelten. Aber sie kam nicht mehr. Sie blieb weg wie ein schöner Traum, den man auch nicht wieder zurückholen konnte. Auch ich erwachte, sogar besonders schnell, denn ein - 18 -
harter Finger klopfte auf meine Schulter, und eine grobe Stimme sagte: „Hombre, du hast sicherlich kein Geld mehr in der Tasche. Also schleich dich…“ Ich sah ihn an. Er war einer von den Revolverschwingern, die der Saloon als Hauspolizisten auf der Lohnliste hatte. „Bruder“, sagte ich, „es geht noch nicht. Ich würde mich ja lieber irgendwo aufs Ohr legen, doch ich habe hier noch etwas zu erledigen. – Laß mich in Frieden, mein Sohn!“ Er war gewiß nicht jünger als ich; deshalb ärgerte es ihn wahrscheinlich, daß ich ihn „mein Sohn“ nannte. Seine Hand schnellte zum Colt, wollte diesen herausschnappen, um mir den Lauf auf den Kopf zu schlagen oder die Mündung in den Magen zu rammen. Doch ich hatte schon als kleiner Junge gelernt, mich gegen meine größeren Brüder zu behaupten. Niemand – selbst mein ärgster Feind nicht – konnte mir vorwerfen, daß ich jemals langsam war. Und so gab ich ihm ein Ding mit der guten, blanken, soliden Faust. Ich nahm die Linke, und ich setzte sie ihm kurz auf die Leber, wie es ein Preisboxer nicht besser hätte machen können. Da wurde er blaß und mußte sich an die Wand lehnen. Seinen Colt ließ er los. Ich grinste den Burschen an und machte mich auf den Weg. Ich kannte ihn genau; er mußte mich zu jener Tür führen, durch die vor drei Minuten die schöne, grünäugige Dolores Concho verschwunden war. Aber ich wollte nicht zu ihr. – O nein! Schon als kleiner Junge hatte ich gelernt, das Geschäft streng vom Vergnügen zu trennen. Und ich war jetzt unterwegs, um ein Geschäft zu machen. Mir gelang es, durch die Tür zu gleiten, bevor einer - 19 -
der anderen Rauswerfer und Revolverschwinger mich aufzuhalten versuchte. Das war mir sehr recht, denn es hätte sonst eine größere Unruhe gegeben. Die Tür konnte von der anderen Seite mit einem starken Riegel geschlossen werden. Das hatte die schöne Dolores vergessen – oder man hielt es nicht für nötig. Ich schob den Riegel zu und machte mich auf den Weg zu meinen Geschäften. Es ging einen erleuchteten Gang entlang. Ich fand Mister Socorro Concho, der Wert darauf legte, nicht mit Senor angeredet zu werden, in einem prächtig eingerichteten Arbeitszimmer, in dem sich auch ein Professor in Boston oder sogar ein richtiger Lord wohl gefühlt hätte. Es war alles da, wertvolle Teppiche, Leder und Plüsch, Mahagoni, alte Waffen, Kupferstiche, Bücher, ein Globus, edle Vasen. Das war schon was, und weil ich mich auskannte, wußte ich sofort, daß dies alles Raubgut war. Wie sollte es sonst wohl hergekommen sein? Das alles stammte von den verschiedensten alten Besitzungen drüben in Mexiko oder aus Louisiana, Mississippi und Alabama, wo die reichen Pflanzer sich von ihren Sklaven noble Paläste bauen ließen und ihre Möbel und Ausstattungen aus der Alten Welt herüberkommen ließen. Socorro Concho saß hinter einem Schreibtisch, der auch einem König oder dem Präsidenten der Union ge nügt hätte. Er staunte mich an, weil ich so formlos eintrat und nur freundlich zu grinsen versuchte. Dann griff er – wie er meinte unauffällig – in eine halboffene Schreibtischlade. Doch ich hob meine Hände bis in Höhe meiner Brust - 20 -
und grinste noch freundlicher. Wenn ich so grinste – sagte mir mal ein Mädel – , dann sähe ich nicht mehr wie ein hagerer Comanche, sondern nur noch wie ein netter Junge aus. „Mister Concho“, murmelte ich, „Sie werden mein formloses Eindringen schon bald entschuldigen – wenn Sie erst meinen geschäftlichen Vorschlag gehört haben – und erkennen, daß ich der Mann bin, der Ihnen jeden Monat nicht weniger als dreitausend Dollar Mehreinnahmen bringen könnte.“ Er verstand „… dreitausend Dollar Mehreinnahmen“ am besten. Das bohrte sich in seinem Hirn zuerst fest. Dann erst begann er über meine anderen Worte nachzudenken, und zwar nicht langsam, sondern blitzschnell. Er zeigte mir, daß er zu jener Sorte gehörte, die immer zum Zuhören bereit war, wenn es um vierstellige Summen ging„Na schön“, sagte er trocken, nahm seine Hand wieder aus der Schreibtischlade und streckte sie in ein kunstvoll gefertigtes Holzkästchen, um sich eine erstklassige Zigarre zu nehmen. „Diese Sorte“, sagte ich, „bevorzuge ich auch.“ Und ich streckte meine Hand ebenfalls in den Kasten, bediente mich, setzte die Zigarre in Brand und suchte mir einen bequemen Sessel. Als ich saß, ging die Tür auf. Drei Mann kamen mit schußbereiten Revolvern herein – eifrig und etwas nervös. Concho aber sagte zu ihnen mit gefährlich sanfter und lässiger Stimme, hinter der sich seine ganze kalte, böse Wut verbarg: „Wenn der da einer von den Starrets gewesen wäre, hätte er mich schon umbringen können. – Wozu bezahle ich euch so gut, ihr - 21 -
Nieten? Ich glaube, ihr lebt zu gut bei mir! Es ist wie mit den fetten Katzen. Die achten auch nicht mehr auf Ratten und Mäuse. – Wahrscheinlich werde ich euch zum Teufel jagen! Raus jetzt! Los, ihr Schlafmützen! Raus!“ Sie zogen ab wie verprügelte Hunde. Aber ich ließ mich nicht täuschen. Er hatte sie nicht nur zurechtstutzen und beleidigen wollen, weil er sich über ihr Versagen ärgerte, er hatte sie auch auf mich wütend gemacht. Und wenn ihn irgendwas an mir ärgern sollte, daß er mich ihnen zum Fraß überließ, so würden sie es mit mir besonders hart machen. Zu meinem Glück war mein Gesicht hinter einer Rauchwolke von meiner Zigarre verborgen, als er den Namen Starret erwähnte. „Wenn der da einer von den Starrets gewesen wäre, hätte er mich schon umbringen können.“ Das waren seine Worte gewesen, und ich wußte, daß ich hier in der richtigen Schmiede war. Er hatte etwas auf dem Kerbholz, und ihm war auch bekannt, daß es drei Starret-Brüder gab. Meine Brüder Kirby und Tom mußten hier in einen Verdruß geraten sein, und einer von ihnen hatte wohl in seinem Zorn gesagt, daß sie zu dritt wären und einer von uns die anderen schon rächen würde. Was für ein Glück, daß ich meinen beiden älteren Brüdern nicht im geringsten ähnlich sah. Als Socorro Concho sich mir wieder zuwandte, hatte ich mich längst unter Kontrolle und brauchte meinen Ge sichtsausdruck nicht mit Zigarrenqualm zu verdecken. „Also los!“ verlangte er. „Wie war das mit den dreitausend Dollar Mehreinnahmen?“ Nun grinste ich nicht mehr, denn er sollte mich nicht für einen netten Jungen halten, sondern für die harte - 22 -
Nummer, die ich wirklich war. Ich sagte ganz trocken: „Ihre Spieler betrügen Sie und zahlen an gewisse Leute Gewinne aus, die in Wirklichkeit gar nicht gemacht wurden. – Warum wohl?“ Er schloß für einen Moment seine Augen. „Beweise?“ fragte er dann gefährlich sanft. „Ich brachte etwa vier Stunden im Spielsaloon zu“, sagte ich. „Und ich habe Augen, um zu sehen. – Sogar dieser Marshal – Brett Jeffreys heißt er wohl – gehört zu denen, die Gewinne ausbezahlt bekommen, ohne beim Roulett, beim Würfeltisch, beim Faro oder sonstwo gewonnen zu haben. Ich schätze, daß er an die hundert Dollar kassiert hat. Dann gibt es noch so einen krummbeinigen Wurzelzwerg. Der schleppte das meiste an unrechten Spielgewinnen ab. Sie können mir nun entweder glauben und mich zum Chef in Ihren Spielräumen machen oder sich weiter betrügen lassen. – Wenn Sie mir tausend Dollar im Monat und dazu freien Unterhalt gewähren, dann sparen Sie gewiß an die dreitausend Dollar – es sei denn, auch ich finge eines Tages an, Sie zu betrügen. Das aber wäre sehr dumm von mir. – Nun, Mister Concho?“ Er staunte, aber seine Augen wurden dabei immer schmaler, bis er nicht mehr staunte, sondern zu handeln begann. Er erhob sich, ging zur Tür und riß sie auf. Er rief den Namen eines Mannes, bekam rasch Antwort und verlangte, man solle ihm Mike Bennet bringen. Dann ging er zum Schreibtisch zurück. Schweigend warteten wir, und er starrte mich wachsam an. Ich spürte, wie von ihm eine starke Kraft ausströmte und in mich einzudringen versuchte. Er wollte mich ergründen, abtasten. - 23 -
Aber ich sperrte mich, gab ihm keinerlei Zeichen, hielt alles tief in meinem Innern verborgen und hütete mich davor, etwas auszustrahlen. Ich mußte ihm wie ein Stein vorkommen, denn er konnte nur eines erkennen: Härte! Wir brauchten nicht lange zu warten. Seine harten Jungens rannten sich gewiß die Hacken ab, um ihn zufrieden zu stellen. Bald darauf schob sich das krummbeinige, vertrock nete Männchen herein. Das also war Mike Bennet. Er hielt seinen Hut in der Hand und sagte: „Mister Concho, Sie wünschen mich zu sprechen?“ „Komm her, Mike!“ sagte Concho und wartete, bis die Mumie vor seinem Schreibtisch innehielt. Concho griff nach dem Brieföffner, der in Wirklichkeit nichts anderes war als ein rasiermesser scharfer Dolch. Er deutete damit auf Mike Bennet und fragte ihn: „Mike, auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ „Auf Ihrer, Sir – nur auf Ihrer“, beeilte sich Mike Bennet zu versichern und verbeugte sich dabei. Socorro Concho grinste, und ließ seine blitzenden Zahnreihen sehen. „Wie schön“, sagte er. „Dann erzähl mir mal, wie lange du dir schon von meinen Spielern und Bankhaltern Gewinne auszahlen läßt, die du gar nicht gemacht hast! – Erzähle es mir von Freund zu Freund!“ Mike Bennet schien noch kleiner zu werden, noch um zehn Zoll einzutrocknen. Vielleicht hätte er versucht, in ein Mauseloch zu entkommen, doch er fand keins in erreichbarer Nähe, so sehr er auch auf den Boden starrte, wobei er suchend den Kopf bewegte. Nach einer Weile begriff er, daß er Farbe bekennen - 24 -
mußte. Er starrte auf den Dolch in Conchos Händen. „Sie haben mich gezwungen“, gab er dann zu. „Ich bin doch nur ein kleiner Wicht – nur ein kleiner, unwichtiger Erzprüfer und Arznei-Hersteller. Was sollte ich denn tun? Diese harten Jungens hätten mir doch die Haut abgezogen und mich mit den Ohren an eine Scheunentür genagelt. – Ich mußte gehorchen. – Das verstellen Sie doch, Mister Concho?“ fragte er fast .weinend. Socorro Concho, der in seinen jüngeren Jahren ganz gewiß ein Messerheld, war, hielt den Wurfdolch nun an der Spitze zwischen den Fingern. Ich war überzeugt, daß er dieses Ding unheimlich schnell bis zum Heft in Mike Bennets Herzgegend werfen konnte. Aber er tat es nicht. Er fragte vielmehr: „Was hast du jeden Abend abgeschleppt?“ „Nicht jeden Abend“, erwiderte Mike Bennet. „Nur immer, wenn der Spielraum gut besetzt war. Es waren dann stets um die dreihundert Dollar. Fünf Prozent durfte ich behalten. Den Rest – von dreihundert Dollar also zweihundertfünfundachtzig – mußte ich an Rio Carlos abliefern. Der teilte es dann unter… Aber ich war ja nicht allein so ein Gewinner. Auch Brett Jeffreys und zwei oder drei andere Freunde von Rio Carlos bekamen Gewinne ausgezahlt, die sie gar nicht gewannen hatten. Was werden Sie nun mit mir tun, Senor?“ „Du sollst mich nicht Senor nennen“, bellte Socorro Concho. „Ich bin amerikanischer Staatsbürger, und mein Vater, zum Teufel, war ein echter Engländer von der Insel. Ich bin ein Mister und kein Senor.“ Er war nun wütender als vorher über den Betrug. - 25 -
„Mach dich fort, Mike!“ knurrte er schließlich. „Komm mir nur nicht so schnell wieder unter die Augen! Hau ab!“ Das ließ sich der Bursche nicht noch einmal sagen. Er flitzte hinaus und vergaß nicht, die Tür leise zu schließen. Socorro Conchos Beherrschung aber war nun vorbei. Er sprang auf, wie von einer glühenden Nadel gestochen. „Ich bringe sie alle um!“ zischte er. „Ich töte sie alle, die mich betrogen haben. Und dann hole ich mir neue…“ „Es ist immer wieder die gleiche Sorte“, unterbrach ich ihn kühl und pulvertrocken. „Sie betrügen, wo sie können, wenn die Gäste erst betrunken genug sind. Sie ziehen jedem Narren zum Vorteil des Hauses das Fell über die Ohren. Wenn man so eine Sorte für sich arbeiten läßt, muß man auch damit rechnen, daß sie einen selbst genauso betrügt. Das Problem ist nur dadurch zu lösen, daß man über sie einen Wachhund setzt. – Rio Carlos war ein schlechter Wachhund. Ich wäre ein besser. – Also?“ Nun hatte er die Wahl. „Ja“, sagte er dann nachdenklich, „ich habe zu viele andere Geschäfte und kann mich um den Betrieb hier nicht so kümmern, wie es notwendig wäre. Ich…“ In diesem Moment ging eine Tür auf, die ich zuvor gar nicht bemerkt hatte, weil sie sich in einer halbdunklen Nische befand und überdies geschickt in das Tapeten muster eingefügt war. Dolores Concho kam herein. Sie trug noch das rote Kleid, in dem sie aufgetreten war und die Gäste bezaubert hatte. „Soso“, sagte sie, „was ist das für ein Bursche?“ Ich erhob mich und verbeugte mich wie ein Gentleman. Das konnte ich vollendet, denn auf dem - 26 -
Mississippi hatte ich eine ganze Menge echter Gentlemen beobachten können. Und unser Paps konnte sich – wenn er wollte – wie ein englischer Lord benehmen und auch reden, als hätte er eine der ersten Universitäten von Old England besucht. „Jones, Jim Jones, Madam“, sagte ich. „Ich bin untröstlich, daß Sie mich in diesem Aufzug sehen müssen. Aber manchmal hat sich auch alles gegen mich verschworen. Ich geriet schon oft in solche Pechsträhnen und hatte dann stets nur den einen Trost, daß ich un mittelbar danach eine besonders schöne Frau kennen lernen durfte.“ – Und von diesem Moment an begann mein Glück.“ Sie betrachtete mich wortlos, wandte sich wieder an ihren Bruder und sagte: „Der tut nur so, als wäre er ein Schwätzer. Aber er ist ein Wolf, ein schwarzer, narbiger Wolf. – Was will er, Bruder?“ Socorro Concho betrachtete mich von oben bis unten. Er war etwas kleiner als ich, doch sehr geschmeidig. Bei aller Schlankheit besaß er eine Menge Muskeln, und obwohl er an die zehn Jahre älter war als ich, würde er gewiß ein gefährlicher Gegner sein. Wenn ich nach der Ansicht seiner Schwester ein schwarzer, narbiger Wolf war, so konnte man ihn als schwarzen Panther bezeich nen. Das Leben hatte auch ihm die Narben der Erfahrung beigebracht – denn nur solche Narben meinte Dolores, als sie mich einen narbigen Wolf nannte. Er betrachtete mich immer noch von oben bis unten, und dann sagte er zu seiner Schwester, aber auch für mich bestimmt: „Er arbeitet ab sofort für mich und tritt an Rio Carlos Alvarex’ Stelle. Und er wird Rio Carlos selbst rauswerfen. Wenn er das nicht schafft, ist er für den Job nicht geeignet.“ - 27 -
Er wandte sich wieder zu seinem Schreibtisch, nahm dahinter Platz und holte zweihundert Dollar hervor. Er schob sie über den Tisch und sagte dabei: „Das ist Vorschuß, damit Sie nicht länger wie ein Tramp herumlaufen müssen.“ Ich nahm das Geld, und nachdem ich mich schon halb zur Tür wandte, tat ich so, als fiele mir etwas ein. Ich verharrte und wandte mich schließlich wieder zu ihm zurück. „Ich bin ziemlich gut mit dem Revolver“, sagte ich. „Gibt es in dieser Stadt einen Laden, in dem man sich eine gute Waffe kaufen kann – ich meine eine besondere Kanone, die mal einem Künstler gehörte? Mit solchen Dingern machte ich bis jetzt die besten Erfahrungen. – Oder haben Sie vielleicht so was auf Lager? In einem Saloon kommt es doch wohl oft vor, daß jemand aus den verschiedensten Gründen seine Zeche nicht bezahlen kann…“ Während ich so redete, sah ich in seine schwarzen Augen. Sie funkelten. Jetzt wußte ich erst richtig, wie gefährlich dieser Bursche war. Ich hatte ihn etwas unterschätzt. Nun erinnerte ich mich auch an seine Worte, die darauf schließen ließen, daß er viele andere Geschäfte am Hals hatte und sich nicht so intensiv um den großen Saloon kümmern konnte. Er grinste plötzlich, beugte sich zur Seite und öffnete neben seinem rechten Fuß die Tür eines Schreibtisch faches. Was er herausnahm, war ein kompletter Waffengurt mit einem soliden Colt in der Halfter. Die Messingpatro nen in den Schlaufen des Gurtes waren noch gut gefettet. Er legte Gurt, Halfter und Waffe vor sich auf den Sehreibtisch. - 28 -
„Das wäre etwas“, sagte er trocken. „Das gehörte einem Revolverhelden, der mit Rio Carlos zu tun bekam. – Jetzt liegt er auf dem Friedhof. Ja, er konnte tatsächlich die Zeche nicht bezahlen. Dieser Colt ist Maßarbeit, und sein Kolben ist mit Silber ausgegossen. Die Waffe ist wunderbar ziseliert. Ich gebe sie Ihnen für hundert Dollar. Sie stehen jetzt mit dreihundert bei mir im Vor schuß. – Hoffentlich können Sie sich dieses Geld auch verdienen. Es ist der Jahreslohn eines Cowboys, Jim Jones. Ist das klar?“ Seine Worte drangen wie aus weiter Ferne zu mir. Ich hörte sie kaum. Ich starrte nur auf den Colt, denn diese Waffe kannte ich. Sie hatte meinem Vater gehört, und Tom, der ja von uns der Älteste war, hatte sie von Paps übernommen. Das war im letzten Kriegsjahr gewesen, als er unseren Paps sterbend in einem Lazarett fand. Ich sah die Waffe meines Bruders Tom Starret. 3. Vielleicht war es mein Glück, daß ich an der Zigarre paffte und der Rauch wieder etwas von meinem Gesicht verbarg, zumindest das Funkeln meiner Augen verdeckte. Aber einige rasche Atemzüge konnte ich nicht verhindern. Ich stand und starrte auf die Waffe. Socorro Concho hatte gesagt: „Das da gehörte einem Revolverhelden, der mit Rio Carlos zu tun bekam. – Jetzt liegt er auf dem Friedhof.“ Ja, das waren die Worte, und sie sagten nicht mehr und nicht weniger, als daß mein Bruder Tom tot war. - 29 -
Heiliger Rauch, wie sollte ich in dieser Minute damit fertig werden und mir dabei nichts anmerken lassen? Es erschien mir unmöglich. Am liebsten hätte ich mich über den Schreibtisch auf Socorro Concho geworfen, ihn umgebracht und mich dann darangemacht, dieses Rattennest von einem Saloon zu zerstören. Unwillkürlich paffte ich stärker an meiner Zigarre. Doch zum Glück streckte ich zugleich meine Hände nach dem Revolver aus, so daß man denken konnte, der Anblick dieser guten Waffe habe mir die Sprache verschlagen. Es gab viele Burschen, die gierig auf einen guten Colt waren. Fast all diese Revolverschwinger waren süchtig nach Macht, und mit einem guten Colt in der Faust fühlten sie sich berauscht und wie Halbgötter. Bei uns in Texas gab es ein Sprichwort: Von Geburt sind die Menschen ja alle gleich. Erst der Colt macht die Unterschiede. Ja, das war Paps Colt, den dann Tom trug. Und Tom war tot. Du lieber Vater im Himmel, wie konnte das sein! Ich hatte tausend Fragen auf der Zunge. Doch ich wußte, daß nur eine einzige falsche Frage mich erledigen konnte. „Eine schöne Waffe“, sagte ich, und meine Stimme war mir fremd, weil sie so gleichgültig und unpersönlich klang. Ich begann mit der Waffe zu hantieren. Und da ich das gerade mit diesem Colt nicht zum ersten Male tat, gelang mir jeder Trick. Sie sahen mir zu. Dann nickte Socorro Concho und sagte: „Ja, Jim, ich sehe, Sie können mit so einem Ding umgehen. Doch Rio - 30 -
Carlos Alvarez kann das auch. Er ist mit all meinen Jungens im Saloon zurechtgekommen. – Na gut, wie soll es weitergehen?“ „Zuerst“, sagte ich, „kleide ich mich im Store neu ein. – Ich will nicht wie ein verlauster Tramp aussehen, wenn ich meinen Dienst beginne. Sie können beruhigt sein, Mister Concho. Es ist alles in den besten Händen bei mir, und Sie werden schon herausfinden, daß Sie in mir einen zuverlässigen, treuen Mitarbeiter bekommen haben.“ Ich ging zur Tür. Erst dort verhielt ich noch einmal. Ich tat wieder so, als erinnerte ich mich an etwas, und sagte gedehnt: „Da ist noch etwas, Mister. – Sie sagten vorhin, daß ich Sie hätte umbringen können, wenn ich einer von den Starrets wäre. – Was ist mit den Starrets? Ich hörte diesen Namen schon. Meinen Sie die StarretBrüder vom San Saba River?“ Ich hatte mich langsam umgewandt. Er und Dolores starrten mich mit funkelnden Augen an. Aber mir gelang es, ganz ruhig zu bleiben und nur Interesse zu zeigen, wie ein Bursche von meiner Sorte sie haben muß, wenn er einen bekannten Namen hört. „Sie kennen die Starret- Brüder?“ fragte er. Ich nickte. „Wer kennt die zwischen Ost-Texas und dem Mississippi nicht? Als ihr Alter noch lebte, waren sie zu viert. Einmal gewann ihr Alter sogar den Mississippi-Luxusdampfer River Queen beim Poker. – Diese Geschichte wurde besonders bekannt, weil….“ „Wie sieht dieser Jim Starret aus – dieser Saguero Jim?“ unterbrach Soco Concho mich barsch. Ich trat von der Tür weg, näherte mich ihm um zwei Schritte. Dabei kratzte ich mich hinter dem linken Ohr in den Haaren und wirkte ganz erstaunt. „Nun, sie sehen sich doch ähnlich“, sagte ich. „Wenn - 31 -
Sie einen Starret gesehen haben, würden Sie auch die an deren erkennen. Sie sind alle ihrem Alten ähnlich.“ „Hat dieser Jim Starret besondere Kennzeichen – Narben oder so etwas?“ Abermals hatte er mich: barsch unterbrochen. Es mußte ihn doch sehr jucken, daß noch ein Starret irgendwo frei herumlief. Meine Brüder mußten hier ziemlich rauh geworden sein, denn sein Respekt vor dem ihm noch unbekannten dritten Starret war unverkennbar. „Nein“, sagte ich, „der hat keine Kennzeichen – , nur eben, daß er wie seine beiden Brüder aussieht.“ Er nickte, und ich wußte, daß ich nun gehen konnte. Die ganze Zeit hatte ich gespürt, wie Dolores mich von der Seite her beobachtete. Ich ahnte, daß sie zu den Frauen gehörte, die einen ganz besonders feinen Instinkt besaßen. Vor ihr mußte ich mich hüten. – Zugleich aber war ich von ihrer Schönheit bezaubert. Sie war wie eine schöne exotische Blume. Aber vielleicht war sie giftig und gefährlich. Ich ging hinaus. Draußen erst begann mein Gesicht zu zucken. Ich konnte es nicht länger in der Gewalt halten. Hätten mich Socorro und Dolores Concho jetzt gesehen, dann hätten sie gewußt, wer ich war. Zumindest würden sie erkannt haben, daß ich sie haßte. Mein Bruder Tom war tot. Nach Socorro Conchos Worten mußte Tom von Rio Carlos Alvarez getötet worden sein. Oh, ich wußte, wie schnell Tom mit dem Colt war, den ich jetzt trug. Und was war mit Kirby? Ich hatte mich nicht getraut, Fragen zu stellen, denn ich spürte die ganze Zeit das wachsame Mißtrauen der - 32 -
Geschwister. Ich hätte zu gerne gewußt, was mit Kirby geschehen war, der zuerst nach El Tuma ritt. – Doch ich mußte vorsichtig sein. Ich durfte in diesem Spiel keinen falschen Zug machen. Bis jetzt war ich sehr erfolgreich gewesen, und das Glück hatte mir zur Seite gestanden. Als abgerissener Tramp ohne Pferd und Waffe war ich nach El Tuma gekommen. Und jetzt sollte ich Rio Carlos ablösen, der so dumm war, seinen Boß Socorro Concho zu betrügen. Es war mein Glück, daß ich das herausfand. Außerdem hatte ich Glück, weil diese vertrocknete Pflaume Mike Bennet nicht zu leugnen versucht hatte, sondern alles beichtete. Ich verließ den El Tuma Saloon durch eine Seitentür und suchte den nächsten Store. Ich fand ihn schon bald. Obwohl es schon lange nach Mitternacht war, hatte kein Geschäft in dieser Stadt geschlossen. Das war nur natürlich, denn in der Nacht wurden hier bessere Ge schäfte als bei Tage gemacht. Ich fand also den Store noch geöffnet und ging hinein. Und da sah ich auch schon die Kleine. Ich hielt sie zuerst für ein sehr junges Ding von siebzehn. Aber als sie sich von dem Regal abwandte, in dem sie Hemden sortierte und sich zu mir drehte, sah ich, daß sie fast so alt sein mußte wie ich. Und es war alles richtig an ihr – nur eben zierlich. Sie war blond und hatte blaue Augen. Ihr Gesicht war lebendig. Sie wirkte sehr vital und ener gisch, ganz und gar so, als wenn sie von klein an ihre Zierlichkeit durch besondere Aktivität hätte ausgleichen müssen. Sie war keine Dolores Concho – o nein! Das war keine exotische Wunderblume mit wildem, süßem Duft, der einem Mann den Verstand nehmen konnte. Dieses - 33 -
Mädel da war eine ganz andere Sorte. Sie war wie ein junger, frischer Sonntag, an dem alles lebendig und klar ist. Ihre Stimme war etwas kehlig, so ein klein wenig kratzbürstig. Und da ahnte ich, daß diese kleine Augenweide auch scharfe Krallen besaß. „Was kann ich für Sie tun, Mister?“ „Oh, Sie könnten eine Menge für mich tun.“ Ich grinste mein nettes Jungengrinsen. „Aber Sie würden gewiß nicht alles tun wollen – nicht jedenfalls, bevor Sie sich richtig in mich verliebt haben. Und das dauert noch einige Minuten, denn wir müssen uns erst besser kennen lernen.“ Mir war gar nicht so witzig zumute, ganz und gar nicht. Doch ich wollte und mußte hier in dieser Stadt eine Rolle spielen, und dazu gehörte, daß ich mich nicht anders benahm als jeder andere wilde, verwegene Bursche. So war es auch bei diesem Mädchen. Es wäre geradezu unnatürlich gewesen, hätte ich nicht zweideutige Reden geführt. Sie hatte wundervolle Augenbrauen, und nun runzelte sie diese geschwungenen Striche, die sehr viel dunkler waren als ihr Haar. „Mister“, sagte sie, „ich sehe schon, daß Sie sich mal wieder eine neue Unterhose leisten wollen. Sie können Sie haben. Aber sonst brauchen Sie mir nicht zu beweisen, wie witzig Sie sind.“ Nun gefiel sie mir noch besser. Sie schien eine richtige Kratzbürste zu sein. Und dabei war sie frisch und köstlich wie Sonnenschein auf einer taunassen Frühlingswiese. „Na schön“, sagte ich, „geben Sie mir also eine - 34 -
passende Unterhose und alles, was noch dazugehört. Kleiden Sie mich so ein, wie Sie mich gerne sehen wür den. Wenn Sie fertig sind, bezahle ich.“ „Sie sehen wie ein lausiger Tramp aus“, sagte sie. „Zeigen Sie mir erst einmal Geld.“ Sie meinte es nicht ernst. Sie wollte mich ärgern. Aber ich zeigte ihr die zweihundert Dollar. Danach nahm sie mit den Augen Maß und ging von Regal zu Regal. Sie stapelte alles auf den Ladentisch und deutete dann auf eine Tür. „Dort drinnen können Sie anprobieren. Doch es paßt bestimmt. Ihr altes Zeug können Sie in die Abfallkiste werfen.“ „Ich bin Jim“, sagte ich, „Jim Jones. Ich war schon als kleiner Junge der Liebling aller weiblichen Wesen, und das läßt mich hoffen, daß auch wir uns näherkommen. – Darf ich nach Ihrem Namen fragen, Madam?“ In ihren Augen war jetzt ein seltsamer Ausdruck. „Stella Cronin“, sagte sie. „An der Tür kann man das lesen. – Oder können Sie nicht lesen? Es kommt immer wieder vor, daß Burschen aus dem Hinterland kommen, denen ich aus den Katalogen vorlesen muß. Diese Jungens haben zumeist den gleichen goldigen Humor wie Sie, Jim Jones.“ Sie war mir über. Oha, was hatte sie für eine scharfe Zunge! Sie war ein Biest, zwar ein süßes, doch ein Biest. Ich nahm mein Zeug und ging in die kleine Kammer. Drinnen dachte ich an meine Brüder, und ich achtete gar nicht so sehr auf die Kleidung, die ich mir anzog. Mir war es gleich, was sie mir ausgesucht hatte. Doch als ich dann aus der Kammer trat und mich im Spiegel besah, da mußte ich anerkennen, daß sie mich gut bedient hatte. - 35 -
Ich trug weiche Stiefel aus Alabama, eine schwarze Tuchhose, ein weißes Hemd mit schwarzer Schleife, eine dunkelgrün geblümte Weste und eine graue Jacke aus cordähnlichem Stoff, die recht modern geschnitten war. Ich wirkte wie ein Großrancher, der sich stadtfein ge macht hatte. Unter der offenen Jacke trug ich den Waffengurt, die Halfter war außerdem noch über dem Knie am Bein festgebunden, wie es üblich war, um einen festen Sitz beim Ziehen zu gewährleisten. Sie wartete auf mich und reichte mir einen schwarzen Hut mit flacher Krone. „Ich glaube, daß Sie Kopfgröße siebenundfünfzig haben“, sagte sie. „Richtig“, erwiderte ich und setzte den Hut auf. Nun machte ich eine einladende Bewegung, als erwartete ich, daß sie in meine Arme kommen würde. Sie sah mich von oben bis unten an und sagte: „Eigentlich sehen Sie wie ein Comanche aus, der sich als Weißer verkleidet hat. Sie sollten sich auch mal die Haare schneiden lassen. – Oder wollen Sie auf einem Jahrmarkt als Höhlenmensch auftreten?“ „Ich bin ein Höhlenmensch“, sagte ich, „und ich kam nach El Tuma, um mir eine Frau zu rauben. Ich muß noch einmal darüber schlafen. Wenn ich von Ihnen träume, Stella Cronin…“ „Miß Stella Cronin bitte!“ „… Miß Stella, dann… Also, wenn ich von Ihnen träume, Miß Stella Cronin, dann weiß ich, daß ich mich unsterblich in Sie verliebt habe und erst wieder meine Ruhe finden kann, wenn ich Sie in meine Berghöhle mitnehme. Was bin ich Ihnen schuldig?“ Sie rechnete auf einem Blatt Papier, und ich konnte im - 36 -
Lampenlicht den feinen, golden schimmernden Haarflaum auf ihren bloßen Unterarmen, an den Schläfen und an ihrem Nacken sehen. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt. Wie eine Krone trug sie diese weizengelbe Pracht. Als sie plötzlich den Blick von ihrer Rechnerei hob und mich schnell ansah, da erwischte sie mich gerade, als ich tiefernst war. Nun hielt sie mich nicht mehr für einen wilden Burschen mit einem losen Maul. Ihr Blick wurde plötzlich forschend, als hätte sie was Neues an mir entdeckt und wundere sich. Sie nannte mir den Preis. Ich gab ihr Geld, und während sie zur Kasse ging, um zu wechseln, da konnte ich nicht anders. Ich mußte sie fragen: „Sind Sie die Besitzerin? Ich meine, führen Sie diesen Store allein?“ Sie nickte. „Seit einem halben Jahr. Mein Vater wurde von einem Revolverhelden getötet, von einem dieser Townwölfe. Es scheint mir fast, als gehörten auch Sie zu dieser Sorte. Frisch hier angekommen, nicht wahr? Und von Socorro Concho einen Vorschuß in der Tasche. – Das kenne ich Es kamen in den letzten Wochen viele abgerissene Revolverhelden.“ „Sicher“, brummte ich. „Und vor einigen Tagen wurde wieder mal einer erschossen, wie ich hörte.“ Da sah sie mich scharf an. „Ein gewisser Tom Starret wurde im El Tuma Saloon erschossen“, sagte sie. „Vorher war er hier bei mir und fragte nach seinem Bruder Kirby. Ich kannte Kirby Starret. Er hatte hier eine Menge Einkäufe gemacht und mit Goldstaub bezahlt. Dann war er in den Saloon gegangen, um vor dem Abritt noch einen Drink zu nehmen. – Er hatte mir gefallen, dieser Kirby Starret. Er kam in den Ort, erledigte seine - 37 -
Einkäufe und wollte gleich wieder fort. Nur einen einzigen Drink wollte er nehmen. Seine Pferde, denen er die Lasten schon aufgepackt hatte, ließ er hier vor meinem Store stehen. – Aber…“ Sie verstummte. Irgendwie hatte sie sich in Erregung geredet und wurde sich erst jetzt dessen bewußt. „Aber?“ fragte ich, und ich fügte etwas schwerfällig hinzu: „Bitte, sagen Sie mir alles! Es interessiert mich. Bitte!“ Sie betrachtete mich lange, und ich hatte das Gefühl, daß sie mein Aussehen mit dem von Kirby verglich. Aber auch sie konnte keine Ähnlichkeit feststellen. Wenn Kirby ihr erzählt haben sollte, daß er noch zwei Brüder hatte, so hielt sie mich bestimmt nicht für einen davon. Dennoch sagte sie: „Er ging in den Saloon und kam nicht wieder. Seine Pferde wurden von zwei Männern aus dem Saloon von hier weggebracht. Man sagte mir, daß er sich betrunken hätte und über Nacht bliebe. Am anderen Tag war er dann angeblich aus der Stadt verschwunden. – Aber ich glaube nicht, daß er fortgeritten wäre, ohne sich von mir zu verabschieden.“ Den letzten Satz sprach sie wieder erregt und impulsiv, und sie erschrak abermals über ihre Offenheit. Ich nickte ihr beruhigend zu. „Und einige Tage später kam dann ein gewisser Tom Starret, fragte nach seinem Bruder Kirby, bekam im Saloon mit Rio Carlos Alvarez Streit und wurde von diesem erschossen?“ fragte ich ruhig, indem ich sie ansah. Sie nickte stumm. „So war es“, antwortete sie. „Und warum fragen Sie nach diesen Dingen? Was für ein Interesse haben Sie daran?“ - 38 -
Sie beugte sich vor. „Wenn Sie wie Kirby oder Tom Starret aussähen“, murmelte sie, „würde ich Sie für den dritten Starret halten. Doch so unähnlich können sich Brüder gar nicht sehen. Hören Sie, Jim Jones, vielleicht hat Sie der dritte Starret, der Jim heißen soll wie Sie, nach El Tuma geschickt. Sagen Sie Jim Starret, daß man hier auf ihn wartet. Ich weiß ganz genau, daß man hier nur auf einen Fremden wartet, der wie Kirby und Tom Starret aussieht.“ Ich nickte, und ich dachte an den Marshal Brett Jeffreys, der mich schon beim Ortseingang empfangen hatte. Er war dann gewiß abgelöst worden, um. zum Schein im Saloon zu spielen. Die Bankhalter und Croupiers hatten ihm Gewinne ausgezahlt, die er gar nicht gemacht hatte. Oha, in dieser Stadt stank eine ganze Menge, und ich konnte noch längst nicht klar sehen. Nur eines wußte ich: El Tuma beherbergte zur Zeit eine Menge Townwölfe besonderer Art. „Ich wurde nicht von Jim Starret geschickt“, sagte ich zu Stella Cronin. „Ich bin nur Socorro Conchos neuer Mann, ab sofort die Nummer Eins im Saloon. Und weil ich fremd bin, wollte ich mich über alles informieren – auch über den dritten Starret, vor dem man sich hier offenbar fürchtet. Miß Stella, ich bin glücklich, Sie kennen gelernt zu haben. Aber ich sehe, daß Sie sich noch nicht in mich verlieben konnten. Deshalb will ich auch keinen Kuß von Ihnen. Vielleicht später. – Schlafen Sie gut, und träumen Sie vom prächtigen Jim Jones.“ Mit diesen Worten ging ich hinaus.
4. - 39 -
Es war inzwischen zwei Uhr morgens geworden, und das Nachtleben von El Tuma ging dem Ende zu. Als ich vor den Saloon kam, wurden dort gerade zwei Betrunkene rechts und links vor die Tür gesetzt, so daß sie mit ihren Rücken gegen die Wand lehnten. Zu mir sagte einer der Rauswerfer: „Jetzt ist geschlossen, Mister. Es lohnt sich nicht, für drei oder vier Gäste den ganzen Saloon offen zu halten. – In der Bar des Hotels bekommen Sie immer noch einen Drink.“ „Ich bekomme ihn hier“, sagte ich und schob ihn zur Seite. „Denn ich gehöre in diesen Laden wie du, Bruder. Ab sofort gibt nicht mehr Rio Carlos die Befehle, sondern ich.“ Der bullige Rauswerfer staunte, und er wollte es auch gar nicht glauben. Doch dann mahnte ihn wohl ein gewisser Klang in meiner Stimme zur Vorsicht, und er erkannte auch etwas in meinen Augen. Er ließ mich eintreten. Doch hinter mir lief er zum Spielsaal. An der Bar standen noch zwei Keeper und putzten Gläser. Es war hier so Sitte, erst alles für den nächsten Tag sauberzumachen. Einer der Barmänner knurrte: „Hat Joe Ihnen nicht gesagt, daß es nichts mehr gibt? – Also…“ „Für mich gibt es jetzt und zu jeder Tageszeit etwas aus Rio Carlos’ Privatflasche“, sagte ich. „Nur heißt die Flasche jetzt Jim-Jones-Flasche, und wenn mir der Inhalt nicht schmeckt, dann werfe ich euch raus. Ich trinke ech ten Bourbon Whisky, wenn keiner aus Schottland greifbar ist. Los, mein Freund! Ich löse Rio Carlos ab. – Vorwärts!“ Er staunte nicht lange. Wahrscheinlich wußte er zu - 40 -
gut, daß Rio Carlos eine Menge Dreck am Stecken hatte. Dann brummte er: „Bis jetzt gibt mir noch Rio Carlos die Befehle. Wer sagt mir, daß Sie kein Witzbold sind, Mister?“ Er zögerte und fügte hinzu: „Aber einen Bourbon will ich Ihnen geben. Ich suche keinen Streit mit der Ge schäftsführung.“ Er griff unter die Bar, brachte eine geschliffene Flasche zum Vorschein, in der es bernsteinfarben funkelte. Als er mir das Glas füllte, kam jemand aus den Spielräumen in den großen Gästesaal und fragte scharf: „Was machst du da mit meiner Flasche, Diego?“ Ich hatte mich also nicht getäuscht, wenn ich annahm, daß ein Mann wie Carlos Alvarez hier seine Privatflasche hatte. Das war nun mal Brauch in einem Saloon wie diesem. Ich hatte mich auch nicht in der Annahme getäuscht, daß der Rauswerfer, den ich schon am Eingang aufgeklärt hatte, sofort zu Rio Carlos Alvarez laufen würde. Und da sah ich ihn schon, Rio Carlos Alvarez persönlich. Ich hatte ihn schon in den Spielräumen gesehen, als ich dort vier Stunden lang herumgestrichen war, bis ich kein Geld mehr hatte. Er war mir als harter Hombre aufgefallen. Ich hatte mir gleich gedacht, daß er der Haustiger war. Nun wandte ich mich ihm zu und sah ihn mir noch einmal an. Dieser Bursche also hatte meinen Bruder Tom getötet. Ich spürte den heißen Zorn in mir, die wilde Wut und den heftigen Wunsch nach Rache. Aber ich hatte schon im Leben meine Erfahrungen - 41 -
sammeln können. Ich wußte längst, daß wilder Haß in die Hölle führt und auch Rache keine Befriedigung brachte. Ich konnte auch Tom nicht mehr lebendig machen. Nur eines konnte ich: nach Kirbys Verbleib forschen. Rio Carlos wußte sicherlich, was mit Kirby geschehen war. Und wenn ich an Rio Carlos’ Stelle trat, so würde auch ich es gewiß irgendwie erfahren. Rio Carlos war einer von der dunklen, geschmeidigen Sorte wie Socorro Concho. Sein braunes, scharfes Gesicht hatte viele harte Linien. Er war gewiß zehn Jahre älter als ich, und das mußte mich allein schon warnen; denn ein Revolvermann, der dieses Alter erreicht hatte, mußte eine Menge auf dem Kasten haben. Er hatte graue Strähnen im Haar, und obwohl sonst alles an ihm dunkel war, waren seine Augen hell – hell und starr! Sie schienen eine hypnotische Kraft zu haben. „Bruder“, sagte ich, „bist du Rio Carlos Alvarez?“ Er nickte und kam näher, bis uns nur noch sechs Schritte trennten. „Dann kannst du deine Siebensachen packen“, sagte ich. „Und du kannst froh sein, wenn du so billig davonkommst. Ich bin dein Nachfolger hier. Mister Concho will nicht, daß du ihn deshalb mit dummen Fragen belästigst. – Du mußt dich nur an mich halten.“ Er nickte. „Das werde ich“, sagte er. „Ich weiß, daß Concho keinen besseren Mann finden kann als mich.“ Und dann zog er schnell und glatt. Aber damit hatte ich gerechnet; denn er konnte meinen Bruder Tom schlagen, und ich wußte, wie schnell Tom mit dem Revolver war – mit diesem Revolver, der mir ganz von selbst in die Hand zu springen schien, um im selben Sekundenbruchteil die Kugel auszuspucken. - 42 -
Dann war es vorbei – und erst jetzt holten mich meine Gedanken wieder ein. Was geschehen war, geschah instinktiv. Ich begriff, daß ich am Leben war. Rio Carlos Alvarez, der meinen Bruder Tom getötet hatte, konnte mich nicht schaffen. Ich war schneller als er. Aber vielleicht hatte ich nur Glück gehabt, hatte mich ein gütiges Geschick davor bewahrt, im El Tuma Saloon sterben zu müssen. Mir war es, als hätten wir zu gleicher Zeit abgedrückt. Doch ich mußte mich wohl getäuscht haben. Meine Kugel hatte ihn gewiß schon im Moment des Abdrückens getroffen. Sonst hätte er mich kaum verfehlt, nicht ein so erfahrener Kämpfer wie er. Aber wie es auch war – ich lebte, und er starb. Er hielt sich zuerst am Bartisch fest und blickte mich ungläubig an. Dann sagte er seltsam ruhig: „Das mußte eines Tages so kommen.“ Es sah so aus, als hätte ich ihn nicht schlimm getroffen; denn er stand immer noch. „Eines Tages ergeht es dir so wie mir – eines Tages…“ sagte er noch, und dann kippte er zur Seite. Er war tot. Das alles wäre heute, da wir geordnete Verhältnisse haben, ungeheuerlich. Doch damals war es gar nicht so außergewöhnlich, so kurz nach dem Krieg, jenseits von Recht und Gesetz in einem Banditenland an einer heißen Grenze. Ich atmete langsam aus und sah mich schnell und scharfäugig um, ob jemand von den Hauspolizisten, Spielern oder Barkeepern seine Partei ergreifen würde; denn damit mußte ich rechnen. Doch ich hatte Glück. Niemand wollte es mir geben, - 43 -
ihn rächen. Er war tot – ein toter Townwolf, der lange genug Anführer eines Rudels war und von einem anderen Wolf abgelöst wurde. Ich sagte in die Stille: „Er war dumm. Jeder, der den Boß betrügen will, ist dumm. Sollte im Spielsaal noch einmal ein Spielgewinn ausgezahlt werden, der gar nicht gemacht wurde, dann…“ Ich sprach nicht weiter, sondern schnackelte nur mit drei Fingern. Aber sie begriffen auch so. Plötzlich wußten sie, warum Rio Carlos Alvarez mit seinem Glück am Ende war. „Ich könnte euch alle rauswerfen“, sagte ich. „Doch ich weiß, daß Rio Carlos euch beherrschte. – Nun, jetzt werde ich euch auf gleiche Art beherrschen. Für einen Monat bekommt ihr nur das halbe Gehalt. Damit kommt ihr noch gut weg, nicht wahr?“ Sie gaben mir keine Antwort. Doch ich konnte ihnen ansehen, daß sie selbst der Meinung waren, gut weggekommen zu sein. *** Eine halbe Stunde später betrat ich das Zimmer, in dem bisher Rio Carlos gewohnt hatte. Der Hausneger aus dem Hotel, das ebenfalls Socorro Concho gehörte, hatte das Bett frisch überzogen und Rio Carlos Alvarez’ Siebensachen entfernt. Ich machte die Lampe aus, stellte mich ans Fenster, rauchte eine Zigarette und dachte nach. Wo war Kirby? Und was war in dieser Stadt los? War Socorro Concho der Boß? – Oder gab es hier noch andere Männer, die Macht und Einfluß besaßen? - 44 -
Der Marshal jedenfalls war ein zweitklassiger Bursche. Das bedeutete in diesem gesetzlosen Land, daß er ein Handlanger von Hintermännern war. Er hatte sich im El Tuma Saloon Spielgewinne auszahlen lassen, die er gar nicht machte. Damit hatte er Socorro Concho betrogen. Ich begriff, daß ich noch eine Menge über die Stadt und die Menschen in Erfahrung bringen mußte. Vor allen Dingen wollte ich jetzt erst mal schlafen. Denn ich war unter den Townwölfen eine Art Oberwolf geworden. Ich würde mich nur mit guten Nerven und im Vollbesitz all meiner Fähigkeiten an der Spitze behaupten können. Ja, ich mußte schlafen. Als ich auf dem Bett lag, glaubte ich zuerst, daß ich lange nicht einschlafen könnte. Doch dann war ich plötzlich weg und erwachte erst, als die Sonne hoch am Himmel stand. Als ich zu einem späten Frühstück in das Restaurant ging, sah ich nicht wenige Gäste, ein Zeichen, daß hier nicht alle zu den Frühaufstehern gehörten. Vor der Schmalwand des Speiseraumes stand ein großer Tisch. Dahinter saß ein Mann, der sofort an einen fetten Eber denken ließ. Seine hellhaarige Rosigkeit täuschte einen Burschen wie mich nur auf den ersten Blick. Als er mich kauend ansah, erkannte ich in seinen wasserhellen Augen die Härte. Und plötzlich wußte ich – mein Instinkt sagte es mir – , wer der Boß in dieser Stadt war. Er winkte mit einem seiner dicken Finger und deutete auf den Platz zu seiner Rechten. Ich sollte mich also rechts von ihm an die Schmalseite des Tisches setzen. Hinter dem Dicken hingen an der Wand die Flagge - 45 -
von Texas – jenes bunte Tuch mit einem blauen, senkrechten Drittel, in dem sich der Lonestar befand, und den beiden waagerechten Dritteln in weiß und rot – und die Flagge der Union. „Setzen Sie sich“, sagte der Dicke. „Ich bin Richter Robert Jeffreys, und ich weiß schon, daß Sie Rio Carlos Alvarez’ Nachfolger sind. Wir müssen gleich wegen der Todesursache verhandeln. – Alles muß seine Richtigkeit haben. Aber erst wollen wir uns stärken, junger Freund. Nur ein kräftiges Essen hält Leib und Seele zusammen. – Wie war doch Ihr Name, mein junger Freund? – Jim Jones? – Und wie noch?“ „James Archibald Jones“, sagte ich, „um es genau zu sagen, Euer Ehren.“ Er nickte, kaute dabei unentwegt und schnaufte durch die Nase, weil er mit seinem vollen Mund schlecht Luft bekam. Ich schätzte sein Gewicht auf dreihundert Pfund. Aber er war kein richtiger Fettwanst. Ich erkannte sofort, daß in seinem Fett gewaltige Muskeln verborgen waren. Bei einem Chinesenjungen bestellte ich mein Frühstück. Während ich wartete, betrachtete mich Richter Robert Jeffreys immer wieder. In seinem Blick war eine tiefe Nachdenklichkeit. „Plötzlich fragte er: „Kennen Sie zufällig die StarretBrüder?“ Ich nickte. „Ja, ich hörte von Mister Concho schon den Namen. Ich glaubte, er fürchtet sich vor dem dritten Starret. – Einer soll ja im Saloon von Rio Carlos getötet worden sein. – Was ist denn mit den Starrets, Euer Ehren?“ Er grinste und zeigte starke, gesunde, feste Zahnreihen mit denen man Steine zu Pulver zermahlen könnte. „Erzählen Sie mir alles über die Starret-Brüder“, - 46 -
verlangte er hart. Das tat ich folgsam. Ich erzählte ihm nicht mehr und nicht weniger, als ich Socorro und Dolores Concho erzählt hatte. Und als ich fertig war, stellte ich meine Frage nicht noch mal. Es wäre zwecklos gewesen. Er sah mich an. „Ja, ich erinnere mich, daß ich bei der Leichenschau-Verhandlung feststellen mußte, daß man wieder einmal unvorsichtig mit Schußwaffen hantiert hatte. – Was mit den Starrets ist, mein junger Freund? Nun, Tom Starret ist tot. Sein Bruder Kirby ist verschollen. Man muß annehmen, daß eines Tages der dritte Starret auftauchen wird. – Aber nun ist ja Rio Carlos Alvarez tot. Sie heißen Jim und haben ihn erschossen, mein junger Freund. Wenn Sie wie die beiden anderen Starrets aussehen würden, könnt man glauben, Sie wären Jim Starret, der seinen Bruder rächte.“ Nun hatte er sich verraten. Er hatte Kirby also gesehen und kannte dessen Ähnlichkeit mit Tom. Ich grinste. „Wer heißt nicht Jim, Jack, Bill oder Tom? – Rio Carlos wollte ich nicht erschießen, sondern in Mister Conchos Namen entlassen. Aber mich interessiert diese Sache allmählich. Dieser Kirby Starret muß doch in El Tuma verschwunden sein. Warum wäre sonst sein Bruder Tom hier aufgetaucht? Und weil jemand Angst hatte, daß er Kirbys Verschwinden aufklären könnte, wurde er getötet. – So könnte es doch sein – oder?“ Robert Jeffreys hört mit dem Kauen auf. „Junger Freund“, sagte er, „Sie sind fremd hier und sollten Ihr Hirn nicht so anstrengen. – Ob Socorro Concho Sie behalten wird, ist noch längst nicht sicher. Um so mehr Grund haben Sie, sich nur um Ihre Arbeit zu - 47 -
kümmern.“ Er wandte den Kopf und blickte zur Tür. Dort kamen Brett Jeffreys, der offenbar der jüngere Bruder des Richters war und deshalb hier Marshal sein durfte, und zwei Barkeeper vom Saloon herein. Sie kamen bis an den Tisch und blieben stehen. Robert Jeffreys schob seinen noch halbvollen Teller zur Seite und nahm ein kleines Hämmerchen und ein abgegriffenes Buch aus der Tischlade. Es war das Gesetzbuch von Texas, als Texas noch eine Republik war. Diese Ausgabe von 1842 war längst ungültig, da Texas seit 1846 der Union angehörte und seitdem kein selbständiger Staat mehr war, sondern ein Bundesstaat wurde. Dieser Bursche amtierte mit einem ungültigen Gesetzbuch. Er klopfte mit dem Hammer. Alle Gäste mußten sich erheben. Er eröffnete die Verhandlung über einen bedauerlichen Todesfall. Dann durften wir uns wieder setzen. Die beiden Barkeeper starrten mich an und sagten dann, daß Rio Carlos zuerst gezogen hätte. Robert Jeffreys nickte und gab bekannt, daß wieder einmal wegen unvorsichtigen Hantierens mit Schuß waffen ein Mensch zu Tode gekommen sei und keinem anderen außer ihm die Schuld zugeschrieben werden könne. Er fragte nach dem Nachlaß und bekam vom Marshal die Auskunft, daß der Tote außer seinem Pferd und einigen persönlichen Sachen nichts hinterlassen hätte. Aber das war bestimmt gelogen. Rio Carlos hatte gewiß Geld besessen. „Das Pferd wird von der Stadt zur Deckung der Unkosten verkauft“, sagte Robert Jeffreys und sah mich - 48 -
an. „Es ist ein gutes Pferd. Sie können es für hundert Dollar bekommen. Wollen Sie?“ Ich leckte mir über die Lippen und sah dabei in seine Augen. Ich erkannte die mitleidlose Härte, die eiskalte Drohung. Ja, er war der Boß dieser Stadt. Sein Bruder Brett mit dem Blechstern war nur ein kleiner Wicht und Handlanger. – Die Macht dieses „Richters“ stand auf einer völlig anderen Basis. Ich nickte. „Ja“, sagte ich, „ein Pferd brauche ich ohnehin. Das Tier wird es gut bei mir haben und seinen bisherigen Herrn bald vergessen.“ „So ist es richtig“, nickte er, wartete, bis ich ihm hundert Dollar hingelegt hatte, und verkündete, daß die Verhandlung geschlossen sei und in zehn Minuten die neue Verhandlung stattfinde. Er ließ Hämmerchen und Gesetzbuch vom Tisch verschwinden, zog seinen Teller heran und aß weiter. Er aß das Fleisch eines auf mexikanische Art zubereiteten Ferkels mit Weißbrot und trank roten Wein dazu. Auch ich füllte meinen Magen, und ich war nun doch etwas verwirrt. Deshalb aß ich mechanisch. Was ich soeben erlebte, war nichts anderes als eine Farce. Aber jetzt wußte ich richtig Bescheid. Diese Town hier, die sich El Tuma nannte, war voller Wölfe. Und Robert Jeffreys war der Leitwolf. Ich selbst war im El Tuma Saloon nur ein kleiner Wicht. Und Socorro Concho war es wahrscheinlich auch, höchstens ein Partner. Wenn ich nur herausbekommen könnte, was sie mit Kirby gemacht hatten! Ich war kaum mit dem Essen fertig, als Brett Jeffreys einen Gefangenen hereinstieß. Es handelte sich um einen - 49 -
Mexikaner. Er war ziemlich übel zugerichtet. Man sah ihm an, daß er verprügelt worden war. Nun wiederholte sich noch einmal alles. Wir mußten aufstehen. Der Richter eröffnete die Verhandlung. Dann durften wir uns wieder setzen. An den anderen Tischen wurde weitergegessen und auch getrunken. Wie ich bald hörte, hieß der Gefangene Pedro Gonzales und wurde des Pferdediebstahls beschuldigt, was er jedoch wütend bestritt. Aber dann kamen zwei Zeugen, und als Robert Jeffreys diese gehört hatte, stand für ihn die Schuld des Mexikaners fest. Wir mußten uns wieder erheben. Dann sagte dieser schuftige Richter: „Du bist schuldig, nichts als schuldig. Und ich werde dir sagen, was geschehen wird. Nichts Besonderes! Die Jahres zeiten werden weiterhin kommen wie eh und je, der Frühling mit seinen grünen Wiesen und duftenden Blu men, der heiße Sommer mit seiner flimmernden Hitze über den Hügeln, der Herbst mit all seinen bunten Far ben, und schließlich wird der kalte Winter kommen. Aber du wirst nicht mehr sein, um den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter zu sehen. Nicht einen einzigen Blick wirst du in die Schönheiten der Natur tun. Denn du hast ein Pferd gestohlen. Du bist schuldig. Du wirst hängen, bis du tot bist – du olivenfarbener Sohn eines Ziegenbockes! In die Zelle mit ihm! Die Verhandlung ist geschlossen.“ Das war ungeheuerlich. Ich konnte es zuerst gar nicht glauben und dachte an einen verrückten Traum. Doch es war Wirklichkeit. Dieser Bursche hier, der wie ein feister Eber hinter seinem Tisch hockte, hatte soeben ohne Jury einen Menschen zum Tode verurteilt - 50 -
und trank jetzt seinen roten Wein. Heiliger Rauch, wie konnte er sich solch eine Macht anmaßen? Und niemand von den Anwesenden hatte etwas dagegen zu sagen. Ich erhob mich. Robert Jeffreys kaute schon wieder und fragte: „Wohin, mein junger Freund vom Sam Saba River?“ „Ich will das Pferd begutachten, das ich für hundert Dollar kaufte“, erwiderte ich. „Und dann würde ich mir gerne die Stadt ansehen, in der ich einen so gutbezahlten Job bekommen habe.“ Er nickte. „Ja, es ist ein guter Job – aber auch gefährlich. Na schön, mein junger Freund. Ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Sollten Sie mal ausreiten wollen und Lust haben, sich meine große Ranch anzusehen, dann sagen Sie meinen Reitern, die Sie un terwegs vielleicht anhalten, daß Sie meine Erlaubnis besitzen.“ „Danke, Euer Ehren“, erwiderte ich. Dann ging ich hinaus. Ich konnte sehen, wie sie den kleinen Mexikaner ins Town-Gefängnis brachten. Er wehrte sich immer noch nach Leibeskräften. Niemand beachtete seine Not. Die Straße war leer. Das konnte nicht nur an der nun zunehmenden Mittagshitze liegen. Ich erinnerte mich an die Gäste im Restaurant. Es waren zumeist scharfgesichtige, hartäugige Burschen gewesen, Spieler und Revolverschwinger. Nun fragte ich mich, ob sie den Mexikaner wirklich hängen würden. Robert Jeffreys hatte nicht gesagt, wann das Urteil vollstreckt werden sollte. Hatte dieser Mexikaner vielleicht etwas, was die Banditen hier gerne übernehmen würden? - 51 -
Ich kannte mich einigermaßen in den Praktiken jenseits des Pecos – in diesem von Banditen beherrschten Land – aus. Plötzlich fragte ich mich, was sie wohl mit Kirby gemacht hatten – mit einem Mann, der hier viele Einkäufe machte und mit Goldstaub bezahlte. Goldstaub! Das war es. Diese geldgierige Bande hier hatte es auf den Ort abgesehen, von dem Kirbys Goldstaub stammte. Plötzlich war mir alles so klar. Aber ich kannte Kirby. Der würde es ihnen nicht sagen. Er würde durchhalten und auf seine Brüder warten. Sie würden viele, viele Tage oder Wochen nötig haben, um Kirby weich zu bekommen. Und sie mußten ihn zumindest so lange leben lassen, bis er sie zu der Goldmine geführt hatte. Plötzlich wußte ich, daß ich nicht mehr so sehr in Zeitdruck war. Ich ging in Richtung zum Mietstall. Der Weg führte mich am Gefängnis vorbei. Als ich in der Nähe der Tür war, kam Brett Jeffreys heraus, sah mich, spuckte mir einen Zigarettenstummel vor die Füße und sagte: „Du Hundesohn hast mich um eine gute Nebeneinnahme gebracht. – Erwarte nur nicht, daß ich dein Freund bin!“ Ich nickte. Und als ich dann sprach, sagte ich nicht mehr „Sir“ zu ihm wie am Anfang unserer Bekanntschaft. Ich sagte: „Paß auf, du krummer Hund. Dein großer Bruder und auch Concho dulden dich hier, obwohl du nicht viel auf dem Kasten hast. Wenn du mir noch einmal vor die Füße spuckst, dann lasse ich dich meine Stiefel ablecken. Hast du mich verstanden?“ Er wurde ganz käsig und wußte, daß er mich nicht länger bluffen konnte. Er war ein Wicht und mußte froh - 52 -
sein, im Schütze seines Bruders und mit Socorro Conchos Duldung hier zu existieren. Und er wußte immer noch nicht, wie Concho es aufnehmen würde, daß er sich Gewinne hatte auszahlen lassen, die ihm gar nicht zustanden. Als ich weiterging, starrte er schweigend hinter mir her. Aber ich wußte, daß er eine Ratte war. Vor ihm mußte ich mich vorsehen. 5. Ich sah mir die Stadt an, ging auch im Mexikanerviertel in alle Gassen und Winkel, streifte herum, bis ich sicher war, daß ich mich auch mit verbundenen Augen einigermaßen zurechtfinden konnte. Und die ganze Zeit wurde ich beobachtet. Es waren niemals für längere Zeit die gleichen Burschen, die mir scheinbar zufällig auf den Fersen waren oder gerade dort herumstanden oder in der Sonne hockten, wo ich war. Aber sie beobachteten mich nicht im eigenen Interesse. Ich wußte, daß ich in dieser Stadt keinen einzigen unbeobachteten Schritt tun konnte. Robert Jeffreys und wahrscheinlich auch Socorro Concho ließen mich nicht mehr aus ihrer Kontrolle. Aber mir war das vorerst gleichgültig. Sie konnten nichts Verdächtiges daran finden, wenn ein Bursche, wie ich ihn spielte, sich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut machte. Es wäre ihnen höchstens verdächtig vorgekommen, wenn ich es nicht getan hätte; denn jeder Wolf durchsucht sein neues Revier. Die ganze Zeit dachte ich an meinen Bruder Kirby. Befand er sich irgendwo in diesen Häusern? Hielten - 53 -
sie ihn gefangen und versuchten immer noch, die Lage der Goldmine ausfindig zu machen? Wie hart machten sie es mit ihm? Und wie lange konnte er ihnen noch standhalten? Plötzlich dachte ich an den Mexikaner – Pedro Gonzales hieß er, wie ich mich erinnerte – , der wegen Pferdediebstahls zum Tod verurteilt worden war. Nun war es nicht so, daß mir ein Pferdedieb leid getan hätte, denn ich gehörte zu jener Sorte von Texanern, die Pferdediebstahl und Mord für die gleiche Sache hielten. Ein Pferd könnte nämlich in der Wildnis so ungeheuer wichtig sein, daß das Leben eines Mannes davon abhing. Ohne Pferd war er vielleicht verloren und kam um. So sahen wir Texaner die Sache. Ich hatte also kein Mitleid mit einem Pferdedieb – nur war ich in diesem Fall nicht davon überzeugt, daß Pedro Gonzales einer war. Die Aussagen der beiden Zeugen hatten mir nicht gefallen. Dafür gefiel mir der kleine Mex besser, und er hatte offenbar keine Freunde, die bereit waren, sich seinetwegen mit diesem Robert Jeffreys in einen Verdruß einzulassen. Während ich mir beim Barbier die Haare schneiden und die Bartstoppeln abrasieren ließ, kam ich zu dem Entschluß, diesem Pedro Gonzales zu einer Chance zu verhelfen. Ich mußte dies ganz einfach tun. Aber wie? Nun, bis zur Nacht würde mir schon noch etwas einfallen. Da ich vom Barbier so feingemacht worden war, wagte ich mich diesmal am neuen Tag in den Store. Doch ich erlebte eine Enttäuschung. Ein grauköpfiger Mexikaner stand hinter dem Ladentisch und fragte nach meinen Wünschen. - 54 -
Zuerst wollte ich sie ihm sagen. Aber dann beschloß ich, mein Glück zu versuchen. „Ich möchte Miß Cronin sprechen“, ließ ich ihn wissen. Während ich noch überlegte, kam sie aus dem kleinen Büro, dessen Tür eine Handbreit offen war. Sie tat überrascht, mich zu sehen, doch ich hätte sogar meine einzige Hose darauf gewettet, daß sie meine Stimme erkannt hatte. „Ach, wir haben ja einen Kunden im Laden“, sagte sie. „Dabei wollte ich dich bitten, ins Magazin zu gehen und die gute Seife zu zählen, Juan. Wir müssen noch sieben Kartons zu je einem Dutzend haben. Und wie ist es mit den Kerzen? Wie viele und welche Größen haben wir noch? – Ich werde diesen fremden Mister bedienen, Juan.“ Als ich ging, verbeugte ich mich und sagte: „So fremd bin ich gar nicht, Miß Stella. Ich war gestern nur als Höhlenmensch verkleidet. Doch nun können Sie mich in meiner ganzen Schönheit bewundern. – Wenn Sie sich nicht in den nächsten fünf Minuten in mich verlieben, muß – so fürchte ich – bei Ihnen etwas nicht ganz stimmen.“ Sie blieb ganz ernst, betrachtete mich, nickte und sagte dann: „Ja, Sie erinnern mich an Bruce, den ich einmal sehr liebte. Er war auch so dunkel wie Sie und hatte den gleichen listigen Blick. – Ja, je länger ich Sie sehe, um so mehr erinnern Sie mich an Bruce, um den ich damals sehr geweint habe.“ Ich wußte, daß sie ein Biest war, hinterhältig, wenn es darum ging, mir eins drauf zugeben. Doch ich hatte sie noch unterschätzt. Denn als ich zufrieden grinste, sagte sie spöttisch: „Bruce war mein Hund und sah fast wie ein - 55 -
schwarzer Ziegenbock ohne Hörner aus. Ich mochte ihn dennoch, weil er sich für einen schönen Hund hielt. Er tat mir auch leid, weil jeder Mensch über ihn lachte. – Was wollen Sie, Mister Jones?“ Da hatte ich es. Sie war wie eine in Salzsäure getauchte Kratzbürste. Ich deutete auf mein Hemd. „Weiße Hemden“, sagte ich, „bleiben nicht lange weiß. Ich möchte noch drei Stück kaufen – zwei weiße und ein blaues. Ich liebe die blaue Farbe besonders; denn sie ist die Farbe der Hoffnung. Aber wenn Sie, Stella, lieber hätten, daß…“ „Sie haben keine Ahnung“, sprach sie. „Grün ist die Farbe der Hoffnung! – Was meinen Sie, wie gleichgültig mir ist, welche Farbe Ihre Hemden haben?“ „Ich wette“, sagte ich, „daß das Feuer ausgeht, wenn Sie auch nur in den Ofen sehen.“ Da wurde sie wütend. „Raus!“ fauchte sie. „Machen Sie sich fort!“ „Nicht ohne Hemden“, erwiderte ich. Da wurde sie plötzlich sehr ernst. Sie betrachtete mich seltsam. „Was sind Sie für ein Mann?“ fragte sie. „In der Nacht erschossen Sie Rio Carlos Alvarez. Und wenige Stunden später kommen Sie hier als Witzbold herein. Ich wüßte gerne, ob Ihnen so viel fehlt, daß Sie gar nicht begreifen, was Sie tun – oder ob Sie hier nur eine Vorstellung geben wie ein Schauspieler.“ Sie trat zum Regal, in dem die Hemden gestapelt waren, suchte mir welche heraus und packte sie ein. Ich gab ihr keine Antwort. Erst als ich zahlte und sie das Wechselgeld zusammensuchte, fragte ich: „Was ist mit diesem Pedro Gonzales? Ist er wirklich ein Pferdedieb?“ - 56 -
Sie sah mich fest an. „Vielleicht“, sagte sie, „vielleicht auch nicht. Pedro Gonzales besitzt einen kleinen Rancho am Fluß. Es gibt dort eine feste Furt nach Mexiko hinüber. Pedro Gonzales besitzt wenigstens ein halbes Dutzend Pferde. Warum sollte er eins stehlen? Man kann bei Pedros Anwesen über den Fluß, ohne die Fähre zu benutzen oder schwimmen zu müssen. Man sagt, Pedro wäre mit den mexikanischen Schmugglern verbündet. – Wenn nicht mehr er, sondern ein anderer Mann Besitzer des kleinen Ranchos ist, dann müssen sich die Schmuggler von drüben mit diesem neuen Besitzer einigen. – Aber das könnte Ihnen jedes Kind in dieser Stadt erzählen.“ Sie gab mir das Wechselgeld. Und wieder sah sie mich ernst an. „Wer reißt hier alles an sich – Robert Jeffreys?“ fragte ich. Und weil sie mir nicht gleich antwortete, fragte ich weiter: „Oder ist Socorro Concho der große Mann? – Wollen Sie es mir sagen? Ich habe weder Freunde noch gute Bekannte hier. Ich weiß nicht, was in dieser Stadt und in diesem Land los ist.“ Sie stand klein, zierlich und dabei doch so weiblich, still hinter dem Ladentisch. Und sie sah mich nicht mehr an, sondern blickte ins Leere, als könne sie vor ihren Augen irgendwelche Bilder sehen. Es mußten keine guten oder schönen Bilder sein, denn in ihrem Gesicht erkannte ich Sorge und Angst. Und ihr ausdrucksvoller Mund zuckte. „Es gibt außer Robert und Brett Jeffreys auch noch ihren Bruder Jack, und wenn Sie bisher glaubten, Robert wäre der große Jeffreys, dann irren Sie sich, Jim Jones. – - 57 -
Jack Jeffreys ist der Mann, auf den man achten muß. – Und er hätte Socorro Concho längst wie eine Laus zerdrückt, wenn Dolores Concho nicht wäre. – Ich aber besitze noch meinen Store, weil…“ Sie brach ab. Doch dann nahm sie ihr Kinn noch etwas höher. „Ich stehe unter Socorro Conchos Schutz“, sprach sie etwas spröde weiter. „Er hofft, daß sein Saloon, sein Hotel, die Fracht und Postlinie, mein Store und einige Dinge einmal zusammengehören. Wenn er erst herausfindet, Jim Jones, daß Sie mir den Hof machen, dann wird er Ihnen zeigen, daß er Ihr Boß ist. – Sehen Sie nun klar?“ Er nickte stumm. Die Jeffreys beherrschten das Land. Sie besaßen eine große Ranch und damit auch eine starke Mannschaft. Sie waren eines Tages in die Stadt gekommen, die von Socorro Concho beherrscht wurde. Dann hatten sie sich mit ihm verbündet; denn er hatte nicht nur die Stadt in der Tasche, sondern besaß auch die einzige Fracht- und Postlinie im Land. Robert Jeffreys hatte es dann fertiggebracht, sich zum Friedensrichter und seinen Bruder Brett zum Town Marshal zu machen oder wählen zu lassen. Damit hatten sie Socorro Concho schon etwas in die Ecke gedrängt. Und Jack Jeffreys hätte ihn vielleicht schon erledigt, gäbe es nicht die schöne Dolores. Ja, jetzt sah ich ziemlich klar. Ich sagte nichts mehr; denn inzwischen war ein Bursche in den Store gekommen und wartete darauf, bedient zu werden. Er war einer der Kerle, die mich unter Beobachtung hielten. Ich ging mit einem höflichen Gruß, - 58 -
Und was ich über Pedro Gonzales gehört hatte, war besonders interessant. *** Das Zimmer, das ich von Rio Carlos Alvarez übernommen hatte, lag sehr günstig im ersten Stock des Hotels, das vom Saloon nur durch eine Gasse getrennt war. Es lag nach hinten, und man konnte es nicht nur durch den Vordereingang von der Hotelhalle aus er reichen, sondern auch über die Hintertreppe, die außen hoch führte. Es war ein Zimmer mit zwei Ausgängen. Überdies konnte man vom Fenster auf das Dach und von diesem auf weitere Dächer springen. Die Hauslücken und Gassen waren keine besonderen Hindernisse. Jeder einigermaßen behende Mann vermochte sie zu überspringen wie einen schmalen Bach. Ich hielt mich in diesem Zimmer nicht lange auf, sondern legte nur die Hemden ab. Dann ging ich in den Saloon. Hunger hatte ich noch keinen, obwohl es Mittag war. Ich hatte zu spät und zu reichlich mit Richter Robert Jeffreys gefrühstückt. Gemächlich begann ich, den großen El Tuma Saloon, der in der ganzen Stadt keine Konkurrenz hatte, von oben bis unten zu inspizieren. Die meisten Angestellten hatten noch dienstfrei und lungerten in ihren primitiven Un terkünften dicht unter dem Dach herum. Ich spürte überall, daß sie mich nicht mochten. Aber wahrscheinlich mochten sie niemals den Mann, der ihnen Befehle gab. Auch Rio Carlos hatten sie nicht gemocht – außer einigen Spielern vielleicht, mit denen er die Betrü gereien machte. - 59 -
Ich durchstöberte auch die Kellerräume, von denen es sehr viele gab. Das Erdgeschoß des Saloons war gemauert, und die Keller wurden gewiß schon von den Spaniern angelegt. Kirby sollte hier im Saloon verschwunden sein. Später hatte es geheißen, er wäre in aller Frühe fortgeritten. Ich konnte ihn nicht finden, so sehr ich auch nach irgendwelchen Geheimgängen suchte. Es gab auch keine verborgenen Falltüren. Nur die Privaträume der Geschwister Concho durchsuchte ich nicht; denn das hätte ich schlecht erklären können. Socorro Concho war nicht in der Stadt. Man sagte mir, daß er ausgeritten wäre. Als ich dann am Nachmittag Hunger spürte und zum Restaurant gehen wollte, kam ein Chinajunge und bat mich zu Dolores Conehö. Sie hatte in ihrem Wohnzimmer zum Tee decken lassen. Es gab auch Kuchen. Doch ich glaubte nicht, daß sie ihn selbst gebacken hatte. Stella Cronin hätte ich das zugetraut. Ich setzte mich, nachdem ich der schönen Dolores versichert hatte, wie geehrt ich mich fühlte, mit ihr so privat eine Teestunde genießen zu dürfen. Nachdem ich eine Tasse Tee getrunken und ein Stück Kuchen gegessen hatte, fragte ich, was sie von mir wollte. Sie war nicht ärgerlich darüber, daß ich trotz ihrer Schönheit so nüchtern blieb. Sie lächelte und sagte: „Jim, es gefällt mir, daß Sie sofort wußten, was meine Einladung zu bedeuten hatte. – Dennoch muß ich Sie fra gen: Jim, gefalle ich Ihnen?“ Ich nickte. „Mächtig“, sagte ich. „Sie sind wie eine samtblaue Sternennacht . mit wilden, schönen, süßen - 60 -
Düften – eine Nacht mit Feuer…“ Ich schwieg etwas hilflos und machte eine resignierende Handbewegung. „Ich bin kein Dichter“, sagte ich. „Und da ist auch noch etwas – ich meine, daß Sie etwas wollen. Ich bin ein ziemlich häßlicher Bursche, der wie ein als Weißer verkleideter Comanche aussieht…“ „Aber ein Mann sind Sie, ein besonderer Mann – ein Mann, der mit Rio Carlos zurechtkommen konnte“, unterbrach sie mich. Dann kam sie zu mir auf das Sofa und setzte sich dicht neben mich. Ich konnte durch die Kleidung die Wärme ihres Körpers spüren. Sie benutzte ein besonderes Parfüm, und sie war eine Frau, wie ich noch keine sah. Einen Moment lang mußte ich den Atem anhalten. Doch dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Und weil ich inzwischen schon mehr wußte als in der vergangenen Nacht, sagte ich trocken: „Dolores, Sie wollen Hilfe. – Sie halten mich für einen Revolvermann, den man gern auf der eigenen Seite hätte. Inzwischen weiß ich mehr über dieses Land und diese Stadt. Ihr Bruder war hier der große Mann, bis die Jeffreys kamen und noch größer wurden. – Jack Jeffreys ist hinter Ihnen her, und wenn er sich keine Hoffnungen machen würde, hätte er Ihren Bruder schon wie eine Laus zerquetscht. – Soll ich Socorro gegen die Jeffreys helfen?“ Das war eine klare Frage. Sie rückte nicht von mir weg, nein, sie blieb dicht bei mir, und ob ich wollte oder nicht, ich konnte mich dem Einfluß ihrer Macht nicht ganz entziehen. Ich ertappte mich bei einigen Wünschen, die mit dieser schönen Edelkatze zusammenhingen. Ich fragte - 61 -
mich tatsächlich ernsthaft, ob sie mich eines Tages auch mit dem Herzen lieben könnte. Denn jetzt wollte sie mich nur um den Finger wickeln. Ja, sie war bereit, einen Preis für meinen Revolver zu zahlen. „Ja“, murmelte sie, „Socorro braucht einen treuen Helfer. Rio Carlos Alvarez war schon auf der JeffreysSeite, – Du bist Rio Carlos’ Nachfolger, und ich will alles tun, damit du auf unserer Seite bleibst. – Wirklich!“ Nun sah ich in ihren dunklen Augen die Angst. „Ihr fürchtet euch hier vor einer ganzen Menge“, sagte ich. „Wie war das mit den Starrets? Ein Starret soll von Rio Carlos getötet worden sein. Aber er war der zweite Starret, der in die Stadt kam. Was geschah mit dem Starret, der zuerst kam? – Das ist wohl der Schlüssel zu dieser Sache, nicht wahr?“ Nun war ihre Angst wieder weg. In ihren Augen erkannte ich wachsames Mißtrauen. „Na schön“, murmelte ich. „Ihr wollt mich auf eurer Seite haben, weil mein Colt schnell ist und mit meiner Hilfe euer Gegengewicht zu den Jeffreys wieder etwas größer wird. – Aber ich will hier nicht im Dunkeln herumtappen. Was ist mit den Starrets? Warum hättet ihr mich für einen Starret gehalten, wenn ich auch nur eine Spur von Ähnlichkeit mit den beiden, die hier in der Stadt waren, hätte? – Was ist passiert?“ Sie dachte nach, und sie wog alles gegeneinander ab. Dann sagte sie: „Zuerst kam Kirby Starret. Er bezahlte drüben im Store und später auch hier im Saloon mit Gold. Er holte Proviant und Ausrüstung für mehrere Männer. Jedes Kind konnte sich ausrechnen, daß er von einer Goldmine kam. Die Townwölfe lauerten nur auf solche Gelegenheiten.“ - 62 -
Sie zögerte wieder. Ich aber ließ jetzt nicht mehr locker. Ich sagte: „Weiter! Wie ging es weiter? Wenn ich auf eurer Seite sein soll, genügt deine betörende Schönheit nicht. Würde sie genügen, wäre ich nur ein Hammel, dem man das Fell über die Ohren ziehen kann. Ich will Klarheit haben – über alles! Was wird hier gespielt?“ Nun sah ich wieder die Angst in ihren Augen. „Jack Jeffreys hat mir eine Frist gesetzt. Ich soll zu ihm kommen – für immer“, murmelte sie. „Er will mich wie einen schönen Gegenstand besitzen und in seinem großen Haus einsperren. Ich will nicht. Ich muß mit allen Mitteln kämpfen. Nein, ich will siegen, gewinnen, freikommen. Jim Jones, wenn du mir hilfst, wirst du es nicht bereuen.“ Sie machte wieder eine Pause. Doch ich wußte, daß sie nun die letzte Hürde nehmen würde. Jetzt würde ich erfahren, was mit Kirby geschah. Sie fuhr fort: „Kirby Starret wurde hier im Saloon mit Hilfe von Betäubungstropfen, die ihm einer unserer Barmänner in den Whisky tat, in wenigen. Sekunden in einen hilflosen Zustand versetzt Er glich einem sinnlos Betrunkenen. Wir brachten ihn in Socorros Büro und begannen ihn auszufragen. Er gab auch Antworten wie ein Betrunkener. Doch aus all dem wirren Zeug konnten wir heraussortieren, was für uns wichtig war. Er erzählte von sich, seinen beiden Brüdern und der Goldmine drüben in Mexiko. Wir bekamen jedoch nicht heraus, wo die Mine lag. Wir mußten warten, bis das Betäubungs mittel so viel von seiner Wirkung verlor, daß er in der Lage war, präzisere Angaben zu machen. Doch in der Zwischenzeit hatten die Jeffreys-Brüder von unserem Fang gehört, wahrscheinlich durch Rio Carlos Alvarez - 63 -
oder einen ihrer Spione, die sie unter unseren Leuten haben. Sie kamen her und holten Kirby Starret weg. Jack Jeffreys war selbst mit dabei, und er…“ Sie unterbrach sich, musterte mich und murmelte schließlich: „Ob du ihm gewachsen bist…“ „Das werden wir sehen“, sagte ich. „Er nahm also Kirby Starret mit, dieser Jack Jeffreys. Und dein Bruder wagte nicht, ihm zu widersprechen.“ „Nein – denn sie sind ja in vielen Geschäften Partner.“ „Zum Beispiel beim Schmuggel, nicht wahr, Dolores?“ Ihre Augen wurden etwas schmaler. ,,In der kurzen Zeit weißt du viel“, murmelte sie. „Waffenschmuggel?“ fragte ich. „Will wieder mal jemand dort drüben eine Revolution machen? Soll Juarez oder soll Kaiser Maximilian Hilfe bekommen?“ Als ich das sagte, war Kaiser Maximilian schon tot. Juarez hatte ihn erschießen lassen. Doch die Nachricht war noch nicht bis über die Grenze gekommen. Sie spielte auch keine Rolle für die Ereignisse in El Tuma. Waffen brauchte man in Mexiko immer. Sie mußten nur möglichst modern sein. „Ihr treibt hier mit der Frachtlinie deines Bruders Waffenschmuggel“, sagte ich ihr auf den Kopf zu. Und sie nickte. Nun war mir auch die Sache mit Pedro Gonzales klar. Trotzdem fragte ich: „Was ist mit diesem Pedro Gonzales, den man zum Tode verurteilt hat?“ „Ach, sie werden ihn laufen lassen, sobald er Jack Jeffreys seinen Rancho verkauft hat“, erwiderte Dolores. „Der Rancho von Gonzales grenzt nämlich an den Fluß, und es gibt dort die einzige Furt weit und breit, wo man - 64 -
mit schweren Wagen durch den Fluß fahren kann. – Die Jeffreys hatten Gonzales ein Angebot gemacht. Es war ihm zu niedrig. Er wollte einen Anteil am Gewinn. Und nun wird er froh sein, wenn er mit dem Leben davonkommt.“ „Das glaube ich auch“, murmelte ich. „Wo mag dieser Kirby Starret jetzt sein?“ fragte ich sachlich. „Bestimmt nicht mehr in der Stadt“, erwiderte sie. „Die Ranch der Jeffreys ist mächtig groß. Da gibt es viele Vorwerke und verborgene Camps. Sie haben ihn irgendwo festgesetzt. Oder Jack Jeffreys ist mit ihm und einigen Begleitern schon zur Goldmine unterwegs. Er war schon einige Tage nicht in der Stadt. Das Schlimme ist, daß Kirby Starret gewissermaßen in unserem Saloon verschwand und Rio Carlos dann Tom Starret tötete. – Nun muß mein Bruder sich vor dem dritten Starret fürchten, obwohl ihm Jack Jeffreys alles aus der Hand nahm und Rio Carlos mehr ein Mann der Jeffreys war als unser.“ Ich erhob mich. Mir war nun alles klar. Langsam trat ich ans Fenster und blickte zur Straße hinunter. Endlich wußte ich genau, in wessen Händen sich Kirby befand. Einen Moment spürte ich eine Art Panik. Vielleicht waren sie von Kirby inzwischen nach Mexiko zur Goldmine geführt worden. Aber schon beim nächsten Gedanken hielt ich es nicht für möglich. So schnell bekamen sie Kirby nicht klein. Das konnte noch Wochen dauern. Dolores Concho kam zu mir, trat hinter mich und fragte: „Stehst du auf meiner Seite, Jim?“ Ich wandte mich um und sah auf sie nieder. „Ich - 65 -
glaube – ja“, murmelte ich. „Auf jeden Fall kann ich dir versprechen, daß ich nicht auf der Seite der Jeffreys stehen werde. Eigentlich habe ich stets auf meiner Seite gestanden – immer und überall.“ „Ja“, sagte sie, „du bist zwar ein häßlicher Bursche, doch du bist ein Mann, ein richtiger Mann.“ Dann legte sie ihre Arme um meinen Nacken und küßte mich. 6. Am Abend ging der Betrieb im Saloon wieder los. Socorro Concho kam von irgendwoher in die Stadt geritten, müde und mißmutig. Er ließ das Pferd vor dem Saloon stehen und sagte mir im Vorbeigehen, ich solle das Tier von einem unserer Männer zum Mietstall bringen lassen. Der Mietstall gehörte ihm ebenfalls. Er verschwand im Büro. Ich konnte mir denken, daß er bei den Jeffreys war und sie alle zusammen aus Kirby noch nichts herausbekommen hatten. Ich schlenderte durch die Räume des Saloons und sah überall nach dem Rechten. Nirgendwo hatte ich irgend welche Schwierigkeiten oder mußte etwas beanstanden. Es lief alles wie geschmiert. Man respektierte mich als Manager dieses Saloons. All diese Burschen wollten nicht gefeuert werden. Daß ich ihr Gehalt für einen Monat um die Hälfte gekürzt hatte, war für sie eine wirksame Warnung. Es war für mich auch in dieser Nacht wieder erstaunlich, woher die vielen Gäste kamen und welch eine große Anziehungskraft der El Tuma Saloon auf alle Burschen auf fünfzig Meilen in der Runde ausübte. - 66 -
Man konnte fast glauben, daß ohne diesen Saloon die ganze Stadt völlig bedeutungslos wäre. Bis auf einen Streit zwischen Betrunkenen, der von den Rauswerfern und Hauspolizisten ohne mein Eingreifen geschlichtet wurde, blieb alles ruhig. Dann kam der Moment, da alles auf Dolores Conchos Auftritt wartete. Sie begann auch sehr pünktlich. Ich aber verließ den Saloon durch eine Seitentür. Die ganze Zeit hatte ich an diesen kleinen Pedro Gonzales gedacht und überlegt, was ich für ihn tun konnte. Jetzt war gewiß die beste Zeit; denn alles lauschte den Liedern der schönen Dolores und ließ kein Auge von ihr. Ich ging durch eine Gasse bis zur Hauptstraße. Schräg gegenüber lag das Gefängnis. Ich fragte mich, wo Brett Jeffreys stecken konnte. Im Saloon war er diesen Abend nicht. Wahrscheinlich getraute er sich nicht, hereinzu kommen, weil er doch zu den Burschen gehörte, mit denen Rio Carlos Alvarez seinen Boß betrogen hatte. Im Gefängnis brannte nur eine schwache Lampe. Ein müder Lichtschein war hinter den Fenstern des Marshal’s Office zu erkennen. Entweder hatte Brett Jeffreys die Lampe heruntergedreht, um es dunkel für ein Nickerchen zu haben, oder er trieb sich hier draußen herum und brauchte, wenn er wieder ins Office kam, die Flamme nur höher zu drehen und die Lampe nicht erst zu ertasten und anzünden. Ich überlegte noch, was ich tun sollte, da sah ich ihn kommen. Er wußte ja, daß Dolores sang. Das zog ihn an wie alle anderen Männer. Und wenn er sich auch nicht in den Saloon traute, so hatte er wahrscheinlich doch das - 67 -
Verlangen, an einer Seitentür zu lauschen. Ich zog mich tiefer in die dunkle Gasse zurück und quetschte mich in eine Mauernische. Ich hatte mich nicht getäuscht. Brett Jeffreys kam wirklich in die Gasse, und er kam hastig, weil er schon die Stimme von Dolores Concho und den Klang der Gitarren und der Trompete hörte. Er kam vorbeigestolpert, erreichte die Seitentür und wollte diese einen Spalt öffnen. Doch da war ich schon wie ein Schatten hinter ihm. Er reagierte zu spät. Ich traf ihn von oben mit dem Colt auf den Hut, bevor er dazu kam, sich umzudrehen. Er warf sich gegen mich, versuchte mich zu umklammern. Wie ein angeschlagener Preiskämpfer versuchte er sich an mir festzuhalten und so nahe an mich heranzukommen, daß ich ihn nicht noch mal schlagen konnte. Doch ich glitt einen Schritt zurück und traf ihn abermals. Er legte sich mit einem Seufzer hin. Ich zog ihn am Kragen tiefer in die Gasse hinein, so daß jemand, der zu fällig durch die Seitentür wollte, nicht über ihn stolpern würde. Dann nahm ich seinen großen Hut, den er nach Art der Mexikaner trug, und zog ihm auch die gelbbraune Cord jacke aus. Aus der Hosentasche nahm ich die Schlüssel. Als ich aus der Gasse trat, gab ich mir Mühe, seine Haltung nachzumachen und so zu gehen wie er. Auch auf der Hauptstraße war die Beleuchtung nicht besonders. Wer immer mich aus mehr als fünf Schritt Entfernung sah, der mußte mich für Brett Jeffreys halten. Ich ging zum Office, öffnete es mit dem Schlüssel und trat ein. Ich durchquerte es und erreichte den Zellenraum. - 68 -
Auch hier brannte nur eine schwache Lampe. Pedro Gonzales war der einzige Gefangene. Er lag auf der Pritsche an der linken der vier Zellen. Als ich eintrat, hielt auch er mich für Brett Jeffreys und sagte: „Und wenn ich eine ganze Woche nicht schlafen kann, weil du mir immer wieder einen Eimer Wasser auf den Balg schüttest, sobald ich auf der Pritsche liege – ihr bekommt meinen Rancho nicht, ihr Cabrons. Ich bin nur der kleine Pedro Gonzales, aber ich zeige es euch noch. Und wenn ihr mich wirklich hängen solltet, wie der schuftige Richter es sagte, dann…“ „Sei still, Amigo“, unterbrach ich ihn und nahm den Hut ab. Dann schloß ich die Zelle auf und sagte: „Nun komm schon, Compadre, komm! Ich kann sonst nichts für dich tun. Nur rauslassen kann ich dich. Dann mußt du allein zusehen, wie du für dich sorgst.“ Aber er kam nicht. Er sagte: „Jetzt weiß ich, wer Sie sind. Als der Bandit von einem Richter mich verurteilte, saßen Sie bei ihm mit am Tisch. – Ich glaube, es ist ein übler Trick, mich freizulassen.“ Ich wollte ungeduldig werden, wollte ihn einen Dummkopf nennen. Aber dann begriff ich, daß er mißtrauisch sein mußte. In dieser lausigen Stadt konnte keiner dem anderen trauen. Deshalb sagte ich: „Mann, ich kam in die Stadt, um mir einige Skalpe zu holen. Meinen Bruder Tom Starret habe ich schon gerächt. Nun suche ich noch meinen Bruder Kirby – jenen Mann, der in die Stadt kam und mit Goldstaub Einkäufe machte. – Ich habe keine Zeit zu verschwenden, Amigo, sondern meine ganz privaten Sorgen. – Bleib oder geh!“ Als ich mich abwandte, kam er hinter mir her. Nun - 69 -
glaubte er mir. Er wußte plötzlich, daß ich der Mann war, der Rio Carlos erschoß. Und er wußte auch, daß Rio Carlos vor einigen Tagen einen Fremden, der sich Tom Starret nannte, erschossen hatten Er trat hinter mir auf die Straße. Bevor er nach rechts in eine Gasse verschwand, flüsterte er: „Die heilige Mut ter wird es Ihnen vergelten, Senor! Vielleicht wird es eines Tages auch mir möglich sein, Ihnen einen Dienst zu erweisen. Die Jeffreys wollen meinen Rancho. Aber sie bekommen die Besitzurkunde nicht. Ich flüchte jetzt über den Fluß zu meinen Verwandten und Freunden – und ich habe eine ganze Menge dort drüben. – Sie waren sehr nobel zu mir, Senor.“ Dann war er weg. Als ich die Straße überquerte, war diese Sache für mich erledigt. Wie konnte ich auch wissen, daß ich diesem kleinen Pedro Gonzales bald schon mein Leben zu verdanken hätte – und nicht nur ich. Ich ging in die Gasse, entledigte mich der Jacke und des Hutes und lauschte eine halbe Minute auf Jeffreys Atemzüge. Er würde bald mit einem mächtigen Brummschädel erwachen. Als ich wieder in den Saloon trat, sang Dolores noch immer. Niemand achtete auf mich. Ich verspürte eine grimmige Zufriedenheit. Diesen Jeffreys, die sich mit uns Starrets angelegt hatten, konnte ich nun einen Streich spielen. Aber das sollte erst der Anfang sein. Ich machte in dieser Nacht meinen Dienst, sah den Spielern auf die Finger und dirigierte unsere Haus polizisten, Barmänner, Tanzmädchen und sonstigen Helfer. Ich kannte mich aus, denn ich war bei unserem Vater in diesem Milieu aufgewachsen. - 70 -
Gegen drei Uhr morgens machte ich mit den Spielern und Barmännern die Abrechnung. Ich verglich die Summen mit des Eintragungen der vergangenen Tage, und ich konnte feststellen, daß wir mehr Gewinn hatten als sonst, Socorro Concho war mit meiner Abrechnung zufrieden und sagte: „Wenn das so bleibt, dann sind Sie Ihr Geld wert, Jim Jones. Dann werde ich Ihnen bald den Saloon anvertrauen können, ohne viel zu kontrollieren. Ich habe eine Menge Geschäfte und müßte mal einige Tage verreisen. – Machen Sie so weiter, Jim! – Und achten Sie auf meine Schwester!“ „Vielleicht sollten Sie mich an Ihren anderen Geschäften auch teilnehmen lassen“, sagte ich. „Vielleicht würden Sie sich mit meiner Hilfe gegen die Jeffreys nicht mehr ganz so klein und allein fühlen.“ Er starrte mich an und schickte dann einen schnellen Blick zu seiner Schwester, die auch im Office war. „Hast du mit ihm gesprochen, Dolores?“ „Ich habe eine Menge selbst herausgefunden“, sagte ich. „Und ich wäre ein zweitklassiger Bursche, hätte ich das nicht geschafft. Überdies wurde ich ständig von verschiedenen Burschen beobachtet. Ich war auch bei der Gerichtsverhandlung gegen Gonzales dabei. Ich weiß ziemlich genau, wie hier alles läuft. Socorro, die Jeffreys nehmen Ihnen immer mehr aus den Händen. Auch Rio Carlos Alvarez war Ihnen nicht mehr treu. Ein Glück für Sie, daß Sie mich bekamen.“ „Vielleicht“, sagte er. „Wir werden sehen. Jim Jones, Sie haben mir noch nicht erzählt, woher Sie kamen und warum Sie so abgebrannt waren. – Irgendwo mußten Sie Pech gehabt haben. Halt! Sie brauchen mir es nicht zu sagen! Ich will es gar nicht von Ihnen hören. Ich habe - 71 -
vier Männer in alle Himmelsrichtungen geschickt. Bald werde ich herausbekommen und wissen, wer Sie wirklich sind, woher Sie kommen und warum Sie nicht einmal mehr ein Pferd und einen Colt hatten. – Dann werden wir weitersehen.“ Jetzt wußte ich, wie schlau er war – und wie mißtrauisch. Aber von sich aus gesehen tat er das einzig Richtige. Er verließ sich nicht auf das, was ich ihm erzählen würde. Er versuchte herauszufinden, was wirklich mit mir los war. Ich grinste nur. „Na schön“, sagte ich. „Ich kann warten. Mir geht es gut hier.“ Als ich mich zur Tür wandte, klopfte es. Ich öffnete und sah Mike Bennet draußen. „Gonzales ist befreit worden – und der Marshal lag bis vor einer Minute zusammengeschlagen in der Seiten gasse zwischen Saloon und Hotel!“ rief Mike Bennet Socorro Concho zu. „Komm her, Mike!“ brüllte Socorro Concho. Ich ließ den kleinen Wicht, der mich immer an eine vertrocknete Pflaume erinnerte, eintreten und schloß die Tür. Aber er hatte drinnen auch nicht mehr zu sagen als draußen. Socorro Concho stürmte plötzlich zur Tür und wollte hinaus. Doch er erinnerte sich rechtzeitig daran, daß er im Morgenmantel war und darunter nur einen seidenen Schlafanzug trug. „Gehen Sie zu Brett Jeffreys!“ sagte er. „Finden Sie heraus, was war! Pedro Gonzales darf nicht…“ Nun erst hatte er sich wieder unter Kontrolle und - 72 -
wußte, daß er dabei war, etwas zu sagen, was ihm vielleicht Schwierigkeiten bringen konnte. Ich aber begriff. Socorro Concho stand nicht hinter der Erpressung, die man mit Pedro Gonzales machen wollte. Im Gegenteil, die Jeffreys hatten sich das allein ausgedacht, um ihn noch mehr aus dem Spiel zu drängen. Er sollte von ihnen abhängig sein, wenn seine Wagen mit Schmuggelgut durch den Fluß rollten. Ich begriff es, und so hatte ich ihm eigentlich zum zweiten Male einen großen Gefallen getan. Ich ging hinaus und zum Marshal’s Office hinüber. Einige Leute standen neugierig herum. Ich betrat das Office. Brett Jeffreys saß in der Ecke vor dem Waschständer und preßte sich ein nasses Handtuch auf die Beulen. Als er mich sah, knurrte er böse: „Raus hier! Dir Hundesohn traue ich nicht über den Weg. Das hast du ge wiß in Socorro Conchos Auftrag getan. Doch meine Brüder werden dich…“ „Halt dein dummes Maul!“ sagte eine harte Stimme hinter mir. Ich wandte mich um und sah Richter Robert Jeffreys. Er war so leise hereingekommen wie ein Schatten. Trotz seines Gewichtes konnte er sich also leicht bewegen. Er sah mich an. „Wir werden Pedro Gonzales sicherlich wieder einfangen“, sagte er. „Ich habe schon einige Jungens losgeschickt. – Und wir zwei, mein lieber Jim Jones, machen morgen mal einen Spazierritt. Ich zeige Ihnen was. Gehen Sie! Legen Sie sich noch etwas aufs Ohr! In drei Stunden reiten wir.“ 7. - 73 -
Wir ritten einige Meilen schweigend. Dann hielten wir auf einem Hügel an und blickten uns um. Ich sah ein schönes Land mit guter Weide und reichlich Wasser. Es gab überall Rinder. Der Dicke zeigte in die Umgebung: „Alles gehört meinem Bruder Jack Jeffreys“, sagte er. „In den Kriegsjahren haben sich die Rinder wie Kaninchen vermehrt. Eines Tages wird man sie zu den Bahnlinien treiben. – Ein gewisser Jesse Chisholm hat damit schon angefangen. Wenn er es schafft, hat er allen Rinderzüchtern von Texas den Weg zu den Absatz märkten gezeigt. – wir werden reich sein. Die Rinder werden sich in viele blanke Dollars verwandeln. Man muß nur die Durststrecke überwinden und nach anderen Einkommensmöglichkeiten suchen. Man muß durch halten, bis die Rinder sich in Geld verwandeln.“ „Ja, die Sprache verstehe ich“, erwiderte ich. „Man muß Waffenschmuggel halten, Leuten den doppelten Preis für ein Pferd abnehmen, Strafen verhängen – und überhaupt das ganze Land ausquetschen wie eine Zitrone. Und man muß langsam den Partner abwürgen. Wenn man so viele Revolverschwinger und Handlanger bezahlen muß, braucht man immer Geld. Und jetzt ist auch noch der liebe Pedro Gonzales fort. Hätte er einem von euch seinen Rancho verkauft, so hättet ihr bei Socorro Concho ins Schmuggelgeschäft einsteigen können; denn ihr hättet den einzigen Weg zur Furt, durch die er seine Ladungen bringen muß, in. eurer Hand gehabt.“ Er betrachtete mich mit einem schrägen Blick. Dann ritten wir weiter. Nach einigen Meilen kamen wir dann durch grüne - 74 -
Hügel zu einer weiten Ebene, auf der im Grasmeer viele Waldinseln standen. Im Schutze einer solchen Waldinsel und einiger Bodenwellen erblickte ich die Ranch. Weiße Adobemauern leuchteten herüber. Die Ranch war wie ein Fort angelegt. Sie stammte noch aus der Zeit, da hier alles zu Mexiko gehörte und die Hidalgos gewaltige Landschenkungen des spanischen Königs besaßen. Was ich da in der Ferne sah, war eine prächtige Hazienda. Sie bedeckte eine Bodenfläche, die größer war als die Stadt El Tuma. „Das ist die Ranch meines Bruders Jack“, sagte Robert Jeffreys, und es klang Stolz in seiner Stimme. „Ja, ihr habt es weit gebracht“, erwiderte ich. „Doch ihr braucht laufend bares Geld oder zumindest Gold. Das macht euch zu Banditen.“ Wieder warf er mir seinen schrägen Blick zu. Je näher wir kamen, desto imposanter wurde alles. Ich konnte erkennen, daß es hier keine Nachlässigkeiten gab. Die weiten Weidekoppeln und Korrals waren fest und solide. Eine Baumröhrenleitung brachte überall frisches Wasser hin. Die Dächer der Schuppen, Ställe und Werkstätten waren in bestem Zustand. Nur für das verfallene Missionsgebäude in der Nähe hatte man offensichtlich keine Hand geregt. Das hier war eine riesige Musterranch, wie man sie sich besser nicht vorstellen konnte. Aber das alles kostete Geld. Erst jetzt begriff ich richtig, wie sehr ich den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, als ich zu Robert Jeffreys sagte: „Ja, ihr habt es weit gebracht. Doch ihr braucht laufend bares Geld oder zumindest Gold. Das macht euch - 75 -
zu Banditen.“ Aber ich begriff auch noch etwas anderes. Und damit ich es begriff, hatte Robert Jeffreys mit mir diesen Ritt gemacht. Ich sah die Basis, von der die Macht der Jeffreys ausging. Hier war die Quelle. Sie konnten gewiß an die hundert Reiter in die Sättel bringen, wenn sie nur wollten. Und mehr als zwei Dutzend von diesem Hundert würden hartgesottene Revolverschwinger sein. Die Jeffreys besaßen eine kleine Armee. Das war es! Und Socorro Concho, der die Stadt beherrscht hatte und die wichtige Post- und Frachtlinie zur Grenze besaß, war dieser Macht nicht mehr ge wachsen. Wir ritten bald darauf in den Innenhof der Ranch. Da sie wie eine spanische Hazienda gebaut war, befand sich in diesem Innenhof ein prächtiger Garten mit Zierbäumen und allerlei seltenen Gewächsen, mit Springbrunnen und steinernen Figuren, die noch von den spanischen Hidalgos stammten. Zwei mexikanische Diener nahmen uns die Pferde ab. Wir traten unter die schattigen Arkaden. Hier saß an einem schweren Eichentisch ein Mann über einer Landkarte, in der er offenbar Eintragungen, Berichti gungen und Ergänzungen vorgenommen hatte. Der Mann sah mich an. Und da auch ich ihn betrachtete, wußte ich endlich, wer der große Boß in diesem Land war. Zuerst hatte ich Socorro Concho für den großen Burschen gehalten. Dann glaubte ich, daß Robert Jeffreys der Mann sei, der alle Fäden in der Hand hielt. - 76 -
Doch jetzt, als ich Jack Jeffreys sah, da wußte ich, daß es keine Steigerung mehr geben konnte: Dort hinter dem Tisch wirkte er nur mittelgroß, und er hatte rostig schimmerndes Haar. Aber selbst in dieser ruhigen und entspannten Haltung sah man seinem Körper die federnde Vollkommenheit an. Er hatte ein ruhiges, dunkles Gesicht, helle Augen und einen breiten Mund. Ich war noch keinem Mann begegnet, der selbst sicherer wirkte. Er starrte mich an, und sein Blick war durchdringend. „Na schön, das ist also Rio Carlos’ Nachfolger Jim Stones…“ „Jim Jones“, unterbrach ich ihn, „J“ wie Jordan oder „Jubal.“ Er grinste und sagte: „Ein Mann, der mit Rio Carlos zurechtkommen konnte, heißt nicht einfach Jim Jones. So ein Mann besitzt gewiß einen stolzen Kriegsnamen. – Und den werden wir schon noch herausbekommen. Oder wollen Sie sich endlich richtig vorstellen?“ Mein Name ist James Archibald Jones.“ Er lächelte kalt; es war ein Lächeln, das seine Härte erkennen ließ. „Rio Carlos hat für mich gearbeitet“, sagte er. „Er achtete auf Socorro Concho. – Aber er war im Grunde nur ein zweitklassiger Dummkopf, der es nicht lassen konnte, Concho zu betrügen. Leider ist auch mein Bruder Brett so ein Dummkopf. Nun, es werden immer wieder Fehler gemacht. Jim Jones, mein Bruder Robert hat Sie hergebracht, damit Sie einen Begriff von uns Jeffreys bekommen – von unserer Größe und unserer Bedeutung. Und wenn Sie nachher immer noch der Meinung sind, daß Sie auf Socorro Conchos Seite sein müßten, dann ist Ihnen nicht zu helfen. – Wohl gemerkt, - 77 -
ich will Socorro nicht vernichten. Ich will ihn nur auf den Platz zurückdrängen, der ihm zukommt. Es darf nicht mehr vorkommen, daß Burschen wie dieser Pedro Gonzales befreit werden. Ich…“ Er verstummte plötzlich, machte nur eine wegwerfende Handbewegung. .Sehen Sie sich um!“ sagte er. „Vor dem Krieg und noch während des Krieges war hier alles halb verfallen und verkommen. – Sehen Sie sich an, was ich in weniger als zwei Jahren schaffte! – Ich beherrsche mit hundert Reitern ein Gebiet, aus dem man einmal ein ganzes County machen wird, das Jeffreys County. Auf dem Land, das ich mir, eroberte, stehen fünfzigtausend Rinder. Sie vermehren sich immer noch wie die Kaninchen. Und bald ist der Weg zu den Absatzmärkten gefunden. – Jim Jones, denken Sie darüber nach!“ „Und was müßte ich tun?“ fragte ich. Und wieder grinste er auf seine harte Art. „Mir dienen wie ein Ritter dem König“, sagte er, und er sprach es völlig ohne Pathos. Es wirkte auch gar nicht größenwahnsinnig oder verrückt. Er meinte es ganz sachlich. Sein Selbstbewußtsein war so stark, daß er sich wie ein König vorkam, der fahrende Ritter um sich sammelte, um sie für seine Ziele einzusetzen. So und nicht anders war es. „Ich werde es mir überlegen“, versprach ich. „Und ich habe schon begrif fen, daß Sie Socorro Concho nicht länger gleich berechtigt neben sich dulden, sondern in Ihren Schatten drängen wollen.“ Ich trat zum Tisch, schenkte mir aus einem Krug kühle Limonade in ein Glas, trank es aus und nickte: „Ja, ich gehe spazieren und sehe mir alles an.“ - 78 -
„Einer meiner Leute wird Sie zum Mittagessen rufen“, sagte er und wandte sich an seinen dicken Bruder. „Wir haben eine Menge zu besprechen, Robert“, hörte ich ihn sagen, während ich davonging, um mir die Ranch anzusehen. Ich war etwas verwirrt. Nach allem, was ich gehört hatte und vermutete, mußte mein Bruder Kirby hier auf der Ranch gefangen sein. Aber man ließ mich frei herumlaufen. Wie paßte das zusammen? Nun, ich machte mich auf den Weg und verbrachte länger als eine Stunde damit, mir alles anzusehen und in jedem Winkel herumzuschnüffeln. In einem Korral sah ich dann etwas, und es durchzuckte mich heiß, als hätte mich ein glühender Pfeil getroffen. Kirbys Pferde standen zwischen den anderen Tieren an einem langen Tränktrog unter schattenspendenden Bäumen. Also war Kirby doch hier. Während ich auf die Pferde starrte und dabei so tat, als interessierten mich die Tiere in diesem Korral ganz allge mein, kam ein kleiner, krummbeiniger Mexikaner herbei. Er erinnerte mich an Pedro Gonzales und hätte dessen Bruder sein können. Er hielt bei mir an, nahm ein Lasso vom Pfosten und sagte: „Schöne Pferde, Senor, nicht wahr?“ „Ja“, sagte ich, „das sind ganz hübsche Tierchen – nur diese drei dort gehören wohl nicht dazu. Der Braune ist ein Kriegspferd und trägt den Brand der US-Armee. – Die beiden anderen sind Packtiere, die ständig einen Packsattel mit doppeltem Bauchgurt trugen. – Habt ihr einen Gast hier auf der Ranch, der mit diesen Pferden - 79 -
kam?“ Der kleine Mex betrachtete mich von unten herauf mit einem listig glitzernden Blick. Ohne jede vorherige Einleitung sagte er dann plötzlich: „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen vertrauen kann, Senor. – Aber da Sie sich so sehr für diese drei Pferde interessieren, will ich es wagen. – Ja, wir haben einen Gast auf der Hazienda.“ „Wo ist er?“ Ich konnte diese Frage nicht unterdrücken. Er starrte mich von unten herauf mit glitzernden Augen an, und mir wurde heiß bei der Frage, ob ich ihm trauen konnte oder nicht. Vielleicht war das hier eine Falle. Dieser krummbeinige Mex war zumindest listig und verschlagen. Als ob er meine Gedanken erraten hätte, sagte er: „Ich will heim nach Mexiko, und ich will Conchita mitnehmen. – Fast alle stellen sie hier meiner Conchita nach und gegen die Revolverhelden diese Pistoleros, die nichts anderes können als schießen, habe ich keine Chance. Ich will mit Conchita heim nach Mexiko. Doch drüben wären wir noch ärmer als hier. Drüben fänden wir keine bezahlte Arbeit – es sei denn…“ Er unterbrach sich, denn einige Männer näherten sich den Korrals. „Kommen Sie eine Stunde nach Mitternacht zum Turm der alten Mission“, flüsterte er mir noch schnell zu. Dann glitt er in den Korral, schüttelte das Lasso aus und begann Pferde einzufangen. Ein Junge kam angerannt und sagt« zu mir: „Senor, der Patron bittet Sie zum Essen zu kommen.“ ***
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Später, als Robert Jeffreys und ich nach El Tuma ritten, sprachen wir unterwegs kaum ein Wort. Erst als El Tuma in der Spätnachmittagssonne auftauchte, fragte er mich: „Nun, Jim Jones?“ Ich wußte, was er meinte. Er brauchte gar nicht genauer zu fragen. „Ganz imposant“, sagte ich. „Socorro Concho ist ein Wicht gegen euch zwei Jeffreys. Denn Brett zählt nicht nur Jack und Sie, Richter. Wenn euch niemand abschießt, werdet ihr dieses Land zu einem Königreich machen. Sie sind der ältere, Richter, und dennoch sind Sie auf alles stolz, was Jack mit Ihrer Hilfe schaffen kann. Ist das brüderliche Liebe – oder die Anerkennung des besseren Mannes?“ „Beides“, sagte er. In seinen Augen aber konnte ich erkennen, daß er immer noch auf eine Beantwortung seiner Frage wartete. „Ich werde Socorro Concho für euch in Schach halten“, sagte ich. „Ich weiß jetzt, auf wen ich meine Chips setzen muß. – Und was jetzt?“ Er grinste, und in seinen fast wimpernlosen Schweinsaugen funkelte es. „Die Befehle bekommen Sie von mir, mein Junge“, sagte er. Dann ritten wir weiter. Ich war ziemlich sicher, daß er mir keine Befehle mehr geben würde. Ich wollte heute noch einmal zur Jeffreys Ranch reiten. Und wenn ich erst meinen Bruder Kirby freibekommen hätte, dann… 8. Es war noch nicht Mitternacht, als ich mein müdes, - 81 -
schnaubendes Pferd im Schatten einiger Bäume verhielt und absaß. Ich band das Tier an und nahm ihm den Sattel ab. Die Nacht war hell. Nur manchmal kamen ein paar Wolken herangesegelt und schoben sich vor den Halbmond. Dann fiel ein Schatten über das ganze Land. Natürlich warf auch die Baumgruppe, unter der ich mich mit meinem Pferd befand, einen tiefen Schatten. Ich konnte sicher sein, daß man mich und das Pferd nicht so schnell entdecken würde, selbst wenn man dicht an uns vorbeikommen sollte. Vor mir lag der Turm der alten Mission. Ein Stück weiter erstreckte sich die große Ranch – ein mächtiges Geviert, dessen Adobemauern und geweißte Gebäude im Mondlicht leuchteten. Doch auch dort gab es viele Schat ten. Was mochte in diesen Schatten alles verborgen sein? Wo konnte mein Bruder Kirby gefangengehalten werden? Ich spürte eine zunehmende Ungeduld, und es überkam mich fast wie eine böse Ahnung. In El Tuma würde man mich jetzt schon vermissen. Jetzt war die Stunde, da Dolores ihren großen Auftritt hatte, die vielen Gäste mit ihren Liedern verzauberte und tausend Wünsche erweckte. Ich frage mich zum hundertsten Male, ob ich diesem Pepe, der mich herbestellt hatte, trauen konnte. – Doch ich wußte keine Antwort auf meine Frage, Es war schließlich fast eine Stunde nach Mitternacht. Ich mußte mich auf den Weg machen. Als mal wieder für einige Minuten ein paar Wolken vor den Mond segelten, lief ich los, überquerte die freie Fläche und erreichte schnaufend die Schatten der verfallenen Mission. Wie ein - 82 -
Geist schlich ich durch die Ruinen dem Turm zu. Ich umrundete ihn in einiger Entfernung und wartete dann, an die Mauer eines verfallenen Hauses gelehnt. Vielleicht hatten die Jesuitenpadres hier den Ureinwohnern Unterricht gegeben. Wenn diese Mauern erzählen könnten… Ich hörte plötzlich ein leises Geräusch. Als ich um die Mauer spähte, sah ich Pepe kommen. Wie ein Wiesel – oder eine Ratte – kommt er, dachte ich unwillkürlich. Es war sehr aufschlußreich, diesen kleinen Mexikaner heranhuschen zu sehen. Er achtete darauf, immer innerhalb der Schatten zu bleiben. Ich rief ihn leise an. Er kam und lehnte sich keuchend neben mir an die Wand. „In der Nacht steht immer jemand auf dem Dach der Hazienda und beobachtet die Umgebung mit einem scharfen Fernrohr“, sagte er. „Nun gut, er hat uns bestimmt nicht bemerkt, denn sonst hätte er schon Alarm gegeben. – Was machen Sie mir für ein Angebot, Senor?“ „Wofür, Pepe?“ fragte ich kühl. Obwohl wir uns im Schatten befanden, sah ich seine Zähne blinken. Er grinste. „Sie sind doch bestimmt Kirby Starrets Bruder Jim – Saguero Jim“, sagte er. „Kirby Starret machte mir ein Angebot. Ich mußte mehrmals zu ihm, brachte ihm auch einige Tage lang das Essen. – Er erzählte mir von seinem Bruder und sagte, daß dieser gewiß nach ihm suchen würde. Wenn ich ihm irgendwie helfen könnte, sollte ich an der Goldmine beteiligt werden. – Halten auch Sie dieses Angebot aufrecht?“ „Sicher“, sagte ich. „Wenn ich Kirby freibekomme und es uns gelingen sollte, nach Mexiko zu entkommen, - 83 -
dann bekommst du einen Anteil von uns.“ „Bueno! Si! Dann gehen wir! Es ist ganz einfach, Kirby Starret zu befreien.“ Er wollte von der Mauer weg. Doch ich griff nach ihm, hielt ihn fest und sagte kühl: „Erst mußt du mir genau erklären, Pepe – wie heißt du eigentlich noch?“ „Ortiges“, sagte er, „Pepe Ortiges. – Amigo, Ihr Bruder ist dort drüben im Turm. Es gibt da einen Brunnenschacht. Sie haben ihn schon einige Tage in diesem Schacht und lassen ihn in tiefster Finsternis hocken. Sie wollen ihn in dieser dunklen Einsamkeit zerbrechen.“ „Und es gibt keinen Wächter?“ fragte ich mißtrauisch. „Doch“, sagte er. „Aber Fess Slater hat sich eine Flasche Schnaps für die lange Nacht mitgenommen. Der schläft jetzt schon seinen Rausch aus. – Können wir jetzt gehen?“ „Ja“, murmelte ich und folgte ihm. In meiner Magengegend war ein flaues Gefühl. Ich traute der ganzen Sache immer noch nicht richtig. Dennoch wagte ich alles. Wir erreichten den alten Turm der Mission. Pepe zog einen großen Schlüssel aus der Tasche. „Woher hast du ihn?“ Wieder war mein Mißtrauen da. „Aus der Küche“, sagte er. „Wenn wir von dort Verpflegung für den Wächter und den Gefangenen bringen, müssen wir ja in den Turm. In der Küche war von jeher ein Schlüssel zum Turm. Es sind Vorrats gewölbe dort.“ Während er das flüsterte, schloß er leise auf. Wir glitten durch die Tür. Es war dunkel. Ich legte meine Hand auf Pepe Ortiges Schulter und hatte meinen schußbereiten Colt in der anderen Hand. - 84 -
Pepe führte mich eine Treppe hinunter. Es war eine breite Steintreppe, die in irgendwelche Kellergewölbe führte. Als wir um eine Treppenbiegung kamen, sah ich endlich den schwachen Lichtschimmer einer Laterne. Der Raum hier unten war fast so groß wie ein kleiner Tanzsaal, und überall führten Gänge von ihm fort – nein, es waren Kellergewölbe, in denen die Padres früher ihre Vorräte aufbewahrten. Mitten im Raum befand sich der Brunnen. Rechts an der Wand standen ein Tisch, einige Stühle und ein Feld bett. Auf dem Strohsack lag ein schnarchender Mann. Eine leere Flasche lag neben dem Bett am Boden. Ich ging zu dem Schnarcher hin. Als ich die Schnapsfahne roch, glaubte ich, daß er sinnlos betrunken war. Ich verzichtete deshalb darauf, ihm was gegen die Nuß zu geben, sondern nahm ihm nur den Revolver weg. Pepe Ortiges stand die ganze Zeit lauernd da. Aber das war ja auch kein Wunder. Ein Mann wie er mußte nervös sein. Ich trat zum Brunnenrand, kauerte mich auf die Absätze und legte meine Hände auf den kniehohen Rand. In der rechten Hand, die ich nur mit dem Handrücken auflegte, hielt ich immer noch den Colt. Unten war es dunkel. „Kirby!“ rief ich hinunter, und es schallte dumpf. „Ihr Schufte kriegt mich nicht klein“, klang es von unten herauf. Die Stimme klang heiser und gepreßt, ganz wie die Stimme eines Mannes, der erledigt ist und nur noch von Trotz beherrscht wird. „Ich bin es. Jim, dein Bruder Jim! Kirby, ich hole dich jetzt raus aus dem Loch! Es wird alles gut, Kirby!“ Für einen Moment ließ meine Wachsamkeit nach. Ich - 85 -
sah mich hastig nach einem Lasso oder einem Seil um. Es mußte ja so was da sein, weil sie Kirby doch Essen hinunterlassen mußten. Als ich am Boden ein Seil liegen sah, bückte ich mich hastig danach. Ich hatte Pepe Ortiges nun schon über eine Minute nicht mehr unter Beobachtung, daß er mich zu Kirby geführt hatte und Kirby dort unten war, ließ mich mein Mißtrauen vergessen. Als ich mich nach dem Seil bückte, bekam ich einen gemeinen Schlag ins Genick. Ich warf mich herum und wollte mich gegen die Beine des Mannes schleudern, der mir das Ding verpaßt hatte. Aber ich war wohl schon zu langsam. Ich drückte den Colt ab, den ich immer noch in der Hand hielt. Doch es war nur eine wilde verzweifelte Reaktion, denn ich sah ja gar kein Ziel. Mir war schwarz vor Augen geworden. Ich bekam dann einen zweiten Schlag, diesmal über Schläfe und Ohr. Und dann hatten sie mich. *** Ich erwachte, weil jemand einen Eimer Wasser über mich goß. Zwei starke Burschen rissen mich hoch, und als ich noch halb benommen rückwärts taumelte, fand ich endlich mit dem Rücken einen Halt an der Wand. Allmählich wurde mir besser. Pepe Ortiges hatte seine Rolle erstklassig gespielt. Ich hatte ihm vertraut, und dabei war er eine Ratte, die Jack Jeffreys treu war. Jack Jeffreys war selber gekommen. Man hatte nun auch noch eine zweite Laterne angezündet, und es war heller als vorhin. - 86 -
Langsam trat Jack Jeffreys näher. Er rauchte eine Zigarre, und er grinste auf seine harte Art. In seinen Augen war gnadenlose Härte. „Wir wollten ganz sicher sein, daß du sein Bruder bist. – Und dann gebe ich zu, daß es doch ein recht spannendes Spiel war. Robert, mein schlauer Bruder, hatte von Anfang an den Verdacht, daß du der dritte Starret bist, obwohl du deinen Brüdern gar nicht ähnlich siehst. – Nun, jetzt haben wir euch also beide.“ Er wandte sich ab und befahl seinen Männern: „Holt Kirby Starret herauf!“ Dann warteten wir alle. Ich war darauf vorbereitet, daß Kirby übel aussehen würde, denn er war ja nun schon länger als zwei Wochen in den Händen dieser Schufte. Als sie ihn herausgezogen hatten, sah ich sofort, was er alles durchgemacht haben mußte. Trotz meiner Kopfschmerzen spürte ich einen heißen Zorn in mir aufsteigen. Diese verdammten Banditen! Kirby konnte sich kaum auf den Beinen halten. Doch sie ließen ihn auf mich zuschwanken. Ich konnte all die vielen Stellen erkennen, wo ihn die Schläge getroffen hatten, Schläge von harten Fäusten und von Bullpeitschen. Zuerst wollten sie ihn mit Prügeln brechen. Nun standen wir uns also gegenüber. „Tut mir leid. Bruder“, sagte ich heiser. „Einer von ihnen hat Tom getötet. Und ich habe versagt. – Wir sitzen elend in der Klemme. Es hat keinen Sinn mehr. Was ist schon eine Goldmine gegen unser Leben?“ Er starrte mich mit seinen geröteten Augen an. Sein Bart war so lang, daß er fast das Gesicht verdeckte. Kirby war fast nackt und schmutzig. - 87 -
„Ja“, sagte er schwerfällig und mühsam, „es hat wohl keinen Sinn mehr. Nun sollten wir aufgeben. Wenn Tom tot ist und sie nur auch dich in ihren Händen haben – wer sollte uns da noch aus der Klemme helfen? Ich wollte schon mehrmals während der letzten zwanzig Stunden aufgeben. Jetzt passe ich.“ Er wandte sich schwerfällig um und sah Jack Jeffreys mit seinen geröteten Augen an. „Ihr habt gewonnen, ihr Banditen. – aber es ist ein langer Ritt bis zu unserer Mine. Es würde auch nichts nützen, wenn wir euch eine genaue Skizze anfertigten. – Diese Mine ist nur durch Zufall oder mit unserer Hilfe zu finden. Bevor wir reiten, werdet ihr mich erst wieder aufpäppeln müssen, damit ich den Ritt durchhalte. – Denn entweder fahren Jim und ich zu gleicher Zeit zur Hölle, oder wir reiten beide mit. – Ihr könnt das Geschäft nur mit uns gemeinsam oder überhaupt nicht machen.“ Jack Jeffreys sah ihn an und nickte. Seine Augen waren schmal und sein Lächeln hart, als er sagte: „Nun gut, so soll es sein.“ 9. Sie gaben ihm etwa zwanzig Stunden Zeit. Er konnte gut essen, sich baden, rasieren und bekam auch gute Kleidung. Er wurde wieder zu einem halbwegs rüstigen Mann, denn er war ein harter Bursche, der sich sehr schnell erholen konnte. Sprechen konnten wir nur belangloses Zeug, denn drei scharfe, erfahrene Revolvermänner ließen uns nicht aus den Augen – und einer dieser drei Revolvermänner war Pepe Ortiges. Dieser Pepe war hier auf der Ranch eine - 88 -
ganz besondere Nummer. Damals bei den Korrals hatte er den Pferdewärter nur gespielt. Jetzt trug er zwei Revolver im Kreuzgurt und ein Charro-Kostüm, in dem die Mexikaner zum Fest gehen. Er war eitel, dieser Pepe Ortiges, und er war ein gefährlicher Zweirevolvermann, ein Buscadero. Sein Benehmen war wie umgewandelt. Er war von einer Arroganz wie ein spanischer Hidalgo. Oha, was hatte dieser Bursche mich doch täuschen können! Als zwanzig Stunden um waren, trauten sie Kirby zu, daß er reiten und auch durchhalten könnte. Es war wieder Nacht geworden, und das schien ihnen besonders recht zu sein. Wir ritten mit einem Packpferd los. Jack Jeffreys kam selbst mit, ein Zeichen, wie sehr er auf das Gold versessen war. Außer Pepe Ortiges waren noch zwei Revolvermänner dabei. Sie wurden Ringo Kingfisher und Frisco genannt. Frisco war zumindest zu einem Viertel Chinese. Und beide gehörten zu Jack Jeffreys besonderen Vertrauten. Gegen die vier schnellen, eiskalten Revolvermänner hatten wir keine Chance. Sie sorgten auch dafür, daß Kirby und ich uns nie auf Tuchfühlung nähern konnten, um uns vielleicht zu verständigen. Es wurde ein harter Ritt. An einer Furt durchquerten wir den Rio Grande. Irgendwo in den bewaldeten Hügeln stießen wir auf ein großes Camp. Inzwischen war es Tag geworden. Und was Kirby und ich sahen, war das Camp einer Abteilung von Revolutionären. Dafür gab es ein untrügliches Zeichen. - 89 -
Das war ein „General“, der sich von den zumeist zerlumpten „Soldaten“ abhob wie ein stolzer Pfau von einem Schwärm Krähen. Natürlich war dieser General nichts anderes als ein Banditenhauptmann. Doch jemand hatte ihn für seine Interessen eingespannt – oder er wollte aus eigenem Antrieb Revolution machen. Wie es auch sein mochte, er trug eine französische Generals-Uniform. Und er hatte einen Burschen in Captains-Uniform bei sich, der wahrscheinlich ein reinblütiger Yaqui-Indianer war. Sie grinsten Jack Jeffreys an wie einen guten Amigo. Ich weiß nicht, was dann Jack Jeffreys mit diesem mexikanischen Revolutionär besprach. Auf jeden Fall aber waren sie danach beide zufrieden und umarmten sich wie Brüder, die für lange Zeit voneinander Abschied nehmen müssen. Dann ritt Jack Jeffreys davon und mit ihm seine Männer. Sie hatten uns diesem General übergeben. Oha, was hatte ich mich in Jack Jeffreys doch getäuscht! Er wollte die Goldmine gar nicht. Denn was nützte ihm eine Goldmine in Mexiko? Es wäre wohl auch nicht einfach für ihn gewesen, sie auszubeuten. Der General und der Captain kamen zu uns. Der General grinste. „Es gab drei von euch“, sagte er. „Jetzt gibt es nur noch zwei. Und es könnte sein, daß wir noch einen von euch Cucarachas zertreten. Der Gringo hat euch mir übergeben, weil ihr mir die Goldmine zeigen sollt. – Wollt ihr, oder muß ich euch erst…“ - 90 -
Er verstummte grinsend, deutete mit dem Zeigefinger auf uns und machte mit dem Daumen das Zuschnappen eines Revolverhammers nach. Wir wollten natürlich, und wir haben begriffen, daß die Jeffreys auf Umwegen das Gold bekommen würden. Sie brauchten es nicht aus der Mine zu holen. Sie lieferten dafür Waffen, und sie würden gepfefferte Preise nehmen. *** Zwei Tage später besichtigte der General unsere Mine, und es schien uns, daß er doch etwas enttäuscht war. Wir konnten ihm auch ansehen, daß er sich mit dem Gedanken befaßte, uns umlegen zu lassen. Und da mußte ich ihm zuvorkommen. Ich hob den Finger und tat wie ein kleiner Junge in der Schule. Er betrachtete mich mit funkelnden Augen und fragte: „Was willst du, du Gringolaus?“ „General“, sagte ich, „wir sollten ein Übereinkommen treffen, das für Sie und Ihre tapfere Armee besonders vorteilhaft wäre.“ Er starrte mich an wie einen Verrückten. ……. Sein Capitano grinste. Und seine zerlumpten Banditen, die sich jetzt Soldaten nannten, lachten. Ich aber grinste auch und zeigte auf die Stollenmündung, vor der wir standen. „Wir kennen die Mine“, sagte ich. „Wir wissen, wo das beste goldhaltige Gestein liegt und wie man es in unserer Waschanlage waschen muß. Wir können dreimal soviel Goldstaub pro Tag gewinnen, wie ihr vielleicht in einer Woche rausholen könntet. – Wir wollen für euch - 91 -
arbeiten. Gebt uns einen Viertelanteil und zwanzig Helfer. – Dann sollen Sie sehen, General, wie schnell sich die Kriegskasse Ihrer Armee füllt.“ Der letzte Satz zündete besonders. Nachdem er sich mit dem kleinen Finger in der Nase gebohrt und dabei nachgedacht hatte, nickte er. „Si“, sagte er, „warum sollte ich euch Gringos erschießen lassen, wo ihr doch für die Revolution arbeiten könnt. Ihr könnt gleich anfangen. Und ich werde euch genügend Helfer geben. Doch solltet ihr nicht genug Gold gewinnen und für mich nutzlos sein – dann…“ Er fuhr sich mit der Handkante quer über den Hals. Es gab keinen Zweifel. *** Es wurde hart für uns in den nächsten Tagen, besonders für Kirby, der ja körperlich sehr herunter gekommen war. Besser für uns wurde es erst, als die Revolutionäre von den umliegenden Dörfern genügend Arbeitskräfte herangeschafft hatten. Nach einer Woche wurde unser Wachkommando abgelöst. Ein schnurrbärtiger, augenrollender Leutnant kam mit einem Dutzend Kerle angeritten. Und da machte ich eine Entdeckung. Mein Herz begann schneller zu schlagen; denn einer der Burschen sah genauso aus wie Pedro Gonzales, den ich aus dem Gefängnis von El, Tuma holte. Ob er es war? Ich wartete darauf, daß er mich ansehen würde. Und das war nicht so einfach, denn ich stand oben auf einem Gerüst und betätigte gerade einen Schieber, der das - 92 -
Wasser freigeben sollte. Es lief dann durch die ziemlich aufwendig konstruierte Waschanlage, die wir so ausgebaut hatten, daß wir fast eine ganze Tonne von dem goldhaltigen Staub- und Dreckzeug, das wir aus der Mine holten, damit wegspülen konnten. In den Rillen blieb dann das Gold zurück. Wir brauchten es nur herauszu kratzen. Ich zögerte also mit dem Schieber. Und ich hatte Glück. Der Mann sah plötzlich im Vorbeireiten vom Sattel aus zu mir hoch – und er erkannte mich sofort. Für drei oder vier Sekunden sahen wir uns an. Dann war er in der Doppelreihe vorbei. Er sah sich nicht um. *** Kirby und ich hatten schon zuvor in den Nächten möglichst weit vorn im Stollen geschlafen. Es gab da eine Nische, so daß wir nicht im vom Feuerschein erhellten Stolleneingang liegen mußten. Als wir uns an diesem Tag nach Anbruch der Dämmerung mit unserem kümmerlichen Essen in die Nische hockten, wartete ich nur so lange, bis die Arbeiter an uns vorbei tiefer in den Stollen gegangen waren, wo sie zu Abend aßen und dann schlafen würden. Dann erzählte ich Kirby von Pedro Gonzales. Er war sofort hellwach. „He, Jim, das ist die erste gute Nachricht seit Wochen“, brummte er. „Wenn dieser Pedro Gonzales kein Schuft ist, dann wird er uns zu einer Chance ver helfen, nicht wahr? Wir müssen nur jede Minute darauf gefaßt sein. Ich denke, wir schlafen heute abwechselnd. Einer von uns muß ständig das Feuer dort draußen - 93 -
beobachten, nicht wahr?“ „Richtig“, sagte ich. „Und da du den Schlaf so nötig brauchst wie ein Baby das Fläschchen, bin ich der Mann, der die Augen offen hält. – Also leg dich aufs Ohr, sobald du den letzten Bissen verschluckt hast. Und träume süß von Pedro Gonzales, der unsere einzige Hoff nung ist.“ Kirby brummte. Er legte sich dann aber doch ohne Widerstand hin. Ich aber hockte mich so in die Nische, daß ich das Feuer sehen konnte. Dort sah ich die hockende Gestalt des Wächters. Der Gewehrlauf und die Messingpatronen in den über der Brust gekreuzten Gurten blinkten manchmal matt im tanzenden Flammenschein. Aber dieser Mann war nicht Pedro Gonzales. Würde Gonzales überhaupt hier vor dem Minen eingang Wache halten? Es wurde Mitternacht. Ich konnte beobachten, wie der Wächter beim Feuer abgelöst wurde. Aber auch der Ablösende war nicht Pedro Gonzales. Dieser neue Bursche würde wahrscheinlich zwei Stunden wachen. So war es bei seinem Vorgänger gewesen. Es war in allen Armeen der Welt so, daß Wachtposten sich alle zwei Stunden ablösten. Auch diese Banditen hier machten es so. Ich beschloß, Kirby nicht zu wecken, jedoch selbst für zwei Stunden zu schlafen. Ich wollte nicht ohne Schlaf bleiben. Ich nahm mir vor, in knapp zwei Stunden wieder aufzuwachen, und ich konnte mich da auf meinen „Wecker“ verlassen. Ich wurde tatsächlich wach, bevor der Posten abgelöst wurde. Diesmal war es Pedro Gonzales. Ich vermochte ihn - 94 -
genau zu erkennen. Er kam dicht an den Stolleneingang heran, sah herein und ging erst dann zum Feuer, wo er seinen Kumpan ablöste Ich stieß Kirby an. Der war sofort wach und fragte: „Soll ich dich ablösen, Kleiner?“ „Kleiner“, war eine Art Kosewort. Weil ich der Jüngste und – zumindest sechzehn Jahre lang – auch der Kleinste von uns war, hatten sie mich immer Kleiner genannt. Ich grinste zu ihm hin. „Gonzales hat die Wache übernommen“, sagte ich. Da hockte sich Kirby neben mich. Wir warteten zehn Minuten. Dann lauschten wir noch einmal in den Stollen hinein, wo die anderen Gefangenen schliefen. Doch wir brauchten eigentlich kaum Sorge zu haben, beobachtet oder verraten zu werden. Die armen Leute schliefen nach dem schweren Tagewerk wie Bewußtlose. Wir erhoben uns wortlos, traten aus der Nische in den Stollen und näherten uns dem Ausgang. Nun würde es sich entscheiden, ob Gonzales ein anständiger Kerl war. Er mußte uns schon im Feuerschein erkennen können. Und dann sahen wir, daß er uns entgegen kam. Wir waren inzwischen aus dem Stollen getreten und hatten uns nach links gewandt, so daß wir vor der Fels wand standen. Gonzales trat zu uns. „Das Leben ist manchmal verrückt, Senor“, sagte er. „Das kann man wohl sagen“, erwiderte ich. Und damit war alles klar für uns. Wir gingen dorthin, wo die Bande ihre Pferde in einem Seilkorral stehen hatte. Ungestört konnten wir uns drei schnelle Tiere satteln. Die Bande in der Bergfalte schlief derweil in aller Ruhe. Sie konnte ja auch nicht - 95 -
wissen oder ahnen, daß ich Pedro Gonzales aus dem Gefängnis von El Tuma geholt hatte. Sie fühlte sich gut bewacht, diese Revolutionsbande. Und hören konnten sie auch nicht viel, diese Schläfer dort in der geschützten Bergfalte. Aus Bequemlichkeit wollten sie dem Wasser nahe sein. Doch das hatte den Nachteil, daß plätscherndes Wasser Geräusche macht, die andere Geräusche übertönen. Wir führten die Pferde an der Felswand entlang bis in die Nähe des Ausganges. Dann ließen wir die Tiere bei Kirby zurück. Ich ging mit Gonzales weiter. Wir mußten durch eine kurze Engstelle. Und da tönte uns schon die Frage entgegen: „Quien es?“ „Ich bin es, Gonzales“, sagte dieser ruhig. „Kommt nur, Muchachos. Es gibt heißen Tee. Oder wollt ihr nicht?“ Sie wollten, denn kurz vor dem Morgengrauen wurde es hier zwischen den Felsen ziemlich kalt. – Sie kamen. Ich hatte mich hinter einen Stein geduckt. Als sie in der Dunkelheit vor Pedro Gonzales stehen blieben und einer von ihnen fragte: „Wo hast du den Tee?“ da traf ich ihn auch schon mit dem Gewehrlauf. Ich hatte das Gewehr bei den Sätteln gefunden, wo es in einem Scabbard steckte. Gonzales stieß dem anderen Mann die Gewehr mündung in die Magengegend. Als er sich, wie erwartet, „verbeugte“, gab er es ihm von der Seite mit dem Kolben. Es ging alles schnell und glatt. Pedro Gonzales war ein tüchtiger Bursche. Während ich wartete, holte er Kirby und die Pferde. Wir saßen auf und ritten davon. Es war alles so leicht und glatt gegangen – aber nur, - 96 -
weil Pedro Gonzales nach seiner Flucht über den Rio Grande ein Revolutionär geworden war. 10. Pedro Gonzales, Kirby und ich beschlossen beisammen zu bleiben. Nach Anbruch der Dunkelheit schwammen wir über den Fluß und kamen nur drei Meilen unterhalb von El Tuma an Land. Als wir uns der Stadt näherten, kam diese gerade wieder richtig in Betrieb. Wir ritten so dicht an die Rückseite des Saloons heran, wie wir es wagen konnten. Dann ließ ich Kirby und Pedro mit unseren Pferden im Schutz eines halboffenen Schuppens zurück und machte mich allein zu Fuß auf den Weg. Das Terrain kannte ich genug, und da ich auch noch etwas Glück hatte, weil unsere Pechsträhne offenbar zu Ende war, erreichte ich über die Hintertreppe die Hintertür des oberen Korridors, nahm den Schlüssel aus dem Mauerloch. Ich klopfte nicht an der Tür der Geschwister Concho. Ich probierte gleich, ob sie von innen zugeriegelt oder abgeschlossen war. Sie war es nicht. Ich glitt hinein, und erst als ich mich von innen gegen die Tür lehnte, merkten sie, daß ich gekommen war. Sie hatten nebeneinander am Fenster gestanden und zur Straße hinuntergesehen. Sie wandten sich wie auf Kommando um und erkannten mich. „Jim, o Jim!“ rief Dolores leise und kam schnell durch das Zimmer. Als ich mich bewegte, blieb sie einen Schritt vor mir stehen und sah mir fest in die Augen. - 97 -
„Wir wissen inzwischen, daß du Jim Starret bist“, sagte sie. „Ich freue mich dennoch, dich bei Gesundheit zu sehen. – Jim, du bist hier bei Freunden.“ Ich nickte und sah dann Socorro Concho an. Auf ihn würde es nun ankommen. Er trat neben seine Schwester. „Ich weiß, was die Jeffreys mit euch gemacht haben“, sagte er. „Jack Jeffreys erzählte es mir gestern. Er machte mir klar, warum ich mich unterwerfen müßte. – Jim, warum kommen Sie zu uns? Sie haben Rio Carlos Alvarez doch schon getötet und damit den Tod Ihres Bruders gerächt. – Glauben Sie mir, Rio Carlos Alvarez war ein Mann der Jeffreys – nicht meiner.“ Ich nickte. „Das glaube ich“, sagte ich. „Ich bin auch nur hier, weil ich gute Waffen brauche. – Dolores bat mich einmal, euch gegen die Jeffreys zu helfen. – Nun, jetzt bin ich dabei, das zu tun. Doch mein Bruder und ich brauchen erstklassige Revolver und einige andere Dinge.“ Ich machte eine Pause und sah Socorro an. „Wie ist das jetzt mit dem Waffenschmuggel?“ fragte ich und machte eine Kopfbewegung nach Süden zürn Fluß hinüber. Ergänzend fügte ich hinzu: „Die Mexikaner können jetzt mit Gold bezahlen – mit Gold aus unserer Mine. Wie ist das also jetzt mit dem Waffenschmuggel?“ Socorro verzog sein Gesicht. „Ich habe hier in El Tuma einige Wagenladungen im Magazin beim Frachtwagenhof. Doch ein ganzer Wagenzug ist unterwegs. Ich mußte alles an Jack Jeffreys abtreten. Er übernimmt die Bezahlung meiner Lieferanten, wird jedoch auch den Gewinn einstecken. Ich bin seit gestern nicht mehr im Geschäft. Jack Jeffreys - 98 -
hat mich abgelöst.“ Da grinste ich, und als die Geschwister Concho mich grinsen sahen, begriffen sie, warum ich zurückgekom men war und erstklassige Revolver haben wollte. „Und wenn es keine Jeffreys mehr gibt – was dann, Socorro?“ fragte ich. Er zögerte, sah mich an und ahnte ungefähr, wie ich über diesen Waffenschmuggel dachte. Ich könnte dann wieder alles an mich reißen. Die meisten von den Reitern der Jeffreys-Mannschaft würden sich auf meine Lohnliste setzen lassen. Ich könnte wieder der große Bursche im Land werden, wie ich es war, bevor die Jeffreys kamen. – Aber ich will nicht. Ich habe genug.“ Da nickte ich. „Eines müssen Sie tun, Socorro“, sagte ich. „Und deshalb kam ich ebenfalls her. Es darf nicht sein, daß der Wagenzug mit den Waffen gewissermaßen herrenlos wird. Sie müssen ihn übernehmen und in die Stadt bringen. Es muß verhindert werden, daß er über die Grenze geht. Dort drüben hat ein Bandit sich zum General ernannt und will Revolution machen. Und wenn er von den Jeffreys die Waffen nicht bekommt, so wird er nach irgendwelchen anderen Wegen suchen. Er muß die Waffen haben, koste es, was es wolle. Aber diese Stadt wird er wohl doch nicht, überfallen, um sich die Waffen zu holen. Das wird er nicht wagen, denke ich. Deshalb…“ „Ich verstehe“, sagte Socorro. Er wandte sich ab und öffnete einen Schrank. „Ich habe hier ein paar erstklassige Revolver.“ Ich trat näher, um mich zu bedienen. „Ich habe Kirby befreit“, berichtete ich, indem ich die - 99 -
Waffen nacheinander in die Hand nahm, durchprobierte, auf ihre mechanischen Funktionen prüfte und mit frischen Patronen lud, „Wir gehen jetzt auf die Jeffreys los.“ Dann fragte Socorro Concho: „Soll ich mit euch reiten? Ihr könnt es allein gewiß nicht schaffen. Doch wenn ich mit euch ritte… Zumindest ein. Dutzend meiner Leute sind mir treu. Auf ein paar Jungens aus dem Saloon und von meiner Post- und Frachtgesellschaft kann ich mich noch verlassen. – Wir könnten zusammen eine Mannschaft von eineinhalb Dutzend…“ „Nein“, sagte ich knapp. „Wir wollen doch keinen richtigen Krieg machen. Es genügt, wenn die Sache zwi schen den Jeffreys und uns Starrets ausgetragen wird. – Socorro, wissen Sie, wo sich Robert und Brett Jeffreys zur Zeit aufhalten? – Sind sie hier in der Stadt?“ „Brett ist hier“, sagte er, „Ich sah ihn eben unten auf der Straße seine Runde machen. – Robert Jeffreys ist nicht in der Stadt. Er kann nur draußen bei seinem Bruder auf der Ranch sein. – Jim, ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich alles tun werde, um den Wagenzug mit den Waffen nicht herrenlos werden zu lassen. Ich werde ihn, sobald die Jeffreys ausgeschaltet sind, übernehmen und in die Stadt bringen. Ich kann diese Waffenladungen im Laufe der Zeit, auch auf redliche Weise verkaufen. Ich brauche sie nur nach Arizona weiterzuleiten. Dort stehen die weißen Siedler, Farmer und Rancher – ah, die weiße Bevölkerung überhaupt – in einem erbitterten Kampf gegen die Apachen. Dort werden Waffen nötig gebraucht. Ich höre auf mit dem Schmuggel nach Mexiko.“ „Na gut“, sagte ich. „Das alles ist Ihre Sache.“ Damit ging ich. - 100 -
Wenig später war ich bei Kirby und Pedro. Kirby legte sich den Waffengurt um, band die beiden Halfter an den Oberschenkeln fest und prüfte den Sitz der Revolver. In der Dunkelheit zog er sie mehrmals, warf sie in die Luft, ließ sie Saltos drehen und fing sie auf. „Was nun?“ fragte er heiser. „Ein Jeffreys ist in der Stadt“, sagte ich. „Und wenn er auch nur ein zweitklassiger Bastard ist, so sollten wir ihn nicht übersehen.“ „Also gut“, nickte er. „Reiten wir in die Stadt. – Jetzt sind wir ja bewaffnet.“ Wir ritten durch eine Gasse und kamen auf die Hauptstraße. Wir zögerten nicht, sondern schwenkten ein. Nebeneinander ritten wir die Straße herunter, wendeten am Ortsausgang die Pferde und ritten noch einmal zurück. Aber von Brett Jeffreys war nichts zu sehen. Inzwischen waren wir da und dort erkannt worden. Die Leute standen in Gruppen auf der Straße und beobachteten uns. Und da kam plötzlich Brett Jeffreys aus einer Gasse heraus. Er erkannte uns nicht sofort. Er war schon drei Schritte auf der Fahrbahn, als ich ihn anrief: „Jeffreys, Brett Jeffreys!“ Nun hielt er jäh inne. Und jetzt erkannte und witterte er auch schon, daß etwas nicht stimmte. Er sah erst jetzt die Gruppen der Zuschauer vor dem Store, dem Hotel, dem Saloon und einigen anderen Läden. Eine Sekunde lang stand er still. Dann brüllte er: „Starret! Jim Starret! Saguero Jim!“ Ich gab noch keine Antwort. Erst saß ich ab und warf Pedro die Zügelenden zu. Dann trat ich Brett Jeffreys - 101 -
entgegen, hielt fünf Schritte vor ihm an und sagte laut, so laut, daß es alle Zuschauer hören konnten: „Ihr Jeffreys seid eine Banditenbande! Ihr habt meinen Bruder Kirby länger als zwei Wochen geschunden. Und mein Bruder Tom wurde von einem eurer Handlanger umgebracht. Pedro Gonzales wurde von falschen Zeugen des Pferdediebstahls beschuldigt und von einem Richter verurteilt, der selbst ins Gefängnis gehört. Brett Jeffreys, ihr seid Banditen, Mörder, Landfriedensbrecher und…“ Nun hatte ich ihn genug gereizt. Er zog, und wenn er auch der dümmste der drei Jeffreys war, so war er doch recht schnell mit dem Colt. Ich zog schneller als er, wartete, bis er die Mündung auf mich richtete und schoß ihn von den Beinen. Es blieb still, als ich zu meinem Pferd ging und aufsaß. 11. Wir jagten in den Innenhof und warfen uns von den Tieren, bevor diese anhalten konnten. Drinnen – im großen Wohnraum – brannten Lampen. Die Tür stand offen. Wir brauchten uns nicht zu verständigen. Pedro Gonzales wandte sich mit dem Gewehr dem Durchgang zu, durch den wir hereingekommen waren. Er würde keine Maus in den Innenhof lassen. Kirby und ich gingen ruhig und sporenklirrend, als wären wir Reiter der Ranch, die eine wichtige Meldung machen müßten, durch die Tür und traten ein, glitten drinnen nach rechts und links auseinander und verhielten. Die Brüder Jeffreys staunten uns an. Jack Jeffreys saß hinter dem Schreibtisch und hielt - 102 -
einen Federhalter in der Hand. Sein dicker Bruder Robert hatte sich soeben eine Zigarre angezündet und hielt noch das abgebrannte Zündholz zwischen den Fingern. Sie hatten beide zur Tür gesehen, doch sie konnten uns nicht sogleich erkennen, weil der Lichtschein nicht bis zur Tür reichte und wir unsere Köpfe gesenkt hatten, so daß die Krempen unserer Hüte unsere Gesichter bedeckten. Aber dann erkannten sie uns – und staunten noch mehr. „Sieh an – die Starrets“, sagte Jack Jeffreys und legte den Federhalter sorgfältig in die Schale. Er war eiskalt und beherrscht. Dann erhob er sich langsam. Er war unbewaffnet .Auch sein Bruder hatte die Waffe abgelegt. Warum sollten sie auch hier auf der Ranch bewaffnet sein? Wir hatten unsere Revolver in den Halftern. Draußen begann Pedro mit dem Gewehr zu schießen; er jagte alle Neugierigen aus dem Durchgang. Er holte gewiß einige Minuten für uns heraus, denn so lange würde es dauern, bis die Mannschaft der Ranch sich auf andere Weise Zugang verschaffen konnte. „Ihr wollt es auf die gute, alte Art machen?“ fragte Jack Jeffreys sachlich. Sein schneller Verstand hatte alles begriffen. „Wer schießt dort draußen?“ wollte Robert Jeffreys ebenso sachlich wissen. „Pedro Gonzales“, sagte ich. „Und wir haben nichts dagegen, wenn ihr euch bewaffnet.“ Jack Jeffreys nickte kühl. Er bewegte sich nach links zu einem kunstvoll - 103 -
gearbeiteten Waffenschrank. Daneben stand ein Sessel, und auf diesem Sessel lag sein Waffengurt mit dem Colt. Er nahm den Gurt, warf ihn sich um und wandte uns den Rücken zu, während er die Schnalle zuzog. Sein Bruder Robert aber entledigte sich seiner Jacke. Er trug einen grauen Prinz-Albert-Rock, der ihm als Richter einen seriösen Anstrich gab. Unter dem Rock trug er eine Schulterhalfter mit einem kurzläufigen Colt. Er würde die Waffe wegen ihres kur zen Laufes gewiß unheimlich schnell herausbekommen. Er grinste, und er erinnerte jetzt deutlich an einen bösen Wildeber, der seine Hauer zeigt. Jack Jeffreys grinste auf seine harte Art. Obwohl wir sechs Schritte voneinander entfernt waren, konnte ich in seinen hellen Augen das Funkeln erkennen. Er fürchtete sich nicht vor diesem Kampf - im Gegenteil, er wirkte unheimlich selbstbewußt und eiskalt. „Paß auf, du langer Indianer!“ sagte er fast humorvoll. Aber ich bemerkte in seinen Augen den unheilvollen Entschluß, der den Beginn seiner „Schwarzen Sekunde“ ankündigte Dann sah ich auch schon seine Schultern zucken. Der Revolver schien mir von selbst in die Hand zu springen. Ich zog nur den linken Colt, denn ich war kein Zweirevolvermann. Die zweite Waffe trugen Kirby und ich nur als Ersatz. Als ich abdrückte, sah ich in Jack Jeffreys Mündungsfeuer. Ich spürte, daß mich ein Stoß in die Seite traf, doch nicht so schlimm, um mich umzuwerfen oder sonst wie zu bewegen. Ich stand ganz ruhig und schoß von der Hüfte aus – einmal – zweimal – dreimal. Und ich kam Jack Jeffreys immer um einen Sekundenbruchteil zuvor. Nachdem er mich mit der er - 104 -
sten Kugel nicht so treffen konnte, daß ich kampfunfähig war, hatte er keine Chance mehr bei mir. Er fiel bäuchlings über den Tisch. Der rauchende Revolver polterte aus seiner Hand zu Boden. Ich sah mich nach meinem Bruder um, Kirby lehnte an der Wand. An seiner stoppelbärtigen Wange war eine blutige Schramme. Sein linkes Bein knickte ein, seine Hose be kam am Oberschenkel einen dunklen Fleck. Robert Jeffreys mußte sehr schnell gewesen sein, daß er Kirby zweimal treffen konnte. Aber nun lag Robert Jeffreys tot am Boden. Draußen krachte wieder Pedro Gonzales’ Gewehr. Ich spürte, daß ich an der rechten Seite verwundet war. Blut lief mir aus einer Wunde. Doch ich achtete nicht darauf. Ich ging zur Tür und rief zu Pedro Gonzales hinaus: „Es ist vorbei, Pedro! – Ruf ihnen zu, daß sie keine Bosse mehr haben! Es ist niemand mehr da, der ihnen Lohn zahlen kann. Sie können jemanden schicken, der sich die toten Jeffreys ansieht!“ Pedro Gonzales stieß einen heiseren, scharfen Ruf aus, Dann hörten wir ihn unsere Worte weitergeben. Ich wandte mich meinem Bruder Kirby zu. „Das war’ es!“ sagte ich, „Unseren Tom können wir zwar nicht mehr lebendig machen. Doch mit uns Starrets kann man einfach nicht so umspringen. Kannst du noch nach El Tuma zurückreiten?“ Er nickte, nahm sein Halstuch ab und band es über den dunklen Fleck auf der Hose. „Ja“, sagte er, „mit uns Starrets kann man nicht ungestraft so umspringen. Als sie mich hier fest in der Klemme hatten, mich schinden ließen und zerbrechen - 105 -
wollten, habe ich mir diese Minute tausendmal herbeige wünscht. Nun ist es vorbei. Wir waren ziemlich verrückt, Bruder, und ich frage mich jetzt, ob es einen Sinn hatte, was wir taten?“ „Vielleicht“, knurrte ich. Wir gingen hinaus. Er hinkte stark, aber er ging ohne meine Hilfe. Wir hatten unsere Colts neu geladen. Draußen kamen zwei Männer herbei. Einer war der Erste Vormann. Der andere war Pepe Ortiges, jener Bursche also, der mich so reingelegt hatte. Bei seinem Anblick verspürte ich einen kalten Zorn, doch Ortiges sah mich furchtlos an. „Ich bin meinem Boß stets treu“, sagte er. „Willst du mich auch erschießen, Saguero Jim?“ „Nein“, sagte ich, „mir reicht es. Und es macht einen Mann nicht froher. Mir wäre es lieb, wenn wir uns friedlich trennten. Oder juckt es euch nach Rache?“ „Wenn sie beide tot sind…“, murmelte der Erste Vormann. „Alle drei sind tot“, sagte ich. „Es gibt keine Jeffreys mehr. Sie wollten den falschen Mann um sein Gold brin gen.“ Der Vormann ging hinein, und Pepe Ortiges blieb draußen und starrte uns mit funkelnden Augen an. Es fiel genug Licht aus den Fenstern in den Innenhof. „Ihr hattet mächtiges Glück“, sagte Pepe Ortiges. Ich sah ihn nur an. Der Vormann kam heraus und berichtete: „Sie sind tot – und jeder hielt einen Colt in der Hand, aus dem mehr mals geschossen worden ist. Es war ein Doppel-Duell. Ich glaube nicht, daß es Sinn hat, wenn wir noch weiter aufeinander schießen.“ „Nein“, sagte ich. „Laßt uns nur reiten.“ . - 106 -
Pepe Ortiges nickte. Und auch der Erste Vormann nickte. Die Ära der Jeffreys war vorbei *** Im Morgengrauen erreichten wir El Tuma. Wir hatten eine Menge Blut verloren und waren am Ende unserer Kräfte. Obwohl es noch so früh war, hatte man auf unsere Rückkehr gewartet. Die Bürger der Stadt kamen auf die Straße. Aus dem Store trat auch Stella Cronin. Sie sah zu mir her, und plötzlich war ich davon überzeugt, daß sie Angst um mich gehabt hatte. Ich zog vor ihr den Hut. Dann waren wir vorbei und hielten vor dem Hotel. Socorro Concho kam vom Saloon herüber. Ich nickte ihm zu. Er begriff sofort, daß es keine Jeffreys mehr gab, daß er wieder frei war. Er hob nur die Hand und wischte sich über das Gesicht. Seine Hand zitterte leicht. Früher war er hier der große Mann gewesen – hier in der Stadt und im ganzen Land. Dann waren die Jeffreys groß geworden und hatten ihn immer mehr zurück gedrängt, eingekeilt, zum zweiten Mann im Land gemacht. Das alles mußte er hinnehmen, weil es kein wirkliches Gesetz hier westlich des Pecos gab. Solange er der Starke war, ging das gut. Aber als die Jeffreys mächtiger wurden, lebte er nur noch so lange von ihrer Gnade, wie sich Jack Jeffreys Hoffnungen auf Dolores machen - 107 -
konnte. Socorro Concho war klug genug, zu begreifen, daß in einem gesetzlosen Land nur der Starke mächtig ist. Aber es ist so schwer, immer der Starke zu sein. Es erfordert eine solche Menge Rücksichtslosigkeit, zu der Socorro Concho nicht fähig war. Wäre er das gewesen, so hätte er den Jeffreys schon von Anfang an mehr Widerstand ent gegengesetzt. In dieser Minute, als er sich über das Gesicht wischte und mich danach ansah, begriff er, was gut für ihn war. Recht und Gesetz würden auch ihn schützen, wenn er es nur anerkannte und im Lande haben wollte, denn vor dem wirklichen Gesetz sind sie alle gleich, die Kleinen und die Großen. „Ich hole den Wagenzug in die Stadt, damit er nicht in unrechte Hände gerät. Ich bringe jetzt meine Männer in die Sättel und erledige alles wie besprochen“, sagte er. 12. Ich brauchte drei Tage, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Wunde an meiner Seite war recht unange nehm, denn es war eine von jenen wunden, die nur schlecht verheilen, diese drei Tage hatte ich auch Zeit m Nachdenken. Das Ergebnis war, daß ich mich nun auf dem kürzesten Weg in den Store begab. Oha, ich hatte Glück! Es war niemand im Laden. Nur Stella stand hinter dem Ladentisch und sah mir mit großen Augen entgegen. „Blauauge“, sagte ich, „warum hast du einen kranken Mann nicht besucht? Zum Teufel, warum muß ich mich mit letzter Kraft herquälen? Hast du denn kein Herz, sondern einen Stein in deiner Brust? - 108 -
„Jim“, sagte sie, „du kommst doch nicht her, um dich wieder mit mir zu streiten?“ „Nein“, erwiderte ich, ging um den Ladentisch herum und nahm sie in meine Arme. Aber eigentlich kam sie ganz von selbst. Nachdem wir uns geküßt hatten, murmelte sie an meiner Schulter: „Ich – oh ich wußte doch nicht, ob du mich überhaupt magst. Ich war doch stets so kratzbürstig zu dir – und dann ist doch Dolores Concho so schön, und überhaupt dachte ich…“ Dann war sie mit ihrem Latein am Ende. Sie konnte auch nichts mehr sagen, weil ich sie wieder küßte. Spät in der Nacht – als Stella ihren Store endlich schließen konnte – machten wir noch einen langen Spa ziergang am Fluß entlang. Es war schön, mit einem Mädchen wie Stella unter den Sternen zu sein. „Was soll nun werden?“ fragte sie plötzlich. „Willst du mir helfen, den Store zu führen?“ Ich zuckte zusammen. Mir fiel wieder ein, daß ich ein armer Hund war, ein Tramp. Und sie war die Besitzerin des einzigen großen General Store auf zwanzig und noch mehr Meilen in der Runde. „Das hatte ich ganz vergessen“, sagte ich. „Natürlich können wir erst heiraten, wenn ich dir etwas bieten kann. Ich werde mit meinem Bruder und einigen anderen Burschen eine Binderherde sammeln und sie im nächsten Frühjahr nach Kansas zur Bahnlinie treiben. Rinder gibt es genug in Texas, Rinder ohne Brandzeichen, die praktisch herrenlos sind. In Kansas werden sie im kommenden Jahr gewiß zwischen zehn und fünfzehn Dollar pro Stück wert sein. Wir werden vier- bis - 109 -
fünftausend hintreiben. Mit meinem Bruder und zwei Dutzend Jungens schaffe ich das. Dann kannst du deinen Store verpachten oder verkaufen. Ich kann dir dann was bieten.“ „Ha“, sagte sie, „ich werde den Store schon vorher verkaufen und mit euch auf den Trail gehen. Glaubst du, daß ich dich noch einmal länger als einen Tag allein lasse?“ Wir lachten und besprachen die Einzelheiten. Als wir später wieder zur Stadt wanderten, hörten wir den Wagenzug heranrollen. Ich brachte Stella schnell heim zum Store, ging zum Frachtwagenhof und traf bald auf Socorro Concho, der gerade abgesessen war und die Einfahrt der acht Frachtwagen beobachtete. Er erkannte mich im Sternenschein und nickte mir zu. „Es gab einige Schwierigkeiten“, erklärte er. „Der Vormann der Jeffreys, Ringo Kingfisher, und auch Pepe Ortiges wollten sich diesen Wagenzug unter den Nagel reißen. Wir mußten kämpfen. Zum Glück war ich mit meinen Männern in der Übermacht. Die einstige JeffreysMannschaft hat sich aufgesplittert. Viele der Reiter sind schon fort. Wir haben mit unserem Kampf um die Wagen den Rest besorgt.“ Er machte eine Pause, trat zum Brunnen und trank einige Schlucke aus der hölzernen Schöpfkelle. Ich ließ ihm Zeit, denn er war ziemlich erledigt. Aber er hatte gekämpft und gewonnen. Das hatte ihm wieder Selbstvertrauen gegeben. Er wandte sich mir wieder zu und wischte sich über den Mund. „Ich mache mir Sorgen“, sagte er. „Schon unterwegs stießen Abgesandte von General Dias Cortega zu mir. Sie - 110 -
wußten bereits, daß die Jeffreys ihr Spiel verloren hatten. Nun wollten sie mit mir Verhandlungen aufnehmen. – Ich war ihnen wieder gut genug. Sie waren erstaunt, als ich ihnen sagte, daß ich an dem Geschäft nicht mehr interessiert wäre, daß die Wagenladungen in Texas blieben und daß überhaupt alles hier anders würde. Sie drohten mir, sagten, daß es General Dias Cortega gleich wäre, von wem er die Waffen bekäme, von den Jeffreys oder von mir, daß er sie aber haben müßte. Und wenn ich mit den Jeffreys um die Waffen gekämpft hätte, dann müßte ich auch die Verpflichtungen übernehmen. – Ich sagte ihnen, daß sie zum Teufel gehen sollten. Nun, sie ritten davon. Aber ich mache mir sehr große Sorgen. Ich traue diesem Banditen, der sich General nennt, ohne weiteres zu, daß er mit einer starken Bande über den Fluß in die Stadt kommt. Seit ich seine Abgesandten anhörte, sehe ich die Sache anders. Dias Cortega braucht die Waffen. Nur mit ihnen kann er tausend Peones und Indios bewaffnen und aus seiner Bande eine Armee machen. – Jim, was tun wir?“ Ich überlegte. Ich wußte, daß noch genügend Mexikaner von drüben in der Stadt waren Es kamen jede Nacht welche mit der Fähre herüber, um sich hier zu amüsieren. Unter diesen Besuchern würden auch Spione von Cortega sein. Wohin wir von hier auch die Wagenladungen brachten – wir konnten es nicht mehr unbemerkt tun. Acht schwere Frachtwagen können nicht verschwinden, wenn man. sie erst einmal unter Kontrolle hat. Ich dachte einen Moment daran, die Waffen zu vernichten. Doch das ging nicht. Socorro Concho würde daran pleite gehen, denn er war ja der Besteller. Die Jeffreys hätten ihn abgelöst. Doch das konnten sie nicht mehr. - 111 -
Also blieb er der Besteller. Er mußte zahlen. „Wenn wir neu anspannen ließen und die Wagen fortbrächten“, sagte ich, „hätte die Bande von .drüben noch leichteres Spiel. Sie würde uns unterwegs überfallen. Socorro, diese Stadt muß jetzt einen neuen Weg einschlagen. Das gilt für alle Menschen hier – auch für die Townwölfe. Wer nicht bleiben will, soll reiten. Doch es werden fast alle bleiben. Wollen wir, es versuchen, Socorro?“ Er sah mich an und nickte. „Aber wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte er. „Dias Cortega wird nicht eine einzige Sekunde zögern. Seine Abgesandten werden ihm inzwischen schon gemeldet haben, daß er die Waffen nur mit Gewalt bekommen kann. Er wird kommen – vielleicht schon im Morgengrauen. Wie wollen wir es anfangen? „ „Zuerst holen wir alle Bürger der Stadt zusammen“, sagte ich. Es war zwei Stunden nach Mitternacht, als wir alle im Saloon versammelt hatten. Ein paar von Socorro Conchos Männern standen vor der Stadt Wache. Ich trat mit Socorro auf die Bühne, auf der sonst immer Dolores ihre Lieder sang, und sah auf die Versammlung. Da waren Handwerker und Geschäftsleute, da waren Socorro Conchos Barmänner, Rauswerfer und Spieler. Auch die Frachtfahrer und die Leute vom Wagenhof waren da. Die fremden Gäste waren alle fort. Die Leute von El Tuma waren allein. „Dies war die ganze Zeit eine lausige Stadt“, sagte ich. „Sie hatte den denkbar schlechtesten Ruf, und ihren - 112 -
Namen sprachen nicht wenige Leute wie einen Fluch aus. Ihr wolltet hier kein Gesetz, und so lebtet ihr alle – von Socorro Concho angefangen bis zum Pferdewärter im Mietstall – nach euren eigenen Regeln. El Tuma war wie eine Mausefalle für jeden Narren, bei dem es etwas zu holen gab. Aber dann habt ihr gesehen, wohin es führt, wenn man nach eigenen Gesetzen lebt. Es kommt eines Tages stets ein Stärkerer. Das ist ein Naturgesetz. Und der Starke unterwirft stets den Schwachen. Ihr habt es erlebt. Die Jeffreys wurden mächtig. Sie hatten sich diese Stadt schon fast in die Tasche gesteckt. Es war ihnen möglich, sich zum Town Marshal und zum Richter zu machen – mit der Macht von hundert Reitern hinter sich. Ihr habt erlebt, daß ungesetzliche Gewalt stets von noch größerer Gewalt abgelöst wird. Nun, vor dem wirklichen Gesetz sind alle gleich – die Schwachen und die Starken. Da hat jeder Mann die gleichen Rechte. Deshalb ist das, was jetzt vor euch liegt, wichtig für die Stadt.“ Ich machte eine Pause, ging auf der Bühne einige Schritte auf und ab und sammelte mich, um überzeugend zu wirken. Meine Worte kamen mir schwach vor. Ich sprach weiter und zeigte mit dem Daumen über meine Schulter. „Drüben auf der anderen Seite sitzt ein Bandit, der sich zum General machte und Waffen haben will. Hier in El Tuma gibt es eine Menge davon. Er wird kommen, um sie sich zu holen. Wir könnten sie ihm geben. Dann ging alles glatt und leicht. Doch dann hätte sich diese Stadt abermals einem Stärkeren und Mächtigeren unterworfen. – Versteht ihr, auf was ich hinauswill?“ Ich sah sie an, doch in ihren Gesichtern konnte ich nur Unwillen erkennen. - 113 -
Meine Stimme wurde nun nicht etwa beschwörend. Sie sollten nicht glauben, daß ich ihnen etwas aufschwat zen wollte. Ich sprach pulvertrocken und nüchtern: „Ein Bandit will Waffen, um Revolution zu machen. Er will rauben, morden und plündern. – Wir dürfen ihm das Zeug nicht geben. Wenn wir das schaffen, dann haben wir uns bewiesen, daß wir neu beginnen wollen. Von diesem Tag an wird El Tuma eine faire Stadt sein, sauber und redlich. Und wir wissen dann, daß wir nach dem Gesetz leben und in Zukunft gemeinsam gegen alle neuen Jeffreys zusammenhalten können. Es wird nie wieder Starke und Schwache geben, denn die Ge meinschaft macht sie alle gleich durch das Gesetz. Könnt ihr mich verstehen? Ihr kämpft nicht so sehr gegen den Banditen dort drüben als vielmehr für eine neue Zeit.“ Sie starrten mich an, und ich konnte ihren Widerwillen spüren. Die meisten von ihnen waren aus irgendwelchen Gründen vor dem Gesetz über den Pecos geflüchtet. Viele von ihnen haßten das Gesetz. Und dennoch mußten sie in der Vergangenheit herausgefunden haben, daß sie ohne Gesetz stets im Schatten von Starken lebten. „Wer helfen will, soll bleiben – wer so weitermachen will wie bisher, der soll gehen!“ rief ich scharf in den Saal. Dann sahen Socorro und ich, wie die meisten gingen. Ein paar blieben. Socorros Leute hatten sich alle beim Schanktisch aufgebaut. Auch von ihnen gingen einige. Socorro und ich sahen uns an, und Socorro grinste.… „So ist das“, sagte er, „wenn man redlich werden will. Es wird einen verdammt schwergemacht, nicht wahr? – - 114 -
Vielleicht sollte man doch lieber aufgeben. Wir paar Mann können die Stadt nicht verteidigen.“ Ich zählte die Männer. Mit Socorro und mir waren wir neunzehn Mann. Es waren auch einige von Socorro Conchos Townwölfen dabei, jene Revolverschwinger, die bei ihm als Rauswerfer, Hauspolizisten, Spieler oder Barkeeper arbeiteten. Ich wußte, sie waren gefährliche Kämpfer. Ich sah Socorro an. „Sind Schrotflinten bei der Waffenlieferung?“ „Laut Liste hundert Stück mit reichlich Munition“, erwiderte Socorro. „Na schön“, sagte ich. „Mit Schrotflinten können wir sie schlagen. Wir holen die acht Frachtwagen aus dem Frachtwagenhof und stellen sie hier mitten auf die Straße. Dann verteilen wir uns auf die umliegenden Häuser und geben es jedem Banditen, der an die Wagen will. Anders können wir es nicht machen. Wir können zwar die Hauptstraße – doch niemals die ganze Stadt verteidigen. Das wäre nur möglich, wenn alle Leute hier mitgemacht hätten. Aber warum sollen wir etwas verteidigen, was von den Besitzern selbst aufgegeben wurde? Wir kämpfen mit den mexikanischen Banditen um die Waffen.“ Wir alle kamen nun mächtig in Betrieb und beeilten uns. Mit den drei Mann, die draußen vor der Stadt als Wächter postiert waren, zählten wir genau einundzwanzig Männer. 13. Ich nahm mir ein Pferd und ritt zum Muß. Als ich ihn - 115 -
erreichte, sah ich, daß die drüben war. Das war nur na türlich, denn der Fährmann und sein Gehilfe waren Mexikaner. Sie hatten drüben ihr Haus. Ich fragte mich, ob die Banditen mit der Fähre oder durch Pedro Gonzales’ Furt kommen würden. Pedro war nicht mit Kirby und mir von der Jeffreys Ranch zur Stadt geritten. Er war vor der Stadt abgebogen und zu seinem Rancho an der Furt heimgekehrt. Ich war sicher, daß er dort aufpassen und uns das Kommen der Bande melden würde. Ich brauchte also nur auf die Fähre zu achten. Noch war es Nacht. Doch im Osten wurde es allmählich grau. Dort warf der aufsteigende Tag den ersten fahlen Schein an den Himmel. Über dem Fluß begannen Nebel zu steigen. Sie minderten die Sicht bis auf wenige Yards. Ich konnte mich jetzt nur noch auf meine Ohren verlassen. Wenig später hörte ich einen Reiter am Fluß entlang kommen. Er kam aus der Richtung von Pedro Gonzales’ Rancho. Ich ritt dem Reiter, dessen Pferd ich immer deutlicher hörte, langsam entgegen. Und ich rief dann rechtzeitig, damit wir im Nebel nicht zusammenprallen konnten. Es war Pedro, der sein Pferd zurück riß und es näher herandrängte, als er mich erkannte. „Eine Bande kommt durch die Furt“, sagte er heiser. „Sie muß jetzt gewiß schon an diesem Ufer sein. – Wie ist es hier an der Fähre?“ Ich antwortete nicht, denn ich hatte nun auch hier auf dem Fluß Geräusche gehört. Wir lauschten beide. Jetzt hörten wir die Fähre kommen, dazu waren viele Ruder- und Paddelgeräusche zu vernehmen. Es war klar: General Dias Cortega kam an, zwei - 116 -
Stellen mit meiner ganzen Kriegsmacht über den Fluß. Das bedeutete, daß er die Stadt in die Zange nehmen wollte. Wir mußten zur Stadt zurück. Pedro Gonzales schloß sich mir an. Es bedurfte keiner Frage, daß er für die Stadt kämpfen wollte, in der er von einem Banditen-Richter wegen angeblichen Pferdedieb stahls zum Tode verurteilt worden war. Mit Pedro Gonzales waren wir nun zweiundzwanzig Mann. Wir warteten zu beiden Seiten der Hauptstraße in den Häusern, auf den Dächern oder Baikonen. Wir hielten den Saloon, den Store, das Hotel, die Sattlerei, das Marshal’s Office mit dem Gefängnis, den Barbierladen und noch zwei oder drei Häuser besetzt. Auf der Fahrbahn standen die acht schweren Frachtwagen, in denen sich die Waffen, Munition und Schießpulver befanden. Diese acht Frachtwagen waren mit einem riesigen Teufelsei zu vergleichen. Socorro Concho hatte das Zeug bestellt, um es nach Mexiko zu schmuggeln. Damals waren die Jeffreys noch nicht so mächtig. Doch sie wurden es, bevor die höllische Fracht hier eintraf, und sie nahmen Concho alles aus der Hand. Sie wollten das Geschäft allein machen. Socorro Concho hatte sich gewandelt. Er hatte begriffen, daß es Zeit für ihn war, aufzugeben und umzukehren. Und wie er dachten alle anderen, die hier geblieben waren, um auszuhalten. Ich stand auf dem Dach von Stella Cronins Store. Der mexikanische Helfer war bei mir. Unten am Fuß der Treppenleiter, die zur Dachluke führte, standen Stella und Esmeralda, die Frau des Mexikaners. Sie warteten auf unsere Befehle. - 117 -
In den anderen Häusern war es gewiß ähnlich. Es war grauer Morgen geworden. Im Eckfenster des Hotels erkannte ich meinen Bruder Kirby. Er sah schräg zu mir empör, denn ich stand am Rand des Daches. „Wir werden es ihnen besorgen!“ rief er. Ich nickte nur. Dann warteten wir schweigend und lauschten aufmerk-sam. Plötzlich hörten wir sie auch schon. Sie kamen von zwei Seiten angaloppiert, denn sie hatten ihre Pferde mit herübergebracht. Sie brachen in wildes Geschrei aus und schossen wie verrückt. Dann fanden sie heraus, daß die Häuser am Stadtrand von ihren Bewohnern geräumt waren. Deshalb konnte sie selbst ihr General nicht davon abhalten, erst einmal zu plündern, denn sie waren ja arme Hunde. Was sie bisher drüben in Mexiko zusammenraubten, reichte zumeist nicht lange. Hier fanden sie Kleidung, Eßwaren und allerlei Zeug, das für sie der reinste Luxus war. Erst nach einer Weile brachte der General sie mit Hilfe des Captains und der Leutnants dazu, sich auf den eigentlichen Zweck ihres Besuches zu besinnen. Jetzt drangen sie allmählich von beiden Richtungen in die Hauptstraße ein, kamen durch Quergassen und zwischen Hauslücken hervor. Sie sahen die acht Wagen in Vierer-Doppelreihe dastehen, hielten an und begriffen die Sache bald. Dias Cortega rief in recht verständlichem TexasEnglisch durch den grauen Morgen: „Hoi, ihr Gringo-Cabrons! Ich bin gekommen, um meinen Handel mit Socorro Concho zu machen. – Da es - 118 -
die Jeffreys nicht mehr gibt, muß ich mich an ihren Nachfolger halten. Also, wir spannen diese acht Wagen wieder an und bringen sie über der Fluß. Wir bleiben dann gute Freunde und Nachbarn, und wenn ich erst Präsident von Mexiko geworden bin, dann werde ich mich dieser kleinen Stadt gegenüber erkenntlich zeigen. – Basta!“ Nach diesen Worten wartete er unsere Antwort. Er bekam sie vom Hoteldach von Socorro Concho. „Die Jeffreys sind nicht mehr“, sagte Socorro laut. „Und ich habe es mir anders überlegt. Cortega, die Zeit hat sich gewandelt. Nimm deine Banditen und reite wieder auf die andere Seite des Flusses. Ihr bekommt hier nicht mehr als heißes Blei. – Gib auf. General!“ Er sprach das Wort „General“ mit grimmiger Ironie. Wir konnten sehen, wie Dias Cortega sein Pferd wandte und ein Stück die Straße hinunterritt, bis er in einer Gasse Deckung fand, die außerhalb unseres Verteidigungsbereiches war. Von dort aus rief er seinen Leuten gellend zu: „Hoya! Greift an, meine Söhne! Tötet sie alle, meine goldenen Helden! Und holt Pferde herbei, damit wir anspannen!“ Da ging es auch schon los. Sie waren mehr als hundert Banditen. Fast alle hatten indianisches Blut in sich, und das bedeutete, daß sie nicht feige waren. Sie fürchteten sich nicht vor dem Tod. Spanisches und indianisches Blut machte sie stolz und todesmutig, verwegen und gefährlich. Sie waren schnell wie die Apachen, warfen sich von den Pferden, begannen wild zu schießen und versuchten in die Häuser einzudringen. Denn sie wußten, daß sie die acht Wagen nicht fortschaffen konnten, solange wir sie mit Schrot eindeckten. - 119 -
Unsere Schrotflinten krachten fürchterlich - Dennoch hielten die mexikanischen Banditen eine Weile stand, bevor sie sich in die Deckung der Gassen und des unverteidigten Stadtteils zurückzogen. Es begannen jedoch da und dort die ersten Holzhäuser zu brennen. Die Schuppen hinter dem Store, dem Hotel und dem Saloon fingen ebenfalls Feuer. Tote lagen da und dort im Staub. Die Waffen verstummten. Die Banditen brüllten Drohungen. Es war klar, daß sie El Tuma zerstören würden, wenn wir ihnen die acht Wagen mit der für sie so kostbaren Ladung immer noch nicht überlassen wollten. Es war Tag geworden. Doch jetzt war überall Rauch und Qualm. Der General brauchte diese Bande nicht besonders anzufeuern. Sie alle wollten nicht länger Banditen bleiben. Wahrscheinlich hatte er ihnen Beförderungen zugesichert, wenn sie sich erst zu einer Armee vergrößert hätten. Aber das konnten sie nur, wenn ihr General Waffen für tausend oder noch mehr unzufriedene Bauern in die Hand bekam. Dann würden sie bald nicht nur tausend, sondern drei-, viertausend Mann sein. Ihre Armee würde sich auf dem Marsch durch Mexiko wie eine Lawine vergrößern, denn das ganze Land war voller Unzufriedener. Überall herrschten Not und Elend. Nachdem Kaiser Maximilian erschossen worden war, gärte es überall in Mexiko. Benito Juarez konnte die Dinge gar nicht mehr in den Griff bekommen. Burschen wie Dias Cortega, die Revolution machen wollten, gab es überall im Lande. Ich sah vom Dach auf den brennenden Schuppen des - 120 -
Stores nieder. Stella hatte eine Menge Waren dort gelagert. Nun verbrannte alles. Wir konnten nichts retten. Ich mußte mich auch schnell in Deckung bringen, denn eine Kugel pfiff dicht an meinem Kopf vorbei. Juan, der bei mir auf dem Dach war, kam zu mir gekrochen. „Unsere Stadt brennt ab – und nur deshalb, weil Socorro Concho früher selbst ein Schuft war. Unter seiner Leitung war diese Stadt doch erst so schlecht geworden“, rief er bitter. „Sicher“, sagte ich. „Doch er hat sich geändert. – Und mehr als nur er hat sich geändert. Fast alle Leute hier in El Tuma waren schlecht. Sie duldeten einen Schuft wie Brett Jeffreys als Marshal und einen Banditen wie Robert Jeffreys als Richter. Hier ist keiner ohne Schuld. Socorro Concho mag gewesen sein, wie er will – jetzt jedenfalls will er es anders machen. Und das allein zählt noch. Nichts anderes. Kriech zur anderen Seite, Juan! Ich glaube, es sind ein paar Banditen unten in der Gasse. Wenn sie in den Store eindringen, sind wir hier oben erledigt.“ Er gehorchte sofort. Der Kampf kam wieder in Gang. Etwa zwei Dutzend Banditen hatten die Dächer der weiter entfernten Häuser besetzt und nahmen die Verteidiger unter Feuer. Ich selbst hatte es auf einen Burschen abgesehen, der hinter dem Kamin eines zweistöckigen Hauses kauerte und höllisch genau feuerte. Ich erwischte ihn im selben Moment, als er einen Mann vom Saloondach schoß. Aus der Sattlerei kamen der Sattler, dessen Gehilfe, die Frau des Sattlers und zwei Kinder gelaufen. Sie flüchteten zwischen den Wagen hindurch zum Hotel. - 121 -
Nach ihnen drängten sich Banditen heraus, denen es gelungen war, durch die Hintertür in die Sattlerei einzu dringen. Wir schossen von allen Seiten auf die Kerle, trafen einige und jagten die anderen in die Sattlerei zurück. Wir gaben den Flüchtenden Feuerschutz. Sie erreichten auch alle das Hotel. Aber die Sattlerei, die sich genau zwischen dem Marshal’s Office und dem Barbierladen befand, war nun in den Händen der Banditen. Sie würden nun nach rechts und links Raum gewinnen, entweder über die Dächer oder unten durch die Wände. Sie mußten uns niederkämpfen. Früher brachten sie die acht schweren Wagen nicht aus der Stadt. Bald schon erschienen die ersten Banditen auf dem Dach der Sattlerei. Sie waren in der Überzahl. Obwohl wir die ersten der Kerle erwischten, gelang es doch darin mehr als einem Dutzend, auf das Dach zu kommen. Sie wandten sich nach rechts und links, drangen auf die Dächer des Marshal’s Office und des Barbierladens vor. Sie kämpften die Verteidiger nieder. Natürlich schossen wir, was wir konnten. Doch unsere Sicht wurde zu stark durch Rauch und Qualm behindert. Man konnte durch diese Rauchschwaden zeitweilig nicht bis auf die andere Straßenseite blicken. Bald darauf flüchteten die Leute aus den beiden Häusern – ein paar Frauen, Kinder – und zuletzt Männer, die sich immer wieder umwandten und zurückschossen. Zwei der Männer und eine Frau blieben auf der Straße liegen. Die mexikanischen Banditen hatten eine Straßenseite erobert. Wir hielten nur noch den Store, das Hotel und - 122 -
den Saloon, Zwischen den Banditen und uns standen die acht Frachtwagen. Ein paar der Leute waren zu uns in den Store geflüchtet. Wir bekamen Verstärkung. Der Schuppen hinter dem Store brannte lichterloh. Wein und Schnaps explodierten in den Flammen. Der Wind trieb das Feuer gegen die Hotelanbauten. Als einige beherzte Männer darangehen wollten, Lösch versuche zu unternehmen und einen kleinen Stall wegzureißen, der, wenn er erst brannte, eine Verbindung zu den Saloonanbauten herstellen würde, bekamen sie heftiges Feuer und mußten sich mit Verlusten zurückziehen. Diese mexikanische Bande war zu stark, und sie bestand nicht aus Feiglingen. Diese Burschen konnten kämpfen. Sie würden die Stadt El Tuma vernichten, wenn nicht bald etwas geschah. Aber was? – Was sollte oder konnte geschehen? Ich wußte es nicht. In mir wuchs ein Schuldgefühl, ein tiefes Bedauern. Ich kam mir plötzlich wie ein Narr vor. daß ich die Leute hier zu diesem Kampf gebracht hatte. Denn haupt sächlich war das doch mir zuzuschreiben. Ich hatte im Saloon auf der Bühne eine Rede gehalten. Ich war der Bursche, der von Redlichkeit, einer neuen Zeit und wer weiß was für Dingen sprach. Aber jetzt war alles ganz anders. Jetzt floß Blut, starben Menschen und brannten Häuser. Jetzt war hier Unglück und Not. Ich mußte mich mit Socorro Concho besprechen. Wir mußten einen Weg finden. Jemand mußte eine Idee haben. - 123 -
Denn sonst ging nicht nur diese Stadt zum Teufel. Sonst starben die Menschen hier alle. Ich war ein Narr gewesen, der diese Welt hier verbessern wollte. 14. Ich öffnete die Seitentür des Store und hielt meinen Revolver bereit. Das war gut für mich. In der schmalen Gasse zwischen Store und Hotel waren zwei mexi kanische Banditen. Sie erkannten mich jedoch einen Sekundenbruchteil später als ich sie, denn auch hier in der schmalen Gasse war viel Rauch. Außerdem hatten sie wohl nicht damit gerechnet, daß jemand von uns freiwillig aus dem Store kommen würde. Ich schoß sie nieder, erreichte die Seitentür des Hotels und hämmerte dagegen. „Laßt mich hinein! Hier ist Jim Starret! Laßt mich hinein! Ich will zu Socorro Concho!“ „Der ist nicht bei uns im Hotel“, klang es dumpf durch die Tür. „Und du kannst von uns aus zur Hölle gehen, Jim Starret. Hätten wir nur nicht auf dich gehört. – Hoffentlich erwischen sie dich noch, bevor sie uns erledigen. Hoffentlich saust du vor uns zur Hölle!“ Nun hatte ich es wieder. Sie haßten mich. Aber ich konnte es ihnen gar nicht verdenken. Ich glitt zur vorderen Ecke des Hotels, schwang mich aus der Gasse hinauf auf die Veranda und schlich darauf entlang. Manchmal kroch ich auf Händen und Füßen. Türen und Fenster waren mit Möbeln verrammelt. Aus einer der zum Schießen freigelassenen Öffnungen richtete sich eine Doppelmündung auf mich. Ich erwartete den Schuß – und ich konnte vor - 124 -
Überraschung nichts tun. Doch plötzlich gelang es mir, laut zu rufen: „Nicht schießen! Ich bin es doch! Jim Starret!“ Die Schrotflinte wurde nicht abgedrückt, obwohl der Finger des Mannes sich gewiß schon um den Abzugshahn krümmte. Eine bittere Stimme sagte: „Schleich doch nicht hier herum wie einer der Greaser! Ah, man sollte dir eine La dung in den Hintern schießen, daß es dich das ganze Leben lang juckt!“ Ich ließ mich auf keine Diskussion ein, sondern kroch weiter. Ich kam an die Gasse, die das Hotel vom Saloon trennte. Wieder versuchte ich es in der Seitengasse an der Nebentür. Ich trat mit dem Fuß dagegen und rief: „Hoi, laßt mich rein! Ich muß zu Socorro Concho! Laßt mich in den Saloon!“ Während ich es rief, blickte ich lauernd nach beiden Seiten. Rauch war in der Gasse. Doch dann sah ich eine Gestalt auftauchen. Sie trug einen mexikanischen Hut mit spitzer Krone und gekreuzte Patronengürtel über der Brust. Mehr brauchte ich nicht zu sehen, um rasch zu feuern. Der Bandit fiel, doch hinter ihm waren noch mehr. Ich warf mich zu Boden und schoß weiter. Sie erwiderten meine Schüsse, räumten jedoch die Gasse. Endlich ging die Tür auf. Ich Sah zwei Flintenläufe. Dann rief Dolores Concho: „Er ist es wirklich! Komm herein, Jim!“ Ich rollte über die Türschwelle. Sie warfen hinter mir die Tür zu und schoben einen Schrank davor. „Bist du in Ordnung, Jim?“ fragte Dolores. Ich sah sie an. Oha, sie brauchte sich nicht hinter Stella zu - 125 -
verstecken. Auch sie trug einen Revolvergurt und hielt eine Schrotflinte in den Händen. Auch sie kämpfte also wie ein Mann. „Ich bin in Ordnung“, sagte ich. „Wo ist Socorro? Ich muß mit ihm reden, denn wir müssen uns etwas einfallen lassen. Wenn wir das nicht können, sind wir bald alle verloren.“ Sie nickte und übernahm die Führung. Indem wir über die Treppe nach oben gingen, hörte ich einen der Männer unten sagen: „Dieser Hundesohn hat uns mit seinen Worten betrunken gemacht. Jetzt sitzen wir alle in der Klemme, werden zur Hölle fahren und…“ Mehr hörte ich nicht. Wir waren im oberen Stockwerk angelangt. Ich fragte mich, ob ich unter den Menschen hier in der Stadt außer Stella und Dolores überhaupt noch jemanden auf meiner Seite hatte. Was würde Socorro sagen? Wir fanden ihn in einem Zimmer am Fenster. Er lud gerade seine Revolver. Von diesem Eckfenster aus hatte er gutes Schußfeld über die Straße und auch zur Seitengasse. Er grinste mich niedergeschlagen an. „Hätte ich gewußt“, sagte er, „daß es so schlimm würde, hätte ich ihnen die Wagen auch noch über den Fluß gebracht – nur um uns das alles zu ersparen. – Jim, ich wette, daß sie uns binnen einer einzigen Stunde ausgeräuchert und totgemacht haben.“ Ich kauerte mich neben ihn. Auch Dolores hockte sich zu uns. Plötzlich hatte ich die Idee, nach der ich suchte und die ich zusammen mit Socorro zu finden gehofft hatte. Ich fragte: „Socorro, du kennst doch deine - 126 -
Wagenladungen genau. Du hast doch gewiß bei der Übernahme alles geprüft und untersucht. – In welchem Wagen ist das Schießpulver?“ „Warum willst du das wissen?“ fragte er heiser. Seine dunklen Augen glänzten. „Diese Greaser wollen die Waffen“, erwiderte ich. „Um sie zu bekommen, müssen sie uns vorher alle töten. – Jedenfalls glauben sie das. Aber sie müssen auch mit hohen Verlusten rechnen. Die Waffen sind ihnen sogar starke Verluste wert. – Aber wenn es keine Waffen mehr gibt…“ „Ich verstehe“, sagte Socorro, „du willst die acht Wagen einfach in die Luft sprengen – hunderttausend Dollar!“ „Sicher“, sagte ich. „Denn es geht nur noch darum, ob die Waffen zum Teufel gehen, weil die Greaser uns vor her ermorden – oder ob die Banditen aufgeben, weil sich ein Kampf nicht mehr lohnt. – Ich will in den richtigen, Wagen Lunten in die Pulverfässer legen und das Zeug anzünden. – Ich muß jedoch sofort den richtigen Wagen finden. Ich habe keine Zeit, in allen nachzusehen.“ Er nickte, hob eine Hand und wischte sich über das schwitzende, von Pulver geschwärzte Gesicht. „Aber das ist meine Sache“, murmelte er. „Schließlich habe ich diese Waffenladungen bestellt. Daß mir später die Jeffreys alles aus der Hand nahmen, spielt keine Rolle. Ich werde gehen, um die Wagen in die Luft zu jagen. Es ist der zweite Wagen von rechts, jedoch auf der gegenüberliegenden Seite.“ „Nein“, sagte ich. „Es ist meine Schuld, daß diese Stadt sich auf diese Sache einließ. Nun stecken die Leute in der Klemme. Ihr hättet euch nicht zum Widerstand entschlossen, wenn ich euch nicht mit meinen Worten be - 127 -
trunken gemacht hätte. – Ich muß es tun. Vielen Dank, daß du mir den Wagen gezeigt hast.“ Ich wollte zur Tür kriechen; denn man konnte nicht aufrecht zur Tür gehen. Von den Hausdächern her kamen immer wieder Kugeln. Als ich an Socorro Concho vorbeikroch, beugte er sich vor und schlug mir den Revolverlauf über Ohr und Schläfe. Es war ein unheimlich präziser und schneller Schlag, der mich auf das Gesicht fallen ließ. Aber ich war noch nicht völlig weg; ich wollte hoch. Er traf mich zum zweiten Male. Da wurde es dunkel um mich. Ich wußte nicht mehr, was in den nächsten Minuten geschah. Zuerst waren die Schmerzen in Kopf, und dann kam aus meinem Inneren der Wille, endlich richtig aufzuwachen. Aber noch war keine Erinnerung in meinem Kopf. Noch wußte ich nicht, was geschehen war. Ein gewaltiges Krachen riß mich aus dem Zustand der Benommenheit – und dann krachte es noch einmal. Plötzlich war die Erinnerung da. Ich wußte wieder, was ich tun wollte – und warum ich es nicht tun konnte. Socorro Concho hatte mir etwas über den Kopf gezogen und war selbst gegangen, um seine Wagen in die Luft zu sprengen. Die drei ersten Explosionen mußten schlimm gewesen sein. Wenn nicht schon alle Fenster durch die Schießerei zum Teufel waren, so waren sie es jetzt. Die Dächer in der Umgebung waren gewiß abgedeckt. Ich glaubte, daß der Saloon schwankte wie ein Kartenhaus. Langsam setzte ich mich auf, hielt meinen - 128 -
schmerzenden Kopf, lehnte mich mit dem Rücken an die Wand – und mußte erst einmal husten. Dabei hatte ich das Gefühl als zerspränge mein Kopf. Rauch quoll zum Fenster herein – beißender, stinkender, nach Pulver riechender Qualm. Plötzlich war Dolores Concho bei mir. Sie kauerte sich nieder und rief mir ins Ohr: „Du sollst ihm nicht böse sein, läßt er dir sagen. Doch er war der Meinung, daß es ihm allein und sonst keinem anderen Menschen hier zukäme, die Wagen in die Luft zu sprengen. Er läßt dich grüßen.“ „Zum Teufel!“ krächzte ich. „Er brauchte mich doch nicht gleich so auf den Kopf zu schlagen…“ „Doch“, sagte sie. „Denn sonst hättest du es bei ihm gemacht. Ihr fühltet euch beide verantwortlich. Aber er hatte das größere Recht, nicht wahr?“ Ich sagte nichts. Erst als der Qualm sich verzogen hatte, spähte ich durch das Fenster. Von den acht Wagen war nicht, mehr viel zu sehen. Es war ein gewaltiges Durcheinander, in dem die Flammen loderten. Dicht vor dem Saloon-Eingang lag Socorro Concho – er war tot. Ich sah es mit einem Blick, denn ich hatte im Krieg Erfahrungen sammeln können. Wenn ein Mann so am Boden lag wie Socorro, so zusammengekrümmt und schlaff, dann war er tot. Von irgendeinem Hausdach über uns tönte ein heiserer Ruf: „Hoi, sie sammeln sich und ziehen ab! Sie geben es auf! Jetzt gibt es für sie keinen Preis mehr, um den sie kämpfen müssen.“ Nach diesen heiseren Worten kam ein triumphierendes - 129 -
Gebrüll auf. Die Verteidiger von El Tuma feierten ihren Sieg, denn trotz allem waren sie Texaner. Sie hatten El Tuma vertei digt, so gut sie konnten. Jetzt kamen sie sich wie die Helden von Alamo vor, die damals mit hundert fünfundachtzig Mann gegen siebentausend Mexikaner kämpften und siebzehnhundert davon töteten, ehe dann auch sie starben. Nun, die Leute von El Tuma brauchten nicht alle zu sterben. Ihnen ging es auch nicht wie den Verteidigern von Alamo, deren Asche auf Befehl von General Santa Anna in alle Winde verstreut wurde, nachdem man sie Mann für Mann auf Scheiterhaufen verbrannte. Aber etwas von diesem Alamo-Geist war wohl auch hier vorhanden. Obwohl sie mich alle verfluchten, hatten sie doch gekämpft. Ich erhob mich – und auch Dolores Concho stand auf. Einige Sekunden standen wir in dem rauchgeschwärzten Zimmer dicht voreinander. „Ich habe dich einmal geküßt, weil ich dich auf unserer Seite haben wollte“ murmelte Dolores mit dunkler Stimme. „Doch heute würde ich dich küssen, ohne irgendwelche Hintergedanken zu haben. – Aber es ist zu spät, nicht wahr? Es hätte keinen Sinn, Jim, nicht wahr?“ „Ich liebe Stella“, murmelte ich. „Und ich kann nichts dafür. Das kam einfach so. Als ich dich zum ersten Male sah, Dolores, da glaubte ich, daß ich immer von dir träumen müßte. Doch dann sah ich Stella Cronin, und alles wurde anders.“ „So ist das im. Leben“, flüsterte sie und wandte sich ab. Sie wollte zum Fenster. Doch ich hielt sie am Arm - 130 -
fest. „Sieh nicht hinunter“, bat ich sie. „Socorro liegt dort unten, und er ist tot. Es tut mir leid, Dolores.“ Sie weinte nicht. „So ist das Leben“, murmelte sie noch einmal. Als ich zu Stella ging, sahen mich da und dort die Leute an. Niemand fluchte jetzt noch auf mich – aber es sprach auch niemand zu mir. Sie waren stolz auf ihren Sieg, den Socorro ihnen ermöglicht hatte. Aber sie waren auch um Jahre zurückgeworfen worden. Ich hätte ihnen sagen können, daß ihre Stadt keine Zukunft hatte, solange sie so schlecht, betrügerisch und sündig gewesen war. Jetzt war alles anders. Aber ich war fertig hier. Warum sollte ich auch noch etwa, sagen? Vom Hotelfenster sah Kirby auf mich nieder. Ich hielt inne und fragte „Alles in Ordnung, Kirby?“ Er nickte. „Und wie ist es bei dir? wollte er wissen. Ich sah zum Store hin. Stella war herausgekommen. Durch die immer hoch wirbelnden Bauchwolken sah ich wie sie sich bei meinem Anblick entspannte. Sie hatte Angst um mich gehabt. „Es ist alles in Ordnung, Kirby“, sagte ich. „Wir werden bald eine Herde sammeln und nach Kansas treiben.“ Dann wandte ich mich ab, ging zu Stella und nahm sie in meine Arme. Nun, lieber Leser, während ich dies schreibe, sitze ich als alter Bursche auf der Veranda eines großen Ranch hauses. Ich bin Großvater und habe nichts mehr zu tun. Stella, die nun schon dreißig Jahr meine Frau ist, kommt mit einem Arm voll Blumen aus dem Garten. Sie lächelt zu mir herüber. - 131 -
Das Leben war schön und ist es immer noch. Was damals in El Tuma war – ich kam darüber hinweg, konnte vergessen und auch begreifen, was ich falsch gemacht hatte. Aber wer ist schon ohne Fehler? ENDE
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