Jim Elliot
Todeszeichen Ronco Band Nr. 315/44
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stieß...
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Jim Elliot
Todeszeichen Ronco Band Nr. 315/44
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Scout von Fort Calhoun. erhält einen Vorgeschmack auf künftigen Ärger. Hampton Lester – Colonel und Kommandant von Fort Calhoun, steht vor folgenschweren Entscheidungen. William Fly – Sein Adjutant ist ein Indianerfresser und hält sich stur an die Dienstvorschrift. Elmar Gorring – Ein betrügerischer Händler, der sich an den Indianern bereichert. Stuart Frey – Ein Indianeragent, der es mit seinen Schützlingen gut meint. Jicarilla – Arbeitet auch als Scout, trinkt aber unmäßig.
Todeszeichen 2. September 1881 Eine monatelange Jagd geht zu Ende. Noch einmal versuchten die Hilton-Mörder, mir den kleinen Jellico wegzunehmen, in dem sie nur die Millionen seines Großvaters sehen, nicht ein kleines hilfloses Wesen. Mit dieser Jagd scheint eine ganze Epoche zu Ende zu gehen. Ich habe Mexiko verlassen. Mein Sohn Jellico ist in Texas in Sicherheit. Auch Marido, der Samurai, der jahrelang so erbittert auf der Seite Hiltons gegen mich kämpfte, ist nun zum Verbündeten geworden. Alle meine Freunde sind in Texas versammelt. Noch sind nicht alle Rechnungen aus den Tagen meiner Verbannung beglichen. Nicht alle Wunden sind verheilt. Doch ich spüre, daß die Vergangenheit mir nicht mehr ihr unheilvolles Gesetz aufzwingt, das nur Rache und Verfolgung kannte. Ein neues Leben zeichnet sich ab. Die berühmte Truppe der Texas Rangers, die mir zuletzt im Kampf gegen Mulettos Bande im Norden Mexikos zur Seite stand, bot mir an, von jetzt an mit dem Abzeichen dieser angesehenen Einheit im Süden der Vereinigten Staaten für Gerechtigkeit und Sicherheit zu kämpfen. Meine Freunde in Texas bestürmen mich, dieses Angebot anzunehmen. Jellico zuliebe, der seine Chance erhalten muß, sich in relativer Geborgenheit und Ruhe entwickeln zu können. Auch Lobo, der Gefährte meiner Verbannung, redet mir zu, in diese Mannschaft einzutreten. Die Pflicht des Mannes, der seine Prüfungen bestanden hat, sagen meine Freunde, besteht darin, für andere Vorbild zu sein. Die Aufgaben und die Verantwortung eines Texas Rangers sind ein neuer Anfang, ein sinnvolles Dasein, wie ich es mir schon lange gewünscht habe. Nach langen Jahren der Irrfahrt und Verbannung kehre ich also dorthin zurück, wo mein Leidensweg in früher Jugend begonnen hat. Damals war ich nach Texas gekommen, als der Bürgerkrieg gerade ein halbes Jahr zurücklag und diesen stolzen Staat in eine
tiefe Depression stürzte. In Fort Calhoun, als junger Scout für die Armee, glaubte ich, wenigstens das bittere Schicksal der Indianer in ihren Reservaten lindern zu können. Aber ich mußte bald einsehen, daß die Wirklichkeit keine Rücksicht nimmt auf die idealen Vorstellungen eines jungen Mannes. Damals, im Herbst des Jahres 1865, wurden bereits die Weichen gestellt für den Konflikt mit korrupten Elementen, die sich am Elend anderer bereicherten …
1. Die Hitze lag wie flimmerndes Blei über den Mesquite- und den grauen Sagebüschen. Er hätte nie geglaubt, daß man in so einem Land auch noch menschenwürdig leben konnte. Aber vielleicht war das nur eine Illusion, die er lange an seinem Schreibtisch gehegt hatte. Es war ein sehr ehrenwert wirkender, grauhaariger und graubärtiger Mann, der an diesem Septembernachmittag 1865 in der Backofenglut durch das dürre Hügelland im Südwesten von Texas ritt. Er trug Schnürstiefel und einen Anzug mit geblümter Weste, der ihm auf der Haut klebte wie ein Winterpelz in einem überhitzten Dampfbad. Er ritt auf einem braunen Hengst, der seinem Zügel und seinem schwächlichen Schenkeldruck schon lange nicht mehr gehorchte. Er stolperte über das braunrote Geröll, das den Uferhang eines Flusses darstellen sollte. Doch von dem Fluß war seit Monaten nichts mehr zu erkennen, weil er bereits zu Beginn des Sommers ausgetrocknet war. Der ehrenwerte Mann in dem maßgeschneiderten Anzug eines zivilisierten Gentleman hatte sich nach einer Landkarte orientiert, auf der viele Dinge eingetragen waren, die es in der Wirklichkeit leider nicht gab. Wasser zum Beispiel oder eine schattenspendende Vegetation, die nur bei Regenzeiten aus dem flimmernden Sandboden herausschoß. Ich muß wohl die Fußnoten auf meiner Landkarte übersehen haben, dachte der gutgekleidete Gentleman bekümmert, in denen zu lesen stand, daß in dieser gottverlassenen Gegend von Texas der
Regen jahrelang ausbleiben konnte. Wasser, dachte er benommen, ist ein Element, über das ich bisher nur mit einem leisen Achselzucken hinwegging. Ich hielt es für gegeben wie den Speichel in meinem Mund und das Blut in meinen Adern. Eine Selbstverständlichkeit in Gottes Natur, an die man nicht den leisesten Gedanken verschwendet. Und jetzt muß ich in meinem fortgeschrittenen Lebensalter erfahren, daß Wasser kostbarer sein kann als Gold und das tägliche Brot. Nur die Luft, die ich atme, ist noch ein elementares Geschenk der Schöpfung. Doch sie ist so heiß, daß man sie kaum atmen kann. Und sie trocknet mir den letzten Saft aus dem Körper. Er überlegte, wie er seinen Durst und den seines Reittieres stillen konnte, nachdem der Fluß auf seiner Karte kein Wasser führte. Er hatte doch gelesen, daß Kakteen Wasser in ihrem Fruchtfleisch speicherten. Aber ausgerechnet hier am Rio Doro schienen selbst Kakteen Mangelware zu sein. Er bezweifelte auch, ob er mit dem Messer, das ihm seine Freunde mitgegeben hatten, so gut umgehen konnte, daß er die steinharte Außenhaut eines Kaktus damit aufzuschlitzen vermochte. Blieb noch die Möglichkeit, ein Tier zu erlegen, das ihn mit seinem Blut vor dem Verschmachten rettete. Er betrachtete den Kolben des Gewehrs, das in seinem Sattelschuh steckte. Er hatte in seinem Leben vielleicht vier- oder fünfmal mit einer Reiterpistole geschossen; doch immer nur auf eine Scheibe, die sich ganz ruhig verhielt. Wenn er mit einem Gewehr ein Tier erlegen wollte, mußte es stillhalten. Das bedeutete, er mußte es überraschen, während es schlief. Der Mann zwinkerte mit entzündeten Augen in die flirrende Hitze. Es war ihm, als bewegten sich über ihm auf einer Sandkuppe die staubbedeckten Zweigspitzen eines Mesquite. Er schöpfte neue Hoffnung. Vielleicht legte sich dort gerade ein Rehbock in der Mittagshitze zum Schlafen nieder. Da der braune Hengst nicht mehr dazu zu bewegen war, einen Hügel hinaufzuklettern, auf dem er kein Wasser witterte, schwang
sich der Gentleman aus dem Sattel und nahm den Spencer aus dem Sattelschuh. Er betrachtete mißtrauisch den Verschluß und zwickte sich den Daumen ein, als er ihn spannte. Alles war schlüpfrig vom Schweiß, die Hitze war so groß, daß er befürchtete, die Treibladung in der Patrone könne sich von allein entzünden. Er stapfte durch den Sand auf das Gebüsch zu, wo der Mesquitestrauch noch vibrierte wie der Nachhall einer heftigen Bewegung. Er würde nicht sein Blut, trinken, dachte der Gentleman, schon um Längen der Wirklichkeit voraus. Er würde es mitnehmen und irgendwo gegen das heißbegehrte Wasser eintauschen. Er zog den Hammer zurück und ließ ihn nicht mehr los, aus Angst, der Mechanismus des Abzugs könne in der Hitze versagen. Der Sand brannte durch die Ledersohlen hindurch Löcher in seine Fußsohlen. Von Schritt zu Schritt wurden seine Füße schwerer. Fast reute es ihn, diesen Weg zu Fuß unternommen zu haben. Vielleicht sollte er sich die letzten Yards ersparen und aufs Geratewohl in die Büsche hineinschießen. Da begann der Busch vor ihm wieder heftig zu zittern. Etwas Blitzendes schoß aus seinen grauen Zweigen hervor. Der Gentleman war so erschrocken, daß sich seine Beute zu wehren wagte, daß er dem Blitz nicht mehr auswich, der auf ihn zuraste, zumal seine Reflexe nicht darauf eingerichtet waren, schlimmere Dinge abzuwehren als Verbote, schriftliche Kündigungen oder die Gardinenpredigt einer Ehefrau. Er sah noch, wie der Blitz in seiner geblümten Weste einschlug. Er starb einen raschen, schmerzlosen Tod. Und das war ein Geschenk des Himmels, das wirklich nicht jedem Geschöpf auf dieser Erde zuteil wird. * »Shita!« rief ich. Ich war unterwegs auf einem Routineritt, wie es so schön bei der Armee heißt. Ein Ritt, der auf einem bestimmten Weg zu erfolgen hat, ohne daß dabei etwas Bestimmtes passieren soll. Ein Spazierritt,
um es beim richtigen Namen zu nennen, und eine überflüssige Geldausgabe für die Armee. Er hätte mir Freude bereitet, wenn das Wetter sich meiner erbarmt hätte. Aber so wurde der Routineritt zu einer Qual, weil selbst die Schlangen bei dieser Gluthitze das Zubeißen vergaßen. Und Schlangen können mehr Hitze vertragen als ich. Ich ritt nach Westen zu meinen »Schützlingen«, den MescaleroApachen, denen man ebenfalls das Beißen abgewöhnt hatte. Ihr Reservat, in das man sie zusammengetrieben hatte, lag in der Nähe des Rio Doro, wo die Glut dieses Sommers sogar den Kojoten zu groß geworden war. Sie hatten sich nach Norden zurückgezogen. Nur die Mescaleros mußten von Amts wegen bleiben, wo man sie zwangsweise angesiedelt hatte. Die Tiere besaßen mehr elementare Rechte als diese bedauernswerten Apachen. »Shita!« rief ich noch einmal. Der Atem kochte mir in den Lungen. Es kostete mich große Überwindung, meine Stimmbänder zu bewegen. Aber ich hing an meinem Bastard Shita, der mich seit langem überallhin begleitet hatte. Vom Mississippi bis hinunter in den letzten Zipfel von Texas am Rande der Hölle. Er war mit mir durch die schlammigen Fluten des Mississippi geschwommen, ohne von einem Alligator gefressen zu werden. In den Sümpfen Louisianas entging er den Attacken der Moskitos und den Macheten hungernder Neger, die gebratenes Hundefleisch für eine Delikatesse halten. Und jetzt sollte er ausgerechnet in dieser trostlosen Wüste einem Hitzschlag oder einem Skorpion zum Opfer fallen? Denn jagdbares Wild, für das sich Shita immer interessierte, gab es hier längst nicht mehr. Oder etwa doch? Er verbellte irgend etwas, das hinter dem Schutthügel versteckt war, auf dessen flirrenden Steinen ich hätte Kaffeewasser kochen können, wenn ich Wasser und Kaffeebohnen bei mir gehabt hätte. Doch so etwas nimmt man nicht mit auf einen kurzen Routineritt. Ich trieb meinen Wallach an und galoppierte in einer braunroten Staubfahne durch die Sagebüsche, die über dem trockenen Flußbett des Rio Doro wuchsen. Shita drehte sich winselnd zu mir um und
setzte sich dann mit hechelnder Zunge in den glühenden Sand. Ein Geier schwebte mit trägem Flügelschlag in eine Kuhle und ließ sich dort auf einem niedrigen Yukka nieder. Er äugte mit starren Augen zu mir herüber. Etwas Längliches lag am Rande der grauen Mesquitebüsche, die den Rand der Kuhle säumten. Ich hielt den Wallach an, nahm das Gewehr aus dem Scabbard und schwang mich aus dem Sattel. Ich trat näher und entdeckte als erstes runde braune Lederkappen im Sand. Dann darüber, knapp anderthalb Yards von den Kappen entfernt, den billigen Holzgriff eines Küchenmessers, das aus dem rötlichen Sand herausragte wie eine Baumwurzel. Ich sah keine Spuren in der Nähe des Messers. Als ich mich bückte, hörte Shita zu winseln auf und begann zu wühlen. In wenigen Sekunden legte er die Leiche eines älteren Mannes frei. Er konnte noch nicht lange tot sein, weil sich der Geier bislang nicht an ihm vergriffen hatte. Und das Blut über der tödlichen Messerwunde war noch nicht braun oder geronnen. Nur seine Augen waren schon rissig geworden von dem glutheißen Sand, der sein Gesicht bedeckt hatte. Und was für ein Gesicht! Es war nicht verbrannt von der Sonne von Texas, sondern zeigte die bläßliche, empfindliche Haut eines Stubenhockers aus den gemäßigten Breiten, wo es an einem Tag öfter regnet als hier in zehn Jahren. Sein Bart war viel zu üppig für diese Höllenhitze am Rio Doro, und seine Kleider hätten ein brüllendes Gelächter bei mir ausgelöst, falls ich ihm noch lebend begegnet wäre. Er trug Schnürstiefel, lange Hosen, Weste und Jackett über einem Hemd mit steifem Kragen und einem wollenen Unterhemd. Er hätte sich in diesem Aufzug zu Tode schwitzen können, wenn ihn nicht ein Messer ins Herz getroffen hätte. Das Messer – ich ließ es in der Wunde stecken. Es erstickte jede Regung, dieser makaberen Situation auch nur ein Quentchen Galgenhumor abzugewinnen. Solche billigen Messer waren das Standardwerkzeug vieler Reservatsindianer geworden. Es mußte den Mann völlig überraschend getötet haben, wenn man das eingefrorene Staunen in dem ältlichen Gesicht betrachtete. Die Waffe war aus
kurzer Entfernung auf ihn geworfen worden. Und ich kannte niemanden am Rio Doro, der besser mit einem Messer umgehen konnte als ein Mescalero-Apache. Ich tastete den Körper des Toten ab – die Taschen der Jacke und der Weste, den Gürtel und die Hose. Er trug nichts Schriftliches bei sich, auch keine Wertsachen bis auf einen Ehering aus Gold. Das war wieder eine Entlastung für meine Schützlinge. So erbärmlich, wie sie leben mußten, hätten sie eigentlich alles an diesem Mann verwerten können bis auf seine nackte Leiche. Aber dieser Mann hatte noch alles bei sich bis auf seine Waffen. Warum hatte man ihn aber hier im Sand verscharrt und alle Spuren gelöscht? Das sprach wieder gegen meine Schützlinge. Ratlos starrte ich die Leiche an. Sie hätte ebensogut vom Mond heruntergefallen sein können, überlegte ich. Keinem Mann in Texas, der seine Sinne noch beisammen hat, wäre es eingefallen, in so einem Aufzug mittags durch die Wüste zu reiten. Geritten! Zu Fuß konnte er unmöglich hierhergelangt sein. »Such, Shita«, sagte ich leise. Er blickte mich mit seinen dunklen klugen Augen an und schnürte über den Sand hinunter zum Trockenbett des Rio Doro. Es mochten keine zehn Minuten vergangen sein, als er das Gewünschte zutage förderte. Er trieb ein braunes Pferd auf mich zu. Mein Herz schlug wieder im gemäßigten Tempo. Kein Mescalero würde ein herrenloses Pferd in der Wüste zurücklassen. Und wenn es noch so klapprig aussah wie dieser betagte Hengst. Ich ging um das Pferd herum, das mit hängendem Kopf im Sand stand, als hätte es keine Erinnerung mehr an seinen Herrn oder seinen Stall. An den vielen vernarbten Rissen und Wunden sah ich nur, daß es durch viele Hände gegangen und den Krieg vermutlich auf der Seite der Südstaaten miterlebt hatte. Die Satteldecke und der abgewetzte Sattel deuteten auf einen Mietstall hin. Aber der Hengst trug weder eine Markierung noch die Initialen irgendeines Besitzers. Nur eins vermochte ich festzustellen. Das Fell des alten Kleppers war nicht so naß, als habe er einen anstrengenden Weg hinter sich. Er war müde, verschwitzt und hatte Durst, aber er war nicht
abgekämpft. Ein Pferd, das nur einen kurzen Weg geritten worden war, und dazu ein Reiter, dessen Stall mindestens tausend Meilen von hier entfernt sein mußte. Das reimte sich, nicht zusammen. Ich stemmte die Leiche aus dem Sand und hievte sie auf den Rücken des braunen Kleppers. Ich wollte bei dieser Hitze nicht wieder zurück bis ins Fort. Knapp fünf Meilen nördlich von hier lag eine kleine Indianeragentur. * »Stuart – bist du zu Hause?« Ich legte die Hand über die Augen und spähte zu dem Blockhaus hinauf, das sich zwischen zwei roten Felstürmen auf einer Anhöhe erhob. Es hatte eine breite Veranda, die gegen Süden hin von einem Gestrüpp Feigenkakteen gegen die Sonne abgeschirmt wurde. Die Stämme, aus denen das Haus errichtet war, waren mit dem Lehm aus dem Flußbett des Rio Doro beworfen und mit hellem Ocker gestrichen worden. Die Farbe leuchtete durch die dunklen Mesquitesträucher. »Stuart!« Das Knarren eines Schaukelstuhls auf der Veranda ging in ein sanftes Wiegen über. Dann tauchte eine lange dürre Gestalt über der Leiter auf, die zu der Veranda hinaufführte. Sie war auf natürlichen Felsstützen im Hang errichtet worden. Auch der Indianeragent legte jetzt seine knochige Hand über seine buschigen Augenbrauen. »He, Junge – hast du dich etwa verirrt?« »Nein! Es ist ein Routineritt«, erwiderte ich bitter. »Mit zwei Pferden auf einmal? Die Armee hat wohl Geburtstag, wie? Oder hast du einen Gönner gefunden?« »Nein, nur eine Leiche!« »Ah!« rief Stuart Frey ernüchtert. »Ich komme sofort zu dir hinunter!« Er trug nur einen Lendenschurz auf dem Körper, der von der Sonne so dunkel verbrannt war, daß man ihn aus der Entfernung für
einen Kongoneger halten konnte. Aber Stuart Freys Wiege hatte im Norden von England gestanden. Er war einer jener Sonderlinge und Idealisten, zu denen ich mich schon immer hingezogen fühlte. Ein Mann, der nie mit dem Strom schwimmen würde. Er hatte seine festgefügten Ansichten, die sich aus fortschrittlichen und erzkonservativen Ideen zusammensetzten. Ich besuchte ihn oft in seinem einsamen Domizil am Rande des Reservats. Anfangs hatte ich ihn nur für ein versponnenes Original gehalten. Inzwischen wußte ich, daß er eine Persönlichkeit war. Er hatte sich Mokassins über die nackten Füße gestreift. »Möchtest du einen Schluck Wasser aus der Zisterne?« fragte er. »Später. Schau dir erst diesen Mann hier an.« Ich drehte den braunen Klepper, den ich am Zügel hinter mir hergezogen hatte, so herum, daß er das Gesicht des Toten betrachten konnte. »Verdammt! Darf ich ihn mal anfassen?« fragte er, mit einer steilen Falte zwischen den sandfarbenen Brauen. »Er wird bestimmt nichts dagegen haben.« »Junge, ist hier ein Zirkus durchgekommen?« »Wieso?« »Schnürstiefel, Hose und Jacke aus gezwirntem Wolltuch. Die Weste mit Blumen bestickt. Entweder ist er ein Zirkusclown oder sein Direktor!« »Wenn du sein Gesicht siehst, Stuart, wirst du eher auf einen Beamten tippen.« Stuart Frey faßte mit seinen langen knochigen Händen in die grauen Haare des Toten und hob den Kopf an. »Mein Gott«, sagte er dann leise, »den Mann kenne ich.« Er starrte lange in das blutleere, blasse Gesicht des Toten. So sah er aus wie ein dürrer, baumlanger Indianer, der sich nicht entschließen kann, einem besiegten Gegner den Skalp herunterzuschneiden. In seinem ledergegerbten hageren Gesicht mit der scharfen Adlernase stritten sich Abscheu und Mitleid. Dann ließ er den Kopf des Toten wieder los und wandte sich zu mir um. »Wo hast du ihn her?« fragte er scharf. »Du meine Güte, Stuart, ich habe ihn nicht erlegt, wenn du das
befürchtest!« »Das sehe ich. In seiner Brust steckt ein Reservatsmesser!« »Ein Küchenmesser, wolltest du sagen.« »Die Mescaleros verwenden es für alle Zwecke, weil sie keine besseren kriegen.« »Ja, das dachte ich auch, aber …« »Aber?« »Sie hätten ihn ausgeplündert, Stuart. Sie haben ihm sogar den Ehering gelassen und die Goldzähne!« »In diesem Fall spricht das ausnahmsweise nicht für die Apachen, Junge.« »Wieso nicht?« Er deutete auf den Toten, ohne hinzusehen. »Der Mann heißt Hemlin. Jerome Hemlin. Er ist Beamter im Innenministerium in Washington, zuständig für indianische Angelegenheiten im Südwesten der Vereinigten Staaten. Mein Vorgesetzter, Junge!« »Oha – der Widerling, mit dem du ständig in erbitterter Fehde lagst?« »Brieflich, mein Junge.« »Nach allem, was du mir erzählt hast, hättest du einen besseren Grund gehabt, ihn zu töten, als deine Mescaleros«, sagte ich. »Stimmt«, sagte er prompt. »Aber ich sehe ihn zum erstenmal in meinem Leben.« »Trotzdem weißt du, wer er ist?« »Ich habe eine Daguerreotype von ihm. Sie liegt bei meinen Akten. Ich habe keine Ahnung, was ihn hierher verschlagen hat, Ronco. Nicht die leiseste Ahnung. So hohe Beamte pflegen sich brieflich oder telegrafisch anzumelden, bevor sie so eine lange Reise von Washington bis zum Rio Doro antreten.« »Spricht für dich, Stuart.« »Und ich wette, außer mir weiß kein Mensch im Umkreis von hundert Meilen, wer dieser Tote ist.« »Auch die Mescaleros nicht?« fragte ich besorgt. »Vielleicht hat er ihnen auch sein Bild mit einer Widmung geschickt. Dann wissen sie, wer für die miserable Versorgung ihres Stammes verantwortlich war«, erwiderte Stuart Frey. »Möglich, daß
er mich einfach umgangen hat und den Indianern heimlich einen Besuch abstatten wollte. Und die Mescaleros stellten ihm eine gerechte Quittung für seine langjährige Tätigkeit aus.« »Du siehst ganz blaß aus, Stuart. Mir scheint, du hältst deine Theorie für eine Sache, die hart bei der Wahrheit liegt!« »Ich weiß nur, was die Bleichgesichter über diesen Mord denken werden. Sie denken als erste an die Mescaleros. Besonders im Fort Calhoun. Wie oft mußten sie von dort aus die Beschwerden der Apachen nach Washington durchgeben, die ich für sie schriftlich abgefaßt habe.« »Hm«, meinte ich. »Was nun?« »Ich war gerade dabei, einen neuen Vorstoß in Washington zu unternehmen und eine Kommission anzufordern, um die Lage der Mescaleros an Ort und Stelle überprüfen zu lassen. Ich versprach mir davon eine Menge. Aber jetzt …« Er spuckte in den Sand. »Ich bin froh«, sagte ich, »daß ich meiner Eingebung gefolgt bin und mit dem Toten zuerst zu dir geritten bin, Stuart. Aber was können wir beide jetzt unternehmen, damit den Mescaleros nicht neues Unrecht zugefügt wird?« »Darüber denke ich schon nach, seit ich diesen Ehrenmann erkannt habe«, erwiderte er erbittert. »Ich denke, ich werde die Leiche ins Fort bringen und mit Colonel Lester über die Folgen dieser Bluttat reden.« »Was eigentlich meine Aufgabe wäre«, sagte ich ein wenig eifersüchtig. »Richtig, Junge. Aber du kannst es dafür besser mit Häuptling Schlangenmann von den Mescaleros, was wiederum meine Aufgabe wäre.« Ich grinste und ließ die Zügel des Kleppers los. »Mit dieser Arbeitsteilung bin ich einverstanden. Aber ich denke, ich werde lieber das Messer mitnehmen, das im Körper dieses Indianerbeauftragten aus Washington steckt.« Stuart Frey blinzelte mir zu. »Für dein Alter bist du schon verdammt ausgekocht, Ronco.« »Man tut, was man kann.«
2. »Da habt ihr euren Fraß«, sagte Elmar Gorring, packte seine dicke Nase zwischen zwei Fingern und rotzte auf die Säcke mit den halbverfaulten Bataten. Ein schweigender Halbkreis zerlumpter Mescalero-Indianer umgab die beiden mit Mulis bespannten Frachtwagen, auf denen sein Gehilfe stand und Decken hinunterwarf. Alle Vierteljahre erschienen die Händler mit ihren beiden Gespannen im Dorf, um die vertraglich vereinbarten Lieferungen der Regierung hier abzuladen. Es sollten Lebensmittel und Gebrauchsgüter im Werte von dreißigtausend Dollar sein. So stand es im Vertrag. Elmar Gorring war von der Regierung beauftragt, diese Dinge zu liefern, weil sein Handelsposten dem Reservat am nächsten lag. Und Elmar Gorring war ein gewissenhafter Erfüllungsgehilfe der Regierung, soweit es die Liefertermine betraf. Aber was er lieferte, hatte bisher noch kein Regierungsbeamter nachgeprüft. Nur Stuart Frey, der Mescalero-Agent, inspizierte die Lieferungen mit penetranter Regelmäßigkeit und schickte jedesmal eine Beschwerde nach Washington. Aber Stuart Frey war in Washington als Quertreiber bekannt, denn die Versorgung der Mescaleros gehörte nicht in seinen Amtsbereich. Er war nur für die Verwaltung zuständig. »Da ist das Mehl, und dort ist das Büchsenfleisch. Da ihr nicht lesen und schreiben könnt, könnte ich das ebensogut in den Wind sprechen«, sagte Elmar Gorring und schneuzte sich noch einmal. Für ihn waren die Mescaleros eine ausgezeichnete Verdienstquelle, aber als Menschen rangierten sie bei ihm noch weit hinter den Mexen. »Quittieren!« sagte er und ging auf eine ältere Rothaut zu. »Es genügt ein Kreuz, Schlangenmann!« Bo Wenders setzte sich auf die Seitenwand des hinteren Frachtwagens und stocherte mit seinen schmutzigen Fingernägeln zwischen den Zähnen herum. Er war lang und düster und sehr schweigsam. Das mußte man auch sein in diesem Job an der Grenze,
wo es nur Schmuggler, Mexikaner, Banditen und Indianer als Kunden gab. Die Banditen vergaßen meistens, für ihre Waren zu bezahlen. Und damit so ein Geschäft trotzdem florieren konnte, mußten andere Kunden eben wieder das Doppelte oder Dreifache für eine Ware blechen. »Nun quittiere schon!« sagte Gorring und hielt dem Häuptling des Dorfes ein Stück Papier vor die Nase. Bo Wenders genoß diese Szene. Er grinste in der Erwartung der Dinge, die immer nach dem gleichen Schema abliefen. Er stemmte seine mächtigen Füße gegen die andere Seitenbracke und spielte mit dem Colt, den er hinter seinem Schlapphut versteckt hielt. Er war in allen Pueblos diesseits und jenseits des Rio Doro als Schläger und Pistolero gefürchtet. Dafür wurde er auch von Elmar Gorring gut bezahlt. Gorring brauchte keinen schmalen Pickeljüngling in seiner Handelsniederlassung von Guadalupe, der Büchsen und Säcke nachzählte und Rechnungen ausschrieb. Das besorgte der Boß. Er, Bo Wenders, konnte genausowenig schreiben und lesen wie diese zerlumpten Rothäute. Aber er konnte ausstehende Rechnungen eintreiben und Gläubiger rasch zur Vernunft bringen. Er war unentbehrlich in diesem Job. Elmar Gorring, sein Boß, hingegen war ein Genie auf dem Gebiet des Verkaufswesens. Er konnte aus einem alten Muli bestes Corned beef herstellen und aus einem verreckten Esel importierte Salami. Er konnte aus einem Doppelzentner Mehl zweieinhalb Zentner machen, wenn der Gips in seinem Lagerhaus zu lange keinen Abnehmer fand. Nur mit seinen Fäusten konnte der Boß nicht richtig umgehen, obwohl sie groß und fleischig waren wie seine ganze Statur, die in dem gewachsten Wildleder aus feinstem Antilopen-Nappa, in das er sich kleidete, mächtig beeindruckend war. Elmar Gorring hatte einen schwachen Solarplexus und konnte kein Blut sehen. Am wenigsten sein eigenes. Er war groß und stattlich und wirkte auch körperlich stark, solange ihn keiner mit den Fäusten anredete. Kurzum, sie waren so aufeinander angewiesen, daß sie zusammenhielten wie siamesische Zwillinge. Und das war gut so, dachte Bo Wenders, wenn man in diesem kargen Land reich werden
wollte. Er wußte, was jetzt geschehen würde. Der alte Häuptling schob das Papier zur Seite, das Elmar Gorring ihm vor die krumme Nase hielt, und schritt würdevoll auf den wirren Haufen zu, den er eben auf dem Wüstensand inmitten des Dorfes abgeladen hatte. Wie komisch, dachte Bo Wenders, ein würdevoller Bettler mit einem langen Krummstab und schmuddeligen langen Haaren, der zwischen stinkenden Kartoffeln und schimmeligen Mehlsäcken herumstolzierte, als wäre er ein Bischof oder ein König von Habenichts! Bo Wenders grinste seinem Boß aufmunternd zu, als dieser ihm, wie bei jeder Lieferung, einen besorgten Blick hinüberschickte. Er bewegte verstohlen seinen Hut hin und her zum Zeichen, daß er nichts von den jungen Kriegern zu befürchten habe, die mit finsterem Gesicht die Inspektion der Waren durch ihren alten Häuptling verfolgten. Sie besaßen nur Lanzen, und er, Bo Wenders, hatte zwei ganz neue Springfield-Gewehre unter seinen leeren Säcken für alle Fälle bereitgelegt. »Decken – nix gut!« radebrechte der alte Häuptling auf englisch. Elmar Gorring war schon seit fünf Jahren in Texas. Doch er hatte sich nicht dazu bequemt, auch nur zehn Worte dieser »Niggersprache« zu lernen, wie er die spanische Weltsprache zu bezeichnen pflegte. »Mehl – nix gut!« Der Häuptling stocherte mit dem Stab in den Decken herum, daß die Motten nach allen Seiten auseinanderstoben. Er hielt eine Decke an dem Loch hoch, durch das er seinen Stab hindurchgeschoben hatte. »Nix – nix gut!« krächzte der Häuptling. »Beste Ware«, erwiderte der dicke Elmar Gorring mit gespreizten Fingern, »zehn Dollar das Stück! Aber warum sage ich das! Du verstehst es ja doch nicht!« Die Decken mußten einmal fünf Dollar gekostet haben, überlegte Bo Wenders, ehe die Motten sie befallen hatten. Sie hätten sie sonst bestimmt nicht gefressen, wenn es schlechte Ware gewesen wäre. Der Häuptling wanderte weiter zwischen den gelieferten Waren und bückte sich nach einem aufgeplatzten Kartoffelsack. Er nahm eine stinkende Batate heraus und hielt sie einem struppigen
Dorfköter unter die Nase, dem die Rippen aus dem Fell herausstanden. Der Köter war, seinem Zustand nach zu schätzen, bestimmt ein Allesfresser. Doch bei dem Geruch der Batate klemmte er den Schwanz ein und verkroch sich in einer der Erdhütten des Mescalero-Dorfes. Der Häuptling warf die Kartoffel in hohem Bogen in ein Mesquitegebüsch und ersparte sich jeden weiteren Kommentar. Jetzt stand er vor dem kritischsten Posten der Lieferung – den Fleischkonserven. Sie waren eigentlich schon auf der Müllhalde des Handelspostens bei den verdorbenen Waren gelandet. Doch als Elmar Gorring die Lieferung für das Indianerdorf zusammenstellte, hatte er lange überlegt und sich hinter dem Ohr gekratzt. »Es wäre ein hundertprozentiger Profit«, hatte er dann gemeint. »Was, Boß?« hatte er, Bo Wenders, gefragt. »Die Fleischlieferung.« »Wir haben die letzten Büchsen eben verkauft, Boß.« »Eben!« »Da komme ich nicht mit, Boß.« »Spann die Mulis ein und hole die Büchsen wieder, die wir vorgestern auf den Müll gekippt haben. Und lade sie gleich auf den Wagen für die Lieferung morgen.« »Die Büchsen müssen noch aus dem mexikanischen Krieg übriggeblieben sein, Boß«, hatte Bo Wenders Bedenken angemeldet. »Ich möchte sie nicht öffnen.« »Das brauchst du auch nicht, Bo. Du sollst sie nur aus dem Müll klauben und danach unter der Wasserpumpe im Hof abwaschen.« »Aber wenn die Mescaleros sie öffnen, garantiere ich für nichts«, hatte er, Bo Wenders, seinen Chef gewarnt. »Sie haben keine Büchsenöffner. Sie werden die Konserven erst öffnen, wenn wir ihr Dorf längst verlassen haben.« »Der große Manitu füge es so«, hatte er erwidert. »Denn auch die Mescaleros sind keine roten Schafe mit einer unendlichen Geduld.« »Du wirst schon mit ihnen fertig, Bo.« »Wenn sie alle auf einmal über uns herfallen, bin ich nicht so sicher.« »Abwarten, Bo.«
Und nun war der kritische Augenblick da. Schlangenmann stand vor den Konserven, die Bo Wenders mit ein paar Decken getarnt hatte, damit man den Rost auf dem Blech nicht gleich sah. Der alte Häuptling mit der Stirnbinde aus rotem Tuch und der Kette aus Bärenklauen um den faltigen Hals rollte eine der Büchsen mit seinem Krummstab zu sich heran. »Was ist das?« fragte er. »Fleisch«, erwiderte Gorring. »Beef – kleingehackte Büffel.« Der alte Häuptling hob die Konserve vom Boden, roch daran und ließ sie wieder fallen. O weh, dachte Bo Wenders und angelte mit dem Stiefel nach einer der versteckten Springfields. Kaum berührte die Dose die Erde, als sie sich schon mit einem lauten Knall öffnete. Das Gas, das von dem dünnen Blech nur mühsam gebändigt war, schleuderte einen übelriechenden Saft über Decken, Mehl und Kartoffeln. Die ganze Dreißigtausend-DollarLieferung stank wie eine frisch geöffnete Jauchegrube. »Ho-ta-gista!« schnaubte der alte Häuptling und wandte sich schaudernd ab. »Was sagt er?« rief Elmar Gorring zu seinem Gehilfen hinüber. Der düstere Bo Wenders hob die Schultern. »Ich verstehe das Kauderwelsch so wenig wie du, Boß!« Ein jüngerer Krieger mit einer Adlerfeder in der weißen Stirnbinde schob sich aus dem Kreis der Zuschauer vor. »Er quittiert nicht«, sagte er in leidlich flüssigem Englisch. »Ihr sollt das Zeug wieder mitnehmen!« »Kommt überhaupt nicht in Frage!« protestierte der dicke Händler. »Die Ware ist bezahlt, sie liegt hier, sie ist geliefert! Ich kann sie nicht wieder mitnehmen!« Der junge Krieger nahm seinen Speer, der neben ihm im Sand steckte, und schleuderte ihn in den Büchsenstapel zwischen den Decken. Diesmal explodierten gleich zwei Büchsen gleichzeitig, und der Gestank wurde nahezu unerträglich. »Kein Fleisch!« rief der junge Krieger mit drohend ausgestrecktem Arm. »Nur böser Gestank! Weiße Händler Verräter und treulose Klapperschlangen!«
»Kann ich in die Büchsen hineinsehen?« erwiderte der dicke Händler und bewegte seine fleischigen Hände wie Windmühlenflügel. »Es steht darauf geschrieben, daß erstklassiges Fleisch darin ist! Ich kann nichts dafür …« Der alte Häuptling, dem eine Squaw die übelriechende Brühe von seinen Leggins entfernt hatte, deutete mit seinem Stab auf die Mulis der beiden Frachtwagen. »Ihr nehmt Büchsen – wir nehmen Fleisch. Das Fleisch, das wir sehen können. Eure Zugtiere!« Elmar Gorring lief krebsrot an in seinem Gesicht. Da er die Indianer geringer achtete als Maultiere, unterschätzte er auch die Gefahr. Bisher hatten sich die Mescaleros immer nur bei dem Reservatsagenten Frey über seine Lieferung beschwert, aber nie war es bei der Übergabe der Waren zu Handgreiflichkeiten gekommen. Gorring glaubte, er könne sich einen Wutanfall leisten. Er knüllte seinen Lieferschein zusammen und drohte dem Häuptling mit der Faust. »Das könnte dir so passen, du alter Halunke! Es sind die besten Mulis, die man zwischen dem Pecos und dem Rio Grande auftreiben kann! Ich würde sie nicht mal gegen eine junge Squaw aus euren stinkenden Hütten eintauschen!« »Schon-ti-ko!« rief der alte Häuptling. Einer der Krieger im Kreis der Zuschauer hielt plötzlich einen Bogen in der Hand. Ein Pfeil zischte nur um einen Zoll am Kopf des Händlers vorbei, so daß er erschrocken zur Seite hüpfte. Ein paar junge Squaws kicherten. Der Pfeil hatte ihm gar nicht gegolten. Das Leitmuli im ersten Gespann brach im heißen Sand zusammen, als habe es der Blitz erschlagen. Der Pfeil hatte es genau ins Herz getroffen. Bo Wenders holte eine Springfield unter den Decken hervor, spannte sie und richtete sich im Wagen auf. »So geht das nicht, Leute!« rief er. »Wenn ihr noch ein Muli schlachtet, schlachte ich ebenfalls! Euren roten Leithammel, den Alten mit dem Krummstab!« »Schon-ta-si!« rief der alte Häuptling und blickte Bo Wenders nicht einmal an, als dieser das Gewehr an die Schulter zog und auf ihn anlegte. Bo Wenders war zwar ein Analphabet, aber kein Dummkopf. Er wußte, daß er und Gorring das Dorf nicht mehr lebend verlassen würden, wenn er abdrückte, und deshalb verfluchte
er in Gedanken seinen Boß, weil er diesmal in seiner Profitgier zu weit gegangen war. Er wußte aber auch, daß sie ohne die Maultiere ebenfalls verloren waren, weil der Weg zurück zu ihrer Handelsstation bei dieser Gluthitze zu Fuß unmöglich zu bewältigen war. Für Bo Wenders gab es in diesem Moment nur die Wahl zwischen einem schnellen Tod und einem qualvollen Verschmachten. Er zog den raschen Tod vor. »Schon-ta-si!« hörte Bo Wenders den Alten rufen. Er hatte keine Ahnung, was das heißen sollte. Er spürte, was es bedeutete. Ein Pfeil schoß plötzlich von einer Richtung herbei, wo er niemanden vermutet hatte. Man hörte diese Dinger erst, wenn sie bereits einschlugen. Das Ding hatte eine solche Wucht, daß der Kolben der Springfield splitterte wie nichts und ihm das oberste Glied seines linken Daumens wegriß, den er zu weit nach hinten gespreizt hatte. Mit einem wütenden »Verflucht!« ließ er die Waffe fallen und steckte seinen blutenden Daumen in den Mund. Dann riß er seinen Colt in die Höhe … In diesem Moment fuhr ihm mein Hund Shita, der mir um zehn Längen voraus war, an die Hosenbeine. Der Schuß aus dem Colt schlug zwischen den Decken ein, wo ein Loch mehr oder weniger wirklich nichts mehr bedeutete. Ich jagte auf meinem Wallach heran und brüllte: »Werfen Sie sofort den Colt weg, Sie Idiot! Im Reservat ist der Gebrauch von Schußwaffen verboten!« Er gehorchte mit einem wütenden Knurren. Erst dann pfiff ich meinen Hund zurück. * Anschließend entspann sich ein langes Palaver. Häuptling Schlangenmann führte mich an den abgeladenen Warenposten entlang, während wir uns beide die Nase zuhielten. Er hatte wohl trotz meiner Jugend Vertrauen zu mir gefaßt, als ich ihm erzählte, daß ich als kleiner Junge einmal auf der Seite der Mescaleros gekämpft hatte – damals, als sie noch in Freiheit in den Bergen
lebten. Er sprach in seinem Dialekt, den ich leidlich verstand. Ab und zu, wenn ich ihn fragend ansah, warf er einen spanischen Brocken ein. Elmar Gorring hatte sich zu seinem Gehilfen auf den Wagen zurückgezogen und bellte ab und zu ein wütendes englisches Wort herüber: »Diese Rothäute lügen wie gedruckt, Mister! Die können ja nicht mal unsere Sprache!« »An Ihrer Stelle«, rief ich zurück, »würde ich erst mal still sein!« Dann konnte ich mich nicht mehr beherrschen. »Was Sie den Rothäuten geliefert haben, stinkt zum Himmel!« »Sie halten wohl zu diesen Halunken, wie?« »Ich sage nur, was jeder riechen kann. Und eigentlich sollten Sie sich beide bei mir bedanken. Wenn ich nicht erschienen wäre, erzählte mir der Häuptling gerade, wären Sie beide jetzt tot.« »Dafür hätte man diese ganze Bande hier gehenkt!« rief der dicke Händler erbost zurück. »Mag sein«, erwiderte ich kühl. »Aber das hätte Ihnen wohl nichts mehr genutzt.« Elmar Gorring, der Händler, spuckte über die Seitenwand seines Frachtwagens und verband seinem Gehilfen den Daumen. Ich hatte genau beobachtet, daß Bo Wenders zuerst sein Gewehr anlegte, ehe der Pfeil auf ihn abgeschossen wurde. Der dicke Händler wußte das, und deshalb schwieg er jetzt lieber, als er merkte, daß ich Recht und Unrecht nicht nach der Hautfarbe beurteilte. »Meine Krieger, Squaws und Kinder müssen verhungern, wenn sie kein frisches Fleisch erhalten, wie es uns vertraglich zugesichert wurde«, sagte Häuptling Schlangenmann, als ich die Fleischbüchsen untersuchte. »Aber das Mehl und die übrigen Nahrungsmittel sind doch auch verdorben«, erwiderte ich. »Das ist immer so«, sagte der Häuptling düster. »Immer waren sie verdorben. Nie hat man uns dafür Ersatz gegeben. Wir haben Felle und Schmuck zu anderen Händlern gebracht – oben im Norden. Wir uns dort Mehl beschafft. Aber woher frisches Fleisch diesmal? Rinder sind bei großer Hitze gestorben wie die Fliegen. Keine Büffel, keine Rinder – wir sterben im Winter, wenn kein Fleisch von
der Regierung, wie es im Vertrag steht.« »Hm, ehrwürdiger Häuptling«, antwortete ich respektvoll, während die jungen Krieger mich mißtrauisch aus der Ferne beobachteten, »was schlägst du vor?« »Dieses dicke Bleichgesicht hat uns mit leeren, stinkenden Büchsen betrogen. Es lieferte kein Fleisch.« »Das ist wahr«, bestätigte ich, »es ist Blech mit einer üblen Soße darin. Es beleidigt die Nasen von Mensch und Tier.« »Wir brauchen das Fleisch. Und deshalb nehmen wir seine Zugtiere. Ich habe das beschlossen.« Er blickte mich an, als könne eher ein Stein in der Sonne schmelzen als sein Entschluß. »Hm, großer Häuptling. Er kommt nicht mehr nach Hause, wenn er keine Zugtiere mehr hat. Er muß in der Wüste verdursten.« »Nimmt das dicke Bleichgesicht Rücksicht auf meine Kinder und Squaws? Nimmt es Rücksicht auf geschlossene Verträge?« »Auch wahr, ehrwürdiger Häuptling. Doch es wird nichts Gutes daraus, wenn du Unrecht mit Unrecht vergiltst!« »Wir brauchen das Fleisch.« »Wie wäre es mit der Hälfte, ehrwürdiger Häuptling?« schlug ich einen Kompromiß vor. »Er hat vor jeden Wagen vier Mulis gespannt, um diesen ganzen Plunder herzuschaffen. Seine Wagen sind leergeräumt. Er braucht für die Rückfahrt also nur, die Hälfte. Eins von den Tieren hast du bereits geschlachtet. Du kriegst noch drei lebende Mulis hinzu.« »Nicht genug, gelber Falke«, sagte er zu mir. »Das Fleisch ist zäh und nicht sehr ergiebig.« »Aber die Soldaten in Fort Calhoun werden dir gern für die Mulis zwei Rinder geben. Sechs Rinder für drei zähe Mulis? Wie wäre das?« Der alte Häuptling schwankte. »Noch immer nicht genug, gelber Falke. Es reicht nicht über den Winter.« »Und wenn wir noch ein Pferd dazulegten?« Er wiegte den grauen Kopf hin und her. »Wenn der Winter nicht zu streng wird …« »Also bist du einverstanden, ehrwürdiger Häuptling«, sagte ich
rasch. »Ich werde jetzt mit ihm da drüben reden!« Ich schlenderte hinüber zu den beiden Frachtwagen, wo der dicke Händler mit seinem Gehilfen tuschelte. »Nun?« fragte Elmar Gorring von oben herab. »Haben Sie sich überzeugt, daß die Lieferung stimmt?« »Sie müßten den Rothäuten von Rechts wegen noch etwas dazuzahlen, wenn sie diesen Müll dort drüben für Sie wegräumen, Gorring«, sagte ich frostig. »Ich hab schon mal Geschichten von blonden und blauäugigen Indianern gehört«, sagte der rauhbeinige, schielende Bo Wenders mit drohender Stimme. »Ich hab schon mal Indianer gesehen«, erwiderte ich kalt, »die gegen weiße Männer recht erhalten haben. Es geschieht selten, aber es passiert.« »Du willst uns drohen?« schnaubte der dicke Elmar Gorring. »Ich habe gute Freunde bei der Regierung und auch bei den Einheimischen, die …« »Sie haben einen Vertreter der Regierung vor sich, Mister!« fiel ich ihm ins Wort. Ich wußte, daß er ein Feigling und nur stark mit der Klappe war. Aber diesem Bo Wenders traute ich nicht über den Weg. Er hatte ein tückisches, hinterhältiges Wesen und suchte gern Streit, wie mir Stuart Frey erzählt hatte. »Sie sind nur ein Scout, Junge«, sagte Bo Wenders abfällig. »Und ein guter Freund von Colonel Lester in Fort Calhoun«, erwiderte ich und grinste ihm ins Gesicht. »Ich werde ein paar von den Büchsen mitnehmen, die Sie da eben abgeladen haben. Ich hoffe, ich bringe sie heil bis nach Fort Calhoun, damit ich dem Colonel daraus ein Abendbrot zubereiten kann.« »Das wäre …« »… Mord, wollten Sie sagen Gorring? Ja, ich bin überzeugt, das Zeug explodiert entweder in seinem Magen, oder es wird ihn vergiften. Und bevor er stirbt, werde ich ihm erzählen, wo ich es her habe.« »Ich sagte schon vorhin zu diesem Roten dort drüben, daß ich nicht wissen konnte, wie das Fleisch in den Büchsen aussieht. Es gibt auch frische Büffel mit einer verdorbenen Leber! Ehe man ihnen den
Bauch nicht aufgeschnitten hat, weiß man das nicht. Das können sogar diese roten Halunken bezeugen!« »Sie sind ein rotes Tuch für die Mescaleros. An Ihrer Stelle, Gorring, würde ich so rasch wie möglich wieder verschwinden. Mir brauchen Sie das alles nicht zu erzählen. Ich kann zufällig lesen. Die Büchsen stammen aus Mexiko und sind fünfzehn Jahre alt. Daß das Blech nicht durchgerostet ist, grenzt schon an ein Wunder. Es gibt Gesetze, wie lange solche Konserven aufbewahrt oder verkauft werden dürfen. Und diese Zeit ist um zehn Jahre überschritten. Ich werde das dem Colonel melden. Auch, daß die Büchsen offenbar aus Mexiko eingeschmuggelt wurden. Vielleicht schickt er ein paar davon mit einem Vermerk nach Washington. Wenn sie unterwegs nicht explodieren, sind Sie Ihre Lizenz los, Gorring. Nun, was sagen Sie jetzt?« »Ich werde dir …«, knurrte Bo Wenders und langte mit der rechten Hand zum Gürtel, wo er wahrscheinlich ein Bowiemesser trug. Aber der dicke Händler gab ihm einen warnenden Stoß mit der Schulter und sah mich plötzlich mit seinen Schweinsaugen sehr wohlwollend an. »Es würde mir hundert Dollar wert sein. Oder – sagen wir – zweihundert?« »Ah!« Ich grinste. »Wir kommen der Sache näher …« »Sie sind einverstanden, Mister Ronco?« »Daß Sie die faulen Säcke gegen gute Ware austauschen? Natürlich bin ich das. Ich werde die Büchsen solange hier vergraben.« Der Händler sah maßlos enttäuscht aus. Ich lachte ihm ins Gesicht. »Ich will mich kurz fassen, damit die Rothäute da drüben sich wieder beruhigen. Sie lassen Ihr totes Muli hier und noch drei lebende dazu. Dafür kriegen Sie Ihre faulen Büchsen wieder zurück. Wo keine Beweise, da kein Kläger, comprende?« »Ich …« »Sie brauchen eine Quittung. Die erhalten Sie, wenn Sie mir gleichzeitig eine Erklärung unterschreiben, daß Sie alle beanstandeten Mehl- und Kartoffelsäcke innerhalb der nächsten
Woche durch einwandfreie Ware ersetzen. Dann verdienen Sie immer noch genug an den mottenverseuchten Decken und dem anderen Plunder. Einverstanden?« »Ich …« »Die Büchsen können Sie auch gleich mitnehmen, wenn Sie die Mulis ausspannen, Mister Gorring. Es ist mein letztes Wort.« Ich funkelte ihn böse an. »Unterschätzen Sie ja nicht diese armen Teufel dort drüben! Sie haben ihre Geduld zu oft mißbraucht. Wenn Sie auf dieses Angebot nicht eingehen, gibt es eine Katastrophe! Sie wird alle treffen, aber Sie beide zuerst!« »Er hat diesmal recht, Boß«, knurrte Bo Wenders, während er mich mit seinen schielenden Augen wütend musterte. »Er muß einer von diesen blonden, blauäugigen Indianern sein, die es oben im Norden geben soll. Aber er hat leider recht.« »Sie sind also einverstanden?« »Wir geben nach, Junge«, sagte Bo Wenders. »Ausnahmsweise. Aber wir vergessen dir das nicht!« »Das habe ich auch gar nicht verlangt«, erwiderte ich und zog ein Stück Papier aus meiner Satteltasche. Es stammte von einem Meldeblock. Ich mißbrauchte ihn für eine Erklärung eines korrupten Händlers und war heilfroh, als der dicke Gorring sie unterschrieb und sein schielender Gehilfe als Zeuge sein Kreuz daruntersetzte. Hätte ich den beiden von dem toten Indianerbeauftragten aus Washington etwas erzählt, der mit einem Indianermesser in der Brust in der Nähe des Reservats von mir entdeckt worden war, hätten sie das bestimmt zu ihren Gunsten ausgenutzt.
3. Als die beiden mit ihren halben Gespannen und den wiederaufgeladenen Fleischkonserven das Dorf eine halbe Stunde später verließen, atmete ich erleichtert auf. Das war noch einmal gut abgelaufen, obwohl die jüngeren Krieger den beiden Händlern finstere Blicke und ein paar Flüche nachschickten, die von drohenden Gebärden begleitet waren. Solange es keine Flintenkugeln oder Pfeile waren, konnte ich froh sein.
Ich wandte mich wieder dem Häuptling des Mescalero-Dorfes zu. Diesmal war meine Miene nicht ehrerbietig. Wir brauchten beide das Gesicht nicht mehr vor fremden Zeugen zu bewahren. Die Sache, die ich jetzt mit ihm zu besprechen hatte, war sehr heikel und ernst. Und ich kannte inzwischen die Mescaleros so gut, daß ich nicht nur ihren Dialekt leidlich beherrschte, sondern auch ihre Zeichensprache und ihren Sinn für Pantomime und dramatische Gesten. Ich wußte, daß die Mescaleros so offen und naiv sein konnten wie Kinder, wenn sie wollten. Doch ebensogut vermochten sie die Wahrheit geschickt zu verbergen oder überzeugend zu lügen, wenn sie das für richtig hielten. Die Indianer waren meines Erachtens die besten Schauspieler der Welt. Ich griff in die Innentasche meiner Wildlederjacke und blickte den Häuptling düster dabei an. Ich hob die linke Hand zum Himmel und deutete auf die Sonne. Dann ließ ich sie auf meine Augen fallen und streckte sie mit einer heftigen Bewegung hinunter zur Erde. Gleichzeitig zog ich meine rechte Hand unter dem Leder hervor und schleuderte das blutige Messer, daß ich aus dem Körper des erstochenen Indianerbeauftragten geborgen hatte, hinunter in den glühenden Sand. Alle Krieger des Dorfes sahen mir dabei gebannt zu. Ich hatte ihnen mit einer einzigen, fließenden Bewegung meine grenzenlose Enttäuschung, meinen Abscheu über eine Bluttat und meine Bestürzung mitgeteilt, daß der Mörder aus ihrem Dorf stammen könne. Alle verstanden diese dramatische Szene sofort und reagierten mit der gleichen Spontaneität. Sie hatten gar keine Zeit, sich zu verstellen. Denn ihr Häuptling deutete auf das Messer, das vor seinen Füßen im Sand steckte, beschrieb einen weiten Bogen über die versammelten Männer seines Dorfes und rief: »So-se-si-po-ka! Zeigt ihm, daß er unrecht hat!« Die Krieger, die immer noch um die abgeladenen Waren herumstanden, schienen einen Moment verblüfft. Dann begriffen sie, was der Häuptling meinte, und antworteten auf die gleiche dramatische Weise.
Sie zogen die Messer, die sie an ihren Gürteln trugen, aus den Rinden- oder Lederscheiden und schleuderten sie vor sich hin in den Sand. Vor fünfundzwanzig versammelten Kriegern staken jetzt fünfundzwanzig Messer – alle von der gleichen billigen Machart wie jenes, das ich ins Dorf mitgebracht hatte. Für einen Sheriff oder Marshal wäre das nie ein Beweis gewesen. Er hätte überlegen gelächelt und gesagt: »Einer von euch kann ja auch zwei oder drei Messer haben! Oder einer von euch hat sich rasch das Messer von seinem Nachbarn ausgeborgt. Außerdem brauche ich von jedem einen Nachweis, was er den Tag über getrieben hat und wo er gewesen ist!« Und so weiter und so weiter! Aber ich kannte die Mescaleros zu gut. Für mich war es eine überzeugende Demonstration ihrer Unschuld. Sie hatten keine Ahnung, um wen es sich handelte. Sie sahen nur, daß ich ihnen einen Mord mit diesem Messer vorwarf. Sie wußten nichts darüber. Keiner von ihnen hatte mit einem Messer einen Menschen erstochen. Nicht, seit sie hier im Reservat lebten. Ich nickte, hob das Messer auf und deutete ihnen mit Gebärden an, wo und wann ich es gefunden hatte. Sie antworteten mit einem verständnislosen Kopfschütteln. Doch einige von den älteren Kriegern sahen besorgt aus. Sie wußten, was die Bleichgesichter von dieser Sache halten würden. Ich verneigte mich kurz vor dem Häuptling und leistete ihm damit Abbitte für meinen Verdacht. Dann reichte ich ihm das Messer. Er betrachtete es eingehend. »Dieses Bleichgesicht, das uns mit stinkendem Fleisch beliefert, besorgte uns Messer gegen Silberschmuck unserer Squaws«, sagte er. »Gorring also. Von ihm stammen die Messer. Ich vermutete das.« »Wir hielten uns an die Verträge, obwohl Squaws und Kinder oft hungern. Wir brauchen Messer für harte Mesquite.« »Für einen Büffel, falls zufällig einmal einer vorbeitraben sollte«, erwiderte ich lächelnd. »Und ich würde auch nichts sagen, wenn dieser dicke Betrüger und sein finsterer Gehilfe mit diesem Messer …« Ich ließ diesen Satz unbeendet, aber ich bemerkte ein leises Zwinkern in den Augenwinkeln des alten Häuptlings. »Aber mit dem Messer ist ein hoher weißer Häuptling erstochen worden, der
Vertreter des großen weißen Vaters in Washington für Indianerfragen.« Der Mescalero-Häuptling blickte mich starr an. »Der Freund von gelbem Falken, der im Haus über dem sprudelnden Wasser wohnt?« fragte er erschrocken. »Stuart Frey? Nein, ehrwürdiger Häuptling.« »Uff«, murmelte er erleichtert. »Wir hätten Totentanz für ihn veranstaltet. Er ist ein gutes Bleichgesicht.« »Es war ein alter Häuptling, der aus dem Wigwam des großen weißen Vaters in Washington hierher gereist ist. Ein Bleichgesicht mit weißem Bart und grauen Haaren und in Kleidern, wie die Weißen sie am großen Wasser tragen, wo die Sonne aufgeht.« Ich beschrieb ihm die Kleider des Toten und dessen Aussehen. Aber ich bemerkte an seinen leeren, dunklen Augen, daß er von diesem Mann noch nie etwas gehört oder gar gesehen hatte. Er rief jedoch seine ältesten Krieger zu sich und wiederholte meine Beschreibung im blumenreichen Mescalero-Dialekt. Keiner hatte ihn gesehen, für keinen war Jerome Hemlin ein Begriff. »Keine gute Botschaft, die du uns bringst, gelber Falke«, sagte Häuptling Schlangenmann, nachdem er seine Krieger wieder entlassen hatte und sie mit der Verteilung der gelieferten Decken und Nahrungsmittel beauftragte. »Böser Zauber, der heute in unser Dorf gekommen ist.« Er wies auf den Plunder, den Gorring in der Mitte des Dorfes abgeladen, und dann auf das Messer, das ich mitgebracht hatte. »Stinkender Dämon in Büchsen wird Tod über Mescaleros bringen.« »Das werden wir verhüten. Stuart Frey, der über dem sprudelnden Wasser wohnt, ist schon beim weißen Häuptling im Fort und macht gut Wetter. Er wartet dort, daß ich ihm auch gute Nachricht von dir bringe, großer Häuptling.« »Sage ihm, daß wir Mescaleros zu stolz sind für einen feigen Mord und zu klug, um sich unnötig noch schlimmere Sorgen aufzuladen als den Hunger. Wenn wir töten, muß es einen Sinn haben.« Er blickte mich noch einmal an und entließ mich mit einer feierlichen Handbewegung. Es war die Sorge um die Zukunft seines
Stammes, die ihn zu dieser Drohung verleitete. Er wußte, daß die weißen Männer im Fort von der Unschuld der Mescaleros nicht so rasch überzeugt sein würden wie ich. * »Dicke Luft«, sagte Jicarilla zu mir, als ich meinen Wallach im Fort absattelte. »Ein Toter ist nie ein Freudengeschenk«, erwiderte ich. Er lachte trunken. »Da hast du recht, gelber Falke. Nur wenn es ein roter Toter ist.« »Du sagst wieder einmal, was du denkst, Jicarilla«, tadelte ich ihn. »Das bedeutet, du hast zuviel Feuerwasser getrunken.« »Es ist das Beste, was die Bleichgesichter für uns Indianer erfunden haben.« »Es ist euer Untergang«, sagte ich. »Für die Weißen ebenfalls«, erwiderte er kichernd und streichelte meinen Hund Shita, der sich irgend etwas in die Pfote eingerammt haben mußte. Er hinkte stark auf den letzten Meilen vor der Mauer des Wüstenforts. Jicarilla war ein besserer Scout als ich. Zudem war er auch sechs Jahre älter. Aber er soff wie ein Loch und konnte das Leben nur ertragen, wenn er es doppelt sah. Auch die Spuren wahrscheinlich, die er lesen mußte. Er sah aus wie ein reinblütiger Apache, hatte aber weißes Blut in seinen Adern. Das sah man seinen Augen an. Sie waren groß und rund wie bei einem Bernhardinerhund. Und fast immer auch so blutunterlaufen. Aber seine Haare und das Stirnband, das er sich darumwickelte, zeigten mir, daß er sich voll und ganz der roten Rasse verpflichtet fühlte. Aus diesem Grund und wegen seiner Vorliebe für minderwertigen Brandy hatte man ihm nur den Posten des zweiten Scouts gelassen. Aber er war ein netter Kerl und sehr ehrlich, weshalb mein Hund Shita und ich uns mit ihm am besten im Fort verstanden. Das Fort selbst war uns beiden nicht übermäßig sympathisch. Es stand in einer wüsten Gegend, von trostlosen Dünen und
Mesquitebüschen umgeben. Ich hätte hier nicht mal eine Sträflingskolonie angesiedelt. Doch der Colonel, mein oberster Dienstherr, meinte, ein Fort könne sich nicht nach der Gesundheit des Klimas richten oder nach der Schönheit der Landschaft. Es gelte nur das Prinzip der taktischen Überlegung. Ich rieb das Fell meines Wallachs mit Stroh ab und besann mich auf Jicarillas erste Bemerkung. »Ist Stuart Frey mit einem Toten und einem Pferd hier schon eingetroffen?« fragte ich beiläufig. »Deswegen ist ja dicke Luft im Fort.« »Ich sehe nur Soldaten mit Hosenträgern vor den Baracken und auf den Bohlenstegen. Das deutet eher auf das Gegenteil hin«, erwiderte ich. »Die Herren Offiziere sitzen in der Kommandantur zusammen und halten dort ein Palaver ab. Du sollst auch hinkommen. Es geht wieder mal um die bösen Apachen.« »Ich dachte, Frey habe das schon aufgeklärt.« »Dein Freund hat einen schweren Stand, Ronco. Die hohen Herrn planen eine Strafexpedition.« »Du meine Güte!« rief ich entsetzt. Jicarilla setzte seine Brandyflasche an den Mund und nahm einen tüchtigen Schluck daraus. »Weshalb, glaubst du, trinke ich mir schon die ganze Zeit einen Rausch an?« »Dafür findest du immer einen Grund«, knurrte ich und warf das Stroh weg, mit dem ich meinem Pferd das nasse Fell abrieb. »Kümmere dich um den Wallach und um Shita!« Ich raste aus dem Stall. Über den Wehrgängen des Forts lag der rote Schimmer des Sonnenuntergangs. Von der Kantine hörte ich das Klappern der Blechgeschirre. Ich hatte seit dem frühen Vormittag noch keinen Bissen zu mir genommen. Nach den Fleischbüchsen von Elmar Gorrings Reservatslieferung war mir der Appetit gründlich vergangen. Vor der Kommandantur stand ein dicker Sergeant, der die Mescaleros so wenig leiden mochte wie ich ihn. »Diesmal geht es deinen Schützlingen an den Kragen!« empfing er
mich hämisch und öffnete mir mit dem Stiefel die Tür zum Schreibzimmer. »Du brauchst dich nicht so zu beeilen, gelber Falke. Du rettest nichts mehr. Es ist bereits beschlossene Sache.« »An deiner Stelle, Tucker, würde ich nicht so nahe am Fenster des Alten herumlungern. Er mag es nicht, wenn Unteroffiziere mithören, was nur für Offiziere bestimmt ist.« Da hatte ich Sergeant Tucker an einer empfindlichen Stelle getroffen. Er litt darunter, daß Colonel Hampton Lester, der Kommandant von Fort Calhoun, früher einmal als Corporal unter ihm gedient hatte. Aber während Tucker immer noch den alten Rang hatte, war Lester inzwischen zum Colonel aufgestiegen. Auch ohne West-Point-Ausbildung. Und das wurmte Sergeant Tucker zutiefst. Er glaubte, das gleiche Anrecht zu haben wie sein Kommandant. Schließlich hatte er ja auch mehr Dienstjahre abgerissen. Aber Colonel Lester hatte mehr Grips, mehr Courage und ein paar Orden, die man durch Schreibstubenarbeit niemals erwerben kann. »Du solltest mir mal als Rekrut, zugeteilt werden, du Grünschnabel!« knurrte er mit puterrotem Gesicht. »Und du solltest mal bei den Mescaleros einen Monat Urlaub einlegen«, erwiderte ich. »Dann hast du wieder eine gute Figur und zwanzig Pfund Untergewicht!« Ich grinste ihn an und betrat das Zimmer des Kommandanten, nachdem ich angeklopft hatte. »Da sind Sie ja endlich, Ronco!« sagte Major William Fly mit seiner korrekten West-Point-Stimme. Der Colonel deutete auf den noch freien Stuhl an seinem runden Konferenztisch. Colonel Hampton Lester war groß und kantig wie ein grob zugehauener Felsblock. Seine Augen unter den buschigen Brauen waren hart und kalt wie Flußkiesel. Mit seinen schütteren Haaren und dem kantigen Kinn wirkte er wie ein Eisenfresser. Aber wer ihn bei Konferenzen erlebte und im Gespräch unter vier Augen, wußte, daß dieser Eindruck nicht der Wirklichkeit entsprach. Colonel Hampton Lester war ein Mann mit Minderwertigkeitskomplexen, wenn er mit den Karriereoffizieren aus West Point verhandelte. Er fühlte sich ihrer angeblich höheren Bildung und größeren Redegewandtheit unterlegen. Das war völlig
ungerechtfertigt, weil der Colonel nicht durch einen Gönner oder durch einen Glücksfall die Treppe hinaufgefallen war. Er hatte sich seine Beförderung zum Offizier hart erkämpfen müssen. Und er wäre nie zum Kommandanten eines Forts ernannt worden, wäre er nur ein tapferer Dummkopf gewesen. Der Colonel verfügte über ein gutes Urteilsvermögen und hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Nur – seine Komplexe trübten oft seinen Blick für die wahren Verhältnisse. So gab er viel zu oft seinem Adjutanten, Major Fly, nach, weil er ihn für höher qualifiziert hielt als sich selbst. So auch jetzt. Der Colonel hätte mich eigentlich in seiner Konferenzrunde begrüßen müssen, nicht sein Untergebener. Aber Major Fly hatte West Point mit Auszeichnung absolviert. In ihm sah der Colonel wohl seinen zukünftigen Oberbefehlshaber. Ich nahm Platz und blickte den Adjutanten an. Das war ein schlanker, breitschultriger, hochgewachsener Mann mit scharfgeschnittenem Gesicht und dunklen gewellten Haaren. Er war auch schon fünfundvierzig Jahre alt und hätte, wenn er in der Praxis so tüchtig gewesen wäre wie in seinem West-Point-Abschlußzeugnis, im Bürgerkrieg bis zum General aufsteigen müssen. Er war aber noch Major. Das allein hätte meinem Chef, Colonel Lester, zu denken geben müssen. Aber mit Minderwertigkeitskomplexen ist das eben so eine Sache. »Wir haben beschlossen, Mister Ronco«, sagte Major William Fly mit seiner knappen, nicht unfreundlichen Ausdrucksweise, »daß wir den Mescaleros einen Denkzettel geben müssen.« »Denkzettel?« erwiderte ich. »Wofür?« »Für das abscheuliche Verbrechen, das auf dem Gebiet ihres Reservats passiert ist.« »Ah«, erwiderte ich. »Jetzt verstehe ich! Sie haben die Lieferung von Mister Gorring gesehen, die im Mescalero-Dorf heute mittag abgeladen wurde?« Der Major blickte mich mit gefurchter Stirn an. »Was reden Sie da von einer Lieferung! Das ist doch wohl kein Verbrechen!« Ich legte die zusammengewickelte, mottenzerfressene Decke auf den Tisch, die ich bisher unter meiner Lederjacke versteckt gehalten
hatte, und schlug sie behutsam auseinander. Die Fleischbüchse, die jetzt erschien, stellte ich vorsichtig gerade, damit sie nicht detonierte. Das verrostete Blech war nach außen gebeult wie schwärende Brandblasen. Am Tisch saß noch mein Freund Stuart Frey, der sich inzwischen sehr geärgert haben mußte. Der Aschenbecher vor ihm quoll über von Zigarettenkippen, und die Flasche Whisky, die der Colonel seinem zivilen Gast vorgesetzt hatte, war fast leer. Stuart Frey hatte die gleichen feuchten runden Augen wie mein zweiter Scout Jicarilla. Nur war seine Laune durch den Whisky nicht abgeklärt worden. Im Gegenteil. Sie schien hundsmiserabel zu sein. »Was haben Sie denn da mitgebracht?« fragte Colonel Lester mit gerunzelter Stirn. »Ach, Sir, ich wollte Ihnen die Gardinen eigentlich nicht mit Motten verderben, aber …« Ich schlug mit der flachen Hand auf die Decke, daß die Mottenlarven auf Major Flys scharfgebügelte Hose kollerten. Er fuhr entsetzt von seinem Stuhl hoch. »Das ist eine Ungehörigkeit sondergleichen …« »Korrekt, Sir«, sagte ich. »Die Mescaleros meinten das auch. Sie sollen im Winter darin schlafen. Ich finde, da waren die Büffelhäute alten Stils schon was anderes. Ich kann das nur bestätigen. Ich stamme aus dieser Gegend hier.« »Und was ist das in dem rostigen Blech?« erkundigte sich Colonel Lester. In seinen grauen Augen funkelte es jetzt lebhaft. Es war kein Zorn, sondern Neugierde. »Es ist mir gelungen, dieses verbeulte Gefäß noch unbeschädigt ins Fort zu bringen. Ich hatte bei den Mescaleros beobachtet, wie sie bei einem Fall aus mäßiger Höhe auf weichen Sand explodierten. Ich hatte sie erst für eine Mine gehalten, Sir. Aber das war ein Irrtum. Es handelt sich um eine Fleischkonserve, Sir. Da das Fleisch in diesem Blech aber längst verfault ist, haben sich dabei hochexplosive Gase entwickelt. Ich würde Ihnen nicht raten, Sir, diese Konserve anzufassen. Das Blech ist noch stabil genug, daß es Ihnen bei einer Explosion ein paar Finger abschneidet.« Ich wandte mich an Major Fly. »Sie haben nicht so einen kräftigen Händedruck wie der Colonel, Major. Wollen Sie sich diese Fleischkonserve einmal
ansehen? Aber ich würde Ihnen vorher raten, das Rauchen einzustellen.« Der Adjutant stand noch immer. Jetzt blickte er auf die verbeulte Konserve hinunter und las die unter dem Rost nur noch schwer entzifferbare Inschrift: »Corned beef!« »Richtig, Sir«, sagte ich höflich. »Von Texas nach Mexiko exportiert. Dort neu etikettiert und ins Spanische übersetzt. Dann über den Rio Grande geschmuggelt. Reimportiert, nennt man das, glaube ich. Dann verdorben und auf den Müll geworfen. Anschließend wieder reaktiviert und den Mescaleros geliefert. Gegen teures Geld auf Regierungskosten. Das Fleisch für die Mescaleros. Sie sollen sich im Winter damit mästen.« Der Colonel wechselte mit mir einen Blick. Er spürte meinen Zorn. Er kannte mich zu gut, um mir eine Komödie oder Täuschung zu unterstellen, mit der ich die Mescaleros entlasten wollte. Er beugte sich vor und nahm die Büchse trotz meiner Warnung in die Hand. Er betrachtete sie von allen Seiten. »Beides gehört zu der Lieferung, die Elmar Gorring im Auftrag des ermordeten Regierungsbeamten Jerome Hemlin den Mescaleros zustellte?« »Richtig, Sir. Ich kam zufällig dazu, als die Waren abgeladen wurden. Es gab einen peinlichen Wortwechsel zwischen mir und dem Lieferanten.« »Das kann ich mir denken«, sagte Colonel Lester bissig. Er schickte einen Blick zu seinem Adjutanten hinüber. »Ich vermute, die Mescaleros erfuhren, wer für diese Lieferungen verantwortlich war. Deshalb brachten sie Mister Hemlin um. Das entlastet sie in erheblichem Grad. Sie wußten sich nicht anders zu helfen.« »Deshalb bleibt es doch ein Mord, Sir«, wandte Major Fly respektvoll, aber warnend ein. »Ach ja, das wollte ich noch hinzufügen, Sir«, wandte ich mich wieder an den Colonel. »Die Mescaleros haben mir feierlich versichert, daß sie diesen toten Regierungsbeauftragten Jerome Hemlin weder gesehen noch getötet haben. Sie hatten gar keine Ahnung von seiner Existenz. Sie hielten sich bei ihren Beschwerden – vergeblichen Beschwerden – immer an den Reservatsagenten
Stuart Frey. Der Gentleman hier wird das bestätigen.« Ich deutete mit dem Kopf auf meinen Freund Stuart, der mit stieren, glasigen Augen die Decke und die Konserve betrachtete. Seine Laune schien auch davon nicht zu profitieren. Sie wurde jetzt sogar ausfallend. »Das«, sagte er lallend, »habe ich diesen verdammten Yankees hier schon von Anfang an gesagt, Junge. Daß die Mescaleros mit dem Mord an diesem verdammten Schreibtischhengst aus Washington nicht das geringste zu tun haben!« »Sie vergreifen sich im Ton, Frey!« beschwerte sich der Adjutant. »Und Sie verstecken sich hinter Ihren Scheuklappen, Major! Sie sind nichts als ein verdammter Indianerfresser, Fly!« »Gentlemen!« sagte Colonel Lester ärgerlich und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Ich muß doch sehr bitten!« »Sir«, sagte Major Fly, »wir haben beschlossen, ein Exempel zu statuieren. Ich sehe nicht ein, weshalb wir durch eine Büchse, die Mister Ronco irgendwo in der Wüste gefunden hat …« »Unkorrekt und Einspruch«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich habe Zeugen für meine Behauptung. Elmar Gorring und seinen Gehilfen Bo Wenders. Dazu noch fünfundzwanzig Krieger der Mescaleros. Mein Hund Shita ebenfalls. Er frißt nichts mehr, seit er an den Fleischbüchsen gerochen hat.« In den grauen Augen des Colonels flackerte es kurz auf. Ich glaube, er fühlte sich sogar erleichtert, daß ich der Konferenz eine leichte Wendung ins Humorvolle gab. Doch dann war er wieder so nüchtern wie am Anfang, als ich in sein Büro trat. »Ich denke«, sagte er zu Major Fly, »Mister Ronco hat nicht unrecht, wenn er uns bittet, das Exempel an den Indianern aufzuschieben. Das wollen Sie doch, nicht wahr?« Er blickte mich über den Tisch hinweg aufmunternd an. »Richtig, Sir. Aber aufschieben ist nicht das richtige Wort. Aufheben, möchte ich sagen.« »Major Fly?« »Keinesfalls, Sir. Ich habe mir vorhin anhören müssen, daß der Agent für die Mescaleros, Mister Frey, Mister Elmar Gorring des Betruges bezichtigte. Vielleicht sind diese Decke und diese Blechbüchse endlich der Beweis, den zu liefern er uns schuldig
geblieben ist. Aber ich gebe zu bedenken, daß diese Beweise, wie Sie vorhin richtig erkannten, Colonel, ein gutes Motiv darstellen, daß die Mescaleros den Regierungsbeauftragten Jerome Hemlin doch umgebracht haben. Bei dem eigenartigen Sinn für Gerechtigkeit, den diese Rothäute nun einmal haben …« »Blutrache, nicht wahr?« mischte ich mich ein. »So etwas Ähnliches, Mister Ronco.« »Der Häuptling der Mescaleros hatte mir versichert, daß er nicht so dumm wäre, einen Regierungsbeamten abzustechen, nur weil sein Stamm hungern müsse. Er hätte dann erst dessen Pferd abgestochen, um es zu essen. Ich denke, das leuchtet jedem ein.« Der Colonel unterdrückte ein Lächeln. Major Fly sah sehr grimmig aus. Er blickte seinen Chef an. »Mister Ronco versucht, die Konferenz lächerlich zu machen, Sir. Sprechen Sie ein Machtwort!« Der Colonel nickte. »Wir werden die Strafexpedition verschieben, bis die Sachlage geklärt ist. Mister Ronco, da Sie so eifrig für die Sache der Mescaleros plädieren, schlage ich Ihnen vor, zu Mister Gorring zu reiten und dort nachzuforschen, ob Mister Jerome Hemlin vielleicht dort einen amtlichen Besuch abgestattet hat. Ich selbst werde in Washington telegrafisch anfragen, ob dieser Mister Hemlin im Auftrag der Regierung hergereist ist, denn bei uns im Fort ist er nicht gewesen. Alles an dieser Reise ist mysteriös. Wenn sich herausstellen sollte, daß keiner der Personen, mit denen er von Amts wegen Kontakt aufnehmen sollte, etwas von der Anwesenheit des Regierungsbeauftragten Hemlin in Texas wußte, konnte er nur heimlich zu den Mescaleros geritten sein, um sich an Ort und Stelle zu informieren, ob die beanstandeten Lieferungen wirklich so schlecht waren, wie die Indianer sie immer schilderten. Und in diesem Fall …« Er beendete seine Rede mit einem Achselzucken. Ich blickte ihn an. »Der Ritt zu Mister Gorring ist ein Befehl und kein Vorschlag, wenn ich Ihre Worte richtig deute, Sir?« »Sie deuten richtig, Mister Ronco.« »Und Ihr Mißtrauen gegenüber den Mescaleros bleibt bestehen?« »Richtig.« »Kann ich Ihnen nicht übelnehmen, Sir«, sagte ich seufzend. »Kein Richter mit Prädikatsexamen könnte anders entscheiden als
Sie, wenn man Ihrer Argumentation lauscht.« Ich wollte ihm endlich seine Komplexe nehmen. »Die Mescaleros sind es nicht gewesen«, lallte Stuart Frey. »Sie hätten ihn skalpiert, diesen Schreibtischhengst!« »Sie sind stinkbesoffen, Mister Frey!« empörte sich Major Fly. »Und Sie sind ein Indianerfresser!« »Gentlemen, die Konferenz ist beendet«, sagte der Colonel mit harter Stimme. »Bis die Sache aufgeklärt ist, setze ich unseren Beschluß einer Strafexpedition aus.« »Sir«, wandte ich rasch noch ein, »ich habe den Mescaleros versprochen, wir ersetzen ihnen das verdorbene Büchsenfleisch durch ein paar Rinder aus dem Fort, für die wir nicht mehr genügend Futtervorräte haben!« Der Major und der Colonel nahmen jetzt gegen mich Partei. »Das stand Ihnen nicht zu, Mister Ronco!« sagte Major Fly vorwurfsvoll. »Da muß ich Major Fly recht geben«, sagte der Colonel. »Ihre Jugend macht Eigenmächtigkeiten verzeihlich, aber nicht ungeschehen. Sie werden keine Rinder für die Mescaleros erhalten, bis dieser Mord aufgeklärt ist.« »Ihr letztes Wort, Sir?« »Selbstverständlich ist es mein letztes Wort.« »Wenn ich vertragsbrüchig werde, Sir, werden die Mescaleros wirklich verhungern müssen. Aber bevor das geschieht, unternehmen sie garantiert einen Aufstand.« Die beiden Offiziere sahen mich nur hart und sehr zugeknöpft an. »Ich verstehe, Sir«, sagte ich. »Die Armee ist auch nur eine Behörde und kein Wohlfahrtsinstitut. Ich werde zu Mister Gorring reiten. Aber ich sehe keinen großen Nutzen darin, daß ich bei ihm anklopfe und mich höflich bei ihm erkundige, ob er Mister Hemlin gesprochen hat, ehe dieser umgebracht wurde. Dieser Gorring ist ein Halunke, wie er im Buch steht.« »Wollen Sie damit andeuten, daß Mister Gorring seinen Auftraggeber umbrachte, der für ihn ein Vermögen wert war, Mister Ronco?« erkundigte sich Major Fly sarkastisch. »Sie haben doch den Toten gefunden, nicht wahr?«
»Mit West-Point-Logik ist das nicht zu erklären«, erwiderte ich aufgebracht. »Entschuldigen Sie, Sir. Es rutschte mir so heraus. Ich bin noch ziemlich jung. Schieben Sie meine Offenheit auf diesen verzeihlichen Umstand.« Ich grinste den Adjutanten an. »Ich war der Mörder von Mister Hemlin!« Ich salutierte übertrieben stramm und verließ die Kommandantur. Ich wollte noch in der Nacht zu Gorring reiten. Das Versprechen an die Mescaleros brannte mir unter den Nägeln.
4. Shita humpelte so stark, daß ich ihn in der Obhut von Jicarilla im Fort zurücklassen mußte. »Warum wartest du nicht bis zum Sonnenaufgang, gelber Falke?« lallte Jicarilla whiskyselig in der leeren Box neben meinem Dienstpferd. »Trink ein paar Gläser Brandy mit mir und spüle deinen Kummer fort!« »Ich vertrage Alkohol nicht so gut wie du, Apache«, erwiderte ich, als ich mein Pferd sattelte. »Er macht mich krank!« »Ich hörte von Sergeant Tucker, daß du dich beim Alten als Mörder dieses graubärtigen Indianervaters aus Washington ausgegeben hättest. War das nun ein Geständnis, gelber Falke, oder ein Witz?« »Es war Wut!« Der Apachenscout schüttelte sich vor Lachen und wälzte sich auf dem Stroh hin und her. »Gelber Falke, wenn du morgen früh nicht zurück im Fort bist, werden sie es glauben. Diese Bleichgesichter in Uniform haben keine Phantasie. Sie werden dich für einen geflüchteten Mörder halten!« »Du meinst, sie verstehen keinen Scherz?« »Schon gar nicht, wenn du vor ihnen die Mordwaffe versteckst!« Er deutete auf meine Satteltasche, wo ich das blutige Küchenmesser verstaut hatte, das ich dem toten Mister Hemlin aus dem Herzen gezogen hatte. »Ah, du hast in meinen Sachen herumgeschnüffelt!« sagte ich erbost.
»Ich habe nur nach neuem Brennstoff gesucht«, erwiderte er und schüttelte seine Metallflasche vor meinem Gesicht hin und her. »Ebbe, gelber Falke. Ich brauche dringend Nachschub. Wenn du mir einen Dollar gibst, damit ich in der Kantine Brandy kaufen kann, sage ich Sergeant Tucker nichts von dem Messer. Falls du dich aber weigerst …« »Du willst mich erpressen, du stinkende, besoffene Rothaut?« »Warum sollte ich das nicht, du aufgeblasenes Bleichgesicht?« »Ich glaube, für Whisky tust du alles, Jicarilla, nicht wahr? Dafür verkaufst du sogar deinen besten Freund.« »Nur meinen ersten Scout«, erwiderte der Apache augenzwinkernd. »Ich sage ihnen nichts von dem Messer, wenn ich …« Er brach ab und blickte mich mit schräggeneigtem Kopf lauernd an. »Wenn was?« »Wenn ich die drei Dollar behalten darf, die ich in deiner Satteltasche gefunden habe.« Ich hob die Faust und trat nach dem Apachen, der sich blitzschnell in der Box zur Seite rollte. »Kann ich sie behalten oder nicht, gelber Falke?« fragte er. »Ich borge sie dir höchstens!« »Einverstanden.« Er grinste wie ein roter Bacchus, griff unter das Stroh und holte eine Flasche besten Whiskys heraus, die noch mit einer Banderole versehen war. »Dann kann ich ja mit gutem Gewissen die Flasche öffnen, die ich von deinen drei Dollar in der Marketenderei gekauft habe.« »Du kannst dich daran zu Tode saufen!« knurrte ich und führte meinen gesattelten Wallach aus dem Stall. * Kurz nach Mitternacht erreichte ich die Handelsniederlassung von Elmar Gorring. Ich weiß nicht, warum er sie Guadalupe-Store genannt hatte. Sie lag eigentlich zwischen den Schuttkegeln der Van-Horn-Mountains, nur einen Nachtritt vom Rio Grande und von der mexikanischen
Grenze entfernt. Hier liefen eine Menge Trails zusammen, die einen weiten Bogen um die Grenzforts der Yankees schlugen. Diese Forts im Abstand von etwa hundert Meilen sollten das zerklüftete Gebirgsplateau gegen das unruhige Mexiko im Südwesten und die noch nicht ganz gezähmten Indianerstämme im Westen abschirmen. Wie viele Niederlassungen in diesem Gebiet, das vorwiegend aus stacheligen Wüstenpflanzen, ausgetrockneten Flüssen und hohen Sandsteinpyramiden bestand, verdankte auch die Handelsniederlassung von Elmar Gorring ihre Existenz einer unterirdischen Wasserader, die das ganze Jahr über ausgezeichnetes Süßwasser lieferte, wenn man sich die Mühe bereitete, eine Pumpe zu bewegen. Süßwasser war in dieser Region durchaus keine Selbstverständlichkeit, selbst wenn man unterirdische Wasseradern anzapfen konnte. Viele Quellen im Bereich der Van-Horn- und Guadalupe-Mountains bestanden aus stinkender, ungenießbarer Schwefelbrühe. Elmar Gorring, hatte man mir im Fort hinter vorgehaltener Hand berichtet, war zuerst auf die Quelle gestoßen, ehe er ein paar Lagerschuppen drumherum errichtet hatte. Er sollte sie nicht aus eigener Kraft entdeckt und erschlossen, sondern das Geheimnis gegen ein Fäßchen Whisky einem Indianer entlockt haben, den er dann, damit der Handel nicht bekannt wurde, erschoß, als die Rothaut zu betrunken war, um sich wehren zu können. Seitdem florierte das Geschäft von Elmar Gorring auch ohne die lukrativen Geschäfte mit dem Mescalero-Reservat. Denn die Schmuggler mußten auf ihrem Weg ins Landesinnere an Elmar Gorrings Quelle vorbei, ob es ihnen gefiel oder nicht. Er hatte das Stück Wüste erworben, unter der im Verborgenen Wasser sprudelte. Es war die einzige Wasserstelle zwischen Fort Calhoun und dem Rio Grande, wenn man von dem bescheidenen Brunnen, auf dem mein Freund Stuart auf seinem Felsen hockte, einmal absah. Aus Gorrings Geschäft mit dem Süßwasser war allmählich ein Handel mit anderen notwendigen Gütern des Lebens geworden, noch bevor die Mescaleros im Norden in ein Reservat gepfercht worden waren.
Ich betrachtete die Schuppen der Niederlassung erst aus der Ferne im Mondlicht, ehe ich mich näher heranwagte. Ich hatte gehört, daß Gorring seinen Handelsposten gesichert hatte wie ein Schatzhaus – mit Fußangeln, scharfen Dingos und einer Gatling, falls überlegene Kräfte ihn auf seinem flachen Schutthügel einmal angreifen sollten, weil ihnen sein Wasserzins zu hoch war. Ich sah, daß sich hinter seiner hohen Mauer aus Felssteinen Lichter hin und her bewegten. Offenbar wickelte Elmar Gorring auch nachts Geschäfte ab. Oder vorwiegend nachts, wenn man an den Schmuggel an der Grenze dachte. Auch nach dem Krieg war der schwungvolle Handel, den Texas mit Mexiko in den vergangenen Jahren getrieben hatte, nicht abgerissen. Aber während des Krieges, als Texas von seinen verbündeten Südstaaten durch die Blockade der Yankees gewaltsam getrennt wurde, war das für Texas die einzige Möglichkeit gewesen, sich am Leben zu erhalten. Jetzt war der Handel mit den Mexikanern illegal, und die Texaner schmuggelten mit grimmiger Begeisterung, um den verhaßten Yankees eins auszuwischen. Ich betrachtete also das befestigte Haus von Elmar Gorring und ließ mir die Szene vom vergangenen Mittag wieder durch den Kopf gehen. Durchaus möglich, überlegte ich, daß ich diesen Handelsposten nicht mehr lebend verlasse, wenn Gorring und sein rauhbeiniger Gehilfe meinen Besuch bei ihm falsch auffassen – als Erkundung der Armee gegen die Schmugglertätigkeit an der Grenze. Ich wartete und horchte zum Hügel hinüber. Die Hunde veranstalteten keinen Lärm. Sie mußten also in ihre Käfige eingesperrt worden sein. Ab und zu hörte ich ein paar kehlige spanische Brocken. Angeblich verstand der dicke Gorring ja kein Spanisch. Ich vermutete, das war nur eine Schutzbehauptung. Wer schmuggelte, mußte hier perfektes Spanisch beherrschen. Ich ritt etwas näher an das Tor der Handelsniederlassung heran. Das dicke Palisadentor in der Ringmauer öffnete sich plötzlich, und ein halbes Dutzend Maultiere galoppierte aus dem Innenhof hinaus auf den Trail. Sie wurden von zwei Mexikanern auf Pferden vorn gezogen und hinten angetrieben. Die beiden preschten an mir vorbei, ohne mich
eines Blickes zu würdigen. Ich nahm es ihnen nicht übel, denn ich hatte mich hinter ein paar mannshohen Mesquitebüschen versteckt, um sie ungehindert passieren zu lassen. Als die Maultiere und ihre beiden Begleiter in einem ausgetrockneten Flußbett untertauchten, galoppierte ich auf das Palisadentor des Handelspostens zu. »Eh, venga!« rief ich. »Ich habe etwas vergessen!« »Eh, diablo!« tönte es wütend auf spanisch zurück. »Wegen euch verliere ich noch meine Lizenz bei der Regierung!« Es war die Stimme von Elmar Gorring, und dann schwang das Palisadentor wieder langsam nach innen. Der stattliche Händler stand mit einer Fackel vor mir, und ich zog meinen Hut und sagte höflich: »Guten Abend, Mister Gorring! Haben Sie nicht eben auf spanisch etwas gesagt, was ich nicht verstand? Ich dachte, Sie beherrschen kein Wort von diesem Kauderwelsch!« »Ach, du bist es, du elender Armeeschnüffler!« sagte er aufgebracht und warf mit ein paar englischen Flüchen um sich, die nicht druckreif waren. Als er tief Luft holte, warf ich auch wieder ein Wort ein. »Es ist schlimm, Mister Gorring, daß ich immer störe, wenn Sie gute, aber nicht ganz saubere Geschäfte abwickeln. Das ist nicht böse Absicht.« »Sie können mir diesmal – äh …« »Nichts beweisen, ja.« Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter nach Süden. »Die Mexikaner ritten zu schnell. Die Beweise galoppieren bereits zur Grenze.« »Was wollen Sie hier mitten in der Nacht?« fragte er, schon etwas ruhiger. »Ich wollte wissen, ob Sie einen Mann namens Jerome Hemlin kennen.« Der stattliche Händler rieb sich die Nase. Im Fackellicht war nicht zu erkennen, ob er überrascht oder erschrocken war, als ich ihm diesen Namen nannte. »Bo!« rief er über die Schulter. Der düstere Gehilfe des Händlers trat ins Licht. Er mußte schon
hinter dem Tor gelauert und alles mitgehört haben. Aber er tat so, als wäre er mitten aus dem Schlaf gerissen worden, streckte seine Arme in die Nachtluft und gähnte. »Was ist, Boß?« »Kennst du einen Jerome Hemlin?« Der lange Gehilfe streckte sich noch einmal. »Wer soll das denn sein?« »Ein Mann, der sein Pferd verloren hat«, erwiderte ich. »Und deswegen kreuzen Sie mitten in der Nacht hier auf«, erregte sich Elmar Gorring von neuem, »und stören meine Nachtruhe?« »Sie waren doch noch gar nicht im Bett, Gorring«, erwiderte ich gelassen. »Es ist eine wichtige Sache, wenn ein Mann mitten in der Wüste verlorengeht.« Bo Wenders tat so, als schiebe er sein Hemd unter den Gürtel und wäre erst jetzt ganz wach. »Sie haben ein Pferd gefunden und wissen auch, wem es gehört?« fragte er mich. »Warum suchen Sie dann ausgerechnet hier?« »Die Spur des Pferdes führt hierher. Ich meine, sie führt von hier weg.« Es war eine kühne Behauptung, frech und unbedacht, wie es meiner Jugend entsprach. Und Bo Wenders schielte plötzlich so heftig wie noch nie, als hätte ich ihn mit der Faust mitten zwischen die häßlichen Augenbrauen getroffen. Er nahm wortlos seinem Boß die Fackel aus der Hand, bückte sich und trat vor das Palisadentor. Er lief den Abhang hinunter wie ein schnüffelnder Hund und wendete sich nach Osten und nach Westen. Es dauerte eine Weile, bis er wieder den Hügel hochstapfte, mit spielenden Wangenmuskeln und wiegenden Schultern, als könne er seine Wut kaum bändigen. »Du bist ein verdammter Lügner, Schnüffler! Ich erkenne im Sand nur deine Pferdespur!« »Der Wind muß die andere Spur gelöscht haben«, erwiderte ich gelassen. »Und du regst dich viel zu sehr auf, Bo Wenders. Das gefällt mir nicht.« »Was gefällt Ihnen nicht?« fragte Elmar Gorring, nicht weniger gereizt als sein Gehilfe.
»Wir haben auch den Mann zu dem Pferd gefunden«, antwortete ich. »Genauer gesagt, ich habe ihn gefunden. Einen grauhaarigen, sehr unpraktisch gekleideten Mann. Er trug Weste, Schnürstiefel, Jacke und lange Hosen. Er war angezogen, als wäre der Herbst in Texas so grau und kühl wie in Washington, wo er herkam.« »Ein Mann aus Washington?« »Fiel auf wie ein böser Finger, Mister Gorring. Ich meine, hier in der Wüste, wo es nur arme zerlumpte Rothäute und neureiche Händler gibt, ist eine gepflegte Erscheinung eines hohen Regierungsbeamten so etwas wie ein Weltwunder. Mein Hund wollte das gar nicht begreifen.« »Welcher Hund?« »Mein Hund Shita natürlich. Er hat ihn aus dem Sand gebuddelt, wo jemand ihn eilig verscharrt hatte. Hunde sind eben unbestechlich, auch wenn sie nur minderwertige Bastarde sind wie mein Shita.« Bo Wenders lehnte sich ans Palisadentor und krampfte seine Schlägerhände um den Gürtel. Ich mußte auf ihn achten. Er verstand keinen Spaß. Elmar Gorring hingegen zeigte wieder diese katzenartige Freundlichkeit, wenn eine Situation ihm zu entgleiten drohte. »Mister Ronco«, sagte er höflich, »Sie deuten an, dieser Mann sei gewaltsam zu Tode gekommen?« »Durch ein Messer, Mister Gorring. Ein Modell, das Sie in großen Mengen an Indianer zu verkaufen pflegen. Genauer gesagt, zu tauschen gegen hochwertige Felle und Handarbeiten. Die Messer sind nur von minderwertiger Qualität.« »Ah, du willst uns schon wieder etwas andrehen, wie?« knurrte Bo Wenders und stieß sich mit den Schultern von dem Torflügel ab. »Ich ziehe nur Erkundigungen ein, Wenders«, erwiderte ich, meine Hand in der Nähe meines Colts. »Im Auftrag des Kommandanten von Fort Calhoun. Mister Hemlin hat nämlich versäumt, sich bei Colonel Lester im Fort anzumelden, als er aus Washington hierherreiste. Und da dieser Hemlin Ihr Wohltäter war, Mister Gorring, dachten wir, er wollte zu Ihnen!« »Mein Wohltäter?« »Sicher. Er hat doch die Verträge unterschrieben, die es Ihnen
gestatten, sich auf Kosten der Mescaleros zu bereichern. Zum Beispiel mit verdorbenen Fleischkonserven.« »Bo!« rief Elmar Gorring scharf, als sein Gehilfe mich von meinem Pferd herunterziehen wollte. Offenbar wollte er mich mundtot machen oder Schlimmeres. Er hatte aber nur meinen rechten Stiefel ergattert. Ich selbst saß noch im Sattel. Er zerknüllte ihn, als hätte er mich an der Kehle. »Lassen Sie ihn nur«, sagte ich beschwichtigend zu Gorring. »Er darf ihn als Andenken an mich behalten. Er ist schon ziemlich alt. Sie können mir ja aus Ihren Lagerbeständen ein Paar neue Stiefel besorgen. Größe elfeinhalb. Ich lebe auf großem Fuß. Und bitte aus echtem Leder. Nicht so minderwertiges Zeug, wie Sie es den Indianern liefern.« »Bo!« rief Elmar Gorring noch einen Grad schärfer. »Gib ihm sofort seinen Stiefel zurück!« Bo Wenders warf mir den Stiefel wieder zu, und ich streifte ihn wieder über meinen Socken. »Diese Aufregung führt zu nichts«, sagte ich. »Sie erinnern sich doch inzwischen ganz gewiß an diesen Gentleman, der Ihre Verträge unterzeichnet hat. Ihre Dreißigtausend-Dollar-Verträge. Bei so einer Summe erinnert man sich an allerlei.« »Warten Sie – warten Sie mal …« Elmar Gorring rieb sich wieder seine fleischige Nase. »Ja – richtig – ich entsinne mich. Ein Mister Jerome Hemlin aus Washington.« »Wahrscheinlich hatte er eine so schwungvolle Handschrift, die zu seiner geblümten Weste paßte, Mister Gorring.« »Ich habe diesen Mann nie in meinem Leben gesehen, Mister Ronco«, erwiderte Gorring mürrisch. »Und Sie, Bo Wenders?« »Auch nicht«, knurrte Gorrings Gehilfe. »Seltsam«, sagte ich nachdenklich, »da sitzt ein Mann, Tausende von Meilen von hier entfernt, und unterschreibt Blankoverträge für einen Händler in Texas, den er gar nicht kennt.« »Was ist daran seltsam?« fragte Elmar Gorring angriffslustig. Er dachte wohl, er hätte die Situation wieder fest in der Hand. »Sie müssen doch über ausführliche Korrespondenzen mit diesem
Mann Hemlin verfügen. Ich würde zu gern mal Ihre Akten sehen.« »Wenn Sie meinen Hof betreten, lasse ich die Hunde los!« sagte Gorring aufgebracht. »Sie sind nicht sehr kooperativ, Mister Gorring. Ich werde das Colonel Lester in Fort Calhoun mitteilen müssen. Es könnte sein, daß Mister Jerome Hemlin Ihnen brieflich mitgeteilt hat, daß er Sie endlich kennenzulernen wünsche, nachdem so viele Klagen über Ihre verdorbenen Kartoffeln und Decken auf seinen Schreibtisch in Washington geflattert sind. Ich wette, der Colonel wird sich meiner Ansicht anschließen.« »Ich unterstehe nicht Ihrem verdammten Colonel!« »In diesem Fall schon. Colonel Lester ist in seinem Bezirk auch Polizeichef. Sie verweigern mir also die Einsicht in Ihre Akten?« Bo Wenders schielte seinen Boß fragend an. »Soll ich diesem Schnüffler mal zeigen, wie wir unsere Außenstände eintreiben?« Er leckte sich erwartungsvoll die dicken Lippen. Doch sein Boß schüttelte energisch den Kopf. »Mister Ronco«, sagte er zu mir, »meine Buchführung und meine Korrespondenz sind meine Geschäftsgeheimnisse. So etwas zeigt man nicht herum wie einen Steckbrief oder einen Artikel in der Zeitung.« Er schüttelte noch einmal den Kopf. »Ich kenne meine Rechte. Da müßte Ihr Colonel schon selbst bei mir erscheinen.« Ich spürte, daß ich jetzt mit meinem Talent am Ende war. Ich hatte weder eine Vollmacht von Colonel Lester bei mir, noch hätte ich sie gegen scharfe Dingos, einen berüchtigten Schläger und einen gewitzten Händler allein durchsetzen können. Ich sollte mich ja auch nur erkundigen, ob Mister Hemlin hier aufgetaucht war, ehe er in der Wüste abgestochen wurde. Ich war mir nicht sicher. Aber ich spürte, daß diese beiden mehr über ihn wußten, als sie sagen wollten. Ich lüftete wieder höflich meinen Hut. »Ich werde es dem Colonel ausrichten, Mister Gorring. Sie haben diesen Jerome Hemlin nie gesehen. Sie haben nur von ihm profitiert. Sie sind ein Glückspilz. Aber ich fürchte, Mister Hemlins Nachfolger in Washington wird Ihre Lieferverträge bestimmt nicht verlängern.« Ich wendete mein Pferd wieder hügelabwärts. »Hasta la vista!« rief ich den beiden noch zu, ehe ich dem Wallach die Sporen gab.
Sie starrten mir wütend hinterher. Und da erst fiel mir ein, daß die beiden sich gar nicht darüber entsetzt oder entrüstet hatten, daß ihr Gönner so plötzlich gestorben war. Die Nachricht hätte doch bei ihnen einschlagen müssen wie eine Bombe. Ich beschloß, mir noch einmal die Stelle anzusehen, wo der Regierungsbeauftragte aus Washington vergraben worden war. Vielleicht hatte ich doch ein paar Spuren übersehen.
5. Der Mond neigte sich schon den Felstürmen im Westen zu, als ich das ausgetrocknete Flußbett des Rio Doro wieder erreichte. Ich schwang mich an der Stelle aus dem Sattel, wo ich die Leiche, halb unter Mesquitezweigen versteckt, im heißen Sand gefunden hatte. Ich war den Trail heraufgeritten, der von der Handelsstation nach Nordosten führte. Unten am Flußbett hatte ich zu viele Hufspuren gefunden, die sich überlagerten. Hufspuren von Patrouillen aus dem Fort. Ich verfluchte meine Nachlässigkeit als Scout. Ich hätte mir den Hengst des Regierungsbeauftragten etwas genauer ansehen sollen. Die charakteristischen Merkmale seiner Hufeisen, seinen Gang, wie das Pferd sein Gewicht verteilte. Der Sand war jetzt so kalt, daß ich in die Hände hauchen mußte, damit meine Finger nicht klamm wurden. Ich grub eine flache Kuhle an der Stelle, wo der Tote gelegen hatte. Ein Rascheln im Gebüsch warnte mich, daß hier Giftschlangen nächtigen konnten, die sich auch nicht gern im Schlaf stören lassen. Mein Wallach döste hinter mir mit halb geschlossenen Augen. Ab und zu stampfte er mit den Beinen im Sand, um mich daran zu erinnern, daß er seit sechs Uhr abends Überstunden klopfte. So ein Militärgaul ist an feste Dienstzeiten gewöhnt. Und dann, als ich in der Kuhle kauerte wie ein Kaninchen, das Junge werfen will, sah ich etwas aus der Froschperspektive, das mich sofort faszinierte. Einen langen Faden, so lang wie meine Hand, aber nicht dicker als
eine Violinsaite. Ich streckte den Arm aus, pflückte ihn von einem Dorn herunter, legte ihn vor mich hin auf den kalten Sand und studierte ihn im Mondlicht. Ein blauer Baumwollfaden mit einem weißen Kettknoten an einer Stelle, wo das Blau des Fadens ziemlich ausgebleicht und schmuddelig wirkte. Wo hatte ich das schon einmal gesehen? Mein Wallach stieß mich mit den Nüstern in die Schulterblätter und trottete dann ein paar Schritte von meiner Kuhle weg. »He, mein Junge!« rief ich mit halblauter Stimme. »Ich will nicht zu Fuß ins Fort zurücklaufen! Du wirst doch noch ein paar Minuten warten können!« Da der Gaul nicht stehenbleiben wollte, steckte ich den Faden in die Brusttasche meiner Jacke und richtete mich auf – geradewegs in einen Feuerstrahl hinein, der mich über die schwarzen Mesquitesträucher weg anbleckte. Ich spürte nur den Schlag, aber keinen Schmerz. Dann färbte sich plötzlich der Mond zwischen den Schutthügeln grün, und der Himmel wurde zu einer schwarzen Flut, die mich zurückschwemmte in meine Kuhle. So sieht also der Tod aus, dachte ich noch, als ich das warme Blut auf meiner Haut spürte. * »Tas-ka-no-ka!« Der Himmel bestand offenbar doch aus ewig grünen Weiden, dachte ich. Auf diesen Weiden tummelten sich keine Bisons und Pintos, sondern Mädchen mit hübschen langen Beinen und wohlgerundeten Brüsten. Aber jedesmal, wenn ich sie mir haschen wollte, hüpften sie davon wie Gazellen und äfften mich mit ihren hellen Stimmen: »Tas-ka-no-ka!« »Nun bleibt doch endlich stehen!« rief ich ihnen auf englisch hinterher. »Ich verstehe kein Wort! Ich komme aus einer anderen Welt! Ehe ich eure Sprache lernen kann, müßt ihr mir sie beibringen!
Aber ich denke, wir könnten uns auch ohne Worte ganz gut verstehen. Da sieht man wieder, daß man sich bei uns ganz falsche Vorstellungen vom Paradies macht! Ich dachte, im Himmel gibt es keine nackten Mädchen! Und wenn doch, so hätten sie nur Flügel und keine – oh, Verzeihung!« »Tas-ka-no-ka!« »Oder bin ich vielleicht in der Hölle gelandet?« rief ich erschrocken. »In der Hölle, steht bei uns in gewissen Lehrbüchern, gibt es viele Gelüste, die man einfach nicht stillen kann! Wasser, das vor den Lippen plötzlich versiegt, Essen, das sich vor dem Mund in Gold verwandelt, Mädchen, die sich von der besten Seite zeigen, bis man ganz toll ist und …« Ich streckte vorsichtig meine Hand aus und berührte eine warme, sanfte Haut. »Tas-ka-no-ka!« Ich schlug die Augen auf. Ich war weder in der Hölle noch im Himmel. Ich sah ein bronzefarbenes Mädchen über mir, das nur einen Lendenschurz trug. Ihre langen schwarzen Haare berührten meine Stirn, und ich berührte ihre warme feste Brust mit meiner rechten Hand. Nichts bringt einen jungen Mann rascher ins Diesseits zurück als der Anblick eines so hübschen jungen Mädchens, dachte ich. Es mußte sehr heiß sein, denn auf dem Gesicht des Mädchens sah ich kleine Schweißperlen. Ich selbst hatte nur ein angenehm warmes Gefühl. »Wo bin ich?« fragte ich benommen. »Tas-ka-no-ka!« rief das Mädchen ganz laut, und dann stand es auf und warf sich eine Decke über die nackten Schultern. Jetzt wußte ich es. Ihre Brustspitzen schimmerten durch die vielen Löcher, die Gorrings Motten in das Gewebe gefressen hatten. Und das Dach, unter dem das Mädchen stand, bestand aus dürren Zweigen, alten Fellen und breitgeklopftem Konservenblech. »Häuptling Schlangenmann?« flüsterte ich fragend. Ich hatte mit lauter Stimme sprechen wollen. Doch meine Stimmbänder schienen so rostig zu sein wie die Blecheinsätze im Hüttendach. Das Mädchen nickte lächelnd. »Tas-ka-no-ka!« rief sie laut.
Ein Schatten fiel über das Mädchen. Dann beugte sich ein junger Indianer über mich. Auch er trug nur ein Lendentuch. Auf seiner nackten Brust baumelte eine Kette aus Bärenkrallen und Türkisen. Das Stirnband, das er um seine Haare gebunden hatte, zierte eine Adlerfeder. Ich hatte das Gesicht mit den Messerkerbschnitten unter den Jochbogen schon einmal gesehen. Ja, es war der Krieger, der diesen Elmar Gorring auf englisch zurechtgewiesen hatte, daß seine Waren nichts taugten. »Schlangenmann?« krächzte ich noch einmal. Er nickte. »Ich bin Falkenkralle«, sagte er dann. »Unterhäuptling von Schlangenmann.« »Was ist …« »Nicht soviel sprechen, gelber Falke«, sagte der junge Krieger. »Du schwer krank. Eine Kugel – dort!« Er deutete auf meine linke Brust. Ich vermochte nur den Kopf zu drehen. Er schien schwer zu sein. Wie aus Blei. Ich schielte auf meine nackte Brust hinunter. Sie war mit meinem Hemd verbunden und blaurot verfärbt. »Ist sie noch drin?« fragte ich erschrocken. Falkenkralle schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie ist abgeprallt von Knochen. Du sehr viel Glück gehabt, gelber Falke. Wir dich gefunden und mit Medizinmann-Kräutern versorgt. Salben und Kräutern.« »Was ist mit dem Mädchen?« fragte ich. »Meine Squaw«, erwiderte Falkenkralle mit sichtlichem Stolz. »Sie dich warmhalten und aufpassen, ob du wieder zurückkehrst aus dem Schlaf des Todes.« »Schade«, sagte ich. »Du lieber gestorben?« »Nein.« Ich wechselte das Thema. »Tas-ka-no-ka? Was ist das?« »Mein Name, gelber Falke. Sie hat mich gerufen, daß du wieder lebst.« »Wie lange liege ich hier schon?« »Einen halben Mond und eine halbe Sonne.« »Also eine halbe Nacht und einen halben Tag«, murmelte ich. »Ich muß aufstehen und ins Fort reiten! Ich muß dem Colonel melden …«
»Du bist noch zu schwach dazu, gelber Falke. Wir werden gutes Bleichgesicht verständigen, daß du bei uns bist. Zu schwach zum Reiten. Du lieber essen und schlafen. Meine Squaw dich wärmen, bis du wieder gehen kannst.« Mein Kopf fiel wieder kraftlos auf das Fell zurück, das sie mir als Kissen untergeschoben hatten. Er hatte recht. Ich war noch so schwach, daß alles vor meinen Augen verschwamm. Ich verlor wieder das Bewußtsein und merkte nicht, wie sie meine Wunde mit frischer Salbe behandelten. * »He, du Nichtsnutz, du rothäutiger Schmarotzer, du whiskygetränktes Erdferkel!« Jicarilla wälzte sich auf seinem Strohlager in der Box. Er spürte einen harten Stiefel zwischen den Rippen und drehte sich auf die andere Seite. Erst als er das Gefühl hatte, er würde wie frisches Getreide gedroschen, bequemte sich Jicarilla dazu, die Augen zu öffnen. Sergeant Tucker stand vor ihm, die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Du Saufloch!« knurrte er. »Wir brauchen deine Talente, wenn sie im Alkohol noch nicht ganz ertränkt sind!« Jicarilla kroch auf Knien und Ellenbogen aus seiner Box. Seine Augen rollten wild. »Brennt das Fort?« fragte er zähnefletschend. »Haben meine roten Brüder endlich das verdammte Fort angezündet?« Sergeant Tucker ließ seine Hosenträger verächtlich über den breiten Schultern schnalzen. »Deine roten Brüder, du Pseudoapache! Sei froh, daß sie dir deinen Whisky gönnen! Wenn deine roten Brüder hier noch das Regiment führten, müßtest du bei den Bleichgesichtern um Whisky betteln und ihre Spucknäpfe austrinken, damit du ein paar Dollar für Brandy kriegst!« »Was ist los, wenn das Fort nicht brennt?« lallte Jicarilla mit trockener Zunge. »Ich habe so schrecklichen Durst!« Sergeant Tucker kannte das Ritual. Er mußte diesen Apachen immer in zwei Phasen wecken, bis er einigermaßen nüchtern war.
Zuerst mit Fußtritten und dann mit einem Eimer Wasser. Er hielt ihn schon hinter seinem Rücken bereit. Er goß dem Scout das eiskalte Wasser langsam über den Kopf. »Das löscht ihn«, sagte er dazu. »Und das vertreibt die weißen Mäuse, die dir immer über die Haut klettern.« Der Apache schüttelte sich wie eine nasse Katze. »Diesmal waren es Skorpione«, sagte er schaudernd. »Ja, der Säuferwahn wird von Mal zu Mal schrecklicher«, sagte der Sergeant ohne Mitleid. »Wenn sich die Skorpione in kleine Teufel verwandeln, hast du es geschafft.« »Was?« »Dann bist du am Ziel. In der Hölle für Rothäute. Dort gibt es nur Milch und kalten Tee.« Beides konnte der Apache nicht ausstehen. Er schüttelte sich und kriegte eine Gänsehaut. Dabei wurde er einigermaßen nüchtern. »Was ist los, Sergeant?« fragte er und griff sich mit beiden Händen vorsichtig an den Kopf. »Vor dem Fort ist ein Pferd angekommen. Ohne Reiter, Jicarilla.« »Es gehört mir nicht«, erwiderte der Apache mißmutig. »Warum weckst du mich mitten in der Nacht?« »Es ist nicht mitten in der Nacht, sondern eine halbe Stunde vor dem allgemeinen Wecken!« »Ich möchte kein Frühstück haben. Ich …« Er sackte wieder langsam zu Boden. Aber ein Fußtritt des bulligen Sergeanten jagte ihn wieder auf die Knie. »Der Pferd gehört deinem blonden Vorgesetzten, dem ersten Scout!« »Dem gelben Falken?« lallte Jicarilla. »Mister Ronco!« »Scho-Yastasinane!« »Aha, das bringt dich endlich auf die Beine, wie? Da fällt dir sogar dein Großer Manitu wieder ein!« Jicarilla hielt sich an einem Stützbalken des Pferdestalls fest und zog sich langsam in die Höhe. »Noch etwas Wasser, Sergeant«, bettelte er. Auch das gehörte zum Ritual. Die weitere Ausnüchterung mit einer zweiten kalten Dusche, die in einem Guß erfolgte. Der Sergeant
nahm den zweiten Eimer, der gefüllt neben der Box bereitstand, und schüttelte ihn mit Schwung über den alten blauen Uniformrock, den der Apache auf der bloßen Haut trug. Er legte ihn auch bei der größten Hitze nicht ab. Selbst im Schlaf nicht. Der Apache ließ das Wasser über seine Haut rieseln und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Er betrachtete sich in der Lache, die sich langsam um seine bloßen Füße herum ausbreitete, holte dann seine Stiefel aus dem Stroh und stieg hinein. Anschließend hängte er seinen angerosteten Sharps-Karabiner über die Schulter und steckte seinen vernickelten Army Colt in die Halfter. »Ich bin abmarschbereit, Sergeant«, meldete er dann mit einem bedauernden Schielen auf die leere Whiskyflasche im Stroh. »Ich sagte, ein reiterloses Pferd steht vor dem Fort! Ich sagte nichts vom Marschieren!« »Ich will es sehen!« sagte Jicarilla wild. »Sofort!« »Das Pferd wartet schon eine gute halbe Stunde dort auf dich!« »Jawohl, Sergeant.« Jicarilla brauchte für die ersten zehn Schritte noch die Stütze von Sergeant Tucker und der Bretterverschalungen an den Boxen. Dann konnte er bereits allein gehen. Und als er den Stallausgang erreichte, konnte er sogar laufen. Er rannte quer über den Paradeplatz auf das Palisadentor des Forts zu, wo der Adjutant, Major William Fly, bereits auf ihn wartete. Jicarilla schenkte dem eleganten West-Point-Offizier nicht einen Blick. Er hastete an ihm vorbei zum Fort hinaus, wo der graue Wallach mit scharrenden Hufen von einem Soldaten der Torwache daran gehindert wurde, sich von der Stelle zu bewegen oder seine Spuren zu löschen. Jicarilla ging um den Wallach herum wie ein Wolf, der sich die beste Stelle zum Zubeißen aussuchen will. Er beschnüffelte das Fell des Wallachs, schaute unter das Sattelleder, betrachtete die Hufe, ließ das Zaumzeug durch die zitternden Finger gleiten. Er sah kein Blut. Aber seine Nase war so tot wie eine Sardine in Öl. Er roch nur seinen eigenen Whisky. Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß darauf einen schrillen Pfiff aus.
Im Fort antwortete ihm ein schrilles Jaulen, dann ein helles Bellen. Erst als es irgendwo klirrte, hörte das Bellen auf. Kurz darauf schoß Shita auf drei heilen und einem humpelnden Bein durch das Palisadentor hinaus in das dämmrige Grau des Wüstenmorgens. Er sprang an Jicarilla hoch und dann an dem Pferd. Er setzte sich winselnd in den kalten Sand und blickte Jicarilla vorwurfsvoll an. »Warum weckst du mich, wenn mein Herrchen nicht da ist?« schien Shita zu fragen. »Such, Shita, such!« befahl Jicarilla leise. Der Hund winselte erneut und senkte dann die Nase auf die Spur des Pferdes. Jicarilla schob seinen Stiefel in den Steigbügel und schwang sich in den Sattel. »He, Jicarilla! Hierbleiben …« Der Apache hörte nicht mehr auf die wütenden Stimmen des Sergeanten und des Fort-Adjutanten. Er ritt hinter dem Bastardhund Shita her, der trotz seiner verletzten Pfote so schnell über die Dünen raste, daß das müde Pferd ihm kaum noch zu folgen vermochte. Sergeant Tucker stand im Palisadentor des Forts, beide Hände in die Hüften gestemmt. »Jetzt ist der auch noch weg«, schimpfte er. »Auf unsere Scouts ist kein Verlaß.« »Dieser Apache«, sagte Major Fly nachdenklich neben ihm, »ist doch ein Busenfreund von Mister Ronco, nicht wahr?« »So kann man es bezeichnen, Sir«, erwiderte der stämmige Sergeant. »Sie verstehen sich prächtig. Nur beim Trinken gehen die Meinungen auseinander. Mister Ronco verträgt nicht viel und trinkt mäßig. Der Apache verträgt Alkohol überhaupt nicht und trinkt um so mehr davon.« »Mister Ronco hat diesen Indianerbeauftragten aus Washington als letzter gesehen. Er gab das selbst zu.« »Ja, Sir?« »Er kehrt von einem Auftrag nicht zurück. Aber sein Pferd … Haben Sie an dem Pferd Blut entdecken können?« »Nein, Sir.«
»Ich auch nicht. Und jetzt verschwindet auch noch sein Assistent mit seinem Hund, ohne uns zu sagen, weshalb und wohin. Was schließen Sie daraus, Sergeant ?« Sergeant Tucker grübelte fieberhaft, was der Major von ihm erwartete. Sicherlich nicht eine Rechtfertigung des ersten Scouts, wenn er sich überlegte, daß sich die beiden am Abend vorher bei der Konferenz gestritten hatten. »Ich denke mir, da ist ein Komplott im Gange. Oder etwas faul an der Sache, Sir.« »Ihre Meinung, Sergeant, deckt sich mit meiner.« »Danke, Sir.« »Wir werden dem Colonel melden, daß offenbar unsere Scouts desertiert sind, um ein Verbrechen zu verschleiern oder sogar zu begünstigen.« »Glauben Sie das wirklich, Sir?« »Ich bin davon überzeugt. Ich halte unseren ersten Scout für noch nicht reif genug, sich eine eigene Meinung über Indianer bilden zu können. Ich halte ihn für einen emotionalen instabilen Menschen, der die Mescaleros als harmlose Menschen einschätzt, die gerade aus dem Paradies vertrieben wurden und sich auf der Erde nicht zurechtfinden! Ich halte ihn für einen Schwärmer und gefährlichen Idealisten!« Au weh! dachte der Sergeant, der nicht die Hälfte von dem verstanden hatte, was der Major erregt hervorsprudelte. Doch eins hatte er begriffen. Dieser Major mochte weder die Indianer noch den Scout mit den blonden Haaren und den eisblauen Augen. Er haßte sie. Und da er sein Vorgesetzter war und notfalls ein ganzes Regiment gegen die Mescaleros und Mister Ronco mobilisieren konnte, beeilte sich Sergeant Tucker, dem Major recht zu geben. »Jawohl, Sir. Soll ich Alarm schlagen?« »Wegen eines weggelaufenen Scouts? Nein, Sergeant. Es genügt, wenn ich dem Colonel beim Frühstück Meldung erstatte. Schließlich trägt er die Verantwortung. Ich kann nur für ihn denken.« Major Fly ging mit klirrenden Sporen wieder ins Fort. Verbittert ist er auch noch, dachte Sergeant Tucker und befahl, das Palisadentor des Forts wieder zu verschließen.
6. Stuart Frey rasierte sich auf der Veranda. Von seiner Küche aus hatte er einen viel schöneren Blick auf die Pracht der aufgehenden Sonne. Doch seine Küche war nicht sehr groß. Wenn »Desert Flower« den Kaffee auf dem Herd zubereitete, mußte er, Stuart Frey, seine Morgentoilette ins Freie verlegen. Er fror ein bißchen in der Morgenluft. Nachts wurde es hier in der Wüste bereits empfindlich kalt. Stuart Frey hörte »Wüstenblume« in der Küche leise singen. Er lächelte in die Spiegelscherbe, während er sich die blonden Stoppeln von den Wangen kratzte. Sie war glücklicher in seiner bescheidenen Hütte, dachte er, als bei ihrem Stamm. »Wüstenblume« war ein achtzehn- oder neunzehnjähriges Apachenmädchen, das ihm den Haushalt führte. Sie hatte ihre Eltern verloren, als Soldaten aus Fort Craig in New Mexico ihren Stamm für eine Sache bestraften, die bestimmt kein Massaker rechtfertigen konnte. Sie, ein paar Hunde und ein alter Apache, der sich tot stellte, hatten diese Strafe überlebt. Das lag schon acht Jahre zurück. Inzwischen hatte »Wüstenblume« das Lachen wieder gelernt. Stuart Frey war Junggeselle und hatte keine weiße Frau finden können, die das Leben in der Wildnis mit ihm teilen wollte. Er hatte »Wüstenblume« als Kind in sein Blockhaus aufgenommen, das damals noch in New Mexico stand. Er hatte ihr das Lesen und Schreiben beigebracht und sie in den Dingen unterrichtet, die ein Mädchen in der Zivilisation unbedingt beherrschen mußte. Aber »Wüstenblume« hatte von der Zivilisation nichts wissen wollen. In ihrem Herzen war sie immer eine Wilde geblieben. Als sie ein voll entwickeltes junges Mädchen war, hatte er sie zu Häuptling Schlangenmann gebracht, damit sie sich in dem Stamm der Mescaleros einen Mann suchen sollte. Indianerinnen heirateten früh. Doch »Wüstenblume« hatte ihn nur ausgelacht und gesagt: »Eine Indianerin ist nicht so wie eine weiße Squaw, die über dich und dein Leben die Nase rümpft, aber kreischt wie Truthahn, wenn du sie mit
den Augen eines Mannes ansiehst!« »Was willst du damit sagen, Wüstenblume?« hatte er sie kopfschüttelnd gefragt. »Daß du ein gutes Bleichgesicht bist und ein richtiger Mann. Nichts habe ich an deinen weißen Brüdern und Schwestern entdecken können, was mir gefiele. Ich bin zum Glück eine Rothaut und kann mich benehmen wie meine roten Schwestern. Eine Squaw hat das Recht, sich ihren Mann zu wählen. Ich wähle dich, Bleichgesicht!« »Du meine Güte!« hatte er gesagt. »Die weißen Frauen werden mit dem Finger auf mich zeigen und behaupten, ich hätte ein Kind verführt!« »Ich bin kein Kind mehr«, hatte sie erwidert und ihn in sein Schlafzimmer geführt. »Ich werde stolz auf mich sein, wenn ich die Qual der Einsamkeit aus deinen Augen vertreiben kann und dein Herz fülle mit dem Zauber der Liebe.« Und er hatte erwidert: »Was weißt du schon davon?« »Es ist das einzige, was mir an deinen Geschichten aus den Büchern der Bleichgesichter gefallen hat. Dieses Wort, das den Zauber beschreibt, mit dem meine Eltern ihr ganzes Leben verbracht haben. Sie hatten nur so viele andere Worte dafür. Aber es war immer ein und dasselbe.« Und von diesem Tag an, als sie sich ihm hingegeben hatte, war sie das heiterste Geschöpf gewesen, das er sich nur vorstellen konnte. Sie kannte keine Launen und keinen falschen Ehrgeiz, die vielen verheirateten weißen Männern das Leben oft versauern. Sie war wie eine Blume, an deren Duft man sich nicht satt genug riechen konnte. Sie war wie ein Geschenk des Himmels. Er hörte sie in der Küche singen und lächelte. Noch nie hatte er sich in der Stille und Einsamkeit so lebendig gefühlt wie in den beiden Jahren, seit »Desert Flower« seine Frau geworden war. Er spülte sich den Seifenschaum von den Wangen und kippte das Wasser über das Geländer seiner Veranda hinunter zwischen die Kakteen. Da sah er einen kleinen Punkt vor dem roten Feuerball der Sonne im Osten. Und hinter diesem hüpfenden hellen Punkt folgte ein Pferd
mit einem Soldaten im Sattel. Stuart Frey hielt die Hand schützend über die Augen und sah, daß der Soldat bedenklich im Sattel schwankte und statt einer Mütze nur ein Stirnband um die Haare trug. »Jicarilla«, murmelte er betroffen. »Er verfolgt einen Hund!« Die beiden verfolgten den Trail nach Südwesten, der in einer Entfernung von einer halben Meile an seinem Haus vorbeiführte. Doch plötzlich änderten sie die Richtung und strebten rasch auf den Hügel mit den beiden Felsnadeln zu, wo Stuart Frey seine Indianeragentur eingerichtet hatte. »Du mußt noch ein Gedeck mehr auflegen!« rief Stuart Frey in die Küche. Seit »Wüstenblume« seine Frau geworden war, hatte sie auch viele zivilisatorische Eigenschaften entwickelt, die ihm offenbar Freude bereiteten. Dinge wie das Dekorieren einer Frühstückstafel oder das Zubereiten von Speisen nach den Rezepten von Bleichgesichtern. Oder das Ritual der christlichen Feste, die in jedem Jahr wiederkehrten – Ostern, Pfingsten und besonders das Weihnachtsfest, das ihm so viel bedeutete. Stuart Frey beugte sich weit über das Geländer seiner Veranda. Das war Roncos Hund, der den Hügel heraufkeuchte. Und Jicarilla, der sich jetzt von seinem erschöpften Pferd schwang, winkte zu ihm hinauf, daß er keine guten Nachrichten brachte. Der Indianeragent wartete, bis die beiden die steile Leiter zu seinem Haus herauf geklettert waren. »Ist dem gelben Falken etwas passiert?« fragte er. Der Bastardhund sprang ihn winselnd an und legte sich dann erschöpft auf die Dielen der Veranda. Stuart Frey holte ihm eine Schüssel voll Wasser, ehe er den Scout in die Küche schob. »Wüstenblume« und Jicarilla begrüßten sich wie zwei vertraute Freunde. Sie hatten beide etwas gemeinsam – das Bewußtsein des Außenseiters, der in einer ihm fremden Umgebung leben muß, die ihn verachtete, weil sie ihn nicht versteht und sich ungerechtfertigt überlegen fühlt. Nur waren sie beide in ihrer Aüßenseiterrolle nicht unglücklich, jedoch beide aus verschiedenen Gründen. »Keinen Kaffee«, winkte der Scout ab, »ich …« »Kaffee mit Whisky wird dir sicher guttun«, sagte Stuart Frey.
»Wüstenblume« holte eine Flasche Bourbon aus dem Regal und füllte die Tasse des Scouts zur Hälfte mit Whisky, bevor sie heißen Kaffee darübergoß. Der Scout griff mit zitternden Händen danach und leerte sie auf einen Zug. Danach trat in sein fahles Gssicht wieder etwas Farbe. »Das tut gut«, sagte er und vermengte Mescalero-Dialekt mit englischen Brocken. »Noch einmal das gleiche!« Stuart Frey nickte, und »Wüstenblume« gehorchte schweigend. Wenn Männer etwas Wichtiges zu besprechen hatten, reagierte sie nach der Sitte der Indianersquaws. Je bestürzter die Männer, um so wohltuender sind das Schweigen und die Unaufdringlichkeit der Frauen. »Roncos Pferd kehrte heute nacht allein aus der Wüste zurück, weißer Häuptling«, sagte Jicarilla, während die Indianerin ihm die Tasse zum zweiten Male füllte. »Du warst gestern dabei, als der Alte im Fort Ronco den Auftrag ab, zu Gorring zu reiten.« »Das ist wahr«, sagte Frey. Er spürte einen leisen Stich in der linken Brust und trank seinen Kaffee ebenfalls in einem Zug leer. »Ich spürte die Stelle auf, wo er auf dem Rückweg gehalten hatte. Es muß die Stelle gewesen sein, wo er diesen bärtigen Vertreter des großen Weißen Vaters in Washington tot aufgefunden hat.« Die Stimme des Scouts klang bitter und höhnisch zugleich. »Du hast ihn dort gefunden?« fragte Stuart Frey, und sein Herzschlag setzte einen Moment aus. »Nein, weißer Häuptling. Aber ich fand dort viele Spuren, die nach Westen laufen. Hufspuren von unbeschlagenen Ponys.« »Die Mescaleros?« fragte Stuart Frey erschrocken. »Ja. Aber sie kamen erst dorthin, als Ronco schon viel Blut im Sand vergossen hatte. Stunden danach, als ihn eine Kugel traf. Ich habe sie hier bei mir.« Der Scout griff in die Bruttasche seiner zerschlissenen Uniformjacke und holte ein Stück Blei heraus. Er legte es auf den Tisch neben den Tonteller mit frischem Maiskuchen. Stuart Frey griff danach und hielt sie in das Licht der Morgensonne. »Plattgedrückt Könnte Kaliber .50 sein oder …« »Könnte in eine Springfield passen. Dieser Gorring schmuggelt
Springfields nach Mexiko, hörte ich.« Der Whisky hatte seine Intelligenz wachgerüttelt, statt sie abzustumpfen. »Du lieber Himmel, Jicarilla! Er könnte aber auch die Mescaleros damit ausgerüstet haben!« »Die Mescaleros?« Der Scout grinste bitter. »Kein Mescalero würde dem gelben Falken ein Härchen krümmen. Sie mögen ihn nicht weniger als dich, weißer Häuptling.« »Warst du schon bei ihnen im Dorf?« Jicarilla schüttelte den Kopf. »Ich war mir sicher, daß nur Gorring Ronco dieses Ding da verpaßt haben kann!« Der Scout deutete auf das Stück Blei, das der Indianeragent immer noch in der Hand hielt. Seit Jicarilla als Scout mit weißen Soldaten zusammenlebte, hatte er bemerkenswert viel von deren Jargon angenommen. »Dieses weiße Stinktier und sein Pistolero haben den gelben Falken auf dem Gewissen!« Der Indianer rollte wild mit seinen blutunterlaufenen Bernhardineraugen. »Ich bin nur zu dir geritten, weißer Häuptling, damit ich eine kleine Stärkung kriege für die Jagd auf dieses Stinktier …« »Moment mal, Jicarilla! Du weißt doch gar nicht, ob er tot oder nur verletzt ist! Und immerhin liegen mindestens sechs Stunden Weg zwischen Gorrings Handelsposten und dem Flußbett des Rio Doro. Wenn er verwundet gewesen wäre, wäre er bestimmt bei mir aufgetaucht, um mich um Hilfe zu bitten.« »Ja, das ging mir auch durch den Kopf«, murmelte Jicarilla mit halbgeschlossenen Augen. »Ich habe nur Blut an der Stelle gefunden, wo er im Sand gegraben hat. Dort traf ihn die Kugel. Aber von dem Schützen gibt es keine Pferdespur. Er hat sie sorgfältig gelöscht. Dafür sind die Ponyfährten der Mescaleros um so deutlicher.« »Es kommt jetzt nicht darauf an, was du darüber denkst, Jicarilla«, sagte Stuart Frey. »Es ist wichtig, zu verhindern, daß Colonel Lester und sein West-Point-Ratgeber das Eingreifen der Mescaleros falsch auslegen.« »Major William Fly ist auch so ein Stinktier«, murrte Jicarilla. »Er mag keine Rothäute. Er ist falsch und arrogant.«
»Möglich, obwohl du wahrscheinlich übertreibst, Jicarilla. Weißt du, wie der Colonel im Fort die Meldung aufgenommen hat, daß Roncos Pferd allein in seinen Stall zurückgekehrt ist?« »Ich habe gar nicht so lange gewartet, bis es ihm gemeldet wurde! Ich ritt einfach hinter dem Hund her, der die Fährte vom gelben Falken aufnahm!« »Teufel, Jicarillo! Dein Verstand muß sehr stark vom Whisky vernebelt gewesen sein, daß du eigenmächtig das Fort verlassen hast!« »Ich …« »Du wirst jetzt noch eine Tasse Kaffee mit Whisky trinken, bist du wieder einigermaßen nüchtern bist. Und inzwischen sattle ich mein Pferd.« »Ja, wir werden dieses Stinktier Gorring abhäuten und in seine mottenzerfressenen Decken wickeln! Wir werden ihn auf seinem Müll begraben, wo er die Lebensmittel für die Mescaleros aus seinen Abfällen heraussucht! Wir werden ihn in die Hölle schicken!« »Nein, Jicarillo! Wir werden zu Häuptling Schlangenmann reiten und ihn fragen, warum er Ronco nicht ins Fort gebracht hat. Er wird seine guten Gründe dafür gehabt haben. Gute, hoffe ich, keine schlimmen. Gründe, die ihn vor einer Strafexpedition weißer Soldaten hoffentlich bewahren werden!« »Was sagst du da, weißer Häuptling? Eine Strafexpedition?« »Das hatte der Colonel schon gestern abend beschlossen, als ich die Leiche des Indianerbeauftragten aus Washington ins Fort brachte. Stell jetzt keine Fragen mehr, Jicarilla! Trink deinen Kaffee und werde nüchtern. Alles andere hängt davon ab, was der gelbe Falke uns berichten wird. Falls er noch in der Lage ist, zu sprechen …« * Ich ahnte noch nichts von der Aufregung, die mein Verschwinden im Fort und in der Agentur meines Freundes Stuart auslöste. Ich erfuhr das erst später. Ich wußte nur, daß ich knapp dem Tod entronnen war. Und das spürte ich auch nur in den wenigen Momenten, in denen ich aus meinen Träumen hochfuhr.
»Böser Zauber«, murmelte ich mit heißen Lippen. Falkenkralles liebliche Squaw saß an meinem Lager und flößte mir ein bitterscharfes, heißes Getränk ein. Die Hitze, die im Eingang der Hütte flimmerte, hatte sich jetzt auch auf meinen Körper übertragen. Ich spürte das Blut in meinen Ohren kochen. »Ich sah Reiter, die mit feurigen Schlangen das Dorf überfielen«, sagte ich, während ich das gallenbittere Zeug herunterschluckte. »Ich sah Kinder und Frauen sterben.« »Tas-ka-no-ka!« rief die junge Squaw ängstlich. Sie las mir meine bösen Traumerinnerungen an den Augen ab. Der junge Krieger, Falkenkralle, trat diesmal nicht sofort in die Hütte, wo er mich untergebracht hatte. Ich hörte das Bellen der Hunde draußen, Stimmen, die sich in einem größeren Kreis erregt unterhielten. Sie halten wohl ein Palaver ab, dachte ich. Die Unruhe in meinen Träumen war möglicherweise von der Erregung im Dorf auf mich übertragen worden. »Tas-ka-no-ka!« Der Unterhäuptling erschien jetzt in der Hütte und kauerte sich neben mir nieder. »Du mußt bittere Medizin trinken«, sagte er zu mir. »Es ist bestes Mittel gegen Fieber aus Wunden.« Er deutete auf meine Brust, aber ich bewegte energisch den Kopf. Er war nicht mehr so schwer wie Blei, und ich hatte auch kein Fieber. Nur mein geschwächter Zustand nach dem großen Blutverlust belastete mich wohl so sehr, daß ich wie in Schweiß gebadet war. Der junge Krieger hatte seine Lanze bei sich und trug auch ein Messer am Gürtel. In seinem dunklen Gesicht zeigte sich die gleiche Erregung, die ich im Traum gespürt hatte. Es war gespannt, mit einem scharfen Zug um den Mund. »Was ist los, Tas-ka-no-ka?« fragte ich besorgt. Ich richtete mich auf die Ellenbogen auf. »Ist es meinetwegen?« »Böser Zauber in Büchsen«, erwiderte Falkenkralle abfällig. »Mescaleros glauben viel, seit die Bleichgesichter uns hier eingesperrt.« Er sagte es grimmig und verächtlich zugleich.
»Also meinetwegen«, wiederholte ich und versuchte, mich aufzusetzen. »Du nicht schuld. Du gerecht. Du bist unser Gast.« »Da stimmt doch etwas nicht«, sagte ich heftig. »Jemand versucht euch einen Strick daraus zu drehen, daß ich hier bin.« Die Squaw und der junge Krieger versuchten mich zurückzuhalten. Doch ich wand mich wie eine Schlange unter ihren Händen und kroch auf den Eingang der Hütte zu. Die Hitze und die grelle Sonne schlugen mir ins Gesicht, daß ich anfangs nur eine helle Sandwoge sah und darüber bunte Schatten. Starre große Silhouetten und eine bewegte Masse, die sich teilte und wieder zusammenfloß. Ich wischte mir den Schweiß aus den Augen. Ich mußte wohl immer noch träumen. Oder die Vergangenheit spulte den Faden der Zeit wieder auf. Das alles hatte ich doch schon einmal gesehen! Die beiden Frachtwagen mit den Seitenbracken. Das hämische Gesicht mit den schielenden Augen über den breiten Schultern, die fast den ganzen Horizont auszufüllen schienen, wenn man sie wie ich aus der Perspektive einer Eidechse betrachtete. Dazwischen der feiste Gorring mit dem Hut in der einen Hand und in der anderen ein Messer. Er hielt es an der Schneide hoch, damit jeder den Griff sehen konnte. Davor die Krieger des Dorfes, die mir alle den Rücken zudrehten, ihre Lanzen in den heißen Sand gestemmt. Der alte Häuptling vor der Versammlung, die grauen Haare strähnig vom Schweiß, den mageren Rücken gekrümmt, als wäre das Leben für ihn eine kaum mehr tragbare Last. »Hier!« rief der dicke Händler und deutete mit dem Hut auf seine beiden Frachtwagen, die wieder mit vier Mulis bespannt waren, wie es sich gehörte. »Hier bringe ich euch Waren, daß eure roten Herzen vor Freude hüpfen müßten!« Er sprach blendendes Spanisch, der Halunke, und alle Mescaleros verstanden ihn jetzt. »Hier«, rief er noch lauter, »habe ich das Messer mitgebracht, mit dem ein großer weißer Häuptling auf eurem Gebiet erstochen wurde! Wie ihr seht, klebt noch Blut daran. Und der große Krieger mit dem
Adler auf der Schulter, der in der Burg der weißen Soldaten wohnt, hat dieses Messer zum Glück noch nicht gesehen, weil sonst seine Soldaten schon hier wären!« Elmar Gorring drehte sich im Halbkreis auf dem Sand, damit auch die Kinder am Rand des Dorfplatzes das Messer sehen konnten. Die Silberknöpfe an seiner schwarzen Lederweste funkelten in der Sonne, daß ich einen Moment geblendet die Augen schließen mußte. Seine Stiefel hatten bestickte Schäfte, und an seinem Gürtel blinkten die Perlmuttgriffe seiner beiden Colts über dem gewachsten Leder seiner Halfter. Er war so prächtig angezogen, als wollte er dem Gouverneur von Texas einen Besuch abstatten und nicht dem Häuptling eines Bettlervolkes. »Wählt, ihr roten Männer, zwischen diesem Messer hier und den Geschenken, die ich euch bringe! Ich vermute, die Wahl wird euch nicht schwerfallen!« Einer der jungen Krieger löste sich aus dem Kreis der Versammelten und ging auf die Wagen zu. Er stemmte das Seitenbrett des vorderen Frachtkarrens aus den Pfosten über der Achse, ohne daß Bo Wenders ihn daran hinderte. Die Ladung geriet ins Rutschen. Dann polterte sie in den Sand – schneeweiße Mehlsäcke, saubere Bataten, frische Konserven, deren Blech wie Goldbarren funkelte, flauschige Decken und ein Faß ohne Markierung aus solidem dunklem Eichenholz. Ein paar Krieger begannen auf dem heißen Sand zu hüpfen, als ihnen diese Pracht vor die Füße rollte. Ein älterer Mann hob rasch eine Decke auf, wirbelte sie über den Kopf und betrachtete sie gegen die Sonne. Nicht eine undichte Stelle im Stoff! »Schro-ko-sa-pa-ti!« rief Häuptling Schlangenmann und hob seinen Krummstab. »Haltet sofort ein!« Sofort hielten die Krieger in ihrem Freudentanz inne. Der ältere Mann, der die Decke gegen die Sonne betrachtete, ließ sie fallen, als habe sie ihm ein Sturm entrissen. Der junge Krieger, der in den Büchsen gewühlt hatte wie ein Kind in einem Berg von Murmeln, richtete sich zögernd wieder auf. Der Häuptling wartete, bis auch die Kinder ihr schrilles Jauchzen einstellten, und sagte dann mit einer Stimme, die frostig und
ablehnend klang: »Ich habe deine Rede noch nicht zu Ende gehört, Bleichgesicht. Was willst du uns mit dem Messer androhen?« »Ah«, erwiderte Gorring mit einem breiten Lächeln auf seinem feisten Gesicht, »du bist ein kluger Kopf, Häuptling. Du wirst das Spiel sofort begreifen, das man mit deinem Stamm aufzuziehen versucht!« Der dicke Händler drehte das Messer in der Sonne. »Wir fanden das Messer, mit dem der große alte Häuptling aus Washington getötet wurde, in der Satteltasche des gelben Falken! Der gelbe Falke fand auch die Leiche des Häuptlings und behauptete, ihr hättet ihn getötet! Er wollte die Rache der Soldaten auf euer Dorf abwälzen!« Verblüffte Ausrufe in den Reihen der Rothäute. Doch sofort kehrte wieder Stille ein, als der Häuptling heftig den Krummstab bewegte. »Sprich weiter, Bleichgesicht!« »Er begegnete dem alten grauhaarigen Häuptling aus Washington am Rio Doro. Sie hatten eine heftige Auseinandersetzung. Und im Streit tötete der gelbe Falke den alten Mann. Es war eine freche unbesonnene Tat, wie sie den Jungen auch bei den Bleichgesichtern unterläuft.« »Und warum hat der gelbe Falke das alte Bleichgesicht getötet?« ertönte wieder die frostige Stimme des alten Häuptlings. »Eine gute Frage, Häuptling, eine sehr gute Frage! Der alte Häuptling aus Washington hatte das Geld bei sich, das er mir schon lange für die Lieferungen schuldete, die ich alle drei Monde bei euch ablade! Deswegen war die Ware, die ich euch gestern ins Dorf brachte, auch so schlecht. Ich konnte nichts Besseres bringen! Auch ihr gebt mir keine gewebten Decken und keinen Schmuck für nichts! Ihr erwartet, daß ich sofort dafür bezahle. Aber ich konnte euch doch gestern nicht sagen, daß ich noch kein Geld vom Großen Weißen Vater aus Washington erhalten hatte, als ich das – das Zeug hier ablud. Ihr hättet von der Vertragstreue der Bleichgesichter untereinander eine schlechte Meinung gekriegt! Ich wußte noch nicht, daß der gelbe Falke dem Häuptling aus Washington das Geld abgenommen hatte, das mir zustand!« »Der gelbe Falke hat den alten Häuptling aus Washington beraubt
und dann getötet?« fragte die frostige Stimme von Schlangenmann. »Du klagst ihn also an? Welche Beweise hast du dafür?« »Sagte ich nicht, daß du ein kluger Kopf bist, Häuptling?« rief Gorring mit einem siegesgewissen Lächeln. »Sie werden dich gewiß überzeugen. Es sind zwei, auch für eine skeptische Rothaut wie dich völlig ausreichend.« Er warf das Messer vor seine Stiefelkappen, wie ich das gestern ebenfalls getan hatte, als ich die Krieger befragte. »Das war in seiner Satteltasche, Häuptling! Bo, mein Gehilfe, wird es bestätigen – Bo?« »Richtig, Boß!« »Dann das da!« Der Händler zog etwas aus der Gesäßtasche seiner Hose und warf es neben das Messer auf den Sand. »Das fanden wir ebenfalls bei dem gelben Falken, als wir ihn zur Rede stellten! Er wollte es zuerst nicht herausrücken. Nicht wahr, Bo?« »Richtig, Boß! Wir mußten mit einem Gewehr nachhelfen!« »Was ist das?« fragte Häuptling Schlangenmann. »Es sieht aus wie ein Medizinbeutel!« »Gut geraten, Häuptling! Die Medizin des weißen Mannes – die Geldtasche. Es klebt Blut daran wie an dem Messer. Und es stecken sogar noch ein paar Scheine darin mit den Gesichtern der großen weißen Väter in Washington. Wie du weißt, ist dies das Gold des weißen Mannes – das Papier mit den Köpfen von Jefferson und Washington und wie sie alle heißen.« Ich hätte nie gedacht, daß dieser arrogante, feiste Händler ein Demagoge sein konnte, der auch Rothäute besoffen zu reden vermochte. »Das hast du ebenfalls in der Satteltasche des gelben Falken gefunden?« fragte Häuptling Schlangenmann. »Ebenfalls. Du sagst es, weiser Häuptling.« »Wann, Bleichgesicht?« »Heute nacht. Wir zwangen ihn, uns die Stelle zu zeigen, wo er den weißen Mann aus Washington umbrachte. Er wehrte sich nach Kräften. Wir schossen auf ihn. Wir dachten – nun – wir fanden heute eure Spuren, als wir ihn ins Fort schaffen wollten, damit der Häuptling der Soldaten erfahren sollte, was für eine Schlange er sich
da an seiner Brust großgezogen hat. Nun sind wir hier. Ich will nur wissen, was aus diesem Schuft geworden ist. Falls er noch leben sollte – es wäre ein Wunder – falls aber doch …« Der dicke Händler verhaspelte sich fast mit der Zunge. »Du hast also jenes Geld bei dem gelben Falken gefunden, das du brauchtest, um uns ordentliche Waren liefern zu können, wie es im Vertrag steht?« wies ihn der alte Häuptling wieder auf den nüchternen Pfad der Logik zurück. »Das meiste davon. Der Schuft muß etwas davon schon ausgegeben haben. Aber – ja, das meiste.« »Das ist gut für dich, Bleichgesicht«, erwiderte der Häuptling mit leiser Ironie in der Stimme. »Und für uns. Wir können alle zum erstenmal miteinander zufrieden sein, Bleichgesicht.« »Moment mal, Häuptling! Ich sagte, du kannst wählen – zwischen den Waren und dem Messer.« »Die Waren sind gut. Sie stehen uns zu. Darüber gibt es nichts mehr zu reden!« »Ich will den gelben Falken dafür, Häuptling! Ich muß ihn dem Vater der Soldaten im Fort bringen! Das verlangt die Gerechtigkeit des weißen Mannes! Oder willst du einen weißen Mörder schützen? Dann werden die Soldaten dich anklagen, daß der gelbe Falke in deinem Auftrag den alten Häuptling aus Washington erstach, und sie werden ein Strafgericht verhängen! Sie sind schon unterwegs hierher, wie ich hörte!« Wieder lief ein erschrockenes Murmeln durch die Reihen der Krieger, bis Schlangenmann heftig seinen Stab in die heiße Erde stieß. »Wir haben mit euren Händeln nichts zu tun und nichts mit deinem Geld!« rief der alte Häuptling kalt und schroff. »Deine Waren sind gut. Wie behalten sie. Du gehst wieder, wenn wir alles abgeladen haben!« Ein paar Krieger liefen sofort zu dem zweiten Frachtwagen, um auch dort das Seitenbrett in die Höhe zu schieben, damit der Segen auf ihr Dorf niederging. Doch ein scharfes Klicken auf dem Kutschbock des ersten Gespannes schreckte sie auf. »So haben wir nicht gewettet!« rief Elmar Gorring, und seine
Stimme hatte den alten verächtlichen Ton für Geschöpfe, die bei ihm noch hinter Mulis rangierten. »Ich will ihn erst sehen! Lebendig oder tot! Am liebsten natürlich als Leiche!« »Der gelbe Falke wird sich verantworten, wenn er etwas nach euren Gesetzen verbrochen hat. Doch vorläufig ist er unser Gast. Das Gastrecht ist auch hier heilig, wo wir leben müssen, obwohl es uns nicht gefällt. Ich habe gesprochen!« Der Häuptling nahm seinen Stab und wandte sich seinen Kriegern wieder zu. Dann sah er mich, als ich aus dem Zelt wie ein Scheintoter aus seinem Grab herauskroch. »Er lügt, dieser dicke Händler mit seinen Waren!« rief ich und versuchte, mich aufzurichten. »Er lügt so schamlos, wie er euch lange Zeit über betrogen hat! Er …« Die roten Krieger des Dorfes bildeten eine lebende Wand vor mir. Ich kam einfach nicht auf die Beine. Ich ging auf den Knien, rutschte in ein Sandloch, das mit Asche gefüllt war, und schlug mit dem Oberkörper in ein Bündel gehackter Mesquitezweige. »Da ist er ja!« rief Elmar Gorring schrill. Auf dem Kutschbock des ersten Frachtwagens schwang Bo Wenders herum, ein Gewehr an der Schulter. »Gomez!« hörte ich die aufgeregte Stimme von Gorring. »Du kannst dein Versteck verlassen! Wir haben ihn!« Aus den Büschen am Rand des Dorfes wuchs ein Mexikaner heraus, einen breiten Strohhut im Nacken und ein langes Buschmesser am Riemen über dem linken Handgelenk. Auch er hielt ein Gewehr in der Hand, das einen langen Schatten bis zu mir warf. »Willst du ihn noch lebend haben, Amigo?« rief der Mexikaner zu Gorring hinüber. »Wo denkst du hin, Gomez!« »Dachte es mir schon! Wollte nur keinen Fehler begehen!« Ich robbte mit den Ellbogen durch den Sand auf die roten Krieger zu. Auf dem Kutschbock des ersten Wagens sprühte eine lange Flamme aus Wenders' Gewehr. Ich spürte die heiße Kugel sogar in der glühenden Hitze des Sandes, in den ich mich verzweifelt einzugraben versuchte, weil ich nicht mehr von der Stelle kam. Noch ragten die Männer aus dem Dorf wie ein Schutzwall über mir auf.
Aber hinter mir, wo der Mexikaner lange und sorgfältig zielte, kauerte nur ein dürrer Köter und bellte sich die Kehle heiser. Nichts stellte sich der Kugel in den Weg, die mir jeden Moment in den Rücken oder den Kopf fahren mußte. Elmar Gorring drängte mit wilden Ellenbogenstößen die Männer aus dem Dorf zur Seite, die unschlüssig schienen, wie sie sich verhalten sollten. Ich sah, wie er beide Colts aus den Halftern riß. Ich war nur noch ein lästiges Hindernis für ihn, ein Bündel Fleisch, das noch reden und gegen ihn aussagen konnte. Mir war ein großer Fehler unterlaufen, als ich in der Nacht von dem Messer gesprochen hatte, das ich im Körper des ermordeten Indianerbeauftragten gefunden hatte. »Diablo!« fluchte Bo Wenders auf dem Wagen, weil er mich knapp verfehlt hatte. Er lud hastig seine Springfield nach und legte von neuem an. Und dann hörte ich die Stimme des alten Häuptlings. Sie klang zornig und dröhnend wie ein Gong, nicht mehr tonlos und brüchig wie dürres Laub. »Wer unser heiligstes Gastrecht beleidigt, beleidigt uns selbst! Wer es mißachtet, mißachtet auch uns! Wer den Gast tötet, tötet auch uns!« Es war die Eidformel aller Indianerstämme der Berge und Prärien im Westen des Kontinents. Und mochten sie noch so zerstritten gewesen sein in der Vergangenheit, so verletzten sie doch nie das Gastrecht, auch wenn sie einen ehemaligen Todfeind bei sich beherbergten. Aber ich war nicht ihr Feind. Ich war es nie gewesen. »Schlangenmann!« schrie ich gellend. »Sie haben moderne Waffen! Ich …« Etwas packte mich bei den Beinen und warf mich zur Seite in ein Gebüsch, als wäre ich ein Sack oder ein Baumstamm. An der Stelle, wo ich eben noch gelegen und im Sand gewühlt hatte, sprühte eine glitzernde Fontäne auf. Der Mexikaner fluchte jetzt ebenfalls hinter mir, und dann löste sich alles um mich herum in einem wilden Getümmel und schrillem Geheul auf. Falkenkralle hatte mich mit einem Sprung aus seiner Hütte noch an den Beinen erwischt und zur Seite gestoßen, bevor der Schuß aus
der Büchse des Mexikaners mich töten konnte. Jetzt jagte er auf den Mexikaner zu, nur eins von den Messern in der Hand, die Gorring dem Stamm gegen kostbaren Silberschmuck verkauft hatte. »Ihr verdammten roten Bastarde!« schrie Elmar Gorring auf englisch. »Ich schieße euren Häuptling über den Haufen, wenn ihr mich anzugreifen wagt!« Seine Stimme klang nicht sehr überzeugend. Sie hatte hysterische Zacken und Obertöne. Die roten Krieger im Dorf, die ihre Lanzen drohend erhoben hatten, zögerten, als Gorring seine beiden Colts mit den regenbogenschillernden Schildpattgriffen auf den Häuptling des Dorfes richtete. »Auf was wartest du noch, Bo?« rief er dabei zornig über die Schulter. »Knall ihn doch endlich ab!« Diesmal war die Kugel noch viel heißer als zuvor. Sie schälte mir einen langen Streifen Haut von der Schläfe und löste einen Trommelwirbel in meinem Kopf aus. Sie blendete mich mit meinem eigenen Blut, das mir in die Augen lief. Und dann vermochte ich dem Geschehen wieder einmal nicht zu folgen, da mich eine Faust in das dunkle Gebüsch und in einen schwarzen Nebel hinunterzwang.
7. Diesmal konnte die Bewußtlosigkeit nicht lange gedauert haben. Ein feuchter, heißer Lappen fuhr mir winselnd über die Haut. Ich hörte einen rollenden Donner über mir. Dazwischen gellte ein spitzer Schrei. »Absitzen!« hörte ich ein Scharfes, schneidiges Kommando. »Das ganze Dorf umstellen!« Ich schlug die Augen auf, weil der Lappen nicht aufhörte, mir das Gesicht abzuputzen. Ich blickte in die dunklen treuen Augen meines Hundes Shita. »Was ist hier vorgefallen? Wenn Sie die Güte haben wollen, Mister Frey, für mich dieses Kauderwelsch zu übersetzen!« Die Strafexpedition!
Ich lag wieder in der Hütte des Unterhäuptlings Tas-ka-no-ka. Mein Bastard Shita leckte mir das Blut vom Hals und den Schultern. Im Sand vor meiner Hütte lag ein toter Krieger. Ich erschrak zutiefst, als ich seinen Kopf mit dem Stirnband sah. Aber es war nicht mein Lebensretter Tas-ka-no-ka, sondern einer von den älteren Kriegern, die zum Stammesrat gehörten. In der Hüttenwand klafften zwei gezackte Löcher. Kugeleinschläge. Die Sonne füllte dort die Wand mit sprühendem Gold aus. Ich konnte das Mesquitegebüsch am Dorfrand sehen – und den Mexikaner, der mich wie ein verwundetes Kalb, das notgeschlachtet werden soll, hatte abschießen wollen. Er war jetzt selbst geschlachtet – mit einem Pfeil, der in seiner Brust steckte. Den Strohhut, den er in den Nacken geschoben hatte, damit die Sonne ihn beim Zielen nicht störte, hatte der struppige Köter erbeutet, der am Anfang der Treibjagd auf mich so wütend gekläfft hatte. Er mußte sehr hungrig sein, der Arme. Von dem Hut war nur noch ein Stück Schweißband übriggeblieben. »Der Häuptling wird für diese Schweinerei Rede und Antwort stehen müssen, Mister Frey!« hörte ich wieder die forsche Stimme draußen. Ich kannte sie zur Genüge. Sie gehörte dem schneidigen West-Point-Adjutanten von Fort Calhoun, Major William Fly. Ich beruhigte mich ein wenig, während Shita winselnd um mich herumkroch. Solange man redete und verhandelte, wurde nicht scharf geschossen. Ich horte das Klirren von Sporen und Waffen. Da mußte eine ganze Kompanie Soldaten aus dem Fort hierhergeritten sein. Ob das auch meinetwegen geschehen war? Etwas kroch durch den Sand an dem toten Krieger aus dem Dorf vorbei und huschte in meine Hütte herein. Ich dachte erst, es müsse der Statur nach Tas-ka-no-ka sein. Doch dann roch ich den Atem von gutem Bourbon, der sich mit schlechtem Brandy stritt. »Du hast vielleicht einen Schlamassel angerichtet!« war der erste Satz, den ich zur Begrüßung hörte. »Teufel – und gut bekommen ist dir dein Ausflug nach Guadalupe ebenfalls nicht!« »Jicarilla!« rief ich, und meine Stimme hatte wieder viel von ihrer
Kraft eingebüßt. »Halte Shita etwas zurück, damit er mich nicht vor Heißhunger auffrißt!« »Vor Freude, wolltest du sagen. Er hat dir das Leben gerettet!« »Das ist nichts Neues, Jicarilla«, erwiderte ich. »Er ist eben viel klüger als ich.« »Er führte deinen Freund Stuart und mich hierher. Ich war hinter diesen Halunken her, die dich am Rio Doro mit einer Springfield hatten umbringen wollen.« »Ah – du bist immer groß in Form, wenn du guten Whisky trinkst, wie?« sagte ich grinsend. »Ronco, jetzt haben wir keine Zeit zum Scherzen«, erwiderte Jicarilla. Ich hatte den Apachen noch nie so nüchtern erlebt wie jetzt. Und das war ein bedenkliches Zeichen. »Was ist draußen los?« fragte ich bang. »Sie suchen dich. Und Häuptling Schlangenmann und seine Krieger sind stumm wie ein Massengrab.« »Meinetwegen?« »Keine Ahnung, Ronco. Wir langten gerade rechtzeitig an, um das Schlimmste zu verhüten! Stuart Frey schaffte es, wenn ich ehrlich sein soll. Er hat viel Einfluß auf den Häuptling.« »Du erzählst mir nicht viel Neues, Jicarilla!« »Dieser Bo Wenders hat einen der Krieger im Dorf erschossen. Wir waren noch zu weit weg, um ganz genau zu sehen, was sich abspielte. Wir waren auf der letzten Düne über dem Dorf, während Shita schon mitten im Geschehen war und dem fetten Gorring die Hosen verkürzte.« Jicarilla kicherte trotz des Ernstes der Lage in sich hinein. »Hat er ihm auch ein Stück Wade herausgerissen?« erkundigte ich mich grimmig. »Nur ein ganz kleines Stück, Ronco. Dann knallte es links von uns, und die ersten Soldaten galoppierten über die Hügel.« »Ein Großangriff auf ein wehrloses Dorf?« fragte ich erbittert. »Wie viele Menschenleben hat es diesmal gekostet?« »Eine Rothaut, einen Mexikaner und einen Hund. Das ist alles, bis auf ein paar Leichtverletzte, deren Wunden rasch wieder heilen werden.«
»Wo sind diese beiden Betrüger und verhinderten Mörder?« fragte ich. »Elmar Gorring und sein Pistolero, meinst du?« Jicarilla lachte gallig. »Sie sind fein heraus. Sie haben erstklassige Waren ins Dorf gebracht und behaupten, was du gestern im Fort dem Colonel erzählt hättest, wäre pure Verleumdung. Sie bezichtigen dich des Mordes an dem Indianerbevollmächtigten aus Washington! Und wie es aussieht, kommen sie mit ihrem Märchen bei Major Fly gut an!« »Das dachte ich mir fast, Jicarilla. Und was sagen die Mescaleros? Haben sie nicht protestiert, daß ich von Gorring und seinen Komplicen wie ein tollwütiger Kojote beschossen wurde? Daß die drei mich endgültig ausschalten wollten, nachdem ihr erster Mordanschlag heute nacht nicht ganz gelungen war?« »Wir sahen so etwas aus der Entfernung, was darauf hindeutete, Ronco. Aber die Mescaleros machen den Mund nicht auf. Sie sind stumm wie Fische. Ich habe keine Ahnung, warum!« »Aber ich! Sie sind sicher, daß man ihnen sowieso nichts glaubt! Egal, was sie auch sagen. Was geschieht im Augenblick, Jicarilla?« »Major Fly würde am liebsten alle erwachsenen Männer des Dorfes über die Klinge springen lassen, weil sie einen Mexikaner erschossen haben. Und weil sie in ein Verbrechen verwickelt seien, wie er sagt, das sehr düstere Aspekte habe. Der düstere Aspekt, glaube ich, bist du, Ronco.« »Was für eine flüssige Ausdrucksweise du auf einmal hast! Was hat dieser West-Point-Musterschüler nun wirklich vor?« »Er schickt wahrscheinlich eine Ordonnanz ins Fort, um Colonel Lester um Vollmachten zu bitten.« »Wofür?« »Um eine exemplarische Bestrafung der Schuldigen. Wer auch immer das sein mag!« »Ich natürlich. Und Häuptling Schlangenmann. Und vielleicht das ganze Dorf«, erwiderte ich erregt. »Du mußt mir helfen, Jicarilla!« »Weshalb«, erwiderte er rülpsend – nach einer scharfen Zechtour kam ihm morgens immer der Kaffee hoch –, »bin ich wohl hier, Ronco? Was könnte ich tun, um meinen Blutsbrüdern aus der Klemme zu helfen?«
»Du vergißt, daß du nur ein Mischling bist, obwohl das rote Blut eindeutig dein Aussehen und deine Schwäche für Alkohol geprägt hat. Denke auch an deinen weißen Anteil und hilf mir!« »Ich kann dich hier nicht ungesehen 'rausschmuggeln, verdammt!« »Was tun die beiden Halunken gerade – Wenders und Gorring?« »Sie drängen auf rasche Bestrafung der Indianer und deiner Person. Du hättest sie dazu angestiftet, den Mexikaner zu erschießen, den sie als Gehilfen mit ins Dorf gebracht hatten, damit er ihnen beim Abladen der Waren helfen sollte.« »Ah – sie stellen alles auf den Kopf!« knurrte ich böse. »Und sie haben es eilig, wieder von hier abzuhauen, scheint mir. Dringende Geschäfte, sagen sie …« »Läßt man sie?« fragte ich lauernd. »Ich denke schon. Sie stehen gut da, sagte ich doch. Sauber und rein wie Nonnen im Kloster. Und da die Mescaleros nichts sagen … Nun, es läuft alles bestens für die beiden.« »Und was glaubst du?« »Ich kann Fährten lesen. Und ich habe mich mit Tas-ka-no-ka und seiner Squaw unterhalten. Diese beiden Händler sind Mörder und lügen, daß es zum Himmel stinkt.« »Aber wir können das nicht beweisen …« Ich starrte auf den blutigen Verband auf meiner Brust und verfluchte meinen hilflosen Zustand. »Aber sie waren so wütend auf mich, daß ich sie in der Nacht besucht und ihnen einige Wahrheiten an den Kopf geworfen habe, daß sie mich unbedingt umbringen wollten. Koste es, was es wolle …« Ich mußte plötzlich sehr schlimm ausgesehen haben, denn Jicarilla beugte sich erschrocken über mein Gesicht und murmelte: »Du kriegst doch hoffentlich keinen Blutsturz! Willst du nicht einen Schluck Whisky trinken? Er wird dir sicher gut …« »Jicarilla!« »Ja doch!« »Kannst du hier abhauen, ohne daß es auffällt?« »Ich werde es versuchen, wenn es sein muß!« »Es muß sein! Reite wie der Teufel. Zu Gorrings Handelsposten. Er hat ein paar scharfe Dingos, mit denen du fertig werden mußt.
Und Fußangeln. Aber nicht vorn auf dem Trail, der zu dem Palisadentor führt.« »He! Was soll ich dort?« »Nimm dir noch jemanden mit. Tas-ka-no-ka, wenn er sich ebenfalls verdrücken kann. Er kann schreiben und lesen! Das ist wichtig!« »Für was?« »Um alle Briefe und Unterlagen in Gorrings Handelsposten zu klauen, die mit der Belieferung der Mescaleros im Reservat zu tun haben! Nehmt alles mit, was ihr darüber finden könnt! Und bring das Zeug zu Stuart Freys Wohnung auf dem Hügel des reinen Wassers!« »Zu ›Desert Flower‹?« »So kannst du es auch ausdrücken«, erwiderte ich. »Ich wette, dann habe ich die beiden in der Falle. Sonst wären sie nicht so erpicht gewesen …« Ich brach ab. Draußen kämmten die Soldaten bereits das Dorf durch. Sie suchten bestimmt keine Souvenirs oder verdorbene Konserven. Sie suchten mich. »Hau ab, verdammt!« knurrte ich. Er verschwand, als habe ihn der Erdboden verschluckt. Pirschen und schleichen konnte er wirklich wie ein reinblütiger Apache. * Mein Hund blieb bei mir und beobachtete mit schiefgelegtem Kopf, wie zwei Schatten mit klirrenden Sporen auf mein Versteck zugingen. »Halt den Mund, Shita«, warnte ich ihn. »Und zerfetze ihnen nicht die Hosen. Sie gehorchen nur stupiden Befehlen. Und sie müssen ihre Uniform dann aus eigener Tasche ersetzen. Das Geld kassiert der Staat.« Shita hielt ganz still. Aber seine steilen Ohren deuteten an, daß er sich seine eigene Meinung vorbehielt. »Ah, da sind Sie ja!« blaffte mich eine Stimme vom Hütteneingang an. Mein Hund knurrte zurück. Doch er mußte den Sprecher so gut kennen, daß er offenbar wußte, es lohnte sich nicht, ihm an die
Waden zu springen. Wahrscheinlich waren sie ungenießbar. Ich wandte müde den Kopf zur Seite, während ich Shita das gesträubte Fell kraulte, damit er keine Dummheiten anstellte. Mein Kopf war wieder so schwer wie Blei. Aber heißes Blei, das meine Nerven ansengte und die kleinste Bewegung zu einem Martyrium werden ließ. »Sergeant Tucker«, sagte ich, »welche Freude, Sie wiederzusehen!« »Diesmal bist du deinen Posten los«, sagte Sergeant Tucker und stampfte in die Laubhütte. Er mußte den massigen Schädel einziehen, weil er sonst das halbe Dach abgedeckt hätte. Hinter ihm erschien ein Corporal mit Revolver und Säbel. Mein Hund Shita fletschte die Zähne und knurrte zwei Oktaven höher. »Nicht anfassen, Sergeant«, warnte ich müde. »Ich habe zwei Schüsse von zwei notorischen Halunken eingefangen. Mein Hund weiß das. Er will dafür sorgen, daß ich wieder gesund werde.« Sergeant Tucker baute sich breitbeinig neben meinem Fellager auf und ließ die Hosenträger über seinem verschwitzten Hemd knallen. »Sie werden dich in der Gefängniszelle von Fort Calhoun gesund pflegen, um dich anschließend zu hängen. Ich betrachte das als pure Geldverschwendung. Aber man muß sich damit abfinden, daß der Staat das Geld zum Fenster hinauswirft, damit sich keiner über eine ungerechte Behandlung beschweren kann.« »Na fein, aber wenn Sie mich anfassen, wird Shita sehr ungehalten werden. Er mag nur Ihren Schweißgeruch nicht, Sergeant Tucker. Sonst hätte er sich längst ein Steak aus Ihrem dicken Hintern gebissen.« Der Sergeant deutete mit seinem Daumen irgendwohin ins Freie. »Wir haben schon einen Hund erschossen. Da kräht kein Hahn danach, wenn wir es noch mal tun.« »Aber ich, Sergeant Tucker. Und Shita läßt sich nicht ohne weiteres erschießen. Das haben schon intelligentere Leute als Sie versucht. Und er lebt immer noch.« »Ich habe den Auftrag, Sie zu verhaften, Mister Ronco!« Er wurde jetzt dienstlich, nachdem er seine private Meinung geäußert hatte. »Sie sind Ihres Postens als erster Scout von Fort Calhoun vorläufig
enthoben, bis ein ordentliches Kriegsgericht über Ihre Verfehlungen entschieden hat. Anschließend werden Sie dem Urteil gemäß behandelt.« Er stand kurz stramm, während er das sagte. Dann grinste er wieder so tückisch wie am Anfang und stellte seine Beine bequem auseinander. Immerhin war ich für ihn jetzt nur noch ein lausiger Zivilist, der viel zu jung für seine Aufgabe und obendrein noch rotzfrech war. Er konnte mir jetzt alles heimzahlen, was ihn so lange an mir geärgert hatte: meine bessere Besoldung, meine mangelnde Unterordnung unter die militärische Hierarchie, meine eigene Meinung und die Sondergenehmigung von Colonel Lester, daß ich mir neben einem Pferd noch einen Hund leisten durfte. »Corporal Miller!« rief er mit Feldwebelstimme. »Legen Sie dem Arrestanten die Handschellen an!« Der Corporal, der die ganze Zeit seinen Colt auf mich gerichtet hatte, während er den gezogenen Säbel an die linke Schulter drückte, starrte mich an, als sei ich eine Giftschlange, der er den kleinen Finger in den Mund stecken sollte. »Sergeant«, sagte er und leckte sich dabei die Lippen, »muß das sein?« »Es steht so in der Dienstvorschrift!« brüllte Sergeant Tucker. »Tun Sie's doch«, sagte ich freundlich. »Sie stehen doch schon neben mir und brauchen sich nur noch zu bücken!« »Corporal Miller!« fauchte der Sergeant mit puterrotem Gesicht. »Wenn Sie sich nicht trauen, einem desertierten Scout die Handschellen anzulegen, werfen Sie mir die Dinger her!« Der Corporal leckte sich wieder über die Lippen. »Von NichtTrauen kann keine Rede sein, Sergeant. Es ist der Hund, der nichts von Vorschriften versteht.« »Ich schlage Ihnen einen Kompromiß vor, Gentlemen«, sagte ich heiser, weil das viele Reden mich rasch erschöpfte. »Sie warten hier, bis ich verblutet bin, und das Problem ist von allein gelöst. Keine Handschellen, keine Kriegsgerichtsverhandlung, kein zum Fenster hinausgeworfenes Geld.« Mein Hund Shita hörte auf zu knurren und bellte wild. Aber das konnte keine Zustimmung zu meinem Kompromiß bedeuten. Es war
Mißbilligung. Major Fly, der West-Point-Musterschüler und Adjutant von Fort Calhoun, schob sein scharfgeschnittenes Gesicht durch den Eingang der armseligen Hütte. »Wo bleiben Sie denn so lange, Sergeant Tucker?« sagte er mit seiner knappen, geschulten Stabsoffiziersstimme. »Puh, hier ist eine Luft zum Zerschneiden!« Er betrachtete mich mit seinen dunklen, stechenden Augen, in denen sich nicht nur Intelligenz, sondern auch eine gute Portion Verschlagenheit spiegelten. »Er leistet doch keinen Widerstand! Er ist viel zu schwach dazu!« »Der Hund …«, murmelte Sergeant Tucker mit puterrotem Gesicht, »ich kenne diese Bestie! Sieht aus, als wäre er zu dumm und auch zu schwach zum Mäusefangen. Aber er hat schon zwei Leute aus meinem Zug vom Pferd gerissen und revierreif gebissen!« »Haben Sie etwa Angst vor einem Hund?« fragte der Adjutant scharf. »Sergeant Tucker ist nur vorsichtig«, erwiderte ich mit einem schwachen Grinsen. »Aber Shita ist auch kein Amokläufer, Sir. Er weiß, wann er kuschen muß. Genauso wie ich. Es braucht ja auch keine Handschellen. Eine Bahre tut's auch. Damit können sie mich in die Arrestzelle von Fort Calhoun schaffen lassen, Major Fly.« Er schüttelte den Kopf. »Ich brauche noch Ihre Hilfe, Freundchen«, sagte der Major mit verkniffenem Gesicht. »Diese verdammten Mescaleros wollen nur den Mund auftun, wenn sie sich davon überzeugen können, daß Sie noch leben und – äh – behandelt werden wie …« Er würgte es hinunter. »Wie ein Gast, Sir«, sagte ich. »Gast ist das richtige Wort. Die Indianer haben eine sehr strenge Vorstellung von diesem Begriff, Major. Für einen Gast tun sie alles. Da lassen sie sich nicht abbringen von ihren moralischen Vorstellungen. Auch in der Gefangenschaft nicht …« »Holen Sie eine Tragbahre, Sergeant«, befahl der Major barsch, »und schaffen Sie den Gefangenen hinüber zum Sammelplatz. Lassen Sie die Handschellen in der Tasche!« »Jawohl, Sir.«
»Und jagen Sie diesen Hund hier weg. Er hat einen wichtigen Zeugen belästigt.« »Mister Gorring, wie?« »Richtig: Den Hauptbelastungszeugen gegen Sie in dem kommenden Kriegsgerichtsprozeß!«
8. Sie schleppten mich ziemlich unsanft über den Dorfplatz hinüber zu einer Kuhle, wo die Männer des Dorfes zusammengetrieben worden waren. Häuptling Schlangenmann blutete aus einer Wunde an der Schläfe und wurde von zwei älteren Kriegern gestützt. Ich warf einen raschen Blick aus meiner horizontalen Lage über die Versammlung. Tas-kano-ka war nicht unter den Gefangenen. Ich seufzte erleichtert und bettete meinen Kopf auf die Zeltplane, mit der die Soldaten mich zum Verhör brachten. Die Frauen und Kinder des Dorfes waren an einer anderen Stelle zusammengetrieben worden, hinter einer Düne, wo die Mescaleros ihre Abfälle zu vergraben pflegten. Aber Indianer sind in dieser Beziehung sehr sparsam. Sie können so gut wie alles verwerten. Die Frauen und Kinder hatten viel Platz auf der Müllhalde des Dorfes. Nur die Dorfhunde hatten noch ihre Freiheit und schlichen wie geprügelte Kojoten zwischen den Hütten der Mescaleros herum. Shita hatte es aufgegeben, mir zu folgen, nachdem ich ihm ein paarmal mit Zeichen und Knüffen zu verstehen gegeben hatte, daß seine Anwesenheit nicht erwünscht sei. Auf der Düne über der Müllhalde standen drei Soldaten mit Gewehren unter dem Arm und aufgepflanzten Bajonetten. Um die Kuhle, wo die Männer untergebracht waren, war ein ganzer Wall von Bajonetten errichtet worden. Die beiden Gespanne, mit denen Elmar Gorring seine »Ersatzlieferung« ins Dorf gebracht hatte, waren wieder voll beladen. An der Stelle, wo sich der Segen seiner Waren auf dem Sand ausgebreitet hatte, als von Elmar Gorring seine Anklage gegen mich vor den Dorfältesten der Mescaleros erhoben worden war, lag
nur noch ein bißchen Mehl herum. Als die Mescaleros mich erblickten, zeigte sich nur ein flüchtiges Aufblitzen in ihren dunklen Augen. Dann standen sie wieder so apathisch mit ausdruckslosen Gesichtern herum wie zuvor. Die beiden Soldaten, die mich auf der Plane trugen, setzten mich am Rand der Kuhle ab, wo Stuart-Frey, der Indianeragent, für Major Fly dolmetschen mußte. Das Gesicht meines Freundes sprach Bände. Er war wütend bis zur Grenze seiner Selbstbeherrschung. Er glich einem überhitzten Dampfkessel, dessen Überdruckventil eingerostet ist. »Hat keinen Sinn, Stuart«, sagte ich zu ihm, als mich die beiden Soldaten am Rand der Kuhle in den heißen Sand plumpsen ließen. »Major Fly hat in West Point gelernt, daß nur tote Indianer gute Indianer sind. Er glaubt an das, was in seinem Zeugnis steht. Er sei sehr befähigt und eine Führerpersönlichkeit.« Ich sprach spanisch, was der Major nicht verstand. Das ärgerte ihn, und er fragte meinen Freund Stuart, was ich gesagt hätte. »Er schätzt Sie sehr«, knurrte Stuart Frey. Sein Gesicht war so ausdruckslos wie das eines Indianers. Doch ich kannte ihn viel zu gut. Dahinter brannte eine Lunte zu einem gefüllten Pulverfaß. Gorring, der breitbeinig hinter dem Major stand, als wäre er der Kommandant von Fort Calhoun, lachte höhnisch. »Ihr abgehalfterter Scout, Sir, hat sich sehr abfällig über Sie geäußert.« »Stimmt nicht«, sagte ich. »Sie lügen schon, wenn Sie nur den Mund aufreißen, Gorring!« Die Indianer unter mir in der Kuhle nickten zustimmend. Es war nur eine sachte Bewegung ihrer Köpfe. Aber ich hatte verstanden, was sie mir mitteilen wollten. Sie hielten mich nicht für einen Mörder, sondern hatten das Spiel des Händlers genau durchschaut. So gut wie ich selbst. Ich war fast gerührt, als mir der alte Häuptling zublinzelte, als wolle er mir zurufen: »Halte nur durch, gelber Falke. Sie haben uns die Waren und Lebensmittel wieder weggenommen, weil wir nicht gegen dich sprechen wollten! Wir verhungern lieber, als unseren heiligen Eid der Gastfreundschaft zu brechen!« »Warum haben Sie den Mescaleros die Nahrungsmittellieferung
wieder weggenommen, Sir?« fragte ich, während ich mich im Sand langsam aufrichtete. »Wir haben sie nur vorläufig beschlagnahmt«, erwiderte der Major kalt. »Aber …« »Es war eine disziplinarische Entscheidung, Mister! Die Indianer haben einen Weißen getötet. Sie verweigern die Aussage über den Hergang der Tat. Sie wollen mir nicht sagen, wie Sie in dieses Dorf gekommen sind. Sie sagen nicht ein Wort. Ich vermute, Sie haben diese Leute gegen die Regierung und die Armee aufgewiegelt! Ich kenne Ihre Vorliebe für Indianer. Ich …« Er schnellte auf den Stiefelspitzen hoch, als schnappe er jeden Moment über. »Du meine Güte, Sir! Sie kennen nur die Indianer nicht!« Der Major hörte mir nicht mehr zu. Ich sprach auch so leise, daß man mich kaum verstehen konnte. Er wandte sich an Stuart Frey und sagte mit wütender, arroganter Stimme: »Sie sind auch so ein Indianernarr, Frey! Sie sind ja sogar mit einer Wilden verheiratet, wie ich hörte!« »Das steht hier nicht zur Debatte, Major«, gab Stuart Frey mit verkniffenem Gesicht zurück. »Dann sagen Sie diesen Wilden, daß Sie endlich reden sollen! Oder ich lasse sie auspeitschen! Verstehen Sie? Auspeitschen lasse ich sie!« »Das werde ich nicht übersetzen, Major. Gorring hat gegen das Gesetz verstoßen, als er im Reservat von der Schußwaffe Gebrauch machte.« »Es war Notwehr! Er wurde angegriffen!« »Solange Sie den Indianern nicht die Handschellen wieder abnehmen lassen, sagen die kein Wort«, erwiderte Frey wütend. Ich stemmte mich hoch. Ach du heiliger Strohsack, dachte ich benommen. Der verrückte Major hatte die Männer des Dorfes mit Ketten und Handschellen aneinanderbinden lassen! »Und wenn sie dann noch die Aussage verweigern, Mister Frey«, fügte Major Fly hämisch hinzu, »lasse ich einen Indianer herausgreifen und als Mörder des Mexikaners erschießen! Haben Sie mich verstanden, Frey?«
»Natürlich, Major. Sie reden ja laut genug.« »Dann übersetzen Sie, was ich gesagt habe!« »Ich denke nicht daran.« »Dann tun Sie es, Ronco!« zischte der Major zu mir hinunter. »Ich übersetze das auch nicht«, erwiderte ich. »Erstens fehlt mir der spanische Wortschatz dazu, und zweitens bin ich von Ihnen ja meines Postens enthoben worden.« Ich dachte, er vergißt sich und gibt mir einen Tritt. Ich duckte mich schon, damit er mich nicht an meiner verbeulten Rippe traf, wo ich in der Nacht die Gewehrkugel eingefangen hatte. Doch im selben Moment klangen Hufschläge hinter der Düne auf, und der Major nahm das Bein wieder vorsichtig zurück. »Wer hat so etwas angeordnet?« rief eine tiefe, energische Stimme hinter dem Rücken des Majors. »Wer hat die Indianer fesseln lassen?« Wer wohl, dachte ich, als ich die Stimme von Hampton Lester, des Kommandanten von Fort Calhoun, über mir hörte. Das kann ja nur eine rhetorische Frage gewesen sein. »Sir«, sagte Major Fly mit beleidigter Stimme, »nach Artikel 25 des Militärgesetzes bin ich als Offizier berechtigt …« »Ach, vergessen Sie die Paragraphen, die Sie in West Point auswendig gelernt haben, gefälligst für eine Weile, Major!« tönte die ärgerliche Stimme des Colonels zurück. »Ich habe hier ein Telegramm aus Washington erhalten! Das sollten Sie sich mal zu Gemüte führen!« * Die Sonne neigte sich den Bergen im Westen zu, und die Schatten hinter den Dünen und braunroten Schutthügeln auf der Prärie waren schon so lang und dicht, daß man leicht darin untertauchen konnte. Nur so konnte es den beiden gelungen sein, sich unbemerkt zu entfernen. Ich bemerkte es als erster in der Aufregung, die dem Erscheinen des Kommandanten von Fort Calhoun folgte. Der Major hatte mir auf Befehl meines obersten Vorgesetzten das
Telegramm vorlesen müssen, weil ich Buchstaben und kleine Gegenstände nur noch verschwommen sehen konnte. Ich wunderte mich, daß ich überhaupt so lange durchgehalten hatte ohne Wasser und einen Verband, der die Blutung an meiner Schläfe endlich zum Stillstand brachte. »Lesen Sie das!« hatte der Alte grimmig gesagt und dem Major das Blatt in die Hand gedrückt, das ihm eine Ordonnanz aus einer Ledertasche zureichte. Es war ein ziemlich langer Text, der auf die Anfrage des Colonels aus Washington zurückgedrahtet worden war: »Mr. Jerome Hemlin ohne jeden dienstlichen Auftrag in Texas. Er wollte nach Illinois, um dort Verwandte zu besuchen. Seine Ermordung in Texas für uns ein Rätsel. Wurde auf anderen Posten versetzt, den er nach dem Urlaub antreten sollte. Nicht mehr zuständig für Indianerfragen. Haben daraufhin seinen Schreibtisch und seine Unterlagen, die er bei uns führte, rasch durchsehen lassen, um Anhaltspunkte zu finden. Fanden Dokumente, die er seinem Vorgesetzten nicht weiterleitete. Unter anderem, Beschwerden Ihres dort zuständigen Indianeragenten, Stuart Frey, über mangelhafte Lieferungen an Reservatsindianer. Bitten, an Ort und Stelle der Sache nachzugehen.« »Teufel«, sagte ich, »dieser Jerome Hemlin steckte also mit Elmar Gorring unter einer Decke! Er muß hierhergereist sein, um sich das Geld auszahlen zu lassen, das er an den minderwertigen Waren, mit denen er die Mescaleros beliefern ließ, verdient hatte!« »Sie sind wieder einmal voreilig, Ronco«, sagte der kantige Colonel mit seinen kieselgrauen Augen zu mir. »Sie sollen nicht immer gleich aussprechen, was wir uns denken! Als Zivilangestellter der Armee muß man mit seinen Worten und Gedanken sehr vorsichtig umgehen!« »Haben Sie das gehört, Major Fly, Sir?« Der Major schickte mir einen Blick zu, der mich auf der Stelle getötet hätte, wenn er aus gewetztem Messerstahl gewesen wäre. »Ich bin also nicht vom Dienst suspendiert, Sir?« wandte ich mich an meinen höchsten Vorgesetzten im Fort, weil mein unmittelbarer Vorgesetzter stumm blieb wie ein Fisch. »Natürlich nicht, Mister Ronco! Ich denke, Sie tragen erheblichen
Anteil daran, daß diesen Machenschaften hier endlich ein Ende bereitet wird. Ich werde so rasch wie möglich dafür sorgen, daß die Verantwortlichen im Fort hinter Schloß und Riegel gebracht werden.« Ich lag immer noch im Sand und hatte nur eine beschränkte Aussicht über die Umgebung. Ich hörte die Rothäute, die plötzlich sehr gesprächig geworden waren, als der Colonel ihnen durch Stuart Frey mitteilen ließ, er entschuldige sich für den Irrtum, und alles wäre nur ein bedauerlicher Zwischenfall. Als ihnen die Handschellen und Ketten abgenommen worden waren, wurde es schon etwas besser mit der Aussicht für mich, weil die Krieger, Frauen und Kinder des Dorfes zum zweiten Male darangingen, die beiden Frachtwagen von Elmar Gorring abzuladen. Sie spannten ihm auch wieder die Zugtiere aus, was mich sehr wunderte, weil ich auf den Einspruch des dicken Händlers wartete. Er erfolgte nicht. Und als ich dort hinsah, wo der dicke Händler stehen mußte – jetzt mit Handschellen und unter Bewachung –, sah ich nur ein paar Spuren im Sand. »He – die beiden Halunken! Wo sind die beiden Händler, die mit Jerome Hemlin aus Washington zusammengearbeitet haben?« Erst jetzt bemerkte auch der Major das Verschwinden der beiden Männer aus der Guadalupe-Handelsniederlassung, die vorher so eifrig gegen mich gewettert und meine Suspendierung vom Dienst betrieben hatten. Sie waren abgehauen! Ihre Fußspuren führten in die Schatten der Dünen und schlugen dann einen Haken auf den Korral zu, wo die Indianer ihre Ponys untergebracht hatten. Dort, ganz dünn und fern, weil die Indianer beim Abladen der beiden Kastenwagen so einen Lärm veranstalteten, bellte auch Shita sich die Kehle aus dem Hals. »Sie haben aus dem Korral der Mescaleros Pferde gestohlen und türmen!« rief ich. Der Colonel ließ sofort einen Teil seiner Männer aufsitzen. »Aber wir brauchen einen Scout«, sagte er. »Wo ist Jicarilla?« »Den habe ich in die Schmuggelburg dieser beiden Halunken geschickt«, erwiderte ich grimmig, »um dort Akten als Beweise für
betrügerische Manipulationen mit Regierungsgeldern zu beschlagnahmen!« »Eigenmächtig, Mister Ronco?« fragte er streng. »Auf eigene Verantwortung, Sir!« »Hm«, brummte er und zwinkerte mir dabei sehr vorsichtig zu, während sein Gesicht so grimmig blieb wie grob behauener Granit, »das bedeutet, daß wir jetzt ohne Scouts arbeiten müssen. Denn, wie ich sehe, sind Sie leider nicht in der Lage, auf ein Pferd zu steigen, geschweige denn Spuren zu lesen.« »Leider muß ich Ihnen recht geben, Sir, was das Pferd betrifft. Mit dem Spurenlesen ginge es wahrscheinlich noch. Aber wie ich die Mescaleros kenne, Sir, werden Sie Ihnen mit Freuden einen Ersatzscout für mich stellen, wenn ich sie darum bitte.« Vierundzwanzig Krieger meldeten sich freiwillig. Es wären fünfundzwanzig gewesen, wenn nicht einer von den Kriegern an Bo Wenders' Kugel gestorben wäre und sich nicht in die Schußbahn der Kugel geworfen hätte, die Wenders für mich bestimmt hatte. Das Gastrecht, wie ich schon ein paarmal erwähnte, war den Mescaleros heilig … * Die Jagd dauerte bis lange nach Einbruch der Dunkelheit. Shita war auch dabei. Und, wie ich später hörte, hatte er wieder einmal hervorragend Anteil daran, daß sie auch erfolgreich zu Ende ging. Die beiden Halunken – Elmar Gorring und Bo Wenders – suchten sich die besten Ponys der Mescaleros aus. Sie kannten das Gelände besser als die Indianer, die erst seit anderthalb Jahren in diesem Reservat lebten und in ihrer Bewegungsfreiheit starken Beschränkungen unterworfen waren. Zuerst sah es so aus, als wollten sie auf dem kürzesten Weg zurück zu ihrer Niederlassung in den Ausläufern der Van-HornMountains. Doch dann, als es bereits dunkel war und die Felsen am Talrand des Rio Doro die Spuren ihrer Ponys nicht mehr annahmen, schlugen sie einen Haken nach Südosten. Sie ritten auf eine Stelle zu, wo es Wasser und Vorräte gab. Und
einen Menschen, an dem sie sich rächen konnten, weil er ihr Spiel durchkreuzt hatte. Sie ritten zu dem Haus zwischen den beiden Felsen – zu der Wohnung von Stuart Frey, den die Mescaleros das »Gute Bleichgesicht« nannten. Denn Stuart Frey hatte mit seinen telegrafischen Beschwerden und schriftlichen Eingaben in Washington vorwiegend Anteil daran, daß sie sich nicht mehr an Regierungsgeldern auf Kosten der Mescaleros bereichern konnten. Jicarilla erzählte mir am nächsten Morgen das Ende der Jagd, die fast zu einem entsetzlichen Drama für meinen Freund Stuart Frey geworden wäre, wenn nicht – nun, wenn eben nicht mein Hund Shita noch rechtzeitig erschienen wäre, um es zu verhindern. Elmar Gorring war bereits in die Wohnung des Indianeragenten eingedrungen und hatte »Desert Flower« mit seinen perlmuttverzierten Colts gezwungen, ihm Brot, Dörrfleisch und Konserven einzupacken. Dann trieb er sie die Leiter der Veranda hinunter zu Bo Wenders, der inzwischen einen Wasserschlauch mit Quellwasser gefüllt hatte. »Ihr werdet nicht weit kommen«, hatte Wüstenblume zu den beiden gesagt, als sie ihr befahlen, ihr Pferd zu satteln. »Ihr habt diesen alten graubärtigen Mann aus Washington ermordet, nicht wahr?« »Dieser verdammte Schnüffler aus Fort Calhoun hat die Wahrheit erraten«, hatte Elmar Gorring mit gespieltem Gleichmut erwidert. »Jerome Hemlin war bei uns in der Handelsniederlassung, um abzurechnen. Er wollte seinen Anteil an dem Geld, das wir von der Regierung für die Lebensmittellieferungen der Mescaleros erhielten. Er hat uns den Auftrag zugeschanzt. Dafür wollte er ein Drittel von dem Geld. Zehntausend Dollar pro Vierteljahr.« »Ihr habt es ihm nicht ausgezahlt?« »Wir haben es ihm nicht ausgezahlt, liebliche Wüstenblume«, hatte Gorring bissig erwidert, »als er uns sagte, er wäre seines Postens enthoben worden. Das bedeutete, daß es eine Untersuchung geben würde. Und das bedeutete auch, daß er uns die Schuld an den schlechten Waren, die wir den Mescaleros lieferten, in die Schuhe
schieben würde, wenn er erst mal seinen Anteil bei uns kassiert hatte. Aber wir brauchten einen Anschlußauftrag, verstehst du? Von seinem Nachfolger. Den sollte er uns erst einmal beschaffen. Vorher wollten wir nicht zahlen. Eine ganz logische Sache, Mädchen. Absichern nennt man das im Geschäftsleben.« »Und er weigerte sich?« »Natürlich gab es Streit, als wir ihm seinen Anteil nicht ausbezahlten. Wir sagten, wir hätten Unterlagen, die wir gegen ihn verwenden könnten, wenn eine Untersuchung durch die Regierung bevorstehe. Und da ritt er los und drohte, uns beim Kommandanten von Fort Calhoun anzuzeigen – wegen Unterschlagung von Regierungsgeldern. Ich denke, er muß bei der Hitze etwas wirr im Kopf geworden sein.« »Und deswegen mußte er sterben?« »Bo versuchte, ihn unterwegs noch zur Vernunft zu bringen. Aber er hörte nicht auf ihn. Bo kann hervorragend Spuren löschen, wenn es darauf ankommt. Aber dieser verdammte Hund von diesem Scout mußte die Leiche finden und wieder ausbuddeln, ehe die Geier sie beseitigt hatten.« »Pech für euch.« »Das Spiel ist noch nicht zu Ende, liebliche Wüstenblume. Wir nehmen dich mit als Geisel, bis wir drüben in Mexiko sind. Wir haben viele Freunde jenseits des Rio Grande.« »Und dann?« »Dann lassen wir dich natürlich wieder frei«, hatte Bo Wenders mit einem häßlichen Grinsen gesagt. »Wenn du mitspielst, Mädchen, schicken wir dich sogar unbeschädigt wieder in dieses hübsche Haus zurück, mein Täubchen. Und jetzt vorwärts! Wir haben schon genügend Zeit vertrödelt!« Da war plötzlich Shita aus dem Dunkel aufgetaucht und hatte sich kläffend auf Bo Wenders' Pferd gestürzt. Er war zu schwach gewesen, den Pistolero und Mordgehilfen des betrügerischen Händlers aus dem Sattel zu reißen. Also hatte er sich darauf beschränkt, dem Pony, auf dem Wenders saß, in die Fesseln zu beißen. »Boß, knall die rote Hure doch gleich ab!« hatte Wenders
geflucht. »Ich wette, dieser verdammte Bastard ist die Vorhut einer ganzen Kompanie Soldaten!« »Unsinn«, hatte Gorring erwidert. »Sie ist unsere Lebensgarantie bis zum Rio Grande. Dann brauchen wir sie nicht mehr. Aber bis dorthin …« Dann hatte Gorring seinem Pony die Sporen gegeben und das Pferd von Wüstenblume am Zügel genommen. Shita war vor den beiden Halunken hergejagt, als wollte er ihnen freie Bahn schaffen für ihre Flucht. In Wirklichkeit hatte er nur Jicarilla und Tas-ka-noka, den Unterhäuptling der Mescaleros, vor den beiden Banditen warnen wollen, die gerade aus Südwesten den Trail heraufritten, befrachtet mit den belastenden Akten aus Gorrings Handelsniederlassung. Die beiden hatten sich auf einem Felsen versteckt, der am Rande des Trails aufragte. Und dann, als die beiden Halunken mit ihrer Geisel an ihnen vorbeitrabten, hatten sie sich auf den Rücken der beiden Ponys fallen lassen, die sofort auf den vertrauten Geruch der beiden Indianer reagierten und den Gehorsam verweigerten, obwohl die Bleichgesichter wie wild mit ihren Sporen auf ihre Weichen eindroschen. Und Shita hatte sich doch noch einmal zu einem Sprung aufgerafft, als Bo Wenders die liebliche Wüstenblume mit seinem Colt aus dem Sattel schießen wollte. Er hatte ihm die halbe Hand abgebissen. * Das, was ich hier niedergeschrieben habe, ist nur eine kleine Episode aus dem Anfang meiner Karriere als Armeescout. Sie lief noch einigermaßen gut ab, wenn man die Zahl der Opfer betrachtet – und den Ausgang der Geschichte, die mir für ein paar Wochen den Glauben daran wiedergab, daß es auch für den roten Mann Gerechtigkeit gäbe. Denn einige Tage später rasselten draußen vor dem Fenster meines Quartiers die Trommeln. Sie waren das Signal für das Hinrichtungskommando, die Gewehre anzulegen, um den
Schuldspruch und das Urteil zu vollstrecken, das das Kriegsgericht in Fort Calhoun über Elmar Gorring und Bo Wenders gefällt hatte. Sie wurden nicht gehenkt, sondern erschossen. Ein Gnadenerweis, so hieß es in dem Urteil, weil beide den Mord an Jerome Hemlin bereut hätten. Nur das, was sie den Indianern angetan hatten – zwei Jahre lang Hunger und Entbehrungen –, hatten sie nicht bereut. Und eigentlich hatte es außer mir und Jicarilla auch niemand von ihnen verlangt oder gar erwartet. Trotzdem war dieses Urteil so etwas wie Gerechtigkeit für die Indianer. So legte ich es in diesem Moment wenigstens aus. Ich war eben noch jung und fiel immer wieder in meine jugendlichen Illusionen zurück. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis ich sie endgültig verlieren würde. Doch noch war es nicht soweit, damals, Ende September 1865, als die Nächte in der Wüste schon empfindlich kalt wurden, aber die Tage noch heiß und der Himmel noch wolkenlos … Keiner von uns kann sein Schicksal voraussehen, und das ist ein Gnadenerweis für jeden von uns.
ENDE
Vorschau Ronco blickte zu dem Riesen hoch, der offensichtlich die Lust verspürte, ihn angespitzt durch die Saloondielen zu hämmern. Er hob das Bierglas etwas an und kippte es langsam nach vorn. Das Glas war noch halbvoll. Das Bier rann Olsen über den Hosenbund und sickerte in den Stoff seines Hemdes und seiner Hose. Als Ronco das leere Glas auf die Tischplatte setzte, stieß Olsen einen Wutschrei aus und hob beide Fäuste, die er wie Schmiedehämmer niedersausen ließ. Ronco riß die Beine hoch und stemmte damit den Tisch an. Ein Stuhl stürzte um. Das Geschirr auf dem Tisch geriet ins Rutschen. Der Tisch prallte gegen Olsen und dessen herunterrasende Fäuste krachten auf die Tischkante. Olsen brüllte. Ronco stand auf und griff mit der Rechten nach einem Stuhl. Er bewegte sich nicht übermäßig schnell, aber geschmeidig und gut koordiniert. Und dann schlug er mit dem Stuhl zu. Danach hatte er nur noch die Lehne in den Fäusten … Das ist Ronco – der Texas Ranger. Er wird nicht mehr gejagt. Er jagt selbst. Lesen Sie nächste Woche Band 316 dieser großen deutschen Westernserie:
Heißer Job für Ronco