Everett Jones
Todesgrenze Rio Grande Ronco Band Nr. 390/59
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jah...
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Everett Jones
Todesgrenze Rio Grande Ronco Band Nr. 390/59
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine eigene Geschichte.
Er schildert den Weg, den er gehen mußte – bis zu dem schrecklichen Tag, an dem er das Massaker im Halcon Canyon als einziger überlebte und als Verräter, Mörder und Feigling gebrandmarkt wurde. Bis zu diesem Tag war sein Leben wie das vieler anderer verlaufen, die die Wirren des Bürgerkrieges überstehen mußten und sich nach Ende des großen Blutvergießens in den Westen aufmachten, um einen neuen Anfang zu finden. Erst der große Schicksalsschlag vom Halcon Canyon warf RONCO aus der Bahn, und für lange Jahre mußte er als Geächteter um sein Leben kämpfen …
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Wird überraschend aus dem Gefängnis von San Luce befreit, aber bis zum Rio Grande hat er noch ein schweres Stück vor sich. Pepe – Der Mexikanerjunge wird Roncos bester Verbündeter. Jenny – Das ehemalige Barmädchen taugt nicht viel und wird Ronco fast zum Verhängnis. Mahon Tabor – Der ehemalige Zahlmeister meinte, Ronco auf Nummer Sicher zu haben, sieht sich aber enttäuscht. Jolan Brewster – Haust mit seinen Banditen am Rio Grande und geht einem schmutzigen Geschäft nach.
Todesgrenze Rio Grande 30. Juli 1882 Was ich gerade auf die Seiten meines Tagebuchs schreibe, sind Gedanken, die ich keinem Menschen anvertrauen könnte. Nur in diesem Heft kann ich sie festhalten. Würde ich über das sprechen, was mich bewegt, wäre meine Frau Manuela sehr beunruhigt. Und sicher auch mein Sohn Jellico. Ich will aber, daß Manuela, die nun schon so lange zu mir hält, und Jellico zufrieden und glücklich sind. Denn vor allem Jellico hat in seinen Kinderjahren so viel Schreckliches erleben müssen, daß er ein Recht darauf hat, in Frieden zu leben. Was in meiner Kraft liegt, will ich tun, daß er kein so gehetztes Leben wie ich führen muß. Dennoch fühle ich immer deutlicher, daß eine Entscheidung ansteht und näherrückt. Ich werde ihr bald nicht mehr ausweichen können. Auch im Interesse von Jellico und Manuela werde ich mich ihr stellen müssen. Seit Wochen bedrücken mich Sorgen. Während ich meiner Arbeit nachgehe und für den Stern der Texas Rangers an meinem Hemd mein Leben riskiere, gewinne ich mehr Abstand zu dem, was ich tue. Wenn ich in meinem Tagebuch zurückblättere, fällt mir auf, daß mich schon früher ähnliche Gedanken belasteten. Doch sie werden immer stärker. Ich bin überzeugt, daß sich etwas über mir zusammenbraut, das einer schwarzen, gefährlichen Wolke ähnelt und nach Entladung wie ein Gewitter sucht. Es ist mehr als nur das Gefühl. Es ist auch die Erkenntnis, daß mich noch immer viele Menschen wegen meiner Vergangenheit schneiden. Sie ignorieren es, daß es mir gelang, meine Unschuld damals im vollen Umfang zu beweisen. Aber es ist noch mehr. Man will mich loswerden. Natürlich habe ich dafür keinen konkreten Beweis. Dennoch ist es mir immer öfter auf gefallen. Sie sind gegen mich. Nur der Captain meiner Kompanie steht hinter mir, und mit ihm das Gesetz. Aber es gibt noch andere Kräfte, die sich vielleicht als stärker erweisen könnten, auch stärker
als das Gesetz. Ich muß mich von dieser Belastung befreien – vor allem im Interesse jener Menschen, die mir etwas bedeuten. Das ist es auch, was mich im Moment ähnlich wie damals in den ersten Monaten nach meiner Flucht fühlen läßt. Und das ist nicht gut. Denn ich bin kein Gejagter mehr. Nur wollen das in Texas offenbar viele nicht begreifen. Vielleicht hätte ich nicht ausgerechnet in diesen Staat zurückkehren sollen, wo all das Schlimme damals seinen Anfang nahm. Besser wäre ein anderer Staat, in dem nicht dauernd die Zeugen der Vergangenheit andere und mich an früher erinnern. Wo manch einer noch einen alten, vergilbten Steckbrief aufbewahrt, auf dem mein Name zu finden ist, der viel Geld für meine Ergreifung verspricht. Unschuldig gejagt. Texas hat mir nie Glück gebracht. Es muß mir gelingen, das alles abzuschütteln, um dem drohenden Unheil zu entgehen. Ich spiele mit dem Gedanken, mich zu lösen und Texas zu verlassen. Vielleicht läßt sich das schon bald realisieren. Ich werde darum kämpfen. So bald als möglich will ich aufgeben, was mich zwingt, hier zu sein. Und ich hoffe sehr, daß es dann nicht schon zu spät ist. Wenn alles gelingt, werden auch die Erinnerungen an frühere, böse Zeiten verblassen, Erinnerungen an den Frühsommer 1867 in Mexiko …
1. Die Sonne stand noch groß und rot, aber kraftlos geworden im Westen, während von Osten die Dämmerung bereits Schleier über die Hügel und die Sierra vor San Luce legte. Das kleine Nest, noch runde zwanzig Meilen vom Rio Grande entfernt, war mir zum Verhängnis geworden. Ich saß im Gefängnis, einem kleinen, schmutzigen, aber leider sehr stabilen Steinbau, der ein Teil der Gendarmeriestation war. Mahon Tabors gnadenlose Verfolgung hatte mir das eingebrockt. Aber eigentlich jagten wir uns gegenseitig, seit ich wußte, daß er als Zahlmeister von Fort Calhoun ausgeschieden und damit beschäftigt
war, Waffen in das revolutionsgeschüttelte Mexiko zu schmuggeln. Darum war ich hinter ihm her. Er hatte mit seinen Gewehren die Juaristas beliefert, und diese hatten die Armee des fremden Kaisers im Lande besiegen können. Das hatte Mahon Tabor die Unterstützung der neuen Herren Mexikos eingebracht. Gegen mich nutzte er das in der Form aus, daß er mich zum Spion des abgesetzten und verhafteten Kaisers erklärte. Was Schlimmeres konnte es hier in diesen Tagen nicht geben. Und doch schien es im Moment mein Vorteil zu sein. Paradox, aber wahr. Die Tür zum Office stand einen Spalt offen. Ich lehnte am Gitter in der Zelle und konnte einen winzigen Teil des Büros überblicken, Mahon Tabor tauchte immer wieder dort auf, ging vorbei, kehrte zurück und ging abermals vorbei. Seine Schritte verklangen. »Ich verlange, daß er standrechtlich erschossen wird«, sagte er wütend. »Sie sagten doch selbst, er wäre ein gefährlicher Spion im Auftrag des Kaisers gewesen«, meldete sich die Stimme eines Offiziers der neuen Juarista-Armee. »Ja, das habe ich.« Mahon Tabor blieb auf einmal genau in meinem Blickfeld stehen. Er war ein schlanker, mittelgroßer Mann, der trotz der noch im Haus stehenden Hitze einen hellen Staubmantel trug und einen breitrandigen Hut auf dem Kopf hatte. Sein energiegeladenes Gesicht war leicht gerötet, die schmalen Lippen standen wie ein Strich im Gesicht des ehemaligen Zahlmeisters der US-Armee. »Na also«, meldete sich der Offizier wieder. »Einen so gefährlichen Agenten kann ich nicht einfach erschießen lassen, Senor Tabor. Damit würde ich selbst in des Teufels Küche geraten. Ich muß ihn nach Süden bringen. Mindestens in die nächste Garnison, wo ich einen Vorgesetzten antreffe. Dieser Spion verfügt möglicherweise noch über Nachrichten, die für uns wichtig sind.« Mir fiel auf, daß sich Mahon Tabors Gesicht noch mehr spannte. Jetzt schien es ihn selbst zu stören, mich zu sehr zum angeblichen Feind der Juaristas aufgebaut zu haben. »Vielleicht ist er gar nicht so ein großer Geheimnisträger gewesen, Capitan.« »Wir werden das alles nachprüfen, wenn wir einen größeren
Standort erreichen, Senor Tabor«, erwiderte der Offizier kühl. Mahon Tabors Schultern sanken herab. Er bewegte den Kopf zur Seite und schaute zu mir herein. Er stutzte und hatte offenbar nicht bemerkt, daß die Tür die ganze Zeit geöffnet war. »Seit wann ist es denn üblich, die Gefangenen zuhören zu lassen, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden, zum Teufel?« »Hidalgo, wieso steht die Tür offen?« sagte der unsichtbare Capitan scharf. Die Dielen knarrten unter Stiefeln. Die Tür wurde weiter aufgeschoben, der fette, schwitzende Gendarm trat in den Gefängnistrakt und schloß die Verbindungstür hinter sich. Dem Gendarm lief der Schweiß über das runde Gesicht, aus dem gezwirbelten Schnurrbart und am Hals hinunter hinter den dunkel gefärbten Uniformkragen. Böse funkelten seine großen Froschaugen mich an. »Was hast du erlauscht, Halunke?« fauchte er mich an, griff nach dem Gitter und rüttelte es. Ich trat schnell zurück. Irgendein Ärger mit anderen konnte von dem Mann zu leicht auf mir abgeladen werden. Denn er war der einzige Ortsgendarm, wie ich inzwischen wußte. Er bestimmte, was hier geschah, solange ich im Gefängnis saß. »Was hast du gehört?« Der Gendarm Hidalgo griff in die Hosentasche und zog den Schlüssel für die Zelle heraus. »Ich habe gehört, daß sie mich hier noch nicht umbringen wollen«, sagte ich. »Ist das vielleicht ein Geheimnis?« Brummend steckte der Gendarm den Schlüssel wieder ein. »Und was sonst noch?« »Nichts. Aber ich möchte daran erinnern, daß ich seit heute morgen nichts zu essen erhielt.« »Der Satan soll dich holen, wenn du lauschst!« Der Gendarm fluchte. Meine übrigen Worte strafte er mit Mißachtung. Er wandte sich noch immer fluchend der Verbindungstür zu und öffnete sie. »Er hat nicht gelauscht«, sagte er, während er die Station betrat und die Tür schloß. Ich trat ans Gitter zurück und lauschte. Die Stimmen waren zwar leiser, aber immer noch zu verstehen. Mahon Tabor mühte sich noch
einmal, den Capitan hinsichtlich meiner Exekution zu beeinflussen. Es gelang ihm nicht, wie ich den Reaktionen des Offiziers entnahm. Dann meldete sich eine Stimme, die ich bis dahin nicht gehört hatte: »Don Carlos gibt eine Fiesta für die Sieger der Revolution, Capitan. Drüben in der Bodega. Alle, auch Sie, Capitan, sind herzlich eingeladen.« »Sage Don Carlos, daß mich seine Einladung ehrt und ich annehme. In ein paar Minuten bin ich drüben.« Hacken knallten zusammen. Die Tür schepperte. Für mich war damit klar, daß auch mein Abtransport in dieser Nacht nicht mehr stattfinden würde. Denn ich kannte ihre Gepflogenheit, den Sieg von Juarez zu feiern. Das konnte lange dauern und endete in der Regel in einem totalen Besäufnis. So war möglicherweise auch am nachfolgenden Tag noch nicht mit dem Ritt nach Süden zu rechnen. Nacheinander schienen die Männer die Station zu verlassen. Als die Dunkelheit über die Stadt sank, öffnete sich die Tür wieder. Der Gendarm hielt eine brennende Sturmlaterne in der Hand und trat ans Gitter. »Was gibt es denn schon wieder zu feiern?« Ich fragte es nur, um ihn von anderen, vielleicht gegen mich gerichteten Gedanken abzubringen. »Der Kaiser ist tot.« »Was?« Überrascht griff ich nach den Gitterstäben. »Die haben ihn tatsächlich getötet?« Der Gendarm maß mich mit einem kalten Blick, hakte die Lampe an den von der Decke hängenden Draht, drehte den Docht weit herunter und wandte sich ab. Mit schlurfenden Schritten ging er in seinen Dienstraum zurück und schloß die Tür. Im diffusen Licht des Gefängnisses war ich allein. »Der Kaiser ist tot«, murmelte ich und schüttelte den Köpf. Es war seit seinem Sturz damit zu rechnen gewesen. Und doch überraschte es mich. Denn er war immerhin ein Fremder, gestützt von einer großen europäischen Macht. Und er war außerdem ein Mann gewesen, den man während seiner Regentschaft nicht so recht ernst genommen und dem man auch nicht viel zugetraut hatte. Es
hieß dazu, auch dieser offensichtliche Mangel an Durchsetzungsvermögen und Führungskraft habe ihm die Abschiebung in dieses ferne Land eingebracht. Wenig später hörte ich eine andere Person, die offensichtlich hastig die Station betrat und rief: »In der Bodega randaliert der Pferdeknecht, Gendarm. Der ist bis obenhin voll.« »Komme gleich.« Ich setzte mich auf die Pritsche, schaute auf die langen Schatten der Gitterstäbe auf dem Boden und dachte an jene schillernde Gestalt des Kaisers, die mich im Grunde überhaupt nichts anging. Die Schritte des fetten Gendarms polterten durch den Nebenraum. Die Tür schmetterte zu. Im Sand der Straße verloren sich die Schritte. In der Stadt wurde es lauter. Mit der abendlichen Kühle wagten sich die Menschen aus den schützenden Hütten aus weißem Adobelehm. Allmählich schien ein Volksfest in Gang zu geraten. Ich legte mich auf die Pritsche, faltete die Hände unter dem Kopf und schaute zur Decke hoch. Im Geist sah ich mich zwischen zwei oder drei Dutzend Soldaten nach Süden reiten, dem Ende meines Lebens entgegen. Ich suchte nach einer Fluchtmöglichkeit aus dieser Lage. Aber sie ritten vor und hinter mir und rechts und links, und jeder von ihnen hielt ein Gewehr in den Händen. Ich stand wieder auf und begann systematisch die Außenmauer nach einer schwachen Stelle im Backstein abzusuchen. Dumpf schlug meine Faust gegen das Mauerwerk. Überall das gleiche Geräusch. Nirgendwo schallte es heller an meine Ohren. Bald gab ich wieder auf. Draußen ertönte wüstes Geschrei. »Du Halunke wirst dem anderen Kerl noch die Suppe verschütten«, sagte der Gendarm, als sich die Tür seiner Station öffnete. »Los, dort hinein mit ihm!« Die andere Tür wurde geöffnet und schwang nach innen. Die Lampe pendelte am Draht. Schatten schaukelten durch das Gefängnis. Ein Rülpsen hallte herein. Zwei Soldaten beförderten einen Mann
mit Kolbenhieben ihrer Gewehre über die Schwelle. Der Pferdeknecht der Stadt taumelte durch den Gang, streifte am Gitter entlang und brach zusammen. Ich stand neben der Pritsche und blickte auf die Gestalt, die sich am Gitter aufraffte. Der Gestank nach Fusel erfüllte den Trakt. Schimpfend erschien der Gendarm mit einer Blechschüssel, aus der dünner Dampf stieg. Er grinste mich durch das Gitter an. »Damit du nicht aus dem Sattel fällst, wenn sie mit dir nach Süden reiten.« Der Gendarm schloß die Zelle auf und gab mir die Schüssel. Sie war zur Hälfte mit Maismehlsuppe gefüllt. Da er mir keinen Löffel dazu gab, setzte ich die Schüssel an und wollte ihren Inhalt trinken. Doch da hatten die Soldaten bereits den Betrunkenen wieder auf die Füße gestellt und schleuderten ihn zu mir herein. Mein Arm wurde so heftig am Ellenbogen getroffen, daß mir der heiße Blechnapf entglitt. Er knallte gegen die Wand und fiel scheppernd zu Boden. * Der Betrunkene war auf die Pritsche gefallen und von dort auf den kalten Boden. Meine Maismehlsuppe rann an der Wand hinunter. Die beiden Soldaten und der Gendarm grinsten mich an. Hidalgo wischte über seine glänzenden Froschaugen, hieb die Tür zu, drehte den Schlüssel um und zog ihn ab. »Erledigt«, sagte ein Soldat, spuckte auf den Boden, schlenkerte das Gewehr über die Schulter und ging hinaus. Der andere folgte ihm. »Vertragt euch.« Der Gendarm lachte und folgte den beiden Soldaten. Auch die Verbindungstür flog zu. Die Lampe schwankte sanft an ihrem Draht. Der Betrunkene schnarchte. Ich blickte auf die Suppe, die inzwischen den Boden erreichte und dort eine kleine Lache bildete. Ich war wütend auf den Kerl, der mich um die karge Mahlzeit
gebracht hatte. Der Betrunkene wälzte sich auf dem Boden zurück. Als er auf der Schulter lag, berührte sein anderer Arm das Bein der Pritsche. In dieser Lage wurde er gehalten. Mit offenen Augen schaute er mich an. Ich sagte nichts. Der Kerl setzte sich, rieb über sein störrisch in die Luft stehendes schwarzes Haar und über das runde Gesicht. Ich schätzte ihn auf dreißig. Er erweckte den Eindruck, recht kräftig zu sein. »Was starrst – starrst du mich so an?« lallte er. »Du hast mir die Suppe aus der Hand gestoßen!« »Was – was habe ich?« Er griff hinter sich nach der Pritsche und zog sich hoch. »Du hast meine Suppe ausgeschüttet.« Es sah aus, als würde der Kerl klarer werden. »Deine Suppe?« Mit unsicheren Bewegungen tappte er auf mich zu. Mir war, als liefe direkt vor mir ein Rumfaß aus. Das widerte mich so sehr an, daß ich dem Mexikaner einen Stoß versetzte. Er taumelte zurück und fiel auf die Pritsche. Doch mit einem Fluch sprang er wieder auf und griff mich an. Seine Schnelligkeit überraschte mich. Er war auf einmal so sicher auf den Beinen, als wäre er gar nicht betrunken oder von einer Minute zur anderen ernüchtert. Die Faust traf mich. Meine Knie knickten ein, und ich drohte zu stürzen. Im letzten Moment konnte ich mich jedoch fangen, stieß mich in der Drehung von der Wand ab und rammte den Mann mit der Schulter. Er flog zurück und landete wiederum auf der Pritsche. Gegen die Wand gelehnt hatte ich ein paar Minuten damit zu tun, den Schmerz zu verdauen. Ich hatte den Kerl unterschätzt und war vom Hunger geschwächt. Langsam sackte ich zu Boden. Der Kerl kämpfte sich ächzend von der Pritsche und rückte mit bärenhaft tollpatschigen Bewegungen auf mich zu. »Du bist der Spion, he?« Seine Stimme klang sicherer. »Ich bin kein Spion und war nie einer«, erwiderte ich. »Doch, du bist ein Spion«, beharrte der Bretterschneider der Stadt
San Luce. »Überall erzählen es sich die Leute. Und dein Kaiser ist tot. Tot ist er!« Seine Sicherheit schwand. Er schwankte rückwärts und ließ sich auf die Pritsche fallen. Ich blieb in der Ecke sitzen. »Sie haben ihn erschossen«, fuhr der Mexikaner nach einer Weile fort. »Richtig erschossen. Und vorher soll er Goldpesos an das ExeExe-Kommando verteilt haben. Und er sagte – hat gesagt: Schießt gut, Soldaten! Ja, hat er gesagt, Gringo!« Der Mexikaner rülpste, blickte auf den Boden und dachte offenbar angestrengt nach. Ich stand auf. Er faßte das sofort als Angriff gegen sich auf und fuhr von der Pritsche hoch und ging auf mich los. Vor mir lag die Blechschüssel, gegen die ich trat. Sie flog ihm zwischen die Beine, was ihn aus dem Tritt brachte. Ich setzte nach, und der Kerl taumelte zum zweiten Male gegen die Gittertür, an der er zusammenbrach. »Das kann ja heiter werden«, murmelte ich, ging zur Pritsche und legte mich nieder. An Schlaf war unter den gegebenen Umständen kaum zu denken.
2. Rio Grande. Gurgelnd floß das Wasser durch das dichte Buschland der Brasada nach Osten. Lauer Wind bewegte das verfilzte Gestrüpp und ließ die hohen Buchen im Stecheichendickicht geheimnisvoll leise rauschen. Ein Knacken brach durch das Scrubb- und Salbeigestrüpp, durch die Yuccas, die Sagebüsche und über das schmatzende Moor, das überall seine tödlichen Fallen unter dünnen Moosteppichen aufgebaut hatte. Eine Eule strich mit hartem Flügelschlag über die Brasada und verschwand im Norden. Wildschweine flohen. Eine Klapperschlange ließ ein durchdringendes Rasseln hören. Ein paar mit roten Lappen gekennzeichnete Stangen markierten den Weg vom Fluß herauf, der an den Naturtücken vorbei in die relative Sicherheit der Prärie führen sollte. Mindestens dachten das
die beiden Mexikaner, die in dieser Nacht den Rio Grande durchfurtet hatten. Die Grenze lag hinter ihnen. Alle Verfolger hatten sie abgeschüttelt. Sie hielten die Pferde bei einem der Pfähle an und schauten zurück. Auch die nächste Stange ließ sich im hellen Mondlicht noch gut erkennen. Dann blickten sie einander in die stoppelbärtigen Gesichter und lächelten. »Gerettet«, sagte der eine. Der andere nickte nur. »Weiter, Amigo!« Der Sprecher schnalzte mit der Zunge. Immer höher wurde das subtropische Gehölz um sie herum. Faulende Baumstämme lagen im Dickicht, überwuchert vom Moos. Die Pferde gingen langsam und vorsichtig. Auf einmal öffnete sich eine Lichtung vor ihnen, und sie sahen zwei Zelte vor sich. Jäh zügelten sie die Pferde. Ein Feuer brannte vor den Zelten. Drei Männer saßen darum und tranken Whisky aus Flaschen. Zwei weitere standen mit Gewehren in den Händen dahinter. Es waren finstere, ebenfalls stoppelbärtige Gestalten in Lederanzügen, mit breitkrempigen Hüten auf den Köpfen. »Es sind Gringos!« flüsterte der eine Reiter. »Was dachtest du sonst? Wir sind hier in Texas, Amigo!« »Sie sehen gefährlich aus!« »Kaum gefährlicher als wir.« »Hallo!« rief einer der Amerikaner den Reitern zu. »Kommt näher, Compadres!« »Es scheinen freundliche Leute zu sein, Sancho.« »Hoffentlich«, sagte der andere Reiter skeptisch. Sie lenkten die Pferde auf das Feuer zu und stiegen ab. Die drei Amerikaner erhoben sich, grinsten die Fremden an, gingen auf sie zu und gaben ihnen ihre Flaschen. »Trinkt«, sagte der Anführer, ein großer, rothaariger Kerl mit einem quadratischen Schädel und Schultern, die an einen Kleiderschrank erinnerten. Er trug wie die anderen einen schäbig gewordenen Lederanzug und einen Colt 45 in einer tiefgeschnallten Halfter am Patronengurt.
Die Mexikaner waren abgesessen, nahmen die Flaschen und tranken erleichtert, da sie sich unter neu gewonnenen Freunden wähnten. »Setzt euch, ihr habt sicher Hunger.« Sie wurden genötigt, sich ans Feuer zu setzen, während einer ihre Pferde zu den Tieren der Amerikaner hinter den Zelten führte, wo er sie am Rande der Lichtung anband. »Ich bin Jolan Brewster«, sagte der rothaarige Anführer. Er stellte die Pfanne an den Rand des Feuers, schlug Eier hinein, die er einem Beutel entnahm, und warf den beiden Mexikanern ein Maisbrot zu. »Es scheint, als hättet ihr uns erwartet, Senor«, sagte der eine Mexikaner. »Haben wir auch.« Brewster zeigte die kräftigen Zähne beim Grinsen. »Unsere Stangen führten euch in unser Camp.« »Wir dachten …« Der Mexikaner brach ab. »Ihr dachtet, die führen euch sicher durch die Brasada und in die Prärie, was?« »Ja, Senor Brewster.« »Irrtum.« Brewster rührte die Eier und schob die Pfanne weiter ins Feuer. »Die Stangen wurden von uns aufgestellt und führen von der Furt hierher. Aus der Brasada muß man sich seinen Weg selbst suchen.« »Oder suchen lassen«, setzte der nächste der Amerikaner hinzu. »Von Leuten, die diesen Weg kennen.« »Gegen Bares«, sagte der dritte Kerl grinsend. Brewster rührte die Eier. »Es kommen in dieser Zeit viele Leute von Mexiko herüber. Sie fliehen vor der neuen Regierung, die ihnen wie eine Faust im Genick sitzt. Hatten wohl mit der alten Regierung zu tun. Aber das interessiert uns nicht. Wir vermieten unsere Kenntnisse über die Brasada. Für ein paar Pesos.« »Sie würden uns also führen, Senor Brewster?« »Selbstverständlich. Für einen Peso pro Nase. Die Pferde nicht mitgerechnet.« Die Kerle brachen in wieherndes Gelächter aus. Die beiden Mexikaner schienen erleichtert. »Das ist uns die Sache natürlich wert«, räumte der eine sofort ein.
»Das freut mich zu hören, Senor …« Brewster reckte den Kopf vor. Der Mexikaner zögerte, gab sich jedoch einen Ruck und erwiderte: »Sancho Castro, Senor Brewster. Mein Freund heißt Perez. Juan Perez!« »Freut mich, Senor Castro.« Brewster rührte die Eier in der Pfanne, schaute aber freundlich grinsend auf die Mexikaner. »Natürlich müssen wir den Tag abwarten. Bei Nacht ist es selbst für uns gefährlich. Und Sie wollen ja in einem neuen Leben und nicht in der Hölle ankommen.« »So ist es.« Brewster gab die Pfanne über das Feuer. »Dem Kaiser von Mexiko zu Diensten gewesen?« forschte er. Sancho Castro zierte sich mit der Antwort, legte den Kopf schief und hob die Schultern an. »Wir waren nur Bedienstete«, sagte Perez. »Kleine, eigentlich unwichtige Leute.« »Na, so unwichtig seht ihr aber nicht aus.« Brewster lachte polternd. »Ein bißchen tiefstapeln, wie?« »Beamte«, gestand Castro darauf. »Im Finanzausschuß des Kaisers.« »Verstehe. Ihr habt ihm gesagt, wo noch ein paar Pesos abzuholen wären.« Brewster nickte wissend. »Dann dürftet ihr bei den Juaristas auf einer besonders schwarzen Liste stehen.« Die beiden duckten sich wieder und blickten aus schwarzen Augen scharf und wachsam über das Feuer. Doch Brewster grinste. »Interessiert mich wirklich nicht, Senores. Ihr seid in Sicherheit.« Er nahm eine neben ihm stehende Flasche aus dem Gras. »Auf das zukünftige Leben. Möge es besser verlaufen als das alte!« »Darauf trinken wir, Senor Brewster. Und wir werden auch jeder zwei Peso bezahlen, wenn Sie und Ihre Freunde uns morgen in die Prärie bringen.« »Das hören wir gern.« Brewster stand auf, beugte sich über das fast niedergebrannte Feuer und stieß seine Flasche mit denen der beiden Mexikaner zusammen.
Die vier anderen Männer standen hinter den Geflohenen und achteten genau auf jedes Wort, das sie wechselten. Brewster bot den beiden das kleinere der Zelte an und versprach, sie bei Sonnenaufgang zu wecken. Dann animierte er sie noch, den ganzen Whisky aus beiden Flaschen in ihre ausgemergelten, müden Körper zu schütten. Das hatte den Erfolg, daß sie etwas unsicher bald darauf zu dem Zelt schwankten. Brewster hielt ihnen die Plane auf und schob sie nacheinander hinein. »Gute Nacht, Senores!« Er ließ die Plane fallen, tippte an seinen Hut und ging zu den vier anderen zurück. Die grinsten hinterhältig. »Finanzbeamte«, sagte einer. »Die haben dafür gesorgt, daß die Leute in den Städten und die Campesinos keinen Knopf mehr als unbedingt nötig in den Taschen haben.« »Auf die sind die Juaristas unter Garantie so wild wie der Teufel auf die Seelen der Armen«, setzte der nächste hinzu. Ihr Grinsen wurde noch hinterhältiger. Brewster schaute zu dem kleineren Zelt zurück. Dann faßte er die Kumpane ins Auge. »Milt, du bist an der Reihe. Sobald sie fest schlafen, haust du ab!« »Wird erledigt«, sagte Milt Power, stoppelbärtig und rauh aussehend wie die anderen. »Das dürfte nicht mehr lange dauern. Genug Bettschwere hat ihnen das bißchen Fusel verschafft.« * Milt Power verließ das Lager und ritt hinunter zum Rio Grande. Wie ein Silberband schimmerte der Fluß in der Mondnacht. Er ritt zur Furt, die auf beiden Flußseiten von einem dunklen Pfad zu den erhöhten Ufern fortgesetzt wurde. Er trieb sein Pferd ins Wasser und ritt zur anderen Seite hinüber. Dabei passierte er die tiefste Stelle fast genau in der Mitte. Dort reichte dem Pferd die mäßige Strömung gerade bis an den Bauch. Power ritt zum Ufer hinauf und in das raschelnde Dickicht. Er kannte seinen Weg und fand ihn trotz der Nacht mit unfehlbarer
Sicherheit. Nach zwanzig Minuten erreichte er eine kleine Lichtung, auf der eine Blockhütte stand. Er hielt an und stieß zwei langgezogene Pfiffe aus. Gestrüpp raschelte links von ihm. Zwei Rurales, mexikanische Grenzpolizisten, ritten aus dem Dickicht. Ihre Gewehre waren auf Power gerichtet. »Brewster schickt mich«, sagte der Amerikaner auf spanisch. Die Rurales näherten sich. Power grinste sie an. »Wir hätten wieder was für euch. Finanzbeamte aus der Umgebung des gestürzten Kaisers. Sie heißen Sancho Castro und Juan Perez. Müssen einen ziemlich langen Fluchtweg hinter sich haben, wie sie aussehen.« »Ich schaue nach, ob sie auf dem Fahndungsblatt stehen.« Der eine Mann lenkte sein Pferd zur Hütte, saß vor ihr ab und ging hinein. Licht flammte auf. Durch das Fenster sah Power, wie der Grenzreiter der neuen mexikanischen Regierung verschiedene Blätter durchsah. Dann tauchte er in der Tür auf. »Sancho Castro und Juan Perez?« fragte er. »Ja.« Der Mann legte die Blätter weg, löschte die Lampe und schloß die Tür. Er saß auf und ritt zu Power zurück. »Das sind zwei ziemlich fette Brocken.« Einträchtig grinsten sich die drei Reiter an. »Wieviel?« fragte Power. »Jeder dreihundert Pesos.« »Donnerwetter!« entfuhr es Power. »Das ist in der Tat eine stattliche Summe. Habt ihr genug da, um sie übernehmen zu können?« »Wir werden das Geld in zwei Stunden haben«, erwiderte der Rurale. »In Ordnung. In zwei Stunden am Fluß. Das alte Zeichen!« Die Rurales nickten. Milton Power wendete sein Pferd und verließ die Lichtung. »Sechshundert in einer Nacht«, murmelte er. »Das Geschäft wird von
Tag zu Tag besser.« * Langgezogen hallten die Pfiffe des Banditen über den Rio Grande und verklangen in der Nacht. Sie hielten an einer anderen Stelle, da sie den Lockpfad nicht in Gefahr bringen wollten. Niemand sollte zufällig Zeuge ihres üblen Geschäfts mit Flüchtlingen werden, das Jolan Brewster als seine ureigenste Erfindung bezeichnete. Drüben, auf der mexikanischen Seite, teilte sich das Gestrüpp, und die beiden Rurales ritten zum Ufer hinunter. Auf texanischer Seite wurden die Gefangenen auf den Pferden liegend aus dem Dickicht geführt. Sie waren im Schlaf niedergeschlagen, gefesselt und geknebelt worden und wußten zur Stunde noch nicht, wie ihnen überhaupt geschah. Schon auf fremden Boden gerettet, waren sie doch noch von ihrem ungnädigen Schicksal eingeholt worden. Opfer des Geldes, das sie den neuen Herren in Mexiko wert waren und was amerikanische Banditen sich zu verdienen gedachten. Sie ritten in den Rio Grande und der Sandbank entgegen, die mitten im Bett aus den Fluten ragte. Die Rurales waren früher dort und zügelten die Pferde. Jolan Brewster setzte sein Pferd an die Spitze seines kleinen Zuges und trabte der Sandinsel entgegen. Wasser spritzte schäumend hoch. Brewster ritt zum flachen Uferstreifen hinauf und zügelte das Tier. Die Rurales hielten keine Waffen in den Händen. Auch die Gewehre der Banditen steckten in den Scabbards. Brewster tippte grüßend an seinen Hut. »Fetter Fang, was?« Die Grenzpolizisten grinsten nur und schauten dann an Brewster vorbei auf die quer über den Sätteln liegenden Gefangenen. Der Zug hielt. Brewster und die Rurales saßen ab. Die Mexikaner traten zwischen die Pferde. Brewster zog die Gefesselten an den Füßen von den Sätteln und ließ sie los. Sie schlugen in den Sand und wurden mit dem Fuß auf den Rücken gewälzt.
Einer der Rurales beugte sich über sie, entfernte die Halstücher und sagte jedesmal: »Spuck den Knebel aus.« Die Gefangenen taten es. Der Grenzpolizist nannte ihre Namen, und da sie wußten, daß ihr Schicksal besiegelt war, nickten sie ergeben. Brewster und seine Kumpane quittierten es mit zufriedenem Grinsen. Der rothaarige Bandenführer richtete sich zu seiner vollen Größe auf und trat zurück. Während der eine Rurale noch ein paar formelle Fragen an die Gefesselten richtete, trat der andere zu seinem Pferd und zog einen kleinen Leinenbeutel aus der Satteltasche. Brewster und seine Banditen schauten wie Süchtige auf den Beutel in der Hand des Mannes. Der warf ihn über die unglücklichen Gefangenen weg, und Jolan Brewster fing ihn auf. Laut klimperten die Münzen. »Willst du es nachzählen?« fragte der Mexikaner. »Das dürfte überflüssig sein.« Brewster bemühte sich, freundlich zu erscheinen, da er genau wußte, wie sehr sie bei diesem Geschäft auf die Rurales angewiesen waren. Da es sich umgekehrt aber ebenso verhielt, gaben sich auch die Grenzpolizisten erdenkliche Mühe mit den amerikanischen Banditen. Brewster konnte also mit Fug und Recht davon ausgehen, daß sie nicht übers Ohr gehauen würden. Die beiden Rurales durchschnitten den Gefangenen die Fußfesseln und zerrten sie auf die Beine. Der eine nahm eine Peitsche zur Hand, die aufgerollt an seinem Sattelhorn hing. Er rollte sie mit einer schlenkernden Bewegung auf und rief: »Vorwärts, müdes Gesindel!« Der zweite Rurale saß ebenfalls auf, nahm die beiden übrigen Pferde am Zügel und folgte seinem Kameraden. Die amerikanischen Banditen würdigte er keines weiteren Blickes. Brewster und seine Kumpane schauten den Mexikanern nach, bis hinter ihnen die Büsche auf dem mexikanischen Uferstreifen zusammenschlugen. Dann erst saßen sie auf und ritten ohne Eile in die grüne Hölle der texanischen Brasada zurück. »Sechshundert Buck in einer Nacht«, sagte einer der Kerle. »Und das wird noch eine schöne Weile gehen, bis die letzten
mexikanischen Flüchtlinge türmen konnten oder hingerichtet wurden«, erklärte Brewster selbstzufrieden. »Und sechshundert Bucks sind auch nicht gleich sechshundert Bucks«, sagte Milton Power. »Sechshundert Goldpesos sind viel mehr wert als sechshundert Dollar!« Bald hatten sie den durch Pfähle markierten Pfad durch die Brasada erreicht und folgten ihm zu ihrem Versteck – zu Jolan Brewsters kompletter Menschenfalle.
3. Irgendwann war ich eingeschlafen. Und irgendwann noch tief in der Nacht erwachte ich wieder. Jäh erinnerte ich mich an alles, was geschehen war, und fuhr in die Höhe. Doch der Betrunkene lag noch an der Gittertür. Er schnarchte laut. Neue Fuseldünste breiteten sich im Gefängnis aus. Meine Hände rieben über das Gesicht. Ich nahm die Füße von der Pritsche und überlegte, was mich geweckt haben könnte. Da vernahm ich ein Kratzen an der Außenmauer und hörte ein leises Zischen. Ich erhob mich, trat an die Wand und lauschte. Meine Gedanken kreisten um Mahon Tabor, weil ich zuerst an einen Mordanschlag dachte, der mir gelten sollte. Tabor hatte die Soldaten vergebens dazu bewegen wollen, mich standrechtlich zu erschießen, zu hängen oder wie auch immer vom Leben in den Tod zu befördern. Nachdem der Captain sich energisch geweigert hatte, dies zu tun, rechnete ich damit, daß Tabor etwas anderes eingefallen sein könnte, um mich ins Jenseits zu befördern. Billige Handlanger würde er dafür in San Luce sicher finden. Einziges Hindernis für einen Mordanschlag waren die dicken Mauern der Gendarmeriestation, die mich noch schützten. Der Betrunkene schnarchte laut. »Ronco?« flüsterte draußen eine Stimme, die durch das hoch angebrachte, vergitterte Fenster meine Ohren erreichte. Diese Stimme erschien mir bekannt, wenngleich ich sie im Moment nicht einzuordnen vermochte. Aber irgendwo mußte ich sie schon einmal gehört haben. Und das in der jüngeren Zeit. »Ronco?« drang es etwas lauter herein.
Das Kratzen auf der Mauer wiederholte sich. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, woher in diesem Nest für mich ein Helfer kommen sollte. Aber die bekannte Stimme brachte mich doch dazu, den Hocker vom Waschständer herüberzuziehen und auf ihn zu steigen. Vorsichtig richtete ich mich darauf so weit auf, daß ich nach draußen blicken konnte. Eine schwarze Gestalt bewegte sich unter der Mauer. Als ich sie bemerkte, duckte ich mich sofort wieder. »Ich bin es, Padre Valentio!« flüsterte die Gestalt. »Padre Valentio?« fragte ich erstaunt, obwohl ich genau verstand. »Ja! Erinnern Sie sich an mich?« Und ob ich mich an ihn erinnerte. Bevor ich aus San Luce geflogen und danach von den Juaristas und Mahon Tabor wieder eingefangen worden war, hatte ich mir ein neues Pferd beschaffen müssen. Und zwar in diesem Nest im Mietstall. Dort hatte ich Padre Valentio kennengelernt. Er war gerade dabeigewesen, ein Maultiergespann zu kaufen. Aber der schlitzohrige Stallmann hatte sich angeblich nicht mehr an die vorher mit dem Padre ausgehandelte Preisabsprache erinnern können und mehr verlangt. Ich hatte eingegriffen, um den Mann an die oft unter Pferdehändlern unübliche Fairneß zu erinnern. »Mietstall«, sagte der Padre. »Ja, ich kann mich erinnern.« »Sie haben mir aus der Patsche geholfen.« »Ach, das war doch nicht der Rede wert.« Ich schaute auf den mittelgroßen, schlanken Mann, der in der dunklen Soutane größer wirkte, als er war. »Ich möchte Ihnen helfen«, fuhr der Mann fort. »Der Gendarm sitzt mit den Soldaten und den meisten Leuten der Stadt in der Bodega. Sie feiern den Tod des Kaisers.« »Ich hörte davon, Padre.« »Sie werden herausgeholt.« Ich mußte lächeln. »Der Gendarm wird kaum vergessen haben, die Tür abzuschließen. Und sämtliche Fenster sind durch dicke Gitter gesichert, Padre.« Ich hätte den Strohhalm, der sich da anbot, gern ergriffen. Daß mir jedoch ausgerechnet ein Mann der Kirche helfen wollte, erschien mir
rätselhaft und unglaublich. »Außerdem bringen Sie sich nur selbst in Gefahr«, fuhr ich fort. »Man sagt, die Juaristas und die Geistlichen stünden nicht im besten Einvernehmen.« »Kirche und Kaiser sind in allen Ländern der Welt gute Verbündete gegen das Volk gewesen«, gestand der Padre. »So ist es nur richtig, wenn Revolutionäre mit uns nichts am Hut haben. Aber es muß ja nicht immer so sein, daß die Kirche sich gegen die Massen richtet. Und es sind ja nicht alle Padres so gewesen. Eines Tages wird sich das Verhältnis der neuen Regierung zu uns ändern. Bleiben Sie jetzt munter. Ich schicke Ihnen Hilfe. Und wundern Sie sich über nichts.« Bevor ich etwas erwidern konnte, wandte sich der Padre ab und verschwand in der Dunkelheit. Ich stieg vom Hocker, schob ihn mit dem Fuß in die Ecke und lehnte mich an die kalte Mauer. Im Gang verbreitete die Lampe ihr trübes Licht. Der Betrunkene schnarchte und gab noch immer Fuselgeruch von sich. Ich fragte mich, ob ich träume oder wach sei. Aber es gab keinen Zweifel. Ich hatte Padre Valentio gesehen und gesprochen. Und es hatte auch so geklungen, als wüßte er für mich einen Weg aus diesen Mauern heraus. Mein Herz schlug schneller. Minuten reihten sich aneinander und schienen sich zur Endlosigkeit auszudehnen. Ganz fraglos war in mir eine neue Hoffnung geweckt worden. Es mußte ein fataler Schlag für Mahon Tabor sein, wenn er nach dem großen Besäufnis dieser Nacht erfuhr, daß der Gendarm eine leere Zelle aufgefunden hatte. Die Zeit verstrich jedoch, ohne daß etwas geschah. Schließlich kletterte ich wieder auf den unter das Fenster zugezogenen Hocker und spähte hinaus. Ich sah die stinkenden Müllhaufen hinter den Häusern und ein paar Holzschuppen. Etwas huschte unter dem Fenster vorbei. Sand knirschte leise. In der nächsten Sekunde beherrschten wieder die fernen Geräusche aus der Bodega die Luft. Manchmal wurde ein Lied gegrölt, dann kicherte ein Mädchen. Glas klirrte mitunter.
Da klirrten die Lehmziegel auf dem Dach. Ich sprang vom Hocker und blickte zur Decke hoch. Die leisen Geräusche setzten sich fort und entfernten sich über meinem Kopf zum linken Teil der Station hin, wo der Gendarm wohnte. Der Betrunkene rollte grunzend über den Bauch und lag mitten in der Zelle. Gestein polterte hinter der Verbindungstür. Ich wußte nicht, was es war, und hatte keine Ahnung, daß dort ein kleiner Junge durch den Kamin rutschte und in einer Wolke aus Staub und Ruß in der Amtsstube des Gendarmen neben dem Schreibtisch landete. Aber ich hörte immer noch Geräusche, und auf einmal sah ich, wie sich im trüben Lampenlicht die Verbindungstür bewegte. Eine kleine, rußgeschwärzte Gestalt tauchte im Lampenschein auf und schaute durch das Gitter in die Zelle. »Ronco?« fragte der Junge. Ich ging von der hinteren Wand zum Gitter. »Ja, der bin ich.« »Der Padre schickt mich.« Erschrocken legte der Junge sofort die Hand vor den Mund. »Das soll ich nicht sagen.« Ich schätzte ihn nach Wuchs und Aussehen auf sieben bis acht Jahre, obwohl er auch älter sein konnte. »Ich will Ihnen helfen. Wissen Sie, wo der Schlüssel ist?« »Wenn der Gendarm ihn nicht in der Tasche mit sich spazieren trägt, wird er in seinem Schreibtischkasten liegen.« Der Junge wandte sich ab. Doch bevor er ging, schaute er über die Schulter. »Ich bin Pepe, Senor.« »Und ich bin kein Senor, sondern Ronco.« Er lächelte mir zu und verschwand. In diesem Augenblick bewegte sich der stinkende Mexikaner vor mir auf dem Boden. Er rollte auf den Rücken, hatte die Augen offen und blickte hoch. Ich trat zurück. Genau das hatte mir jetzt noch gefehlt. Draußen zog der Junge die Schubladen des Tisches auf und suchte nach dem Schlüssel für die Zelle. Der Mexikaner setzte sich und zog die Beine an. Sein glitzernder, leicht verschwommener Blick war weiterhin auf mich gerichtet, und ich wurde das Gefühl nicht los, von einer Giftschlange anvisiert zu
werden. Der Junge suchte immer noch. In der Zelle griff der Kerl haltsuchend nach den Gitterstäben, richtete sich auf und zog den Kopf ein. Sein Oberkörper beugte sich vor, was mir signalisierte, daß ein neuer Angriff seinerseits unmittelbar bevorstand. Er unterzog sich auch nicht mehr der Mühe, eine Kanonade übler Beschimpfungen und Drohungen vorauszuschicken. Er stieß sich vom Gitter ab und raste los. Ich hatte allerdings genügend Zeit, mich darauf einzustellen. Mir blieb sogar die Wahl, ihm die Faust entgegenzudonnern oder auszuweichen. Ich entschloß mich zu letzterem, trat zur Seite und ließ ihn ins Leere laufen. Er rannte gegen die Wand, prallte mit dem Schädel dagegen und fiel um. Doch das war noch nicht das Ende. Er rappelte sich auf. »Ich bringe dich um!« drohte er und griff wieder an. Diesmal stoppte er sich selbst, bevor ich ihn noch einmal auflaufen lassen konnte. Seine Faust schwang hoch. Ich setzte zurück, nahm damit dem Hieb die Wirkung, schob den Arm zur Seite und sprang wieder vor. Mein Kinnhaken traf. Er taumelte. Ich nutzte den Vorteil und setzte nach. Der Kerl schwankte nach links und stürzte zu Boden. Der Junge stand mit großen Augen im Gang unter der trübe brennenden Lampe. Ich schaute ihn an. »Hier, der Schlüssel!« Er lachte über das rußverschmierte Gesicht und zeigte den unförmigen Schlüssel für das massive, aber recht primitive Kastenschloß. Dann schob er ihn in das Schlüsselloch, drehte ihn um und öffnete die Tür. »Kommen Sie, Padre Valentio wartet hinter der Station, Ronco!« »Still, du sollst doch keine Namen nennen!« »Ach so!« Wieder legte der Junge die Hand auf den Mund. »Ich habe es vergessen. Aber Senor sage ich nicht mehr.« Besorgt schaute ich auf den Mexikaner, doch der hatte offenbar wieder das Bewußtsein verloren und kein Wort verstanden. Aber er konnte schon bald ins Bewußtsein zurückkehren. Vielleicht gelang es ihm, so viel Lärm zu veranstalten, daß es gehört und der Gendarm unterrichtet wurde. Konnte der Kerl das hingegen nicht, würde mein
Verschwinden vielleicht erst in drei oder vier Stunden bemerkt, vielleicht auch erst spät am Tage. Das lag nur daran, wann der Gendarm sich der Mühe unterzog, nach uns zu sehen. Denn daß die Soldaten mich holen und schon früh nach Süden reiten würden, vermochte ich mir beim besten Willen nicht vorzustellen. Die würden erst mal ihren Rausch ausschlafen. Und darüber verging vielleicht der nächste Tag. »Schnell, schnell!« drängte der Junge. Ich schaute ihn an. »Wir müssen den Kerl fesseln und knebeln. Sonst schlägt er Alarm.« »Es liegen Handschellen im Tischkasten. Soll ich Sie holen?« »Ja.« Pepe lief durch die Verbindungstür. Ich beobachtete den Bewußtlosen, dem immer noch der Fuseldunst entstieg. Als Pepe gleich zwei Paar Handfesseln brachte, legte ich diese dem Mexikaner an den Händen und Füßen an, wobei ich seine Hände durch das Gitter zog und die Schelle dahinter am linken Handgelenk einschnappen ließ. So konnte er, wenn er erwachte, nicht aufstehen und an den Lichtschacht gehen. Außerdem fand ich ein Taschentuch in seiner Hose, steckte es ihm in den Mund und band ihm das Halstuch so darüber, daß er den Knebel nicht ausspucken konnte. »Das ist ganze Arbeit«, sagte der Junge fachmännisch. »Aber jetzt wird es Zeit!« »Geh voraus.« Er wandte sich sofort um und lief durch den Gang. Ich schob noch die Zellentür zu, drehte den Schlüssel um, nahm ihn mit und legte ihn draußen in einen noch offenstehenden Kasten. »War er hier drin?« »Ja. Aber warum solche Mühe?« »Wenn der Gendarm nachsieht und ihn findet, denkt er sicher, es wäre alles in Ordnung. Er ist ziemlich faul. Kann sein, er sieht dann nicht nach.« Ich schob deswegen auch die Verbindungstür zu. Pepe stand an einer schmalen Hintertür, die ein dicker Eisenriegel sicherte. Er schob ihn zurück, öffnete die Tür und glitt hinaus. Ich sah ihn nicht mehr, ging auf die offene Tür zu, verließ die Station und atmete die klare Nachtluft ein.
Padre Valentio stand an der weiß schimmernden Mauer und strahlte mich an. »Dem Himmel sei Dank.« »Vor allem Ihnen und Pepe«, erwiderte ich in der Überzeugung, daß der Himmel mir nicht geholfen haben würde. Lauter als in der Zelle waren hier draußen das Gelächter und der Gesang aus der Bodega zu hören. Vor uns aus einer Gasse schwankte eine Gestalt. Hastig griff ich nach dem Arm des Padre und zog ihn an die Wand der Station. Pepe ging in die Hocke, um nicht bemerkt zu werden. Der Mexikaner taumelte lallend auf die Müllhalden zu, vermochte sie dann zu umgehen und verschwand in einem Lagerschuppen, der kein Tor hatte. »Er wird dort schlafen wollen, weil er sich so nicht zu seiner Frau wagt«, murmelte Padre Valentio. »Gott möge ihnen verzeihen, diesen armen, schwachen Sündern.« Valentio schaute mich an. »Ich möchte Ihnen danken, Padre. Ohne …«. Er hob die Hand und unterbrach damit meinen Satz. »Schnell, gehen wir weg von hier!« Pepe und ich folgten dem mittelgroßen Mann in der dunklen Soutane. Er führte uns hinter den Häusern entlang zu der kleinen Kirche des Ortes, neben der sich ein nicht sehr hoher, viereckiger Glockenturm mit einem Holzkreuz darauf erhob. An der rückwärtigen Wand der Kirche blieben wir stehen. Padre Valentio schaute sich sichernd um. Niemand war in der Nähe zu sehen. Nichts bewegte sich. Nur das Lachen, Kreischen und Singen erreichte von der Bodega her unsere Ohren. Der Geistliche öffnete eine Tür und schob Pepe und mich in das Dunkel der Kirche. Ich trat ein paar Schritte in einen Gang und blieb stehen. Auf dem Altar brannten zwei lange Kerzen in hohen, silbernen Haltern. In ihrem matten Schein waren das Kreuz an der Wand und zwei kleine Reihen Betstühle zwischen uns und dem Altar zu erkennen.
4. Wir waren allein. Padre Valentio schloß die Hintertür. Pepe berührte meine Hand und schaute zu mir hoch. Ich konnte sein schwarzes Gesicht nicht erkennen, dafür seine leuchtenden Augen. Der Padre räusperte sich. »Ich kam immer noch nicht dazu, Ihnen zu danken«, sagte ich. »Nein, nein, das war ich Ihnen schuldig«, wehrte er ab. »Sie haben mir im Mietstall sehr geholfen, als ich das Gespann Maultiere holte und der unverschämte Kerl mir auf einmal einen höheren Preis abnehmen wollte. Das Schlimme war dabei, ich hätte nicht mehr als vereinbart bezahlen können. Die Kirche ist völlig verarmt. Manche unserer Gotteshäuser sind geplündert worden.« »Trotzdem haben Sie wesentlich mehr für mich getan und riskiert als ich für Sie«, sagte ich. »Sagen Sie das nicht.« Der Geistliche lächelte flüchtig. »Es könnte ein Irrtum sein.« Ich stutzte. »Denn ich hätte noch einen Wunsch. Sie waren doch unterwegs nach Norden, als man Sie von hier aus verfolgte und zurückbrachte?« »Ja. Ich will nach Texas.« Padre Valentio schaute mich zögernd an und strich Pepe über den schwarzen Wuschelkopf. »Um was geht es denn?« fragte ich, weil ich spürte, daß der Padre noch ein Anliegen hatte. »Es werden in dieser Zeit viele Menschen verfolgt.« »Ich weiß.« »Auch Pepes Familie.« Ich blickte auf den Jungen. »Mein Vater war Offizier der Garde, Ronco!« »Ach so.« Ich schaute wieder auf den Padre und begann etwas zu ahnen. Valentio hatte noch die Hand auf Pepes Kopf liegen. »Aber Gott, dem Allmächtigen, hat es gefallen, ihn zu sich in sein himmlisches Reich zu rufen.« »Ja«, sagte Pepe leise. »Er ist tot. Aber Mama, Onkel Ernesto,
Lucinda und ich haben uns beim Padre versteckt.« Ein paar Sekunden war es still zwischen uns. »Sie heißen Baranca«, erklärte Valentio schließlich, »und stammen auch nicht aus dieser Stadt. Niemand wird sie hier vermuten. Doch sie können nicht ewig in meinem Keller bleiben. Sie müssen weiter. Außer Landes! Es würde zu sehr auffallen, wenn ich ständig mehr Lebensmittel beschaffe, als ich verbrauchen kann. Man wird sie mir auch nicht gern geben. Es sind schlimme Zeiten.« »Mit anderen Worten, ich soll die Barancas nach Texas bringen?« fragte ich. Die Erleichterung des Padre war trotz des diffusen Lichts zu erkennen. »So ist es, mein Sohn. Sie brauchen einen Führer, weil Ernesto Baranca ein kranker Mann ist. Die Lunge …« Pepe befreite sich aus dem Griff des Padre und lief hinter den Betstühlen nach links. »Komm, Ronco! Ich zeige dir unser Versteck!« Ich wartete jedoch, weil der Padre sich noch nicht bewegte. »Die Maultiere habe ich für diese Familie besorgt«, erklärte Valentio. »Hatten sie denn nichts, als sie hier ankamen?« »Nein, nichts. Sie erschienen nachts zu Fuß, der kranke Mann auf die Senora, seine Schwägerin, gestützt. Und sie gingen auch gleich zur Kirche, dem einzigen Haus, in dem sie mit Hilfe rechnen konnten. So mußte ich zunächst vieles möglichst ohne Aufsehen beschaffen. Auch einen Wagen. Leider ist es ein recht altes Gefährt. Aber ich hoffe, es wird bis hinter den Rio Grande zusammenhalten.« »Und wo haben Sie das alles?« »Ein Lagerhaus der Kirche steht in der Nähe. Niemand geht dorthin.« »Aha.« Ich schaute auf Pepe, der nach ein paar Yards wieder stehengeblieben war und ungeduldig winkte. »Wollen Sie versuchen, diesen armen Leuten zu helfen, Senor? Die Familie kann nichts dafür, daß ihr Oberhaupt ein Offizier war. Und er konnte nichts dafür, daß sein Vorgesetzter ein Kaiser war. Alles geschieht, wie Gott es uns bestimmt. Es entzieht sich dem menschlichen Einfluß.«
»Ich will versuchen, diesen Leuten zu helfen, Padre. Aber ich muß Ihnen dazu sagen, daß ich mich in dieser Gegend auch nicht auskenne. Die Barancas hätten es vielleicht ebenso gut allein riskieren können.« »Nein, sie haben allein keine Chance«, widersprach der Padre sofort. »Sie sind völlig konfus und würden allein vielleicht nicht einmal die Richtung halten können. Und bei dem Chaos im Lande gelangten sie auch nicht mehr weit.« Pepe stand immer noch in der Nähe und schaute zurück. Der Geistliche bekreuzigte sich und ging vor mir her. Pepe hastete weiter. Sie öffneten eine Tür in der Seitenwand, die ich erst sah, als sie erreicht war. Schwacher Lichtschimmer drang herauf. Undeutlich erkannte ich eine in die Tiefe führende Treppe. »Wir haben es geschafft!« rief Pepe und stürmte hinunter ins Zwielicht. Padre Valentio ging an mir vorbei. »Folgen Sie mir«, sagte er. Gespannt auf das, was mich hier erwartete, ging ich hinter dem Geistlichen her. Der Lichtschein wurde heller. Die Stiege beschrieb einen Bogen und führte in einen großen Kellerraum mit feucht schimmernden Wänden, der sicher auch am Tage nichts von der Hitze ahnen ließ, die oben herrschte. * »Das ist Ronco!« rief der Junge. Ich blieb auf der letzten Stufe stehen und blickte auf die Menschen zwischen dem Gerümpel, das irgendwann einmal hier abgelagert und inzwischen von Spinnen mit dichten Geweben überzogen worden war. Die Frau, schätzungsweise fünfzig Jahre alt, trat mir entgegen. Sie war eine große Person mit strengen Gesichtszügen. Ihr schwarzes Haar führte im Nacken zu einem Knoten zusammen, was die Strenge des Gesichts noch unterstrich. Obwohl sie zerfetzte, schmutzige Leinenkleidung trug, waren ihrer Haltung und ihren Bewegungen die ehemaligen besseren Zeiten noch anzumerken. »Dona Lisa«, erläuterte der Padre.
Ich gab ihr die Hand und blickte in ihre dunklen Augen. Sie hatte Falten im Gesicht und so etwas wie Resignation in den Augen. Aber in diesen Sekunden erschien auch ein Schimmer neuer Hoffnung in ihrem Blick. »Er wird uns nach Texas führen«, verriet der Junge ziemlich vorwitzig. Der Mann im Hintergrund hustete. Ich schaute an der Frau vorbei zu ihm und sah eine ausgelaugte, schmale Gestalt, die sich im Hustenanfall krümmte. Sein hohles Gesicht rötete sich dabei, und ein paar Tränen rollten aus seinen Augen und über den scharfen Nasenrücken. Er war wie die Frau in Lumpen gekleidet. Bei ihm deutete nichts mehr auf die besseren Zeiten hin, die sie in der Oberschicht des Landes verbracht hatten. Sein Hustenanfall ging vorbei. Rasselnd atmend erhob er sich und trat mit gekrümmtem Rücken neben die Frau. Bestimmt war er zehn Jahre älter als sie. »Er ist krank«, sagte die Frau. »Er müßte dringend in ärztliche Behandlung. Aber hier dürfen wir es nicht wagen, einen Arzt aufzusuchen. Sie sind hinter uns her, weil mein Mann Major war. Sie wollen uns alle vernichten. Sogar einen Kopfpreis haben sie ausgesetzt. Ist das nicht eine Schande? Die Kinder …« Die Frau brach ab und deutete auf ihre Tochter, die sich schüchtern von ein paar halbvollen Säcken mit ihrer Habe erhob und näher trat. Lucinda konnte nicht älter als sechzehn sein. Sie war mittelgroß, zart von Gestalt, hatte schwarze Mandelaugen und das ebenfalls schwarze Haar zu zwei Zöpfen geflochten. »Ich dachte, er wäre älter«, sagte der Mann hohl. Es klang enttäuscht. Er wandte sich ab, ging mit schlurfenden Schritten zu der Kiste zurück, auf der er vorher gesessen hatte, und ließ sich wieder nieder. »Nun, er ist noch jung.« Padre Valentio lächelte mich an. »Aber ist das entscheidend?« »Nein, es ist unwichtig«, erklärte die Frau. »Wenn er nur mehr Erfahrung hat als wir und mehr Übersicht bewahrt.« »Ich werde tun, was in meiner Macht steht«, sagte ich. Und ich konnte auch den kranken Mann in seiner Angst vor den Schergen begreifen. Ich war ein junger Mann mit schulterlangen, blonden
Haaren, groß und schlank. Ein Poncho verdeckte meine übrige Kleidung bis auf Teile der ausgebeulten Hose und die Texasstiefel. In diesem Moment fiel mir mit Erschrecken ein, daß ich meine Waffen in der Gendameriestation vergessen hatte. Ich wurde bleich. »Was haben Sie denn?« fragte der Padre entsetzt. »Wird Ihnen schlecht, Ronco?« »Mir fiel eben ein, daß ich meine Waffen in der Station gelassen habe.« »Die Hintertür ist noch offen«, sagte Pepe. »Gehen wir noch mal zurück?« Ich nickte dem Jungen zu. »Ich möchte Sie recht herzlich bitten, uns zu führen, auch wenn wir nichts haben, was wir dafür …« Ich wehrte ab und brachte die Frau damit wirklich zum Schweigen. Doch kaum sank meine Hand herab, fuhr sie fort: »Es müßte aber noch in dieser Nacht geschehen.« »Selbstverständlich, Senora«, entgegnete ich. »Auch ich kann hier keine Minute länger verweilen. Ich werde also meine Waffen und ein Pferd beschaffen.« »Ihr Pferd wurde in den Mietstall zurückgebracht«, sagte der Padre. »Dann wird es dieses Schlitzohr noch einmal verkaufen wollen«, sagte ich. »Aber das werden wir ihm vermasseln.« Padre Valentio ging an mir vorbei. »Dann laßt uns alles auf den Wagen im Schuppen laden.« Lucinda trat rasch auf die Stufe, auf der ich stand. Sie griff nach meinem Arm, errötete erneut, küßte mich und ging zurück. »Auch ich danke Ihnen, Ronco.« Ich wußte nicht, wie mir geschah, und spürte ein Gefühl der Wärme, wie ich es lange nicht mehr erlebt hatte. »Dann wollen wir jetzt gehen«, sagte der Junge. Er lief die Treppe hinauf, und ich folgte ihm. Oben passierten wir die Betstühle und verließen die Kirche durch die hintere Tür. Es war noch immer tiefe Nacht. Mehr als ein paar Minuten hatte der Besuch im Keller auch nicht gedauert. Überhaupt konnte seit meiner Befreiung noch keine halbe Stunde verstrichen sein.
Das Grölen aus der Bodega schallte nach wie vor durch die Stadt. Ich dachte an den Rotfuchs, den ich hier im Mietstall erworben hatte. Wenn ich mir dieses Pferd zurückholte, war das noch nicht einmal Diebstahl. Denn für das Tier hatte ich bezahlt, und keiner war auf den Gedanken verfallen, mir einen Peso zurückzugeben. Die Hintertür der Gendarmeriestation stand einen winzigen Spalt offen. Wir hatten das nicht beachtet. Und bestimmt hätte der Gendarm das sofort bei seiner Rückkehr bemerkt, wie betrunken er dann auch immer sein mochte. Ich zog sie weiter auf, ging hinein und fand meine Waffen und das mir abgenommene Geld im Eisenspind, der unverschlossen war. Pepe war sicherheitshalber draußen geblieben und beobachtete die nähere Umgebung. Als ich das Haus verließ, suchte ich nach einem Stück Holz, das sich zwischen Tür und Rahmen schieben ließ und die Tür zuklemmte. Sie hatte von außen keine Öffnungsmöglichkeit und schien deshalb nur als Fluchtweg angelegt zu sein. Wir liefen hinter den Hütten weiter und erreichten das Gelände des Mietstalls von der Rückseite. Es bestand aus dem quer zur Straße gebauten Stall, einem Hof mit Brunnen und Heuhaufen und einem Korral. Ein paar Maultiere standen innerhalb der Umzäunung. Über der Stalltür brannte eine Lampe. Die Tür war jedoch geschlossen. Ich blickte durch den Hof. »Die Lampe brennt immer«, flüsterte Pepe neben mir. »Du hast den Stall beobachtet?« »Ja. Zuerst wollten wir uns Maultiere klauen. Woher sollten wir wissen, daß Padre Valentio sie für uns kaufen würde?« Ich mußte über Pepes direkte Art lächeln. »Er ist in der Kneipe«, fuhr der Junge fort. »Genau wie die anderen Leute. Damit will er den Soldaten zeigen, daß er ein treuer Anhänger von ihnen ist.« »Wer erzählt dir denn das alles?« fragte ich. »Onkel Ernesto. Ich erkläre ihm, was ich beobachte, und er mir, was es bedeutet.« »Ach so.« »So wäscht eine Hand die andere, sagt Onkel Ernesto.« »Aha.«
»Du verstehst gut spanisch, Ronco. Du bist doch kein Mexikaner?« »Nein. Aber jetzt sei still.« Ich schob den schiefhängenden Zaun auf der Seite weg, auf der er keine Verbindung mehr zum Pfosten hatte. Vorsichtig trat ich in den Hof. Pepe schob sich lautlos neben mich. »Wer geht zuerst?« »Du bleibst hier und paßt auf, Pepe. Wenn was passiert, wenn plötzlich jemand in den Hof tritt, dann pfeifst du.« »In Ordnung. Du kannst dich auf mich verlassen. Und vergiß nicht deinen Sattel wie vorhin deine Waffen!« Er war wirklich ziemlich vorwitzig. Wenn man ihn nur reden hörte, ohne ihn anzuschauen, mußte zwangsläufig der Eindruck entstehen, daß er wesentlich älter war, als es den Tatsachen entsprach. Ich verließ ihn, überquerte schnell das Stück Hof bis zur Stalltür und fand auch sie einen Spalt geöffnet vor. Der Riegel war zurückgeschoben, obwohl er außen einen Dorn hatte, der in einem Schlitz durch das Holz führte. Mir war die Sache nicht geheuer. Zurückschauend sah ich den Jungen im Mondlicht. Pepe winkte, daß ich hineingehen solle. Wieder schaute ich auf die Tür, griff danach und zog sie vorsichtig weiter auf. Das Licht der brennenden Lampe über mir fiel hinein. Pferde waren in verschiedenen Boxen zu erkennen. Sicher hatte der Stallbesitzer nur vergessen, den Riegel in seine Zuhaltung zu schieben. Genauso wie ich es in der Gendarmeriestation vergaß. Ich gab mir einen Ruck, trat hinein und ließ die Tür offen, um mich im einfallenden Licht orientieren zu können. Das Stroh im Gang knisterte laut unter meinen Füßen. Ein Pferd schnaubte. Mit lautem Krachen knallte ein Huf gegen eine Bretterwand, die zur Trennung der Boxen diente. Ich war stehengeblieben und hatte die Hand auf dem Griff des Colts liegen. Meine Blicke tasteten die Pferde in den einzelnen Boxen ab und versuchten den Rotfuchs zu erkennen, der wieder hier
stehen sollte. Es gelang mir nicht. Ich mußte nach einer weiteren Lampe suchen, fand sie in der Sturmlaterne, die an einem Pfosten hing, und zündete den Docht an. Warmes Licht durchflutete den Stall. Der Rotfuchs stand links von mir in der dritten Box. Stroh raschelte hinter ihm, obwohl er still verharrte. »Was ist denn das?« Ich war mit ein paar Schritten bei dem Pferd, drängte es zur Seite und sah eine Frau an der Wand.
5. Kreidebleich starrte sie mich an. Ihr rotes Haar und die flammend grünen Augen funkelten im Lampenlicht. Zerrissen hing das grobe Kattunkleid an ihrem Körper. Ich erkannte sie sofort wieder. Und es war ja auch keine Ewigkeit her, seit wir uns zuletzt gesehen hatten. In einer verfallenen, verlassenen spanischen Mission im Süden war es gewesen. Sie hatte zu einer Horde Leibgardisten des Kaisers gehört, zu Revolvermännern, die der mächtige Mann zu seiner Sicherheit aus Amerika angeheuert hatte. Die Mädchen wiederum hatte der Kaiser für diese Abenteurer beschafft, um sie bei Laune zu halten. Von den Juaristas waren dann beide Gruppen gnadenlos verfolgt worden – die Revolvermänner und ihre Mädchen, die ursprünglich aus den Saloons in Texas, New Mexico und Arizona stammten. Und mir war es widerfahren, daß ich dieser Horde begegnete. Sie auf der Flucht und ich auch. Alle zusammen verfolgt von Juaristas unter Mahon Tabor, der eigentlich nur mich haben wollte. In der verfallenen Mission waren wir gestellt worden. Gestellt und eingekreist. Jenny, wie das rothaarige Mädchen hieß, mußte das früher als wir anderen begriffen haben. Sie konnte sich noch auf ein Pferd schwingen und das Weite suchen. Mir war das später allerdings auch gelungen. Nicht auf einem Pferd, aber immerhin zu Fuß. Und ich war wie sie entwischt. Allerdings hatte ich sie bereits lange in Texas gewähnt. »Ronco«, sagte sie maßlos verblüfft. »Wie kommst du denn
hierher? Ich dachte …« Sie brach ab. »Du dachtest, sie hätten uns alle in der alten Mission über den Haufen geschossen, was?« »Na ja. Ich ahnte auf einmal, daß es das Ende ist.« »Die anderen waren ganz schön sauer auf dich.« »In unserer Situation muß jeder sehen, wie er den eigenen Hals rettet.« Ich betrachtete sie immer noch. Ihr Gesicht sah fast so schwarz wie das von Pepe aus. Ihr Haar stand zerzaust wie eine leuchtende Mähne um ihren Kopf. Das Gesicht wirkte schmal, und sie hatte schwarze Ringe unter den Augen. Hunger schien sie zu plagen. »Und wie hast du es geschafft?« fragte sie. »Seid ihr alle noch irgendwie fort?« »Nein. Ich bin abgehauen, als es günstig war. Ohne Pferd.« »Dann werden sie auf dich genauso sauer gewesen sein wie auf mich.« Ich schüttelte den Kopf. »Du vergißt, daß ich nicht zu deinen Freunden gehörte, Jenny. Genau genommen war ich ihr Gefangener. Und weißt du noch, warum sie mich nicht umbrachten?« »Ich muß es vergessen haben«, murmelte das Mädchen. »Es war wegen der fünftausend – Dollar, die mein Kopf in den Staaten wert ist. Die wollten sie sich bis zuletzt verdienen.« »Wer lebt noch von ihnen? Weißt du es?« »Mahon Tabor, mein Verfolger, sagte gestern, sie wären alle tot. Die nicht im Kampf fielen, habe man aufgeknüpft.« »Die hätten auch mich aufgehängt. Denen macht es nichts aus, eine Frau zu töten, wenn sie ihr Feind ist!« »Ich weiß, Jenny.« »Deshalb war ich der Meinung, daß jeder selbst zusehen muß, wo er bleibt.« Ich ging auf sie zu. Sie hatte Angst und wich zur Seite, obwohl ich nicht die Absicht hatte, sie anzugreifen. »Es ist mein Pferd«, erklärte ich. »Habe ich hier gekauft. Aber die Verfolger waren schon da, jagten und stellten mich. Ich war im Gefängnis.« »Und warum bist du hier?«
»Mir wurde geholfen. Die Stadt steckt voll mit Juaristas, die die Erschießung des Kaisers feiern.« Ich befreite das Pferd von der an der Wand verankerten Kette, führte es in den Gang, befestigte den Zügel am Kopfgeschirr und sattelte das Tier. »Ich habe mein Pferd in der Nähe dieser Stadt verloren«, gestand Jenny. »Schon vorgestern. Ich sah die Stadt und viele Soldaten. Deshalb hielt ich mich versteckt. Diese Nacht schlich ich hierher, sah den Stallbesitzer weggehen und drang in den Stall ein.« Sie zitterte wie Espenlaub, schob sich an der Trennwand entlang und verharrte an ihrem Ende. »Ich wollte mir ein Pferd holen. Aber als ich hier drin im Dunkeln stand, wagte ich nicht, ein Tier zu satteln. Ich hatte Angst, es könnte jemand hören.« »Wie lange bist du denn hier drin?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht drei Stunden, vier oder fünf.« Sie kam auf mich zu, umarmte mich und drängte ihren mager gewordenen, zitternden Körper gegen meinen Arm. »Laß das«, sagte ich schroff, schob sie zurück und zog den Sattelgurt nach. »Du wirst mich mitnehmen, Ronco! Du kannst mich nicht allein hier im fremden Land meinem Schicksal überlassen.« »Ich muß schon eine Familie mitnehmen«, erwiderte ich. »Und wir werden nur langsam vorangelangen. Vielleicht verfolgen sie uns sogar.« »Du wirst mich mitnehmen, hast du verstanden?« stieß sie hervor. »Wenn du dich weigerst, schlage ich Krach. Dann schaffst du es keine einzige verdammte Meile weit nach Norden.« Mir war sofort klar, daß sie der Drohung die Tat folgen lassen würde, weigerte ich mich weiterhin oder versuchte, sie mit Ausreden abzuwimmeln. »Ich tue es!« drohte sie. »Und es ist mir dann egal, was aus mir wird.« Abermals näherte sie sich mir und streichelte mit den langen Fingern sanft über meinen Arm. In ihren Augen erkannte ich das Locken. »Wir werden uns doch vertragen«, sagte sie mit veränderter, weich klingender Stimme. »Ich war doch auch nicht gegen dich, Ronco! Ich gehörte zu den anderen. Das war alles. Aber jetzt …«
In der nächsten Sekunde küßte sie mich. Es war nicht das, was mich bewog, zuzustimmen. Ich wollte von ihr nichts. Aber ich würde sie mitnehmen, um meiner Sicherheit willen. Aber auch wegen der Barancas, die ohne Führer die weitere Flucht nicht wagten. Genausowenig wie Jenny. Sie befanden sich alle mit ihren Nerven am Ende. »Also gut«, sagte ich. »Ich wußte, daß du mir helfen würdest.« Sie küßte mich abermals. In diesem Moment erschallte draußen ein Pfiff. Jenny stand schlagartig gerade und starrte auf die einen Spalt geöffnete Tür. »Was war das?« »Pepe.« »Wer ist Pepe?« »Ein kleiner Junge, der sich wie wir auf der Flucht befindet.« Ich schob sie weg und lief zur Tür. Durch den Spalt sah ich den Stallbesitzer, der angetrunken und schwankend den Hof betreten hatte. Er blieb stehen und blickte zum Korral hinüber. Offenbar versuchte er festzustellen, ob sich noch alle seine Maultiere darin befanden. »Mein Gott, was tun wir jetzt?« flüsterte Jenny entgeistert. * Pepe war auf einmal auch im Hof. Und als der Stallbesitzer weiterging, vertrat ihm der Junge den Weg. »Hallo, Senor!« rief Pepe. Schwankend blieb der Mexikaner stehen, schob sich den durchlöcherten Strohsombrero in den Nacken und wischte über seine schweißglänzende Stirn. »Wer – wer bist – bist du?« lallte er. »Kennen Sie mich denn nicht?« »Nein, verdammt, weg mit dir!« Der Kerl schlug nach dem Jungen, doch der wich aus. Ich wußte, daß Pepe den Mexikaner hinhalten und mir damit Luft verschaffen wollte. Doch das nutzte mir nichts und machte höchstens noch andere auf die Szene aufmerksam. Ich mußte den Mexikaner in den Stall treten lassen. Nur hier konnte ich ihn überraschen und
überrumpeln. Der Mann schwankte weiter, fluchte, erreichte die Tür und stutzte wieder. »He, wer war denn hier?« Er drehte sich nach Pepe um, der mitten im Hof stand. »Willst du meine Pferde klauen, du Strolch?« »Der schreit noch die ganze Stadt zusammen!« flüsterte Jenny erregt. Ich hatte auch diese Befürchtung, schob andere Bedenken zur Seite, stieß die Tür auf, packte den Mann und schleuderte ihn an mir vorbei. Erschrocken schrie er auf und taumelte gegen einen Pfosten. »Ronco!« stieß er sofort hervor. Alle Trunkenheit war von ihm gefallen wie welkes Laub von den Bäumen. Und seine Erinnerung war ebenso plötzlich wieder da. An den Verkauf des Fuchshengstes an mich, an mein Verlassen der Stadt und wie man mich zurückbrachte als Gefangenen der Juaristas. Pepe stand in der weit aufgeschwungenen Tür und brachte den Mund nicht mehr zu. Jenny wich zurück. Der Mexikaner trat gegen den Tränkeimer neben sich und schleuderte ihn mir entgegen. Ich sprang weg. Scheppernd flog der Eimer vorbei und knallte gegen die Wand. Das ganze Gebäude bebte und war erfüllt vom Lärm. Pferde schnaubten und zerrten an den rasselnden Ketten. Ich hatte keine Wahl, griff an und schlug zu. Der Mexikaner kippte ins Stroh und blieb liegen. Jenny war noch weiter zurückgewichen. Sie zitterte wieder. Ihre Zähne klapperten, und es fehlte ihr sichtbar an der Energie, sich selbst unter Kontrolle zu bringen. Ich suchte Stricke und fesselte den Stallbesitzer. Er wurde auch geknebelt und von mir zur Futterkiste gezerrt. Es war ein großer Holzkasten, in dem der Mann gut Platz hatte und sicher so schnell nicht entdeckt würde, wenn wir ein wenig Glück hatten. »Los, Jenny, reiß dich zusammen!« fuhr ich sie an. Da lief das Mädchen zu mir und packte mit zu. Ich öffnete den Deckel und winkte Pepe, ihn zu halten. Auch der Junge kam. Jenny und ich wuchteten den Mexikaner in die Kiste. Pepe ließ den Deckel
fallen. Jetzt waren wir endgültig Verbündete, mindestens bis an die Grenze nach Texas. »Wir satteln noch ein Pferd für mich«, sagte Jenny. »Nein.« Sie wandte sich zu mir um. »Warum nicht?« »Könntest du ein Pferd bezahlen?« »Von was denn?« »Wenn du keines bezahlen kannst, wirst du auch keins nehmen.« »Und du?« »Ich habe für den Fuchshengst bezahlt. Er gehört mir. Einen Pferdediebstahl begehen wir nicht.« »Als ob das in unserer Situation eine Rolle spielen würde!« stieß das ehemalige Barmädchen verächtlich hervor. »Vielleicht spielt es in dieser Lage keine Rolle«, räumte ich ein. »Aber für uns selbst ist es wichtig, Jenny.« »Inwiefern?« »Wenn man seine Lebensumstände ändert, nur weil man gejagt wird, wenn man tatsächlich zum Banditen wird, dann gibt es nie mehr ein Zurück. Und dann spielt es bald auch keine Rolle mehr, daß man einmal unschuldig ein Verfolgter war. Deswegen, Gehen wir!« Ich packte ihren Arm und schob sie vor mir aus dem Stall. Als wir den schief hängenden Zaun passiert hatten, sah ich das Morgengrauen im Osten, das bereits ein paar Handbreiten des Himmels überzog. »Mein Gott, es wird hell«, flüsterte Jenny mir zu. »Laß uns aufsitzen und verschwinden!« »Du wirst nicht mit mir reiten, Jenny. Du fährst mit einer Familie auf meinem Wagen.« »Was redest du da?« »Wir sind nicht allein. Pepe und seine Familie werden uns begleiten. Mit einem Wagen.« »Bist du verrückt?« fragte sie entgeistert. »Wann wollen wir denn dann am Rio Grande sein?« »Ich nehme an, wir werden es in drei Tagen schaffen.« »Auf Pferden schaffen wir es an einem Tag.«
»Du kannst umkehren und auf deine Art deinen eigenen Weg gehen. Los, Pepe!« Ich lief mit dem Jungen hastig hinter den Häusern entlang der Kirche entgegen. Wir mußten uns wirklich beeilen. Denn schon in einer halben Stunde würde die Helligkeit in der Stadt die Nacht verdrängt haben. Jenny lief hinter uns her, holte keuchend auf und hielt sich an mir fest. »Du würdest mich wirklich einfach zurücklassen, was? Nur wegen ein paar Greasern!« »Sage das nicht noch einmal«, warnte ich. »Sie haben demselben Herrn gedient wie du. Sie sogar nur indirekt.« * Der altersschwache Ranchwagen war bereits beladen, als wir hinter die Kirche gelangten. Ich hatte Mühe, den Barancas und dem Padre die Veränderung hinsichtlich Jennys zu erklären. Um späteren Streitigkeiten vorzubeugen, deutete ich auch an, warum die Amerikanerin einst nach Mexiko gekommen war und was sie dort getrieben hatte. Dona Lisa und ihr kranker Schwager begriffen es sofort, reagierten aber nicht darauf. »Los, Jenny, auf den Wagen!« befahl ich. Jenny kletterte auf die mit Säcken, einem kleinen Faß mit Wasser und Kartons beladene Ladefläche. Pepe stieg hinterher. Ich schaute den Padre an. »Und was ist mit Ihnen? Wollen Sie nicht mitfahren?« »Nein, ich habe hier meine Gemeinde. Die Zeiten werden auch für die Kirche wieder besser werden. Gott erlegt uns diese Prüfung auf. Wir müssen mit allen Kräften versuchen, sie zu bestehen.« Dem frommen Mann war anzusehen, daß ihn auch lange und eindringliche Reden nicht umstimmen würden. So nickte ich und gab ihm die Hand. »Danke für alles, Padre«, sagte Dona Lisa. »Ich werde die Pferde lenken«, erklärte Ernesto Baranca. Ein neuer Hustenanfall schüttelte seinen Körper. »Nein, das erledige ich«, sagte die Frau schroff. »Das ist jetzt
meine Aufgabe!« »Gute Fahrt!« Padre Valentio hob winkend die Hand. Ich stieg in den Sattel und ritt los. Es wurde höchste Zeit, zu verschwinden. Knarrend setzte sich der Wagen in Bewegung. Dona Lisa trieb die Pferde mit Peitschenknallen und Zurufen an. Sie zeigte damit ihren Kindern, daß es auch nach dem Tod des Vaters jemanden gab, der die Familie führte. Der lungenkranke Mann neben ihr hustete und krümmte sich wie ein junger Baum im Sturm. Ich lenkte mein Pferd gleich hinter der Stadt von der Straße und nach Osten. »Wohin wollen Sie denn?« fragte die Frau. Das Pferd zügelnd, schaute ich zurück und wartete, bis der Wagen sich neben mir befand. Danach ritt ich neben ihm her. »Wir sind viel langsamer als ein Reitertrupp, Dona Lisa.« »Niemand weiß von uns. Nur Sie wird man in San Luce vermissen«, entgegnete die Frau. »Das ist richtig. Aber wenn man mich verfolgt und Sie bei mir findet, dann haben wir alle den gleichen Ärger am Hals. Wenn die Reiter aber auf der Straße nach Norden niemanden mehr antreffen, werden sie annehmen, ich wäre allein und mit meinem Pferd weit vor ihnen. Vielleicht zu weit, als daß sich eine weitere Verfolgung lohnen würde.« »Er hat recht«, stimmte der kranke Mann zu. »Wir sind langsam. Aber wenn wir Glück haben, suchen sie nicht abseits der Straße zum Rio Grande, sondern nur auf ihr. Und sie suchen dann auch nicht nach einem Wagen. Nur nach einem Reiter.« »Wir werden aber viel länger brauchen, um den Rio Grande zu erreichen, Ronco«, sagte Jenny. Dona Lisa schaute sich mit eisigem Blick nach dem ehemaligen Barmädchen um. »Na ja, ist doch wahr«, verteidigte Jenny ihre Worte. »Wir werden drei Tage brauchen«, erklärte ich. »Und ich sehe darin unsere größte Chance.« Dona Lisa knallte scharf mit der Peitsche. »Ende der Diskussion«,
befahl sie. »Er ist unser Führer und bestimmt den Weg.« Ich ließ den Hengst etwas schneller gehen. Hohes Buschwerk nahm uns auf. Gefolgt von dem Wagen ritt ich hinein und vermochte die Stadt nicht mehr zu sehen. Mir war etwas wohler zumute.
6. Der Gendarm war voll bis obenhin und schwankte auf seine Station zu. Als er sie erreicht hatte, mußte er eine Weile suchen, bis er den großen Schlüssel fand, und noch ärger war es, ihn ins Schloß zu führen. Aber er schaffte es. Die Tür schnappte auf, und Hidalgo torkelte in das fahle Dunkel des Amtsraumes. Es gelang ihm noch, der Tür einen Stoß zu versetzen, so daß sie herumschwang und mit einem Krachen zuschlug. Staub rieselte von den Dachsparren. Hidalgo schwankte zum Tisch und stützte schwer die Hände darauf. Der Schädel brummte immer heftiger. »O verdammt, verdammt!« stieß er hervor. »Wer hat mich nur so vollgesoffen?« Das metallische Hallen aufeinanderschlagenden Eisens drang wie aus weiter Ferne vom Gefängnis herüber. Hidalgo bewegte den Kopf und blickte auf die geschlossene Verbindungstür. »Zum Teufel, gib Ruhe, Gringo!« schimpfte er. »Dich hängen sie noch früh genug auf!« Das Rasseln wiederholte sich. Hidalgo ging mit unsicheren Schritten auf die Verbindungstür zu. Mitten auf dem Weg wurde sein Gleichgewicht jedoch derart heftig gestört, daß es ihn regelrecht aus der Bahn warf und an die Wand schleuderte. Eine volle Minute hatte er mit der Trunkenheit zu kämpfen, die ihn partout umwerfen wollte. Danach gelang es ihm, sich von der Wand zu lösen und senkrecht zu bleiben. Er war auch so weit wieder intakt, daß er sich entschloß, in diesem Zustand nicht vor seine beiden Gefangenen zu treten. Das war für sein Image nicht gut. Und dem Pferdeknecht hätte er sogar als Unrecht an seiner Person erscheinen müssen, denn viel betrunkener als der Gendarm war er auch kaum gewesen, als man ihn einlochte.
Hidalgo schleppte sich zu der Schlafkammer und entschied damit, daß die Flucht in dieser Stunde noch nicht entdeckt werden sollte. Ein purer Zufall. * Padre Valentio stand in einer schmalen Gasse zwischen verlassenen Schuppen und beobachtete schon die ganze Zeit die Hauptstraße und die Plaza. Er hatte den Gendarm stockbetrunken aus der Bodega treten und danach die Straße überqueren sehen. Zehn Minuten waren indessen vergangen. Padre Valentio atmete auf. Seine Befürchtung, daß die Flucht entdeckt werden könne, nachdem der Wagen noch keine halbe Stunde die Stadt verlassen hatte, schien sich nicht zu erfüllen. Vorsichtshalber wartete er noch einige Minuten. Als der Gendarm jedoch nicht mehr auftauchte, konnte er sicher sein, daß er sich niedergelegt hatte und seinen Rausch ausschlief. Der Padre wandte sich ab, eilte durch die Gasse, an Yuccagestrüpp vorbei und von hinten in seine Kirche. Rasch begab er sich in den Keller und räumte alles zusammen, was von Dona Lisa und ihrer Familie zurückgelassen worden war. Zum größten Teil handelte es sich um Decken, Matratzen, Töpfe und Geschirr der Kirche. Padre Valentio bewahrte es seit Jahren auf, um Menschen helfen zu können, die in Not bei ihm erschienen und um Essen baten oder ein Lager für die Nacht suchten. Er stapelte alles sauber in einem Nebenraum des großen Kellers aufeinander, so wie es immer dort lag und kein Aufsehen erregen konnte. Das Geschirr und die Töpfe brachte er in seine Küche, wusch alles gründlich ab und stellte es danach im Keller in eine Kiste, die er mit einem grauen Laken abdeckte. Er fegte den Keller und die Treppe und suchte auch im Hof nach Spuren. Als er sicher war, daß bei ihm nichts mehr zu finden war, was auf Dona Lisa und ihre Familie hinwies, ging im Osten bereits die Sonne auf und schickte goldene Strahlen über die Stadt. Er kniete am Altar nieder und dankte seinem Gott für die Gnade.
Zugleich bat er ihn, seine schützende Hand über den Flüchtlingen zu belassen, bis sie in Texas und damit in Sicherheit wären.
7. Die Hitze zwischen den Hügeln nahm ständig zu. Jedesmal wenn ich den Fuchshengst zügelte und zurückschaute, schien es mir, als wäre der kranke Mann noch mehr in sich zusammengesunken. »Du mußt es schaffen, Ernesto«, sagte die Frau gerade wieder. »Nur noch ein paar Tage, dann finden wir einen Arzt für dich. Du wirst sehen, dann geht es dir bald besser.« Ich lenkte den Rotfuchs in die Mulde zwischen zwei Hügeln und damit nach Norden. Ein paar Präriehunde spielten vor mir neben einer Grasnarbe in der Sonne. Als sie mich entdeckten, ergriffen sie sofort die Flucht. Achtlos ritt ich an ihrem verlassenen, kaum zu erkennenden unterirdischen Bau vorbei, zu dem ein paar Löcher hinunterführten. Der mir folgende Wagen fuhr jedoch genau darauf. Das Vorderrad kam noch über den nachgebenden Boden hinweg. Das schwerer belastete Hinterrad aber nicht. Es brach ein. Die Felge und zwei Speichen barsten, der ohnehin lockere Reifen löste sich. Jenny stieß einen entsetzten Schrei aus. Der Wagen sackte so plötzlich zur Seite, daß sie nach links fiel, über die kurze Planke rollte und auf den Boden stürzte. Lucinda und Pepe konnten sich festhalten. Der Mann auf dem weniger geneigten Bock prallte gegen Dona Lisa, die sich jedoch an den Bremsgriff zu klammern vermochte. Jenny sprang auf. Ich hatte das Pferd gezügelt, rutschte aus dem Sattel und ging zurück. Dona Lisa stieg ab und half dem Mann. »Ach du meine Güte«, sagte Ernesto Baranca. »Was hat der Padre uns denn da für eine alte Chaise besorgt?« »Er hat uns gebracht, was er auftreiben konnte«, gab die Frau schroff zurück. »Dem Himmel sei Dank dafür, daß wir ihn trafen.« Ihr Blick richtete sich auf mich.
»Zum Teufel, hätte ich nur ein Pferd mitgehen lassen«, maulte Jenny und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. »Es standen mehr als genug im Stall von San Luce.« »Du sollst nicht fluchen, Jenny«, sagte Dona Lisa heftig. Ihre Augen funkelten böse. »Der Herr hört jedes deiner Worte. Und seine Strafe kann uns alle treffen.« »Dummes Zeug«, murmelte Jenny mit abgewandtem Gesicht und so leise, daß die Frau sie nicht verstand. Ich spürte, wie sich mir die Gesichter zuwandten. Und ich schaute auf das Rad im eingesunkenen Präriehundebau. Die ausgebrochene Felge bestand aus drei Teilen, die geknickten beiden Speichen aus einem halben Dutzend. »Wir haben für alle Fälle ein paar feucht eingewickelte Rohlederriemen dabei«, sagte Dona Lisa. »Wirklich?« Ich schaute sie staunend an. »Sie sind von Padre Valentio. Er hat daran gedacht, nicht ich.« Die Frau senkte den Kopf. »Dann wollen wir keine Zeit verlieren. Helft mir. Wir laden alles ab.« Ich trat an den Wagen heran und nahm das Wasserfaß. Es war so schwer, daß ich es nicht weiterreichen konnte, sondern selbst abstellen mußte. Sie luden die Kartons und ihre übrigen Habseligkeiten ab. Inzwischen schirrte ich die beiden Maultiere aus, löste die Deichsel und brachte sie nach hinten. Der kranke Mexikaner hatte das Faß so neben das Rad gerollt, daß ich die Deichsel darauf und zugleich unter die Nabe schieben und als Hebebaum benutzen konnte. Jenny und Dona Lisa halfen. Auch Pepe ließ es sich nicht nehmen, sein Gewicht auf den langen Hebelarm zu verlagern. So gelang es leicht, den Wagen am zerbrochenen Rad anzuheben. »Pepe, schiebe den Kasten unter die Achse«, sagte Dona Lisa. »Rasch! Sie ist leer, die Kiste. Beeil dich!« Der Junge lief hinter den Wagen und schob den Holzkasten unter die Achse. »Langsam ablassen«, mahnte ich. »Damit die Kiste nicht bricht.« Wir ließen die Deichsel gemeinsam langsam nach oben und hörten
das Knacken im Holz, als die Kiste von der Achse und dem Wagengewicht belastet wurde. Das Holz hielt. Dona Lisa wickelte die Rohlederriemen aus einem dicken Tuch, das der Padre mit Wasser getränkt hatte, um die Riemen geschmeidig und frisch zu erhalten. Ich schickte Ernesto Baranca auf den nächsten Hügel, damit er Ausschau nach eventuellen Verfolgern hielt. Der Mann nahm sein altes Gewehr vom Fußbrett des Bockes und entfernte sich langsam auf der Hügelflanke. Ich sammelte die Teile der Felge und der beiden Speichen zusammen und drehte das Rad so, daß die gebrochene Stelle nach oben stand. Dann legte ich die Deichsel unter das Rad und klemmte sie fest. So konnte es sich nicht weiter bewegen. Die Speichen waren sehr lang gebrochen, was ihr Zusammensetzen vereinfachte. Zum Glück hatte sie der Sturz in den Bau auch nicht splittern lassen. Die Teile paßten noch und ließen sich zusammenfügen. Die Reste des Felgenteils paßten ebenfalls dazwischen. Ernesto Baranca winkte vom Hügel herunter, was wohl bedeuten sollte, daß er keine Reiter und keine aufgewirbelte Staubwolke sah. Mit den Rohlederriemen, die sich gut dehnen ließen, legte ich um die Felgen einen Verband. Dann zog ich den Reifen wieder auf, der zum Glück rund geblieben war. Er hatte soviel Luft auf dem eingetrockneten Holz, daß er ohne Mühe aufgeschoben werden konnte, danach allerdings locker saß. Die restlichen Rohlederriemen benutzte ich, um Reifen und gebrochene Felge miteinander zu verbinden und den Reifen auch an drei weiteren Stellen mitsamt den Felgen zu umwickeln. Wir hoben mit Hilfe der Deichsel das Rad wieder an. Pepe zog den Kasten hervor. Wir ließen das Rad ab. Es sank in den Präriehundebau. Ich brachte die Deichsel nach vorn, befestigte sie in der Halterung, schirrte die Maultiere ein und ließ sie den Wagen ziehen. Sie vermochten das leere Gefährt aus dem Loch zu bewegen, ohne daß das geflickte Rad neuen Schaden nahm. »Wie lange soll das halten?« fragte Jenny zweifelnd. »Mit Gottes Hilfe bis nach Texas«, sagte Dona Lisa. »Und nun
laßt uns alles rasch aufladen. Ernesto, komm herunter! Wir fahren weiter.« Ich ging zu meinem Pferd. Es stand bei ein paar Sagebüschen und knabberte daran. Den Sattelgurt festziehend, schaute ich zurück. Der kranke Mann stieg die Hügelflanke hinunter. Dona Lisa stieg bereits auf den Bock und griff nach der Peitsche. Ich saß auf und ritt nach Norden. Der Wagen folgte mir. Jenny beugte sich an der Seite hinaus und betrachtete sorgenvoll das geflickte Rad. Auch mir war nicht wohl zumute. Niemand konnte wissen, wie lange es halten würde. Unsere Chance wäre größer gewesen, hätten wir wenigstens vier oder fünf Stunden warten können, um das Rohleder in der Sonne trocknen zu lassen. Es wäre dann um vieles härter als jetzt geworden und hätte vielleicht hundert Meilen gehalten. Aber wenn es nicht vom Sand zu sehr verschlissen wurde und einigermaßen intakt die ersten vier Stunden überstand, würde es auch weiterhin halten, mindestens bis zur Grenze.
8. »He, wach auf, du vollgesoffenes Stinktier!« brüllte eine wütende Stimme, die sich in das Bewußtsein des Gendarms bohrte. Zwinkernd öffnete er die Augen. Jemand packte ihn an der Uniformjacke. Er wurde vom Bett gezogen und gegen die Wand gestoßen. Benommen taumelte er zur Seite und landete wieder auf dem knarrenden Bett. Doch sie ergriffen ihn wieder, zogen ihn hoch und schleuderten ihn an die Wand gegenüber. Endlich war er soweit klar, daß er Capitan Guerro und Mahon Tabor erkannte. Es standen jedoch noch vier Soldaten in der Kammer, viel mehr als in dem engen Raum eigentlich Platz hatten. Und sie sahen alle wütend aus. »Was ist denn los?« fragte der Gendarm. Es gelang ihm nicht, ein Gähnen zu unterdrücken. »Was los ist? Der Gringo ist fort!« schrie der Offizier wild. »Was?« Jähe Klarheit schien Hidalgos Köpf zu erfassen.
»Wo ist er hin?« fragte Mahon Tabor schroff. »Aber er war doch noch da!« »Wann?« »Ich habe ihn gehört, als ich in die Station trat.« »Du hast den anderen gehört«, sagte der Teniente neben dem Capitan. »Den Pferdeknecht, der nur halb so besoffen war wie du!« Hidalgo wurde aus der engen Kammer gezerrt und durch die offenstehende Verbindungstür in den Gang des Gefängnisses, in dem zwei weitere Soldaten mit Gewehren in den Händen standen. Er sah den Pferdeknecht auf dem Boden liegen. Seine Handschellen schlugen gegen die Eisenstäbe und verursachten wieder das metallische Rasseln, das er trotz der Trunkenheit bei der Heimkehr gehört hatte. Dem Gendarm pochte es wie wild in den Schläfen. Angst packte ihn. Angst davor, nun anstelle des verschwundenen Gefangenen selbst in der Zelle zu landen. Mahon Tabors verzerrtes Gesicht tauchte vor ihm auf. »Soll ich Ihnen sagen, was Sie verdient haben?« fuhr der Amerikaner ihn an. Hidalgo gab keine Antwort darauf, weil er den Mann mit allem, was er sagte, nur noch mehr reizen würde. Der Gringo war verschwunden. Daran ließ sich sowieso nichts mehr ändern. »Ich denke, mich trifft der Schlag, als ich hier hereinkomme«, sagte der Capitan. »Teniente, lassen Sie im Stall nachsehen, ob ein Pferd fehlt.« Der Teniente nahm noch zwei Männer mit. Ein Soldat ging in die offenstehende Zelle und befreite den Mexikaner vom Knebel. »Zum Satan, laßt mich endlich raus!« schimpfte der Mann. »He, Hidalgo!« Der Capitan rempelte den Gendarm an. Der hastete in seine Amtsstube und suchte nach den Schlüsseln für die Handschellen. Mahon Tabor folgte ihm. Sein Staubmantel war zurückgeschlagen, und die Hand lag auf dem Coltgriff. »Wie lange kann der Kerl weg sein?« »Keine Ahnung, Senor.« »Drei Stunden«, sagte der Capitan auf der Schwelle der Verbindungstür. »Oder vier. Oder fünf. Den halben Weg zur Grenze
hat er wohl längst hinter sich.« Hidalgo durchsuchte die Laden im Tisch, bis er die Schlüssel in einer Ecke des untersten Kastens fand. Er ging zum Spind, zog ihn auf und sagte, daß Ronco seine Waffen mitgenommen hätte. Dabei fiel sein Blick durch das Fenster, und er sah die Menge auf der Straße im Sonnenlicht. Der Capitan nahm ihm die Schlüssel ab, ging in die Zelle und befreite eigenhändig den Pferdeknecht aus seiner mißlichen Lage. Er half ihm auf die Füße und schob ihn ins Office. »Wie lange ist der Gringo weg?« fragte der Capitan. Der ebenfalls nüchtern gewordene Mexikaner hob die Schultern. Sein Gesicht legte sich in Falten. »Wer hat ihn denn befreit?« fragte Hidalgo lahm. »Er kann doch nicht durch das Gitter marschiert sein.« »Er hat mich geschlagen«, bekannte der Pferdeknecht kleinlaut. »Warum?« »Weil er ein Gringo ist und sich als was Besseres fühlt!« stieß der Mann hervor. »Dummes Zeug«, sagte Mahon Tabor. »Alles mögliche kann man ihm nachsagen, das aber nicht. Erinnern Sie sich gefälligst. Mann! Es ist wichtig. Wer hat ihm geholfen?« »Ich glaube, ich habe im Unterbewußtsein die Stimme eines Jungen gehört.« »Eines Jungen?« Capitan Guerra trat dichter an den noch immer nach Fusel stinkenden Mann heran. »Es ist mir so. Freilich, beschwören möchte ich das nicht.« »Capitan!« rief draußen ein Soldat. Guerra drehte sich um und riß die Tür auf. Sie schwang herum und donnerte gegen die Wand. Mahon Tabor fluchte auf den Pferdeknecht. Der Gendarm war heilfroh, daß ein anderer an seiner Stelle in den Mittelpunkt rückte. Er trachtete danach, bis an die Wand zu gelangen und hinter ein paar Soldaten zu stehen. »Stellen Sie sich vor, der Stallmann steckte in der Futterkiste!« sagte draußen jemand. »Gefesselt und geknebelt! Und der Fuchshengst ist weg, den der Gringo kaufte, bevor wir ihn
schnappten.« Guerra schaute an der Menge vorbei. Sein Teniente und die Soldaten tauchten auf und schleppten den befreiten Stallbesitzer zwischen sich. Der Mann hustete erstickt und bemühte sich sehr darum, alle Anzeichen starker Erschöpfung den Leuten zu vermitteln. Er wurde in die Station gebracht und erhielt einen Stuhl. Sein zerknittertes Gesicht bot ein Bild des Jammers. Entsprechend wurden die Fragen freundlich und leiser als an den Gendarm an ihn gerichtet. Der Mexikaner berichtete von seiner Heimkehr zum Stall und von dem Jungen, der auf einmal vor ihm gestanden hätte. »Ein Junge?« fragte der Capitan. »Ja.« »Wer war das?« »Keine Ahnung. Ich habe ihn vorher nie gesehen. So ein kleiner, dreckverschmierter Kerl, vielleicht acht Jahre oder so.« »Und du hast ihn vorher nie gesehen?« »Nein, Capitan, er ist nicht von hier.« »Seltsam«, murmelte der Teniente. »Im Stall kann auch noch jemand außer diesem Gringo gewesen sein«, fuhr der Stallbesitzer fort. »Wer?« Capitan Guerra beugte sich nieder. »Ich weiß es nicht. Vielleicht irre ich mich auch. Aber mir ist, als wäre noch jemand in einer Box gewesen.« »Sie haben aber niemanden gesehen?« »Nein. Es ging alles so schnell. Erst hielt mich draußen der Junge auf, dann packte mich der Gringo und schlug mich zusammen. Ich muß sofort das Bewußtsein verloren haben.« »Und was fehlt alles im Stall?« »Nur der Hengst, Capitan. Und der stand bereits gesattelt im Gang, als ich kam.« »Wenn zwei auf einem Pferd geflohen sind, können wir sie noch einholen«, mischte sich Mahon Tabor ein. Der Capitan ging nicht darauf ein. Er schaute den Teniente an. »Fragen Sie nach jemandem, der einen kleinen, dreckverschmierten, fremden Jungen in der Stadt sah. Während der Nacht oder vielleicht
auch gestern. Acht Jahre ungefähr alt!« Der Offizier lief hinaus. Nach drei Minuten brachte er eine weißhaarige Frau und sagte: »Sie hat einen fremden Jungen gesehen.« »Ja, Capitan.« Die Frau nickte. »Wo?« »Hinter der Kirche. Mit Padre Valentio.« »Holt den Padre!« befahl Guerra. Der Teniente zog mit seinen beiden Soldaten wieder los. Eine Gasse bildete sich vor ihnen. Ein Mann, der an der Tür der Station gelauscht hatte, rief: »Sie holen Padre Valentio!« Teniente Lima und seine Soldaten erreichten die Kirche. Eine Hälfte des schweren, mit Eisenbändern beschlagenen Tores stand offen. Drinnen knieten ein paar Gläubige auf den Betstühlen. Eine Frau trat aus dem Beichtstuhl, den just in derselben Sekunden Padre Valentio auf der anderen Seite verließ. »Da ist er!« Der eine Soldat repetierte sein Gewehr. Das scharfe Schnappen schreckte die Gläubigen hoch. Schreie gellten durch die Kirche. Menschen flüchteten. Padre Valentio stand vor dem Beichtstuhl und wartete, bis die Soldaten bei ihm waren. »Los, mitkommen!« befahl der Teniente barsch. Die Soldaten ergriffen den Padre und schleiften ihn hinaus über die Straße und in die Gendarmeriestation. Erst dort wurde er losgelassen. Einer bohrte ihm die Mündung seines Gewehrs in den Rücken. »Darf man erfahren, was das soll?« fragte der Padre ruhig, beinahe gelassen und voller Vertrauen darauf, daß Gott ihm den Weg weisen würde. »Wir hatten einen Gefangenen hier, der entflohen ist«, erklärte der Capitan. »Davon redet die ganze Stadt«, erwiderte Padre Valentio. »Es war ein Gringo!« »Das weiß ich nicht, Capitan. Wollen Sie mir sagen, was mich das angeht? Ich diene nicht der weltlichen Macht.« »Der Gringo und ein kleiner, schmutziger Junge waren am
Mietstall«, wandte der Stallbesitzer wütend ein. »Und Sie sind mit einem solchen Jungen gesehen worden.« »Gestern«, sagte die weißhaarige Frau. Padre Valentio schaute scheinbar unberührt von den Attacken von einem zum anderen. »Stimmt, gestern sprach mich ein kleiner Junge an. Ein Junge, den ich nicht kannte.« »Was wollte er?« forschte der Capitan. »Brot. Es sind schlechte Zeiten.« »Sie kannten ihn?« »Ich sagte doch eben, ein fremder Junge. Nein, ich kannte ihn nicht.« »Also gehört er nicht nach San Luce?« »Nicht zu meiner Gemeinde«, sagte der Padre. »Ob er nach San Luce gehört, weiß ich nicht.« »Da stimmt doch was nicht«, sagte der Stallbesitzer. »Das riecht man doch!« »Wir durchsuchen die Kirche«, entschied der Capitan. * Sie hatten alles um und um gewühlt und durcheinandergeworfen. Der Gendarm war geholt worden und mußte bestätigen, daß im Keller unter der Sakristei schon lange Matratzen, Decken und Geschirr aufbewahrt wurden. Padre Valentio stand in der Kirche vor dem Altar und ließ alles über sich ergehen. Er dachte, daß es viel weniger der Wille dieser Menschen war, was geschah, sondern der seines Herrn im Himmel. Schließlich standen sie alle wieder um ihn herum und schienen in seinen Augen lesen zu wollen. »Ich traue dem Kerl nicht«, murmelte Lima, der Teniente. »Keinem Padre ist zu trauen«, entgegnete der Capitan. »Die steckten alle mit dem Kaiser unter einer Decke. Aber der Kaiser ist tot! Hast du gehört, Valentio? Er ist tot! Man hat ihn erschossen!« »Es wird Gottes Wille gewesen sein«, sagte der Padre leise. »Da fällt mir noch was ein«, mischte sich der Stallbesitzer ein. Sie blickten ihn abwartend an.
»Neulich hat der Padre bei mir Maultiere gekauft.« »Was hat er?« Guerra blickte mit glitzernden Augen wieder auf den Padre. »Wozu denn das? Wollen Sie verreisen, Padre? Und wo haben wir denn die Tiere?« »Sie waren für einen fahrenden Händler«, sagte der Padre, ohne zu zögern. Diese Frage hatte er schon viel früher erwartet und war darauf vorbereitet gewesen. »Ich habe aber keinen fahrenden Händler gesehen!« stieß der Stallbesitzer hervor. Er dachte noch an den Preisverlust, den ihm Ronco eingebrockt hatte, als er bei dem Geschäft mit dem Padre dazwischengefahren war. Und er wollte sich an Valentio dafür rächen. »Es tut mir leid, wenn Sie ihn nicht sahen und er Ihnen seine Waren nicht anbot. Er war wesentlich preiswerter als mancher Geschäftsmann in San Luce.« Der Stallbesitzer wurde rot. Doch bevor er sich auf den Padre stürzen konnte, drängte der Capitan ihn zurück und faßte den Gendarm ins Auge. Hidalgo zog den Kopf zwischen die Schultern. Kalt rann es ihm über den Rücken. »War ein fahrender Händler in der Stadt?« »Es sind oft fremde Händler mit ihren Wagen hier«, entgegnete der Gendarm. »Ich möchte wissen, was zwischen Roncos Flucht und dem Verkauf von Maultieren für ein Zusammenhang bestehen soll«, meldete sich Mahon Tabor. »Das frage ich mich allerdings auch«, räumte Teniente Lima ein. »Ronco hat sich den Rotfuchs geholt und ist geritten«, fuhr Tabor fort. »Nichts sonst ist wichtig. Weder wer ihm geholfen haben könnte noch wer sich sonst vielleicht hier herumgetrieben hat.« »Irrtum, Senor«, sagte der Capitan kalt. »Natürlich ist es wichtig, wer ihm geholfen haben könnte.« »Wichtig ist, daß er fort ist und wir ihn endlich verfolgen sollten«, beharrte Mahon Tabor. »Auf seinem Pferd hat er zuviel Vorsprung, wenn er wirklich allein ist«, erwiderte der Teniente.
»Wollen wir nicht wenigstens versuchen, ihn zu schnappen?« fauchte Tabor. »Er ist ein Spion!« »Teniente, lassen Sie Pferde satteln«, befahl der Capitan. »Gendarm, Sie sperren den Padre ein.« »Zu Befehl!« rief Hidalgo. Wenige Minuten später ritten die Soldaten aus der Stadt. Hidalgo brachte seinen Gefangenen mit gezogenem Revolver zum Gefängnis. Murrend standen Menschen am Wegrand. Padre Valentio blieb stehen und hob die Hände. Die Revolvermündung bohrte sich in seinen Rücken. Die Menschen murmelten lauter und drohender. »Zurück, ihr Narren!« befahl der Gendarm. Sie wichen nicht. »Beruhigt euch«, sagte der Padre. »Alles, was geschieht, ist Gottes Wille.« »Er will Sie einsperren?« fragte eine Frau. »Sie suchen für ihre eigenen Verfehlungen einen Schuldigen, meine Schwester. Nun sperren sie mich ein paar Stunden oder Tage ein. Aber es wird mir nichts geschehen. Betet, bis ich wieder unter euch bin.« Padre Valentio ging erhobenen Hauptes weiter und betrat die Station und das Gefängnis, so daß Hidalgo hinter ihm nur die Türen zu schließen brauchte. * Capitan Guerra hatte anhalten lassen. Zwei Soldaten suchten vor seiner Truppe den Weg nach Spuren ab. »Der Boden ist hart und ausgetrocknet«, maulte Teniente Lima an der Seite des Capitans. »Man findet keine Spuren.« Mahon Tabor war nervös, stellte sich immer wieder in den Steigbügeln auf und schien zu glauben, er könne den Verschwundenen so sehen. »Wir müssen zur Hauptstadt«, hob der Teniente wieder an. »Oder wollen Sie, daß schon alles verteilt und vergeben ist, wenn wir dort aufkreuzen, Capitan?«
»In der Tat, wir wären in Eile«, sagte Guerra mit einem Blick auf Mahon Tabor. »Es geht um einen Spion!« »Und wenn schon«, sagte Lima verächtlich. Er schaute den Capitan an und nickte hinter sich. »Warten Sie hier!« Guerra wendete sein Pferd und folgte dem Teniente, der bereits wegritt. Sie hielten hinter der Truppe wieder an. »In der Hauptstadt werden jetzt die besten Posten vergeben, Capitan!« schimpfte Lima. »Wir beide standen sehr gut zum General. Aber er kann uns nur bedenken, wenn er uns auch sieht. Ich wette mit Ihnen, er hat keine Ahnung, wo wir jetzt sind.« »Ich fürchte auch, daß wir zu spät in der Hauptstadt eintreffen«, gestand der Capitan. »Wer zuerst kommt, der mahlt auch zuerst, Capitan! Der General wird bedauernd mit den Schultern zucken, wenn wir endlich eintrudeln. Der gefangene Spion hilft uns dann auch nicht weiter. Wir müssen ja nicht unbedingt davon reden, daß er uns durch die Lappen gegangen ist. Er fällt einfach unter den Tisch, fertig, aus!« »Sie haben recht, Teniente. Ja, wir kehren um.« Guerra ritt entschlossen zu Mahon Tabor zurück und sagte: »Es tut mir leid, Senor, aber ich fürchte, die Suche bleibt nutzlos.« Teniente Lima war gefolgt und hielt an der Seite seines Vorgesetzten. »Der ist schon am Rio Grande. Zeitverschwendung, länger nach ihm zu suchen.« »Wir kehren um!« Mahon Tabor erkannte die Entschlossenheit im Gesicht des Capitans, aber er wußte auch um die Beweggründe der Offiziere. Selbst die Soldaten zog es zur Hauptstadt. Sie vermuteten dort eine nicht mehr endende Siegesfiesta, und das sicher nicht zu Unrecht. Es war sinnlos, dazu noch etwas zu sagen und sie zum Weiterritt bewegen zu wollen. Ihr Entschluß stand fest. Sie hatten nur noch einmal darüber reden müssen, was sie wirklich von einer Rückkehr erwarteten. Capitan Guerra rief die beiden suchenden Soldaten zurück. »Tut mir leid, daß wir Pech hatten«, sagte er abschließend.
Mahon Tabor nickte mit versteinert wirkendem Gesicht. Die Soldaten kehrten zurück. Guerra tippte an seinen Hut. »Adios, Senor.« Tabor gab keine Antwort. Aber er schaute den Soldaten nach. Staub trieb über den einsam auf der Wagenstraße verharrenden Mann. Eine Weile beobachtete er die Soldaten noch, dann wandte sich sein Gesicht nach Norden. Auf dieser Straße schien Ronco nicht geritten zu sein. Die Soldaten hätten sonst irgendeine Spur auf dem Wege von der Stadt bis hierher gefunden. Irgendeinen Hinweis auf ihn, und wenn er auch nur von dem Pferd gestammt hätte. Es gab jedoch keine solchen Zeichen. Das war für Mahon Tabor Beweis genug, daß Ronco nicht den direkten und schnellsten Weg zur Grenze genommen haben konnte. »Ich werde dich finden«, sagte er scharf durch die Zähne. »Du kannst mir nicht entgehen!« Entschlossen trieb er das Pferd an und lenkte es in westlicher Richtung von der Straße. Er wollte überall suchen und alle Leute fragen, denen er begegnete. Und er hoffte, daß irgendeiner den Entflohenen gesehen hatte.
9. Es war schon lange Nacht, als ich mein Pferd zügelte und wartete, bis der Wagen neben mir auftauchte. Die Maultiere waren fertig. Jenny schlief mit Unterbrechungen immer wieder ein. Pepe lag auf der Ladefläche und erwachte auch vom Anhalten des Gefährts nicht. Seine Schwester hielt sich mit Mühe aufrecht. »Wir lagern hier ein paar Stunden.« Ich schaute mich um. Cottonwoods und dichtes Yuccagestrüpp umgaben uns. Dazwischen standen hohe Saguarokakteen. Ein steiniger Arroyo führte nach Osten. Ernesto Baranca hustete dünn, während er vom Bock kletterte. »Pepe, wach auf!« befahl die Frau. »Los, los, du kannst nicht die ganze Nacht auf dem Wagen zubringen. Morgen bist du dann steif wie ein Brett!«
Lucinda stieg über die Bordwand und half der Frau, ein Lager zu bereiten. Jenny war abgestiegen, stand in der Nähe herum, tat aber nichts, um zu helfen. Ich führte mein Pferd und die Maultiere zu den Cottonwoods und band sie dort an. Dona Lisa schüttete etwas Wasser in einen Eimer und gab ihn mir für die Tiere. Bald darauf lagen sie alle auf dem Boden hinter dem Wagen und schliefen. Nur die Frau war noch munter und kam zu mir. Ich hatte mich bei den Tieren so gut es ging eingerichtet, lag auf der Erde und hatte den Kopf auf meinem Sattel. Sie setzte sich neben mich. »Wir haben keine Wachen eingeteilt!« »Schlafen Sie nur, Dona Lisa.« »Wollen Sie allein wachen?« »Ich werde schlafen wie Sie, Dona Lisa. Die Tiere wachen für uns. Hier, bei ihnen, werde ich sofort gewarnt, wenn sich jemand nähern sollte. Die Tiere verraten es.« Die Mexikanerin schaute auf die Tiere, lächelte mir dann zu und erhob sich. »Wollen Sie noch etwas essen?« »Nein, ich warte wie die anderen, bis es Tag wird.« »Dann gute Nacht.« »Gute Nacht, Dona Lisa.« Die Tiere verhielten sich ruhig. Das eine Maultier schien sich sogar auf den Boden legen zu wollen. Doch jedesmal, wenn es die Vorderbeine eingeknickt hatte, sprang es wieder auf. Ich war noch munter, als ich ein Schleifen im Gras hörte. Mich auf den Rücken wälzend, erkannte ich eine schlanke Gestalt zwischen mir und dem Wagen. »Ich bin es, Jenny.« Meine Haltung entspannte sich, und ich ließ das Gewehr los, nach dem ich, ohne darüber nachzudenken, gegriffen hatte. Sie kniete neben mir nieder und schenkte mir das schönste Lächeln, daß ich je bei ihr gesehen hatte. Selten genug war es sowieso gewesen. Aber es gab auch nichts zu lachen auf dieser lausigen Flucht nach Norden, die wir gemeinsam erlebten. »Was ist denn noch?« fragte ich ziemlich unwirsch. Sie legte sich zu mir, bettete den Kopf auf meinen Sattel und
schmiegten sich an mich. »Wir werden mit dem klapprigen Karren noch eine Ewigkeit bis zum Rio Grande unterwegs sein. Auf einem Pferd hätten wir es längst geschafft!« »Was willst du?« fragte ich, obwohl ich ihr Ansinnen genau kannte. »Laß uns das Pferd satteln und verschwinden. Die merken nichts davon. Und wir sehen sie doch nie wieder.« »Geh zurück und versuche zu schlafen«, erwiderte ich. »Du bist verrückt, Ronco! Gerade dich jagen sie doch am meisten.« »Und wenn schon.« Jenny ließ mich los und kniete wieder. »Und wenn der Wagen zusammenbricht?« »Dann werden immer zwei von uns auf den drei Tieren reiten, und alles andere lassen wir zurück. Dann besitzen die Barancas nichts mehr als ihr Leben und die beiden Maultiere, die ihnen der Padre schenkte. Aber noch fährt der Wagen.« Jenny sah aus, als hätte sie noch immer nicht begriffen, daß ihre Mühe, mich zu umgarnen, nichts fruchtete. Sie begann wieder zu lächeln. Im Mondschein leuchteten ihre grünen Augen wie ferne Sterne. »Wir zwei schaffen es auf deinem Pferd vielleicht bis zum Morgengrauen nach Texas.« »Nein, so schnell ist das Pferd mit zwei Reitern nun auch wieder nicht, Jenny. Geh jetzt!« »Du bist ein Narr!« stieß sie gepreßt hervor, richtete sich auf und lief zum Wagen zurück. Seufzend wälzte ich mich auf die Seite und schloß die Augen. Doch kaum wollten sich meine Sinne verwirren, schnaubte der Rotfuchs neben mir. Ich fuhr heftig herum, setzte mich auf und packte das Gewehr. Vor mir stand Pepe. »Was ist denn mit dir los?« fragte ich verwundert. »Hast du vorhin auf dem Wagen nicht fest geschlafen? « »Jetzt bin ich munter.« »Du solltest aber schlafen. Morgen kriegen wir wieder einen
anstrengenden Tag.« »Ich habe Jenny bei dir gesehen.« Ich legte das Gewehr aus der Hand, blieb aber sitzen. »Na und, gefällt dir das nicht?« »Sie will fort. Sie will uns allein lassen.« Ich mußte mich immer mehr wundern. Sein Verstand war seinem Alter soweit voraus, daß mir Zweifel an meiner Einschätzungsgabe kamen. Jedoch verkniff ich mir die Frage nach den Jahren, die er zählte. »Wirst du uns mit ihr verlassen?« fragte er. »Nein, ich bleibe bei euch, bis ihr in Sicherheit seid.« »Wann sind wir in Sicherheit? Am Rio Grande?« »Dahinter, wenn ihr die Brasada durchquert habt.« »Und solange bleibst du bei uns?« »Das sagte ich doch eben.« »Schwörst du es?« Ich hob die Hand, mußte aber über seinen Ernst und seine Ungläubigkeit doch etwas lächeln. »Ich schwöre es, Pepe. Zufrieden?« Jetzt lächelte der Junge ebenfalls. »Und nun geh und schlaf, Pepe.« Ich legte mich nieder und schaute ihm nach. Pepe ging nicht direkt zum Wagen, wie es Jenny tat. Er schlug einen Bogen. Schon bei den Saguaros sah ich ihn nicht mehr. Was mich an dem kleinen Pepe am meisten verwunderte, war die offensichtliche Leichtigkeit, mit der er den Sturz aus Reichtum und Luxus der mexikanischen Führungskaste ins bittere Elend verkraftet hatte. Nichts an ihm erinnerte mehr daran, was früher sein ganzes, junges Leben bestimmt haben mußte. Keiner, der ihm plötzlich gegenüber gestanden hätte, wäre darauf verfallen, daß Pepe noch vor ein paar Wochen einer elitären Schicht angehört hatte, die sich praktisch um nichts selbst zu kümmern brauchte, sondern für jede Kleinigkeit andere für sich hatte arbeiten lassen. * Als das erste Grau eines neuen Tages über das Land zog und die
Nacht verdrängte, sattelte ich mein Pferd und saß auf. Die anderen lagen noch drüben beim Wagen. Nur Pepe lief auf mich zu und rief: »Willst du fort?« »Unsinn, Pepe, ich will nur prüfen, ob die Luft sauber ist.« »Einen Kontrollritt?« »Ja.« »Nimmst du mich mit?« »Na gut. Aber sag deiner Mutter Bescheid. Wir sind in einer Stunde zurück.« »Aber warte auch«, mahnte Pepe und lief zum Wagen zurück. Als er wieder auftauchte, sah ich Dona Lisa hinter dem flachen Ranchwagen. Ich zog den Stiefel aus dem Steigbügel und gab dem Jungen die Hand. So vermochte er leicht vor mir auf das Pferd zu steigen. Die Frau schaute uns nach. Ich lenkte den Hengst ins Dickicht, ritt durch den immer noch trockenen Graben und eine sanfte Hügelflanke hinauf. Nebelschwaden zogen über das Land. Auf der Hügelkuppe zügelte ich das Pferd und ließ den Blick über die Wildnis schweifen, die uns umgab. »Es ist niemand hinter uns her«, sagte Pepe. »Sie haben keine Spuren gefunden. Soll ich dir sagen, wieso nicht?« »Sag es, Pepe.« »Weil wir gleich hinter San Luce von der Straße abgebogen sind. Damit rechnete keiner.« »Sicher hast du recht.« Ich schnalzte mit der Zunge, lenkte das Pferd nach Süden und ritt zum nächsten Hügel. Nach knapp einer Stunde kehrten wir von Osten wieder zu den Wagen zurück. Davor brannte ein kleines Feuer. Lucinda, Jenny und der kranke Mann saßen darum. Die Frau zerkleinerte Kaffeebohnen auf einem Stein, wozu sie einen Hammer benutzte. »Es ist niemand hinter uns her!« rief Pepe, noch bevor ich anhielt. Kaum stand der Hengst, mußte ich ihm helfen, hinunter zu gelangen. »Habt ihr gehört? Es ist niemand da! Sie haben unsere Spuren nicht gefunden!«
Ich sah den anderen die Erleichterung an, die diese Nachricht auslöste. »Sollten wir nicht sofort aufbrechen?« fragte Jenny. »Wir vertrödeln hier nur Zeit, Senora!« »Einen Kaffee trinken wir erst«, erwiderte die Frau schroff. »Das hält uns den ganzen Tag munter.« Unbeirrt zerkleinerte sie weiter die Kaffeebohnen und befahl Lucinda, den Kessel mit dem Wasser aus dem Feuer zu nehmen. Das Mädchen tat es, ohne ein Wort zu sagen. »Also, ich finde, wir vertrödeln Zeit«, sagte Jenny. Die Frau schob das Kaffeemehl vom Stein auf ein Stück Papier und trat ans Feuer. Ich war abgestiegen, lockerte dem Fuchs den Sattelgurt und band ihn an den Wagen. Dona Lisa schüttete das Kaffeemehl ins siedende Wasser. »Wir könnten schon eine Meile weiter sein«, erklärte Jenny. »Wollten Sie mit uns fahren oder wir mit Ihnen?« fragte die Frau scharf. »Ich wollte in San Luce ein Pferd klauen und reiten«, sagte das Mädchen. »Und ich wäre jetzt bereits in Texas.« »Dann wundert es mich, daß Sie noch hier sind«, entgegnete der kranke Mann. »Ich würde bei niemandem bleiben, den ich nicht ausstehen kann und der mir zu langsam wäre.« Jennys Wangen röteten sich. Wut glitzerte in ihren Katzenaugen. Sie schaute mich an. »Tatsächlich war es so, daß sie im Stall in San Luce stand und sich nicht mehr hinauswagte«, erklärte ich. Jennys Gesicht rötete sich noch mehr. Ich schaute sie an und fand, daß sie dringend eine Zurechtweisung nötig hatte, obwohl diese bei ihr sicher nicht viel fruchtete. Sie war zu selbstsüchtig, als daß man sie ernsthaft veranlassen konnte, auch über das Schicksal anderer nachzudenken. Aber immerhin störte es sie. Und ihr fehlte auch der Mut, eine Konsequenz zu ziehen. Noch einmal schien sie nicht wie in der alten Mission auf eigene Faust die Flucht wagen zu wollen. Dennoch behielt ich sie und mein Pferd im Auge, als ich am Feuer
in die Hocke ging. Denn wenn sie das Tier losbinden und sich in den Sattel schwingen konnte, dann war ich den Hengst los. Wegen des lockeren Sattels mußte Jenny nicht unbedingt vom Pferd fallen. Sie wagte es nicht und unternahm noch nicht einmal den Versuch, in den Besitz des Pferdes zu gelangen. Wir tranken den Kaffee und aßen das Maisbrot, das Dona Lisa verteilte. Eine Stunde später waren wir wieder unterwegs. Pepe hatte ich wieder mit auf das Pferd genommen. Wir ritten voraus und erkundeten das Gelände. Einmal, schon gegen Mittag, sah ich das Schimmern der Sonne auf einem Hausdach. Ich zügelte das Pferd, überlegte kurz, lenkte das Pferd dann nach Süden und ritt zurück. Den Wagen trafen wir nach drei Minuten. Dona Lisa zügelte die Maultiere. Ich sagte ihr, daß eine Hütte auf unserem Weg stünde, vermutlich von einem Ranchero oder einem Campesino. »Wasser könnten wir gebrauchen«, sagte der hustende Mann. »Unser Wasser reicht bis zum Rio Grande«, erwiderte Dona Lisa und schaute mich an. Ich sollte entscheiden, ob wir die Hütte besuchten oder nicht. »Die Leute dort können natürlich jedem, der erscheint, verraten, daß wir da waren«, sagte ich. »Und das ist schlecht«, erwiderte die Frau. »Unser Wasser reicht. Brot haben die meisten armen Leute heute selbst nicht genug.« »So ist es. Dann wollen wir einen Bogen nach Westen schlagen«, sagte ich. Die Frau ließ die Peitsche knallen und lenkte die Maultiere entschlossen in die neue Richtung. Ich ritt jetzt mit Pepe vor mir neben dem Wagen her. Jenny saß mit versteinertem Gesicht auf der Ladefläche, so weit wie es nur ging von Lucinda entfernt. Sie hatte verdrängt, daß wir alle ihr halfen, Texas zu erreichen. Sie sah Gegner in uns, die sie in Wahrheit nur behinderten. In erster Linie dachte sie dabei natürlich an mich, weil ich dagegen gewesen war, in San Luce ein Pferd zu stehlen und die Barancas ihrem Schicksal zu überlassen. Von der Hütte sahen wir nichts mehr. Der Tag verging, ohne daß ein weiteres Anwesen auftauchte.
10. Am Abend des nachfolgenden Tages war ich wieder mit Pepe eine halbe Meile vor dem Wagen unterwegs. Die unruhigen Nächte, die ich im Halbschlaf verbrachte, strapazierten meine Wachsamkeit. So entgingen mir zwei Reiter, die in der Dämmerung aus einem Gewirr von Kakteen und vulkanischen Felsen auftauchten. Doch Pepe sah sie, stieß ein warnendes Zischen aus und griff mir in den Zügel. Augenblicklich war ich hellwach und sprang aus dem Sattel. Pepe glitt herunter. »Soldaten!« stieß er hervor. »Es sind Soldaten, Ronco!« Ich drängte das Pferd ins Dickicht zurück und beobachtete die beiden uniformierten Reiter. Zum Glück hatten sie uns nicht bemerkt und strebten von Westen nach Osten. »Rurales«, sagte ich. »Grenzpolizei.« »Dann sind wir schon am Rio Grande?« »Nein, das sicher nicht. Dorthin werden wir schon noch einen Tag brauchen, Pepe.« Die beiden Rurales hatten die Pferde gezügelt und schauten zu uns herüber. »Sehen die uns?« »Nein, Pepe. Ganz ruhig bleiben.« Ich legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. »Wieso sind die hier, wenn die Grenze noch eine Tagesfahrt entfernt ist?« »Sie suchen nach Leuten, die fliehen wollen. Das tun sie nicht nur direkt an der Grenze, wenn sie mehr Erfolg haben wollen«, entgegnete ich. Die beiden Uniformierten trieben ihre Pferde wieder an und ritten langsam weiter. Sie tauchten hinter Buschwerk unter, waren noch einmal zu sehen und verschwanden dann endgültig. Ich blieb stehen und beobachtete weiter den nicht sichtbaren Weg, den die beiden nahmen.
»Was nun, Ronco?« »Wir müssen warten.« »Auf was?« »Um den Weg zu beobachten, Pepe. Wir müssen wissen, ob sie zurückkehren. Und wenn ja, wie lange es dauert.« »Wozu denn das?« Ich mußte lächeln, weil der Junge so beharrlich war, wenn er etwas nicht kapierte. »Sie nehmen vermutlich immer denselben Weg. Sie kontrollieren in der Regel einen bestimmten Abschnitt.« »Und das dauert eine bestimmte Zeit, meinst du?« »Genau. Wenn man die weiß, kann man vielleicht ungesehen vorbeigelangen.« »Jetzt verstehe ich, was du meinst.« »Traust du dir zu, allein umzukehren?« Ich blickte Pepe an. »Wenn du dir das zutraust, könntest du deiner Mutter sagen, sie solle halten und warten, bis ich bei dem Wagen bin.« »Und du beobachtest noch den Weg?« »Ja.« »Wie lange?« »Bis ich weiß, ob sie zurückkehren.« Pepe schaute hinter sich. »Immer geradeaus«, sagte ich. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, den Jungen allein loszuschicken. Aber die Gefahr für uns war zu groß. Und es galt herauszufinden, wie wir ungesehen hier vorbeikommen konnten. »Ich schaffe das, Ronco.« »Sie sollen dort warten, wo sie gerade sind.« »Dann bis später.« Pepe gab mir feierlich die Hand und verschwand im Dickicht. Ich schaute ihm nach und hörte noch eine Weile das leiser werdende Rascheln der trockenen Büsche. Dann wurde es still. Meine Aufmerksamkeit wandte sich der anderen Seite zu. Das Dämmerlicht verglomm langsam in einer neuen Nacht. Bevor es aber richtig dunkel wurde, kehrten die beiden Rurales zurück, ritten vorbei und verschwanden. Ich blieb stehen. Nach meiner Schätzung waren zwanzig Minuten
seit dem ersten Auftauchen der Streife verstrichen. Ungefähr nach der gleichen Zeit hörte ich sie wieder. Ein Pferd schnaubte, und Gestrüpp raschelte. Ich hielt dem Fuchshengst die Nüstern zu, damit er mich nicht verraten konnte. * Jenny, Lucinda und auch der kranke Mann schauten mich entsetzt an, als ich den Wagen erreichte. Nur Pepe und Dona Lisa gaben keine Angst zu erkennen. Sie standen alle fünf am Wagen und schwiegen. Ich saß ab und ließ den Zügel los. »Sie tauchen ungefähr alle zwanzig Minuten am selben Fleck auf. Wir sind zufällig in der Mitte des Gebietes, das sie beobachten.« »Dann haben sie an einem Ende vielleicht eine Station«, erwiderte der kranke Mann. »Ja, vermutlich.« Ich nickte. »Deswegen müssen wir dort vorbei, wo Pepe und ich standen. Übrigens hat Pepe sie bemerkt. Ich wäre ihnen glatt in die Arme geritten.« Der Junge strahlte über das ganze Gesicht, was ich trotz der Dunkelheit sah. »Pepe hat schon immer alles zuerst bemerkt«, sagte Lucinda. »Der hört auch das Gras wachsen.« Pepe versetzte ihr dafür einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Am besten, wir fahren jetzt so weit an die Linie heran, daß sie uns bestimmt nicht hören, wenn sie gerade dort sind«, schlug ich vor. »Dann reiten Pepe und ich weiter. Wenn wir sie sehen, schicke ich Pepe zurück. Sie müssen dann versuchen, ungefähr zehn Minuten später bei mir zu sein. Zu der Zeit sind die Rurales am weitesten von uns entfernt und hören nichts.« »Einverstanden. Los, aufsteigen!« Die Frau kletterte auf den Bock. Minuten später bewegte sich unser kleiner Zug durch die Nacht nach Norden. Der Mond ging auf. Sein fahles Silberlicht vereinfachte uns die Orientierung etwas. Dennoch war ich auf mein Gefühl angewiesen, wollte ich uns nicht den Rurales doch noch genau in die Arme führen.
»Halt«, sagte ich nach einer halben Stunde. »Ist es hier schon?« fragte Dona Lisa. »Es kann nicht mehr sehr weit sein. Warten Sie hier.« Pepe kletterte vom Wagen zu mir aufs Pferd. Wir ritten noch ein Stück, saßen dann aber bald ab und führten den Hengst. In der Tat fanden wir die Stelle wieder, von der aus wir die Uniformierten beobachtet hatten. Wir blieben stehen und warteten. Ich hielt dem Tier die Nüstern zu. Nach fünf Minuten schon sahen wir sie auftauchen und hörten die leisen Geräusche, die dabei verursacht wurden. »Reiten die denn Tag und Nacht?« flüsterte Pepe mir zu. »Sie werden natürlich auch mal abgelöst. Vielleicht sind es bereits zwei andere.« Im Mondschein ritten die beiden vor uns vorbei. Ihre Waffen schimmerten geheimnisvoll. Hinter den schwarzgrauen Felsentürmen tauchten sie unter. »Soll ich sie jetzt holen?« »Ja.« Pepe lief zurück. Einen Moment wollte ich ihn zurückrufen und selbst gehen, weil ich fürchtete, er könne sich verirren. Doch rasch genug verwarf ich den Gedanken, Pepes Orientierungssinn war bestens ausgebildet. Für mich war es besser, weiter den Weg zu beobachten, falls dort etwas Unvorhergesehenes geschah. Bald war es wiedervöllig still um mich. Die Minuten verrannen zäh und reihten sich doch aneinander. Die Reiter tauchten nicht auf. Bald darauf hörte ich den Wagen. »Halt«, sagte Pepe. »Hier ist es gleich.« Ich ging zurück und sah Dona Lisa allein auf dem Bock. Pepe lief neben dem altersschwachen Gefährt her, dessen geflicktes Rad wie durch ein Wunder immer noch zusammenhielt. Der kranke Mann saß bei Lucinda und Jenny auf der Ladefläche. Die Frau stieg ab. »Passen Sie jetzt auf, daß die Tiere uns nicht verraten«, sagte ich. »Wir warten und lassen die Rurales wieder vorbei.« Sie nickte. Ich ließ mein Pferd bei dem Wagen und kehrte mit Pepe zu
unserem Versteck zurück. Wieder verstrichen endlose Minuten. »Wir könnten schon auf der anderen Seite sein«, sagte Pepe und schaute zu mir hoch. »Wir wollen so wenig wie möglich riskieren, Pepe«, entgegnete ich. »Aber es ist richtig, auf die Nerven geht das schon.« Endlich tauchten sie auf. Heiß und kalt rann es mir über den Rücken. Ich war in Sorge, daß uns ein Tier verraten könne oder jemand ein zu lautes Wort sagte. Aber es geschah nichts. Die Rurales ritten vorbei und passierten das Buschwerk, hinter dem sie noch einmal kurz zu sehen waren. Das Rascheln verklang. Pepe hatte nach meiner Hand gefaßt und ließ sie jetzt wieder los, als die größte Aufregung abklang. Ich versuchte, die Minuten exakt zu zählen. »Wie lange warten wir denn noch?« fragte Pepe aufgeregt. »Sie müssen gleich zurückkehren!« »Du irrst dich, Pepe.« Ich beobachtete die Büsche. Nach meiner Schätzung waren höchstens fünf Minuten verstrichen, seit die Rurales untertauchten. Ich zwang mich zur Ruhe und wartete noch eine Weile. »So, jetzt«, sagte ich schließlich und drehte mich um. Die vier Menschen am Wagen hatten bleiche Gesichter und starrten mich an. »Wir gehen langsam«, sagte ich. »Und keiner spricht ein Wort. Kein einziges Wort!« Pepe nahm mein Pferd am Zügel. Ich führte die Maultiere. Jenny, Lucinda und der Kranke hatten aufsteigen müssen. Die Frau ging neben mir her. Wir verließen die Büsche und gerieten auf die freie, vom Mond beschienene Fläche. Der Mann mußte husten. Die Frau stieß ein Zischen aus und sagte: »Reiß dich zusammen, Ernesto!« Unbewußt hatte ich den Colt gezogen und spannte den Hammer. Mein Blick richtete sich dorthin, wo ich die Reiter zuletzt gesehen hatte. Immer weiter drangen wir vor. Immer größer schien das freie
Gelände vor uns zu werden. Dann erkannte ich den Pfad, den die Pferde der Rurales im Lauf der Zeit getreten hatten. Wir querten ihn, passierten Rotdornbüsche und Kakteen und erreichten nach drei bangen Minuten dichtes Sagegestrüpp, in dem ich anhielt. Die Gesichter waren mir zugewandt. »Wir warten hier und lassen sie erst wieder vorbei«, erklärte ich. »Sonst hören sie uns noch.« »Hast du verstanden, Ernesto?« fragte die Frau. »Ja.« »Also richtet euch alle danach. Die Gefahr ist noch nicht vorbei.« Ich entspannte den Hammer des Colts und schob den Revolver in die Halfter. Mit Pepe ging ich zurück, beobachtete den Pfad und sah die Rurales heranreiten, kaum daß wir richtig standen. Wir hatten schon wieder ziemlich viel Glück gehabt. Sie ritten arglos vorbei. »So, das liegt hinter uns«, sagte ich. »Jetzt müssen wir noch möglichst ungesehen einen Tag weiterkommen und den Fluß passieren.« Wir kehrten zu den anderen zurück und setzten unseren Weg fort. Noch zwei Stunden lang konnte ich Dona Lisa bewegen, nach Norden zu fahren. Als dann allerdings Jenny und Lucinda schlafend auf dem Wagen lagen und der wieder auf dem Bock sitzende Mann sich auch nicht länger aufrecht halten konnte, hielt sie an. Pepe war vor mir im Sattel auch eingeschlafen und schreckte hoch. »Was ist los?« fragte der Mann heiser. »Nichts weiter. Wir halten nur und schlafen ein paar Stunden«, erwiderte die Frau. Ich stieg ab und hob Pepe herunter. Die Frau hatte recht. Wir mußten schlafen und Kräfte sammeln.
11. Mahon Tabor ritt mit dem Gewehr in der Hand am Maisfeld vorbei und auf die beiden Lehmhütten zu. Er hatte sich den Hut tief in die Stirn gezogen, weil ihn das grelle Licht der Morgensonne stark blendete.
Eine Frau mit strähnigen, angegrauten Haaren trat aus dem Haus. Sie trocknete ihre Hände an der vorgebundenen Schürze und schob sich die Haarsträhnen hinter die Ohren. Aus dem Korral, in dem ein paar Esel und magere Longhorns standen, tauchte ein Mann auf, der wie die Frau um sechzig Jahre alt sein mochte. Tabor zügelte das Pferd am Brunnen. »Ich suche einen Reiter, der nach Norden unterwegs sein muß.« Der Campesino blieb stehen. »Hierher kommen Rurales, wenn sie kein Brot mehr haben und der Nachschub ausbleibt, Senor. Aber sonst läßt sich hier keiner sehen.« Mahon Tabor saß ab. Kreuz und quer war er geritten. Fast ein Dutzend Menschen hatte er nach Ronco gefragt. Aber keiner hatte einen einsamen Reiter oder mehrere gesehen. Der Mann trat näher heran. »Ist es einer, der flüchten muß?« »Er brach aus dem Gefängnis in San Luce aus.« »Wieso sollten wir ihn dann gesehen haben, Senor? Er wird den Menschen aus dem Wege gehen.« »Irgendwo muß sich jeder mit Lebensmitteln und Wasser versorgen. Das findet er doch nirgendwo. Die wenigen Bäche sind versiegt oder so alkalihaltig, daß sie einen Menschen umbringen würden, wenn er aus ihnen tränke.« »Trotzdem«, beharrte der Campesino. »Es sollen zur Zeit viele Menschen auf der Flucht und schon drüben in Texas sein. Aber wir hier haben von denen nicht einen einzigen gesehen.« Tabor nickte. Er zweifelte daran, ob es richtig war, nach Menschen und einer Spur Roncos zu suchen. Vielleicht hätte er einfach nach Norden reiten sollen. Und zwar so schnell sein Pferd laufen konnte. Dazu war es jetzt zu spät. Er führte das Pferd an die Tränke und ging auf die Frau zu, der er einen funkelnden Goldpeso zeigte, was ihre Augen erstrahlen ließ. Er gab ihr die Münze in die Hand. »Und was wollen Sie dafür, Senor?« »Nichts weiter als etwas zu essen und zu trinken. In einer Stunde sind Sie mich wieder los.«
12. Als die Sonne unterging, hatten wir die Buschgürtel auf der mexikanischen Seite des Rio Grande erreicht. Ich ritt vor dem Wagen und schlug mit dem Gewehr eine Gasse ins Dickicht, bis wir einen richtigen Weg erreichten, der zum Ufer des Flusses führte. Von einer Erhöhung aus sahen wir ihn dann. Eine sandige Halde führte zum Uferstreifen hinunter. Auf der anderen Seite steckte ein Pfahl mit einem Lappen daran am Anfang der sich fortsetzenden Gasse durch die Brasada. Der Wagen hielt an. Die Frau und der Mann standen von dem Bock auf. Auch Lucinda erhob sich auf der Ladefläche und schaute an ihrer Mutter vorbei. Jenny stieg ab und kam nach vorn. »Da sollen wir mit dem Wagen durch?« »Es ist eine Furt«, erwiderte ich. »Siehst du den Sandgrund in der Mitte nicht?« »Ganz schön tief. Und die Strömung ist auch ziemlich stark.« »Wir werden es schaffen.« Ich stieg ab und hob Pepe herunter, der wieder mit mir geritten war. »Du gehst mit auf den Wagen, Pepe.« »Warum?« »Am anderen Ufer sind wir am Ziel. Ich führe euch noch durch die Brasada. Aber du wirst dich nun wieder daran gewöhnen müssen, bei deinen Leuten zu sein.« Pepe kriegte feuchte Augen. Doch er wandte sich brüsk ab, stiefelte zum Wagen und kletterte hinauf. »Nimm mich mit auf das Pferd«, sagte Jenny. »Es ist sicherer.« »Du bleibst auch auf dem Wagen.« »Und wenn die klapprige Kiste unterwegs zusammenbricht?« »Hier sind viele Wagen hinüber, Jenny. Wären welche unterwegs zusammengebrochen, müßten Trümmer da hinten auf der Sandbank gestrandet sein.« Ich deutete nach Osten, wo sich eine Sandbank bis mitten in den Rio Grande schob. »Siehst du etwas?« Sie schaute gar nicht hin. Wild blitzten ihre Augen. »Ich will die Maultiere führen«, fuhr ich fort. »Vielleicht gerät
mein Pferd dabei neben die Furt. Die ist nämlich nicht breit, wie man sehen kann. Ich muß auch deswegen allein reiten. Vielleicht kannst du das besser verstehen.« »Ich kann nur verstehen, daß du gegen mich bist«, sagte das rothaarige Mädchen erbost. »Und ich schwöre dir, das nie zu vergessen!« »Wenn wir drüben sind, trennen sich unsere Wege. Also was sollen diese Drohungen? Wir werden uns vermutlich niemals wiedersehen. Im übrigen könntest du eigentlich ganz zufrieden sein, bis hierher unbehelligt mit uns gelangt zu sein. Das ist ja auch nicht gerade wenig.« Sie ging fluchend wie ein Fuhrknecht zurück und stieg wieder auf den Wagen. Ich schaute die Frau an, die mir zunickte. »Wir sind soweit.« Mit dem Zügel des rechten Maultieres in der linken Hand ritt ich die sandige Halde zum Uferstreifen hinunter und ins Wasser. Ich wußte, daß wir hier sicher das andere Ufer erreichen mußten, wenngleich dies Entschlossenheit voraussetzte. Rasch sanken die Tiere tiefer ins Wasser, scheuten und wollten stehenbleiben. Die Frau knallte mit der Peitsche und feuerte die Maultiere durch Zurufe an. Ich zog am Zügel und gab dem Hengst die Hacken. Das Pferd wurde schneller, so daß ich die Maultiere mitziehen konnte. Schon reichte das Wasser meinem Tier bis an den Sattelgurt. Ich hoffte jedoch, daß dies die tiefste Stelle war. In diesem Augenblick wurde aus den Büschen auf der Nordseite des Rio Grande geschossen. Eine Kugel pfiff mir am Kopf vorbei. »Überfall!« schrie Ernesto Baranca entsetzt. Pulverrauch Stieg aus dem Dickicht. Neue Schüsse krachten. Mein Pferd wurde in den Kopf getroffen und stürzte. Ich mußte den Zügel der Maultiere loslassen, landete im Wasser und wurde von der Strömung sofort gepackt und mitgerissen. Es gelang mir jedoch Fuß auf dem Grund zu fassen. Das Gewehr hatte ich noch in der rechten Hand. Ich hob es an, repetierte es und drückte ab, doch es versagte.
Plötzlich Geschrei. Reiter sprengten aus dem Uferdickicht. Ihre Revolver entluden sich. Sie sprengten ins Wasser und uns entgegen. Ich war ungefähr fünfzig Yards vom Wagen entfernt. Diesen hatte die Strömung indessen quer zur Furt gedrückt. Er hing hinten nach unten und wurde von Wasser überflutet. Jenny und Lucinda hielten sich fest. Auch der Mann und die Frau saßen noch auf dem Bock. Nur Pepe wurde hinausgespült und tauchte unter. Ich wollte zurück und den Jungen festhalten, wenn ihn die Strömung herangetragen haben würde. Doch die Reiter waren schneller. Einer ritt auf mich zu. Ich hörte das Schnauben des Tieres und die Geräusche im Wasser. Mich umdrehend, erkannte ich einen fremden, rauhen Burschen, der den Colt wegsteckte und das Gewehr aus dem Scabbard zog. Noch einmal repetierte ich das Gewehr und versuchte zu schießen. Doch die durch und durch nasse Waffe versagte abermals. Pepe trieb vorbei. Niemand beachtete den Jungen. Der Reiter lachte und schlug mit dem Gewehr nach mir. Da ich kaum Halt in der Strömung fand, hatte ich praktisch keine Chance der Gegenwehr. Der Kolbenhieb traf mich gegen den Hals und warf mich um. Die Strömung griff zu und nahm mich mit. »He, nicht so eilig!« brüllte der Kerl, trieb sein Pferd an, holte mich ein und beugte sich aus dem Sattel. Benommen von dem heftigen Schlag war ich unfähig, mich zu wehren. Der Kerl schnappte mich am Arm und lenkte sein Pferd zurück. Indessen hatten die vier anderen Reiter den Wagen umringt, bedrohten die Insassen mit den Colts und trieben die Maultiere an. Ich fand endlich wieder Halt im weniger tiefen Wasser in Ufernähe. Als ich versuchte, meinen Arm zu befreien, versetzte mir der Halunke einen Tritt in den Rücken und ließ los. Ich stürzte, schluckte Wasser, tauchte auf und mußte husten. Der nächste Tritt beförderte mich taumelnd vorwärts. Der Schuft hinter mir lachte und knallte mir den Gewehrkolben ins Genick. Kaum noch bei Bewußtsein, schleppte ich mich schwankend auf den Sandstreifen und brach zusammen. Der Wagen wurde aus dem Wasser gefahren und hielt an. »Los, los, alles herunter!« befahl Brewster, der Bandenführer.
»Und Pfoten über den Kopf, wenn ihr nicht abdampfen wollt!« Die verängstigten Menschen gehorchten. Ich hob den Kopf. Wasser lief mir aus den Haaren und über das Gesicht. Aber die Übelkeit verging soweit, daß ich wieder klar denken und die Szene überschauen konnte. Das ganze war wie eine Ironie des Schicksals. Texas hatten wir erreicht. Wir befanden uns an dem Ufer, das uns allen als die Rettung erschienen war, solange es noch in der Ferne gelegen hatte. Jetzt aber, nachdem wir es erreicht hatten, gab es neuen, für uns noch nicht überschaubaren Ärger. »Was wollen Sie von uns?« fragte der Mexikaner mit seiner heiseren Stimme. Mit erhobenen Händen stand er zitternd neben der Frau am Wagen. »Wir haben Ihnen nichts getan. Wir kennen Sie nicht einmal, Senor!« »Idiot«, sagte Brewster abfällig und drehte sich um. »Los, Andrew, bring den Kerl auch her!« »Hast du gehört?« fragte der Reiter über mir. Es war sinnlos, wenn ich mich weigerte. Der Kerl würde wieder zuschlagen, nach mir treten oder sich neue Gemeinheiten einfallen lassen. Ich stand auf und erhielt trotzdem einen Schlag gegen die Schulter. »Schneller, verdammt!« Ich fuhr herum, schnappte das Bein des Kerls und riß ihn aus dem Sattel. Die Wut auf die Horde verschaffte mir ungeahnte Kräfte. Der verblüffte Bandit stürzte, sprang auf und lief in meinen Kinnhaken. Mit rudernden Armen taumelte er zurück und prallte gegen sein Pferd. Aber da kam ihm einer hinter mir zu Hilfe. Ich hörte ihn noch und wirbelte herum. Zu spät. Der achtkantige Lauf seines Colts traf mich, in meinem Kopf schien etwas zu explodieren. Feuer, Rauch und Sterne standen vor meinen Augen. Das grinsende Gesicht des stoppelbärtigen Banditen schob sich in die Breite. Meine Knie gaben nach. Ich merkte noch, daß ich wieder im noch warmen Sand landete. Dann löschte mein Bewußtsein aus. *
Unbeachtet von den Banditen war der kleine, dunkelhäutige Pepe mit den Fluten des Rio Grande abgetrieben. Die Strömung trug ihn um eine Krümmung und dem Prallhang auf texanischer Seite entgegen. Dichtes Gestrüpp stand bis an den Fluß. Pepe, der wie ein Spielball der Elemente dahintrieb und immer wieder Wasser schluckte, wollte nach dem Geäst greifen. Es mißlang. Seine Fingerspitzen berührten es noch nicht einmal. Der Mexikanerjunge konnte nicht schwimmen. Niemals in seinem Leben hatte sich in der Stadt dazu Gelegenheit geboten. Aber er kämpfte mit Händen und Füßen gegen den Tod an, der ihn in die Tiefe ziehen wollte. Er bemühte sich dabei, noch dichter ans Ufer zu gelangen, was aber mißlang. Doch bevor der Hauptstrom wieder zur Mitte schwang, trieb Pepe unter einem weitästigen, dicht am Ufer stehenden Baum hindurch. Im letzten Moment griff er nach dem Ast, der über ihm hing, und konnte sich daran festhalten. Das Wasser zog noch an seinen Beinen und wollte ihn weiter mitnehmen. Doch Pepe klammerte sich fest und hangelte dem Ufer entgegen. Als seine Kraft versagte und die Finger sich öffneten, stürzte er auf Sand. Dicht neben ihm rauschte der Rio Grande vorbei. Es dauerte eine Weile, bis Pepe begriff, daß die unmittelbare Todesgefahr hinter ihm lag. Er hob den Kopf, sah eine fremde, wilde, in der Dunkelheit versinkende Umgebung und hörte Hunderte von Stimmen einer aufgeschreckten Tierwelt in der Brasada. Das Gefühl grenzenloser Verlassenheit überfiel ihn mit elementarer Gewalt, ließ sein Herz hämmern und trieb Tränen aus seinen Augen. Niemals zuvor hatte er solche Angst wie in diesen Minuten gehabt. Niemals hatte er sich so allein gefühlt. So gab er sich minutenlang ganz dem Schmerz und der Verzweiflung hin, bis sich sein Lebenswille durchsetzte. Wieder hob der Junge den Kopf, wischte die Tränen weg und dachte an Ronco, den neu gewonnenen Freund. Er hatte ihm wiederholt gesagt, daß der Mensch Hoffnung hat, solange er lebt und seine Hände frei sind. Das war bei Pepe der Fall. Er stand auf und wischte wieder über
die Augen. Sein Blick war dorthin gerichtet, wo er die Furt vermutete. Er dachte an das, was er zuletzt von seinen Leuten, Ronco und den fremden Reitern gesehen hatte, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel über sie hergefallen waren. Er mußte zurück und erkunden, was aus den anderen geworden war. Vielleicht lebten sie noch. Vielleicht konnte er ihnen helfen. Entschlossen setzte sich der kleine Mexikanerjunge in Marsch und eilte den Fluß entlang nach Westen.
13. Ich lag gefesselt auf einer Lichtung und schaute zu dem Feuer hinüber, um das die fünf Banditen saßen. Hinter ihnen waren zwei verschieden große Zelte zu erkennen. Daneben war der Wagen abgestellt worden, an dessen Räder Dona Lisa, ihr Schwager und Lucinda gefesselt waren. Jenny lag in meiner Nähe. Sie war ebenfalls an Händen und Füßen gebunden worden. Man hatte uns beiden Weißen offenbar mit Absicht von den Mexikanern abgesondert. »Das haben wir alles deiner Sturheit zu verdanken«, fauchte das ehemalige Barmädchen, als ich es anschaute. »Was soll der Unsinn?« fragte ich. »Auf Pferden hätten wir den Fluß an einer anderen Stelle überqueren können, nicht ausgerechnet bei einer markierten Furt.« Insgeheim gestand ich mir ein, daß sie recht haben könnte. Meinen Fehler vermochte ich aber nicht darin zu erkennen, daß ich den Mexikanern um Dona Lisa half. Falsch war lediglich gewesen, daß ich nur auf der mexikanischen Seite mit Gegnern gerechnet hatte, nicht auch auf dieser. »Zum Teufel, was soll das alles eigentlich?« rief Jenny zum Feuer hinüber. Der große Anführer mit den roten Borstenhaaren auf dem quadratischen Schädel drehte den Kopf und schaute über die Schulter zu uns. »He, was soll das?« schrie Jenny. »Wollt ihr das nicht endlich mal erklären?« »Hat wohl Haare auf den Zähnen, die Schöne«, meinte einer der
Kerle. Sie grinsten dreckig. Der Bandenführer erhob sich und ging auf uns zu, während er die Mexikaner unbeachtet ließ. Breitbeinig stand er ein paar Augenblicke später wie ein Riese über mir und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ich bin Jolan Brewster.« »Was wollt ihr von uns?« fragte Jenny. Sie bewegte die Hände und die Füße und hoffte wohl, sich befreien zu können. »Wir sind vor den Mexikanern geflohen und werden von Amerikanern gefesselt. Was soll solcher Blödsinn?« »Die Mexikaner zahlen einen Haufen Geld für die meisten Flüchtlinge«, erwiderte Jolan Brewster. »Wenn man Geld für jemanden kassieren kann, dann ist es kein Blödsinn, ihn zu fesseln.« Ich begriff schlagartig. Und Jenny auch. Ihr Mund klappte auf. Von dem bulligen Kerl schaute sie zu mir. »Menschenhändler«, sagte ich verächtlich. »Du sagst es, mein Junge.« Brewster lachte glucksend. »Wieviel bist du den Mexen wert?« »Keine Ahnung.« »Wir werden es erfahren. Die Rurales prüfen für uns die Werte der Leute, die wir anzubieten haben.« Brewster schaute Jenny an. »Und du?« »Was ist mit mir?« Jenny wirkte konfus. »Was du wert bist?« »Wieso sollte ich etwas wert sein?« »Du bist aus Mexiko geflohen. Wahrscheinlich warst du als Flittchen bei der Revolvergarde des Kaisers. Du bildest dir wohl ein, ich wüßte nicht, was da drüben gelaufen ist? Wir kennen das Spielchen, darauf darfst du dich verlassen. Die sind verrückt darauf, die Revolvermänner und die Flittchen zu schnappen. Sie schneiden den Mädchen die Haare ab, was noch harmlos ist. Manche sollen schon auf Scheiterhaufen verbrannt worden sein.« Jenny war zusehends bleicher geworden. »Ihr wollt uns wirklich an die Mexikaner verkaufen?« »Na klar.« Sie schien es nicht fassen zu können.
»Euch und die da drüben.« Brewster schaute zu den gefangenen Mexikanern am Wagen. »Das gibt sicher eine schöne Stange Geld.« Einer seiner Kumpane hatte sich erhoben und genähert. »Eigentlich sollte man die kleine Mexikanerin erst mal mit ins Zelt nehmen, Jolan.« Auch Brewsters Blick wurde lüstern, als er Lucinda genauer als bisher betrachtete. »Die ist genau im richtigen Alter«, fuhr der andere Halunke fort. »Sie ist noch ein Kind«, sagte Jenny. Ich sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. Und als Brewster sie wieder anblickte, trat ein Locken in ihre Katzenaugen. »Versuch es mit mir«, schlug sie vor. »Du willst doch nur, daß ich dich freilasse«, knurrte Brewster. »Natürlich will ich das. Ich kann dir zwar kein Geld für meine Freiheit anbieten, aber vielleicht was Besseres.« Brewster grinste sie freundlicher an. »Vielleicht gar keine dumme Idee, Goldschatz.« »Verdammt, binde mich los von den Stricken!« Jenny hielt die Hände zu dem klotzigen Kerl hoch. Brewster schaute den anderen an, der ebenfalls grinste und ein Auge zukniff. »Die legen dich rein, Jenny«, sagte ich, obwohl es mir eigentlich gleichgültig war, auf was sie sich einließ. »Halt's Maul!« fuhr Brewster mich an und versetzte mir einen Tritt. »Na los, sei kein Frosch!« rief Jenny dem Kerl zu. »Oder hast du vielleicht Angst vor mir?« »Vor einer Frau? Du spinnst wohl?« »Wenn du keine Angst vor mir hast, was zögerst du dann noch?« Brewster blickte wieder auf seinen Kumpan. Inzwischen näherten sich auch die drei anderen vom Feuer. Sie bildeten vor uns einen Halbkreis. Und alle schauten auf Jenny, die sagte: »Jolan scheint Angst vor Frauen zu haben.« Brewster ging zu ihr, bückte sich, befreite sie und zog sie auf die Beine. Sie lachte befreit und küßte den borstenhaarigen Kerl im abgeschabten Lederanzug.
»Geh in das große Zelt und warte dort«, befahl Brewster. »Andrew, du paßt auf, daß sie nicht versucht, eine Fliege zu bauen.« »Traust du mir nicht?« fragte Jenny spitz. »Nein«, sagte der Kerl barsch. »Nun schieb schon ab.« Andrew ging Jenny nach, als sie den Platz im Dickickt überquerte und das größere Zelt betrat. Brewster und seine anderen Kumpane schlenderten zum alten Ranchwagen weiter, der wie durch ein Wunder alles überdauert hatte. »Also, ihr habt es gehört«, erklärte der Bandenführer. »Wir werden die Rurales fragen, was ihr wert seid und ein kleines Geschäft abwickeln. Dann seid ihr wieder dort, wo ihr hingehört.« »Sie wissen doch gar nicht, wer wir sind«, erwiderte Dona Lisa mit bewundernswert fester Stimme. »Das wird mir die kleine Hure schon verraten, keine Sorge. Die erzählt alles, was ich wissen will. Wollen wir wetten?« Lucinda rannen Tränen über die Wangen. Der kranke Mann hustete erstickt. »Er braucht dringend einen Arzt«, sagte die Frau. »Er hat es mit der Lunge.« »Ist mir doch egal.« Der Bandenführer drehte sich um und ging auf das Zelt zu, an dem Andrew stand und ihn angrinste. »Die zieht sich schon aus, Jolan.« Brewster betrat das Zelt und ließ die Eingangsplane hinter sich herabfallen. Jenny lag auf seiner Pferdedecke. Hell schimmerte ihr Körper in dem fahlen Licht, das durch die Plane vom Feuer hereindrang. * Sie hatte sich wieder angezogen und wandte sich dem Ausgang des Zeltes zu. »Wo willst du hin, Jenny?« Brewster fischte mit dem Fuß nach seiner Hose und zog sie an. Jenny war stehengeblieben und hatte sich umgewandt. »Ich denke, ich gehe.«
»Wohin?« »Fort.« »Das war aber nicht vereinbart.« Brewster packte ihr Bein und riß sie um. Sie schrie auf. Er lachte brutal. »Ich könnte dich höchstens bei mir behalten, Jenny«, räumte er ein. »Als Freundin.« Sie setzte sich auf. »Du gefällst mir, Schätzchen. Obwohl …« Er brach vieldeutig ab. »Ich bin den Mexikanern nichts wert. Es lohnt sich nicht, mich an die Rurales auszuliefern. Bestimmt nicht, Jolan!« Er grinste nur. »Sie sind ganz verrückt darauf, die weißen Flittchen zu kriegen. Das weiß ich genau.« Jenny schob sich zurück. »Hast du Interesse an einem kleinen Handel, Jolan?« Er wurde ernst. »Was hast du anzubieten?« »Du gibst dein Wort, mich nicht über den Rio Grande zu verkaufen, und ich sage dir dafür was.« »Was ist es?« »Eine Sache, die fünftausend Dollar bringen kann!« »Fünftausend? Hast du fünftausend gesagt?« »Habe ich.« »In Ordnung. Heraus damit!« »Du schwörst, mich nicht zu verkaufen?« »Ich schwöre es«, sagte der Kerl feierlich. »Und nun pack aus, Jenny, mein Schatz!« Sie zögerte noch. »Ich will eine Sicherheit.« »Was willst du, ich habe dir doch vorhin schon halbwegs zugesagt, dich zu behalten. Vielleicht werden wir noch Partner. Auch im Geschäft, Jenny!« Sie nickte. »Der junge Weiße heißt Ronco. Als wir in Mexiko auf der Flucht waren – damals mit noch ein paar anderen Amerikanern zusammen –, da stellte sich plötzlich heraus, daß er gesucht wird. Nicht drüben in Mexiko. Hier in Texas!« »Für fünftausend Dollar?« »Ja, Jolan.« Der borstenhaarige Bandenführer schaute zweifelnd auf das
ehemalige Barmädchen. »Jetzt denkst du, ich will dich auf den Arm nehmen, was, Jolan?« »Fünftausend Dollar sind eine phantastische Summe. Wenn einer den zehnten Teil davon wert ist, muß er schon eine schöne Latte auf dem Kerbholz haben. Für gewöhnlich jedenfalls.« »Es stimmt trotzdem. Irgendeine Sache mit der Armee. Das haben die anderen damals erzählt. Und er ist es in Texas wert!« »Ich habe nicht übel Lust, dir zu glauben, Jenny.« »Es ist die Wahrheit. Die anderen damals wußten es ganz genau. Irgendwo in einem Nest in Mexiko hatten sie davon erfahren.« Jolan stieß das ehemalige Barmädchen zur Seite und verließ das Zelt. Seine Kumpane saßen am Feuer und blickten ihm grinsend entgegen. Brewster schaute in meine Richtung, trat auf mich zu und kontrollierte meine Fesseln. Dann ging er zu den anderen zurück und redete mit ihnen. Sie schauten sich alle nach mir um. Jenny trat aus dem Zelt. Der Feuerschein beleuchtete ihr Gesicht mit den zerzausten Haaren. »Fünftausend?« fragte einer der Banditen. Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich. Jennys grüne Katzenaugen funkelten mich an. Sie kam langsam, so als müsse sie jede Bewegung betonen, auf mich zu. Sie kostete diesen Gang aus, und ich wußte, daß es ihre Rache war. Ich hatte verhindert, daß sie im Stall von San Luce ein Pferd stehlen konnte. Statt dessen hatte sie auf dem Wagen der Barancas die weitere Flucht fortsetzen müssen, und das paßte ihr alles nicht. Sie blieb vor mir stehen. »So, jetzt erst sind wir quitt!« »Du taugst nichts, Jenny«, erwiderte ich ruhig. »Ich hätte dich mit deiner Angst im Stall San Luce sitzenlassen sollen.« »Dann wärst du nicht so weit gelangt. Dann hätten sie dich und deine Greaser schon nach zwei oder drei Stunden wieder gehabt.« »Nicht, wenn ich dich verpackt hätte wie den Stallbesitzer.« Ich schaute an ihr vorbei auf die Banditen, die sich vom Feuer her näherten. Jenny wandte sich um. Noch immer lächelte sie. »Es ist kein
dummes Zeug, Leute.« »Wir glauben dir ja.« Brewster blieb breitbeinig vor ihr stehen und grinste sie an. Die anderen Kerle standen rechts und links des Bandenführers. Und alle grinsten sie. Jenny trat zurück und war fast an meinen ausgestreckten Beinen angelangt. Die Situation erschien ihr seltsam. Diese grinsenden und schweigenden Kerle ängstigten sie auf einmal. »Bindet sie wieder«, befahl Brewster. Jenny zuckte zusammen. »Was ist los?« »Sie werden dich wieder binden«, erklärte der Bandenführer. »Wir verscherbeln dich an die Rurales, mein Schatz. Genauso wie die Mexe.« »Aber du hast versprochen …« Jolan Brewster winkte ab. »War nur so eine Redensart, damit du wirklich ausspuckst, was du weißt, Süße. Du mußt das auch nicht persönlich nehmen. Es ist nicht gegen dich gerichtet. Es geht ums Geschäft. Geschäfte sind wichtiger als Gefühle und solches Zeug. Du bist für uns eine Handelsware. Und bestimmt keine schlechte, wie sich noch herausstellen wird. Also müssen wir dich verkaufen. Was wären wir sonst für Geschäftsleute?« »Du Schwein!« Jäh wurde der Bandenführer ernst. Bevor Jenny begriff, wie ihr geschah, hatte er ausgeholt und schlug zu. Seine flache Hand landete klatschend in ihrem Gesicht. Sie flog zurück, stolperte über meine Beine und stürzte zu Boden. »Los, fesselt sie! Und legt sie abseits von dem hier!« Alle vier Kumpane von Brewster fielen über das ehemalige Barmädchen her. Jenny fluchte, trat, schlug um sich und biß. Doch es nutzte ihr nichts. Sie wurde an Händen und Füßen gefesselt, zwanzig Yards weggeschleift und liegen gelassen. »Ihr verdammten Schweine!« schrie sie den Kerlen nach, als die zu ihrem Boß zurückkehrten. »Der Teufel wird euch alle holen! Und dich zuerst, Brewster!« Die Kerle achteten nicht mehr darauf. Jennys Fluchen wurde immer lästerlicher. Wild bemühte sie sich,
die Fesseln zu sprengen. Die Kerle schauten mich an. Brewster beugte sich vor. »Was ist es, Ronco? Was hast du ausgefressen, daß sie für deinen schönen Kopf fünftausend Bucks zahlen wollen?« Ich dachte gar nicht daran, darauf zu antworten. Sie blickten alle gespannt auf mich. Und einer sagte: »Um ganz ehrlich zu sein, Jolan, soviel Zaster hab ich nie im Leben auf einem Haufen gesehen!« »Wirst du bald nachholen können, Cass.« Brewster richtete sich auf. »Der muß eine Menge auf dem Kerbholz haben, wenn das wirklich stimmt, daß jeder Sheriff fünftausend Dollar für ihn zahlt«, murmelte Andrew. »Wir sollten darauf einen trinken«, schlug Cass vor. Sie kehrten zum Feuer zurück. * Einer hatte eine Whiskyflasche aus dem kleinen Zelt geholt. Sie saßen um das Feuer und ließen die Flasche kreisen. Jenny hatte ihre Befreiungsversuche eingestellt. Weinend und schimpfend lag sie im Gras. Hinter mir raschelten die Büsche. Ein Zischen erreichte meine Ohren. »Ich bin es, Pepe!« Die Kerle am Feuer lachten. Noch einmal kreiste die Whiskyflasche unter ihnen. Hinter mir raschelte es wieder. Dann berührte etwas meine Hände. »Du spielst mit deinem Leben, Pepe«, flüsterte ich. »Ich habe auch Angst«, gestand der Junge. Mein Blick glitt zu Jenny hinüber, die weinend auf dem Boden lag. Sie hatte jedenfalls noch nichts von der Anwesenheit des Jungen bemerkt. Offenbar hatte sie ihn auch längst vergessen. Und den Banditen schien der Mexikanerjunge gar nicht erst aufgefallen zu sein, als er ins Wasser stürzte und von der Strömung fortgerissen wurde.
Seine Leute am alten Ranchwagen saßen so weit im Feuerschein, daß er sich dorthin sicher nicht gewagt hatte. »Ich habe ein Messer«, sagte der Junge. »Dann schneide mir die Fesseln durch«, sagte ich leise. Pepe tat es und drückte das Messer in eine meiner befreiten Hände. Ich hörte sein leises Atmen im Nacken. Er wartete. »Zieh dich zurück, Pepe«, murmelte ich. »Warte in den Büschen. Wenn die Kerle genug gesoffen haben, werden sie sich schlafen legen. Dann komme ich zu dir.« »Gut, Ronco.« Wieder tönte das Rascheln an meine Ohren, entfernte sich aber rasch. Meine Finger schlossen sich um das Heft des Messers. Niemand hatte etwas bemerkt. Ein langsamer Blick in die Runde verriet es mir deutlich. Zwischen den Banditen kreiste die Whiskyflasche. Das Gelächter der Kerle wurde lauter. Es war Vorfreude über den Reichtum, den sie bereits in ihrem Besitz wähnten. Bald warf einer die leere Flasche ins Dickicht neben den Zelten. »Hol noch eine, Lorne!« befahl der Bandenführer. »Jetzt sind die Zeiten in der Brasada bald vorbei«, sagte Milton Power. »Wenn wir genügend Geld kassiert haben, können wir in die Städte gehen. Muß ja nicht gerade hier in Texas sein.« Die zweite Flasche wurde gleich darauf angebrochen. Inständig hoffte ich, daß sie nicht auf den Gedanken verfielen, noch einmal meine Fesseln zu kontrollieren. Cass rülpste laut, erhob sich als erster, ging zu dem kleineren Zelt und verschwand darin. »He, Cass, ist noch was in der Flasche!« brüllte Andrew dem Komplicen nach. »Hab den Kanal voll«, meldete sich der andere. Er trat nicht mehr aus dem Zelt. »Mir reicht es auch«, erklärte Milton gleich darauf. »Wir müssen noch die Rurales verständigen.« »Alles zu seiner Zeit«, erwiderte der Bandenführer, nahm Lorne die Flasche ab und trank. »Na, von mir aus.« Milton Power wandte sich ebenfalls dem kleineren Zelt zu.
Nach einer halben Stunde saß nur noch einer der Halunken am Feuer. Alle anderen waren in die Zelte gegangen. Ich schaute vorsichtig zu Jenny und den Mexikanern am Ranchwagen hinüber. Sie verhielten sich still. Jenny schien sogar eingeschlafen zu sein. Der Bandit sank langsam zur Seite, kippte um und blieb liegen. Ich ließ ein paar Minuten verstreichen. Dann erst zog ich die Beine an und löste die Fesseln daran. Das Messer lag neben mir. Befreit schaute ich mich um, ergriff das Messer und richtete mich auf. Nichts geschah. Keiner hob den Kopf. Ich schob mich zwischen die leise raschelnden Büsche. Vor meinem Gesicht schlugen Äste zusammen. Schon sah ich die Szene wie durch einen Vorhang. Ein Zischen neben mir ließ mich halten und zur Seite schauen. Undeutlich erkannte ich den kleinen dunkelhäutigen Jungen. Pepe glitt an meine Seite. Ich strich ihm über den Kopf. Er blickte mich mit großen, fragenden Augen an. »Sie sagten, sie kriegten fünftausend Dollar für dich. Von den Sheriffs in Texas.« »Ja, das ist wahr, Pepe.« Ich ging in die Hocke. »Sie sind hinter dir her?« »Ja. aber ich bin kein Bandit. Sie wollen mir ein Verbrechen in die Schuhe schieben, mit dem ich nichts zu tun habe – einen Überfall auf einen Treck durch Indianer.« »Hat der Mann damit zu tun, der dich in San Luce töten lassen wollte? Dieser Tabor?« »Mahon Tabor, ja, Pepe. Der war Offizier in dem Fort, in dem ich als Scout angestellt war. Ihm ist nicht über den Weg zu trauen! Aber jetzt ist es wichtiger, daß wir uns um die anderen kümmern. Wir müssen sie befreien.« »Vielleicht liegen am Fluß noch Waffen herum.« »Am Rio Grande?« »Ja. Dort, wo sie uns überfielen. Könnte doch sein, daß dabei etwas liegenblieb.« Daran hatte ich noch nicht gedacht. In der Tat konnte es sein, daß sie etwas übersehen hatten. Eine Waffe erschien mir sehr wichtig, falls der Wächter aufwachte. Wenn ich schießen konnte, waren sie
vielleicht von einer Verfolgung abzuhalten, und es gelang uns, in der Brasada zu verschwinden. »Es ist nicht weit«, flüsterte Pepe mir zu. »In ein paar Minuten können wir zurück sein.« »Also gut, suchen wir das Ufer ab.« Ich drehte mich um, nahm den Jungen an der Hand und schlich mit ihm durch das Dickicht. Dort, wo die Brasada etwas lichter wurde, fiel silbernes Mondlicht auf den Wagenweg, der Flüchtlinge in die Falle der Banditen führen sollte. Wir hörten das Schmatzen der Sümpfe im Stecheichendickicht und hielten uns an den sicheren Pfad, dem leicht zu folgen war.
14. »Nein«, sagte Pepe enttäuscht. Wir hatten den ganzen Uferstreifen abgesucht, aber nichts gefunden. Unser Weg hierher war umsonst gewesen. Noch standen wir am Ufer und blickten auf das schimmernde Wasser, das sich nach Osten bewegte. Da brach auf der anderen Seite ein Reiter aus dem Gestrüpp, sprengte zum Rio Grande hinunter und durch den Fluß auf uns zu. »Mahon Tabor«, sagte Pepe. »Es ist der Mann aus San Luce, der die Juaristas anführte!« Ich zog Pepes Messer hinter dem Gürtel hervor. Der Reiter feuerte aus seinem Colt. Laut hallte das Krachen in die Brasada hinein und weckte die Wildnis auf, die mit Hunderten von Stimmen antwortete. Die Kugel traf den Sand, der in die Höhe geschleudert wurde. »Deckung, Pepe!« rief ich. Der Junge warf sich zu Boden. Mahon Tabors Colt entlud sich noch einmal. Doch auch die zweite Kugel traf mich nicht. Sein Pferd hatte die tiefste Stelle der Furt hinter sich gelassen und wurde unter den Sporenstößen und den anfeuernden Zurufen wieder schneller. Es wieherte, raste auf mich zu und schien mich umrennen zu wollen. Doch ich sprang zur Seite, entging dem Pferd und Tabors dritter
Kugel, die in diesem Moment abgefeuert wurde. Ich schnellte hoch, packte den Mann und riß ihn vom Pferd. Er stürzte schwer auf mich, so daß ich selbst fiel, mich aber wegrollen konnte. Tabor kniete und griff nach der entfallenen Waffe. Ich warf mich seitwärts. Feuer und Rauch fuhren aus der Mündung. Noch einmal hatte ich Glück. Doch ich hatte keine Chance gegen die nächste Kugel. Und Tabor wußte es. Die Entfernung war günstig. Er lachte. »Jetzt knalle ich dich ab, Kerl!« Doch da war Pepe wieder zur Stelle. Von der Seite warf er sich gegen Tabor. Tabor stürzte auf die Schulter. Hinter ihm rollte Pepe zu dem Pferd, das schnaubend Sprünge vollführte. Ich nutzte die Gelegenheit, stürmte vor und trat Tabor gegen das Handgelenk, als der die Waffe hob. Der Revolver entglitt ihm. Er sprang auf und prallte in das Messer Pepes, das ich in der Rechten hielt und instinktiv vorstieß. Mahon Tabor brüllte im Schmerz und taumelte. Ich versetzte ihm einen Schwinger. Er taumelte zurück und stürzte über Pepe. Der Junge sprang auf. Tabor rührte sich nicht mehr. Pepe beugte sich über ihn. »Er ist bewußtlos!« Ich schaute auf das Dickicht, das wie eine Mauer die Brasada begrenzte. Und ich fragte mich, ob die Schüsse diese grüne Hölle durchdrungen und die Ohren der Banditen erreicht hätten. »Du denkst, sie haben es gehört?« fragte Pepe. »Ja.« »Dann wissen sie jetzt, daß du weg bist.« Ich nickte, blickte auf den bewußtlosen Gegner und war unschlüssig. Mahon Tabor hatte ich. Aber noch wichtiger erschien mir im Augenblick das Schicksal der Barancas. Ich mußte ihnen um jeden Preis helfen, durfte dabei aber keinen Fehler begehen. »Wir verstecken ihn und warten erst einmal ab«, schlug ich vor. »Wir müssen ihn aber fesseln!« entgegnete der Junge. Sein Eifer brachte mich zum Lächeln. Ich strich ihm über den Kopf. »Selbstverständlich.« Dann gingen wir schnell daran, Mahon
Tabor mit seinem eigenen, zerschnittenen Lasso zu binden. Wir legten ihn auf das Pferd, entfernten uns ein Stück nach Westen und drangen in das Dickicht ein. * Meine Chancen, die Mexikaner aus der Gewalt der Banditen zu befreien, waren erheblich gestiegen. Ich war auch entschlossen, allein gegen die ganze Bande zu kämpfen. Die Frage war nur, wann dazu der günstigste Augenblick gekommen war, ob sofort, etwas später oder erst bei Anbruch eines neuen Tages, wenn man besser sah, wer wo stand. Bis dahin dachten die Halunken vielleicht auch, ich hätte das Weite gesucht und die Mexikaner ihrem Schicksal überlassen. Pepe kam durch das Dickicht zu der winzigen Lichtung, auf die ich den gefesselten Mahon Tabor legte. »Einer ist über den Fluß«, sagte der Junge. »Wo wird er hinreiten? Sucht er uns da drüben?« »Kaum. Sie werden trotz allem das Geschäft schnell abwickeln wollen. Also verständigt der Kerl die Rurales.« Mahon Tabor lag ganz still auf dem Grasteppich. Er stellte sich bewußtlos, doch ich wußte, daß er jedes Wort hörte und verstand. »Wird es noch lange Nacht sein?« fragte der Junge. »Nein. Jetzt, im Frühsommer, sind die Nächte sehr kurz. Ich denke, das Morgengrauen läßt nicht mehr lange auf sich warten.« Ich schnallte mir Tabors Patronengurt um und überprüfte sein Gewehr, schob es aber wieder in den Scabbard. Dann hob ich Pepe auf das Pferd, einen grauen Wallach, und nahm das Tier am Zügel. »Ich komme zurück, Tabor«, sagte ich über den Gefesselten gebeugt. Der Mann reagierte nicht. Es war mir gleichgültig. Das Pferd am Zügel, so verließ ich die kleine Lichtung. Ein Stück führte ich das Tier, dann ließ ich den Zügel los. »Was ist los, Ronco?« »Wir sind zu laut, Pepe. Am besten, wir lassen das Pferd zurück
und gehen zu Fuß.« Pepe stieg sofort ab, trat an meine Seite und sagte: »Vergiß das Gewehr nicht!« Ich zog das Mehrladegewehr aus dem Sattelschuh und schlich mit Pepe an der Seite so leise wie möglich durch das Gestrüpp. Dabei versuchte ich, die Richtung nach Nordosten nicht zu verlieren. Das war insofern besonders schwierig geworden, als der Mond bereits unterging und Finsternis uns umgab. Wir mochten eine Viertelstunde unterwegs gewesen sein, als mir klar wurde, daß in der Richtung nichts mehr für uns zu finden war. Der Blick, den wir wechselten, bestätigte, daß wir beide das gleiche dachten. Doch keiner von uns sagte etwas. Wir wandten uns nach Südosten und gingen weiter. Endlich, nach abermals zehn Minuten, sahen wir Feuerschein durch das Gestrüpp schimmern. Ich bewegte mich mit Vorsicht weiter. Bald hörte ich Stimmen, die aufgeregt klangen. Pepe huschte vorbei und erreichte vor mir den Rand der Lichtung. Ich blieb stehen und schaute mich um. Der Colt lag in meiner Hand, der Hammer war gespannt, und mein Finger krümmte sich um den Abzug, bereit, jeden Augenblick durchzuziehen. Doch um mich herum rührte sich nichts. Pepe gab aufgeregte Zeichen, die ich jedoch erst erkannte, als ich in seiner unmittelbaren Nähe war. Wir kamen zu spät. Ich sah es, als ich den Feuerschein zu erkennen vermochte. Die Gefangenen lagen auf dem altersschwachen Ranchwagen. Vier Banditen trieben die Maultiere an und verschwanden gerade mit dem Gefährt in der Gasse der Wildnis Richtung Süden. Pepe wollte das Versteck verlassen und den Reitern kopflos nachstürzen, um seine Leute zu retten. Doch ich konnte ihn noch festhalten. »Wir holen sie nicht ein!« rief der Junge. »Unser Pferd steht ganz in der Nähe. Das schaffen wir noch!« Ich zog ihn mit Gewalt zurück und hoffte, den richtigen Weg zu dem Tier zu finden. Es gelang in der Tat. Schnell hob ich Pepe hinauf, saß
hinter ihm auf und ritt los. Verlassen lag die Lichtung im Schein des Feuers, das allmählich niederbrannte. Von der Bande war nichts mehr zu hören. »Wir müßten sie von der Flanke packen«, sagte ich versonnen. »Aber dafür reicht die Zeit nicht, weil wir uns an den Sümpfen vorbei nur langsam bewegen können.« »Schnell weiter!« drängte Pepe. Wir hatten in der Tat keine Wahl. Nur wenn wir dem Wagenpfad folgten, vermochten wir sie noch einzuholen. Also trieb ich Tabors Pferd an und ritt über die Lichtung.
15. Die Dämmerung lag bereits über dem Fluß. Ganz plötzlich hatte sie die Nacht verdrängt. Doch aus den Büschen und den Sümpfen stiegen überall Schwaden weißer Nebelwolken, die die Sicht erheblich einschränkten. Der Wagen stand am Flußufer, umgeben von den vier Banditen. »He, Jolan, die Rurales sind hier!« meldete sich der fünfte Kerl, den Pepe nach Mexiko hatte reiten sehen. »Los, weiter!« befahl der Bandenführer. Mit dem Gewehrkolben schlug er nach dem einen Muli und trieb es damit ins Wasser. Jetzt durfte ich keine Sekunde mehr zögern. Ich durfte auch nicht mehr abwägen. Egal, was passierte, jetzt galt es, zu handeln. So trieb ich das Pferd an und feuerte aus dem Gewehr. Die Banditen schauten zurück und konnten mich sicher genauso schlecht sehen wie ich sie. Aber sie feuerten sofort aus den Colts. Ich repetierte und schoß. Einer der Halunken schrie auf und kippte aus dem Sattel. Die anderen feuerten weiter. Mein Pferd stoppte und stieg mit wirbelnden Hufen auf die Hinterhand. Aus dem Sattel rutschend nahm ich Pepe mit. Wir kamen sicher auf. Ich ließ den Jungen los, repetierte das Gewehr, feuerte und lief weiter. Unsicher für mich drehten am anderen Ufer die Rurales ab. Da sie befürchten mußten, daß Texas Ranger oder Soldaten die Banditen aufgespürt hatten, wollten sie mit dem schönen, einträglichen Geschäft plötzlich nichts mehr zu tun haben. Und der fünfte Bandit
da drüben glaubte das gleiche und gab für das Leben seiner Kumpane keinen Cent mehr. Er warf sein Pferd herum und galoppierte davon. Ich hatte es nur noch mit drei Banditen zu tun. Einer von ihnen wurde von meiner nächsten Kugel in die Schulter getroffen. Er brüllte, strauchelte, stürzte in den Fluß und wurde von der Strömung mitgenommen. Das Gewehr an der Hüfte angeschlagen, bewegte ich mich am Gestrüpp entlang vorwärts. Wie automatisch repetierte ich das rauchende Gewehr und feuerte. »Es ist dieser Ronco!« schrie der Bandit neben Brewster. Meine Kugel streifte ein Muli. Die Tiere wandten sich nach Osten, zogen den Wagen ein Stück, blieben aber stehen. Brewster und sein Kumpan liefen hinterher und suchten am Wagen Deckung. Jenny saß drinnen und rief: »Nicht auf mich schießen, Ronco!« Brewster riß sie fluchend herunter, hielt sie wie einen Schild vor sich und lachte gemein. Mit dem Colt an ihr vorbeizielend schob er sie vor sich her in meine Richtung. Ich war wie von eisiger Kälte erfüllt vorwärts gegangen und hatte immer wieder geschossen. Jetzt zögerte ich. Und Brewster lachte. Ich trat zurück. Jenny, die mich verraten und verkauft hatte, diente dem anderen als Deckung. Und ich schoß nicht. Der andere Kerl stand noch am Wagen und schien abwarten zu wollen, wie sich die Situation entwickelte. Brewster blieb stehen. »Na los, Ronco, komm her, wenn du wirklich was willst!« Meine rechte Hand stieß den Unterhebel des Gewehres nach unten und wieder nach oben. Eine Patronenhülse flog im Bogen ins Dickicht. Brewster lachte überlegen. Jenny war weiß wie eine neue Lehmwand in greller Sonne. Plötzlich riß sie sich los. Ihre Hände waren noch gefesselt, sie tastete vorwärts und rief: »Nicht auf mich schießen, Ronco!« Mich brauchte sie nicht zu betteln. Ich schoß nicht auf eine Frau, auch nicht auf eine wie sie.
Aber Brewster war anders. Eiskalt feuerte er. Seine Kugel traf sie in den Rücken. Sie stolperte und brach zusammen. Jenny lag genau zwischen uns in der Mitte. Es gab kein Hindernis mehr. Und wir wußten, daß der in der nächsten Sekunden noch leben würde, der schneller und genauer schoß. Mein Finger krümmte sich. An meiner Hüfte zuckte das Gewehr im Rückstoß. Das Krachen verschluckte Jennys letztes Röcheln. Pulverrauch trieb mir ins Gesicht und brannte in den Augen. Jolan Brewster kam nicht mehr zum Schuß. Getroffen stand er wie ein gefällter Baum, von dem noch keiner wußte, wohin er fallen würde. Seine Hand kippte nach unten. Der Revolver entfiel ihm. Und dann stürzte er steif auf das Gesicht. Der letzte Bandit am Wagen schwang herum und stürzte sich in den Fluß. Er verlor den Boden unter den Füßen, wurde von der Strömung ergriffen und fortgewirbelt. Pepe tauchte neben mir aus dem Dickicht. Die Leute auf dem Wagen sahen ihn. Lucinda streckte die gefesselten Hände aus. »Sieh nur, es ist Pepe!«, Dona Lisa richtete sich im Wagen auf. Ich hörte auch den kranken Mann husten. Ich griff nach der Schulter des Jungen und ging mit ihm weiter, vorbei an der toten Jenny und dem Bandenführer, der nie mehr einen Peso für Flüchtlinge kassieren würde. »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich, als wir stehenblieben. »Ihr könnt euren Weg in das neue Land, in die Freiheit, nun fortsetzen.« »Du bleibst nicht bei uns?« fragte Pepe enttäuscht. »Nein. Ich muß mich wieder um mein eigenes Schicksal kümmern.« Ich gab Pepe sein Messer. Er kletterte auf den Wagen und befreite seine Angehörigen. »Alles verdanken wir ihm«, sagte ich noch. »Aber wie gelangen wir durch die Brasada?« fragte die Frau. »Der Wagenweg geht auf der anderen Seite der Lichtung weiter. Es kann euch nichts mehr geschehen.« Ich wollte einer Abschiedsszene vorbeugen, wandte mich ab und kehrte zu dem Pferd zurück. Als ich im Sattel saß, schaute ich noch einmal zurück. Pepe, Lucinda und auch Dona Lisa winkten mir. Der Mann
krümmte sich hustend auf dem Wagenbock. Ich winkte zurück und ritt davon. * Mahon Tabor lag nicht mehr an dem Platz, an dem ich ihn gefesselt zurückgelassen hatte. Er hatte sich offenbar befreien können. Vielleicht hatte ich ihn nicht gut genug gefesselt. Es schien so. Ich schob das meiner Aufregung zu. Zu vieles war auf einmal auf mich eingestürzt und hatte bewältigt werden müssen. Ich saß ab, suchte auf dem Boden und entdeckte die Spur, die nur von Tabor stammen konnte. Ihr folgte ich ins Dickicht der Brasada. Mein Kampf hatte wieder begonnen …
ENDE
Vorschau Zu zweit standen sie Ronco gegenüber, bereit zum tödlichen Duell. Nur eine Distanz von zehn Schritten trennte sie von dem Ranger. Als Chato abseits in den Himmel schoß, um das Duell freizugeben, begann eine rasende Aktion, schneller, als die Zuschauer mit den Augen zu folgen vermochten. Denn Cotton schwang seine langläufigen Revolver mit den Halbbluthalftern nach oben. Ronco, der leicht geduckt stand, sah die Mündungsfeuer des weißblonden Revolvermanns, dann krachte der Colt in seiner Faust. Er spürte einen harten Schlag am linken Bein, das unter ihm wegknicken wollte. Er warf sich auf die andere Seite und zu Boden. Die Kugel seines anderen Duellgegners, Jon Vaught, fauchte über die Stelle weg, an der er eben noch gestanden hatte … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 391 dieser großen deutschen Western-Serie:
Der Unverwundbare