Nr. 334
Tempel des Bösen Der Zeitreisende kämpft gegen Menschen und Außerirdische von H. G. Ewers
Sicherheitsvorkehru...
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Nr. 334
Tempel des Bösen Der Zeitreisende kämpft gegen Menschen und Außerirdische von H. G. Ewers
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist – in der Form eines plötzlich wiederaufgetauchten Stückes des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der ehemalige Berserker, haben als einzige den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren der FESTUNG ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Die beiden Männer landeten auf einer Welt der Wunder und der Schrecken – mit dem Ziel, die Beherrscher von Pthor schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nahmen, haben Atlan und Razamon zusammen mit ihren neuen Kampfgefährten dieses Ziel inzwischen erreicht. Der Angriff auf die FESTUNG, gemeinsam mit den Kindern Odins vorgetragen, war von Erfolg begleitet. Der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor gefährdet nun die Erde nicht mehr. Er befindet sich nach den vorangegangenen apokalyptischen Ereignissen von Ragnarök, der Stunde der Götterdämmerung, mit Atlan unterwegs auf dem Flug durch fremde Dimensionen. Was aber geschieht nach dem Verschwinden des »Neuen Atlantis« auf der Erde? Hier, rund ein halbes Jahr nach der Entmaterialisierung des mysteriösen Kontinents, erscheint Algonkin-Yatta, der interstellare Kundschafter, der, Atlans Spuren folgend, Raum und Zeit überwand, jedoch den Arkoniden selbst um Haaresbreite verfehlte. Jetzt ist der Zeitreisende auf Terra gefangen – im TEMPEL DES BÖSEN …
Tempel des Bösen
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Die Hautpersonen des Romans: Perry Rhodan - Der Großadministrator auf der Spur einer Außerirdischen. Anlytha alias Cyamoideah Tayac alias Dr. Scarlatti - Algonkins Gefährtin auf dem Kriegspfad. Algonkin-Yatta - Ein Gefangener im Tempel des Bösen. Loggy - Ein Kristall sammelt Erfahrungen. Orwell Hynes - Anlythas Mastreiter.
1. EXPEDITION NACH TERRA »So!« sagte Anlytha und schob den letzten Gegenstand ihrer Ausrüstung in die Zeitkapsel. »Ich denke, ich habe alles, was ich auf diesem komischen Planeten gebrauchen kann. Wie heißt er doch gleich, Loggy?« »Erde«, antwortete der Kristall, indem er Anlytha dieses Wort denken ließ. »Ja, richtig: Erde«, meinte Anlytha und zwängte sich durch den engen Korridor, der ihr in der Kapsel verblieben war, nachdem sie das »Nötigste« für ihre Expedition zu der Welt, auf der Algonkin-Yatta gefangengehalten wurde, aus dem Kundschafterschiff, geholt und in der Kapsel verstaut hatte. »So, jetzt können wir starten!« »Starten können wir«, erwiderte Loggy. »Aber ich empfehle, daß wir nicht ausgerechnet wieder dort herauskommen, wo wir zuletzt mit Algonkin herauskamen.« »Wir?« fragte Anlytha mit kreischendem Unterton. Der weiße Federkamm auf ihrem Kopf sträubte sich. »Wer war denn noch dabei außer dir und Algonkin?« »Die Zeitkapsel«, antwortete Loggy ungerührt. »Die Zeitkapsel«, wiederholte Anlytha und nickte. Dann stutzte sie und sagte verärgert: »Aber das ist doch keine Person, sondern eine Sache!« »Für mich ist es eine Person – oder ich bin selbst eine Sache«, gab Loggy zurück. »Schließlich habe ich mich aus einem Orientierungselement des Zeitauges entwickelt, das vom Luna-Clan geschaffen wurde. Dieses Orientierungselement erfuhr zum erstenmal eine Modifizierung, als das Zeitauge zwischen den Dimensionen mit einem Psi-
Roboter zusammentraf – und zum zweitenmal wurde es modifiziert, als Algonkin und ich mit der Zeitkapsel zwischen den Zeiten einem rätselhaften und bedrohlichen Gebilde begegneten. Jedesmal floß etwas von dem, dem ich begegnete, in mich über. Dadurch bin ich zwar kein Orientierungselement mehr – auch wenn ich dessen Fähigkeiten nicht verloren habe –, aber doch längst keine Person.« Anlytha winkte ab. »Du weißt, daß ich nichts von langen theoretischen Vorträgen halte, also langweile mich nicht damit. Von mir aus soll die Kapsel eine Person sein. Dann muß sie aber auch einen Namen haben.« »Selenone«, ließ Loggy denken. Anlythas fliederfarbenes »Porzellangesicht« nahm einen fragenden Ausdruck an. »Selenone? Warum Selenone? Was bedeutet das?« »Ich weiß es nicht. Ich habe nur eine vage Erinnerung an diesen Namen oder Begriff. Er muß etwas mit dem Zeitauge zu tun haben oder mit dem Ort, an dem das Zeitauge entstand.« »Kompliziert«, meinte Anlytha. »Aber von mir aus! Was, schlägst du vor, wo wir herauskommen sollten, Loggy?« »Nicht nur wo, sondern auch wann!« korrigierte Loggy. »Ich denke, es wird am besten sein, wenn wir zu einer Zeit auf der Erde auftauchen, in der ihre Bewohner noch nichts von der Existenz anderer intelligenter Wesen auf den Planeten anderer Sonnen ahnten.« »Woher willst du wissen, seit wann die Erdbewohner von ihrem egozentrischen Weltbild abgekommen sind?« fragte Anlytha.
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H. G. Ewers
»So etwas läßt sich ausrechnen, wenn man die Gedanken und Erinnerungen von Menschen durchforscht hat«, gab Loggy zurück. »Aber vorsichtshalber gehe ich etwas weiter zurück, da ich nicht die Geschwindigkeit kenne, mit der sich die menschliche Zivilisation weiterentwickelt hat.« »Mir soll es recht sein«, meinte Anlytha. »Hauptsache, es geht endlich los, damit ich Algonkin befreien kann. Wer weiß, wie diese Menschen dem Ärmsten zusetzen.« »Ja, wer weiß!« gab Loggy zurück. »Schließe am besten die Augen, damit es dir nicht schwindlig wird, wenn wir durch Räume und Zeiten wirbeln!« »Mich kann nichts erschüttern«, behauptete Anlytha. Sie schloß die Augen, als sie auf den Bildschirmen sah, daß sich ein undurchdringlicher, substanzlos erscheinender Schleier um die Kapsel legte. Und als Anlytha das Gefühl hatte, als drehte die Zeitkapsel sich gleichzeitig in alle denkbaren Richtungen, stieß sie einen schrillen Schrei aus und schlug die Hände vors Gesicht.
* Anlytha glaubte, die Zeitkapsel fiele durch einen tiefen Schacht und käme abrupt zum Stillstand. Als sie zaghaft die Hände vom Gesicht nahm, sah sie auf den Bildschirmen, wie die Schleier sich lichteten. Doch sie verschwanden nicht ganz. Dicht unterhalb der Zeitkapsel verdichteten sie sich sogar – und aus ihnen ragten seltsam bizarre Dinge hervor. »Was ist das? Wo sind wir?« fragte Anlytha. »Wir befinden uns auf der Erde«, antwortete Loggy. »Das heißt, die Zeitkapsel schwebt in einigen Metern Höhe über dem Boden, der von einer echten Nebeldecke verhüllt wird. Die Dinge, die aus dem Nebel ragen, sind Baumwipfel.« Einigermaßen beruhigt, blickte Anlytha wieder auf die Bildschirme. Neugierig musterte sie die dünnen Baumwipfel und die
ständig in Bewegung befindlichen Blätter. Danach schaute sie zum Himmel – und während sie die düsteren, rasch dahinjagenden Wolken betrachtete, lösten sie sich auf. Mit grellem Glanz schickte eine gelbweiße Sonne ihre Strahlen herab. Anlytha blinzelte und schaute schnell weg. Sie bemerkte, daß die Sonnenstrahlen die Nebeldecke zerstreuten. Immer mehr von den Konturen der Planetenoberfläche wurden sichtbar. Links und rechts und hinter der Zeitkapsel gab es Felsen, kriechende Gewächse und hohe dürre Bäume, deren Kronen sich im Wind wiegten. Und vor der Zeitkapsel schälte sich plötzlich aus den verwehenden Nebeln die elliptische, unbewegte Wasserfläche eines beinahe schwarzen Sees, in der sich die wilden, skurrilen Formen eines fast geschlossenen Kreises aus unterschiedlich großen Felsen spiegelte. Außerdem spiegelte sich in dem fast unheimlich stillen Wasser ein zerfurchter steiler Bergkegel sowie ein exakt zylindrisches Gebilde aus undefinierbarem schwarzen Material. Und der Zylinder ruhte auf einem monolithischen Quader – oder einem echten Monolithen –, dessen von der Kapsel aus sichtbare Seitenfläche zirka neun Meter breit und vier Meter hoch war. »Ein künstliches Gebilde!« entfuhr es Anlytha staunend. »Und es sieht aus, als wäre zu seinem Bau eine hochentwickelte Technik nötig gewesen.« Als Loggy nichts dazu sagte, schaltete Anlytha den Hyperempfänger ein, den sie vom Kundschafterschiff herübergebracht hatte. Geduldig suchte sie alle Frequenzen ab. Einmal fing sie einen fremdkodierten Spruch auf, aber der Sender war mehrere Lichtjahre entfernt. »Auf der Erde steht kein einziger Hypersender«, stellte sie fest. »Jedenfalls sendet keiner. Und es ist unheimlich still. Ich kann keine Menschen sehen. Vielleicht gibt es überhaupt keine Menschen auf diesem Planeten, Loggy.« »Es muß Menschen geben, denn die Erde
Tempel des Bösen wurde nicht von außerhalb besiedelt. Aber dieses Bauwerk trägt die unsichtbaren Züge von Konstrukteuren, deren geistiger Horizont erheblich weiter sein muß als der der Menschen, die es in dieser Zeit gibt.« »Heimliche Eroberer?« fragte Anlytha interessiert. »Denkst du, daß die Menschheit dieser Epoche von Außerirdischen beherrscht wird, ohne es zu ahnen?« »Alles ist möglich, Anlytha.« Anlytha erhob sich und sagte resolut: »Selbst die härtesten Herrscher sind nicht gegen den Reiz von Neuigkeiten gefeit. Ich werde als Händlerin zu ihnen gehen und in ihre Seelen blicken, während ich mit ihnen feilsche.« »Oder während sie dich berauben und verspotten«, erwiderte Loggy. »Aber woher hast du die Weisheit mit dem Reiz der Neugier, Anlytha? Sind deine Erinnerungen zurückgekehrt?« »Leider nicht«, sagte Anlytha, während sie bereits in ihren ›Schätzen‹ wühlte. »Ich habe sie aus den von der Psiotronik gespeicherten ›Kontakthilfen für Kundschafter‹.« Sie verstaute mehrere bunte Kristalle, einige Stoffstreifen und verschiedene Musikinstrumente in dem kastenförmigen Transportbehälter eines kleinen Handkarrens, den sie in einer Handelsmission der Springer »gefunden« hatte. Die Springer mußten ihn von einer unterentwickelten Zivilisation mitgebracht haben, denn Holz und rostiges Eisen sowie Naturgummi waren die einzigen Materialien, aus denen der Karren bestand. Als sie mit dem Karren zur Schleuse gegangen war, blieb sie stehen und schaute enttäuscht zurück: »Warum hast du nicht gesagt, ich solle zurückbleiben, Loggy?« fragte sie. »Hättest du denn auf mich gehört?« fragte Loggy zurück. »Ich hätte nicht auf dich hören dürfen«, gab Anlytha zurück. »Die Pflicht zwingt mich zu meinem schweren Gang. Aber es hätte mir bewiesen, daß du dir Gedanken um mein Schicksal machst.« »Es ist keineswegs die Pflicht, die dich
5 dazu zwingt, beim Turm herumzuschnüffeln«, widersprach Loggy. »Turm?« fragte Anlytha. »Meinst du dieses Gebilde dort?« »Richtig, denn es hat die Form eines Turmes. Ob es tatsächlich ein Turm ist, läßt sich von hier aus nicht feststellen. Paß gut auf dich auf, Anlytha, ja?« »Aber, ja!« erwiderte Anlytha. »Danke, Loggy!« Mit strahlendem Gesicht durchquerte sie die Schleuse, schaltete ihr Flugaggregat ein und schwebte, den Handkarren auf den Armen, zu Boden. Danach schaltete sie das Flugaggregat wieder aus, blickte sich um und marschierte schließlich nach rechts, wo der Weg um den See bis zum Turm kürzer war als der Weg nach links.
* Einige Stunden später … Anlytha blieb stehen, atmete schwer und schloß die Augen. Es war heiß geworden, und der Marsch – zuerst durch unwegsames steiniges Gelände und dann über den steil ansteigenden Serpentinenweg hinauf – hatte sie stark geschwächt. Mehrmals war sie versucht gewesen, die Strapazen mit Hilfe des Flugaggregats wenigstens hin und wieder abzumildern, aber sie hatte es mit Rücksicht auf eventuelle Ortungsgeräte unterlassen. Dieser Planet gab ihr Rätsel auf, und sie wollte sich keine Blöße geben, bevor sie nicht wußte, wer in dem Turmbau hauste. Plötzlich zuckte sie heftig zusammen. Was war das für ein Geräusch gewesen? Im nächsten Augenblick wußte Anlytha die Antwort – beziehungsweise bestätigte ihr Verstand den Schluß, den ihr Gefühl sofort gezogen hatte. Es war das typische pfeifend-summende Geräusch eines Fluggleiters gewesen, wie sie es schon oftmals gehört hatte, seit sie mit Algonkin-Yatta zusammenlebte – und vorher wahrscheinlich auch. Fluggleiter aber waren so komplexe technische Produkte, daß ihr Besitz entweder die
6 Beherrschung aller notwendigen BasisTechnologien oder aber einen Reichtum voraussetzte, wie ihn der Bewohner einer Barbarenwelt niemals zusammentragen konnte. Da die Erde in dieser Zeitepoche aber eine Barbarenwelt war, was durch den fehlenden Hyperfunkverkehr bewiesen wurde, lebten auf ihr Vertreter einer wissenschaftlich-technisch weit überlegenen Zivilisation. In dem schwarzen Turmbau! Ein lüsternes Lächeln breitete sich über Anlythas Gesicht aus. Was für kostbare Schätze mußten die Außerirdischen in ihrem Turm zusammengetragen haben! Schätze, die viel zu schade für sie waren … Anlytha konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie stieß ein frohlockendes Gekreisch aus und hüpfte von einem Bein aufs andere, bis ihre durch den Marsch überanstrengten Knochen sich schmerzhaft bemerkbar machten. Keuchend stand sie da, rang nach Atem und fieberte dennoch danach, so bald wie möglich wieder aufzubrechen. Als ihre Lungen sich einigermaßen erholt hatten, packte sie wieder den Zuggriff ihres Handkarrens. Mit festem Schritt stapfte sie die letzte Strecke bergauf, bis sie nach einer weiteren Wegbiegung die Brücke sah. Sofort setzte Anlytha ihren psionisch begabten Gehirnsektor ein und strahlte eine psionische Wellenfront aus, die jedem Lebewesen in weitem Umkreis vorgaukelte, eine alte Terranerin würde sich in gebückter Haltung der Brücke nähern. Aus den Schilderungen Loggys wußte Anlytha im großen und ganzen, wie eine Terranerin aussah. Als sie vor der Brücke stand, sah sie, daß es sich um eine aus sorgfältig bearbeitetem Holz gebaute Zugbrücke handelte, die von handgeschmiedeten und geschwärzten Eisenketten gehalten wurde. Anlytha bewegte die Lippen, als wollte sie sie zu einem Pfiff spitzen, aber sie schwieg. Dennoch mußte sie sich weiterhin zusammenreißen, um den Blick von den Ketten zu nehmen, die ein halbes Vermögen
H. G. Ewers wert sein mußten, wenn sie tatsächlich aus Eisen und handgeschmiedet waren. Denn wo gab es so etwas noch in Zivilisationen, wo die »Schmiede« nur noch aus Tradition diese Berufsbezeichnung trugen, obwohl kaum einer von ihnen in seinem ganzen Leben einmal ein Stück reinen Eisens in die Hände bekam. Sie programmierten die Computer, die ihrerseits die Produktion steuerten und überwachten. Langsamer als zuvor überquerte Anlytha die Brücke. Vor dem dreiflügligen Tor blieb sie stehen und musterte die rechteckigen Eisenschindeln, mit denen es beschlagen war. Aus einem Erkerfenster fiel Licht. Anlytha ließ ihren Handkarren los und musterte prüfend die Umgebung des Tores, doch zu ihrer Enttäuschung entdeckte sie weder ein Impulsschloß noch eine Ruftaste. Bis ihr bewußt wurde, daß sie ja gar nicht nach solchen Produkten einer überlegenen Zivilisation suchen durfte! Doch wie machte man sich auf einer Barbarenwelt bemerkbar? Wahrscheinlich rief man, aber diese Methode taugte nicht für Anlytha, da sie keine Ahnung hatte, welche Sprache auf der Erde eines Barbarenzeitalters gesprochen wurde. Sie hatte sich deshalb bereits in der Kapsel dazu entschlossen, eine Taubstumme zu spielen. Schließlich mußte man sich mit Gesten ebensogut unterhalten können wie mit einer Sprache, da die Terraner einen ähnlichen Körperbau hatten wie sie selbst und wie Algonkin-Yatta. Einer der Turmbewohner erlöste sie endlich aus ihrer Verlegenheit. Anlytha hörte, wie ein Fenster geöffnet wurde. Als sie aufschaute, sah sie im offenen Erkerfenster das Gesicht eines relativ jungen Mannes, der ein Terraner sein konnte, aber für einen Barbaren etwas zu kultiviert aussah. Der Mann musterte Anlytha – beziehungsweise die alte Terranerin, die er zu sehen glaubte – eine ganze Weile, dann fragte er etwas in einer Sprache, die Anlytha nicht verstand, obwohl es ihr vorkam, als hätte sie, sie oder eine ähnliche Sprache schon
Tempel des Bösen einmal gehört. Im nächsten Moment wisperte der Mikrolautsprecher in ihrem linken Ohr, der mit dem vor der Brust hängenden Translator verbunden war: »Wer seid Ihr, gute Frau?« Anlytha kämpfte die Verblüffung nieder. Sie wußte nunmehr, daß die Sprache, derer der junge Mann sich bediente, in ihrem Translator gespeichert war. Andernfalls hätte das Gerät die Worte nicht übersetzen können, sondern eine gewisse Zeit gebraucht, bis es im Direktverfahren eine brauchbare Analyse erstellt hatte. Anlytha öffnete den Mund, bewegte die Lippen und deutete danach durch verschiedene Gesten an, daß sie nicht sprechen könne. Ein ähnliches Manöver vollführte sie hinsichtlich des Gehörs. Bei beiden Dingen achtete sie darauf, daß die Bewegungen, die ihr Realkörper ausführte, auch von ihrem Scheinkörper ausgeführt wurden, denn sonst hätte der Fremde sie nicht wahrnehmen können. Anschließend deutete sie auf ihren Handkarren, dessen Transportkasten mit Ware gefüllt war – und dann auf den Fremden. Der Fremde bewegte den Kopf auf und ab, dann verschwand er vom Fenster. Anlytha hörte Schritte, wenig später die Stimme des jungen Mannes und darauf eine andere Stimme, die aus dem Lautsprecher eines Kommunikationsgeräts zu kommen schien. Wie komme ich eigentlich darauf, daß der Fremde ein Mann ist? fragte sie sich. Schließlich habe ich nur sein Gesicht gesehen. Dennoch bin ich hinsichtlich seines Geschlechts absolut sicher. Folglich ist es seine verblüffende Ähnlichkeit mit Arkoniden, die mich die Einstufung vornehmen ließ. Ein schwerer Riegel krachte. Der schmale Flüge des Tores öffnete sich nach außen. In dem milchigen Licht, das drinnen herrschte, sah Anlytha den jungen Mann. Diesmal aber sah sie mehr von ihm, und sie erkannte, daß er eine leichte Rüstung trug. Das Kettenhemd klirrte leise bei jeder seiner Bewegungen. An dem Schwertgehänge des breiten
7 Ledergürtels war ein langes gerades Schwert befestigt. Anlytha war irritiert, denn weder die Kleidung noch die Bewaffnung des jungen Mannes paßten zu dem Vertreter einer hochentwickelten Zivilisation. Auf die einladende Geste des Mannes trat sie in den Korridor und sah an der Seitenwand eine Reihe von Halbkugeln aus milchigem Material, aus denen das Licht drang. Das offen verlegte Kabel verschwand in halber Höhe in der Mauer. Ein neuer Widerspruch. Wieso trug jemand, der sich der elektrischen Energie bediente, die Rüstung eines Mannes, die in ein feudalistisches Zeitalter gehörte? Die Räder des Handkarrens rumpelten über das Pflaster des Korridors. Hinter Anlytha schloß der Mann das Tor wieder, dann ging er an ihr vorbei und auf die Wendeltreppe zu, die vom Korridor nach oben führte.
* Der junge Mann packte ungefragt mit an – und so trugen sie den Karren gemeinsam: Anlytha links und der rätselhafte Fremde rechts. Die Treppe war breit und sauber aus Holz gearbeitet. An den Wänden hingen große Holztafeln mit farbigen Bildern. Über dem ersten Treppenabsatz hing ein riesiger Holzreifen, der mit falschen Kerzen bestückt war. Nach der zweiten Treppe kamen sie in einen niedrigen Raum, in dem ein leerer Kamin stand. Dort blieb der junge Mann stehen. Kurz darauf öffnete sich in der gegenüberliegenden Wand eine Tür. Ein zweiter Fremder kam herein, älter und auch weiser wirkend als der erste. Mit ihm drang Musik ins Kaminzimmer – Musik, wie Anlytha sie in letzter Zeit öfter zwischen den Sternen gehört hatte, aber nicht auf Barbarenplaneten. »Diese offenbar taubstumme Frau begehr-
8 te Einlaß und beabsichtigt, uns einige ihrer Waren zu verkaufen, Tayac«, sagte der junge Mann – und Anlythas Translator übersetzte es. Der Mann, der Tayac genannt worden war, musterte Anlytha – beziehungsweise das Scheinbild, das Anlytha ihm vorgaukelte – mit ruhigem Blick. Es war der Blick eines Mannes, dessen Verstand durch zahllose Erfahrungen geschärft worden war. Schon fürchtete Anlytha, er könnte die Natur dessen, was er sah, durchschauen, da lächelte er und sagte, während er gleichzeitig gestikulierte: »Willkommen auf Burg Diarmuid Faighe, Frau!« Mit Gesten gab er Anlytha zu verstehen, daß sie ihre Waren ausbreiten sollte. Anlytha packte behutsam aus, um keinen ihrer Schätze zu beschädigen: ein Kästchen mit Modellierton, eine Kultmaske, eine Gleichstromschleifschlinge, ein faustgroßes Stück Elektrum mit eingeschlossenem Insekt, eine Kette mit Jaspis-Anhänger, einen Beutel voll Gipspulver – und ein Blasinstrument, das Algonkin-Yatta vor ihrer ersten Begegnung auf einer Primitivwelt eingetauscht hatte, außerdem noch zahlreiche Stoffstreifen. Anlytha wollte das Musikinstrument wieder in den Handkarren zurücklegen, weil sie fürchtete, Tayac könnte es als außerirdisches Produkt erkennen, doch da hatte der Mann es ihr bereits sanft aus den Händen genommen. Staunend musterte er es, indem er es ein Stück von sich fernhielt. Danach deutete er auf das lange Mundstück und dann auf seinen Mund. Anlytha wiederholte die Geste. Tayac zog ein Tuch hervor, wischte das Mundstück sorgfältig ab, dann schob er es zwischen die Lippen, klemmte den Windsack unter den Arm und legte die Fingerspitzen auf die Löcher der Melodiepfeife. Mit den beiden Brummpfeifen wußte er nichts anzufangen. Aber durch hartnäckiges Herumprobieren kam er dahinter, wie das Instrument funktionierte.
H. G. Ewers »Nicht schlecht«, sagte er, nachdem er ein kleines Lied gedudelt hatte. »Ihr könnt uns nicht sagen, wie das Instrument heißt, Frau, aber einen Namen sollte es haben, denn ich denke, daß es sich vermehren und über diese Welt ausbreiten wird. Was schlägst du vor?« Er blickte den jungen Mann an. »Ein Sack, der Melodien dudelt«, überlegte der junge Mann laut. »Liederdudler?« »Dann schon eher Dudelsack«, meinte Tayac lächelnd. Er zog einen Beutel aus einer Tasche, fischte vier Goldmünzen heraus und hielt sie Anlytha auf der offenen Hand hin. Anlytha starrte die Münzen fasziniert an, aber nicht, weil sie das gelbe Metall für wertvoll hielt. Wertvoll war in ihren Augen nur die Münzprägung, da deutlich zu erkennen war, daß der benutzte Prägestempel in Handarbeit angefertigt worden war, genau wie das Rändeleisen, mit dem die Münzränder gerändelt worden waren. Doch Anlytha zeigte ihre Gefühle nicht. Sie hob statt dessen beide Hände und spreizte alle zehn Finger. Tayac schüttelte den Kopf und legte zwei Münzen zu. Als Anlytha daraufhin nur einen Finger krümmte, hielt er ihr das Musikinstrument hin. Anlytha krümmte einen weiteren Finger. Tayac legte zwei weitere Münzen hinzu und klemmte sich das Instrument unter seinen Arm. Rasch strich Anlytha die acht Münzen ein. Im Grunde genommen hatte sie erreicht, was sie wollte. Sie wußte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, daß die Bewohner des Turmbaus Außerirdische waren, diese Tatsache aber offenkundig vor den Erdmenschen geheimhielten. Sie schienen keinen großen Kontakt zu den Terranern zu haben und waren wohl keine Unterdrücker. Eigentlich hätte Anlytha sich wieder zurückziehen können, aber der Handel war eine der Beschäftigungen, die sie immer wieder faszinierte. Sie fand kein Ende. Etwas später, als sie die Hälfte ihrer Waren verkauft hatte, betrat eine außergewöhnlich schöne Frau den Raum.
Tempel des Bösen »Willst du an unserem Handel teilnehmen, Cyamoideah?« fragte Tayac. »Eine Vorstellung ist leider nicht möglich, da unsere Besucherin taubstumm ist.« Cyamoideah nickte Tayac zu, dann lächelte sie Anlytha an. »Ich habe von der oberen Plattform dem Gleiter nachgesehen, der Atlan und Alexandra fortbrachte«, sagte sie zu Tayac. »Es wird einige Zeit dauern, bis wir uns daran gewöhnt haben, daß sie nicht mehr mit uns am Tisch sitzen.« Anlytha ließ den Beutel mit Gipspulver fallen, den sie eben anbieten wollte. Er platzte. Eine weiße Staubwolke wallte auf. »Was ist mit Atlan?« fragte Anlytha in hochgradiger Erregung. »Meintet Ihr Kristallprinz Atlan?« Die Außerirdischen starrten Anlytha mit geweiteten Augen an – und erst Sekunden später begriff Anlytha, daß sie vor Überraschung, ausgerechnet auf der unzivilisierten Erde von Atlan zu hören, vergessen hatte, ihr Scheinbild aufrechtzuerhalten. Sie begriff es, als sie das schleifende Geräusch hörte, mit dem der junge Mann sein Schwert aus der Scheide zog. Ihre Erregung schlug in totale Verwirrung um. Voller Panik gaukelte sie den Außerirdischen eine furchteinflößende Umgebung vor, die sich dauernd veränderte. Hätte sie noch etwas gewartet, sie hätte gehört, wie Tayac rief, er wolle mit ihr reden, aber nicht gegen sie kämpfen. So jedoch befand sie sich bereits außerhalb des Turmbaus, bevor Tayac unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft die grauenvolle veränderliche Scheinumgebung ignorierte und den Versuch einer Verständigung unternahm. Draußen schaltete sie ihr Flugaggregat ein und jagte, wie von Furien gehetzt, davon. Je weiter sie sich von Burg Diarmuid Faighe entfernte, desto schwächer wurde ihr psionischer Einfluß auf die Burgbewohner, die Nachkommen gestrandeter Raumfahrer und ihre wenigen terranischen Ehefrauen. Als Anlytha in die Zeitkapsel kroch, rief
9 sie: »Nur fort aus dieser Zeit! Beinahe hätte man mich ermordet, weil ich mich verraten hatte.« »Ich bringe uns auf die Zeitebene, in der Algonkin gefangengehalten wird«, übermittelte ihr Loggy. »Soll ich auch einen anderen Ort ansteuern, Anlytha?« »Nein!« rief Anlytha kreischend. »Nur fort aus dieser Zeit!«
2. IN FEINDESLAND Als die üblichen Begleiterscheinungen der Zeitreise verebbten, präsentierte sich die Landschaft in hellem Sonnenschein. Anlytha blickte natürlich sofort auf die Bildschirme. Sie sah, daß sich einiges verändert hatte. Der schwarze Turmbau, Burg Diarmuid Faighe, stand nicht mehr auf seinem Berg. Nur fragmentarische Überreste ragten maximal meterhoch aus Gras und niedrigem Strauchwerk. »Was mag aus ihnen geworden sein?« fragte Anlytha und meinte die Burgbewohner, jene Wesen aus dem Weltraum, die auf der primitiven Erde lebten und Atlan kannten. »Sie sind gestorben wie alle Lebewesen«, ließ Loggy sie denken. »Rund anderthalb Jahrtausende – errechnet nach den Umläufen dieses Planeten um seine Sonne – liegen zwischen deinem Besuch der Burg und heute.« »Anderthalb Jahrtausende …«, sagte Anlytha. Sie wurde nachdenklich, griff in eine Gürteltasche – und ihr Gesicht verzog sich zu einem strahlenden Lächeln. Sekunden später kam ihre Hand wieder heraus, öffnete sich – und auf der Handfläche lagen zirka zwanzig Goldmünzen. »Und sie sehen nach anderthalb Jahrtausenden so neu aus wie zuvor!« staunte sie. »Du auch«, ließ Loggy sich vernehmen. »Oder bist du während unserer Zeitreise um anderthalb Jahrtausende gealtert, Anlytha?« Mit erschrockenem Kreischen ließ Anly-
10 tha die Goldmünzen fallen, eilte zu ihrem Reisegepäck und kramte einen Handspiegel hervor. Ängstlich blickte sie ihr Spiegelbild an, dann lächelte sie erleichtert. »So jung wie vor anderthalb Jahrtausenden!« sagte sie und seufzte. Sie legte den Spiegel behutsam zur Seite und sammelte die Münzen wieder ein. »Du hast recht, Loggy«, erwiderte Anlytha. »Wir wollen nicht die Gejagten sein, sondern die Jäger. Aber bevor wir mit der Jagd beginnen, müssen wir die Zeitkapsel verschwinden lassen.« »Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst«, gab Loggy zurück. »Die Terraner haben das gleiche Hyperortungssystem wie Algonkins Kundschafterschiff – und unser Hyperempfänger mißt ständig mindestens dreißig Millionen Hyperorter an, die ihre Tastimpulse zu einem dichten Netz verweben, das die Erde umschließt. Dieses Netz ist nicht lückenlos, aber es bewegt sich ständig und kämmt systematisch jeden Quadratmeter der Planetenoberfläche ab – und die Tastimpulse dringen tief in die Erdkruste ein und würden die Zeitkapsel wohl sogar im tiefsten Hohlraum aufspüren.« »Warum gehst du dann nicht permanent um eine Sekunde in die Zukunft, während ich mich allein auf der Erde umsehe?« fragte Anlytha ungehalten. »Ich komme überall ganz gut allein zurecht.« »Ich hätte nichts dagegen«, meinte Loggy. »Allerdings werde ich immer wieder zurückkehren, um nachzusehen, wie es dir geht. Ich würde aber gern einmal einen Abstecher in die Zeit unternehmen, in der auf dem Mond der Erde das Zeitauge gebaut wurde, von dem ich ein Orientierungselement war.« »Genehmigt!« sagte Anlytha gönnerhaft. »Aber richte dort keinen Unfug an. Du weißt ja, daß Manipulationen mit der Zeit zu schwerwiegenden Paradoxa führen können.« »Und ob ich das weiß«, erwiderte Loggy. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das Ortungsnetz wird uns bald erfassen. Draußen ist eine Straße, auf der ich dich absetzen
H. G. Ewers kann. Ich bin mir nur nicht sicher, ob du von hier aus nach Terrania City kommst. Die Hauptstadt des Solaren Imperiums liegt immerhin auf einem anderen Kontinent.« Entrüstet stand Anlytha auf. »Ich erreiche immer, was ich will«, erklärte sie. »Öffne die Schleuse!« Kaum hatte Loggy das Öffnen der Schleuse bewirkt, als Anlytha ihr Gepäck Stück für Stück aus der Kapsel warf. Aber die Gepäckstücke stürzten nicht zu Boden, sondern schwebten langsam davon, als wären es gasgefüllte Kinderluftballons. »Antigravelemente«, erläuterte Anlytha. Sie nahm die flache Fernsteuerung in die Hände und lenkte die Gepäckstücke so, daß sie sich zu einer kugelförmigen Anordnung vereinigten. Anschließend schaltete sie ihr Flugaggregat ein. »Ich denke, daß ich morgen in Terrania City bin und daß ich nicht länger als zwei Tage brauche, um Algonkin zu befreien«, erklärte Anlytha. »Sieh also schon übermorgen einmal dort nach. Wenn unter den Menschen Panik ausgebrochen ist, dann weißt du, daß Anlytha am Werk war. Paß auf dich auf, Loggy!« Sie steuerte entschlossen ins Freie, holte ihre Gepäckkugel ein, setzte sich darauf und schwebte aufs Geratewohl nach Norden.
* Anlytha sichtete mehrmals kleine Gruppen von Menschen. Jedesmal aktivierte sie ihre psionischen Kräfte und gaukelte allen, die sie möglicherweise sahen, vor, eine junge Terranerin in einem mit Gepäck überladenen Gleiter zu sehen. Sie war absolut sicher, daß niemand ihr Scheinbild durchschaute. Deshalb erschrak sie, als plötzlich ein blau und weiß gefärbter Gleiter auftauchte, sich vor sie hängte und ein rotes Blinklicht einschaltete. »Bitte, landen Sie sofort neben mir!« erscholl wenig später eine megaphonverstärkte Stimme. Anlythas Translator übersetzte sie mühelos, denn es handelte sich um Interkos-
Tempel des Bösen mo, die galaktische Verkehrssprache, deren Grundelemente Loggy von seinem ersten Besuch der Erde mitgebracht hatte. »Warum soll ich landen?« rief Anlytha. Sie benutzte den Translator nicht, da sie die Sprache gelernt hatte. »Hier spricht die Polizei!« tönte die megaphonverstärkte Stimme zurück. »Landen Sie neben mir, oder wir müssen Gewalt anwenden!« »Eine Drohung ist keine Antwort!« schimpfte Anlytha verbittert. Dennoch steuerte sie hinter dem Polizeifahrzeug eine grasbewachsene Lichtung an, entschlossen, notfalls die Polizisten zu paralysieren. Nach der Landung rutschte sie von ihrer Gepäckkugel und beobachtete die beiden Uniformierten, die aus dem Polizeigleiter stiegen. Langsam kamen sie auf Anlytha zu. »Sie haben ein für alle Luftfahrzeuge bis in tausend Meter Höhe gesperrtes Naturschutzgebiet überflogen, Miß«, erklärte einer der Polizisten. »Reichen Sie mir doch einmal Ihre ID-Karte!« »Woher sollte ich wissen, daß ich ein gesperrtes Gebiet überflog?« gab Anlytha zurück, während sie fieberhaft überlegte, was eine ID-Karte sein könnte. »Das muß man eben wissen, wenn man einen Fluggleiter steuert«, meinte der zweite Polizist. »Nun identifizieren Sie sich schon! Unsere Dienststelle hat mehrere Beschwerden von Wanderern und Spaziergängern erhalten, also müssen wir die Sache verfolgen.« Anlytha begriff, daß eine ID-Karte ein Mittel zur Identifizierung einer Person war. Da sie aber nicht wußte, wie eine terranische ID-Karte aussah, stellte sie sich dumm, um Zeit zu gewinnen. Sie kramte in einer den Polizisten vorgegaukelten großen Tasche herum und murrte dabei: »Wenn ich nur noch wüßte, wie meine ID-Karte aussieht! Ich finde einfach etwas nicht, von dem ich mir kein Bild machen kann.« »Niemand soll behaupten, die Polizei wä-
11 re nicht entgegenkommend, Miß«, sagte der erste Polizist und reichte ihr ein schmales dünnes Plastikkärtchen, auf dem in Computersprache Symbole eingestanzt waren. »So sieht eine ID-Karte aus, Miß!« »Merridan Sukkol«, las Anlytha am oberen Rand. Im nächsten Augenblick gaukelte sie den beiden Männern »ihre« ID-Karte vor, auf der sie allerdings nicht ihren Namen, sondern einen anderen, den sie für terranischer hielt, erscheinen ließ. »Cyamoideah Tayac«, las der erste Polizist langsam und mit deutlicher Anstrengung. Er wandte sich an seinen Kollegen. »Komisch, das erinnert mich an die Fragen, die Lordadmiral Atlan mir stellte, als er auf dem Grund des Loch Cruachna Calecroe nach den Trümmern einer Burg suchte, die einen ganz komischen Namen hatte.« »Burg Diarmuid Faighe?« erkundigte sich Anlytha. Der erste Polizist sah sie verwundert und offenbar mit mehr Respekt als vorher an. »Ja, so nannte Atlan sie. Aber davon können nur wenige Leute wissen.« »Ich gehöre zu diesen Leuten«, erklärte Anlytha. »Deshalb bin ich nämlich hier.« Sie wagte nicht, nach Atlan zu fragen – und aus derselben Unsicherheit heraus wagte sie auch nicht, sich als Mitarbeiterin Atlans auszugeben, denn ihr war völlig unklar, welche Rolle der Kristallprinz von Arkon in dieser Zeit auf dem Planeten Erde spielte. »Wir müssen die Anzeige dennoch bearbeiten, Miß Tayac«, sagte der erste Polizist. Zögernd nahm er das Scheinbild ihrer IDKarte, schob es in den Schlitz eines kastenförmigen Geräts an seinem Gürtel, zog es wieder heraus und gab es Anlytha zurück. »Sind Sie darüber informiert, von wem die Burg Diarmuid Faighe einst erbaut wurde, Miß Tayac?« fragte der zweite Polizist. »Es waren Außerirdische«, gab Anlytha zurück. »Mehr möchte ich darüber nicht sagen.« Der zweite Polizist stieß einen Pfiff aus. »Hast du das gehört, Merri! Außerirdi-
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sche!« freundlich! dachte sie. »Ich habe es gehört, Mike«, erwiderte der erste Polizist. Er wandte sich an Anlytha. * »Können wir Ihnen irgendwie behilflich Abergavenny! sein, Miß Tayac?« Die erste terranische Stadt, die Anlytha zu »Das könnten Sie«, antwortete Anlytha. sehen bekam. Während sie mit dem Kund»Ich möchte nämlich auf dem schnellsten schafter herumgezogen war, hatte sie viele Wege nach Terrania City und fürchte, ich Städte gesehen: prunkvoll-kalte, verspielthabe ein wenig die Orientierung verloren.« heimelige, protzig-übertechnisierte, verZu ihrer Verblüffung begannen die beiden wahrloste, denkmalhafte. Polizisten lauthals zu lachen. Danach trafen Abergavenny drückte von allem etwas sie keinerlei Anstalten, ihr zu helfen, sonaus, doch war sie weder das eine noch das dern verabschiedeten sich. andere. Um einen Hügel, auf dem als Touri»Wenn Sie wieder einmal in diese Gestenattraktion eine Burg aus Plastikgend kommen, besuchen Sie uns doch auf Bausteinen stand, reihten sich mit Unterbreder Station Kirkdale, Miß«, sagte der erste chungen unregelmäßig geformte Ringe aus Polizist grinsend. »Unsere Kolleginnen und schmucken Häusern mit großen Terrassen, Kollegen würden sich sicher genau wie Mifunkelnden Glasfronten und üppig blühenke und ich über einen typisch englischen den Dachgärten. Dazwischen lagen weite Witz freuen, wie er leider fast völlig in VerRasenflächen, Baum- und Buschgruppen sogessenheit geraten ist. Viel Glück, Schwewie kleine Seen und Bäche, die mit glasklaster!« rem Wasser gefüllt waren. Perplex starrte Anlytha dem startenden Überall aber bewegten sich Menschen, die Gleiter nach. Sie ahnte, daß sie einen Fehler wenigsten in Gleitern, viele auf Transportgemacht hatte, aber sie vermochte sich nicht bändern – und zahlreiche kleinwüchsige vorzustellen, wie dieser Fehler beschaffen Menschen tobten sich auf eigens dazu gewar. schaffenen großen Spielplätzen aus. Nachdenklich startete sie ebenfalls. Da sie Es sind Kinder! stellte Anlytha staunend sich nicht auskannte, flog sie einfach in eine fest. beliebige Richtung. Aber schon nach weniAuch in den Städten, die sie bisher kengen Minuten schwebte der Polizeigleiter nengelernt hatte, waren Kinder gewesen, wieder neben ihr. und in mehreren hatte es sogar Spielplätze »Hallo, Miß Tayac!« erscholl die megagegeben. Aber oft waren diese Spielplätze phonverstärkte Stimme. »Sie müssen Ihren nicht mehr als winzige Oasen im tosenden Telecoder einschalten, wenn Sie OrientieMahlstrom des Verkehrs gewesen, mit verrungshilfe brauchen!« schmutzten kleinen Sandkästen, mit unge»Mein Telecoder ist defekt!« rief Anlytha pflegtem zertretenen und von streunenden zurück. Tieren verunreinigten Grasflächen und mehr »Dachte ich gleich!« rief der Polizist. oder weniger demoliertem Turngerät. Die »Wenn Sie einverstanden sind, geleiten wir Zahl und Größe der Sportplätze für Profis Sie zur Transmitterstation Abergavenny. stand in einem erschreckenden MißverhältVon dort aus können Sie allein oder mit Ihnis dazu. rem Gleiter nach Terrania City springen!« In Abergavenny schien es genau umge»Ich bin einverstanden, danke!« antwortekehrt zu sein. Auch hier entdeckte Anlytha te Anlytha. mehrere Sportplätze, aber die Spielplätze Wenn sie mich sehen könnten, wie ich bin oder wenn sie wüßten, daß ich zu Algonkin-Yat- waren nicht nur ausnahmslos größer, sondern auch zahlreicher – und sie waren so ta gehöre, wären sie bestimmt nicht so
Tempel des Bösen ausgestattet, daß sie weiträumige Spiele für Kinder aller Altersklassen gestatteten. Warum nur ist so etwas anderswo nicht ebenfalls selbstverständlich? überlegte Anlytha. Eigentlich hatte ich mir die Verhältnisse auf der Erde ganz anders vorgestellt, weniger kultiviert vor allem, denn wie können Menschen, die unter solchen optimalen Bedingungen aufgewachsen sind, jene bösartigen Aggressivitäten entwickeln, die das Markenzeichen für kranke Gesellschaften sind? Woher weiß ich das? durchfuhr es Anlytha. Von Algonkin? Nein! Von der Psiotronik des Kundschafterschiffs? Auch nicht! Also muß es ein Teil meiner Erinnerungen sein, die eben noch vollständig verschüttet waren, jedenfalls, was die Zeit vor der Begegnung mit Algonkin betrifft. Eine wilde Freude durchpulste Anlytha. Hoffnung keimte in ihr, die Hoffnung, daß sie in absehbarer Zeit über alle ihre Erinnerungen verfügen könnte. Aber noch war es nicht soweit. Außerdem schwenkte der Polizeigleiter nach links ab und setzte zur Landung vor einem Kuppelbau außerhalb der Stadt an. Durch das halbtransparente Material der Kuppel sah Anlytha immer wieder helle blauweiße Lichtblitze. Das mußten die Ent- und Rematerialisationsfelder von Transmittern sein. Anlytha landete die Gepäckkugel dicht neben dem Polizeigleiter. Als die beiden Polizisten ausstiegen, um sich von ihr zu verabschieden, gab sie einer impulsiven Regung nach und drückte jedem von ihnen ein Goldstück aus dem Britannien am Ende des ersten Kreuzzugs in die Hand. »Haben Sie vielen Dank!« rief sie zwitschernd. Die Polizisten schauten abwechselnd auf die Münzen und auf sie, dann sagte Merridan Sukkol: »Von welchem Planeten sind die Münzen, Miß Tayac?« »Von einer Barbarenwelt«, antwortete Anlytha. »Ich weiß den Namen nicht mehr, aber ich denke, daß sie sehr wertvoll sind.«
13 »Danke!« sagten Sukkol und sein Kollege gleichzeitig. Wenig später starteten sie mit ihrem Gleiter. Anlytha blickte ihnen nach, bis der Gleiter in der Ferne zu einem Nichts zusammenschrumpfte, dann musterte sie das Portal der Transmitterstation. Die Menschen, die hier ein- und ausgingen, waren größtenteils anders gekleidet als die Bewohner von Abergavenny. Sie trugen derbere Hosen, Jacken und Schuhe und meist auch an Riemen sackartige Behälter auf dem Rücken. Es schienen Touristen zu sein, die diese Gegend besuchten. Dazwischen tauchten immer wieder geschlossene Gruppen von Reisenden, unter ihnen Extraterrestrier, auf. Plötzlich zuckte Anlytha heftig zusammen, denn sie hörte etwas, das ihren Geist um rund anderthalb Jahrtausende in die Vergangenheit schleuderte: das Dudeln zahlreicher jener Sackpfeifen, von denen sie eine an Tayac verkauft hatte. Als Anlytha ihre Fassung wiedergewann und ihren Geist erneut auf die Gegenwart konzentrierte, sah sie eine Gruppe merkwürdig gekleideter Lebewesen, die seltsamerweise im Gleichschritt die betonierte Straße vom Ort zur Transmitterstation entlangkamen und dabei mit ihren Dudelsäcken ein infernalisch-schönes Konzert veranstalteten. Zuerst dachte Anlytha, es handelte sich um Extraterrestrier, doch dann sah sie, daß es Menschen waren. Im Unterschied zu den anderen Menschen, die sie bisher gesehen hatte, trugen sie jedoch trotz der Bärte, die sie als Vertreter des männlichen Bevölkerungsteils auswiesen, keine Hosen, sondern bis zu den Knien reichende karierte Röcke. Etwa fünfzehn Meter vor dem Portal blieben die Musikanten stehen und steigerten die Lautstärke ihrer Musik noch. Zahlreiche Neuankömmlinge blieben stehen, und bald hatte sich ein Kreis von mehreren hundert Menschen um die Dudelsackbläser gebildet. Niemand hörte, wie Anlytha über die Erkenntnis lachte, daß der Dudelsack, den sie vor anderthalb Jahrtausenden an außerirdi-
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sche Bewohner von Burg Diarmuid Faighe verkauft hatte, sich inzwischen zu einem beliebten Musikinstrument der Menschen entwickelt hatte. Nach einer Weile wandte sie sich dem großen Portal zu. Als sie nur noch wenige Meter vor der für Abreisende bestimmten Hälfte entfernt war, erlitt ihre Zuversicht einen vernichtenden Schlag. Der Eingang war keineswegs zu eng für Anlythas Gepäckkugel, aber es waren nicht Menschen, die die Reisenden abfertigten, sondern vollrobotische Anlagen. Und Positronengehirne ließen sich nichts vorgaukeln …
3. DIE GROSSE STADT Nach einer Phase der Niedergeschlagenheit entsann sich Anlytha eines Grundsatzes Algonkin-Yattas. Hast du ein Ziel vor Augen, verrenne dich nicht in einen Weg, der unbegehbar ist, denn es gibt immer mehrere Wege, die zum Ziel führen! Sie wandte eine Methode an, die sehr anstrengend war und deshalb nicht oft und nur für kurze Zeit praktiziert werden konnte: die Methode, allen anderen Wesen in ihrer Umgebung vorzugaukeln, daß sie gar nicht vorhanden war. In dieser kurzen Zeitspanne belauschte sie die Gespräche mehrerer Menschen, die aus dem Transmitter kamen. Ihre Hoffnung erfüllte sich. Die Menschen sprachen darüber, wo sie Fluggleiter für Exkursionen in die umliegenden Naturschutzgebiete mieten konnten. Allein in Abergavenny gab es demnach drei große Garagen mit Mietfluggleitern aller Größenordnungen. Aber alle drei Firmen gehörten der General Cosmic Company, und die GCC schien so reich zu sein, daß sie den Gleiterverleih ausschließlich von Computern und Robotern abwickeln ließ und daß auch die Gleiter nur von den darin installierten Positroniken gesteuert werden konnten.
Daneben existierte allerdings noch eine kleinere Verleihfirma, die einem gewissen Gowen McRaid gehörte. Gowen McRaid besaß nur achtzehn Gleiter verschiedener Größenordnungen, und er verlangte einen um dreißig Prozent höheren Mietpreis als die GCC. Dafür bot er aber einen individuellen Service, der auf genügend Menschen einen solchen Reiz ausübte, daß sie bereit waren, dafür dreißig Prozent mehr zu bezahlen. Anlytha erfuhr außerdem, daß auf der Erde nur noch in Ausnahmefällen bar bezahlt wurde. Normalerweise zahlte man, indem man dem Verkaufsautomaten beziehungsweise dem Verkäufer seine ID-Karte gab, auf der der Bankkode stand. Der Verkäufer schob die Karte in sein Abtast- und Buchungsgerät, gab den Preis ein – und die Computer der Banken erledigten alles weitere. Ziemlich erschöpft machte sich Anlytha auf dem Weg zu McRaid. Die Firma befand sich im Stadtzentrum. Hätte Anlytha über die Grundstückspreise auf der Erde Bescheid gewußt, sie hätte daraus schließen können, daß Gowen McRaid ein sehr reicher und versnobter Mensch sein mußte. Auf dem Flug zu seiner Mietgarage veränderte sie das Scheinbild eines Gleiters allmählich über das einer Gepäckansammlung von Gleiterform, bis sie vor dem Tor der Mietgarage ganz auf ein Scheinbild ihres Gepäcks verzichtete. Sie selbst gaukelte anderen Wesen eine junge hübsche Terranerin vor – beziehungsweise das, was sie dafür hielt. Als sie im geräumigen Innenhof der Firma stehenblieb und ihr Gepäck per Fernschaltung zu Boden sinken ließ, kam ein hochgewachsener, breitschultriger Mann aus seinem Büro-Glaskasten. Der Mann war sonnengebräunt und trug einen mächtigen Schnauzbart. Vor dem Gepäckhaufen blieb er stehen, stemmte die Fäuste in die Seiten und schüttelte den Kopf. Dann blickte er Anlytha an und sagte: »Wo haben Sie Ihre Schützlinge verloren,
Tempel des Bösen Miß?« »Schützlinge …?« fragte Anlytha verständnislos. »Ihre Schäfchen«, antwortete der Mann. »Oder sind Sie keine Reiseleiterin, die eine Gruppe Touristen betreut? Dann frage ich mich, wem das ganze Gepäck hier gehört.« »Mir natürlich!« erwiderte Anlytha und zwitscherte verärgert. »Oder trauen Sie mir nicht zu, daß ich soviel persönliche Dinge besitze?« Der Mann ließ die Arme locker herabhängen und schlenderte näher, bis er dicht vor Anlytha stand. Betont aufdringlich mustere er das Scheinbild einer jungen »hübschen« Terranerin (mit porzellanglattem weißen Gesicht, Schlitzaugen, hellblauem hochgetürmtem Haar, kräftigen Armen und Beinen, silberfarbener Kombination und goldenen Ohrringen), dann meinte er: »Aber doch, Miß, Ihnen traue ich das durchaus zu. Übrigens, mein Name ist McRaid, Vorname Gowen. Womit kann ich dienen?« Er grinste unverschämt. »Ich brauche einen Fluggleiter, aber einen schnellen«, sagte Anlytha. »Und einen großen«, ergänzte McRaid. »Ist das hier nur Ihr Handgepäck oder schon alles, Miß …?« »Tayac«, sagte Anlytha. »Vorname Cyamoideah.« Sie zwitscherte verstimmt. »Und es ist alles, Mister McRaid.« McRaid sah sich suchend um. »Ich habe doch schon zum zweitenmal einen Vogel zwitschern hören!« sagte er verwundert. »Dabei läßt sich hier sonst kein Singvogel sehen – wegen George Bernard.« Er deutete auf ein Gestell, auf dem ein Adler soeben den Kopf hochreckte und herüberblickte. »Vielleicht hat George Bernard gezwitschert«, meinte Anlytha. »Ein Adler zwitschert nicht«, erklärte McRaid. »Wohin wollen Sie fliegen, Miß Tayac mit dem unglaublichen Vornamen?« Anlytha erschrak. Darüber, was sie eventuell als Reiseziel angeben wollte, hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Die Wahrheit
15 wollte sie nicht sagen. Andererseits kannte sie keine andere terranische Stadt als Terrania City und auch keine andere terranische Gegend. »Ich habe noch kein bestimmtes Ziel«, sagte sie schließlich. »Vielleicht umkreise ich die Erde einmal – oder zweimal.« Gowen McRaid schüttelte den Kopf und seufzte. »Manche Leute glauben immer noch, sie könnten einen Planeten kennenlernen, indem sie ihn in großer oder geringer Höhe umkreisen«, sagte er verärgert. »Dem ist aber nicht so, Miß Tayac. Sie lernen eine Welt nur kennen, wenn Sie sie zu Fuß durchwandern. Da selten jemand die nötige Zeit dafür hat, wurde schon vor langer Zeit eine Kompromißlösung gefunden: Man fliegt mit dem Gleiter von Landschaftszone zu Landschaftszone, bleibt jeweils einen Tag oder länger an einer Stelle und sieht sich gründlich um.« »Wie kommen Sie darauf, ich wäre keine Terranerin?« fragte Anlytha. »Das sieht doch jedes Kind«, erwiderte McRaid. »Und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß Sie ein gefülltes Konto bei einer terranischen Bank oder der terranischen Niederlassung einer extraterrestrischen Bank haben.« »Das habe ich«, versicherte Anlytha und fröstelte, denn sie wußte nicht, ob sie das Scheinbild einer ID-Karte herstellen konnte, das der Prüfung durch ein Abtast- und Buchungsgerät standhielt. Der rettende Einfall kam ihr, als Gowen McRaid die Hand nach dem Scheinbild der ID-Karte ausstreckte. Sie gaukelte dem Gleitervermieter einfach vor, er ginge mit der ID-Karte seiner Kundin in sein Büro, schöbe die Karte in das Abtast- und Prüfungsgerät, erhielte eine positive Reaktion und brächte die Karte wieder zu seiner Kundin zurück. In Wirklichkeit hatte sich Gowen McRaid nicht von der Stelle gerührt, als Anlytha ihm das Scheinbild der Karte wieder abnahm und sagte: »War alles in Ordnung, Mister McRaid?« »O, ja, danke, Miß Tayac!« erwiderte
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McRaid. Er wirkte ein wenig verwirrt. »Die Abrechnung erfolgt dann, wenn Sie das Fahrzeug zurückbringen.« Wenig später hatte er Anlytha geholfen, das Gepäck in einen großen Fluggleiter zu verfrachten – und Anlytha startete. Zwar mußte der Gleiter manuell gesteuert werden, aber sein Computer lieferte ungefragt alle Informationen über die Luftverkehrsregeln und gab auf Anforderung Hinweise auf den Kurs zu einem bestimmten Ziel. Anlytha flog in die Himmelsrichtung, die man auf der Erde als »Osten« bezeichnete …
* Während des Fluges hatte Anlytha genug Zeit, um sich die Art und Weise ihres weiteren Vorgehens zu überlegen. Vor allem dachte sie darüber nach, ob sie nicht versuchen sollte, sich eine echte ID-Karte zu verschaffen. Doch hatte sie keine Ahnung, wie das zu bewerkstelligen sei. Deshalb schreckte sie davor zurück. Als nach langem Flug die gewaltige Metropole eines Sternenreichs am Horizont auftauchte, vermochte sich Anlytha dem Bann ihrer Schönheit nicht zu entziehen. Verzückt blickte sie auf die schimmernden Hochbauten, dunkelgrünen Parks, auf die Monumentalbauten an den Rändern großer Plätze und auf die spinnwebdünn erscheinenden Freiluft-Gleitbahnen. Der Computer ihres Gleiters informierte sie über die besonderen Vorschriften für den Luftverkehr im Raume Terrania City. Sie drückte das Fahrzeug tiefer, ließ sich eine Auswahl der besten Luxushotels der Stadt nennen und steuerte, nachdem sie sich an dem auf einem Bildschirm leuchtenden Stadtplan orientiert hatte, das Stargate-Hotel im Stadtviertel Atlan Village an. Wie sie gehofft hatte, bestand das Personal der Rezeption nicht nur aus einem Computer – wie bei den preiswerten Hotels –, sondern aus Menschen. Nur das Portal war
etwas eng, stellte Anlytha fest, als die Seiten des Gleiters die Türpfosten zerschrammten, in die die Panzerglastüren automatisch verschwunden waren. Mitten in der Empfangshalle ließ Anlytha den Gleiter auf den knöcheltiefen Teppichboden sinken. Die drei Männer hinter dem Tresen standen vorübergehend wie erstarrt, dann setzten sie sich in Bewegung. Einer der Männer, es mußte, seines besonders kostbaren Anzugs wegen, der Empfangschef sein, verbeugte sich vor Anlythas Scheinbild und sagte, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte: »Willkommen im Stargate, Madam. Entzückend Ihr kleiner Scherz mit dem Gleiter, haha!« »Scherz?« fragte Anlytha. Der Mann lächelte mit schweißbedecktem Gesicht. »Oh, Sie betreten Ihre Hotels immer so, Madam! Ich werde veranlassen, daß der Eingang verbreitert wird. Selbstverständlich möchten Sie eine Suite mit Aussicht auf die gesamte Stadt mieten – und natürlich eine Dachgarage für Ihren Gleiter, nicht wahr?« »Ich möchte nichts als schlafen«, erklärte Anlytha ehrlich. Dann besann sie sich auf ihre Rolle und fügte hinzu: »Selbstverständlich in Ihrer besten Suite. Führen Sie mich hin!« »Sehr wohl, Madam!« erwiderte der Empfangschef. Er klatschte in die Hände. Daraufhin eilten seine Mitarbeiter zum Gleiter und holten Anlythas Gepäck heraus. Die Augen des Empfangschefs wurden im gleichen Maße größer wie der Berg Gepäck, den seine Mitarbeiter in der Halle aufstapelten. Aber er war offenbar eine Menge gewöhnt, denn er faßte sich rasch wieder. »Die beiden Herren bringen Ihr Gepäck in Suite dreihundertsiebenundfünfzig, Madam«, sagte er. »Ich werde Sie hinbegleiten. Äh, darf ich Ihnen eine Hilfskraft zum Auspacken und Einsortieren besorgen?« Anlytha schloß sekundenlang die Augen. Ihr war schwindlig. Das mußte eine Nachwirkung der Überanstrengung sein, die mit
Tempel des Bösen dem Vorgaukeln ihrer Unsichtbarkeit verbunden gewesen war. Wenn sie nicht bald einige Stunden lang schlief, würde sie ihr Scheinbild nicht mehr aufrechterhalten können. Anscheinend war es sogar jetzt schon etwas instabil, denn der Empfangschef blinzelte und rieb sich die Augen, als wenn er glaubte, eine Halluzination gesehen zu haben. Anlytha riß sich zusammen. Aber kaum war sie in ihrer Suite allein, da brach ihre psionische Aktivität zusammen. Anlytha wäre in ihrer wahren Gestalt sichtbar gewesen, wenn es jemanden gegeben hätte, der sie während dieser Zeit sah. Glücklicherweise – für sie – blieb sie allein. Sie schlief einige Stunden lang, und als sie erwachte, war es Nacht über Terrania City. Lange stand sie an einem der breiten, bis fast zum Boden reichenden Fenster und blickte auf das funkelnde Lichtermeer hinaus, in dem Myriaden von mehr oder weniger hellen Funken zu tanzen schienen. Am fernen Horizont war kein Ende dieser Lichterstadt abzusehen. Zum erstenmal bekam Anlytha eine Ahnung davon, wie schwierig es sein mußte, in dieser Megalopole Algonkin-Yatta zu finden. Loggy hatte zwar berichtet, daß der Kundschafter in eine Klinik für Extraterrestrier, das »Akul Akiwa Memorial Hospital« gebracht worden sei, aber Anlytha konnte sich nicht vorstellen, daß er noch immer dort war. Die Terraner würden ihn in eines ihrer Gefängnisse geworfen haben, sobald er sich etwas erholt hatte. Doch Anlytha war keine Natur, die sich lange mit trüben Gedanken abgab. Sie suchte sich einen Punkt, an dem sie ansetzen konnte, dann handelte sie. Der »Punkt« fand sich in Form des Computer Terminals ihrer Suite. Anlytha musterte das Gerät aufmerksam, fand die Schaltung für die Betriebsanleitung und aktivierte sie. Die Betriebsanleitung enthielt unter vielem anderen Hinweise darauf, wie Informationen über politische, wirtschaftliche und soziale Ordnungen des Solaren Imperiums
17 abgerufen werden konnten, wie man erfuhr, welche Ämter es in Terrania City gab und wie die Verantwortlichen des Imperiums, des Solsystems, der Erde und der Stadt Terrania hießen und wie sie zu erreichen waren. Anlytha suchte nach dem Auskunftsdienst des Akul Akiwa Memorial Hospitals und versuchte vorsichtig, etwas über »einen Extraterrestrier namens Algonkin-Yatta« zu erfahren. Als sie vom Computer der Auskunftszentrale an eine Dienststelle der Solaren Abwehr verwiesen wurde, unterbrach sie die Verbindung. Sie überlegte, wie sie vorgehen sollte. Nach einiger Zeit faßte sie einen Entschluß:
* »Entschuldigen Sie bitte, aber ich kann Ihren Namen nicht vorgemerkt finden, Miß Scarlatti«, sagte die Personal-Sachbearbeiterin des Akul Akiwa Memorial Hospitals. »Ich bin auch nicht angemeldet, Miß«, erwiderte Anlytha, die sich nicht nur einen anderen Namen, sondern auch ein anderes Aussehen zugelegt hatte. Diesmal gaukelte sie keine andere Gestalt vor, sondern trat mit ihrer Körpergröße von 1,33 m auf. Sie hatte lediglich den weißen Federkamm auf dem ansonsten kahlen Kopf mit einer kupferfarbenen Perücke verdeckt und ihre fliederfarbene Haut mit einem unschädlichen Mittel blauschwarz gefärbt. Die Personal-Sachbearbeiterin sah sie mißbilligend an. »Aber ohne Voranmeldung und ohne Termin darf ich niemanden vorstellen«, erklärte sie. »Für welche Abteilung wollten Sie sich eigentlich bewerben?« »Für die Abteilung Neurologie«, antwortete Anlytha. »Aber, wie gesagt, ich habe mich noch nicht entschlossen, auf der Erde zu bleiben. Auf meinem Heimatplaneten besteht großer Bedarf an erfahrenen Neurologen, und ich habe drei sehr günstige Angebote erhalten. Es reizt mich lediglich deshalb, einige Jahre auf der Erde zu bleiben,
18 weil dieser Planet die Welt meiner Ahnen ist.« Die Personal-Sachbearbeiterin – laut Namensschild hieß sie Mary Johnson – wurde nachdenklich. Anlytha beglückwünschte sich dazu, daß sie am Morgen beim Zentralamt für Arbeitsstatistik angerufen und sich nach der Personallage der Hospitäler erkundigt hatte. Deshalb wußte sie, daß alle Krankenhäuser an chronischem Mangel an Fachärzten litten. Der medizinische Nachwuchs ging nach der Ausbildung meist in die Kolonien, um fremde Planeten kennenzulernen – und ein großer Teil der besten Ärzte arbeitete in den Bordhospitälern der Solaren Flotte. »Ich werde mich bei den leitenden Ärzten der Abteilung Neurologie erkundigen, Miß Scarlatti«, sagte sie freundlicher. »Darf ich Ihnen solange eine Tasse Kaffee anbieten?« »Sehr gern, Miß Johnson«, erwiderte Anlytha, obwohl sie noch immer nicht wußte, was Kaffe war. Im Hotel hatte sie sich lediglich etwas Gebäck und Fruchtsaft zum Frühstück in die Suite bringen lassen. Mary Johnson erhob sich, tastete an einem Automaten eine Tasse Kaffee, stellte sie auf den kleinen Besuchertisch und stellte Zucker und Sahne dazu. Danach nickte sie der Bewerberin zu und ging. Anlytha wartete einen Moment, dann stand sie auf, eilte hinter den wuchtigen Arbeitstisch der Personal-Sachbearbeiterin und musterte die – Abrufkonsole des PersonalComputers. Die Daten waren selbstverständlich gegen den Abruf durch Unbefugte gesichert, aber Anlytha hatte schon ganz andere Dinge gestohlen als ein paar Daten. Zehn Minuten später wußte sie, wie die Universitäten hießen, in denen die Neurologen dieser Klinik ausgebildet worden waren und in welchen Hospitälern auf welchen Planeten Neurologen meist zu praktizieren pflegten. Das war wichtig, denn sie konnte, wenn ihre Zeugnisse verlangt wurden, nur Daten vorgaukeln, die mit der Realität übereinstimmten. Zufrieden kehrte sie an den Besuchertisch
H. G. Ewers zurück, setzte sich auf einen Sessel und nippte an dem Kaffee. Schaudernd spie sie die Probe wieder aus. »Bitter!« schimpfte sie. Nachdenklich musterte sie die Zuckerwürfel, dann fischte sie einen heraus, leckte daran und legte ihn wieder zurück. Ihre Geschmacksnerven reagierten verzögert. Erst nach knapp einer Minute wußte sie, daß die weißen Kristallwürfel süß schmeckten. Sie nahm eine Handvoll und schüttete sie in ihre Tasse, rührte um und kostete noch einmal. Diesmal schmeckte es ihr. Als die Personal-Sachbearbeiterin mit einem hochgewachsenen, noch relativ jungen Mann zurückkehrte, saß Anlytha zufrieden in ihrem Sessel. Artig stand sie auf. Der Mann lächelte höflich, während er die Besucherin aufmerksam musterte. »Mein Name ist Hynes, Vorname Orwell«, erklärte er. »Ich habe gemeinsam mit Dr. Heinze kommissarisch die Leitung der Neurologie, da unser Chefarzt kurzfristig – äh, ausgefallen ist. Wo haben Sie studiert, Dr. Scarlatti?« »Schneider-Stiftung auf Torque«, antwortete Anlytha mit einer Information aus dem Personal-Computer. Mary Johnson klapperte bereits mit den Tasten des Computers. Offenbar forderte sie Auskünfte über die Universität an, die sich Schneider-Stiftung nannte. Orwell Hynes winkte ab. »Ich weiß über die Schneider-Stiftung Bescheid, Miß Johnson«, sagte er. »Es handelt sich um eine Universität in privatem Besitz, die von einem Direktorium verwaltet wird, das sich je zur Hälfte aus Ara-Medizinern und Medizinern der Siedlungswelt Normon zusammensetzt.« Er lächelte. »Die meisten Leute, die sich auf Neurologie spezialisieren wollen, träumen von einem Studienplatz bei der Schneider-Stiftung. Man muß schon sehr gut sein, um dort angenommen zu werden.« Anlytha lächelte bescheiden. »Ich hatte wahrscheinlich nur großes Glück. Dr. Hynes. Übrigens, warum ist Ihr Chefarzt kurzfristig ausgefallen?«
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Orwell Hynes zuckte verlegen mit den Schultern. »Er ist spurlos verschwunden, Dr. Scarlatti. Man verdächtigt ihn, einen Patienten entführt zu haben, einen Extraterrestrier.« Anlytha hatte Mühe, ihre Erregung zu verbergen. »Aber warum sollte ein Arzt – ah, wie hieß er doch gleich …« »Tolperkohn«, sagte Hynes. »Professor Dr. Tolperkohn.« »Vorname keiner?« »Keiner, Dr. Scarlatti. Tolperkohn ist Ara, kein Terraner. Ja, wenn Sie sich in meiner Abteilung umsehen möchten …?« »Gern, Dr. Hynes«, meinte Anlytha. »Aber vorerst unverbindlich, ja?« »Einverstanden«, erwiderte der Arzt. »Ich nehme Dr. Scarlatti mit zur Neurologie, Miß Johnson!« Miß Johnson antwortete nicht. Sie saß über eine Antwortfolie des Personal-Computers gebeugt und grübelte darüber nach, warum der Computer plötzlich unsinniges Zeug ausdruckte.
4. EIN GIGANT REGT SICH »Was halten Sie davon, wenn ein Polizist behauptet, er hätte die ID-Karte einer Verkehrssünderin in den Protokollautomaten geschoben – und wenn sich dann herausstellt, daß der Automat die betreffenden Daten nicht erfaßt hat, Oberst?« fragte Allan D. Mercant. »Der Polizist hat gelogen, Sir«, antwortete Oberst Fangaloa Eneiki. Perry Rhodan hatte am Getränkeautomaten drei Becher Kaffee mit Milch und Zucker getastet und stellte einen davon vor dem weiblichen SolAb-Oberst auf den Tisch. »Sicher, auch Polizisten sind keine Engel, Oberst«, meinte er lächelnd. »Aber warum sollte der Polizist in diesem Fall gelogen haben?« Er stellte einen Becher vor den Chef der
Solaren Abwehr und behielt seinen in der Hand, wobei er es als Wohltat empfand, daß die Kaffeebecher seit mehr als hundert Jahren so isoliert waren, daß man sie richtig anfassen konnte. »Er wollte wahrscheinlich etwas vertuschen«, sagte Fangaloa Eneiki. »Aber die Fakten sind für mich zu dürftig, so daß ich nur wild herumraten kann. Polizisten arbeiten selten allein – aus mancherlei Gründen, über die ich hier nicht diskutieren möchte. War der betreffende Polizist allein, Solarmarschall?« Mercant schüttelte schläfrig den Kopf. Seine Augen verrieten jedoch, daß er alles andere als schläfrig war. »Er war mit einem Kollegen zusammen«, antwortete er. »Und der Kollege hat seine Aussage bestätigt. Falls die beiden etwas vertuschen wollten, so müssen ihre Intelligenzquotienten weit unter der bei der Einstellung von Polizeianwärtern geltenden Norm liegen. Ich will nicht bösartig sein, deshalb gehe ich nicht weiter darauf ein, sondern unterstelle einfach, daß Polizeibeamte soviel Intelligenz besitzen, um zu wissen, daß es herauskommt, wenn sie einer bei ihrer Dienststelle registrierten Anzeige nachgehen und ohne Daten zurückkommen – und noch dazu behaupten, sie hätten die IDKarte des Verkehrssünders automatregistriert.« »Das leuchtet sogar mir ein, Sir«, sagte Fangaloa Eneiki trocken. Perry Rhodan lachte leise und sagte: »So könnte es natürlich stundenlang weitergehen – und ich würde mich köstlich darüber amüsieren, aber ich fürchte, dazu fehlt mir die Zeit. Also kehren wir zu den nackten Fakten zurück. Ich vermute, die Polizisten sind überlistet worden: entweder mit einer gut gefälschten ID-Karte, deren Daten nicht abtastbar waren oder mit Hilfe von Geräten, mit denen man den menschlichen Geist beeinflußt …« »… oder mit parapsychischen Kräften«, ergänzte Allan D. Mercant. »Vergessen wir nicht, daß beim Diebstahl der Zeitkapsel Al-
20 gonkin-Yattas ein vorläufig noch unbekannter Mutant mitgewirkt hat!« »Wenn in England dieselbe Person agierte, handelt es sich um eine Mutantin«, warf Rhodan ein. »Zumindest beschrieben die beiden beteiligten Polizisten sie als weibliche Person, und sie gab ihren Namen mit Cyamoideah Tayac an.« »Seltsamer Name!« entfuhr es Oberst Eneiki. »Nicht seltsamer als beispielsweise Fangaloa«, meinte Mercant. Ein Hyperkommelder summte. Allan D. Mercant schaltete das Gerät mit Hilfe einer Blickschaltung ein. Der große Bildschirm gegenüber dem Tisch, an dem die drei Personen saßen beziehungsweise standen, wurde hell. Das Gesicht einer Frau zeigte sich auf dem Bildschirm. »Mister Okura für den Großadministrator!« sagte die Frau. »Hochwertig kodierte Verbindung.« »Danke, Childa!« sagte Mercant. »Ich bin hier«, sagte Perry Rhodan und trat in den Bereich der Aufnahmeoptik, damit die Sekretärin des Abwehrchefs ihn sehen konnte. Childa lächelte mit den Augen. »Ich stelle die Schaltung her, Sir«, erklärte sie. »Danke, Miß d'Arghuso«, erwiderte Rhodan. Im nächsten Augenblick war das Abbild von Son Okura auf dem Bildschirm zu sehen. Und Okura sah natürlich auch, mit wem er sprach. »Ich rufe von Abergavenny an, Großadministrator«, erklärte der Frequenzseher. »Cyamoideah Tayac wurde von mehreren Personen beobachtet, wie sie vor dem hiesigen Interkontinentaltransmitter wartete. Sie benutzte aber den Transmitter nicht, sondern flog mit ihrem Gleiter in die Stadt. Dort ging sie zu einem Gleiterverleih, der einem Mann namens Gowen McRaid gehört. Sie mietete einen großen Gleiter und übergab zur Abbuchung der Sicherheitsrücklage McRaid ihre
H. G. Ewers ID-Karte. Der Mann behauptet steif und fest, er wäre mit der Karte in sein Büro gegangen, schob die Karte in das Abtast- und Buchungsgerät, registrierte eine positive Reaktion zugunsten seiner Kundin und gab ihr die Karte wieder zurück.« »Aber sein Gerät hat weder die Kodenummer der Karte registriert noch die Sicherheitsrücklage vom Konto der Kundin abgebucht, nicht wahr?« erkundigte sich Rhodan. »So ist es, Sir«, erwiderte Okura. »Aber da ist noch etwas. Die beiden Polizisten sind nach einigem Zögern damit herausgerückt, daß Miß Tayac ihnen je eine Goldmünze schenkte. Sie haben mir die Münzen gezeigt, Sir. Es handelt sich nach meiner Rückfrage beim zuständigen Amt um Goldmünzen aus dem Britannien des elften Jahrhundert, also zur Zeit des ersten Kreuzzugs.« »Wie, bitte?« rief Mercant dazwischen. Son Okura lächelte schüchtern. »Es sind sicher nur Nachprägungen, Sir, allerdings unbefugte. Ihr Alter beträgt nach den durchgeführten Messungen nur wenige Jahre. Aber auch das ist noch nicht alles. Ich habe die SolAb-Agenten, die Solarmarschall Mercant mir zuteilte, unter anderem dazu eingesetzt, die Herkunft der Münzen zu ermitteln. Sie fanden keine Hinweise auf ungesetzliche Nachprägungen. Nirgends tauchten solche Münzen auf. Aber sie fanden heraus, daß in einem Museum in Manchester ein Dutzend der originalgeprägten Münzen aufbewahrt werden. Laut Unterlagen stammen sie aus einem Fund unter dem Kirchenschiff eines Dorfes am Loch Cruachna Calecroe. Geprägt wurden sie allerdings von den Herren der Burg Diarmuid Faighe, denen auch das Dorf gehörte.« »Das weiß man dort alles?« fragte Perry Rhodan. Son Okura lächelte verschmitzt. »Diese Information stammt von Lordadmiral Atlan, der sich vor Jahren längere Zeit in dieser Gegend aufhielt und nach Überresten der Burg Diarmuid Faighe suchte. Und wissen Sie was, Sir: Diese Miß Tayac erklärte den beiden Polizisten, Burg Diarmuid
Tempel des Bösen Faighe wäre von Außerirdischen erbaut worden.« Rhodans Gesicht bekam einen undefinierbaren Ausdruck. »Ich bedaure, daß Atlan – verschollen ist«, sagte er langsam, als bereitete ihm das Sprechen Mühe. »Er könnte vielleicht Zusammenhänge aufdecken, die wir nicht einmal zu ahnen vermögen. Son, haben Sie einen Anhaltspunkt dafür, daß Miß Tayac ebenfalls eine Außerirdische sein könnte?« Okura nickte. »McRaid beschrieb sie als Nichtterranerin, Großadministrator. Er sagte ihr außerdem auf den Kopf zu, daß Sie keine Terranerin sei – und sie hat es nicht abgestritten.« »Haben Sie …«, begann Rhodan. »Leider nicht«, beantwortete Okura die unausgesprochene Frage. »Als ich hier eintraf, war Miß Tayac schon seit einundzwanzig Stunden weitergeflogen – zuviel Zeit, um noch einen Infrarotabdruck zu erkennen. Aber wenn sie nicht gelogen hat, dann befindet sie sich inzwischen in Terrania City. Das bezeichnete sie jedenfalls als ihr Ziel.« »Vielen Dank, Son«, erwiderte Rhodan. Er nickte dem SolAb-Chef zu. »Unsere Außerirdische scheint sehr gerissen zu sein, Allan. Aber wenn sie in einem Hotel von T.C. abgestiegen ist, dürfte sie – hoffentlich – ihren Trick mit der ID-Karte zum drittenmal angewandt haben.« Allan D. Mercant nickte. Er wirkte besorgt. »Ich fürchte, ich muß Großalarm für die Abwehr geben, Perry. Diese Miß Tayac kann großes Unheil anrichten, wenn sie das beabsichtigt. Schade, daß wir keinen Telepathen verfügbar haben.« »Ich werde mich selbst darum kümmern«, sagte Rhodan. »Son, Sie kommen schnellstens nach T.C. zurück. Oberst Eneiki, Sie begleiten mich bitte zum Verbindungsamt der USO! Atlans Einverständnis vorausgesetzt, selbstverständlich.« Der Solarmarschall winkte ab. »Nur fort mit euch! Ich muß nachdenken. Etwas an der ganzen Sache irritiert mich.«
21 »Mich irritiert alles«, meinte Rhodan, während er mit Oberst Fangaloa Eneiki zur Tür ging. »Aber ich bin ja kein beruflicher Abwehrmann.«
* Orwell Hynes schaltete die Knochenfräse ein und beobachtete, wie der winzige Ultraschallkegel sich durch die Schädeldecke arbeitete. Er nickte Dr. Tayac zu. Die Neurologin hatte sich bereiterklärt, ihn bei einer schwierigen Gehirnoperation zu unterstützen, da durch das Verschwinden von Dr. Tolperkohn immer noch eine Lücke im Ärzteteam klaffte. Dazu hatte er sie allerdings – wenn auch nur für vierundzwanzig Stunden befristet – einstellen müssen, da die Vorschriften besagten, daß an allen medizinischen Verrichtungen im Akul Akiwa Memorial Hospital nur Ärzte teilnehmen durften, die einen Arbeitsvertrag mit dem Hause hatten. Dr. Hynes bereute seinen Entschluß nicht. Die Neurologin von einer Kolonialwelt – er hatte ganz vergessen zu fragen von welcher – handhabte die Apparaturen mit großem Geschick. Zur Zeit justierte Dr. Scarlatti die drei Laser-Fokussoren, mit denen die faustgroße Krebsgeschwulst zwischen Scheitellappen und Balken zerstört werden sollte. Auf seinen Kontrollschirmen stellte Orwell Hynes fest, daß die Fokussierung nicht besser sein konnte. Dennoch mußte er die Schädeldecke abheben, denn die Blutansammlung, die bei einem Sturz des Patienten entstanden war, ließ sich nur bei direkter Einsicht optimal behandeln. Solche Komplikationen gab es sehr selten, aber wenn sie auftraten – wie in diesem Fall, wo der Patient bei einem Schwindelanfall eine steile Treppe hinabgestürzt war –, bestand Lebensgefahr. Während Hynes die Absaugapparatur steuerte und Dr. Scarlatti in kurzen vorsichtigen Schüben die Krebszellen des Tumors durch Überhitzung zerstörte, ohne das um-
22 liegende gesunde Gewebe zu gefährden, beobachtete er etwas Unglaubliches. Dr. Scarlatti zog, unauffällig, wie sie meinte, einen Mentalrezeptor, der auf dem Instrumententisch lag, immer näher an sich heran – und plötzlich ließ sie ihn in einer Tasche ihres Kittels verschwinden. Orwell Hynes wollte es zuerst nicht glauben, aber er kam zu dem Schluß, daß er keiner Halluzination erlegen war. Die Neurologin hatte den Mentalrezeptor tatsächlich gestohlen. Aber ein so einfacher Mentalrezeptor wie dieser, der nicht einmal eine positronische Auswertungseinheit, sondern nur einen einzigen Speicher enthielt, konnte von einem Neurologen mit einem Hundertstel seines Monatsgehalts bezahlt werden! Folglich gab es keinen logischen Grund für Dr. Scarlatti, den Mentalrezeptor zu stehlen! Es sei denn, sie war kleptomanisch veranlagt …! Hynes riß sich zusammen, um beim Schließen der Schädeldecke keinen Fehler zu begehen. Wenn der Eingriff beendet war, hatte er immer noch Zeit, über den Vorfall nachzudenken. Endlich wurde der Patient wieder hinausgefahren. Orwell Hynes wusch sich die Hände, nachdem er die Handschuhe weggeworfen hatte. Dr. Scarlatti benutzte das Waschbecken neben ihm. Hynes blinzelte verwirrt, als es ihm so vorkam, als hätte die Haut auf den Händen der Neurologin eine schwache Blautönung. Aber das mußte eine optische Täuschung sein. Auch die Menschen der entferntesten Siedlungswelten hatten keine blaugetönte Haut. Hynes war so ins Grübeln versunken, daß er die Frage Dr. Scarlattis nicht verstand. »Ich würde gern in die Behandlungskartei sehen, Dr. Hynes«, wiederholte die Neurologin. Dieser Wunsch war durchaus üblich, deshalb erteilte Hynes seine Erlaubnis dazu. Ursprünglich wollte er bei Dr. Scarlatti bleiben, doch da rief die Personalsachbearbeite-
H. G. Ewers rin über Visiphon an und bat ihn dringend, in die Personalabteilung zu kommen, da der Computer verrückt spiele. In der Personalabteilung angekommen, fand Orwell Hynes eine völlig aufgelöste Mary Johnson vor. Der Boden war mit Computer-Ausdruckfolien bedeckt. »Was ist passiert?« fragte Hynes erschrocken. »Der Computer druckt nur noch Unsinn aus«, antwortete Mary Johnson verzweifelt. »Jedenfalls stimmt überhaupt nichts mehr, was er antwortet.« Hynes trat an die Schaltkonsole des Personal-Computers, tippte seinen Identifizierungskode ein und forderte die Bestätigung an. »200.79.841«, erschien im Anzeigefeld. »Aber das ist doch Unsinn!« sagte Hynes. »Das habe ich ja gesagt, Dr. Hynes«, erklärte Mary Johnson. Orwell Hynes schüttelte den Kopf und tippte absichtlich einen fehlerhaften Identifizierungskode ein. »Identifikation als autorisierte Person bestätigt«, schrieb der Computer im Anzeigefeld. »Aber das war doch gar nicht Ihr IDKode!« rief Mary Johnson verblüfft. Orwell Hynes dachte stirnrunzelnd nach, dann lächelte er kaum merklich und sagte: »Er ist nur etwas durcheinander, Miß Johnson. Fordern Sie bitte den Kundendienst an – und lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen. Es besteht kein Grund zur Aufregung.« Mary Johnson atmete auf … »Wenn Sie es sagen, Doc …!« »Ich sage es«, meinte Hynes, tätschelte ihr flüchtig den Unterarm und verließ die Personalabteilung. »Aber ich denke es nicht«, flüsterte er draußen. Als er den Antigravlift besteigen wollte, standen plötzlich zwei freundlich lächelnde Damen neben ihm. »Dürfen wir Sie einen Moment sprechen, Dr. Hynes?« fragte die eine mit einer sexy wirkenden Stimme.
Tempel des Bösen Orwell Hynes' Ablehnung brach zusammen, kaum daß sie hatte aufwallen können. Sein Gesicht spiegelte das Lächeln der Frauen wider. Beinahe gedankenlos ließ er sich in den nächstgelegenen Besprechungsraum führen. Dort stießen die beiden Damen ihn sanft in einen Sessel und nahmen ihm gegenüber in anderen Sesseln Platz. »Ich bin Caruya Walsh«, sagte die mit der rauchigen Stimme. »Und das ist Fianna Krusenkowa. Wie nannte sich die Dame, die sich bei Ihnen nach dem Patienten namens Algonkin-Yatta erkundigte?« In Hynes' Schädel kreisten die Gedanken so schnell, daß er nicht folgerichtig denken konnte. Um Zeit zu gewinnen, erwiderte er: »Es waren zwei Damen: Caruya Walsh und Fianna Krusenkowa.« »Machen Sie sich nicht über uns lustig!« fuhr Fianna Krusenkowa ihn barsch an. Ihre Augen drohten. In Hynes regte sich der Stolz. »Vielleicht sollte ich Sie statt dessen hinausweisen«, erklärte er. »Hier ist schließlich eine Klinik und kein öffentliches Gebäude. Oder wollen Sie behaupten, mich in amtlichem Auftrag sprechen zu wollen?« »Jeder Mensch hat dunkle Flecken in seiner Vergangenheit«, sagte Fianna Krusenkowa drohend. »Sollen wir mal bei Ihnen nachstöbern?« Caruya Walsh schüttelte den Kopf und sagte beschwichtigend: »Lassen wir das Theater sein, Fianna.« Sie erhob sich und klappte ein Etui auf, so daß Hynes die Plakette aus transparentem Ynkelonium mit dem winzigen Einschluß aus Antimaterie deutlich sehen konnte. »Solare Abwehr!« sagte sie. »Bitte, entschuldigen Sie unser etwas ungewöhnliches Vorgehen, aber uns kam es darauf an, Sie in eine psychologische Ausnahmesituation zu bringen.« »Das haben Sie geschafft, Miß Abwehr«, erwiderte Orwell Hynes und grinste. »Obwohl Sie anfangs alles andere als abwehrend aussahen.«
23 »Schlag diesem arroganten Kerl doch die Zähne ein!« schimpfte Fianna Krusenkowa und sprang auf. Hynes schüttelte den Kopf. »Die Wechselbadtaktik zieht bei mir nicht. Ich kenne nämlich die Grenze des Erlaubten bei der SolAb. Also, was wollen Sie wirklich?« »Das haben wir bereits erfahren, Dr. Hynes«, sagte Caruya Walsh. »Wir bedanken uns. Auf Wiedersehen!« Orwell Hynes schaute den beiden SolAbAgentinnen aus zusammengekniffenen Augen nach und fragte sich, warum er nicht verraten hatte, was er wußte und vermutete …
* Als Hynes in die Registratur der Abteilung Neurologie kam, saß Dr. Scarlatti in einem Sessel und hielt die Kopie eines Datenblatts in den Händen. Der Arzt nahm nicht an, daß sie das Datenblatt hielt, für das sie sich wirklich interessierte, deshalb sah er gar nicht hin, sondern schaltete die Behandlungskartei ein und prüfte nach, welches Datenblatt als vorletztes angefordert worden war. Es war das des extraterrestrischen Patienten, dessen Name man erst nach seinem Verschwinden erfahren hatte: Algonkin-Yatta. Und für Orwell Hynes war es die Bestätigung seines Verdachts. Er wandte sich um, lehnte sich gegen die Frontwand des Speichers und schaute die Fremde ironisch an. »Wie stehen Sie zu Algonkin-Yatta – und wie heißen Sie wirklich?« fragte er freundlich und energisch zugleich. »Wie, bitte?« Die Neurologin schaute konsterniert hoch. »Sie haben mich verstanden – und ich habe Sie durchschaut, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad«, erklärte der Arzt. »Meiner Meinung nach beabsichtigen Sie nichts Böses, sondern suchen lediglich nach unserem ehemaligen Patienten Algonkin-Yatta. Des-
24 halb habe ich den Mitarbeiterinnen der Solaren Abwehr, die mich vor wenigen Minuten verhörten, auch nichts von Ihrer Anwesenheit gesagt. Aber geben Sie sich deswegen keinen falschen Hoffnungen hin. Früher oder später wird die Solare Abwehr wissen, wo Sie stecken.« Anlytha zwitscherte traurig. »Ich begreife nicht, wie Sie mich durchschauen konnten, Dr. Hynes.« Orwell Hynes lächelte. »Nun, eigentlich hätte ich schon früher Verdacht schöpfen müssen. Nach dem Verschwinden von Algonkin-Yatta mußte mir jede Person verdächtig erscheinen, die nicht von der Erde stammt und nach einer Gelegenheit sucht, sich hier umzuschauen. Dennoch wurde ich erst stutzig, als Sie den Mentalrezeptor heimlich einsteckten. Ich überlegte, wieso eine Neurologin, die doch immerhin auch zahlreichen Psycho-Tests unterworfen worden war, dabei nicht als Kleptomanin durchschaut wurde. Die Antwort konnte nur lauten, daß sie aus einem gänzlich anderen Kulturkreis stammt, wo so etwas zu den normalen Verhaltensweisen zählt. Sie konnten also nicht von Menschen abstammen. Dann wollten Sie die Behandlungskartei einsehen. Das war so selbstverständlich, daß ich wieder nicht sofort Verdacht schöpfte. Aber als ich feststellte, daß der Personal-Computer manipuliert worden war – und das war er, sonst hätte er nicht nur noch auf falsche Identifizierungskodes positiv reagiert –, wußte ich Bescheid. Die beiden Agentinnen hätten gar nicht aufzutreten brauchen, um mir klarzumachen, daß Sie nach Algonkin-Yatta suchen. Als ich dann nach meiner Rückkehr feststellte, daß Sie das Datenblatt von AlgonkinYatta angefordert hatten, war das nur noch die Bestätigung meines Verdachts. Mich interessiert, warum Sie sich nicht an die terranischen Behörden gewandt haben, sondern statt dessen versuchen, auf eigene Faust Ermittlungen durchzuführen.« »Sie wollen mir also einreden, ich könnte
H. G. Ewers Algonkin einfach so mitnehmen, wenn ich die terranischen Behörden darum ersuche?« fragte Anlytha. »Das nicht«, sagte Hynes. »Aber …« Er kam nicht weiter, denn plötzlich befand er sich nicht mehr in der Registratur, sondern stürzte im freien Fall aus großer Höhe auf den Erdboden zu. Gellend schrie er. Im nächsten Augenblick prallte er auf – und merkte, daß er einfach umgefallen war und auf dem Teppichboden lag. Sofort rappelte er sich wieder auf. Ihm war klar, daß die Fremde mit parapsychischen Kräften »arbeitete« und ihm den Sturz aus großer Höhe vorgetäuscht hatte, um zu fliehen. Er riß die Tür auf – und erstarrte, als er die beiden SolAb-Agentinnen auf allen vieren durch den Flur krabbeln sah. Sie versuchten immer wieder, an den Wänden hochzuklettern. Hynes bückte sich kurz, nahm Fianna Krusenkowa einen handlichen Paralysator aus dem Achselhalfter (er konnte diese Agentin sowieso nicht leiden) und rannte zum Liftschacht. Er wollte die Fremde vor Unbesonnenheiten bewahren, vor allem aber davor, daß sie eine harte Reaktion von SolAb-Agenten provozierte. Sie schien keine Ahnung zu haben, daß Algonkin-Yatta von Verbrechern entführt worden war. Als er sich in den abwärts gepolten Liftschacht stürzte, hörte er von unten wildes Geschrei. Mehrere Menschen schienen Todesängste auszustehen. Dann hörte Orwell Hynes die Entladung eines Impulsstrahlers. Wütend preßte er die Zähne zusammen. Er schwor sich, jeden Menschen mit bloßen Fäusten totzuschlagen, der mit einer tödlichen Waffe auf die Fremde geschossen hatte. Wenig später schwebten ihm zwei Männer entgegen. Sie trugen Flugaggregate und in den Händen Schockwaffen. »Aus dem Weg!« rief einer von ihnen. »Aber gern«, meinte Hynes, schwebte zum Durchstieg der aufwärts gepolten Schachtröhre, hielt sich dort fest und paraly-
Tempel des Bösen sierte die Männer mit zwei Schüssen. »Sie helfen mir?« fragte eine zwitschernde Stimme ratlos dicht neben ihm. Er drehte sich um und sah, daß die Fremde im Nachbarschacht emporgeschwebt war und sich neben ihm festhielt. »Ich weiß selbst nicht, warum ich mich in Schwierigkeiten stürze«, erwiderte Hynes. »Aber hier können wir nicht bleiben. Unten wird die Klinik sicher schon von SolAbLeuten umstellt. Wir müssen versuchen, mit meinem Fluggleiter zu fliehen, der auf dem Dach steht.« Er ergriff ihre Hand und zog sie, sich kräftig mit den Füßen abstoßend, hinter sich her nach oben. Seine Gedanken drehten sich im Augenblick nur darum, den Verfolgern zu entkommen. Es wurde ihm gar nicht bewußt, daß die Verfolger zu seinem Volk gehörten und die Fremde kein Mensch war. Der Schuß, der sich aus einer Impulswaffe gelöst hatte, war der Anstoß zu einem an sich unsinnigen Feindbild gewesen. Aber auch das war dem Arzt nicht bewußt. Er hatte sich in eine Beschützerrolle hineingelebt, in der er von uralten Instinkten beherrscht wurde. Endlich, nach qualvoll langer Zeit, erreichten sie die von einer Troplonkuppel überspannte Dachöffnung. Hynes blickte sich gehetzt um, entdeckte seinen Gleiter und zog die Fremde durch eines der Portale in diese Richtung. Im nächsten Moment flammten ringsum grelle Scheinwerfer auf, und eine megaphonverstärkte Stimme rief: »Hier ist die Solare Abwehr! Heben Sie die Hände und bleiben Sie, wo Sie sind!« »Zurück!« flüsterte Hynes. »Nein!« gab die Fremde kreischend zurück. Plötzlich brach ringsum ein furchtbarer Tumult los. Menschen gingen mit den Fäusten aufeinander los, feuerten mit Impulsstrahlern in die Scheinwerfer oder sprangen über den Dachrand (wo sie allerdings von den Anti-Selbstmordfeldern aufgefangen wurden).
25 »Hören Sie auf!« bat Hynes. »Auf die Dauer können wir …« Etwas Großes, silbrig Schimmerndes materialisierte unmittelbar vor ihnen, ein eiförmiger Körper von der Größe dreier normaler Fluggleiter, der mit Streben an einer zu einem großen Ring geformten Röhre befestigt war. Eine Öffnung bildete sich in dem Gebilde. Orwell Hynes hörte, wie die Fremde etwas in einer unbekannten Sprache schrie, dann fühlte er sich hochgehoben und in die Öffnung geworfen …
5. AUF DEM DACH DER WELT »Hoa, Jaspers und Myrja haben versagt«, sagte der Mann in der schwarzen Kutte, dessen Gesicht wie das einer Mumie aussah. »Sie befinden sich nicht mehr in unserem Raum-Zeit-Kontinuum. Beseitigen wir den Fremden, damit niemand uns etwas nachweisen kann.« »Nein!« sagte Tolperkohn. »Ich kann die Möglichkeiten der Solaren Abwehr und der USO besser einschätzen als Sie, BakhoDari. Unsere einzige Möglichkeit, ungeschoren davonzukommen, wäre die gewesen, mit der Zeitkapsel in die Vergangenheit zu verschwinden. Das hat nicht geklappt. Dadurch arbeitet die Zeit gegen uns. Früher oder später werden die Ermittlungen zum Ziel führen, dann werden wir gefaßt.« »Wenn wir dafür sorgen, daß man uns vor Gericht nichts beweisen kann …«, wandte der Báalol-Priester ein. »Das würde genügen, wenn wir es nur mit der Solaren Abwehr und der terranischen Polizei zu tun hätten«, widersprach Tolperkohn. »Aber ich bin sicher, daß sich inzwischen die USO eingeschaltet hat. Die Spezialisten, die man auf uns ansetzt, können uns gefangennehmen, aber sie müssen es nicht. Wir müssen damit rechnen, daß sie diesen Stützpunkt einfach mit STOG-Säure einnebeln und anschließend mit Plastikpfropfen verschließen.«
26 »Das kann ich nicht glauben!« wandte der Terraner van Draaken ein. »Das wäre doch Mord!« Der Ara-Mediziner schüttelte den Kopf. »Nach den ungeschriebenen Gesetzen aller bekannten raumfahrenden Zivilisationen wird die Errichtung eines Stützpunkts auf fremdem Territorium als kriegerische Handlung angesehen. Damit steht ein solcher Stützpunkt außerhalb des Zivilrechts und ist mit militärischen Mitteln zu bekämpfen.« Van Draaken wurde blaß. »Aber wir – ich meine, Hoas Organisation – setzen uns doch nur aus Terranern zusammen!« »Mitgefangen, mitgehangen«, sagte Bakho-Dari höhnisch. »So lautet doch ein altterranisches Sprichwort.« Van Draaken warf einen Blick zu Algonkin-Yatta, der mit Stahlbügeln an dem schwarzen Metallwürfel in der Mitte der Halle gefesselt war. »Noch ist dieses Wesen unser Gefangener«, sagte er bedächtig. »Aber vorher befand es sich in der Obhut der Regierung des Solaren Imperiums. Ich weiß, wie der Großadministrator denkt. Er wird sich verpflichtet fühlen, das Leben Algonkin-Yattas zu retten – und er wird einen angemessenen Preis dafür zahlen, wenn er keine andere Wahl hat. Sorgen wir doch dafür, daß ihm keine andere Wahl bleibt!« »Geld!« rief Bakho-Dari. »Ich strebe nicht nach Reichtum, sondern nur nach dem Glanz des Báalol-Kults!« »Geld ist der beste Dünger für den Báalol-Kult«, sagte Tolperkohn sarkastisch. »Allerdings vermag auch ich nicht zu erkennen, was wir von einem eventuellen Lösegeld haben. Wir sitzen auf der Erde fest und werden früher oder später unweigerlich ergriffen.« »Ich kann uns ein Raumschiff besorgen!« platzte van Draaken triumphierend heraus. »Wenn wir damit nach Lepso fliegen, können wir Rhodan unsere Bedingungen diktieren, ohne daß er uns etwas anhaben kann.« »Und der Thakan von Lepso wird uns den
H. G. Ewers Preis für seinen Schutz diktieren«, warf Bakho-Dari scharf ein. »Wer ist eigentlich zur Zeit Thakan auf Lepso?« fragte der Ara-Mediziner. »Voschol-Kuklos«, antwortete der BáalolPriester. »Aber er ist nur eine Marionette von Trattwitz-Ariman, dem derzeitigen Chef des ›Staatlichen Wohlfahrtsdiensts‹.« Van Draaken grinste. »Was hat die Wohlfahrt mit dem Regierungschef zu schaffen?« meinte er abfällig. Tolperkohn lächelte freudlos. »Bakho-Dari sagte nicht ›Wohlfahrt‹, sondern ›Staatlicher Wohlfahrtsdienst‹. Auf Lepso heißt der Geheimdienst so – und in gewisser Weise hat dieser Name seine Berechtigung, denn er sorgt für die Wohlfahrt seiner Mitarbeiter, besonders aber für die Wohlfahrt seines Chefs. Deshalb wechseln die Leiter des ›Staatlichen Wohlfahrtsdiensts‹ auf Lepso auch ziemlich oft. Schließlich möchte jeder einmal absahnen, wie ihr Terraner sagen würdet.« Van Draaken dachte nach, dann erklärte er: »Ich denke, daß ich als Terraner gut mit Trattwitz-Ariman auskommen werde. Schließlich haben wir Terraner in solchen Dingen eine alte Tradition.« Tolperkohn nickte. »Deshalb ist der jetzige Chef des SWD auch zur Hälfte Terraner – und zur anderen Hälfte Akone. Aber ich denke, es ist besser, wir arrangieren uns mit ihm und treten die Hälfte unseres Erlöses an ihn ab, als daß wir lebenslang in den Erzgruben des Merkur schwitzen. Wo steht das Raumschiff, von dem du gesprochen hast, van Draaken? Und wem gehört es?« »Es gehört Hoa Man-Sum«, antwortete van Draaken. »Beziehungsweise gehörte es ihm. Der Kapitän ist mein Neffe, und ich denke, daß ich ihm klarmachen kann, daß Hoa für immer verschollen bleibt und daß es besser für uns alle ist, wenn wir Terra weit hinter uns lassen. Ich schlage vor, daß ich nach Kalkutta vorausfliege, denn dort steht die POINTEUR. Sobald ich alles mit Piet
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geklärt habe, funke ich ein Signal, das wir noch vereinbaren müssen.« »Ich unterstütze den Vorschlag«, sagte Tolperkohn und schaute dabei den BáalolPriester an. »Unter der Bedingung, daß genügend Glanz auf den Báalol-Kult fällt, stimme ich zu«, erklärte Bakho-Dari. »Van Draaken, senden Sie über die allgemeine Welle dreimal die Anfangsmelodie von ›The Blue Danube‹! Kennen Sie das?« »Sicher!« erwiderte van Draaken. »Das ist von Johann Strauß. Meine Mutter hat es …« Er stieß eine Verwünschung aus, als er merkte, daß seine Augen feucht geworden waren. »Also, schön! Ich sende das sentimentale Zeug.«
* »Loggy!« rief Anlytha und schaute sich um. Orwell Hynes hatte keine Ahnung, wer oder was Loggy war. Ihn interessierte augenblicklich nur das, was außerhalb des Gebildes, das er nach Bildern als Zeitkapsel Algonkin-Yattas wiedererkannt hatte, vorging. Doch er konnte nichts außer einem seltsamen, scheinbar substanzlosen Nebel sehen. Anlytha stieß einen Schrei aus. Hynes blickte zu der Fremden und sah, daß in ihrer Nähe plötzlich ein humanoides Lebewesen stand: zwar nur rund anderthalb Meter hoch und sehr zartgliedrig, ja fast durchscheinend, aber wohl doch ein intelligentes Lebewesen. Es trug eine teilweise transparente blausilbern schimmernde Kombination. »Fürchte dich nicht, Anlytha!« sagte das Wesen zu der Fremden. »Ich bin Loggy – beziehungsweise habe ich mich aus Loggy entwickelt. Auf jeden Fall bin ich dein Freund – und der Freund des Menschen, der dich vor den SolAb-Agenten gerettet hat.« Das Wesen hatte Interkosmo gesprochen, deshalb hatte Orwell Hynes jedes Wort verstanden. Verwundert beobachtete er, wie das Wesen mit den Fingern über die eigenartigen Linien an der Wandung der Zeitkapsel
fuhr. Der Nebel lichtete sich. Hynes sah wieder auf die Bildschirme. Draußen war heller Tag, aber die Sonne beschien kein Häusermeer, sondern eine Landschaft aus flachen Salzsümpfen mit karger Vegetation. Zwischen den eigentümlichen Bäumen und Sträuchern hing ein blasser Nebel. Der Arzt begriff fast sofort, daß diese Landschaft sich auf dem geographisch gleichen Fleck befand wie Terrania City – aber in einer anderen Zeit. »Ich fürchte, ich habe einen Fehler begangen, als ich Ihnen zur Flucht verhalf, Madam«, sagte er zu Anlytha. »Weder die Regierung des Solaren Imperiums noch die Abwehr sind Ihre Feinde.« »Aber genauso benahmen sie sich«, entgegnete Anlytha. »Einzelne Menschen – wie Sie – mögen gut sein, aber diejenigen, die die Menschheit regieren, sind schlecht«, sagte Loggy zu Orwell Hynes. »Ich weiß es, denn ich war in der Vergangenheit – und zwar in jener Zeitphase, in der die Mächtigen ihre heimliche Herrschaft über die Erde festigten und die Angehörigen des Luna-Clans deportierten, weil der Clan das verbotene Wissen um die Manipulierung der Zeit wiederentdeckt hatte und dabei war, es praktisch anzuwenden.« Hynes schüttelte den Kopf. »Ich habe nie etwas von einem Luna-Clan gehört.« »Es gibt ihn auch seit vielen Jahrtausenden nicht mehr«, sagte Loggy. »Doch sein Wirken hat auf Luna unauslöschliche Spuren hinterlassen. Und mit Hilfe eines der Geheimnisse des Luna-Clans konnte ich ermitteln, wo die Terraner Algonkin gefangenhalten.« »Aber doch keine Terraner!« protestierte Hynes. »Tolperkohn ist ein Ara, und er hat mit der Entführung Ihres Freundes gegen die Gesetze Terras verstoßen.« »Man hat in der Empfangshalle Ihrer Klinik mit einem Impulsstrahler auf mich geschossen, Dr. Hynes«, sagte Anlytha. »Und der auf mich schoß, war ein Mensch.« Hynes seufzte.
28 »Ich streite es nicht ab. Das gab bei mir auch den Ausschlag, Ihnen gegen die Abwehr zu helfen. Aber meine Reaktion war unüberlegt. Ich nehme an, Sie lösten in der Empfangshalle mit Ihren parapsychischen Kräften eine Panik aus – und der Schuß war eine Folge davon. Wer sind Sie eigentlich wirklich? Sie heißen doch nicht Scarlatti.« »Nein, und ich bin auch keine Neurologin«, sagte die Fremde. »Mein Name ist Anlytha – und viel mehr weiß ich nicht über mich.« Hynes wurde blaß. »Keine Neurologin? Aber ich habe Sie mit drei Laser-Fokussoren im Gehirn des Außenministers von Topsid herumarbeiten lassen! Wie konnten Sie …« »Ich weiß es nicht, Dr. Hynes«, sagte Anlytha. »Aber ich wußte in diesem Augenblick, als ich mich bereiterklärte, diese Arbeit auszuführen, daß ich die betreffende Technik beherrsche. Vielleicht bin ich bei meinem Volk wirklich eine Neurologin gewesen, aber ich weiß darüber nichts mehr.« »Aber von mir war es unbeschreiblich leichtsinnig, Sie diese Arbeit tun zu lassen!« sagte Hynes bedrückt. »Anlytha wird Ihnen vorgegaukelt haben, sie hätten schon von ihr als erfolgreicher Neurologin gehört – oder so ähnlich«, sagte Loggy und schien zu verblassen. »Aber darüber zu reden, ist keine Zeit mehr. Ich habe aus der Vergangenheit einen Blick über die Jetztzeit hinaus geworfen und kann sagen, wo sich Algonkin-Yatta befindet. Ihr müßt nach Lhasa. Dort steht auf dem gleichen Berg, auf dem die Potala sich befindet, ein würfelförmiges Bauwerk. In ihm befindet sich die Mission von Insektenabkömmlingen, die hier in der buddhistischen Lehre unterwiesen werden und auf ihrer Heimatwelt als Äbte arbeiten wollen. Das denken sie jedenfalls. In Wirklichkeit stehen sie unter dem parapsychischen Zwang eines unheimlichen Wesens, das irgendwo unter ihrem Seminar haust.« Die Gestalt Loggys verschwand, kehrte aber noch einmal zurück.
H. G. Ewers »Ich muß euch für einige Zeit allein lassen!« flüsterte Loggy, dann verschwand er scheinbar endgültig. »Was ist mit ihm?« fragte Orwell Hynes. »Ich weiß es auch nicht«, erwiderte Anlytha. »Vorher war Loggy ein Kristall gewesen, und er hat so etwas früher nie getan. Offenbar aber erwartet er von uns, daß wir Algonkin befreien.« »Lhasa!« sagte Hynes nachdenklich. »Vor tausend Jahren soll es dort noch geheimnisvoll zugegangen sein, aber schon vor dem Ende des letzten Jahrtausends gab es dort keine Geheimnisse mehr! Was sollte das Gerede von dem parapsychischen Zwang eines unheimlichen Wesens?« »Ich weiß es nicht, Dr. Hynes«, sagte Anlytha drängend. »Ich weiß nur, daß wir Algonkin befreien müssen.« Hynes lächelte. »Ja, aber wann – und mit welchen Mitteln?« Als hätte die Zeitkapsel auf ein Stichwort gewartet, summte es hinter der Innenverkleidung auf. Zahlreiche bunte Lichter flackerten. Ansonsten tat sich jedoch nichts. Orwell Hynes begriff, was zu tun war. Er fragte Anlytha nach der Raumsteuerung der Kapsel und brachte sie anschließend in das noch junge Falten- und Kettengebirge zwischen Tibet und Indien. Als er den Himalaja überflog, sah er, daß das Gebirge noch nicht fertig war. Praktisch war es eine Stein- und Geröllwüste, die meist in dichten Wolkenbänken verborgen lag und in der zahllose Wasserfälle in Schluchten stürzten und reißende Flüsse durch tiefe Cañons schossen. Vom fruchtbaren Tal des Kitschu, in dem im 27. Jahrhundert die Stadt Lhasa mit der Universität und den buddhistischen Seminaren in der Potala lag, war nichts zu sehen. Orwell Hynes begriff, daß die Zeitkapsel ihn und Anlytha mitten ins Tertiär befördert haben mußte, in eine Vergangenheit, die von seiner Jetztzeit rund sechzig Millionen Jahre »entfernt« war. Für einige Zeit vergaß er Algonkin-Yatta, Anlytha und die übrigen Probleme der Jetztzeit.
Tempel des Bösen
29
Aber nicht für lange, denn abermals tauchte Loggy, wenn auch nur schemenhaft, auf und lenkte die Zeitkapsel in die Jetztzeit zurück. Als die charakteristischen Nebel sich wieder lichteten, lag – auf den Bildschirmen deutlich zu erkennen – das Tal des Kitschu mit dem Berg, der von der Potala gekrönt war, unter der Kapsel. Loggy »löste« sich wieder auf. Hynes übernahm hastig die Steuerung und landete die Zeitkapsel zwischen den Erdhalden einer aufgegebenen Baustelle, dann wandte er sich an Anlytha und sagte: »Wir sind da. Aber ich habe keine Ahnung, wie wir Algonkin-Yatta befreien sollen, wenn alles stimmt, was Loggy berichtet hat.« »Der größte Teil meiner Ausrüstung befindet sich leider in meinem Hotelzimmer in Terrania City«, sagte sie betrübt. »Was ist das für eine Ausrüstung?« fragte Orwell Hynes. »Eine normale Expeditionsausrüstung mit Tauschartikeln für Primitive, ein Götterzauber und ein paar Waffen«, antwortete Anlytha. »Soll ich es herholen?« Hynes glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Die Frage Anlythas erschien ihm als Gipfel der Naivität. Doch dann kam ihm eine Idee, und er sagte: »Wenn du das kannst, ja. Wie lange wird es dauern?« »Etwa neun Stunden«, sagte Anlytha. »Gut«, meinte Hynes. »Dann werden wir in der Zwischenzeit die Lage sondieren.«
* Da Besucher nicht beliebig in der Potala herumlaufen konnten, waren von der gemeinsamen Administration der Universität und der buddhistischen Seminare regelmäßige Führungen eingerichtet worden. Anlytha und Hynes schlossen sich der nächsten Führung an. Die Besucher waren ausnahmslos Touristen, in erster Linie von den Kolonien der solaren Planeten, aber auch von weit entfernten Siedlungswelten
und von Planeten anderer Sternenreiche. Mönche aus fernen Klöstern und Abordnungen fremder Welten wurden gesondert empfangen. Der Führer der Besuchergruppe war in ein schlichtes Mönchsgewand gekleidet. Er gab leidenschaftslose intellektuelle Erklärungen ab und vermied sorgfältig alles, was man als gezielte Beeinflussung hätte deuten können. Erst dann, als verschiedene Touristen direkte Fragen stellten, bewies er seine Kunst, mit Argumenten zu brillieren. Orwell Hynes hatte noch nie mit solchen Menschen zu tun gehabt und stellte voller Verwunderung fest, daß er sich bisher, wenn überhaupt, ein falsches Bild von ihnen gemacht hatte. Jetzt erkannte er, daß er sich durchaus einen Buddhisten als Piloten eines Raumschiffs vorstellen konnte – und daß es wahrscheinlich Tausende von ihnen gab. Alles in allem herrschte hier in der Potala eine saubere, zivilisierte Atmosphäre ohne jeden Geruch von Geheimbündelei. Hier wurde geforscht und gelehrt, und hier wurde nach der Lehre gelebt. Vielleicht, so überlegte sich Orwell Hynes, war das der Grund für die Entführer des Kundschafters, ihr Opfer in der Nähe der Potala zu verstecken. Erstens unterstand das gesamte Stadtgebiet von Lhasa mit der Potala keiner Regionalverwaltung und zweitens gab es hier weder Militär noch Polizei. Skrupellose Verbrecher konnten sich diese Umstände nutzbar machen, solange ihr Treiben der buddhistischen Verwaltung verborgen blieb. Von einer großen Aussichtsplattform aus, die noch keine hundert Jahre alt war, durften die Besucher einen Blick über die Stadt Lhasa werfen. Hynes legte den Arm um Anlythas Schulter und führte die Außerirdische ein Stück zur Seite. »Von hier aus müßten wir die Missionsstation der Insektenabkömmlinge sehen können«, flüsterte er. »Es soll ein würfelförmiges Bauwerk sein«, erwiderte Anlytha, dann streckte sie
30 den Arm aus und deutete zu einer Terrasse. »Vielleicht ist es das, Orwell!« Der Terraner und Anlytha waren bei dem Du geblieben, das Hynes – anfangs unbewußt – eingeführt hatte. Der Arzt musterte das würfelförmige Gebäude auf einer künstlichen Bergterrasse aus zusammengekniffenen Augen. Danach verglich er es mit den anderen Bauwerken ähnlicher Größe, die über die Bergflanken verstreut waren. »Seine Form ist anders als die anderer Häuser hier«, sagte er. »Nirgends sehe ich diese perfekte geschlossene Würfelbauweise ohne Fenster und ohne Innenhof. Zweifellos hat hier der Geschmack extraterrestrischer Intelligenzen mitgewirkt.« Er griff nach Anlythas Arm, als sich die Außerirdische über die Brüstung der Aussichtsplattform schwingen wollte. »Vergiß nicht, daß du dein Flugaggregat nicht trägst, Anlytha!« raunte er ihr zu. »Ich kann klettern«, gab Anlytha zurück. Zwei Mönche tauchten plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, neben Anlytha und dem Arzt auf. Der Führer der Besucher näherte sich und lächelte höflich. »Verzeihen Sie meine Einmischung, bitte!« sagte er leise und bedauernd. »Ich bin untröstlich, daß ich Ihnen die Entscheidungsfreiheit über Ihr Leben nehmen muß, meine Dame, aber es würde gegen die Würde dieses Hauses verstoßen, wenn Sie …« Er zuckte verlegen mit den Schultern. Anlytha lächelte und gaukelte dem Mann vor, sie sei ein großer Vogel mit riesigen Schwingen. »Aber ich wollte doch nur den Weg abkürzen!« behauptete sie und flötete wie eine Nachtigall. »Verzeihung!« sagte der Mann. »Ich war unachtsam. Bitte, fliegen Sie ruhig. Dagegen ist nichts einzuwenden.« »Anlytha!« flüsterte Hynes. »Du kannst doch so etwas nicht machen!« Die Außerirdische verzichtete auf die Anwendung ihrer parapsychischen Kräfte. Der Fremdenführer klappte mit totenbleichem
H. G. Ewers Gesicht zusammen und mußte von den beiden Mönchen gestützt werden. »Woher weißt du, was ich getan habe Orwell?« wandte sich Anlytha an den Arzt. »Ich habe doch nur eine Person beeinflußt.« »Ich habe es seinen letzten Worten entnommen«, sagte Hynes. »Komm, wir müssen uns wieder den Besuchern anschließen!«
6. IM TEMPEL DES BÖSEN »Nein, auf gar keinen Fall warte ich noch länger!« sagte Anlytha energisch. »Orwell, ich fühle, daß Algonkin Gefahr droht. Du brauchst ja nicht mitzukommen, aber ich muß sofort etwas unternehmen!« »Das ist Wahnsinn!« erregte sich der Arzt. »Was haben wir schon an Waffen hier? Ich besitze nur einen Paralysator, den ich der einen SolAb-Agentin abgenommen habe. Das Energiemagazin ist gerade noch zu zwei Dritteln gefüllt. Und du?« »Ich habe ebenfalls einen Paralysator«, erwiderte Anlytha. »Aber hier …«, sie deutete auf eine Luke im Boden der Zeitkapsel, »… befinden sich mehrere Schutzschirmprojektoren, Schockwaffen, Lenkraketen und andere Kleinigkeiten. Zusammen mit meiner Fähigkeit, unseren Feinden etwas vorzugaukeln und sie dadurch zu verwirren, reicht das aus.« Orwell Hynes blickte auf seinen Armband-Chronographen. In gut drei Stunden mußte das Gepäck Anlythas – von einer Fernsteuer-Automatik gelenkt – in Lhasa eintreffen, und Hynes hoffte, daß das Gepäck von der SolAb bewacht worden war und daß ein Einsatzkommando der Abwehr es verfolgte. Aber er kannte Anlytha inzwischen gut genug, um zu wissen, daß sie sich nicht länger vertrösten lassen würde. Sie würde notfalls ganz allein gegen den Stützpunkt der Verbrecher antreten. Doch das durfte er, Orwell Hynes, nicht zulassen. »Wir greifen gemeinsam an, Anlytha«, erklärte er. »Und war nicht zimperlich, son-
Tempel des Bösen dern so massiv wie nur möglich.« Er erläuterte ihr seine Gedanken über die Art und Weise ihres Angriffs. Ihm war alles andere als wohl dabei, denn er wußte sehr wohl, daß sie beide ein unkalkulierbares Risiko eingingen, da sie die Bewaffnung der Verbrecher nicht kannten. Bevor sie aufbrachen, besorgte der Arzt einen Fluggleiter. Dann schnallten sie sich die Fluganzüge über, hängten sich die Schutzschirmprojektoren um und packten die Waffen in den Gleiter. Während Hynes startete, fragte er sich, warum die Zeitkapsel noch niemandem aufgefallen war. Vom Boden aus konnte man sie der Erdhalden wegen nicht sehen, aber aus einigen hundert Metern Höhe ließ sie sich nicht übersehen. Er steuerte den Berg mit der Potala an, landete aber nicht auf der Terrasse mit dem würfelförmigen Haus, sondern einige hundert Meter davon entfernt in einem Gemüsegarten, der offenbar zur Potala gehörte. Die Mönche, die dort arbeiteten, blickten verwundert auf, aber als sie Anlytha sahen, winkten sie freundlich. Gegenüber Außerirdischen waren sie offenbar besonders höflich. »In zehn Minuten, nicht früher, Anlytha!« sagte Hynes. »Ich weiß«, erwiderte Anlytha. Sie nahm einen Schockstrahler, hängte sich ein Bündel kurzer Rohre mit eingesetzten Lenkraketen über die Schulter und stieg aus. Dabei rutschte ihr die Perücke vom Kopf – und zum erstenmal sah Hynes ihren weißen Federkamm. Er war so verblüfft über den Anblick, der der Außerirdischen etwas Kakaduartiges verlieh, auf jeden Fall aber den Eindruck der Fremdartigkeit steigerte, daß er zu starten vergaß. Erst die Schreie der Mönche, die – verständlicherweise – über Anlythas Bewaffnung erschrocken waren, riß den Arzt wieder auf den Boden der Realitäten zurück. Etwas überhastet startete er den Gleiter, zog ihn hoch und vergaß dabei, die Antigravprojektoren ebenfalls hochzuschalten. Als Folge davon kippte der Gleiter in
31 rund dreihundert Metern Höhe nach vorn und sackte mit erschreckender Geschwindigkeit durch. Orwell Hynes, der eine Notlandung hatte vortäuschen wollen, sah sich plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, daß er eine echte Notlandung versuchen mußte – und daß sie durchaus zu hart ausfallen konnte. In zirka dreißig Metern Höhe wußte er, daß er mit zu großer Gewalt auf das Dach des würfelförmigen Hauses prallen würde. Er griff nach dem Notschalter, der das Raketenkatapult für die Kanzel aktivierte – da sah er, daß der Würfel überhaupt kein durchgehendes Dach besaß und daß der Gleiter in dem großen Wasserbecken eines Innenhofes landen würde. Das durchgehende Dach muß von Projektoren vorgetäuscht worden sein! überlegte Hynes. Im nächsten Moment war es zu spät für die Aktivierung des Rettungskatapults. Der Gleiter fiel mit einer Geschwindigkeit von etwa zwanzig Stundenkilometern in das Wasserbecken, tauchte bis zum Grund und schoß danach wieder hoch. Orwell Hynes war in den Sicherheitsgurten hin und her geschleudert worden und blickte benommen auf die Gestalten in lehmgrauen Kutten, die total durchnäßt auf dem Steinplattenbelag des Innenhofs standen und ihn anstarrten. Hynes schnallte sich los und stieg mit wackeligen Beinen aus. »Ich bitte um Verzeihung, daß ich in Ihren Swimming-Pool gefallen bin, meine Herren«, sagte er. »Wenn Ihnen Schaden entstanden ist, wird er selbstverständlich durch meine Versicherung ersetzt.« Die Gestalten näherten sich. Hynes blickte in insektoide Gesichter, die von den weiten Kapuzen mit Schatten überdeckt wurden. »Was können wir tun, um Ihnen zu helfen, Sir?« fragte einer der Fremden. Die schwach verzerrte Stimme deutete darauf hin, daß er sich eines elektrischen Umsetzers bediente. »Oh, mir brauchen Sie nicht zu helfen«,
32 erwiderte Hynes. »Wenn Sie nur dafür sorgen, daß Bruder Tolperkohn die Ausrüstung bekommt, die ich für ihn geladen habe …« Scheinbar gleichgültig blickte er den Sprecher der Insektenabkömmlinge an. Würde er den Köder schlucken? Wenn ja, wußte Hynes wenigstens, daß sie auf der richtigen Spur waren. Wenn nicht, würde es schwierig sein, den Zugang zu dem Geheimstützpunkt zu finden, der sicher gut getarnt war. »Bruder Tolperkohn hat nichts davon gesagt, daß jemand zusätzliche Ausrüstung bringen würde«, sagte der Insektoide. »Aber ich werde über Funk rückfragen. Wie ist Ihr Name, bitte?« »Dr. Orwell Hynes«, antwortete Hynes. Jeder Name würde Verdacht erregen, denn voraussichtlich erwartete Tolperkohn niemanden. Aber wenn Anlytha genau nach Plan handelte, würde Tolperkohn vorläufig nichts von seiner Anwesenheit erfahren. »Bitte, warten Sie hier, Bruder Hynes!« antwortete der Insektoide. Es schien, als wollte er sich abwenden und ins Haus gehen, doch dann blieb er stehen. Seine Hände bewegten sich, als schalteten sie an einem Funkgerät. »Hier spricht Bruder Tschamte«, sagte er nach einer Weile. »Bruder Tolperkohn, es ist jemand hier, der sich Orwell Hynes nennt und Ausrüstung für Sie gebracht hat. Ist das in Ordnung?« Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Jawohl, Bruder Tolperkohn. Ich werde Bruder Hynes und seinen Schutzengel persönlich durch das Tor begleiten.« Wieder bewegte er die Hände. Unterdessen war Anlytha von links aufgetaucht. In einer Hand hielt sie einen Detektor, in der anderen ein geladenes Raketenabschußrohr. Die Insektenabkömmlinge schienen die Waffen nicht zu sehen. Hynes hätte zu gern gewußt, was Anlytha ihnen vorgaukelte. Doch die Zeit drängte. Er ergriff zwei Schockwaffen und zwei Bündel mit Lenkwaffen und folgte dem Sprecher der Insektoiden, der einen der Gebäudetrakte betrat.
H. G. Ewers Am Ende eines Flures erblickte Hynes ein eisernes Tor. Er wunderte sich darüber, denn so simpel hatte er sich den getarnten Zugang zu einem Geheimstützpunkt nicht vorgestellt. Erst, als Tschamte leise auf das Tor einsprach, ahnte er, daß der Schein trog. Dennoch begriff er zu spät, daß Anlytha und er sich bereits in einer Falle befanden. Die Außerirdische reagierte schneller. Sie stieß ihn beiseite und feuerte eine Rakete auf das Tor ab. Die Hohlladung des hochexplosiven Gefechtskopfs zerstörte das Tor in dem Augenblick, in dem auf seiner Oberfläche winzige Lichtblitze auftauchten. Hynes und Anlytha sprangen vor, stießen Tschamte in den tresorähnlichen Raum hinter dem zerstörten Tor und sprangen hinterher. Das Tor konnte sich nicht mehr schließen, dennoch setzte sich der gesamte Raum langsam nach unten in Bewegung. Als er anhielt, rief eine fremdartig klingende Stimme auf Interkosmo: »Legen Sie die Waffen nieder und kommen Sie mit erhobenen leeren Händen heraus! Widerstand ist zwecklos.« Durch die Öffnung, die sich gegenüber dem zerstörten Tor gebildet hatte, konnte Orwell Hynes eine kuppelförmige Halle mit schwarzen Wänden, einem großen schwarzen Metallwürfel in der Mitte und einer goldenen Kugel dicht unter der Decke sehen. Die gegenüberliegende Hälfte der Halle war von schwarzen Vorhängen verdeckt. Und auf dem schwarzen Metallwürfel war Algonkin-Yatta angekettet!
* Perry Rhodan hob sein Armband-Funkgerät. Es war eingeschaltet, und das Gesicht von Oberst Eneiki schaute aus dem knopfgroßen Bildschirm heraus. »Alles fertig, Oberst?« fragte Rhodan. »Alles klar, Sir«, antwortete Fangaloa Eneiki. »Dort kommt keine Maus mehr heraus.« Der Großadministrator lächelte flüchtig. »Wir wollen ja auch keine Maus fangen,
Tempel des Bösen Oberst. Ich gehe jetzt. Ende!« Er stieg aus dem Gleiter und ging durch das prunkvolle Portal des Stargate-Hotels. Die Fremde hatte sich dort zwar noch nicht eingetragen, dennoch war die Abwehr ihr relativ leicht auf die Schliche gekommen, nämlich durch die außerordentlich große Menge Gepäck, was sowohl in Abergavenny als auch danach im Stargate in Terrania City aufgefallen war. An der Rezeption lehnte Son Okura und sprach mit dem Empfangschef. Die angeborene Bescheidenheit des Frequenzsehers ließ bei niemandem den Gedanken aufkommen, es mit einem fähigen Vertrauten Perry Rhodans zu tun zu haben – und daß er ein Mutant war, sah ihm ebenfalls niemand an. Der Empfangschef erkannte den Großadministrator zuerst nicht, da Rhodan nur eine einfache Bordkombination der Flotte ohne Rangabzeichen trug und sein Schockblaster unauffällig in einer Beintasche verborgen war, anstatt im Gürtelhalfter zu stecken. Das Gesicht war allerdings unverkennbar – und der Empfangschef riß die Augen auf, als er sah, wer da auf ihn und seinen unscheinbaren Besucher zukam. »Sir!« sagte er respektvoll. »Guten Tag!« grüßte Perry Rhodan und lächelte leicht. »Ist die Dame, die mit einem Berg von Gepäck hier abgestiegen ist, noch im Hause?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Empfangschef und streckte die Hand nach dem internen Visiphon-Schaltpult aus. »Sie hat Suite dreihundertsiebenundfünfzig, Sir.« »Sie werden die Dame doch nicht anrufen wollen, Mister!« sagte Rhodan ironisch. »Können Sie sich nicht denken, daß ich sie überraschen möchte! Kommen Sie, Son!« Son Okura nickte dem Empfangschef zu. »Was ich noch sagen wollte: Die Türpfosten Ihres exzellenten Portals sind zerschrammt, als wäre jemand mit einem großen Fluggleiter hereingekommen.« Er wandte sich um und folgte dem Großadministrator. »Aber so war es doch auch!« stammelte
33 der Empfangschef. »So war es tatsächlich, Mister …! Son …? Son Okura …? Oh!« Während Rhodan und Okura in den aufwärts gepolten Liftschacht traten, fragte der Großadministrator: »Wie haben Sie sich denn vorgestellt, Son?« »Als Versicherungsvertreter«, antwortete der Mutant verlegen. Plötzlich lächelte er. »Als was wollen Sie sich denn der Fremden vorstellen, Sir?« »Als Etagenkellner«, sagte Rhodan, aber das Zucken seiner Mundwinkel verriet, daß er scherzte. »Auf jeden Fall werden wir die Dame nicht erschrecken.« Gerade als sie den Liftschacht verließen, summte Rhodans Telekommelder aufdringlich. Rhodan winkelte den Arm an. Noch immer zeigte der Bildschirm das Gesicht Fangaloa Eneikis. »Unser USO-Meßtrupp registriert plötzliche energetische Aktivität in Suite dreihundertsiebenundfünfzig, Sir!« meldete sie aufgeregt. Perry Rhodan und Son Okura warfen sich wortlos flach auf den Boden. Die Erfahrungen vieler Jahrhunderte hatten ihnen zahllose Reaktionen anerzogen, die inzwischen zu Reflexen geworden waren. In diesem Fall erwies sich die blitzschnelle Reaktion als unnötig. Es gab keine verheerende Explosion. Statt dessen sagte Fangaloa Eneiki: »Absinken der Aktivitätskurve in Suite dreihundertsiebenundfünfzig, Sir. Geringe gleichbleibende energetische Aktivität läßt darauf schließen, daß Aggregate auf Bereitschaft ferngeschaltet wurden.« Perry Rhodan sah das intervallartige rote Aufblinken neben dem Bildschirm und sagte: »Danke, Oberst. Ich trenne jetzt. Mercant will mich sprechen. Bis nachher!« Er schaltete auf den mit Allan D. Mercant vereinbarten Kanal um und hatte gleich darauf das seltene Erlebnis, Mercants Gesicht vor Aufregung gerötet zu sehen.
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H. G. Ewers
»Was gibt es, Allan?« erkundigte er sich besorgt. »Der Teufel ist los!« schimpfte der SolAb-Chef. »Die feindliche Agentin wurde im Akul Akiwa Memorial Hospital gestellt, schaltete mehrere unserer Einsatzagenten aus und richtete ein Chaos an, bevor sie auf unerklärliche Weise verschwand.« »Gab es Tote oder Verletzte, Allan?« fragte Rhodan ruhig. »Nein, Perry«, antwortete Mercant. »Entschuldigen Sie meine Aufregung. Aber sie ist tatsächlich wie vom Erdboden verschluckt. Eigentlich läßt das nur einen Schluß zu.« Rhodan nickte. »Als erstes jedenfalls. Dann aber ist ein zweiter Schluß fällig. Ich wette, die Fremde sucht nichts weiter als Algonkin-Yatta. Sie wissen, was das bedeutet, Allan?« Mercant nickte. »Daß wir sie als potentielle Verbündete bei der Suche nach dem Entführten einstufen müssen, Perry, ja. Was tun Sie?« Der Großadministrator lächelte. »Ich warte mit Son darauf, daß die Dame ihr Gepäck nachkommen läßt. Dann folgen wir ihm. Ende!«
* Anlytha stieß einen schrillen Raubvogelschrei aus und konzentrierte sich auf die Anwendung ihrer psionischen Kraft. Aber schon nach wenigen Sekunden taumelte sie und brach in die Knie. Orwell Hynes eilte zu ihr und kniete sich neben sie. »Etwas lähmt meine psionische Kraft!« flüsterte Anlytha kläglich. »Ich kann nichts machen.« Harte Fäuste packten den Arzt, entwaffneten ihn und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken. Als er herumgedreht wurde, blickte er in das Gesicht seines ehemaligen Chefarztes. Tolperkohn erkannte ihn offenbar erst jetzt. »Hynes!« rief er erschrocken. »Was tun Sie denn hier? Konnten Sie nicht in der Klinik bleiben?«
»Tun Sie nicht, als wäre ich vom rechten Wege abgekommen, Dr. Tolperkohn!« sagte Orwell Hynes bitter. »Sie haben das Verbrechen begangen, Algonkin-Yatta zu entführen. Sie wollten auch die Zeitkapsel haben, aber Ihre Helfer waren nicht gut genug dafür. Geben Sie auf und stellen Sie sich der Solaren Abwehr!« »Wer ist das?« fragte eine fremdartig klingende Stimme. Ein Mann in einer schwarzen Kutte löste sich aus der Kulisse, die die schwarzen Vorhänge bildeten. Seine tief ins Gesicht gezogene Kapuze ließ die untere Hälfte eines Mumiengesichts erkennen. »Dr. Orwell Hynes, mein Assistenzarzt an der Akiwa-Klinik«, antwortete Tolperkohn. Anlytha richtete sich halb auf, heftete ihren Blick sekundenlang auf die schwarze Gestalt, dann sank sie wimmernd zusammen. »Ein Báalol-Priester!« stieß Hynes hervor. »Quälen Sie diese Frau nicht, Sie Ungeheuer!« Bakho-Dari ging nicht auf die Beschimpfung ein, sondern sagte nur: »Ich will wissen, wer die Frau ist. Sie hat psionische Kräfte, die ich zwar negativieren und zurückwerfen kann, aber bisher bin ich solchen Kräften nicht begegnet.« »Wer ist die Frau, Dr. Hynes?« fragte Tolperkohn. »Warum fragen Sie sie nicht selbst, Tolperkohn?« entgegnete Hynes verächtlich. Einer der beiden Männer, die ihn an den Armen hielten, hieb ihm die Faust ins Genick. Die Wucht des Schlages ließ Hynes' ganzen Schädel dröhnen. »Antworte!« schrie Tolperkohn. »Lassen Sie!« sagte der Báalol-Priester. »Wir werden auf dem Schiff herausbekommen, was los ist. Eigentlich sollte van Draaken schon zurück sein. Wir wollen schon nach oben fahren.« »Vielleicht können wir die Zeitkapsel doch noch …«, warf Tolperkohn ein. »Wenn wir die Möglichkeit bekommen, greifen wir selbstverständlich zu«, erwiderte
Tempel des Bösen Bakho-Dari. »Ich denke jedoch, daß wir froh sein dürfen, wenn uns Zeit genug zur Flucht bleibt. Was ist eigentlich mit Tschamte los?« Der Insektoide hatte einige Minuten lang schwankend an der Wand gelehnt. Jetzt setzte er sich roboterhaft in Bewegung und ging unbeirrbar auf die schwarzen Vorhänge zu. »Woher sollen wir das wissen?« fragte Tolperkohn mit bebender Stimme. »Ich denke, die Racheltyks gehorchen nur ihren inneren Stimmen, die wiederum nur auf Sie hören.« Der Racheltyk erreichte den ersten Vorhang, krallte sich darin fest und erschlaffte. Mit reißendem Geräusch löste sich der Vorhang aus seiner Deckenbefestigung und fiel über Tschamte in sich zusammen. Und dahinter stand in unwirklichem Dämmerlicht ein gläserner Sarg, in dem eine Mumie aufgebahrt lag: die Mumie eines Racheltyks! »Das ist das Werk dieser Fremden!« kreischte der Báalol-Priester mit überschnappender Stimme. »Dafür werde ich sie strafen!« Anlytha zuckte heftig zusammen, dann bäumte sie sich auf, als würde sie von einem elektrischen Schlag getroffen, stieß einen gellenden Schrei aus und brach zusammen, die Fäuste gegen die Schläfen gepreßt. Aus der Richtung des schwarzen Metallwürfels kam ein tiefer, grollender Laut, der sich allmählich steigerte und zu einem Schrei tierhaft-wilder Wut anschwoll. Knallend flogen die Stahlhaken davon, die bisher den Kundschafter an den Würfel geschmiedet hatten. Mit einem wahren Panthersatz sprang Algonkin-Yatta auf den Boden und schnellte sich dem Báalol-Priester entgegen. Aber die Helfer van Draakens reagierten zu schnell für ihn. Von einer ganzen Serie Schockblasterschüssen getroffen, brach der Kundschafter unmittelbar vor den Füßen BakhoDaris zusammen. Im nächsten Augenblick erscholl ein dumpfes Krachen, dem ein hartes Beben
35 folgte. Aus der Richtung des Liftschachts kamen knatternde Geräusche, dann drang weißlicher Rauch aus der Öffnung. »Die Abwehr!« rief einer der Helfer van Draakens erschrocken. »Oder die USO!« erklärte Orwell Hynes. »Ergeben Sie sich, bevor es zu spät ist!« Der Báalol-Priester hatte die Handflächen gegen die Schläfen gepreßt und bewegte lautlos die Lippen. Seine Augen waren geschlossen. Als er sie wieder öffnete, sagte er: »Es gibt einen Fluchtweg. Die Racheltyks halten die Terraner auf. In der Zwischenzeit können wir hier verschwinden. Die Gefangenen nehmen wir mit.« Die beiden Helfer van Draakens hoben Algonkin-Yatta auf und trugen ihn. Nach wenigen Metern setzten sie ihn jedoch wieder ab, da er zu schwer war. Sie schleiften ihn auf die von schwarzen Vorhängen verhangene Hälfte der Kuppelhalle zu. Tolperkohn zwang Hynes, Anlytha auf die Arme zu nehmen und zu tragen. Der Ara trug nur eine zierliche Schockwaffe, aber Hynes war sicher, daß ihre Leistung ausreichte, um ihn zu paralysieren. Das aber wollte er verhindern, denn er hoffte noch immer, das Schlimmste zu verhüten. Niemand hatte währenddessen auf Tschamte geachtet. Aber der Insektoide war nicht untätig geblieben. Nachdem er aus seiner kurzen Bewußtlosigkeit erwacht war, hatte er systematisch einen Vorhang nach dem anderen heruntergerissen – und die Deckel der gläsernen Särge geöffnet, in denen seine mumifizierten Artgenossen lagen. Danach hatte Tschamte drei Armreifen auf den Boden gelegt, war in die Mitte des gedachten Dreiecks getreten, murmelte noch immer seltsame Beschwörungsformeln. Plötzlich reckte er sich stocksteif hoch, stieß einen hohlen Schrei aus und schleuderte mit den Händen Wolken goldgelben Staubes, die sich rasch ausbreiteten. Wo der Staub sich in einen offenen Sarkophag senkte, erwachte die darin aufgebahrte Mumie zu einem gespenstischen Leben.
36 Bakho-Dari, der in den Hintergrund der Halle eilte, war plötzlich von den Mumien menschengroßer Insektenabkömmlinge umringt, die lautlos ihre dürren Arme ausstreckten. In Sekundenschnelle verschwand der Báalol-Priester hinter einem Ring schweigender Mumien. Die beiden Helfer van Draakens wollten an diesem Ring des Grauens vorbeilaufen, doch da stellten sich ihnen weitere zu geisterhaftem Leben erwachte Mumien von Racheltyks entgegen. Entsetzt und völlig entnervt warfen sie ihre Waffen weg, hoben die Arme über den Kopf und rannten hilfesuchend den Menschen entgegen, die aus dem Liftschacht stürmten und sich fächerförmig verteilten. Tolperkohn löste hastig die Handfesseln Hynes', dann ging er Perry Rhodan entgegen, der den Trupp SolAb- und USOKämpfer geführt hatte, und sagte: »Sir, ich habe dieses Spiel nur mitgespielt, weil man mich bedroht hatte. Wenn Sie mir garantieren, daß ich in dem bevorstehenden Prozeß als Kronzeuge auftreten darf, werde ich Ihnen alle Informationen über Hoa Man-Sums Organisation geben.« Der Großadministrator musterte ihn verächtlich, dann gab er Oberst Fangaloa Eneiki einen Wink. Der weibliche SolAb-Offizier hakte ein Paar Handschellen aus einem Gürtelhaken, zog sich unsanft Tolperkohns Hände zurecht und ließ die Handschellen zuschnappen. Erleichtert bemerkte Orwell Hynes, daß sich Anlytha auf seinen Armen regte. Auch Algonkin-Yatta erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit. Die Frauen und Männer der USO bildeten einen Halbkreis um die Mumien, die sich alle auf einem Fleck drängten. Doch diese lebenden Toten bewegten sich nicht mehr. Um sie herum schien sich die Luft zu verdunkeln, dann zerfielen die Wesen zu Staub. Mitten im Staub aber lag der mumifizierte Körper des Báalol-Priesters – und seine vordem graue Haut war schneeweiß. Langsam ging Hynes auf den Racheltyk
H. G. Ewers zu, der mit ausgestreckten Armen und Beinen bäuchlings zwischen den drei Armreifen lag. Er hielt Anlytha mit der linken Hand fest, während er mit der rechten Hand den Racheltyk umdrehte. »Er ist tot«, sagte er zu Rhodan, der an seine Seite getreten war. »Der Báalol-Priester hatte ihn und seine Artgenossen mißbraucht – und Tschamte hat sich dafür gerächt.«
7. UNTER FREUNDEN Das Feuer prasselte im offenen Kamin auf der Terrasse des Bungalows am GoshunSee. Am Sternenhimmel war ein Komet zu sehen; er stand offenbar unverrückbar am Nachthimmel. Vom See her dröhnten heiße Rhythmen. Dort kreuzte allnächtlich ein nachgebauter Raddampfer und bot allen lebenslustigen Menschen und Extraterrestriern »Original Riverboat-Partys«. Perry Rhodan drückte nacheinander die Tasten der »Getränkeorgel«. Eine Untersuchung der in der Zeitkapsel gelagerten Nahrungsmittel und Getränke hatte ergeben, daß der Metabolismus von Anlytha und dem Kundschafter verwandt mit dem menschlichen Metabolismus war. Algonkin-Yatta besaß lediglich ein leistungsfähigeres Immunsystem, das ihn vor allen Vergiftungen bewahrte, an denen Menschen ohne schnelle medizinische Hilfe gestorben wären. Das, was Perry Rhodan praktizierte, war eine Weinprobe. Der Bungalow des Großadministrators besaß in dreißig Metern Tiefe einen eigenen gut sortierten Weinkeller. Der positronische Kellermeister sorgte für richtige Lagerung bei jeweils optimalen Temperaturverhältnissen und schickte auf Anforderung die gewünschten Flaschen mittels einer Art Rohrpostsystems hinauf – in ein Absorberfeld gehüllt, damit der kostbare Rebensaft nicht aufgewühlt wurde. Nach zahlreichen Proben entschieden sich Anlytha und Algonkin-Yatta für einen Bickensohler Ruländer Auslese, Jahrgang
Tempel des Bösen 2373. Nachdem Rhodan seinen beiden extraterrestrischen Gästen, Allan D. Mercant, Fangaloa Eneiki, Son Okura und den »Goratschins« eingeschenkt hatte, hob er sein Glas, schaute durch den funkelnden Wein in die Flammen der brennenden Buchenscheite und sagte: »Ich trinke auf den Sieg der Vernunft, Freunde, Mitarbeiter und Gäste!« »Ich trinke auf die Kostbarkeiten, die dieser Planet zu bieten hat!« rief Anlytha und zwitscherte in freudiger Erregung. Nur Mercant sah, daß sie eine zirka dreihundert Gramm schwere Locke gediegenen Silbers (das Geschenk eines Kosmogeologen an den Großadministrator) von einer Wandkonsole stahl und in einer ihrer vielen Gürteltaschen verschwinden ließ. Bevor der SolAb-Chef etwas sagen konnte, rief Algonkin-Yatta: »Und ich trinke auf unsere Freundschaft und auf Atlan, nach dem ich suchen werde, bis ich ihn entweder gefunden habe oder bis meine Lebensspanne abgelaufen ist.« »Prost!« sagten Iwan und Iwanowitsch Goratschin. »Ich trinke auf die geschichtliche Bedeutung unserer Begegnung, Mister Algonkin-Yatta und vor allem darauf, daß Sie, Miß Anlytha, sich weniger materielle Dinge als geistige Werte einverleiben«, sagte der SolAbChef. »Ist Wein ein materielles Ding oder ein geistiger Wert, hochgeschätzter Solarmarschall?« fragte Fangaloa Eneiki spöttisch. »Beides, Oberst«, sagte Mercant. »Ich schlage vor, wir führen keine philosophischen Gespräche, sondern genießen die Synthese zwischen veredelter Erdkruste und Sonnenenergie!« sagte Rhodan und hob sein Glas an die Lippen. Der Großadministrator wartete, bis seine Gäste ausgetrunken hatten, dann aktivierte er mittels Blickschaltung einige seiner Servoroboter. Ein mit Delikatessen aller Art beladener Tisch glitt auf die Terrasse. Je zwei Servoroboter stellten sich hinter einer Per-
37 son auf, um bei der Auswahl der Leckerbissen und Getränke Ratschläge zu erteilen und beim Aussuchen zu helfen. Eine Weile herrschte geschäftige Stille, dann meinte Perry Rhodan: »Wir haben aus wenigen Worten erraten, warum Sie, Algonkin-Yatta, und Sie, Anlytha, auf der Erde sind. Sie suchen nach Lordadmiral Atlan, meinem Freund und Verbündeten, der verschollen ist, seit er sich auf den Weg nach Atlantis gemacht hat.« Seine Augen verdunkelten sich. »Wir wissen nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt.« »Wenn er noch lebt, werde ich ihn finden!« rief Algonkin-Yatta. »Ich bin ihm auf der Spur, seit er gegen Orbanaschol kämpfte.« »Aber das liegt rund elftausend Jahre zurück!« erwiderte Fangaloa Eneiki. »Mister Algonkin-Yatta ist mit seiner Zeitkapsel aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart gekommen«, erinnerte Perry Rhodan sie. Er schaute den Kundschafter lange an. »Der Name ›Algonkin‹ kommt auch auf der Erde vor, wenn auch nicht als Name für eine Person. Es würde mich interessieren, ob Sie wissen, wie Sie zu Ihrem Namen gekommen sind.« »Mich würde alles interessieren, was Ihre Herkunft betrifft, Mister Algonkin-Yatta«, warf Oberst Eneiki ein. »Bitte, nennen Sie mich doch einfach nur Algonkin!« bat der Kundschafter. Er schloß die Augen und sammelte seine Gedanken, dann sagte er leise: »Ich komme aus einer Vergangenheit, in der es einen Planeten namens Ruoryc gab, den es vielleicht in Ihrer Gegenwart auch noch gibt. Ruoryc ist der achte Planet der blauen Riesensonne Yrgarh. Wie ich inzwischen weiß, ist Ruoryc etwa anderthalbmal so groß wie die Erde und besitzt wegen seines erheblich höheren Gehalts an schweren Elementen die fünffache Masse. Es gibt elf Inselkontinente und sehr unruhige Meere. Die Gezeiten sind infolge eines Mondes, der nur hundertfünfzigtausend Kilometer von Ruoryc entfernt und so schwer wie die Erde
38 ist, stark ausgeprägt.« »Ich dachte, Sie nennen sich Mathoner«, warf Dr. Orwell Hynes ein, der in Begleitung eines anderen Mannes nähergekommen war. »Wie kommt das?« »Ah, da sind Sie endlich, mein Freund!« rief Algonkin-Yatta impulsiv. »Und ich habe, wie gewünscht, den Barden Juan Pincenez mitgebracht!« erwiderte der Arzt. Ein braungebrannter Hüne mit wildem Haar- und Bartwuchs trat in den Lichtschein und schwenkte ein urtümlich aussehendes Musikinstrument, dann spielte er einige Akkorde. »Hallo!« sagte er. »Sie sind Barde?« fragte Allan D. Mercant. »Und Sarde«, gab der Hüne zurück. »Mein Lieblingsinstrument ist die Drehleier, auch Vielle genannt. Freund Orwell, den ich bei seinem letzten Urlaub kennenlernte, sagte mir, daß die Mächtigen des Großen Imperiums den Wunsch geäußert haben, meine bescheidene Kunst zu hören.« »Das in unserer Eigenschaft als Gastgeber für Anlytha und Algonkin-Yatta«, sagte Perry Rhodan. »Algonkin-Yatta!« sagte Juan Pincenez, während er den Kundschafter aufmerksam musterte. »Wußten Sie, daß die lemurische Menschheit trotz einer Einheitssprache in mehrere Sprachfamilien gegliedert war, die sich aus der stammesgeschichtlichen Entwicklung herleiten lassen? Eine dieser Sprachfamilien waren die Algonkin.« »Nein, davon wußte ich nichts«, erwiderte der Kundschafter. »Aber hat es etwas mit mir zu tun?« »Das weiß ich nicht«, sagte der Barde. »Aber Sie sehen trotz Ihres exotischen Äußeren mehr wie ein Mensch als ein Angehöriger einer anderen Rasse aus. Wenn man dann noch bedenkt, daß die Lemurer durch die halutische Heimsuchung in der ganzen Galaxis – und sogar in der Nachbargalaxis – verstreut wurden, dann erscheint es nicht undenkbar, daß Ihr Name, Kundschafter, etwas
H. G. Ewers über die Herkunft Ihrer Ahnen aussagt.« »Sie sind nicht von Beruf Barde?« fragte Mercant. »Nein, sondern aus Spaß an der Sache. Aber das trifft auch auf meinen Beruf zu. Ich befasse mich intensiv mit der Vorgeschichte der heutigen – zweiten – Menschheit. Das ernährt mich natürlich nicht, deshalb schreibe ich hin und wieder Drehbücher für eine Tochtergesellschaft von Terra Television.« »Ich hoffe, wir haben später Gelegenheit, uns näher kennenzulernen, Freund Juan«, sagte Rhodan mit hintergründigem Lächeln. »Aber jetzt sollte Algonkin-Yatta den Vortritt haben, denn ich höre mir eine Geschichte gern im Zusammenhang an.« »Wir auch, Sir«, sagte Orwell Hynes. »Sagen Sie ruhig Perry«, meinte Rhodan. »Das wird es mir später erleichtern, Ihnen die Leviten zu lesen, weil Sie der USO und der SolAb so fürchterlich ins Handwerk gepfuscht haben.« »Ist klar – Perry«, erwiderte der Arzt. »Wann kamen Ihre Vorfahren nach Ruoryc?« wandte sich Mercant an den Kundschafter. »Das weiß ich nicht so genau«, sagte Algonkin-Yatta. »Die Überlieferungen besagen, daß das Großraumschiff MATHON vor Tausenden von Umläufen in dem System der Sonne Yrgarh nach einem bewohnbaren Planeten suchte, denn seine Treibstoffvorräte waren bei der Flucht vor feindlichen Raumschiffen erschöpft worden. Die Schiffsführung fing Funksignale auf, die vom achten Planeten kamen. Nach einiger Zeit kam eine Kommunikation zustande. Etwas, das sich selbst MYOTEX nannte, bot der Besatzung des Schiffes seine Hilfe an und garantierte ein Überleben auf der an und für sich für die Mathoner lebensfeindlichen Welt. Meinen Urahnen blieb infolge ihrer verzweifelten Lage nichts weiter übrig, als die Hilfe anzunehmen. Die MATHON wurde in Fernsteuerung genommen und auf Ruoryc gelandet. Das technische Erbe einer seit lan-
Tempel des Bösen gem ausgestorbenen Zivilisation nahm sich der Flüchtlinge an, schützte sie vor den extremen Umweltbedingungen und versorgte sie mit allem Nötigen. Innerhalb weniger Generationen wurden die Mathoner, wie sie sich nach ihrem Schiff nannten, vollständig in das technische Erbe der ausgestorbenen Zivilisation integriert. Deshalb brauchten sie sich den Umweltbedingungen nicht anzupassen. Doch diese behütete Existenz unter einer Glasglocke widersprach der Natur der Mathoner, vor allem aber ihrer ausgeprägten Wißbegier. Immer wieder entzogen sich Mathoner der als Bevormundung angesehenen Hut von MYOTEX. Es kam zu Ausbrüchen und Rebellionen. Aber die Ausbrecher kamen in den extremen Umweltverhältnissen des Planten um. MYOTEX suchte nach Wegen, sinnlose Rebellionen und Todesfälle zu verhindern und den Mathonern die Gelegenheit zu geben, ihre Wißbegier und ihren Abenteuerdrang zu befriedigen. Es startete ein Teilanpassungsprogramm und später ein Raumfahrtprogramm. MYOTEX baute Kundschafterschiffe, rüstete sie mit Psiotroniken und anderen technischen Raffinessen aus und bildete alle interessierten Mathoner zu Kosmischen Kundschaftern aus. Ich bin einer dieser Kundschafter. Anlytha dagegen kommt nicht von Ruoryc. Ich fand vor langer Zeit irgendwo zwischen den Sternen ein havariertes Kleinraumschiff und rettete die Pilotin. Sie konnte sich bisher nur an ihren Namen, Anlytha, erinnern, an nichts sonst.« »Das stimmt nicht mehr!« warf Orwell Hynes ein. »Anlytha half mir bei einer komplizierten Gehirnoperation und erwies sich dabei als ausgezeichnete Neurologin und Neurochirurgin. Sie muß also eine entsprechende Ausbildung haben.« »Vielleicht kommen noch mehr Erinnerungen zurück«, sagte Algonkin-Yatta. Er seufzte. »Auf einem Kundschafterflug entdeckten Anlytha und ich den Planeten Perpandron, auf dem die Zeitkapsel wieder ein-
39 mal großes Unheil angerichtet hatte. Dort hörten wir von einem sterbendem GolteinHeiler von Kristallprinz Atlan und von seinem Kampf gegen Diktatur und Korruption und für eine Erneuerung des Großen Imperiums von Arkon. Ich war fasziniert von der Persönlichkeit und den Abenteuern Atlans und nahm mir vor, ihn zu suchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen und ihn genau kennenzulernen. Seitdem habe ich mein Kundschafterprogramm ignoriert und bin kreuz und quer durch den Raum und seit einiger Zeit auch durch die Zeit geflogen.« »Es tut mir leid, daß Ihre Suche vergeblich war, Algonkin«, sagte Perry Rhodan. Der Blick der stahlblauen Augen des Kundschafters richtete sich fest auf den Terraner. »Meine Suche war nicht erfolglos, Perry, denn ich habe erfahren, wohin Atlan verschwunden ist.« »Vielleicht verschwunden ist!« warf Mercant ein. Algonkin-Yatta lächelte. »Atlan lebt – und wenn er nach Atlantis wollte, dann befindet er sich dort. Ich aber werde weitersuchen und ihn eines Tages finden!« Niemand sagte etwas dazu. Juan Pincenez zog sich einen Hocker heran, stellte einen Fuß darauf und stimmte ein schwermütiges Lied in einer Sprache an, die außer ihm niemand beherrschte. Knackend brach ein flammendes Buchenscheit im Kamin auseinander. Die Flammen spiegelten sich im Wein, den Perry Rhodan einschenkte. Und das uralte Lied klang hinauf zu den Sternen über Terrania City …
* Der Morgen sah Algonkin-Yatta allein auf der Terrasse. Außer Allan D. Mercant, der in seinen eigenen Bungalow zurückgekehrt war, schliefen alle Gäste des Großadministrators noch in ihren Gästezimmern.
40 Die Sonne stieg verzerrt und blutrot über den Horizont. Die Lichtglocke über Terrania City erlosch. Im Süden ballten sich Wolkentürme zusammen. Ein frischer Wind kam herüber aus der ehemaligen Wüste und trug den Duft von Citrusblüten aus dem Obstund Gemüseanbaugebiet Gobi Areal herüber. Es war eine fremde, exotische Welt für den Kundschafter von Ruoryc, und doch hatte sie den Hauch von etwas Vertrauten an sich. Algonkin-Yatta überlegte, ob sein Volk tatsächlich von den Lemurern der Ersten Menschheit abstammte und die Erde somit auch seine Urheimat war – wie es die Urheimat Atlans war. Der Gedanke hatte etwas Aufwühlendes, Berauschendes und Sinnverwirrendes. Algonkin-Yatta wandte sich um, als die breite Glastür sich öffnete. Perry Rhodan und Fangaloa Eneiki traten auf die Terrasse, beide in luftige Freizeitkombinationen gekleidet. »Guten Morgen, Algonkin!« sagten die beiden Menschen wie aus einem Mund. »Wie haben Sie geschlafen?« fragte der weibliche SolAb-Oberst. »Sehr gut, aber nicht lange«, antwortete Algonkin-Yatta. »Meine Gedanken ließen mir keine Ruhe. Ich mußte ins Freie gehen, den Wind spüren und die Sterne sehen und das Unerklärliche ahnen, das zwischen mir und Atlan liegt. Wie haben Sie geschlafen?« »Sehr gut«, antworteten Rhodan und Fangaloa Eneiki. »Wie wollen Sie das anstellen: nach Atlan suchen?« erkundigte sich der Großadministrator. »Und kann ich Ihnen helfen?« »Sie können mir helfen, indem Sie mir Bewegungsfreiheit geben, Perry«, antwortete der Kundschafter. »Um die notwendigen Messungen anstellen zu können, brauche ich die Spezialausrüstung meines Kundschafterschiffs – und ich brauche vor allem die Psiotronik zur Auswertung der Meßergebnisse. Ich kann aber nur mit der Zeitkapsel zum Kundschafterschiff zurückkehren …«
H. G. Ewers »Das ist mir klar«, erwiderte Rhodan. »Aber was steht dem entgegen, Algonkin?« Fangaloa Eneiki lachte hell. Ihr Gesicht wirkte irgendwie gelöster und freier als am Vortag. »Unser Freund denkt, wir würden es nicht gern sehen, wenn er mit seiner Zeitkapsel verschwindet, Perry!« »Ich fühle mich verpflichtet, Rücksicht auf Ihre Interessen zu nehmen, Perry«, sagte Algonkin-Yatta. Perry Rhodan nickte und lächelte verständnisvoll. »Ich habe viele Interessen«, sagte er. »Aber mein primäres Interesse im Hinblick auf Sie ist darauf gerichtet, daß Sie sich als Freund unter Freunden und als freier Mann fühlen. Niemand wird Ihnen vorzuschreiben versuchen, wie und wohin Sie sich bewegen und was Sie mit Ihrer Zeitkapsel unternehmen.« »Sie sind sehr großzügig, Perry«, erwiderte der Kundschafter. »Ich werde mit der Kapsel aufbrechen, aber nur, um mit dem Kundschafterschiff und der Kapsel zurückzukehren, denn hier ist das eine Ende der Spur, die zu Atlan führt.« »Ich bitte darum, Sie begleiten zu dürfen!« rief Orwell Hynes, der, gefolgt von Anlytha, auf die Terrasse kam. »Wissen Sie nicht mehr, daß Sie auf richterliche Anordnung gehalten sind, Terrania City vorerst nicht zu verlassen, weil erst noch im Zusammenhang mit zwei paralysierten SolAb-Agenten gegen Sie ermittelt werden muß?« fragte Rhodan. »Doch, Sir«, sagte Hynes und ließ den Kopf hängen. Perry Rhodan lachte. »Glauben Sie wirklich, ich wäre so kleinlich, Orwell! Wenn Algonkin einverstanden ist, fliegen Sie mit durch Raum und Zeit! Ich übernehme die Verantwortung gegenüber dem Gericht und zahle notfalls die Geldstrafe aus meiner Tasche, denn Ihre Verdienste um die Erde sind weit größer als der geringe Schaden, den Sie angerichtet haben.« »Danke, Sir!« erwiderte Hynes. »Perry!«
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korrigierte der Großadministrator. Eine Folge von Akkorden erklang, dann marschierte der Barde quer durch den terrassierten Steingarten und blieb auf der Terrasse stehen. »Hei, Schwestern, hei Brüder!« sagte er mit tiefer, rollender Stimme. »Ich habe die letzten drei Stunden in einer Diskothek gespielt und gesungen – und mit den Jungen und Mädchen dieser Gegend getrunken. Nicht schlecht, diese Jugend, obwohl es natürlich keine Sarden sind. Bruder Algonkin, was für eine Ballade könnte ich dichten und komponieren, wenn ich eine andere Zeit durchwandern würde!« »Er kann auch normal reden«, meinte Hynes. »Er interessiert mich so, wie er ist«, sagte Algonkin-Yatta. »Zum erstenmal wird jemand auf meinem Kundschafterschiff ein Instrument spielen und dazu singen, der beides tatsächlich kann. Ich freue mich auf Ihre Begleitung. Anlytha, wir machen uns reisefertig!« »Ich komme nicht mit, Algonkin«, sagte Anlytha. Der Kundschafter starrte sie fassungslos an. »Aber sonst hast du dich immer aufgeregt, wenn ich dich mal nicht mitnehmen wollte! Was ist in dich gefahren, Anlytha?« »Sie möchte die größten terranischen Museen besuchen, weil sie sich für Kunstschätze interessiert«, erklärte Orwell Hynes. »Ich habe die Besichtigungstour gleich heute morgen per Visiphon organisiert. Meine Schwester Catherine wird Anlytha begleiten.« Algonkin-Yatta schloß sekundenlang die Augen, dann seufzte er und meinte: »Einverstanden. Niemand kann alles tragen; das beruhigt mich. Viel Spaß, Anlytha, aber nicht zuviel.«
* Juan Pincenez öffnete seinen Schrankkoffer und holte eine Flasche heraus. Mit den
Zähnen zog er den Korken, dann ließ er ihn in die hohle Hand fallen und reichte Algonkin-Yatta die Flasche. »Was ist das?« fragte der Kundschafter. »Echter alter Calvados«, erklärte der Barde. »Ein französischer Apfelbranntwein.« »Er entkrampft bei Gesichtszuckungen, die man auch Sardonisches Lachen nennt; deshalb trinkt man ihn auch auf Sardinien. Richtig, Juan?« fragte Orwell Hynes. »Nur zur Hälfte«, erwiderte der Barde. »Wir trinken zwar Calvados, wenn auch keineswegs ausschließlich, aber wir leiden nicht unter Gesichtszuckungen, da wir als Einheimische das Giftkraut Sardonia und seine Wirkung genau kennen. Nur Touristen sind gefährdet, sofern sie auf unseren Wiesen weiden.« Algonkin-Yatta hatte verwirrt zugehört, jetzt setzte er die Flasche an. Er trank genau ein Drittel, dann reichte er sie an Hynes weiter. Der Arzt fühlte sich verpflichtet, ebenfalls ein Drittel zu trinken – und Juan Pincenez leerte sie schließlich. Danach holte er die nächste Flasche aus seinem Koffer und meinte: »Warum hältst du eigentlich nicht mit, Loggy?« Das seltsame, halb durchscheinende Wesen, das hin und wieder verschwand – in eine andere Zeit, wie es erklärt hatte –, erwiderte: »Meine Nahrung ist von anderer Art, Barde.« Juan Pincenez schüttelte verwundert den Kopf. »Wir ernähren uns keinesfalls von Calvados, Timestepper, sondern meist von handfester Nahrung wie Ziegenkäse, Brot, Oliven und Weintrauben – und wenn es hochkommt, von zartem Ziegenfleisch.« »Mir kommt es gleich hoch!« lallte Orwell Hynes und lächelte mild. »Zumindest würde ich jetzt gern gebratenes Ziegenfleisch essen.« Er verdrehte die Augen und rutschte an der Wand herab. Als er den Boden erreichte, schnarchte er schon.
42 »Was ist mit ihm los, Juan?« fragte der Kundschafter besorgt. »Wer zuviel trinkt auf einen Streich, dem werden bald die Knie weich«, deklamierte der Barde. »Es sei denn, er ist trainiert wie ich. Wann kommen wir in der anderen Zeit an, Algon … hicks … kin?« »Wir befinden uns bereits in einer anderen Zeit«, antwortete Algonkin-Yatta. »Genau genommen, rasen wir ständig durch andere Zeiten. Aber ich kann nichts Genaueres darüber sagen. Vielleicht kennt MYOTEX sich mit den Details der Zeitreise aus.« Er schwieg. Juan hob den Kopf und blickte den Kundschafter prüfend an. »Heimweh nach Ruoryc, Maestro?« »Kann sein«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Ich war sehr lange nicht daheim. Ob ich wohl Ruoryc landen und mit MYOTEX sprechen werde? Aber erst muß ich Atlan finden und mit ihm sprechen!« »Wir sind gleich auf der Raumebene und in der Zeitphase des Kundschafterschiffs, Algonkin?« sagte Loggy. »Du willst mit dem Kundschafterschiff zur Erde fliegen. Aber weißt du denn, zu welcher. Zeit du auf der Erde ankommen würdest? Denn das Kundschafterschiff kann nur durch den Raum reisen.« »Ich kann dir deine Frage noch nicht beantworten, Loggy«, erwiderte der Kundschafter. »Es wird sich alles finden, wenn es soweit ist.« Er blickte auf die Bildschirme, die wieder einmal die seltsamen Nebel zeigten, die charakteristisch für Zeitreisen mit dieser Kapsel waren. Soeben lichteten sich die Schwaden. Ein Bildschirm zeigte einen kristallisierten blauen Zwergstern, ein anderer einen »normalen« blauen Sonnenriesen – und die übrigen Bildschirme zeigten außer fernen Lichtpunkten nur die samtene Schwärze des Raumes. Das änderte sich bald, nachdem der Kundschafter die Steuerung übernommen hatte. Die Kugel eines lebenerfüllten Planeten wurde in einem Schirm sichtbar.
H. G. Ewers Plötzlich stutzte Algonkin-Yatta. »Die Ortungsgeräte messen die energetischen Emissionen desaktivierter Raumschifftriebwerke an!« verkündete er aufgeregt. »Das müssen sie ja wohl«, meinte Juan Pincenez. »Schließlich steht Ihr Raumschiff auf diesem Planeten. Oder ist das nicht der richtige Planet, Algonkin?« »Doch, aber es ist nicht mein Schiff«, antwortete der Kundschafter. »Mein Schiff liegt unter einem Tarnfeld und einem AntiOrtungsschirm und kann deshalb gar nicht angemessen werden.« Der Barde sprang auf und stieß dabei die leere Calvados-Flasche mit dem Fuß um. »Jetzt wird es spannend! Ob es feindlich eingestellte Wesen sind, die mit einem Raumschiff auf Ihrem Basis-Planeten landeten?« Algonkin-Yatta schaute den Barden nachdenklich an. »Eigentlich sollte ich mich auf den Kontakt mit anderen Wesen freuen, aber ich habe seit meinem Aufbruch von Ruoryc so viele schlechte Erfahrungen gesammelt, daß ich vorsichtig geworden bin.« Er wandte sich zu Loggy um, aber der Zeitpendler war wieder einmal verschwunden. Abermals musterte der Kundschafter die Ortungsanzeigen. »Das fremde Raumschiff ist rund tausend Kilometer vom Kundschafterschiff entfernt«, sagte er. »Ich werde auf der gegenüberliegenden Seite des Planeten hinabgehen und im Tiefflug zu meinem Schiff fliegen. Sollten die Fremden uns nicht bemerken beziehungsweise nicht feindselig reagieren, versuche ich, Kontakt aufzunehmen.« Orwell Hynes hob den Kopf, ließ aber die Augen geschlossen. »Kontakte haften!« sagte er klar und deutlich. »Apparat einschalten!«
* Die Zeitkapsel flog dicht über die Dünung eines großes Ozeans. Im Wasser tummelten
Tempel des Bösen sich Herden von walähnlichen Tieren. Sie schienen sich von Algen zu ernähren, die sich zu zahllosen kleinen und riesigen Inseln zusammenballten. Auf einigen Algeninseln hatte sich sogar Humus gebildet, auf dem Landpflanzen wuchsen, in denen wiederum Vögel nisteten. Hynes hatte eine Tablette geschluckt und war wieder einigermaßen klar. Langsam kam er auf die Beine. Nachdem er die Bildschirme ausgiebig gemustert hatte, sagte er: »Eine erdähnliche Welt – und doch anderes als die Erde.« »Im Grunde genommen muß ich mich immer wieder wundern, wie groß die Ähnlichkeiten der Lebensformen auf Planeten gleicher Masse, gleichen Strahlungseinfalls und gleicher chemischer Zusammensetzung sind«, sagte der Kundschafter. »Aber oft täuscht der Schein. Hinter ähnlichem Äußeren verbergen sich oftmals unvorstellbare Unterschiede.« Juan Pincenez spielte eine Melodie auf der Drehleier und sang leise ein altterranisches Lied dazu. Als es zu Ende war, stimmte er Hursts »Ballade von den Ozeanen des Mars« an. Er sang zuerst im alten Hochmarsianisch, dann im Interkosmo. Es war das uralte Lied der marsianischen Hochkultur, deren Städte nach einer langdauernden Periode einer ausgewogenen Zivilisation, die die schönen Künste pflegte (zu einer Zeit, als auf der Erde noch nicht einmal an die Erste Menschheit zu denken war), von der erschlaffenden Natur des Planeten gezwungen wurden, den versickernden und schrumpfenden Meeren zu folgen, indem sie die höhergelegenen Bauten aufgaben und immer tiefer bauten. Aber bei Juan Pincenez klang es ganz anders als bei anderen Interpreten. Unwillkürlich mußte Orwell Hynes daran denken, daß auch die Wasser der Erde immer mehr in die Tiefe sanken und daß es immer mehr hochgezüchteter und aufwendiger Techniken bedürfen würde, um die Oberfläche nicht ebenso verdorren zu lassen, wie es mit der
43 Oberfläche des Mars vor Millionen von Jahren geschehen war. Wehe, wenn eines Tages die technischen Mittel nicht mehr ausreichten oder anderweitig beansprucht wurden – oder wenn die Menschheit infolge tiefgreifender Konflikte nicht mehr die Kraft aufbringen würde, die Wasser immer wieder in der Tiefe aufzuspüren und heraufzuholen …! »Gleich sind wir da!« sagte Algonkin-Yatta mit rauher Stimme. In seinen Augen schimmerten Tränen. »Bitte, hören Sie auf damit, Barde! Ihr Gesang hat meine Seele zutiefst verwirrt.« »Auch die Seele muß ab und zu ›umgegraben‹ werden – wie ein Acker, der sonst ebenfalls verödet.« Juan Pincenez lächelte, dann legte er die Drehleier auf den Boden, holte aus seinem Schrankkoffer einen Gürtel mit zwei gefüllten Waffenhalftern und schnallte ihn um. Algonkin-Yatta steuerte die Zeitkapsel über das Ufer des Ozeans, in einem Flußtal entlang und landete sie in der engen Schlucht eines relativ jungen Faltengebirges. »Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu der Höhle, in der ich das Kundschafterschiff versteckt habe«, erklärte er. »Ich werde zu Fuß hingehen. Wer mich begleiten will, ist willkommen.« »Ich komme auf jeden Fall mit!« sagte Juan Pincenez. »Ich auch!« erklärte Hynes. Die drei Männer schnallten ihre Flugaggregate auf die Rücken, dann verließen sie die Zeitkapsel und flogen die Schlucht entlang. Der Kundschafter kannte den Weg und flog voraus. »In wenigen Sekunden durchfliegen wir das Tarnfeld und werden den Höhleneingang sehen können!« rief er zurück. Der Barde und Hynes warteten gespannt. Sie sahen wenige Sekunden später, wie sich ein Stück Pseudo-Felsmassiv auflöste. An seiner Stelle war der Eingang zu einer großen Höhle zu sehen. Er durchmaß etwa sechzig Meter. In dem dämmrigen Licht, das in der Höh-
44 le herrschte, sahen die beiden Terraner ein zirka 63 Meter langes ovales Raumschiff aus einer grünlich schimmernden glasähnlichen Substanz ohne sichtbare Triebwerke. Der größte Durchmesser mochte etwa 39 Meter betragen. Sie landeten links und rechts neben dem Kundschafter und warteten darauf, daß er die Schleuse öffnete. Doch Algonkin-Yatta stand nur da. Seine Nasenflügel bewegten sich deutlich, als er die Luft scharf einsog. »Ich rieche Fremde!« flüsterte er nach einer Weile. »Sie müssen schon im Schiff sein!« Der Barde zog seinen Lähmstrahler und schwang ihn unternehmungslustig. »Dann sollten wir sie hinauswerfen!« Als Algonkin-Yatta nicht darauf reagierte, fragte er: »Warum unternimmst du nichts, Kundschafter?« Doch erst nach etwa einer Minute sagte Algonkin-Yatta: »Ich hatte Kontakt mit der Psiotronik. Sie berichtete, daß im Schiff Fremde sein müssen, kann mir aber nicht beschreiben, wie viele Fremde es sind und wie sie aussehen.« »Vielleicht können sie sich unsichtbar machen«, meinte Juan Pincenez. »Die entsprechenden Geräte hätte die Psiotronik angemessen«, widersprach Algonkin-Yatta. »Haben Sie eine Feuerlöschanlage an Bord, Algonkin?« fragte Hynes. »Selbstverständlich«, antwortete der Kundschafter. »Aber was soll eine Feuerlöschanlage …?« »Ganz einfach«, erklärte der Arzt. »Wenn die Eindringlinge aus fester Materie bestehen, müssen sie sichtbar werden, sobald das Wasser aus den Sprühdüsen sie trifft. Zumindest können wir dann ihre Umrisse erkennen.« »Ausgezeichnet!« rief Juan Pincenez. »Ich bin immer dabei, wenn es etwas zu löschen gibt!« »Einverstanden!« sagte Algonkin-Yatta. Er wies die Psiotronik gedanklich an, die
H. G. Ewers Mannschleuse des Kundschafterschiffs zu öffnen und die Rampe auszufahren. Als sich eine Öffnung in der Außenhülle bildete, schaute er verwundert dem Barden nach, der auf die Schleuse zueilte. »Es klirrt in dem Beutel, den er auf dem Rücken trägt«, stellte er fest. »Was hat er darin, Freund Orwell?« »Teufel!« entfuhr es dem Arzt. »Ich wette, der Barde schleppt eine halbe Wagenladung Calvados mit herum! Jetzt dürfte aber kaum die Zeit sein, sich zu betrinken.« Er vollführte plötzlich einen Satz, stürzte zu Boden und wälzte sich stöhnend hinter einen Felsblock. Algonkin-Yatta begriff, daß der Arzt einen Paralysator-Streifschuß abbekommen hatte – und zwar von einem unsichtbaren Gegner, der sich entweder noch in der Schleuse aufhielt oder sie bereits verlassen hatte. Er feuerte mit seinem Lähmstrahler eine Serie von Schüssen gegen die Schleuse und in die unmittelbare Umgebung und warf sich danach neben Hynes in Deckung. »Ich glaube, Sie haben Juan getroffen«, flüsterte Hynes und ächzte. »Er ist jedenfalls zusammengeklappt.« Algonkin-Yatta warf einen Blick aus der Deckung. Er sah, daß Juan Pincenez stocksteif zur offenen Schleuse hinaufschwebte. »Unsichtbare entführen ihn«, sagte er und feuerte mehrere Schüsse in die Umgebung des Barden ab. Im nächsten Moment zuckte er heftig zusammen und spürte, wie seine Gesichtsmuskeln sich verkrampften. Er ließ sich hinter die Deckung zurückfallen. »Jetzt brauchten Sie einen Calvados, Algonkin«, spöttelte der Arzt, obwohl seine Miene verriet, daß er starke Schmerzen aushielt. »Das typische Sardonische Lachen ziert Ihr Gesicht.« Mühsam bewegte der Kundschafter die Lippen. »Schockschuß von Juan«, flüsterte er. »Von Juan?« fragte Orwell Hynes erschrocken und richtete sich mühsam auf, um über die Deckung spähen zu können. »Keine Spur vom Barden oder Sarden«, stellte er
Tempel des Bösen fest. »Das Außenschott der Schleuse hat sich geschlossen.« »Die Psiotronik berichtet, daß Juan von Unsichtbaren ins Schiff geschleppt worden ist«, berichtete der Kundschafter. »Aber sie ist über etwas erheitert, will mir jedoch nicht verraten, worüber.« »Erheitert?« fragte Hynes gedehnt. »Und noch dazu eine Psiotronik! Ist das nicht etwas Ähnliches wie eine Positronik?« »Es ist so etwas wie eine parapsychisch begabte Positronik«, erklärte Algonkin-Yatta. »Aber nehmen Sie das nicht wörtlich. Die Produkte, die mir MYOTEX als Hilfsmittel mitgab, sind seine Produkte und nicht solche meines Volkes. Sie sind deshalb auch in ihrer vollen Bedeutung anders als Produkte der menschlichen Wissenschaft und Technik, denn die Zivilisation, die MYOTEX hinterließ, war sicher nicht einmal entfernt verwandt mit der irdischen.« Er seufzte. »Aber normalerweise dürfte auch eine Psiotronik keine emotionalen Regungen haben. Mit meiner Psiotronik muß eine Veränderung vorgegangen sein.« »Und was geht mit Juan vor?« fragte Hynes. »Wir dürfen ihn nicht seinem Schicksal überlassen, Algonkin.« »Er hat sein und unser Schicksal in seine Hände genommen, als er sich freiwillig ins Schiff schleppen ließ«, erklärte der Kundschafter. »Außerdem hat er mich mit seinem Schockblaster mitten ins Gesicht geschossen, damit ich seine Gefangennahme nicht verhindere.« »Ins Gesicht? Und Sie sind nicht umgefallen?« »Ein Schuß macht mir kaum etwas aus. Nur im Gesicht hat er mich doch ziemlich gestört, Orwell. Ah, soeben meldet meine Psiotronik, daß die Fremden ausgeschaltet sind. Wir können ins Schiff gehen.« Er stand auf und half dem Arzt, sich aufzurichten und zur Schleuse zu schleppen. Auf seinen Befehl hin öffnete die Psiotronik des Kundschafterschiffs die Schleuse. Die beiden Männer schalteten ihre Flugaggrega-
45 te ein und schwebten ins Schiff. »Die Luft ist rein!« sagte Orwell Hynes, als sie im Schiffskorridor landeten. Er holte tief Luft. »Calvados!« sagte er verklärt. »Jetzt wundere ich mich nicht mehr darüber, daß die Psiotronik erheitert war«, sagte Algonkin-Yatta. »Der Barde hat den ganzen mitgeführten Calvados in den Luftbefeuchter der Klimaanlage geschüttet – und unsere lieben Gäste vertragen offenbar nicht sehr viel Alkohol.« Er deutete auf die nächste Gangbiegung, an der zwei seltsame Gestalten auf dem Boden lagen. Als die beiden Männer die Bewußtlosen erreicht hatten, sagte Hynes: »Das sind Laurins, Algonkin. Die dürren dreibeinigen Körper, die grauweiße Reptilienhaut, die halb echsen-, halb entenförmigen Schnäbel mit den drei Augen und die faustgroßen Verdickungen der schlauchartigen Hälse, die übrigens organische DeflektorProjektoren sind, lassen keinen Zweifel aufkommen. Mit Vertretern dieser Spezies hat die Menschheit schon früher Bekanntschaft gemacht.« »Irrtum!« korrigierte ihn der Kundschafter. »Von unserer derzeitigen Zeitebene aus gesehen, wird die Menschheit erst später die Bekanntschaft der Laurins machen.« Er legte den Kopf schief, als aus den Lüftungsgittern der Klimaanlage gesungene Worte klangen, die sich wie »Gaudeamus Igelkur« und Ähnliches anhörten. »Man merkt eben doch, daß die Menschheit zivilisiert ist«, meinte er gerührt. »Ausgerechnet daran!« erwiderte Hynes. »Na, das ist egal!« Er lächelte trunken. »Was machen wir mit den Zwergenkönigen, äh, den Laurins?« »Darum brauchen wir uns nicht zu kümmern«, antwortete der Kundschafter. »Die Psiotronik sorgt dafür, daß sie auf schonende Weise aus dem Schiff entfernt werden. Danach baut sie einen Ableger von sich in die Zeitkapsel – und in der Zwischenzeit starten wir, denn wir müssen das Kundschafterschiff unbedingt auf dem Planeten eines anderen Sonnensystems verstecken.
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Hier ist es nicht sicher vor den Laurins. Kommen Sie mit in die Zentrale, Orwell!« »Huhu, wo bin ich?« erscholl Juans Stimme aus den Lüftungsgittern der Klimaanlage.
8. AUFBRUCH NACH ATLANTIS »Sind Sie sicher, daß Ihr Kundschafterschiff hier nicht gefunden wird, Algonkin?« fragte Juan Pincenez. Der Barde hatte seinen Rausch ausgeschlafen, war frisch gewaschen und trug ein frisches, einigermaßen sauberes Hemd. Der Kundschafter lächelte rätselhaft, während er die Zeitkapsel vom sechsten Planeten einer weißen Riesensonne wegsteuerte. Auf den Bildschirmen der Hyperortung erschien vorübergehend ein Raumschiff, das, vom neunten Planeten kommend, zum achten Planeten flog. Nach dem kurzen Abenteuer mit den Laurins hatte er das Kundschafterschiff auf dem sechsten Planeten einer weißen Riesensonne versteckt, die etwa 27 Lichtjahre von der Erde entfernt war – und einige tausend Jahre vor der Zeit, in der Juan Pincenez und Orwell Hynes geboren worden waren. »Ich bin sicher, daß ich es abgeholt haben werde, bevor es gefunden werden kann«, antwortete er. »Sie wissen anscheinend nicht, daß Sie Ihr Schiff auf Pigell versteckt haben, dem sechsten Planeten der Wega«, meinte Juan. »Ich habe es selbst erst vor wenigen Minuten bemerkt, als ich feststellte, daß diese Sonne zweiundvierzig Planeten besitzt, von denen einer ein Gigant vom dreifachen Jupiter-Durchmesser ist.« »Der sechste Planet wird erst in mehreren Jahrtausenden Pigell genannt werden, nämlich dann, wenn die Menschen merken, daß sie vor rund vierzigtausend Jahren – von heute an gerechnet – eine Zeitstation der Meister der Insel erobert haben. Genauer gesagt, im Jahre 49.988 vor der Zeitenwende.« »Woher wissen Sie das alles?« fragte Hy-
nes erschrocken. »Weil ich die Überreste der Zeitstation ortungstechnisch entdeckt und ausgemessen habe«, antwortete Algonkin-Yatta. »Die Mini-Psiotronik analysierte die Meßergebnisse und stellte fest, was geschehen war.« Mit »Mini-Psiotronik« meinte der Kundschafter den Ableger der Psiotronik seines Schiffes, den die Psiotronik aus neutralen positronischen Bauelementen und psiotronischen Schaltkreisen gebaut hatte. Als in der Zeitkapsel die halbdurchsichtige Gestalt Loggys auftauchte, sagte Algonkin-Yatta: »Was ist eigentlich mit dir geschehen, Loggy, daß du erstens humanoide Gestalt angenommen hast und zweitens immer wieder in der Zeit verschwindest?« »Ich hatte das Glück, mit Angehörigen des uralten Luna-Clans zusammenzutreffen und einige ihrer Geheimnisse kennenzulernen«, antwortete Loggy. »Doch alles hat seinen Preis. Ich habe bezahlt, indem ich die Eigenschaft annahm, durch bestimmte, nicht näher definierbare Veränderungen der raumzeitlichen Struktur, in die ich eingebettet bin, in andere Zeitebenen verschoben beziehungsweise wieder in die Zeitkapsel geschoben zu werden. Eines Tages werde ich dagegen immun sein, dann bin ich immer bei dir, Algonkin.« »Darauf freue ich mich schon heute«, erwiderte der Kundschafter. Er sah zu, wie Loggy mit Hilfe der ornamentalen Linien an der Innenwand der Kapsel Manipulierungen der Zeit vornahm. Einige Augenblicke und viele tausend Jahre später war das Jahr 2649 nach Chr. – und die Zeitkapsel schwebte über der Kräuterecke von Rhodans Garten. »Arnika und Enzian, Bohnenkraut und Rosmarin!« rief Juan Pincenez, nachdem er ausgestiegen war und tief eingeatmet hatte. Er bückte sich, riß ein paar Schafgarbenblätter ab und steckte sie in den Mund. »Hallo!« Oberst Fangaloa Eneiki stand auf der Terrasse von Rhodans Bungalow und winkte. »Endlich sind Sie zurück! Wo
Tempel des Bösen ist der Kundschafter?« »In der Kapsel«, antwortete der Barde. »Er sortiert sein Werkzeug, damit er nachher gleich mit der Suche nach Atlantis anfangen kann.« »Nach Atlantis?« echote Oberst Eneiki. »Er soll lieber damit anfangen, nach Anlytha zu suchen!« »Wieso nach Anlytha suchen?« rief Algonkin-Yatta und sprang mit einem Satz aus der Schleuse – genau auf einen Wermutstrauch. Im nächsten Augenblick rang er verzweifelt nach Luft, während er in heller Panik mit Armen und Beinen strampelte. Japsend und keuchend trampelte er eine breite und tiefe Gasse durch Estragon und Lavendel und landete schließlich im Wasserbecken. Da es 1,80 Meter tief war, während der Kundschafter nur eine Körpergröße von 1,59 Metern hatte, versank er bis weit über die haarlose Schädeldecke. Aber er traf keinerlei Anstalten, das Wasserbecken zu verlassen. Im Gegenteil, er stand einige Minuten lang völlig still, so daß Fangaloa Eneiki Angst um ihn bekam und ihn herausfischen wollte. Doch da war der Wasserstand bereits auf zirka 1,20 Meter gesunken. Algonkin-Yatta schluckte noch einige Liter Flüssigkeit, schlang ein paar Seerosenzweige hinunter und stieg schließlich bedächtig an Land. »Wo ist das ganze Wasser hin, Algonkin?« fragte Oberst Eneiki. Der Kundschafter schlug zufrieden auf seinen halbkugelförmig vorgewölbten Bauch. »Hier, Fangaloa! Bitte, entschuldigen Sie mein Verhalten von vorhin. Mein Geruchssinn ist erheblich stärker ausgeprägt als der von euch Terranern. Als ich in einen unheimlich stark riechenden Strauch fiel, reagierte mein Atemzentrum allergisch auf die Duft- und Reizstoffe. Ich befand mich quasi in der Lage eines Ertrinkenden – und dementsprechend habe ich mich aufgeführt. Das Wasser hat die Geruchsstoffe von meinen Schleimhäuten fortgespült. – Aber was
47 ist mit Anlytha?« Fangaloa Eneiki seufzte. »Sie ist spurlos verschwunden – und hat nicht nur mich, sondern auch rund fünfzehn Museumsdirektoren mit dem Gefühl eines schmerzlichen Verlusts zurückgelassen. Nur, daß die Verwalter der musealen Kostbarkeiten nicht Anlytha vermissen wie ich.« Der Kundschafter rang in beinahe kindlich wirkender Weise die Hände. »Ich hätte es wissen müssen! Warum habe ich sie nur nicht mitgenommen! Hoffentlich stößt ihr auf dem für sie fremden Planeten nichts Schlimmes zu. Fangaloa, gibt es denn eine Spur von ihr? Weiß jemand, wohin sie sich gewendet haben könnte?« Der weibliche SolAb-Oberst machte eine entsagungsvolle Geste. »Sie hat sich während der Besichtigung des Zentralterranischen Museums für Ornithologie davongeschlichen, nachdem sie ihren Begleitern eine andere Gestalt vorgegaukelt hatte.« »Museum für Ornithologie!« sagte Orwell Hynes nachdenklich. »Ich bin selber HobbyOrnithologe und kenne mich in dem Museum ziemlich genau aus. Wahrscheinlich hat Anlytha dort etwas gesehen, was sie auf den Gedanken brachte, einen bestimmten Ort der Erde aufzusuchen. Und wenn ich mir Anlythas Erscheinungsbild vorstelle, dann möchte ich wetten, daß wir sie im Großen Naturpark der Region Ahaggar, südlich der Sahara, finden werden.« »Wo immer das ist, wir müssen sofort hin!« sagte Algonkin-Yatta.
* »Eigentlich gehört der Gebirgsstock mit dem Namen Ahaggar geographisch zur mittleren Sahara«, erklärte Perry Rhodan, der als Pilot der Space-Jet fungierte, mit der Algonkin-Yatta, Fangaloa Eneiki, Orwell Hynes und Juan Pincenez nach Anlytha suchten. »Aber da die Sahara infolge der Bewässerungs- und Aufforstungsprojekte der letzten Jahrhunderte nur noch nördlich des Ahag-
48 gar-Gebirges Wüste ist, wird sie in zunehmendem Maße nur noch mit dieser Restwüste identifiziert.« Er ließ die Space-Jet nach Backbord einschwenken. Die Passagiere bekamen einen ersten Ausblick auf die von erloschenen Vulkanen zernarbte Zielgegend. »Früher war auch das hier ödes heißes Land«, sagte Hynes. »Heute ist das Ahaggar-Gebirge von dichten Wäldern und Obstplantagen umgeben, die ihr Wasser aus unterirdischen Hohlräumen erhalten. Zwölf große künstliche Seen haben das Klima im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. An einem dieser Seen glaube ich Anlytha zu finden.« »Woher nehmen Sie diese Sicherheit, Orwell?« fragte Rhodan. »Anlythas echte Gestalt dürfte auch ihre Lieblingsgestalt sein«, erklärte der Arzt. »Ich habe außerdem beobachtet, daß sie viele ihrer emotionalen Regungen durch veränderte Stellungen ihres Federkamms ausdrückt. Von allen großen Vogelarten, die im Seengebiet der Region Ahaggar leben, dürfte der Kronenkranich die größte Ähnlichkeit mit Anlytha besitzen. Folglich kann sie sich unter einem Schwarm Kronenkraniche verbergen, ohne allzu starke Veränderungen ihres Äußeren vorgaukeln zu müssen.« Juan Pincenez spielte einige Akkorde auf seiner Drehleier, dann sang er mit Musikbegleitung: »Ein Kronenkranich möcht' ich sein, an einem Vulkankraterlein – Ich nähm' meine gold'ne Laterne und suchte mir eine Kaverne!« Perry Rhodan schaute den Barden abwägend an, aber Hynes schlug sich lachend auf die Schenkel und rief: »Du hast es genau getroffen, Barde! Schließlich braucht unsere diebische Freundin eine Höhle, in der sie ihre Beute verstecken kann! Was bietet sich da in einem Gebiet erloschener Vulkane eher an als ein Hohlraum in einem Kraterwall!« »Das leuchtet mir ein«, sagte Rhodan. »Fangaloa, würden Sie bitte die Ortung
H. G. Ewers übernehmen und vor allem auf die Anzeigen der Hohlraumresonatoren achten!« »Schon geschehen«, erwiderte Fangaloa Eneiki, während ihre Finger über die Sensorpunkte des Ortungspults huschten und Bildschirme und Kontrollampen zum Aufleuchten brachten. Algonkin-Yatta trat neben sie und heftete seinen Blick auf die Anzeigen der Massetaster. Oberst Eneiki nickte ihm verstehend zu. Als die Space-Jet den ersten künstlichen See in geringer Höhe überflog, stoben große Schwärme Flamingos, Ibisse und Kronenkraniche aus dem flachen Uferwasser und schwebten gleich angeleuchteten bunten Wolken in der klaren Luft. Nur etwa dreißig weiße Störche blieben unten im niedrigen Schilf auf einem Bein stehen, legten Köpfe und Schnäbel auf die Rücken und führten sie im Bogen wieder nach vorn, wobei ein vielstimmiges lautes Klappern ertönte, das von den Außenmikrophonen in die Steuerkanzel der Space-Jet übertragen wurde. Perry Rhodan und Fangaloa Eneiki schauten sich schweigend an, wobei Fangaloas feuchte Lippen sich leicht öffneten, während Perrys Augen funkelten. »Bitte, achten Sie doch auf die Hohlraumtaster, Fangaloa!« sagte der Kundschafter und griff an dem weiblichen Oberst vorbei zu den Sensorpunkten. »Tatsächlich!« entfuhr es Fangaloa Eneiki. »Stoppen, Perry!« Rhodan bremste die Space-Jet ab und kehrte mit Hilfe der elektronischen Koordinatenboje wieder genau an die Stelle zurück, an der Oberst Eneiki ihn zum Stoppen aufgefordert hatte. Die Space-Jet schwebte genau über dem mürben Tuffgestein am Fuße eines großen Vulkankegels. Es handelte sich um einen längst erloschenen Stratovulkan. Fangaloa Eneiki dirigierte Rhodan mit knappen Zurufen, bis die Space-Jet ungefähr in der Mitte des Südhangs schwebte. »Hier ist es«, sagte Algonkin-Yatta mit mühsam unterdrückter Erregung. »Ein Hohlraum und die Massewerte von Gold, Silber,
Tempel des Bösen Edelsteinen, Porzellan und Holz. Aber auf dem Hang gibt es keinen Zugang. Wir müssen durch den Schlot!« Rhodan nickte und steuerte die Space-Jet genau über die Krateröffnung, dann setzte er sich auf dem Kraterwall ab. »Ich gehe lieber allein, damit Anlytha keine Angst bekommt, wenn sie in ihrem Versteck aufgestöbert wird – falls sie sich dort aufhält«, sagte der Kundschafter. »Ich gehe mit!« erklärte Hynes. »Mir vertraut Anlytha – und ich werde es mir nie verzeihen, daß ich sie nicht ständig begleitet habe.« Er schluckte. »Ich liebe sie.« »Dr. Hynes!« sagte Perry Rhodan mahnend. »Anlytha gehört zu einem Volk von Vogelabkömmlingen. Eine Verbindung zwischen ihr und einem Menschen …« »Ich weiß!« Hynes winkte ab. »Trotzdem liebe ich sie!« »Kommen Sie mit!« forderte Algonkin-Yatta ihn auf. »Ich liebe Anlytha auch. Vielleicht hört sie mit ihrem Unsinn auf, wenn gleich zwei Liebende zu ihr kommen.« Die beiden äußerlich so unterschiedlichen Wesen schlossen ihre Raumkombinationen, schalteten die Flugaggregate ein und verließen das Schiff. »Was soll man dazu sagen!« meinte Perry Rhodan. »Nur Worte der Freude«, erklärte Juan Pincenez ernst. Es dauerte eine Dreiviertelstunde, dann kehrten Algonkin-Yatta und Orwell Hynes mit einem Kronenkranich in die Steuerkanzel der Space-Jet zurück. »Anlytha leidet unter der mentalen Ausstrahlung der vielen Milliarden Menschen auf der Erde«, berichtete Orwell Hynes. »Sie floh deshalb in die Einsamkeit und vor sich selbst – und sie will ihre wahre Identität noch immer nicht eingestehen.« »Ich sehe nur einen gewöhnlichen Kronenkranich, Dr. Hynes«, erwiderte Perry Rhodan abfällig. »Lassen Sie bitte solche dummen Scherze. Das ist nie und nimmer Anlytha. Oder meinen Sie, Anlytha hätte einen der-
49 art schmutzigen Federkamm auf dem Kopf!« Von einer Sekunde zur anderen sahen die Menschen statt des Kronenkranichs Anlytha. »Das ist eine Verleumdung!« kreischte die Außerirdische. »Ich will sofort einen Spiegel sehen, und wenn ich einen sauberen Federkamm sehe, dann werden Sie es büßen, Großadministrator!« Nach dem allgemeinen Gelächter, in das schließlich auch Anlytha einstimmte, sagte der Kundschafter: »Perry, ich schlage vor, daß Sie die fünfzehn betroffenen Museumsdirektoren davon unterrichten, daß die zeitweilig sichergestellten Ausstellungsstücke hier abgeholt werden können. Anlytha und ich aber werden versuchen, die Spur von Atlantis zu finden.«
* Die Zeitkapsel schwebte genau dort, wo das Neue Atlantis vor einiger Zeit aufgetaucht und inzwischen ebenso schnell verschwunden war. Algonkin-Yatta sandte in bestimmten Abständen Impulse aus räumlicher und aus zeitlicher Energie aus und wartete darauf, daß sie von einem Gebilde reflektiert wurden, in dem sich Raum und Zeit auf einmalige Weise miteinander verbanden. Anlytha sortierte unterdessen ein paar Kostbarkeiten, die sie heimlich aus ihrem Vulkanversteck herausgeschmuggelt hatte: ein Bronzekamm, ein Koksbügeleisen, ein Holzschwert, ein Stück Dolomit und eine halbverrostete Stielhandgranate von Anno 1916 (ohne Zünder). Loggy war nur halbstofflich vorhanden, aber er lieferte durch das Ansagen von Einstellwerten dem Kundschafter immer wieder wertvolle Hilfen. Endlich war es soweit. Algonkin-Yatta hob den Kopf und sagte: »Wir können Atlantis verfolgen, Freunde – und wir werden Atlan finden, wenn er dort ist.«
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»Endlich!« erwiderte Anlytha. »Ich halte »Ich hoffe, Sie erreichen Ihr Ziel und fines auf der Erde kaum noch aus. Einen solden Atlan«, erwiderte Perry Rhodan. »Wenn chen Wirrwarr von sich widersprechenden Sie ihn finden, dann richten Sie ihm von uns Gefühlen und eine so große Diskrepanz zwiallen und besonders von mir aus, daß wir ihn schen Rationalität und Emotionalität wie auf nicht vergessen haben und immer auf ihn der Erde gibt es wahrscheinlich nirgendwo warten werden.« Er seufzte. »Einst war Atanders im Kosmos.« lan ein ›Einsamer der Zeit‹ jetzt ist er »Verabschieden wir uns von unseren ter›verschollen in Raum und Zeit‹. Was er ranischen Freunden!« sagte der Kundschafwohl alles durchmachen muß!« ter. Juan Pincenez spielte einige Akkorde auf »Auch da spüre ich Emotionen, die – aber der Drehleier, dann sagte er: darüber schweige ich lieber«, meinte Anly»Grüßt mir Atlan, wenn ihr ihn trefft, tha. Freunde! Und sagt ihm, auf Sardinien wartet »Das ist auch besser so«, erklärte Loggy. ein einsamer Barde darauf, daß er ihm seine »Starke Emotionen sind ein entscheidender Abenteuer erzählt, damit er eine neue BallaFaktor bei der Suche nach dem Sinn allen de dichten und komponieren kann!« Seins, aber starke Emotionen führen auch zu »Kennt er Sie denn, Juan?« fragte FangaVerirrungen.« loa Eneiki verwundert. »Mancher verirrt sich gern«, sagte Algon»Schon oft lauschte er den Gesängen des kin-Yatta laut zu sich selbst. Barden, den es zu jeder Zeit auf jeder Welt Er steuerte die Zeitkapsel in die Hochatgeben wird«, antwortete Juan Pincenez gemosphäre und landete sie vier Stunden spädankenverloren. ter auf einem Kraftfeld über Rhodans HausRhodan nickte unwillkürlich und sagte garten. Der Großadministrator hatte dafür leise: gesorgt, daß diesmal keine Verwüstungen »Es gibt Vergängliches und Unvergängliangerichtet wurden. ches – und es gibt die Ewigkeit, in der das Neben Perry Rhodan standen wieder FanUnvergängliche lebt, Freunde! Anlytha, Algaloa Eneiki, Orwell Hynes und Juan Pincegonkin-Yatta, viel Glück und viel Erfolg auf nez auf der Terrasse des Bungalows. eurer langen Reise!« Nachdem Perry Rhodan mit Hilfe eines »Auch von mir!« sagte Fangaloa und Fernsteuergeräts ein Loch in der Kraftfeldblickte den Großadministrator von der Seite platte geschaltet hatte, schwebten Algonkin-Yat- an. Rhodan drückte ihre Hand. ta und Anlytha mit ihren Flugaggregaten Orwell Hynes ergriff die Hände Anlythas hindurch und landeten auf der Terrasse. und drückte sie sanft, dann holte er aus einer Rhodan konnte seine Erregung kaum verTasche seiner Kombination eine Spieldose bergen, als er fragte: und klappte den Deckel auf. »Haben Sie eine Spur von Atlantis gefunVerzückt lauschte Anlytha der Melodie. den, Freunde?« »Sie gehört dir!« sagte der Arzt. »Ich erb»Wir haben feststellen können, nach welte sie von meiner Mutter. So wirst du stets chen Gesetzmäßigkeiten sich Atlantis zwietwas bei dir haben, das dich an mich erinschen den Dimensionen bewegt«, antwortete nert.« der Kundschafter. »Da es sich sowohl durch »Danke, Orwell!« sagte Anlytha. Sie den Raum als auch durch die Zeit bewegt, beugte sich vor, reckte sich und gab dem werden Anlytha und ich ihm mit dem KundArzt einen Kuß auf die Lippen, dann trat sie schafterschiff durch den Raum folgen – und wieder zurück. im entscheidenden Augenblick gehen wir Nachdem Hynes sich auch von Algonkin-Yatmit der Zeitkapsel in die entsprechende ta verabschiedet hatte, drückte der Barde Zeit.« den beiden Zeitreisenden die Hände und sah
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ihnen tief in die Augen, ohne ein Wort zu verlieren. Algonkin-Yatta und Anlytha aber bedankten sich für die Gastfreundschaft, dann schwebten sie zur Zeitkapsel zurück. Ein letztes Mal winkten sie – und die Menschen winkten zurück –, dann schwebte die Zeitkapsel langsam in den blauen Himmel. Und plötzlich war sie verschwunden –
verschwunden aus dieser Zeit. »Sie werden Atlan finden, dessen bin ich sicher«, sagte Perry Rhodan.
ENDE
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