Jürgen Dankert | Helga Dankert Technische Mechanik
Aus dem Programm
Mechanik
Klausurentrainer Technische Mechanik I-III von J. Berger Technische Mechanik Statik von G. Holzmann, H. Meyer und G. Schumpich Technische Mechanik Festigkeitslehre von G. Holzmann, H. Meyer und G. Schumpich Technische Mechanik Kinematik und Kinetik von G. Holzmann, H. Meyer und G. Schumpich Grundlagen der Technischen Mechanik von K. Magnus und H. H. Müller-Slany Technische Mechanik. Statik von H. A. Richard und M. Sander Technische Mechanik. Festigkeitslehre von H. A. Richard und M. Sander Technische Mechanik. Dynamik von H. A. Richard und M. Sander Nichtlineare Finite-Elemente-Berechnungen von W. Rust
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Jürgen Dankert | Helga Dankert
Technische Mechanik Statik, Festigkeitslehre, Kinematik/Kinetik 6., überarbeitete Auflage Mit 1102 Abbildungen, 128 Übungsaufgaben, zahlreichen Beispielen und weiteren Abbildungen und Aufgaben im Internet STUDIUM
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Prof. Dr.-Ing. Helga Dankert, geb. 1939, von 1957 bis 1963 Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule Magdeburg, 1967 Promotion zum Dr.-Ing. Von 1971 bis 1981 Dozentin für Technische Mechanik an der TH Magdeburg, 1981 bis 1986 verschiedene Tätigkeiten in der Industrie (Vakoma, Hewlett-Packard). Ab 1986 Professorin für Technische Mechanik an der HAW Hamburg, seit 2002 im Ruhestand. Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Dankert, geb. 1941, von 1961 bis 1966 Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule Magdeburg, 1971 Promotion zum Dr.-Ing., 1979 Habilitation. Von 1974 bis 1981 Leiter eines Entwicklungsteams eines FEM-Programmsystems, ab 1981 Industrietätigkeit (Takraf, Hewlett-Packard). Ab 1987 Professor für Technische Mechanik an der FH Frankfurt/Main, seit 1990 Professor für Informatik an der HAW Hamburg.
1. Auflage 1994 2. Auflage 1995 3. Auflage 2004 4. Auflage 2006 5. Auflage 2009 6., überarbeitete Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Thomas Zipsner | Ellen Klabunde Vieweg +Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-1375-6
Vorwort Auf die Frage "Lehrbuch oder Internet?" gibt es für die Technische Mechanik nur eine Antwort: "Beides, möglichst oft im Wechselspiel." Nach 15-jähriger Erfahrung mit der Kombination Lchrbuchnl1lernct hattcn wir die 5. Auflage in vielcn Passagen völlig ncu gcschrieben. Die vorliegende 6. Auflage berücksichtigt nun alle Erkenntnisse, die damit speziell hinsichtlich der Fragc "Was gchöl1 ins Buch, was soUte man im Imcrnct ansicdeln?" zu gcwinnen warcn. Wir haben uns bemüht, den Umfang des gedruckten Buchs bei allen Veränderungen nicht zu vergrößcrn, das Internetangebot ist allerdings deutlich umfangreicher gewordcn (die Anzahl der Intcrnctsciten überstcigt dic Anzahl dcr ßuchsciten erhcblich). Dic Zielgruppc sind nach wie vor die SlUdentcn aller Ingenicur-SlUdiengängc an Univcrsitäten und Fachhochschulen, die Kombination Lehrbuch/ll1lernel gestattet jedoch auch, stets die meist anspruchsvollcrcn Problcme dcr Praktiker mit im Blick zu haben. Und dic Ausgangslage ist auch ungeändert: In keinem anderen Fach muss dem Studenten so früh und so umfassend der gesamte schwierige Weg der Lösung von Ingenieur-Aufgaben zugemutet werden wie in der Technischen Mechanik. Er muss Probleme analysieren, das Wesentliche erkennen und ein reales Objekt in ein physikalisches Modell überführen. Das sich daraus ergebende mathematische Problem muss gelöst werden. und die Deutung der Ergebnisse. die wieder den Zusammenhang zum realen Objekt herstcllt, schlicßt den Kreis. Auf einem besonders schwicrigen Tcilstück dieses Wcges ist dcr Computcr zu eincm außerordentlich starken Helfcr gcworden. Dic Zcit, dic früher dcm mühsamen Einlibcn von Lösungsalgorithmen geopfert werden musste, steht heute rur die Problemanalyse und das Studium des Grundlagcnwissens zur Vcrfügung, das Trainieren der (so elegantcn wic aufwcndigcn) grafischcn Vcrfahren gehört der Vergangenheit an. Den Bitten zahlreicher Fachkollegen folgend, die Verfahren nicht cinfach nur aufzulistcn, haben wir deutlich mehr Wertungen der Lösungsvcrfahrcn aufgenommen, Empfehlungen auch dann, wenn sie negativ ausfallen ("... besonders geeignet", " ... nichlmehr zeitgcmäß", " ... spielt praktisch keinc Rollc mehr", "Koppeltafcln habcn ausgedient." ... ). Aber der Computer bleibt für den Ingenieur nur cin Werkzeug. Die eigentlichen SChwierigkeiten, die im Erfassen der Zusammcnhänge, dem Beherrschen von Methodcn zur Analyse und Lösung von Problemen liegen, kann er ihm nicht abnehmen. Er kann ihn aber von dem Ballast befreien, dessen Bewältigung früher häufig so dominierend war, dass der Lernende nicht mehr zum Kcrn dcs Problems vordringcn konnte. Der Ingcnicur in dcr Praxis mit dcn "nicht-akadcmischcn Problemen" stand sogar oft vor unliberwindlichen Schwierigkeiten. Auf keinen Fall darf man das Verstehen der Zusammenhänge durch das Erlernen des Umgangs mit der Benutzeroberfläche eines Rechenprogramms ersetzen, im Gegenteil: Man sollte den Zeitgewirul, den der Computer verschafft, gerade flir die intensive Auseinandersetzung mit den häufig nicht ganz cinfachen Problcmcn nutzcn. Dicser Zeitgewinn crgibt sich gcnau dort, wo nach der Analyse der mcchanischcn Probleme und der Formulierung des mathematischen Modells der aufwcndige, aber formalc Tcil dcr mathcmatischen Lösung abgcarbeitct werdcn muss. Ein angenchmer Nebeneffckt ist, dass dcr Zwang zur Beschränkung auf dic cinfachen Probleme, die
VI der Handrechnung zugänglich sind, entfällt. Der Student kann praxisnahe Probleme lösen, dem Ingenieur in der Praxis wird damit unmittelbar geholfen. Weil es aber häufig sogar noch viel einfacher geht, wird eine Frage von Studenten immer öfter gestellt "Warum muss ich das denn alles lernen, wenn es mit ein paar Mausklicks so bequem zu erledigen ist?" Diese Frage wird von uns an verschiedenen Stellen beantwortet, und wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und offerieren liber die Internet-Site www.TM-imeraktiv.de die Möglichkeit, SUlndardaufgaben der Technischen Mechanik genau auf diesem Weg zu erledigen, um auf ein in der Vergangenheit oft stark vernachlässigtes Problem aufmerksam zu machen: Dem Thema "Verifizieren von Computerrechnungen" widmen wir ein eigenes Kapitel. Mit dieser Auflage versuchen wir. das Zusammenspiel "Lehrbuch und Internet" auf eine neue Stufe zu heben. Das Lehrbuch enthält nach wie vor alle Themen, die üblicherweise im Grundkurs Technische Mechanik behandelt werden und geht an vielen Stellen auch darüber hinaus. Überall dort, wo sich Vertiefungen, Erweiterungcn, Ergänzungen anbieten, wollen wir den "Abzweig ins Internet" anbieten. Der Leser findet jetzt noch deutlich mehr von solehen Verzweigungspunkten im Text, auch hier gilt: Es wird ständig erweitert und ergänzt. Den Studenten, die nach dem Grundkurs in Vertiefungsfachern oder bei Problemen aus der Praxis merken, dass sie noch tiefer in bestimmte Themen eindringen müssen, soll auf diesem Wege geholfen werden. Technische Mechanik ist immer auch sehr viel Mathematik. Auch hier versuchen wir zu trennen: Was zum unmittelbaren Verständnis beiträgt, findet sich im Buch. und auf der Internet-Site "Mathematik für dic Technische Mechanik" werden die mathematischen Grundlagen, Ergänzungen und Vertiefungen im Sinne der Ingenieur-Mathematik behandelt. Die Mechanik ist die Lehre von der Bewegung, die leider nach wie vor auf dem Papier nur sehr schwierig demonstriert werden kann. Deshalb finden sich zu fast allen Mechanismen, die in diesem Buch beschrieben werden, die passenden Animationen im Internet. Damit wird die Vorstellung der Bewegung sicher wesentlich erleichtert, die mathematisch zu formulierenden Bewegungsgesetze, Diagranune und Differenzialbeziehungen vereinfachen sich dadurch allerdings nicht. Die im Vorwoll übliche Danksagung kann auch für diese Auflage kurz ausfallen. Der Inhalt entstammt unseren eigenen Vorlesungen, wir haben Text und Zeichnungen eigenhändig in den Computer gebracht, jede Internetseite selbst erzeugt und jede Programmzeile der bereitgestellten Programme selbst geschrieben. Bleibt eigentlich nur ein herzlicher Dank an die Studenten und die Fachkollegen, die sich mit zahlreichen Hinweisen zu den ersten AuBagen geäußert haben, und an Herrn Thomas Zipsner vom Verlag Vieweg+Teubner für sein Engagement, dass das Buch in dicser Form crscheincn kann. Jesteburg, Herbst 20 I0
Helga und Jürgen Dankert E-Mail:
[email protected] VII
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WWW - Internet·Service zum Buch - WWW lnt", "e' Se' vKe tu' d,e Äuna..en 5 "nd (;
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TMMathe
interaktiv
Ergänzungen, Vertiefungen
Lösungen der Aufgaben
Dieser Service be7jehl sich auf die Auflagen 5 und 6. Für Leser älterer Auflagen wird auf den Lmk im Menü oben rechts verwieich M:hwicrig genug ..ind.
vcrlorengehen kann. Dc!'>balb wird in dem Buch ..Technis.chc Me Zwei Kräfte, die in einer Ebene liegen, bilden immer ein zentrales Kraftsystem, wenn ihre Wirkungslinien nicht parallel sind.
oe:> Zwei Kräfte, deren Wirkungslinien sich in einem Punkt schneiden, sind immer ein ebenes zentrales Kraftsystem, weil zwei sich schneidende Geraden immer eine Ebene aufspannen. Hinweise für dle Lösung von Aufgaben:
':> Bei der grafischen Lösung ist vorab ein geeigneter Maßstab zu wählen.
c:> Zur Ermiulung der Resultierenden kann vereinfachcnd eine Kraft an die Spitze dcr anderen gesetzt werden (Krafteck), die Resultierende ergibt sich dann als "Schlusslinie" (Verbindnngsgerade von Anfangs- und Endpunkt des Kraftecks):
~
= F' F, -
,FR
1
= p F'
FR
R L J F = F,
F, -
F
2
Abbildung 2.3: Krafteck ersetz' das Kräfteparallelogramm Natürlich ist dies nur zur Vereinfachung der Zeichnung erlaubt, weil eine Parallelverschiebung einer Kraft nicht gestattct ist.
c:> Bei der Kraftzerlegung müssen die Komponenten Fj und F" zusammen mit der gegebenen Kraft F die Figur des Kräfteparallelogramms so ergeben, dass die drei Pfeilspitzen entweder
1
F
II
Fj/
Abbildung 2.4: Kraftzerlegung (Variante I)
2.1 Äquivalenz
J
I
alle von einem Punkt wegweisen (Variante I: Abbildung 2.4) oder alle zu einem Punkt hinweisen (Variante 2: Abbildung 2.5).
Il
F
Abbildung 2.5: Krafrzerlegung (Variante 2)
Bei der analytischen Lösung zur Ermittlung der Resultierenden wählt man zunächst ein rechtwinkliges Koordinatensystem und zerlegt die gegebenen Kräfte in jeweils zwei Komponenten in Richtung der Achsen. Die Teilresultierenden in Richtung der beiden Achsen kann man dann dureb Addition der Komponenten aufschreiben (Richtungssinn durch Vorzeichen berücksichtigen!) und den Betrag der Gesamtresultierenden aus dem Kräfteparallelogramm der senkrecht aufeinander stebenden Teilresultierenden (Pythagoras) berechnen.
I Beispiel: In\
I
.
An einer Ose sind über Umlenkrollen die Massen und 1n2 befestigt.
Gegeben:
= 50kg 1n2 = 60kg
m,
In\
ß
Es sind die Gesamtbelastung FR der Öse und dic Richtung der Kraft FR grafisch und analytisch zu ermitteln (Angabe der Richtung durch den Winkel aR wie skizziert). Da die beiden Rollen die Gewichtskräfte 1n\8 und InZ8 nur in ihrer Richtung umlenken, kann die Resultierende FR aus der Kraft In\ g unter dem Winkel a zur Horizontalen und der Kraft 1n28 unter ß zur Horizontalen bestimmt werden.
m,
Die Demonstration grafischer Lösungen (hier und bei einigen nachfolgenden Beispielen) dient dem Verständnis. Grafische Lösungen dieser Art haben in der Ingenieurpraxis jedoch keine Bedeutung mehr.
Die grafische Lösung ist im Allgemeinen etwas ungenauer als die analytische Lösung. Die Genauigkeit kann durch eine entsprechend große Zeichnung verbessert werden.
12
2 Das zentrale ebene Kraftsystem
Grafische Lösung:
ß (XR ~
o
14,3"
1
(X
Abbildung 2,6: Die beiden Kräfte werden mit Hilfe des Kraftecks addiert.
Analytische Lösung: Die gewählten Koordinatenrichtungen werden symbolisch durch Pfeile angedeutet. Dann ergibt die Rechnung: FR.< = F1x + F2x =
i
mlgcosa +mzgcosß = 641, 14N
FRy = F1y +/;2y = -mtgsina +m2gsinß = 162,92N FR =
JFt
+ Fi) = 662 N
tanaR =
~RY
FR.,
= 0,2541
Bei zentralen ebenen Kraftsystemen mit mehr als zwei Kräften werden die für zwei Kräfte formulierten Aussagen sinnvoll erweitert:
c:> Die Ermittlung der Resultierenden von n Kräften kann durch mehrfache Anwendung des Parallelogrammgesetzes realisiert werden.
c:> Bei der analylischen Lösung werden die gegebenen Kräfte F; in jeweils zwei Komponenten Fix bzw. Gy in Richtung der Achsen eines geeignet zu wählenden kartesischen Koordinatensystems zerlegt, und unter BeachLUng der Vorzeichen werden die Komponenten der Resultierenden FR., und FRy ennittell. Aus den Komponenten ergeben sich dann die Resultierende FR und der Winkel aR, den die Resultierende mit der x-Achse einschließt:
FRr
=
" [hx ;=1
n
FR) =
[Gy 1=1
(2.2)
FRy tanaR = FR.,
Bei der Berechnung von aR bestimmen die Vorzeichen der Komponenten von FRx und FRy • in welchem Quadranten des Koordinatensystems die Resultierende liegt.
c:> Bei der grafischen Lösung zeichnet man zweckmäßig das Krafteck aller Kräfte, indem man (in beliebiger Reihenfolge, mit einer beliebigen Kraft beginnend) jeweils eine Kraft an die Pfeilspitze der vorhergehenden setzt. Man findet (wie beim Krafteck mit zwei Kräften) die Resultierende als Schlusslinie (Verbindlmgsgerade vom Anfangsplmkt der ersten zur Pfeilspitze der letzten Kraft. Abbildu.ng 2,7):
2.2 Gleichgewicht
13
F,
Abbildung 2.7: Resuhjercnde als Schlusslinie eines Kraftecks mit vier Kräften
Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass das Krafteck nur zur Vereinfachung der Zeichenarbeit gedacht ist. Der Angriffspunkt der Resultierenden ist natürlich der gemeinsamc Schnittpunkt aller Wirkungslinicn.
Die Zerlegung einer Krafr in mehr als zwei Komponelllen, deren Wirkungslinien sich alle in einem Punkt schneiden (Ersetzen einer Kraft durch ein äquivalentes zentrales Kraftsystcm mit mehr als zwci Kräften) ist nicht eindcutig und deshalb im Allgcmcinen praktisch bedeurungslos.
2.2 Gleichgewicht Ein Körper bcfindet sich im Glcichgcwicht, wcnn sich die Wirkungen allcr an ihm angreifenden Kräfte aufheben. Für das zentrale ebene Kraftsystem leitet sich aus dieser Definition die Bedingung ab, dass die Resultierende aller Kräfte verschwinden musS:
Diese Bedingung muss nicht vektoriell formuliert werden, weil ein Vektor nur dann gleich Null ist. wenn sein Betrag gleich Null ist. Der Betrag eines Vektors ist wiederum nur dann gleich Null, wenn jede einzelne Komponente verschwindet. Mit diesen Überlegungen ergeben sich die Gleichgewichtsbedingungen für das zentrale ebene Kraftsystem:
(2.3) Das Gleichgewicht der Kräftegruppe drückt sich grafisch durch ein geschlossenes Krafteck aus. Man beachte:
Die durch die Indizes x und y angedeuteten Richtungen können selbstverständlich beliebig gewählt werden. Es ist nicht erforderlich, dass die beiden Richtungen senkrecht zueinander sind. Damit tassen sich die Gleichgewichtsbedingungen für das zentrme ebene Kraftsystem auch so formulieren:
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2 Das zentrale ebene Kraftsystem
Die Summe aller Kraftkomponenten in jeder beliebigen Richtung muss gleich Null sein (generelle notwendige Bedingung für Gleichgewicht, gilt nicht nur ftir das zentrale ebene Kraftsystem). ~
Es ist trotzdem nicht sinnvoll, mehr als zwei Gleichgewichtsbedingungen aufzuschreiben: Wenn sich die Wirkungen aller Kraftkomponenten (beim ebenen Problem) in zwei unterschiedlichen Richtungen aull1eben, dann gilt dies zwangsläur,g auch fUr jede andere Richtung.
~
Aus der Tatsache, dass ein Körper im Gleichgewicht ist, folgt: Es müssen zwei Gleichgewichfsbedingungen erfüllt sein, also können gegebenenfalls zwei unbekannte Größen berechnet werden.
c:> Gleichgewichtsbetrachtungen sind natürlich nur sinnvoll, wenn alle wirkenden Kräfte einbezogen werden. Dies sind neben den eingeprägten Kräften (gegebene Belastungen, Gewichtskräfte) die durch Freischneiden sichtbar werdenden Kräfte. Prinzipiell sollten die Gleichgewichtsbedingungen erst aufgeschrieben werden, nachdem
der betrachtete Körper von allen äußeren Bindungen gelöst und
alle Kräfte angetragen wurden.
Zur grafischen Lösung: In einem geschlossenen Kra/teck sind die Kraftpfeilc so angeordnet, dass man das Krafteck in Pfeilrichtung umfahren kann und zum Anfangspunkr zurückkehrt, ohne sich einmal gegen die Pfeilrichtung bewegt zu haben.
2
~
I
Beispiel: I'WIe groß muss dIe an dem masselosen Seil horizontal angreifende Kraft F sein, um das durch die Masse m belastete Seil in der skizzierten Lage zu halten (Skizze links)? Gegeben: F
m
m = 20 kg ; a = 30° .
Freischneiden: Das System wird von äußeren Bindungen gelöst, indem das schräge Seil geschnitten wird (rechte Skizze). Da Seile nur Zugkräftc in Seilrichtung übertragen können, werden die Seilkräfte als Zugkräfte (von den Schnittufern wegweisende Pfeilspitzen) angetragen.
F
mg
Am freigeschnjttenen System wirkt mit der Seilkraft Fs und den beiden Kräften Fund mg ein zentrales Kraftsystem, das im Gleichgewicht sein muss.
2.2 Gleichgewicht
15
Grafische Lösung: Das ebene zentrale Kraftsystem mit gegebenem mg und den unbekannten Kräften Fund Fs, deren Wirkungslinien jedoch bekannt sind, darf keine Resultierendc ergeben: Das Krafteck aus mg, Fund Fs muss sich schließen (Abbildung 2.8).
F"
F'
F;,
IX
IX IX
IX
mg
mg
mg
mg
F
Abbildung 2.8: Varianten I (links) und 2 (rechts) des sich schließenden Kraftecks Variante 1: Man zeichnet mg in einem gceigneten Maßstab (z. B.: I cm;:; 100N), trägt an der Pfeilspitze die Richtung von Fs und am anderen Ende von mg die Richtung von Fan. Danach ist eindeutig, wie das geschlossene Krafteck aussehen muss.
Variante 2: Die Wirkungslinien der unbekannten Kräfte werden in geänderter Reihenfolge angetragen. Das Krafteck liefert für Fund Fs dic Längen wie bei Variante I. Aus den maßstäblichen Skizzen kann eine Länge für die gesuchte Kraft F abgemessen und mit dem Maßstabsfaktor in eine Kraft umgerechnet werden. Besser ist eine Kombination der grafischen Lösung mit einer analytischen Auswertung: Aus dem rechtwinkligen Dreieck liest man folgendcs Ergebnis ab:
F = mg tan a = 20 kg . 9,81 m/s2 . tan 300 = 113 N . Analytische Lösung: Man wählt zwei beliebige Richtungen mit jeweils ebenfalls beliebigem positivem Richtungssinn. Auch dies soll für zwci Variantcn gezeigt werden: Variante 1: Es werden die Richtungen "horizontal, positiv nach rechts" und "vertikal, positiv nach unten" gewählt. Die Summe aller Kraftkomponenten in diesen Richtungen muss gleich Null sein (dabei müssen Kräfte. die nicht eine dieser Richtungen haben. in zwei Komponenten zerlegt werden, hier Fs ): --;
F - Fs sin a = 0
1
mg - Fs cos a = 0
F;; cosa
'\
Aus der zwcitcn Gleichung errcchnet man mg Fs = - cosa Einsetzen in die erste Gleichung liefert das bereits angegebene Ergebl1.i s für F.
F;; sino:
F
F
?
mg
mg
Variante 2: Es wird die Gleichgewichtsbedingung für die skizzierte Richtung I-I (senkrecht zum schrägen Seil, Abbildung 2.9) formuliert: /'
F cos
a -mgsin a
= 0
16
2 Das zentrale ebene Kraftsystem
F,\/,
Dem Nachteil, dass in diesem Fall zwei Kräfte (F und mg) in Komponenten zerlegt werden müssen, steht der Vorteil gegenüber, dass die (nicht gesuchte) Kraft Fs gar nicht in die Rechnung hineinkommt, weil aus der einen Gleichgewichtsbedingung direkt die gesuchte Kraft zu errechnen ist: F = mg tan
- /\FsinG< mgsma
\
mgcosa.
Abbildung 2.9: Richtung I-I senkrecht zum Seil
(X
2.3 Aufgaben I
Aufgabe 2.1:
I
Die Seile I und 2 sind wie skizziert durch die beiden Kräfte F, und Fz belastet.
Gegeben:
FI
= 80N ;
(XI
= 70° ;
(X2
= 40° ;
ß=
Seil I
70° .
a) Man ermittle für Fz = 120N die Kräfte in den beiden Seilen.
Seit2
F,
b) Wie groß muss Fz mindestens sein. damit die Konstruktion nicht versagt?
I
Aufgabe 2.2:
I
Eine Walze mit der Masse mw liegt auf einer schiefen Ebene und wird durch ein Seil I gehalten. Sie ist durch ihr Eigengewicht und über das Seil 2 durch die Gewichtskraft der Masse III belastet.
Gegeben: IIlw = 120kg ; (X = 30° ;
= 40kg ; ß = 50°
111
Man ermittle die Sei Ikräfte in den Seilen I und 2. Hinweis: Von der schiefen Ebene kann auf die Walze IIlw nur eine Kraft senkrecht zur Auilagefläche übertragen werden.
ß I Seil I
ß
3 Das allgemeine ebene Kraftsystem (Äquivalenz) Bei einem allgemeinen ebenen Kraftsystem schneiden sich die Wirkungslinien der Kräfte nicht mehr sämtlich in einem Punkt, unter Umständen (parallele Kräfte) schneiden sie sich überhaupt nicht.
3.1 Grafische Ermittlung der Resultierenden Da Kräfte am starren Körper entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden dürfen, kann man die Resultierende jeweils zweier Kräfte (nach vorheriger Verschiebung bis zum Schnittpunkt der Wirkungslinien) crmitteln und durch Wiederholcn dieses Vorgangs schließlich die Gesamtrcsultierende des allgemeinen ebenen Kraftsystems nach Größe und Lage ihrer Wirkungslinie finden (der Fall paralleler Wirkungslinien wird im folgenden Abschnitt behandelt).
I
Beispiel: I_...;._.... An cincm starrcn Körper greifen wic skizzicrt vier Kräfte an. Man emlittle grafisch die Resultierende und die Lage und Rjchtung ihrer Wirkungslinje.
F3/
I
Gegeben:
F I = I kN
F3=2kN a =45 0
F2 =2kN F4=J,5kN; ß=60°
/ß
1
d
a=2m.
Nach Wahl eines Längenmaßstabs (z. B.: I cm ~ 2 m) und eines Kraftmaßstabs (z. B.: I cm ~ I kN), beide Maßstäbe sind natürlich für eine genauere Lösung ungeeignet, wcrdcn nur Operationcn ausgeführt, die sich streng an die Axiome der Statik halten:
PI
~L-
,
_ _-'---
a
---'
2a
Die Kräfte F2 und F3 werden entlang ihrcr Wirkungslinicn bis zu deren Schnittpunkt verschoben, ebenso die Kräfte Fi und F4 bis zum Schnittpunkt ihrer Wirkungslinien. Die Kräfte F2 und F3 werden nach dem Parallelogrammgesetz zur Resultierenden F23 zusammengefasst, die Kräfte Fi und F4 zur Rcsulticrenden F14. Die Resultierenden F I4 und F23 werden entlang ihrer Wirkungslinien bis zu deren Schnittpunkt verschoben. Fi4 lmd F2) werden naeh dem ParalleJogrammgcsetz zur Resultierenden FR des gesamten Kraftsystems zusammengefasst. Aus der Skizze ergeben sieh der Betrag FR '" 3,6kN,
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_3, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
I
~
X,
F.I
cl
2
cl
"l
,
F, ~
F, L-
F, ----j~
2a
a
-'-
I
UR FR = F I234
'
Abbildung 3.1: Ermjulung der Resultierenden eines allgemeinen ebenen Kraftsystems
der Winkel UR Yw "" 2,7m).
""
19° und die Lage der Wirkungslinie (z. B. durch Angabe der Strecke
Den Betrag der Resultierenden FR und den Winkel UR (aber nicht die Lage der Wirkungslinie der Resultierenden!) hätte man auch mit Hilfe des Kraftecks wie beim zentralen Kraftsystem finden können. Man gelangt zur gleichen Resultierenden, wenn man eine andere Reihenfolge der Zusammenfassung zu Teilresultierenden wählt. Die gralische Ermittlung der Resultierenden eines allgemeinen ebenen Kraftsystems auf diese Weise ist rechtmBhsam. Es gibt Verfahren, die den Zeichenaufwand vermindern (frBher war z. B. das so genannte "Seileckverfahren" sehr beliebt), denen aber keine praktische Bedeutung mehr zukommt. Die grafische Behandlung des allgemeinen ebenen Kraftsystems wird deshalb auch in den folgenden Abschnitten nur in dem Umfang vorgestellt, wie für das Verständnis daraus Nutzen zu ziehen ist.
3.2 Parallele Kräfte
19
3.2 Parallele Kräfte Zwei Kräfte auf parallelen Wirkungslinien lassen sich nicht nur durch Verschieben und Anwendung des Parallelogrammgesetzes zu einer Resultierenden zusammenfassen. Hier hilft ein Trick: Nach dem 3. Axiom heben zwei Kräfte, die sich im Gleichgewicht befinden, ihre Wirkung auf den starren Körper auf. Durch Hinzufügen einer (beliebigen) Gleichgewichtsgruppe ändert sich die Wirkung des gesamten Kraftsystems also nicht, es gelingt aber, das so erweitel1e Kraftsystel11 zu einer Resultierenden zusammenzufassen.
I Beispiel:
I
Fr~4
Auf einen starren Körper wirken wie skizziert zwei Kräfte. Es ist die Resultierende der beiden Kräfte (einschließlich der Lage ihrer Wirkungslinie) zu ermitteln.
Als hinzuzufügende Gleichgewichtsgruppe werden entsprechend nebenstehender Skizze zwei beliebige Horizontalkräfte mit gleichem Betrag gewählt, die auf gleicher Wirkungslinie liegen, aber entgegengesetzt gerichtet sind. Jeweils zwei Kräfte werden zu Teilresultierenden und diese (nach Verschieben) zur Gesamtresultierenden zusammengefasst. Diese hat den erwalteten Betrag (Summe der Beträge von Fr und F2) und die erwartete Richtung, durch die Konstruktion wurde zusätzlich ihre Lage bestimmt.
;;:: ;;:/
F, - 3 kN
kN
I
a=5m
/
F,
2.14 m
FR~
7 kN
Abbildung 3.2: Ermittlung der Resultierenden zweier paralleler Kräfte
3.3 Kräftepaar und Moment In den Abschnitten 3.1 und 3.2 wurde gezeigt. wie beliebige allgemeine ebene Kraftsysteme auf eine Resultierende reduziel1 werden können. Der am Beispiel des Abschnitts 3.2 demonstriel1e Trick funktioniert auch für Kräfte auf parallelen Wirkungslinien mir entgegellgeselZlem Richlungssinn:
20
3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
Man ermittle die Resultierende für dieses Beispiel, indem man für eine der beiden Kräfte F I oder F2 den Richtungssinn umkehrt (die Strategie bleibt gleich, eventuell benötigt man ein etwas größeres Blatt Papier). Der Betrag der Resultierenden ergibt sich wie erwartet als Differenz der Beträge von FI und F2 (FR = I kN), ihre Wirkungslinie ist wieder parallel zu den Wirkungslinien der gegebenen Kräfte, die Lage der Wirkungslinie (weit links von F I ) ist wohl etwas überraschend. Wenn man allerdings diese (für das Verständnis recht nützliche) Konstruktion ausgeführt hat, darf man sich darüber freuen. dass auch diese grafische Lösung keine praktische Bedeutung mehr hat (die analytische Lösung findet man im Abschnitt 3.5.2). In einem ganz speziellen Fall gelingt es jedoch nicht, das Kraftsystem durch eine resultierende Kraft zu ersetzen: Der Versuch, zwei Kräfte mit gleichem Betrag und entgegengesetztem Richtungssinn Clltr parallelen Wirkungslinien zu einer Resultierenden zusammenzufassen, misslingt. Der im Abschnitt 3.2 erfolgreich angewendete Trick mit den Hilfskräften führt nur auf ein anderes Kräftepaar mit den gleichen Eigenschaften:
r
/
/
Abbildung 3.3: Versuch, zwei gleich große parallele Kräfte zu einer Resultierenden zusammenzufassen
Die Beträge der Kräfte haben sich geändert, auch die Lage und der Abstand der beiden Wirkungsbnien, die aber nach wie vor parallel sind. Man nennt zwei auf parallelen Wirkungslinien liegende, gleich große, aber entgegengesetzt gerichtete Kräfte ein Kriijtepaar.
Ein Kräftepaar lässt sich nicht zu einer Resultierenden zusammenfassen und hat keine resultierende Kraftwirkung.
Ein Kräftepaar versucht, den Körper, an dem es angreift, zu drehen. Ein Maß der Stärke dieser Drehwirkung ist das Produkt F· a , wobei a der Abstand der beiden Wirkungslinien ist.
Das Produkt aus dem Betrag der Kräfte und dem Abstand ader Wirkungslinien M = F Cl heißt Moment des von den zwei Kräften F gebildeten Kräftepaares.
3.3 Krärtepaar und Moment
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oe:> Ein Kräftepaar lässt sich in ein anderes überführen (siehe Abbildung 3.3), wobei sich die
Beträge der Kräfte und der Abstand der Wirkungslinien ändern. Das Moment der beiden Kräftepaare bleibt dabei jedoch unverändert, wie aus der folgenden Skizze (Abbildung 3.4) abzulesen ist:
Abbildung 3.4: Zwei gleichwertige Kräftepaare
Durch Anbringen der beiden Kräfte Ffi wird aus dem "Kräftepaar F" das um den Winkel a geneigte "Kräftepaar F 1", wobei sich der Abstand der Wirkungslinien auf den Wert
b = acosa ändert. Man liest aus der Skizze außerdem ab: F F1 = - -
cosa
und es gilt M=Fa=F1b
Man kann also cin Kräftepaar nicht nur entlang der Wirkungslinien der beiden Kräfte verschieben, sondern durch Drehung der Wirkungslinien (ohne Änderung des Momentes des Kräftepaars) die Kräfte an jeden beliebigen Punkt eines starren Körpers bringen. Es ist daher sinnvoll, ein Kräftepaar durch sein statisch gleichwertiges Moment zu ersetzen: a
Abbildung 3.5: Ein Moment kann am starren Körper beliebig in der Ebene verschoben werden.
Ein an einem staITen Körper angreifendes Moment darf beliebig in der Ebene verschoben werden (im Gegensatz zu Kräften. die nur entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden dllrfen). Mehrere an einem starren Körper angreifende Momente dürfen zu einem resultierenden Moment addiert werden (bzw. subtrahiert bei entgegengesetztem Drehsinn).
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3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
I
Beispiel: I_....;_ _ Mit HIlfe ellles Schraubenziehers soll eme 10 emem GewlOdeloch steckende Schraube festgezogen werden. Als Fall a ist (in der Draufsicht) skizziert, wie der Schraubenzieher angesetzt wird. Die Schraube kann sich um ihre Längsachse drehen, die durch den Mittelpunkt des Schraubenkopfes (senkrecht zur Zeichenebene) verläuft. Das auf den Schraubenkopf aufgebrachte Kräftepaar hat ein Moment M = F b: b
a)
8 Abbildung 3.6: So wird der Scttraubenzieher sauber angesetzt.... [m Fall b wird der Schraubenzieher nicht exakt zentrisch angesetzt, es wird aber das gleiche Kräftepaar aufgebracht. Da das Moment M beliebig in der Ebene verschoben werden kann, ändert sich an der Drehwirkung um den Mitte/punkt nichts: b
b)
Abbildung 3.7: ... doch auch das außermiuig angesetzte Werkzeug liefert das gleiche Moment, ...
Auch wenn die Schraubc wie im Fall c ungenau gefertigt wurde (Schlitz ist nicht zentrisch. doch auch dann, wenn die Längsachsen von Kopf und Schaft nicht fluchten) und darüber hinaus der Schraubenzieher nicht in der Mitte des außermittigen Schlitzes angesetzt wird, ändert sich nichts ,m der Momentwirkung um die Drehachse, sofern das aufgebrachte Kräftepaar unverändert gleich M = F bist: b
c)
e Abbildung 3.8: ... und daran ändert sich auch bei einer Ausschuss-Schraube nichts.
23
3.4 Das Moment einer Krafl
3.4 Das Moment einer Kraft
1
Bezugspunkt o
Das MOmelll eil/er Kraft bezüglich eil/es Punktes wird defi niert als das Produkt
Moment = Kraft· HebelarIlI . Hebelarm a Wirkungslinie Abbildung 3.9: Moment M
=
Der Hebelarm ist die kürzeste Verbindung vom Bezugspunkt bis zur Wirkungslinie der Kraft.
Fa
Entsprechend dem Richtungssinn einer Kraft hat das Moment einen Drehsinn, der durch das Vorzeichen des Moments berücksichtigt wird. Dabei kann ein positiver Drehsinn (wie der positive Richtungssinn für Kräfte) beliebig festgelegt werden. Die Definition des Momentes einer Kraft bezliglkh eines Punktes ist völlig gleichwertig mit dem im vorigen Abschnitt behandelten Moment eines Kräftepaares, wie an nachfolgendem Beispiel deutlich wird:
I Beispiel:
I
Ein auf einen starren Körper wirkendes Kräftepaar habe das Moment M = Fa (rechtsdrehend) . Bezüglich des Ponktes A hat die linke Kraft nach der oben gegebenen Definition keine Momentwirknng. weil der Hebelarm gleich Null ist (Wirkungslinie geht durch den Punkt). während die rechte Kraft am Hebelarm a wirkt. Das gesamte Moment der bei den Kräfte ist also
F F
o
A a
__ b_
'-------'B
M = F·O+F·a= F·a. Da sich das Momelll eines Kräftepaares auf keinen speziellen Punkt bezieht, ist auch für den Punkt B dieselbe Momentwirkung zu erwalten. Während die linke Kraft bezüglich des Punktes B eine rechtsdrehende Wirkung (ein "rechtsdrehendes Moment") hat, ist die Wirkung der rechten Kraft bezüglich B linksdrehend, was in der folgenden Gleichung durch ein Minuszeichen berlicksichtigt wird ("rechtsdrehende Momente werden - bei diesem Beispiel - als positiv angenommen"). Die linke Kraft hat nach der oben gegebenen Definition den Hebelarm (a + b), die rechte Kraft den Hebelarm b. so dass man mit B als Bezugspunkt erhält:
M
= F(a+b)-Fb = Fa.
3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
24
3.5 Äquivalenz Aus den Überlegungen, die in den Abschnitten 3.1 bis 3.4 angestellt wurden, ergibt sich folgende sinnvolle Definition für die Äquivalenzbetrachtungen: Zwei allgemeine ebene Kraftsysteme sind in ihrer Wirkung auf den starren Körper äquivalent, wenn
sie die gleiche Krajrwirkullg (gleiche Resultierende nach Betrag, Richtung und Richtungssinn) haben und ihre Drehwirkungen bezüglich eines beliebigen Punktes gleich sind. Äquivalenz bedeutet also jeweils gleiche Drehwirkung der beiden Kraftsysteme umjedell Punkt der Ebene, Intensität und Drehrichtung sind natürlich von Punkt zu Punkt verschieden. Das allgemeine ebene Kraftsystem kann in jedem Fall auf eine resultierende Kraft oder ein resultierendes Momelll reduziert werden.
3.5.1 Versetzungsmoment Wenn bei der Reduktion eines allgemeinen ebenen Kraftsystems ein resultierendes Moment übrig bleibt, darf dieses beliebig in der Ebene verschoben werden. Wenn sich eine resultierende Kraft ergibt, darf diese nur entlang ilu'er Wirkungsliuie verschoben werden. Es ist jedoch auch eine Parallelverschiebung einer Kraft möglich, wenn die sich dadurch ändernde Wirkung auf den starren Körper durch Antragen eines Momentes ausgeglichen wird (Versetzungsmoment). Allgemein gilt (für eine beliebige Kraft): Wenn eine Kraft F parallel zu ihrer Wirkungslinie um die Strecke a verschoben wird, ändert sich die Gesamtwirkung auf den starren Körper nicht, wenn zusätzlich das Versetzullgsl11omelll F . a angebracht wird. Die Abbildung 3.10 verdeutlicht dies. Eine Kraft F wird durch eine Gleichgewichtsgruppe auf paralleler Wirkungslinie ergänzt. Zwei der drei Kräfte F bilden das Kräftepaar F . a: F
F'
F ,
Q
Abbildung 3.10: Parallelverschiebung einer Kraft muss durch Versetzungsmoment ausgeglichen werden.
25
3.5 Äquivalenz
3.5.2 Analytische Ermittlung der Resultierenden Bei der grafischen Ermittlung der Resultierenden des allgemeinen ebenen Kraftsystems (Abschnitt 3.1) wurde deutl ich, dass Betrag, Richtung und Richtungssinn auch mit Hilfe des Kraftecks (wie beim zentralen ebenen Kraftsystem) ermittelt werden können. Nur die Lage der Wirkungslinie in der Ebene ist auf diescm Wege nicht zu bestimmen. Diese Erkennmis lässt sich auf das Problem der analytischen Ermittlung der Resultierenden des allgemeinen ebenen Kraftsystems übertragen. Betrag, Richtung und Richtungssinn ergebcn sich nach den aus dem Abschnitt 2.1 bekannten Formeln:
" F;x FR, = E
FR)'
"
= Efjy ;=1
i=1
(3.1)
Damit fehlt fUr die Bestimmung der Lage der Wirkungslinie (ihr Anstieg ist mit CtR bekannt) nur noch ein Punkt. Diesen ermittelt man aus der Forderung, dass ein äquivalentes ebenes Kraftsystcm ncbcn der glcichcn Kraftwirkung auch die gleichc Drchwirkung (bczüglich cincs beliebigcn Punktes) haben muss: Die Summe aller Momente der Kräfte F; muss gleich der Momentwirkung der Resultierenden sein. In der BedingungsgleichlLllg n
EF;ai
=
FROR
(3.2)
i=1
sind dementsprechend die Qi die Hebelarme der Kräfte Fi , QR ist der Hebelarm der Resultierenden,jeweils also der senkrechte Abstand der Wirkungslinie vom frei zu wählenden Bezugspunkt (das Lot vom Bezugspunkt auf die Wirkungslinie). Häufig ist cs ratsam, die Kräfte Fi , deren Richtungen nicht den bevorzugten (im Allgemeinen senkrecht aufeinander stehenden) Bemaßungsrichtungen einer technischen Zeichnung folgen, in zwei Komponenten zu zerlegen und mit den Komponenten zu rechnen. Man vermeidet so die unter Umständen etwas schwierigen geometrischen Überlegungen zur Ermittlung der Hebelarme. Der Mehraufwand (doppelte Anzahl von Momentwirkungen) ist unerhcblich, weil die Komponentenzerlegung ohnehin für die Ermittlung des Betrages der Resultierenden erforderlich ist. Ein entsprechendes Vorgehen bietet sich für die Behandlung der Resultierenden r"R in der Momentenbeziehung an: Man verschiebt sie entlang ihrer Wirkungslinie, bis sie direkt über oder unter dem Bezugspunkt (oder auch rechts oder links vom Bezugspunkt) liegt. Dafur muss die Lage der Wirkungslinie irgendwie angenommen werden, weil man ja nur ihre Richtung kennt. Nun werden auf der rechten Seite der Momentenbeziehung anstelle des Momentes der Resultierenden die beiden Momente ihrer Komponenten eingesetzt, wobei nur eine Komponente (infolge der Art der Verschiebung der Resultierenden) cinen von Null verschiedencn Hebelarm hat. Dieser Hebelarm ist die einzige Unbekannte in der Momentenbeziehung. nach deren Berechnung dann aueh die Lage der Wirkungslinie von FR bekannt ist. Am nachfolgenden Beispiel (durch vier Kräfte belastete Scheibe aus dem Abschnitt 3.1) wird dieses Vorgehen demonstriert.
26
3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
Wenn die Resultierende eines allgemeinen ebenen Kraftsyslems den Betrag FR = 0 hat (keine resultierende Kraftwirkung), können die Kräfte F; natürlich immer noch eine resultierende Momentwirlcung haben. Man kann das resultierende Moment aus der Summe der Momentwirkungen allcr F; bezüglich eines beliebigen Punktes der Ebene bcrechnen.
I
Beispiel]: I_"";_ _...1 An emem starren Körper greIfen wie skizziert vier Kräfte an.
F3
ß
A
a) Es ist das resultierende Moment der vier
a
Kräfte bezüglich des Punktes A zu ermitteln.
,
, 2a
ö
b) Es sind analytisch Betrag, Richtung und
Lage der Wirkungslinie der Resultierenden FR zu ermitteln. Dabei ist als Bezugspunkt für die Momentenbeziehung der Punkt B zu wählen. Die Lage der Wirkungslinie ist durch Angabe von aR und YR zu beschreiben. Gegeben:
F 1 = I kN
Fz =2kN
a =45
ß =60
0
ö
'"
FI
F4 =1,5kN
0
Bei der Fragestellung a sind die Hebelarme für die Kräfte FI und F4 unmittelbar aus der Skizze abzulescn. Bei den Kräften Fz und F) kann man die Hebelarme entweder aus geometrischen Überlegungen ermitteln oder die Kräfte in jeweils zwei Komponenten zerlegen und dann mit den Komponenten rechnen: Das Moment der Kraft F) wird entweder aus dem Produkt F} . a3 (Abbildung 3.11, linkes Bild) oder aus der Summe der Momente der beiden Komponenten F)· sinß (am Hebelarm 1I) und F) ·cosß (am Hebelarm "Null") ermitteil (Abbildung 3.11, rechtes Bild). Beide Varianten führen wegen a3 = a· sinß auf das gleiche Ergebnis. F,
o. A
,
F, sin ß
ß
a,
,
FJ cosß
A
a
F, CI.
F,
a3
=
a sinß
Abbildung 3.11: Hebelarm aus geometrischen Überlegungen oder Zerlegung der Kraft
Die Rechnung liefert:
a) b)
MA = 2.29 kNm (linksdrehend), FR = 3,61 kN; aR = -19, 1°
YR = 2,25 m .
27
3.5 Äquivalenz
Zur Beschreibung der L~ge der Wirkungslinie der Resultierenden kann natürlich eine beliebige Strecke gewählt werden. Wäre der Punkt Aals Momenrenbezugspunkt gewählt worden, hälte man - wie nebenstehend sk.izziert z. B. die Strecke XA cn'echnen können: FR wird bis zum Punkt C verschoben und in zwei Komponenten zerlegt, so dass die Horizontalkomponente keine Momentwirkung um A hat. Das lillksdrehende Gesamtmoment der Kräfte 0 F I bis r"4 muss gleich dem Moment FR' sin 19, 1 • XA sein, das rechtsdrehend ist:
c •
A
I
FR sin 19, \0
Abbildung 3.12: Komponenten der Resu Itierenden
Aus XA . FRsin 19, 10 = -2. 29kNm ergibt sich XA = -I. 94m, wobei das Minuszeichen anzeigt, dass die Wirkungslinie von FR (enrgegen der Annahme) links von A liegt.
I
Beispiel 2: I_....;_ _.. Für dIe skizzlerten Kräfte F I und F2 Ist dIe Lage der Resultierenden FR zu bestimmen (Ergebnis durch Angabe der Koordinate XR). Wenn nach unten gerichtete Kräfte als positiv angenommen werden, kann man mit FR = FI - F2 = I k.N zum Beispiel die Äquivalenzbeziehung für die Momente um den (willkürlich gewählten) Angriffspunkt von F, aufschreiben. Dann geht FI in die Beziehung gar nicht ein (Hebelarm "Null"), und man erhält bei (willkürlich) rechtsdrehend positiv angenommenen Momenten aus
a=5m Abbildung 3.13: entgegengesetztem
Kräfte
mit
Richtung~sjnn
auf parallelen Wirkungslinien
mit XR = -15 m ein Ergebnis, das durch das Minuszeichen anzeigt, dass die Wirkungslinie der Resultierenden weit links von F, liegt. Weil dies etwas schwierig vorstellbar sein mag, zeigt Abbildung 3.14 zwei Systeme mit diesen äquivalenten Lasten. Die Lager würden, wenn das Eigengewicht der Träger unberücksichtigt bleiben darf, in beiden Systemen gleiche Kräfte aufzunehmen haben (wie solche Lagerreaktionen berechnet werden, wird im Kapitel 5 behandelt).
a=5 m
----------ZS,.------ZS" I Abbildung 3.14: Zwei Systeme mit statisch äquivalenten Belastungen
28
3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
3.6 Fazit zum Thema Äquivalenz Lieber Leser, Sie haben in diesem Kapitel einige wichtige Grundlagen der Technischen Mechanik kennengelernt. Trotzdem finden Sie hier anstelle von Übungsaufgaben ein Fazit. Das hat seinen Grund; Es ist (bis auf wenige Ausnahmen) nicht sinnvoll, Probleme auf der Basis der Äquivalenz von Kräftesystemen zu lösen. Fast ausschließlich sollte das Gleichgewicht von Kraftsystelllen die Gnmdlage für die Lösung von Aufgaben sein. Deshalb gab es am Ende des Kapitels 2 auch nur Aufgaben, die sich mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen lösen ließen. Die Erfahrung der Autoren hat gezeigt, dass der Anfanger (weil das Thema Äquivalenz inUller am Anfang behandelt wird) die Neigung hat, bei Aufgaben zunächst die gegebenen Kräfte zu einer Resultierenden zusammenzufassen, um erst danach die unbekannten Kräfte und Momente zu berechnen. Das ist nicht sinnvoll (im gerade behandelten Beispiel 2 wird man zur Berechnung der Lagerreaktionen nicht erst die Resultierende ermitteln), und deshalb wird an dieser Stelle das Üben (Lösen von Aufgaben) durch das Rekapitulieren der wichtigsten Erkenntnisse zum Thema Äquivalenz aus den Kapiteln 2 und 3 ersetzt. Es gibt allerdings eine wichtige Ausnahme zu den gerade getroffenen Aussagen; Die Berecllnllllg \'on ScI,welpt/nkten basiert auf den in diesem Kapitel erarbeiteten Grundlagen, Dieses Thema wird deshalb im folgenden Kapitel behandelt. Danach aber gilt: Die Gleichgewichtsbedingungen sind die Grundlage zur Lösung fast aller Probleme der Technischen Mechanik. Die folgenden "wichtigsten Erkenntnisse" zum Thema Äquivalenz mögen eher banal erscheinen und sind in dem Sinne zu verstehen, dass sie ständig als Nebenrechnungen und -überlegnngen bei den Aufgaben der Technischen Mechanik auftreten;
c:> Die Zerlegu ng ei ner Kraft F bei gegebenem Wi nkel a in zwei sellkrecht zueinander stehende Komponenten wurde im Abschnitt 2.1 auf Seite 10 behandelt:
F, = Fcosa
FII = Fsina.
c:> Das Moment einer Kraft bezüglich eines Punktes ist definiert als Produkt Kraft· Hebelarm (Absclutin 3.4). Der Hebelann ist die kürzeste Verbindung vom Bezugspunkt zur Wirkt/llgslinie der Kraft. In der Regel ist es günstiger, unter einem Winkel angreifende Kräfte zunächst in Komponenten zu zerlegen und dann die Momentwirkungen der beiden Komponenten aufzuschreiben (siehe Beispiel I im Abschnitt 3.5.2).
c:> Ein Moment, das an einem starren Körper angreift, ist (im Gegensatz zu den angreifenden Kräften) frei in der Ebene verschiebbar (siehe Seite 21).
4 Schwerpunkte Jeder Körper besteht aus Masseteilen, die der Anziehungskraft (der Erde) unterworfen sind, so dass Gewichtskräfte wirken. Der Punkt eines Körpers, durch den die Resultierende aller Gewichtskräfte bei beliebiger Lage des Körpers hindurchgeht, ist der Schwerpunkt. Die Berechnung der Lage des Schwerpunktes ist damit identisch mit der Ermittlung der Lage der Resultierenden eines allgemeinen Kraftsystems mit parallelen Kräften. Andererseits kann die Gewichtskraft eines Körpers bei Statikproblemen durch eben diese Resultierende berücksichtigt werden, wenn die Lage des Schwerpunkts (und damit die Lage der Wirkungslinie dieser Resultierenden) bekannt ist.
I
Beispiel: I_"";_-, Drei Quader mit den Massen 11I],1112 und 1Il3 sind wie skizziert zu einem Körper zusammengefUgt. Es ist die Schwerpunktkoordinate Xs zu ermitteln. Es ist wohl einzusehen (und mit den Integral formeln des folgenden Abschnitts natürlich auch zu berechnen), dass der Schwerpunkt eines Quaders im Symmetrieschnitt (in der "Mitte" des Körpers) liegt, so dass die drei Gewicbtskräfte mit den nachfolgend skizzierten Abständen anzusetzen sind. Die Resultierende der drei Gewichtskräfte
muss die gleiche Momentwirkung bezüglich eines beliebigen Punktes haben wie die drei Gewichtskräfte zusammen (Moment der Resultierenden = Summe der Momente der Einzelkräfte):
(m] + 11I2 + 1Il3)gxS = lIl]g
m]g
m 2g
I
I
al2
a/2
b/2
FR
bl2
m 3g
c/2 d2 ---
Xs
~ +1Il2g (a + ~) +1Il3g (a +b+~)
Aus dieser Gleichung kann die Schwerpunktkoordinate Xs berechnet werden. Mit einer solchen Äquivalenzbetrachtung erhält man natürlich immer nur eine Schwerpunklkoordinate. Man kann die Rechnung in den beiden anderen Koordinatenrichtungen entsprechend durchfUhren, wobei man sich den Körper gegebenenfalls (wegen der Richtung der Gewichtskräfte) ge-
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_4, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
4 Schwerpunkte
30
dreht denken muss. Das Bezugskoordinatensystems kann (wie der Momentenbezugspunkt bei Äquivalenzbetrachtungen) beliebig gewählt werden.
4.1 Schwerpunkte von Körpern Das behandelte Beispiel hat die Analogie der Schwerpunktberechnung zum Problem der Ermittlung der Resultierenden eines Systems paralleler Kräfte verdeutlicht, so dass man daraus die Formeln fLir den aus 11 Teilmassen zusammengesetzten Körper ableiten kann: In einem beliebigen kartesischen Koordülatensystem haben die Tei Imassen 1Il; die Schwerpunktkoordinaten X;, y; und Z;. Dann gelten folgende Fonnein zur Berechnung der
Koordinaten des Gesamtschwerpunkts eines Körpers: Xs
I " = -Jn
L miXj ges ;=1
J
I
tI
"
YS = - - [, miYi
zs= --[miZ;
m ges ;=J
fn ges i=1
(4.1)
Die Gesamtmasse des Körpers IIl ge , ist die Summe der Teilmassen 111;:
"
(4.2)
m ges = [mi ;-1
Voraussetzung fLir die Anwendung dieser Formeln ist natürlich die Kenntnis der Schwerpunktkoordinaten der Teilmassen. Wenn die Schwerpunktkoordinaten einer Masse nicht bekannt sind, muSs diese gegebenenfalls in sehr viele Teilmassen !J.11l; unterteilt werden, im Grenzfall (!J.m; ---> dm, unendlich viele unendlich kleine Massen) wird die Summe zum bestimmten Integral: Xs = -I-
j' xdlll
m ges v
Ys= _I_J ydm
ZS=_I_JZdm
m ges v
mge.\· v
(4.3)
Das Symbol V unter dem IntegraJzeichen bedeutet "Integral über das gesamte Volumen", was im ungünstigsten Fall auf ein dreifaches Integral führt. Für homogenes Material (Dichte p = konst.) kürzt sich die Dichte aus den Formeln heraus, und man berechnet ausschließlich mit dem Volumen der Körper die
Koordinaten des Gesamtschwerpunkts eines Körpers aus homogenem Material: I
xs=
n
--E ViXi Vges ;=1
I
"
ys=--E V;y; Vges i=l
I
"
Vgn
;=1
zs=--[ Vil i
(4.4)
4.2 Flächenschwerpunkte
31
Entsprechend modifizieren sich die Integral formeln ftir Körper aus homogenem Material: Xs = _1_JXdV Vges
zs= - I Vges
Ys= _1_JYdV V,l,'t's
v
v
j' zdV
(4.5)
v
Wenn man bei einem homogenen Körper den Koordinarel111fsprung in eine Symmelrieebene legen kann, so ergibt sich für die Koordinatenrichtung senkrecht zur Symmetrieebene die Schwerpunktkoordinate Null, weil zu jedem Volumenteil an einem positiven "Hebelarm" ein entsprechendes mit negativem Hebelarm vorhanden ist: Wenn Symmetrieebenen in einem homogenen Körper vorhanden sind, dann liegt der Schwerpunkt in diesen Ebenen. Schwerpunkte einiger homogener Körper: " a,
I
.,
Zs
z,
h
I
5
Zs
1 "
h
R
h
\.-
a, .I.
" Kegel
Kugelabschnitt
Keil
I Zs= -h 4
zs =
ao+at h 2ao+aJ 2
4R-h h Zs = 3R _ h :I
(4.6)
4.2 Flächenschwerpunkte Für den speziellen Fall eines homogenen flächenhaften Körpers (sehr dünnes Blech mit konstanter Dicke) kann das Volumen aus dem Produkt "Fläche . Dicke" ermittelt werden. Aus den SChwerpunktformeln kürzt sich die Dicke dann heraus, und es verbleiben die Formeln zur Berechnung des Flächellschwerpllllkts: I
I
n
xs=--[Aixj A xe ,\. ;=1 Xs = _1- fXdA Ao., es A .
Ys = A
ge.~
Ys= - I
A ges
n
'"' kl" i...J 1./
;=1
j' ydA A
I n ZS=--LA;Zi A gt,,\' ;=1
(4.7)
zs = _1_ fZdA A ges . A
32
4 Schwerpunkte
Die Fonnein 4.7 gelten für beliebige Flächen im Raum. Besonders wichtig in der Technischen Mechanik ist jedoch die Ermittlung von Flächenschwerpunkten ebener Flächen, für die dann natürlich nur zwei Koordinaten bestimmt werden müssen. Die Ausdrücke in den Zählern der Scbwerpunktformeln, die in den Formeln für die Körperschwerpunkte Momente (Gewichtskraft· Hebelarm) sind, werden analog dazu als "statische Momente der Teilftächen" bezeichnet, die Integrale sind die "statischen Momente der Fläche". Statisches Moment einer Fläche: Das statische Moment bezieht sich immer auf eine bestimmte Achse, als Sx wird z. B. das auf die x-Achse bezogene statische Moment bezeichnet:
J
Sx =
(4.8)
ydA
A
I·
..
.
.
.
.
Beispiel: I_....;_..... Fur ein rechtwinkliges Dreieck mit den Katheten a und b Sind dIe Schwerpunklkoordinaten zu ermitteln.
Iy
Iy
!b-Yj ~
jy
~o -
,dy
dx ~
x
..r;
J'h~
Y lb
,a
x
I
x
x
x
Für die Berechnung der x-Koordinate des Schwerpunkts müssen die differenziell kleinen statischen Momente x· dA integriett werden. Da in einem vertikalen Recbteck an der Stelle x jedes Flächenelement den gleichen "Hebelarm" x hat, darf als Flächenelement dA ein Rechteck mit der Breite dx und der Höhe bx/a (Strahlensatz, mittlere Skizze) verwendet werden. Man erfasst die gesamte Fläche bei Integration von x = 0 bis x = a. Eine entsprechende Überlegung gilt für die Berechnung von Ys. Mit der Gesamtftäche A ges = ab/2 ergibt sich: I
xs = Ag"
2 x dA = ab
J
A
a
J
b
x
2bXJ x dx = ab 3
a
.(=0
j' ydA=-2 j' A
2
[a L=o = 3" a
b
1 Ys=A ges
a
ab
y=O
[l
y3]
a 2 a-~-a y(b~y)-dy=b
ab
2
b
b 3 y=o
(4.9)
b 3
Auf gleichem Wege kommt man zu den Schwerpunktformeln für andere ebene Flächen. Für besonders häufig vorkommende Teill1ächen sind die Ergebnisse (Flächeninhalt und Koordinaten des Schwerpunkts) nachfolgend zusammengestellt.
4.2 Flächenschwerpunkle
33
Schwerpunktkoordinaten xs, Ys und Flächeninhalt A ausgewählter ebener Flächen
Dreieck:
s
h A =b-
2
(4.10)
b
Y,
!Y x,
3
Dreieck in beliebiger Lage:
1 XS=3(XI+X2+ X3) Y,
Y,
..
A=
1 YS=3(YI+Y2+Y3) (4.11)
1
2 1(x2 -XI )(Y3 -
Yil- (Y2 - Yil(X3 -xl)1
X
X,
X,.
X,
ßogenlänges
~---
Kreissektor:
,S
;;; (J.
(J.
"
R
2Rb 2 R sin a Ys=--= 3s 3a s , A=R-=R-a . 2
(4.12)
b
Kreisabschnitt:
Bogenlänge s
YS =
b3 6(Rs-Rb+bh)
-:-:-=-----=--:---:-C7
2Rsin 3 a 3(a-sin a COS a) R
(4.13)
I
A = 2(Rs-Rb+bh) b
= R2 (a - sin a cos a)
Mit diesen Formeln kommt man im Allgemeinen aus, so dass die AnwendlLl1g der lnlegralfonnein für die Schwcrpunklberechnung vermieden werden kann. Allgemeine Polygonftächen
34
4 Schwerpunkte
(kompliziert berandete Flächen lassen sich durch Polygone annähern) werden im Abschnitt 4.5 behandelt. Die in der Praxis wohl häufigste Aufgabe ist die Ermittlung dcs Schwerpunkts einer Fläche, die sich aus Teilftächen zusammensetzt, deren Schwerpunkte bekannt sind. Dafür wird folgendes Vorgehen empfohlen:
e:> Die Wahl eines geeigneten Koordinatensystems kann den Aufwand verringern. Wenn dcr Ursprung des Koordinatensystems in den Schwerpunkt einer Teilnäche gelegt wird. verschwinden die statischen Momente rur diese Teilfläche. Eine andere Empfehlung ist. das Koordinatensystem so zu legen, dass alle Teilftächenschwerpunkte im ersten Quadranten liegcn (und damit positivc Koordinaten haben).
c:> Die Gesamtftäche soille in möglichst wenige Teilftächen so zerlegt werden, dass die Schwerpunkte dieser Teilftiichen bekannt sind.
e:> Wenn eine Fläcbe symmetrisch ist, liegt der Schwerpunkt auf der Symmetrieachse. Es genügt aber auch, wenn die statischen Momente der Teil flächen auf den beiden Seiten einer Achse gleiche Beträge haben. So können die Schwerpunkte der beiden skizzierten Flächen ohne Rechnung angegeben werden (Abbildung 4.1).
e:> Vielfach ist es sinnvoll, aus einer größeren Teilftäche eine kleinere auszuschneiden. Solche Ausschnittflächen gehen mit negativem Vorzeichen in die Formeln ein.
,
/
"I
2a . /
s
I
,
2a /' /
,
N",
"I
Abbildung 4.1: Die L.1ge des Schwerpunkts ist bei besLimmten Flächen auch olule Rechnung bekannt.
e:> Für eine größere Anzahl von Teilftächcn cmpfiehlt sich die Berechnung nach folgendcm Tabellenschema: i
A;
Xi
[A; [A;Xi
Xs=--
[A;
Yi
AjXj
A;y;
[A;x;
[A;y;
[AiY; YS= [Ai
(4.14)
Für die Tabelle sind nur die Werte Ai, x; und Y; der Aufgabe zu entnehmen (die grau unterlegten Zellen sind die "Eingabewerte" für die Rechnung), die Ermittlung aller übrigen Werte folgt einem formalen Algorithmus (unter www.TM-aktuell.de findet man hierzu cinc Ergänzung).
e:> Zu beachten ist (natiirlich nicht
I1llf bei der Tabellenrechl1ll\1g), dass sich die Koordinaten der Teilftächenschwerpunkte immer auf das gemeinsame Koordinatensystem beziehen.
4.2 Flächenschwerpunkte
35
I
I Beispiel: F"ur d'le Sk"lZzlerte sc hra ffi erte FI"ac h eist . d'le Lage d es FI"ac hensc h werpun ktes zu berechnen.
5a
4a
,-----...-
2a
~
I cl M
--,
- - -
5
M
, I
cl M
.,.cl
IY
I I
I
14 L
3
I I I I I I I
_
Abbildung 4.2: Einteilung in 5 Teilflächen Die Fläche wird in Standardflächen (Rechtecke, Dreiecke. Kreis) unterteilt. Bei der als Abbil· dung 4.2 skizzierten möglichen Einteilung wurden zwei Rechteckflächen (I und 3) und drei Ausschnittftächen (der Kreis 2 und die Dreiecke 4 und 5) gewählt. Für diese Einteilung ergeben sich unter Verwendung des eingezeichneten Koordinatensystems die Schwerpunktkoordinaten der Teilflächen, die in der folgenden Tabelle (Abbildung 4.3) zu sehen sind. Es bietet sich natiirlich an, die Zahlenrechnung einem geeigneten Programm zu iibertragen. Nebenstehend sieht man die Realisierung der Berechnung mit MS-Excel. Die Excel-Datei, die die auf der Seite 34 zu sehende Tabelle einschließlich der Fonnein 4.14 realisiert, steht unter www.TM-aktueLl.de zum Download zur Verfligung. [n der Tabellenrechnung wurde der Faktor a, mit dem jede Abmessung zu multlplizieren wäre, weggelassen. Dementsprechend muss man sich alle Ergebnisse und Zwischenergebnisse mit den Faktoren a (Längen), a2 (Flächen) bzw. a 3 (statische Momente) multiplizien denken.
i
f>J
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
30,000 -12,56E 60,000 -8,OOC -24,OOC
Summe
45,434
xi 2,500 3,000 8,000 6,333 9,000
Xs = 5,5161
yi
Aixi
Ai yi
7,{)(){ fO,OOO 210,{)(){ 7,{)(){ -37,699 -87,96, 5,{)(){ 460,000 300,{)(){ -50,667 -10,66 1,33 7,33 -216,000 -176,OOC 0,000 O,OOC 0,000 O,OOC 0,000 O,OOC 0,000 O,OOC O{)(){ 0000 250,634
Ys=
235,36,
5,160
1
Abbildung 4.3: Berechnung des Flächenschwerpunkts mit MS-Excel
Es soll hier schon darauf hingewiesen werden, dass die Berechnung des Flächenschwerpunkts die Voraussetzung sein wird für die Ermittlung der Quersehnittswerte in der Festigkeitslehre (wird im Kapitel 16 behandelt). Deshalb sind auch das daflir verfUgbare Rechenprogramm und die Internet-Seite fUr die Online-Berechntmg für die Berechnung von Flächenschwerpunkten geeignet (beides zu erreichen iiber www.TM-aktuell.de).
4 Schwerpunkte
36
4.3 Linienschwerpunkte Analog zur Definition dcs Schwcrpunkts einer Flächc wird auch der Schwerpunkt cincr Linic definiert. Man kann sich diese Linie als unendlich dünnen massebelegten Draht mit konstantem Querschnitt vorstellen (Volumen = Länge· Querschnittsftäche), so dass sich die Querschnittsftächc aus dcn allgemcinen SChwerpunktfomleln hcrauskürzt, und man crhält die Formeln zur Berechnung des Liuieflschwerpuukts: I
I
n
Ys=
xs=_I_JXdS
Ys= _1_JYdS
1ges ;=1
1ges
.,
I
n
xs=- E li X ;
-I: I,y, l~e.\'
i=1
i=l
1ges
n
I: /;z; 'Re.\·
Zs= -
(4.15)
zS=-/1 JZdS ges
.
I
10
L lixi =
12.25mm
;=1
10
L liYi = 28,66mm {ges ;=1
Ys = -
4.4 Experimentelle Schwerpunktermittlung Von den zahlreichen Möglichkeiten, für komplizierte Gebilde den Schwerpunkt experimentell zu bestimmen, sollen hier nur zwei besonders einfache Verfahren vorgestellt werden. Ein an einem Faden aufgehängtes Bauteil stellt sich so ein. dass seiu Schwerpunkt unter dem Aufhängepunkt liegt. Man kann auf diese Weise eine Gerade ermitteln, auf der der Schwerpunkt liegt. Nach Wiederholung des Versuchs mit einem anderen Aufllängepunkt ist der Schwerpunkt als Schnittpunkt beider Geraden bestimmt.
Abbildung 4.5: Der Schwerpunkt liegl immer senkrecht unter dem Aufhängepunkt
So wird der Schwerpunkt des in Abbildung 4.5 dargestellten flächenhaften Körpers experimentell ermittelt, indem das aus einem möglichst schweren Material ausgeschnittene Modell einmal im Punkt B, zum anderen am Punkt C aufgehängt wird. Die beiden auf das Modell aufgezeichneten Geraden (Verlängerungen der Fäden AB bzw. AC) bestimmen durch ihren Schnittpunkt den Schwerpunkt der Fläche.
4 Schwerpunkte
38
Eine sehr effektive Methode auch für komplizierte Bauteile ist die Ermittlung des Schwerpunkts durch "Auswiegen". Dabei nutzt man die Tatsache aus, dass die Wirkungslinie der Resultierenden aller Gewichtskräfte durch den Schwerpunkt des Körpers verläuft.
I
Beispiel: I_....;.__ Für das J.D Abbildung 4.6 sktzzlerte Pleuel soll die Schwerpunktermittlung durch Auswiegen erläutert werden.
Federwaagen
Die Pleuelstange wird an den Punkten A und B an zwei Federwaagen aufgehängt, so dass anstelle der Gesamtgewichtskraft die beiden Teilkräfte FA und Fß gemessen werden. Dieses Kraftsystem muss nun dcr Gesamtgewichtskraft äquivalent sein. Neben
muss auch die Momentwirkung bezüglich eines beliebigen Punktes gleich sein. Bei Wahl des Punktes A als Bezugspunkt I11llSS gelten:
Daraus errechnet sich dcr Schwerpunktabstand: Abbildung 4.6: Experimentelle ErmiuJung des Schwerpunkts durch "Auswiegen" mit zwei Federwaagen
4.5 Flächenschwerpunkte, Computer-Verfahren Am Beispiel der besonders wichtigen Flächenschwerpunkt-Berechnung werden im Folgenden einige Empfehlungen gegeben, wie auch komplizierte Gebilde zu behandeln sind. Natürlich lässt sich die im Abschnitt 4.2 demonstrierte Tabellenrechnung, die sowohl für Körper- als auch fLir Linienschwerpunkt-Berechnungen leicht zu modifizieren ist, recht einfach programmieren, so dass aufwendige Berechnungen möglich sind, wenn die Aufteilung der Fläche (des Körpers, des LinienZllges) in Teile mit bekannten Schwerpunktkoordinaten möglich und sinnvoll ist.
4.5.1 Eine durch einen Polygonzug begrenzte ebene Fläche Eine ebene Fläche sei durch einen geschlossenen Polygonzug mit 11 Punkten und damit durch Geradenstücke begrenzt. Die Punkte werden von I bis 11 so fortlaufend nummeriert, dass bei einem Umlauf in dieser Reihenfolge die Fläche immer links liegt (Abbildung 4,7).
11
39
4.5 Flächenschwerpunkle. Compuler-Verfahren
Die Fläche des Trapezes unter dem Geradenstlick 1-2 errechnet sich nach der Formel
IY
7
6
für die Trapezftäche unter einem beliebigen Geradenstück i- j erhält man x
(4.17) wobei sich positive Werte für Xi> Xj und dementsprechend für Xi
Volwnenlasteu (das Eigengewicht) werden durch die Gesamtgewichtskraft ersetzt, die im Schwerpunkt des Körpers angetragen wird.
e:> Flächenlasten (Dimension: Kraft / Fläche) werden durch Integration über die Fläche zu Einzelkräften. Hier soll nur der praktisch wichtigste Fall des konstanten Drucks Po auf eine Fläche A behandelt werden: Die Resultierende
F=POA greift in diesem Fall im Schwerpunkt der Fläche A an.
e:> Linien/asten (es ist auch der Ausdruck S'reckenlasten gebräuchlich) werden mit dem Symbol q bezeichnet und haben die Dimension Kraft / Länge. Sie können über die Länge, auf der sie wirken, veränderlich sein und müssen also im allgemeinen Fall durch eine Funktion q(z) mit der Längskoordinate z dargestellt werden. Die Resultierende Feiner Linienlast ergibt sich aus der Integration über die Länge, ihr Angriffspunkt Z mit der Forderung nach Momentenäquivalenz aus der Schwerpunktformel:
z
q(z)
1111"" a b b
F=
J
b
qdz
z=~JqZdZ
(4.24)
Z=Q
Als Faustregel darf gelten: Die Resultierende F repräsentiert genau die Fläche. mit der die Linienlasl q(z) symbolisch dargestellt wird, und F greift im Schwerpunkt dieser Fläche an. Unter anderem werden Linienlasten zur Erfassung der Eigengewichtsbelastung gerader Träger
verwendet. Für den Fall. dass der Querschnitt des Trägers entsprechend A(z) veränderlich ist, erhält man mit der Dichte p und der Erdbeschleunigung g aus der folgenden Fonnel die Linienlast eines geraden Trägers, verursacht durch sein Eigengewicht:
q(z) = PgA(z)
(4.25)
44
4 Schwerpunkle
Beispiel I:
'-....;_ _.. Der Durchmesser der skizzienen WeIle wächst im konischen Abschnitt 2 von 02 auf 03 und ist im Abschnitt 3 konstanl. Für diese beiden Abschnitte sind die Funktionen der Linienlaslen Q2(Z2) und Q3(Z3) infolge des Eigengewichts zu berechnen (Dichte des Materials: p).
2
3
5
4
LI l, =er: z,
'l
~,
Für die Durchmesser in den beiden Absehnillen gill:
Damit gilt rur die Quersehnilt flächen der Kreisquersehnille:
und nach Formel 4.25 ergeben sich die Linienlasten
npg [ 02+(03- 0 2)Z2]2 (/2(Z2)=-
'2
4
I
Beispiel 2: I,-....;._ _ Fur e'llIge besonders haufige L,nlenlastverläufe sollen Größe und Lage der Resultierenden (Abbildung 4.12) berechnet werden. Für die skizziene Dreieckslast mit der Maximalintensität q, iSI der Verlauf der Linienlaslmil der gewählten Koordinate durch (4.26)
z
,I'"''''''
2
-
3
(4.27)
q,l/21_ 2l/3
, , , , , , , , I, I, l/2
gegeben. Die Intcgralion nach den Formeln 4.24 liefen die Größe der Resultierenden und ihren Angriffspunkt im Schwerpunkt des von der Streckenlast aufgespanntcn Dreiecks: ':7= _/
q,
""""""
l/2 Es ist leicht einzusehen. dass rur eine konstante Linienlast bzw. eine TrapczJasl die angegebenen 2113 Ergebnisse gelten. Dabei ist es sinnvoll, die Trapczlast durch zwei Einzelkräfte (aus konstanter Abbildung 4.12: Dreieckslasl, konslanle Linienlasl und Trapezlasl Linienlast und Dreieckslast) zu ersetzen.
45
4.7 Aufgaben
4.7 Aufgaben I
Allfgabe 4. J:
I
Ein Würfel aus Aluminium (Dichte: PAl = 2,70 g/cm 3 ) mit einer Kantenlänge a = 200 Olm ist mit einem kleineren Würfel (Kantenlänge aus Eisen (Dichte: PFe = 7,85 g/em 3) verbunden.
z
I)
Man ermittle die Koordinaten des Gesamtschwerpunkts bezüglich des eingezeichneten Koordinatensystems.
I
Allfgabe 4.2: I'-';';;'_ _....1 Der skizzierte homogene Körper besteht aus eincr Halbkugel und einem Kegel. Für einen gegcbenen Radius R ist die Höhe H des Kegels zu ermitteln, für die der Gesamtschwerpunkt des KÖ'l:>crs in die Verbindungsftäche von Halbkugel und Kegel fälll.
I
I Allfgabe 4.3: Für die skizzierten Flächen sind die Koordinaten der Flächenschwerpunkte zu berechnen. a
30 d
/i?-# o
So
Al /
00
~. Ys
~.. a
~1
30
d
;-.;
1.5 a __x-L 3a
Weitere Aufgaben findet man im Internet unter www.TM-aktuell.de.
/1
'"
I
d M
46
4 Schwerpunkte
Liebe Studenten, liebe Schüler, Sie haben natürlich recht mit der Frage, die sich geradezu aufdrängt. Sie haben sich möglicherweise eine Software hemntergeladen oder die Online-Berechnung von Schwerpunkten getestet (heides wird über www.TM-aktuell.de bzw. www.TM-interaktiv.de angeboten) und fragen nun: ,.Warum muss ich das denn alles lernen, wenn es so bequem mit ein paar MauskJicks zu erledigen ist?" Sie müssten es auch nicht lernen. wenn Sie ..Schwerpunkt-Berechner" werden wollten (den Beruf gibt es allerdings nicht). Auch der Auto-Mechaniker, der Pkw-Räder auswuchtet, muss die im Abschnitt 29.4.2 behandelte Theorie des Auswuchtens nicht beherrschen. Es genügt, dass seine Maschine ..weiß. wie es geht." Sie aber wollen einen technischen Beruf erlernen. Wahrscheinlich wollen Sie Ingenieur werden. Und dann gibt es mindcstcns dic bcidcn folgcnden Gründc als Antwort auf dic obcn gestellte Frage: • Sie müssen das Herangehen an Probleme und die Strategien zu ihrer Lösung trainieren, um später flir die Probleme, für die cs noch kcine Lösung gibt, gerüstct zu sein. Das muss an ganz einfachen Dingen (wie z. B. Schwerpunktberech.nung) geübt werden. • Man kann bei der Nutzung von Software zur Lösung VOn Problemen beliebig viel falsch. machen. Deshalb zieht sich auch das schwierige Thema .,Verifizieren von Computerrechnungen" wie ein roter Faden durch dieses Buch. Natürlich rechnet der Ingenieur die Lösungen, die der Computer abliefert, nicht ,.von Hand" nach (das geht meistens auch gar nicht). Aber er braucht ein Gefühl daflir, ob die Lösung richtig sein könnte, und er muss in der Lage sein, offensichtlich falsche Ergebnisse möglichst SOfOl1 zu erkennen. Von den zahlreichen Strategien dafür ist das Verständnis für die Theorie, die hinter den Computer-Algorithmen steckt, eine besonders erfolgreiche Methode. Sie werden bemerkt haben, die typische Motivation fijr Studenten und Schüler - "lch muss das lemen, weil es in der Prüfung drankommt.·' - ist eigentlich Imr .für diejenigen wichtig, die die rationalen Argumentc nicht einsehen. Zu dcnen gehören Sie, lieber Leser, ja aber nicht.
Online·Berechnung eines FlächeDschwerpunktes (Beispiel von Seite 35) mit dem Programm, das unter www.TM-imcraktiv.de angebolen wird.
Es ist immer eine gute Idee. eine Software zunächst mit einem Pro-
blem auszuprobieren, dessen Lö-
sung man kennl. noch besser: Man es bereits auf anderem Wege
hat
gelöst.
5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsystems 5.1 Die Gleichgewichtsbedingungen Ein Körper befindet sich im Gleichgewicht, wenn sich die Wirkungen aller an ihm angreifenden Kräfte und Momente aufheben. Aus dieser Forderung ergeben sich die Gleichgewichtsbedingungen für das allgemeine ebene Kraftsystem:
[Gy =0
[Mi=O
(5. J)
Man beachte:
Die durch die Indizes x und y angedeuteten Richtungen in den Kraft-Gleichgewichtsbedingungen können selbstverständlich beliebig gewählt werden. Es ist nicht erforderlich, dass die beiden Richtungen senkrecht zueinander sind.
Der Bezugspunkt fUr die Momenten-Gleichgewichtsbedingung kann beliebig in der Ebene festgelegt werden.
Es ist möglich (und vielfach zweckmäßig), eine oder beide Kraft-Gleichgewichtsbedingungen durch zusätzliche Momenten-Gleichgewichtsbedingungen mit anderen Bezugspunkten zu ersetzen, die bei drei Momenten-Gleichgewichtsbedingungen allerdings nicht auf einer Geraden liegen dürfen. Bei zwei Momenten-Gleichgewichtsbedingungen dürfen die beiden Bezugspunkte nicht auf einer gemeinsamen Senkrechten zur Kraft-Gleichgewichts-Richtung liegen.
Da drei Gleichgewichtsbedingungen erfüllt werden müssen, dürfen drei Größen unbekannt sein, die dann mit Hilfe dieser Bedingungen ermittelt werden können.
L-:> Obwohl theoretisch beliebig viele Gleichgewichtsbedingungen aufgeschrieben werden kön-
nen (z. B. durch Wahl immer neuer Bezugspunkte für das Momenten-Gleichgewicht), können doch niemals mehr als drei Unbekannte aus diesen Gleichungen errechnet werden. Zusätzliche Gleichungen können zur Kontrolle der Rechnung nützlich sein.
Neben der Freiheit, beliebige Richtungen für die Kraft-Gleiehgewiehtsbedingungen festzulegen, kann auch jeweils der positive Richtungssinn für dic Kräfte und der positive Drehsinn für die Momente für eine Gleichgewichtsbedingung beliebig gewählt werden.
In die Kraft-Gleiehgewiehtsbedingungen gehen alle Einzelkräfte einschließlich der resultierenden Kräfte ein, auf die verteilte Belastungen (z. B.: Linienlasten) vorher reduziert werden
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_5, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
48
5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems
müssen. In die Momenten-Gleichgewichtsbedingungen gehen diese Kräfte mit ihren Hebelarmen und eventuell vorhandene Einzelmomente ein. Letztere werden einfach summiert (oder subtrahiert, abhängig vom Drehsinn), unabhängig vom gewählten Bezugspunkt (Momcnte sind in der Ebcne frei verschiebbar. vgl. das Bcispiel im Abschnitt 3.3). Momcnte haben keinen Einfluss auf das Kraft-Gleichgewicht.
I
2
Bei~piel: I_ _ _ _ E111C rechtccklgc ScheIbe (Gcwichtskraft FG) ist wie skizziert an drei Seilen aufgehängt. Gcgeben:
s
FG = 2 kN
Man ermittle die Kräfte in den Seilen I bis 3.
3 2a
Es ist im Allgemeinen vorteilhaft, wenn man die Gleichgewichtsbedingungen so formulieren kann, dass jeweils nur eine Unbekannte in einer Gleichung auftaucht: In diesem Beispiel ist dies ftir die Gleichgewichtsbedingung "Summe aller Ve.1ikalkräfte gleich Null", in der nur die Unbekannte Fsz vorkommt, gegeben:
i
Fsz sin a
- FG =
.... C
C
Fall b
A)
FKb+Fe(a +c+d) - FBC = 0
B)
FAvc+ Fdd - c+a) - FK(C-b) = 0
-->
---
-
FB=2,9kN FAV =0,1 kN FAH =0 FB = 3, I kN FAV =O,9kN FAH =0
58
5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems
I Beispiel 11:
I
Ern Motor und erne Arbeltsmaschllle sind auf einem gemeinsamen Fundament (Fundamelllmasse: mF) gelagert und belasten dieses durch die Momente MI und M2 und die Gewichtskräfte ihrer
Massen mI lind Gegeben:
j
d
M
I j
1112.
a= 1112
1,5a
d
ß =20
45°
= 2ml
MI = "'Iga
M
SF; mF
0
, j
d
IllF = 41111
M
2
M2 = 311llga
I
C
Um zielführende Schnitte für die Aufgaben 5.2 und 5.4 zu fin-
den. muss man das Beispiel 10 verstanden haben. Weil dieses Beispiel exemplarischen Charakter hat, wurde auf Seite 57 eine "komplelte" Schnittskizze angegeben (dies ist nicht üblich und wird auch bei folgenden Aufgaben nicht mehr praktiziert). Man sieht nicht nur die freigeschnittenen Systeme. sondern auch die weggeschnittenen Lager. an denen die Lagerreaktionen mit jeweils umgekehrtem Richtungssinn als Lagerkräfte wirken. So wiJ'd deutlich, dass die Seilkraft als Belastung des Systems eingeht, wenn das Seil "an der Außenwelt" befestigt ist.
F.' s
F.s F.\ S
Abbildung 5.23: Scbnittskizze für die Aufgabe 5.2
oe:> Feste Rollen lenken Seilkräfte nur um. Deshalb ist die Seilkraft Fs im Beispiel 10 gleich der Gewichtskraft Fe, und die Schniltskizze für Aufgabe 5.2 (Abbildung 5.23) zeigt, dass am starren Körper die Seil kraft Fs zweimal in gleicher Größe angetragen werden muss. L~
Die immer wieder auftauchende Frage. ob man denn nicht auch beim Fall a dcs Beispiels 10 das Seil zerschneiden könnte, kann durchaus mit ,,Ja" beantwortet werden. Allerdings muss man dann auch die (gleich große) Gegenkraft antragcn, und dann wirken am Kran zwei Kräfte die im Gleichgewicht sind und summarisch also keine Wirkung haben.
"s,
6 Ebene Systeme starrer Körper 6.1 Statisch bestimmte Systeme Den erheblichen VOt1eilen statisch bestimmter Lagerung steht oft der Nachteil gegenüber, nur eine sehr begrenzte Anzahl von Lagern anbringen zu können. Wie dieser Mangel behoben werden kann, soll zunächst an cinem Bcispicl erläutcrt wcrdcn.
Beispiel I:
I
I_ _ _ _.... Bel emer stausch bestimmt gelagerten Brücke größerer Spa1lJ1We'te soll durch Anbringen einer zusätzlichen Stütze die Tragfähigkeit erhöht werden. Natürlich scheidet die in Abbildung 6.1 gestrichelt eingezeichnete Variante eines drillen Lagers aus, weil die Lagerung dann statisch unbestimmt wärc (jede geringfügige Absenkung einer Stütze würde das Tragverhalten grundsätzlich verändern).
Abbildung 6.1: Das Anbringen einer zusätzlichen (gestrichelt gezeichnelen) Stütze würde zu einer stalisch unbestimmten Lagerung führen und verbietet dich deshalb.
Wcnn man nun zwci Brückcntcilc baut (Abbildung 6.2), das rcchtc Teilstück bei Bund C lagcrt und für das linke Teilstück eine zusätzliche Stütze G vorsieht, entstehen zwei statisch bestimmt gelagerte Teilsysteme.
Abbildung 6.2: Zwei jeweils statisch bestimmt gelagerte Teilbrücken. Es ist sicher einzuseben. dass dic Tcilsysteme auch dann noch statisch bestimmt gelagert sind, wenn der linke Teil nicht mehr auf der Zusatzstütze, sondern auf einem auf dem rechten Teil angebrachten Festlager (in der Abbildung 6.2 bereits eingezeichnet) gestützt wird, denn • rür den linken Teil ändert sich damit nichts und
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_6, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
62
6 Ebene Systeme stalTer Körper der rechte Brückenteil wird zwar durch ZlIsätzliche Kräfte bei G belastet (in der Abbildung 6.2 bereits gestrichelt angedeutet), aber zusätzliche Kräfte ändern an der statischen Bestimmtheit nichts, da diese nur durch die Lagerung beeinflusst wird.
Abbildung 6.3: Eine Brücke mit drei Stützen und einem Gelenk ist ein statisch bestimmt gelagenes System. Fazit: Das in der Abbildung 6.3 dargestellte Gesamtsystem mit einem Festlager, zwei LosJagern und dem Gelenk G ist statisch bestimmt. Träger auf mehreren Stützen, die durch Einfügen von Gelenken zu statisch bestimmten Trägern wurden, werden Gerber-Träger genannt (nach G. H. GERBER, 1832 - 1912, auf den diese Idee zurückgeht). Gerber-Träger haben alle im AbschnittS.3 diskutierten Vorteile. An dem in Abbildung 6.3 skizzierten Beispiel wird deutlich, dass z. B. eine Absenkung der Mittelstütze nicht zu einer Verbiegung der Träger ftihrt, weil die beiden Trägerteile der Absenkung folgen können, indem sie eine etwas sehräge Lage einnehmen. Es ist üblich, einen Gerber-Träger mit Hilfe der bereits vereinbarten Lagersymbole und einem kleinen Kreis als Symbol für ein Gelenk darzustellen (Abbildung 6.4). 11
:..J5.....
C
---;;;-
A
:..J5..... -.-
4=
C
B
Abbildung 6.4: Symbolische Darstellung eines Gerber-Trägers Natürlich können auch mehrere zusätzliche Lager durch weitere Gelenke ausgeglichen werden. Die beiden in der Abbildung 6.5 skizzierten Systeme sind wie das bereits betrachtete Beispiel statisch bestimmte Tragwerke. 11
:..J5.....
C,
:..J5..... -;:;-
7""': A
:..J5..... --::r B
+
:..J5..... ~
D
C
B
A
:..J5.....
11
C,
!I
I!
CI
C,
:..J5..... ,.....,.,...
:..J5..... //
C
D
Abbildung 6.5: Zwei Varianten von Gerber-Trägem: Das unten zu sehende Beispiel hat im Brückenbau den Vorteil, dass das Minels'Iück ersl 3m Ende der Bauarbeiten eingehängt werden muss.
63
6.1 Statisch bestimmte Systeme
Der Gerber-Träger ist ein einfaches Beispiel für ein System starrer Körper. Die einzelnen Teile eines Starrkörpersystems können im AlJgemeinen auf unterschiedlichste Weise angeordnet sein (die Art ihrer Anordnung wird meist von der Funktion des Bauteils bestimmt, zwei Beispiele zeigt Abbildung 6.6).
'r;===r=='7"-, B
A
A Abbildung 6.6: Beispiele für Systeme starrer Körper
Fast immer aber spielt das Gelenk als Verbindungselement eine wesentliche Rolle, häufig (z. B. im Maschinenbau) auch aus funktionalen Gründen. Zur Berechnung der Lagerreaktionen von Starrkörpersystemen ist die Betrachtung des Gesamtsystems (Lösen von den Lagern und Antragen der Lagerreaktionen) im Allgemeinen nicht ausreichend: Den drei Gleichgewichtsbedingungen stehen mehr als drei unbekannte Lagerreaktionen gegenüber. Es solJ jedoch schon hier ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die so zu gewinnenden drei Gleichungen richtig (und bei vielen Aufgaben auch nützlich) sind. Man kann nur allein aus diesen Gleichungen nicht sämtliche LagelTeaktionen ermitteln. An dem einleitenden Beispiel I eines einfachen Gerber-Trägers wurde deutlich, dass man ein Gelenk als ein an einem Teil angebrachtes Festlager auffassen kann, auf dem ein anderer Teil gelagert ist. Ein Gelenk kann also wie ein Festlager zwei Kraftkomponenten übertragen. Aus dieser Tatsache ergibt sich folgende Strategie für die Berechnung von Gelenksystemen: Das System wird von allen äußeren Bindungen (Lagern) gelöst (Freischneiden) und zusätzlich an den Gelenken zerschnitten, so dass mehrere Teilsysleme entstehen. An den beiden Schnittufern eines zerschnittenen Gelenks werden jeweils zwei Kraftkomponenten angetragen (gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet: Schnittprinzip!). Danach können flir jedes Teilsystem drei Gleichgewichtsbedingungen formuliert werden. Zu den unbekannten Lagerreaktionen kommen flir jedes zerschnittene Gelenk noch zwei unbekannte Gelenkkraftkomponenten hinzu, für die nun aber auch eine größere Anzahl von Gleichungen zur Verfügung steht. Ein solches System kann nur statisch bestimmt sein, wenn die Anzalll der Gleichungen mit der Anzahl der Unbekannten übereinstimmt.
Notwendige Bedingung für die statische Bestimmtheit von Gelenksystemen: Gesamtanzahl der Gelenkkräfte (zwei pro Gelenk)
+ Gesamtanzahl der Lagerreaktionen Gesamtanzahl der Gleichgewichtsbedingungen (drei pro Teilsystem)
6 Ebene Systeme stalTer Körper
64
Diese Bedingung ist fur alle bisher betrachteten Systeme erfüllt. Es ist eine notwendige Bedin· gung (wenn sie nicht erfLillt ist, kann das System nicht statisch bestimmt sein), sie ist aber nicht hinreichend.
:x ..,-
' I
11
GI
G,
A
~d, A
GI
:x -;r-
:x ---"7
"'"4=
B
C
D
:x ---"7
:x ---"7
4""
B
C
D
Abbildung 6.7: Ein Gerber-Träger. der die notwendige Bedingung für die statische Bestimmtheit erfUlIt. ist durchaus nicht immer tragfähig.
Für den in Abbildung 6.7 oben skizzierten Gerber-Träger ist die notwendige Bedingung fLir die statische Bestimmtheit erfüllt, dieses Gelenksystem ist aber als Tragwerk untauglich. Das rechte Teilsystem ist statisch llllbestimmt gelagert (als starrer Körper kann es zum Beispiel einer Stützenabsenkung nicht folgen), während die beiden linken Teile statisch unterbestimmt gelagert (und damit als Starrkörper beweglich) sind. Schon durch sein Eigengewicht würde ein solches Gelenksystem als Tragwerk versagen. Es kommt also (wie beim einzelnen starren Körper) nicht nur auf die Anzahl der Bindungen an. Die Sonderfälle, bei denen trotz Erfüllung des notwendigen Kriteriums (gleiche Anzahl unbekannter Kräfte und Gleichgewichtsbedingungen) das System nicht statisch bestimmt ist, äußern sich durch Wider>prüche in den Gleichungen. Diese Aussage ist leider nicht umkehrbar: Die meisten Widersprüche in Gleichgewichtsbedingungen werden nicht vom mechanischen System, sondern von dem, der es berechnen will, velUrsacht. Hinweis zur W0I1wahJ: Bei AufgabensteIlungen der Praxis sind häufig Lager- oder Gelenkkräfte vorgegeben und gefragt sind zulässige Belastungen oder Abmessungen, so dass die vorgegebenen Werte nicht überschritten werden. Es ist deshalb nicht ganz korrekt, von den "unbekannten Lager- und Gelenkkräften" zu reden, genauer ist die dafur übliche Bezeichnung ZwongskräJte. Für denjenigen, dem die hier angestellten Überlegungen neu sind, ist aber sicher die "nicht ganz saubere" Bezeichnungsweise zunächst verständlicher.
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 Für den skiZZierten emfachen GerberTräger sind die Lager- und Gelenkkräfte zu bestimmen.
Gegeben:
F.
X
A
~I :.K.. W-- B
OA-c " ~,
2a __a__1,5a__ 2,5a
Das System wird VOn den Lagern gelöst und am Gelenk G zerschnitten. Es entstehen die beiden Teilsysteme lund II mit insgesamt 6 unbekannten Kräften. Der Richtungssinn der Kräfte kann beliebig angenommen werden, es ist aber unbedingt darauf zu achten, dass die beiden Komponenten der Gelenkkraft FGH wld FGV an den beiden Schnittufern des Gelenks (in den Teilsystemen I und Ir) in entgegengesetzte Richtungen angetragen werden müssen (Schnittprinzip!).
65
6.1 Statisch bestimmte Systeme
An jedem Teilsystem können 3 Gleichgewichtsbedingungen formuJiert werden, so dass 6 Gleichungen für die Berechnung der 6 Unbekannten zur Verfügung stehen. Gewählt werden jeweils das Kraft-Gleichgewicht in horizontaler Richtung und zwei MomentenGleichgewichtsbedingungcn, so dass am System I (mit 3 Unbekannten) dje Lagerkraft FA und die bei den Gelenkkraftkomponenten sofort zu bestimmen sind. Am Teilsystem " (mit zunächst 5 Unbekanntcn) sind dann die beidcn Gelcnkkräfte bereits bckannt, und die restlichen Lagerreakt-ionen sind leicht zu ermitteln:
I:
--->
FCH =0
=?
FCII = 0
A)
F . 2a - Fcv ' 3a = 0
=?
2 Fcv =]F
C)
FA ·3a-F·a=0
=?
FA =-F
11:
+ Fm =
0
=?
C)
Fy '2, 5a - Fcv ,4a = 0
=?
BC
Fcv' I ,5a+ Fcv' 2,5a = 0
=?
~
FCII
I 3
FCH =0
16 Fy=-F 15 2 Fcv = --F 5
Das Minuszeichen im Ergebnjs für Fcv deutet an, dass djese Kraft (im Gegensatz zur willkü.rliehen Annahme) nach unten gerichtet ist.
I
Beispiel 3: I_"";'_....1 Als statisches Modell für die Berechnung von Achslasten und der Belastung der Kupplung dient für den in der Abbildung 6.8 skizzierten Pkw mit einachsigem Anhänger der GerberTräger. Das System ist statisch bestimmt, wenn die auf die Hinterräder wirkende Handbremse angezogen ist. wodurch eines der d.rei Lager zum Festlager wird Abbildung 6.8: Gerber-Träger als statisches Modell für die (auf die Achslasten, die nur durch vel1i- Berechnung von Achslasten und Bela.stung der Anhängerkai gerichtete Kräfte verursacht werden. Kupplung hat dies ohnehin keinen Einfluss).
~~(~ I 4
k
Die Betrachtung beschränkt sich in diesem Kapitel natürlich auf das ebene Problem. womit Achslasten (und nicht die Kräfte an einem Rad) berechnct werden können.
6 Ebene Systeme stalTer Körper
66
I
Beispiel 4: I_ _ _ _.... Währcnd ein zweiachsIges Fahrzeug statisch bestimmt gelagert ist, ist fur die drei Achsen eines Gespanns (Beispiel 3) ein Gelenk erforderlich, um Fahrbahnuncbenheiten auszugleichen. Für den Lkw mit einem zweiachsigcn Anhängcr (A bbildung 6.9) wird die statische Bestimmtheit erst durch Abbildung 6.9: Vier Achsen e.fordern zwei Gelenke. um zwei Gelenke hergestellt. Bodenunebenhcircn auszugleichen.
I
Beispiel 5: I_ _ _ _.... Schienen fahrwerke von Kranen und Förderanlagen werden häufig mit sehr vielen Rädern (manchmal mehr als 100 pro Schiene) ausgestattet, um die großen Lasten möglichst gleichmäßig zu verteilen. Das in Abbildung 6.10 skizzierte statische Modell eines solchen Fahrwerks mit 8 Rädern verdeutlicht, wie die Last F jeweils über eine Traverse (gleichmäßig) auf zwei darunter liegende Traversen verteilt wird. Für die Bestimmung der 12 Gelenkkraftkomponenten (6 Gelenke GI bis G6) und 8 Lagerreaktionen (8 ungebremste Räder -> 8 Loslager) stehen an 7 TeiJsystemen I bis VII insgesamt 7·3 = 21 Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung (eine mehr als erforderliCh I • weil das Modell in horizontaler Richtung beweglich ist).
F
Abbildung 6.10: Die Last F wird über insgesaml 7 Traversen so verteilt, dass jedes Rad eine Krarl F /8 aur die Schiene überträgt.
Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass wegen der Symmetrie der Konstruk1ion die Kraft F gleichmäßig auf die Räder Ueweils verteilt wird. Solche Fahrwerke werden deshalb gern mit einer Radanzalll ausgestaltet, die eine Zweierpotenz ist, weil die Traversen dann die Kräfte über jeweils gleiche Abmessungen links und rechts in gleicher Größe übertragen.
f)
Dass das Ziel, gleichen Lastanteil für jedes Rad zu erzielen, auch clTeicht werden kann, wenn die Radanzahl keine Zweierpotenz ist, wird an einem Beispiel aus der Praxis im Internet gezeigt (www.TM-aktuell.de). 1Wenn formal die Anzahl verfügbarer Gleichgewichlsbedingungcn größer ist als die Anzahl der Unbekannten. änden sich an der statischen BC3limmtheii des Systems dann nichts. wenn die gleiche Anzahl von GleichgewichLSbcdingun-
gen von vornherein erfUlIl ist (hier ist es da'\ HorizonlJlkraft-Glcichgcwicht am GesaJUlsystcm). Dieser FaJl wird mn Beispiel 8 noch einmal ausfLihrlieh erläulert.
67
6.1 Statisch bestimmte Systeme
Beispiel 6:
I
F
I_"';'_....1 Das m der AbbIldung 6.11 skIzzIerte MoF dell des Zuggeschirrs für einen von zwei Pferden gezogenen Wagen demonstriert die mittels Gelenksystem erzwungene F gleichmäßige Belastung (ähnlich dem Prinzip des KranfahrF werks im Beispiel 5): Beide Pferde müssen exakt die gleiche Zugkraft aufbringen und jedes Pferd wird ,.symmetriseh" belastet. Abbildung 6.11: ZuggeschilT eines .,Zweispänners·· in der Draursichl
I
Beispiel 7: I_ _ _ _...I Wellen, dJe mehr als zweIfach gelagert werden müssen, sollten durch Gelenke geometrische Ausgleichsmöglichkeiten (von Montageungenauigkeiten, Verschleiß....) gegeben werden, dreifach gelagerten Wellen z. B. durch eine elastische Kupplung. vierfach gelagerten Wellen durch Zwischenschaltung einer Kardanwelle. Dies ist aus konstruktiven Gründen nicht immer möglich. Die Kurbelwelle eines SechszylinderKolbenmotors z. B. muss mehrfach gelagert werden, und ausgleichende Gelenke können nicht vorgesehen werden. In diesen Fällen sind die Anforderungen an die Fertigungsgenauigkeit extrem hoch.
I
Beispiel 8: I_ _ _ _...I Die Abbildung 6.12 zeIgt eme handelsübliche Gripzange. Die spezielle Konstruktion dieser Zange ermöglicht das Zusammenhalten von Montageteilen, ohne ständig äußere Kräfte aufbringen zu müssen. Diese Eigenschaft spielt aber für die hier anzustellenden Betrachtungen keine Rolle. Die Zange ist durch die beiden Kräfte F belastet. Man bestimme für die in der Darstellung angegebenen Abmessungen die Kraft Fw, die auf das Werkstück aufgebracht wird. Gegeben:
20
40
130
o
I
'f
,
F 100
40
50
Abbildung 6.t2: Handelsübliche Gripzange
F.
Bei der Untersuchung der statischen Bestimmtheit der Zange stellt man fest, dass für die vier Teile der Zange (siehe Schnittskizze in Abbildung 6.13) insgesamt zwölf Gleichgewichtsbeziehungen aufgeschrieben werden können. denen nur neun Unbekannte (8 Gelenkkraftkomponemen an vier Gelenken und die gesuchte Kraft Fw) gegenüberstehen. Das liegt daran, dass die Zange selbst nicht gelagert ist (also in der Ebene noch drei Freiheitsgrade hat). In der AufgabensteIlung ist dies bereits berücksichtigt, da die beiden Kräfte, die die Zange belasten, ein Gleichgewichtssystem bilden: Die drei Gleichgewichtsbeziehungen am Gesamtsystem sind bereits erfüllt.
68
6 Ebene Systeme starrer Körper Wenn man die Aufgabe abändert, indem man eine der beiden Kräfte durch eine Einspannung (mit drei unbekannten Lagerreaktionen) ersetzt, wäre das Defizit an Unbekannten beseitigt (siehe Abbildungen 6.17 und 6.18 auf der Seite 79). Als Ergebnis dieser Aufgabe würde man als vertikalc Lagerreaktion wieder F erhalten, während die beidcn übrigen Lagerreaktionen (Horizontalkomponente und Einspannmoment) gleich Null wären. Mit einigem Geschick lässt eS sich vermeiden, dass bei der Berechnung der Zange sämtliche neun Unbekannten in die Rechnung eingehen. Es kommt darauf an. einen Satz von Gleichgewichtsbedingungen zu finden, so dass die Anzahl der Gleichungen mit der Anzahl der Unbekannten übereinstimmt. Vier Gleichungen mit vier Unbekannten sind nach dem bisher behandelten Berechnungsverfahren möglich, im nächsten Abschnitt wird gezeigt, dass sogar zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten genügen.
Mit dem Momcntengleichgewieht um das Gelenk 3 des Teilsystems 1 130FIV - 150F - 40Fw = 0 , dem Kräftegleiehgewieht in vertikaler Riehtung am Teilsystem 11 F2V -FIV = 0,
dem Momentengleichgewicht um das Gelenk I am Teilsystem 11 40Ful - 80F2V
=0
und dem Momentengleichgewicht um das Gelenk 4 des Teilsystems 111 140F + 5F2H - 40F2V = 0
stehen 4 Gleiehungen mit 4 unbe- Abbildung 6.13: An allen Gelenken der Gripzange werden Schnitkannten Kräften zur Verfügung.
te gelegt, so dass vier Teilsystcme entstehen.
Die nicht gefragten Kräfte FIV , F2V und F2H werden eliminiert, indem sie aus den letzten drei Gleichungen (in Abhängigkeit von F) berechnet und in die erste Gleichung eingesetzt werden. Man erhält für die auf das Werkstück ausgeübte Kraft Fw = 11,4F.
Dieses Beispiel mag schwierig erscheinen. Deshalb wird es noch mehmlals aufgegtiffen, um einerseits mit dem vOlteilhaften Ausnutzen der Eigenschaften eines speziellen Teils der Zange die Rechnung erheblich zu vereinfachen, andererseits eine Strategie vorzustellen, um für Aufgaben dieser Alt eine möglichst sichere Lösung mit dem Computer zu erreichen.
69
6.1 Statisch bestimmte Systeme
I
Beispiel 9: I_"";_ _...1 Das skizZierte zusammengesetzte System Ist durch die Gewichtskraft Fe der an einem Seil hängenden Masse belastet. Man ermittle die Lagerreaktionen bei A und B und die Gelenkkraftkomponenten am Gelenk G. Gegeben:
0,
Fe .
Um bei dieser Aufgabe die Teilsysteme freizuschneiden, muss auch das Seil geschnitten werden. Da eine Rolle eine Kraft nur umlenkt, wird als Seilkraft auch im horizontalen Teil des Seils die Gewichtskraft Fe angesetzt. Man könnte natürlich auch die Rolle selbst noch freischneiden (Schneiden im Lagerzapfen, einem ..Gelenk"). Das Momentengleicbgewicbt llm den RolJenmittelpllllkt würde dann auch die Sei I kraft Fs = Fe ergeben.
F~
cl N
B
a
2a
Bei ungeschickter Auswahl der sechs Glcichgewichtsbeziehungen an den Teilsystemen I und 11 kann das Auflösen der Gleichungcn aufwcndig wcrdcn. Deshalb gilt folgende Empfehlung für Systeme mit zwei Festlagern und einem Gelenk (so genannten Dreigelenksystemen): Man schreibt zunächst die MomentenGleichgewichtSbedingungen um die Lager A und B (an den beiden Teilsystemen) auf und erhält ein Gleichungssystcm mit nur zwci Unbekannten. aus dem die Gelenkkraftkomponenten berechnet werden können. Hier errechnet man aus
I: B) 11: A)
Fe '00- Fe ·30+Fev ·20- FeH ·20 =
0,
Fe'o -FeH ·50- Fev ·30 = 0
die Gelenkkraftkomponenten II FeH = 16 Fe
13 _
Fev =
--fe 16
und aus den Kraft-Gleichgewichtsbedingungen die Lagerreaktionen
13
FAv = --Fe 16
5
"-1311 =
T6 Fe
FBv
29
=-Fe 16
a
70
6 Ebene Systeme starrer Körper
6.2 Stäbe und Seile als Verbindungselemente Definition: Ein Slab ist in einem System starrer Körper mit genau zwei Gelenken mit den anderen Teilen des Systems verbunden. Nur über diese Gelenke werden Kräfte in den Stab eingeleitet.
I Beispiel 1:
IFur das zusammengesetzte
System, das zwei Stäbe als Verbindungselemente enthält, sind die Lagerreaktionen in den Lagern A und B zu ermitteln. Gegeben:
I
I
I
,
I
I
I
I
qo
C3
C,
A
I
Stab I
C.
B
"
Cl
a, qo .
a
a
a
a/2
Für die Berechnung der 12 unbekannten Lager- und Gelenkkräfte (4 Lagerreaktionen der beiden Festlager, 8 Gelenkkraftkomponenten in den 4 Gelenken) stehen bei 4 Teilsystemen insgesamt 12 Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung: Das System ist statisch bestimmt. Die Rechnung vereinfacht sich wesentlich, wenn man berücksichtigt, dass zwei Teile des Systems die Kriterien erfüllen, die sie nach der eingangs gegebenen Definition als Stab ausweisen. Dies soll am Beispiel des Stabes I (Abbildung 6.14) erläutert werden. Nach Herausschneiden aus dem Gesamtsystem und Antragen der Gelenkkräfte erkennt man, dass das vertikale KraftGleichgewicht Fcty = Fmy
liefert. Die Momenten-Gleichgewichtsbedingungen um die Gelenkpunkte fUhren auf: FCl.li =
0
Fm,H =0
Abbildung6.14: Stab I
Entsprechende Ergebnisse würde man auch für den Stab 2 erhalten, wenn man die Gelenkkraftkomponenten in Stablängsrichtung bzw. senkrecht dazu anträgt. Allgemein gilt: Ein Stab kann nur eine Kraft in Richtung der Verbindungslinie seiner beiden Gelenke übertragen (diese Aussage gilt auch für das Seil. siehe Bemerkung auf Seite 72). Man nutzt diese Erkenntnis, indem man den Stab nicht als Teilsystem, sondern als Verbindungselement behandelt: Der Stab wird geschnitten, und die Stabkraft wird (in Stablängsrichtung) als Schnittkraft angetragen (anstelle von vier Gelenkkraftkomponenten). Es ist üblich, Slabkräfte SielS als Zugkräjre (Pfeilspitze weist vom Sehnittufer weg) anzutragen (siehe Seh.nittskizze in der Abbildung 6.15). Das Gleichungssystem rür dieses Beispiel lässt sich auch bei geschickter Wah.l der Momentenbezugspunkte nicht so aufschreiben, dass an einem Teilsystem eine Unbekannte direkt berechnet werden kann, weil an jedem Teilsystem vier Kräfte unbekannt sind.
6.2 Stäbe und Seile als Verbindungselemente Um ein Gleichungssystem mit sechs Unbekannten zu vermeiden, sollte man zunächst das MomentenGleichgewicht um den Punkt A (am System I) und das MomentenGleichgewicht UI11 den Punkt B (am System 11) aufschreiben. Aus diesen bei den Gleichungen errechnet man die Stabkräfte
71
1,5 a
I
!3 Q oa
FAll FAV
-
I
1,875qoa; Fi3v =O,750qoa.
-1:
I
/FS2
FSI
/'
Tl
FS2
Ilc===Gy'4~==/===="r;v F.SI
(das Minuszeichen weist den Stab 2 als Druckslab aus). Danach erhält man aus den 4 KraftGleichgewichtsbedingungen die Lagerreaktionen:
FBII =
GJ
==;;===='==7~
FS I = I, 125qoa; FS2 = -2,652qoa
FAH = -I ,875qoa; FAV = 2.250qoa;
1
EH
Abbildung 6.15: Schnittskiue: Nicht die Gelenke werden geschniUen. sondern die Stäbe
I
Beispiel 2: I'-....;_ _.. Das Problem der bereits 1111 vongen AbsehJ1ltt behandelten Gnpzange 1st unler Ausnutzung der Tatsache zu lösen. dass ein Element der Zange ein Stab ist. Man untersuche außerdem den Einftuss der einzelnen Abmessungen auf das Ergebnis. Gegeben:
F. b, c, d, c, f. g, h.
F~
1
Abbildung 6.16: Gripzange mit allgemeinen Abmessungen und die zugehörige Schniuskizze unter Ausnutzung der ,.Stab-Eigenschaft" des VerbindungssWbes zwischen dem oberen und dem
unteren Gliff
Betrachtet werden nur der obere und der untere Zangenhebel. Beide sind durch einen Stab verbunden und über je ein Gelenk mit dem vierten Teilsystem. An den be.iden Verbindungsgelenken 3 und 4 treten je zwei unbekannte Gelenkkräfte auf, die dann nicht in die Rechnung gelangen,
6 Ebene Systeme stalTer Körper
72
wenn Momentengleichgewicht um diese Punkte gebildet wird. Das Momentengleichgewicht um den Punkt 4 am Teilsystem 11
F(b+c+d) + Fsdsin a - Fshcosa
= 0
liefert die Stabkraft
Fs=-
b+c+d F d sin Cl - hcos Cl '
die in das Momentengleichgewicht um den Punkt 3 am Teilsystem 1
F(b+c+d +e) +Fssin a(c+d +e) + FwJ = 0 eingesetzt wird, und man erhält
Fw = ~ [(b+C+d)(c+d+e) _ (b+c+d+e)]
.r
d - hCOla
Mit cota = ~ (aus der Geometrie der Zange ablesbar) kann die auf das Werkstück ausgeübte Kraft durch die gegebenen Größen (Kraft F und die Abmessungen) ausgedrückt werden:
F [(b+C+d)(C+d+e) ( )] Fw = -J c - b+c+d+e . d-hg
Mit den im Beispiel 8 des Abschnitts 6.1 gegebenen Abmessungen der Zange erhält man wieder das dort bereits angegebene Ergebnis Fw = II ,4F. Das jetzt gefundene allgemeine Ergebnis gestattet folgende Überlegungen: Der Nenner des Bruchs in der Klammer kann beliebig klein und damit Fw beliebig groß gemacht werden. Wenn die Anschlussgelenke des Verbindungsstabes und das Gelenk 4 auf einer Geraden liegen. gilt ~ = und der Nenner des Bruchs wird Null (dann bewegt sich das Zangenmaul allerdings nicht mehr). Fw wird umso größer, je näher das Gelenk 4 an dieser Geraden liegt.
1.,
Interessant ist, dass die Abmessung b keinen nennenswerten Einfluss auf das Ergebnis hat und sogar negativ werden könnte, so dass es weitgehend egal ist, wo die Kräfte Fangreifen (wie die Zange gegriffen wird). Praktisch realisiert man die Regulierung der Kraft Fw durch eine Stellschraube, die das linke oberc Gelenk horizontal verschiebt, wodurch sich der Quotient ~ ändert. Die in diesem Abschnitt für den Stab angestellten Überlegungen gelten sinngemäß auch für Seile unter Beachtung folgender Besonderheit: Ein Seil als Verbindungselemenl in einem System starrer Körper wird genauso wie ein Stab behandelt. Da Seile jedoch nur auf Zug belastet werden können, dUrfen die Seilkräfte nicht negativ werden (Fs :::: 0). Eine negative Seilkraft ist ein sicheres Indiz für einen Fehler (in der Konstruktion oder in der Rechnung).
73
6.3 Lineare Gleichungssysteme
6.3 Lineare Gleichungssysteme Bei der Berechnung von Systemen starrer Körper kann die Anzahl der aufzuschreibenden Gleichgewichtsbedingungen sehr groß werden. Durch geschickte Wahl der Momenten-Bezugspunkte und stratcgisch günstiges Vorgehen kann man das Gleichungssystem oft so entkoppeln, dass auch bei komplizierten Systemen die Handrechnung zum Ziel führt. Wenn die Rechnung zu aufwendig (und damit natürlich auch fehleranfälliger) wird, sollte man die Hilfe des Computers in Ansprucb nehmen. Dann sind für das Aufschreiben der Gleichgewichtsbedingungen andere Strategien empfehlenswert, die nachfolgend behandelt werden. Die Gleichgewichtsbedingungen sind linear in den unbekannten Größen (Lagerreaktionen, Gelenkkräfte, Stabkräfte, ...). Sie stellen aus mathematischer Sicht also ein lineare.' GleicllIlIlgssystem. dar. Hier soll nur demonstriert werden, wie man die Gleichgewichtsbedingungen für die Computerrechnung vorbereitet. Für alle Informationen. die der Ingenieur zum Thema ,.Lineare Glei· chullgssysleme" benötigt, wird auf die in der Box unten beschriebene Internet-Site verwiesen. Ordnung schaffen - Matrix-Formulierung Ein lineares Gleichungssystem wird in geordneter Form so allfgeschrieben. dass auf der linken Seite die Unbekannten und auf dcr rechten Seite die bekannten Werte stehen, z. B.: 1 lugstob
c-=o
Druckstob
c-=o
Nullstob
luruck zur Engobe
Abbildung 6.26: Auch bei Nutzung komfonabler Soflw Die Berechnung räumlicher Probleme durch Betrachten in unlerschiedlichen Ebenen (der Versuch, den "anschaulichen Weg" zu gehen) ist häuhg unübersichtlich. schlecht formalisierbar und damit auch fehleranfallig. Formaler und damit weniger fehleranfällig ist das Rechnen mit Vektoren, zumindest die formale Ermittlung der Richtungskosinusse ist empfehlenswert. Zwei Griinde können jedoch fur eine Abweichung von dieser Empfehlung sprechen: o
Fiir den (konservativen) Konstrukteur, der mit seiner technischen Zeichnung ohnehin "zweidimensional in verschiedenen Ebenen denkt", kann auch die Berechnung auf diese Art einfacher sein.
o
Quasiebene Probleme (wie das folgende Beispiel 2) sind in jedem Falle Kandidaten ftir eine Betrachtung in mehreren Ebenen.
I
Beispiel 2: I_ _ _.... Em nächenhafter Körper (Blech) mit einer Symmetrieachse soll an den Punkten A, Bund C an gleich langen Seilen mit Hilfeeines Krans transportiert werden. Die Seile werden jeweils an den Punkten A, Bund C und am Kranhaken befestigt. Gegeben:
Fe I CI, C2
Xs
B A
OOS ...
(Gewicht des Blechs), (Länge eines Seils), (Blechabmessungen), (Lage des Schwerpunkts),
c
Man ermittle die Seilkräfte FSA , FS B und Fsc , die sich beim Anheben des Blechs einstellen. Beim Anheben des Blechs stellt sich die Gleichgewichtslage so ei11, dass der Schwerpunkt S des Blechs senkrecht unter dem Aufhängepunkt liegt. Man beachte den Unterschied zu allen bisher behandelten Aufgaben: Die Geometrie des Gleichgewichtszustandes ist nicht direkt vorgegeben, ihre Ermittlung macht sogar einen nicht unerheblichen Aufwand bei der Lösung der Aufgabe aus. Wegen der Symmetrie sind die Seilkräfte FSA und FS B gleich, alle iibrigen Kräfte liegen in der Ebene ECD. Es empfiehlt sich also, zunächst die Ebene ABD zu betrachten, um die Komponenten zu berechnen, die FSA und FSB in der Ebene ECD haben, um anschließend ein rein ebenes Problem in dieser Ebene behandeln zu können.
, oS
8.1 Zentrales Kraftsystem
113
Die Abbildung 8.4 zeigt die Abmessungen in der Ebene ABO. Wenn die Symmetrie nicht vorab erkannt wird, liefert die KraftGleichgewichtsbedingung in Richtung J - J die Gleichheit der beiden Seilkräfte
If
I
Man beachte, dass die bei gegebener Belastung (Fragestellung a des Beispiels 2) berechnete Haftkraft aus einer Gleichgcwichtsbetrachtung ermittelt wurde. Das COULoMBsche Haftungsgesetz wurde nur fiir die Grenzzustände (Fragestellungen bund c) herangezogen. oe:> Der tatsächliche Richtungssinn der Haftkraft (wie bisher der RichtungssiLln von Lagerreak-
tionen) ist selbst bei einer so einfachen Aufgabe nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Wie bei den Lagerreaktionen wird eine "falsche" Annahme durch das Vorzeichen des Ergebnisses korrigiert (Fragestellung a). oe:> Die Absolutstriche fLirdie Haftkraft im COULoMBschen Haftungsgesetz 9.1 zwingen immer
dann, wenn ein Verlassen der Ruhelage in unterschiedlichen Richtungen möglich ist, zur Untersuchung der Grenzzustände für jedcn RichlUngssinn, dcn die Haftkraft haben kann (im Beispiel 2 durch beide möglichen Vorzeichen von FIJ realisiert).
':> Obwohl die an dem Körper angreifenden Kräfte ein allgemeines ebenes Kraftsystem darstellen, wurden nur zwei Gleichgewichtsbedingungen formuliert, weil nur zwei Unbekannte zu berechnen warcn. Die dritte Unbekannte ist die Lage der Wirkungslinie der Normalkraft, die aus einer Momenten-Gleichgewichtsbedingung berechnet werden könnte, aber im Allgemeinen nicht interessiert (Normallcraft und Haftkraft sind ja ohnehin selbst Resultierende von Flächenkräften, die über die Haftfläche verteilt sind).
I
Beispiel 3: I_....;_ _.... EII1 SeIl hält ell1e Walze auf ell1er sehLefen Ebene. Man ermittle
R r
a) die Kräfte zwischen der Walze und der schiefen Ebene
und die Kraft im Seil, b) den minimalen Haftungskoeffizienten, der ein Rutschen der Walze vemleidel. Gegeben:
Ci
m; R=I,5r; a=lSO.
An der freigeschnittenen Walze liefert das Kräfte-Gleichgewicht in Richtung der Normalkraft:
FN=mgcosa=0,966mg
R
Aus dcm Momenten-Gleichgewicht um den Punkt A errechnet man:
FH =
r
.
--lIlgSIl1 Ci
R-r
= 0.518mg
Das Momenten-Gleichgewicht um den Punkt 8 liefert die Seilkraft:
Fs
=
....!!.... mg sin a = R-r
0, 776 mg
Der erforderliche Haftungskoeffizient, der gerade noch ein Rutschen verh inderl2 , ergibt sich aus Walze rolll doch ohnehin einfach abwärts." Sie rul es niclu, wie sollie sie auch, es sei denn, sie rutscht. Rollen bedeutel ja Drehung um den AuftagepunkL und gerade dies wird durch das Seil verhindert. Wer es trotzdem nicht einsieht. sollte in tiefes Nachdenken verfallen. ein Modell bauen. einfach den Gleichgcwiclllsbedingungcn glauben oder sich lIösten: Rollen wird in der Kinelik noch ausftihrlich behandelt werden.
2 In den Vorleswlgen der Autoren provozie.rtc diese Aufgabe immer den Zwischenruf: ..Aber die
137
9.2 Seilhaftung
dem Grenzfall FII = J4JFN durch Einsetzen der ermittelten Beziehungen für FH und FN: r
Po ",in = - - tana = 0.536
.
R-r
Ein letztes Mal soll auf den Unterschied aufmerksam gemachi werden: Wenn vorausgesetzt wird, dass kein Rutschen eintritt, werden die Kräfte ausschließlich aus Gleichgewichtsbedingungen ermittelt. Für die Fragestellung (I ist es unwichtig, ob das Rutschen durch Haftung oder formschllissig (z. B.: Zahnrad auf Zahnstange) verhindert wird. Das COuLoMBsehe Haftungsgesetz ist nur für den Grenzfall (Fragestellung b) zuständig.
9.2 Seilhaftung An einer frei drehbar gelagerten Umlenkrolle, "ber die ein Seil geführt ist (Abbildung 9.4. linkes Bild), kann sich das statische Gleichgewicht nur einstellen, wenn die Sei Ikräfte in den beiden Seilabschnitten I und 2 gleich sind. Wird die Umlenkrolle jedoch arretiert (Abhildung 9.4, rechtes Bild), so kann das Momenten-Gleichgewicht auch bei unterschiedlichen Seilkräften erflillt sein, da auch die Arretierung eine tangential gerichtete Kraft FB auf die Rolle aufbringen kann.
T
(FG2 - Fc!)r = 0
=>
FCI
= FG2
(FC2 - Fc! - F8)r = 0
=>
Fc ! 01 FG2
Abbildung 9.4: Die Momellten-GJeichgewicht.,;bedingungen um die Drehpunkte A erzwingen bei der frei drehbaren Rolle gleiche Scilkräftc. bei der arret.ienen Rolle sind untcrschiedJiche Seilkriifte möglich.
Damit bei unterschiedlichen Seilkräften das Seil nicht über die arretierte Rolle rutscht, müssen zwischen Seil und Rolle Haftkräfte übertragen werden. Der Ermittlung dieser Haftkräfte dient die nachfolgende Betrachtung (nebenstehende Skizze): Über einen feststehenden Zylinder wird ein Seil geführt. Die Seilkraft Fs! sei bekannt. Bei einem gegebenen Umschlingungswinkel a und einem konstanten Haftungskoeftizienten J4J zwischen Seil und Zylinder soll die maximale Kraft FSl ennittelt werden, bei der das Seil nicht über den Zylinder rutscht.
9 Haftung
138
Innerhalb des Umschlingungsbereichs ändert die Seilkraft Fs ihre Richtung und Größe. Es wird deshalb an einer beliebigen Stelle (gekennzeichnel durch die Koordinate cp) ein sehr kleines Element (Öffnungswinkel !'>cp) herausgeschnitJen (nebenstehende Skizze). Die an der Stelle cp vorhandene Seilkraft Fs(cp) ändert sich vom linken Rand zum rechten Rand des Elements um den ebenfalls sehr kleinen Belrag !'>Fs. Die beiden Seilkräfte müssen mit den Kräften, die vom Zylinder auf das Seil (Normalkraft und Haftkraft) übertragen werden, im Gleichgewicht sein. Auch diese Kräfte ändern sich mit dem Winkel cp, und an das herausgeschnitJene Seilelement werden nU.r die auf dieses Stück wirkenden Anteile !'>FN und !'>FII angetragen. In Richtung dieser beiden Kräfte werden nun die Kraft-Gleichgewichtsbeziehungen formuliert: . !'>cp !'>FN - 2Fs sm 2
-
!'>Fs
. !'>cp S1I1
2
= 0
,
!'>cp !'>FII - !'>Fs cos 2 = 0
Da die maximal übertragbare Haftkraft wirken soll, darf in der zweiten Gleichung !'>FII durch !'>Fu = 110 !'>FN
"t
ersetzt werden. Anschließend werden die erste Gleichung durch durch M's dividiert. Dann liefert der Grenzübergang!'>cp --. 0, !,>""s
dFN --. -
!'>cp cos- --. I
2
dFs
und die zweite Gleichung
--. 0, !,>""N --. 0 und damit .~
S111 2
~
--.1
T
die beiden Gleichungen dFN -=""s dcp
dFN
1
dFs
110
aus denen die Normalkraft eliminiert werden kann: dFN dFN dFs I dFs Fs=-=--=-dcp d,..,s dcp 110 dcp
Nach Trennung der Veränderlichen ""s und cp wird auf beiden Seiten über den gesamten Bereich der Seilumschlingung integriert. Die Integrale in der entstehenden Gleichung a
FSl
J d~s J =
FSI
Ilo d cp
q>~o
sind GrundintegraJe. Nach einigen elementaren Umformungen erhält man: FS2 = Fs 1e J1oa
9.2 Seilhaftung
139
Die so errechnele Kraft r""s2 ist die MaxiInalkraft, die aufgebracht werden darf, um statisches Gleichgewicht zu garantieren. Sie ist (im Allgemeinen deutlich) größer als Fsl . Natürlich ist auch bei einer kleineren Kraft FS2 Gleichgewicht möglich. Wenn FS2 kleiner wird als FSI, ändern sich die Richtungen der Haftkräfte zwischen Seil und Zylinder, und man ermittelt auf entsprechendem Wege die Minimalkraft, für die statisches Gleichgewicht noch möglich ist. Bei konstantem Haftreibungskoeffizienten /lQ kann ein Seil, das mit dem Umschlingungswinkel a um einen Zylinder gelegt ist, nur im statischen Gleichgewicht sein. wenn rur die Scilkräfte folgende Ungleichung erfüllt ist: (9.3)
I
Beispiel J: I____.... E1I1 Ledernemen WIrd l1-mal um eIne runde Haltestange aus Holz geschlungen. Das frei herabhängende Ende ist nur durch die Gewichtskraft seiner Masse /1/1 belastet. Am anderen Ende des Riemens greift horizontal die Kraft F an, so dass der gesamte Umschlingungswinkel a = 27W + ~ beträgt. Gegeben:
F = 4kN;
/1/1
= 200g; /lQ = 0,5.
Wie viel UmscWingungen n sind erforderlich, um mit der geringen Gewichtskraft des frei herabhängenden Teils der Kraft F das Gleichgewicht zu halten?
Abbildung 9.5: Western-Film: Das parkende Pferd vor dem Saloon versucht. sich mil F zu
befreien. der zechende Cowboy vertrauL auf 1111 g lind die Seilhaftung.
Zwischen den beiden Kräften Fund "'Ig besteht bei größtmöglicher Haftungswirkung der Zusammenhang
Umstellen dieser Beziehung nach a (Division durch Inlg und Logarithmieren) liefert den erforderLichen Umschlingnngswinkel und damit das gesuchte 11: I a=-In
Po
(F) =15,24 II1lg
a I n = - - - = 2 18 2n 4 '
Da n ganzzahlig sein muss, würde man n = 3 (und damit a = 6, Sn) wählen. Damü kann dann sogar einer Kraft F = 53 kN das Gleichgewicht gehalten werden. Q Durch das sehr starke Ansteigen der Exponentialfunktion mit größer werdendem Argument
werden die schon bei wenigen Umsehlingungen mit geringer Gegenkraft zu haltenden Kräfte außerordentlich groß (F = 53 kN im behandelten Beispiel ist mehr als das 27000-fache der Gegenkraft Inl g = 200 g' 9. 81m/s 2 = 1,962 N). Es ist also auch kein Kunststück, wenn ein Matrose einen Ozeanriesen am Tau festhält, wenn er dieses mehrmals um einen Poller geschlungen hat.
140
9 Haflung
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 DIe Bremsscheibe einer Bandbremse wird durch das Drehmoment Mo belastet (Haftungskoeffizient zwischen Bremsscheibe und Band ist iJO). Durch die Kraft F soll die Scheibe im Ruhezustand gehalten werden.
2a
a A I
B ./
Gegeben:
Mo = 300 Nm ; a = 20cm; /10 = 0,4.
a) Man ermittle die erforderliche Kraft F = FI fur
d
I d
"
den eingezeichneten Drehsinn des Momentes und b) die erforderliche Kraft F = F2 fLir den entgegengesetzten Drehsinn.
F
Am freigeschnittenen Bremshebel liefert das Momelllen-Gleiehgewieht um den Punkt A die Bandkraft Fs = I,SF. Zwischen den beiden Bandkräften an der Scheibe besteht bei der eingetragenen Richtung des Mome11les im Grenzfall (maximal mögliche Haftung voll ausgenutzt) der
I d
Zusammenhang Fs = Fsel'oa d
Der eingezeichnete Winkel ß tritt auch am Punkt B (zwischen dem Band und der Horizontalen) auf und kann aus den Abmessungen ermittelt werden, so dass der Umschlingungswinkel a errechnet werden kann:
a I sinß=-=2a
F
7n
ß=!!.
2
a=n+ß=-
6
6
1m Momenten-Gleichgewicht an der Scheibe um den Punkt C Fsa+Mo -Fsa =
0
werden mit den bereits angegebenen Beziehungen alle Kräfte durch F ersetzt, und man erhält: F=F1 =
2MO 7
3a el'o.H - I
=300N
Für diesen Drehsinn ist die Bremse besonders geeignel. Bei entgegengesetztem Drehsinn geht Mo in das Momenten-Gleichgewicht mit anderem Vorleichen ein, und für die Bandkräfte gilt:
Es ist die wesentlich größere Kraft F = F2 = 1300N erforderlich.
9.3 Aufgaben
t41
9.3 Aufgaben
IAllfgabe 9./: IFür dIe skIzzIerte Bremse Ist dIe Kraft F zu
~
~,;;,;;,
F
berechnen, die dem an der Scheibe angreifenden Moment Mo das Gleichgewicht hält a) für die kizzierte Drehrichrung von Mo. b) bei entgegengesetzter Drehrichtung von Mo . c) Man untersuche. ob Selbsthemmung möglich ist (ob bei bestimmten Parameterkombinationen das System auch bei F = 0 im Gleichgewicht sein kann).
Gegeben:
"
a. b. c. R. Mo, /J{).
a
IAllfgabe 9.2: IDer skIZZIerte RIegel kann sIch auf der vertI~,;;,;;,
a
kalen Stange bewegen, da der Durchmesser der Hiilse geringfügig größer ist als der Durchmesser der Stange. Der Riegel ist nur durch seine im Schwerpunkt S angreifende Gewichtskraft belastet. Gegeben:
b
a, h, d.
So
Wie groß muss /J{) mindestcns sein. damit infolge der Selbsthemmung ein Abwärtsgleiten des Riegels vermieden wird? Hinweis: An der oberen und an der unteren Kante der Hülse liegt der Riegel an der Stange an. Dort treten ormalkräfte auf, die gegen eine Abwärtsbewegung Haftkräfte erzeugen. Die (nicht vorgegebene) Gewichtskraft des Riegels darf rur die Rechnung in beliebiger Größe angenommen werden. lm Ergebnis wird sie nicht erscheinen.
b-
-d -
I
I
Allfgabe 9.3:
I
I
~ I
Das skIZZIerte System ISt nur durch die Kraft F belastet.
Gegeben:
a. b. c, I.
a.
F.
Wie groß muss der Haftungskoeffiziem zwischen dem Gleitstein A und der Unterlage mindestens sein. damit das System in Ruhe bleibt? a
c
I
9 HafLung
142
I
Aufgabe 9.4: I Ein Seil wird über zwei feststehende Zylinder mit unterschiedlicher Rauigkeit geflihrt. Es soll so belastet werden, dass es nicht über die Zylinder rutscht. Wie groß muss die Kraft F2 mindestens sein (F2.",;,,) und wie groß darf sie maximal sein (I'i.",ax), um ein Rutschen des Seils über die
Zylinder zu vermeiden? Gegeben:
F I = IOON ; IloL = 0,4
1lo2 = 0,3
Weitere Aufgaben findet man im Internet unter www.TM-aktuell.de.
Lieber Leser, bei der Behandlung des Stoffs des Kapitels 9 haben die Auloren in ihren VorIcsungen immer wieder einige Irritationen bei den Studentcn bemerkt, die offensichtlich dadurch verursacht wurden, dass das Thema "Haftung und Reibung'" auch im Physikunterricht in der Schule bereits (und möglicherweise ganz anders) behandelt wurde. Deshalb hicr noch folgende Bemerkungen: Auf der Seite 133 erschien zum ersten Mal eine schiefe Ebene, die in der Vorlesung regelmäßig den Zwischenruf auslöste: "In der Physik war da immer noch eine Hangabrriebskrafr. Wo ist denn die geblieben?" Die ist natürlich nicht verschwunden, es ist die in Hangrichtung wirkende Komponellle der Gewichtskraft der Masse, und wenn man die Gewichtskraft angetragen hat, dann darf man keine zusätzliche Hangabtriebskraft beriicksichtigen, und weil man die Gewichtskraft sowieso berücksichtigen muss. gilt der Vorschlag: Vergessen Sie einfach den Begriff "Hangabtriebskraft".
In diesem Buch wurde bisher nur die Haftung behandelt, die Reibung (zwischen zwei Körpern, bei denen mindestens einer sich bewegt) kommt erst viel später (wenn sich die Körper tatsächlich bewegen). Warum das ganz anders als im PhysikuLlterrieht gehandhabt wird (dort wird sogar oft gleich die "Roilreibung" mit behandelt, das ist aUerdings wieder ganz was anderes), wurde in der Fußnote auf Seite 134 erkläL1. Wenn Sic dic überlesen habcn. sollten Sie noch einmal zllrückblättern. Manchmal stehen in Fußnoten ganz besonders wichtige Informationen.
10 Elastische Lager 10.1 Lineare Federn Elastische Lager oder elastische Verbindungselemente geben im Gegensatz zu den bisher behandelten starren Elementen der Belastung nach. Im einfachsten Fall, der hier zunächst nur betrachtet werden soll, überträgt eine solche Feder eine Kraft nur in Richtung einer Wirkungslinie, die durch die bei den Federendpunkte verläuft. Man beachte die Analogie mit dcm im Abschnitt 6.2 definierten Stab. Deshalb wird auch das Federsymbol (Abbildung 10.1) durch zwei Gelenke begrenzt.
1// Abbildung 10.1: Das Federsymbol deutet an. dass eine Kraft nur entJang der Wir-
kungsUnie durch die beiden Federendpunk-
le übertragen werden kann.
Im Gegensatz zum starren Stab können sich jedoch die Endpunkte einer Feder relativ zueinander verschieben (seiH häufig ist der skizziel1e Fall, bei dem ein Endpunkt unversehiebbar ist). Diese Verschiebung erfolgt entlang der Wirkungslinie der übertragenen Kraft.
c:> Das rür die Feder verwendete Symbol ist der Schraubenfeder nachgebildet, die im Allgemeinen auch Querbelastungen übertragen kann. Deshalb ist die Modellvorstellung "Schraubenfeder" nicht besonders gut. Man sollte das Symbol besser als "elastischen Stab" interpretieren (selbst dann, wenn die technische Realisierung tatsächlich eine Schraubenfeder ist). Für Federn, die durch eine Zugkraft belastet sind, ist die ModellvorsteUung "Gummiband" besonders zutreffend. Da die Frage, wie die Feder die Kraft von einem Federendpunkt zum anderen überträgt, für die nachfolgenden Betrachtungen völlig unerheblich ist, sollte man sich schon deshalb niehtmil der Modell vorstellung "Schraubenfeder" belasten, weil für diese die Kraftübertragung relativ kompliziert ist. Der Zusammenhang zwischen der von der Feder übertragenen Federkraft Fe und der relativen Verschiebung der beiden Federendpunkte zueinander (Federweg f) heißt Federgesetz und kann mit der Federzahl c in der Form (10. I)
aufgeschrieben werden. Die Federzahl c hat die Dimension "KraftlLänge" und kann experimentell (Aufbringen definierter Lasten und Messen des Federweges) oder rechnerisch (mit den Mitteln der Festigkeitslehre) bestimmt werden. Analog dazu wird der Widerstand gegen eine Verdrehung dllfch eine so genannte Dreh/edel' (auch: Torsion>Jeder) symbolisiert. Das Federgesetz dafür verknüpft den Verdrehwinkel ({! mit
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_10, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
10 Elastische Lager
144
dem von der Drehfeder aufgenommenen Moment Me über die Drehfederzahl "Kraft· Länge"):
CT
(Dimension:
( 10.2) Auch für die Drehfedcr ist die praktische Realisierung durch cinen Stab eine sinnvolle Vorstellung: Ein senkrecht zur Zeichenebene befestigter elastischer TorsiollssTab (vgl. hierzu Kapitel 21), der an seinem anderen Ende starr eingespannt ist, entspricht auch den in der technischen Praxis gebräuchlichen Torsionsfedern.
Abbildung 10.2: Drehfeder
Im Allgemeinen sind die Federzahlen vom Federweg abhängig (eine Feder wird bei Änderung des Federweges .,weicher" oder "steifer"). Der Cll der technischen Praxis mit Abstalld wichtigste Sonderfall ist jedoch die so genannte
Lilleare Feder: Wenn in den Federgesetzen die Federzahl C bzw. die DrehfederzahJ Cr konstant (unabhängig vom Federweg) sind, spricht man von linearen Federn bzw. linearen Drehfedern mit der FederkollsTanTen c bzw. der Drehfederkonstanten CT. Fiir lineare Federn gilt: Die Federkraft ist prop0l1ionai zum Federweg. Analog dazu gilt für lineare Drehfedern : Das Federmoment ist proportional zum Verdrehwinkel. Bei linearen Federn kann man dic Federkraft mit beliebigcm Richtllngssinn antragen, wenn man den Federweg mit dem gleichen Richtungssinn als positiv betrachtet (Abbildung JO.3). Häufig ist ein starrer Körper mit mehreren Federn gelagert. Unter der Voraussetzung eines linearen Federgesetzes können mehrere Federn, deren Federkräfte gleich groß (Reihenschaltung) oder deren Fcdcrwege gleich sind (Parallelschaltung), zu einer ErsaTifeder zusammengefasst werden. Dieser Ersatzfeder wird eine Federkonstante Cm so zugeordnet, dass sich der gleiche Federwcg wic bei dCll von ihr crsctzten Fcdcrn crgibt. Die Abbildung 10.4 (auf der folgenden Seite) zeigl die beiden möglichen Anordnungen rur zwei Federn. Bei einer Reihenschaltung siJld die Federkräfte in beiden Federn gleich (Schninprinzip: Bei Schnill durch eine beliebige Feder muss deren Federkraft mit der äußeren Kraft F im Gleichgewicht sein).
Abbildung 10.3: Das Federgesetz 10.1 setzt voraus. dass die angreifende Kraft und der Fe-
derweg in gleicher Richtung positiv angenommen werden.
Die beiden Federwege addieren sich zum Federweg der Ersatzfeder, deren Federkraft auch Fist:
F
F
F
CI
C2
Cers
/m=/I+12=-+-=liefert die ErsaTifederzahlfür die Reihenschaltung zweier linearer Federn: I
I
I
Cers
CI
C2
-=-+-
(10.3)
10.2 Gleichgewicht bei steifen Federn
145
Abbildung 10.4: Reihenschaltung (links) und Parallelschaltung (recbts) zweier Federn
Bei der Parallelschaltung sind die Federwege gleich (und natürlich gleich dem der Ersatzfeder), die Federkräfte müssen mit der äußeren Belastung im Gleichgewicht sein:
F= FCI +FC2 =cd+c2f=cm ! liefel1 die Ersat;ifederzahlJür die ParallelschalTung zweier linearer Federn: Cer.f
= CI + C2
(10.4)
Ohne weitere Begründung kann man wohl die folgenden Fonnein akzeptieren. Für Reihen- bzw. Parallelschaltung von n Federn gilt:
Reihenschaltung:
I
11
I
-~Lcers
11
Parallelschaltung:
i=J Ci
Cm
=
L
Ci
( 10.5)
;=1
10.2 Gleichgewicht bei steifen Federn Wenn die Belastung eines auf Federn gelagerten Systems starrer Körper nur sehr kleine Federwege hervofluft, so dass sich die geomettischen Verhältnisse durch die Verschiebungen nicht nennenswert ändern, dann dürfen die Gleichgewichtsbedingungen ohne Berücksichtigung dieser Änderungen aufgeschrieben werden. Der Begriff "Steife Federn" ist also relativ wr Belastung zu definieren: Federn gellen dann als steif, wenn die starren Körper sich unter der einwirkenden Belastung nur so gelingfUgig verschieben, dass die Gleichgewichtsbedingungen am unverfonnten Syslern fornutliert werden dürfen. Für statisch bestimmt gelagerte Systeme starrer Körper ändert sich also für die Berechnung der Lagen·eaktionen und der Federkräfte nichts gegenüber dem bisher praktizierten Verfahren (Freischneiden, Gleichgewichtsbedingungen), wenn diese Voraussetzung erfüllt ist.
10 Elastische Lager
146
I
Beispiel J: I_"";_ _...1 Der bel A durch ein Festlager und am anderen Ende durch eine Feder gestützte Träger trägt die konstante Linienlast qo. In der Schnittskizze sind neben der Resultierenden der Linienlast die beiden Lagerkraftkomponenten bei A und die Federkraft eingezeichnet. Aus dem MomentenGleichgewicht um den Punkt A errechnet man (wie eine Lagerreaktion) die Federkraft I
Fe = ZqOl Für die Längenänderung der Feder gilt
f=
Fe = qol c 2c wobei bei gegebenen Größen überprüft werden muss, ob dieser Wert wirklich klein im Vergleich mit den übrigen Abmessungen (hier: Länge I) ist.
l
2
f
Man erkennt, dass das Verhältnis durch das Verhältnis "BelastunglFederzahl" bestimmt wird (siehe oben: Der Begriff steif ist relativ zur Belastung zu verstehen). Bei statisch bestimmten FederabstülZungen mit steifen Federn können die Federkräfte wie Lagerkräfte bei starren Lagern ermittelt werden. Es ist bei Systemen starrer Körper, die (wenigstens teilweise) auf Federn gelagert sind, auch möglich, die Lagerreaktionen und die Federkräfte zu berechnen, wenn die Lagerung insgesamt statisch ullbestimmt ist. Da die Gleichgewichtsbedingungen dafür bekanntlich nicht ausreichen, müsscn zusätzlich Verformungsbetrachtungen angestellt werden. Dabei werden bei steifeIl Federn die Gleichgcwichtsbedingungennach wie vor am unvcrformten System formuliert. Diese für die weitaus meisten praktischen Probleme gerechtfertigte Vereinfachung ist die
Theorie 1. Ordnung: Die Gleichgewichtsbedingungen werden am unverformten System formuliert. Bei den am verformten System anzustellenden Verformungsbetrachtungen dürfen die wegen der Kleinheit dcr Verfonnungen gerechtfertigten geometrischen Vereinfachungen genutzt wcrden. Es wird sich zeigen, dass die Theorie I. Ordnung im Regelfall völlig ausreichend ist. Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, die ein Abweichen von t1ieser Theorie erforderlich machen können: Wenn (z. B. bei Systcmen mit weiehcn Federn) die Verformungen in die Größenordnung der Abmessungen des Systems kommen, ist eine genauere Rechnung geboten (Abschnitt 10.3). andererseits gibt es Phänomene, die auch bei kleinen Verfonmlngen mit der Theorie J. Ordnung nicht zu erfassen sind (Abschnitt 10.4).
10.2 Gleichgewicht bei steifen Federn
147
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 Der sklzzterte Träger Ist durch ein Festlager und zwei Federn gestützt und durch eine konstante Linienlast belastet. Man ermittle die Kräfte in den beiden Federn. Die drei Gleichgewichtsbedingungen sind für die Berechnung der vier Unbekannten (zwei Lagerkraftkomponenten bei A und zwei Federkräfte) nicht ausreichend. Da die bei den Lagerkraftkomponenten nicht gefragt sind, wird auf das Aufschreiben der KraftGleichgewichtsbedingungen verzichtet, lind es wird nur das Momenten-Gleichgewicht um den Punkt A formuliert (Einsparen von zwei Gleichungen bei gleichzeitigem Heraushalten von zwei - nicht gefragten - Unbekannten aus der Rechnung): A)
qü lZ T-FCtlt-Fczl=O
Diese eine Gleichung enthält aber inuner noch eine überzählige Unbekannte, für die cntsprechend nebenstehender Skizze die Verformungsbedingung formuliert wird. Da der Träger starr ist, verhalten sich die Federwege I1 und h wie die Abstände der Federn vom Punkt A (Strahlensatz):
~q
F..H
-Zl t.
Fel 1
2
A
0
1
I
Fc,l
LI
,~
,I,
-L5:.:- - - - - 7 " - - I
h
..
J
fl = I 1I Dabei wurde die Kleinheit der Verschiebungen genutzt, denn eigentlich bewegen sich die beiden Angriffspunkte der Federn auf Kreisbögen, was in diesem Fall ohnehin zur gleichen Velformungsbedingung geführt hätte. Nach dem Federgesetz I1 = FCI
h
CI
= Fez Cz
werden in der Verformungsbedingung die Federwege It und 12 durch die Federkräfte ersetzt: Fez _ FCI =0 Icz lici
ist neben der Momenten-Gleiehgewiehtsbedingung um den Punkt A die zweite Gleichung zur Berechnung der beiden Federkräfte. Die Auflösung dieser beiden Gleichungen liefert: FCI =
qülZ
ItcI
Z 2 fZC2+ltcI
qülZ fcz Fez = - , 2 IZcz + Iiel
Die Lösung des (statisch bestimmten) Beispiels I ist in diesem Ergebnis als Sonderfall (mit CI = 0, C2 = c) enthalten.
10 Elastische Lager
148
oe:> Der in den Abschnitten 5.3 und 6. J ausführlich diskutierte Nachteil statisch unbestimmter
Lagerung, bei Fe'1igungsungenauigkeiten und Verschleiß zu völlig verändertem Tragverhalten führen zu können, kann durch Lagerung auf Federn beseitigt werden, wenn eine solche Lagerung der Funktion dcs Bauteils gcrccht wird. L-:> Es iSI sicher einsehbar, dass auch eine größere Anzahl von Federn nicht zu prinzipiellen
Schwierigkeiten bei der Berechnung der Federkräfte führt: Für jede zusätzliche Feder kann eine weitere VerformungsbediJJgung formuliert werden. Allgemein gilt als Strategie für die
Lösullg statisch ullbestimmter Probleme: Zusätzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen werden VerfornlltlJgsbedingungen formuliel1, deren Anzahl der Anzahl der überzähligen Unbekannten entspricht.
10.3 Gleichgewicht bei weichen Federn Bei Lagerung eines Systems starrer Körper mit weichen Federn dürfen die GleichgewichtSbedingungen nicht mehr am unverformten System formuliert werden, weil die Gleichgewichtslage sich von der Lage des unbelasteten Systems erheblich unterscheiden kann. Ohne Verformungsbetrachrungen können solche Aufgaben (auch bei statisch bestimmter Lagerung) nicht gelöst werden, denn es kommt zu den unbekannten Lagerreaktionen und Federkräften noch die unbekannte Geometrie der Gleichgewichtslage hinzu. Im einfachsten Fall kann die (unbekannte) Gleichgewichtslage durch einc einzige geometrische Größe beschrieben werden, so dass bei statisch bestimmter Lagerung vier Unbekannte zu ermitteln sind. Bei statisch unbestimmten Problemen gilt, was im vorigcn Abschnitt bereits gesagt wurde: Für jede zusätzliche Feder kann eine weitere geometrische Beziehung formuliert werden. Typisch für Probleme mit großen VeIformuJlgen ist, dass die mathematische Formulierung auf nichtlineare Gleichungen fuhrt, deren Lösung dem Computer übertragen werden sollt.e.
I
Beispiel: I_....;_ _ Em starrer Stab (Masse m, Länge I, Gewichtskraft greift im Mittelpunkt des Stabes an) ist bei A drehbar gelagert. Er wird in eine Feder (Federkonstante c) eingehängt, deren Länge 10 (unbelastet) sich dadurch erheblich vergrößert. Gegeben:
In,
I: c,
-
I
o
A
A
ß
Gleichgewichtslage bei einer ,"eichen Feder
'0.
Man ermittle die sich einstellende Gleichgewichtslage, die wie skizziel1 durch den Winkel beschlieben werden kann.
ß
10.3 Gleichgewicht bei weichen Federn
149
Das System ist statisch bestimmt gelagert. Trotzdem taucht neben den beiden Lagerkraflkomponenten und der Federkraft als vielte Unbekannte der Winkel ß auf. Um die Erläuterung (und auch das Aufschreiben der Beziehungen) zu vereinfachen, sind in der nebenstehenden Schnittskizze zusätzlich die Längen a und b und der Winkel 0 eingetragen, die aber durch die gegebenen Größen und die Unbekanme ß ausgedrückt werden können. Für a und b entnimmt man der Skizze die folgenden Beziehungen und kann damit auch die Gesamtlänge der gedehnten Feder I' aufschreiben:
a = leosß
b=lsinß
a
~H
A
~I
ß? mg
1* = J(l-a)2 + (l0+b)2
Für den Winkel 0 lassen sieb die beiden benötigten Winkelfunktionen angeben:
I-a sinO = - 1*
COSO =
lo+b 1*
Der Federweg ist die Differenz aus der Länge der gedehmen Feder I' und ihrer Länge im unbelasteten Zustand 10, so dass die Federkraft als Fe = c(l' -/ol
aufgeschrieben werden kann. Man beachte, dass als einzige Unbekannte ß in diesem Formelsatz vorkommt und bei bekanntem die Federkraft berechnet werden könnte. Die Lagerkraftkomponenten bei A sind nicht gefragt und werden aus der Rechnung durch Verzicht auf die beiden Kraft-Gleiehgewiehtsbedingungen herausgehalten. Als BestirnJJJungsgleiehung für ß wird das Momenten-Gleicbgewicht um den Punkt A formuliert (Fe in zwei Komponenten zerlegen):
ß auch
A)
mgi-FeaeosO-Febsino=O
Das Einsetzen der bereits angegebenen Beziehungen in die Gleichung, damit diese nur noch ß als unbekannte Größe enthält. ist nicht erforderlich, da ihre Lösung ohnehin dem Computer übertragen wird. dem dann der Formelsatz (in der aufgeschriebenen Reihenfolge) eingegeben wird. Sinnvoll ist es dagegen, die Anzahl der vorzugebenden Parameter auf ein Minimum zu begrenzen. Wenn man die geometrischen Beziehungen durch die Länge I und die Federkraft durch mg dividiert (und die MomentenGleichgewichtsbeziehung durch beide Größen), erhält man den nebenstehenden Formelsatz.
a / = cosß
= FSf/y' = FSf/sinh
(-.!L FSf/
X
+ C1 )
(11.2)
und daraus die resultierende Seilkraft an einer beliebigen Stelle bereehnet werden:
(l1.3) Die maximale Seilkraft tritt dort auf, wo der Anstieg der Seilkurve am größten ist (am höheren Lagerpunkt). Bei einem Seil mit sehr ~achem Durehhang (drille Parameterkombination) kann der Horizontalzug (und damit natürlieh aueh die resultierende Seilkraft) größer als das Gesamtgewieht des Seils werden. Die Abbildung .11.7 zeigt links die Seilkurven y(x) und rechts die Verläufe der normierten Seilkräfte Fs Fs=qL
die sich nur um die Konstante C2 unterscheiden:
y=
y - = FS+C2 L
Man erkennt, dass die Seilkraft in dem Seil mit sehr ~achem Durchhang deutlieh größer als in den bei den anderen Seilen ist.
+-~-_
~
..
1
j
,
I
i
i
_.-->---~~_.--=y = -
FS II
Durch zweimaliges Integrieren gewinnt man daraus die
Seillinie oder Kettenlinie bei konstanter Linien/ast: ( 11.4)
0::> Die Funktion der Seillinie ist für den Lastfall "Konstante Linienlast" eine quadratische Para-
bcl. Sic enthält drci Unbekannte, dic beiden Integrationskonstanten und dcn Horizontalzug. 0::> Die Unbekannten errechnen sich aus den Randbedingungen (Lage der Seilaufhängepunkte)
und z. B. aus der Bedingung. dass die vorgegebene Länge des dehnstarren Seils der Bogenlänge der Funktion y(x) zwischen den Authängepunkten entsprechen mnss.
164
11 Seilsimik, Kettenlinien, Stützlinien
Wenn das Koordinatensystem in den Aufhängepunkt A des Seils gelegt wird und der Aufhängepunkt 8 dann die Koordinaten X8 und Y8 hat, lauten die Randbedingungen: y(X = 0) = 0
=;.
C2 = 0
Y(X=XB) =YB Die Bedingungsgleichung File die Länge der Seillinie fuhrt auf das Integral: );0
L= JdS= J
x=o
~dx=
XB
J
x=o
Die Auswertung ergibt:
FSH qu L= -2 [( -_-XB+CI ) qo FSH
-~~:
(CI
VI
qo . qo 1+ ( -XB+CI ) 2 +arslnh ( -XB+CI )] FSH FSH
+CT+arsinhCI)
Wenn die aus den Randbedingungen errechnete Beziehung für Cl eingesetzt wird, ergibt sich eine (nichtlineare) Gleichung für den Horizontalzug FSI/:
SH L = F (A + arsinM - B arsinhB) 2qo mit A = YB + qoxB 8 = YB _ qoxB XB 2Fs H X8 2Fs H
JJ+B2 -
VJ+A2
Diese Gleichung wird numerisch gelöst, danach kann die noch fehlende lntegrationskonstante Cl berechnet werden. Damit ist die Seillinie bekannt. Die Kräfte im Seil berechnen sich nach:
Fs =
VF;I1 + Flv = FSH
I+
(~: x +CI
r
(I 1.5)
Die Schwierigkeit bei der Lösung von Aufgaben besteht im Allgemeinen im Berechnen des Horizontalzuges Fs I1 . Bei bekanntem FS I1 sind dann die Integrationskonstanten und damit die Seillinie und die Sei.lkräfte sofort aufzuschreiben. Die Berechnung von FS I1 bei vorgegebener SeilJänge L (wie oben angegeben) ist sicher die aufwendigste (allerdings wohl praktisch wichtigste) Variante. Da die angegebene Beziehung für die Seillänge, aus der FSH bestimmt wird, ohnehin numerisch gelöst wird, ist ihr etwas kompliziertes Aussehen bedeutungslos. Das nachfolgende Beispiel zeigt, dass eine andere Zusatzbedingung auf eine einfachere Bestimmungsgleichung für den Horizolltalzug fUhrt.
165
11.2 Das Seil unter konstanter Linienlast
Beispiel J:
Iy
I
I_ _ _ _...I Flir ell1 Seil mit flachem Durchhang, dessen Lager auf gleicher Höhe liegen, ist die Abhängigkeit der maximalen Seilkraft vom Durchhang Im"x zu ermitteln. Gegeben:
qo
1
/max,
1I nl ,
..&.. A
XB·
Aus der Seillinie 1104 erminelt man mit den beiden Randbedingungen
Y(X = 0) = 0
und
y(x = XB) = 0
die Integrationskonstanten
C2 =0 und damit die Seillinie
Der maximale Durchhang trin in der Mitte des Seiles auf. Aus dieser Bedingung ergibt sich der Horizontalzug im Seil:
y ('iJJ.) 2
qox~ 8!mllr
_ r --jmax
FSH= - -
Die maximale Seilkraft tritt an den Lagern auf, weil dort der Anstieg der Seilkurve am größten ist. Aus 11.5 folgt mit x = 0:
• Die maximale Seilkrafl kann bei flachem Durchhang ein Vielfaches des Seilgewichtes betragen. Wird das Seilgewicht durch FG.5eU = qoxB angenähert, errechnet man aus
Fs. max
I
Fe, Seil
8
Xu
Fs,max
/max
qOXB
100 50 20 10
12.5 6,27 2,55 1,35
--
zum Beispiel die Ergebnisse entsprechend nebenstehender Tabelle.
• Bei bekanntem Horizontalzug kann man auch die Seillänge aufschreiben, die natürlich bei dieser Aufgabe schon durch die Geometrie (der quadratischen Parabel) gegeben ist: I L= -
2
.2 A/J+
~
Im
.. h (4- o. Bis zu einer Spannung ap (ProporliolZalilälsgrenze) verläuft die Kurve linear, und es gilt
a=Ee
12.3 Der Zugversuch
171
mit dem Proportionalitätsfaktor E, der den Anstieg der Geraden repräsentiert. Dieser Faktor wird Elastizitätsmodul genannt, für Stahl hat er z. B. den Wert ESlähl = 2, I . 105 N/mm 2 . c:> Dic Elastizitätsgrenze OE: (schr nahe bei op) kennzeichnet den Punkt, bis zu dem bei nachfolgender Entlastung keine bleibenden Verformungen des Stabes gemessen werden.
c:> Für d.ie Beurteilung der Tragfahigkeit einer Konstruktion ist die Streckgrenze Re (früher: bzw. FIi~ßgrenze OF) besonders wichtig. Beim Erreichen dieser Spannung beginnt eine Verschiebung der Kristallgitter im Material, so dass unter Umständen selbst bei abfallcndcr Spannung eine weitere Debnung verzeichnet wird. Os
Für zahlreiche Materialien (z. B. hoch feste Stähle) zeigt sich diese Grenze im SpannungsDchnungs-Diagramm nicht so dcutlich. Da mit dcr Streckgrcnze (unter Berücksichtigung von Sicherheitsfaktoren) die zulässigen Spannungen festgelegt werden, wird dann ersatzweise die so genannte RpO.2-Grenze bestimmt. Dies ist die Spannung, bei der die Probe nach Entlastung eine bleibende (plastische) Dehnung von 0,2% (E: = 0,(02) behält.
c:> Nach dem Fließen setzt die so genannte Kalrve/festigung ein, die eine weitere Steigerung der Belastung ermöglicht, bis sich bei der Spannung Rm eine Einschnürung des Querschnitts der Probe zeigt, die zum Bruch fül1l1 (R m - Bruchspannung, früher: OB). Für die sehr häufig verwendeten Baustähle wurde früher die Bruchspannung zur Kennzeichnung verwendet: Der Stahl St37 hat eine Bruchspannung von Rm = 370N/mm 2 (bei einer Streckgrenze Re = 240 N/mm 2 ), für St52 gilt Rm = 520 N/mm 2 für die Bruchspannung und Re = 320N/mm 2 für die Streckgrenze. In den neueren Euronorm-Bezeichnungen (z. B.: S235JR bzw. S355JO) steckt die Information über die Rpo,2-Grenze.
I
Beispiel J: I_"";_ _...1 Ein Traggestell mit n Personen (durchschl1ltthche Masse pro Person: 75 kg, Masse des Traggestells ebenfalls 75 kg) soll an einem Draht aLLS S355JO (St52) aLLfgehängt werden. Bei weichem Drahtdurchmesser würde in dem Draht gerade die Bruchspannung hervorgerufen werden?
Die Spannung im Draht ergibt sich aus dem Quotientcn des Gesamtgewichts und der Querschnittsfläche des Drahtes. Diese Spannung soll gerade die Bruchspannung erreichen: Rm
=
(n+ I) ·75kg·9,81 m nd2
;2
4
Mit Rm = 520N/mm 2 kann daraus der Drahtdurchmesser berechnet wcrden: _
J(n+I).75.9,8IN 20 mm n·5 N Für n = 40 z. B. ergibt sich ein Durchmesser VOn d = 8.59 mm. Der erstaunlich kleine Wert bestätigt die alte Konstrukteursformel: "Man glaubt ja nicht, was Eisen aushält". d- 2
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 W,e lang darf em an emem Punkt aufgehängter Draht aus Stahl (S235JR, frühere Bezeichnung: St37) mit konstantem Querschnitt und einer Dichte p = 7,85 g/cm 3 maximal sein, um nicht schon durch sein Eigengewicht zu reißen (Berechnung der so genannten Reißlänge).
12 Grundlagen der Festigkeilslehre
172
Die größte innere Kraft tritt am Aufhängepunkt auf (Gesamtgewicht des Drahtes), und bei konstantem Drahtquerschnitt findet man dort auch die maximale Spannung:
Durch Umstellen der Gleichung erhält man die Reißlänge:
R",
IReiß
= -
pg
=
370N cm 3 s2 2 = 4,805km 7,85·9.8Imm gm
12.4 Hookesches Gesetz, Querkontraktion Die Beziehung
er =Ee
( 12.3)
wird nach dem englischen Physiker ROBERT HOOKE (1635 - 1703) Hookesches Gesetz genannt. Mit jeder Dchnung eines Stabes in Längsrichtung ist eine Ändcrung dcr Querschnittsabmessungen verbunden. Beim Zugversuch kann sie als Verjüngung des Durchmessers gemessen werden, und man definiert als Querdehllullg
e" =
!'J.d
(12.4)
-
da
Da mit einer Verlängerung des Stabes (!'J./ > 0) eine Verringerung des Durchmessers (M < 0) verbunden ist (und umgekehrt), wird das Verhältnis":': negativ. Nach dem französischen Physiker StMEON DENIS POISSON(1781-1840)wirdderQuoticnt
e
v =_3.
e
(12.5)
als Querkol1/rakliollszahL bezeichnet, ihr reziproker Wert m = ~ wird Poissvl1sche ZaIzL genannt. Für Stahl ergibt sich (wie fur dic meisten Metalle) der Wert v = 0,3. Für alle Materialien liegt v zwischen 0 (keine Querdehnung) und 0,5 (inkompressibles Material). In der Nähe dieser theoretischen Grenzen liegen unter anderem die Werte für Beton (v "" 0) bzw. Gummi (v "" 0,5). Analog zum Hookeschen Gesetz. das die Normalspanmlllg mit der Dehnung verknüpft, gibt es eine Beziehung für Schubspannung und Gleitung: 1:
= Gy
(12.6)
mit dem so genannten Glei/moduL G, der sich aus dem Elastizitätsmodul E und der Querkontraktionszahl v nach der Formel
G=
E
2 (I
+ v)
(12.7)
berechnen lässt. Für Stahl (mit E = 2, I . 105 N/mm 2 und v = 0,3) erhält man GStahl =
0,808· 105 N/mm 2
(12.8)
13 Festigkeitsnachweis Dimensionierung auf Festigkeit bedeutet, die Beanspruchung Beines Bauteils mit der WidersTandsfähigkeit W des Bauteils gegen ein Versagen zu vergleichen (wobei diese drei Begriffe von Fall Zu Fall genau definiert werden müssen). Logischerweise muss gelten:
B< W. Dabei sind zahlreiche Einflüsse zu berücksichtigen. Nachfolgend werden in diesem Kapitel einige davon behandelt, und es wird ein kurzer Einblick in das Thema Festigkeitsnachweis gegeben, der nur ein ganz kleiner Ausschnitt dieses umfangreichen und wichtigen Spezialgebietes sein kann (vgl. www.TM-aktuell.de). Um den Festigkeitsnachweis führcn zu können, müssen die geomctrischen Abmessungen des Bauteils, seine zu ertragende Belastung (diese beiden Informationen beeinflussen im Wesentlichen die Beanspruchung B), die Werkstoffeigenschaften (kennzeichnen die Widerstandsfahigkeit W) und gegebenenfalls vorgeschriebene Sicherheitsbeiwerte bekannt sein. Der Konstrukteur steht allerdings vor der inversen Problematik: Er muss die Geometrie und den Werkstoff so festlegen, dass der Festigkeitsnachweis erfolgreich zu erbringen ist, andererseits soll die Konstruktion weder überdimensioniert noch durch Verwendung spezieller Werkstoffe zu teuer sein. Der Festigkeitsnaehweis ist aber in vielen Fällen nicht durch eine Formel zu führen, die sich ,.nach den gesuchten Größen umstellen lässt". Wenn die in einem Bauteil auftretende Spannung die wesentliche Größe ist, die das Versagen hervorruft, dann folgt das übliche Vorgehen des Konstrukteurs folgender Strategie: Er schätzt möglichst alle Einflüsse, die beim anschließenden Festigkeitsnachweis zu berücksichtigen sind, so ab, dass er mit einer zulässigen Spannung (J,,,t (auf der Basis der von den Werkstoffversuchen vorliegenden Ergebnissen) einen Wert hat, mit dem er die Dimensionierung des Bauteils vornimmt. Er kann dabei alle in diesem Buch in den Kapiteln 14 bis 25 behandelten Verfahren zur Berechnung von Spannungen anwenden und mit (J,,,! vergleichen. Vielfach ist es sogar möglich, die Spannungsfomleln nach den geometrischen Größen umZllslellen, die für die Dimensionierung des Bauteils benötigt werden (vgl. die beiden kleinen besonders einfachen Beispiele im Abschnitt 12.3). In den Beispielen und Aufgaben der nachfolgenden Kapitel wird dieses pragmatische Vorgehen in der beschriebenen Form (mit dem Vorgeben einer zulässigen Spannung) praktiziert. Wichtig ist deshalb folgender Hinweis: Die pragmatische (und durchaus ZlI empfehlende) Vorgehensweise, Bauteile auf der Basis einer zulässigen Spannung zu dimensionieren, darf in der Regel kein Ersatz sein für den anschließenden Festigkeitsnachweis unter Berücksichtigung möglichst aller Einflüsse.
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_13, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
13 Festigkeitsnachweis
174
13.1 Belastungsarten Die mit dem Zugversuch gewonnenen Ergebnisse gelten nur für (zügig aufgebrachte und danach) ruhende Belastung, auch staTische Belastung genannt. Bewegle Maschincnbauteile sind jedoch dynamischer Belastung unterworfen. Folgende Skizzen verdeutlichen die wichtigsten BelaslUngsarten, wobei die Änderung der Spannung im Bauteil als Funktion der Zeit aufgetragen ist (Abbildungen 13.1 und 13.2):
Irr
-+-
t
t
Abbildung 13.1: Eine sLatische Belastung (linkes Bild) wird zügig aufgebracht und bleibt dann konstant. die schwingende Belastung ändert ihre Intensität ständig um einen Mittelwert.
t Abbildung 13.2: Eine stoBartige Belastung (linkes Bild) wird plötzlich aufgebracht und pendelt sich danach auf einen Endwert ein, die stochastische Belastung (rechtes Bild) ist völlig unregelmäßig.
Für die Behandlung der slOtischen Belaslllng sind die aus dem Zugversuch zu gewiooenden Erkenntnisse ausreichend. Man dimensioniert unter Beachtung eines Sicherheitsfaktors 5 je nach Materialverhalten bei Versagen infolge großer bleibender Formänderungen nach cincr aus der Streckgrenze Re (bzw. der Rp.o.2-Grenze) ermittelten zulässigen Spaooung
Re
(5,ul
= 5p
(13.1 )
bei Versagen durch Trennbruch (spröde Materialien) nach einer aus der Bruchspannung R", ermiuelten zulässigen Spannung:
RII1 (5zul
= 58
( 13.2)
Dicse Formeln gelten für eine gleichmäßige Spannungsverteilung im Querschnitt. Die anzusetzenden Sicherheitsbeiwerte hängen in hohem Maße von der Erfahrung, branchenüblichen Werten, Vorschriften flir spezielle Konstruktionen ltnd den zu erwartenden Folgen bei einem Versagen der Konstruktion ab. Auch die Kosten könncn von hohen Sicherheitsbeiwerten sowohl nega-
13.2 Dauerfestigkeit
175
tiv (höhere Materialkosten) als auch positiv (geringerer Prlif- und Wartungsaufwand) beeinftusst werden. Gebräuchliche WCl1e sind:
Sp = 1,2 ... 2
SB =2 ... 4
bzw.
(13.3)
Bei dynamischer Belastung tritt nach einer hohen Lastwechsclzahl ein Bruch vielfach schon bei Maximalspannungen auf, die weit unter der Streckgrenze (und noch weiter unter der Bruchspannung) liegen ("ZelTüttung" des Materials). Dieser Belastungsfall kann nicht mit den aus dem Zugversuch gewonnen Erkenntnissen behandelt werden, es werden die Resultate der im Folgenden beschriebenen Dauerfestigkeitsversuche benötigt. Hier werden zunächst nur die wichtigsten Begriffe dieser Belastungsart bei konstanten Amplituden erläutert: Die schwingende Belaslllng ist durch • die Oberspannung Cfo, • die Unterspannung au_
• die milliere Spannllng Cfm =
~ ( Cf" + Cf,,)
• und den Spannungsausschlag 1 Lastspiel
gekennzeichnet. Das Verhältnis von Unter- zu überspannung wird mit dem speziellen Parameter R = ~ ("Ratio") beschrieben.
Abbildung 13.3: Schwingende Belastung mit konstanten Amplituden
Die wichtigsten SpezialfäJle der schwingenden Belastung mit konstanten Amplituden sind die schwellende Belastung und die Wechselbelastllllg, für die gilt:
= 0,
•
Schwellende Belastung:
(J/I
•
Wechselbelaslung:
Gm =
0
(jm 1
(Ja
= =
1O'Q
oder
0'0
=0
l
(Jm
= 1- Cf"
1
-(Jo .
13.2 Dauerfestigkeit Für die Untersuchung des Verhaltens von Werkstoffen bei dynanüscher Beanspruchung werden Dallerfes I igkei I sveYSllche du rchgefüh rt. Bei einer bestimmten Mittelspannung Cf", werden die Proben ständigen Lastwechseln mit Spannungsausschlägen Cf" unterworfen. Die Anzahl der Lastwechsel wird gezählt und die so genannte Bruchlastwechselzahl registriert. Dies wird (bei gleichem Cf",) für viele verschiedene Cfa wiederholt. Wenn man den Spannungsausschlag Cf" in einem Diagramm über der Anzahl von Lastwechseln, die von der Probe bei diesem Spannungsausschlag bis zum Bruch ertragen wurden, aufträgt, ergibt sich die nach AUGUST WÖHLER (1819 - 1914) benannte Wöhlerkurve (Abbildung 13.4). Es ist üblich (und sinnvoll). die Abszisse, auf der die Lastwechselzahl N aufgetragen wü·d, logarithmisch zu teilen.
176
13 Festigkeitsnachweis
Die wichtigste Erkenntnis aus den Dauerfestigkeitsversuchen ist, dass die Proben, die eine gewisse Anzahl von Lastwechseln ohne Bruch überstanden haben (z. ß. für Stahl etwa 2.000.000 ... 10.000.000 Lastwechsel), auch bei Fortsetzung des Versuchs nicht versagen. Der größte Spannungsausschlag O"A, mit dem diese Crenzschwingspielzahl en'eicht wird, definiert mit der so genal1llten Dauerfestigkeit (beiO"m (beiO"m
(Jm
konstant
> 0) bzw. < 0)
N
BCf('ich der
Zeit festigkeit
den wichtigsten Wert, der aus dem Dauerfestigkeitsversuch gewonnen wird. Zm Ermittlung einer einzigen WöhJerkurve, die jeweils nur flir ein bestimmtes O"m gilt. sind zahlreiche Daue.festigkeitsversuche erforderlich. Die wichtigsten Parameter allcr WöhJerkurven eines Materials werden deshalb in so genannten Dauerfestigkeilsschaubildern zusammengefasst. Hier wird zunächst das früher vornehmlich verwendete Smith-Diagramm (Abbildung 13.5) bescllrieben, wcil cs die Schwingung sehr anschaulich dem Schaubild zuordnet:
(Ja
Dauerfestigkeit O"A
(N)
Abbildung 13.4: Wöhlerkurve
Kurven werden an Streck- bzw.
Quetschgrenze korrigierL
I
b""
,
I .; ,_ _L-_-'--,
/
../
/ /
Die Werte auf einer vertikalen
Linie entsprechen einer Wöhlcrkurve
Abbildung 13.5: Dauerfesligkeitsschaubild (Smith-Diagramm)
e:> Über
O"m werden die Ober- und Umerspannung, die von der Probe auf Dauer ertragen wurden, aufgetragen. Damit werden auch O"A und die Dauerfestigkeit O"D erkennbar.
e:> An der Streckgrenze (und für Druckspannungen an der Quetschgrenze) wird das Dauerfestigkeitsschaubild so korrigiert, dass diese Grenzen nicht überschritten werden (horizontale Linien an diesen Stellen). Da 0"0 und 0"" immer den gleichen Abstand von O"m habcn, sind von dieser Korrektur jeweils beide Zweige des Diagramms betroffen.
e:> Der auf der vertikalen Achse ablesbare Wert
O"w heißt Wechselfesligkeil (Dauerfestigkeit bei der Mittelspannung O"m = 0). Der Wert für die Dauerfestigkeit bei einer Ulllerspannung 0"" = 0 wird als Schwellfestigkeit O"Sch bezeichnet. Man beachte, dass die Schwellfestigkeit der Summe der beiden Spannungsausschläge, die Wechselfestigkeit nur dem einfachen Spannungsausschlag entspricht.
13.3 Gestaltfestigkeit Heute wird vielfach das etwas einfachere Dallerfestigkeitsschaubild nach Haigh bevorzugt, in dem nur die auf Dauer ertragbare Amplirude aA über der Mittelspannung am aufgetragen wird. In diesem recht einfachen Diagramm (es ist eigentlich nur dcr Teil eines um 45° gedrehtcn SmithDiagramms) sind die durch den Ursprung gehenden Geraden Linien gleichen Verhältnisses R zwischen Untcr- und Oberspannung:
177
., 11
:
Abbildung 13.6: Hajgh-Diagramm
Die Abszisse kennzeichnet den statischen Lastfall, der Punkt auf der Ordinate die Wechselfestigkeit, die jeweils unter 45° zu den Achsen liegenden Geraden schneiden die Haigh-Kurve bei der halben Schwellfestigkeit (Zug bzw. Druck). Der Versuchsaufwand zur Ermittlung der Dauerfestigkeitsschaubilder ist außerordentlich groß, zumal sich dic meisten Materialien bei Zug, Bicgung und Torsion (zum Tcil auch bei Druck anders als bei Zug, z. B. Grauguss) unterschiedlich verhalten, so dass für diese Belastungen gesonderte Versuche gefahren werden müssen. Die ermittelten Spannungen werden durch einen zusälzlichen Index gekennzeichnet, z. B. sind mit abIV und TrIV die Wechselfestigkeiten bei Biegeund Torsionsbeanspruchung gemeint. Die wichtigsten Ergebnisse der Versuche zur Ermittlung der Festigkeitseigenschaften von Werkstoffen (Wechsel festigkeit, SchwellfesLigkeit, Streckgrenze) findet man in Tabellen in einschlägigen Handbüchern. Es ist üblich, das reale Dauerfestigkeitsschaubild mit Wesen drei Werten anzunähern, indem die gekrümmten Kurven durch Geraden ersetzt werden.
13.3 Gestaltfestigkeit Die tatsächJich in einem Bauteil auftretende Spannung kann (durch recht unterschiedlicbe Einflüsse bedingt) höher sein als die errechnete. Die wichtigsten Einflüsse, die zu solchen Abweichungen führen, sind genauer untersucht worden, man kennt Versuchsergebnisse und Erfahrungswerte. die beJücksichtigt werden können (Bauteilgröße. Oberflächenbeschaffenheit. Eigenspannungen, Härtung, ... ). Die trotzdem stets verbleibenden Unsicherheiten müssen durch Sicherheitsfaktoren erfasst werden. Hier soll nur der wichtigste Einflussfaktor. die so genannte Kerbwirkung, kurz behandelt werden. Querschnittsänderungen in einem Bauteil führen zu Spannungsspitzen, die rechnerisch nur mit erheblichem Aufwand ermittelt werden können. Sie werden deshalb durch die Formzah/ell [Xk (für statische Belastung) und die Kerbwirklillgszahlen ßk (für dynamische Belastung) erfasst. Mit dcr Formzahl [Xk korrigiert man "eigentlich falsche Voraussetzungen" bei der Spannungsberechnung. Bei den in der Abbildung 13,7 zu sehenden Beispielen dürfte man nicht voraussetzen, dass sich in der Nähe der Kerben eine gleichmäßige Spannungsverteilung einstellt. Zur Vereinfachung der Berechnung tut man es doch, rechnet die so genannte NellllSpanllullg an mit einfachen
178
13 Festigkeitsnachweis
"-...-Y
)
(
-
d
...........,
Welle mit Kerbe
Gelochtes Blech
°max=CXka n
Nennspannungen unter
Tatsachliche Span-
der Annahme einer konstanten Spannungsverteilung
nungsverteilung mit der Spannungsspilze Gmax
Abgesetzte Welle
Abbildung 13.7: Nennspannung und Maximalspannung an Kerben
Formeln aus und korrigiert diese dann mit der Formzahl ab Für die Formzahlen gill stets
U111
die Spannungsspitze zu erfassen.
Es gibt Berechnungsverfahren, die die genaue Ermittlung der Spannungsverteilung gestatten (z. B. die Methode der finiten Elemente). Um nicht in jedem Einzelfall eine solche aufwendige Berechnung durchfUhren zu müssen, sind für zablreiche Kerbformen Diagramme entwickelt worden, aus denen man die ak- Werte entnehmen kann. Versuche haben ergeben. dass die Kerbwirkung bei dynamischer Beanspruchllllg nicht so groß ist wie bei statischer Belastung. Damit gilt für die als
13.4 Zeilfestigkeil
ßk =
179
(JA (JAk
=
Ertragbarer Spannungsausschlag der glatten Probe Ertragbarer Spannungsausschlag der gekerbten Probe
definierte Kerbwirkungszahl ßk:
Die Ermittlung der ßk-Werte ist schwierig und aufwendig. Wenn keine geeigneten Werte fur die Kerbwirkungszahl zur Verfügung stehen, was in der technischen Praxis eher die Regel als die Ausnahme ist, daDll liegt man mit der Annalulle
auf der sicheren Seite.
13.4 Zeitfestigkeit Bei den Überlegungen zur Dauerfestigkeit im Abschnitt 13.2 waren stets konstante Amplituden für die schwingende Belastung angenommen worden. Man darf die dort gewonnenen Ergebnisse natürlich auch verwenden, wenn man "konstante Amplitude" durch "maximale Amplitude" ersetzt. Doch spätestens dann, wenn die maximalen Amplituden nicht sehr häufig auftreten, führt die Dauerfestigkeitsrechnung oft zur Überdimensionierung. In diesem Fall und immer dann, wenn die Lebensdauer eines Bauteils (und damit die Anzahl der zu ertragenden Lastwechsel) abschätzbar ist oder gewollt begrenzt wird, jedoch auch, wenn Material- und Gewichtseinsparungen im Vordergrund stehen (Leichtbau), wird nach den Regeln der Zeitfestigkeit dimensioniert. Die Wöhlerkurve zeigt, dass höhere Spannungsausschläge durchaus fur eine begrenzte Zahl von Lastwechseln ertragbar sind. Die Überlegungen zur Zeitfestigkeit gehen nun davon aus, dass jeder Spannungsausschlag einen "gewissen Schadensbeitrag" liefert und sich die einzelnen Schadensbeiträge summieren, bis nach einer bestimmten Zeit das Versagen des Bauteils eintritt. Die von dem Bauteil zu ertragenden Belastungen werden dafür in so genannten Spannul1gskollekfiven zusammcngefasst, dcrcn Wirkung auf das Bauteil abgcschätzt wcrden kann.
13.4.1 Spannungskollektive Man kann fur typische Beanspruchungssituationen von Bauteilen (ein Auto fahrt über eine längere Strecke über unterschiedliche Straßen, Flugzeuge starten oder landen, ...) die Spannungs-ZeitDiagramme durch Aufzeichnungen ermitteln. Dabei ergeben sich unterschiedliche Amplituden, vielfach darf die Belastung als "stochastisch" bezeichnet werden. Wenn eine ausreichende Menge solcher Untersuchungen vorliegt, darf man daraus auf die während seiner Lebensdauer zu ertragenden Belastungen des Bauteils schließen.
180 Um mit der gewalJigen Menge an Daten praktikabel umgehen zu können, kann man (sehr grob beschrieben) z. B. so vorgehen: Die aufgetretenen Spannungsspitzen werden geeignet klassiert, und es wird ausgezählt. wie häufig 11; eine Spannungsspitze der Klasse (J; auftritt. Dies wird in einem Balkendiagramm dargestellt (Abbildung 13,8).
13 Festigkeitsnachweis
ja(t)
ja
Kl3ssc
a.
=======~ ----------------,---' ,I
'
-------
-------
Klassicrung der
Spannungsspit-J'cn
Abbildung 13.8: Das Klassieren und Auszählen der Spannungsspitzen erfolgt nach recht feinsinnig ausgedachten Regeln.
Das "Auszählen" ist übrigens kein ganz einfacher Vorgang', weil im Gegensatz zur harmonisch sChwingenden Belastung (Abbildung 13.3 auf Seite 175) nicht jedem Lastspiel eindeutig genau eine Ober- und eine Unterspannung zugeordnet werden kann. Die Anzahl der Lastwechsell1;, die zu den Klassen gehören, die über der Dauerfestigkeit liegen, müssen im Bereich der Zeitfestigkeit natürlich links von der Wöhlerkurve (Abbildung 13.4 auf Scite 176) liegen. Das genügt aber nicht, denn die Lastwechsel, die zu den höheren Klassen gehören, haben ja mindestens das gleiche Schädigungspotenzial, so dass gefordert werden muss, dass die Summe der Lastwechsel einer bestimmten Klasse und aller höhercn Klasscn kleiner als die der ertragbaren Lastwechsel dieser Klasse ist. Deshalb wird aus dem Balkendiagramm der Abbildung 13.8 ei.ne "Summenhäufigkeitskurve" konstruiert. Diese heißt Spal1l1l1l1gskollekriv (nebenstehende Abbildung 13.9) und enthält also die Information, wie häufig eine Spannungsspitze aufu'in, deren Größe mindestens der Klasse (J; zuzuordnen ist (man sieht allerdings auch die weniger interessierende InfOlmation über die Häufigkeit des Auftretens der einzelnen Klassen).
[ru
Wöhkrlinie-
N
Abbildung 13.9: Spannungskollektiv
Das Spannungskollektiv muss also (wie in Abbildung 13.9 zu sehen) kompleu links von der Wöhlerlinie liegen. Spannungskollektive zeigen häufig einander ähnelnde Kurvenverläufe, die die Definition von Normkollekrivel1 (z. B.: Normalverteilung, Geradlinienverteilung) nahelegen. Auf diese Weise können aufwendige Versuchsreihen immer dann vermieden werden, wenn man die wichtigsten Kenngrößen des Kollektivs (z. B. funktionaler Verlauf, Umfang u.nd Höchstwert) zumindest abschätzen kann. I "Es wird ausgezählt". klingt viel einfacher als es ist Was eine ,.SpanIllUlgsspiIZC'· ist, wäre einfach zu deGnieren, wenn jedem Maximum eindeutig das Minimum eines Lasl"picJs folgen würde. Genau das ist aber nicht der Fall, und deshalb sind eine "Reihe von K/assierungswrfahren entwickelt worden. die diesen Prozess nach jeweils eindeutig definierten Regeln ablaufen Jassen (Rainflow-Verfallrell. Reservoir-Methode. ... ). Natürlich gibt es geeignete Software. die das Zählen libemimmt.
13.4 Zeilfestigkeil
181
13.4.2 Palmgren-Miner, Gaßner-Kurven Auf der Basis der Untersuchungen von ARVID PALMGREN und MILTON A. MINER basiert die als Hypothese von Pa/mgrell ulld Miller bezeichnete Annahme, dass jede Spannungsamplitude (J; eines Spannungskollektivs entsprechend der Häufigkeit n; ihres Auftretens zum Versagen des Bauteils beiträgt. Aus der Wöhlerkurve (Abbildung 13.4 auf Seitc 176) ist zu entnehmen, dass die Spannungsamplitude (J; maximal N;·mal ertragen werden kann, und deshalb setzt man die tatsächlich aufgetretene Anzahl mit dieser Anzahl ins Verhältnis zum so genannten Teilschädigungsquolienfen
!Jj-. ,
Wären alle Spannungsamplituden gleich, dürfte dieser Quotient den Wert I nicht übersteigen. Damit erscheint die so genannte Miner-Regel zumindest plausibel, die für ein Spannungskollektiv fordert, dass die Summe aller Teilschädigungsquotienten kleiner oder gleich I sein muss: 111 112 113 ~ ni -+-+-+ ... =/...- Nur durch die Verwendung der Theorie I. Ordnung (Verschiebungen sind klein gegenüber
den Abmessungen des Systems) bleiben die Beziehungen, aus denen die Stabkräfte berechnel werden, linear. Erfahrungsgemäß macht diese (flir die weitaus meisten praktischen Probleme gerechtfeJ1igte) Lillearisierullg dem Anfänger einige Schwierigkeiten. Fiir das behandelte sehr einfache Beispiel kann der Fehler, der dabei begangen wird, deutlich gemacht werden. Die exakte Kompatibilitätsbedingung lautet (Pythagoras): ( Jli +a 2 + MI
bzw. tll,
Y
(2 Jli + a2 + tll l )
= (12 +tlI2)Z +a = tllz
2
(212 +tlI2)
Wenn in den Klammern die (kleinen) Verlängerungen gegenüber den (im AIJgemeinen wesentlich größeren) doppelten Stablängen vernachlässigt werden, entsteht daraus mit I,
Abschließend wird noch ein Beispiel behandelt, das mit dem Problem der Temperaturdehnung eng verwandt ist: Wenn ein Stab in eine (statisch unbestimmte) Konstruktion eingebaut wird, dessen Länge ein Fehlmaß aufweist, so dass er eigentlich ,.nicht passt" und nur unter Zwang eingefügt werden kann, entstehen dadurch VorSpallllltllgell bereits im unbelasteten Tragwerk. Man kann nun z. B. ein Übermaß u so interpretieren, als wäre es eine Verlängerung eines Stabes der Länge 1 infolge der Temperarurerhöhung dieses Stabes um tl1'. wenn
u= a,tl1'1 gesetzt wird.
193
14.3 TemperaLureinfluss, Fehlmaße
Die so genannte AJljangsdehnung Co = ~ kann also wie die Temperaturdehnung zur elastischen Dehnung hinzugefügt werden. und die Beziehung 14.8 erweitert sich zur Formel für die
Gesamrdehnl//lg ei/les Srabes i/ljolge Normalkraft FN. Temperarltrerhöhung !1T u/ld AJljangsdehJlung Co: (14.9)
I ...
.
...
I Beispiel 4:... Es wIrd em ähnlicher Stabdrelschlag wie IITI BeI'spiel 3 betrachtet. Das System trägt keine äußere Belastung. aber der Stab 2 war infolge einer Fertigungsungenauigkeit vor dem Einbau um 0.2% zu kurz. Gesucht sind die Spannungen in den Stäben infolge des Einbaus von Stab 2 unter Zwang. Gegeben:
cl
S",b2
.~----: EA
cl
a = 240mm /2 =450mm E = 2. I . 105 N/mm 2
Die Querschnillsflächen A der drei Stäbe sind gleich groß. Die Gleichgewichtsbedingung und die Kompatibilitätsbedingung können ungeändel1 vom Beispiel 3 übernommen werden. In den Ergebnissen ist nur die Temperaturdehnung CXr!1T durch die Anfangsdehnung Ü2
Co 'V
= -
/2
= -0 002
•
zu crsctzcn. und man erhält (nach Vcrcinfachung unter Bcnutzung dcr gegebencn Größen): FS 1
(), = (}Z
A
=
Fsz = =
A
E cos 2 a
"2
1+2cos3 a/z 3 2Ecos a
"2
I + 2cos 3 a Iz
- 138 N/mmz
243 N/mm z
Das Ergebnis bestätigt die Anschauung. dass Stab 2 auf Zug und Stab I und Stab 3 auf Druck beansprucht werden.
Das Ergebnis des Beispiels 4 zeigt. dass schon geringe Fertigungsungenauigkeiten zu erheblichen Spannungen führen können (natürlich nur bei statisch unbestimmten Konstruktionen). Man beachte. dass die Querschnillsfläche in das Ergebnis nicht eingeht. so dass die Spannungen durch größere Querschnitte nicht verringert werden können. Die Praxis des Einbaus ..nicht passender" Bauteile bestätigt die Verwandtschaft zwischen
Feh/maß und TemperarurdehJlu/lg: Man erwärmt ein zu kurzcs Bauteil. bis es sich problemlos einbauen lässt. Stab 2 des Beispiels 4 (Stahlstab mit a, = 1.2.10- 5 K- 1) müsste um 167 0 erwärmt werden. um spannungsfrei montiert werden zu können. Bei der Abkühlung können unter Umständen Spannungen entstehen. die oberhalb der zulässigen Werte liegen.
194
14 Zug und Druck
14.4 Aufgaben
I
Aufgabe 14.1: I_ _ _ _ _.... Ein Körper ist an zwei Stahlseilen I und 2 aufgehängt, die sich durch dessen Gewichtulll ""I bzw. verlängern. Man berechne
Seil I
Seil2
""2
a) die Zugspannung im Seil I, b) die Gewichtskraft Fe und die Strecke a bis zu ihrem
Angriffspunkt. Gegeben:
""I
'I
= 0, 8 mlll ; = 80cm; 1 = 130cm ; ""2 = 1,2mm; 12 = 100cm; AI = 1=2 ; A2 = 21ll1ll 2 ; E = 2, I . 105 N/nun 2 .
I
Aufgabe 14.2: I Das skizzierte Systcm bestchi aus drei gelenkig miteinander verbundenen Stäben. Der horizontale Stab zwischen den Lagern A und B hat stückweise konstanten Querschnitt. Gegeben:
,=
=
180ml1l; Ao 9mm 2 ; 0: = 30° ; E = 2, I . 105 N/Ill1ll 2
l/3
l/3
l/3
F, wenn infolge der Verlängerung des horizontalen Stabes am Lager B eine Verschiebung "'I = 0,2mm (nach rechts) gemessen wird? b) Bei welcher alll Punkt C angreifenden Kraft F = Fm".< wird in dem horizontalen Stab die Bruchspannung Rm = 520 N/nUl1 2 erreicht?
a) Wie groß ist die bei C angreifende Kraft
21
I
Aufgabe 14.3: I_...;. .... Eine starre Scheibe ist bei A drehbar gelagert und wird zusätzlich durch zwei elastische Stahlseilc mit den Querschnitlsflächen AI bzw. A2 gehalten. Gegeben: F
EAI
Seil 1 Seil 2
AI = 3A2
Es sind die Kräfte in den Seilen zu ermitteln. 31
Weitere Aufgaben findet man imlnternet unter www.TM-aktueU.de.
15 Der Stab als finites Element 15.1 Die Finite-Elemente-Methode (FEM) Die Methode der finiten Elemente' basiel1 auf der Idee, das zu berechnende Gebilde in eine (große) Anzahl einfacher (und damit der Berechnung zugängiger) Elemente zu zerlegen und aus den Elementlösungen unter Berücksichtigung von Kontinuitäts- und Gleichgewichtsbedjngungen eine Lösung für das Gesamtsystem zu konstruieren. Diese Bedingungen werden dabei nur an einer endlichen Zahl von Punkten (so genannten Knotell) formuliert. Der Vorschlag. physikalische Probleme auf diese Weise zu lösen. wurde erstmals 1943 von dem Mathematiker RtCHARD COURANT (1888-1972) gemacht, die Zulässigkeit djeses Vorgehens wurde mathematisch einwandfrei bewiesen und die Anwendbarkeit in einer Veröffentlichung an einem Beispiel demonstriert. Der Gedanke wurde jedoch nicht weiter verfolgt, weil vermutlich die Lösung des sich ergebenden (recht umfangreichen) Gleichungssystems abschreckte. Auf ganz anderem Wege wurden von verschiedenen Ingenieuren (vorwiegend aus dem Flugzeugbau) in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts "Elementlösungen" zu "Gesamtlösungen" zusammengesetzt. Diese eher intuitiv entstandene Methode fand sehr schnell viele Anwender: Die Methode der finiten Elemente wurde erfolgreich eingesetzt, ohne dass der mathematische Nachweis für die Richtigkeit des Verfahrens erbracht war. Erst Ende der sechziger Jahre gelangen die mathematische Absicherung der Finite-ElementeMethode und der Nachweis, dass sie mit dem von Courant vorgeschlagenen Verfahren identisch ist. Anfang der siebziger Jahre erschienen die ersten großen Programmsysteme, deren Einsatzmöglichkeiten weit über die AufgabensteIlungen der Technjschen Mechanik runausgingen. Heute ist die Methode der finiten Elemente sicher das an1 meisten benutzte Verfahren, um naturwissenschaftliche und technische Probleme numerisch mit Hilfe des Computers zu lösen. Sie wird für Festigkeitsuntersuchungen, dynamische Prohleme und in der Strömungsmechanik eben1.. 1,,1 es nicht zu früh. die Methode der finiten Elcrnl.:ntc schon zum Beginn der Fcstigkcilslchrc zu bringen'!" ist eine durchaus berechtigte Frage. In der Ingenicurausbildung wird hir das Verfahren im Allgemeinen sogar eine spezielle Vorlesung nach der Technischen Mechanik reservien. Die Autoren sind jedoch der festen ÜberLCugung, da Eine Änderung der Belastung (oder ein zusätzlicher Lastfall) beeinflusst die System-Steifigkeitsmatrix nicht. Wenn für die Lösung des Gleichungssystems ein geeignetcs Eliminationsverfahren benutzt wird, braucht die Dreieckszerlegung der Koeffizientenmatrix (im Allgemeinen der aufwendigste Teil der Finite-Elemente-Berechnung überhaupt) in diesem Fall nieht neu ausgeführt zu werden.
202
15 Der Slab als finiles Element
oe:> Änderungen der Element-Abmessungen und der Materialeigenschaften können beräcksich-
ligl werden, indem einzelne Elemente aus der Syslem-SleifigkeitsmaLrix wieder entfernt (Einspeichern "negativer"' Elemente) und neue Elemente hinzugefligt werden (Berechnung verschiedencr Varianten eincr Konstruktion). L-:> Nach dem Aufbau der System-Steifigkeitsmatrix kann diese durch unterschiedliche Lage-
JUng der Struktur unterschiedlich modifiziert werden (Berechnung verschiedener LageJUngsvarianten einer Konstruktion). oe:> Die statisch unbestimmte Lagerung eines Systems macht die Berechnung weder komplizier-
ter noch aufwendiger, im Gegenteil: Das nachfolgende Beispiel zeigl, dass sich die Anzahl dcr Gleichungen im lincaren Glcichungssystem sogar vcrringert.
I
Beispiel 2: I_ _ _ _.... Der nebenstehend skIzzIerte Stab hat dIe glelchen Abmessungen und Materialeigenschaften wie im Beispiel I. Er trägt jedoch nur eine äußere Kraft FI/ und ist an den Punkten I und 111 (statisch unbestimmt) gelagert (auch das Eigengewicht soll unberücksichtigt bleiben, würde jedoch die Aufgabe nicht nennenswert komplizierter machen). Die für das Beispiel I aufgebaute System-Steifigkeitsbeziehung kann wieder verwendet werden, weil sich die Abmessungen und Materialeigenschaften nicht geändert haben. Die beiden geometrischen Randbedingungen 11/ = 0 und 111// = 0 werden durch Streichen der ersten und dritten Zeile (Spalte) realisiel1, und das Gleichungssystem dcgencricrt zu cincr cinzigcn Gleichung:
(EA) I a
[ - (En" 0
- (EtL, (~A)a + ('nb - (Enb
111
0
-
(~A)b
(Enb
][ .:'] [Z,]
!
[ (En" + (~A) b ] [ "1/ Die Lösung liefert die Verschiebung des Punktes
111/
=
(EA) I
]
= [
FI/ ]
11:
FII a
+ (EA) I b
Mit diesem Ergebnis ergeben sich die Kräfte bei I und 111 (Lagerreaktionen) auch hier aus den (zunächst gestrichenen) Gleichungen I und 3 der System-Steifigkeitsbeziehung: F, =
FII
F:
__
111-
I
FI/ (-L) + EA b(EA) I a
15.3 Ebene Fachwerk-Elemente
203
15.3 Ebene Fachwerk-Elemente Ebene Fachwerke (vgl. Abschnitt 6.4) bestehen aus Stäben, die wie die im vorigen Abschnitt bchandclten Elemcnte nur cine Kraft
Verformtes S~tem
in Stablängsrichtung übertragen. Der einzel-
ne Fachwerkstab verformt sich auch nur durch seine Stabkraft, die eine Dehnung (und dadurch Längenänderung) des Stabes hervorTuft. Die Längenänderungen aller Stäbe, die dabei selbstverständlich ihre ursprünglich gerade Form beibehalten. führen zu Knotenverschiebungen, die durch zwei Komponenten beschrieben werden müssen.
VilI'SCh
3527-lactl V'lf roossert
Abbildung 15.2: Verformungsbild eines Fachwerks
An den Knoten, an denen in der Regel mehr als zwei Stäbe zusammenstoßen, wirken natürlich nicht nur Kräftc in Stablängsrichtung (wic in dcn Stäbcn). Deshalb wird als allgemeines (ebenes) Fachwerk-Element ein Stab definiert, der eine beliebige Lage in der Ebene einnimmt, zur x-Achse um den Winkel a gedreht ist und an jedem Knoten zwei Knotenkräfte Vi.< und Viy (i = 1,2) übertragen kann (Abbildung 15.3). Dic beiden Kraftkomponenten sind natlirlieh nicht unabhängig voneinander, weil ihre Resultierende Vi in die Stablängsrichrung fallen muss. Es gill;
Vix = VicOSa
x
Viy = Uisina
Uix cosa Von den bei den Knotenverschiebungen "i.< und "iy (i = I ,2) sind jeweils nur die in Stablängsrichtung fallenden KompoIJ. uiysinex nenten für die Uingcnänderung des Stabes verantwortlich. Die IJ. .2-----''---_ _ uix Knotenverschiebung in Stablängsrichtung "i wird aus der Ab· Abbildung 15.3: Ebenes Fachwerkbildung 15.3 abgelesen; Element Ui = lfixcosa+uiysina
Der Zusammenhang zwischen den Verschiebungen in Stablängsrichtung "I und "2 und den in gleicher Richrung wirkenden Kräften UI und V2 wurde bereits im vorigen Abschnitt mit der ersten der beiden Beziehungen 15.3 gefunden, wobei verteilte Belastungen (Eigengewicht) entsprechend der für Fachwerke üblichen Annahme im Folgenden vernachlässigt werden. Aus VI =
(~A) e "I -
wird durch Ersetzen der Verschiebungen VI =
(E,A)
e [cosa·
"I
und
"2
(
EtA)
e "2
durch die Verschiebungskomponenten;
"Ix+sina· "Il' -cosa·
"2,- sina· "2)']
204
15 Der Slab als finiles Element
Multiplikation dieser Gleichung mit cos a liefert die Knotenkraftkomponenle Vlx: Vlx = VI cosa =
EA) (-,-
e
[ COS 2 a· l/Ix +' sma cosa . l/Iy -
cos-o a . l/2x . - sma cosa . U2)' ]
Entsprechend erhält man durch Multiplikation mit sin a die Knotenkraftkomponente
VI)'.
Da
und (Gleichgewicht am Element) gelten muss, sind alle Beziehungen bekannt, die die vier ElementKnotenkräfte mit den vier Element-Knotenvcrschiebungen verknüpfen. Sie bilden die Element-Steiligkeilsbeziehung
das ebene Fachwerk-Element:
[ür
e2
Vlx Vly V2x
=
(Et).
sc
_e2
-sc
UI ..
s2
-sc
_s2
Li I)'
e2
sc
U2r
s2
U2y
symm.
V2y
mit
e = eosa
und
( 15.5)
s=sina.
c:> Mit dem Bereitstellen der Element-Steiligkeitsmatrix 15.5 ist die
nen Erweiterung:
2,2
Abbildung 15.4: Einteilung der
Elemenr·
Stcifigkeilsmatrix
in
Blöcke, wegen der Symmetrie Beschrän-
kung auf das rechte obere Dreieck
I
I
_ _ _ _ Für den nebenstehend sklzzterten Stabdretschlag ist der Finite-Elemente-Algorithmus für die Berechnung der Verschiebung des Kraft-Angriffspunkts und die Ermittlung der Stabkräfte anzugeben. Gegeben sind alle in der Skizze eingetragenen Größen (Dehnsteifigkeiten und Längen der Stäbe, Kraft F und die Winkel ß und y).
~~]
2,1
Da einem Elementknoten eines Fachwerk-Elements zwei Verschiebungen und zwei Kräfte zuzuordnen sind (der Knoten hat zwei Freiheitsgrade), beziehen sich die Speicheroperationen nicht mehr auf ein Matrixelement, sondern auf eine 2*2-Untenuatrix. Man unterteilt (Abbildung 15.4) die Element-Steifigkeitsmatrix in vier Untermatrizen und führt den im vorigen Abschnitt beschriebenen Algorithmus mit diesen Umermatrizen aus.
I Beüpie':
1,2
1,1
theoretische Vorarbeit für die Fachwerk-Berechnung nach der FiniteElemente-Methode geleistet. Der gesamte Algorithmus für die Behandlung von Systemen (hier: Fachwerke) ist mit dem im vorigen Abschnitt beschriebenen Ablauf identisch, allerdings mit einer klei-
(EA)a .la
a (E'A)b·1b II
ß
b
'Y
2 IV 2
c III
(EA)c·1c
2
F
15.3 Ebene Fachwerk-Elemente
205
Die Stäbe werden als finite Elemente a, b, c aufgefasst, und die Elementknoten I und 2 eines jeden Elements werden den Systemknoten I, 11,111 und IV zugeordnet. Für jedes Element kann bei bekanntem Lagewinkel, gegebener Dehnsteifigkeit und Länge die Element-Steifigkeitsmatrix nach 15.5 aufgeschrieben werden. Dabei ist zu beachten, dass der Winkel a in 15.5 von einer Parallelen zur x-Achse durch den Elemenlknoten I zum Element gemessen wird. so dass für die drei Elemente die folgenden Winkel einzusetzen sind:
a,,=-ß
ab=O
ac=y
I II III IV
Die System-Steifigkeitsmalrix verknüpfl acht äußere Knotenkräfte (sechs unbekannte Lagerreaktionen an den Fesllagern und die äußeren Kräfte in horizontaler und vertikaler Richtung am Knoten IV) mit den acht Verschiebungen an den Knoten I, 11, /I I und IV. Es ist also eine 8*8-Matrix, die wie die Element-Steifigkeitsmatrizen in 2*2Untermatrizen unterteilt wird (Abbildung 15.5).
I
II III IV Abbildung 15.5: Aucb
Die Syslem-Sleifigkeitsmalrix wird aus den Elemenl-Steifigkeilsmatri zen nach dem bekannten Einspeieherungs-Algorithmus (Abschnitt 15.2) aufgebaut. Auf welche Positionen die 2*2-Untermatrizen zu speichern sind, wird durch die gewählte Zuordnung der Elementknoten zu den Systemknoten gesteuert. Enlsprechend der Nummerienmg in der Skizze zur AufgabensteIlung gilt dafUr nachfolgende Koinzi-
die Systcm·Stcifigkeilsmatrix wird in Blöcke unterteil!. Die gesamte erforderliche Informmjon steckt im rechten oberen
Dreieck der Matrix.
denzmatrix:
Element-Knoten Element a :
(1,2)
Element b :
(I ,2)
EI.ement c:
(I ,2)
System-Knoten
--
Koinzidenzmatrix
[ I, IV]
I IV] 11 IV
[ 11, IV] [
[/11, IV]
Dies bedeutet zum Beispiel, dass die Untermatrizen (I, I), (1,2) und (2,2) der Element-Steifigkeitsmatrix des Elements a (siehe Skizze zur AufgabensteIlung) auf die Positionen (I,/), (I,IV) und (IV, IV) der System-Steifigkeitsmatrix gelangen (nebenstehende Skizze). Nach Aufaddieren auch der Untermatrizen der EI.emente bund c ist die SystemSleifigkeitsmalrix K komplett. Sie definiert den Zusammenhang des System- Verschiebungsvektors v mit dem System-Kraftvektor I:
kl 2
kl3
kt4
k l5
k t6
kl7
k22
k23
k24
k25
k26
k27
k33
k34
kJ5
k36
k37
k44
k45
k46
k47
kS5
k 56
kS7
Kv
k 66 symm.
k 67
kn
o o o o o o
111 IV IIIIIIIV
I
a
II III IV
Fix
F,y Fllx
Ff'y Fllix F ll1y
o -F
=1.
(15.6)
206
15 Der Stab als finites Element
Zur Erinnerung: Der Einspeicherungs-Algorithmus steht für die Erfüllung der Gleichgewichtsbedingungen, wenn in den System-Kraftvektor die äußeren Kräfte mit dem gleichen Richtungssinn eingefügt werden, der auch für die Elementkräfte gewählt wurde (nach rechts bzw. nach oben). Deshalb wurde die vertikale Kraftkomponente am Knoten IV mit negativem Vorzeichen in J eingesetzt. Die ersten 6 Gleichungen (mit den 6 unbekannten Lagerreaktionen) werden zunächst aus dem Gleichungssystem herausgenommen. Gleichzeitig werden die ersten 6 Spalten in K gestrichen, die bei der Multiplikation K v wegen der Nullen auf den ersten 6 Positionen in v (verhinderte Verschiebungen an den Lagern) ohnehin keinen Beitrag leisten würden (Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen durch "Zeilen-Spalten-Streichen"). Es verbleibt das lineare Gleichungssystem
mit
kn = (EA) cos2 ß + (EA) + (EA) I " I I b
k78 = - (E:)" sinßcosß + (E:) kss =
cos2 Y, c
c sinycosy,
(15.7)
(~A) "sin 2 ß+ ( ~A ) c sin 2 y ,
aus dem die beiden Verschiebungskomponenten des Knotens IV berechnet werden können. Anschließend lassen sich die 6 Lagerreaktionen bci I, 11 und 111 aus dcn zunächst gcstrichenen Gleichungen ermitteln (einzeln, die Lösung eines weiteren Gleichungssystems ist nicht erforderlich), z. B.: Fix = k17l1/Vx
+ kl8111Vy
Die Stabkräfte ergeben sich bei nunmehr bekannten Knotenverschiebungen aus den ElementSteifigkeitsheziehungen 15.5, die ohnehin für den Aufbau der System-Steifigkeilsmalrix hereitgestellt werden mussten. Bei Fachwerken genügt natürlich die Berechnung der Stabkraftkomponenlen eines Knotens. Q Die Berechnung der Knotenverschiebung fllr das behandelte Beispiel wäre ohne den Finite-
Elemente-Algorithmus (Formulieren der Kompatibilitätsbedingung aus der "Anschauung") sChwierig und fehleranfallig. Ohne eine Verschiebungsberechnung sind natlirlich auch die Stabkräfte nicht zu ermitteln (statisch unbestimmtes System). oe;> Statische Unbestimmtheit erschwert die Finite-Elemente-Recl1nung nicht, im Gegenteil: Je
mehr Verschiebungen verhindert sind, desto stärker reduziert sich das Gleichungssystem flir die Verschiebungsberechnung. Q Die einmal durch die Wahl des Koordinatensystems definierten positiven Richtungen gelten
global: Die vorgegebenen Kräfte und die berechneten Knotenverschiebungen und Knotenkräfte sind positiv. wenn ihr Richtungssinn mit den gewählten Koordinatenriehtllngen übereinstilnmt.
15.4 TemperalUrdehnung, Anfangsdehnung
207
15.4 Temperaturdehnung, Anfangsdehnung Zunächst wird wieder das einfache Stabelement betrachtet, das nur mit gleichgerichteten (nuchtenden) weiteren Elememen zusammengesetzt wird. Es soll neben der Knotenbelastung und der verteilten Belastung q, noch einer Temperaturänderung !'J.T, und einer Anfangsdehnung fQe unterworfen sein (Abbildung 15.6). Das Element-Gleichgewicht ist auch hier (Gleichung 15.1) durch VI +V2 +qele = 0
zu erfüllen, für die Gesamtdehnung gilt nun aber 14.9, so dass die Längenänderung des Elements durch
U2 -
UI
V2 1, = eR,,/e = (EA)e
qe l; + 2(EA)e
+
(
)
(
Cl,!1T I e + fQl
)
,
VI
Ut
,'-,
I I I I
I I I I
I I
I I
1
(EAJ e (a t 6TJe 'Oe
I I LU
2
u2
e
beschrieben wird (die ersten beiden Summanden wurden aus Gleichung 15.2 übernonmlen). Aus diesen beiden Gleichungen werden die Knotenkräfte berechnet:
Abbildung 15.6: Element mit drei
"Elementlasten":
Anfangsdehnung. Temperatur und Eigengewicht
Diese beiden Gleichungen werden zur erweilerren E/emenT-Sleijigkeilsbeziehung des fluchtenden Stabes zusammengefasst:
[VI] V2
=
(EA)
-'-. e
[
I-I] [uI] '2I [I]
- I
1
U2
-
qele
I
- (EA)e
(~!1T + fQ)e
[-I] I
(15.8)
Die E1ement-Steifigkeitsmatrix und der Vektor der reduzierten Elementlasten infolge der veneilten Belastung q, sind erwartungsgemäß identisch mit denen in Formel 15,4, und Temperaturdehnung und Anfangsdehnung ergeben genauso einen Vektor wie die verteilte Belastung q,. Es ist deshalb naheliegend, alle drei "ElementJasten" zu einem erweiterten Vektor der reduzierten Element/asten zusammenzufassen:
fe.red =
I [I]
= '2 q"e [Fmt.l] Fred .2
I
+(EA)e(~!'J.T+ -3000
= [
0,6538 ] -0,4301
Weil alle Zahlenwerte in N bzw. mm eingesetzt wurden, ergeben sich die Verschiebungen in mm. Unabhängig davon, ob man die Lösung des Gleichungssystems oder auch bereits den Aufbau des Gleichungssystems nach den Formeln 15.7 einem Mathematik-Programm überträgt, kann dieser Weg nicht empfohlen werden (und verbietet sich für kompliziertere Probleme von selbst). Beschreibung des physikalischen Modells Das physikalische Modell muss nut 3 "Knoten-Informationen" beschrieben werden: Knoten-Koordinaten, hier bezogen auf ein Koordinatensystem mit Ursprung im mittleren Lager, Knoten-Lasten und die Information, welche Kuotenverscruebungen verhindert sind. Zusätzlich werden 2 "ElementInformationen" benötigt: Topologie (an welchen Knoten ist ein Element angeschlossen) und Element-Parameter (hier: Dehnsteifigkeit EA und Temperaturbelastung a,fl.T). Die nebenstehenden Tabellen zeigen das schon in 5 Matrizen geordnete physikalische Modell.
Knoten-Informationen Kn.-Koord. Kn.-Lasten x y F,. Fr 240 0 0 0 0 0 0 0 -320 0 0 0 -3000 450 0 0
Kn. I
2 3 4
u-verh. U.f
uy
I I
I I
I
I
0
0
Element-Inforluationen Topologie Parameter Kn. Ku. EA a,fl.T 6 5.10 4 I 0 8.106 240·10 2 4 2.106 3 4 0
EI.
I 2 3
5
Natürlich ist es wesentlich komfortabler, einem Programlll diese Informationen zu übergeben. Dafür wird dann allerdings ein Modul benötigt. der aus dem physikalischen Modell das mathematische Modell erzeugen kann. Das nebenstehend zu Matlab-Scri pt sehende benutzt dafür die Funktion femalg_ITI, die über www.TM-aktuell.de zum Download verfügbar ist. Man erkennt in dem Scrip! die 5 Matrizen aus den bei den Tabellen.
Xy
[0 240
FK • [0 Lg •
0
[I
o o
0
I
I
0 -320
0 ; 0
0
)
450
0
0
-3000)
0
0
)
I. I.
Kn. -Koord. Kn. -Lasten
Y. ti-verhindert
'l.
KM • [ I 4 EP • [5.6 0 'l. [Slice uv]
2
4
8.6 1.2e-5*200
. fernalg_m
3
4)
2.6 0)
(XY.KM,EP,Lg,FK)
I. Topologie I. EI. -Parameter
I. FEH-Algorithmus
15.5 Physikalische und mathematische Modelle, Nutzung von FEM-Programmen
213
Die Funktion femalg_m liefert natürlich exakt die bereits angegebene Lösung (das Matlab-Script findet man unter www.TM-aktuell.de ausftihrlich dokumentiert mit zusätzlich implementierter grafischer Ausgabe und der Berechnung der Stabkräfte). Diese Art der Lösung bietet sich für Probleme an, bei dcnen das physikalische Modell durch cinfach zu erzeugende Daten beschrieben werden kann, bei großen Fachwerken z. B., wenn immer wiederkehrende Felder mit gleichen Abmessungen aneinandergereiht sind, so dass Koordinaten, Topologie und Steifigkeiten in einer einfachen Programmschleife erzeugt werden können. WYSIWYG-Erzeugen des physikalischen Modells Die komfortabelste Variante. das physikalische Modell zu definieren. bieten Programme. die mit interaktiver Grafik schrittweise ein Bild entstehen lassen (WYSfWYG - "What you see is what you get") und daraus das mathematische Modell selbst erzeugen (und es natürlich auch lösen). Das unten zu sehende Modell wurde erzeugt mit Mausklicks in das rechte Menü und Verschieben des jeweils ausgewählten Elements (Stab, Lager, Knoten, Kraft) entlang eines Rasters auf der Zeichenftäche bis zum gewünschten Ort (im Bild ist gcrade das dritte Lager auf seinem Weg zum nllteren Knoten, wo es dann mit MauskLick fixiert wird). FEM-Programme mit grafischer Oberl1äche liefem natürlicb anch die Ergebnisse in aussagekräftigen Grafiken ab. Weil solche Programme für den Ingenieur das Standard-Werkzeug auch für die Lösung komplizierter Probleme sind, sollte man sich an solchen einfachen Aufgaben mit ihrer Benutzung schon anfreunden. Knoten, stabe, lager I Kratte, Raster:
Knoten) Stabe
Zeichentlache
Krden-Nr K-
y-
I ~==I
fK'
Knoten loschen
Eing:abe Knoten
~ Modell:
....
r, Fenster ----~
ti
Zoo~
Zeichnung - -
""'~
]i
11
t
Ruter
Kn
I
=:]
optim~
kleiner
~hno
J
.,:;;;:-j
-
100
200
300
400
Stab-t1rn
Abbi.ldung )5.8: Inlcraktivc Berechnung eines Fachwerks mil der Methode der finiten Elemente, zu finden
(mit mehreren - auch wesentHeb komplizjertcren - Beispielen) unter www.TM-interaktiv.de
15 Der Stab als finites Element
214
15.6 Aufgaben
IAufgabe /5.1: I
Die ElementSteifigkeitsmalrizen für die Stäbe 6, 7 und 9 des nebenstehend skizzierten Fachwerks sind aufzustellen und ihr Einspeichern in die System-Steifigkeitsmatrix symbolisch anzudeulen, indem die Plätze der einzelnen Untermatrizen in der System-Steifigkei ts matri x geken nzei chnet werden.
" CD ,"-
öl, "
A
Man untersuche, welche Plätze in der System-Stei fi gkei tsmatri x auch dann nicht besetzt sind. wenn aJ le Elemente eingespeichert werden. Gegeben: I
(2) ,
"'81_
®
3
-
F
11
8)
9 ~
tF
2
5
8
I
öl,
(j)
7
CD
4
6 10
J
(5)
2a
2a
F, a, EA (für alle Stäbe gleich groß).
Aufgabe /5.2:
I
Der skizzierte Stab wurde bei 0° C zwischen den starren Lagern A und C montiert. Man ermittle
/
A EA 1
a) die System-Steifigkeitsbeziehung unter Berücksichtigung einer Temperaturerhöhung um L\ T = +400 e, b) die Verschiebung des Punktes B durch die Temperaturerhöhung umL\T, c) die Kraft am oberen Lager.
Gegeben: A I = 16 em 2 112 =4At
al
= 1,2·1O- 5 K- 1 E = 2, I . lOs N/mm 2
B '-
2
c
IAufgabe 15.3: IMit einem geeigneten FEM-Programm (z. B. mit dem Programm "Statisch unbestimmte ebene Fachwerke", zu finden unter www.TM-interaktiv.de) berechne man die Stabkräfte des Fachwerks der Aufgabe 15.1 uJHer Annahme nachfolgender ZaWenwerte. Gegeben: a = 0,5 LU
F = IOkN
Weil das Fachwerk statisch unbestimmt ist, kann ein Stab entfernt werden, ohne dass die Tragfähigkeit eingebüßt wird. a) Welche Stäbe dürfen auf keinen Fall entfernt werden?
b) Es soll einer der drei Stäbe 3, 4 oder 11 entfernt werden. Welcher sollte gewählt werden,
wenn die absolut größte im Fachwerk auftretende Stabkraft möglichst klein sein soll?
Weitere Aufgaben findet man imlnternet unter www.TM-aktuell.de.
16 Biegung Im Folgenden werden Träger behandelt, die ausschließlich durch ein Biegemoment Mb belastet sind. Dieser als reine Biegung bezcichnete Belastungsfall ist ausgesprochen selten, weil bei einem nicht konstanten Biegemoment immer auch eine Querkraft wirkt. Es ist jedoch sinnvoll, die besonders wichtige Belastung durch ein Biegemoment gesondert zu betrachten.
In einigen nachfolgenden Kapiteln wird die gleichzeitige Belastung eines Trägers durch mehrere Schnittgrößen behandelt. In sehr vielen Fällen können die übrigen Belastungen gegenüber der besonders gefährlichen Biegebelastung sogar vernachlässigt werden.
16.1 Biegemoment und Biegespannung Der in Abbildung 16.1 skizziene Träger ist im Mittelteil (zwischen den bei den Kräften F) nur durch das konstante Biegemoment Mb = F . a beansprucht, so dass in diesem Bereich die Bedingung für die reine Biegebeanspruchung crfüllt ist. Es soll nun die Frage gcklärt werdcn, welche Spannungsverteilung in einem Querschnitt dieses Bereichs dem Biegemoment Mb äquivalent ist. Eine Momentwirkung um eine im Querschnitt liegende Achse kann nur durch (senkrecht zur Querschnittsfläche gerichtcte) Normalspannungen (und nicht durch in der Fläche liegende Schubspannungen) hervorgerufen werden.
A-
Fj
jF
A
a
Mb
B
a Fa
L
+
Abbildung 16.1: Reine Biegung
IlTI
mittleren Bereich
Weil diese Normalspannungen bei reiner Biegung keine resultierende Kraftwirkung haben dürfen, müssen sie in einem Teil des Querschnitts positiv, im anderen Teil negativ sein: Biegespannnngen sind NormalspallllUngen, die in jedem QuerSChnitt als Zug- und Druckspannungen vorhanden sind.
Da ein Moment einem Kräftepaar äquivalent ist, ruft das skizzierte positive Biegemoment im oberen Bereich des Querschnitts eine Druckspannung, im unteren Bereich eine Zugspannung hervor.
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_16, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
216
16 Biegung
Zur Berechnung der Spannungen im Querschnitt (und der Verformung des Trägers) genügen diese Aussagen jedoch noch nicht. Sie werden durch eine Annahme ergänzt, die erstmals von JACOB BERNOULLI (l654 - 1705) formulierte und nach ihm benannte Bernoullische Hypothese der ßiegetheorie: Alle Punkte einer zur Trägerlängsachse senkrechten ebenen Fläche befinden sich auch nach einer reinen Biegeverformung in einer ebenen Fläche, die dann senkrecht zur verformten Trägerachse liegt.
E~--------j
=
[m Querschnitt wird nun ein Koordinatensystem so eingeführt, dass Mb um die x-Achse drehl und die positive y-Achse zu der Kante des Querschnitts zeigt, an der ein positives Biegemoment eine Zugspannung erzeugt. Diese Festlegung entspricht der Lage der Bezugsfaser, die bei der Einführung der Schnittgrößen (Abschnitt 7. I, Seite 94) flir die Definition positiver Biegemomente benutzt wurde. Da sich zwei benachbarte Querschnitte, die vor der Verformung parallel waren, entsprechend der Bernoulli-Hypothese bei der Verformung nur als starre Ebenen (um die x-Achse) drehen, ist die Dehnung der Längsfasern zwischen diesen Ebenen über die Querschnittshöhe (in y-Richtung) linear veränderlich. Mit dem Hookeschen Gesetz (Dehnungen verhalten sich wie die Spannungen) folgt daraus, dass auch die Spannung über die Querschnittshöhe linear veränderlich ist. Für die Spannungsveneilung im Querschnitt wird deshalb die Funktion (Jb = CY mit dem zunächst unbekannten "Anstieg c" angenommen. Die
Wirkung der so über den Querschnitt verteilten Spannung muss dem Biegemoment Mb (Moment um die x-Achse) äquivalent sein. Es darf sich weder eine resultierende Kraft noch ein resultierendes Moment um die y-Achse aus den Spannungen ergeben, so dass die nachfolgend formulierten drei Äquivalenzbedingungen gelten müssen.
___xV Y
Du
Abbildung 16.2: Dehnung der Längsfasern bei der Biegeverfor· mung
,-----fr;:) =-==-=-=-:=-=x="~A I" gb IY Abbildung 16.3: Die .,Krartwirkung" der Biegespannung
Am differenziell kleinen Flächenelement dA (Abbildung 16.3) hat die dort angreifende Biegespannung (Jb die Kraftwirkung (JbdA, als Momentwirkung dieser differenziell kleinen Kraft erhält man um die x-Achse y(JbdA und um die y-Achse x (JbdA.
1. Äquivalenzbedingung: Oie ßiegespannung hat keine resultierende Kraftwirkung. Die differenziell kleinen Kräfte (JbdA werden über die Querschniusfläehe imegrien:
16.1 Biegemomem und Biegespannung
jeJbdA=O
217
cjydA=O
=}
A
jydA=O
=}
(16.1)
A
A
Das sich ergebende Flächenintegral ist das aus der Statik (Formel 4.8 auf Seite 32) bekannte statische Moment der Fläche A, das genau dann verschwindet, wenn der Ursprung des Koordinatensystems im Schwerpunkt der Fläche liegt. Wegen eJb = cy gilt also: In der Schwerpunktfaser (Verbindungslinie der Schwerpunkte aller Querschnitte des Trägers) wirkt keine Biegespannung (nel:0ß
//
;c/
//
x
S
x
::r::
~
;:
~
/
;//./
/:/
~
b
b
Abbildung 16.10: Wenn b = b, +b2 ist. gilt flir alle drei Querschnine: {u =
iJ (BH 3 - b/l3)
Deshalb ergeben sich für unterschiedliche Flächen. die aus gleichen Teilftächen zusammengesetzt sind und deren Teilftächenschwerpunkte die gleichen Abstände von der Bezugsachse haben, die gleichen Werte für die Flächenträgheitsmomente für diese Bezugsachse. Diese Aussage kann bei Änderungen einer Konstruktion nützlich sein und wird in Tabellenbüchern genutzt, um mit einer Formel eine ganze Klasse von Querschnitten abzuhandeln. So erhält man z. B. für die drei Qucrschnilte in der Abbildung 16,10 unter dcr Voraussetzung, dass b = bt + b2 ist, jeweils das gleiche {xx' Natürlich haben diese drei Querschnilte unterschiedliche (r)', weil die Teilftächen zur y-Achse unterschiedliche Abstände haben. Die wichtige Aufgabe, die Flächenträgheitsll10mente einer Fläche zu bestimmen, die sich aus mehreren Teilftächen zusammensetzt, für die die Flächenträgheitsmomente bekannt sind, soll zunächst am einfachen Beispiel demonstriert werden:
I Beispiel:
I
Für die beiden skizzierten Flächen sind I.u , I yy und Ixy zu berechnen, jeweils bezüglich des gezeichneten Schwerpunktkoordinatensystems.
Y
cj ~
,,
X
x
cj'
Gegeben:
a.
N
Da das T -Profil eine Symmetrieachse besitzt, vereinfacht sich die Rechnung: Der Schwerpunkt liegt auf der Symmetrieachse.
a
a
a
3a
1,5a
Zur Ermittlung der zweiten Schwerpunktkoordinate wird das x-yKoordinatensystem (nebenstehende Skizze) benutzt, und es folgt für das in zwci RechteckOächen aufgeteilte T -Profil:
xs=O
2
2)
5 I f, I ( 19 YS=-t...AiYi=-2 3a -2a+2a a =-Oa Age.• i~ I 5a I
,
IY S
Ys
x
IY
x
226
16 Biegung
Im nun bekannten Schwerpunkt der zusammengesetzten Fläche liegt das x-y-Koordinatensystem zur Berechnung der Flächenträgheitsmomente. Die Koordinaten der Schwerpunkte der beiden Rechteckteilflächen in diesem Koordinatensystem sind
Xi = 0
Yi = Yi - Ys
Das sind gleichzeitig die Abstände zur Ermittlung der "Steiner-Anteile", die in diesem FaU nur bei der Ermittlung von I,n ungleich Null sind, Da eine der Bezugsachsen eine Symmetrieachse ist, wird das Deviationsmoment Ixy = O. Die Rechnung liefert:
3aa
J
1.c,.=~+3a
a27 a 3
2(3)2 ja
2aa 3
a8a
3
2(9TOa )2 =3,62a4
+~+2a
1)')' = -1-2- + -12- = 2,42a
4
Ix)' = 0
'
Die zweite zu behandelnde Fläche dieses Beispiels zeigt keine Symmetrie, so dass für beide axialen Flächenträgheitsmomente der Steinersehe Satz angewendet werden muss (Abbildung 16.11),
y
Um mit den bekannten Formeln für die Standardflächen arbeiten zu können, muss die Fläche in eine vorhandene Fläche (Kreis) und eine Fehlfläche (Rechteck) aufgeteilt werden. Sowohl Flächeninhalt als auch Flächenträgheitsmomeme der Fehlfläche gehen mit negativem Vorzeichen in die Rechnung ein, Hier bringt cs einen Rechenvorteil, das x-,v-Koordinatensystem in den Schwerpunkt des Kreises zu legen. Zunächst wird wieder die Lage des Gesamtschwerpunkts der Fläche berechnet:
Xs = ----;:-----,-,,---: ( - 63 a 2 4 16na 2 - @a 4
2
3
( - -4
a)) = 0, 3422 a
Abbildung 16.11: Fläche = Kreis - ("Rechteck einschließ-
1 Ys = ---,------:-I-----;c,---: (- 63 a 2 ( - -4 a)) = 0, I 141 a 2 2 16na - @a 4 4
lich
Anteil
aus
Steinerschem
Satz 16, 10")
Schließlich ergeben sich die Flächenträgheitsmomente aus der Subtraktion der Anteile von Kreis und Rechteck, jeweils unter Berücksichtigung der Steiner-Anteile:
6
n(8a)4
2-2
I,,=~+I na Ys -
_ n(8a)4 I)'y - ~ 2
+ I 6 na 202 Xs
-
2
[4,5a(3,5a)3 63 (a _ 12 +'4 a :\+YS [3,5a(4,5a)3 12
Ixy = -16na (-.ts)(-Ys)- [-
)2]
63 2(3 a - )2] + '4 a :\ + Xs
~ a2 (-3~ - ts) (-~-YS)]
= 183,55a4
_ 161 , 58 a4
-
4,30a
4
Bei der Ermittlung des Deviationsmomentes wurde berücksichtigt. dass die beiden Teilflächen Symmetrieachsen besitzen und deswegen nur Steiner-Anteile der Teilflächen das Deviationsmoment der Gesamtfläche bilden.
16.2 Flächenträgheitsmomente
227
16.2.5 Hauptträgheitsmomente, Hauptzentralachsen Die im Abschnitt 16.1 hergeleitete Biegespannungsformel 16.3 (Seite 217) gilt nur, wenn sich das FlächenträgheitslUoment Ixx auf eine durch den Schwerpunkt des Querschnitts gehende x-Achse bezieht und außerdem das Deviationsmoment Ix)' für das x-y-Koordinatcnsystem verschwindet. Die zweite Bedingung ist immer dann erfüllt, wenn wenigstens eine der beiden Achsen (x oder y) eine Symmetrieachse des Querschnitts ist. Aber auch für unsymmetrische Querschnitte existiert ein Achsenpaar, für das das Deviationsmoment verschwindet. In diesem Abschnitt wird das Problem behandelt, die Richtungen dieser Achsen zu ermitteln. Zunächst wird untersucht, wie sich die Flächenträgheitsmomente bei einer Drehung des Bezugskoordinatensystems ändern. Aus der Abbildung 16.J2 können die Transformationsformeln für den Übergang vom x-y-Koordinatensystem auf ein um den Winkel cp gedrehtes ~ -1)-Koordinatensystem abgelesen werden: ~ =
jy 7)
x
xcoscp+ysincp
1) = -xsincp+ycoscp Wenn diese Transformationen in die Definitionsformeln für die Flächenträgheitsmomente eingesetzt werden, z. B.
I~~ =
J'1
2
2
dA = sin cp
A
J
2
2
x dA +cos cp
A
Jl
Abbildung 16.12: Drehung des Koordi natensystems
dA - 2sin cpcoscp
A
J
xydi\ = ...
A
so erhält man nach einigen elementaren Umformungen die Formeln für die
Transformation der Flächenträgheitsmomente auf ein gedrehtes Koordinatensystem: I
I
I~~ =
2' (I", + I)y) + 2' (/.e, -ly)')cos2cp + /.",sin2cp
Iry I) =
~ (lAX + Iy)') - ~ (lA., -I)'y) cos 2cp -/.,)' sin2cp
I~ry =
-2'(/.u-lyy)SIll2cp+Jx)'cos2cp
I
(16.12)
.
Zu besonders wichtigen Aussagen führt die Beantwortung der Frage, für welche Winkel die Flächenträgheitsmomente I~~ und /')1) extreme WeIte annehmen. Die Bedingungsgleichungen dafür sind: d I~~ dlry 1l =0 bzw. -=0 dcp dcp Beide liefern das gleiche Ergebnis: • 2/A )' ran2cp = - - lxx - lY).
228
16 Biegung
Da der Tangens des Winkels 2'P' im Bereich von 0 0 bis 360 0 auf zwei Winkel führt, die sich um 1800 unterschcidcn, erhält man rur den einfachen Winkel rp' zwei Lösungen, die sich um 90° unterscheiden: Die Extremwerte der Flächenträgheitsmomente ergeben sich für zwei aufeinander senkrecht stchcnde Richtungen. Die Frage, welcher der beiden Winkel zum Maximum und welcher zum Minimum gehört, wird durch die zweite Ableitung entschieden. Diese Rechnung führt auf die unten angcgebene Formel 16.14. Durch Einsetzen der Bedingllngsgleichung für den Winkel 'P' in die allgemeinen Transformationsformeln für die Flächenträgheitsmomente 16.12 ergeben sich die Formeln 16.13 für das maximale bzw. minimale Flächenträgheitsmomem und eine weitere wichtige Erkenntnis: Das Deviationsmoment verschwindet für das durch rp' definierte Koordinatensystem, diese beiden Koordinaten sind also auch die Hauptzentralachsen der Fläche. Alle flir die Biegetheorie erforderlichen Kennwerte einer Fläche können errechnet werden, wenn lxx, Iyy und Ix)' für ein beliebiges, im Scbwerpunkt der Fläcbe liegendes x-yKoordinatensystem bekannt sind: Es existiert immer ein gegenüber dem x-y-Konrdinatensystem um den Winkel 'PI gedrehtes Koordinatensystem mit den Achsen I und 2. für das das Deviationsmomem verschwindet (I und 2 sind die Hauptzentralachsen der Fläche). Die Flächenträgheitsmomente bezüglich dieser Achsen heißen Hauplfrägheitsmomenre: Ixx + I vy 11 =--2-"-+
h=
lxx + In 2 ."
(lxx -
l y ,)2
4"
1
+Ixy
(16.13) (lxx - Ivy )2 4
+/ 1 .'y
h das kleinste aller Flächemrägheitsmomente. die sich bezüglich beliebiger Schwerpunktachsen finden lassen. Die Achsen I und 2 stehen senkrecht aufeinander. Der Winkel 'PI zwischen der x-Achse und der Achse 1 des größten Fläehenlrägheitsmoments errechnet sich nacb: lxv tan'Pl = - - " ( 16.14)
1 ist das größte und 1
Ii -Iyy
c:> Der positive Drehsinn des Winkels 'PI ist durch die Koordinaten x und y festgelegt (Abbildung 16.13). Ein positiver Winkel wird linksdrehend an die x-Achse angetragen und führt zur Achse I mit dem größten Flächenträgheitsmoment.
0::> Für Flächen mit mindestens einer Symmetrieachse kann man sich diese Berechnungen ersparen, da eine Symmetrieachse und zwangsläufig auch die zu ihr senkrecht verlaufende Schwerpunktachse immer Hauptzentralachsen sind und damit zu einer von beiden das größte, zur anderen das kleinste aller Flächenträgheitsmomente bezüglich der Schwerpunktachsen gehört.
x
Abbildung 16.13: Winkel 'PI
16.2 Flächenlrägheilsmomenle
I
229
Weil man bei einem Quadrat für beide Hauptzentralachsen das gleiche Flächenträgheitsmoment erhält (Maximum gleich Minimum), muss sich dieser Wert auch für beliebige andere Schwerpunktachsen ergeben. Es gilt also: Bei einem Quadrat und bei beliebigen anderen regelmäßigen n-Ecken und natürlich auch beim Kreis (und immer dann, wenn I, = 12 ist, nebenstehend skizzierte Beispiele) sind sämtliche Schwerpunktachsen auch Hauptzentralachsen.
Beispiel:
a
d
b
b
b
b
I
Für die skizzierte Fläche ermittle man
y 2
a) die Hauptträgheitsmomente, tI
b) die Lage der Hauptzentralachsen.
00
Der Schwerpunkt der entsprechend der Skizze aufgeteilten Fläche wird bezüglich des x-.y-Koordinatensystems ermittelt:
1",
,
/
S
x 2
"---'-/_"-~---'---' ~ 6a
a 7 xs = _1_2 (sa 2 -2 +5a 2 -2 a) = 1,654a 13a
Die beiden Flächenträgheitsmomente I xx und Iyy , die sich auf das x-y-Koordinatensystem im SChwerpunkt der Gesamtftäche beziehen. ergeben sich aus jeweilS vier Summanden (zwei Rechtecke, jeweils unter Berücksichtigung der Steiner-Anteile). Das Deviationsmoment Ix} resultiert ausschließlich aus den Steiner-Anteilen, da die Rechtecke bezüglich ihres eigenen SchwerpunktKoordinatensystems (Symmetrieachscn) keine Deviationsmomcnte haben:
a(8a)3
2
_
2
5aa3
1.« = -1-2- +Sa (4a-ys) + ~ + 5a 8aa 3
1.,= - - +8a
))
Ix)'
12
=
2 (_
Ys -
a)2
'2
= SO, 78a 4
2(_Xs--a)2 +a(5a)3 _)2 =3S 78a4 - - +5a2(7-a-xs
-8a 2 (-xs+
2
12
D
2
(4a- Ys) -Sa 2 Ga-xs)
'
G-
4
ys) = 32,31 a
Aus diesen Werten errechnen sich die beiden Hauptträgheitsmomente nach 16.13 und der Lagewinkel flir das Hauptachsensystem (vgl. Skizze oben rechts) nach 16.14: 11=9S,3Ia4
tan CPI = 0,5427
h=21,24a4 =?
CPI = 28,49°
Für eine L-fönnige Fläche mit gleichen Schenkcllängen ist das Hauptachsensystcm um 45° gegenüber dem x-y-System gedreht. Obwohl man für eine solche Fläche aus der Anschauung sofort dic Lage der Hauptachsen kennt (Symmetrie), ist zur Ermittlung von 11 und 12 trotzdcm einc Rechnung wie bci dem geradc gelÖsten Beispicl crforderlich.
16 Biegung
230
16.2.6 Formalisierung der Berechnung Eine in der Praxis sehr häufig vorkommende Aufgabe ist die Ermilliung der Trägheitsmomente einer Fläche, die sich aus Teilflächen zusammensetzt, deren Schwerpunkte und Trägheitsmomente bekannt sind. Dafür wird folgendes Vorgehen empfohlen: CD Die Fläche wird in geeignete Teilflächco A; zerlegt. Dabei ist es oft sinnvoll, aus größeren Teilflächen eine kleinere auszuschneiden (Abbildung 16.14: 2 Rechtecke mit einem Kreisausschnitt). Ausschnittl1ächen gehen mit negativem Vorzeichen in die Rechnung ein.
y
@ Bezogen auf ein globales .r-y-Koordinatensystem
werden die Schwerpunktkoordinaten Teill1ächen eingezeichnet.
x;,y;
der
@ Für jede Teill1äche A; wird ein lokales x;-y;'
Schwerpunkt-Koordinatensystem so festgelegt, dass die Achsen parallel zu den Achsen des globalen Koordinatensystems verlaufen. @) Ausfüllen der schattierten Zellen in folgender Ta-
belle (vgl. auch www.TM-aklUell.de): i
A;
x;
f:lächen und Ausschnitten zusammengesetzl
y;
LI i
Xj-XS
y;- YS
Abbildung 16.14: Eine Fläche wird aus Teil-
Ixixi
I)-'ivi
Ixivi
A;x;
A;y;
L2
L3
L4
L5
Li,
A;(x; -xs)2
A;(y; - YS)2
-A;(x; -xs)(y; - Ys)
L7
L8
L9
Die A; sind die einzelnen Teill1ächen (negativ für Ausschnittflächen), x; und y; die Schwerpunktkoordinaten der Teilflächen, bezogen auf das globale Koordinatensystem. lxix;, I)';)'; und I,;)'; sind die Flächenträgheitsmomente der Teilflächen (negaliv für Ausschnille), bezogen jeweils auf das zugehörige lokale Koordinatensystem der Teilfläche. @
Nur der schallierte innere Teil der Tabelle hat einen unmittelbaren Bezug zur aktuellen Aufgabe (..Eingabewerte" der Rechnung), die Ermittlung der übrigen Werte folgt einem formalen Algorithmus, der dureh die Angaben im Tabellenkopf, die Summenbildlll1g in den angegebenen Spalten und die folgenden Formeln bestimmt wird.
16.2 Flächenträgheitsmomente @
231
Zunächst muss der obere Teil der Tabelle ergänzt werden. um die Schwerpunktkoordinaten der Gesamtfläche, bezogen auf das globale Koordinatensystem. nach nebenstehenden Fonnein berechnen zu können.
Schwerpunkt-Koordinaten:
xs = L5 LI
YS = L6 LI
CD Berechnung der Flächenträgheitsmomente der Gesamtfläche, bezogen auf das x-y-Koordinatcnsystem, das (parallcl zu x.y) im Schwerpunkt dcr Gcsamtfläche liegt: ~=L+~ @
~=L+L
~=~+~
Die Hauptträghcitsmomcnte (bezüglich der Hauptzentralachsen I und 2) erhält man aus 16.13, den Winkel ({>J zwischen der x-Achse und der Hauptzentralachse I aus 16.14:
Ix., + I)')'
Y'I x
I x\' tan ({>I = - - ' - . 1I -I,.)'
1'2=--'-± , 2
I
I_ BeispielJ: . d d'JC Haupttrag .. hcllsmo. _ _ _.... F"ur d'Je s k"lZZICrlC FI"ac hc S1l1 mente und die Lage der Hauptzentralachsen zu ermitteln
4
6 M
Hinweis: Die in der Sk.izze eingeu'agenen Längen sollen die Dimension mm haben. Bei der Tabellenrechnung werden die Maß-
, ,,
einheiten mm, mm 2 , 111m 3 und mm4 weggelassen.
Für die in der unteren Skizze angegebene Einteilung der Fläche in zwei Rechtecke mit der Kreisfläche als Fehlfläche (Fläche und Flächenträgheitsmomentc negativ) crgibt sich der unten zu schende erste Teil der Tabelle. Man beachte, dass nur für den schattierten Teil die einzutragenden Werte aus der Aufgabenskizze entnommen werden müssen. Alle weiteren Werte folgen aus vorherigen Tabelleneinträgen. Vor der Auswertung des zweiten Tabellenteils muss die Lage des Schwerpunkts der zusammengesetzten Fläche ermittelt werden, dessen Koordinaten aus dem ersten Tabellenteil berechnet werden:
xs = L5 LI
= 4,863 mm
Ys=
~~
, I
,
=4,989mm
i
Ai
Xi
Yi
lxix;
{yi)';
I
44,0 48,0 -12,6 LI = 79,4
2 7 3
5,5 4 3
443.7 256,0 -12.6 L2=687,1
58.7 144,0 -12,6 L3 = 190, I
2 3
M
lXi)';
AjX;
88,0 336,0 -37,7 ~=O L5 = 386,3 0 0 0
AiYi
242,0 192,0 -37,7 L6 = 396,3
Mit den nun bekannten Schwerpunktkoordinaten .i's und Ys kann auch der zweite Teil der Tabelle ausgefüllt werden, wobei man nur formal den angegcbenen Rechenvorschriften folgen muss:
232
16 Biegung i
Xi-XS -2,863 2,137 -1,863
1
2 3
Yi-YS
Ai(Xi - XS)2
Ai(Yi - YS)2
-Ai (Xi -XS)(Yi - YS)
0,511 -0,989 -1,989
360,7 219,2 -43,6
11,49 46,96 -49,72
1:7 = 536,2
1:s = 8,73
64,37 101,45 46,57 1:9 = 212,4
Mit diesen Werten bcrcchnelman dic Flächcnträgheitsmomcntc dcr Gcsamlflächc bczüglich dcs x-y-Koordinatensyslems, das (parallel zu x,y) im Schwerpunkt der Gesamtfläche liegt: {xx
= 1:2 + 1:s = 695,8mm 4
(yy
= 1:3+1:7 = 726,3mm 4
Ix)'
= L+1:9=212,4mm
4
Damit ergeben sich die Hauptträgheitsmomente (bezüglich der Hauptachsen I und 2): {xx
+ {yy
1,2=--2-± =}
(fxx
- lyy )2
4
4 1, = 9241lun
2
, I
2 3
tan'Pl = --'-
= 1,074
'PI =47,1° .
{, - {>y
Natürlich bieten sich fUr die Auswertung der Tabellen moderne Tabellellkalkulationsprogramme geradezu an (Abbildung 16.15, siehe auch www.TM-aktueILde). so dass der BenUlzer nur die grau unterlegten Zellen ausfüllen muss.
"
7 3
-12,57
l:xixi
lxi')li
1')Ii')li
58,7 5.5 443,67 2S6 '44 3 .12,566 -12,57
•
79,04
h=498mm4
=}
2
x"
t
1
.~86J
2 3
2,1368
687,1 100,13
~
.~ 0,5109
"I> "I> I>
"i
:;
I>
"i
~
"',, '"
336
-37,699
5 6 7
I
I,y
44
4
+I,y
Den Winkel zwischen dcr x-Achse und dcr Hauptachse I berechnet man folgendermaßen:
,..
»q
AI
0
"".
242
192 .37,699 0 0 0 0
0 0 0 0 386.3 396,301
I>~
~.~
.1> " >,10
"' .
~86319
360.1D6 11,486 64,366
Xs.
46,958 101,45
Ys-
~98908
bUI
695,825
-0,989 219,166
-1,863 -1.989 -43,624 -49,718 46,571
e
4
Iw" 726,381
5 6 7
bcy- 212,384 11 .. 924,036
12· 498,11 536,248
8,725 212,38
phi1 '" 47,0513
Abbildung J6.15: Auswertung mit einem Tabellenkalkulationsprogranun. llier: MS-Exc.e1
I
a
Beispiel 2: F"ur d'Je S k"IZzlcrte FI"ac he sm . d d'Je Kocrd'Inaten des I_ _ _ _...I
3a
Schwerpullkts, die Hauptträgheilsmornente und die Lage der Hauptzentralachsen zu berechnen. Bei der Aufteilung der Fläche in Teilflächcn und Fcstlegung der lokalen Koordinatensysteme (parallel zu einem globalen Koordinatensystem!) wird man feststellen, dass sich die im Abschnitt 16.2.2 angegebenen Formeln fiir mindestens eine Fläche auf ein anders liegendes Koordinatensystem beziehen. Für diese Teilfläche müssen die TransformationsformeID für die Drehung des Koordinatensystcms 16.12 genutzt werdcn.
ö 0
I
/'
ö M
/
I
2a
öl
NI
7a
16.2 Flächenlrägheilsmomenle
233
Bei der Einteilung der Fläche entsprechend Abbildung 16.16 in zwei Rechteckfiächen, eine Dreiecksfiäche und eine Halbkreisftäche (als Fehlftäche) sind für die ersten drei Tcilftächen die Koordinaten der Schwerpunkte sofort anzugeben. Für die Halbkreisfiäche, deren Schwerpunkt auf ihrer Symmetrieachse liegt, ist e durch die Fonnel 16.11 gegeben (Sonderfall des Kreissektors bzw. Kreisabschnitts. vgl. auch Abschnitt 4.2). Da die Halbkreisftäche unter einem Winkel von 45° gedreht liegt, sind die horizontale und vertikale Komponente von e gleich groß:
8a J2 4J2 - = -- a 3Jr 2 3Jr Aus diesen Komponenten und den gegebenen Koordinaten des Mittelpunktes des Halbkreises ergeben sich die Koordinaten X4 und Y4 bezüglich des skizzierten Koordinatensystems: e/r
=
e1,
=-
Abbildung 16.16: Rechteck Dreieck - Halbkreis
+ Rechteck +
_ ( 4J2) 3n a
Y4 =
5-
Für das im Halbkreis eingetragene x* -y* -Koordinatensystem (für diese Teilfiäche die Hauptzentralachsen) sind die Flächcoträghcitsmomeote als Fonneln 16.1 I im Abschnitt 16.2.3 bereits bereitgestellt worden (die Drehung des Koordinatensystems um 1800 ist prinzipiell für die Flächen trägheitsmomente bedeu tungslos): 2
I x• x" =
9Jr -64 6 4 1 a 72Jr
Die Beziehungen für die Drehung des Bezugskoordinatensystems 16.12 im Abschnitt 16.2.5 transformieren mit cp = 45° und damit cos2cp = 0 und sin2cp = 1 die Flächenträgheitsmomente aus dem x*-y*-System in ein ~-1]-System (hier mit dem X4-Y4-System identisch):
I/;/; = 1,4...4 = (2Jr-
~) a4
I'I~ = 1)'4)'4 =
(2Jr-
~) a4
1/;11 = 1,4/4
=~ a4
Der Rest ist wieder formales Einspeichern in die Tabelle und Abarbeiten des 8-Punkte-Algorithmus, der am Beginn des Abschnitts 16.2.6 beschrieben wurde. Die komplette Tabellenrechnung tindetman unter www.TM-aktuell.de. Aber es geht natürlich noch wesentlich bequemer. Neben der Möglichkeit, ein Tabellenkalkulationsprogramm (zur Auswertung des mathematischen Modells der Fläche) zu nulzen, ist die Berechnung von Flächenträgheitsmomenten ein geeigneter Kandidat für die Benutzung eines "WYSIWYG-Programms"!, wie man es mit dem Script "Flächenträgheitsmomente - OnlineBerechnung" unler www.TM-interaktiv.de findet. I Zu
diesem Begriff vgl. auch die Erläuterungen auf Seite 2' 3
234
16 Biegung
Abbildung 16.17: Besonders komfortabel: Der Benutzer beschreibt die Fläche. und die Software zeichnet und berechnet alle interessierenden Parameler
Die Abbildung 16.17 zeigt das Ergebnis fur das Beispiel 2, das man auf diesem Wege ohne die auf der Seite 233 angestellten Überlegungen erhält. Und da ist sie natürlich schon wieder, die Frage: "Und warum muss icb das alles Jemen, wenn es mit der verfügbaren Software so einfach ist?" Zum ersten Mal wurde diese Frage auf der Seite 46 beantwortet. Alles, was dort zu lesen ist, gilt auch hier. Für das Thcma "Flächenträghcitsmomcntc" kommt noch cin wichtigcs Argumcnt hinzu: Dic Biegebeanspnlchung von Trägern ist wohl das häufigste (und besonders kritische) Problem in der Festigkeitslehre. Dic Flächenträgheitsmomente bilden die Grundlagc für die Beurtcilung der Tragfähigkeit, und man sollte unbedingt ein Gefühl dafür entwickeln, wie man ihre Größe beeinllussen kann. Das gelingt nur durch das Berechnen von möglichst vielen Beispielen, denn die Größe eines Parameters mit der merkwürdigen Dimension cm4 entzieht sich zunächst ganz sicher der Vorstellungskraft. Noch viel weniger kann man sich unter dcm Deviationsmoment l,y vorstellen. Zunächst genügt es, ein Ixy # 0 als "Spielverderber" anzusehen: Es bedeutet, dass die Biegespannungsformel 16.3 (Seite 217) nicht verwendet werden darf. Deshalb kommt den Hauptzentralachsen eine besondere Bedeutung zu, und als Test, ob man schon ein "Gefühl" für das gesamte Thema ,.Flächenträgheitsmomente" hat, kann empfohlen werden: Vor der Berechnung eines Beispiels (ob ,.von Hand" oder mit Software-Unterstützung) sollte man versuchen abzuschätzen, welche Lage die Hauptzentralachse I für diese Fläche haben wird.
16.2 Flächenlrägheilsmomenle
235
16.2.7 Durch Polygonzüge begrenzte Flächen, beliebig berandete Flächen Für Querschnine. die sich nur mir Schwierigkeiten oder gar nicht in Standardqucrschnine zerlegen lassen (diese Zerlcgung war Voraussetzung f1ir die Beispiele im Abschnill 16.2.6), liefert in jedem Fall das nachfolgend beschriebene Velfahren eine Lösung, zumindest eine ausgezeichnete Näherungslösung. Behandelt wird eine Fläche, deren Außenkontur und (beliebig viele) Innenkonturen (Ausschnitte) sich durch Polygon züge beschreiben lassen (Abbildung 16.18). ZWlächst wird ein einzelnes Geradenstück der Außenkontur betrachtet (Abbildung 16.19); Die Gerade I - 2 schließt mit den Koordinatenachsen Flächen (Trapeze) ein, die durch Integrale ausgedrückt und wie foJglmjt Vorzeichen behaftet werden;
Abbildung 16.18: Durch Polygonzüge begrenzte Fläche mit Ausschnitt
Y2
X2
ßA i = - j ydi
ßA, = j idy
YI (mit dem ß wird angedeutet, dass ein Trapez als Teiltläche betrachtet wird). Wenn Punkt 2 links von Punkt I liegt, kehren sich die Vorzeichen der Flächen automatisch um. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass für einen geschlossenen Polygonzug bei Nummerierung der Punkte entgegen dem Uhrzeigersinn die Summe aller (mit den ßA i oder den ßA y gebildeten) Trapeztlächen die von dem Polygon umschlossene Gesamtftäche liefert (sinnvoll für Außenkontur), bei Nummerierung im Uhrzeigersinn wird das Ergebnis negativ (sinnvoll für Ausschnitte). '\'1
d
Y, Y Y,
x, Abbildung 16.19: Ein Geradenstück der Außenkon-
tur
Dieses bereits im Abschnitt 4.5.1 für die Berechnung von Flächenschwerpunkten genutzte Verfahren wird nun auf die statischen Momente und Flächenträgheitsmomente erweitert. Die starischen Momenre der Trapeze setzen sich aus den statischen Momenten unendlich vieler unendlich schmaler Rechtecke zusammen, für das statische Moment bezüglich der i-Achse sind dies z. B. Rechtecke ydi mit dem SChwerpunkt bei ~;
i, j2
y2
ß5i = -
My =
di
j'" i
2
2
dy
SI
il
Bei den axialen Flächenrrägheirsmomell/en ist zu beachten, dass das unendlich schmale Rechteck Yd.f mit dem Schwerpunkt bei ~ z. B. bezüglich der i-Achse einschließlich eines SteinerAnteils aufzuschreiben ist;
"'[3Y12di+(~) 2] "'f ydi =-j~di 2' 3
M--=-j xx
.i:]
j'1
h~ ßh=j~dY;) 3 5'1
Dementsprechend ist für das Deviationsmoment für ein unendlich schmales Rechteck nur der Steiner-Antei I zu beachten, dessen negatives Vorzeichen nach 16.10 für das Trapez unter der Geraden I - 2 das positive Vorzeichen vor dem Integral erzeugt:
16 Biegung
236
Zur Auswertung der Integrale wird dic Gcradcngleichung benötigt, als Zwei-Punkte-Gleichung wahlweise nach x oder Y aufgelöst: _
X2 - XI (_
_)
x = -_--_- Y - YI Y2 -YI
•
+XI
.
h-Y,( .
. )+.YI
Y = -.--.- X-XI X2
~Xl
Die Auswertung der Integrale ist nicht schwierig (aber mühsam). Durch Summation über alle Geradenstlicke, die einen geschlossenen Polygonzug bilden müssen, erhält man die Hächenkennwerte einer von einem geschlossenen Polygonzug begrenzten Fläche:
5"
=
Sy=
I
6 E (y; + Y;+I) (Y;+I x; ,
y;X,+I)
I
6 E(X;+Xi+I)(Yi+IX;-Y;X;+I) ,
(16.15)
Koordinaten des Schwerpunkts:
. XS=
S,
A
. YS=
Si
A
(16.16)
Flächenträgheitsmomente bezüglich des Schwerpunkt-Koordinatensystems:
~=~-~A
~=~-~A
~=~+khA
( 16.17)
Ein geschlossener Polygonzug aus n Geradenstücken mit 11 Eckpunkten wird in den Formeln 16.15 durch 11 + 1 Punkte dargestellt, indem der Startpunkt als Endpunkt noch einmal verwendet wird. Dabei sind die Punkte entgegen dem Uhrzeigersinn abzuarbeiten.
oe;> Innenkonturen (Ausschnitte) sind im Uhrzeigersinn abzuarbeiten. Da bei formaler Anwen-
dung der Formeln auch das Geradenstück zwischen dem letzten Punkt der Außenkontur und dcm ersten Punkt der lnncnkontur eincn Anteil liefert und damit die Rechnung verfälschen würde. muss entweder die Innenkonlur gesondert behandelt werden, oder man hält sich an folgende einfache Regel (ein zweimal in unterschiedlichen RichtlLl1gen durchlaufendes Geradenstück liefert zwei gleiche Anteile, die sich aufheben):
237
16.2 Flächenlrägheilsmomenle
Die Außenkontur wird. beginnend mit einem beliebigen Punkt, entgegen dem Uhrzeigersinn durchlaufen. Vom Endpunkt (gleich Startpunkt) geht man zu einem beliebigen Punkt einer Tnnenkontur, die dann im Uhrzeigersinn durchlaufen wird, vom Endpunkt (gleich Startpunkt) der Innenkontur eventuell zu weiteren Innenkonturen (sämtlich im Uhrzeigersinn zu durchlaufen). Nach Durchlaufen der letzten Innenkontur geht man über die Verbindungslinien der einzelnen Konturen bis zum Startpunkt der Außenkontur zurück. Die Summen in den Formeln 16.15 erstrecken sich über alle auf diesem Weg berühllen Punkte.
I
I Beispiel: F"ur d'Je nebenste hen d Sk"JZZlerte FI"ac Ile lTI.lt . emer . A LI Be 11kontur mit 6 Punkten und einer Tnnenkontur (Ausschnitt) mit 4 Punkten erstrecken sich die Summen in den Fonnein 16.15 über insgesamt 13 Summanden. Dabei könnten die Knotenkoordinaten z. B. in folgender Reihenfolge berücksichtigt werden:
1 - 2- 3 -4-5 - 6-7 (= 1)8-9-10-11-12(=8)-13(= I)
h
Vj
4
.~
11~8tt2J ; , I~ 9 2 :
6~~/
I (7) (13)
x
Für viele krummlinig bcrandetc Flächcn, dic nicht durch mathcmatischc Funktioncn beschrieben werden können, ist die Annäherung durch Polygone häufig die einzige Möglichkeit, um die Flächenkennwerte zu ermitteln. Der nachfolgende Bildschirm-Schnappschuss zeigt die Berechnung der Flächenkennwerte für eine Turbinenschaufel, deren Kontur als Polygon mit insgesamt 43 Punkten gcnähert wurde (siche www.TM-aktuell.de): I!lIiJEI
~P,oYlilmm FNOW lF1dch.mBlu1lltlnte] - [FmomlJ
flle 5.1and Es ist üblich, v' als "Biegewinkel" zu bezeichnen, obwohl die erste Ableitung natürlich der Tangens des Anstiegswinkels der Kurve ist. Bei den im Allgemeinen sehr kleinen Winkeln ist der Untersch.ied gering. Selbst bci dcm außcrgewöhnlich großen Zahlenwert des gerade behandelten Beispiels würden sich aus v' = 0, 1525 exakt 8,74° ergeben, bei Interpretation dcs Anstiegs als Biegewinkel kämc man auf 8,67° (Abweichung ist kleiner als 1%). oe;> Während bei dem Beispiel I wegen des relativ einfach aufzuschreibenden Biegemomenten-
verlaufs die VerwendlLl1g der Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung vorteilhaft ist (man vermeidet so auch die schwierige Formulierung der Querkraft- und MomentenRandbedingungen), ist bei dem Beispiel 2 die Arbeit mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordl1lLl1g empfehlenswel1, zumal die Randbedingungen (v = 0 wld v" = 0 an beiden Rändern) recht einfach zu fornlulieren sind.
17.2 Tntegration der Differenzialgleichung
255
Eine generelle Empfehlung, welche der beiden Differenzialgleichungen der Biegelinie bei beSlimmten Aufgabentypen zu bevorzugen ist, kann kaum gegeben werden. Einzelkräfte als Belastungen erschweren die Formulienll1g der Randbedingungen für die Differenzialgleichung 4. Ordnung, Linienlasten (insbesondere veränderliche Linienlasten) machen das Aufsch.reiben des Biegemomentenverlaufs (für die Differenzialgleich.ung 2. Ordnung) schwieriger. Als Basis für Computerprogramme und die Anwendung numerischer Verfahren bei komplizierteren Aufgaben wird die Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung allgemein bevorzugt, weil der formalere Rech.enprozess der Programmierung entgegenkommt. Wenn der Biegemomentenverlauf nur absch.nittsweise aufgeschrieben werden kann (EinzeIkräfte, Einzelmomente, Zwischenstiitzen, ...), muss für jeden Absch.nitt auch die Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung gesondert formuliert (und integriel1) werden. Entsprechendes gilt bei Verwendung der Differenzialgleich.ung der Biegelinie 4. Ordnung, weil in diesen Fällen Unstetigkeiten in den Ableitungen der Funktion v(z) vorkommen (z. B. ein Querkraftsprung bei Einzelkräften oder Zwischenstützen), über die nicht integriert werden darf. In diesen Fällen erhöht sich natlirlich die Anzahl der Integrationskonstanten, und man muss Randbedingungen auch an den "Bereichsrändem" r0n11ulieren, die häufig nur als so genannte Übergangsbedillgullgen aufgeschrieben werden können. Für das nachfolgende Beispiel 3 wird die Arbeit mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung empfohlen. Da der Momentenverlauf für zwei Abschnitte aufgeschrieben werden muss, ergeben sich vier lntegrationskonstanlen. Neben den beiden Randbedingungen (keine Absellkung an den bciden Lagern A und B) müssen noch zwei Übergangsbedingungen am Kraftangriffspunkt formuliert werden: Die Absenkung am rechten Rand des linken Abschnitts muss gleich der Absenkung am linken Rand des rechten Abschnitts sein. Eine entsprechende Bedingung muss für die Biegewinkel gelten, weil die Biegelillie an dieser Stelle keinen Knick haben darf.
I.
..
.
.
Beispiel 3: I_"";_ _...1 Für den sk,zzlerten Trager ermIttle man B
A
a) die Biegelinie,
EI
b) Ort und Größe der maximalen Durchbiegung.
Gegeben:
1I3
2113
I. F. EI =konstant .
Zur Bereitstellung der Biegemomenle für die Integration der Differenzialgleichung 2. Ordnung werden die Lagerkräfte benötigt:
FAv = ~ F
FB = ~ F
Für die beiden Trägerbereiche werden die nebenstehend skizzierten Koordinatensysteme definiert. Die Biegemomente werden an den dargestellten Teilsystemen ermittelt und damit die Differenzialgleichungen aufgeschrieben und integriel1:
IF
F'.4H
-IF!~_=====~I ;;'V
z,
z2 F/3
Fe Z2
Mb2(~
2F131
256
17 Verformungen durch Biegemomenle
Mb'
=
Elv( =
1 FZ I -1 FZI
EIl~ = -~
Elv] =
~F(~-Z2)
Mb2 =
Elv;' = -~ F (~-Z2)
Fd+c I
1F(~-Z2)2+C3
Elv2
-18 Fzi +C,ZI +C2
EIl'2 =
-4 F (~- zd +C3Z2 +C4
Zur Bestimmung der vier Integrationskonstanten werden zwei Randbedingungen und zwei Übergangsbedingungen formuliert uud ausgewertet:
VI (ZI
= 0) = 0
VI(Z,=~i)=V2(~2=0)
=}
v~ (ZI = ~ i) =
=}
V
C2 = 0 3 -2:J/ + ~ C,' = -2~3 F/3 +C4 2 F12 I 12 -n + C1_- nF +C3
=}
2(Z2
=
0)
V2(Z2=~)=0
1C3/+C4 = 0
=}
Aus den drei letzten Gleichungen errechnet man: 5 F/ 2 C3 --81 a) Mit den ermittelten Konstanten werden die Biegelinien für beide Bereiche anfgeschrieben:
FI3 [ (ZI ) 3 ZI] VI = 162EI -9 T +8 T FI3 [ V2 = 243EI -27
~ 243EI
(I3 - fZ,)3 -
[27 (Z2)3 -27 I
Z2
IST +5
I
3"
fLir 0 :S Z2 :S
"3' .
]
(~)2 _6 Z2 +4] I
2
fLir O:Sz,:S
I
b) Aus der Anschauung ist klar, dass die größte Durchbiegung im linken Abschnitt liegt. Des-
halb wird die Ableitung der Funktion V, (z) gebildet und zur Ermittlung des Ortes ZI von VI,ma" gleich Null gesetzt:
V',
=
I:;~I [- 27 C/r+ 8]
v~=O V"""
=}
= VI (ZI =
-27zT+8t2=0
z,) =
=}
z,=a'=~161
16 F/3 FP 2187 16EJ = 0,01792
EJ
oe:> Die Überprüfung, ob der errechnete Extremwert ein Minimum oder Maximum ist (mit Hilfe
der zweiten Ableitung) kann man sich ersparen, wenn (wie im vorliegenden Fall) klar ist, welche Form der verfomlte Träger etwa hat. oe;:. Formal ergeben sich für den Ort ZI des Extremwerts von VI zwei Lösungen. Der negative Wert wurde nicht berücksichtigt, weil er nicht im Trägerbereich liegt. Wer seiner Anschauung nicht traut und auch im rechten Bereich nach der gleichen Strategie nach Extremwerten
257
17.3 Rand- und Übergangsbedingungen
für die Durchbiegung sucht, würde dort fonnal zwei Lösungen finden, die beide nicht im Trägerbereich liegen. Generell gilt natürlich: Innerhalb eines interessierenden Bereichs nimmt eine Funktion ihre Extremwerte entweder an Stellen mit verschwindender erster Ahleitung oder an den Rändern des Bereichs an. Q Die in der Statik (Abschnitt 7.1, Seite 95) gegebene Empfehlung, beim Aufschreiben der
Momentenveriäufe sämtliche Koordinatensysteme gleichsinnig zu definieren, findet hier eine weitere Begründung. Die Abbildung 17.6 verdeutlicht, wie bei Nichtbeachtung dieser Empfehlung die Übergangsbedingungen formuliert werden müssen, weil gleiche Tangentenneigungen in den beiden Abschnitten dann unterschiedliches Vorzeichen haben: VI (ZI
v; (ZI
= j/) = V2 (Z2 =!!) = j/) = -v; (Z2 = !l)
I
21/3
Eine ähnliche Fehlerquelle ergibt sich in diesem Fall für die Querkraft-Bedingung an der Übergangsstelle (erforderlich für das Arbeiten mil der Differenzialgleichung 4. Ordnung).
1/3
Abbildung 17.6: Nicht zu empfehlen: Gegenläufige Koordinaten haben unterschiedliche Vorzeichen für den Anstieg zur Folge
17.3 Rand- und Übergangsbedingungen Beim Arbeiten mit der Differenziaigieichullg der Biegelinie 2. Ordnung werden die Integrationskonstanten mit Hilfe von Aussagen über die Verschiebung v und die Ableitung v' (Biegewinkel) bestimmt. Die Abbildung 17.7 zeigt die häufigsten Varianten der Ralldbedingullgell (es sind Aussagen über die Werte von v bzw. Vi möglich) und Übergallgsbedillgungen (es sind nur Aussagen über die Gleichheit von v bzw. Vi an den Übergangsstellen von einem Bereich zum anderen möglich).
2
3
4
mögliche Farnl der Biegelinie
a
b
c
d
Abbildung 17.7: Bei 4 Bereichen müssen 8 bzw. 16 Bedingungen formulicI1 werden
Da die Differenzialgleichungen ftir vier Bereiche aufgeschrieben (und integl;eI1) werden müssen, wurden vier Koordinaten cingefLihrt (aus den bereits im vorigen Abschnitt genannten Gründen
258
17 Verformungen durch Biegemomenle
sind alle z-Koordinaten von links nach rechts gerichtet). Randbedingungen können formuliert werden • am linken Rand des I. Abschnitts (keine Verschiebung v und horizontale Tangente der Biegclinic an der Einspannung A), • am rechten Rand des 3. Abschnitts (v = 0 am Lager B). • am linken Rand des 4. Abschnitts (v = 0 am Lager B). Sie werden ergänzt durch cüe Übergangsbedingungen: • Gleichheit der Verschiebungen v am rechten Rand des I. Abschnitts und linken Rand des 2. Abschnitts und Gleichheit der Biegewinkel an dieser Stelle (Biegelinje hat keinen Knick), • Gleichheit dcr Verschiebungen v am rechten Rand des 2. Abschnitts und linken Rand des 3. Abschnitts (am Gelenk jedoch keine Gleichheit der Biegewinkel), • Gleichheit der Biegewinkel am rechten Rand des 3. Abschnitts und linken Rand des 4. Abschnitts (auch am Lager ergibt sich kein Knick in der Biegelinie). Für die Bestimmung der 8 Integrationskonstanten stehen also 8 Bedingungen zur VerfLigung:
0) = 0
5.)
VI (ZI =
a) = "2(Z2 = 0)
=0) =0
6.)
1"1 (21 =
a)
1.)
"1(ZI =
2.)
1"1(21
=
11'2(22
= 0)
3.) "3(Z3 = c) = 0
7.) V2(Z2 = b) = "3(Z3 = 0)
4.)
8.) vj(Z3 = c) = "~(Z4 = 0)
"4(Z4 =
0) = 0
Beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung kommen zu diesen Bedingungen noch Aussagen über die 2. und 3. Ableitung von v hinzu, so dass an Rändern und ÜbergangssIelIen das Gleichgewicht der Schnitlgrößen (Biegemoment und QuerkraJt) mit den äußeren Kräften und Momenten hergestellt wird. Dazu werden Schnitte "unendlich dicht"' neben Rändern und Übergangsstellen betrachtet. Deshalb gehen Linienlasten, die ja bereits von der Differenzialgleichung erfasst werden, in diese Gleichgewichtsbedingungen nicht ein. Die acht so genannten geometrischen Rand· und Übergangsbedingungen, die für das Arbeiten mit der Differenzialgleichung 2. Ordnung aufgeschrieben wurden, werden um noch einmal acht dynamische Rand· und Übergangsbedingungen ergänzt. Folgende Randbedingungen können formuliert werden: • Die Biegemomente sind Null am rechten Rand des 2. Abschnitts und am linken Rand des 3. Abschnitts (Gelenk kann kein Moment übertragen), ebenso am rechten Rand des 4. Ab· schnitts (freier Rand ohne äußeres Moment). • Am rechten Rand des 4. Abschnitts muss die Querkraft mit der Kraft F2 im Gleichgewicht sein (Abbildung 17.8):
Abbildung "unendlich rechten Rand
17.8: dicht"
Schniu 001
259
17.3 Rand- und Übergangsbedingungen
Abbildung 17.9: Schnittstellen liegen "unendlich dicht" neben den Übergangsstellen Aus den in Abbildung 17.9 dargestellten Schnitten der ÜbergangssteJlett lassen sich folgende Übergangsbedingungen ablesen: • Gleichheit der Biegemomente links und rechts von der Kraft PI bzw. links und rechts vom Lagcr B, • Gleichheit der Querkräfte links und rechts vom Gelenk. • Der Querkraftsprung bei PI wird durch die Gleichgewichtsbedingung der Kräfte in vertikaler Richtung beschrieben: PQI (ZI = a) = PI
+ FQ2(Z2 =
'*
0)
-(EI vf()'b~a = FI - (EI v~)'b=o
In dieser allgemeinen Form müssen die Bedingungen formuliert werden, wcnn die Biegesteifigkeit veränderlich ist. Nachfolgend sittd diese für die Arbeit mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung zusätzlich erforderlichen Rand- und Übergangsbedingungen zusammengestellt, wobei vereinfachend angenommen wurde, dass die Biegesteifigkeit über alle Abschnille des Trägers konstant ist, so dass sie aus den meisten Gleichungen verschwindet:
9.) V~(Z2 = b) = 0
13.) V'((ZI = a) = V~(Z2 = 0)
10.) V~(Z3 = 0) = 0
14.) V~(Z3 = c) = V~(Z4 = 0)
11.) V~(Z4 = d) = 0
15.) V~f(Z2 = b) = \'~'(Z3 = 0)
12.)
V~f(Z4 =
d) = -
;~,
16)
V~ff(ZI =
a) = v'{'(Z2 = 0) -
;~
c:> Die Gesamtanzahl der Rand- und Übergangsbedingungen entspricht auch hier der Anzahl der Integrationskonstanten (4·4 = 16), die bei Integration der Differenzialgleichungen für vier Abschnitte entstehen. Man beachte, dass dafür an den Lagern die Querkraft- und Biegemomentbedingungen, in die die Lagerreaktionen eingehen würden. nicht benötigt werden.
c:> Da bei statisch bestimmt gelagerten Trägern die Lagerreaktionen aus Gleichgewichtsbedingungcn bcstimmt wcrden könncn, stehcn mit diescn nicht benutztcn Bcdingungen wirksame Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung. So müssen bei dem betrachteten Beispiel Biegemoment und Querkraft am linken Rand des I. Abschnitts mit den Lagerreaktionen an der EinspannsteIJe im Gleichgewicht sein. Am Lager B muss z. B. gelten: PQ3(Z3 = c) + 1"8 = FQ4(Z4 = 0)
'*
-Elv~'(Z3 = c) + 1"8 = -EI V~'(Z4 = 0)
Eine komplett durchgerechnete Aufgabe mit einer besonders großen Vielfalt an Rand- und Übergangsbedingungen findet man als Beispiel 3 im Abschnitt 17.5 (Scite 265).
260
17 Verformungen durch Biegemomenle
17.4 Einige einfache Biegelinien
VF=
a)
Vi (
=
0) =
I ZI
Fa 2b2 3EIJ Fab(l +b) 6EII
'( _)_ Fab(l+a) Vz zz-b - - 6EII
+I)
2 Fab [( 21 zj ] vI = 6EI 1 b , - abi 2 Vz = Fa b +~) b-Z2 _ (b-Z 2)3] 6EI 0 abi
[(I
a')
Für
a? b:
Fbzj Vmax = 3 Eil
Für
a::;b:
Vmax
~
Iv
I
l/2
=
Fa (b - Z2)3 3EIJ
Vmax
l/2
o::; ZI
FLir
o :5: ~z ::; b
bei
ZI =
bei
2 2 _ JI _0 zz=b- - 3
= VF =
-
::;
a
Z J /z - b -3-
FI 3 48EJ 2
v '( z=O ) =-v '( z=1 ) = Fi -16EI
V
b)
fLir
5'10 /4
---
max-
384EI
v'(z = 0) = -v'(z = I) = qo/3 24EI
014- [z--2 (Z)3 v_-'1- + (Z)4] 24EI I I /
c)
261
17.4 Einige einfache Biegelinien
er: M
d)
v",ax=
~~:2 bei
z=1
(1- '7)
I
,vmax
v z
v'(z=O)= MI 3EI
. •
v'(z=I)=- MI 6EI
v=~~: [z7-3Gr+(f/] ~F
e)
g:r
z
FI v= 6EI
;~~
~
'~
g)
a, t==z
~ ~
Mr::::. ~ ;:>
I
I
, r
I
f'
(/l 14 max V = 30EI
I
11 q,/4
[ q,/ v=120El
3-4,+ er] 7
6EI
z
(/l/3
24EI
4-5,+
zer 7]
v'(,=O) -
v --"'''' - 120El 4
= _ QO/3
V'(Z=O)=-
Q,14 [ V= 120EI
=='z~=====
'~
v'(z = 0)
vnu/x-SEI -QO/4 [
I I ,I r , , , ,
~:rz v
z
v= 24EI
Iv
~
i)
I
= 0) = - 2EI
2-3 7+,C)3]
qO/4
f
1
q,
h)
,,,,
I
, ,
Ffl
v'(z
3[
~
-$
f)
3
FI vmax - 3E!
= _ q,/
3
8EI
11-15,+5,er - er] 7 z
MI 2 vmllX 2E!
2
MI v= 2EI
v'( z=O ) = -MI EI
1-2,+ (Z)2] 7
[
z
262
17 Verformungen durch Biegemomenle
17.5 Statisch unbestimmte Systeme Bei statisch unbestimmten Problemen können Lagerreaktionen und Schnittgrößen nicht allein aus den statischen Gleichgewichlsbedingungen berechnet wcrden. Mit Hilfe von Verformungsbetrachtungen sind aucb diese Aufgaben lösbar, weil für jedes zusätzliche Lager eine weitere Verformungsaussage (Rand- oder Übergangsbedingung) formuliert werden kann. Dies soll am Problem des nachfolgenden Beispiels I (Abbildung 17.10) diskutiert werden. Beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung kann der Biegemomentenverlauf zunächst nur mit einer noch unbekannten Lagerreaktion (zum Beispiel der Lagerkraft FB des Lagers B) aufgeschrieben werden (die übrigen Lagerreaktionen müssen gegebenenfalls mit Hilfe der statischen Gleichgewichtsbedingungen eliminiert werden). Nach der Integration der Differenzialgleichung stehen jedoch für die 3 Unbekannten der allgemeinen Lösung (2 1ntegrationskonstantcn und die Lagerkraft) auch 3 Randbedingungen zur Verfügung, so dass auch die unbekannte Lagerkraft (und aus den statischen Gleichgewichtsbedingungen dann auch die übrigen Lagerreaktionen) und die Schnillgrößen berechnet werden können. Beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung ist kein prinzipieller Unterschied zum statisch bestimmten Problem zu nennen, weil die Lagerreaktionen ohnehin nicht in die Differenzialgleichung eingehen, so dass man mit vier Randbedingungen auskommt.
Nach dem Bestimmen der Inlegrationskonstanten können die Schnillgrößen nach Mb = -Erv"
FQ = -(Elv")'
und die Lagerreaktionen aus den Gleichgewichtsbedingungen mit den Schnittgrößen an den LagerstelIen bestimmt werden. Beispiel I: I I_"";_ _...1 Für den skizzierten Träger mIt der konstanten
Biegesteifigkeit Er sind die Lagen'eaktionen bei A und B und der Biegemomentenverlauf zu ermitteln. Gegeben:
rpn I
Abbildung 17.10: Einfach statisch
1, qo, EI.
unbestimmter BiegeLräger
Das System ist einfach statisch unbestimmt. Die Lagerreaktionen und der Biegemomentenverlauf können nicht allein aus Gleichgewichtsbeziehungen berechnet werden. Für die erforderlichen Verformungsbetrachtungen wird hier die Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung gewählt (Diskussion der Vor- und Nachteile dieser Wahl siehe oben), mit der die Rechllllng (ohne Vorarbeit) sofort gestartet werden kann: Elv"" =
Elv'" Elv"
Elv' Elv
qo
+ tqOZ2 + i qoz3 + I 4 24 qOZ +
C,
qoz
C,z
t
i
C IZ 2 C ,Z3
+ + +
C2
C2Z
i
C2Z2
+ C3 + C3Z + C4
263
17.5 SLatisch unbeslimmLe Systeme
FEI Abbildung 17.11: Koordinaten und Lagerreaklionen
Die vier Randbedingungen zur Bestimmung der vier Integrationskonstanten (,,Absenkung bei A gleich Null"•••Biegewinkel bei A gleich Null". "Absenkung bei B gleich Null" und .•Bie-
gemoment bei B gleich Null") werden mit Bezug auf das in der Abbildung 17.11 definierte Koordinatensystem formuliert:
v(Z=O)=O
C4 =0
,
v'(z=O)=O
C3 =0
,
d4 qO/4 + i C l / 3 + ~ C2/ 2 =
v(z=l) =0
~ qO/2
v" (z = I) = 0
+
Ci I
+
C2
0
= 0
Die beiden letzten Gleichungen liefern die Integrationskonstanten CI = -
i qol
C2 =
i qO/2
mit denen der Momentenverlauf aufgeschrieben werden kann:
Mb(Z)=-Elv 11
qOl2 [ -4, (Z) 2 +5,-1 Z ] =8
Zur Berechnung der Lagerreaktionen wird zuvor der Querkraftverlauf bereitgestellt: 111 qol ( z ) ( ) FQz=-Elv =8 -8,+5
Aus Glcichgewichtsbetrachtungen an den freigeschnittenen Lagern (Schnitte "unendlich dicht" neben den Lagern, Abbildung 17.12) erhält man mit den bereits ermittelten Funktionen für Biegemoment und Querkraft die gesuchten Lagerreaktionen:
FAv = MA =
FQ(O) =
I
Mb(O) = -"8qOI
FB = -FQ(l) =
MA
5
"8 qol
3
"8 qOI
2
Mb(Oj
~~IC I) J'Q(Oj FAV
Abbildung 17.12: Schniue ..unendlich dicht" an den Lagern
Die Kontrolle des Gleichgewichts am Gesamtsystem zeigt, dass die ermittelten Lagerreaktionen die Gleichgewichtsbedingungen identisch erfüllen. Zur grafischen Darstellung des Biegemomel1lenverlaufs werden markante Stellen (Extremwert und NullstelIen) der Funktion ermittelt. Mb(z) hat einen relativen Extremwert bei = (NullsteIle des Querkraftverlaufs):
f i
264
17 Verformungen durch Biegemomenle
Die Nullstellen im Momentenverlauf ergeben sich als Lösungen einer quadratischen Gleichung:
Zl = I Die grafische Darstellung des Momentenveriaufs zeigt. dass der berechnete relative Extremwert an der Stelle, wo die Querkraft verschwindet, nicht das absolut größte Biegemomenl ist. Dieses liegt an der Einspannstelle.
-/
I /
I
Beispiel 2: I____.....I Für den skizzlCrten statisch unbestimmt gelagerten Träger mit Kastenquerschnitt und konstanter Biegestcifigkeit sind Ort und Größe der maximalen Biege-
I
~ ~'
,
spannung zu bestimmen.
Gegeben:
bl=30mm; b2=40mm; h l =40mm; h2 =50mm; F=4kN; a=500mm.
Obwohl keine Biegeverformungen gefragt sind, ist die Ermittlung von Verformungen nötig, da es sich um ein statisch unbestimmtes System handelt. Die Biegelinien müssen für zwei Bereiche formuliert werden. Weil das Aufschreiben der Biegemomente in diesem Fall relativ einfach ist, wird die Differenzialgleichung 2. Ordnung verwendet. Da das System einfach statisch unbestimmt ist, muss eine unbekannte Lagerreaktion in die Biegemomentenverläufe aufgenommen werden. Dafür bietet sich die Kraft FA an. Mit den gewählten Koordinaten Hir die beiden Bereiche (Abbildung 17.13) werden die beiden Mb-Verläufe formu-
Abbildung 17.13: Koordinalen und
liert, und d.ie Rechnung wird gestartet:
FA
Mbl
= -Fz l
Elv'( =
Mb2 =
FZ 1
+Cj
Elv;
1Fz;
Elvi
~Fzi+clzi +C2
EI/; =
FAz2 - F(a + Z2) (F -FA)Z2 +Fa
E/~
HF -/';,)zi + FaZ2
Elv2
~(F - FA)zi + Fazi +C3Z2 +C4
+ C3
i
Für 5 Unbekannte (4 Integrationskonstanten und FA) werden 5 Randbedingungen formuliert:
=a) = 0
~Fa3+Cla+C2=0
2.) V2(Z2 = 0) = 0
C4 =0
1.)
VI(ZI
I 3 '1I F a2 + C-C
3.) ,I) (ZI = a) = V;(Z2 = 0)
4.) V2(Z2
= b) = 0
5.) V;(Z2 = b) = 0
~(F~FA)b3+iFab2+C3b+C4=0
i (F -
FA )b 2 +Fab+C3 = 0
,
265
17.5 SLatisch unbeslimmLe Systeme
Da ftir die Ermittlung der Biegespannung nur der Momentenverlauf erforderlich ist, der wiederum nur die unbekannte Lagerkraft FA enthält, wird nur diese berechnet: Gleichung 5 wird nach C3 umgestellt und C3 und C. (Gleichung 2) werden in Gleichung 4 eingesetzt. Diese liefert dann:
FA = F
G: + I)
Mit FA sind auch die Momentenverläufe bekannt. Die gesuchte maximale Biegespannung tritt bei konstantem Querschnitt des Trägers am Ort des absolut größten Biegemoments auf. Der Biegemomentenverlauf ist stückweise linear, so dass ftir die Extremwerte nur die Punkte A und Binfrage kommcn. Für die beiden Stellen errechnet man: I
MbA=-Fa
MbB=FAb-F(a+b)="2Fa
Bemerkenswert ist, dass die Abmessung b für den Biegemomentenverlauf (und damit tlir die Biegespannungen) keine Rolle spielt. Mit den Qucrscnnittskennwerten I
1
1=-(b,h~-blhi)=25,67cm' 12 -
W-, =10,27cm 3
=?
..'.2. 2
und dem absolut größten Biegemoment berechnet man die maximale Biegespannung CYb.max
=
Fa
IV =
195 NImm
2
Sie tritt an der Trägeroberkante als Zugspannung und an der Trägerunterkante als Druckspannung im Querschnitt über dem Lager A auf.
I
Beispiel 3: I_"';_ _...1 Für den skIzzierten Träger sollen die Biegelinie, der Biegemomentenverlauf und der Querkraftverlauf berechnet werden. Gegeben: 1I = 1200mm 12 = 1300mm
EIl = 2,5kNm 2
CI
kNm 2
C2
Eh = 5
= 50N/mm = 250N/mm
ql = 1.3 NImm = 5 kNm
CT
F = 800N M=250Nm
Mit diesem Beispiel eines Trägers mit stückweise konstantem Querschnitt und einem Gelenk, der durch ein Lager, Federn und eine Drehfeder gefesselt ist und durch eine Kraft, ein Moment und eine Linienlast bclastet ist, sollen möglichst viele Besonderheiten demonstriert werden. Eine Aufgabe dieser Art analytisch zu lösen, ist hart an der Grenze der Zumutbarkeit. Hier soU die Lösung so weit aufbereitet werden, dass die Auswertung dem Computer übertragen werden kann. Die Differenzialgleichung der Biegelinie muss für zwei Abschnitte formuliert werden. Wegen der nur mit erheblicher Mühe zu formulierenden Momentenverläufe, die außerdem mehrere unbekannte Kräfte enthalten würden. empfiehlt sich das Rechnen mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung, in die die Linienlastverläufe (im linken Bereich gleich Null, im rechten Bereich linear veränderlich) eingesetzt werden. Der auf diese Weise sehr bequeme Start der Rechnung wird mit dem aufwendigeren llltegrationsprozess und der größeren Anzahl zu bestimmender Integrationskonstanten bezahlt.
266
17 Verformungen durch Biegemomenle
Mit den nebenstehend zu sehenden Koordinaten gilt: V~III =
Nil
0
\'2
qI
= --Z2 EI212
Viermaliges Integrieren führt auf die beiden allgemeinen Lösungen: 1
3
I
3
6C1Z,
VI =
q,
5
I
,
I
2
+ 2" C2Z, +C3ZI +C4
IWEhG~+6~~+2"~~+G~+~ Es sind 8 Integralionskonstanten zu bestimmen, für die Aussagen über die Verschiebung, die Ableitung der Verschiebung, das Biegemoment und die Querkraft formuliel1 werden können. Da in die Rand- und Übergangsbcdingungen die Federkräfte und das FedemlOment eingehen, sind die in Abbildung 17.14 zu sehenden SehniLtskizzen hilfreich. Für die Richtungen der anzutragenden Sehnittgrößcn gelten die auf der Seite 97 zu sehenden Der,nilionen, und rur die RiehJung der anzutragenden Federkräfte gilt: Weil positive Verschiebungen nach unten gerichtet sind (Feder wird zusammengedrückt), reagiert die Feder mit einer nach oben gerichteten Kraft. Verdrehwinkel sind in einem solchen System im Uhrzeigersinn positiv (siehe Abbildung 17.14, rechte Skizze). so dass das von der Drehfeder auf den Träger wirkende Momem entgegen dem UIu'zeigersiJul anzutragen ist:
M( ~l'Mb/:I~O}
t
F,)/z,-O} c,v/z,=O}
Abbildung 17.14: An allen Übergangsstellen müssen die Gleichgewichtsbedingungen crftillt sein
Und das sind die 8 Rand- und Übergangsbedingungen:
1.) Mb' (0) = M
=}
-EI, ,1((0) =M
2.) FQI (0) = C, VI (0)
=}
-EI, v'('(O)
=}
v'((IL)
=}
,1;(0) = 0
=}
-EI, v('(IJl + C2V2(0) - F + Ehvz'(O)
3.)
VI
=
c, V, (0)
(I,) = V2(0)
4.) Mb' (L,)
=0
5.) Mb2(0) = 0 6.) FQ' (I,) + C2V2(0) - F - FQ2(O) 7.) v2(12) = 0
8.) Mb2(l2) = CTV~(l2)
=0
=0 =0 ,
267
17.5 SLatisch unbeslimmLe Systeme
Damit kann das folgende Gleichungssystem fonnuliert werden:
0
-Eil
-EIl
0
0 0
13 :.L
12 :.L
2
1I
I
It
I
0
0 0
0 0 0
0 0 0
6
-Eil
0 0
0 0
0 0
0 0
0 0 0
0 0
-I
Eh
0
0 0 0 0
I~
I~
0 -CI
0
0
0
0
0
0
0
0
I
"6 - E/2 /
/2
cr 2-Y
"2
0 0 C2
12
-E/2 - CT /2 -er
M
Ct C2 C3 C, Cs C6 C7 Cs
0
0 0 0 0 F _
,
qlf;~ 120Eh
- 3
~+~ 6 24E/2
Die Lösul1g dieses Gleichungssystems ist (mit einiger Mühe) durchaus noch "von Hmd" möglich. Weil danach die Auswertung der allgemeinen Lösung mit den dann bekannten Integrationskonstanten aber auch recht aufwendig (und natürlich sehr fehleranfällig) ist, kann dieser Weg kaum empfohlen werden. Unter www.TM-aktuell.de findet man deshalb ein Matlab-Script, das das oben zu sehendc Gleichungssystem aufbaut, löst und mit den berechneten Integrationskonstanten die Funktionen fLir die Durchbiegung, das Biegemoment
~&:=;2 o
0.5
1
1.5
2
2.5
BIegemoment
und dic Qucrkraft FQI = -EIl /(' = -E/IC I 2
FOl
= - E h V2111 = - QlZ2 2 2/
C - E12 S
auswertet. Die Abbildung 17.15 zeigt die grafische Darstellung der Funktionen. Natürlich sind auf diesem Wege auch weitere interessierende Ergebnisse ohne Schwierigkeiten zu erlangen (Maximalwerte von Durchbiegung und Biegemoment, Lagerreaktionen, Fedcrkräftc, ...).
l====
-0.5
o
0.5
1
1.5
2
2.5
Querkraft
~I-=:J o
0.5
1.5
2
2.5
Abbildung 17.15: Grafik-Ausgabe des Matlab-ScriplS (Dimensionen: m bzw. kN)
Diese Aufgabe ist allerdings auch Anlass zu einer grundsätzlichen Bemerkung: Auch bei sorgfliltigstem Arbeiten und mit der Unterstützung geeigneter Software bleibt die ReChnung fehleranfällig, schon etwas kompliziertcre Probleme können auf diesem Wege nicht mehr gelöst werden. Deshalb wird diese Aufgabe im Kapitel 18 (Seite 286) noch einmal mit dem Differenzenverfahren geLöst, llnter www.TM-aktuell.de findet man außerdem die Verfofl1lllngsberechnung nach der Methode der finiten Elemente.
268
17 Verformungen durch Biegemomenle
17.6 Superposition Die Differenzialgleichungen der Biegelinie für kleine Durchbiegungen sind linear. Deshalb dürfen Lösungcn von Einzel-Lastfällen zu eincr Gcsamtlösung (glcichzeitigcs Wirken aller Einzel-Lastfalle) überlagert (superponiert) werden. Ncben der Verschiebungsfunktion v dürfen auch deren Ableitungen und damit der Biegewinkel v' und die Schnittgrößen Mb und FO superponiert werden.
I
Beispiel I: I_"";_ _...1 Der skiZZierte Träger mn konstanter Blegestelfigkell ist durch die konstante Linienlast qo und die Einzelkraft F belastet. Man ermittle die Biegelinie. I, F, qa. EI.
Gegeben:
Die Lösung wird entsprechend Abbildung 17.16 aus zwei Lastfallen zusammengesetzt: 2U3
+
r
)--
2U3
22~
r-ninqo _=1
J.S..
A
22-
Abbildung 17.16: "Lastfall qo" + "Lastfall F" = Gesamt-LaSlfall
Die Biegelinie muss wegen der Einzelkraft in zwei Bereichen formuliert werden, für die die beiden Koordinaten ZI lind Z2 eingeführt wurden, Für den "Lastfall F" kann die Biegelinie fLir die beiden Bereiche direkt der Formelzusammenstellung im Abschnitt 17.4 entnommen werden (Fall a mit a = ~I und b = ~): F/] Vlf'= -.
162EI
3
V2F
.
FI= -
243 EI
[ -9 (ZI)J ZI] +8I I
[(Z2)3 Z2 ] 27 -27 (Z2)2 -6-+4 I
I
I
Der "Lastfall qa" (Fall b im Abschnitt 17.4 mit der Koordinate z) muss nun für die gleichen Koordinaten ZI und Z2 aufgeschrieben werden. Tm linken Bereich mit Z = Zl gilt:
v
I.q
=~[(~)4_2(~)J~] 24 E i l I + I
Im rechten Bereich muss die Koordinate Z durch
2
Z= Z2 + 31
2l!3
l/3
Abbildung 17.17: Ko-
ersetzt werden (Abbildung 17.17), und man erhält:
ordinatentransformation
269
17.6 Superposition
Die Gesamtlösung für die Biegelinie ergibt sich aus der Addition beider Teillösungen:
:s: ~I
+ VI ,q(ZI)
für
O:S: ZI
V2(Z2) = V2.P(Z2) +V2,q(Z2)
für
O:S:z2:s:t l
VI (ZI) = VI.P(ZI)
Besonders sinnvoll kann man die Superposition einzelner Lastf Die Verfonnungen an den Punkten, an denen Lager entfernt wurden. werden mit Hilfe der Superposition einzelner Lastfälle aufgeschrieben. Anschließend werden die unbekannten Lagerreaktionen aus Bestimmungsgleichungen ermittelt, die die Verformungen an genau diesen Punkten Null werden lassen.
I
2: [. Beispiel ....1 Für den statIsch unbestimmt gelagerten Träger mJt konstanter Biegesteifigkeit berechne man die Lagerkraft bei A. Gegeben:
IF i
;;;::A
a, b, F.
a
Das Lager A wird durch die (unbekannte) Lagerkraft FA ersetzt. Dann liefert Lastfall e (Formeln im Abschnitt 17.4) an dcr Stclle A eine Durcltbiegllng infolge der Kraft F:
VAF = v(z=a) = F(a+b)3 , 6EI
[2- ~ + a+b
(_a_) a+b
3]
b
~F IF
An der gleichen Stelle ergibt sich (ebenfalls Lastfall e) die OlIreItbiegung infolge der Kraft FA: v
FA b3
VA.FA = - 3EI
A,
JA
Br
jfA
r
" vA,F
V
lfA
~
Die Überlagerung liefert die Gesamt-Durchbiegung an der StelleA, die wegen des Lagers gleich Null sein muss. Dies liefel1 entsprechend
VA.F+VA,f:'=O
~
FA=F(~~+I)
das Ergebnis, das bereits im Abschnitt 17,5 für dieses System (siehe Seite 264) auf anderem Wege gefunden wurde.
270
17 Verformungen durch Biegemomenle
I
q~q2
Beispiel 3: I_ _ _ _...l Der sklzzlCrte Trager mit konstanter BIegesteifigkeit ist durch eine Linienlas! (Trapezlast) belastet. Gegeben:
:o;J 1 r 1 i ! I I
I~
ALB
I, ql , q2·
Man ermittle die vertikalen Lagerkräfte und die Einspannmomente bei A und ß. Der beidseitig eingespannte Träger ist dreifach statisch unbestimmt gelagert. Da aber keine Kräfte in Längsrichtung eingeleitet werden, sind die horizontalen Lagerreaktionen gleich Null, weil (Theorie I. Ordnung) Längskräfte. die durch die Biegung entstehen (der verfomlle Träger ist zwangsläufig länger als der gerade Träger), vernachlässigt werden. Das zu behandelnde Berechnungsmodell muss also an einem Lager eine Längsversctliebung zulassen (Abbildung 17.18) und ist nur noch zweifach statisch unbestimmt. Diese Nachgiebigkeit des Lagers in Längsrichtung kommt bei Biegeproblemen der Praxis der Realität ohnehin meist näher.
q~q2
r-l
,--, A
I 1 i
J
I
'II" B
Abbildung 17.18: Korrektes BerechnungsmodellIlach Theorie I. Ordnung
Zunächst werden die bei den Lagerreaktionen bei A durch Superposition von vier Lastfallen entsprechend Abbildung 17.19 berechnet. Die Summe der VerfomlUngen (Vertikal verschiebung und Biegewinkel), die durch alle Lastfalle bei A hervorgerufen werden, muss gleich Null sein. Mit den Formeln, die im Abschnitt 17.4 zusammengestellt sind, entstehen die beiden folgenden Gleichungen: _ ql14 _ (qZ -ql)14
8EI ql/3
6EI
+
+ 3EI
2EIMAI_
24EI
+
FA/ 3 _ MAlz _ 0
(qz-qIlI 3 _FAlZ
30EI
==:::::::::jl~
q 1Ii:::=1=1=:,:1::::::,::::1
2EI
+
EI-
_~~--r-r""'f, q2 ql
====1' + F'===I
O
Die Lösung des Gleichungssystems liefert: I IZ FAV
= 20 (7ql +3qz)
MA
= 60 (3ql +2qz)
Mit diesen Werten können nun die Lagerreak1ionen bei ß aus den statischen Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden, nachdem auch die Einspannung bei B durch zwei Lagerreaktionen ersetzt wurde. Man erhält mit den Definitionen entsprechend nebenstehender Skizze:
I (
FBv = 20 3qj +7qz)
kv MA
+
(=1=====jl~
Abbildung 17.19: Berechnung des Systems durch Überlagerung von vier Laslfällen
17.7 Aufgaben
271
17.7 Aufgaben
I
Allfgabe 17.1: I_.;.;. .... Für den skIzzierten zusammengesetzten Träger sind sämtliche Rand· und Übergangsbedingungen anzugeben, die benötigt werden
IF
qo
t=====;c====EJ=a"",=',,=l :J::.... a
=,==,I==iI~I,==,1 h t
=r
~
c
b
d
a) zur Berechnullg der Biegeliille mit der Differenzialgleichung 2. Ordnung und b) zur Berechnung der Biegelinie mit der Differenzialgleichung 4. Ordnuog.
a, b, c, d. F. EI = konstant.
Gegeben:
I
Allfgabe 17.2: I_ _ _ _ _.... Der skiZZIerte Träger mIt konstanter BIegesteifigkeit ist durch eine konstante Linienlast qO im Bereich B - C belastet. Wie groß muss eine bei A angreifende Kraft F sein, damit die Durchbiegung am Punkt B Null wird? Gegeben:
f=·:====qo=TITH
t
3a
2a
a, qo.
I
Allfgabe 17.3: I_ _ _ _ _.... Ein Blegelräger Ist aus einem Profil U40 nach DIN 1026 und zwei Profilen L20 nach OIN 1028 zusammengeschweißt, bei A starr eingespannt und nur durch sein Eigengewicht belastet (Gewicht des Schweißwerkstoffs ist vemachlässigbar).
A
.
B
~~~~I
I
L20
Man berechne die vertikale Verschiebung des freien Trägerendes. 1= 800111111; E = 2, I . 10 5 N/mm 2 .
Gegeben:
I
~
a mm
y
~e~
~s I x ;::/0
d
x
20
/~~:""7l
!
-
y a
-
2
cm 1,12
kg/111 0,88
e cm 0.60
I.ex cm4
W, cm}
/ 'y cm4
W, cm}
0,39
0.28
0,39
0,28
Abbildung 17.20: Querschnittswerte für Normprofil L20
b
mm 35 Y b
G
A
hAG
e
I,x
Wx
'.\'."
cm 2 6,21
1,33
14,1
7,05
6,68
mm 40
kg/m 4,87
Abbildung 17,21: Querschnillswerte für Normprofil U40
3,08
272
17 Verformungen durch Biegemomenle
I
Aufgabe 17.4: I Für den skizzierten Träger mit konstanter Biegesteifigkeit berechne man die Lagerkräfte bei A, Bund C (Empfehlung: Superposition unter Verwendung der Fonnein aus dem Abschnitt 17.4). Gegeben:
~I , "
I, q, .
I Aufgabe 17.5:
I
Für den zweifach statisch unbestimmt gelagerten Träger mit konstanter Biegesteifigkeit ermittle man
a
a
a) die Biegelinie, b) die Schnittgrößenverläufe (Biegemoment und Querkraft) einschließlich grafischer Darstellung,
c) die Lagerreaktionen bei A, Bund C, d) den Ort und die Größe der maximalen Durchbiegung, e) den Ort und die Größe des absolut größten Biegemoments. Gegeben: a, q, , EI = konstant.
I..
.
Aufgabe 17.6: I Fur den skizzierten Träger mit stückweise konstantem Querschnitt berechne man a) die Biegelinie, b) den Ort und die Größe der maximalen Durchbiegung. c) den Ort und die Größe des maximalen Biegemoments, d) die Federkraft. Gegeben:
= 600mm 12 = 800111111 I,
; EI, ; Elz
= 3.109 Nmm 2 = 8.109 Nmm z
;
q,
; c
= 5,2N/mm = 200N/m111
; F ; M
= 2000N = 106 Nmm
Hinweis: Bei diesem System können die Federkraft und die Schnittgrößenverläufe aus den statischcn Gleichgewichtsbedingungen crmittelt wcrden. Empfchlenswert ist trotzdem das Arbciten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4 . Ordnung zur Verfomllll1gsberechnung, wobei die Sehnittgrößen als Nebenprodukt anfaHen. Dann steht mit den statischen Gleichgewichtsbedingungen eine ganze Rcihc rccht wirksamer Kontrollcn zur Verfügung, z. B. muss die Qucrkraft am linken Rand der Federkraft entsprechen.
Weitere Aufgaben findet man imlnternet unter www.TM-aktueH.de.
18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme Dem aufmerksamen Leser des vorigen Kapitels wird nicht entgangen sein, dass die Differenzialgleichungen der Biegelinie zwar für veränderli-
che Biegesteifigkeit EI formuliert wurden, die behandelten Beispiele aber sämtlich (zumindest stückweise) konstante Biegesteifigkeit voraussetzten. Der Aufwand für die Integration der Differenzialgleichungen hielt sich so in erträglichen Grenzen. Bei praxisnahen Problemen (Abbildung 18,1) ist eine geschlossene Lösung durch Integration der Differenzialgleichungen nicht mehr praktikabel.
L [
.A..
~ I ::J
Abbildung L8,1: Abgesetzte Welle, koni·
sehe Welle
Wegen der Wichtigkeit der Biegebeanspruchung wurden deshalb in der Vergangenheit zahlreiche Verfahren für solche Aufgaben entwickelt (die Verformung abgesetzter Wellen wurde besonders gern grafisch ennittelt, was zwar enonn aufwendig, aber immerhin praktikabel war). Heute sind eigentlich nur noch die Verfahren sinnvoll, bei denen der größte Teil des Aufwands dem Computer übertragen werden kann. Selbst in der relativ kurzen Geschichte der ComputerNutzung für die Berechnung von Mechanik-Problemen gibt es schon Veränderungen: Die ant1inglich (wegen des knappen Speicherplatzes) sehr beliebten Verfahren mit so genannten Übertragullgsmatrizen spielen heute keine Rolle mellr. Die bei den nachfolgend beschriebenen Verfahren kommen der ComputerNutzung in besonderem Maße entgegen. Wie an den behandelten Beispielen deutlich werden wird, ist das Differenzenverfahren sehr gut anwendbar auf Probleme, wie sie in der Abbildung 18.1 skizziert sind. Für biegesteife Rahmenkonsu'uktionen (Abbildung 18.2) ist es weniger geeignet, während die bereits im Kapitel 15 (am Beispiel von Fachwerken) behandelte Methode derfiniten EleIIlenIe gerade auch für solche Aufgaben das geeignete Verfahren ist.
Abbildung 18.2: Biegestei fer Rahmen
18.1 Das Differenzenverfahren Das Differenzenverfahren basiert auf der Idee, die Differenzialquotienten in der Differenzialgleichung und den Randbedingungen eines Randwertproblems durch Differenzenquotienten zu ersetzen. Eigentlich ist es tragisch: Eine der genialsten Leistungen des menschlichen Geistes, der Übergang vom Differenzen- zum Differenzialquotienten, wird dabei (für den Computer) rückgängig gemacht. Die Differenzenquotienten werden für ausgewählte Punkte (SlütZSlellen) aufgeschrieben und bilden ein Gleichungssystem, das die Berechnung der Funktionswerte an diesen StützsteIlen gestat-
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_18, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
274
18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
tet. Um den damit unvermeidlich verbundenen Fehler in Grenzen zu halten, müssen die StützsteIlen möglichst nah beieinander liegen, was zwangsläur,g auf ein recht großes Gleichungssystem führt. Praktikabel ist das Verfahren (auch bei Computer-Nutzung) deshalb Ilur/lir lilleare Randwer/probleme, weil dann auch das Gleichungssystcm linear wird. Das DijJerenzellver/ahren überfUhrt ein lineares Randwertproblem (Differenzialgleichung und Randbedingungen) zur Bestimmung einer unbekannten Funktion in ein lineares Gleichungssystem zur Bestimmung der Funktionswerte an bestimmten Punkten.
18.1.1 Differenzenformeln Die Abszisse x wird äquidistant (Abstand h) untcrteilt (Abbildung 18.3). Dann kann der Differenzialquotient als Grenzwert des Differenzenquotienten
IY
I~
dy = y'(x) = lim 6.y = lim y(x+h) - y(x) dx lI. Aucb bei den Zeilen im Gleicbungssystem, die die Randbedingungen beschreiben, sollten die Biegesteifigkeiten entsprechend ersetzt werden. Empfohlen wird also die Verwendung der folgenden
DilTerenzenformeln für die Biegelinie bei veränderlicher ßiegestei.6gkeit: )1i-1Vi-2 -2 (/1i-1 + /1i)Vi-J + (/1i-1 +4/1i + /1i+1 Mbi
qi l14 )v; - 2(/1; + /1i+l) V,+I + /1i+1 V;+2 = - - . Elo
) Elo ( = -1,2 j.L;Vi_1 -2j. Li Vi+/1i l1i+1
Elo FQi = - 211 3 [-/1i-1 Vi-2 + 2 J.Li-1 Vi-I - (/1i-1 - /1i+l) Vi - 2/1i+ I "i+ 1+ /1i+ 1Vi+2]
mit
li
/1; = 10
(/0 ist ein beliebiges Bezugs-Trägheitsmoment). (18.7)
281
18.1 Das Dirrerenzenverfahren
I
Beispiel: I Der skizzierte Träger mit Rechteckquerschnitt (konstante Höhe, linear veränderliche Breite) ist nur durch sein Eigengewicht belastet. Mit dem Differenzenverfahren ist näherungsweise die Durchbiegung zu berechnen.
A = bB , E. Dichte p . bA Die mit einem Breitenverhältnis A = 2 berechneten Werte sollen ausgewertet werden.
bA
Gegeben:
,
Mit der linear veränderlichen Breite
[ bB - bA Z] b(Z)=bA+-/-Z=b A I+(A-l),
h /'
1
z
W
werden auch die Linienlast q(z) = pgftb(z) = qA [I
+ (A -
I)
7]
(Trapezlast, nebenstehende Skizze) und die Biegesteitigkeit E/(z) = E -.!..-ft 3b(z) = E/A [1
12
+ (A -
i):]I
linear veränderlich. Der Wert für die Biegesteifigkeit am linken Rand I 3 E/A = EID = E· 12ft bA
103
3
wird als Bezugsgröße verwendet. In der eckigen Klammer der Formel oben stehen also die für die Formeln 18.7 benötigten /l-Werte, die bei einer Einteilung des Trägers il1l1A Abschnitte und dem Punkt 3 als linkem Randpunkt auch in der Form
J.1; =
[1 +(A _I) i-3] I1A
aufgeschrieben werden körlllen. Damit kann das Gleichungssystem bei entsprechender Unterstützung durch die Software (siehe www.TM-aktuell.de) mit geringem Aufwand erzeugt werden.
Für eine (recht grobe) Einteilung des Trägers in nur "A = 100 Abschnitte (105 Gleichungen) wurden die Ergebnisse ermittelt, von denen nebenstehend eine kleine Auswahl im Vergleich mit der exakten Lösung angegeben ist. Es sind die dimensionslosen Verschiebungen V;, die noch mit dem
"tE,
Faktor der aus den Gleichungen ausgeklammert wurde, multipliziert werden müssen. Die Abweichungen von der exakten Lösung liegen deutlich unter 0,2%, die Ergebnisse können praktisch als exakt angesehen werden. Eine Rechnung mit einer feineren Unterteilung erührigt sich.
i
1 2 3 4 5 13 23 33 43 52 53 54 63 73 83 93 103
Vj
-0.000409445 -0.000204956 0.OOOOOOOOO 0.000204956 0.000409464 0.00 1981580 0.003606643 0.004657002 0005040644 0.004825657 0.004771756 0.004712320 0.003956104 0.002780082 0.00 1502345 0.000447305 0.OOOOOOOOO
Exakt
0.OOOOOOOOO
0.001980908 0.003605449 0.004655431 0.005038842 0.004769868 0.003954281 0.002778476 0.001501113 0.000446607 0.OOOOOOOOO
282
18 Computer·Verfahren für Biegeprobleme
Die Frage, woher denn die Werte der exakten Lösung kommen, ist übrigens durchaus berechtigt. Sie stammen aus der Auswertung der nachfolgend angegebenen exakten Biegelinie 2 , die (unter erheblichem Zeit- und Papieraufwand) durch Integration der Differenzialgleichung ermittelt wurdc. Von einer Nachahmung wird dringend abgeraten, das Nachempfindcn dcr numcrischen Lösung mit dem Differenzenverfahren wird allerdings nachdrücklich empfohlen.
EIA I ( Z)4 I ( Z)3 qAt4 Vexak,(Z) = 72 1-, - 9" 1-, - 36 (I
~12In2)
[j -7
29-361n2 ( Z)2 -2In2) 1-,
+ 72(1
(18.8)
D G t)] Z
+ ( 1+
In
+ 2
18.1.4 Vermeiden von Übergangsbedingungen Bisher wurden nur einfeldrige Träger betrachtet, die in I1A Abschnitte unterteilt wurden. wobei sich 11 = "A + 5 Stützpunkte (einschließlich der vier Außenpunkte) ergaben. Die jeweils zwei Randbcdingungcn wurden für die Randpunkte 3 bzw. 11- 2 fomluliert. Die analytische Lösung (Kapitel 17) wurde immer dann besonders aufwendig. wenn Diskontinuitäten (Unstetigkciten) in der Belastung (Einzel kräfte, Einzelmomente), Lagerung (Zwischenstützen. Federn) oder Biegesteifigkeit (abgesetzte Welle, Gelenk) auftraten. Dann musste "mehrfeldlig" gerechnet werden, wobei an den Übergangsstellen jeweils vier Übergangsbedingungen
fonnuliert werden mussten (vgl. Abschnitt 17.3 und Beispiel 3 im Abschnitt 17.5 auf Seite 265). Gerade für solche Probleme kann das Ditferenzenverfahren eine besondere Stärke ausspielen, indem die Unstetigkeiten auf eine endliche Breite (ein Feld der Schrittweite h) "verschmiert" werden. Nachfolgend werden die wichtigsten "Tricks" dieser Art zusammengestellt: ~
Eine Einzelkraft. die nicht am Trägerrand angreift (und dort über die Querkraft-Randbedingung zu elfassen ist), wird ZU einer Linienlast "verschmiert": Eine am Knoten i angreifende Kraft F; wU'd durch eine Linien]ast "
'" ,
Fj
q, =T, ersetzt (Abbildung 18.6), die mit einer Wirkungsbreite h Ueweils ~ links und rechts vom Punkt i) nur in die Gleichung für den Knoten i eingeht.
i+1
i
h
h
i-I
i+\
i
h
h
Abbildung 18.6: ..Verschmieren" einer Eiuzetkraft
Der Fehler, der dadurch in die Rechnung hineinkommt, ist vernachlässigbar, weil er in der Größenordnung des unvermeidbar beim Differenzenverfatu'en in Kauf genonunenen FehIcrs liegt und mit feinerer Untcl1cilung des Trägers kleiner wird (eigentlich ist ohnehin die Ei nzel kraft eine "künstliche" Größe, die in der Realität immer "verschmiert" angreift). 2Die Möglichkeit des Vergleichs mit einer exakten Lösung ist nalürlich eine seltene Ausnahme. Die exakte Biegetinie wurde hier auch deshalb angegeben. wu zu zeigen. wo man mit dem Versuch einer anaJytischen Lösung landet. wenn man vom Pfad der "akademischen Probleme·' auch nur leicht abweicht.
283
18.1 Das Dirrerenzenverfahren
oe:> Ein Einzelmoment M; am Punkt i wird erfasst, indem es vorher durch ein an den Punkten i-I und i + I angreifendes Kräftepaar ersetzt wird (die gewählten Vorzeichen gelten fUr ein
linksdrehendes Moment):
F:,'_I
Mi = -F:,'+I = 2/1
* - -q '" - -Mi qi-I i+1 - 2h Z
=}
oe:> Eine diskrete Feder am Punkt i bringt dort eine Einzelkraft Fej =
-CjVj
*
=>
qj
=
Fci
h
h i-I
-CjVi
= -/-,-
h
i+l
i
i
ein, Das Minuszeichen ist erforderlich, weil bei nach unten gerichteter positiver Verschiebung die Feder mit einer nach oben gerichteten Kraft (also entgegen der Richtung positiver Kräfte) reagiet1,
ci ~
Abbildung 18.7: Diskrete Feder
Auch diese Kraft wird verschmiert, qi kann allerdings nicht eillfach der rechten Seite der cntsprechcndcn Gleichung zugcschlagcn wcrden, weil dic noch unbekanntc Verschicbung Vi darin enthalten ist. Der von der Feder erzeugte Linienlastanteil wird deshalb als gesondener Anteil in die Differenzengleichung 18.7 eingesetzt (muss dabei mit multiplizien werdcn) und wird dann auf die linke Seite der Gleichung gebracht. Die entstehende Gleichung c;h 3
:;0
!li-I V;-2 -
2 (!li_1
+ p;) V;_I + (Pi-I +4p; + Pi+1 + ) V; E10 - 2 (Pi + Pi+l) Vi+1
+ Pi+1 Vi+2 =
q;h4
E10
zeigt, dass es eine ganz einfache Möglichkeit gibt, eine diskrcle Feder am Punkt i zu reali-
C; ::0
sieren: Zum Hauptdiagonalelement dieser Gleichung wird addiett. Eine andere Möglichkeit der Realisierung von diskreten Federn wird im Abschnitt 19.2.3 vorgestellt. Diese führt auf das gleiche Ergebnis wie die hier demonstrierte Variante. oe:> Eine vorgeschriebene Verschiebung (dem Punkt i wird eine Verschiebung
V, aufgezwungen) wird erfasst, indem im Gleichungssystem die i-tc Gleichung ersetzt wird durch
Vi
=
VI'
oe:> Eine starre Zwischenstütze ist nur ein Sonderfall der vor-
i-I
i
i+1
geschriebenen Verschiebung und wird dementsprechend durch
:is... '7'"
Vi=O
Abbildung 18.8: Zwischenstülzc
erfasst (man beachte die besondere Interpretation dieser Realisierung im Abschnitt 19.2.3). oe:> Ein Gelenk am Punkt i wird berücksichtigt, indem die Biegesteifigkeit für den Punkt i gleich
Null gesetzt wird, realisiert durch p;=O
Natlirlich müsscn (auch bci ansonsten konstanter Bicgcsteifigkeit) bei der Realisierung eines Gelenks durch diesen simplen Trick in jedem Fall die Differenzengleichungen ftir die Biegelinie bei veränderlicher Biegesteifigkeit 18.7 verwendet werden, weil neben der i-ten Glcichung auch jeweils cinc Gleichung davor und danach betroffen sind.
284
18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
18.1.5 Einige spezielle Randbedingungen Nachfolgend werden einige typische Randbedingungen zusammengestellt, die gegebenenfalls auch kombiniert werden können.
Am starr eingespannten linken Rand (punkt 3) sind Absenkung und Biegewinkel gleich Null:
V3 =0
,
'*
v) =0
-V2+V4 =0
h
Entsprechend gilt für den starr eingespannten rechten Rand (punkt 11 - 2): v~'_2 = 0
vll -2 = 0
.~
2
Abbildung 18.9: Starre Einspannungen am linken bzw. rechten
-v,,-3 + vn-l = 0
=>
h
Rand
oe:> Bei einem momentenfreien Lager (Fest- oder Loslager) sind Absenkung und Biegemoment gleich Null. Für ein momentenfreies Lager am linken Rand gilt:
V3=0
,
Mb3=0
'*
n-2
3
=:t
~ 4
2
V2-2v3+V4=0
h
n-3 h
h
~
. n-I
h
Entsprechend gilt für das momentenfreie Lager am Abbildung 18.10: Momenlenfreie rechten Rand (Punkt 11 - 2): Lager am linken bzw. rechten Rand vn
2
=0
l
Mb . n- 2 =0 => v,,-3
-2V,,_2+V,,_1
=0.
':> Am linken Rand angreifende Einzelkräfte und Einzelmomente müSsen mit den Sehn ittgrößen am linken Randpunkt 3 im Gleichgewicht sein:
234
h
h
h
5
h
Abbildung 18.11: Einzellasten am linken Rand
MhZ 113 V2- 2 113 V3+113 V4 = EIn -112 V j
+ 2~12 V2 -
2Fh 3 EIn
(112 -!14 )V3 - 2!14 V4 +!14 V5 =
Am rechten Rand angreifende Einzelkräfte und Einzelmomente müssen mit den Schnillgrößen am rechten Randpunkt 11 - 2 im Gleichgewicht sein:
==.M~
n-4 h
n-2 h h
n h
Abbildung 18.12: Einzellasten am rechten Rand J.1n-2 v n-3 - 2J,ln-2 V n-2
-tl n-3 V,,-4 + 2J1n-3 Vn-3 -
(J..ln-3 - J1n-1
+ J.ln-2 vn-1
)V,,-2 - 2 J..l.1I-1 Vn-I
Mh 2 = - E10
+ J111-1 v" =
2Fh 3
---
EIn
285
18.1 Das Dirrerenzenverfahren
Q
Eine Federkraft ist proportional zur Absenkung. Bei einer Feder am linken Rand muss die Querkraft am Randpunkt 3 mit der Federkraft im Gleichgewicht sein:
h
h
h
2
h
3
4
5
ci Abbildung 18.13: Feder am linken Rand
Q
Bci einer Feder am rechten Rand muss die Querkraft am Randpunklll - 2 mit der Federkraft im Gleichgewicht sein: FQ,n-2
Q
+ CVn -2 =
0
h
h
n-4
h
n-2
=}
n
Abbildung 18.14: Feder am rechten Rand
h
Eine Drehfeder erzeugt ein Moment proportional zur ersten Ableitung der Verschiebung. Bei einer Drehfeder am linken Rand muss das Biegemomenl am R3Jldpunkt 3 mit dem Federmoment im Gleichgewicht sein:
(
h
h
3
4
5
ocrQ;t=o=
Abbildung 18.15: Drehfeder am linken Rand
2E~
h gilt bei einer Drehfeder am rechten Rand:
h 2
~h) 1l3+--
Q Entsprechend
h
n-4
V2-
h
2 1l3 V3+ (~h) 1l3--- V4=0 2E~
h
n-2
= .~7"
h
n
Abbildung 18.16: Drehfeder am rechten Rand
Das folgende Beispiel zeigt. wie am linken Rand die Querkraft-Bedingung für die Feder nach Abbildung 18.13 mit dcr Biegemoment-Bcdingung nach Abbildung 18.1 I kombiniert wird.
286
18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
I
Beispiel: I_....;_ _ Für den skizzIerten Träger, mit dem im Abschnitt 17.5 die Realisierung unterschiedlicher Rand- und Übergangsbedingungen demonstriert wurde (Seite 266), sollen die Abscnkung des Gelenks und die Kraft in der Feder C2 berechnet werden.
11 = 1200mm 12 = 1300mrn
Eil =2,5kNm 2 Eh =5 kNm 2
..... CI
C2
50 Nimm = 250 Nimm
=
.....
.....
n-2
ic
3
F = 800N
ql = 1,3N/mm = 5 kNm
M = 250Nm
CT
Bei der Einteilung des Trägers in/lA Abschnitte sollte man darauf achten, dass ein Punkt mit dem Gelenk zusammenfallt, was bei den gegebenen Abmessungen bei jedem Vielfachen von 25 garantiert ist. Zunächst wird /lA = 25 gewählt, dann entstehen /l = 30 Gleichungen, die Schrittweite ist h = /J 'JA +h = 100 nun. Die Randpunkte haben die Nummern 3 bzw. /l - 2 = 28, das Gelenk liegt bei Punkt ic = 15. Als Bezugsbiegesteifigkeit wird (willkürlich) EIO = Eil gewählt, dann gilt:
lli=~=1 Ili = 0 lli=~=2
für
i=I ... ic-1
für für
i=ic+I ... TI
i = ic = 15
(i=I ... 14)
(Gelenk) (i=16 ... 30)
Als Linienlasten qi an den Stützpunkten gelten folgende Werte: qi = 0
t
für i = 3 ... ic - I
qi = für i = ic = 15 qi = {/I (i - icJ ~ für i = ic + I ... TI
-
(lastfreier linker Bereich) (verschmierte Einzelhaft) 2 (Dreieckslast im rechten Bereich i = 16 ... 28)
Damit stehen alle Größen für das Aufschreiben der Differenzengleichungen für die Innenpunkte 3 ... 11 - 2 (3 ... 28) nach 18.7 bereit. Abschließend wird das HauptdiagonaJelement der Gleichung für Punkt /lC = 15 (Angriffspunkt der Feder Cl) um cl terung zu Abbildung 18.7 auf Seite 283).
;;'J = 0, I vergrößert (siehe Erläu-
Die 4 Randbedingungsgleichungen können aus dem Katalog dieses Abschnitts (Seiten 284 und 285) zusammengestellt werden. An den Rändern gilt (mit III = 113 = 114 = I, Ill8 = 2): Vl - 2 V3 + V4 = -I V28 =
0
- VI
+ 2 V2 + 0, 04 V3 - 2 V4 + V5 - 4 V28 + 2,1 Vl9 = 0
= 0
J, 9 V27
Es ist also das folgende Gleichungssystem zu lösen, in dem nur die von Null verschiedenen Elemente angegeben sind. Man erkennt den regelmäßigen Aufbau der Koeffizienlenmatrix: Die beiden ersten bzw. letzten Gleichungen repräsentieren die Randbedingungen, ansonsten findet man im oberen Tcil (Ili = I) dic typischcn "I, -4, 6, -4, I "-Gleichungen, im unteren Teil wcgenIli = 2 entsprechend modifizierte Gleichungen. Nur die 3 Gleichungen im Mittelteil weichen wegen des Gelenks und der Feder von den übrigen Gleichungen ab. Die Feinheit der Diskrelisierung (Schrittweite h) stcckt in der rechten Seite in allen Elementen, in der Koeffizieillenmatrix
287
18.1 Das Dirrerenzenverfahren
nur in den vier Elementen, die von den Federn beeinflusst sind. Wenn man also von IlA = 25 auf IlA = 2500 übergeht, sind nur diese Elemente von der Änderung betroffen. Oie neu hinzukommenden Gleichungen haben alle den hier zu sehenden Aufbau: I I -2 -I -2 2 0,04 I I -4 I 6 -4 -4 6 -4 I
VI
-4
VI3
V2 V3 V4
6 -4 1 I -4 5 -2 0 I -2 3, I -4
VI4
2 0 -4 10 -8 2 2 -8 12 -8
VI5 VI6
2
2 -8
VI7
o o
1,9 -4 2, I "A
25 250 2500 Exakt
0 0 0,32 0,004 0,008
0,052
12 -8 2 I
Unter www.TM-aktuell.de findet man ein Matlab-Script, das dieses Gleichungssystem aufbaut und löst. Realisiert wird das natürlich nicht durch den Aufbau einer 30*30Matrix und des entsprechenden Vektors der rechten Seite, sondern für eine beliebige Oiskretisierung 1lA- Tn der nebenstehenden Tabelle sind einige Ergebnisse ZlIsammengestelit.
-I 0 0 0
[Olm] 4,9772 4,9826 4,9826 4.9826
VGeI.nk
Fc2 IN] 1244,3 1245,6 1245,7 1245.7
Schon bei "A = 25 (30 Gleichungen) sind die Ergebnisse ausreichend genau. Bei feinerer Oiskretisierung muss man schon mehr Stellen angeben, als im Ingenieur-Bereich im Allgemeinen sinnvoll sind, um überhaupt Unterschiede zur exakten Lösung zu erkennen.
WWW - Mathematik für die Technische Mechanik - WWW Dijferenzenve1"ahrell auf der Internet-Site Mathematik für die Technische Mechanik (www.TM-Mathe.de) bietet u. a. folgende Informationen:
• • • •
Skript "Das Oifferenzenverfaluen - kurze Einführung-" Einführungsbeispiel mit verschiedenen Strategien zur Lösung des Gleicbungssystems Matlab-Script als Vorlage für unterschiedliche Probleme Zahlreiche Beispiele zu folgenden Themen: Biegeträger, elastisch gebettete Träger, gekrümmte Träger, Biegeschwingungen gerader Träger, Knickstäbe, ...
288
18 Computer·Verfahren für Biegeprobleme
18.2 Der Biegeträger als finites Element Der im Kapitel 15 eingeführte Finite·Elemente·Algorithmus ist dort so allgemein beschrieben worden. dass er auf andere Problemklassen übertragen werden kann. wenn für ein zn definierendes finites Elemcnt der Zusammcnhang zwischen Element-Knotenlasten und ElementKnotenverschiebungen (Element-Steifigkeitsbeziehung) bekannt ist. In den folgcndcn Abschnittcn wcrden finite Elemente für Bicgeträgcr (unter Biegcmoment- und Querkraft-Belastung) und biegesteife Rabrnentragwerke (unter Biegemoment-, Querkraft- und Normalkraft-Belastung) entwickelt. Dabei wird ansschließlich auf die im Kapitel 17 behandelte Theorie der Biegeverformung znrückgegriffen.
18.2.1 Element-Steifigkeitsmatrix für Biegeträger Als finites Element wird ein Biegetrager der Länge I, mit der konstanten Biegesteifigkeit EI, definiert, der an den Knoten I und 2 durch die Element-Knotenlasten VI und MI bzw. V2 und M2 belastet ist (Abbildung 18.17). Die Knotenlasten werden entsprechend den Formalisierungsprinzipien der Finite-ElementeMethode an beiden Knoten mit gleichem Richtungssinn (nach oben bzw. linksdrehend) angetragen. Die Element-Knotenlasten sind nicht unabhängig voneinander (natlirlich müssen die Gleichgewichtsbedingungen am Element erfüllt sein). Sie verformen das Element, die Verformung wird durch die Element-Knotenverformungen Vt, !PI, V2 und f/J2 beschrieben, die mit den gleichen Richtungen wie die ElementKnotenlasten positiv definiert werden.
M,
M,
0=E=le=~
VI
~
_I ~
le
Abbildung 18.17: Finites Element und Knotenverformunge,n
Gesucht ist nun der Zusammenhang zwischen den Element-Knotenlasten und den ElementKnotenverformungen (Element-Steifigkeitsmatrix). Diese Aufgabe wird in zwei Schritten gelöst: Zunächst werden nur Knotenverformungen am Knoten I zugelassen (das Element wird am Knoten 2 eingespannt, Abbildung 18.18), und es wird nach den Belastungen gefragt, die diese Verformungen hervorrufen, anscWießend wird diese Prozedur für den Knoten 2 ausgeführt, um dann schließlich die beiden Falle zu überlagern. a) In der Zusammenstellung wichtiger Grundlastfälle für die
Biegeverformung im Abschnitt 17.4 findet man (Varianten e und i) die Formeln, nach denen die Verformungen VI und !Pt infolgc der Belastungen VI und M I aufgeschrieben werden können (Superposition beider Lastfjlle): VII; Vt
Md;
= 3 EI, - 2EI,
V/i !PI
= - 2 EI,
+
MI/~ EI,
Diese beiden Formeln werden nacb den Belastungen V, und M, umgestellt:
Abbildung
18.18:
mungen am Knoten 1
Verfor·
289
18.2 Der Biegelräger als finites Elemenl
12EI, 6Ele VI = -/-3-vl +rCPI e
-
6EI,
4 EI,
e
e
MI = r V I +-,-CPI
e
Aus Gleichgewichtsbedingungen gewinnt man Kraft und Moment an der Einspannung:
-
-
12EI,
6Ele
,
,
V2 =-V I = --/3-VI-rCPI
b) Auf gleichem Wege werden die Belastungen ermittelt, die die Verformungen des Knotens 2 erzeugen:
,
V2 =
,
M2 = -
12EI, -3-
le 6Ele
6EI,
V2 - - " -
I, 4EI,
- 2 - v2
" I;
'P2
+ - - 'P2 " 6 EI,
, , 12 EIe VI = -V2 = ---V2+ - - 'P2 ,
,
I;
6Ele
A
2EI,
Abbildung 18.19: Verformungen und BelasLUngen am Knoten 2
MI=-V2 /,-M2=- --V2+--'P2
I;
',-
Wenn die für die beiden Fälle a und b berechneten Belastungen gleichzeitig auf das Element aufgebracht werden (Addieren der Kräfte und Momente), dann rufen sie auch die Summe der unter a und b erzeugten Verformungen hervor (Abbildung 18.20):
Abbildung 18.20: Addilion der beiden Verfollllnngsfälle zur Veli'ormung des finilen Elements Die Addition der Knotenbelastungen der bei den Lastfälle entsprechend
VI = VI +VI V2 =
MI=MI+MI
V 2 +V2
M2=M2+ M 2
fuhrt zur Element-Sleifigkeitsbeziehung für den ebenen Biegeträger:
12
VI MI V2 M2
=
(~:),
6',
-12
61 e
VI
4';
-6/,
2/;
CPI
12
-61e
V2
4/;
'P2
symrn.
(18.9)
290
18 Computer·Verfahren für Biegeprobleme
oe:> Damit ist die theoretische Vorarbeit für die Berechnung des geraden Biegeträgers nach der
Finitc-Elemcnte-Methode geleistet. Die Elemente mit zwei Freiheitsgraden pro Knoten (Verschiebung und Biegewinkel) können· wie im Kapitel 15 beschrieben· zu Systemen zusammengcbaut wcrden. Wic im Kapitel 15 crläutcn, werdcn durch den EinspcichcrungsAlgorithmus, der unverändert übernommen werden kann, die Gleichgewichrsbedingungen
erfüllt. Der wesentliche Vorteil der Finite·Elemente·Strategieliegt darin, dass man sie ganz formal auf unterschiedliche Probleme übertragen kann. oe:> Bcim Einspcichcrn der Elcmcnt-StciAgkcitsmatrizcn in die Systcm-
Steifigkeitsmatrix werden jeweils 2*2-Untennatrizen übertragen (wie bei den Fachwerk-Elementen des Abschnitts 15.3). Im Gegensatz zu den Fachwerk-Elementen des Abschnitts 15.3 können mit den durch 18.9 beschriebenen Elementen jedoch nur gerade Biegeträger (fluchtende Elemente, keine Rahmen) berechnet werden.
I
I Beispiel: _ _ _ _ Für den skiZZierten Blegetrager soll die Berechnung der Velformung am Kraftangriffspunkt und des Biegewinkels am rechten Lager nach dem Finite-ElementeAlgorithmus demonstrien werden. Für das Element a sollen die Element-Knotenlasten berechnet werden. Gegeben:
1,2
1,1
[~]
2,1
2,2
V Eh I
Ib
1:
Elb Ib Ela ; Ä. = El =0,25; la; )1= T;, =0,5; F. a
Abbildung 18.21: FEM-Berechnungsmodell: 2 Elemente, 3 Knoten Die Abbildung 18.21 zeigt die Einteilung des Systems in zwei finite Elemente a und b und die drei von den Elementen gelösten Systemknoten I, 11 und lIl, auf die die äußeren Belastungen wirken (gegebene Kraft F und die Lagerreaktionen h MI und FIII ). Die Element-Steifigkeitsmatrizen für die Elemente a und b werden nach 18.9 aufgeschrieben (nebenstehend, bei K,> wurden die gegebenen Werte fur Ä. und )1 bereits eingearbeitet).
12 EI"
61a
-12
61 a
4/;
-61a
21;
12
-61a
Ka=y a
41;
symm.
24 Ela
Kb=y
61a
-24
61 a
21~
-6/"
1a2
24
-6/"
a symm.
2/~
Zur Erinnerung: Wenn die Element-Steifigkeitsmatrizen nach den Regeln aus dem Kapitel 15 in die System-Steifigkeitsmatrix und die äußeren Belastungen in den System-Belaswngsveklor eingespeichel1 werden, dann garantiert die Lösung des so entstehenden Gleichungssystems,
291
18.2 Der Biegelräger als finites Elemenl
• dass die Gleichgewichtsbedingungen an den Systemknoten erfullt sind und • die Knotenverformungen der an einem Knoten zusammenstoßenden Elemente kompatibel sind (die geometrischen Übergangsbedingungen werden erfullt). Die Zuordnung der Elementknoten zu den Systemknoten ist in diesem Fall besonders einfach: Element-Knoten Element a:
(1,2)
Element b:
(I ,2)
... ...
System-Knoten [ I,
...
"1
[11,1111
Die System-SteifigkeilSmatrix hat 6 Zeilen bzw. Spalten (3 Knoten mit je 2 Freiheitsgraden). Sie wird aus den Element-Steifigkeitsmattizen aufgebaut, indem die 2*2Untermatrizen entsprechend Abbildung 18.22 eingespeichert werden. Im Mittelbloek, zu dem beide Elemente einen Anteil liefern (am Knoten 11 stoßen beide Elemente zusammen) werden die Elementanteile addiert. Man erhält schließlich rolgende System-Steifigkeitsbeziehung:
12
61a
-12
41;
-61a
Ela
r
36
a
symm.
61a
21; 0 61;
Koinzidenzmatrix
I Ir] [11 111 fIlfIl
fIlIlI
;f [~] ;f [~b
JII
~
JjJ
b]
~
Abbildung 18.22: Systelll-Stcifigkeitsmatrix: Ziel positionen rur die Element-Steifigkeitsmau;zen
0 0 -24
0 0
V,
F,
!PI
M,
61a
VII
-61a
l(~
!Pli
24
-61a
V/li
F'II
2/;
!Pm
0
=
-F
0
Die äußere Kraft F wurde mit negativem Vorzeichen in den BelaslUngsvektor eingefügt. weil sie entgegen dem rür den Aufbau der Element-Steifigkeitsbeziehung gewählten Richtungssinn wirkt. Auf die Positionen 4 und 6 des Belastungsvektors wurden Nullen gesetzt, weil keine äußeren Momente an den Knoten 11 und 11 fangreifen. In der System-Steifigkeitsbeziehung sind die beiden Kräfte F, und Fm und das Moment M, und die drei gesuchten Knotenverformungen VII, !Pli und !pm unbekannt. Die Gleichungen 1,2 und 5 mit den unbekannten Belastungsgrößen werden zunächst aus dem Gleichungssystem herausgenommen. Gleichzeitig können die entsprechenden Spalten 1.2 und 5 der System-Steifigkeitsmatrix gestrichen werden, die ohnehin keinen Beitrag liefern, weil die zugehörigen Verschiebungsgrößen VI, !P, und V," den Wert Null haben (Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen durch ,2eilen-Spalten-Streichen"). Die zu streichenden Zeilen und Spalten sind in der SystemSteifigkeitsbeziehung grau unterlegt. Es verbleibt das folgende Gleichungssystem:
36 VII 6 la VII
+
+
61a !pll/
+
I; !pm
+
2 I; !Pm
FI"!. Ela
o o
292
18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Wenn man die erste Gleichung durch I" und die beiden anderen Gleichungen durch I~ dividiert, findct man I" nur noch bei der Unbekannten VII, so dass man mit der neuen Unbekannten 1/; das GJeichungssystem aJlgemein lösen kann:
[ ::,] [-~~] 36
~I Fl~ o EI" ]
[
Fl,~ I80
EI"
({iJII
Mit dcn nun bekannten Verformungcn können aus dcn drci Gleichungcn, die aus der SystemSteifigkeitsbeziehung zunächst gestrichen wurden, die Lagerreaktionen F J, F III und MJ berechnet werden:
EI"I" [12·0+61,,·0-12· (-IlFl~) +61,,' (-6Fl~)] --= -8F I 80 EI" 180EI" 15 EI" [61,,·0+41,,·0-61,,· (-IIFI~) (-6FI~)] = 10Ff" 3 180EI" +21,,' J80EI" EI" [ -24· (-IIFI~) -61", (-6FI~) F{{{=- - - +24·0-61,,· (36FI;)] --= -7F 11 180E/" 180EI" 180EI" 15 Pt =
-3-
2
MJ=[f
2
Aus den Element-Steifigkeitsbeziehungen SÜld die Eiemem-Knotenbeiastungen fUr jedes Element zu ermitteln, was hier rur das Elemem a gezeigt wird. Die Elemem-Steifigkeitsmatrix wird mit dem Element- Verfonnungsvektor, der mit den bekannten bzw. berechneten Werten VI =
0
,
({iJ =
ll
0
VII = -
FI,;
6Fl;
180EI"
({ill =
-180EI"
bestückt wird, multipliziert: Via
MI" V21, M21,
EI"
r"
12
61"
-12
61"
0
61"
41~
-61"
21,~
0
-12
-61"
12
-61"
-111"
61"
21~
-61"
41~
-6
16 FI~ I 80 EI"
91" -16
F 30
71"
Die Elemem-Knotenbelastungen entsprechen natürlich (mit Ausnahme des Vorzeichens) den Schniltgrößen FQ und Mb. So ist
Z.
B. das gerade berechnete
7 Mz" = 30
FI"
(Momem am Knoten 2 des Elements a) gleich dem Biegemoment an der Kraftangriffsstelle. Mit den errechneten Elemembelastungen VI" und MI" sind die Schnittgrößen am linken Elementrand und damit die Lagerreaktionen an der Einspannung bekannt. Letztere emsprechen erwartungsgemäß genau den oben bereits berechneten Werten für FJ und MI. oe:> Die errechneten Werte ftlr die Verformungen, Lagerreaktionen und Elementbelastungen sind
exakt, weil dic Biegetheorie von der Element-Steifigkeitsmatrix 18.9 exakt erfasst wird.
293
18.2 Der Biegclräger als finites Element
18.2.2 Element-Belastungen (Linienlasten) Die im Abschnitt 18.2.1 hergeleitete Element-Steifigkeitsbeziehung 18.9 gilt für Elemente, in die nur über die Knoten Kräfte eingeleitet werden. Um auch Linienlasten, die ja Element-Belastungen sind, erfassen zu können, wird ein Weg beschritten. der schon im Abschnitt 15.4 zur Erfassung von Temperatur- und AnJangsdehnungen diente: Die Element-Belasrungen werden auf statisch gleichwertige Knotenlasten reduziert, die dann den äußeren Belastungen zugeschlagen werden können. Diese Reduktion soll am Beispiel einer linear veränderlichen Linienlast demonstrielt werden. Ein Element einer Finite-Elemente-Strukrur ist durch eine Trapezlast belastet (Abbildung 18.23). die konsequenterweise in gleicher Richtung wie alle Elementkräfte (nach oben) positiv definiert wird. Das System soll nun wie skizziert durch zwei Systeme ("Beidseitig eingespannter Träger" + "Reduziertes System") so ersetzt werden, dass deren Summe (hinsichtlich der Verfomlllllgen und der Belastungen) mit dem OriginalSystem identisch ist. Der beidseitig eingespannte Träger. der die Linienlast tragen soll, gestattet keine Verformungen an den Knoten. allerdings wirken dort die Lagerreaktionen.
f
Abbildung 18.23: Originalsystem, ersetzt durch zwei Teilsysteme
Wenn die Summe der beiden Ersatzsysteme dem Originalsystem entsprechen soll. müssen die Lagerreaktionen des eingespannten Trägers durch entgegengesetzt gerichtete Belastungen am reduzierten System kompensiert werden. Mit diesen reduzierten Belastungen werden am reduzierten System alle Knotenverformungen korrekt ausgerechnet, weil das zu überlagernde Element ja keine Verformungen an diesen Punklen beiträgt. Den Element-Knotenlasten, die das reduzierte System liefert, sind allerdings für das Element, das die Linienlast trägt, die Lagerreaktionen der Einspannstellen (negative reduzierte Belastungen) zu überlagern. Man ermittelt die reduziet1en Belastungen am beidseitig eingespannten Träger (Abbildnng 18.24) nach der Theorie der Biegeverformung. Für den skizzierten Fall sind es die Ergebnisse des Beispiels 3 im Abschnitt 17.6 (Seite 270):
Abbildung 18.24: "Lagerreaklionen" inrolge Trapezlast
le FI, = 20 (7ql +3qz) (18.10)
le (3ql +7qz ) Fz, = 20
I; (2ql +3qz ) Mz, = - 60
Auf entsprechendem Wege könnte man für andere Element-Belastungen die reduzierten Belastungen ermitteln, im Allgemeinen kommt man aber mit den Formeln 18.10 aus, die als Sondernille die konstante Linienlast und die Dreieckslast enthalten. Für andere Verläufe bevorzugt der Praktiker meist eine stückweise Nähemng der tatsächlichen Belastungsfunktion durch Trapezlasten (Einteilung des Linienlastbereichs in mehrere finite Elemente).
294
18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Die wichtigste Schritte bei der Berücksichtigung von Linienlasten, die am nachfolgenden Beispiel noch einmal demonstriert werden, sind also:
.:> Die auf die Elemente wirkenden Linienlasten werden durch reduzierte Belastungen ersetzt, die als äußere Knotenlasten behandelt werden.
c:> Das System, das dann nur noch durch Einzelkräfte und Einzelmomente an den Knoten belastet ist, liefert bei der Berechnnng nach dem Finite-Elemente-Algorithmus die Knotenverformungen exakt.
e:> Bei der Berechnung der Element-Knotenbelastungen müssen für die Elemente, bei denen Linienlasten ersetzt wurden, die reduzierten Belastungen subtrahiert werden. Für diese Elemente verwendet man die nachfolgende Beziehung 18.11. Erweiterte Element-Steifigkeitsbeziehung für den ebenen Biegeträger: 12
VI M, V2
=
(~:),
61,
~12
61,
VI
F 1r
411
-61,
2(/
(fl,
Mir
12
-61,
V2
F2r
4/;
q>z
M2r
symm.
M2
I
Beispiel: I_____ Flir den Btegetr"ger des Belsptels aus dem vorigen Abschnitt sollen mit der nebenstehend skizzierten Belastung alle Knotenverformungen und die ElementKnotenlasten des Elements CI berechnet werden. Gegeben:
(18.11 )
/
'I' I , , , , 1 , , ,
qo
Elb Ib Ela ; .1..=-=0,25; la; P.=-I =0,5; qo· Ela a
Die Linienlast am Element CI wird nach 18.10 durch reduzierte Belastungen an den Elementknoten ersetzt (negative Vorzeichen, weil die Linienlast in diesem Beispiel nach unten gerichtet ist): F 1ra
I
F2ra
- 2 qol" I
Mim
-M2ra
,
-T2qOI,/
Da die Abmessungen und Biegcsteifigkciten mit denen des Beispiels aus dem vorigen Abschnitt übereinstimmen, können die Elemenl-Sleifigkcilsmarrizcn und die System-Steifigkeitsmarrix ungeändert übernommen werden. Im (nebenstehend zu sehenden) System-Belastungsvektor tauchen nun allerdings die reduzielten Knotenlasten auf den Positionen der Systemknoten I und IJ auf.
~ -1qOla Mj
-12 qOI;,
-1qOla I I';; T2!fO FIII
°
Systcm-Belastuogsvcktor
295
18.2 Der Biegelräger als finites Elemenl
Man beachte, dass am Knoten I die reduzierten Belastungen zusätzlich zu den Lagerreaktionen ri und MI auftauchen. Zwar werden diese Gleichungen bei der Verformungsberechnung zunächst gestrichen, bei einer anschließenden Berechnung der Lagerreaktionen mit diesen Gleichungen müssten dicse Anteilc berücksichtigt werdcn. Nach dem Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen durch "Zeilen-Spalten-Streichen" verbleibt ein Gleichungssystcm wie im Beispiel des vorigen Abschnitt, das sich von diesem nur durch die geänderte rechte Seite unterscheidet:
36 VI/
+
6/"VII
I~lpll
+
61" Ipll/
+
I~lpll/
+
21~lpll/
_ qol~
2 EI" qol~ 12EI" 0
Wcnn man wicder die erste Gleichung durch I" und die beiden anderen Gleichungen durch I;; dividiert, findet man I" nur noch bei der Unbekannten VI/, so dass man mit der neuen Unbckannten 7/; das Gleichungssystem allgemein lösen kann: VII
la
-1 ] = [
~
qol~ 36Ela
Die Element-Knotenbelastungen für das Element a müssen hier mit der erweitel1en ElcmentSleifigkeitsbeziehung ermittelt werden. Der Element-Verformungsvektor wird mit den bekannten bzw. berechneten Werten qOI~ V/ = 0 Ipll = 0 VII = - 36EI" bestückt und in die erweiterte Element-Steifigkeitsbeziehung eingesetzt: VI II M!a V 2a
Mz"
EI"
r"
12
61" -12
6/"
0
61"
41~ -61"
21;'
0
12 -61"
-I
-12 -61" 6/"
21;' -61"
41;'
0
-6 qOI~
--36EI"
10
-I"
qOla
31"
qOI"
-6
12
2
12
L"
la
oe:> Hier soll noch einmal auf die konsequent gehandhabte Vorzeichen-Regelung aufmerksam
gemacht werden: Sämtliche Kräfte und Verschiebungen wurden positiv nach oben definiert, die Momente und Winkel sind linksdrehend positiv. Dies gilt für die äußere Belastung der Knoten (Einzel kräfte bzw. -momente) und der Elemente (Linien lasten) ebenso wie für die Ergebnisse (Knotenverformungen, Element-Knotenbelastungen, Lagerreaktionen). Diese Aussage gilt für die Formuliemng der Theorie. Den Progranunierern von FEM-Programmen ist es natürlich freigestellt, für die Eingabe über die Benutzeroberfläche der Software Vorzeichen regelungen zu treffen, die den Konventionen entsprechen, die dem Anwender vertraut sind (z. B. für Biegeträger: Kräfte und Verschiebungen positiv nach unten).
296
18 Computer·Verfahren für Biegeprobleme
18.2.3 Exakte Lösungen, Näherungslösungen Auch wenn es bisher nicht so aussah: Die MeThode der finiTen ElemenTe iST ein Näherungsver· Jahren. Alle Bcispiele il11 Kapitel 15 und im Abschnitt 18.2 lieferten allerdings Ergcbnisse. die im Rahmen der klassischen Theorien (ebene Fachwerke bzw. ebene Biegeträger) exakt waren. Am Biegeträger lässt sich sehr schön demonstrieren, wo die Grenzen für die exakte Lösung sind. Als bei der Herleitung der Element-Stei r>gkeitsbeziehung (Abschnitt 18.2. I) die Frage beantwortet wurde, welche Knotenkräfte die Knotenverformungen Vt, li,:, tl ..., ",,(11_
"0,"," TM Ill.·'
1~tl' <j ...
Statisch unbestimmte gerade Biegetrager (FEM) Knoten, Stabe. Lager, Krane, Raster.
Knoten· Elemente
KncteovetlorlftJl'"lgM
Zeiche""acoo
-~"' ,.
1
110 100
M' F..,... , C"
00
~.I'Il.der,cT·
00
a
. J'
~
,.
"phl • 00
R
I,
------------ --------- -
ph ... r~(RN)·
"'.0>
;1
E,n.gllbe Knot...
B Man beachte. dass für elastisch gebettete Träger immer eine Verformungsrechnung erfor-
derlich ist, auch wenn nur die Schnittgrößen interessieren (es gibt keine "statisch bestirurnt gelagerten Träger" mit elastischer Bellung).
pr;
\.~:-j
WWW - Mathematik für die Technische Mechanik - WWW Gewöhnliche Differenzialgleichungen auf der lnternet-Site Mathematik für die Technische Mechanik (www.TM-Mathe.de) bietet u. a.:
ftt· ~
Differenzialgleichungen I. Ordnung Lineare Differenzialgleichungen höherer Ordnung Lineare Unabhängigkeit von Funktionen Lösungsstrategie für lineare Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
19.2 Der elastisch gebettete Träger
I Beispiel:
315
I
Für den skizzierten elastisch gebetteten Träger sind der Verlauf der ßiegelinie und der ßiegemomentenverlauf zu bestimmen. EI Gegeben: qo, EI, I, k = 1024 (4 . Es gilt die allgemeine Lösung 19.6 für die Differenzialgleichung der ßiegelinie des elastisch gebetteten Trägers mit konstanter Biegesteifigkeit und konstanter Bettungszahl, die folgenden Randbedingungen angepasst werden muss:
1.) v(O) = 0
2.) v'(O) = 0
3.) v(l) = 0
,
,
4.) Mb(l) = 0
=}
v"(I) = 0
Neben der Verschiebungsfunktion v(z) werden also noch deren I. und 2. Ableitungen benötigt:
v(z) =
~+ei ei [
(Ct cosz +C2sin Z) +e- i (C3COSZ +C4sinZ) ,
v(z) =
,
L
(C, +C2)eosL:+(C2-CI)sinL:
"()
2
• (
v Z = L2ec
z
z] +T e- i [(C4-C3)COSL:z -(C3+ C4) sin L:z]
'
. Z Z) 2 _ t- ( C3S1nL:-C4coSL: . Z Z) -C,SIl1L:+C2COSL: + L2e
Die Verschiebungsfunktion v(z) und ihre Ableitllngen werden in die vier Randbedingungs-Gleichungen eingesetzt, und es ergibt sich ein lineares Gleichungssystem für die vier Integrationskonstanten : I -I
0
[
I I
ei cos t I
~e I
. I $111 [
I
I . I e I sm I e~ t cos
e f cos
t
I
.
f I
e~lsll11
0 I I
.
I
e~lslfiI
' I -e-1cosr
Dies wird mit einem geeigneten Programm gelöst (vgl. www.TM-aktuell.de). Für den gegebenen Zahlenwert erhält man mit I .{k J''kf4 L:=Y4Ei I =Y4Ei=4
.). [ommand Wlndow
~
X -
0.01226725628224 0.01424798813525 -1.01226725628224 -1.03878250069972
folgendes Ergebnis: CI] [0'012267256] qol4 C2 _ 0,014247988 C] -1,012267256 1024 EI [ C4 - I ,03878250 I
.:.l.QI29
File Edit Det!ug Desktop Window Help
»
(nebenstehend das "Command Window" von Matlab mit diesem Ergebnis). Mit den Konstanten kann die Biegelinie aufgeschrieben werden (aus den C; wurde der gemein4
same Faktor I~~~EI ausgeklammert, die Ci sind die dimensionslosen Zahlenwerte), und der Biegemomentenverlauf ergibt sich nach der Formel Mb(Z) = -EII'(z):
19 Spezielle Biegeprobleme
316
Ncbenstehcnd sieht man (Matlab-Grafik) dcn Verlauf der Biegelinie und des Biegemoments. Dargestellt sind d.ie EI dimensionslosen Verschiebungen - - v qo/4 bzw. die dimensionslosen Biegemomentc
Mb QO/2
Die Ergebnisse gelten natürlich entsprechend der ausgeführten Rechnung nur für den vorgegebe-
nen Zahlenwert flir k.
o:r<s:'" :?1 o~p J o
0.2
0.4
0.6
0.8
1
Biegemomenl
-0 04
o
~--~----,~
0.2
0.4
0.6
0.8
Ocr Zahlenwert für k war erfordcrlich, um in dcr Kocffizicl1lcnmatrix des Gleichungssystcms flir die Bestimmung der Integrationskonstanten für den Quotienten einen Zahlenwert zu erhalten. Die Frage, ob man das Gleichungssystem (immerhin nur vier Gleichungen) nicht allgemein lösen könnte, ist in diesem Fall mit einem ,,.Ja, aber" zu beantworten.
t
Dabei braucht man sich die Lösung des Gleichungssystems "von Hand" nicht anzutun. Programme, die symbolisch rechnen können, liefern durchaus ein korrektes Ergebnis ab (Ergebnisse dieser Al1 siehe www.TM-aktuell.de). Die Ausdrücke für die Konstanten sind aber so kompliziert, dass das eigentliche Ziel solcher Rechnungen, den Einftuss der Parameter auf die Resultate zu erkennen, nur sehr bedingt erreicht wird. Aber es gcht! Folgendc Intcgrationskonstantcn licfcrt z. B. Maplc nach symbolischer Rechnung ab:
[~j] Auch wenn der geübte Rechner hier noch etwas Potenzial zur Vereinfacbung dieser Ausdrücke sieht, kann man aus solchen Fomlel-Monstern doch nichts cntnehmen. Um cs deutlich zu sagen: Symbolische Rechnung kann hier nicht empfohlen werden. GegebenenfaJIs sollte man die Rech11l1llg fUT mehrere unterschiedliche Parameterwerte dW'chführen, so dass man eine Kurvenschar erhält, aus der man den Einftuss der interessierenden Parameter ablesen kann.
19.2 Der elastisch gebettete Träger
317
19.2.3 Lösung mit dem DitTerenzenverfahren Das einfache Beispiel des vorigen Abschnitts hat gezeigt. dass trotz konstanter Biegesteifigkeit und konstanter Bettungszahl dcr Rechcnaufwand bci eincr exaktcn Lösung recht crheblich wird. Deshalb bietet sich schon fLir solche Aufgaben eine numerische Lösung an, die bei kompliziertcrcn Problcmen ohnehin unumgänglich ist. Da sich die Differenzialgleichungen der Biegelinie des elastisch gebetteten Trägers 19.3 bzw. 19.4 nur durch den Bettungsanteil k(z)v(z) von den Differenzialgleichungen der Biegelinie des nicht gebetteten Trägers unterscheiden, für die im Abschnitt 18.1 die Differenzenformeln hergeleitet wurden, müssen die Formeln 18.2 bzw. 18.4 nur um diesen Anteil ergänzt werden. Weil der Bettungsanteil keine Ableitung enthält, wird er am Punkt i einfach zu kiVi, und die m.it t;;. multiplizicrtcn Diffcrenzcnglcichungcn des Abschnitts \8.1 wcrdcn um gcnau cincn Tcrm crgänzt. Differenzenglcichung der Biegelinie des elastisch gebetteten Trägers bei veränderlicher Biegesteifigkeit: li-IVi-2 -2(1i-1 +I;)Vi-1
+ (li-I + 4/i+ 1i+1 + k~4)
-2(1i +Ii.,-I) Vi.,-I +li+I Vi+2 =
qi h4
Vi
( 19.7)
E
Differenzengleichung der ßiegelinie des elastisch gebetteten Trägers bei konstanter ßiegesteifigkeit: V·_2-4v·_I+ I I
(
~0) v·-4v·+I+V·+2=-~0 6+-Ef I I/EI
( 19.8)
Auch in der einfacheren Differenzenformel 19.8 darf die Bettungszahl veränderlich sein (an jedem Punkt i cincn anderen Wcrt habcn). Dics wird in dcn nachfolgenden Überlegungen zu den Übergangsbed.ingungen genutzt.
Für die Berechnung der Biegemomente und Querkräfte gelten für den elastisch gebetteten Träger die gleichen DifferenziaJbeziehungen wie für den Träger ohne elastische Bettung. Deshalb dürfen die Differenzenformeln 18.3 bzw. 18.5 ungeändert übernommen werden.
Rand- und Übergangsbedingungen Die elastische Bettung geht (wie die Linienlasten) nur über die Differenzialgleichung jn die Rcchnung cin. Wcil dic Rand- und Übcrgangsbcdingungen von dcr Bcttung unbcrührt blcibcn, können alle "Tricks" zur Vermeidung von Übergangsbedingungen, die im Abschnitt 18.1.4 beschrieben wurden, und der gesamte Katalog der Randbedingungcn, der im Abschnitt 18.1.5 zusammengestellt wurde, auch für die Lösung der Aufgaben mit elastischer Bettung ungeändert genutzt werden. Weil die elastische Bettung auch über die Trägerlänge (von Punkt zu Punkt) veränderlich sein darf und gegebenenfalls nur für einen einzelnen Punkt gelten kann, bieten sich noch folgende
318
19 Spezielle Biegeproblerne
zusätz.liche Möglichkeiten ftir die Berücksichtigung von linearen Federn, vorgeschriebenen Verschiebungen und Zwischenstützen an, die einerseits eine Bestätigung der Strategien sind, die im Abschnitt 18.1.4 beschrieben wurden, andererseits sogar noch einfacher zu realisieren sind. c~
Federn mit lincarem Federgcsctz können zu einer elastischen Bettuog "verschmiert" werden, die (wie die Linienlast, die eine Einzelkraft ersctzt) nur auf einen Punkt wirkt:
h i-I
h
i
i+1
=
i
c·
k i = --.!..
h
h i-I
i+l
i
.,.
"
k~
t
Ci
h
Abbildung 19.6: .,Verschmieren" einer Feder
Praktischc Realisierung: Das Hauptdiagonalclemcnt der i-ten Gleichung wird vergrößcn um
k;!f = C; tt· Dies entspricbJ der bereits im Abschnitt 18.1.4 beschriebenen Strategie. Q
Eine Zwischenslütze kann als Sonderfall einer "Feder mit unendlicher Steifigkeit" angesehen werden und deshalb besonders bequem durch extreme Vergrößerung des Hauptdiagonalelements der i-ten Gleichung realisien werden (bei Division dieser Gleichung durch ihr Hauptdiagonalelement wird dieses gleich I, und alle übrigen Koeffizienten dieser Gleichung werden näherungsweise Null, was der im Abschnitt 18.1.4 besprochenen Realisierung von Zwischenstützen entspricht). Diese Realisierungsvariante hat den Vorteil, dass nur ein Matrixelemcnt geändcrt werdcn muss. Eventuell im Belastungsvektor (rechte Seite) stehende Größen haben ebenso wenig Einfluss wie die übrigen ElemeJ1le in der Zeile i der Koeffizientenmatrix. Deshalb wird dieSe Möglichkeit. verhinderte Verschiebungen zu simulieren, auch bei der Finite-Elemente-Rechnung bevorzugt, zumal die dOl1 sehr wichtige Symmetrie der Koeffizientenmatrix dadurch nicht gestön wird.
Q
Ein "Riese" aur der HaupldiagonaJcn verhindert die Verschiebung I'i_
Der beschriebene ..Zwischenstützen-Trick" kann für die Realisientng einer vorgeschriebenen Verschiebung (dem Punkl i wird die Verschiebung v,_ aufgezwungen) folgendermaßen modifizien werden: Zusätzlich zu dem extrem großen Wen auf der Hauptdiagonalen wird als rechte Seite das \Iv-fache dieseS Wenes eingesetzt. Es ist evident, dass dann nach einer Division der Gleichung durch ihr Hauptdiagonalelement genau die im Abschnitt 18.1.4 für diesen Fall angegebene Gleichung entsteht.
Generelle Strategie fiir gerade Biegeträger mit und ohne Bettung Dic Diffcrcnzialglcichung der Biegclinic für den elastisch gcbettctcn Trägcr 19.3 unterschcidet sich nur durch das zusätzliche Glied k(z)v(z) von der Biegelinie ohne Bettung 17.4. Dieser kleine Unterschicd fühne zu erheblichem Menraufwand bei der analytischen Lösung (Abschnitt 19.2.2). Bei dcr numerischcn Lösung flihn die Berücksichtigung elastischcr Bettung zu kcinem nenncnswerten Mehraufwand, im Gegenteil: Die elastische Bettung ermöglicht die besonders einfache Realisierung von Federn lll1d Zwischenstützen. Deshalb bietet sich folgende Strategie an: Man verwendet immer die (durch Modifizieren von 18.7 entstehenden)
19.2 Der elastisch gebettete Träger
319
Differenzenformeln für den elastisch gebetteten Träger:
/1i-IVi-2-2(~Li-1 +/1i) Vi-I +
i
4
(/1i-1 +4/1i+/1i+1 + k h Elo
)
Vi
qi h4
-2(/1i+/1i+I)Vi+1 +/1i+I Vi+2 = Elo Mb; = -
~~o (/1j1'j
(19.9)
1 -2/1;Vi+/1iVi+l)
Elo
FQi = - 2h 3 [-/1i-1 Vi-2 + 2/1i-l l'i-1 - (/1i-1 - /1i+1) Vi - 2/1i+1 Vi+1 + ~Li+1 V;+2]
mit
li
/l; = 10
(10 ist ein beliebiges Bezugs-Trägheitsmoment).
Folgendc einhcitliche Strategie für dic Bercchnung geradcr Bicgcträger (mit und ohne Bcttung) nach dem Differenzenverfahren wird empfohlen (unter www.TM-aktuelJ.de findet man zahlreiche Beispiele, die auf diese Weise berechnet wurden):
I wird äquidistant in nA Abschnitte der Breite h = dA so unterteilt, dass alle markanten Punkte (Krafteinleilung, Lager, Gelenke, ...) getroffen werden. Mit Rand- und Außenpunkten entstehen insgesamt" = + 5 StützsteIlen. Der linke Randpunkt des Trägers hat die Nummer 3, der rechte Randpunkt die Nummer 11- 2.
(j) Der Träger mit der Gesamtlänge
"A
@ Es werden 3 Vektoren
qi, ki und mi mit jeweils n Elementen definiert, die zunächst sämtlich
Null gesetzt werden. @
In den Vektor qi werden die von Null abweichenden Linienlastintensitälen qi an den StützsteIlen einschließlich "verschmierter" Einzelkräfte und -momente eingetragen.
@) In den Vektor
ki werden die von Null abweichenden Bettungsziffern ki an den Slülzstellen
einschlicßlich "vcrschmicrtcr" Federn und Zwischenstützen eingctragcn. @
Es wird eine beliebige Bezugs-Biegesteifigkeit Elo gewählt. In den Vektor mi werden die Quotienten EI; /li = Elo eingetragen. EI; ist die Biegesteifigkeit am Punkt i. Fiir die Außenpunkte werden die Werte eingesetzt. die sich bei Fortsetzung des Trägers über die Ränder hinaus ergeben würden. Gelenke werden berücksichtigt, indem für den Gelenkpunkt der Wert 0 eingetragen wird.
+ I Trägerpunkte können damit alle Differenzengleichungen nach 19.9 aufgeschrieben werden.
@ Für die nA
t1J Die vier Randbedingungsgleichungen werden aus dem Katalog des Abschnitts 18.1.5 ergänzt, so dass das Gleichungssystem mit n Gleichungen komplett ist. @ Nach der Lösung des Gleichungssystems sind die Verschiebungen ftir alle Punkte (Biege-
linie) bekannt. Die Schnittgrößen (Biegemoment und Querkraft) können damit nach 19.9 berechnet werden.
19 Spezielle Biegeprobleme
320
I
Beispiel: I_....;.__ Der skIzzIerte Träger mIt stückweise konstantem Querschnitl ist im linken Bereich elastisch gebettet. Es sind die Biegelinie und der Verlauf des Biegemoments zu ermitleln. Speziell sind die Verschicbungcn am Angriffspunkt von F und am rechten Rand sowie die Federkraft zu berechnen. Gegcben:
11 = 12 = 250mm k = 12N/mm2 G)
13 =4oomm; Eil =6.109 Nmm 2 14 = 300 mm; EI2 = 3· 10 10 Nmm 2
;
;
c = 6kN/mm ql = 14 Nimm
F = 2kN M = 240Nm
Der Träger mit der Gesamtlänge 1 = 1200mm wird in "A = 600 Abschnitte der Breite h = .L = 2mm unterteilt. Es entstehen 11 = IlA + 5 = 605 StützsteJlen. Der linke Randpunkt des nA Trägers hat die Nummer 3, der rechte Randpunkt die Nummer 603. Die Kraft F greift am Punkt 128 an. die Feder befindet sich am Punkt 253, die Zwischenstütze am Punk1453.
®... @ Als Bezugs-Biegestcifigkeit wird Elo = Eil geWählt. Die 3 Vektoren qi, ki und lIIi werden folgendermaßen mit den gegebenen Werten bestückt:
qi=
I 2 3
0 0 0
0 0 12
In 19.22 gelten für die Winkel koordinate rp, die Tangentialverschiebung 11 und die Radialverschiebung v die Definitionen nach Abbildung 19.17 (Seite 333). Die Schniugrößen müssen
der im Abschnitt 19.3.1 (Seite 323) gegebenen Definition entsprechen. oe:> Der dimensionslose Parameter K (Flächenkennwert für die Querschnittsflächen gekrümmter
Träger) ist in der Beziehung 19.17 (Seite 328) definiert worden. Für einige Querschnitte finden sich K-Werte in der Tabelle des Beispiels I (Seite 329). oe:> Es muss zunächst die Differenzialgleichung rür die Radialverschiebung v gelöst werden, de-
ren allgemeine Lösung danach in die Differenzialgleichung für die Tangentialverschiebung eingesetzt wird, die dann (Umstellung nach li) durch einfaches rntegrieren gelöst werden kann. Füreine Differenzialgleichung 2. Ordnung und eine Differenzialgleichung I. Ordnung sind insgesamt drei Lntegrationskonstanten aus drei Randbedingungen zu bestimmen. oe:> Die allgemeine Lösung der linearen inhomogenen Differenzialgleichung 2. Ordnung für die
Radialverschiebung setzt sich entsprechend v=
V/Will
+ V (Jarl
(19.23)
aus der Lösung der homogenen Differenzialgleichung v + v = 0 und einer beliebigen Pattikulärlösung zusammen. Für den homogenen Lösungsanteil gilt immer:
v/""" = CI COS rp + C2 sin rp
(19.24)
Die Pal1ikulärlösung ist problemabhängig und kann nur bei vorgegcbener Funktion rür die rechte Seite ermiUelt werden, die bei konstantem Querschnitt ausschließlich von der Funktion Mb(rp) bestimmt wird. Ncben einem konstanten Anteil tauchcn dort in der Regel eosund sin-Funktionen auf. Für die ausgesprochen typische Form der rechten Seite der Differenzialgleichung (19.25) f(rp) =a+bsinrp+ccosrp darf als Partikulärlösung immer verwendet werden 3 : v/x Bei Trägem mit großem Radius R (im Vergleich mit den Querschnittsabmessungen) kann
mit im Allgemeinen vertrctbarer Genauigkeitscinbuße die Differenzialgleichung fLir dic Radialverschiebung 19.22 unter Benutzung von 19.L8 ersetzt werden durch die Differenzialgleich1lng für den schwach gekrümmten Kreisbogenlräger:
..
Mb R2 EI
v+v= - - -
(19.27)
1n diesem Fall kann das fUr gerade Träger benutzte Flächenträgheitsmoment verwendet werden, wodurch eventuell aufwendige K-Wert-Berechnungen bei komplizierten Querschnitten entfallen. 3Der Leser. der sich in diesem Zweig der Mathematik schon gut auskennt, wird registrieren. dass für die trigonometrischen Funklionen der um den Faktor rp .,erweilcnc Partikuläransalz" verwendet werden muss. weil die Funktionen CQS und sin die homogene Differenzialgleichung crfüHen. Für alle anderen Leser wird die 111lcmet·Ergänzung zum Thema ,.GewÖhnliche Differenzialgleichungen" hilfreich sein. auf die auf Seite 314 verwiesen wird.
19 Spezielle Biegeprobleme
336
I
...
..
Beispiel: I_....;_ _ Der skiZZIerte KreIsbogenträger (RadIus R) wIrd durch zwei Festlager (einfach statisch unbestimmt) gestlitzt. Er hat einen konstanten Kreisquerschnitt mit dem Radius r = 0,05 R. Gegeben:
2F
"" -~~B A
o
R=40cm; F=IOkN; c=2,1·10 5 Nlmm 2
R;,
a) Es sind die Verformungen des gesamten Trägers, speziell die Absenkung des Lastangriffs~ punktes, und die Schnittgrößen FN und Mb am Lastangriffspunkt zu berechnen. b) Welche Abweichungen von den unter a ermittelten Ergebnissen ergeben sich, wenn der Trä~
ger als "schwach gekrümmt" betrachtet wird? Wegen der Symmetrie braucht nur eine Hälfte des Trägers (Abbildung 19.19) berechnet zu wer~ den. Diese Trägerhälfte wird am Kraftangriffspunkt so gclagert, dass die Symmetriebedingungen (horizontale Tangente, keine Verschiebung in horizontaler Richtung) erfiillt sind. In die Schnütgrößen geht zwangsläufig (wegen der sta~ tisch unbestimmten Lagerung) eine der vier Lagerreaktionen ein. Wenn entschieden wird, die Lagerkraft Fe in den Schnittgrößenverläufen zu behalten, sollte das Moment Me durch Fe ausgedrückt werden. Momenten~ Gleichgewicht um den Punkt A liefert : Me=FeR - FR
~~
fl,R , / A
Abbildung 19.19: Symmelrieschnin
Mit der wie skizziert gewählten Koordinate ({I erhält man aus deo Gleichgewichtsbedingungeo am geschnittenen Träger (Kratt-Gleichgewicht in Richtung der Nomlalkraft und MomentenGleichgewicht um die Schnittstelle, Abbildung 19.20): FN = -Fsin ({I- Fccos({l
Mb = -FR( 1- sin({l) + FeRcos({l
Damit können die Differenzialgleichungen 19.22 aufgeschrieben werden:
V+ v = :c:
(1 -
sin ({I-
:c: cos
({I)
tH v = - ; ;
+-
Zunächst muss für die erste Differenzialgleichung eine Partikulärlösung gefunden werden:
Abbildung 19.20: Schniltgrößen
Ein Vergleich der rechten Seite mit Formel 19.25 zeigt, dass sie genau dieser "typischen Form" entspricht. Also wird 19.26 an das aktuelle Problem angepasst, und man hat die Partikulärlösung FR vpart= KcA
(1
Fe.) 1+2:({Icos({l-2F({Isl11({1
die gemeinsam mit der Lösung der homogenen Differenzialgleichung 19.24 die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung flir die Radialverschiebung bildet: . ({I + FR v = C, cos({l +C2 S1l1 -
KcA
(I 1+ 2
e.) ({Icos({l- -F({IS1l1({1
2F
Diese wird in die zweite Differenzialgleichung eingesetzt, und eine einfache Integration, die noch eine Integrationskonstante erzeugt, liefert die allgemeine Lösung ftjr die Tangentialverschiebung:
19.3 Der gekrümmte Träger
337
FR u = - EA q> - CI sin q> + Cz cos q> - :E: [q>+
~ (q> -
; ) sin q> +
~ (I +
q>) cosq>] + C3
;
Die beiden allgemeinen Lösungen enthalten insgesamt drei Integratiooskonstanten und die unbekannte Lagerkraft Fe , für deren Bestimmung vier Randbedingungen zur Verfugung stehen:
u(q>=O)=O
,
u(q>=~)=O
,
v(q>=O)=O
,
v(q>=~)=O
Einsetzen der vier Bedingungen io die allgemeinen Lösungen für v und CI=
FR KEA
(I-~n+~-K~) n
4
Cz=-~
liefert:
C3= FR
2 KEA
2
11
KEA
_ 2 Pe= -F
n
a) Dam.it können die Verschlebungsfunktionen aufgeschrieben werden: V=
:E: [I+(I-~n+~-K~+~q»cosq>-G+~q»sinq>]
u = - FR KEA
[(I
+ K)q>-
I
+ (1-
~4 n- K~2 + 2~q»
sinq>+
(1+ ~q» n
cosq>]
Hierin ist A = n? die Querschnittsfläche des Trägers, und aus der Tabelle auf Seite 329 kann K = 0,00062594 für fi = 0,05 entnommen werden. Für die Absenkung des Kraftangriffspunktes errechnet man mit den gegebenen Zahlenwerten: VF
= v(q> =0) =
FR (2 - ~ n+ ~ KEA 4 n
K~) 2
= -0 9419mm '
Die Schnittgrößen an der Kraftangriffsstelle müssen mit den dort wirkenden Lagerreaktionen des "Symmetriesehnitt-Lagers" im Gleichgewicht sein:
2 FN(q> = 0) = -Fe = --F = -6.366kN
n
Mb(q>=O) =
Me= FeR-FR=
(~- J) FR= -1,454kNm
b) Die Rechnung nach der Differenzialgleichung fur den schwach gekrümmten Träger 19.27 unterscheidet sich nur in dem Faktor für das Biegemoment in der Differenzialgleichung für die Radialverschiebung. Dieser (bei diesem Beispiel konstante) Faktor bleibt während der gesamten Rechnung erhalten, so dass nur in den berechneten Funktionen K durch ~ mit
I =
n;
4
ersetzt werden muss:
4
I K
-z
AR
;rrr
=
r2
---t-I = - , =0,000625 nr R 4R-
Der Unterschied ist minimal: Die unter Voraussetzung schwacher Krümmung berechnete Verschiebung unter der Kraft vergrößert sich bei diesem Träger nur auf VF = -0,9426mm (Abweichung< 0, I %). Wenn also der K-Wert nil' den Querschnitt nicht ohnehin zur Verfügung steht, ist fUr schwach gekrümmte Träger eine aufwendige K-Berechnung nicht gerechtfertigt, zumal sich Clir die Schnittgrößen überhaupt keine Unterschiede ergeben.
338
19 Spezielle Biegeprobleme
19.3.4 Numerische Berechnung der Verformungen Das relativ einfache Beispiel des vorigen Abschnitts zeigte, dass die (bei statisch unbestimmten Problemen unumgängliche) Verformungsberechnung für gekrümmte Träger recht aufwendig werden kann. Da die Verformungen durch ein lineares Randwertproblem beschrieben werden, ist es naheliegend, dies mit dem im Abschnitt 18.1 behandelten Differenzenverfahren zu lösen. Mit den zentralen Differenzenformeln 18.1, mit denen in den Differenzialgleichungen 19.22 die Ableitungen näherungsweise ersetzt werden, emstehen die Differenzengleichungen für die Verformungsberechnung des Kreisbogenträgers: Vi
2 Mbi = -h - /(iEAi FNiR+Mbi -Ui_1 +Ui_1 +2/iv, = 2h-'-,,::-,---"":-' EA i
J
+ ( h 2 -2 ) V;+Vi+1
(19.28)
c:> Da mit den Dillerenzenquotiemen Ableitungen nach der Winkelkoordinate
/-/
k
,
~
S /'
;-
-a -
Für die exakte Lösung müsste unter Ausnutzung der Symmetrie die allgemeine Lösung 19.6 der Differenzialgleichung für zwei Bereiche (mit 8 Integrationskonstanten) aufgeschrieben werden. Die erforderlichen Rand- und Übergangsbedingungen für die Berechnung der Integrationskonstanten sind zu formulieren.
b) Mit Hilfe des Differenzenverfahrens sind die Verformung und der BiegemomentenverJauf zu
ermitteln. c) Die unter b ermittelten Ergebnisse sind durch eine FEM-Reehnung mit einem geeigneten
Programm zu bestätigen (siehe z. B. www.TM-interaktiv.de).
342
19 Spezielle Biegeprobleme
I Aufgabe 19.4:
I
Die Ennittlung der größten Beanspruchung in einem Kranhaken (Beispiel 3 im Abschnitt 19.3.2 auf Seite 331) zeigte, dass ein Rechteckquerschnitt günstiger als ein Kreisquerschnitt (bei gleicher Querschnittsfläche) ist. Es ist zu untersuchen, ob auch die Verwendung eines elliptischen Querschnitts anstelle eines Kreisquersehnittes zu einer geringeren Maximalspannung fuhrt, wenn die Querschnittsflächen gleich sind (gleicher Materialeinsatz) und der Krümmungsradius R beibehalten wird. Gegeben:
-0 N
I
,
R, r=0.5R.
a) Man ermittle die I\-Werte für einen elliptischen Querschnitt nach der Formel 19.17 mit Hilfe
eines geeigneten Computerprogramms (vgl. www.TM-aktuell.de) für unterschiedliche Werte a
R'
b) Man berechne das Verhältnis der betragsmäßig größten Biegespannung bei elliptischen Quer-
schnitten zu der betragsmäßig größten Biegespannung bei einem Kreisquerschnitt mit dem gleichen Flächeninhalt für verschiedene Formen der Ellipse = 2; 1,5; 0,5).
(*
IAufgabe 19.5: I Eine Kette besteht wie skizziert aus kreisringförmigen Gliedern. Wegen der doppelten Symmetrie braucht für die Verformungs- und Spannungsberechnung nur ein Viertel eines Gliedes betrachtet zu werden. Die Skizze oben rechts zeigt ein Viertel eines Kettengliedes mit der halben Belastung und den beiden Lagern, die die in Symmetrieschnitten möglichen Verschiebungen zulassen. In die Skizze unten rechts sind die in den Symmetrieschnitten wirkenden Kräfte und Momente eingezeichnet. Da die Kraft-Gleiehgewichtsbedingungen bereits erfüllt sind, bleibt bei zwei unbekannten Momenten nur eine Gleichgcwichtsbedingung: Das Problem ist einfach statisch unbestimmt. Gegeben:
F; R;
r
R = 0,25;
E.
Man berechne mit dem Differenzenverfahren a) die Verformungen eines Kettengliedes infolge der Kraft F, b) den Biegemomentenverlauf und Ort und Größe des absolut größten Biegemoments.
Weitere Aufgaben findet man imlnternet unter www.TM-aktueU.de.
20 Querkraftschub Die Querkraft FQ ist senkrecht zur Trägerlätlgsachse gerichtet. Die in der Querschnittsftäche liegende Kraft ist die Resultierende der Schubspannungen, die in dieser Fläche wirken.
20.1 Ermittlung der Schubspannungen Für die Berechnung der Spannungen, die der Querkraft äquivalent sind, werden folgende Annahmen getroffen:
Die Querkraft wirkt in Richtung einer Hauptzentralachse des Querschnitts. Es werden nur die Schubspannungskomponenten betrachtet, die einer Querkraft äquivalent sind (gegebenenfalls muss eine zweite Rechnung mit der anderen Querkraft des Querschnitts ausgeführt werden).
Die Schubspannungen, die durch die Querkraft hervorgerufen werden, sind wie die Biegespannungen ab über die Querschniusbreite konstant. Da diese Bedingung im Allgemeinen nicht exakt erflillt ist, werden im Folgenden stets die Mittelwerte der Schubspannung über die Querschnittsbreite berechnet.
dz
-I
-y
-
~_
(J
b
-
Q:~o~~) _____ (Jb
(Jb
Abbildung 20.1: Nomlal- und Schubspannungen.m differenziell kleinen Element
An einem differenziell kleinen Element der Länge dz, das aus dem Träger herausgeschnitten wird (Abbildung 20.1), wirken die Schnittgrößen Mb und FQ . Die durch M" hervorgerufenen Biegespannungen sind über die Höhe (in y-Richtung) linear veränderlich, die Art der Veränderlichkeit der Schubspannungen t:y ist zunächst nicht bekannt (Hinweis zu den Indizes von t: Der erste
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_20, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
344
20 Querkraftschub
Index kennzeichnet die Schnittfiäche durch die Koordinate, die senkrecht zur Fläche gerichtet ist, der zweite Index bestimmt die Richtung der Schubspannung). In der Abbildung 20.1 sieht man, dass aus dem differenziell kleinen Element der Länge dz in vertikaler Richtung noch einmal ein Element mit der Höhe dy herausgeschnitten wird (Abbildung 20.2). Die Spannungen an den Schnittfiächen bdy können zu Kräften zusammengefasst werden (b ist dje Breite des Trägers). Es ist erkennbar, dass an dem Element dz . dy das Momentengleichgewicht (z. B. um den Mittelpunkt) nur erfüllt sein kann, wenn auch in den horizontalen Schnittfiächen Schubspannungen wirken, die nach der getroffenen Vereinbarung mit 'ryo bezeichnet werden. Die Momentwirkungen der Normalspannungen heben sich (bis auf Anteile, dje von höherer Ordnung klein sind) auf, und man erhält fLir das Momentengleichgewicht um den Mittelpunkt des Elements:
Abbildung 20.2: Element dz· dy Alle Abmessungen fallen aus dieser Beziehung heraus, und man erhält als allgemeingültige Aus-
sage das Gesetz der zugeordneten Schubspannungen: (20.1) Die Schubspannungen in zwei senkrecht aufeinander stehenden Schnittllächen sind gleich groß (und entweder beide zur gemeinsamen Kante dieser Schnittflächen gerichtet oder beide von der Kante weggerichtet). Dass Schubspannungen auch in den Längsschnitten eines Biegeträgers auftreten, lässt sich recht gut veranschaulichen (Abbildung 20.3): Werden zwei übereinander liegende Träger auf Biegung belastet, so verschieben sie sich gegeneinander. Wenn sie verbunden werden (Schweißen, Kleben, Nieten, ....), so wird diese Verschiebung durch die in der Verbindung hervorgerufene Schubspannungen verhindert.
Abbildung 20.3: Im kompakten Träger (rechts) verhindern Schubspannungen das Abscheren der Sch.ichten Es soll nun die Schubspannung an einer beliebigen Stelle y des Querschnitts bei z berechnet werden (die Indjzes fllr die Schubspannung werden jetzt weggelassen, weil ohneh.in fUf die beiden betrachteten Schnitte die gleichen Werte gelten). Dazu wird eine differenziell kleine Scheibe des Trägers (Dicke dz) noch einmal in der Höhe y zerschnitten, so dass sie in zwei Teile zerfallt (Abbildung 20.4).
20.1 Enniltlung der Schubspnnnungen
345
.... dz
"
-' Tb dz
Resultierende der Biegespannung
über A infolge bzw.
Tbdz
dz
Abbildung 20.4: Berechnen der Scbubspannungen in Abbängigkeit von y Am unteren Teil wirken in horizontaler Richtung (z-Richtung) die Biegespannungen der anteiligen Fläche Ä und die Schubspannungen der Fläche bdz. Die Biegespannungen werden am linken Schnillufer durch das Moment Mb, am rechten Schnittufer durch (Mb +dMb) hervorgerufen. Die Spannungen infolge Mb heben sich gegenseitig auf, so dass das Gleichgewicht in z-Richtung durch die Resultierende der Schubspannungen T bdz und die Resultierende aus den Nonnalspannungen infolge dMb hergestellt werden muss. Die Spannung infolge dMb an einer beliebigen Stelle y innerhalb Ä en·echnet sich nach der Biegespannungsformel 16.3, wobei Mb durch dMb ersetzt werden muss. Der Querstrich bei y wird verwendet, weil y bereits vergeben ist für die Kennzeichnung des horizontalen Schnitts (y und y zählen beide vom Schwerpunkt der Gesamt-Querschninsfläche positiv nach unten). Die Intey über die Fläche Ä liefen die resultierende Kraft, die der gration dieser Biegespannungen Schubspannung im horizontalen Schnitt das Gleichgewicht hält:
Tbdz=
J
dMb - = dMb ydA -
A
Ixx
Ixx
Das Integral
5., =
J ydA
A
J
ydÄ
A ist das aus dem Abschni1l4.2 als Formel 4.8 bekannte statische Moment der Fläche Ä, das sich hier auf die durch den Schwerpunkt der Gesamt-Querschnittsfläche verlaufende x-Achse (senkrecht zur y-Achse) bezieht. Damit wird aus der Gleichgewichtsbedingung in z-Richtung (nach Division durch bdz):
dM" S,. dz bl.",
T=----
und mit
'!IJf =
FQ (vgl. Abschnitt 7.2) ergibt sich die Formel für die Berechnung der
346
20 Querkraftschub
FQ5x T=--
Schubspannung infolge Querkraftbelastung:
(20.2)
bIll
• FQ(z) ist die Querkraft in der SchnittRäche bei z und ( Wenn die Lage des Schwerpunkts einer der beiden Teil-
querschnittsftächen bekannt ist. kann S,(y) vereinfacht nach berechnet werden (al und a2 sind die Abstände der Schwerpunkte der Teilnächen AI bzw. A2 vom Schwerpunkt der GesamtRäche, Abbildung 20.S). oe:> Die Querschnittskennwerte (5x , b, I"x) sind positiv in
die Schubspannungsformel 20.2 einzusetzen, die Riche tung der Schubspannungen wird ausschließlich durch Abbildung 20.5: Vereinfachte Bedas Vorzeichen der Querkraft FQ bestimmt. rechnung des statischen Moments Sx oe:> Die für einen y-Wert des Querschnitts errechnete Schubspannung gilt jeweils auch für einen Längsschnitt des Trägers (Gleichheit der zugeordneten Schubspannungen). Beispiel J:
I
I_ _ _ _...I Der skiZZierte Kragtrager mtt Rechteckquerschnitt wird durch die Kraft F belastet. Dann wirkt in allen Querschnittcn die Qucrkrafl
I
'1 F ~~: ~-----I
FQ=F
('.hn)n'~ I~
Die Breite b des Querschnitts ist konstant, und fLir x I das Flächenträgheitsmoment des gesamten Recht~ eckquerschnitts gilt nach der Tabelle im Abschnitt ~ I 16.2.2: bh 3 b Ill = 12 Das statische Moment des schraffierten Teilrechtecks bezüglich der x-Achse errechnet sich aus dem Produkt "Teilftäche . Schwerpunktkoordinate der Teilftäche":
(h )
y+g 5 (y)=b --y = "
2
2
(h- - y2) -b 2
4
2
20.1 Enniulung der Schubspnnnungen
347
Damit erhällman die Schubspannungsverteilung über die Höhe des Rechteckquerschnitts:
r(y)
=
~
2
[I -4 (~)2] !.h
bh
Der quadratische Verlauf (nebenstehende Skizze) hat die Randwerte
r(y=±D =0 und den Maximalwert in der Schwerpunktfaser: r",ax =
r(y = 0)
3 F
= - 2 bh
Diese Schubspannung wirkt nach dem Gesetz der zugeordneten Sehubspannungen aueh in einem Horizontalschnitt des Trägers (Abbildung 20.6). Sie muss besonders dann beachtet werden, wenn dieser Längsschnitt z. B. eine Kleb-, Schweiß- oder Nietver- Abbildung 20.6: Schubspnnnungen in Biegeträgern sind eigentlich bindung ist. nur dadurch gefährlich, weil sie auch in Längsschnitten wirken Falls ein Balken aus mehreren Teilen zusammengesetzt wird, sollte die Fuge nicht in Höhe des Gesamtschwerpunktes der zusammengesetzten Fläche gelegt werden.
I Beispiel 2:
I
8a I
y
IF RA
B2..
cl M
" cl
1/4
""
31/4
1
Gegeben:
F
I
a
I, a.
Ein T-Träger wurde aus zwei Reehleckprofilen so zusammengeschweißt, dass die Naht eine Verbindung über die gesamte Stegbreite a herstellt. Für die in der Skizze angegebene Lagerung und Belastung ist die größte Schubspannung in der Schweißnaht zu ermitteln. Mit den Lagerreaktionen FA =
3
4 Fund
Fß =
4F
ergibt sieh der nebenstehend skizzierte Querkraftverlauf mit der maximalen Querkraft
3
F.Q/lULl'=-F , 4
+
3F/4
- F/4 Abbildung 20.7: Querkraftverlauf
348
20 Querkraftschub
Nach dem im Abschnitt 16.2.6 beschriebenen Algorithmus werden Schwerpunkt (bezogen auf das nebenstehend skizzierte x-yKoordinatensystem) und Flächenträgheitsmoment der Gesamtfläche (bezogen auf das x-y-Koordinatensystem) berechnet:
Y5=2,40
lu= 133,20
Genauere Untersuchungen zeigen, dass bei breiten Trägern die Schubspannungen sich nicht gleiChmäßig über die Breite verteilen. Sie sind am Rand etwas größer als in der Mitte, nach der Formel 20.2 wird ein über die Breite genommener Mittelwert errechnet. Dies hat im Allgemeinen wenig praktische Bedeutung. da bei breiten Trägern die Schubspannungen natürlich entsprechend klein (und damit meist unbedeutend) sind (vgl. das gerade behandelte Beispiel, bei dem die Schubspannungen nur in dem schmalen Steg bedeutsam sind) .
•-:> Eine besondere Betrachtung erfordern die so genannten dünnwandigen offenen Profi le, bei denen (im Gegensatz zum gerade behandelten Beispiel) die "breiten" Querschnittsabschnitte eine sehr kleine Höhe haben (z. B. T -,1- und U-Prolile). Diese werden deshalb im nächsten Abschnitt gesondert behandelt.
349
20.2 Dünnwandige offene Profile, Schubmiuelpunkl
20.2 Dünnwandige offene Profile, Schubmittelpunkt An dem in Abbildung 20.9 skizzierten I-Profil wird gezeigt, dass in den Flanschen auch in vertikalen Längsschnitten aus Gleichgewichtsgründen Schubspannungen wirken miissen. Dazu wird ein differenziell kleines Element (Länge dz) betrachtet, an dessen Schnillufern die Biegespannungen cr bzw. (cr +dcr) wirken (in der Skizze sind die Spannungspfeile nur für die Flansche eingezeichnet, wobei willkürlich angenommen wurde, dass oben eine Druekspannllng und unten eine Zugspannung wirkt).
Abbildung 20.9: Auch im vertikalen Schniu durch einen Flansch wirken Schubspannungen Wenn Streifen der Flansche von dem Element abgeschnitten werden (Abbildung 20.9, rechts), dann wird deutlich, dass in den (vertikalen) Schnitten Schllbspannungen wirken müssen, die mit den dcr-Anteilen der Biegespannllng das Kraft-Gleichgewicht in Träger-Längsricbtung herstellen. Wie bei der Herleitllng der Formel 20.2 im vorigen Abschnitt werden diese Biegespannungsanteile dcr = d~;, Y über die Fläche s'/ integriert und mit der resultierenden Kraft der Schubspannungen in der F1äcbe dz·/ gleichgesetzt. Wenn konstante Schubspannung über die Flanschdicke / vorausgesetzt wird (bei dünnwandigen Profilen natürlich erlaubt), ergibt sich mit FQSx
'l:= -
(20.3)
I/xx
eine Formel, die wie 20.2 aufgebaut ist und mit t die Flanschdicke (anstelle der Querschnittsbreite b) und mit Sx wie die Formel 20.2 das statische Moment der abgeschnittenen Fläche bezüglich der Biegeachse x enthält (Abbildung 20.10).
s I
x
x
I
Abbildung 20.10: Statisches Momcnt flir einen Schnitt eines dünnwandigen Profils
Natürlich wirken Schubspannungen der gleichen Größe (Gesetz der zugeordneten Schubspannungen) auch in den QuerschniusAäehen. Da die Schubspannllngen an den Rändern des Flansches gleich Null sind, werden sie mit wachsender Koordinate s (und damit größer werdendem statischen Moment der TeilAäche) nach innen größer. Ihre Richtung weist an einem Flansch (abhängig davon, ob die Biegespannung im Flansch Zug oder Druck ist) entweder zum Steg hin
20 Querkraftschub
350
oder vom Steg weg, im Steg stimmt die Schubspannungsrichrung mit der Richrung der Querkraft an dem entsprechenden Schnittufer überein. Die Abbildung 20.11 veranschaulicht, wie die Schubspannuogen über die Querschnittsnäehe "fließen". wobei die über bzw. unter den Flanschen und rechts vom Steg angedeuteten Funktionen die Intensität verdeutlichen. Da in die Formeln 20.2 bzw. 20.3 jeweils das statische MomeOl der gesamten Teilfläche eingeht, die durch einen Längsschnitt bei y bzw. s abgetrennt wird, ist klar, dass die Summe der am Steg "zusammenfließenden" Aoteile dem Wert am Anschlusspunkt im Steg eotspriebt. Wegen der vorausgesetzten Dünnwandigkeit sind die an dieser Steile nicht mit der Herleitung übereinstimmenden Voraussetzungen (im Flanschteil über bzw. unter dem Steg schneidet ein vertikaler Schnitt keine Scheibe des Flansches ab) vemaehlässigbar.
I· -
-I
d 11 1
" " I
Ie..
-
---:1
Abbildung 20.11: Schubspannungsfluss
'e:> Für dünnwandige Querschnitte (im betrachteten Beispiel: , ist klein im Vergleich mit Steghöhe und Flanscbbreite) werden nur die Scbubspannungen Ül die Rechnung einbezogen, die parallel zur Profil-Mittellinie gerichtet sind. Für das I·Profil bedeutet dies z. B., dass in den Flanschen keine vertikalen Schubspannungen. wie sie sich nach 20.2 durchaus ergeben würden, berücksichtigt werden. oe:> Da nur die durch die Querkraft hervorgerufenen Schubspannungen betrachtet wurden, müs-
sen sie der eingeleiteten Querkraft äquivalent sein. Für das behandelte Beispiel bedeutet das, dass die Resultierende aus der Schubspannung im Steg die Querkraft ist. Die Schubspannungen in den Flanschen bilden beim I-Profil ein Gleichgewichtssystem, was leider nicht bei allen Profilformen der Fall ist (vgl. nachfolgendes Beispiel). oe:> Für dünnwandige Profile darf auch das Flächemrägheitsmomel1t vereinfacht berechnet wer-
den. Für das I-Profil werden der Anteil des Stegs und für die Flansche nur die "SteinerAnteile" berücksichtigt, weil der ,3-Faktor die Anteile bezüglich der Flansch-Schwerpunktachsen verschwiodend klein macht. Der Praktiker geht häufig noch einen Schritt weiter und bezieht auch den (speziell bei breiten Flanschen deutlich kleineren) Anteil des Stegs nicht mit ein (und liegt damit auf der sicheren Seite): "Bei I·Profilen nehmen die Flansche die Biegung und der Steg die Querkraft auf." Eine nennenswerte Erleichterung bei der Rechnung bringt diese weitere Vereinfachung jedoch nicht und wird deshalb im Folgenden nicht verwendet. b
I
Beispiel: I_ _ _ _ Fiir das sk,zzlene dünnwandige Profil Ist der Verlauf der Schubspannungen infolge einer venikal nach uoten gerichteten Querkraft zu ermitteln. Gegeben:
h. b, ( Bei einigen Profilen ist das Lasteinleitungsproblcm wesentlich einfachcr lösbar, weil der Schubmittelpunkt innerhalb der QuersehnitLsnäche liegt. Aus dem oben demonstrierten Algorithmus zur Ermittlung des Schubmittelpunkts (MomentenÄquivalenz) folgt, dass für die beiden in der Abbildung 20,16 skizzierten Profile die Schubmittelpunkte nur im Schnittpunkt der Profil-Mittellinien liegen können.
'--_--,e
T
Abbildung 20.16: Für T- und L-Profile liegen die Schubminelpunkte im Schnittpunkt der Profil-Miuelliuien
e:> An dieser Stelle fördert es sicher das Verständnis, eine in der Technischen Mechanik übliche (und auch in diesem Buch immer wieder verwendete) Formulierung zu diskutieren: "Die Schnittgräßen rufen im Querschnitt Spannungen hervor", ist eigentlich nicht korrekt. Die Spannungen sind unmittelbare Folge der Verzerrungen, die durch die äußere Belastung verursacht werden. Die SchniLLgrößen sind als Resultierende dieser Spannungen fiktive Größen, die allerdings außerordentlich nützlich auf dem Weg zur Spannungsberechnung sind. Weil der Weg zu den Spannungen in einem Träger fast immer über die Schnittgrößen führt, soll die oben zitierte Formulierung auch weiter gestattet sein.
e:> Als Konsequenz gilt für die Schubspannungsberechnung: Die Querkräfte werden in der Schnilljläche immer so angetragen, dass ihre Wirkungslinien durch den Schubmittelpllnkt gehen (über das Antragen des Torsionsmoments braucht keine Vereinbarung getroffen zu werden, weil Momente auch senkrecht zur Drehachse verschoben werden dürfen). Wenn die G1ciehgewichtsbedingungen auch ein Torsionsmoment liefern, ist neben der Berechnung der Querkraftschubspannungen noch eine SchubspaJltlUngsbcrechnung infolge Torsion (Kapitel 21) erforderlich. Zur Berechnung des Torsionsmoments wird eine MomentenGleichgewichtsbedingung bezüglich einer Achse durch den SehubmiLtelpunkt des Querschnitts empfohlen, in die die Querkräfte nicht eingehen.
354
20 Querkraftschub
20.3 Schubspannungen in Verbindungsmitteln Werden Längsfugen in Trägem durch Verbindungsmittel (Nägel, Niete, Diibel, Bolzen, Schrauben, Schweißnähte ...) iiberbriickt, die ein Verschieben der Trägerteile gegeneinander verhindern, so miissen diese die in der Fuge wirkenden Scbubspannungen aufnehmen. Diese stellen in den meisten Fällen die wesentliche Belastung des Verbindungsmittels dar. Wenn es sich um eine flächenhafte Verbindung handelt (Klebeftäche, Reibschweißftäche, ...), können die zu iibertragenen Schubspannungen wie in einem kompakten Träger berechnet werden. Sind die Trägerteile nur an diskreten Stellen verbunden, so muss die mü einem Vergleichsträger w bcrechncnde Schubspannung auf die (in der Regel kleinere) Scherftäche dcs Verbindungselementes umgerechnet werden. Dieses Vorgehen soll an zwei Beispielen erläutert werden.
I
Beispiel 1: I_"";_ _...1 Der aus zwe, Rechteckquerschnitten zusammengefügte Träger überträgt am Übergang beider Querschnitte eine Schubspannung, die sich für den kompakten Träger für jede Stelle der Fuge nach 20.2 berechnen lässt: 'TFuge
=
'" I'" I'
A
FQSx.Fuge
bI
+
xx
Es wird nun angenommen, dass die beiden Trägerteile nur an sieben äquidistanten Stellen verbunden sind. Dann werdcn die Schubspannungen einer Scherftäche, die man dem "Einzugsbereich" eines Verbindungsmütels zuordnen kann, zu einer Scherkraft zusammenge-
Abbildung 20.17: Velteitung der Sehubspannung auf 7 Scher~ächcn
fasst, wie es die Abbildung 20.17 andeutet. Für den linken Bereich mit konstanter Querkraft (und damit wegen der konstanten geometrischen Paramcter auch mit konstanter Schubspannung) ergibt sich diese Scherkraft aus dcr Multiplikation dcr Schubspannung mit der Scherftächc, im rechten Bereich mit veränderlicher Querkraft (bzw. Schubspannung) muss über die Fläche integriert werden, für die skizzierten Flächen 2 bzw. 6 also z. B.:
Die Schubkräfte ergeben sich vorzeichenbehaftel (die Abbildung 20.17 zeigt die tatsächlichen Richtungen), fiir die Berechnung der Spannungcn ist nur ihr Betrag interessant.
20.3 Schubspannungen in Verbindungsmiueln
355
Bei einem Bolzen pro Feld (Abbildung 20.18 oben) ergibt sich die zu iibertragende Spannung aus dem Quotienten von Scherkraft und Querschnittsftäche des Bolzens: 'fBoh.efl. i
Bolzen
/
IFsil
=
d2
11 4
Wenn die beiden Trägerteile in jedem Feld durch zwei Schweißnähte der Länge lu und der Nahtbreite Go verbunden sind (Abbildung 20.18 unten), iibertragen diese die Schub-
Schweißnähte
, (Länge lo, Breiteao)
spannung '!NlIhl.i =
I
IFsd 210 0 0
Wenn die Schweißnähte auf beiden Seiten iiber die gesamte Trägerlänge (ohne Unterbrechung) ausgefiihrt wären, könnte der Umweg über die Scherkräfte unterbleiben, weil die nach 20.2 berechnete Schubspannung einfach mit dem Verhältnis der fiktiven zur tatsächlichen Scherbreite ,/L multipliziert ~lIo werden könnte.
[Beispiel 2:
2
20.18:
l/3
'Fuge. I = 3
bl"
Verbindung
durch Bolzen bzw. Schweißnähte
~s
.
2l/3
X
~-
Fuge
2 F Sx.Fug,.
3F I
FQ2 =
Abbildung
.
~F
I
In dem außernutlJg belasteten Träger sind die Querkräfte und damit die Schubspannungen in der Fuge links bzw. rechts von der Kraftangriffsstelle jeweils konstant: FQ1 =
(Durchmcsserd )
Ft3 2Ft3
1 F Sx,Fuge
3F
'Fu"e.2 = 3
bl
.cr
Die Schubkräfte in der Fuge dürfen durch Multiplikation der Schubspannungen mit den Scherllächen aufgeschrieben werden:
~uge.2
I 2 Sx.Fugel Fs I = 'Fuge, I - lb = - F -,-'-'-'''-
3
9
I xx
2
2
Sx.Fugel I xx
FS2 = 'Fuge,2 3 lb = SI F
Abbildung 20.19: Velteilte SchubbelaslUng in der Fuge (z.B in einer Klebefläche)
Die Gleichheit der beiden Schubkräfte überrascht nicht, weil sie aus Gleichgewichtsgründen (Abbildung 20.19 unten) unumgänglich ist. Sie bedeutet. dass bei Verbindung durch diskrete Verbindungsmittel in beiden Absehn.itten jeweils die gleiche Anzahl zu verwenden ist, um alle mit der gleichen Schubspannung zu belasten.
20 Querkraftschub
356
20.4 Verformungen durch Querkräfte Im Folgenden werden zunächst die ausschließlich durch Querkriifte erzeuglen Velformungen betrachtet, obwohl natürlich die Querlcraftbelastung eines Trägers immer mit einer Biegemomentbelastung gckoppclt ist. Da wic bei der im Kapitcl 17 behandelten Verformung durch Biegemomente bei vorauszusetzender Kleinheit der Verschiebungen lineare Differenzialbeziehungen entstehen. dürfen die gesondert berechneten Biegemoment- und Querkraftverformungen zur Gesamtverformung addiert werden. Nach dem Hookeschen Gesetz 12.6 wird durch eine Schubspannung r eine Verzerrung hervorgerufen, die durch den Gleitwinkel y = beschrieben wird. Da die Schubspannung über die Trägerhöhe entsprechend 20.2 veränderlich ist, wird auch dieser Gleitwinkel veränderlich, und die ursprünglich geraden Seiten eines aus dem Träger herausgeschnittenen Elements müSsen sich verwölben, wie es die Abbildung 20.20 zeigt (in der Skizze sind die unterschiedlichen Gleitwinkel in Höhe des Schwerpunkts bzw. am oberen Rand angedeutet).
b
dz Abbildung 20.20: Verzerrung eines Elements infolge der mit y veränderlichen Schubspannung (keine Verzen"ung an den Rändern. maximale Verzerrung in der Schwerpunktfaser)
Dicsc Verwölbung kann im Rahmen der Theorie des geraden Trägers nicht berücksichtigt werden (genauere Verfomlungsberechnungen können für praxisnahe Probleme im Allgemeinen nur mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode ausgefUllI1 werden). Es wird deshalb nähenlllgsweise eine mittlere konstante Sehubspannung fangenommen (Abbildung 20.21), die dann einen konstanten Gleitwinkel y über die Quersehnittshöhe erzeugt. So bleiben die Querschnitte auch durch die Sehubspannungsverformung eben. Der durch diese NäherungsanJ1ahme erzeugte Fehler wird weitgehend dureh eine Korrektur der Querschnittsftäehe A ausgeglichen:
_ dz
_
dvs~
-ydz
Abbildung 20.21: NUherungSlmnahme ..MillleTe Schubspannung" - Konstanter Gleitwinkel
Die wirksame 5chubjläche As, auf die die mittlere Schubspannung wirkt. errechnet sich mit einem Korrekturparameter "s, der aus der Bedingung gewonnen wird, dass die bei der Verformung erzeugten Formänderungsenergien des realen bzw. gemittelten Schubspannungszustandes gleich sind. Dies wird im Kapitel 24 behandelt und führt auf folgende Formeln: A
As=lCs
A lCs =""2
in
J52
'A
~ dA b-
(20.4)
Das Trägerelement der Länge dz verformt sich zum Parallelogramm (Abbildung 20.21), wobei die Vertikalverschiebung sich vom linken zum rechten Rand des Elements um dvs = ydz ändert (der Index 5 soll andeuten, dass es sich um reinc 5chubvelformllng ausschließlich durch
20.4 Verformungen durch Querkräfte
357
die Querkraft handelt im Gegensatz zur Biegeveiformullg durch das Biegemoment). Die Verformungsberechnung wird nun besonders cinfach, wenn auch noch angenommen wird, dass die vertikalen Schniuflächen des Elements sich bei der Schubverfonnung nicht drehen, was immer dann der Fall scin wird, wenn dic Schniuflächen dcr Nachbarelememe auch ihrc vcrtikale Richtung behalten. Mit diesen Annahmen erhält man unter Verwendung des Hookeschen Gesetzes und mit 20.4 die Differenzialbeziehung für die VelfOnlllmg info/ge Querkraflbe/aslIlllg
dvs
dZ
_
=
t
y= C =
FQ GAs
=
KsFQ GA
(20.5)
die genau dann gilt (siehe nachfolgende Diskussion), wenn das Produkt GA im Nenner der rechten Seite, die Schubsleifigkeil des Trägers, und der Korrckturparamcter K;s konstant sind. Bei der Integration von 20.5 emsteht eine Integrationskonstante, die durch eine Verschiebungsrandbedingung bestimmt wird.
I
Beispiel 1: I'-"";_ _...J Für den skIzzierten Träger Ist dIe Schubverformung infolge der Querkraftbelastung zu ennittein. Die maximale Absenkung ist mit der durch das Biegemoment hervorgerufenen Biegeverformung zu vergleichen.
Gegeben:
,'.
F~10 ,
.
h I
z -b-
E, G, h, b, /.
Die Querschniuswerte und die Querkraft FQ = F sind konstant, so dass auf der rechten Seite von 20.5 eine Konstante steht. Der )(s- Wert ist nur von der Querschnittsform abhängig. Er wird nach 20.4 berechnet, wobei das Sx unter dem Integral wie in der Formel 20.2 das statische Moment der bei y abgetrennten Teil fläche bezüglich der Schwerpunktachse x ist (nebenstehende Skizze): A
K;s =
dA =bdy
h
f S~
f'
bh I [b( "2" b2 b2 dA = (bh,)2 . A 12 y=_g
'i,.
-
y ) 2"[ ( " 2"
Die Integration von 20.5 liefert damit
6F vs(z) = 5 Gbh Z wobei die Integrationskonstante wegen vs(z = 0) = 0 emnc!. Die Abbildung 20.22 zcigt diese Verformung infolge der Querkraft (Schubverformung).
+Y
)]2
:s
b dy = 6
F~
, /~""
Abbildung 20.22: Verfoll11Ung infolge Querkraflbelastung
Alle Trägerclemente erfahren die glciche VcrLcrrung, die Qucrschnitte bleiben in vertika)cr Lage und stehen also nicht (wie bei der Biegeverfon11ung) senkrecht zur Verforrnungslinie. Der Schubverformung Vs kann nun die Biegeverformung VB zur Gesamtverformung v überlagert werden. Für die Absenkung des Trägerendes z. B. erbält man mit der Biegeverformung, die der Tabelle im Abschnitt 17.4 Zlt entnehmen ist:
20 Querkraftschub
358
Vmax
=
VB.ma.
Der Faktor (~) 2 beim zweiten Summanden in der eckigen Klammer. der die Größenordnung des Schubverformungsameils charakterisiert, macht deutlich, dass dieser für schlanke Träger wesentlich kleiner als der Biegeanteil ist. Diese Aussage gilt allgemein.
c:> Dass die Trägerquerschnitte bei reiner Schubverformung ihre vertikale Lage beibehalten und Vs damit nach 20.5 berechnet werden darf, gi It auch für veränderliche Querkraft. Die Abbildung 20.23 zeigt dafür ein Beispiel. Die Ähnlichkeit von Schubverformungslinie und Biegemomentenverlauf ist durchaus nicht zufallig, denn bei konstantem Querschnin ist die Ableitung der Schubverformung der Querkraft proportional, die andererseits nach 7.1 auch die Ableitung des Biegemoments ist. Das Beispiel verdeutlicht allerdings ein neues Problem:
, , I , I , 1, I , , ,
,qo
~l: +
+ Abbildung 20.23: Die Schubverformung ist bei konstantem Trä.gerquerschnitt proportional zum Biegemomentenverlauf
Es gibt drei Rand- und Übergangsbedingungen (keine Absenkungen an den Lagern, gleiche Absenkungen an der Übergangsstelle), aber bei Integration in zwei Bereichen nur zwei Integrationskonstanten. Wenn man jedoch die Integrationskonstanten aus zwei Bedingungen errechnet hat, ist die dritte Bedingung identisch erfüllt. Das gilt natürlich alles nicht mehr bei veränderlichem Querschnitt, doch bevor man dafür nach (durchaus zu findenden) ReparalUr-Möglichkeiten sucht, sollte man beachten: Wenn die Schubverformungen überhaupt zusätzlich zu den im Allgemeinen deutlich größeren Biegeverformungen berücksichtigt werden sollen, dann sollten bei veränderlichen Querschninen die nachfolgenden Formeln verwendet werden (wegen der geringen praktischen Bedeutung wird auf eine Herleitung hier verzichtet). Differenzialgleichungen für die Berechnung der Gesamtverformung v infolge Biegung und Querkraftschub: Eivi =Mb
(20.6)
• v ist die Gesamt-Durchbiegung unter Wirkung von Mb und FQ ,
• lf! ist der Schrägstellungswinkel der eben bleibenden Querschnitte, die jedoch nicht senkrecht zur verbogenen Trägerachse stehen, so dass die Ableitung von v nicht identisch mit lf! ist.
20.4 Verformungen durch Querkräfte
359
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 Für den sk,zzlelten Träger mIt stückweise konstantem Querschnitt kann die Berechnung der Gesamtverfomlung nach 20.6 in folgenden Schritten ablaufen:
KS'
2GA. 2EI
• Für heide Bereiche werden Querkraft- und Biegemomentenverlauf nach den vereinbal1en Regeln formuliert. Damit können die Differenzialgleichungen 20.6 aufgeschrieben werden:
2GA(v',
2 EI"'"
+ '1'1)
F
Ks-2 F
-Ks2
E1'IIz
• Es werden zunächst die beiden .. lI"-Gleichungen" integriert (es entstehen 2 lntegrationskonstantcn). die Ergebnissc werden in die heiden andcrcn Gleichungen cingcsctzt, die nach v' umgestellt und ebenfalls integriert werden. Es entstehen 2 weitere Integrationskonstanten. • Die 4 Integrationskonstanten werden aus folgenden Bedingungen bestimmt:
V,(ZI =0)=0
vz(zz=I)=O
VI(ZI =1)=v2(zz=0)
'1'1 (ZI = I) = 'l'z(zz = 0) (Schrägstellung der Querschnitte an der Übergangsstelle) • N ach etwas mühsanaer Rechnung erhält man:
3 KsF
V,(ZI) = 8GA z,
3
Fl + 24ET
[ZI
41
- (ZI1 )3]
3KSF FP [3+--6 Zz (ZZ)2 (ZZ)3] vzh)=--(t-zz)+-+2-
-
8GA
.
MEI
I
I
I
• Dic ersten Summanden in dcn bciden Formcln sind die Schubverfomlungsameile. Die beiden anderen Summanden (Biegeverformung) würden sich natürlich auch nach der im Kapitel 17 hehandeltcn Theorie der Biegeverformung ergehen. Als Fazit aus den theoretischen Überlegungen und den Ergebnissen der heiden Beispiele bleibt: Q
Die Trägerquerschnitle bleiben auch bei Berücksichtigung der Schubverformung eben, liegcn allerdings nicht mchr senkrccht zur Verformungslinie.
Q Die Schubverformung kann fLir schlanke Träger gegenüher der Biegeverformung im Allgemeinen vernachlässigt werden.
Nur für gedrungene Trägcr (Querschnittshöhe liegt in dcr Größenordnung dcr Trägcrlänge) kann die Schubverformung in die Nähe der Größenordnung der Biegeverformung kommen. Für solche Trägcr liefert 20.6 allerdings nur noch eine Abschätzung der tatsächlichen Werte, weil für gedrungene Träger sowohl die Bernoulli-Hypothese der Biegeverformungstheorie als auch die Annahme der Schubverfolmungstheorie (gemittclte Schubspannungen über die Trägerhöhe) nur noch in grober Näherung erfüllt sind.
20 Querkraftsehub
360
20.5 Aufgaben Aufgabe 20.1:
I
I_...;. ..... Der skizzierte Träger ist aus zwei Balken mit Quadratquerschnitten zusammengeleimt und trägt die konstante Linienlast qo. Man ermittlc Ort und Größe dcr maximalcn Schubspannuog in der Leimfuge. Gegeben:
I
r=r=r=r=J 1
1
a = 4 cm; / = 40cm; qo = 5 kN/m .
Aufgabe 20.2:
I
Ein Trägcr ist wie skizziert aus drei Blechen zusammengeschweißt. Er trägt eine Linienlast (Dreieckslast) und die Kraft F.
Gegeben:
qo
,
2a
qo 1 I
I
, ,
Fj JOOa
F = 20qoa, a, qo.
ö öl
N,
2
ö
3a
Man ermittle
I
a) die absolut größte Querkraft im Träger,
b) 011 und Größe der maximalen Schubspannungen in den Schweißnähten I und 2, wenn als Schweißnahtbreite die Stegbreite a angenommen wird,
c) 011 und Größe der maximalen Sehubspannungen im Träger.
I Aufgabe 20.3:
I
Zwei Träger mit Rechteckquerschnitten liegen übereinander und sind durch 2 Bolzen (Durchmesser d) bzw. 9 Niete verbunden, so dass ein Verschieben der beiden Träger gegeneinander verhindel1 wird. Die zulässige Schubspannung j,11 den Nieten is( 'T;:uf.
Gegeben:
F, h, I. d
1
lI4
1/2
'f:-ul'
a) Man berechne die Schubspannung in den bei-
den Bolzen in Höhe der Trennfuge für die Steilungen/ und 11 der Last F. b) Für die Verbindung der beiden Träger durch neun gleichmäßig verteilte Niete (untere Skizze) berechne man die erforderlichen Nietdurchmesser für die Laststellung 11.
lIlO
Weitere Aufgaben findet man im Internet unter www.TM-aktuell.de.
1110
21 Torsion Das um die Längsachse des Trägers drehende Torsionslllomem Mt ist das resultierende Moment der Schubspannungen, die in der Schnittfläche liegen. Es ist ungleich schwieriger als bei den übrigen Scbnittgrößen. die dem Torsionsmoment äquivalcnte SpanJ1l1ng im Querschnitt zu berechnen. Glücklicherweise gilt das nicht für Stäbe mit Kreis- und Kreisringquerschnitten, die besonders häufig rur die Übertragung von Torsionsmomenten verwendet werden.
21.1 Torsion von Kreis- und Kreisringquerschnitten Die Theorie der Torsion von Kreis- und Kreisringquerschnitten basiert auf folgenden Annahmen:
Die Querschnitte verdrchcn sich wie starrc Scheiben gegeneinander (und bchalten also ihrc ursprüngliche ebene Form).
Das Torsionsmoment Mt ist das resultierende Moment der im Querschnitt rangellrial verlaufendell Schubspannllllgen.
Es gilt das Hookesche Gesetz, = Gy, die Verformungen sind klein.
Als Querschnittskoordinate wird wegen der Rotationssymmetrie nur der Radius r, der einen beliebigen Kreis des Querschnitts kennzcichnet, bcnötigt. Die Verformung wird durch den Verdrehwinkel rp beschrieben, der im gleichen Drehsinn wie das Torsionsmoment MI (am positiven Schnittufer) positiv gezählt wird (Abbildung 21.1).
Abbildung 21.1: Definition von
Die Abbildung 21.2 zeigt eine aus dem Torsionsstab herausgeschnittene unendlich dünne Scheibe (Dicke dz). Auch die äußere Mamelfläche (Zylinder mit dem Radius r) ist eine Schnittfläche. Die Stimflächen (starre Kreisringscheiben) haben sich gegeneinander um den Winkel drp gedreht. Auf der Mamelfläche ist der Gleitwinkel yerkennbar. Weil nur kleine VClformungen zugelassen werden (rany"" y), kann aus dcr Skizze die folgende Beziehung abgelesen werden: ydz=rdrp
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_21, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
z. r. qJ und Mt
Abbildung 21.2: r;, r. r. drp und dz
21 Torsion
362
Daraus ergibt sich mit dem Hookeschen Gesetz der Zusammenhang zwischen dem Verdrehwinkel und der Schubspannung: dep , T=Cr- = Crep
dA
Am differenziell kleinen Flächenelement dA des Querschnitts hat die dort wirkende Schubspannung die Kraftwirkung T dA und damit um den Mittelpunkt die Momentwirkung r-rdA (Abbildung 21.3). Die resultierende Momentwirkung (Integration Uber die Querschnittsftäche A) muss dem Torsionsmoment M, entsprechen: M, =
,,
/0'
dz
TdA / ~
r'
Abbildung
J
I" TI I
21.3:
Mo-
menrwirkung der Schub-
TrdA
spannung 't'
A
Mit dem bereits bekannten Zusammenhang zwischen Schubspannung und Verformung ergibt sich: M, =
J
C r Die maximalen Torsionsschubspannungen trelen am Außenrand (r = ~ bzw. r = ~) auf.
Man definiert deshalb (analog zu den Widerstandslllomenten gegen Biegung) als Quotienten des polaren Flächenträgheitslllomentes und des Außenradius die
\Viderstandsmomente gegen Torsion nd3 16
für Kreisquerschnitt:
W,=--
(21.6)
n (4 4) da -d,
fiir Kreisringquerschnitt:
(21.7)
W, = 16d
a
M,
Maximale Torsionsschubspannung im Querschnitt:
(21.8)
'rmax = -
W,
Aus der Differenzialgleichung für den Verdrehwinkel 21.3 ergibt sich für einen wichtigen Sonderfall folgendc ci nfache Formcl.
Relativer Verdrehwinkel zweier Endquerschnitte eines Bereichs der Länge I mit konstantem Torsionsmoment M, und konstanter Torsionssteifigkeit Glp : !l(fJ
Beispiel]:
M, I = GI"
I
I_ _ _ _...I Ein TorSionsstab hat m emem Abschnitt eincn konstanten Kreisquerschnitt (Durchmesser 0) und im zweiten Abschnitt einen Kreisringquerschnitt (Innendurchmesser d;, Außendurchmesser da)' Er ist bei A starr eingespannt und bei B und C durch dic Momente MB bzw. Me bclastct. Gegeben:
(21.9)
A
:1 ~: +M B
d
'öl
.., 'ö,
,3Mc
B
a
C
2a
Im ; d; =20mm ; G=0,808·105 N/mm z ; Me=0,6kNm; 0=60mm; da =40mm. MB = 1,8kNm ; a =
Es sind die maximale Torsionsschubspannung Tmax und die Verdrehwinkel der Querschnitte B und C (reLativ ZUIll Einspannquerschnitt A) zu berechnen. Das Torsionsmoment ist bcreichsweise konstant. Wenn dcr linke Bereich mit dem Index I und der rechte Bereich mit dem Index 2 gekennzeichnet wird, gill: M,I =MB+Me
M,z =Me
Damit könncn nach 21.6 bis 21.8 die maximalen Schubspannungen berechnet werden: 1. Bereich (A ... B):
2. Bcreich (B .. .Cl:
n03
W,I = - 16
w,z _ n (d~ -df) , -
16da
Tl,max = 56,6N/nun
TZ max
z
= 50,9 N/mm z
Die größte Schubspannung tritt im ersten Bereich auf. Da sowohl Torsionsmomente als auch Torsionssleifigkeiten bereichsweise konstant sind, berechnet man die Verdrehwinkel nach 21.9.
21 Torsion
364
Für den Punkt C setzt sich der Verdrehwinkel aus zwei Anteilen (jeweils der relative Verdrehwinkel der Endquerschnitte eines Abschnitts) zusammen:
(Mo+Mc)a32 qJc=({>o+
({>o = 1,34°
= 0,02335
G7I:D4
Mc 2a32
4_ 4) = ({>o+0,06303 = 0,08638 G7I:( Die Formeln 21.11 bis 21.13 für die allgemeine St.- Venantsche Torsion unterscheiden sich von den entsprechenden Formeln fiir den Spczialfall "Kreis- und Kreisringquerschnitt" nur dadurch, dass das polare Flächenträgheitsmoment I" durch das Torsionsträgheitsmoment I, ersetzt wird. Das Problem reduziert sich damit allf die (leider nicht triviale) Frage, wie die Querschnittskennwerte I, und W, für beliebige Querschnitte zu ermitteln sind.
21.2 SI.- Venanlsche Torsion beliebiger Querschniue
367
oe:> Die Berechnung der Verteilung der Schubspal1llllngen im Querschnitt ist im Allgemeinen
schwierig, mit Hilfe der nachfolgend angegebenen Beziehungen 21.16 aber durchaus möglich. In der Regel wird die Berechnung der maximalen Schubspannung nach 21.12 genügen. Die mathematische Theorie der St.- Venantschen Torsion basiert auf der Berechnung einer so genannten Torsiol1sjunkliol1
(21.17)
W, = c2 hb(CI
und
C2
~
I
CI
0.141 0,208
C2
aus Tabelle)
1,5 0,196 0,231
2 0,229 0,246
4 0,281 0,282
10 0,312 0,312
00
1/3 1/3
c:> Die maximale Schubspannung tritt immer am Außenrand der engsten Querschnittsstelle auf, beim Rechteckquerschnitt also in der Mitte der längeren Seite. L-:> Für sehr schmale Rechtecke
"f
(* --.0) nähern sich die Werte fi"lr c, und C2 immer mehr dem
Wert!, so dass I{ = und W{ = I'~' als Torsionsträgheitsmoment bzw. Torsionswiderstandsmoment für das "unendJich dünne Rechteck" angesehen werden diirfen. Auf diese beiden Formeln wird im Abschnitt 21.3.2 noch einmal zurückgegriffen.
c:> Früher wurden Lösungen für die Torsionsaufgaben vielfach experimentell ermittelt, wobei die Tatsache genutzt wurde, dass die Poissonsche Differenzialgleichung auch andere physikalische Vorgänge beschreibt: Eine ebene Membran mit festgehaltenem Rand. die von einer Seite unter konstanten Druck gesetzt wird, wölbt sich so, dass die Verschiebung w(x,y) der Poissonschen Differenzialgleichung genUgt. Der Anstieg des Membranhügels ist also der Schubspannung in einem elllsprechenden Querschnitt unter Torsionsbelastung proportional ("Seifenhaut-Gleichnis"). Auch die Strömung einer in einem oben offenen Gefjß zirkulierenden Flüssigkeit (das Gefäß habe konstanten QuerSChnitt) wird durch die Poissonsche Differenzialgleichung beschrieben. Dabei ist die Strömungsgeschwindigkeit in einem beliebigen Punkt der Schubspannung in einem tordierten Stab mit gleichem Querschnitt proportional.
369
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte
21.3 51.- Venantsche Torsion dünnwandiger Querschnitte Neben den Kreis- und Kreisringquerschnitten gibt es noch eine große Gruppe praktisch sehr wichtiger Querschnitte, fLir die durch (rccht rcstriktiv anmutende, aber gcrechtfertigte) Zllsätzliche Annahmen das SI.- Venantsche Torsionsproblem unter Umgehung der Lösung der Poissonschen Differenzialgleichung 21.14 behandelt werden kann. Es sind die dünnwandigen Prollle (Wandstärken sind wesentlich kleiner als die übrigen Querschnittsabmessungen), für die die Spannungs- und Verformungsberechnung in den beiden folgenden Abschnitten behandelt wird. Dabei muss zwischen geschlossenen Querschnitten (z. B.: Ringquerschnitte, Kastenquerschnitte) und offenen Querschnitten (z. B.: L- und T -Prollle) unterschieden werden.
21.3.1 Dünnwandige geschlossene Querschnitte
o
Es werden dünnwandige geschlossene Querschnitte entsprechend Abbildung 21.6 betrachtet (mathematisch: 2-fach zusammcnhängcnder Bcreich, kompliziertere Profile mit mehr als einer geschlossenen Zeile werden hier nicht behandelt). Die gestrichelt gezeichnete Linie halbiert die Dicker an jeder Stelle.
Abbildung 21.6: Dünnwandige geschlosse· ne Querschnilte, darf veränderlich sein
'es)
Diese Profil-Mittellinie repräsentiert gemeinsam mit der Dicke I(S) die Geometrie des Querschnitts. Die Querschnitts-Koordinate s. die an einem beliebigen Punkt beginnt, folgt der ProfilMittellinie. Die Koordinate, die (in Längsrichtung des Torsionsstabes) die Lage des Querschnitts beschreibt, wird wie bisher mit z bezeichnet. Folgende Annahmen werden fLir die Berechnung der Spannungcn und Verformungcn dünnwandiger geschlosscner Querschnittc getroffen:
Die Dicke I(S) ist klein im Vergleich mit den übrigen Querschnittsabmessungen und verän· dert sich mit S nicht sehr stark.
Die Querschnittsabmessungen sind wie das Torsionsmoment M, in Längsrichtung des Torsionsstabes (z-Richtung) konstant (Hohlzylinder, in den ein Torsionsmoment "ber den Endquerschnitt eingeleitet wird).
Bei der Verformung behalten die Querschnitte ihre ursprüngliche Form, es dürfen allerdings unterschiedliche Verschiebungen der Querschnittspunkte in z-Richtung (QuerschnittsVerwölbungen) auftreten. Abbildung 21.7 zeigt die Lage einiger spezieller Punkte des Querschnitts (A, B, ...) nach der Verformung (A', BI, ). Die Längsverschiebullgen (WA, WB, ) verwölben den Querschnitt, der sich außerdem um den TorS.ionswinkel rp verdreht und in der Draufsicht (aus der z-Richtung) seine ungeänderte Form zeigt.
~
~WA~ A~Y~J
~IVY~ B~
B
WB
Abbildung 21.7: Querschnilte behalten (in der Drauf· sichl) ihre Form, dÜlfen sich aber verwölben
21 Torsion
370
oe:> Die Verwölbung des Querschnitts kann sich frei ausbilden (St.-Venantsche Torsion), so dass
keine Normalspannungen durch die Längsverschiebungen hervorgerufen werden. oe:> Die Schubspannungen sind über die Profildicke konstant.
Der Fehler, der mit der letzten Annahme hingenommen wird, kann am einfachen Beispiel abgeschätzt werden: Für einen dünnwandigen Kreisring mit dem Innen radius ri und dem Außenradius ri + I ergibt die Rechnung nach den Formeln für den Kreisring 21.2 und 21.5 ein Verhältnis der Schubspannungen am Außenrand 'Ca und amlnnenrand 'Ci von ~ = Ei±'. = 1+ 1-. Die Theorie des " r, r, dünnwandigen geschlossenen Querschnitts würde etwa den Mittelwert dieser beiden Spannungen liefern. Wenn I klein gegenüber dem Radins ist, kann dieser Fehler hingenommen werden. Die (über die Dicke I konstanten) Schubspannungen werden zum Schubjluss
T =
(21.18)
'C t
(Dimension: "KraftlLänge") zusammengefasst, der in der Profil-Mittellinie angreift und tangentiaJ zu dieser gerichtet ist. Die Abbildung 21.8 zeigt ein aus dem Torsionsstab herausgeschninenes Element. Nach dem Gesetz der zugeordneten Schubspannungen 20.1 wirkt natürlich auch der SchubOuss in den Längsschnitten in gleicher Größe. Da keine Normalspannungen wirken (spannungsfreies Verwölben, Querschnitte behalten ihre Form), kann das Gleichgewicht am Element nur erfüllt sein, wenn T an allen Elementrändern den gleichen Wert hat:
l'
TI! - _ 1,1' -ci: l' dz Abbildung 21.8: Der Schubftuss T muss (Gleichgewicht) konstant sein
Der Schubftuss T = 'C I infolge Torsion ist in den Querschnitten eines dünnwandigen geschlossenen Profils konstanl. Die resultierende Momentwirkung des gesamten Schubftusses eines Querschnitts muss (bezliglich eines beliebigen Punktes P) dem Torsionsmoment äquivalent seill. Die Abbildung 21.9 zeigt die (differenziell kleine) Kraft T ds, die der Schubtluss an einem Element der Länge ds hervorruft. Sie hat die Momentwirkung r' T ds mit dem Hebelarm r', der senkrecht auf der Tangente an die Profil-Mittellinie Sicht. Das Summieren (Integrieren) aller differenziell kleinen Momente über den Umfang liefe.t die resultierende Momentwirkung des SchubOusses:
M,=
f
Abbildung 21.9: Momentwirkung des Schubnusses
Tr'ds=Tl r'ds
Der Kreis im Integralsymbol deutet ein Umlaufintegral an: Die obere Grenze beschreibt den gleichen Punkt wie die untere Grenze, wobei s sich um die Gesamtlänge der Profll-Minellinie vergrößert hat. T kann vor das Integral gezogen werden, das verbleibende Integral lässt sich sehr schön geometrisch deuten: Die in der Abbildung 2\.9 angedeutete Dreieckstläche dA", = r'!if
371
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte
("Grundlinie· Höhe/2") summiert sich mit den anderen differenziell kleinen Dreiecksftächen bei der Integration über den Umfang zur Gesamtftäche Am, die von der Profil-Mittellinie umschlossen wird. Das in der Formel verbliebene Integral liefert also die doppelte Fläche 2A"" und man erhält nach RUOOLF BREOT (1842 - 19(0) eine recht einfache Formel zur Berechnung des Schubflusses in einem dünnwandigen geschlossenen Querschnitt: T=
M,
2A m
(I. Bredtsehe Formel)
(21.19)
Am ist die von der Profil-Mittellinie des Querschnitts eingeschlossene Fläche (in der Skizze schraffiert). Die Schubspannung als Quotient aus Schubftuss und Wanddicke
r(s) = -
T
I (s)
(21.20)
hat ihrcn maximalen Wert an dcr Qucrschnittsstclle mit dcr geringsten Dicke Imin. Die Verzerrungen der Elemente des ausschließlich durch Schubspannungen belasteten Torsionsstabs werden durch die Gleilwinkel y beschrieben, die nach dem Hookeschen Gesetz 12.6 mit den Schubspannungen entsprechend r = Gy verknüpft sind. Um die daraus resultierenden Verfonuungen zu berechnen, wird zunächst am einfachen Beispiel demonstriert, wie aus der GleilUng y die Verdrehung und die Verwölbung der Querschnitte entstehen.
:
Abbi.ldung 21.10: Die konswnle Dicke eines Kreisrings (links) fiihrt zu konsranren Verzerrungen. verän-
derliche Dicke (rechrs) und damit veränderliche Verzerrungen fUhren zu Verwölbungen
Betrachtet wird zunächst eine unendlich dünne Scheibe, die aus einem Torsionsstab mit Kreisringquersclmill kOllstafller Dicke herausgeschnitten wurde (Abbildung 21.10, links). Der über den Umfang konstante Schubftuss ist bei konstanter Dicke einer konstanten Schubspannung äquivalent, die wiederum zu konstanten Gleitwinkeln führt: Die in der Abbildung angedeuteten Rechtecke wcrden zu kongruenten Parallelogrammen VerLeITI, die ohne Verwölbung der Querschnittsftächen auch nach der Verformung zusammenpassen. Bei einem Kreisringquerschllitt mil veränderlicher Dicke (Abbildung 21.10, rechts) entspricht der über den Umfang konstante Schubftuss nach 21.20 einer veränderlichen Schubspannung, die benachbal1e Elemente unterschiedlich verzerrt. Diese können nach der Verformung nur bei gleichzeitiger Verschiebung der Querschnittspunkte in LängsrichtlUlg des Torsionsstabes zusammenpassen: Der Querschnitt verwölbt sich.
372
21 Torsion
Die Gleilung wird entsprechend Abbildung 21.11 in zwei Summanden zerlegt:
Y= Y~+Yw mil den Anteilen Y~ (verursacht die Verdrehung der Querschnitte gegeneinander) und Yw. der zur Verwölbung fühn.
Abbildung 21.11: Gleilungsanteil.e aus Verdrehung und Verwölbung
Die Abbildung 21.12 zeigt den Zusammenhang zwischen y~ und dem Torsionswinkel cp. Zwei benachbane Querschnitte (Abstand dz) verdrehen sich (unter Beibehaltung ihrer Form) gegeneinander um den Winkel dcp. Für die differenziell kleinen Größen (Y~ "" tan y~) liest man ab:
dv
y~=-
dz wobei dv die Verschiebung eines Punktes tangential zur ProfilMittellinie ist. Tatsächlich bewegen sich alle Punkte der ProfilMittellinie bei der Verdrehung auf konzentrischen Kreisen. Ein Punkt A (untercrTeil der Abbildung 21.12) bewegt sich nach A' entlang rdcp, und man liest den Zusammenhang
P
dv = rdcpcos a = r' dcp r'
ab, wobei r' = rcosa der senkrechte Abstand vom Bezugspunkt P zur Tangente an die Profil-Mittellinie ist. Zwischen dem Gleitwinkel-Ameil y~ und dem Torsionswinkel cp besteht also
r*
~~
r' cp'
=
rdrp
r
A
?:. A c
neben der Normalspannung O"q> auch eine Schubspannung Tq> wirkt.
uo=F/A o
~ f"II"'I:
u Aq>. Diese Kräfte müssen die folgenden Gleichgewichtsbedingungen erfüllen: O"q>Aq> -
O"oAocosq> = 0
Tq>Aq> - O"oAo
Mit Ao =
Aq> cos q>
sin q> = 0
ergeben sich daraus die
Spannungen in einem beliebigen Schnitt beim einachsigen Spannungszustand: _
O"q> -
0"0 COS
2
q>
Tq>
=
I
.
2" O"a s1l12q>
(22.2)
oe:> Die Normalspannung wird (wie zu erwanen) am größten für q> = O. [n diesem Schnitt wirkt
keine Schubspannung, und dies ist auch im Folgenden das Kriterium daflir, dass genannte Hallplspannllng ist. L~
0"0
eine so
Bei Materialien, die besonders empfindlich gegen Schubbeanspruchung sind, ist also zu beachten, dass selbst beim einachsigen Spannungszustand, bei dessen Berechnung sich im AJJgemeinen nur eine NormaJspannung ergibt, eine Schubspannung wirkt, die in speziellen Fällen durchaus flir das Versagen eines Bauteils verantwonlich sein kann.
Beim einachsigen Spannungszustand ergibt sich die max imale Schubspannung für q> = 45°. Es ist die so genannte I (22.3) Hallplschubspanllllllg 'rmax = "20"0
Die Fonnein 22.2 und 22.3 gelten für einen beliebigen Punkt des Bauteils und damit auch. wenn die Spannung 0"0 nicht konstant ist (Beispiel: Biegespannung).
389
22.3 Der ebene Spannungszustand
22.3 Der ebene Spannungszustand Der ebene Spannungszustand ist dadurch gekennzeichnet. dass in zwei senkrecht zueinander stehenden Schnitten Normal- und Schubspannungen vorhanden sein können, während in der dritten Richtung keine Spannungen wirken. Dieser Spannungszustand hat besondere praktische Bedeutung. Er ergibt sich zum Beispiel • bei der kombinielten Biegemoment-, Normalkraft-, Querkraft- und Torsionsbeanspruchung der Träger, die in den Kapiteln 14 bis 21 behandelt wurden, • im Inneren von Flächcntragwerken (Abschnitt 22.1), • an den von äußeren Kräften nicht belasteten Oberflächen beliebiger Bauteile. Da an der Oberfläche häufig die größten Spannungen auftreten (vgl. die Biegetheorie), liegt die kritische Spannung auch bei kompakten (schwierig zu berechnenden) Bauteilen meistens in einem Gebiet, in dem ein ebener Spannungszustand vorliegt. Gerade die Oberflächen sind aber für eine experimentelle Spannungsermittlung (Dehnmessstreifen, vgl. Beispiel 2 auf Seite 395) besonders gut zugänglich.
1
1
@ \ dx
yl (Jy
11
j j
t 11' I j
T xy
~ID----~-~1
1=1----
-~
I=:
-- ax
,
-x Abbildung 22.5: Ebener Spannungszu$tand in einem Biegeträger
Der ebene Spannungszustand wird durch drei Spannungen bestimmt: 0:" 0:)' und 'Al" Dabei wurde bereits berücksichtigt, dass die in den beiden Schnittflächen wirkenden Schubspannungen gleich sind (Gesetz der zugeordneten Schubspannungen 20.1). Abbildung 22.5 zeigt ein aus einem Bauteil herausgeschnittenes differenziell kleines Element mit den Abmessungen dx· dy. Die am Element angetragenen Spannungen sind nicht unabhängig voneinander, sie müssen ein Gleichgewichtssystem bilden. Dies wird hier nicht betrachtet, weil die Glcichgcwichtsbcdingungcn in dcr Thcoric dcr Spannungsbcrcchnung bereits berücksichtigt sein müssen (man vergleiche hierzu die Theorie des Querkraftschubes, die das Gleichgewicht mit den Biegespannungen garantiert). Es sind vielmehr folgende Fragen interessant:
CD Das x-y-Koordinatensystem. an dem sich die Richtungen der drei Spannungen 0:,..
und 'x)' orientieren, liegt recht willkürlich so, wie es für die Berechnung dieser Spannungen günstig gewesen sein mag. Wie groß sind die Spannungen in beliebigen Schnitten, die parallel zu einem (um den Winkel cp gedrehten) ~-17-Koordinatensystemliegen?
~
Bei welcher Schnittrichtung treten die maximalen Spannungen auf, wie groß sind die Maximalspannungen?
Zur Beantwortung dieser Fragen wird ein Keil aus dem Element herausgeschnitten, dessen eine Schnittfläche senkrecht zur Koordinatenachse ~ liegt (Abbildung 22.6).
'y
0:,
C"'~·I~ T xy Acosip T xy
A sin
. 91 '(Jy A smip
Abbildung 22.6: Spannungen in einem beliebigen Schnitt
390
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
Wenn diese Schnittfläche mit A bezeichnet wird, haben die zur x- bzw. y-Achse senkrecht stehenden Flächen die Größen Acos cp bzw. A sin cp. In der Abbildung 22.6 sind die aus den Spannungen resultierenden Kräfte an den drei Flächen angetragen, die folgende Gleichgewichtsbedingungen crfLillen müssen:
er~A = er,A cos 2 cp + 1'xyA eos cpsin cp + eryA sin 2 cp + 1',)"A sin cpcos cp 1'~ 'lA = 1',yA cos 2 cp - o:,A eos cpsin cp - 1":rA sin 2 cp + eryA sin cpcos cp
(22.4)
Nach cinigcn elementaren Umformungcn crgcbcn sich dic nachfolgcndcn FOnllCln, dic durch eine Beziehung für er'l ergänzt wurden, die sich aus Gleichgewichtsbetrachtungen an einem Keil mit einer Schnittfläche senkrecht zur 1]-Achse ergibt. Transformation der Spannungen des ebenen Spannungszustandes auf ein gedrehtes Koordinatensystem: er~ =
I
I
I
I
2( O:r+ er)") + 2( erx - ery) cos2cp + 1''Y sin2cp
erry = -(er,+err)--(o:,-err)cos2cp-1'xvsin2cp 2 . 2' . 1'~ ry =
-
I
2(0:, -
(22.5)
.
ery ) slll2cp + 1',ycos 2cp
Der Aufbau dieser Formeln entspricht exakt der StTUktur der Transformationsformeln 16.12 für die Flächemrägheitsmomente (Seite 227). Deshalb können alle dort gewonnenen Aussagen sinngemäß übernommen werden: Es existiert immer ein gegenüber dem x-y-Koordinatensystem um den Winkel Man beachte: Im Gegensatz zu den Hauptträgheitsmomenten (Abschnitt 16.2.5) können die
beiden Hauptspannungen beliebige Vorzeichen haben. Deshalb ist (J, nicht immer auch die absolut größte Spannung in diesem Punkt. Um Richnmg und Größe der maximalen Scbubspannul1g zu ermitteln, wird die Formel für in 22.5 nach cp abgeleitet und Null gesetzt. Man gewinnt folgende Aussage:
'~I)
Die maximalen Sehubspannungen treten in Schnitten auf, deren Richtungen um 45° zu den Hauptspannungsriehtul1geo gedreht sind. In den Hauprschubspannungsrichrungm
CP. = CPI ± 45° wirken die Hauplschllbspannungell: I
± '2 ((51
't'mm =
AufCHRtSTlAN OTTO MOHR (1835 - 1918) geht die Idee zurück, für die Transformationsgleichungen 22.5 und 22.6 grafische Löslll1gen bereitzustellen: Wenn man aus der ersten und drillen Gleichung in 22.5 den Winkel cP eliminiert (quadrieren und addieren, etwas mühsam, aber machbar), entsteht mit (
2 ( <J, ~ (J),J2 Ux + (Jy ) 2 +, = 4 (J - --2-
2
+ 'x)
(die Indizes ~ und 1) wurden weggelassen) eine Gleiehung, die in einem (J-,Koordinatensystem einen Kreis beschreibt.
(22.8)
- 0'2)
I
T
",
"
Abbildung 22.7: Mohrseher Spannungskreis
Abbildung 22.7 zeigt diesen Mohrschel1 Spallllllilgskreis. Man erkennt, dass er bei einem gegebenen Satz von Spannungen für einen Punkt (Jx, (Jy und r.l)' einfach zu konstruieren ist. Jeder beliebige Durchmesser verbindet zwei Punkte auf dem Kreis, für die die Spannungen für die entsprechende Spannungsrichtung cP abgelesen werden können. Speziell sieht man auf der (J-Achse die beiden Hautspannungen (J, und (J2, der Radius entspricht dem 'max' Dass (Jt und '"'''' um 90° versetzt erscheinen (und nicht um 45°. wie es naeh 22.8 sein muss), deutet darauf hin. dass im Mohrsehen Spannungskreis mit dem doppelten Winkel 2 cP gearbeitet werden muss, was speziell dann zu beachten ist, wenn mau die Spannungen unter einem bestimmten Winkel entnehmen will. Darauf wird hier nicht weiter eingegangen, denn der Mohrsehe Spannungskreis war ein sehr nützliches Werkzeug. als der Ingenieur noch mit dem Rechenschieber arbeitete'. Heute gibt es IDass der Mohrsehe Spanllungskrcis hier erläuten wird. hat neben der TaIS..'l.che. dass Abbildung 22.7 noch einmal recht anschaulich alle wesentlichen Größe,n des ebe.nen Spannungszustands zeigt, auch den Gnll1d, ehr. O. Mohr zu würdigen. auf den z. B. auch ein geniales Verfahren zur grafischen Ennütlung der Durchbiegung einer Welle zurückgeht, das allerdjngs (welch ein Gliick nir alle Srudenten!) überhaupl nicht mehr verwendel wird.
392
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
nalÜrlich keinen Grund mehr, die Auswertungen der Formeln 22.5 bis 22.8 durch das Zeichnen eines Kreises zu realisieren. Es sollen hier noch die Zusammenhänge der Spannungen mit den Dehnungen behandelt werden, weil bei der experimentellen SpannungsanaJyse mittels Dehnmessstreifen primär die Dehnungen als Versuchsergebnisse anfallen, die dann (unter der Voraussetzung elastischer Verformung) über das Hookesche Gesetz in die Spannungen umgerechnet werden können. Dabei ist zu beachten, dass beim ebenen Spannungszustand mit NormaJsparUlungen in zwei Richtungen jede Normalspannung auch die Dehnung in der jeweils dazu senkrechten Richtung beeinflusst (Querkontraktion, vgl. Abschnitt 12.4). Die Dehnung in einer Richtung ergibt sich also beim ebenen Spannungszustand aus der Überlagerung des Anteils aus dcr Spannung in dieser Richtung mit der Querkontraktion aus der anderen Spannung: (22.9) Diese bei den Fom1eln lassen sich nach den Spannungen umstellen und werden ergänzt durch den Zusammenhang zwischen Schubspannung und Gleitung nach 12.6 im Zusammenhang mit 12.7. Dieser Formelsatz wird bezeichnet als Hookesches Gesetz für den ebenen Spannungszustand: E (Jx = - - 2 (Ex + VEy ) I-v E 't ry = G Yrv = I'A"\' . 2(I+v)'
E (J" = - - 2 (E), + VE.,) . I-v
(22.10)
Die Formeln 22.10 gelten für zwei beliebige zueinander senkrechte Richtungen, also auch flir die Hauptspannungsrichtungen, flir die wegen der verschwindenden Schubspannung (und damit auch der Gleitung y,y) die dritte Gleichung entfallt. Durch Einsetzen der Spannungen nach 22.10 in die Transfom1ationsformeln 22.5 erhält man die Formeln für die Transformation der Dehnungen und der Gleitung des ebenen Spannungszustandes auf ein gedrehtes Koordinatensystem:
I I 1 Ei; = 2(Ex +E).) + 2(Ex - Ey) cos2rp + 2 Yxysin 2rp Ery =
~(Ex + Ey) - ~(Ex -
Ey)cos2rp -
(Ex - Ey) sin 2rp
+
~ Yxysin 2rp
(22.11 )
}'xy cos 2rp
Die fonnale Ähnlichkeit dieser Fonnein mit den Transfom1ationsformeln 22.5 gestaltet die Übertragung der Erkenntnisse iiber die Spannungen auf Aussagen über die Dehnung:
22.3 Der ebene Spannungszustand
393
oe:> Es existiert immer ein gegenüber dem x-y-Koordinatensystem um den Winkel CPI gedrehtes
Koordinatensystem mit den Achsen I und 2, für das die Gleitung verschwindet. I und 2 sind die Haupldehmmgsrichtungen, die mit den Hauplspannlll1gsrichtlll1gen identisch sind. Die Haupldehnllngen bcrechnen sich nach
und der Winkel cP, zwischen der x-Achse und der Hauptdehnungsrichtung 1 aus tan CPI =
Yxv.
(22.13)
2(f, - f y )
Diese Formel liefert den gleichen Wert für cP' wie 22.7. Die Hauptspannungen lassen sich über das Hookesche Gesetz 22.10 also auch aus den Hauptdehnungen berechnen.
I
Beispiel]: I_ _ _ _.... Flir den skiZzIerten Kragtragcr 1,.111 veranderlichem Quadrat-Querschnitt wurde (als Beispiel 4 im Abschnitt 16.3 auf Seite 241) berechnet, dass bei z = ~ die maximale Biegespannung auftritt. Für diesen Querschnitt sollen die Hauptspannungen (bei Berücksichtigung der ßiegespannung und der Querkraftschubspannung) ermittelt werden.
Gegeben:
J~-------I" I
-z
öl ~
I
F. a, 1= lOa.
Der Querschnitt bei z = ~ hat die Kantenlänge I ,5a. Mit I (1,5a)4 27 4 I xx = =-a 2 .12 64 ergibt sich die Biegesparumngsverteilung nach 16.3: Mb=-F-
32 Fl 27 a
(Jb= - - -4y
Nach 20.2 (Seite 346) erhält man mit (vgl. Beispiel I im Abschnitt 20.1 auf Seite 346)
_(1,5a)2 _2) 1,5a 4 Y 2
FQ = -F
Sx-
den Verlauf der Querkraftschubspannung r = - 32
!.... (!!.-.a 2 -
27 a 4
16
i)
Zur Erinnerung: Die y-Achse hat ihren Ursprung im Schwerpunkt des Querschnitts und ist nach unten gerichtet, die Biegespannungen wirken senkrecht zum Querschnitt (in z-Richtung), so dass alle Spannungen in der y-z-Ebene zu sehen sind (Abbildung 22,8). Für das betrachtete Beispiel gilt also: (Jy =
0
394
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
ßiegespannung
Schubspannung
Abbildung 22.8: Biegespannungs- und Schubspannungsverteilung über die Querschnittshähe, eine NormaJspannurJg O"y gibt es bei diesem BeispjeJ nicht
Die Abbildung 22.8 zeigt die Spannungsverteilung über die Querschnittshöhe und das Definitionsbild mit den Bezeichnungen, die für die Formeln des ebenen SpannungsZllstands verwendet werden. Die Hauptspamlllngen in einem beliebigen Punkt des Querschnitts (sie sind über die Breile konstant) berechnen sich bei entsprechender Modifizierung der Indizes nach 22.6:
Bei einer Höhe von I, 5a für den betrachteten Querschnitt darf y in dieser Formel Wel1e im Bereich -0, 75a ~ y ~ 0, 75a annehmen. Die folgende Tabelle vergleicht fLir einige Punkte des Querschnitts die Biegespannungen und Querkraftschubspanmlngen mit den Hauptspannungen:
y -0,75a -0,50a -0,25a 0 0,25a 0,50a 0,75a
(Jb
2
8. 889F /a 5, 926F /a 2 2. 963F /a 2 0 -2,963F/a2 -5. 926F/a2 -8,889F/a 2
'l:
(J,
(J2
0 -0,370F/a 2 -0,593F/a2 -0,667 F /a 2 -0,593F/a 2 -0. 370F/a2 0
8,889F /a 2 5, 949F /a 2 3,077 F/a 2 0,667 F/a 2 0,114F/a 2 O,023F /a 2 0
0 -0,023F/a 2 -0, 114F/a 2 -0,667 F /a 2 -3.077 F/a 2 -5,949F/a 2 -8.889 F/ a2
c:> Die Ergebnisse zeigen, dass die Hauptspannung in keinem Punkt größer wird als die maximale Biegespannung. Dieses Ergebnis ist repräsentativ: Im Allgemeinen kann der aus der Querkraft herrührende Spannungsanteil vernachlässigt werden, zumal die Querkraftschubspannungen an den Ptmkten der maximalen Biegespannung (Ober- bzw. Unterkante des Querschnitts) verschwinden.
c:> Die Schubspannung aus der Querkraftbelastung kann allerdings zur Beurteilung der Haltbarkeit von Fligestellen (vg1. Abschnitt 20.3) bedeutsam sein. Die maximale Schubspannung tritt in der Schwerpunktfaser auf. Da dort keine Normalspannungen wirken (ncutrale Faser fur Biegebeanspruchung), verlaufen die beiden Hauptspannungen unter einem Winkel von 45° zur Horizontalen.
~F
----~
[,--
Abbildung 22.9: Hauptspannungen 'Im Punkt der größten
Schubspannung
22.3 Der ebene Spannungszustand
395
Die "reine Schubbelasrung" in der neutralen Faser eines Biegeträgers wird durch eine Zug- und eine Druckspannung repräsentiert. Da diesc beiden Hauptspannungen den gleichen Absolutbetrag haben, können sie (und damit die Schubspannung) gegebenenfalls durch nur eine Dehnungsmessung (z. B. mit einem unter 45° angebrachten Dehnmessstreifcn) ermittelt wcrden.
I
Beispiel 2: I_ _ _ _.... Be, ell1er experimentellen Spannungsanalyse wurden mit der skizzierten Dehnmessstreifen-Rosette die Dehnungen in den beiden senkrecht aufeinander stehenden Richtungen CI und c und die Dehnung in der unter 45° zu a und c geneigten Richtung b gemessen: Ca = 0,70· /0-3; Ch = 0,81 . 10-4 ; ce = 0,27 . /0-3 .
Berechnet werden sollen a) die Größe der Hauptdehnungen CI und c2 und die Richrung der Hauptdehnung CI, b) die Größe der Hauptspannul1gen (Jj lmd (J2, wem1 fur das Material der Elastizitätsmodul E = 2, I . 105 N/mm 2 und die Querkontraktionszahl v = 0,3 angenommen werden dürfen.
Die in dcn Richtungcn CI und c gemesscncn Dchnungen cntsprcchcn den Dehnungcn in x- und y-Richtung (willkürliche Wahl des Koordinatensystems): Cx = 1;" = 0, 70· 10- 3
C)' = Ce = 0, 27 . 10- 3
Zur Berechnung der Hauptdehnungen nach 22.12 fehlt der Gleitwinkel )").. Die beiden ersten Gleichungen 22.11 entbaltenjedoch 1',) und (wie gegeben) drei Dchnungen, so dass die GJcitung berechnet werden kann, wenn Ch z. B. als c~ in Richtung cp = 45° eingesetzt wird: I I c~ = ch =:1 (1;" +ce) +:1 Y,y Daraus errechnet sich
Yxy = 2Ch -Ca -Ce = -0,81.10- 3 und aus 22.12 und 22. I 3 erhält man die Hauptdehnungen und die Hauptdehnungsrichtung I: c,=0,94./O- 3
c2=0,027.1O- 3
Da die Hauptspannungsrichrungen mit den Hauptdehnungsrichtungen übereinstimmen (Abbildung 22.10), könncn die Hauptspannungcn nach dem Hookeschen Gesetz 22.10 aus den Hauptdehnun-
cpl=-31°
'y
gen ermittelt werden:
E
(JI = - - 2 (ct + VC2) = 219N/mm I-v
E
2
,
(J2 = - - 2 (c2 + VCI) = 7 j. 6N/mmI-v
Abbildung 22.10: Richtungen der Hauptspannungen und Hauptdelmungen
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
396
22.4 Der räumliche Spannungszustand Der allgemeine Fall ist der räumliche SpannuTigszlIsrand: In drei aufeinander senkrecht stehenden Schnittflächen wirken • 3 Normalspannungen 0:"
Gy, G,
und
• 6 Schubspannungen 't:ty. 't:rz. 't'Y.h 'fyz •
't"Z.h
't'zy·
Der erste Index kennzeichnet die SchnittfläChe (der Index x steht also z. B. fUr die Schnittfläche x = konstant). der zweite Index bei den Schubspannungen steht für die Richtung innerhalb der Schnittfläche (bei den Normalspannungen erübrigt sich die Richtungsangabe. weil sie immer senkrecht zur Schnittfläche gerichtet sind). Nach dem Gesetz von der Gleichheit der zugeordneten Schubspannungen 20.1 gilt 't'yz
= Tz)'
so dass der räumliche Spannungszustand durch die Angabe von insgesamt 6 unterschiedlichen Spannungskomponcmcn beschricben wird. Der räumliche 5pannungsZllstand in einem Punkt kann durch die Angabe von sechs Spannungskomponemen (3 Normalspannungen 0:" G,. G, und 3 Schubspannungen 't'xy. ,,,. 't'yz) eindeutig beschrieben werden. Es ergeben sich nun die entsprechenden Probleme, die auf Seite 389 für den ebenen Spannungszustand als Fragen CD und @ formuliert wurden: Wie sieht es bei beliebiger anderer Schnittfläche aus und wo treten die maximalen Spannungen auf? Für den ebenen Spannungszustand konnten die Antworten darauf mit Gleichgewichtsbetrachtungen entsprechend Abbildung 22.6 auf anschaulichem Wege gefunden werden. Weil die Anschauung im dreidimensionalen Fall sehr schnell verloren geht. empfiehlt sich ein eher formaler Weg. Dieser Weg wird zunächst noch e.inmal flir den ebenen Spannungszustand demonstriert. weil er dafür auch anschaulich ist. um ihn dann formal auf den räumlichen Spannungszustand zu übertragen:
• Die Koordinaten x und y werden durch XI und X2 ersetzt, und die Spannungen werden sämtlich nut dem Symbol G bezeichnet. das durch zwei fndizes ergänzt wird: (22.14) • Die Schnittebene in beliebiger Richtung wird durch den (auf ihr senkrecht stehenden) Einheitsvektor e~ beschrie· ben (Abbildung 22.11): e = [cos cp
~
Sill
cp
]
= [cos al ]
cos a2
(22.15)
Ebene
~=
konst.
Abbildung 22.11: Ebener Spannungszusland. Übergang zu neuen Bezeichnungen
397
22.4 Der räumliche Spannungszustand
• Die Spannungen werden in einer (symmetrischen) Spannungsmatrix S zusammengestellt, für die in einer beliebigen Schnittfläche wirkenden Spannungen wird der Spannungsvektor S definiert: S
=
[;~ ]
(22.16)
• Der Spannungsvektor sI; fUr die durch el; definierte Ebene kann dann aus (JII (J12] [cosal] [(JII cosal COSa2 (J12 cos al
sI; =S·el; = [ (J12 (J22
+ (J12COSa2 ]
+ (J22COSa2
(22.17)
berechnet werden. • Die Komponcntcn von sI; in 22.17 bezichen sich noch auf das XI-x2-Systcm. Dic NOllllalspannung (JI; in der Schnittfläche ~ = konstant (in Richtung von el;) kann man mit dem Skalarprodukt aus dem Vektor SI; mit dcm Einheitsvektor el; bercchnen: (JI; = SI; ·el; = (JII cos 2 a,
+ (J12cosal cosa2 + (J22COS 2 a2 + (J'2cosa2cosa,
. (22.18)
Dieses Ergebnis entspricht genau den ersten Formeln in 22.4 bzw. 22.S, die dort anschaulich aus Gleichgewichtsbedingungen gewonnen wurden. • Auch das Hauptspannungsproblemlässt sich sehr elegant lösen: Wenn man die Transformation 22.17 mit einem (zunächst unbekannten) Normalenvektor 11 mit dem Ziel ausführt, dass das Ergebnis ein Vektor Sn ist, der genau die Richtung von 11 hat, dann gibt es ausschließlich eine Normalspannung in der durch 11 definierten Schnittfläche. Das kann so formuliert werden: Sn
=5-11 =
(22.19)
D'1l
• Mit 22.19 ist ein homogenes Gleichungssystem 2 [
(J,~~ (J (J2~~ (J
] [
~~] [~]
(22.20)
entstanden, das nur dann nichttriviale Lösungen (zumindest einer der Werte "I bzw. "2 ist ungleich Null) haben kann, wenn die Koeflizientendeterminante verschwindet:
1
(JII -(J (J12
(J12 1-0 (J22 - (J
=>
(JII-(J)(J22
-(J)-(J~2 =0
(22.21)
Diese quadratische Gleichung liefert mit (J, und (J2 genau die beiden Lösungen 22.6. • Die zu den beiden Hauptspannungen (J, und (J2 gehörenden Richtungen 111 bzw. 1/2 können aus einer (beliebigen) der beiden Gleichungen 22.20 berechnet werden. Weil die Lösungen eines homogenen Gleicbungssystems nllI bis auf einen beliebigen Faktor bestimmbar sind, solltc man 1/, und 112 normieren (zu EinheilsveklOrcn machen). Alle am Beispiel des ebenen Spannungszustandes noch anschaulich nacb.zuempfindenden Beziehungen könncn nun fonnal auf dcn räumlichen Spannungszustand übcrtragcn werdcn. 2 Unter www.TM-Mathe.de findel man eine ausftlhrliche Dar!ltellung des Thema'i ..Homogene Gteichungssystemc". siehe den Hinweis aur Seile 73.
398
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
Räumlicher SpannungsZlIstand:
r:> Die Koordinaten x, y und z werden durch XI, X2 und X3 ersetzt, und die Spannungen werden sämtlich mit dem Symbol (J bezeichnet, das durch zwei Indizes ergänzt wird: eJ" ,
(Jy . (J, , 1:,y • 1:xz ,1:yz
(JI J , (Jn . (J33 , (JJ2 , (J13 ,
=}
(J23 .
(22.22)
c:> Die Schnittebene in beliebiger Richtung wird durch den (auf ihr senkrecht stehenden) Einheitsvektor e~ beschrieben. Die cos a; sind die Richtungskosinusse (Abbildung 8.\ auf Seite 110 zeigt, wie diese gemessen werden):
e~ [~::~~ =
(22.23)
]
COSa3
c:> Die Spannungen werden in einer (symmetrischen) Spannungsmatrix S zusammengestellt, für die in einer beliebigen Schnittfläche wirkenden Spannungen wird der Spannungsvektor s defi niert: (JI J (J12
S= [
L~
(J12
(Jn
(J13] (J23
(J13
(J23
(J33
Der Spannungsvektor s~ für die durch
e~
S=
SI] [ :~
(22.24)
definierte Ebene kann dann aus
s~ =
S· e~
(22.25)
berechnet werden. Den Betrag der Normalspannung (J~ in dieser Schnittebene und den Betrag der resultierenden Schubspannung 1:~ errechnet man dann so:
(J~
=
s~ .e~
1:~
=
Jls~
1
2
- (Jl
c:> Die Hauptspannungen ergeben sich aus der Transformation
S'1l = (J '11,
(22.26)
die auf ein ho-
mogenes Gleichungssystem flihn:
][ ~~] [~ ]
(22.27)
Zu einem räumlichen SpannungsZllstand gehören also drei Hauptspannungen (JI, (J2 und (J3 in drei senkrecht aufeinanderstehenden Ebenen, die schubspannungsfrei sind (zur Lösung von 22.27 siehe nachfolgende Bemerkung). Eine der Hauptspannungen ist die größte, eine andere die kleinste aller Norillalspannungen, die in beliebigen Schnittebenen auftreten können. Die dritte Hauptspannung liegt zwischen den beiden anderen.
c:> Die größten Schubspannungen (Hauplschubspannungen) treten in Ebenen auf, die mitjeweils zwei Hauptspannungsebenen einen Winkel von 45° bilden. Wenn man (wie üblich) die größte Hauptspannung mit (JJ und die kleinste mit (J3 bezeichnet. errechnet sich die maximale Schubspannung nach (22.28)
399
22.5 Festigkeitshypothesen
oe:> Das System 22,27 hat nichttriviale Lösungen, wenn die Koeffizientendeterminante verschwin-
det (die immer existierende "triviale Lösung" 111
= "2 = "3 = 0 ist nicht
0'11-0'
0'12
0'13
0'12
0'22 - 0'
0'23
0'13
0'23
0'33 - 0'
= 0
interessant): (22,29)
Diese Bedingung würde (mit etwas mühsamer Rechnung) auf einc Gleichung 3, Grades führen, aus der man (auch nicht ganz mühelos) drei (reelle) Lösungen errechnet 3 Zu jeder Lösung gehöft ein Nonnalenvcktor, der die Schnittfläche dcfiniert und auch aus 22,27 berechnet werden kann,
22.5 Festigkeitshypothesen Die zulässigen Spannungen werden im Allgemeinen mit Hilfe der Spannungswe11e ennittelt, die durch den Zugversuch (einachsiger Spannungszustand) gewonnen werden (Abschnitt 12,3 und Kapitel 13), Ein Bauteil ist aber in der Regel nicht nur einem einachsigen Spannungszustand unterworfen, so dass die Frage beantwortet werden muss, wie das gleichzeitige Auftreten verschiedener Spannungen (wie zum Beispiel beim ebenen Spannungszustand) beim Vergleich mit einer aus einem recht einfachen Modellversuch gewonnenen Spannung beurteilt werden muss, Naheliegend ist die Berechnung der Hauptspannllngen, um diese einzeln mit der zulässigen Spannung zu vergleichen, Dabei bleibl die Frage offen, welchen Einfluss die gleichzeitige Wirkung der anderen (bcim Zugvcrsuch nicht vorhandencn) Hauptspannungcn hat. Um einen beliebigen Spannungszustand mit dem O',u!. das auf Versuchcn mit einem einachsigen Spannnngszustand basiert, vergleichen zu können, wurden zahlreiche Fes!igkeifShYPofhesel1 entwickelt, die alle der Ermittlung einer so genannten Vergleichsspallllul1g O'v dienen, mit der dann der Spannungsnachweis durchgeftihrt wird, Im Idealfall müsste die Vergleichsspannllng als Repräscntant aller wirkenden Spannungen die Veränderungen des Materialvcrhaltens (insbesondere das Fließen und das Versagen durch Bruch) bei den gleichen Wet1en hervorrufen, bei denen sie bei einem einachsigen Spannllngszustand (Zugversuch) auftreten, Leider gibt es die ideale, für alle Werkstoffe gleichermaßen gültige Festigkeitshypothese nicht. Deshalb werden im Folgenden die drei gebräuchlichsten Hypothesen vorgestellt. Bci mchrachsigen Spannungszuständen wird aus dcn crmittclten Spannungen auf der Basis einer geeigneten Hypothese eine Vergleichsspanl1ul1g O'v berechnet, mit der dann der Spannungsnachweis (22.30) durchgeführt wird, 3 So wird man llatürlich 22.27 nichl lösen, denn diese Form des homogenen Gleichungssystems ist ein so genanntes Spezielles Matri:ßlleigenwenproblem. Daftjr gibt es neben einer ausgefeilten Theorie eine große AnzahlleislUngsfä-
niger Berechnungsverfahren. Ausftihrliche Informationen mit Beispielen findet man auf der Inlernct-Site Marhemalik fiir die Tee/mische Mecluwik (www.TM-Mu(he.de). siehe auch den Hinweis auf Seite 419.
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
400
22.5.1 Normalspannungs- und Schubspannungshypothese Die NormalspannungshYPofhese geht von der Annahme aus, dass "die größte auftretende Normalspannung für cin cvcntucllcs Vcrsagen dcs Matcrials verantwortlich ist". Das Maximum dcr Absolutbeträge der Hauptspannungen ist also die Vergleichsspannung4 der NormaJspannungshypothese (Hypothese der größten Hauptspannung): max(IO"II .
O"V.I =
10"21· 10"31)
:s: 0",,,1
(22.31)
Für den räumlichen Spannungszustand werden O"J, 0"2 und 0"3 aus 22.29 berechnet. Für den ebenen Spannungszustand entfallt 0"3, und die bei den anderen Hauptspannungen berechnet man entsprechend 22.6 aus 0"1.2 =
O"x+ 0")'
--2- ±
J
(O"x - 0")')2
4
2
+ ",)'
(22.32)
Die Normalspannungshypothese wird vornehmlich rür spröde Werkstoffe (z. B. Grauguss) verwendet. Die Schllbsponnllngshypolhese geht von der Annahme aus. dass "die größte auftretende Schubspannung für ein eventuelles Versagen des Materials verantwortlich ist". Also werden die maximalen Schubspannungen (Hauptschubspannungen) des ebenen bzw. räumlichen SpannungsZllstands 22.8 bzw. 22.28 mit der maximalen Schubspannung des einachsigen Spannungszustands, wie er beim Zugversuch entsteht, vergl;chen, Nach 22.3 (Seite 388) gilt für den einachsigen SpannungsZllstand I
!max =
'2 (Jma:r
und daraus folgt die Vergleichsspannung für die Schubspannungshypothese: OV,2 =
2 'tmax :S
(Jztll
(22.33)
Pür den räumlichen Spannungszustand müssen zunächst 0"1, 0"2 und 0"3 aus 22.29 berechnet werden, um dann "mux aus 22.28 zu berechnen, Für den ebenen Spannungszustand kann bei bekannten Hauptspannungen "",ax aus 22.8 berechnet werden. Anderenfalls liefert die Kombination von 22.33 mit 22.8 und 22.6 die Pormel: O"V.2 =
J
(O"x - 0")')2
+ 4 "x~ :s: G,al
(22.34)
Die Schubspannungshypothese liefert für zähe Werkstoffe (z. B. Stahl) recht gute Ergebnisse, wird aber heute nur noch selten verwendet, weil im Allgemeinen mit der nachfolgend behandelten Gestaltänderungshypothese eine noch bessere Annäherung an die Realität erz.ielt wird. 4
Das Symbol für die Vergleichsspannung (jv wird zur Unterscheidung der einzelnen Hypothesen mit einem zusätzlichen Index versehen. Es gilt av, I für die Normalspannungshypolhcse. OV.2 ruf die Schubspannungshypothese und OV.J ruf die G~tah~inderungshypolhese.
22.5 Festigkeitshypothesen
401
22.5.2 Gestaltänderungshypothese Die Geswltänderullgshyporhese geht von der Annahme aus, dass ,.die Materialbeanspruchung ausschließlich durch die Veränderung der Gestalt und nicht durch die Volumenänderung hervorgerufen wird". Hier soll nur die sich nach dieser Theorie ergebende Formel ohne die (etwas aufwendige) Herleirung angegeben werden.
Gestalländerungshypothese: UV,3 =
J~[(UI-U2J2+(U2-U3J2+(U3-UI)2] $ UZ"'
(22.35)
Für den räumlichen Spannungszustand werden UI, U2 und U3 aus 22.29 berechnet. Für den ebenen Spannungszustand entfällt U3 in 22.35, so dass sich folgende Formel ergibt: (22.36) Die Gestaltänderungshypothese ist die für zähe Werkstoffe gegenwärtig am häufigsten verwendete Hypothese. Deshalb soll am Beispiel 22.36 die Betrachtung einiger Spezialfalle auf die Besonderheiten dieser Hypothese aufmerksam machen: oe:> Dcr cinaehsige Spannungszusland mit Ux = Uo,
u, = 0 und
'l:xy =
0 ist in der Gestaltände-
rungshypothese sinnvoll enulalten und fUhrt auf
-ro, Ux = u,. = 0 führt auf UV.3 = V3-ro $ u,"r
oe:> Reine Schubbeanspruchung mit 'l:X)' =
In der Gestaltänderungshypothese steckt also die Annahme ~;:; =
V3 (in der Schubspan-
nungshypothese steckt die Annahme (Ir'''' = 2). Wenn die durch Versuche ermittelten Werte :IIJ deutlich von dieser Annahme abweichen, ist es üblich, die Hypothese mit einem Korrekturfaktor zu verfeinern (vgl. das im nächsten Abschnitt erwähnte Allsrrellgungsverhälrnis). oe:> Gleichmäßiger Zug (ohne Schub) mit Ux =
ery =
Uo (gleiche Zugspannung in zwei senkrecht
aufeinander stehenden Richtungen) führt auf UV,3 = Uo
$
U,",
und wird damit nach der GestaJtänderungshypothese als nicht geHihrlicher flir das Material als eine Zugspannung in nur einer Richtung angesehen. oe:> Dagegen liefert Zug in eiller Richtung und Druck in der dazu senkrechten Richtung nach
der Gestaltänderungshypothese höhere Vergleichsspannungen, was mit der Vorstellung über diese Beanspruchung gut übereinstimmt (die Druckspannung "unterstützt" genau die Verformung, die durch die Querkontraktion infolge der Zugspannung hervorgerufen wird), zum Beispiel erhält man mit Ux = Uo, u, = -0(), 'l:.\}' = 0: erV.3 =
V3ero $
U,",
402
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
22.5.3 Berechnung von Wellen Wellen. die für die Übertragung eines Drehmoments bestimmt sind (Antriebswellen, GetriebeweIlen, ... ), werden fast immer auch auf Bicgung beansprucht. Der mit der Biegebeanspruchung gleichzeitig auftretende Querkraftschub kann im Allgemeinen vernachlässigt werden, zumal die gröflte Schubbelastung aus der Querkraft mit der neutralen Faser der Biegung zusammenfallt. Die NormalsparulUng aus der Biegung und die Schubspannung infolge Torsion bilden den Sonderfall eines ebenen Spannungszustandes, bei dem nur cinc Normalspannung wirkt (Abbildung 22.12). Dementsprechend vereinfachen sich die Fomleln rur die Vergleichsspannungsberechnung. Nach der vorwiegend verwendeten Gestaltänderungshypothese (Wellen werden aus zähem Material gefertigt) ergibt sich aus der Biegespannung ab und der Torsionsschubspannung 'T nach 22.36 die Vergleichsspanl1ung
Abbildung 22.12: Getriebewelle. beansprucht auf Biegung und Torsion
[m vorigen Abschnitt wurdc gczcigt, dass dicse Formcl ein Vcrhältnis dcr zulässigcn Spannungen von ~ = j3 voraussetzt, was bei den dynamisch belasteten Wellen auch durch unterschiedliche Belastungsarten (vgl. Abschnitt 13.1) für die Biege- bzw. Torsionsbelastung gcstört scin kann. Dies kann ausgegLichen werden durch das Anstrengungsverhälmis ao (auch als Korrekturfaktor nach BACH bezcichnet), mit dcm dic Schubspannung in dcr Verglcichsspannungsformcl multipliziert wird:
aV,3
=
Jal+3(ao,,)2
Für Stahl nimmt dieser Korrekturfaktor Werte von ao '" 0,7 (Biegewechselbelastung, Slatische Torsionsbelastung) bis ao '" 1.5 (Torsionswechselbelastung, statische Biegebe!astung) an. Im Allgemeinen ist ao '" I (beide Belastungsarten als Wechselbelastung) ein sinnvoller Wert, zuma! statische Biegebelastung (und damit der größere Wert für ao) bei umlaufenden Wellcn ohnehin nicht gegeben ist. Für Wellen mit Kreis- oder Kreisringquerschninen gibt es auf dem Außenrand immer zwei Punktc, in denen die maximale Biegespannung mit der ebenfalls am Außenrand auftretendenmax;malen Torsionsschubspannung zusammenfällt, so dass die maximale Vergleichsspannung in einem Querschnitt mit Mb MT eJ'b.max
=
Wb
'rr,ma.T
= "'r
berechnet werden kann. Dabei muss das Biegemoment Mb bei einer Belastung in zwei Ebenen stets vorab nach
Mb = JMlx + Mly zum resultierenden Biegemoment zusammengesetzt werden. MT ist das Torsionsmoment, Wb das Widerstandsmoment gegen Biegung, Wr das Widerstandsmoment gegen Torsion.
22.5 Festigkeitshypothesen
403
Bei einem Vergleich der Formeln ftir die Widerstandsmomente 16.18 und 21.6 stellt man fest, dass für den Krcis (und auch ftir den Kreisring) W, = 2Wb
gilt. Wenn dies in die Formcl für die Vergleichsspal1nung cingesetzt wird, erhült man
OV.3 = und daraus ergibt sich eine einfache Vorschrift für die Berechnung von Wellen mit Kreis- oder Kreisringquerschnitt, die auf Biegung und Torsion beansprucht werden: Es wird ein Vergleichsl1lomelll (22.37)
MV.3 = JMf,+O,75(UDM,)2
berechnet, das den gemischten Belastung,fall Biegung-Torsion auf einen (nach der Gestaltünderungshypothese) äquivalenten reinen Biegebelastungsfall reduziert, für den M v,3 OV.3 = Wb :S 0,,,,
(22.38)
gelten muss. Wb ist das Widerslandsmoment gegen Biegung für den Kreis- bzw. Kreisringquerschnitt, UD das oben besprochene Anstrengungsverhältnis.
I Beispiel:
I
Der skizzierte Winkel mit Kreisquerschnill ist so zu dimensionieren, dass in keinem Querschnitt die nach der Gestaltänderungshypothese berechnete Spannung größer ist
als
A
(5zlI/-
Gegeben:
a = 500mm ; 0,,,/ = 200N/mm 2 b= lOOOmm ; F = 2kN
;
Berechnet werden soll der erforderliche Durchmesser du! bei einem Anstrengungsverhältnis UD = I. Der Bereich der Länge a wird nur auf Biegung, der Bereich der Länge b auf Biegung und Torsion beansprucht. Da b größer als a ist, tritt das größte Biegemoment an der Einspannung auf, und der gefahrdetc Querschnitt ist der Einspannquerschnitt. Mit dcn Momenten IMbl = F bund IM, I = Fa ergibt sich das Vergleichsmoment Mv,] = F Jb 2 +0, 75a 2
Mit dem Widerstandstlloment gegen Biegung 16.18 für den Kreisquerschnitt errechnet man:
du! =
J
N'
-32 -F . b2 + -a- =48, I mm Jr (J'zul 4
404
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
22.6 Aufgaben I
Aufgabe 22.1:
I
Mit der skizzierten Dehnmessstreifen-Roselte können die Dehnungen in drei Richtungen a, bund c gemessen werden, die jeweils um 60° gegeneinander gedreht sind.
Gegeben:
Ca
I
eb
l
ec
,
60°
c,
60°
E, v. a,
Man enllittle die Formeln, nach denen bei bekannten Dehnungen in den drei Messrichtungen und bekannten Materialkennwerten (Elastizitätsmodul und Querkontraktionszahl) a) die Hauptdehnungen, b) die Hauptspannungen berechnet werden können.
I
Bp
d,
I Aufgabe 22.2: Eine Getriebewelle mit konstantem Durchmesser d ist mit den geradverzahnten Rädern I und 2 besetzt. Zwischen der radialen Zahnkraft F, und der Umfangskraft F;, besteht iiber den Zahneingriffswinkel der Zusammenhang F, = Fu tan a
mit
a
= 20°
Am Amriebsrad 2 wird im Punkt P, das Moment Mo entgegen dem Uhrzeigersinn eingeleitet und am Abtriebs rad I im Punkt PI abgegeben.
A h
d,
;/
a
P2 a
a .,;
.,;
;
.. u \Fr
F
D
Gegeben: dl = 200mm; d2 = lOOmm; a = 500mm; d = 30mm; Mo = 50Nm;
l1() =
I.
Man ermittle
a) die Zahnkräfte Fu ', F", F;,z und F,z, b) die zur Lagerauswahl erforderlichen Lagerkräfte,
c) die Schnittgrößen in der Welle, d) Ort und Größe der maximalen Biegespannung in der Welle, e) Ort und Größe der maximalen Torsionsschubspannung in der Welle, /) Ort und Größe der maximalen VergleichsspanOllJ1g nach den im Abschnitt 22.5 behandelten drei Vergleichsspannungshypothesen. Hinweis: Die Teilaufgaben a, bund c waren bereits Bestandteil der Aufgabe 8.4.
Weitere Aufgaben findet man im lnternet unter www.TM-aktuell.de.
23 Knickung 23.1 Stabilitätsprobleme der Elastostatik Im Abschnitt 10.4 wurdc gezeigt, dass die Gleichgewichtslage eines starren Körpers (alle Gleichgewichtsbedingungen sind erfüllt) instabil sein kann, wenn die Lagerung noch eine Bewegungsmöglichkeit zulässt (z. B. bei Lagerung durch elastische Federn). So ist die vertikale Lage des starrcn Stabes in Abbildung 23,) nur stabil, wenn für die äußere Kraft die Bedingung F< Fk , = cl erfüllt ist (vgl. Beispiel I im Abschnitt 10.4). WerUl die kritische Kraft Fk , liberschritten wird, weicht der Stab seitlich aus.
Abbildung 23.1: Gleichgewichtslage (linke Skizze) wird bei F > Fkr instabil
Flir die Berechnung einer kritischcn Kraft Fk •· muSS die Theorie 2. Ordllung (Gleichgewicht Gm veiform/ell SysTem) bemüht werden. Das gleichc Phänomen kann bci deformicrbaren Stäben auch dann auftreten, wenn die Lager starr sind. Ein auf Druck belasteter Stab weicht bei einer kritischen Belastung seitlich aus (Abbildung 23.2). In dem ursprlinglich nur durch eine Normalkraft (Druckkraft) belasteten Stab entsteht eine Biegebeanspruchung: Der Stab knickt. Das Problem, die kritische Belastung von Knickstäben unter der Voraussetzung elastischen Materialverhaltens zu berechnen, wird in den folgenden Abschnitten behandelt. Die Stabknickung ist das in der Ingenieurpraxis wichtigste Stabilitä/sproblem der Elastostatik. Nachfolgend werdcn noch einige weitere Probleme dieser Art, dic in diesem Buch nicht behandelt werden können, vorgestellt. Beim Drillknicken eines Torsionsstabes geht die ehemals gerade Stabachse bei Erreichen des kritischen Torsionsmomentes in eine räumliche Kurve liber (Abbildung 23.3). Der auf Torsion belastete Stab wird dadurch einer räumlichen Biegebeanspruchung ausgesetzt.
F
EI
Abbildung 23.2: KllickRn eines elastischen Stabes
Mt
~-~~~-~ Abbildung 23.3: DrillknickeIl
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_23, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
23 Knickung
406
F
Abbildung 23.4: Kippen eines Kragträger, Beulen einer Platte und Beulen einer Schale
Wenn sehr schlanke ("brettartige") Träger mj[ stark unterschiedLichen Flächenträgheitslllomenten bczüglich der bciden Hauptachsen um dic Achsc des größercn Flächcnträgheitsmomcnts gebogen werden, kann das so genannte Kippen auftreten. Die Kraft F, die in der Abbildung 23.4 (links) nach der Theorie I. Ordnung nur eine Durchbiegung il1 vertikaler Richtung erzengt, verursacht bei Überschreiten einer kritischen Größe ein horizontales Ausweichen und eine Verdrehung. Aus einer einfachen Biegebeanspruchung wird Biegung um zwei Achsen (schiefe Biegung) und Torsion. Auch bei Flächeo.tragwerken (Beispiele: Rechteckplatte bzw. zylindrischer Behälter, Abbildung 23.4 rechts) können Druckspamlllngen oberhalb einer kritischen Belastung zum seitlichen Ausweichen flihren, so genanntem Beulen. Auch dabei kommt eine Biegebeanspruchung hinzu (aus cincr auf Druck bcanspruchtcn Schcibc wird z. B. cinc auf Bicgung bcanspruchte Platte).
23.2 Stab-Knickung Zur Einführung in die Problematik soll an dem nachfolgenden Beispiel I diese wichtige Aussage demonstriert werden: Biegeträger köllilen auch dann als Tragwerke versagen. wenn die maximaLe Spannung unterhalb der zulässigen Spannung liegt.
I
Beispiel!: I_....;_ _.... Der skIZZIerte Träger Ist durch dw Kraft F belastet. Die vertikale Abmessung 0 sei wesentlich kleiner als der Abstand der bei den Lager A und B. Gegeben:
EI = konstant, F, I, 0 (0
«
I) .
Es soll die Biegeverformung des horizontalen Teils zwischen den Lagern berechnet werden. Aus den statischen Gleichgewichtsbedingungen ergeben sicb die Lagerreaktionen zu
EI
ö'
AA
I
;:;-
J
..- F
FAH
-
FAH
jFAV
F
J;jJ
JFE
-
Z
-~i)Mb
23.2 SLab-Knickung
407
Da die vertikale Komponente FAV der Lagerreaktion bei A (wegen a q: I) deutlich kleiner ist als die Horizontalkomponente, ist es unter Umständen nicht mehr gerechtfertigt, den für die Verformungsberechnung benötigten Biegemomentenverlauf am unverformten System (nach der Theorie I. Ordnung) zu berechnen, weil FAll dann in die Verformungsberechnung gar nicht eingehen würde. Deshalb wird ("vorsichtshalber") Mb(Z) durch eine Gleichgewichtsbetrachtung am verformten System ermittelt (Theorie 2.0rdnung). Natürlich müssten konsequenterweise dann auch die Lagerreaktionen am verformten System berechnet werden, was aber in diesem Fall auf die gleichen Ergebnisse führen würde. Am geschnittenen Teilabschnitt erhält man (mit der noch unbekannten Durchbiegung v an der Stelle z) für den Momentenverlauf: Z
Mb(z) = FAvz+FAN I' = Fa.,+Fv Nach der Theorie I. Ordmmg hätte sich nur der erste Summand für den Biegemomentenveriauf ergeben. Es ist einleuchtend, dass der zweite Summand dann nicht vernachlässigt werden darf, wenn a in der Größenordnung von v liegt. Mit dieser Funktion Mb(Z) erhält man aus der Differenzialgleichung der Biegelinie 17.3 Z
11
Elv =-Mb=-Fa--Fv I für dic Berechnung der Verschiebung v mit v"+!....v=_!....'!:.z
EI EI I eine gewöhnliche inhomogene lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit konslan/en KoeJjiziemen (man beachte, dass die Begriffe "Differenzialgleichung 2. Ordnung" und "Theorie 2. Ordnung" nichts miteinander zu tun haben).
Die Lösung dieser Differenzialgleichung ist etwas mühsamer als der einfache Integrationsprozess, der bei Rechnung nach der Theorie I. Ordnung erforderlich ist. Der Leser, der mit der Theorie der Lösung solcher Differenzialgleichungen I noch nicht vertraut ist, darf (ohne die Gefahr. die nachfolgenden Überlegungen nicht zu verstehen) einfach glauben, dass
die allgemeine Lösung dieser Differenzialgleichung ist (der Skeptiker überzeugt sich durch Einsetzen, dass die Lösung die Differenzialgleichung erflillt). Dic Intcgrationskonstanten ergeben sich aus den geometrischen Randbedingungen
v(z = 0) = 0 zu
I
CL =0
v(z=I)=O
a Cl = --,--==-:sin(f{;I)
Hilfreich iSI sicher die Diskussion der Lösung der Differenzialgleichung 19.22. Man beachte besonders den Hinweis auf Seite 314 auf da Alle biSherigen Untersuchungen setzten voraus, dass die Knicklast erreicht wird, bevor der
Druckstab dcn linear-elastischen Bereich verlässt. Um dies gleich mit zu überprüfen, ersetzt der Praktiker gern die Berechnung der kritischen Kraft durch die Ermittlung der kririschen S/)(/nnung (Spannung, die beim Erreichen der kritischen Kraft im Stab wirkt)
Fk,
(Jh· = A = mit dem Schlankheirsgrad
A = l..~d
7[2
EI
1;",A
7[2
E
=~
(23.5)
und dem Trägheirsradius
I
Die kritische Spannung darf für die Gültigkeit der Euler-Formeln nicht oberhalb der Proportionalitätsgrenze l(Jpl des Matelials liegen (vgl. Abschnitt 12.3), wobei der Wert im Druckbereich dcs Spannungs-Dchnungs-Diagramms verwcndet werden muss. Wenn in dcr Formcl für die kritische Spannung 23.5 diese dnrch die Proportionalilätsgrenze ersetzt wird, kann man den nur noch von Materialwerten abhängigen Crenzschlankheirsgrad (23.6) berechnen, der die Gühigkeit der Euler-Formeln begrenzt. Beispiel: Für den Stahl S235JR (St37) mit (Jp = 190 N/mm2 und E = 2, I . lOS N/nll11 2 errechnet man .1.Q = 104. Für gedrungenere Stäbe mit kleinerem Schlankheitsgrad gelten die Euler-Formeln nicht. Gegebenenfalls kann mit einem der Verfahren für den nicht-elastischen Bereich gerechnet werden, die hier nicht behandelt werden.
r:> Der Ingenieur in der Praxis muss sich gerade bei Stabilitätsuntersuchungen vielfach an branchentypische Vorschriften halten. Die Berechnungen (auch die dafür zuständigen Normen) basieren allcrdings auf den hier behandeltcn Grundlagcn.
23 Knickung
414
23.3 Differenzialgleichung 4. Ordnung Bei Aufgaben, die auch nur etwas komplizierter sind als die im vorigen Abschnitt behandelten Probleme, kann es lästig sein, den Biegemomelllenveriauf am verformten System aufschreiben zu müssen, der als Voraussetzung für die Benutzung der Differenzialgleichung der Biegelillie 2. Ordnung erforderlich ist. Andererseits sind solche Probleme meist ohnehin nur numerisch lösbar, und es ist wlinschenswert, diese Berecbnungen so stark zu fonnaJisieren, wie es im Abschnitt 18.1 am Beispiel des Biegeträgers mit dem Differenzenverfahren auf der Basis der Differenzialgleichung 4. Ordnung demonstriert wurde. Deshalb wird hier die Differenzialgleichung 4. Ordnung für das Kniekproblelll hergeleitet, wobei auch ein veränderlicher Querschnitt und eine verteilte Längsbelastung Cf, (z. B. das Eigengewicht des Knjckstabs) berücksichtigt werden. Vorab sei noch einmal daran erinnert, dass die Theorie 2. Ordnung, die das Fundament ftir die Stabilitätsuntersuchungen darstellt, wie die Theorie I. Ordnung von sehr kleinen Verformungen ausgeht. Somit dürfen alle geometrischen Vereinfachungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, genutzt werden. Auch der differenzielle Zusammenhang zwischen Biegeverformung und Biegemoment (Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung)
M" = -E/(z) v"(z)
(23.7)
gilt weiterhin. Nur die aus der Statik bekannten Differenzialbeziehungen der Sehnillgrößen 7.1 (Seite 99) müssen modifiziert werden, weil z. B. am verformten System die Querkraft und die Normalkraft nicht mehr unabhängig voneinander sind. Die Abbildung 23.5 zeigt ein aus dem verformten Stab herausgeschnittenes Element mit diesen Schnittgrößen an beiden Schnittufern. Um die Skizze nicht noch mehr zu überladen, wurden die natürlich auch wirkenden Biegemomente nicht eingezeichnet, zumal sich die Beziehung Po _ dM" (23.8) Q- dz die aus der Statik für das unverformte Elemelll bekannt ist (vgl. Abschnitt 7.2), auch am verformten Element ergibt (übrigens auch wie in der Statik aus einer Momentenbeziehung am Elemelll).
Abbildung 23.5: Schnittgrößen FN und FQ am ver· formten Element (Biegemol11ente Mb fehlen in der
Zeichnung)
Das obcre Schnittufer ist zur Vertikalen um den Winkel a geneigt, die Schnittgrößen FN und FQ, die senkrecht bzw. parallel zur Schnittfläche liegen, verändern bis zum anderen Sehnillufer sowohl ihre Größe als auch die Richtung. Deshalb wurden stellvertretend flir die (gestrichelt angedeuteten) Schnittgrößen deren Horizontal- und Vertikalkomponenten FNI1 = FNsina
FNV = FNcosa
FQI1 = FQcosa
FQv = FQsina
und am anderen Schnittufer die "Komponenten plus Zuwächse" angegeben.
23.3 Differenzialgleichung 4. Ordnung
Der Winkel mungen
a
415
ist der Biegewinkel der Verformungslinie, rur den wegen der Kleinheit der Verfordv tana = -:::::::: sina cosa ~ I
dz
gesetzt werden darf. Aus dem Kräfte-Gleichgewicht in horizontaler Richtung
folgt nach Division durch L\.z und dem Grenzübergang L\.z -> 0:
.
~(
..)
d( ...) dz
Ilm--=--
~-o
~z
Werden in diese Gleichung die Beziehungen für FQ und Mb (23.8 und 23.7) eingesetzt, ergibt sich die unlen angegebene Differenzialgleichung 23.10. In das Kräfte-Gleichgewicht am Element in vertikaler Richtung geht ein Anteil aus der Linienlast in Längsrichtung q, ein: q,L\.z+~FNV -~FQv =q,L\.z+~(FNcosa)-~(FQsina)=0
Hier liefert der Grenzübergang (wie oben nach Division durch L\.z unter Ausnutzung der VereinfachllOgen für kleine Verschiebungen):
:z (FN - FQ
~:) =
-q,
Dies ist eine nichtlineare Beziehung (die in FQ enthaltenen Verschiebungsableitungen werden mit der ersten Ableitung der Verschiebung multipliziert), die aber linearisiert werden darf, weil das Produkt aus der Querkraft und dcr (sehr kleincn) Verschiebungsableitung im Vergleich mit der Normalkraft vemachlässigbar ist, und man erhält:
dFN dz = -q,
(23.9)
Mit dieser Beziehung könote die Normalkraft berechnet werden, die darm in die Differenzialgleichung 23.10 einzusetzen ist. Andererseits sagt die Formel 23.9 aus, dass die Nomlalkraft FN am unverformten Stab berechnet werden darf (und bei q, == 0 konstant ist), so dass sicher diese einfachcre Variante vorzuziehen ist.
Differenzialgleichung 4. Ordnung für den Knickstab:
[E/(z) v"(z)]" - [FN(Z) v'(z)]' = 0
(23.10)
Die in 23.10 eingehende Normalkraft FN(z) darf am unverformten Stab ermittelt werden. Für den Spezialfali des Knickstabs mit konstanter Biegesteijigkeitund konstanter Normalkraji vereinfacht sich 23. 10 zu v'lI! - FN v" = 0 (23.11 )
E/
Die Knickprobleme werden sowohl mit 23.10 als auch mit 23.11 durch gewöhnliche lineare
homogene Differenzialgleichungen 4. Ordnung beschrieben.
23 Knickung
416
23.4 Numerische Lösung von Knickproblemen Die analytische Lösung von Knickproblemen gelingt nur für relativ wenige Spezialfalle (und auch dann erzwingt die Eigenwcrlglcichung häufig eine numerische Behandlung, vgl. Beispiel 2 im Abschnitt 23.2). Für die numerische Lösung von Stabilitätsproblemen der Elastostatik sind das Diffcrenzenverfahren und die Methode der finitcn Elemente vorzüglich geeignet. Die Methode der finiten Elemente erfordert einige theoretische Voraussetzungen. die an dieser Stelle noch nicht behandelt worden sind (im Kapitel 33 werden dafür die Grundlagen vermittelt). Deshalb soll hier nur die Lösung der Differenzialgleichung 23.10 mit Hilfe des Differenzenverfahrcns an einem Beispiel demonstriert werdcn. Ocr erste Tcrm in 23.10 ist identisch mit dcr linken Seite dcr Diffcrenzialglcichung der Biegelinie 4. Ordnung des Biegeproblems, wofor im Abschnitt 18.1.3 bereits die Differenzenformel 18.7 angegeben wurde, so dass nur noch die Umwandlung des zweiten Ausdrucks (FN J)' behandelt wcrden muss. Da man davon ausgehen kann, dass dic Normalkraft nicht numerisch nach 23.9 berechnet werden muss, sondern für jeden Punkt des (unvelformten) Knickstabs angegeben werden kann. empfiehlt sich für die Approximation der ersten Ableitungen eine leichte Modifikation der als 18.1 angegebenen Differenzenformel: Es werden jeweils Nachbarpunkte im Abstand der halben Schritlweile links und rechts vom betrachteten Punkt einbezogen, so dass die erste Formel in 18.1 zu
.
i-2
i i-I
i+~
I 2
i h
J
.
i+1
~
.
i+2
Abbildung 23.6: h rür Zwischenpunkre wird. Bei der erforderlichen zweifachen Anwendung dieser Formel liegen die v-Werte dann doch wieder auf dem gewählten Raster mit dem h-Abstand, während die FN" Werte FLir die Zwischenpunkte "i und ,.i + eingehen (Abbildung 23.6). In zwei Schrillen entsteht der Ausdruck, der den zweiten Term in 23.10 annähert:
t"
[FNV']' ""
t"
~ [-(FNJ)i_! +(FNV')i+!] "" ~ [-FN.i ! ~(-Vi_1 +vi)+FN.i+! ~(-Vi+Vi+l)]
Damit und mit dem Ausdruck, der aus Formel 18.7 übernommen wird, kommt man zur Differenzengleichung für den Knickstab:
(23.12) Für den wichtigen Spezial fall konstanter Biegesteifigkeitund konstanter Nonnalkraft vereinfacht sich 23.12 zur
417
23.4 Numerische Lösung von Knickproblemen
Differenzengleichung des Knickstabs für EI = konst. und F N = konst.: FN
Vi-2 -
(
,,2 ) Vi_I + (2 FN ,,2 ) ( FN ,,2 ) 6+ ------eJ Vi - 4 + ----riI Vi+t + Vi+2 = 0
4 + ----riI
(23.13)
Für die Anwendung werden die für die Verformungsberechnung gegebenen Empfehlungen (Seite 319) wie folgt modifiziert:
Ein Knickstab der Länge I wird in /JA äquidistante Abschnitte unterteilt (h = .L). Dabei "A entstehen /JA + l Stülzstellen 0 .. . /JA (Achtung, die hier empfohlene Nummerierung ist anders als bei der Verfonnungsberechnllllg). Die in die DifferenzengleichlUlgen eingehenden Außenpunkte erhalten die Nummern -2, -I, /JA + I, /JA + 2.
Die nil' die Verformungsberechnung benötigten Vektoren qi und ki entfallen. Der Vektor mi (für die J1.i- Werte) wird so verwendet. wie es im Punkt @ auf Seite 319 empfohlen wird.
Da das entstehende Gleichungssystem im Gegensatz zur Verformungsberechnung homogen wird, sollten die Gleichungen als Matrizeneigenwertproblem (vgl. nachfolgendes Beispiel) formuliert werden.
Im Gegensatz zur Verformungsberechnung wird fUr das Knickproblemnicht empfohlen, die Randbedingungen zu den übrigen Differenzengleichungen hinzuzufügen. Vielmehr ist es sinnvoll. die Randbedingungs-Gleichungen zu nutzen, um die Außenpunkte zu eliminieren, weil dann das Eigenwertproblem mit symmetrischen Matrizen formuliert werden kann, was für dessen numerische Auswertung von erheblichem Vorteil ist.
Wenn ein Randpunkt in einern starren Lager gelagert ist (LosJager, Festlager, Einspannung), sollte für diesen Punkt keine Differenzengleichung formuliert werden (seine Verschiebung ist ohnehin bekannt). Es geht dann nur ein Außenpunkt in die Rechnung ein, der mit Hilfe der anderen RandbedjJlgung zu eliminieren ist.
I
Beispiel: I_....1_....1 Der skizzierte Stab mit konstantem Querschnitt ist nur durch sein Eigengewicht belastet. Es soll ermillelt werden, bei weleher kritisclle/J Länge er allein durch die Eigengewichts-Belastung knickt. Gegeben:
EI, Dichte p, Querschnittsfläche A .
r
Iz
EI,
Das Eigengewicht des Stabs bewirkt eine linear veränderliche Normalkraft (muss mit der über der Schnittstelle bei z liegenden Gewichtskraft im Gleichgewicht sein):
/?A
FN = -pgAz
Da die Biegesteifigkeit aber konstant ist. kann die Differenzengleichung
Abbildung 23.7: Stab,
23.12 wenigstens teilweise vereinfacht werden, so dass mit folgender
belaslet durch sein Ei· gengewicht
Gleichung gearbeitet wird:
Vi-2-
(
4+
h-FN.i_~ ? EI
-
)
+ [2( 6+ h
Vi-I
FN.i_~
+ FN.i+~ )J
EI
-
Vi-
(4+ " 2FN.i+~ ) EI - Vi+1 +Vi+2 =0.
23 Knickung
418
In der Abbildung 23.8 ist die gewählte Nummerierung der Punkte angedeutet (die zu eliminierenden Außenpunkte am oberen Rand haben negative Punktnummern bekommen). Die linear veränderliche Normalkraft kann mit der Punktmunmcr formuliert werden. ftir die Zwischenpunkte gilt:
FN,;±j = -pgA
T -2 -1 t 10
T
2
: 34 5
t ,
C±~) h
I ,
(- ) I
Da an den beiden Rändern in v-Richtung unverschiebliehe Lager angebracht sind, werden die Differenzengleichungen nur ftir die Innenpunkte I ... nA - I aufgeschrieben. so dass an jedem Rand nur ein Außenpunkt eingeht (der Punkt -2 am oberen Rand geht also in die Rechnung nicht ein).
,
I
n A
-------------~~-----'
/~
BgAnAh
Abbildung
23,8:
Nummerierung
der
Stützpunkte, linearer Normalkraflverlauf
Die Randbedingungen werden gleich so umgeformt. dass für die verbleibenden Außenpunkte die Vcrschicbungen durch Verschicbungen von Innenpunktcn ersctzt wcrdcn könncn: 1'0=0
MO =0 li liA
0
1'0=
=? =?
=0
MIlI\=O
~
EI
=>
-/z2(VnA-I-2VII/l+VnA+I)=O
V"A+I=-Vnl\-J
Es wird zunächst die sehr grobe Einteilung nA = 4 gewählt, so dass die Differenzengleichungen nur ftir die Punkte I. 2 und 3 aufgeschrieben werden müssen: V_I-
( 4-
3 pgAh3) ( 2 Pg Ah ) 2EI vo+ 6EI
Pg Ah 3 ) 1'0 - ( 4 - 3PgAh3) 1'1 + ( 6 - 4 2EI EI 3 5PgAh3) ( 6 Pg Ah ) 1'1- ( 4- 2EI V2+ 6EI
VI-
v2 -
VJ-
(
4-
3 3 Pg Ah ) 2EI
3 ( 4 - 5 Pg Ah ) 2EI 3 ( 7 Pg Ah ) 4- 2EI
1'2+1'3 =0
I'J
+ 1'4 = 0
1'4+1'5 =0
Die Verschiebungen der beiden Randpunkte 1'0 und 1'4 und der beiden Außenpunkte V-I und 1'5 werden mit Hilfe der Randbedingungen eliminiel1. Es wird die Abkiirzung pgAh J pgA/ 3 pgA/ 3 1(= - - - = - - - = - - EI n{ EI 64EI eingeführt, und es verbleiben drei Gleichungen für die drei Verschiebungen VI, 1'2 und 1'3:
-4+ 1.51( 6-41( -4+2,51(
-4 +12 ,5 I( 5-61(
]
[~~] VJ
[
~
]
(23.14)
0
Es ist wie bei der analytischen Lösung des Beispiels 2 (Seite 409) wieder ein homogenes lineares Gleichungssystem entstanden, das prinzipiell nach der gleichcn Stratcgie gelöst werden
419
23.4 Numerische Lösung von Knickproblemen
könnte ("Koeffizientendeterminante = 0 =;. Gleichung dritten Grades =;. K-Werte für nichttriviale Lösungen"). Dieser Weg wäre jedoch bei einer feineren Diskretisierung nicht mehr praktikabel. Aber das System 23.14 unterscheidet sich in einer wesentlichen Eigenschaft angenehm vom Gleichungssystem 23.1, das bei der analytischen Lösung erzeugt wurde: Beim Differenzenverfahren tritt auch der Eigenwert K nur linear auf, und es können alle Lösungsverfahren verwendet werden, die für Malrizeneigenwertprobleme verfügbar sind. Deshalb sollte 23.14 in der Form des so genannten Allgemeinen Matrizeneigenwerrproblems
(A - KB)x=o aufgeschrieben werden:
( [
_~
-:
I -4
_~]
_ K [ _
5
~,5 - ~,5 -~'5]) [ ~~ ] = [ ~ ]
0
-2.5
6
\13
(23.15)
0
Unter www.TM-aktuell.de findet man die Lösung dieses Malrizeneigenwertproblems mit Mallab. Der kleinste Eigenwert K des Systems 23.15 bestimmt die kritische Länge: K)
3
= 0,2742
h,=
n~ EI pgA
] 64EI KI
=
pgA .0.2742=2,60
]fEI
VPiA
Das Matlab-Script realisiert beliebig feine Diskretisierung nA. Die folgende Tabelle zeigt eiLlige Ergebnisse.
h,
nA = 3
nA = 8
2599\/ pgA EI
2 ) 635\/ pgA Et
1
nA = 100
2 1 648
\I Et
pgA
Exakt
2. 648
\I pgAEt
Dieses Beispiel wurde auch deshalb gewählt, weil es einer analytischen Lösung (gerade noch) zugänglich ist (unter anderem unter Verwendung Besselscher Funktionen für die Lösung der Differenzialgleichung). Der Vergleich mit der exakten Lösung zeigt, dass selbst das Ergebnis für nA = 4 praktischen Anforderungen genügt (aber es gibt natürlich keinen Gmnd, mit dem Computer "vorsichtshalber" nicbt auch noch feiner zu unterteilen).
WWW - Mathematik für die Technische Mechanik - WWW Matrizeneigel/wertprobleme auf der Internet-Site Mathematik/lir die Technische Mechanik (www.TM-Mathe.de) bietet u. a. folgende Themen:
I~
Spezielles und allgemeines Matrizeneigenwertproblem. Eigenwerte und Eigenvektoren Symmetrische Matrizen, positiv definite Matrizen, dünn besetzte Matrizen Überführen des allgemeinen in das spezielle Matrizeneigenwertproblem Vektoriteration, Simultaniteration. inverse Iteration, Rayleighscher Quotient Jacobi-Rotation, Givens-Rotation, Hessenberg-Form, QR-Algorithmus Lösen von Matrizeneigenwertproblemen mit Standard-Software
420
23 Knickung
23.5 Aufgaben I Aufgabe 23.1:
I.
.
..
Em Wandkran a und em Brückenkran b smd durch die Kraft F belastet (Gesamtgewicht der Laufkatze mit angehängter Last), deren Stellung jeweils im Bereich 2a veränderlich ist. Der Stützstab ist für die ungünstigste Laststellung bei vorgegebener Knicksicherheit SK zu dimensionieren. Zu bestimmen ist sein Außendurchmesser Da, wenn ein Rohr mit dem Dw:chmesserverhällllis !ft, = 1,2 verwendet wird.
Gegeben: =20kN ; a = 2m I = 6m h 5m 3 , SK E = 2, I . 105 N/mm 2 .
Aufgabe 23.2:
a
,
F
I
a
a)
fF
~
L
L
L
I
Ein Knickstab ist cntsprcchcnd dcr Abbildung gelagert. Die scharnierartigen Lager können keine Momente um die x-Achse aufnehmen, wirken jedoch in der x-z-Ebene wie Einspannungen. Das linke Lager ist unverschieblich, das rechtc Lager ist in z- Richtung versch ieblich.
Gegeben:
a)
F, I, E, a, R.
Es sollcn die bciden skizzierten Querschninsvarianten untersucht werden. Gesucht ist jeweils die Abmessung b, so dass sich für beide Ebenen die gleiche Knicksicherheit ergibt.
I
AuJgabe 23.3:
b)
;
, "I ,
~" a-
.0
.0
//
ff:,R
'/
I
3a
I
Ein Stab mit Kreisquerschnitt, dessen Durchmesser linear veränderlich ist, wird durch eine Einzelhaft auf Druck beanspnIcht.
Gegeben:
~R
, }i
"ö
I
/
I
.......
..A::'"ö -----_ F , _
d,=1,2d
d, E. I.
Man ermittle a) die kritische Last F" mit dem Differenzenverfahren bei einer Einteilung der Länge I in nA = 4 Abschnitte, b) die Matrizen A und 8 des aligemeiIJeo Matrizeneigenwertproblems (A - ,(8) x = 0 für die Einteilung der Länge I in nA = 8 Abschnitte.
Weitere Aufgaben findet man imlnternet unter www.TM-aktueU.de.
24 Formänderungsenergie Definition: Mechanische Arbeit ist das Produkt des Weges, den der Angriffspunkt einer Kraft F zurücklegt, und der in Wegrichtung wirkenden Komponente dieser Kraft Fs. Weil die Kraft entlang des Weges s veränderlich sein kann, gilt für die Arbeit W folgende Formel: W =
J
Fs ds
(24.1)
.,
Auch bei der Deformation eines elastischen Bauteils leistet eine äußere Kraft eine Arbeit, die nach 24.1 berechnet werden muss, denn aucb diese Kraft wächst entlang des Verformungsweges vom Wert Null auf ihren Endwert.
Abbildung 24.1: Belastung und Entlastung
Die geleistete Arbeit wird im l.nneren des Bauteils als Energie (.,Arbeitsvermögen") gespeichert, die wiederum dafür sorgt. dass ein elastisches Bauteil nach Entlastung wieder seine ursprüngliche Form annimmt (Abbildung 24.1).
24.1 Arbeitssatz Betrachtet wird zunächst der in Abbildung 24.2 skizzierte Zugstab, an dem eine Kraft F vom Anfangswert Null auf ihren Endwert Fo anwächst, entsprechend wächst die Verschicbnng w des Kraftangriffspunktes bis zu ihrem Endwert wo. EA Während des gesamten Vorgangs gilt immer (Formel 14.6 im Abschnitt 14. I) Fl EA w=F=-w EA I dz [dz bis der Endzustand F;,-LJ - F Fol
N
wo= EA
Abbildung 24.2: Äußere und innere Kräfte am Zugstab
erreicht ist. Dabei leistet die äußere Kraft die Arbeit Wo
Wo
W = "
J
w=o
Fdw=
J
w=o
EA
1 EA
I F;}l
l
-wdw=--w5=--=-Fowo l 2 l 2 EA 2
(24.2)
die im Kraft- Verformwlgs-Diagramm (Abbildung 24.4) als Fläche unter der linearen Flll1kLion F(w) veranschaulicht werden kann. Eine entsprechende Formel (mit dem typischen Faktor
!)
J. Dankert, H. Dankert, Technische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-8348-9840-1_24, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
422
24 Fonnänderungsenergie
ergibt sich immer dann, wenn ein linearer Zusammenhang zwischen einer Belastungsgröße und
der durch sie an ihrem Angriffspunkt hervorgcrufenen Verformung besteht. Die Arbeit, die beim Spannen einer lioearelastischen Feder mit der Federkonstanten c zu leisten ist (Abbildung 24.3). kann zum Beispiel nach 1 1 2 (24.3) Wa = "2 Foso = "2 cso
F01&IF 1
((~
.(' ~ ~ , ~,s wO'so
berechnet werden, wobei so der Gesamt- Abbildung 24.4: W im a Abbildung 24.3: Spannen einer linear-elaslischen Feder Federweg und Fo der Endwert der Kraft ist. Kraft- Weg-Diagramm Es wird nun FLir den Zugstab der Abbildung 24.2 die Arbeit der inneren Kräfte (Normalkraft FN) berechnet. Das herausgeschnittene differenziell kleine Element mit der Länge dz verlängert sich nach 14.4 um Edz, und weil die Nomlalkraft natürlich auch .,von Null auf ihren Endwert" anwächst, leistet sie am Element die Arbeit ~ FNEdz (die Gesamtverschiebung wurde in der Abbildung 24.2 willkürlich an einem Schnittllfer des Elements angetragen, so dass nur eine Kraft FN Arbeit leistet, bei einer Aufteilung auf beide Schnittufer ändert sich insgesamt nichts). Die gesamte Arbeit der Normalkraft im Stab ergibt sich nach Integration liber die Länge I, und mit FN = Fo flir das betrachtcte Beispicl und E = nach 14.3 erhält man:
f*
I
W;=
J
I
I
"2"NEdz="2
z=O
J E~ I
p,2
I p,2 I
dZ="2 6?A
(24.4)
al2
= a21
Dieses ebenso wichtige wie bemerkenswerte Ergebnis wurde von JAMES CLERK MAXWELL (1831 - 1879) und ENRtCO BETTt (1823 - 1892) gefunden. Es gilt nicht nur für den betrachteten Biegeträger, sondern für beliebige Systeme der Elastostatik. und der hier fLir Kräfte und Verschiebungen demonstrierte Zusammenhang gilt auch fLir Momente und Verdrehungen. Nach seinen Entdeckem benannt, ist es der
426
24 Fonnänderungsenergie
Reziprozitätssatz von MAXWELL und BETTt: Mit einer Eilljlllsszahl a'j kann die Verformung an einer Stelle i infolge einer Belastung an der Stelle j durch Multipllkation mit dieser Belastuog berechnet werden. Es gilt
(24.2 I)
Das Beispiel in Abbildung 24.7 demonstriel1 die Aussage des Maxwell-Bettischen Satzes: Im links gezeichneten System erzeugt die Kraft F an einer beliebig gewählten Stelle I des vertikalen Trägerteils die Horizontalverschiebung VI. Eine in Richtung dieser Verschiebung wirkende Kraft gleicher Größe (rechtes System) erzeugt ein ganz anderes Verformungsbild (mit wesentlich größeren Verformungen, das unbelastete Horizontalstiick bleibt gerade), aber fiir die an der StelJe 2 gemessene Verformung gilt (dieses und weitere Beispiele findct man unter www.TM-aktuell.de): V2
=
V)
Abbildung 24.7: VI infotge F bei ~ ist gleich V2 infolge F bei (j)
Wenn man in diesem Beispiel die Kraft F durch ein äußeres Moment M ersetzen wiirde, ergäbe sich die gleiche Aussage frjr die Biegewinkel: ~ = qJl.
':> Selbst eine ,.gemischte Aussage" ist möglich: Eine am Punkt 2 angreifende Kraft F möge am Punkt I den Biegewinkel qJ) = ßt2 F hervorrufen. Dann kann die Verschiebung am Punkt 2, die durch ein Moment M am Punkt I hervorgerufen wird, mit der gleichen EinftusszahJ berechnet werden: V2 = ßt2M (ein Beispiel dafiir siehe www.TM-aktuell.de).
Die Aussage 24.21 garantiert auch die Symmetrie der Steifigkeitsmatrizen bei der Methode der finiten Elemente (vgl. Kapitel 15. I und Abschnitt 18.2), denn in den Steifigkeitsmatrizen stehen die (reziproken) Einftusszahlen. Auch die ,.gemischten Aussagen" spiegeln sich in dieser Symmetrie wider.
Um Rechenprogramme ftirelastostatische Probleme (vgl. Abbildung 24.8) einem wirkungsvollen Test zu unterziehen, kann man Systeme mit unterschiedlichen Belastungcn in dcr Form berechnen, dass die Ergebnisse nach 24.2 I kontrolliert werden können (ist auch ein wirkungsvoller Test dafiir, ob man diese Programme richtig bedient). Knotenverschiebgn.: 3
u1 x • 0.0952381 ul y = -0.7943019
14
u2x • -0.0952381 u2y' -0.2900081
9',:----o;:i:----o ~»';;..--~Ö
u3x u3y u4x u4y
= 0.00201 091 • -0.2900081 = 0.00201091 = -0.3133148
Abbildung 24.8: Maxwell-Bctti f1ir Fachwerke (u2y im linken Fachwerk = u3y im rechten Fachwerk, berechnet mü dem Programm ..Slatiscb unbestimmte ebene Fachwerke (FEM)"" unter www.TM-interakljv.de)
427
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie Neben der Lösung der Differenzialgleichungen (Randwertprobleme), die die Verformungen elastischer Systeme beschreiben (Kapitel 14 bis 21), bieten sich als Alternative zahlreiche Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergic an, die in der Mehrzahl der Fälle (insbesondere bei praxisrelevanten Problemen) effektiver, häufig sogar die einzig praktikablen Vert'ahren sind. Die wichtigsten Verfahren werden hier kurz vorgestcllt (und bewertet), cinigen werdcn noch spezielle Abschnitte in diesem Buch gewidmet. Die Verfahren sind für alle Belastungsarten (wie sie z. B. auf der Seite 424 zusammengestellt sind) anwendbar. Hier werden zunächst ausschließlich die Verformungen infolge von Biegemomenten betrachtet.
Arbeitssatz Der Arbeitssatz 24.5 in der schlichten Formulierung Wi = W" eignet sich zur Bcrechnung von Verformungen am Angriffspunkt einer äußeren Last. Die Formänderungsenergie Wi kann (mit gegebenenfalls mehreren Summanden) nach den Formeln 24.1 I bis 24. 17 aufgeschrieben werden (Iüer soll nur 24.12 berücksichtigt werden), für die Arbeit der äußeren Last gilt 24.6.
I
Beispiel I: I_....;_ _.... Für dcn sklZztcrten Trägcr soll dlc Abscnkung griffspunktes berechnet werden.
"F
des Kraftan-
I d
I
I
EI = konstant, F, a.
Gegeben:
Die Skizzc untcn zeigt dic Lagcrreaktioncn und dic Koordinatcn, auf dic sich die Biegemomentenverläufe beziehen: F F
Mbl = -Fz i
MhZ = 3Z2
Mb3 = -3Z3
EI d
N
B
,I
a
Damit kann der Arbeitssatz formuliert werden (auf der linken Seite steht die Arbeit der Kraft F entlang dcs Weges VF, auf der rechten Seite dic Summe der Formänderungsenergien der drei Trägerabschnitte): I
I J" (-FZ I )2
2 FvF =2
EI
~I
=0
I J2"
dZ I + 2
(~Z2)2
I J" (_f Z3 )2
~dZ2+2
~2=0
~,
dZ3
Da die Schnittgrößen in die Fonnein für die Formänderungscnergie quadratisch eingehen,
spielt ihr Vorzeichen keine Rolle. Deshalb dÜlfen auch die Koordinaten für die einzelnen Abschnitte eines Trägers beliebig gewählt werden (auch z. B. gegenläufig, was bei Anwendung der Differenzialgleichung der Biegelinie zu höchster Aufmerksamkeit gezwungen hätte).
428
24 Fonnänderungsenergie
oe:> Eine Verformung ergibt sich positiv, wenn sie den gleichen Richtungssinn wie die äußere
Belastungsgröße hat. Dies gilt für eine Verschiebung, die am Angriffspunkt einer äußeren Kraft berechnet wird, ebenso wie für eine Verdrehung, die am Angriffspunkt eines äußeren Moments berechnet wird (diese Aussage gilt auch für die beiden folgenden Verfahren). Der Arbeitssatz in der Fassung 24.5 ist für die Mechanik von grundsätzlicher Bedeutung: Die von der äußeren Belastung bei der Verformung geleistete Arbeit bleibt als Energie im verformten System erhalten. Diese Aussage entspricht dem Energiesatz in der Kinetik (Abschnitte 28.4.2 und 29.5.3). Für die Berechnung von Verformungen, wie es im Beispiel I demonstriert wurde, ist der Arbeitssatz in der Fassung 24.5 aus zwei Gründen nur bedingt (bzw. nicht) brauchbar: • Mehrere äußere Belastungen können zwar berücksichtigt werden, weil diese aber mehrere unterschiedliche (unbekannte) Verformungen erzeugen, können diese nicht berechnet werden. • Verformungen an Punkten, an denen keine Einzellast eingeleitet wird, können nicht berechnet werden. Beide Mängel werden gCheilt durch die beidcn nachfolgend beschriebcncn Verfahren, dic unmittelbar auf dem Arbeitssatz basieren.
Satz von
CASTlGLJANO
Betrachtet wird noch einmal der Biegeträger mit zwei Einzeikräften (Abbildung 24.9), für den im Abschnitt 24.3 die Beziehung für die Arbeit der äußeren Kräfte 24.20 hergeleitet wurde. Diese kann mit 24.18 so aufgeschrieben werden: I
z
Wa = 2all FI
I z + 2azz Fz + alz FI Fz
(24.22)
jfl IFz ~ Abbildung 24.9: Biegelräger mit zwei Einzelkräflen
Dic partiellen Ableitungen dieses Ausdrucks I nach FI bzw. F2 ijefern mit d~ 0-- = all FI a~
+ alz Fz
=
VI
d~ 0-- = alz FI a~
+ an Fz
= Vz
genau die Verschiebungen an den Kraftangriffspunktcn I und 2 (vgl. Formeln 24.19). Dieser Zusammenhang, der hier für einen Biegeträger mit zwei Einzelkräften hergeleitet wurde, lässt sich verallgemeinern auf beliebige linear-elastische Systeme. Thre praktische Bedeutung erlangt die auf den italienischen Baumeister ALBERTO CASTIGLIANO (1847-1884) zurückgehende Aussage erst im Zusammenhang mit dem Arbeitssatz 24.5, indem nicht die äußere Arbeit partiell nach einer Belasrungsgröße abgeleitet wird, sondern die über die Schnittgrößen nach den Formeln 24.11 bis 24.17 zu formulierende Formänderungsenergie Wi . I Erinnerung an die Mathematik: Beim Bilden der partiellen Ableitung nach einer Variablen werden alle anderen Größen wie KonSlanten behandelt
429
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie
Satz von CASTlGLIANO: Die partielle Ableitung der gesamten Formänderungsenergie Wi , die in einem linearelastischen System gespeichert ist, nach einer äußeren Kraft F ergibt die Verschiebung des Kraftangriffspunktes, dic partielle Ablcitung nach cincm äußeren Momcnt M ergibt den Vcrdrehwinkel am Angriffspunkt des Moments:
oW, <po = oM
(24.23)
c:> Die Quadrate bei den Schnillgrößen in den Formeln für die Formändemngsenergie könnten bci der praktischcn Handhabung (z. B. bei MomcntcnverJäufen, die bereichsweise aufgeschrieben werden müssen) lästig sein. wenn nicht immer die Möglichkeit gegeben wäre, die ,.partielle Ableitung vor der Integration" auszufWll'en. Die partielle Ableitung darf "in das Integral hineingezogen werden, wenn der Integrand stetig ist". Diese Voraussetzung ist allerdings immer erfüllt, denn die (in den Verläufen durchaus vorhandenen) Unstetigkeiten liegen zwangsläufig an den Bereichsgrenzen, weil die Schningrößenverläufe gar nicht anders formuliert werden können. Man berechnet also z. B. die Verformung an der Stelle einer Kraft F, wenn nur Biegemomentanteile berücksichtigt werden, zweckmäßig so:
VF =
oWi 0 {)F = oF
(I J
MI,
2:
EI dz
)
=
IJ
2:
I
0 (MI,)
{)F
EI
I
dz =.
/. Mb oM" EI oF dz.
(24.24)
I
Dabei wurde berücksichtigt, dass nur MI, von F abhängig und bei der Ableitung die "Kettenregcl" zu beachtcn ist Die Lösung des Integrals nach 24.24 ist im Allgemeinen deutlich weniger aufwendig als die Integration über das Quadrat der Schnillgröße. Die mit I symbolisch angedeuteten Integrationsgrenzen sind großzügig zu interpretieren als "über alle Trägerbereiche, die gegebenenfalls auch cinen Rahmen oder ein verzweigtes System bilden können". Das ist in der Regel nur bereichsweise möglich.
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 Für den skiZZierten Tniger sollen die Absenkung VF des Kraftangriffspunktes und die Horizontalverschiebung vc des Punkte C berechnet werden.
FI
EI = konstant, F. a.
Gegeben:
-F
Mb2 =
Zl
(f + F;)
{)F
-
OMb2 ZI,
oF
Z2
3'
{)Mb3 {)F
Z3
-3'
V,z, FI Z,-~
ö N
F"
F 3+3
Z2
Die für 24.24 benötigten part.iellen Ableitungen lauten:
{)Mbl _ _
2 301
F;J
EI
Weil am Punkt C kcinc Kraft wirkt, nach dcr partiell abgeleitet werden kann, wird dort eine (später wieder Null zu setzende) Hilfskraft FH eingefiihrt Die Skizze rechts zeigt die Lagerreaktionen und die Koordinaten, auf die sich die Biegemomentenverläufe beziehen:
Mbl =
F 3
{)Mbl _ 0
Z2
{)FH
3'
-
TZ 2
.;,.
430
24 Fonnänderungsenergie
Die Hilfskraft 1"11 hat damit ihre Schuldigkeit getan, sie kann fLir die Berechnung der Verschiebungen Null gesetzt werden. Die konstante Biegesteifigkeit EI wird vor die Integrale gezogen:
Vp
2Fa 3
I = EI
I Vc = EI [
3 EI
J "3 2a I"
:3
J -"3 a
z? Z2
dZ2
Z2=0
+
I"
3
2Fa 3 9 EI
]
2Z3
Z3
dZ3
2:3=0
':> Dass bei dieser Aufgabe in Anlehnung an die Definitionen der Schnittgrößen in der Statik zum Teil mit negativen Biegemomemen gerechnet wurde, ist nicht erforderlich, im Gegenteil: Weil Mb (wie auch die anderen Schnittgrößen) in der Forn!el für die Formänderungsenergie quadriert wird (bzw. mit der eigenen paltiellen Ableitung multipliziert wird), sind für die WaW der Koordinaten und der positiven Richtungen alle Freiheiten gegeben.
Arbeiten mit Einheitslasten 2 Betrachtet wird wieder der Biegeträger mit zwei Einzelkräften (Abbildung 24.10). für den im Abschnitt 24.3 die Beziehung fLir die Arbeit der äußeren Kräfte 24.20 unter der Annahme hergeleitet wurde, dass diese nacheinander aufgebracht wurden (erst 1"" dann 1"2): I I Wo = 2 v" 1", + 2V22 1"2 + V'2 1", (24.25)
Abbildung 24.10: Kräfte werden nacheinander aufgebracht
Diese Arbeit der äußeren Kräfte kann nach dem Arbeitssatz mit der Formänderungsenergie des verformten Trägers gleichgesetzt werden. Wenn nur die Biegeanteile berücksichtigt werden, kann dies in der Form I
I
w;, = 2v " 1", +2V22F2+V\2F,
= W; =
I
2
JM~
EI dz=
I
I
2
J
(Mb
EI
®? dz
I
aufgeschrieben werden. Darin soll Mb
JM~
J
J
I
I
I
--dz+-I EI 2
Mb I --dz+EI 2
2Mb
EI
Der erste Summand auf der linken Seite ist die Arbeit der äußeren Kraft 1"" wenn ansschließlich diese wirken würde, der erste Summand auf der rechten Seite genau die dann entstehende Formänderungsenergie. Beide sind nach dem Arbeitssatz gleich groß. Die gleiche Aussage gilt für 2Die Bezeichnung für die beschriebene S[rategie wird unterschiedlich gehandhabt: Je nach Herlcirung findet man Prillzip der virtuellen Kräfte ebenso wie Arbeitssatz oder auch Mohrsclles Verfahren (nach O. Mohr. der in der Fußnote
auf Seite 391 erwähnt wird). Das Verfahren wird (wie das Verfahren nach Technik behandelt, den Arbeirssalz anzuwenden.
CASTIGLJANO)
hjcr als eine spezielle
431
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie
die zweiten Summanden, so dass sich diese vier Anteile aus der Beziehung herausheben, und es verbleibt: M/ßJ MIfiJ VI2F, =
I
.
EI
dz
I
Ein kleiner Trick führt zu ciner weiteren Vereinfachwlg und einer wichtigen Aussage: Die Kraft F, wird durch eine Einheitslast "I" (dimensionslos) ersetzt, so dass auf der linken Seite nur V,2 verbleibt. Dann musS auch MII» durch das Biegemoment ersetzt werden, das durch diese Einbeitslast erzcugt wird. Dieses wird mit Mb bezeichnet: "12 =
dz j .MbMb'lJ EI I
Die Verschiebung "12 ist dic "Verschiebung des Punktes I infolgc einer Kraft am Punkt 2", also die Versclliebung an der Stelle der Einheitslast infolge der übrigen Belastung. Es ist klar, dass dicse Aussagc auch gilt, wenn dic "übrigc" Bclastung nicht nur aus diescr cinen Kraft bestchcn würde. Deshalb wird auf der linken Seite nur "I geschrieben, wenn auf der rechlen Seite MIfiJ durch das Biegemoment Mb infolge aller Lasten (außer der Einheitslast) ersetzt wird: Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Biegeanteilen kann die Verschiebung Stcllc I berechnct wcrdcn nach MbMb "I = ------eJ dz j
"1
an emer (24.26)
/
Darin ist Mb dcr Biegcmomcntcnverlauf infolge dcr (Original-)Bclastung des Systcms, Mb der Biegemomentenverlauf infolge ausschließlicher Belastung durch eine (dimensionslose) Einheitslast "I" an der Stelle I in Richtung der zu berechnenden Verschiebung. Q
Wie beim Satz von Castigliano ist eine Modifikation von 24.26 zur Berechnung eines Verdrehwinkels möglich: Anstellc ciner Einheitskraft wird an der imeressierendcn Stellc cin (dimensionsloses) Einheitsmoment aufgebracht, mit dem der Biegemomentenverlauf Mb zu berechnen ist.
Q Auch 24.26 kann sinngemäß erweiten werden, so dass Formänderungsenergien infolge an-
derer Scbnittgrößen berücksichtigt werden. Weil allerdings eine so elegante allgemeingültige Formulierung wie für den Satz von Castigliano mit 24.23 hier nicht möglich ist, wird nachfolgend die Erweiterung von 24.26 auf alle inneren Kräfte angegeben, für die mit den Formeln 24.11 bis 24.17 die Formänderungsenergien beschrieben werden (man erkennt leicht, dass sich alle Anteile mit der gleichen Überlegung herleiten lassen, die hier für den Biegeanteil demonstriert wurde):
,,_jFNFNd EA
1-
/
z+
jMbMb d jMIM ld jf(FQFQd EI z+ GI, z+ S GA z+ I
/
~ Fc;Fci ~ MciMci ~ FsiFsil; f...,-'-'+f..., , '+f..., .. i C i CT,i i EA;
/
(24.27)
Die mit I symbolisch angedeuteten Integrationsgrenzen bedeuten auch hier "über alle Trägerbereiche", das i bei dcn Summenzeichcn bedeutet "übcr alle Federn bzw. Stäbe".
432
24 Fonnänderungsenergie
I
Beispiel 3: I_"";_ _...1 Für den skIZzIerten Träger sollen die Absenkung VF des Kraftangriffspunktes und die Horizontalverschiebung Vc des Punktes C berechnet werden (Aufgabe ist identisch mit Beispiel 2).
Gegeben:
IF zJ
F "3 i I I I I
EI = konstant, F, a.
Die mittlere Skizze zeigt die Lagerreaktionen und die Koordinaten, auf die sich die Biegemomentenverläufe für das Originalsystem beziehen:
F
-
2
3
z1
..{'
-3
a
F~
2
3
Z,---1
I
I 3
z,
F
M b3 =
-"3 Z3
Die FLir die Verschiebung des Kraftangriffspunkles erforderlichen M b- Verläufe infolge einer Einheitslast an dieser Stelle sehen genauso aus (allerdings eine I anstelle F). Die Mb-Verläufe Hir die Berechnung der Verschiebung des Punktes C ergeben sich aus der rechten Skizze: _ _ I _ 2 Mbl=Ü Mb2='jZ2 Mb3='jZ3 Damit können die gesuchten Verschiebungen nach 24.26 aufgeschrieben werden. Die konstante Biegesteifigkeit EI wird vor die Integrale gezogen: 2 Fa 3 3 EI
c:> Man erhält (selbstverständlich) die gleichen Ergebnisse wie bei der Berechnung nach dem Satz von Castigliano. Aber auch die Integrale, die zu den Ergebnissen fUhren, sind identisch. Auch wenn sich die beiden Strategien in der Begründung deutlich unterschieden, sieht man doch die enge Verwandtschaft der bcidcn Verfahrcn, dic sich schon in den FOnllCln 24.24 und 24.26 zeigte: Die partielle Ableitung des Biegemoments nach einer Belastungsgröße, die in den Schnittgrößen immer nur als linearer Faktor auftaucht, macht diese zur "Einheitslast I", mit der das Biegemoment Mb erzeugt wird.
c:> Der Hinweis für die Anwendung des Arbeitssatzes und des Satzes von Castigliano, dass die Wahl der Koordinaten und die damit verbundene Festlegung positiver Schnittgrößen bedeulllngsJos ist, weil letztere in den Formeln der Formänderungsenergie quadratisch auftreten, gilt mit einer kleinen Einschränkung auch für das Arbeiten mit Einheitslasten: Die Festlegung kann FLir jeden Integrationsbereich beliebig erfolgen, muss jedoch für das Aufschreiben der Schnlttgrößen für die Originalbelasmng wld der Schnlttgrößen fllr die EinJleitslast gleich sein.
433
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie
Die beiden sich aus dem Arbeitssatz ableitenden Strategien zur Berechnung von Verformungen (Satz von Castigliano und das Arbeiten mit Einheitslasten) sind nicht nur verwandt, sondern beinahe identisch. Persönliche Präferenzen mögen entscheiden, ob man lieber die Schnittgrößen einmal berechnet und dann formal partielle Ableitungen bildet oder ob man zwei Schnittgrößenverläufe (aus Originalbelastung und aus Einheitsbelastung) ermittelt. Die Verfahren können deshalb einheitlich bewertet werden: • Die Verfahren sind für dic Bcrechnnng von Verformungen an einzelncn spezicllen Punkten außerordentlich effizient. Der Anwender kann frei entscheiden, welche Einftlisse berücksichtigt werden sollen (z. B.: Biegung mit oder ohne Erfassung der Querkraftanteile odcr spezicll bei Rahmcn Bcrücksichtigung oder Vcrnachlässigung dcr Normalkraft). • Der (vermeintliche) Nachteil (z. B. im Vergleich mit der Verformungsberechnung nuttels Differenzialgleichung der Biegelinie), dass man die Verformung nur an speziellen Punkten erhält. ist (wegen der damit verbundenen Beschränkung des Aufwands) häufig als Vorteil zu sehen, wenn (wie für die Behandlung statisch unbestimmter Probleme) ohnehin nur diese Ergebnisse gefragt sind. • Die für die Berechnung zu lösenden bestimmten Integrale enthalten (bei zunlindest stückweisc konstantcr Bicgcstcifigkcit) nur Funktionen, die problemlos sogar per "Handrcchnung" zu behandeln sind. • Die Universalität der Anwendbarkeit drückt sich besonders in der eleganten Formulierung des Satzes von Castigliano 24.23 aus. Diese Fornleln gelten auch flir linear-eLastische Bauteile, die hier nicht behandelt werden (Platten, Schalen, ... ). Aber natürlich ist auch eine Erweiterung von 24.27 möglich. Aus den genannten Grlinden wurden in der Vcrgangcnheit die etwas aufwendigeren strukturmechanischen Probleme (Fachwerke, statisch unbestimmte Durchlaufträger, biegesteife Rahmen, Bauteile mit gemischter Belastung, ...) vornehmlich mit diesen Verfahren gelöst. Das ist (zumindcst in der technischen Praxis) vorbei. Wenn ein Computerprogramm verfügbar ist, das für beliebig komplizierte Strukturen alle hier beschriebenen Einflüsse exakt erfasst. dann kann die Handrechnung natürlich nicht konkurrieren. Solche Programme sind verfügbar. Das heißt nicht, dass die Verfahren damit überflüssig sind. Für spezielle Probleme ist ihre Anwendung immer noch sinnvoll, deshalb werden in den beiden folgenden Abschnitten auch noch einige Beispiele behandelt. Außerordentlich nützlich können die Verfahren auch zur Verifizierung von Ergebnissen der Computerrechnung sein. Aber: Das Trainieren der Handrechnung mit speziellen Hilfsmitteln (Rechenschemata, Algorithmenblättern) ist nicht mehr zeitgemäß. Und auch die früher sehr bclicbten "Koppeltafeln" zur Auswertung der Integrale haben ausgedient, denn für die Probleme, flir die die Verfahren heute noch angewcndet werden, helfen sie meistens ohnehin nicht. und Integrale sind ja selbst für Taschenrechner kein Problem mehr.
_"'_1""'".:0· 's:J'
:-;. ;....
1·
Abbildung 24.11: .,Koppeltafein" haben ausgedient
434
24 Fonnänderungsenergie
24.5 Statisch bestimmte Probleme Bei der Berechnung statisch bestimmter Probleme sollten folgende Hinweise beachtet werden:
0::> Beim Verfahren von Castigliano ist konsequent auf alle Abhängigkeiten von der Belastungsgröße, nach der abgeleitet wird. zu achten. Insbesondere sollten die Lagerreaktionen, die natürlich auch von der Belastuogsgröße abhängen, (bei statisch bestimmten Systemen) vor der Bildung der partiellen Ableitung ersetzt werden. Für statisch unbestimmte Systeme kann diese Aussage etwas abgeschwächt werden (vgl. folgenden Abschnitt). oe;> Die Bezeichnung der Belastungsgröße. nach der beim Verfahren von Castigliano abgelei-
tet wird, muss eindeutig sein. Wenn z. B. in der AufgabensteIlung mehrere Kräfte mit F bezeichnet sind, ist die Kraft, an deren Angriffspunkt eine Verformung berechnet werden soll, (vor dem Ermitteln von Lagerreaktionen, Schnittgrößen, ...) umzubenennen. Dies darf nach der partiellen Ableitung und damit vor der Integration rückgängig gemacht werden. Bei Nichtbeachtung dieses Hinweises ist das Ergebnis die Summe aller Verformungen unter den Belastungen mit gleichen Bezeichnungen, was im Ausnahmefall allerdings sogar sinnvoll sein kann. Die Beachtung dieses Hinweises kann auch beim Arbeiten mit Einbe.itslasten den Aufwand für das Aufschreiben der unterschiedlichen Schningrößenverläufe verringern.
I
Beispiel 1: I_....;_ _.... EIIl III der HOflzontalebene zweIfach abgewlllkelter Träger mit Kreisquerschnitt (Dw'chmesser cl) ist in allen drei Abschnitten aus gleichem Material mit dem Elastizitätsmodul E und dem Gleitmodul C gefertigt. Gegeben:
F, E, C, a. b, c, cl.
Unter Vernachlässigung des Querkrafteinftusses sollen folgende Verformungsgrößen bestimmt werden: a) Vertikalverschiebung VF des Kraftangriffspunktes am freien Trägerende, b) VerdrehwinkeJ qJFz um die zl-Achse am freien Trägerende.
Folgende Lösungsschritte werden empfohlen: • Fiir das Verfahren von Castigliano wird ein Hilfsmoment MHz zur Bestimmullg des gesuchten Verdrehwinkels eingeflihrt, und die Kraft am freien Trägerende wird in FI umbenannt, um Eindeutigkeit flir die partielle Ableitung zu bekommen (Abbildung 24.12).
~ Flz;~* v~~k/1z~ z3.;rX t
,
,
3
Y2
Y3
M ',-Hz
,
'"'-
Y\
Abbildung 24.12: System für das Arbeiten nach CastigUano
• Bereitstellen der Schnittgrößen (Biegung um die horizontale Achse und Torsion in aJ len drei Abschnitten), beim Verfahren nach Castigliano fur das System der Abbildung 24.12, rur das Arbeiten mit Einheitslasten rur die drei Systeme entsprechend Abbildung 24.13 • Beim Ved'ahren nach Castigliano werden die partiellen Ableitungen der Schnittgrößen nach F\ und MHz gebildet, beim Arbeiten mit Einheitslasten sind die entsprechenden FlLllktionen als Mb; bzw. M,; nach Abbildung 24.13 gegeben.
24.5 Statisch bestimmte Probleme
435
Abbildung 24.13: Systeme für das Arbeiten mit EinheitslasteIl
• Berechnen der Verformungen nach 24.23 unter Ausnutzung von 24.24 (Castigliano) bzw. 24.27 (Arbeiten mit Einheitslasten), wobei die Integration jeweils über alle drei Bereiche zu erstrecken ist. Die Rechnung ist flir beide Verfahren identisch. Um dies zu demonstrieren, wird die Formel für VF nach der Vorschrift von Castigliano aufgeschrieben, die Formel flir ([IFz nach der Vorschrift des Einheitslastverfahrens. Die nachfolgende Tabelle enthält die Schnittgrößenverläufe Mb; und M,; flir die drei Abschnitte und die für die Verfonnungsberechnungen nach Castigliano benötigten partiellen Ableitungen nach F I und MHz, die mit den Mb; bzw. M,; (für das Einheitslastverfahren) identisch sind (die in Klammem bocbgestellten Indizes bei Mb; bzw. M,; deuten an, ob diese Schnittgrößen flir die Berechnung von VF oder ([IFz vorgesehen sind). i
Mb;
dMb; oFI
I
-FtZt
-ZI
0
2 3
-Z2
-I
-FI (c + Z3) - FZ3
-FI~2
-Milz
F I = F , Milz = 0
Mb;
Mt;
-('1',.,)
Mo;
oFI
0
-Milz Ftc
0
-(C+Z3) -(li,.,)
dM,;
dMb; dMHz
-Flb-Mflz
FI
= F . Milz
= 0
dM'i dMHz -I
0
c -b
-I
M("F)
-('1',',)
11
Vor der Integration dürfen F I = F und MHz = 0 gesetzt werden. Man errechnet:
Mli
436
24 Fonnänderungsenergie
I
Beispiel 2: I_ _ _.....I Fur die skIZZierte B,egefeder mit etnem Rechteckquerschnitt konstanter Höhe ( bei linear veränderlicher Breite soll die Absenkung des Kraftangriffspunktes berechnet werden. (, bo, bl , I, F, E.
Gegeben:
KA
-///
~
o
Z
.0, C::=========J~ 1I2 l/2 j.ol 1 [
Mit dem Biegemomemenverlauf für die linke Symmetriehälfte (bezüglich der skizzierten Koordinate z) und seiner partiellen Ableitung nach F bzw. dem Mb infolge einer Einheitslast in Trägermitte
und dem ebenfalls mit
z veränderlichen Flächenträgheitsmomem (3 b(z) I(z) = ~12- =
(3
12
[
Z]
bo+2(b l -bol 7
kann die Formänderungsenergie für eine Hälfte des Trägers aufgeschrieben werden. Für den gesamten Träger gilt dann der doppelte Wert, so dass sich entsprechend 24.24 bzw. 24.27 die Verschiebung VF des Kraftangriffspunktes aus dem folgendcn Integral berechnet:
~
v = 2
F
~
J EI(z)
J EI(z)
Mb(Z) ()Mb(Z) d = 2 ()F Z
z=o
Mb(Z) M ( ) d bZ Z
Z=O
' J % [bo+2(b,-boJil I
=2
,=0
IFz
_l
'2
6FIJ' I
I - z dz
2
Z2
= - -3 dz Et ,=0 Ibo+2(b, -bolz
Die verändcrliche Biegesteifigkeit führt auf ein lntegral, dessen Lösung elwas mehr Mühe bereitet. In diesem Fall findet man die Lösung recht problemlos: VF =
3F 13 2 8Et3bo(ß _1)3 (ß -4ß +3+2Inß)
. ß =b,-
mit
bo
L-:> Die Lösung gilt für jedes sinnvolle Breitenverhältnis ß. Typisch für solche Probleme mit veränderlichem Querschnitt ist jedoch, dass bei ß = I (Träger konstanter Breite) gerade für
den einfachsten Spezialfall, mit dem man die Lösung gem kontrollieren würde, die Formel versagt. Eine Grenzwertbetrachtung entsprechend
durchgeführt nach der aus der Mathematik bekannten Regel von OE L' HOSPITAL, liefert im dritten Versuch das Ergebnis, das als Fall a* im Abschnitt 17.4 angegeben ist: F
vr(ß
t3
= I) = 4Et3bo
F 13
48Elo
bO,3
mit
10
= 12
437
24.6 SLatisch unbeslimmLe Probleme
24.6 Statisch unbestimmte Probleme Systeme sind statisch unbestimmt gelagert, wenn man allein mit den GJeichgewichtsbedingungen die Lagerreaktionen (und damit die Schnittgrößen) nicht berechnen kann. In den Kapiteln 14 bis 21 wurde gezeigt, wie mit Verformungsbetrachtungen auch solche Probleme gelöst werden können (zusätzliche Lager gestatten immer zusätzliche Verformungsaussagen). Da mit den Verfanren auf der Basis der Formänderungsenergie die Verformungen an einzelnen Punkten sehr effektiv berechnet werden können, eignen sich diese Verfahren in besonderem Maße für die Berechnung statisch unbestimmter Systeme. Das nachfolgende Beispiel demonstriert das typische Vorgehen im einfachsten Fall: Das "überzählige" Lager B wird durch eine Kraft (Lagerlaaft FB) ersetzt. Dann kann man die Verschiebung des Kraftangriffspunktes VB berecnnen. Da aber an dieser Stelle gerade keine Verschiebung auftreten kann, liefert die Bedingung VB = 0 eine Bestimmungsgleichung tür die gesuchte Lagerkraft.
I
Beispiel J .. I_....;_ _.... Für das skIZZIerte System mit konstanter BIegesteifigkeit sollen die Lagerreaktionen bei A und 8 sowie die Horizontalverschiebung VH und die Vertikalversehiebung VF des Kraftangriffspunktes ermittelt werden (Normallkraft- und Querkraftanteile dürfen vernachlässigt werden). Gegeben:
EI = konstant, F, a.
Das System ist einfach statisch unbestimmt. Als "Statisch Unbestimmte" wird die Lagerkraft F8 gewählt. Dann dürfen die übrigen Lagerreaktionen in den Biegcmomcnrenverläufen nicht vorkommen.
Da auch die Horizontalverschiebung des Kraftangriffspunktes gesucht ist, wird dort die Hilfskraft FH angebracht3 Die Verschiebungen in Richtung der Kräfte F, FH und F8 werden dann mit Hilfe der partiellen Ableitungen der Formänderungsenergie des Gesamtsystems nach diesen Kräften (Verfahren von Castigliano) berechnet, wobei die Verschiebung am Lager B verhindert ist, so dass diese "Verschiebungsgleichung" zur Bestimmungsgleichung für die Lagerkraft wird. Die Tabelle enthält die Biegemomentenverläufe (bezogen auf die nebenstehend skizzierten Koordinaten) und die benötigten partiellen Ableitungen: i
Mbi
JMbi JFB
JMbi JF
I
FZ 1 FBZ2 FB(2a + Z3) + FHz3 - Fa
0 Z2 2a+Z3
Z,
2 3
0 -a
JMbi JFH 0 0 Z3
310 den Abschnüten 24.4 und 24.5 wurde gezeigt dass das Verfahren von Castigliano und das Eioheilslaslverfahren hinsichtlich StraIegie und Aufwand identisch sind. Deshalb wird in diesem und den folgenden Beispielen nur noch ein Verfahren (Casligliano) demonstriert. Wer lieber zusätz.liche Schningrößenvertäufe (in folge von Einheitslasten) formuliert als partielle Ableiwngen bildet. solltc das Ei,nheitslastverfalu·cn verwenden. Schon die Tabelle. in der dje Schningrößen und ihre partiellen AbleilUngen ZU!'l3mmenge!)teltt werden. bt rur beide Verfahren idenljsch.
438
24 Fonnänderungsenergie
Die Hilfskraft FII darf wieder Null gesetzt werden, und die Lagerkraft 1;8 wird berechnet:
vn=~W;=~{ J2"FnZ~dZ2+ [" aFn EI. ::2=0
[Fn(2a+Z 3 )-Fa](2a+Z3 )dZ3 } =0
=}
Fn=~F. 18
rtJ.q>
LI
=-
r
Diese Beziehung wird nach LI = re, umgestellt und in die Formel für e, eingesetzt, so dass ein Zusammenhang zwischen den beiden Dehnungen entsteht:
e,
d
de,
= -dr (re,) = e, +rdr
Ersetzt man in dieser Beziehung die Dehnungen nach dem Hookesehen Gesetz
e, =
I
E(a, -
va, )
e, =
I
E (a, -
va,)
(25.1)
(vgl. FomJeln 22.9) durch die Spannungen, ergibt sieh eine zweite Gleichung fUr a, und a,. Die bei den Spannungen können also berechnet werden aus den beiden
Differenzialgleichungen für die Spannungen des rotationssymmetrischen ebenen Spannungszustandes: I' d - -(0-,1) + 0-, - 0-, = -rJ I dr (25.2)
~ I +v
Radialverschiebung:
(da,dr _~v da,) +0-,-0-, =0 dr u = re, =
r
E (0-, -
v 0-,)
(25.3)
Die Gleichungen 25.2 sind zwei gewöhnliche lineare gekoppelte Differenzialgleichungen mit veränderlichen Koeffizienten. Ihre allgemeine Lösung enthält zwei Integrationskonstanten, die aus Randbedingungen bestimmt werden müssen. Weil dafür auch Aussagen über die RadialverSChiebung LI gemacht werden können. wurden die Differenzialgleichungen 25.2 um die Formel 25.3 ergänzt. Die Aussagen über die Spannung 0-, und/oder die Radialverschiebung LI mUssen am Innenund Außenrand der Kreisringscheibe formuliert werden (Aussagen über 0-, sind nicht möglich, weil diese Spannung an keiner freien Fläche liegen kann). Bei einer Vollscheibe, die keinen Innenrand hat, wird die fehlende zweite Randbedingung durch die Aussage ersetzt, dass der Verschiebungszustand keine Singularität aufweisen darf. die sich in diesem Fall fUr I' = 0 ergeben wUrdc, und nur vermieden werden kann, wenn eine lntegrationskonstante den Wert 0 annimmt (vgl. die Lösung rur die Scheibe konstanter Dicke 25.6 auf Seite 449, die nur für C2 = 0 sinnvolle Werte liefern kann).
Die allgemeine Lösung von 25.2 kann nur für wenige spezielle Funktionen 1(1'), die die Veränderlichkeit der Scheibendicke bestimmen, berechnet werden (es gelingt z. B. für die recht wichtigen "hyperbolischcn Profilc" mit 1= ;'!c bci bclicbigem c und beliebigem Il). FUr alle denkbaren Funktionen I(r) bieten sich natUrlieh numerische Methoden als Lösungsverfahren an (z. B. das Differenzenverfahren, weil die Differenzialgleichungen linear sind). FUr Scheiben konstanter Dicke wird im folgenden Beispiel die geschlossene Lösung ermittelt.
448
25 Rotationssymmetrische Modelle
I
Beispiel J: I_"";_ _...1 Für eine mtt konstanter Winkeigeschwllldtgkett w umlaufende Kreisscheibe konstanter Dicke 10 sollen die allgemeine Lösung der Differenzialgleichungen 25.2 und die Radialverschiebung u(r) nach 25.3 bereitgestellt werden. Gegeben:
W, 10 = konstant, Dichte
p.
Die an einer rotierenden Masse auftretenden Fliehkräfte berechnen sich aus dem Produkt der Masse, ihrem Abstand vom Drehpunkt und dem Quadrat der Winkelgeschwindigkeit (vgl. Abschnitt 29.2). An dem Volumenelement dV der Scheibe mit der Masse dl1l = PdV im Abstand I' von der Drehachse der Welle wirkt demnach
J dV
2
2
f= rpw 2
= dl1lrw = rw pdV
Dies wiJ'd in die erste Differenzialgleichung 25.2 eingesetzt, aus der sich außerdem die konstante Dicke herauskürzt. Sie wird nach I aufgelöst. und
d, 2 2 I =rd;+,+r pw
(25.4)
wird in die zweite Differenzialgleichung 25.2 eingesetzt. Man erhält mit
?
2
d ,. d,. >? dr2 +3r"d;' = -(3+v)pw-
(25.5)
eine lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit variablen Koeffizienten für die Radialspannung ,. Differenzialgleichungen des Typs 25.5 heißen Eulersche Differenzialgleichungen (als Koeffizient steht bei der k-ten Ableitung eine Potenz der unabhängigen Variablen mit dem gleichen Exponenten k). die sich fUr verschiedene Probleme der Technischen Mechanik ergeben. Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung' setzt sich entsprechend
,(1') = ,.pan(r) + ,. ho", (I') aus einer beliebigen Partikulärlösung '.1""'1 und der allgemeinen Lösung der homogenen Differenzialgleichung ,.hom zusammen. Für die Lösung der homogenen Differenzialgleichung ,2
a;' +3r(1; = 0
fUhrt ein Potenzansatz , = CI" zum Ziel. Man erhält die charakteristische Gleichung A(A-l)+3A=0 Diese liefert die Lösungen A, = 0 und A2 = - 2, damit ist , = Cl und , = C2r- 2 ein Fundamentalsystem für die homogene Differenzialgleichung. Man kann durch Einsetzen leicht bestätigen, dass I
2 2
,.pa'I.=-g(3+V)pw I' I Leser,
die mit der Theorie der Lösung von Differenzialgleichungen noch nicht vertraut sind. dürfen die folgenden Pas-
sagen bis zum ErgebnL" 25.6 ohne Einbuße des Verständnisses .. überlesen". Für aUe Jnteressiencn wird die lntemetErgänzung zum Thema .,GewÖhnliche Differenzialgleichungen" hilfreich sein, auf die auf Seite 314 verwiesen wird.
449
25.1 Rotationssymmelrische Scheiben
die inhomogene Differenzialgleichung erfüllt und damit als Partikulärlösung verwendet werden kann (man findet diese Partikulärlösung, indem man z. B. mit dem naheliegenden Ansatz rJ"PW"1. = A? in die Differenzialgleichung hineingeht und den Parameter A bestimmt). Damit kann dic allgemeine Lösung von 25.5 aufgeschrieben werden. Sie wird in 25.4 und 25.3 eingesetzt, und man erhält den Spannungs- und Verschiebungszustand einer Scheibe konstanter Dicke unter Fliehkraftbelastung (allgemeine Lösung): C2
3+V
2 2
rJ
=Cl+----pw ,:J. 8
rJ,
C2 1+ 3 v 2 7 =Cl - r 2 - -S-pW r
r
r
I ~V2
C2
r [
(25.6)
2 2]
U="E Cl(l-v)- r 2 (I+V)--S-pw r
Die allgemeine Lösung 25.6 lllUSS noch den Randbedingungen des aktuellen Problems angepasst werden (Bestimmung der [ntegrationskonstanten Cl und C2 , vgl. nachfolgendes Beispiel).
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 ElI1e mit der WlI1kelgeschwll1dlgkelt w rotierende Krcisscheibe konstanter Dicke /0 ist auf eiJle statTe Nabe aufgeklebt. Es soll untersucht werden, mit welcher Winkelgeschwindigkeit wmax die Scheibe umlaufen darf, so dass in der Klebeverbindung eine zulässige Spannung rJ"" nicbt überschritten wird, und welche Spannungsverteilungen rJ, und rJ, und Radialverschiebung sich bei dieser Winkelgeschwindigkeit in der Scheibe einstellen. Gegeben: r·I = 10cm ., !:JL .' rJ-....u 1= SON/mm 2 '-' ri = 5 p =7,S5g/em 3 ; v =0,3; E= 2, 1.105 N/mm 2
statT
Klebeverbindung
.
Die allgemeine Lösung 25.6 muss folgenden Randbedingungen angepasst werden:
rJ,(r = ra) = 0 u(r = r,) = 0
(keine Belastung am Außenrand), (keine Verschiebung an der starren Nabe).
Die beiden Randbedingungsgleichungen werden aufgeschrieben und jeweils nach CI umgestellt: C2 I + v I +v 2 2 CI = -, - - + - - P w
r;1-v
S
r,
Gleichsetzen liefert eine Bestimmungsgleichung für C2, und man berechnet:
pw2 C2= - -
8
[(3+V)~-(I+V)] (I-v)r~rf ,
(I+V)~+I-V
Bei vorgegebener Winkelgeschwindigkeit könnte mit diesen Konstanten der Spannungs- und Verschiebungszustand nach 25.6 aufgeschrieben werden.
450
25 Rotationssymmetrische Modelle
Die gesuchte maximale Winkelgeschwindigkeit, bei der in der Klebefuge die zulässige Spannung nicht überschritten wird, ergibt sich aus der Grenzbedingung
(JAr = ri)
= Gzu{
Man elTechnet
p(r~-7) [(3+V)~+I-V] und mit den gegebenen Zahlenwerten: w'nm = 260, 34s- l . Die Abbildung 25.5 zeigt die grafische Darstellung der Spannungen und der Radialverschiebung. Es ist ZU erkennen, dass die Randbedingungen und die Grenzbedingung fur die RadialspannuJ1g erflillt siJ1d. Die größte Radialspannung tritt am Innenrand auf. Bei der Tangentialspannung ergibt sich ein Extremwert von 2 G, = 41, 7N/mm bei einem Radius zwischen 217 und 218mm.
CJ r ' CJt 80
U
.. 60
40
\! t/~
~ .;"
"."
-
,
\
': '00
200
300
,.
'
0,04
,
20
~:
....
"
4()()
.
,
0,02
:
.
.
.
:
"
.'
..
.
400
5tlO
,
r 5tlO
r
,
1()()
200
300
Abbildung 25.5: Spannungen und Verschiebungen in einer
rotationssym~
metrischen Scheibe konstanter Dicke unter Fliehkraftbelastung
25.2 Spezielle Anwendungsbeispiele Die im Abschnitt 25.1 flir die rotationssymmetrischen Scheiben entwickelte allgemeine Lösung wird (ZUIll Tcil mil geringfügiger Modifikation) auf einc Reihc praktischer Problcmc angewcndct, von denen hier zwei vorgestellt werden sollen. Das Aufschrumpfen einer Scheibe auf eine Welle oder Hülse kann flir die Scheibe konstanter Dicke ulUniuelbar auf der Basis der Formeln 25.6 behandelt werden. Der Innenradius der Scheibe wird mit einem Untermaß!J.r gefcrtigt. Im einfachsten Fall (Beispiel I) wird angenommen, dass die Scheibe aufgeweitet und auf die als starr angenommene Welle gezogen wird (praktische Realisierung: Erwärmen der Scheibe, Aufbringen auf die Welle, bei der AbkühJung entspricht die Verhinderung des Zusammenziehens auf das Fertigungsmaß der Aufweitung um !J.r).
25.2 Spezielle Anwendungsbeispiele
Beispiel]:
451
I
I_"";_ _...1 EIne KreIsscheibe konstanter DIcke wIrd an Ihrem [nnenrand um den Betrag ßr aufgeweitet. Der Verformungs- und Spannungszustand u(r), Die Tallge11liaibeschleuIliguIlg (Bahnbeschleunigung) a, ist immerdalln vorhanden, wenn die Bahngeschwindigkeit v nicht konstant ist. 01
c:> Die Normaibeschieunigullg an =
v2
R
ist bei der Kreisbewegung immer vorhanden. Sie ist
zum Kreismittelpunkt gerichtet. Für die al/gemeille ebelle Bewegullg eines Punktes (Bewegung auf einer beliebigen ebenen Bahn) führt eine entsprechende Überlegung auf eine ähnliche Beziehung, wobei der (konstante) Radius der Kreisbahn durch den (im Allgemeinen veränderlichen) Krümmungsradius p der Bahnkmve zu ersetzen ist (ds = pda). Dies ist jeweils der Radius des Krümmungskreises eines Kurvenpunktes. Der Krümmungsheis hat mit der Kurve im gemeinsamen Punkt die Koordinaten. die Tangente (Anstieg y') und die 2. Ableitung y" gemeinsam 2 . Beschlennigungsvektor für die Bewegung eines Punktes auf einer ebenen Bahn:
a = ä, +ä" = v·e,(l)
v2 + -. e,,(t) p
2
p
=
(26.16)
I (I +/2)) I = I (x +1)1 I y"
xji - i.y
2Unter dem Slichwofl ..Krümmungskreis. Krümmul.1g~radius" findet mall auf der ImcrnCI-Site www.TM-Mathe.dceine ausflihrliehe
Dar~[ellung
dieses ll1cmas mit Herleitung der Fonnein und einer Animation.
468
26 Kinemalik des Punktes
oe:> Der Beschleunigungsvektor der Bewegung eines Punktes setzt sich aus zwei senkrecht auf-
einander stehenden Komponenten zusammen: Die Bahnbeschleunigung mit dem Betrag a, = v ist wie die Geschwindigkeit tangential zur Bahnkurve gerichtet (Tangentialbeschleu2 nigung), die Normalbeschleunigung mit dem Betrag an = 'i> ist senkrecht dazu zum Krümmungsmittelpunkt der Bahnkurve gerichtet.
'e:> Die Babnbeschleunigung bat den Wert Null, wenn die Bewegung mit konstanter Bahngeschwindigkeit erfolgt. oe:> Die Normalbeschleunigung ist bei Bewegung auf einer beliebigen Bahnkurve nur dann
gleich Null. wenn die Bahn nicht gekrümmt ist (z. B. bei geradliniger Bewegung oder in Wendepunkten). Bei Bewegung eines Punktes auf einer Kreisbahn ist die Normalbeschleunigung stets ungleich Null. oe:> Der Betrag der Gesamtbeschleunigung kann nach
a= Ja? +a~
(26.17)
berechnet werden. Dies ergibt den gleichen Wert wie die Berechnung des Betrages des Beschleunigungsvektors nach 26.13. Die Gesamtbeschleunigung ist stets zur konkaven Seite der Bahn gerichtet (bei verschwindender Normalbeschleunigung tangential zur Bahnkurve).
I
Beispiel: I_....;_ _ EJI1 Gleltstell1 A bewegt sich 0111 konstanter Geschwindigkeit VA auf einer vcrtikalcn Führung. Er nimmt dabei die Stange A-B mit, die durch eine drehbar gelagerte Hülse gleitet. Bci { = 0 nimmt die Stangc eine horizontale Lage
a
Y
B
ein.
Es sollen die Bahnkurve, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung des Punktes B ermittelt werden. Gegeben:
a, I,
VA,
1= 3a .
Bezüglich des skizzierten Koordinatensystems wird die Lage des Punktes B durch die Koordinaten XB und YB beschrieben. Mit dem Weg VA { nach 26.5, den der Gleitstein A bis zum Zeitpunkt { zurückgelegt hat, und den gegebenen geometrischen Größen liest man aus nebenstehender Skizze z. B. ab: XB
a
VA
1- ) a
2
- - a -----;>f- x B VA
t
A
+ v~ {2
)a +0 2
B
YB
12
(Strahlen satz). Eine entsprechende Beziehung (ebenfalls nach dem Strahlensalz) findet sich für und damit sind die Komponenten des Ortsvektors von B (Parameterdarstellung der Bahnkurve) bekannt:
YB,
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes
469
Durch Differenzieren nach der Zeit 1 erhält man die Komponenten des Geschwindigkeitsvektors und des Beschleunigungsvektors:
xn
VO x
=
GBx
= VBx =
=
.......
Die Darstellung der Bahnkurve (Abbildung 26.9) zeigt die auf die Länge a bezogenen Koordinaten des Punktes ß für 1= 3a entsprechend
i
XB
a
CI
V11
+# a-
VA 1 (
YB CI
CI
y/a ......... I ......
....... ..
_I
}~~
\
... ............
I
f,
Vl+'4/:-
_
I)
................
x/a \1-0
......... _.....
J
_..........,- -2
/
....... - I
rür eiJJen Bereich der "dimensionslosen Zeit" , = ~ 1 von
2 -
Es ist üblich und zweckmäßig, analog zur Winkelkoordinate cp(t) auch eine Winkelgeschwindigkeit und eine Winkeibescl,leanigllllg zur Beschreibung der Bewegung eines Punktes auf der Kreisbahn zu dellnieren: Willkelgeschwindigkeit:
QJ(t) = q,(t)
(26.19)
WiIIkelbesch lellllig/llIg:
a(t) = w(t) = ip(t)
(26.20)
c:> Die Winkelgeschwindigkeit wird üblicherweise in
S-I
angegeben. die Winkelbeschleuni-
gung in S-2. c;> Einc Winkelgeschwindigkeit
QJ
= I S-I bedeutet, dass sich der Winkel in einer Sekunde um
1 rad vergrößert (I rad = I~O
""
57,3°).
c;> In der technischen Praxis wird bei Drehbewegungen gern die Drehzahl
11 (im Allgemeinen: AnzaW der Umdrehungen pro Minute) zur Beschreibung der Geschwindigkeit einer Rotationsbewegung verwendet. Es gilt (I Umdrehung -. Winkel 2n)
QJ
= 2nn
(26.21)
wobei sich QJ mit der gleichen Dimension wie n ergibt (gewarnt wird vor den Fehlerquellen bei Verwendung so genannter .,Praktiker"-Formeln wie QJ = ~~ oder gar QJ "" fb, in denen QJ und n unterschiedliche Dimensionen haben).
c:> Durch die Winkclbcschleunigung (als Maß feir die Änderung der Winkelgeschwindigkeit) wird entsprechend a r = Ra nur die Bahnbeschleunigung (als Maß für die Änderung der Bahngeschwindigkeit) repräsentiert. Natürlich gibt es bei einer Kreisbewegung immer (auch bei konstanter Winkelgeschwindigkeit) eine Normalbeschleunigung ,,2
a" = - = Rw2 R
(26.22)
c;> Für den sehr wichtigen Sonderfall konstanter Winkelgeschwindigkeit berechnet sich der
seit dem Beginn der ZeitzähJung t = 0 zuriickgelegte Winkel cp nach:
cp =
~t
(~= konstant)
(26.23)
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes
471
Während die meisten Menschen eine recht gute Vorstellung von Geschwindigkeiten haben (zumindest in den Größenordnungen, die von Autos erreicht werden), ist die Vorstcllungskraft fur Beschleunigungen im Allgemeinen nicht sehr groß (Autohersteller wissen das und verstecken den Bcgriff der Beschleunigung in einer Geschwindigkeitsaussage: "Beschleunigt von 0 auf 100 km/h in 8,3 s"). Deshalb werden in den Beispielen I bis 4 einige Zahlenwerte berechnet.
I
Beispiel J: I_ _ _ _...I Em Pkw besch1eul1lgt von 0 auf 100 km/h schleunigung?
In
8,3 s. WIe groß 1st die mmlere Be-
Nach 26.2 berechnet man: {Im
V2-V' 100-Okm 100·IOOOm 2 = - - - = - - - -- = - = 3 35m/s 12 - I, 8,3 - 0 h s 8,3 . 3600 S2 '
Dies ist Flir ein anfahrendes Auto ein beachtlicher Wert. Beim freien Fall (ohne Luftwiderstand) allerdings tritt die Beschleunigung g = 9,81 m/s2 auf, ein Wert, der von keinem Pkw erreicht wird (es sei denn, er durchbricht ein Brückengeländer und geht zum freien Fall über).
I
Beispiell: I_ _ _ _...I Em Pkw fahrt nlJt konstanter Geschwmdlgkelt v = 40 km/h eme Kurve nut dem Radius R = 20 m. Wie groß ist die Norrnalbeschleunigung? Nach 26.22 berechnet man: v2 402 (kru)2 402 . 106 m2 2 G n = R = 20 h2 m = 20.36002 m s2 = 6. 173 m/s Auch dieses Ergebnis ist repräsentativ Flir die meisten technischen Bewegungsabläufe: Die Normalbeschleunigungen sind im Allgemeinen deutlich größer als die Bahnbeschleunigungen. Das folgende Beispiel zeigt allerdings eine Ausnahme von dieser Regel. I
Beispiel 3:
I
Bei einem Crash-Test prallt ein Pkw mit 50km/h gegen eine starre Wand. Nach 80 ms sind Fahrzeug und Dummies auf die Geschwindigkeit 0 abgebremst. Wie groß ist die mittlere Beschleunigung während des Aufpralls?
Aus der Geschwindigkeitsdifferenz und der Abbremszeit ergibt sich nach 26.2: Gm
V2 - v I 0 - 50 km = -/2-- .tl- = 0 1 08 - 0 -h s =
50· 103 m 2 008 3600 2 = -173,6m/s ,. s
I
Beispiel 4: I_ _ _ _...I Ein Pkw-Motor läuft mit einer Drehzahlll = 5000 min- I . Wie groß ist die Winkelgeschwindigkeit w? Welche Normalbeschleunigung {In erfahrt ein Punkt auf der Kurbelwelle, der R = 6 cm von der Drehachse entfernt ist? Die Winkelgeschwindigkeit wird nach 26.21 berechnet: I
w=2nn=2n.50oo·- =523,6s- 1 60 s Damit ergibt sich die sehr große Nornlalbeschleunigung flir den Punkt auf der Kurbelwelle: 2 2 CI" = R w = 16449m/s
472
26 Kinemalik des Punktes
26.2.4 Koppelgetriebe Koppelgelriebe wandeln eine vorgegebene (Antriebs-)ßewegung in eine gewünschte Bewegung um. In den weitaus meisten praktischen Fällen ist der Antrieb eine Rotation um einen festen Punkt mit einer Winkelgeschwindigkeit ~. Ein besonders einfacher Fall ist die Schubkurbel 3 , bei der eine kreisförmige Bewegung in eine geradlinige Bewegung umgewandelt wird (Beispiel: Kolbenpumpe), der häufigste Anwendungsfall ist dafür allerdings gerade die in Verbrennungsmotoren realisierte Umwandlung der geradlinigen Bewegung des Kolbens in die Rotation der Kurbelwelle.
I
Beispiel 1: I_ _ _..... Die skiZZierte Schubkurbel (SIChe www.TM-aktuell.de) wird mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ~ angetrieben. Bei r = 0 soll die Kurbel ihre tiefste Stelle einnehmen. Gcsucht sind die Funktionen x(r), v(r) und a(I), die die Lage, die Geschwindigkeit und die Bcschlcunigung des Kolbens beschreiben. Gegeben:
I
Je
Y
,
j
I I
R= 12cm, 1=30cl11. ~=2s-l.
Rechts ist eine ausgelenkte Lage mit den wichtigstcn Abmcssungcn skizziert. Dic Kurbel hat sich entsprechend 26.23 UI11 den Winkel ~r gedreht. Die durch die Koordinatex beschriebene Lage des Kolbens ergibt sich aus der Summe der beiden Katheten zweier rechtwinkliger Dreiecke: X(I) = R COS~I +
)12 - R2 sin
2
~t
Durch Differenzieren dieser Funktion kommt man zu v(t) und a(t):
An dem einfachen Beispiel werden die typischen Probleme der Untersuchung von Koppelgetrieben deutlich, die allerdings bei fast allen kinematischen Problemen ähnlich sind: Die Beziehungen sind hochgradig nichtlinear. Das Differenzieren des Weg-Zeit-Gesetzes mag schon bei diesem Beispiel lästig sein, immerhin konnte man auf diesem Wege v(r) und a(t) ermitteln, weil es möglich war, x(t) als Funktion aufzuschreiben (und gegebenenfalls kann man das Differenzieren einem symbolisch rechnenden Programm übertragen). 3Als BeL«;pie) I wird hier die einfache Schubkurbel behandelt. bei der der Mitlelpunkt der Kurbel auf der Geraden liegt. auf der sich der Kolben bewegt Im Abschniu 27.4 findet mall den allgemeineren Fall der cxzcnlri~hcn Schubkurbel.
473
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes Abbildung 26.11 zeigt die drei kinematischen Diagramme (erzeugt mit Matlab). Es wurden sogar fünf Kurven gezeichnet, V(I) und a(l) wurden zusätzlich durch numerisches Differenzieren gewonnen. Die Deckungsgleichheit der Kurven ist ein ziemlich verlässliches Indiz für die Richtigkeit. Dass zur Kontrolle numerisch (und nicht symbolisch) differenziert wurde. hat einen guten Grund:
X(I)
a(l)
V(I)
"
1[']
Abbildung 26,11: Kinematische Diagramme
Wenn die Aufgaben auch nur unwesentlich komplizierter werden (nachfolgende Beispiele), kann die ßahnkurve nur noch punktweise ermittell werden, so dass ohnehin nur numerisch differenziert werden kann.
I
Beispiel 2: I_....;_ _.... Ewe so genannte Viergelenkkette besteht aus zwci Gliedern AB bzw. CO, die an jewcils einem Endpunkt (A bzw. 0) fixiert sind (je nach ßewegungsmögliehkeit als Kurbeln oder Schwingen bezeichnet) und über den jeweils anderen Punkt über eine Koppel BC verbunden sind. Hier soll das Glied AB als Antrieb betrachtet werden, dessen Lage durch die Angabe eincs Winkel cp bestimmt wird. Gegeben sind die Koordinaten XA und YA des Punktes A im skizzierten Koordinatensystem und die Längen a, bund c der Getriebeglieder, gcsucht sind die Koordinatcn der Punkte B und C in Abhängigkeit von cp.
D Abbildung 26.12: Viergelenkkette
Die Koordinatcn des Punktes B können unmittelbar aus der Abbildung 26.12 abgelesen werden: XB =XA
-acoscp
YB = YA +a sincp
Mit den bekannten Punkten Bund 0 findet man den Punkt C als Schnittpunkt der beiden Kreise um diese Punkte mit den Radien b bzw. c, und damit beginnen die typischen Schwierigkeiten. Die Kreisgleichungen können noch problemlos formuliert werden:
(x-xd+(Y-YB)2 =b2
.;+l =c2
Man stellt eine Gleichung nach Y um, setzt das Ergebnis in die andere ein. und nach etwas mühsamer Rechnung erhält man eine quadratische Gleichung für x:
mit Bci der Lösung diescr Gleichung können folgende Fälle auftreten: • Man erhält zwei reelle Lösungen. Dies sind die x-Werte der Punkte C und dung 26.12), die für die Stellung cp möglich sind.
C (siehe Abbil-
474
26 Kinemalik des Punktes
• Man erhält eine (Doppel-)Lösung. Dann berühren sich die beiden Kreise nur. 8, C und 0 liegen in diesem Fall auf einer Geraden . • Es ergibt sich keine reelle Lösung, die Kreise schneiden sich nicht. Dann hat das Getriebe entweder eine unmögliche Geometrie, oder die durch qJ beschriebene Stellung ist unmöglich. Für den Fall zweier reeller Lösungen XI und X2 müssen noch die zugehörigen y- Werte durch Einsetzen in die Kreisgleichungen ermillelt werden. Wegen der Doppeldeutigkeit der Wurzel erhält man zu jedem x-Wert jeweils zwei y- Werte, die die Kreisgleichung erfüllen. Deshalb müssen die y-Werte für beide Kreisgleichungen berechnet werden, und von den vier Wertepaaren sind die beiden x-y-Paare die Koordinaten der Punkte C und C, die flir beide Kreise gleich sind. Schließlich muss noch entschieden werden, ob die Koordinaten für C oder C verwendet werden sollen. Weil die gesamte beschriebene Rechnung für jede Stellung cp ausgefLihrt werden muss, wird mall den Punkt wählen, der näher an dem entsprechenden Punkt der vorhergehenden Stellung liegt. Für den Sonderfall nur einer reellen Lösung muss speziell überlegt werden, denn aus dieser Spezial lage (8, C und 0 liegen auf einer Geraden) ist die weitere Bewegung in beiden RiChtungen möglich. Man wird dann die Entscheidung so fallen, dass die Bewegungsrichtung beibehalten wird. Das DilenUlla kann so formuliert werden: Der gesamte gerade beschriebene Entscheidungsprozess stellt für die Handrechnung gar kein Problem dar. Man sicht sofort, welche Lösung zu verwenden ist, und es ist auch klar, wie es nach einer Speziallage weitergeht. Bei der Computerrechnung sind aber alle Entscheidungen vorab zu programmieren, was nicht nur recht schwierig ist, es bleibt auch immer aus numerischen Gründen kritisch, denn die SpeziaHagen werden niemals genau getroffen. was häufig zu Überraschungen bei der Fortsetzung der Rechnung führt. Aber natürlich gibt es zur Computerrechnung keine vernünftige Alternative. weil im Allgemeinen njcht nur die Bewegung
der Viergelenkkelle interessiel1, sondern das Bewegungsgesetz von so genannten Koppe/punkten (Punkte, die mit einem Getriebeglied, vorzugsweise der Koppel, starr verbunden sind). Die Abbildung 26.13 zeigt eine Viergelenkkette mit einem Koppelpunkt K, der mit der Koppel 8C starr verbunden ist. Um die (in der Abbildung zu sehende) Koppe/kurve zu ermitteln, müssen vorab die Koordinaten der Punkte 8 und C nach dem oben beschriebenen Algorithmus berechnet werden.
Abbildung 26.13: Kurbelschwin· ge mit Koppelpunkt K
[n Abhängigkeit von den Abmessungen der drei Glieder und der Lage der beiden Lagerpunkte können die beiden gelagerten Glieder in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sein. Man nennt sie Kurbe/n, wenn sie eine komplelle Kreisbewegung ausführen können, ansonsten Schwingen: oe;> Die Abbildung 26.13 zeigt eine so genannte Kurbe/schwinge, weil die (AnlJ'iebs-)Kurbel
AB bei ihrem kompletten Umlauf eine schwingende Bewegung des Gliedes OC erzeugt (die von den Punkten 8 bzw. C durchlaufenen Bahnen sind in der Abbildung angedeutet).
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes
Abbildung 26.14: Doppelschwinge
475
Abbildung 26.15: Doppelkurbel
oe:> Die Abbildung 26.14 zeigt eine so genannte Doppe/schwinge, weil bei dieser geometrischen
Konfiguration beide gelagerten Glieder nur schwingende Bewegungen ausfUhren können (die von den Gelenken B bzw. C erreichbaren Punkte sind als Bahnkurven eingezeichnet). Dieses Koppelgetriebe, bei der der mit der Koppel BC starr verbundene Punkt K auf der durch Bund C definierten Geraden liegt, ist mit den hier dargestellten Abmessungen ein Beispiel fUr das Erzeugen einer speziell gewUnschten Bahn.kurve. Man erkennt, dass diese in einem gewissen Bereich eine fast ideale horizontale Gerade ist. Das wird fur so genannte Wippkräne ausgenutzt, bei denen die anhängende Last bei Transport in der Horizontalen in diesem Bereich weder gehoben noch gesenkt wird, so dass für diese Bewegung nur eine minimale Antriebsleistung erforderlich ist. oe:> Die Abbildung 26.15 zeigt eine Doppelkurbel, weil beide
gelagerten Glieder eine komplette Kreisbewegung ausfuhren können. An diesem Beispiel wird auch gezeigt, dass dic Bewegung (und damit auch die Bahnkurve eines Koppelpunktes) von der Anfangsstellung abhängig ist. Für die beiden völlig identischen Getriebe sind zwei AnfangsteIlungen möglich (entsprechend der beiden Punkte C und C, wie im Beispiel 2 fiir die allgemeine Viergelenkkette gezeigt), die zu völlig unterschiedlichen Bewegungen fUhren. Man beachte, dass die Antriebskurbel AB in beiden Skizzen exakt die gleiche Lage einnimmt.
25
20
v
.... = ma
25,17
ßahn-
gesch\\ indigJ..eil
d" Koppelpunktes
15
'0
Weil die Ergebnisse für die Bahnkurven (z. B. die Komponenten
XK(CP) und YK(CP) des Ortsvektors rK eines Koppelpunktes) nur puoktweise ermittelt werden können, müssen alle weiteren gewünschten Ergebnisse numerisch berechnet werden. Die Komponenten des Vektors der Bahngeschwindigkeit x und y können nach den im Kapitel 18 auf Seite 275 angegebenen Differenzenformel für die erste Ableitung berechnet werden. Der Betrag der Bahngeschwindigkeit folgt dann aus 26.9.
5
o
Abbildung 26.l6:
VK. I'ma.
Abbildung 26.16 (erzeugt mit Matlab) zeigt die Bahngeschwindigkeit für die Kurbelschwinge nach Abbildung 26.13, die hier fUr den Moment der maximalen Geschwindigkeit des Koppel-
476
26 Kinemalik des Punktes
punktes dargestellt ist. Um den bei einem kompletten Umlauf zurückgelegten Weg zu berechnen, musste nach 26.1 I integriert werden, was natiirlich auch nur numerisch möglich ist. Weil die Bahnkurve punktweise bekannt ist, kaJ1J1 man allerdings auch die Länge des von den Punkten definierten Polygons berechnen. Die Analyse der Bewegung solcher Getriebe birgt eine ganze Reihe von Fehlermöglichkeiten. Für eine besonders wirksame Kontrolle der durchgefUhrten Rechnung bieten sich deshalb Animationen an, bci dcncn man sofort crkcnnt, ob dic gcwünschtc Bcwegung auch berechnct wurdc. Unter www.TM-aktuell.de findet man deshalb auch die "bewegten Bilder" dieser Getriebe. Schon mit Viergclcnkkettcn sind intercssantc und fUr dic technischc Praxis wichtigc Bcwegungcn zu erzeugen (siehe den Wippkranmechanismus in Abbildung 26.14). Wenn an die bewegten Punkte einer Viergclenkkette und/odcr an Koppelpunkte weitere Getriebeglieder angeschlossen werden, sind praktisch beliebige Bewegungen zu realisieren. Allerdings ist die Aufgabe, eine Bewegung mit ganz bestimmten vorgegebencn Eigenschaften zu erzcugen (Cetriebesynthese), sehr schwierig. Nachfolgend wird ein besonders gelungenes Beispicl vorgestellt.
I
BeispieL 3: Der me . der I"an d'ISC Ile K"ILnSt1er T. HEO JANSEN ste I1 t Lau f'masclllen h' her, d'Je SIC . h au f' I_ _ _ _.... 4 zahlreichen Beinen (vom Wind angetrieben) auf Sand sehr geschickt fortbewegen • Dic Abbildung 26,17 zeigt dcn Mechanismus eines Beins eines solchen "Strandbeests" maßstäblich mit den von Jansen gefundenen Abmessungen. Fixpunkte sind die beiden Gelenke 01 und 02. Angetrieben wird der Mechanismus durch Drehung der Kurbel OIA, die gleich zwei Viergelenkketten (01AB02 und 01AC02) bewegt. Von der Schwinge 02B der oberen Kurbelschwinge wird der Koppelpunkt D mitgenommen und dieser und der Punkt C der unteren Kurbelschwinge bestimmen die Lage des Punktes E. Schließlich ist mit dem Glied CE der Punkt F starr verbunden. dessen Bahnkurve die Bewegung des "Fußes" ist. Die Analyse dieses Mechanismus ist mit dem Algorithmus möglich, dcr ausführlich im Bcispicl 2 beschricben wurde, allerdings muss er fiinfmal nacheinander angewendet werden, um die Lage eines Punktes F zu bestimmen.
D
Abbildung 26.17: Mechanismus des Beines eines Strandbeesls
Die Rechnung mit allen Entscheidungen, die am Beispiel 2 beschrieben wurden, ist also etwas aufwendiger. Das Ergebnis findeIman als Animation des in Abbildung 26,17 dargestellten Mechanismus unter www.TM-aktucll.de. Die Bahnkurvc des Punktcs F ist auch in Abbildung 26,17 zu sehen. Man erkennt im unteren Bereich eine fast ideale Gerade. Dies ist der Bereich, in dem sich der Fuß des "Strandbeests" am Boden befindet. 4Der Künstler nennt seine beeindruckenden Werke Srrandbeesfen (..Stranduere"). Ein Besuch der Lnternet-Sile www.~rrandbeesl.comlohnl sich.
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes
Mindestens so wichtig wie die Bahnkurve ist der Geschwindigkeitsverlauf: Der Fuß sollte sich während des Bodenkontakts mit möglichst konstanter Geschwindigkeit bewegen (weil natürlich alles relativ ist, bewegt sieh beim laufenden Strandbeest während des Bodenkontakts des Fußes nicht dieser sondern der gesamte Mechanismus). Während des "Schritts nach vom" (der Fuß ist in der Luft) sollte dagegen die Geschwindigkeit deutlich größer sein.
477
Bahnkurve YF(x) - Auch für die Bewegung im Raum gilt, dass der Geschwindigkeitsvektor in jedem Punkt tangential zur Bahnkurvc gerichtet ist und damit als Produkt aus Bahngeschwindigkeit und Tangenteneinheitsvektor dargestellt werden kann: (26.32)
':> Durch Differenzieren von 26.32 nach der Zeit ergibt sich der Beschleunigungsvektor ~
dv dv ~ de, . ~ = - . er + v· = v· er dl dl dl _ 2 de, . _
a= -
= V e, + v . (I; =
V·
de, ds ds dl
+ v· -
e, +
,,2_
p .e"
(26.33)
mit dcn gleichen Beschlcunigungsanteilcn (Bahnbeschleunigung v und Normalbeschleunigong ~) wie im ebenen Fall. Der Einheitsvektor e" ist der senkrecht zum Tangenteneinheitsvektor gerichtete Haupll1ormalel1veklOr, der zorn Krümmlll1gsmittelplLllkt der Ballllkurve zeigt, p ist der Krümmungsradius.
e,
26.3 Aufgaben
481
e,
e
und n spannen die Schmiegullgsebene der Bahnkurve in dem betrachteten Punkt auf. In ihr liegen der Geschwindigkeitsvektor und beide Beschleunigungsanteile (und damit auch der Vektor der GesamtbeschJeunigung). Es gibt also in jedem Punkt der Bahnkurve eine "bcschleunigungsfrcie" Richtung. Es ist die Richtung des Billormalenvektors eb, der senkrecht zu und n gerichtet ist und mit diesen das begleitende Dreibeill der Bahnkurve bildet.
oe:> Die Einheitsvektoren
e,
e
Wenn also die Beschleunigungswerte bei der räumlichen Bewegung eines Punktes nur für bestimmte Zeitpunkte interessieren, kann die Bewegung jeweils wie eine ebene Bewegung in der Schmiegungsebene des aktuellen Punktes der Bahnkufve betrachtet werden.
26.3 Aufgaben
I
Au/gabe 26.1: I_ _ _ _ _..... Em Formel-I-Rennwagen beschleulllgt (1m Jahr 1993) aus dem Stand auf eme Geschwindigkeit von 100 km/h in 2,6 s. Aus einer Geschwindigkeit von 280 km/h stoppt er bei Vollbremsung nach 15 I,3 m. a) Wie groß ist die mittlere Beschleunigung am in O1/s2 während des Anfahrvorgangs? b) Wie groß ist die mittlere Bremsverzögerung (negative Beschleunigung) bei dem beschriebe-
nen Bremsvorgang"
I
YI
Alt/gabe 26.2: I_ _ _ _ _..... Der Steg emes Planetengelnebes dreht sich mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit Ws und treibt ein Planeten rad, das auf dem feststehenden Sonnenrad abrollt. Die Bewegung des Punktes A im Abstand a vom Mittelpunkt des Planetenrades soll analysiert werden. Gegeben:
R, r
1
Planetenrad
Sonnenrad
x R
a, ws·
a) Zum Zeitpunkt t = 0 befindet sich das Planetenrad in der skizzierten horizontalen Lage. Es ist die Bal1nku.rve des Punktes A in ParameterdarsteUung x(t) und y(t) bezüglich des skjzzierten Koordinatensystems zu ermitteln. b) Für welche Radienverhältnisse in der skizzierten Lage"
fi ist der Punkt A nach einem vollen Umlauf des Steges wieder
c) Man ermittle die Funktionen für die BaJ111geschwindigkeit v(t) und die GesamtbeschJeunigung art).
eI) Mit einer geeigneten Software (www.TM-aktuell.de) stelle man die Bahnkurve des Punktes A für ~ = 2 und ~ = 1.5 grafiscb dar und berechne die Länge des Weges. den der Punkt bei zwei vollen Stegumläufen zurücklegt.
482
I
26 Kinemalik des Punktes
Aufgabe 26.3:
I
a
Ein sternförmiger Mitnehmer rotiert mit der konstanten Winkelgeschwindigkcit ~. Er fUhrt Werkstücke in einer Rinne. Betrachtet werden soll die Bewegung eines Werkstücks im geraden Rinnenabschnitt von A nach B.
A
-s
B
Gegeben: 1= IOcm ; a=6cm; ~=O,3s-' . Man ermittle a) das Bewegungsgesetz
S(I) eines Werkstlicks. wenn es bei I = 0 den PunktA passiert,
b) das Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz v(l) und das Beschleunigungs-Zeit-Gesetz a(I).
c) die Zeit lAB. die das Werkstück flir die Bewegung von Abis ß benötigt, VB des Werkstücks, die es bei Punkt ß hat.
d) die Geschwindigkeit
I
Aufgabe 26.4:
I
Eine Kurbel dreht sich mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ~ und nimmt die Stange ;\-B mit. Bei I = 0 befindet sich A im Punkt D.
Gegeben:
a. I, R,
F
B E
~.
Unter Verwendung des skizzierten Koordinatensystems erm.ittle man
a) die Bahnkurve von Bin ParameterdarsteUung
a
X(I)
undy(I). b) die Komponenten
VBx und VBy des Geschwindigkeitsvektors des Punktes Ballgemein. e) die Beträge der Geschwindigkeiten des Punktes B flir Ji = 1,5 und = 2. wenn A sich in E bzw. F befindet.
k
Eine Animation der Bewegung findet man unte,r www.TM-aktuell.de.
I
I Aufgabe 26.5: Ein Zahnrad mit dcm Radius R treibt eine hori-
1"0
;p
zontal geführte Zahnstange nach dem Winkel-Zeit-Gesetz
cp(l) = 3 des Antriebsrades gewählt.
508
27 Kinematik starrer Körper
Die Zwangsbedingungen werden zunächst tlir die Geschwindigkeiten aufgesellrieben. Die Abbildung 27.26 zeigt die Umfangsgeschwindigkeit des Antriebsrades r3 Die Gültigkeit von 28.1 und 28.2 ist an zwei Bedingungen geknüpft: Die Geschwindig-
keit muss wesentlich kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sein (diese Bedingung ist in der Technischen Mechanik wohl immer erfüllt, anderenfalls ist die Relativitätstheorie zuständig), und das Bezugssystem muss ein Inertialsystem (beschleunigungsfreies System) sein. Da Beschleunigungsfreiheit nur bei Bewegung auf gerader Bahn möglich ist (vgl. Abschnitt 26.2), kann es ein Inertialsystem auf der Erde nicht geben. Für die weitaus meisten technischen Anwendungen darf die Erde jedoch als ruhendes Bezugssystem angesehen werden. oe:> Weil zwei Vektoren nur gIe.ich sein können, wenn jede Komponente des einen Vektors gleich
der entsprechenden Komponente des anderen Vektors ist, stehen 28.1 bzw. 28.2 für drei skalare Gleichungen (für die drei Freiheitsgrade des Massenpunktes im Raum). oe:> Das 2. Newtonsehe Gesetz setzt natürlich voraus, dass die angreifenden Kräfte die BescWeu-
nigungen auch tatsächlich hervorrufen können (und nicht etwa durch Führungen, Lager oder ähnliches auch nur teilweise daran gehindert werden, dazu mehr im Abschnitt 28.2.2). Das nachfolgende Beispiel behandelt einen der wenigen Sonderfalle (schiefer Wurf unter Vernachlässigung von Bewegungswiderständen), für den dies erfüllt ist.
I
Beispiel: I_ _ _ _ EII1 Letchtathlet stößt dIe Kugel w = 22m welt (diese Aufgabe stammt aus der Zelt vor der Einführung der strengen Dopingkontrollen). Unter der Annahme, dass der Luftwiderstand vernachlässigt werden darf und dass die Kugel die Hand in einer Höhe h = 2 m unter einem Winkel zur Horizontalen von a = 44° verlässt. ist ihre Anfangsgeschwindigkeit vo (beim Verlassen der Hand) zu ermitteln. Welche Weite WI würde erzielt werden, wenn mit gleicher Anfangsgeschwindigkeitund bei gleicher Abwurfhöhe unter einem Winkel von al = 45° gestoßen würde, bei welchem Abwurfwinkel ao würde die größte Weite erzielt werden? Während des Fluges wirkt auf dic Kugel nur ihr Eigengewicht I1Ig (senkrecht nach unten). Die Masse m ist konstant, die Flugbahn eine ebene Kurve, so dass 28.2 nur tUr zwei Komponenten aufgeschrieben werden muss. In einem kartesischen Koordinatensystem mit nach oben gerichteter positiver y-Achse gilt also: F=I1IQ
Nach 26.27 und 26.30 ist der Geschwindigkeitsvektor die Ableitung des Ortsvektors und der Beschleunigwlgsvektor die Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nach der Zeit. Dieser Weg muss also in umgekehrter Richtung (Integration) beschritten werden, er wird für die einzelnen Komponenten aufgeschrieben: = 0 v" = CI
CI"
CI)'
= -g
v)'
-gt+C3
y
-'igt +C3 t + C4
I
2
Für dic vicr Tntegrationskonstanten müsscn vier Anfangsbedingungen formuliert werdcn. Wenn das Koordinatensystem (willkürlich, siehe Abbildung 28.1) so gelegt wird, dass sich der Abwurfpunkt bei x = 0 und y = h befindet, und die Abwulfgeschwindigkeit in eine horizontale und eine vertikale Komponente zerlegt wird, lauten diese (Zeitzählung beginnt beim Abwurf):
517
28.1 Dynamisches Grundgesetz
'y
vx(t = 0) = vocosa
0) = 0 y(r = 0) = ,. X(I =
V,,(I = 0) = Vo sin a
()(
Mit den daraus berechneten Konstanten
c,
= voeosa
C3=vOsina
erhält man die Komponenten des O'1svektors der Bahnkurve I
x
C. =h
.
w Abbildung 28.1: Anfangsbe-
y = - - g , 2 + Vo r sm a + h dingungen. Wurfweile w 2 die (in Parameterdarstellung) die Flugbahn der Kugel beschreiben. Wenn man die Zeit r aus den bei den Gleichungen eliminiert, wird deutlich, dass es eine Parabel ist (Wurfparabel): I x2 y= --g 2 ? +xtana+" 2 voeos- a x = Vo r eos a
Am Auftreffpunkt ist y = 0 (und x = w): I w2 - - g 2
2
vocos
2
a
+ w tan a +,. = 0
muss zur BeantwOJ1ung der Fragestellungen einmal nach vo und einmal nach w umgestellt werden. Die für die AufgabensteIlung relevanten Ergebnisse sind:
vo=w
g wsin2a + 2heos 2 a
v2 w = ...Q. si.ll2a + 2g 0::> Hier soll auf ein typisches Problem bei der Lösung von Aufgaben aus der Kinetik aufmerk-
sam gemacht werden: Es gibt melu'ere Ergebnisse, von denen nicht alle für die AufgabensteIlung relevant sind. Hier ist es einfach zu übersehen und zu interpretieren: Das mathematische Modell (die Parabel) hat den Definitionsbereich - 0 0 < x < 00 und damit zwei (in diesem Fall reelle) Nullstelien (zwei Ergebnisse für w). Die Nullstelle im negativen Bereich ist hier nicht relevant, aber prinzipiell nicht nur richtig, sondern auch physikalisch möglich, denn die Wurfparabel sieht auch für ein negatives Vo, mit dem man bei der anderen Nullstclle landen würde, nicht anders aus. Bei einem Abwurfwinkel von a = 44° wird die Wurfweite von 22 m bei einer Anfangsgeschwindigkeit von vo = 14,05 m/s erreicht. Mit diesem vo ergibt sich bei al = 45° eine Wurfweite =21,95m.
w,
Die Berechnung des Extremwertes der Funktion w(a) bereitet analytisch schon einige Mühe. Empfohlen wird deshalb die Extremwertberechnung mit einern geeigneten Programm (siehe www.TM-aktuell.de). Man erhält rur ao = 42,41° die Wurfweite wo = 22,03m. Der günstigste Abwurfwinkel zur Erzielung großer Wurfweiten beträgt nur dann 45°, wenn Abwurf- und Auftreffpunkt auf gleicher Höhe liegen.
28 Kinetik des Massenpunktes
518
28.2 Kräfte am Massenpunkt Wie in der Statik ist es sinnvoll, zu unterscheiden zwischen eingeprägten Kräjten (Gewicht, Antriebskräfte, Magnelkräfte, ...) und Reaktionskräjten (Zwangskräfte, die durch Bewegungseinschränkung hervorgerufen werden, z. B.: Kräfte an FüLmlllgen, die Normalkraft zwischen Masse und schicfer Ebene, Lagerreaklionen, Federkräfte, Haftkräfte, ... ). Bei bewegten Massen kommen noch Bewegungswidersfiillde und die so genannten Massenkrüjte hinzu, die in den folgenden beiden Ulllerabschniuen behandeLt werden.
28.2.1 Geschwindigkeitsabhängige Bewegungswiderstände Einem sich mit der Geschwindigkeit v bewegenden Massenpunkt können durch das umgebende Medium oder eine Führung Widerstandskräfte entgegenwirken. Obwohl diese Kräfte von ihrem Charakter her Reaktionskräfte sind, werden sie hier gesondert aufgeführt, denn in der Rechnung müssen sie eher wie die eingeprägten Kräfte behandelt werden. Diese Besonderheit wird noch mehrfach an Beispielen vcrdeutlicht. Dic Erfassung der geschwindigkeitsabhängigen Widcrstandskräfte ist immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden, weil die Kennwerte von zahlreichen Einflüssen abhängen. Hier werden die drei wichtigsten Varianten zur Einbeziehung dieser Kräfte in die Berechnung vorgestellt. Der Widerstand, den die Oberfläche eines Körpers aufbringt, über den eine bewegte Masse gleitet, wird (auch bei einer Schmierschicht zwischen den Flächen) berücksichtigt durch die Coulombsche Reibung (Gleitreibung):
FR = - /l FN sgn v
v (28.3)
D
Die Geschwindigkeit dient nur als Steuergröße für die Richtung der Kraft FR , die inuner der Geschwindigkeit der sich bewegenden Masse entgegengesetzt gerichlet ist.
Ln 28.3 ist FN die Normalkraft (senkrecht zu den sich berührenden Gleitflächen), /l ist der Gleitreibltngskoeffizienr, der vom Material und der Oberflächenbeschaffenheit der Gleitflächen abhängig ist. Da er auch von anderen Größen (Temperatur, Feuchtigkeit, unter Umständen auch von der Größe von FN ) beeinflusst wird, ist eine gewisse Vorsicht geboten. wenn man diesen Kennwert aus Tabellenbüchem entnimmt. Für höhere Genauigkeitsanforderungen an die Rechnung sind gegebenenfalls Vcrsuche zur Ermittlung von JL (möglichst unter Bctriebsbedingllngen) empfehlenswert.
Die sgn-Funktion eignet sich nicht für die analytische Rechnung (bei numerischen Answertungen kann sie durchaus nützlich sein). Dcshalb sollte man die Kraft FR entgegen dcr Gllgen01111nenen Geschwindigkeitsrichtung antragen. Wenn sich die angenommene Richtung
im Verlauf der Rechnung als falsch herausstellt, muSS man die Rechnung mit korrigierter Richlltng wiederholen.
28.2 Kräfte am Massenpunkt
519
oe:> Da die Gleitreibung wie die im Kapitel 9 behandelte Haftung mit dem Namen Coulomb
verbunden ist und das Haftungsgesetz 9.1 sich von 28.3 formal kaum unterscheidet, muss nachdri.icklich auf die Unterschiede aufmerksam gemacht werden: • Der Haftungskoeffizient Ito ist in der Regel größer als der Gleitreibungskoeffizient Jl. • Besonders wichtig ist die Beachtung des unterschiedlichen Charakters der beiden Kräfte. Die Gleitreibungskraft geht in der von 28.3 gegebenen Größe (wie eine eingeprägte Kraft) in das Gleichgewicht der Kräfte ein. Die Haftkraft wird (wie eine Lagerreaktion) aus dem Gleichgewicht der Kräfte berechnet, denn die durch das Haftungsgesetz zu ermittelnde Größe definiert nur das obere Limit (und nicht die tatsächliche Größe) der Haftkraft (vgl. Beispiel I im Abschnitt 9.1 auf Seite 134). Neben der Cou.lombschen Reibung sind noch die beiden folgenden Annahmen für die Berücksichtigung von Bewegungswiderständen in der technischen Praxis gebräuchlich: Eine geschwindigkeitsproportionale Widerstandskraft FWI=-kt v
(28.4)
g.ilt mit häufig ausreichender Annäherung an die Realität für laminare Strömungen (in Medien mit relativ großer Zähigkeit). Der von der Körperform der Masse und dem Medium, in dem sich die Ma se bewegt, abhängige Proportionalitätsfaktor kt wird durch Versuche ermittelt. Eine Widerstandskraft proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit FW 2 = -k2 .,2 sgn v
(28.5)
wird für die Erfassung des Widerstands infolge turbulenter Strömung verwendet. Der ProportionalitätsfaklOr k2 muss dabei sowohl den Reibungswiderstand als auch den Druckwiderstand (infolge des Unterdrucks durch Strömungsablösung und Wirbelbildung) erfassen. oe:> Der lineare Ansatz 28.4, mit dem z. B. die Wirkung von Stoßdämpfern recht gut erfasst wird,
ist llir theoretische Untersuchungen sehr beliebt, weil er auf lineare Differenzialgleichungen führt. In der Schwingungs.lehre werden die unterschiedlichsten Dämpfungsursachen deshalb gem pauschal in dieser Form (oft nur näherungsweise) berücksichtigt. oe:> Der Proportionalitätsfaktor in 28.5 kann in der Form
pA p
k2 =CW -2-
(28.6)
angesetzt werden. In 28.6 ist p die Dichte des umströmenden Mediums, AI' die Projektionsfläche (Schattenfläche) des sich darin bewegenden Körpers und der "cw-Wert" eine dimensionslose Widerstandszahl, die von der Körperform (und in einigen Fällen auch von der Reynold-Zahl, dem Maß fLir die Zähigkeit des um strömenden Mediums) abhängt und durch Versuche ermittelt werden muss, einige Beispiele: Für den langen Kreiszylinder gilt Cw = I, für eine Kreisplatte Cw = I, I I und für eine Kugel in Abhängigkeit von der Reynold-Zahl Cw = 0.09 ... 0,47. Moderne Pkw-Formen liegen im Bereich Cw = 0,3 ... 0,4. oe:> Man beachte, dass mit den mathematischen Modellen für die Bewegungswiderstände 28.3
bis 28.5 die Realität in dcn meisten Fällcn nur unvollkommcn angenähert wird.
28 Kinetik des Massenpunktes
520
28.2.2 Massenkraft, das Prinzip von d' Alembert In dem Beispiel des Abschnitts 28.1 zur Anwendung des dynamischen Grundgesetzes (schiefer Wurf) durfte vorausgesetzt werden, dass alle auf den Körper einwirkenden Kräfte (im Beispiel nur die Gewichtskraft) in Beschleunigungen umgesetzt werden können. Bei geführten Bewegungen und bei geschwiJldigkeitsabhängigen Bewegungswiderständen (Abschnitt 28.2.J) gibt es natürlich Anteile der eingeprägten Kräfte, die sich nicht in Beschleunigungen umsetzen, sondern von den Reaktionskräften bzw. den Widerstandskräften im Gleichgewicht gehalten werden.
I
Beispiel 1: I_ _ _ _...I Die elllgeprägten Kräfte F nnd mg haben unterschiedliche Wirkungen auf die nebenstehend skizziene Masse 111. Bei reibungsfreier Bewegung wirkt die Kraft F beschleunigend auf m. bei reibungsbehafteter Bewegung nur die Differenz zwischen F und der Widerstandskraft. Die Gewichtskraft mg wirkt nicht beschleunigend, da sie mit der Normalkraft (Reaktions kraft der Unterlage) im Gleichgewicht ist. Aus dieser Überlegung resultiert folgende Schlussfolgerung: Man muss bei geführten Massen und auftretenden Bewegungswiderständen in die Formeln des dynamischen Grundgesetzes 28.1 bzw. 28.2 alle eingeprägten Kräfte, die Zwangskräfte und die Bewegungswiderstände einsetzen: (28.7) Diese Vektorgleichung repräsentiert im Fall des betrachteten Beispiels zwei skalare Gleichungen (0" ist die Beschleunigung in horizontaler und 0, in vertikaler Richtung):
F-l'iI-ma" =0 -mg + FN - mo y = 0 Aus der zweiten Gleichung erhält man wegen FN = mg in diesem Fall für die venikale Beschleunigungskomponente 0, = 0 (eingeprägte Kraft II1g erzeugt keine Beschleunigung). Nicht unabsichtlich wurde in der Gleichung 28.7 das Produkt mä auf die linke Seite geschrieben, denn in dieser Form verdeutlicht die Gleichung eine sehr elegante Strategie für das Aufschreiben der Bewegungs-Differenzialgleichungen, das Prinzip von d'Alembert (nach JEAN LE ROND D' ALEMBERT, 1717 - 1783): Der bewegte Körper wird freigeschnitten, es werden angetragen • alle eingeprägten Kräfte, • alle Zwangskräfte (Reaktionskräfte) infolge äußerer Bindungen und Führungen. • die Bewegungswiderstände, • die Massenkräfte -mä (d'Alell1bertsche Kräfte). Danach können die GleichgewichtsbedingungeIl (wie in der Statik) aufgeschrieben werden.
28.2 Kräfte am Massenpunkt
521
oe:> Die Idee der Einführung negativer Massenkräfte gestattet die Behandlung von Problemen
der Kinetik mit den aus der Statik vertrauten Gleichgewichtsbedingungen. Diese Massenkräfte werden hier wie üblich als d'Alembensche Krii(te bezeichnet, obwohl sie erstmals bereits bei JOHANNES KEPLER (15?1 - 1630) auftauchen. oe:> Das Minuszeichen vor der d'Alembertschen Kraf' fordert, dass diese entgegen der positiven
Beschlellnigungsrichtllng angetragen werden muss, was (bei gekrümmter Bahn) sowohl für die Bahnbeschleunigung als auch rur die Normalbeschleunigung (nnd bei Relativbewegung auch nir die Coriolisbeschleunigung) gilt. Die positive Richtung der Bahnbeschleunigung kann selbst bei einfachen Problemen nicht immer vorausgesagt werden (ob sich eine Masse auf der sclliefen Ebene unter Einwirkung einer aufwärts gerichteten Kraft auch aufwärts bewegt, ist vom Anstiegswinkel, der Größe der Kraft und der Größe der Masse abhängig). Die d'Alembertschen Kräjfe für die Bahnbeschleunigungen werden deshalb elItgegen der frei zu wählenden Koordinatenrichtullg angetragell, was automatisch auch bei negativen Beschleunigungen und Richwngsumkehr der Bewegung zu richtigen Ergebnissen fUhrt. oe:> Die Richtung der Massenkraft, die rur die Normalbeschlellnigung angetragen werden muss, ist dagegen eindeutig vorgegeben, weil die Normalbeschleunigung immer zum Krümmungs-
nuttelpunkl der Bahnkurve gerichtet ist: Bei der Bewegung eines Massenpunktes auf einer gekrümmten Balln ist immer eine vom Kriimmllngsmillelpllnkt der Bahnkllrve nach außen gerichtete Massenkrajf infolge der zum Krümmungsmittelpunkt weisenden Normalbeschleunigung 26.15 zu berücksichtigen. Es ist die Zentrifugalkraft (Fliehkraft) v2 malJ=m (28.8) p (p ist der Krümmungsradius und v die Bahngeschwindigkeit). Speziell fur die Bewegung auf einem Kreis mit dem Radius R gilt:
(28.9) Hinweise für das Lösen von Aufgaben: oe:> Es wird eine geeignete Bewegungskoordinate eingeführt, die die Bewegung des Massen-
punkIes verfolgt (z. B. x für eine geradlinige Bewegung bzw. cp für eine Kreisbewegung). Wenn die Aufgabensteilung nichts anderes vorschreibt, sollte die Bewegungskoordinate zum Zeitpunkt / = 0 auch den Wert Null annehmen. oe:> Es wird eine Skizze des von äußeren Bindungen befreiten Massenpunkts (zum beliebigen Zeitpunkt t) angefertigt, in die alle Kräfte eingetragen werden, die auf der Seite 520 in vier
Kategorien eingeteilt wurden (man sollte sich an diese Kategorien halten, um keine Kraft zu vergessen). Wichtig ist dabei die Einhaltung der Vorzeichenregeln (d' Alembertschen Kräfte für BahnbescWeunigungen entgegen der gewäWten Bewegungskoordinate, Bewegungswiderstände zur Geschwindigkeitsrichtung entgegengesetzt), wobei zu beachten ist: Während sich die Rechnung bei Umkehr der BewegungsriChtung fUr die d' Alembertschen Kräfte immer von selbst korrigiert, gilt diese Aussage fLir die Bewegungswiderstände nur dann, wenn mit der (nir die analytische Rechnung ungeeigneten) Signum-Funktion gearbeitet wird.
522
28 Kinetik des Massenpunktes
I
Beispiel 2: I_"";_ _...1 Auf einer schiefen Ebene beginnt eine Masse m zum Zeitpunkt 1 = 0 aus der Ruhelage heraus abwärts zu rutschen. Unter Berücksichtigung von Gleitreibung zwischen der Masse und der schiefen Ebene sollen das Weg-Zeit-Gesetz und das Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz ermittelt werden. Gegeben:
~
m, a, !J..
Es wird eine x-Koordinate zur Verfolgung der Masse vom Startpunkt der Bewegung aus eingeführt. Die Skizze zeigt die freigeschnittene Masse mit der Gewichtskraft mg (eingeprägte Kraft), der Normalkraft FN (Zwangskraft, die die Masse an ihre Bahn bindet), dem Bewegungswiderstand FR = !LI'/v u.ud der d' Alembertschen Kraft, die entgegen der eingeführtcn Bcwegungskoordinatc angetragen wurde.
m~~ F,;/a~
Die Gleichgewichtsbedingungen in Hangrichtung bzw. senkrecht dazu liefern mit mi+!l FN
-
mgsina = 0
FN-mgcosa=O zwei Gleichungen, aus denen die nicht ioteressierende Kraft FN eliminiert wird. Es verbl.eibt eio Ausdruck fUr die (in diesem Fall konstante) Beschleunigung, der zweimal integriert wird: I
i=(sina-!J.cosa)g=a
i=al+C,
X= 2:aI2+C,I+C2
Für die Berechnung der Integrationskonstanten stehen zwei Anfangsbedingungen zur Verfügung. Es ist typisch, dass eine durch die Problemstellung ("aus der Ruhelage heraus") vorgegeben ist, die andere von der (willkürlichen) Wahl des Koordinatensystems bestimmt wird:
X(I = 0) = 0
=;.
i(I=O)=O
=;.
C2 = 0 C,=O
Damit können die gesuchten Bewegungsgesetze aufgeschrieben werden: I . x(t) = 2: (SIn a - J.lcos a) g 12 i(l) = (sin a - !l eosa) g t r';>
Eigentlich hälle man bei diesem Beispiel noch überprüfen müssen, ob die Bewegung aus der Ruhelage heraus überhaupt begimll. Dazu wäre allerdings die Kenntnis des Haftungskoeffizienten J1D nötig.
e:> Auf jeden Fall muss das Ergebnis mit dem Zusatz gekennzeichnet werden, dass es nur für positive Geschwindigkeit i 2: 0 gilt, weil diese Bedingung bei der Annahme der Richtung der Gleitreibkraft vorausgesetzt wurde. Der Einwand, dass diese Bedingung ja wohl automatisch erfüllt ist, weil eine Masse, die nur durch ihr Eigengewicht belastet ist, aus der Ruhe heraus keine Aufwärtsbewegung beginnen kann, ist fiir die Praxis richtig, die errechneten Bewegungsgesetze lassen dies zu (man setze z. B. die sehr sinnvollen Werte !J. = 0,3 und a = 15° ein, und schon geht es aufwärts). Die Bewegungsgesetze des Beispiels 2 müssen also unbedingt mit dem Zusatz sina 2: !J.cosa versehen werden.
bzw.
tana 2:!J.
28.2 Kräfte am Massenpunkt
523
I
Beispiel 3: I_ _ _ _.... Ein Massenpunkt m wlrd Wte sklzztert In eine halbkreisfönnige Rinne gelegt und ohne Anfangsgeschwindigkeit freigegeben. Das Bewegungsgesetz cp(l) soll a) bei Vernachlässigung der Gleitreibung, b) bei Berücksichtigung der Gleitreibung
zwischen Massenpunklund Rinne berechnet werden. Gegeben:
R = 1m; J1 = 0,05 .
Die untere Skizze zeigt den frei geschnittenen Massenpunkt mit allen wirkenden Kräften. Die Zentrifugalkraft wurde entgegen der (zum Kreismiltelpunkl gerichteten) Normalbeschleunigung angetragen, die d' Alembertsche Kraft infolge der Bahnbeschleunigung entgegen der gewählten Koordinatenrichtung (die positive Richtung von cp gilt natürlich auch für ep und ip). Auch bei Umkehr der Bewegungsrichtung ergeben sich für diese Kräfte die korrekten Richtungen, die für die Reibkraft dnrch Multiplikation mit der sgn-Punktion erreicht werden. Das Kräfte-GleiChgewicht in BahnrichlUng bzw. senkrecht dazu 111 R ip + J1 FN sgn ep - mg cos cp = 0 FN
-
mRep2 -mgsin cp = 0
liefert nach Elimination der Normalkraft FN die Differenzialgleichung
Rip+ J1. (Rep2 + gsin cp) sgn ep - gcoscp = 0 Für die analytische Berechnung müsstc zunächst sgn ep = I gesetzt werden, um die Differenzialgleichung rür die "Bewegung von m nach rechts" zu lösen, nach Enmittlung des Umkehrpunktes (Zeitpunkt, zu dem ep = 0 wird), wäre dann mit neuen Anfangsbedingungen und sgn ep = -I die "Lösung für den Rückweg" zu berechnen, wieder bis zum (Linken) Umkehrpunkt, dann könnte (mit wieder neuen Anfangsbedingungen) wieder die Lösung der ersten Differenzialgleichung (mit sgn ep = I) verwendct werden, wenn cs überhaupt gelingen würde, diese Lösung analytisch zu berechnen. Weil dies aber ohnehin nicht möglich ist, scheidet dieser mühsame Weg aus. Auch die Vereinfachung (Fragestellung a), die sich ergibt, wenn die Gleitreibung vernachlässigt wird, rührt mit
Rip - gcoscp = 0 auf cinc Diffcrcnzialglcichung, dic in gcschlosscncr F0fl11 (zumindcst bei Vcrwcndung dcr elcmentaren Funktionen) nicht lösbar ist.
.-:> Die Bewcgungs-Differenzialgleichungen, die das sehr einfache Beispicl 3 lieferte, charaktcrisiercn das typische Problem bei Aufgabcn der Kinctik. Bis auf wenige "akademische Beispiele" führen sie auf nichtlineare Differenzialgleichungcn, die sich einer geschlossenen Lösung entziehen I. Die Enmittlung der Bewegungsgesetze des Massenpunktes des Beispiels 3 wird deshalb zurückgestel11und am Ende des folgenden Abschnitts 28.3 nachgeliefert. I Der
sich reibungsfrei auf einer Kreisbahn bewegende Massenpunkt entspricht der Bewegung des ,.mathematischen
Pendels", das im Physikulllcrricht im AJJgemeincn auch nur mü der Beschränkung auf ..sehr kleine Ausschläge" behandeh wird.
28 Kinelik des Massenpunktes
524
I
Beispiel 4: I_"";_ _...1 Eine hOrizontale Scheibe dreht sIch mit konstanter Winkelgeschwindigkeit %. In einer radialen Rinne (mit rechteckigem Querschnitt) wird ein Massenpunkt'" im Abstand a vom Mittelpunkt der Scheibe festgehalten und zum Zeitpunkt I = 0 freigelassen. Gegeben: a= Im; R= 10m; %=2s- l ; J.L=0,3. Unter Beriicksichtigung der Gleitreibung zwischen der Masse 111 und der Rinne soll der Zeitpunkt IR ermittelt werden, zu dem der Massenpunkt die Rinne verlässt (die konstante Winkelgeschwin-
digkeit % soll durch dic Bewegung von m nicht beeinflusst wcrdcn). Das Problem wird als Relativbewegung des Punktes mit einer Koordinate x behandelt, die die Bewegung des Massenpunktes in der Rinne verfolgt und die Drehbewegung der Scheibe mitmacht (der Punkt x = 0 soll im Scheibenmittelpunkt liegen). Für eine beliebige Lage des Punktes zeigt die obere Skizze die Beschleunigungen, die sich nach den Regeln der Relativbewegung des Punktes (Abschnitt 27.2) ergeben: Die Führungsbewegung (Drehung der Scheibe mit konstanter Winkelgeschwindigkeit) trägt nur einen Anteil bei (Normalbeschleunigung des Punktes, in dem sich m gerade befindet), die Relativbeschleunigung der geradlinigen Bewegung ist nach außen gerichtet, während die Coriolisbeschleunigung tangentiale Richtung hat (der Vektor der Winkelgeschwindigkeit steht senkrecht auf der Scheibenebene, die Relativgeschwindigkeit ist radial nach außen gerichtet). Die untere Skizze zeigt die Massenkräfte, die nach dem d' Alembel1schen Prinzip gegen die Beschleurtigungsricbtungen angetragen wurden. Glcitreibkräftc treten am Boden der Rinne und an der Seitenfiihrung auf. Sie werden zu einer Kraft FR zusammengefasst, die bei dieser Aufgabe nur nach innen zeigen kann, weil die Relativgeschwindigkeit nach außen gerichtet ist, eine Bewegungsumkehr ist unmöglich. Die Gleichgewichtsbedingungen werden für drei Richtungen formuliert:
Fr;] =l1lg
FN2 =2mx%
mx-mxwJ+J.L(FNI +FN2) =0
Nach Elimination der Normalkräfte erhält man mit
X+2~I%X-wJX=-J.Lg eine lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten, die in geschlossener Form lösbar ist. Die b.eiden Integrationskonstanten der allgemeinen Lösung werden mit den Randbed ingungen
X(I = 0) = a
.:i'(l
=0) =0
bestimmt, die Frage der AufgabensteIlung kann aus dem dann bekannten Bewegungsgesetz der Masse m iiber die Bedinglll1g X(I = IR) = R berechnet werden. Man erhält mit den gegebenen
Zahlenwerten IR = 2,69s (ausführliche Rechnung untcr www.TM-aktuell.de).
28.3 Lösungen flir Bewegungs-Differenzialgleichungen
525
28.3 Lösungen für Bewegungs-Differenzialgleichungen 28.3.1 Problemstellung Das Beispiel 2 des vorigen Abschnitts, das auf eine konstante Beschleunigung ful1l1e, ist ein Vertreter der wenigen "akademischen Beispiele", die problemlos lösbar sind. Dagegen ist das cinfache Bcispicl 3 repräsentativ für viele Problcmc dcr Kinetik: Die Bewegungs-Differenzialgleichungen sind nichtlinear und entziehen sich einer geschlossenen Lösung. Lineare Differenzialgleichungen sind in der Kinetik selten. Wenn sie dann auch noch konstante Koeffizienten haben (wie im Beispiel 4, weil ~ konstant ist), sind sie geschlossen Jösbar2 , Bis auf ganz wenigc Ausnahmen sind die Bewegungs-Differenzialgleichungen der Kinetik nichtlineare Differenzialgleichungen 2. Ordnung, die nur numerisch gelöst werden kÖl1Jlen. Das fLir verschiedene Aufgaben der Festigkeitsberechnung (lineare Randwertprobleme) so erfolgreich verwendete Differenzenverfahren (vorgesteUt im Kapitel 18) scheidet für die Lösung nichtlinearer Differenzialgleichungen aus. Das Ersetzen der Differenzialquotienten durch Differenzenquotienten an einer großen Anzahl ausgewählter Punkte würde auf ein nichtlineares Gleichungssystem und damit in der Regel zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen, Glücklicherweise treten die nichtlinearen Probleme der Kinetik im Allgemeinen als Anfangswertaufgaben 3 auf (an einem bestimmten Punkt, in der Regel am Anfang der Bewegung, sind alle interessierenden Größen bekannt). Für diesen Aufgabentyp stehen leistungsfähige numerische Verfahren zur Verfügung, Der nachfolgend gegebeue kurze Einblick vermittelt nur die nötigsten Erkenntnisse, auf die auch dann nicht verzichtet werden kann, wenn ein fertiges Computerprogramm genutzt werden soll. Die Anfangswertprobleme bestehen aus einer Differenzialgleichung 2. Ordnung und zwei Anfangsbedingungen (bei Systemen mit mehreren Freiheitsgraden sind es mehrere Differenzialgleichungen und eine entsprechend größere Anzahl von Anfangsbedingungen). Umgestellt nach dcr Beschleunigung, sieht das Anfangswertproblem fLir das Beispiel 3 aus dem vorigen Abschnitt so aus:
rp(t=O)=O
rp(t =0) =0
(28.10)
Das Anfangswenproblem für das Beispiel 4 kann so formuIiert werden:
x=
-J.l8 -2)J ~i+ %x
x(t = 0) = a
.«1 =
0) = 0
(28.1 1)
2Man soll ce sich allerdings die geschlossene Lösung unter www.TM-aklllcll.dc einmal anschauen. Die entstehenden Ausdrücke sind für die Handrechnung kaum zumulbar. und nach der Lösung der Differenzialgleichung führt die Frage der Aufgabemtel1ung schließUch auf eine nichtlineare Gleichung. die nur numerisch gelöst werden kann. so dass man durchaus berechtigt fragen darf: .,Warum dann nicht gleich numerisch?" 3Und wenn es einmal keine Anfangswert3ufgabe ist (es soll z. B ein bestimmter Punkt am Ende der Bewegung erreicht we.rden). dann lUlL'\S man doch djc Algorithmen fUr Anfangswcrtprobleme verwenden. die dann ilerativ mehrfach angewendel werden (,,zielschießen·'). bis die vorge~hriebcne Endbedingung erfLilll ist
28 Kinetik des Massenpunktes
526
28.3.2 Numerische Integration von Anfangswertproblemen Die Verfahren für die numerische Integration von AnfangswenprobJemen werden üblicherweise für eine Differenzialgleichung I. Ordnung formuliert4 , weil damit auch der allgemeine Fall abgedeckt wird: Differenzialgleichungen höherer Ordnung (auch DifferenziaJgleichungssysteme) lassen sich immer durch Einfuhren von zusätzlichen Variablen auf ein DlfferenzialgleichuJlgssystcm I. Ordnung überführcn. Der erste Schritt zur numerischen Lösung einer Bewegungs-Differenzialgleichung ist also das Umschreiben auf ein System I. Ordnung. Man fUhrt dazu fUr die erste Ableitung der Variablen (ciJ bzw. x) neue Bezeichnungen ein, sinnvollerweise die Symbole nir die Geschwindigkeiten. Das Anfangswenproblem 28.11 wird also z. B. folgendermaßen formuliert:
x=
x(r = 0) = a
v
v=-iJ.g-2/.l(t~v+coJx
(28.12)
v(r=O)=O
Allgemein sieht ein solches Anfangswertproblem mit zwei Differenzialgleichungen I. Ordnung und den zugehörigen Randbedingungen so aus:
·i:=fl(i.x,v)
X(I = '0) = xo
v=
V(t=IO)=VO
h(l.X, v)
(28.13)
Gesucht sind die Funktionen X(I) und V(I), die die Differenzialgleichungen und die Anfangsbedingungen in 28. J3 erfüllen. Ausgehend vom einzigen Zeitpuokt, für den der gesuchte x- Wert und der gesuchte v-Wert bekannt sind, dem Allfangspunkt ro mit den Werten Xo und vo, sueht man die Werte XI und VI für den Zeitpunkt '1 = 10 +!'J, um anschließend auf gleiche Weise zum nächsten Zeitpunkt zu kommen usw. Dieser Prozess sei bis zum Zeitpunkt I; abgelaufen, Xi und v; sind bekannt. Dann ist das Berechnen von X;+l und V;+I für den Zeitpunktli+1 = I; +!'J der typische Integrationsschritt des Verfahrens, der am Beispiel der ersten Differenzialgleichung in 28.13 demonstriert werden soll: Bcide Seiten der Differenzialgleichung x = fl (I ,X, v) werden über das Zeitintervall !'J integriert: ',+1
IX~
/1+1
.f X(I)dr=.f fl(i,x,v)dt r=tj
'=1, 11+1
[X(I)];:+I =Xi+1 -Xi = .f fl(I,X,V) dl (-=-lj
'i+l
Xi+1 =Xi+.f fl(I,X,v)dl
(28.14)
Abbildung 28.2: Integrationsschriu für x(t)
(=-1 1
4Es gibl auch Formelsätze für Differenzialgleichungen höherer Ordnung (z. B. das. Verfahren von Runge-KUlta-Nyström mr die in der Kinetik typischen Differenzialgleichungen 2. Ordnwlg). die aber im Wesemlichen eine Zus3mmcnfas5>Ullg
der Formeln für die Din"crenzialgleichungen 1. Ordnung sind und keine nennenswerten Vorteile bringen
28.3 Lösungen rur Bewegungs-Differenzialgleichungen
527
Das Integral auf der rechten Seite von 28.14, das den Zuwachs des Funktionswertes vom Punkt i zum Punkt i + I repräsentiert, muss näherungsweise gelöst werden, weil die im Integranden enthaltenen Fuuktionenx(l) und 1'(1) nicht bekannt sind. Die verschiedenen Verfahren der numerischcn Integration von Anfangswcrtproblcmen unterschcidcn sieh im Wcscntlichen in der Art und Qualität, wie dieses Integral angenähert wird. Die gröbste Näherung für das Integral in 28.14 ist die Annahme, der Integrand fl (I,X,V) sei im gesamten lntegrationsintervall li ~ I ~ li+1 konstant und kann durch den Wert fl (li, X;, Vi) am linken Rand des Integrationsintervalls ersetzt werden (li, Xi und Vi sind bekannt). Mit li+1
J
fl(I,X.v)dl '" [lfl(li,Xi,Vi)]:;+' =fl(li,Xi,Vi)(Ii+I-li) =);iill
/=(/
wird aus 28.14 die nach LEONHARD EULER (1707 - 1783) und AUGUSTIN LOUIS CAUCHY (1789 - 1857) benannte Inlegralionsformel von ElIler-Cauchy: (28.15) (die auf gleichem Wege zu gewinnende Fonnel flir Vi+1 wurde in 28.15 ergänzt). Dies ist die einfachste Näherungsfonnel für die numerische Integration eines Aruangswenproblcms, die Lösungcn X(I) und 1'(1) werden durch Polygonzügc approximiert. Die einfachc Berechnungsvorschrift verdeutlicht in besonderer Schärfe das Problem aller Integrationsfonnein fur Anfangswertproblcmc: Die Näherungslösung für das Integral in 28.14 crzcugt einen Fehler (Quadralwfehler), der in die Berechnung von); und v flir den nächsten Integrationsschritt eingeht und dabei einen weiteren Fehler (Sleigllngsfehler) erzeugt. Eine Verbesserung der Näherung für das Integral in 28.14 kann durch das Einbeziehen weiterer Punkte des Integrationsintervalls ill en'eicht werden. Natürlich ist auch das problematisch, denn die Werte für den Integranden können ja nur am linken Rand mit bekannten Größen berechnet werden. Zwischenwerte erfordern vorab die Berechnung der (wieder nur l1äherungsweise zu gewinnenden) Werte von X(I) und 1'(1) an diesen Stellen. Nach eARL RUNGE (1856 - 1927) und MARTIN WILHELM KUTTA (1867 - 1944) ist eine besonders beliebte Verfahrensfamilie benannt, bei denen man mit einem Formelsatz vom Zeitpunkt li zum Zeitpunkt li+1 so gclangt, dass dic Gcnauigkcit dcr Berücksichtigung eincr bestimmtcn Anzahl von Gliedern der Taylorreihen-EntwickJung der Lösung entspricht. Ein Runge-KuttaVerfahren 4. Ordnung, das ftir einen Integrationsschritt vier Funktionswerte berechnet, arbeitet z. B. mit folgendem Fornlelsatz: Xi+1 = xi+~(klx+2k2,+2k3x+k4x) ,li+1 = li+ill,
Viii = Vi+ ~(kl,+2k2,+2k3,+k4') ,
k 1x
=
/1 (tilXj, Vi)
,
kl v
= f2(tilXi: Vi) ,
k2x = fl(li+~,Xi+~k",Vi+~kl') , k2, = h(li+~,Xi+~klx,Vi+~kl'), kJx
=
fl(li+~,Xi+~k2"Vi+~k2') , kJ,
=
h(li+~,Xi+~k2x,Vi+~k2'),
k 4x = f,(li+ill,Xi+illk3."Vi+illkJ,) , k4, = h(li +ill,Xi +illk3x, Vi +illk3,') .
(28.16)
528
28 Kinetik des Massenpunktes
28.3.3 Schrittweiten, Fehler, Kontrollen Die Anzahl der verfügbaren Verfahren fiir die numerische Integration von Anfangswertproblemen ist kaum zu überblicken. Dass dje Formeln wie z. B. der Formelsatz 28.16 etwas unhandlich aussehen, ist unbedeutend, denn eine Handrechnung verbietet sich in der Regel von selbst, zumal leistungsHihige Software-Produkte verfügbar sind. Allen Verfahren gemeinsam ist, dass mit kleinen Schrittweiten die Genauigkeit verbessert und der Aufwand vergrößert wird 5 Leider gibt es weder das ideale Verfahren noch eine sichere Möglichkeit der Fehlerabschätzung. Bei einem Verfahren 4. Ordnung (Übereinstimmung mit den ersten 5 Gliedern der TaylorreihenEntwicklung) wie 28.16 entsteht in jedem Integrationsschritt ein Fehler in der Größenordnung (1l/)5, der bei genügend kleiner Schrittweite sehr klein ist, andererseits reagiert das Verfahren bei zu großer Schritlweite sehr empfindlich. Es gibt zwei praktikable Strategien. den in einem Schritt erzeugten Fehler abzuschätzen: • Jeder Schritt wird ein zweites Mal mit halber Schrittweite gerechnet. Dann kann einerseits eine Fehlerabschätzung (und eine Korrektur der berechneten Werte) vorgenommen werden, außerdem kann man bei zu großen Abweichungen die Schrillweite verkleinern. • Es wird nach zwei verschiedenen Velfahren gerechnet. Dafür gibt es feinsinnig ausgedachte Strategien, bei denen die für den aktuellen Schritt berechneten Funktionswerte für beide Verfahren genutzt werden können (realisiet1 z. B. in den so genannten "Eingebetteten RungeKutta- Verfahren"). Auch damit kann die Schriltweite gesteuert werden. Aber es bleibt schwierig, besonders FLir den Praktiker. Die Fragen "Wie groß ist eine zu große Abweichung in einem Integrationsschritt?" oder "Wie wirkt sich ein kleiner Fehler bei den ersten Integrationsschrillen auf die Funktionswerte am Ende des gesamten Zeitbereichs aus?" können niCht generell beantwortet werden. Eine Alternative zu den so genannten Eillschritrve(fahrell (Runge-Kutta- Verfahren), bei denen nur die Werte zum Zeitpunktt; als Basis für die Berechnung der Werte zum Zeitpunkt t;+ I benutzt werden, sind die Mehrschrittvetfahren, die durch das Einbeziehen auch vorab berechneter Werte die Genauigkeit steigern. Für diese Verfahren sollte jedoch die Schrillweite möglichst konstant sein, so dass die beschriebenen Strategien FLir die Schrillweitensteuerung ungeeignet sind. Es gibt kaum ein anderes Gebiet der Technischen Mechanik, in dem die mathematischen Hilfsmittel mit so viel Vorsicht zu benutzen sind wie bei der numerischen Lösung von Anfangswet1problemen, zu der es allerdings aueh keine Alternative gibt. Auch die Hinweise in Handbüchern von Mathematik-Software, dass modernste Verfahren eingesetzt werden und dem Anwender dje Wahl einer geeigneten Schrittweite durch integriette automatische Sehrillwcitensteuerung erspa.1 bleibt, sollten auf keinen Fall zur Akzeptanz der errechneten Ergebnisse ohne eigene wirkungsvolle Kontrollmaßnahmen verführen. Zahlreiche Beispiele (www.TM-akmell.de) zeigen, dass die Standard-Einstellungen bei dcn kommerziellen Software-Produkten nicht ausreichen, um Anfangswet1probleme auch üher nur begrenzte Zeitintervalle korrekt zu löscn. 5Auch diese Aussnge ist zu relativieren. denn bei sehr kleinen und damit sehr vielen Schrillen steigt mil der Anzahl der Rechenopcrationen auch die Gefahr der Rundungsfehler.
28.3 Lösungen rur Bewegungs-Differenzialgleichungen
529
I
Beispiel]: I_"';'_....1 Das Beispiel31m Abschnitt 28.2.2 auf Seite 523 (siehe auch nebenstehende Skizze) führte auf das Anfangswertproblem 28.10 (Seile 525). Durch EinfUhren der neuen Variablen w = ep kommt man zu Differenzialgleichungen I.Ordnung:
ep=w W. =
- p
rp(1 = 0) = 0 g .) (2 g cos rp W + Rsm rp sgn w + R
In dieser Form kann es einschlägigen Programmen angeboten werdcn. Abbildung 28.3 zeigt die Lösung der beiden Anfangswertprobleme Flir die in der AufgabensteIlung vorgegebenen Werte (R = I mund p = 0 bzw. P = 0,05) im Zeitbereich O:S t lOs.
:s
ql
•
3
W(I =
0) = 0
(t)