John Vornholt
Babylon 5
Tödliche Gedanken
Roman
scanned by Jamison corrected by Jez
1 »Willkommen auf dem Mars«, s...
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John Vornholt
Babylon 5
Tödliche Gedanken
Roman
scanned by Jamison corrected by Jez
1 »Willkommen auf dem Mars«, sagte die warme Computerstimme, »Die Zeit ist 24:13 Mars-Standard und die Temperatur beträgt gegenwärtig zweihundertundein Grad Celsius. Morgen werden Temperaturen von bis zu zweihundertvierundsiebzig Grad erwartet, mit leichten Staubwinden. Bitte Vorsicht beim Ausstieg, da die Gravitation des Mars nur achtunddreißig Prozent der Erdschwerkraft beträgt. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.« Ja, dachte Harriman, meine Schritte auf dem Laufband sind in der Tat leichter als gewöhnlich. Scheu und zurückhaltend, wie er war, pflegte er selten freudig von einem Fuß auf den anderen zu hüpfen. Er pfiff auch nie während der Arbeit. Sein Job als Telepath für Earthforce erforderte ein Auftreten, das sich nur wenig von dem eines Bestattungsunternehmers unterschied. Heute jedoch fühlte er sich regelrecht aufgekratzt, denn er sollte eine neue Aufgabe übernehmen als
Verbindungsoffizier von Mr. Bester. Bester war der fähigste der Psi-Polizisten; stets bekam er die schwierigsten Aufträge: die Jagd auf Wilde Telepathen. Aber er war mehr als nur ein PsiPolizist, das wußte Gray sehr wohl. Bester war einer der mächtigsten Männer im ganzen Psi-Corps, jener sorgfältig abgeschirmten Organisation zum Training und zur Kontrolle militärisch und zivil eingesetzter Telepathen. Obwohl sein Name auf keiner Liste berühmter Persönlichkeiten zu finden war, gehörte er zu den einflußreichsten Figuren in der gesamten Earth Alliance. Gray wurde von einigen Kindern abgelenkt, die ein paar Schritte vor ihren Eltern dank der niedrigen Schwerkraft auf und ab sprangen. Er war froh, selbst keinen Nachwuchs zu haben, wenngleich ihn in letzter Zeit unerklärliche väterliche Gefühle überkamen. Das liegt an Susan, dachte er. Susan Ivanova von Babylon 5. Sie hatte in ihm diese seltsamen Empfindungen wachgerufen: Und was hatte er in ihr geweckt? Haß und Abscheu. Er wagte kaum, sich selbst Mut zuzusprechen, wenn es um Susan ging, aber am Ende seines ereignisreichen Besuches auf Babylon 5 hatte er eine Spur von Sympathie, einen Hauch von Verständnis in ihrem Umgang mit ihm gespürt. Zumindest glaubte er das. Schließlich konnte man sich das Leben als Telepath nicht aussuchen. Susan Ivanova sollte das besser als alle anderen wissen. Sie hatte so unendlich viel Zuneigung für ihre Mutter, eine Wilde
Telepathin, warum nicht auch für ihn? War er so anders, nur weil er seine Gabe akzeptiert hatte und dem Corps beigetreten war, um sie trainieren und regulieren zu lassen? Was war er anderes als ein Soldat, der in einem Moment tötete und im nächsten den Frieden zu wahren hatte? Man lebte schließlich in einer Gesellschaft, die Regeln brauchte. Und diese Regeln waren zum Wohle aller da. Gut, diese Regeln waren für einige Menschen leichter zu befolgen als für andere, dachte Mr. Gray. Aber niemand wollte Anarchie - wie bei den MarsAufständen vor einigen Wochen. Die Kämpfe waren vorbei, und der größte Schaden war nicht in der Region verursacht worden, in der er sich augenblicklich aufhielt. Es würde eine Kleinigkeit sein, die Meinungsverschiedenheiten auf dem Mars beizulegen, verglichen mit dem Versuch, Susans Herz zu gewinnen. Hätte er doch nur eine Chance, noch einmal nach Babylon 5 zurückzukehren, mit ihr zu reden, sie zu überzeugen, daß er kein Ungeheuer war. In diesem Augenblick erregte eine andere Frau sein Interesse: die Sicherheitsbeamtin am Ende des Ganges. Gray isolierte ihre Stimme von den anderen, die unablässig durch seinen Kopf schwirrten, wenn er sich in einer Menschenmenge befand. Es waren nicht wirklich Stimmen, nur Gedanken, aber sein Geist übersetzte diese Gedanken in eine Art inneren Monolog. Wenn er sich konzentrierte, konnte er jede einzelne Stimme herausfiltern, verstärken und sogar
die Emotionen und Motive dahinter ertasten. Er zog seine Identitätskarte in dem Moment, als die Frau danach fragen wollte, und er spürte einen Anflug von Angst als Reaktion auf die Karte und seine PsiCorps-Abzeichen, obwohl ihr lächelndes Gesicht etwas anderes ausdrückte: »Schönen Aufenthalt, Mr. Gray.« Viele Telepathen genossen diese Angst, die sie unvermittelt bei Fremden auslösten. Sie zogen sich daran hoch und waren enttäuscht, wenn die Psyche des Gegenübers sich nicht vor ihnen beugte. Gray hingegen fand so etwas nur deprimierend. In diesem Augenblick der Unachtsamkeit traf ihn ein derart heftiger Gedanken-Scan, daß es ihn fast umwarf. Wenn ihn die geringe Schwerkraft nicht gegen eine Wand geworfen hätte, wäre er zu Boden gestürzt. »Ist alles in Ordnung?« fragte die Sicherheitsbeamtin, während sie nach seinem Ellbogen griff und ihm aufhalf. »Ja, ja,« keuchte er, während er seinen Kopf zu klären versuchte. Wer hatte ihm das angetan? Ein kleiner Mann mittleren Alters in schwarzer Uniform trat hinter einem Pfeiler hervor. Er lächelte; ein hoffnungsloser Versuch, freundlich zu wirken. Doch es ging nur Herzlosigkeit von ihm aus. »Ihr Freund wird sich um Sie kümmern,« sagte die Beamtin und überließ Gray den behandschuhten Armen des Mannes. »Ich freue mich, Sie zu treffen«, sagte Bester, ohne dabei den Mund zu öffnen.
Gray blinzelte erstaunt und antwortete telepathisch: »Ich hatte nicht erwartet, daß Sie mich persönlich abholen würden, Mr. Bester.« »Sie werden feststellen«, entgegnete Bester nun laut vernehmlich, »daß ich an der alten Weisheit festhalte: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« Gray hätte um ein Haar gegen den GedankenScan protestiert, der ohne seine Erlaubnis und ohne Vorwarnung über ihn gekommen war. Aber er wußte, daß es sinnlos gewesen wäre. Bester stand über dem Gesetz, und anscheinend arbeitete er lieber von einer Position hinter den Pfeilern und auch hinter den Politikern aus. In einer privilegierten Gruppe war er der Privilegierteste. Harriman Gray war ein schmächtiger Mann und es beruhigte ihn, daß Bester kaum größer war als er. Wenn man die beträchtliche Menge an Haaren auf Besters Kopf abzog, war er vielleicht sogar ein wenig kleiner. Der Psi-Polizist runzelte die Stirn: »Ja, aber ich bin ein P12, und Sie sind nur ein P10.« »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten«, entschuldigte sich Gray schnell. Bester lächelte und begann, durch den Korridor zu schreiten: »Natürlich nicht. Laut einigen Studien sind kleinere Männer empfänglicher für Telepathie. Glauben Sie, daß die Evolution dadurch den Größennachteil auszugleichen versucht ?« »Ich habe die Berenger-Studie ebenfalls gelesen,« erwiderte Gray, »aber ich finde nicht, daß sie einen
Beweis erbracht hat. Schließlich hat dieselbe Studie erwiesen, daß größere Frauen empfänglich für Telepathie sind. In meinen Augen scheint es sich dabei nur um eine statistische Unstimmigkeit zu handeln.« »Genau darum wollte ich Sie selbst abholen«, bemerkte Bester zufrieden, »um mit Ihnen ein wenig zu plaudern. Sie wissen, daß dieser Auftrag nicht viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir bügeln einige Falten in den Konferenzdetails aus und gehen dann ins Wochenende. Aber ich bin auf der Suche nach einem neuen Assistenten.« Das überraschend offene Angebot einer Beförderung erwischte Gray völlig unvorbereitet, dennoch blockte er seine Reaktionen so gut wie möglich ab. Trotzdem spürte er den Geist Besters, der auf der Suche nach einer Reaktion in seinen Kopf drängte. Seine Methode, sich dieser Sondierung zu verweigern, schien indes effektiv. »Ich habe von der armen Miss Kelsey gehört«, sagte Gray jetzt und schüttelte betrübt den Kopf. »Eine Tragödie.« Bester zuckte die Achseln und stellte den Scan ein: »Sie kannte das Risiko. Wir erfüllten unseren Auftrag, das stand im Vordergrund. Als Sie auf Babylon 5 waren, kamen Sie auch minus einer Person wieder.« Touché, dachte Gray. »Ja, auch das war eine Tragödie«, sagte er mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit.
»Unsinn«, bellte Bester, »Ben Zayn war ein Schwächling, ein ausgebrannter Krieger, genau wie Sinclair.« Der Mann in der schwarzen Uniform schlug nun den Weg in einen anderen Gang ein und Gray folgte ihm auf dem Fuße. Abgesehen von der Leichtigkeit der Bewegungen deutete nichts darauf hin, daß sie auf dem Mars waren. Die Andockareale sahen wie in jeder anderen Installation für Sauerstoffatmer aus: Es gab die üblichen überfüllten Korridore, Souvenirläden, Floristen, Zeitungsstände, Restaurants und Geldautomaten. Man konnte nur von der Aussichtskuppel etwas von dem Roten Planeten sehen. Bester zog weiter über Babylon 5 her: »Weder Sinclair noch Ben Zayn waren für den Posten auf B5 geeignet. Und jetzt haben wir einen weiteren Kriegshelden dort - John Sheridan. Das ist das Problem mit dem Senat und dem Präsidenten: Sie hieven Kriegshelden in die Kommandopositionen, nur weil sie beliebt sind.« »Sie halten wohl nicht viel von Captain Sheridan?« fragte Gray überrascht. »In der Earthforce denkt jeder, er sei die richtige Wahl gewesen.« »Wenigstens hält er sich an die Regeln«, räumte der Psi-Polizist ein. »Ein ehrliches Arbeitstier. Aber er wird schnell merken, daß für Babylon 5 nur wenige Regeln gelten. Ich behalte mir ein Urteil vor, bis ich sehe, wie er sich in Streßsituationen verhält.«
»Wäre es Ihnen lieber, wenn jemand vom Corps B5 führen würde?« »Nein«, antwortete Bester, »wir bleiben besser im Hintergrund. Aber es wäre gut, einen Freund auf diesem Posten zu haben.« Gray räusperte sich und versuchte, das Gespräch wieder auf die Beförderung zu lenken: »Wenn Sie einen neuen Assistenten brauchen, muß er oder sie dann nicht Psi-Polizist sein?« »So denkt man gemeinhin - ein Psi-Polizist hält sich an seinesgleichen. Aber das ist nicht die offizielle Politik. In vielerlei Hinsicht ist es besser, meinen Assistenten nicht auch als meinen Ersatzmann zu betrachten. Ich finde jederzeit problemlos Psi-Polizisten, die nach den Flüchtigen fahnden, aber ein fähiger Assistent ist schwer zu ersetzen.« Nach einer weiteren Biegung fuhr Bester fort: »Mein Assistent muß Mitglied des Psi-Corps sein und einen Tiefen-Scan zulassen. Das ist Grundvoraussetzung. Abgesehen davon könnte es jeder sein.« Der ältere Telepath blieb plötzlich stehen, drehte sich um und blickte Gray fest in die Augen: »Ich habe zahlreiche Informationen über Sie eingeholt, Mr. Gray. Mir gefällt, wie Sie es schaffen, aus jedem Gefecht als Sieger hervorzugehen. Das und Ihren militärischen Background finde ich ausgesprochen positiv.«
Gray wartete auf den Stoß eines Tiefen-Scans, aber nichts geschah. Bester sah ihn nur an, einen zufriedenen Ausdruck auf dem überraschend jugendlichen Gesicht. Es war, als wollte er sagen: Ich kann in jeden Geist springen, jederzeit, aber diesmal lasse ich es gut sein. Und so nahm der junge Verbindungsoffizier das Angebot für das, was es war - eine Probezeit als Mr. Besters Vollzeitassistent. Trotzdem vergaß Gray keinen Augenblick, daß er hier war, um die Standpunkte des Militärs bei einer bevorstehenden Konferenz hochrangiger Telepathen zu vertreten. Pressemitteilungen zufolge ging es um kommerzielle Anwendungen von Telepathen. Repräsentanten aller großen Unternehmen würden zugegen sein, aber jeder wußte, wer das Corps kontrollierte. Die Militärtelepathen stritten mit denen der Konzerne um die Brotkrumen der Macht, die Bester längst besaß. Sie mochten ihre eigenen Bereiche im Griff haben, aber Bester und die PsiPolizisten kontrollierten sie alle. »Die Transportbahn ist dort hinten«, sagte Bester, »wir haben ein eigenes Abteil.« »Mein Gepäck«, warf der junge Telepath ein. Bester lächelte: »Wird schon in Ihre Suite gebracht. Ich denke, das Royal Tharsis-Hotel wird Ihnen zusagen.« In der Ruhe des abgeschlossenen Bahnabteils konnte Harriman Gray endlich entspannen und sich der Aussicht widmen, oder was in der dunklen
marsianischen Nacht davon zu sehen war. Der wütende Rote Planet sah gar nicht so wütend aus, überzogen mit einem Netz von Bahnröhren, vorgefertigten Siedlungen und geschützten Kuppeln. Er ähnelte eher einer riesigen Ansammlung von Termitenhügeln auf einem großen staubigen Parkplatz. Unter ihnen gähnte eine gigantische Schlucht, in der nur die Lichter einer wissenschaftlichen Station auf einem Felsvorsprung auszumachen waren. Gray schätzte die Schlucht sechs Kilometer tief, dreimal so tief wie der Grand Canyon. Sie verlor sich in der Distanz, ehe er noch einen genaueren Blick riskieren konnte. Mit einem Minimum an Schwerkraft und Haftung glitt die Bahn mit vierhundert Stundenkilometern über die Oberfläche des Mars. Gray wandte seinen Blick nach vorne, dem Ziel entgegen - der Tharsis-Anhöhe, ein Plateau vulkanischer Aufbrüche, das fünf Kilometer hoch in den Himmel ragte. Angestrahlt wie die Pyramiden, konnten die Lichter kaum einen Bruchteil der wahren Größe erfassen. Bei Tageslicht schien sich dieses Ungetüm in die Unendlichkeit auszudehnen, doch Gray wußte, daß es nur ungefähr dreitausend Kilometer maß. Die Tharsis-Anhöhe war eine Touristenattraktion erster Güte, das konnte niemand bestreiten. Und das Royal Tharsis war ein piekfeines Haus, so piekfein, daß sowohl der Manager als auch der Chef Centauris waren. Gut und schön, dachte Gray, aber wenn man
von den centaurischen Annehmlichkeiten einmal absieht, gibt es hier draußen nicht mehr zu sehen als plattes Gestein. Er hätte einen Konferenzort auf der Erde vorgezogen, inklusive Grünanlagen und Wasser. Nicht diesen heißen, staubigen Fels. Bester war still und nachdenklich, während er aus den gewölbten Fenstern sah. »Sie sehen hier nichts Interessantes, oder?« bemerkte er. »Das ist wahr«, antwortete Gray, »ich fand den Mythos Mars schon immer reichlich überbewertet. Hinter der Fassade all dieser grazilen Röhren ist viel Armut verborgen, Mißgunst und ... nichts. Die Menschen haben hier nach etwas gesucht, nur wenige haben was gefunden. Nun wollen sie den Schwarzen Peter dafür dem Planeten zuschieben, von dem sie kommen.« »Ja«, sagte Bester, während er zum Horizont blickte, der rosa überhaucht war. »Aber wenn man hier auf dem Mars etwas findet, ist es vielleicht unbezahlbar.« Obwohl sie ganz allein in dem Privatabteil waren, beugte sich Gray vor und flüsterte verschwörerisch: »Es gibt Gerüchte über Ereignisse auf unserem Außenposten in Syria Planum. Dürfte ich Sie fragen, Mr. Bester, was dort geschieht?« Der kleine Mann fuhr hoch: »Diese Information steht dem zu, der sie braucht. Sie brauchen sie nicht.« »Entschuldigung, Sir«, sagte Gray und setzte sich wieder gerade hin. Das Militär hatte eine ziemlich
genaue Vorstellung von dem, was im Psi-CorpsTrainingscenter vor sich ging, und man hatte ihn darüber informiert. Aber es war weder die Zeit noch der Ort, das Thema weiter zu verfolgen. Bester entspannte sich wieder ein wenig, aber er wirkte immer noch abwesend. »Sie müssen verstehen, daß wir niemandem etwas über Syria Planum sagen können, weil wir die einzigen sind, die es geheimhalten können.« »Ja«, nickte der junge Telepath. Seit die Existenz der Telepathie vor sechs Generationen wissenschaftlich nachgewiesen worden war, testete und beobachtete das Psi-Corps Telepathen. Es war von einer kleinen Unterabteilung zur bestgehaßten Organisation in der Allianz angewachsen, und die meisten Telepathen betrachteten sich als genetisch überlegen. Es war ihre Last, daß all die Gewöhnlichen, die NichtTelepathen, zu einer niederen Klasse werden mußten. Er mochte den Gedanken nicht wirklich, sah darin aber eine Art natürlicher Evolution der Gesellschaft. Wer konnte sich ihnen in den Weg stellen? »Es ist spät«, sagte Bester, »aber ich kann sofort eine Führung durch das Hotel für Sie arrangieren, wenn Sie wollen.« »Ich war schon einmal hier«, antwortete Gray, »wenn auch nur für einen Tag. Es ist eine schöne Anlage.«
»Und sicher«, ergänzte der Mann in der schwarzen Uniform. »Die Schienenbahn ist der einzige Weg hin oder zurück. Wahrend des Wochenendes können wir dafür sorgen, daß nur Teilnehmer der Konferenz und einige ausgesuchte Gäste hier absteigen.« Gray schüttelte zögernd den Kopf: »Ich bin soviel gereist, daß ich nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand bin. Machen die Separatisten uns immer noch Sorgen?« »Verdammte Idioten«, grummelte Bester, »sie haben nicht die geringste Chance. Wir werden den Mars keinem Haufen ungebildeter Minenarbeiter überlassen, glauben Sie mir.« Gray räusperte sich: »Das Militär hätte einen Konferenzort auf der Erde vorgezogen, Sparta oder vielleicht West Point.« Bester lächelte: »Haben Sie jemals marsianisches Basketball gespielt?« Gray beugte sich interessiert nach vorne: »Nein, aber ich habe davon gehört.« »Es ist wie Basketball auf der Erde«, erläuterte Bester, »aber dank der geringen Schwerkraft kann jeder punkten. Es gibt hier ein paar wundervolle Plätze, und vielleicht kann ich Sie mal zu einem morgendlichen Spiel überreden. Wir müssen die Verträge mit dem Hotel nicht bis morgen abend unterzeichnen.« »Sehr gerne«, strahlte Gray.
Der junge Mann fühlte sich bereits etwas entspannter. Sicher waren all die Geschichten über Mr. Bester nicht wahr. Er konnte das Hotel nun sehr deutlich erkennen, eine Art Deco-Monstrosität, die überhaupt nicht wie ein Hotel aussah. Nur die vorragenden Felskanten von Tharsis gaben dem Komplex Form. Da ließ eine Explosion das zerklüftete Gestein aufblitzen, und glühende Teile des Hotels schossen in alle Richtungen. Stühle, Tische und andere Objekte wurden mit Wucht in die dünne Atmosphäre katapultiert. Die Flammen erstarben sofort, während die Trümmer weiter umherflogen. Die Schockwelle rüttelte an der Schienenbahn, und wenn sie nicht angeschnallt gewesen wären, hätte es die Passagiere von den Sitzen gerissen. Die Beleuchtung flackerte kurz, und die Bahn kam vibrierend zum Stehen. Der Sauerstoff war noch nicht verbraucht, aber Gray schnappte bereits nach Luft. »Ruhig«, befahl Bester, »was immer Sie tun, öffnen Sie den Gurt nicht. Was ist mit diesem Ding los?« Er schlug gegen die Kontrolltafel über seinem Kopf und ein Dutzend Atemmasken purzelte heraus, die wie die Tentakel eines aufgeblasenen Tintenfisches von der Decke baumelten. Die Veränderung des Luftdrucks ließ Papier und Becher durch den Raum schweben.
»Setzen Sie eine Maske auf«, sagte Bester. Gray hielt bereits vier davon in seinen Händen. Sie legten die Sauerstoffmasken an und warteten im flackernden Schein der Kabinenbeleuchtung. Gray spürte, wie sich seine Kleidung spannte, und die Haare auf seinen Armen und auf seinem Nacken schienen sich aufzurichten, während die Luft immer trockener wurde. In ein paar Minuten werden wir in sauerstoffloser, zweihundert Grad heißer Atmosphäre verdorren, dachte er in Panik. Er schaute auf das gähnende Loch im Royal TharsisHotel. Immer noch flogen Überreste heraus, und manche davon sahen wie menschliche Leichen aus. Oder centaurische Leichen. Die Stimmen begannen, auf seinen Geist einzustürzen. Gray schloß die Augen und konzentrierte sich auf seine Atmung. Bester riß sich die Maske vom Gesicht und schnupperte. »Bleiben Sie sitzen«, rief er, »das ist ein Befehl. Ich werde versuchen, meine Gurte zu lösen und dieses Ding in den Rückwärtsgang zu schalten.« Gray hob seine Maske ein wenig an, um sprechen zu können: »Nein, Mr. Bester. Wenn die Luft rausgesaugt wird, fliegen Sie womöglich mit.« »Denken Sie, ich will hier sitzen und zu Tode gebacken werden?« antwortete Bester, während er bereits seine Gurte löste. Er sprang auf und riß die Abdeckung über seinem Kopf aus der Decke: »Obwohl man sagt, daß Austrocknung eine der angenehmeren Todesarten ist.«
»Das will ich gar nicht wissen!« kreischte Gray. Er schluckte und zog die Maske wieder ganz über sein Gesicht. Bester war wie besessen, er riß Paneele aus der Decke, dem Boden, den Wandkabinen und dem Waschraum. Manchmal griff er nach der Maske, um einen Zug Sauerstoff zu nehmen, aber das hielt ihn nur kurz auf. Hinter der Verschalung über dem Waschbecken fand er, wonach er gesucht hatte: ein Paar altmodisch anmutender Hebel. »Manuelle Steuerung«, erläuterte er, »eine nicht in den Handbüchern verzeichnete Sicherheitsvorkehrung. Erstaunlich, was man alles mitbekommt, wenn man den ganzen Tag die Gedanken anderer Leute liest.« Bester nahm noch einen Atemzug aus der Maske und griff nach den Hebeln, Sein normalerweise welliges Haar hing in wirren Strähnen um seinen Kopf, und Schweiß lief sein Kinn hinunter. Der PsiPolizist nahm sich zusammen und zog mit einem kräftigen Ruck an den Hebeln. Soviel Kraft erwies sich als unnötig, denn die Hebel gaben leicht nach. Es gab ein vernehmliches Krachen, und die Bahn erzitterte. Einen Augenblick darauf schoß sie so schnell rückwärts los, daß es Bester umwarf. Gray war froh, noch angeschnallt zu sein. Bester rappelte sich angeschlagen auf und kroch auf den nächst besten Sitz zu. Er schnallte sich wieder an, nahm eine Maske und inhalierte dankbar den frischen Sauerstoff.
Gray bemerkte nun, daß er selbst völlig durchgeschwitzt war. Er wollte sich zusammenreißen, doch das war angesichts des nun in völliger Finsternis liegenden Hotels und seiner klaffenden Wunde kaum möglich. Mit einem Mal wurden die Stimmen, die Schreie und die Angst lauter. Gray hielt sich die Ohren zu und versank in seinem Sitz. »Geben Sie sich ihnen nicht hin«, brummte Bester, »blocken Sie. Sie können ihnen nicht helfen.« Die deutlichen Worte beruhigten Gray ein wenig und halfen ihm, die Stimmen in den Hintergrund zu drängen. Er konzentrierte sich auf sein Zuhause in Berlin. Sein Zuhause, das war ein düsteres kleines Apartment im zweiten Stock, karg möbliert und mit einem Fenster samt Blumenkasten, das auf einen kleinen Teich sah. Er liebte es. Gray hatte das Apartment erst vor ein paar Monaten bezogen und war sehr stolz darauf, obwohl er bisher nur ein paar Nächte zwischen seinen Aufträgen dort verbracht hatte. Er wollte jemanden zum Essen in seine Wohnung einladen. Jemanden wie Susan. Er konzentrierte sich auf Susan Ivanova, bis die angstvollen Stimmen in seinem Kopf allmählich leiser wurden. Bester räusperte sich: »Nun, damit können wir das Royal Tharsis-Hotel wohl von unserer Liste streichen. Wohin könnten wir Ihrer Meinung nach die Konferenz so kurzfristig verlegen? Und schlagen
Sie jetzt bitte nicht die Erde oder das Trainingscenter auf Syria Planum vor.« »Wenn nicht die Erde«, sagte Harriman Gray, »dann vielleicht Babylon 5.« Bester nahm ein Taschentuch und wischte sich das Gesicht ab: »Hm, Sie möchten also gerne nach Babylon 5?« »Ja«, entgegnete Gray und richtete sich auf, »wir wollen doch beide sehen, wie Sheridan dort vorankommt. Die Station ist autark und relativ sicher. Ich weiß, daß Mr. Garibaldi ein Problem mit seiner Einstellung hat, aber er erledigt seine Arbeit und hat eine gute Mannschaft. Wir haben sogar eine permanente Telepathin dort, Talia Winters, die unser Verbindungsglied sein könnte.« »Verstehe ich Sie richtig«, sagte Bester. »Sie wollen auf B5 einfallen, nach kurzer Vorankündigung, mit vierhundert der höchstrangigen Telepathen des Psi-Corps?« »Ja, Sir.« Bester tippte sich mit dem Finger auf die Lippen und lächelte. »Auch wenn wir dort kein marsianisches Basketball spielen können, erscheint mir die Idee immerhin amüsant. Sie setzen sich mit Mrs. Winters in Verbindung, ich kümmere mich um meine Kanäle. Sie soll Captain Sheridan um Erlaubnis bitten, und ich will sicher sein, daß er nicht ablehnt.« Gray schluckte und begann: »Commander Ivanova ...«
»Wird wie immer Schwierigkeiten machen.« Bester schnalzte unwillig mit der Zunge. »Eine makellose Akte, bis auf diese sonderbare Ablehnung des Psi-Corps. Als wäre ihre Mutter die einzige Telepathin, die je in den Schlaf geschickt wurde.« Gray nahm sich vor, Susan nicht mehr zu erwähnen. Bester wußte nichts über sein Privatleben, auch wenn er die Schwärmerei für Susan möglicherweise bei dem unerwarteten Tiefen-Scan entdeckt hatte. Nun dachte Gray an seinen neuen Auftrag und nur daran ... Nur daran. Der junge Mann wagte noch einen letzten Blick aus dem Fenster. Das halbe Hotel auf dem Felsvorsprung war nun wieder erleuchtet, ein erfreuliches Zeichen. Die Notfallsysteme und die Luftschleusen hatten anscheinend ihre Arbeit aufgenommen. Und was das beste war: Die Stimmen waren bis auf ein leises Flüstern abgeebbt. »Glauben Sie, das waren die Mars-Separatisten?« fragte er vorsichtig. »Wer sonst?« »Ich frage mich, wieviele Menschen bei dieser Explosion umgekommen sind«, warf Gray in den Raum. Bester schloß die Augen: »Ich habe sechsundzwanzig gezählt.«
2 »Siebenundzwanzig Tote bei Attentat auf MarsHotel!« schrie die Schlagzeile der Universe Today. Talia Winters unterbrach ihren Spaziergang durch die Einkaufspassage und starrte auf die Zeitung, die in dem kleinen Geschenkladen im Schaufenster lag. Die hochgewachsene blonde Frau mußte nur die ersten Absätze lesen, um zu ahnen, daß ihr AlleSpesen-inklusive-Trip zum Mars gefährdet war. »Das Royal Tharsis-Hotel in der MarsZentralregion war am frühen Morgen Ziel eines Terroranschlags, bei dem siebenundzwanzig Menschen, die meisten davon Angestellte des Hotels, ums Leben kamen. Die Behörden haben noch keine heiße Spur, obwohl eine bislang unbekannte Terrororganisation die Verantwortung für das Attentat übernommen hat. Die Organisation nennt sich selbst >Freier Phobos< und hat ein Bekennerschreiben veröffentlicht, aus dem hervorgeht, daß das Attentat eine geplante Konferenz von Psi-Corps-Funktionären verhindern sollte. Ein Sprecher des Corps sagte, daß das Hotel
nur einer von vielen möglichen Veranstaltungsorten gewesen sei. Die Behörden gehen davon aus, daß der Angriff auf dem Landweg erfolgte, da auf der TharsisAnhöhe entsprechende Hinweise gefunden wurden.« Talia wandte sich ab und fragte sich, ob die Probleme auf dem Mars wohl jemals gelöst werden würden. Sie hatte jetzt eine Verabredung und konnte sich nicht mit ihren eigenen Sorgen befassen. Mit einem Seufzer ging sie weiter den Korridor hinunter. Wie gewöhnlich drehten sich viele Köpfe nach ihr um, doch Talia ignorierte das. Sie war eine schöne Frau mit glattem blonden Haar, einem intelligenten Gesicht und langen Beinen; die graue Kombination saß wie maßgeschneidert. Ihr P5-PsiGrad war nur Durchschnitt, aber ihre elegante Ausstrahlung war bei Treffen und Verhandlungen mindestens ebenso begehrt wie ihre telepathischen Fähigkeiten. Selbst wenn beide Seiten offen waren und sich nichts vorzumachen hatten, brachte Talia ein Gefühl der Seriösität und Ernsthaftigkeit ein. Und das wußte sie. Heute war ihr Selbstbewußtsein allerdings auf einem Tiefpunkt. Und das nicht nur wegen der voraussichtlichen Verschiebung der Konferenz, es ging auch um den mysteriösen Klienten, mit dem sie verabredet war. Talia hatte sich damit abgefunden, die Details alltäglicher Geschäfte nicht zu verstehen. Das war normal. In solchen Fällen konzentrierte sie sich auf
die gegnerische Partei, um herauszufinden, ob sie ehrlich und vertrauenswürdig war. War ein Geschäft zu beiderseitigem Vorteil erwünscht oder ging es lediglich um einen Schwindel zur persönlichen Bereicherung? In den meisten Fällen war es nicht einmal nötig, den Unterschied zwischen einer Hydro-Thermalbombe und einer »Sexbombe« zu kennen. Dieser Klient aber war anders. Sie verstand weder Botschafter Kosh und seine Verhandlungspartner, noch den Zweck der Besprechungen. Für jeden Telepathen wäre diese Wissenslücke, dieses dunkle Loch in seinem Verständnis, mehr als beunruhigend gewesen. Es war die unangenehmste Erfahrung im ganzen Universum. Sie hatte gehofft, während der Konferenz von ihren Kollegen mehr über Kosh zu erfahren, aber das war ja nun hinfällig. Keine Konferenz, dachte sie mürrisch, und keine weiteren Pläne bis auf eine nervenaufreibende Begegnung mit Botschafter Kosh. Die attraktive Telepathin stoppte bei dem kleinen Café in ROT-3. Es war ein kleines Lokal, das von den Bewohnern des Rot-Sektors häufig besucht wurde, wenn sie eine einfache und schnelle Erfrischung wollten. Sie hatte keine Ahnung, was Kosh daran gefiel. Seine Botschafter-Suite befand sich im Alien-Sektor auf der anderen Seite der Station. Sie hatte eine Theorie, warum er die Zeit mit ihr oft die »Stunde der Betriebsamkeit« nannte. Für eine
kurze Zeit zwischen den Schichten wurde das Café in Rot-3 zum »Aufreißplatz«, besonders für die umliegenden Anwohner auf ihrem Weg nach Hause. Selbst das Personal der Earthforce fühlte sich in dieser »Stunde der Betriebsamkeit« in Rot-3 wohl. Talia schlenderte hinein und hielt inne. Kosh ragte aus der Menge heraus wie eine Statue in einem Park, die man mit einer Plane abgedeckt hatte, um Vögel zu verscheuchen. Er stand an dem brusthohen Tresen. Oder besser, sein verzierter, klobiger Sehutzanzug stand dort - niemand auf der Station hatte eine Ahnung, wie er darunter aussah. Talia war überzeugt, daß er sehr stark war, sonst hätte er diesen enormen Anzug nicht tragen können. Der Anzug hatte eine Art Kragen, der aus einem phantastischen marmorartigen Gestein gemeißelt war, und dieser Kragen allein war größer als die meisten Tische in diesem Restaurant. Kostbare Stoffe flossen von dieser Halskrause dem Boden entgegen, teilweise bedeckt von einer Brustplatte, die mit Lichtern übersät war. Die Brustplatte konnte man leicht für eine eitle Verzierung halten, bis man zuweilen ein Präzisionsinstrument aus ihr hervorschießen sah, um komplizierte Arbeiten zu verrichten. Die Brustplatte barg außerdem noch Koshs Kommunikator, der sein melodisches Idiom in Standard Interlac übertrug. Talia atmete tief durch und ging zu seinem Platz: »Ich wünsche eine angenehme >Stunde der BetriebsamkeitStunde der BetriebsamkeitFreier PhobosMann, Babylon 5 ist der langweiligste Ort, an dem ich je gewesen bin. Es gibt keinen Grund, je wieder dorthin zu gehenAuf eigene Gefahr< und weisen alle mit Handzetteln darauf hin, sich möglichst von dort fernzuhalten. Zufrieden?«
»Nicht ganz«, beharrte Garibaldi. Weil Talia keine Anstalten machte zurückzutreten, und ihre Nähe ihn langsam nervös machte, griff er nach einem Stuhl, um sich wieder den Diagrammen zu widmen. »Okay«, sagte er, »Sektor GRÜN hat ein Handelszentrum, das noch nicht geöffnet worden ist. Eine Menge Standardbüros und Gesprächsräume, sogar ein paar Hallen für kleinere Produktionen. Na, das ist schick: Einige Zimmer haben zwei Atmosphären. Wie auch immer, ich denke, Ihre Leute können das gesamte Handelszentrum belegen. Sie schlafen also in BLAU-16 und feiern in GRÜN 12.« Talia setzte sich auf den Tisch und schlug die Beine übereinander. Der Saum ihres engen grauen Rocks schob sich ein wenig höher. »Meist haben wir Gesprächsrunden. Ich moderiere eine Runde über Währungsumtausch und besuche zwei weitere über Minenrechte. Jeder denkt, daß Telepathen untereinander nur über Telepathie reden. Zum Teufel, das kennen wir ja schon alles. Wir müssen dasselbe Zeug büffeln, das alle Menschen kennen.« »Okay«, sagte Garibaldi, »vielleicht kommt es ja gar nicht so schlimm. Und wenn es zu langweilig wird, treiben wir sicher ein paar marsianische Terroristen auf, die Leben in die Bude bringen.« Die Telepathin rutschte mit verdüsterter Miene näher: »Das werden Sie nicht zulassen?«
Garibaldi senkte den Kopf ein paar Grad: »Sagen wir mal so: Niemand außer Ihren oder meinen Leuten betritt BLAU- 16 oder GRÜN-12. Aber dafür geben Sie den Teilnehmern gute Ratschläge bezüglich der restlichen Station.« Er runzelte die Stirn: »Dann gebe ich auch dem Rest der Station gute Ratschläge bezüglich der Konferenzteilnehmer.« »Wir verlangen allerdings noch eine weitere Räumlichkeit zur freien Verfügung«, sagte Talia, »das Casino.« »Hey, jetzt mal halblang. Telepathen dürfen nicht zocken. Warum sollten sie also da rumhängen?« Talia bestand darauf: »Wegen der heiteren und aufmunternden Atmosphäre. Würden Sie gern in langweiligen Büros eingesperrt sein? Sie haben recht, dies ist kein Luxushotel, aber das bißchen Mühe sollten wir uns machen. Das Casino gäbe ihnen die Möglichkeit, sich zu entspannen, sich unter die Leute zu mischen. Und wegen der Glücksspiele - stellen Sie sie ein.« »Die Glücksspiele einstellen?« »Außer Frage.« Talia warf ihr blondes Haar zurück und durchbohrte ihn mit festem Blick: »Garibaldi, ich habe mich auf alles eingelassen. Sie bekommen alles auf dem Präsentierteller. Sie sollten mir auch entgegenkommen. Geben Sie uns einen Platz zum Feiern, wie Sie es ausgedrückt haben. Notfalls gehe ich damit zum Captain, wenn Sie sich querstellen.«
»Nein, nein, lassen Sie den Captain da raus«, sagte Garibaldi. »Er steckt bis zum Hals in VIPs, und das sind keine VIPs, mit denen ich zu tun haben möchte.« »Ich weiß«, antwortete Talia und schob einen Handschuh ein wenig zurück, um auf ihre Uhr zu sehen: »Ich sollte mich jetzt auf den Weg machen.« Garibaldi berührte den Com-Link auf seinem Handrücken: »Com-Link, eine Notiz: Zum Schutz unserer Konferenzgäste werden den Sektoren BLAU- 16, GRÜN-12, den Docks und den Verbindungskorridoren zusätzliche Sicherheitskräfte zugeteilt. Oh, und dem Casino auch. Den Teilnehmern wird klargemacht, daß alle anderen Areale nur auf eigene Gefahr betreten werden können. Ihre Sicherheit ist dort nicht garantiert.« Er ließ seine Hand sinken und lächelte Talia an: »Ich bin der Meinung, daß man alles schwarz auf weiß haben sollte.« »Daran glaube ich auch«, stimmte Talia zu. »Deswegen sollten Sie noch erwähnen, daß Glücksspiele am Wochenende im Casino untersagt sind.« »Ja, ja«, brummte Garibaldi und sprach erneut zu seinem Handrücken: »Glücksspiele im Casino werden in zwölf Stunden eingestellt und erst auf meinen Befehl wieder aufgenommen. Notiz Ende. Dringlicher Verteiler.« Talia griff nach dem Diagramm des Handelszentrums und studierte es: »Sind diese
Räume teuer? Wenn das hier vorbei ist, könnte ich vielleicht einen mieten.« »Lady«, sagte Garibaldi, »bringen Sie mich heil durch diesen Schlamassel, und ich sorge dafür, daß Sie das schönste Büro bekommen - ganz umsonst.« Talia schenkte ihm ihr professionellstes Lächeln, mit dem sie die Gegenseite wissen ließ, daß sie verloren hatte. Garibaldi war entsprechend verwirrt. »Danke, Michael«, antwortete sie. »Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.« Talia schlenderte zur Tür und fügte hinzu: »Ich besorge Ihnen einen Zeitplan der Gesprächsrunden.« »Danke!« rief er, als ob er daran wirklich Interesse hätte. Als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, blickte Garibaldi gen Himmel. So scheußlich diese ganze Geschichte auch sein mochte, er sah einen Silberstreif am Horizont. Egal, was in den nächsten sechs Tagen passierte, er würde eine Menge Zeit mit Talia Winters verbringen. »Schweig still, mein Herz«, sagt er zu sich selbst und lächelte. Talia Winters war ein wenig überrascht, im Dock nur Captain Sheridan und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte vorzufinden. Gut, sie hatte keine Blaskapelle erwartet, aber eine Gruppe von Botschaftern oder deren Abgesandten wäre schon angebracht gewesen. »Captain«, sagte sie, »kommen noch mehr Leute?«
»Hallo, Mrs. Winter,« sagte er, die Form wahrend, obwohl sie es nicht getan hatte, »alle fahren Doppelschichten in Sektor BLAU, um rechtzeitig fertig zu sein. Mr. Bester wird sich mit mir und Ihnen zufriedengeben müssen.« »Was ist mit Botschafter Mollari?« fragte sie. »Oder Botschafter G'Kar?« »Was ist mit denen?« Talia wollte gerade erwähnen, daß Commander Sinclair die Botschafter zur Begrüßung hinzugezogen hätte, aber sie unterdrückte den Gedanken, ehe er noch über ihre Lippen kam. Seltsam, wie man manche Qualitäten eines Menschen erst erkannte, wenn er gegangen war. Oberflächlich war Sheridan ein kultivierter, charmanter Mann, darunter aber war er halsstarrig und eigensinnig, wie ein Schwert in einer weichen Lederscheide. Commander Sinclair hingegen war nach außen halsstarrig gewesen, aber in Wirklichkeit offen, sympathisch und jederzeit bereit, Risiken einzugehen. Vielleicht zu risikobereit. Der Captain schenkte ihr ein freundliches Lächeln: »Scannen Sie mich gerade?« »Nein«, sagte sie abwehrend, »ich verglich Sie nur gerade mit Commander Sinclair. Tut mir leid.« Sheridan nickte: »Das ist verständlich. Als ich herkam, war ich von der Beliebtheit meines Vorgängers überrascht. Auf der Erde hielt man ihn für einen gefährlichen Exzentriker, aber für die Leute hier ist er ein Heiliger. Vergleichen Sie das
mal mit den Ansichten über General George Armstrong Custer während der Eroberung Nordamerikas. Seine Kommandanten in Washington hielten ihn für brillant, während jeder auf dem Schlachtfeld wußte, wie verrückt er war.« »Menschen sind nicht immer, was sie scheinen«, bemerkte Talia. »Darum brauchen wir Telepathen.« »Haben Sie es nie bereut, dem Psi-Corps beigetreten zu sein?« »Nein«, entgegnete sie, von der bloßen Vorstellung überrascht. »Bereuen Sie Ihre Ausbildung? Bereut ein Komponist seine musikalischen Lehrjahre? Wir erleben die Blüte eines neuen Talents in Tausenden von Menschen, und dieses Talent muß gehegt und kanalisiert werden. Das Corps ist alles, was es sein sollte - und mehr.« »Aber das Psi-Corps ist ein Thema«, gab der Captain zu bedenken. »Menschen reden darüber, diskutieren es. Menschen wollen etwas dagegen unternehmen. Mein Vorgänger wurde auch zum Thema, und das hat ihm schwer geschadet. Darum bin ich anders. Meine Anwesenheit hier ist strikt neutral und dient nur dazu, die Station effizient zu führen. Erwarten Sie von mir also keine Alleingänge.« »Verstanden«, sagte Talia. »Ich weiß Ihre Kooperation in bezug auf die Konferenz wirklich zu schätzen. Trotzdem glaube ich, daß das Corps nicht
länger im Hintergrund bleiben kann. Wir haben eine Mission zu erfüllen, an vorderster Front.« Sheridan nickte nachdenklich: »Ich schlage vor, Sie behalten eins im Gedächtnis, Mrs. Winters: Wer in vorderster Front steht, wird zuerst erschossen.« Talia nickte und starrte durch den Gang auf die verschlossene Luftschleuse. Am Vorabend dieses bedeutenden Ereignisses wollte sie sich keine ominösen Warnungen des Stations-Commanders anhören. Andererseits war es offensichtlich, daß die Besucher nur kamen, weil das Hotel auf dem Mars ausgebombt worden war. Wollte Sheridan ihr das gleiche sagen wie zuvor Garibaldi? Halte den Ball flach. Mach keine große Sache daraus. Talia hatte das genaue Gegenteil im Sinn gehabt. Sie wollte der Welt beweisen, daß das Psi-Corps mehr war als ein paar durchgedrehte Telepathen und kontrollierte Schläfer. Das Corps stand für Handel, Diplomatie, militärische Wachsamkeit und eine effizientere Regierung. Telepathen hatten ihren Platz überall, bei allen Vorgängen. Diese Botschaft sollte die Konferenz vermitteln. Aber vielleicht hatte Sheridan recht. Talia tat oft die Abneigung gegen das Corps als simple Eifersucht der gewöhnlichen Menschen ab. Vielleicht lag das Problem tiefer - vielleicht lehnten die Menschen das Corps wirklich ab. Obwohl sie Captain Sheridan nicht zustimmte, nahm sie sich vor, seine Warnung ernstzunehmen. Die Angelegenheit würde unspektakulär, reguliert und
ohne Kontroversen über die Bühne gehen. Vielleicht würde es sogar ein wenig langweilig werden. Sheridans Com-Link meldete sich, und er hob es an den Mund: »Ja?« »Captain«, ließ sich Ivanova vernehmen, »der Transporter Freya hat soeben angedockt. Ihre Gruppe müßte jeden Augenblick rauskommen.« »Danke, Commander. Irgendein Wort von den Botschaftern bezüglich unserer Einladung?« »Nein, Sir.« »Sheridan Ende.« Er senkte seine Hand und sah Talia an: »Ich habe die Botschafter für den Empfang morgen abend eingeladen. Aber man weiß nie, wie sie reagieren. Wenn Sie wollen, sprechen ich noch einmal mit...« Talia schüttelte den Kopf und lächelte: »Nein, Captain, machen wir doch lieber keine große Sache daraus.« Er nickte: »Einverstanden.« Die Luftschleuse öffnete sich und ein Mann in einer schwarzen Uniform trat aus dem Dock auf den Gang hinaus. Er wurde begleitet von einem hageren jungen Mann, der sich neugierig umschaute, als erwarte er jemanden. Eine Handvoll anderer Passagiere folgte, von denen einige Psi-CorpsInsignien trugen. Doch nur Bester trug die schwarze Uniform der Psi-Polizei. »Captain Sheridan«, sagte Bester und zeigte seine Identicard. »Gratulation zu Ihrem neuen Kommando.«
»Danke, Mr. Bester.« Der Sicherheitsbeamte beendete sichtlich nervös seine Überprüfung und ließ ihn gehen. »Mrs. Winters«, grüßte der Psi-Polizist mit einem Nicken. Sie lächelte: »Mr. Bester.« Talia wartete darauf, daß Bester jemanden, irgend jemanden, scannen würde, weil er quasi aus dem Stand dazu in der Lage war. Es kostete ihn soviel Mühe, wie einen Fussel von seinem Jackett zu entfernen. Außerdem hatte er die Position inne, sich Informationen auf direktem Weg zu beschaffen. Das bedeutete, er durfte alles aus den Köpfen der Menschen ziehen, was er brauchte. Aber der berühmte Psi-Polizist übte sich in vornehmer Zurückhaltung; er wartete geduldig, bis die anderen Passagiere eingecheckt hatten. »Mr. Gray, wie geht es Ihnen?« Captain Sheridan sprach den jungen Mann in vertraulichem Tonfall an. Der militärische Verbindungsoffizier hörte auf, sich umzusehen, und lächelte: »Es geht mir gut, Captain, danke. Auch ich möchte Ihnen zu diesem Posten gratulieren. Im Hauptquartier drücken Ihnen alle die Daumen.« Bester sah den Telepathen mit einem amüsierten Ausdruck auf seinem alterslosen Gesicht an: »Kommen Sie, Gray, nicht alle. Sie dachten an einen bestimmten General.«
Gray antwortete widerwillig: »Eigentlich nicht. Entschuldigung, Captain, aber wo ist Commander Ivanova?« »Beschäftigt«, schnappte Sheridan. »Ich fürchte, Sie werden nicht viel von ihr zu sehen bekommen.« Talia wandte sich von dem aufgekratzten Gray ab und musterte die anderen Passagiere, die mit der Freya eingetroffen waren. Eine kleine Frau von dunkler Hautfarbe fuchtelte mit ihrer Identicard herum. Statt den Beamten zu beunruhigen, schien der Beamte sie aus der Fassung zu bringen. Hinter ihr stand geduldig ein großer Mann von autoritärer Erscheinung, die durch seinen ergrauten Spitzbart noch unterstützt wurde. Er sah älter aus als auf dem Foto, das ihr vorlag, aber die profunde Intelligenz in seinen traurigen, dunklen Augen machte eine Verwechslung unmöglich. »Mr. Malten?« fragte sie. Er lächelte entschuldigend, aber jungenhaft: »Entschuldigen Sie, aber ich habe ein entsetzlich schlechtes Namensgedächtnis, was für einen Telepathen eher peinlich ist.« »Überhaupt nicht«, entgegnete sie und reichte ihm ihre behandschuhte Hand, »wir sind einander nämlich noch nie begegnet. Ich bin Talia Winters, die ständige Telepathin auf B5.« Der Beamte fertigte Malten zügig ab, so daß dieser die ausgestreckte Hand ergreifen konnte. Der vornehme Telepath strahlte: »Ich hoffte, Sie hier zu treffen, Mrs. Winters. Darf ich Ihnen meine
Mitarbeitern Emily Crane vorstellen. Sie wird mir in dieser Woche zur Seite stehen.« Die kleine Dunkelhäutige streckte ihre ebenfalls behandschuhte Hand aus, die Talia freundlich schüttelte: »S-s-sehr erfreut, S-S-Sie kennenzulernen«, stotterte Emily. Talia lächelte: »Ganz meinerseits.« Hätte sie nicht die Psi-Corps-Abzeichen am Kragen getragen, Talia würde Emily niemals für eine Telepathin gehalten haben. Sie wirkte wie die Sorte, die nicht mal ihre Schuhe allein zubinden konnte. »Nun«, sagte Malten, »ich überlasse Emily Ihren treuen Händen. Sie ist eine Zauberin, was Nachrichten, Presseveröffentlichungen und solche Dinge angeht. Ich finde, daß eine Konferenz gleich viel besser läuft, wenn es viele Zeitungen gibt, um die Teilnehmer auf dem laufenden zu halten, Sie nicht auch?« »Oh ja«, stimmte Talia zu. Malten lächelte die kleine Frau stolz an: »Emily ist eigentlich die Chefin der Urheberrechtsabteilung unserer Firma.« Unserer Firma. Talia wiederholte diesen Ausdruck im stillen. Es war beeindruckend, wie leicht Malten vom größten und prestigeträchtigsten Konglomerat kommerzieller Telepathen sprach, das es auf der Erde gab. Der Mix, wie die Firma im ganzen Universum genannt wurde, unterhielt Büros in praktisch jeder Ecke der Allianz und einige auf den nicht angeschlossenen Welten.
Talia drehte sich zu Emily um: »Ich habe über telepathische Urheberrechte gelesen. Wie geht das vor sich?« »Nun«, antwortete Emily, »sagen wir mal, der Kunde hat eine Anzeigenkampagne im Kopf, kann s-s-sie aber nicht in Worte fassen. Oder er h-h-hat nur eine grobe Vorstellung. Wir s-s-scannen ihn. Wir stellen fest, was er wirklich will, auch wenn er es selbst noch nicht weiß.« Sie lächelte, offensichtlich froh darüber, diese Ansprache hinter sich zu haben. »Zuerst«, sagte Malten, »dachten wir daran, solche Kampagnen in hausinternen Büros erstellen zu lassen. Aber es hat sich als kosteneffektiver erwiesen, unsere Dienste direkt den Agenturen zur Verfügung zu stellen. Zum Ende des Jahres werden wir sieben Ableger haben, die sich um nichts anderes kümmern werden.« »Sie s-s-sollten zu meiner Gesprächsrunde kommen«, ergänzte Emily, »wir h-h-haben eine Demonstration vorbereitet.« Malten schob beide Frauen sanft den Gang entlang: »Scheint, als ob wir den Anschluß verlieren.« Talia drehte sich um und sah Captain Sheridan, Mr. Bester und Mr. Gray fünfzig Meter weiter vorne flott den Gang entlangschreiten. Plötzlich schienen ihr die drei Männer nicht mehr so wichtig. Sie hatte einen Mann neben sich, der den Einzug der Telepathie in das alltägliche Leben vorantrieb.
»Sie wollen sich bloß die Sicherheitsvorkehrungen und so ansehen«, sagte Talia, »aber ich kenne einen Ort, an dem wir den besten Jovianischen Sonnenfleck bekommen können.« Arthur Malten lachte: »Ich denke, unser Gepäck können wir auch noch später vom Zoll abholen. Bringen Sie uns hin!« Weil er die Computerkonsolen brauchte, verwandelte Garibaldi den Besprechungsraum in sein vorläufiges Hauptquartier. Zum x-ten Mal rieb er sich die Augen und blinzelte auf den Schirm: »Kommen Sie, Baker. Wollen Sie mir weismachen, daß Sie rund um die Uhr vier Leute brauchen, nur um einen lausigen Zugang zu sichern?« »Es ist der Hauptzugang für GRÜN-12«, antwortete Baker. »Wenn wir den abriegeln sollen, ohne den VIPs den Durchgang zu verwehren, benötigen wir eine Menge Augen.« »Ich gebe Ihnen zwei Leute«, grummelte Garibaldi, »und das auch nur, weil einer davon vielleicht mal aufs Klo muß.« Als er das niedergeschlagene Gesicht der jungen Frau sah, fügte er hinzu: »Wenn wir diese ganzen Witzbolde durch Ankunft und Zoll geschleust haben, werden wieder ein paar Leute frei. Sie bekommen so bald wie möglich Unterstützung.« Baker lächelte: »Danke, Sir.« »Noch was«, sagte Garibaldi, »es ist ein strategisch wichtiger Punkt, und Ihre Leute dürfen
ihn auf keinen Fall verlassen. Es ist mir egal, ob ihnen die Suppe an den Beinen herunterläuft oder glubschäugige Monster unschuldige Passanten fressen, sie bleiben auf Posten.« Baker schluckte aufgeregt: »Ist es wahr, daß sie uns Dinge sehen lassen können, die gar nicht da sind? Daß sie uns Sachen in den Kopf projizieren können?« Garibaldi nickte grimmig: »Ich schätze schon. Wir können diesen Leuten bei ihrer Party nicht über die Schulter schauen. Wir müssen nur dafür sorgen, daß niemand ohne Einladung reinkommt. Wenn jemand vom Corps ausflippt und seine ganzen Kumpel in die Luft jagen will, haben wir jede Menge Ärger am Hals.« Dieser Gedanke war ernüchternd genug, um alle Gespräche im Raum verstummen zu lassen. Nach einem kurzen Augenblick winkte Garibaldi müde ab und sagte seinem halben Dutzend Untergebenen, die noch im Raum waren: »Geht ins Bett. Das ist ein Befehl.« »Gute Nacht, Chief. Nacht«, murmelten sie, während sie zügig den Raum verließen. Der Sicherheitschef hätte den ganzen Abend so im Stuhl sitzen können, regungslos, sorgenvoll, zu müde zum Schlafen. Aber der Mangel an Sauerstoff und Schlaf ließ ihn gähnen. Er stand auf, streckte sich und griff nach seiner Jacke. Gerade als er die Flucht in sein eigenes Quartier antreten wollte,
meldete sich sein Com-Link. »Sicherheit«, murmelte er zu seinem Handrücken. »Mr. Garibaldi«, sagte eine Stimme, »hier ist Talia.« Grundgütiger, dachte der Chief, die Eiskönigin: »Was kann ich für Sie tun?« »Ich bin hier unten in ROT-3 mit ein paar Freunden. Wir haben uns gefragt, ob Sie uns wohl eine kleine Führung durch den Alien-Sektor gewähren. Und eventuell auch durch die Unterwelt.« »Was?« schnaubte Garibaldi, »hatten wir uns nicht erst heute darauf geeinigt, daß Ihre Freunde dort nichts zu suchen haben?« »Kommen Sie«, sagte Talia, »die Konferenz hat doch noch gar nicht angefangen, und bei meinen Freunden handelt es sich um wirkliche VIPs.« Ohne Scheiß. VIPs. Garibaldi ahnte schon, daß ihm diese Leier sehr bald auf den Geist gehen würde. Auf der anderen Seite: Talia war dabei. Später Abend, Partystimmung. Vielleicht hatte er Glück. »ROT-3, sagen Sie?« Er gähnte und checkte die PPG-Handfeuerwaffe, die an seinem Gürtel angeclippt war. »Bestellen Sie mir einen Kaffee, ich bin gleich da.« Das ist erst der Anfang, dachte Garibaldi, während er sein Jackett zuknöpfte und aus der Tür schlurfte.
4 »Das war's für mich«, sagte Ivanova mit einem Seufzer. »Die Station gehört Ihnen, Major Atambe.« Ihre Ablösung nickte und übernahm den Kommandoposten vor dem Hauptschirm des Kommando- und Kontrollcenters. Die Docks lagen still; nur zwei Schiffe bereiteten sich auf den Abflug und den Eintritt ins Sprungtor vor. Die Station war gesichert. Ivanova verharrte kurz an der Tür und drehte sich noch einmal um. »Wann kommt der nächste Transport von der Erde?« Major Atambe rief die relevanten Register auf: »07:00«, antwortete er. Sie nickte: »Dann bin ich wieder da. Wir wollen doch keine von unseren VIPs verlieren, oder?« Ivanova ging durch die Tür und zum Lift, der sie zu ihrem bescheidenen Quartier bringen sollte. Sie dachte an ihr Bett, den wertvollsten Besitz im ganzen Universum. Es war kein besonderes Bett nur ein Standard-Einzelbett, extra hart, aber es war ihre Zuflucht, ihr Sanktuarium. Egal, welches Chaos
um sie herum ausbrach, Ivanova konnte immer in das Bett fallen und Frieden im sofortigen Schlummer finden. Ivanova dachte wieder an den Traumurlaub, den sie antreten wollte, sobald er ihr bewilligt würde. In diesem Traumurlaub würde sie soviel wie möglich im Bett liegen. Der Com-Link, der Computer, der Wecker und alles andere, was sie eventuell aus dem Schlaf reißen könnte, würde in der untersten Sockenlade verschwinden. Vielleicht würde ein Bote auf ihr Gesuch hin erscheinen, der ihr Bonbons und andere Snacks brachte, aber ansonsten würde sie nur schlafen. Jedesmal beim Erwachen wäre da diese unendliche Zufriedenheit, die sie sofort wieder dazu bewegen würde, sich umzudrehen und weiterzuschlafen. Sie kicherte. Was hatte ihr Großvater immer gesagt? »Eine jüdische Frau kann im Bett alles - außer aufwachen.« Ihre Großmutter hatte in dreiundsechzig Jahren Ehe nicht gelernt, richtige Matzen zu machen. Sie hatte das auch nie gekonnt. Und dummerweise gab es niemanden, der Matzen für sie machte. »Susan«, sagte eine Stimme. Sie blieb abrupt in dem verlassenen Korridor stehen, ein Gefühl der Furcht kroch ihre Wirbelsäule hinauf. Eine Person trat aus dem Schatten, kam aber nicht näher. »Hallo, Susan«, sagte Mr. Gray, ein dünnes Lächeln auf den Lippen.
»Gray«, entfuhr es ihr. Sie drückte sich an ihm vorbei. Er folgte ihr: »Susan, bitte, ich möchte nur mit Ihnen sprechen!« »Ich darf nicht mit Ihnen reden. Befehl des Captains.« Sie drückte den Knopf und wartete auf den Lift. Gray fuchtelte hilflos mit den Händen: »Susan, ich will Ihnen doch nichts Böses, wirklich.« »Dann gehen Sie.« Wo blieb der blöde Lift? Die Tür öffnete sich, und sie trat ein. Zu ihrem Ärger folgte Gray ihr. Nun waren sie allein in der engen Kabine. »Deck acht«, sagte Ivanova, dann hob sie den Com-Link an den Mund: »Wenn Sie mich weiter belästigen, rufe ich den Sicherheitsdienst.« »Sie belästigen?« stammelte Gray. »Aber ich habe doch nur Hallo gesagt.« Er starrte auf die Tür, als wollte er jetzt kein weiteres Wort mit ihr wechseln. »Hallo«, sagte sie ärgerlich. »Ich wollte Ihnen von meinem neuen Apartment erzählen«, sagte Gray, »in Berlin.« Ivanova sah ihn an: »Berlin. Ich bin beeindruckt. Ich hätte Sie nicht für einen Schickimicki gehalten.« »Sie kennen mich nicht sehr gut, wie?« fragte Gray. »Glauben Sie, daß alle Telepathen in mittelalterlichen Verliesen leben?« »Ja.«
Gray kicherte: »Oh, einige tatsächlich. Die meisten von uns leben aus dem Koffer, in Armeekasernen oder Metallkisten wie dieser.« Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich, und Gray wartete gespannt. Ivanova trat heraus, hielt inne und hob mit einem Seufzen die Schultern. . »Bitte, Susan«, bat Gray, »sehen Sie in mir keinen Feind. Sie wissen doch, daß ich mir dies nicht ausgesucht habe - ich wollte Soldat sein. Nun habe ich diese Laufbahn eingeschlagen; ich versuche nur, etwas zu werden, genau wie Sie. Und ich bin allein, genau wie Sie.« Der junge Telepath ließ den Kopf hängen: »Vielleicht war es ein Fehler, Sie sehen zu wollen. Es tut mir leid, wenn ich Sie belästigt habe.« Er drehte sich um und wollte gehen. Ivanova strecke ihre Hand nach ihm aus, brachte es aber nicht über sich, ihn zu berühren. »Ihre Wohnung in Berlin«, fragte sie, »liegt sie in der Nähe der Freien Universität?« Aufgeregt drehte sich Gray um: »Ja, genau. Sie ist nur zehn Straßen entfernt, man kann die U-Bahn nehmen. Und sogar dorthin laufen. Ich spaziere gerne durch Berlin. Viele Leute halten die Stadt für deprimierend, weil sie wie ein gigantisches Monument für die Vernichtungskraft des Krieges aussieht. Aber ich bin nun mal ein Kriegs-Fan.« Ivanova schüttelte sich: »Jedem das Seine. Ich war auf Studienreise dort, um mehr über die Dadaisten zu lernen.«
»Eine faszinierende Epoche«, gab er zu, »obwohl die Dadaisten für meinen Geschmack immer etwas zu extrem waren. Es gibt interessante Parallelen zwischen den Dadaisten und den PerformanceKünstlern des späten zwanzigsten Jahrhunderts, finden Sie nicht?« Ivanova legte die Stirn in Falten: »Da bin ich mir nicht sicher. In beiden Fällen war das Ziel die Verunsicherung der Bourgeoisie und des Establishments. Aber die Dada-Bewegung war ein kollektives Unterfangen, während die PerformanceKunst doch individuell orientiert war. Ich habe mal von einer Frau gelesen, die eine Flasche Zima nahm und ...« Gray verzog plötzlich das Gesicht und legte die Hände an den Kopf. »Was haben Sie?« Er taumelte gegen eine Wand und deutete ihr an, hinter sich zu blicken. Ivanova drehte sich um und entdeckte einen kleinen Mann in einer schwarzen Uniform am Ende des Ganges. Er lächelte und kam auf sie zu. »Ich wußte, daß ich Sie hier finden würde, Mr. Gray«, sagte Bester. »Mit dem Lieutenant Commander.« »Stoppen Sie den Scan«, befahl Ivanova. Aber Gray erlangte bereits seine Fassung wieder: »Es ist in Ordnung«, sagte er heiser. »Es ist nicht in Ordnung«, schnappte Ivanova. Die wütende Offizierin starrte Bester an: »Nichts, was Sie tun, ist in Ordnung. Sie tun so, als seien die Telepathen ein gigantischer Fortschritt der
Evolution, aber Ihre Methoden sind immer noch der gleiche alte Mist. Kontrolle. Darum geht es doch. Wo ich herkomme, haben wir die Zaren erlebt, die Bolschewiken und die Geheimpolizei... Wir wissen alles über Leute wie Sie. Sie wollen nur die Kontrolle über das Leben anderer Menschen, und wenn diese sich wehren, zur Hölle mit ihnen.« Bester atmete tief durch und blinzelte sie an. Ivanova bereitete sich auf einen Scan vor, aber Harriman Gray trat dazwischen. »Das ist genug, Mr. Bester«, sagte Gray, zitternd, aber bestimmt. »Von jetzt an betrachten Sie mich bitte nicht mehr als Ihren Assistenten. Ich mag Ihre Art nicht. Von unangemeldeten Scans war nie die Rede.« »Mein Junge«, sagte Bester wie ein gutmütiger Onkel, »nehmen Sie das nicht persönlich. Es ist nur eine Art, die Kommunikationswege abzukürzen. Statt mich über Ihren Aufenthaltsort zu informieren, schaue ich halt selber kurz nach. Ich hätte nicht gedacht, daß Telepathen in militärischen Diensten so empfindlich sind.« Der Psi-Polizist blickte Ivanova an und lächelte wie eine Kobra: »Außerdem sehe ich, daß Sie hier persönlichen Angelegenheiten nachgehen. Sie haben noch genug Zeit, um über die andere Sache nachzudenken. Ich hoffe, Sie werden eine angenehme Unterhaltung haben. Gute Nacht.« Bester drehte sich auf dem Absatz um und ging zügig den Korridor hinunter.
»Abkürzen«, zischte Ivanova, »aber nur in eine Richtung.« Gray wirbelte herum und starrte sie an. Er war offensichtlich ziemlich fertig, trotzdem preßte er heraus: »Sie waren ziemlich beeindruckend.« Ivanova fühlte sich zu ausgelaugt, um überhaupt noch etwas aufzunehmen: »Es tut mir leid, Mr. Gray, aber ich brauche jetzt etwas Schlaf. Und Ihre drei Minuten sind längst um.« »Bitte«, bettelte er, »tun Sie mir einen Gefallen. Nennen Sie mich Harriman, und erlauben Sie mir, Sie Susan zu nennen.« Sie sah ihn erstaunt an, entspannte sich dann aber und nickte: »Gut, aber nur, wenn wir allein sind. Im Beisein anderer bleiben wir formell.« Gray strahlte über das ganze Gesicht: »Heißt das, daß wir Freunde sind?« »Lehnen Sie sich nicht zu weit aus dem Fenster«, sagte sie. Sie wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um: »Es freut mich, daß Sie nicht mehr für diesen Kriecher arbeiten. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Susan«, sagte er sanft. »Für Menschen«, sagte Garibaldi, während er die Atemmasken verteilte, »ist der Alien-Sektor meistens eine Enttäuschung. Man kann nichts sehen, und wenn man etwas sehen könnte, würde man es nicht sehen wollen. Wir arbeiten daran, aber es soll nicht wie ein Zoo aussehen. Wenn also eine Reihe verschlossener Türen hinter giftigem Nebel Ihrer
Vorstellung von Spaß entspricht, sind Sie hier richtig.« »Sicher gibt es doch wohl ein weniger mehr als das«, sagte der große Mr. Malten. Garibaldi schüttelte den Kopf: »Eigentlich nicht. Die meisten Wesen hier unten brauchen spezielle Einrichtungen, um zu essen, zu trinken und zu atmen. Sie kommen also nicht viel herum. Mrs. Winters kann Ihnen mehr darüber erzählen, Sie hat hier einen Klienten.« »Ja«, sagte Talia stolz, »Botschafter Kosh von den Vorlonen. Wir haben ihn morgen abend zum Empfang eingeladen und hoffen auf sein Erscheinen.« Garibaldi ergänzte: »Man sieht ihn allerdings nie ohne seinen Schutzanzug. Sie können gerne ein wenig herumlaufen, aber Sie kriegen nur etwas zu sehen, wenn wir an die Türen hämmern.« »Daran habe ich gar nicht gedacht«, sagte Talia, »ich komme immer nur hierher, wenn ich einen Termin habe.« Die kleine Telepathin Emily Crane sah den hochaufgeschossenen Mr. Malten an: »Ich m-mmöchte die Bewohner nicht stören.« »Ich auch nicht«, antwortete Malten und legte seine Atemmaske zurück ins Regal. »Hoffentlich vermiest man uns nicht auch noch die Tour in die Unterwelt.« »Natürlich nicht«, versicherte Garibaldi, »was möchten Sie sehen? Wir hätten Schmuggel, die
Zerlegung gestohlener Güter, einen Haufen Zurückgebliebener, die nur rumhängen. Was immer Sie wollen.« »Alles.« Malten lächelte. Talia zuckte zurück und Emily schloß die Augen, als sich ein haarloser Koloß eine kleine Kreatur schnappte und sie in einem hohen Bogen über die Frachtgüter warf, wo sie in eine geplünderte und verrottete Regalwand krachte. Unter den begeisterten, zustimmenden Grunzrufen der umstehenden Menge ging das haarlose Vieh sofort wieder auf seinen Gegner los. Das Wettgemurmel der Menge war unerträglich und schwoll zu einem schmerzenden Rauschen in Talias Kopf an. Sie wäre gerne weitergegangen, wenn den Männern das Schauspiel nicht so sehr gefallen hätte. »Worum wird gewettet?« fragte Malten. »Um so ziemlich alles«, rief Garibaldi gegen den Lärm an, »Credits, Ziegen, Drogen, eine Fahrkarte weg von hier. Eine Fahrkarte weg von hier bezahlt so ziemlich alle Schulden.« »I-i-ich kann mir das nicht ansehen«, murmelte Emily über Talias Schulter, »es ist barbarisch.« »Stimmt«, antwortete Talia, »wir müssen diesen Ort sofort verlassen.« Plötzlich gab es ein knackendes Geräusch, welches von der Menge mit Enttäuschung und Freude gleichermaßen aufgenommen wurde. Talia vermied es, genau hinzusehen, sie blickte statt
dessen in Garibaldis Richtung. Es war angenehmer, ihn anzuschauen. Eigentlich fand sie, daß Garibaldi mehr nach Verbrecher aussah als die meisten hier, rauh, wild, wölfisch, jemand, der eher schlich als ging. Manchmal sagte er komische Dinge, aber wesentlich seltener, als er selbst wahrscheinlich glaubte. Es wäre verrückt, zu nett zu ihm zu sein, obwohl sie ihm augenscheinlich gefiel. Es fiel ihr schwer, einen Mann zu hassen, der bei ihrem Anblick zu sabbern anfing. Der Tumult hatte sich etwas gelegt, deshalb konnte sie seine Worte verstehen: »Eigentlich ist das hier gar kein so übler Platz. Für die Unterwelt ist es hier sogar ganz nett. Man sieht sich einen Kampf an, bekommt etwas Frostschutz serviert und wird um sein Geld gebracht. Was kann man sonst noch wollen?« Er rieb sich das Kinn und lächelte: »Ach stimmt, ihr Jungs dürft ja gar nicht spielen.« »Ist das nicht eine dumme Einschränkung?« fragte Malten. »Auch wir hätten keine Möglichkeit, den Ausgang dieses brutalen Sports vorherzusagen, was spricht also gegen eine Wette?« »Es wäre falsch«, warf Emily ein. Malten lächelte: »Vermutlich. Aber wir wissen doch über viele dieser Rassen gar nichts. Sie könnten telepathisch viel begabter sein als wir, trotzdem wird ihnen das Glücksspiel nicht untersagt. Ich denke, das ist eine lächerliche Regel. Jeder weiß
um unser Talent und würde deshalb in vollem Bewußtsein darum mit uns spielen.« Garibaldi runzelte die Stirn: »Können Sie für solche Sprüche keinen Ärger mit Mr. Bester bekommen?« Der private Telepath lachte kurz auf: »Ich sage solche Sachen schon seit langer Zeit, aber es hört niemand zu. Ich arbeite seit dreißig Jahren daran, Telepathen als ganz normale Berufstätige wie Ärzte und Piloten anerkennen zu lassen. Das wird mir auch Mr. Bester nicht kaputtmachen.« Talia versuchte, das Thema zu wechseln: »Diese Faustkämpfe - sie können doch unmöglich legal sein.« »Nein«, sagte Garibaldi, »wir könnten den Laden hier sofort dichtmachen, aber in zehn Minuten würde es anderswo weitergehen. Wir haben nicht genug Leute, um jede Ecke der Station zu kontrollieren. Während ihres Baues wurde die Unterwelt sehr stark genutzt. Dann ging das Geld aus, und dieser Teil blieb im Rohbau stecken. Reisende, die auf B5 hängenbleiben, vom Schiff geworfen oder einfach hier angeschwemmt werden, haben sonst keine Zuflucht.« Er schüttelte den Kopf: »Ich verstehe ja auch nicht, was das soll, aber einige Sozialarbeiter auf der Station sagen, das sei völlig normal. Wäre dieser Ort nicht durch die Fehlplanung auf natürliche Weise entstanden, hätten wir ihn extra anlegen müssen.
Wenn man Ordnung will, muß man auch dem Chaos ein wenig Platz einräumen.« Der Chief sah Talia bedeutungsschwer an: »Erscheint Ihnen das vernünftig?« »Ich denke, Chaos kann vermieden werden«, antwortete sie nachdenklich. »Mir erscheint es sehr vernünftig«, sagte Malten, »Ich würde gerne mehr sehen.« Garibaldi führte sie durch einen verdreckten Korridor und hielt die Nase in die Luft: »Wenn ich mich nicht irre, leben dort hinten die Müllplünderer. Weiß der Teufel, wie sie den hierher umleiten, aber sie tun es.« Emily kräuselte ihre Nase: »S-s-sie stehlen Müll?« »Ja«, gab Garibaldi zurück, »aber sie behalten nicht alles, nur die Leckerbissen.« »Ich denke, darauf können wir verzichten«, sagte Mr. Malten. »Was befindet sich am Ende dieses Ganges?« »Eine Barackensiedlung. Wollen Sie sie sehen?« »Ja«, antwortete Malten bestimmt. Talia fiel ein wenig zurück, während Garibaldi die Gruppe durch eine gleichermaßen abschreckende wie faszinierende Szenerie führte. Aliens jeder Sorte - mit spitzen Kiefern, Flossen, Gliedmaßen, haariger Lederhaut oder Prismenaugen - mischten sich hier unter die Menschen. Erwachsene, Kinder, Alte ihnen allen stand ein gehetzter Ausdruck in die Gesichter geschrieben. Und sie alle starrten die
Besucher an. Ihre Baracken waren aus alten Kisten, Kontrollpulten, Metallplatten und Regalbrettern zusammengezimmert. »Wir versorgen sie mit frischem Sauerstoff«, erklärte Garibaldi. »Aber das ist auch schon alles. Die Minbari leiten eine Suppenküche. Dort können wir als nächstes hingehen.« Talia wußte nicht, was schlimmer war: der Geruch der Verzweiflung oder der Gestank dieses Ortes. Zu ihrer Überraschung waren die Stimmen in ihrem Kopf nicht fordernd, bettelnd oder aufdringlich. Einige waren resigniert und hilflos, andere ärgerlich wegen ihres Zustandes und wegen der gutgekleideten Besucher. Ein paar waren offensichtlich verrückt. Es war eine Mischung wie bei jeder größeren Gruppe. Einige würden es aus der Unterwelt herausschaffen, andere würden noch tiefer sinken, bis keine Spur mehr von ihnen zu finden sein würde. Eine Frau trat vor Mr. Malten und sah ihn an: »Hey, Kumpel, hast du was Kaugummi dabei?« »Nein«, erwiderte Malten verunsichert. Sie schneuzte: »Willst du welchen kaufen?« »Hau ab, Martha«, schnauzte Garibaldi, »du weißt, daß Kaugummi auf der Station illegal ist.« Er trieb die kleine Gruppe weiter. »Beste Qualität!« rief ihnen die Frau nach, »echter Zucker!« »Das bezweifle ich«, sagte Talia.
Emily Crane schlurfte neben ihr her und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase: »Ich würde jetzt gerne gehen.« »Ich auch«, stimmte Talia ihr zu. »Wir werden die Teilnehmer ganz bestimmt nicht hier unten rumlaufen lassen, soviel ist sicher.« »Ein Grund mehr, sich hier genau umzusehen. Noch ein oder zwei Sehenswürdigkeiten.« »Es ist Ihr Spiel«, sagte Garibaldi. Er blieb vor einem langen, schlecht beleuchteten Tunnel stehen: »Dies ist eine Abkürzung zur Suppenküche der Minbari.« Talia sah ihn zweifelnd an: »Ein dunkler, verlassener Tunnel?« »Er ist nicht verlassen«, sagte Garibaldi. »Da drin bewegt sich was. Und gegen den Diebstahl der Lichtplanken können wir nichts ausrichten.« Talia starrte in die Dunkelheit. Einige vage Umrisse bewegten sich in der Tunnelröhre. Sie wünschte, sie hätte Garibaldi nie um diese VIP-Tour gebeten, aber nun mußte sie sich auf ihre Instinkte verlassen. »Kommt«, sagte Malten und ging voran. »Wir sind zu viert und Mr. Garibaldi ist bewaffnet. Außerdem können wir uns jederzeit telepathisch verteidigen.« »Aber nur gegen Menschen«, warf Talia ein. Das Quartett ging langsam in die Dunkelheit hinein. Garibaldi und Malten mußten sich hin und wieder ducken, wenn größere Röhren von der Decke
herabhingen. Aus den Schächten strömte faulige Flüssigkeit, und Talia bemühte sich, schnell daran vorbeizukommen. Sie stolperte und ihre Hände glitten über die glitschigen Wände. Sie war für die Handschuhe dankbar, die sie gewöhnlich nur trug, um Hautkontakt mit anderen Menschen zu vermeiden. Als sie Emily Crane jetzt etwas ruppig voranschob, rief sie sich selbst zur Ordnung. Sie waren schließlich immer noch auf Babylon 5, ihrer Heimstatt. Es war halt nur ein unbekannter Teil davon. Trotzdem hatte Garibaldis Gerede vom Chaos sie nervös gemacht. Sie verabscheute den Gedanken an Unordnung, und Mr. Malten ging es bestimmt ähnlich, wenn es drauf ankam. Aus genau diesem Grund war die Kontrolle des Psi-Corps so wichtig. Sie würde Ordnung in das Chaos bringen. Das hoffte sie zumindest. Talia bemerkte jetzt, daß die vagen Umrisse jetzt nicht mehr vage waren und sich auch nicht am Ende des Tunnels befanden. Sie entpuppten sich als drei große, maskierte Wesen, die schnell auf die kleine Gruppe zukamen. Es würde zu einer Konfrontation kommen, das konnte Talia spüren. Allein schon deshalb, weil sie in der engen Röhre kaum aneinander vorbeikommen konnten. Sie wollte nicht in ihre Köpfe sehen, aber sie mußte wissen, was die Fremden vorhatten. Sie konnte sie jetzt deutlich erkennen, trotz der Dunkelheit, und langsam isolierte sie ihre Stimmen.
Talia keuchte. Ihre Geister waren kalt und fremd. Es waren keine Menschen. »Ich weiß«, sagte Malten, der die stummen Alarmsirenen in Talias Kopf schrillen hörte. »Achtet gar nicht auf sie«, empfahl Garibaldi, aber er klang nicht so zuversichtlich wie sonst. Talia sah, daß seine Hand schon auf der PPG lag. Der Sicherheitschef beschleunigte seine Schritte, um der Gruppe voranzugehen. Er winkte fröhlich dem ersten maskierten Wesen, das sich vor ihm aufbaute: »Wunderschöner Tag heute«, rief er. Der Alien hielt nicht einmal kurz inne, bevor er Garibaldi mit seiner mächtigen Schulter rammte und ihn gegen die Tunnelwand warf. Ein großes Messer blitzte auf, und Emily kreischte. Die anderen Maskierten stürzten sich nun auf die Telepathen. Sie hielten alle glitzernde Klingen in ihren behandschuhten Fäusten.
5 »Laßt ihn los!« schrie Malten. Mit einem Grunzen verpaßte ein maskiertes Alien dem Telepathen einen rechten Haken auf den Kiefer. Malten fiel auf den schmierigen Boden des Tunnels. Emily warf sich schützend über ihn. Sie kreischte immer noch. Talia tat genau, was man ihr im Selbstverteidigungskurs beigebracht hatte: Sie attackierte die Weichteile. Ein harter Tritt in den Unterleib des nächstbesten Angreifers brach ihr fast den Zeh, als er gegen einen Schutzpanzer prallte. Auch Garibaldi wehrte sich verbissen. Er hatte die Messerhand seines Gegner ergriffen und hielt ihn auf Distanz. »Zugangstunnel!« brüllte er, »zehn Meter weiter hinten. Er wird euch nach oben bringen.« Der Strolch drückte sein Messer gegen Garibaldis Hals, aber der Chief stieß ihn mit einem Ruck zurück und kam wieder auf die Füße. Es kam zu einem Handgemenge und Talia sah, wie Garibaldi sich einen Hieb in den Magen einfing. Er ging in die Knie. Die Telepathin war noch auf den Beinen und
daher auch als erste auf dem Weg zum Zugangstunnel. Zehn Meter, er war genau dort, wo Garibaldi gesagt hatte, in Bodenhöhe. Sie drehte an der Verriegelung. Vielleicht lag es an dem Adrenalinausstoß, aber die Schleuse sprang wie von selbst auf, einen einladenden Fluchtweg freigebend. »Hierher«, rief sie. Die Angreifer bedrohten Malten und Emily immer noch, trotzdem gelang es den beiden, in Richtung Zugangstunnel zu gelangen. Talia schob sie in die Röhre und das Duo kroch wie Maulwürfe in die Dunkelheit. Sie drehte sich noch einmal zu Garibaldi um. Ein maskierter Alien hatte ihn bei der Kehle gepackt und schüttelte ihn wie ein Hund sein Spielzeug. Die anderen zwei näherten sich mit ihren Messern. »Ich kümmere mich um die«, krächzte Garibaldi und griff nach seiner PPG. Talia schüttelte sich und floh. Die Schleuse schlug hinter ihr zu und eines der Aliens verriegelte sie darauf hinter den flüchtenden Telepathen. Der Angreifer, der Garibaldi festhielt, ließ ihn plötzlich fallen und verfiel in ein herzliches weibliches Gelächter. Sie schob die Maske zurück und ließ einen gepunkteten Schädel, einen eckigen Kiefer und einen muskulösen Nacken sehen. NaToth lachte: »Das sind die Typen, vor denen alle so viel Angst haben?« Garibaldi erhob sich stöhnend und rieb sich den Kiefer: »Hey, Na'Toth, das war gegen die
Abmachung. Nachdem ihr uns Angst eingejagt habt, sollte Talia mir in die Arme fallen, während ich euch mit der PPG vertreibe. Niemand hat euch gesagt, daß ihr mich vermöbeln dürft.« Na'Toth verstummte, während ihre beiden NarnHelf er an ihre Seite traten: »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich, »aber ich nehme es mit solchen Gefälligkeiten immer sehr genau. Ausgezeichnetes Training, danke für Ihren Anruf.« »Ich schulde Ihnen was«, gab der Chief zu. Er wischte sich die blutige Lippe an seinem Ärmel ab: »Glauben Sie, daß diese Aktion die übrigen Witzbolde von hier fernhält?« »Ja«, antwortete die Narn, »die haben nicht den Mut, es mit Stärkeren aufzunehmen. Oh, Botschafter G'Kar und ich werden an dem Empfang teilnehmen. Informieren Sie bitte den Captain.« »Werde ich«, knurrte Garibaldi. »Nun mache ich mich mal auf den Weg und berichte Talia, wie ich mir hier den Weg freigeschossen habe.« »Sie ist attraktiv«, meinte Na'Toth mit einem Anflug femininer Eifersucht. »Talia?« grinste Garibaldi. »Die ist verrückt nach mir.« »Das ist unübersehbar«, antwortete die Narn. Garibaldi rieb sich den verlängerten Rücken: »Ich denke, die Röhre spare ich mir. Ich nehme denselben Weg zurück, den wir gekommen sind. Vielleicht gibt es noch einen Kampf zu sehen.«
»Es war der richtige Ort, um uns das Zeichen zu geben«, bemerkte Na'Toth. »Ich sehe Sie dann in ein paar Stunden.« Garibaldi humpelte in den Tunnel und winkte: »Danke.« Als der Sicherheitschef den Haupttunnel erreicht hatte, wollte er nichts anderes mehr als ins Bett. Er schaltete seinen Com-Link ein: »Garibaldi an das im Dienst befindliche Personal: Sollte mich jemand als vermißt melden, teilen Sie ihm oder ihr mit, daß alles klar ist. Ich bin noch in der Unterwelt, aber die Situation ist unter Kontrolle. Garibaldi Ende.« Der Sicherheitschef schlenderte gerade an der improvisierten Kampfarena vorbei und befühlte seine immer noch geschwollenen Lippen, als eine kleine Gestalt ihn anrempelte. Der Stoß traf eine seiner geprellten Rippen, Garibaldi stöhnte auf und packte den kleinen Kerl. »Ratso, was ist denn in dich gefahren?« Das schäbige Wrack sah sich hektisch um und wimmerte: »Lassen Sie mich gehen, Chief. Ich hab's eilig.« Garibaldis Faust krallte sich noch ein bißchen fester in den Kragen des Mannes: »Wenn du es so eilig hast, dann steckt immer jemand in Schwierigkeiten. Also, was geht ab, Ratso?« Der kleine Mann schmollte: »Das sage ich Ihnen nicht.« »Hör zu, Kleiner, leg dich nicht mit mir an. Ich bin gerade gar nicht gut drauf. Wer hat Ärger?«
Der Kleine flüsterte: »Ich habe Ärger. Deuce ist wieder auf der Station.« »Deuce«, murmelte Garibaldi. Das war schlecht. Besonders, da sich gerade haufenweise Mitglieder des Psi-Corps hier herumtrieben. »Bist du sicher?« »Betreiben Ratten Geburtenkontrolle? Natürlich bin ich sicher.« »Warum gerade jetzt?« erkundigte sich Garibaldi. »Weiß er nicht, daß wir einen Haftbefehl für ihn haben? Warum sollte er das riskieren?« Ratso wand sich, vielleicht zuckte er auch, das war schwer zu sagen: »Sie sind doch alle hier versammelt, oder? Als wäre das hier das Zentrum des Universums. Wenn Sie einer von diesen verrückten Marsianern wären...« Garibaldi hob den kleinen Mann fast von den Füßen: »Deuce arbeitet für die Terroristen?« »Pssst. Pssst«, mahnte der Herumtreiber und preßte die schmutzigen Finger auf seine Lippen. »Ich habe Ihnen schon zuviel erzählt. Ich muß mich schützen. Deuce will vielleicht ein paar alte Rechnungen begleichen.« »Wie ist er reingekommen? Eine gefälschte Identicard?« Der zerlumpte Mann entglitt seinem Griff und schoß in einen Gang, wobei er sich gehetzt umsah. Garibaldi knirschte mit den Zähnen. Die Ankunft der Teilnehmer stand bevor, und die meisten seiner Leute nahmen noch eine letzte Mütze Schlaf. Er hatte keine Ahnung, wen er herunterbeordern
konnte, um nach Deuce zu sehen. Garibaldi hätte es gerne selbst gemacht, aber er konnte sich nicht einmal selbst entbehren. Marsianische Terroristen und der Verbrecherkönig der Unterwelt - eine üble Mischung. Er versuchte dahinterzukommen, wozu die Terroristen Deuce brauchten. Deuce war ein Schmuggelexperte, der alles in die Station hinein und wieder herausbringen konnte, auf die unterschiedlichsten Arten. Seine Kreditwuchereien hatten ihm eine Reihe von verzweifelten Kurieren eingetragen, die alles tun würden, um ein paar Credits von ihren Schulden erlassen zu bekommen. Wozu brauchten die Terroristen Deuce? Was konnte nur er auf die Station schmuggeln? Eine Bombe. Nicht solche Bomben, welche die früheren Babylon-Stationen in die Luft gejagt hatten, dachte der Chief, nicht diese Ka-Bumm-Dinger, über die Ivanova immer zu scherzen pflegte. Deuce würde seinen Spielplatz nicht verlieren wollen. Die Terroristen würden vermutlich ein Attentat bevorzugen, das mehr symbolischen Charakter hatte und nur wenig Chaos verursachte. Aber mit vierhundert Psi-Freaks in der Umgebung war Chaos schwer zu vermeiden. Mit Deuce und seinem Netz von Handlangern brauchten die Terroristen nicht einmal selbst in Erscheinung zu treten. Sie konnten irgendwo den Knopf drücken. Die Sicherheitskräfte mußten jede
einzelne Person auf der Station überprüfen, nicht bloß Telepathen und Neuankömmlinge, sondern auch den alltäglichen Menschenmüll. Der Chief erlangte langsam seine Fassung wieder und bemerkte, daß mehrere Unterweltbewohner ihn anstarrten. Sie wandten sich schnell ab, aber das machte ihre Neugier nicht weniger unangenehm. Sie wußten Bescheid. Wie jedermann in der Allianz hatte die Truppe von Unzufriedenen und Nutzlosen nichts für das Psi-Corps übrig. Zum Teufel, einige von ihnen konnten sogar Wilde Telepathen sein, die sich hier versteckt hielten. Seine Aufgabe war der Schutz des Corps, und damit stand er praktisch allein gegen den Rest des Universums. Soviel also zu der Idee, schlafen zu gehen. Der Captain hatte recht gehabt - es war ein Alptraum. »Kommen Sie rein«, sagte Captain Sheridan und wischte sich ein paar Krümel mit einer Serviette von der Oberlippe. Die Tür seines Quartiers öffnete sich und ein zerknitterter Garibaldi schlich herein: »Guten Morgen, Sir.« »Guten Morgen, Mr. Garibaldi. Frühstück?« »Nein danke, Sir. Ich frühstücke ungern, bevor ich im Bett war.« Er warf einen Blick auf das üppige Angebot: »Na ja, vielleicht ein Stück Toast.« Sheridan stand auf und knöpfte sein Jackett zu: »Essen Sie ruhig auf, Mr. Garibaldi. Die Melone ist wirklich gut. Ich bekam letzte Nacht eine dringende Meldung von Mrs. Winters, die mir mitteilte, daß Sie in der Unterwelt in Schwierigkeiten steckten.
Als ich das überprüfte, fand ich keinen Hinweis auf einen Zwischenfall, nur diese seltsame Notiz von Ihnen. Und heute morgen war kein Report in meiner Datenbank.« Garibaldi kicherte: »Nun Sir, wenn jemand um eine Besichtigung bittet, gestaltet man diese so interessant wie möglich. Wenn zum Beispiel eine Fahrt mit einer Postkutsche gewünscht wird, organisiert man einen kleinen Banditenüberfall.« Sheridan runzelte die Stirn: »Ich wußte nicht, daß Sie auch solche Dienste anbieten. Ich hatte auch keine Ahnung, daß Sie der Vergnügungsdirektor der Station sind. Wenn Sie es aber gerne wären, könnte ich das vielleicht arrangieren.« Garibaldi schob sich eine Erdbeere in den Mund und überdachte das Angebot einen Augenblick: »Führen Sie mich nicht in Versuchung, Sir.« Der Captain schüttelte den Kopf: »Ich weiß, daß Ihnen die Konferenz Probleme bereitet, aber wir müssen das so gut es eben geht nach den Regeln durchziehen. Ich bin überzeugt, daß es eine Verordnung gegen tätliche Angriffe auf hochrangige Besucher gibt.« Garibaldi wischte sich den Mund mit der Serviette des Captains ab: »Captain, haben Sie zufällig die Aufzeichnung des ersten KonferenzMitteilungsblattes gelesen?« Sheridan rollte mit den Augen: »Habe ich.« »Emily Crane hat ein großartiges Editorial geschrieben, finden Sie nicht? Sie warnte Ihre
Freunde recht deutlich davor, die Unterwelt oder den Alien-Sektor zu besuchen, weil dort mit telepathischen Kräften nichts auszurichten ist, wenn man in Schwierigkeiten gerät. Das hat sogar mir angst gemacht.« »Zugegeben«, sagte Sheridan, »Ihre kleine Show hat wirklich etwas gebracht, aber lassen wir das. Man hat ein wachsames Auge auf uns, darauf, wie wir uns hier schlagen. Also halten wir uns ab jetzt an die Spielregeln, klar?« Garibaldi streckte sich: »Ja, Sir, verstanden. Ich wollte dem Corps nur demonstrieren, daß gewisse Teile der Station sich ihrer Kontrolle entziehen. Wir haben allerdings ein erhebliches Problem in der Unterwelt.« »Und das wäre?« »Sie haben sicher den Namen Deuce in einigen der Berichte gelesen.« »Selbstverständlich«, sagte Sheridan, »ich habe das Strafregister des Schiedsmannes über ihn gelesen. Mord, Raub, Schmuggel, Gefährdung der Station - ein mieser Typ. Und ein Flüchtling.« »Er ist wieder da. Darüber mache ich mir keine Sorgen, denn daß er früher oder später aufkreuzen würde, um nach seinen Geschäften zu sehen, war absehbar. Aber warum gerade jetzt? Geht es dabei um die Konferenz? Glauben Sie mir, Deuce hätte bestimmt nichts gegen einen Gehaltsscheck von den Terroristen einzuwenden.«
»Sind Sie sicher, daß er wieder da ist?« fragte Sheridan. »Ein Passagier eines zweifelhaften Frachters ist verschwunden, nachdem er gestern von Bord ging.« »Können Sie ihn auftreiben?« fragte der Captain. »Wie? All meine Leute sind für die Konferenz abgestellt. Und Deuce ist ein großes Tier in der Unterwelt. Selbst wenn wir die Konferenz nicht im Nacken hätten, würden wir vielleicht ewig nach ihm suchen.« Garibaldi rieb sich die Augen: »Im Augenblick suche ich nichts anderes als mein Bett.« Der Com-Link des Captains ließ sich vernehmen, und er hob die Hand: »Sheridan hier.« »Ivanova hier«, kam die bekannte Stimme. »Die Glenn dockt in Hangar sechs an. Die Papiere kündigen dreiundfünfzig Psi-Corps-Mitglieder an, und Mr. Bester wünscht eine persönliche Begrüßung. Er hätte auch Mr. Garibaldi gerne dabei, um Fragen zur Sicherheit zu erörtern.« Garibaldi stöhnte und griff sich das letzte Stück Toast. »Ich werde es Mr. Garibaldi ausrichten«, sagte der Captain. »Wir sind schon unterwegs.« »Oh«, sagte Ivanova, »ein weiterer Transport mit siebenundzwanzig VIPs kommt um 8:40 an und noch einer mit achtundreißig VIPs um 9:21. Ein schwerer Kreuzer mit neunzehn militärischen Telepathen wird für 10:58 erwartet, und zwei Transporter...«
»Ich werde im Dockbereich bleiben«, versicherte Sheridan. »Haben die Arbeitsteams BLAU-16 geräumt?« »Ja, Sir. Die Farbe ist allerdings noch nicht trocken.« Sheridan nickte nüchtern: »Wir können sie ja für ein paar Stunden ins Casino bringen und dort essen lassen.« Er sah Garibaldi an und lächelte ihm aufmunternd zu: »Gute Idee, die Glücksspiele dort zu verbieten. Wir schaffen das schon, Leute. Und denkt daran: Ihr liebt das Psi-Corps!« »Wir lieben das Psi-Corps«, sagte Garibaldi wenig überzeugend. Talia Winters nahm ihr Frühstück im neu eröffneten Cafe in BLAU- 16 ein. Malten saß ihr gegenüber, elegant in einem karierten Anzug mit Flicken auf den Ellbogen. Passend zur Umgebung war die Einrichtung größtenteils blau mit ein wenig Zimt. Nicht mal schlecht, dachte Talia, bis auf den Geruch frischer Farbe. »Ich fühle mich so schuldig«, sagte Talia, »Emily einfach mit der vielen Arbeit allein zu lassen. Sind Sie sicher, daß wir die Neuankömmlinge nicht begrüßen sollten?« »Und Mr. Bester den Spaß verderben?« Malten lächelte und goß noch etwas Kaffee nach: »Wir werden bei dem Empfang und das ganze Wochenende über noch viel Zeit für solchen Schnickschnack haben.«
»Außerdem«, sagte er aufmunternd, »ist das vielleicht die letzte Gelegenheit, Sie näher kennenzulernen, bevor ich zu Geschäftsessen und wichtigen Verhandlungen weggerufen werde.« »Ich hingegen«, entgegnete Talia und rührte in ihrem Kaffee, »habe zwar viele Gesprächsrunden vor mir, aber keine wichtigen Verhandlungen.« »Das ist schade«, antwortete Malten und strich sich über den Spitzbart. »Babylon 5 ist ein totes Gleis. Das ist mir nach dem unschönen Zwischenfall gestern nacht klargeworden. Sie könnten viel mehr erreichen.« Talia seufzte: »Mr. Malten ...« »Bitte nennen Sie mich Arthur.« »Arthur, Sie sollten wissen, daß ich nur ein P 5 bin. Ich kann froh sein, diesen Job zu haben.« »Unsinn«, warf Malten verärgert ein, »Ihr Erfolg auf B5 hat doch gezeigt, daß die Psi-Quote völlig irrelevant ist, wenn es um die Qualifikation für eine Aufgabe geht.« Er senkte seine Stimme: »Darum bin ich ja auch dagegen, soviel Macht an Telepathen zu geben, die nichts weiter vorzuweisen haben als einen P11 oder P12-Grad. P12 bedeutet nicht, daß man sich anpassen kann, gesunden Menschenverstand besitzt oder umgänglich ist. In den meisten Fällen heißt das doch nur, daß man ziemlich gestört ist.« Talia wand sich in ihrem Stuhl. Die Richtung des Gesprächs bereitete ihr Unbehagen. Malten konnte leicht so reden. Er war selber ein P10 und hatte die
größte private Vereinigung von Telepathen in der Earth Alliance gegründet. Obwohl der Mix auch unter das Sicherheitsgesetz 2156 fiel und damit technisch gesehen dem Corps unterstand, war er doch relativ unabhängig: Niemand mußte sich dort beim Corps einschleimen, um bestimmte Aufgaben zugewiesen zu bekommen. Malten lächelte entschuldigend: »Ich weiß, was Sie denken. Es stimmt, ich habe mir meine eigene kleine Nische geschaffen. Aber in der Geschäftswelt geht es weniger darum, wer die großen Profite einfährt. Uns geht es um langfristige Resultate. Talia, Sie haben erwiesenermaßen großes Talent im Umgang mit fremden Spezies. Das könnten wir im Mix brauchen.« Die junge Frau blinzelte ihn erstaunt an. Das hatte sie nicht erwartet. Babylon 5 war schon ein Traumjob gewesen, und an eine weitere Stufe auf der Karriereleiter hatte sie noch gar nicht gedacht. Und diese Stufe führte direkt an die Spitze. Es war zu schön, um wahr zu sein. Es mußte einen Haken geben. »Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gab sie offen zu. »Ich weiß nicht, was das Psi-Corps davon halten wird.« Der gelehrte Telepath tätschelte ihre Hand. Es war nur Leder auf Leder, aber die Berührung elektrisierte für einen Augenblick ihre Haut: »Überlassen Sie das Psi-Corps ruhig mir«, versicherte er. »Vor uns liegen viele Chancen. Wir
tragen die Telepathie in jeden Winkel des Universums. Nicht als Gegenstand von Furcht und Macht, sondern als begehrenswerte Dienstleistung. Wir werden sagen: >Laßt die Telepathie für euch arbeiten, und nicht gegen euch.Die nur sich selbst sehen