Nr. 1692
Syntron-Alarm Alarm für die Metropolen der Galaxis - die Jagd nach dem Wissen beginnt von Horst Hoffmann
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Nr. 1692
Syntron-Alarm Alarm für die Metropolen der Galaxis - die Jagd nach dem Wissen beginnt von Horst Hoffmann
Aus den mysteriösen Spindeln und Segmenten, die von den Terranern und ihren Verbündeten nach der Expedition an die Große Leere in die Milchstraße zurückgebracht wurden, entstanden bei Experimenten auf dem Saturnmond Titan, auf dem Planeten Halut und auf Raumschiffen in der Galaxis die sogenannten Spindelwesen. Fünfzehn Wesen waren es anfangs, die im Jahr 1212 Neuer Galaktischer Zeitrechnung für immer mehr Aufsehen sorgten. Spindelwesen Nummer Eins, das einzige mit dem Aussehen eines Haluters, starb bei Kampfhandlungen – die anderen vierzehn, jeweils mit dem Aussehen von Terranern, sind als Flüchtlinge in der Milchstraße unterwegs. Jedes dieser Wesen zeichnet sich durch immense Wißbegierde, bewundernswerte Intelligenz und unglaubliche Superkräfte aus. Sie alle scheinen einem geheimnisvollen Programm zu folgen, das bislang noch kein Mensch aufschlüsseln konnte. Sicher ist nur, daß es in direktem Zusammenhang mit der Großen Leere und dem »Großen Kosmischen Rätsel« stehen muß, ebenso sicher scheint es einen Bezug zu jenen Geschehnissen aufzuweisen, die vor rund zwei Millionen Jahren den Raum um die Große Leere erschütterten. Was über 225 Millionen Lichtjahre entfernt ist, scheint nun eine große Bedeutung für die Menschheitsgalaxis zu bekommen. Vor allem dann, als die Spindelwesen mit einer rücksichtslosen Jagd nach speziellem Wissen beginnen. In den Zentren der Galaxis beginnt der SYNTRON-ALARM …
Syntron-Alarm
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide stellt eine Falle. Ronald Tekener - Der Galaktische Spieler heckt einen pikanten Plan aus. Gucky - Der Ilt träumt von einem Mausbiber-Planeten. Homer G. Adams - Der Chef der Kosmischen Hanse zeigt sich als echter Freund. Fünf - Sprecher der vierzehn Spindelwesen.
1. Gates, 5. Oktober 1212 NGZ Die Eroberung des Planeten dauerte ganze zweiunddreißig Sekunden. Danach war Gatas faktisch in der Hand der Spindelwesen. Bis zu diesem Oktobertag hatte die Galaxis nichts mehr von den vierzehn Geschöpfen gehört, die unter verschiedenartigen Bedingungen entstanden waren, aber immer auf dieselbe Weise: durch das Einfügen eines fehlenden und vorher im Hyperraum »gedrehten« Segments in eine der an der Großen Leere gefundenen Spindeln. Jeder, der über die Zusammenhänge nur einigermaßen informiert war, konnte es sich an den Fingern abzählen, daß dies nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen war. Und nun kam er mit der Wucht eines Hurrikans über die Hauptwelt eines der größten Völker der Milchstraße. Um 17:08 Uhr Galaktischer Standardzeit aktivierte sich ein Transmitter in der planetaren Hauptschaltzentrale des Planeten. Die Blues waren ahnungslos. Kein fremdes Objekt war im 14-Planeten-System der blauen Riesensonne Verth registriert worden, die weit bis ins All hinaus gestaffelten Ortungsstationen hatten kein aus dem interstellaren Raum kommendes Raumschiff gemeldet. Verth, fast 70.000 Lichtjahre von Terra entfernt in der galaktischen Eastside gelegen, gehörte zu den am besten gesicherten Sonnensystemen der Galaxis. Aber das hielt die Vierzehn nicht auf. Sie explodierten geradezu in das Schaltzentrum hinein, von dem aus so gut wie alles gesteuert werden konnte, was auf Gatas und den Nachbarplaneten geschah. Der
Hauptsyntron war mit allen anderen Syntroniken des gesamten Systems vernetzt, selbst die Raumstationen, Satelliten und Forts konnten von hier aus direkt angesprochen und gesteuert werden. Wem der Hauptsyntron der zentralen Schaltstelle gehorchte, tief unter der Oberfläche des fünften Planeten, der beherrschte das System dann uneingeschränkt. Das war es allerdings nicht, was die Eindringlinge wollten. Sie rasten aus dem Transmitter, kaum daß sich das Empfangsfeld aufgebaut hatte. Sie kamen in zwei Gruppen von fünf und einer von vier. Das Gerät war groß genug, um eine halbe Armee mit einem Schlag auszuspucken. Es waren nur vierzehn Wesen, aber keine Armee der Galaxis schien sie aufhalten zu können. Sie besaßen keine Eigennamen, sondern nur Nummern, um die Reihenfolge ihres Entstehens zu bezeichnen – wobei die vorangegangenen Fehlversuche nicht mitgezählt waren. Fünf war als fünfter geschaffen worden, in einem ehemaligen Raumfort der Cantaro. Fast zwei Meter groß, dazu breit und untersetzt, mit dunkelgrauen Locken und einem ebenfalls grauen Gesicht mit Froschaugen, wirkte er alles andere als sympathisch. Nach seiner Erschaffung war er zurückhaltend und lethargisch gewesen. Jetzt, mit den anderen vereint, war er der geniale Stratege, der seine Begleiter mit nur wenigen Blicken und Gesten dorthin schickte, wo sie die optimale Wirkung erzielten. In diesem Fall war das die Eliminierung von allem, was sie bei ihrem Vorgehen behindern oder belästigen konnte. Die letzten vier Spindelwesen waren noch nicht materialisiert, da hatten die ersten fünf schon alle
4 im Transmitterraum arbeitenden Blues niedergeschossen und stürmten durch offene Schotte auf die Korridore zu den eigentlichen Schaltzentralen hinaus. Ihr Energiefeuer hallte von den Wänden wider. Der Blues und die anderen bei ihnen arbeitenden Galaktiker, die von ihnen überrascht wurden, hatten keine Chance. Sie starben entweder oder wurden ausbruchssicher eingesperrt. Die mit der zweiten Gruppe gekommenen Wesen verteilten sich an die Bedienungseinheiten des Syntron-Komplexes. Sie fanden keinen Widerstand mehr vor. Sechs zeigte jedem, wohin er sich zu begeben hatte, und saß nur zwanzig Sekunden nach ihrem Betreten des Zentrums an den Hauptkontrollanlagen des Syntrons. Sechs, als sechstes Leben aus der Spindel erwachsen, im Leerraum nahe bei Euthets Stern. Sechs war weiblich, mittelgroß und nach terranischen Maßstäben sehr attraktiv. Sie wirkte trotz der eher knabenhaften Figur feminin. Nach weiteren fünf Sekunden war das Spindelgeschöpf mit den langen schwarzen Haaren und den nachtdunklen großen Augen so weit in das Netz eingedrungen, daß ihre ersten Befehle befolgt wurden. Die Hauptschaltstation Gatas wurde hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Nichts und niemand kam mehr gegen den Willen der Spindelwesen herein, kein Impuls, kein Blue oder Roboter. Aber die Befehle der Vierzehn rasten überlichtschnell um den Planeten und ins All und sorgten dafür, daß das Verth-System 32 Sekunden nach dem Beginn des Überfalls vom Rest der Galaxis abgeriegelt war. Kein Hilferuf auf Hyperbasis hatte von den Blues abgestrahlt werden können. Kein automatisches Alarmsystem hatte den verantwortlichen Stellen auf Gatas die Entscheidungen abnehmen können, für die es jetzt längst zu spät war. Die vierzehn Spindelwesen arbeiteten weiter, schnell und konzentriert, und niemand draußen in der Galaxis ahnte, was im Zentrum des ehemaligen Zweiten Imperiums
Horst Hoffmann in diesen Minuten geschah. Sieben … Er beobachtete und teilte mit Fünf zusammen ein. Die Aufgabe, des von Boris Siankows Team eigentlich als »Joker« geschaffenen Wesens, männlich, ein Meter achtzig groß, asketisch wirkend und mit regungslosem Raubvogelgesicht, war bereits getan. Er hatte den Coup vorbereitet, die nötigen Informationen gesammelt und danach die Strategie entwickelt. Nun stand er hinter Sechs und sah zu, wie sie am Hauptsyntron arbeitete. Dann und wann ging sein Blick zu den anderen, die sich allmählich ebenfalls einfanden. Auch für sie gab es im Moment nichts zu tun. Sie waren in einer mit allen Mitteln gesicherten Festung, die die Blues eigentlich im Krisenfall zu ihrer Verteidigung vorgesehen hatten. Der gewaltige subplanetare Komplex der Hauptschaltanlage war durch vielfach gestaffelte Energieschirme kugelförmig umschlossen. Er hätte selbst einen Atombrand und die Explosion des Planeten überstanden. Nach knapp fünf Minuten drehte Sechs sich halb um und sah Fünf an, dann Sieben und Vier, die blonde Analytikerin der Gruppe mit dem weichen Gesicht und dem Körper einer Bodybuilderin. Mehr bedurfte es nicht. Es war noch kein einziges Wort zwischen den Spindelwesen gesprochen worden. Sie verständigten sich allein mit den Blicken und, wenn es nötig und angebracht war, mit Gesten, selten mit Worten. Nichts, teilte Sechs mit. Ich versuche es weiter. Im Gesicht von Zwei zeigte sich Ungeduld, Er, der aussah wie ein Durchschnittsterraner, wie alle anderen scheinbar zwischen achtzig und hundert Jahre alt, in Wirklichkeit und je nach Betrachtungsweise aber entweder zwei Millionen Jahre oder erst Wochen, war so etwas wie der Astronom der Gruppe. Die Bezeichnung Zwei trug er, obwohl das ursprünglich mit der gleichen Ziffer belegte Wesen sich zur Schimäre ent-
Syntron-Alarm wickelt hatte und im Weltraum gestorben war, nachdem es das Team um Myles Kantor und Michael Rhodan fast umgebracht hatte. Mit ihm, wenn man so wollte und es mit der Ordnung hielt, begann die Kette, denn Eins, das halutische Spindelgeschöpf, lebte ebenfalls nicht mehr. Am anderen Ende stand Fünfzehn, die wie Nummer Acht bis Vierzehn von dem Siebenerkollektiv Zwei bis Sieben aus den geraubten Spindeln und Segmenten geschaffen worden war. Vierzehn Wesen, entstanden aus etwas, das seit zwei Millionen Jahren an und in der Großen Leere geruht hatte und erst jetzt von den Galaktikern auf ihrer 225-Millionen-Lichtjahre-Expedition wieder zum Vorschein gebracht worden war. Fluch oder Segen? Sechs arbeitete, unterstützt von ihren Brüdern und Schwestern, noch gut drei Stunden am Hauptsyntron der Blues-Zivilisation, einem Hauptinformationspunkt der Milchstraße. Aber das, was sie in den Speichern suchten, fanden sie nicht. Es war von existentieller Bedeutung, das wußten sie. Sie brauchten die Daten, und sie würden keine Ruhe geben, bis sie alle besaßen. Fünf befahl den Aufbruch, nachdem drei vorübergehend im unterirdischen Zentrum auf Gatas arbeitende Ertruser als Geiseln geholt worden waren. Warum keine Blues, das blieb vorerst ein Geheimnis. Die etwa zehn Gataser, die zusammen mit den Umweltangepaßten eingesperrt gewesen waren, würden es mit Sicherheit nicht erfahren. Sie waren schneller betäubt worden, als sie überhaupt begreifen konnten. Sieben, der die Ertruser paralysierte und einen von ihnen ohne Mühe auf den Arm lud, zerstrahlte mit der Waffe in seiner freien Hand unmotiviert, nur von Zorn und Enttäuschung getrieben, die Einrichtung von vier großen Hallen mit wertvollen Schalteinheiten. Die Spindelwesen begaben sich zum Transmitter zurück, nicht ohne vorher eine Reihe von Manipulationen am Hauptsyntron
5 vorgenommen zu haben. Sie bildeten wieder drei Gruppen, justierten den Transmitter um und eilten mit ihren Gefangenen durch das Entmaterialisierungsfeld.
2. Atlan Als ich den Terraner traf, kannte er meinen Entschluß – und er kannte meine Einstellung, die sich nicht mit seiner eigenen deckte. Er wollte auf die sanfte Tour mit ihnen fertig werden. Es war die ewig gleiche Arie. Er bildete sich ein, sie zur Kooperation gewinnen zu können, durch Güte womöglich, durch Verständnis, durch Zugeständnisse. Wie immer. Das war Unsinn, und das sagte ich ihm, bevor ich mit meiner ATLANTIS am Morgen dieses 5. Oktobers im Solsystem eintraf und wir uns in die Parkbahn um Terra einweisen ließen. Er spielte nicht gleich den Beleidigten oder brauste auf, so wie in lange zurückliegenden Zeiten. Er nickte und versuchte abzuwiegeln, wohl in der Hoffnung, daß er mich überzeugen könnte, wenn ich erst bei ihm wäre. Der Narr sollte mich besser kennen. Er konnte mich einen Sturkopf schelten oder was ihm sonst noch einfiel. Er konnte mir mit den ewig gleichen Argumenten kommen, durch Verhandlungen sei mehr zu erreichen und weniger zu verlieren als durch die Demonstration unserer Macht – aber spätestens seit den Ereignissen auf unserem GAFIF-Stützpunkt Mereidden und dem Raub der LAYSSIA führte ich die vierzehn Amokläufer auf meiner ganz persönlichen Liste. Bis dahin hatte mich der Zirkus um sie eher am Rande berührt. Ich hatte genug eigene Probleme. Und bei Arkons Göttern, ich habe sie immer noch! Ich ließ mich gegen Mittag von der ATLANTIS ins HQ-Hanse abstrahlen, um auch von anderen als meinem alten Freund Perry den neuesten Stand der Dinge zu erfahren.
6 Vorher allerdings hatte ich noch einige Dinge in ureigener Sache zu erledigen. Sie betrafen den Verrat, durch den aus dem Bordsyntron der ATLANTIS die Daten über die Spindeln, Sampler-Planeten und den ganzen Komplex Große Leere an die FAMUG geraten konnten. Bis Mitte September hatte ich mich selbst ganz und gar der Bekämpfung der Verrückten gewidmet, die sich entweder tatsächlich so weit von den galaktischen Realitäten entfernt hatten oder das Schüren des Glaubens an »Arkons Macht und Glorie« einfach dazu benutzten, ihre eigene Macht zu installieren und entsprechend Gewinn abzuschöpfen. Wie oft hatte ich solche Propheten schon kommen und gehen gesehen! Alle paar hundert Jahre wieder kommt ein Prophet daher, der die »glorreiche Vergangenheit« unserer Völker neu heraufbeschwört, die nun im galaktischen Eintopf ihr kümmerliches Dasein fristeten. Es ist nicht schwer. In jedem der großen Völker gibt es genügend nationalistische Strömungen, und sie werden wahrscheinlich nie auszurotten sein. Die Akonen glaubten vor einiger Zeit, von Arkons Schwäche profitieren und sich ihre alte Rolle wiedererobern zu können – zugegeben, auch nur Extremisten, die Mitglieder der Blauen Legion. Es könnte auf Terra ebenso passieren, jeden Tag. Sie könnten das alte Solare Imperium in seinem ganzen Glanz wiederherzustellen versuchen, wenn es nicht den einen Mann gäbe, der mit seiner ganzen Persönlichkeit dagegenstünde: Perry Rhodan. Soviel ich aus gutem Grund an ihm auszusetzen habe – ich will nicht daran denken, daß er eines Tages trotz seines Aktivators unsere Bühne verläßt. Es wäre vermutlich das Ende der terranischen und terrastämmigen Zivilisationen. Er ist noch immer die Integrationsfigur schlechthin. Er hat die Barbaren zum Mond gebracht, zu den Sternen, nach Andromeda und noch viel, viel weiter hinaus. Er hat die zerstrittenen Völker der Erde geeint, und er
Horst Hoffmann hat das Imperium aufgebaut und die Risse gekittet, als es zerfiel und sein Volk eine neue Identität suchte. Er hat sie ihnen gegeben. Ob ich diese Rolle für mein Volk noch spielen kann, das wird sich hoffentlich bald zeigen. Vor nicht allzulanger Zeit wollten sie mich als neuen Imperator. Als ich ablehnte, gab es viele unzufriedene Stimmen, aber damit konnten wir leben. Wichtig war dabei, daß die GAFIF gegründet worden war, mit Yart Fulgens Antiterror-Kommando als zunächst geheimer Sicherheitstruppe. Die GAFIF ist auch jetzt meine Hoffnung, denn in Fulgens Hände habe ich für die Dauer meiner Abwesenheit die Bekämpfung der FAMUG gelegt. Das Antiterror-Kommando ist nicht, wie es früher bei Armeen oft genug der Fall war, von den Revoltierenden unterwandert worden. Es steht treu zu mir und unseren Idealen. Aber ob das reichen wird? Bald wird der Tag kommen, an dem ich wieder im Brennpunkt stehen werde. Es wird nicht lange dauern, und dann wird sich zeigen müssen, ob der alte Atlan noch den nötigen Biß hat. Daß die FAMUG die Daten über die Spindeln und die Große Leere besitzt, läßt jedenfalls nur den Schluß zu, daß sie ihr von jemand aus meiner Besatzung übermittelt worden sind. Er muß entlarvt werden, und ich habe die ersten erforderlichen Schritte eingeleitet. Wir werden es sehen.
* Punkt 15 Uhr eröffnete Perry die Besprechung. Anwesend in dem mittelgroßen Konferenzraum des HQ-Hanse waren außer uns beiden und einer Reihe von Wissenschaftlern noch Homer G. Adams, Alaska Saedelaere, Reginald Bull und Ronald Tekener. Perrys Sohn Mike und Icho Tolot kamen um einige Minuten zu spät und setzten sich schweigend. Mike zuckte entschuldigend
Syntron-Alarm mit den Schultern, aber versäumt hatte er noch nichts. Was Perry und Bully abwechselnd berichteten, war eine Zusammenfassung dessen, was seit der Erschaffung des ersten Spindelwesens, des halutischen Eins, geschehen war. Wir kannten es alle. Die Terraner hatten, nach den grausamen Erfahrungen mit ihrer ersten Nummer Zwei an Bord der CHIMAIRA, mit ihren Experimenten weitergemacht und dabei alle nur denkbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Was sich im Oortschen Gürtel abgespielt hatte, sollte sich nicht wiederholen können. Wenigstens in dieser Hinsicht waren ihre Befürchtungen unbegründet gewesen: Beim zweiten Versuch, es den Halutern nachzutun, war das erste Spindelwesen entstanden, das sich aus Spindel, Segment und dem terranischen Genpool seiner Erschaffer gebildet hatte, begleitet von einem geradezu gigantischen Energieentzug aus der Umgebung. Zwei hatte sich, genau wie der halutische Eins, von Anfang an als ungemein wißbegierig erwiesen. Das verstärkte sich noch, als er und Eins zusammengebracht worden waren. Beide gaben sich gegenseitig etwas, ohne daß die Wissenschaftler das genau hätten definieren können. Sie unterhielten sich mit ihren Augen, schweigend und unheimlich. Niemand wußte, was sie da austauschten, und die Forscher prägten den Begriff Kommunikations-Potential für das, was beim Zusammenführen von zwei Wesen entstand – ein einzelnes Spindelgeschöpf verfügte entsprechend nur über ein sogenanntes Lern-Potential. Um solche Wortschöpfungen waren sie noch nie verlegen gewesen, unsere Koryphäen. Und die Terraner produzierten weiter Leben aus der Spindel. Sie erschufen Drei und Vier, Fünf und Sechs, dazu als »Joker« die Nummer Sieben. Sie wollten es erst später und kontrolliert zu einer Zusammenführung von drei Spindelwesen kommen lassen. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
7 Die neuen Geschöpfe, teils männlich, teils weiblich, aber äußerlich alle von Terranern nicht zu unterscheiden (bis auf den fehlenden Bauchnabel – wovon sollten sie sich auch abnabeln?), nahmen das selbst in die Hand. Sie erzwangen ihre Vereinigung. Bei dreien hatte man dann erneut ein Wort parat, das Wort vom Koordinierungs-Potential. Und als schließlich alle sieben zusammen waren, versetzten sie die, die ihnen in die Quere kamen, mit ihrem Kampf-Potential in Angst und Schrecken. Dieses Wort traf es allerdings voll und ganz! Perry zeigte uns Aufnahmen, die auf dem Titan gemacht worden waren, als Eins und Zwei von den anderen fünf »befreit« und gleichzeitig die restlichen acht Spindelsätze geraubt worden waren. Die fünf Wesen waren wie ein Blitz aus heiterem Himmel über das Forschungszentrum gekommen. Sie hatten sich so zielstrebig und schnell das geholt, was sie wollten, wie ich es selten von einem Kommando gesehen hatte – vielleicht auch wirklich noch nie. Dabei gingen sie mit Kälte und Brutalität vor. Sie sahen aus wie Terraner, aber sie handelten wie Robots. Ihre Körper schienen aus Stahl zu sein, man verglich sie schon mit Halutern, jetzt sprach man von »oxtornischer Kompaktkonstitution«. Die Sieben wußten inzwischen, daß sie insgesamt 21 sein mußten. Ihnen war auch bekannt, daß die Terraner aber nur zwanzig Spindelsätze in ihren Besitz gebracht hatten. »Sie haben aber, wie es aussieht, bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, daß fünf Spindelsätze auf verschiedene Weise verbraucht oder zerstört worden sind«, sagte Rhodan jetzt und sah mich dabei aus leicht zusammengekniffenen Augen an. »Das ist doch richtig, oder?« »Wenn du vom Datendiebstahl aus dem Syntron der ATLANTIS sprichst«, erwiderte ich kühl, »dann kann ich dich beruhigen.« Die unausgesprochene Frage verärgerte mich. Als ob ich ihm nicht von selbst die Wahrheit gesagt hätte, wenn es anders ge-
8 wesen wäre. »Die Verbrecher aus den Reihen der FAMUG, die die erste Zusammenführung der Spindelwesen auf dem Gewissen haben, hatten die Daten über den gesamten Themenkomplex aus der ATLANTIS«, meinte Bully mit dem unschuldigen Blick eines Mannes, der gerade den neuesten Wetterbericht abgibt. »Die FAMUG hat nicht alle Daten«, konterte ich, mühsam beherrscht. Die ganze Zeit über hatte ich auf dieses lächerliche Verhör gewartet. Und jetzt bekamen sie die passende Antwort. »Ich hatte im Bordsyntron alle Daten über die Vorkommnisse an der Großen Leere en bloc gespeichert – und genau diese wurden, eben als ganze Datei, der FAMUG zugespielt. Was danach geschah, auch schon die Informationen über die Ennox-Schimäre Megananny und was mit den anderen Spindeln passierte, habe ich nicht gespeichert. Dieses Wissen befindet sich allein in meinem Gedächtnis. Entsprechende Informationen konnten also gar nicht an die FAMUG und also auch nicht an die Spindelwesen gelangen.« »Du bist ganz sicher?« hakte Perry nach und fügte, sichtlich verlegen, hinzu: »Ich muß das fragen, Atlan.« »Ich bin es«, antwortete ich. »Außerdem würden diese Berserker-Terraner nicht alle Hebel in Bewegung setzen, um die fünf fehlenden Spindelsätze auch noch in ihren Besitz zu bringen – nicht wenn sie wüßten, daß es sie nicht mehr gibt.« Es war vielleicht etwas hart, den Begriff »Berserker-Terraner« zu gebrauchen, aber sie hatten diese Retourkutsche verdient. In der Galaxis sprach man bereits von den vierzehn Spindelwesen als von ihnen, den Berserker-Terranern. Wer sie erlebte, glaubte Terraner zu sehen. Die Uneingeweihten staunten über ihre Kräfte und Fähigkeiten, aber sie mußten die vierzehn für Terraner halten. Und du? fragte mein Logiksektor. Wofür hältst du sie? Ich wußte keine Antwort. Ultimate We-
Horst Hoffmann sen, vielleicht. Vor zwei Millionen Jahren an der Großen Leere in Form der Spindeln und Segmente deponiert, um irgendwann zum Leben gebracht zu werden, und dann … Der jüngere Rhodan bemühte sich, die peinliche Situation zu überspielen, indem er weiter berichtete. Die Spindelwesen, erläuterte er, waren seit fünf Tagen, seit sie zuletzt im Halo der Milchstraße gesehen worden waren, mit dem gekaperten ATLANTlS-Schwesterschiff LAYSSIA wie vom Universum verschluckt. Weder das galaktische Ortungssystem GALORS noch die Patrouillen der Hanse, der LFT und des Galaktikums hatten auch nur eine Spur von ihnen gefunden. Aber sie wollten die fünf ihrer Meinung nach noch vorhandenen Spindeln, und sie wollten herausfinden, was es mit der einundzwanzigsten auf sich hatte, die (auf dem Sampler-Planeten Achtzehn) nicht gefunden worden war. Das bestätigten auch die von NATHAN aufgrund aller bisherigen Erfahrungen mit den Wesen erstellten Hochrechnungen. Sie würden alles daransetzen, das vermeintliche Versteck der fünf Spindelsätze zu erfahren und zu stürmen. Und dazu brauchten sie Informationen und würden sich früher oder später zeigen müssen. Sie waren von dem einen Gedanken besessen, sich zu komplettieren. Und sie warteten anscheinend auf ihren Führer, den Koordinator. Sie waren eine schier unschlagbare Truppe, aber sie brauchten diesen Koordinator. Erst dann, so hatte es Eins Icho Tolot gegenüber vor seinem Tod ausgesagt, seien sie komplett und würden erfahren, was ihre Bestimmung sei … »Die Vierzehn«, sagte Mike endlich, »können uns also durch ihr Stillhalten nicht täuschen. Irgendwo stecken sie, sie warten darauf, zuzuschlagen. Wir müssen davon ausgehen, daß sie versuchen werden, wichtige Informationszentren der Galaxis für ihre Zwecke zu benutzen.« »Und da man sie ihnen nicht freiwillig zur Verfügung stellen wird, mit Gewalt«, kam
Syntron-Alarm es von Gucky, der eben in einem freien Sitz materialisiert war. »Bin ich froh, daß es auf Tramp III keine Hauptsyntronik gibt.« Bulls Unterkiefer kippte herab. »Daß es was nicht gibt?« fragte er und wurde blaß. »Daß es das wo nicht gibt?« Ich lächelte amüsiert. Ich haßte diese trockenen Besprechungen, in denen doch nur bereits Bekanntes immer und immer wiedergekäut und der Anschein erweckt wurde, daß am Ende irgend jemand eine zündende Idee habe, wie man aus der gerade anstehenden Misere herauskam. Der Ilt schaffte es jedoch immer wieder, genau dann mit einer verrückten Einlage zur Stelle zu sein, wenn die Stimmung den Tiefpunkt erreicht hatte. Aber jetzt trug er für meine Begriffe etwas zu dick auf. »Na, Tramp III, für Begriffsstutzige wie dich Tramp-Drei, Staatsmarschallpensionär. Mach den Mund wieder zu, sonst weht dir noch Spindelstaub hinein.« »Spindel … staub?« krächzte Bull und preßte tatsächlich die Lippen so fest aufeinander, daß sie blutleer und hell wurden. Er fragte halb durch die Nase: »Was ist das jetzt wieder?« »Weiß ich doch nicht«, gab der Mausbiber trocken zurück. Meine Augen wurden feucht, aber diesmal nicht vor Erregung. Mein Zwerchfell zuckte vor mühsam zurückgehaltenem Lachen. »Was war das mit Tramp III?« wollte jetzt auch Perry wissen. »Nichts«, sagte Gucky. »Vergeßt es. Ein … ein Spaß, um euch Trauerklöße etwas aufzuheitern, nichts weiter. Wichtiger ist doch dieser Koordinator, oder? Solange die Spindelwesen ihn nicht haben, sind sie nur ein Haufen von nachgemachten Terranern, allerdings etwas besser ausgestattet, trotzdem kopflos, oder wie?« »Sie sind auch ohne ihn gefährlich«, sagte Alaska Saedelaere so ernst, wie ich ihn lange nicht mehr erlebt hatte. Sofort war ich wieder ernüchtert. Guckys »Spaß« war ver-
9 gessen – wenigstens vorübergehend, denn der Ilt schien mir etwas zu hastig von seinen Spinnereien abgelenkt zu haben. Ich kannte ihn viel zu gut, um das nicht zu registrieren. »Wir haben etwas erschaffen«, flüsterte Alaska, »was wir nie hätten erschaffen dürfen …« Ich sah ihn erstaunt und anerkennend an, und er erwiderte meinen Blick. Saedelaere nickte. »Sie wachsen uns über den Kopf«, sagte er. »Ich weiß es. Ihr werdet sehen.« Das war um 17:15 Uhr. Wir diskutierten weiter, wobei ich das Reden weitgehend den anderen überließ und mich in Gedanken eher mit Arkon und der FAMUG beschäftigte, mit dem Verräter der Daten auf der ATLANTIS. Nur einmal griff ich Alaskas Bemerkung auf und plädierte dafür, nun endlich die Konsequenzen zu ziehen und unter Einsatz aller Mittel dafür zu sorgen, daß die Spindelwesen kein Unheil in der Galaxis mehr anrichten konnten. Die Reaktion entsprach meinen Erwartungen. Eigentlich hätte ich in dieser Runde nichts mehr zu suchen gehabt. Es war sinnlos, ich redete gegen Mauern. Immerhin wußte ich mein Schiff in guten Händen, während ich auf Terra war. Zu meinem Kommandantenstellvertreter hatte ich interimsmäßig Hatolec bestimmt, nachdem Theta von Ariga ausgeschieden war. Ihre Sympathien für die politischen – immerhin nicht die anderen, die terroristischen – Ziele der FAMUG hatten einen Keil zwischen uns getrieben. Meine diesbezüglichen Gefühle gehören nicht hierher, sie gehen nur mich etwas an – und vielleicht trotz allem auch noch Theta. Hatolec war bisher Kommandant des 150-Meter-Kreuzers AT-DASSUS gewesen, ein verläßlicher Mann. Geboren 1138 NGZ, war er noch relativ jung, ein Grübler, immer die Ruhe selbst – aber um so entschlossener, wenn es die Lage erforderte. Mein einziger Zweifel an ihm war rein gefühlsmäßiger Natur. Denn Hatolec war – daraus hat er nie einen Hehl gemacht – ein
10 großer Verehrer von Theta. Auf jeden Fall habe ich Vertrauen zu ihm, und das ist in der augenblicklichen prekären Lage sehr wichtig. Um 17:50 Uhr wurde die Besprechung unterbrochen, und ich dankte den Göttern dafür. Es war eine dringende Hyperfunknachricht von Dao-Lin-H'ay. Einige im Raum hielten den Atem an, als ihre Botschaft angekündigt wurde. Sie hatten wohl etwas anderes erwartet. Diese Nachricht kam drei Stunden später, und sie kam von Gatas. Was Dao zu berichten hatte, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es dürfte kaum etwas mit unserem Problem zu tun haben; aber wer in diesem Universum weiß schon, wo sich die Linien des Geschehens eines Tages treffen und miteinander verknoten? Die Kartanin meldete sich von Bord ihrer NJALA aus Fornax zurück, der Heimatgalaxis der Nocturnen, wo ihr Volk einst Paratau geerntet hat. Dao-Lin war einem Gerücht aus Pinwheel nachgegangen, wonach die Nocturnenschwärme neuerdings wieder mit der Produktion von Paratau begonnen haben sollten. Dieses Gerücht, so berichtete sie, hatte sich als falsch erwiesen. Dafür allerdings hatte Dao eine andere bemerkenswerte Entdeckung gemacht. Sichtlich erregt sprach sie davon, daß die jungen Nocturnen zwar keinen Paratau schufen, aber tatsächlich in Aufruhr geraten seien. Sie formierten sich, nach ihren mehrfachen Beobachtungen überall in Fornax, zu riesigen Schwärmen und strebten in kurzen Überlichtetappen aus ihrer Galaxis hinaus. Die Länge dieser Etappen betrug immer nur zwischen einem und zwei Lichtjahren. »Ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat«, schloß die Kartanin ihren Bericht ab. »Aber irgend etwas geschieht oder beginnt in Fornax, Perry.« Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Tekener sich auf die schmale Unterlippe biß. Im Gesicht des Smilers zuckte es. Auch diese Zeichen waren mir sehr gut bekannt.
Horst Hoffmann Aber Daos Gesprächspartner war Perry Rhodan gewesen, und er dankte ihr jetzt und versprach, sich so bald wie möglich eingehender mit ihr zu unterhalten und die Vorgänge in Fornax beobachten zu lassen. Sie nickte uns zu, und ihr Holo erlosch. Perry wollte sofort wieder zur Tagesordnung übergehen, aber Bully und Saedelaere meldeten sich vorher noch spontan dafür, das Nocturnen-Phänomen zu untersuchen. Oh, den Grund für ihre rasche Begeisterung kannte ich natürlich. Er hieß Siela Correl. Die geheimnisvolle Frau, zu der Alaska für einige Zeit eine Beziehung hatte, lebte seit Jahrzehnten wieder zurückgezogen auf dem Hanse-Kontor Fornax. Es wurde beschlossen, daß die beiden Zellaktivatorträger schon am folgenden Tag mit Bulls CIMARRON nach Fornax aufbrechen würden. Um 21:02 Uhr wurde es dann ernst. Von Gatas meldete sich Aldoro Rosen, der Leiter des dortigen Hanse-Kontors. Fast ohne Zeitverlust kamen sein Bild und seine Worte über die Hyperfunkbrücke vom anderen Ende der Galaxis, und bevor er überhaupt angefangen hatte zu reden, da wußten wir alle, was diesmal die Stunde geschlagen hatte. Rosen berichtete aufgeregt, daß mehr als ein Dutzend Terraner ins planetare Hauptschaltsystem eingedrungen seien und dieses für gute drei Stunden besetzt gehalten hätten. »Und mehr als das«, haspelte der dunkelhaarige, schmächtige Mann mit der Adlernase hervor. »Das gesamte Verth-System war nachrichtentechnisch von der Galaxis abgeschnitten, auf Gatas und den anderen bewohnten Planeten lief nichts mehr. Diese Kerle und Frauen haben gewütet wie die Berserker.« Perry zuckte bei dem Wort leicht zusammen und warf mir einen kurzen Blick zu. Er war aufgestanden und wagte es nicht, den Kontoristen zu unterbrechen, dessen dreidimensionales Abbild so klar vor uns stand, als sei er einer von uns. »In Kürze wird bei der LFT eine offizielle Beschwerde
Syntron-Alarm der gatasischen Regierung eintreffen. Ich beschränke mich deshalb auf das Wesentliche. Ein genauer Bericht von uns folgt, vieles ist noch … unbegreiflich, muß zuerst geklärt werden.« Er atmete heftig und schloß für einen Moment die Augen. Dieser Mann mußte Schreckliches gesehen haben. »Sie«, fuhr er mit Mühe fort, »haben einige Blues getötet und beträchtlichen Sachschaden angerichtet. Der Grund des Überfalls scheint die Suche nach Daten im Zentralsyntron von Gatas gewesen zu sein. Wie gesagt, es ist vieles noch unklar. Aber sie haben drei Ertruser als Geiseln genommen und sind mit diesen durch den Transmitter geflüchtet. Wie ich gerade erfahren habe, ist wenige Minuten später, nachdem es gelungen war, die Kontrolle über den SyntronVerbund wiederherzustellen, ein fremdes Raumschiff geortet worden.« »Was für ein Schiff?« fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte. »Ein 500-Meter-Kugelraumer«, erwiderte Rosen, »wahrscheinlich arkonidischer Bauart. Er jagte mit Höchstwerten aus dem System und kam offenbar aus dem Ortungsschatten der Sonne Verth, wo er auf die Verbrecher gewartet hatte.« »Die LAYSSIA«, sagte Mike grimmig. »Es waren vierzehn, Aldoro, und es waren keine Terraner.« »Das«, sagte Rosen trocken, »müßt ihr jetzt den Blues erklären.« Seine Projektion sah Adams an, seinen Vorgesetzten, und als dieser abwinkte, verabschiedete sich der Hanse-Mann. Wir waren wieder allein, aber sicher nicht lange. Erst jetzt wurde den meisten klar, was wir da eben gehört hatten. Wir hatten damit gerechnet. Wir hatten gewußt, daß es geschehen würde, irgendwo in der Galaxis. Wir hatten sogar darauf gebaut. Aber nun waren wir einfach nur ratlos und zornig. Sie hatten Blues – keiner von uns wußte, wie viele wirklich – getötet, kalt-
11 blütig ermordet. Sie setzten den galaktischen Frieden aufs Spiel; ihnen war alles egal, was sie nicht selbst betraf und weiterbrachte. Und wir hatten keine Spur von ihnen. »Ich bezweifle, daß es den Blues gelungen ist, sie zu verfolgen«, brachte es Perry auf den Punkt und bewies mir wieder einmal, wie synchron wir dachten, wenn auch oft mit verschiedenen Folgerungen daraus. »Im Hauptsyntron auf Gatas konnten sie nicht finden, wonach sie suchen. Das wird sie nicht entmutigen, sondern weiter herausfordern.« »Es macht sie wild«, prophezeite Tekener. »Noch wilder.« »Ich frage mich«, sagte ich, als sich alle nur ansahen und nach Worten suchten, um ihren Gefühlen Luft zu machen, ohne die alten Phrasen von verdoppelten Bemühungen und noch mehr Aufmerksamkeit zu dreschen, »weshalb sie diese drei Geiseln genommen haben – und warum ausgerechnet Ertruser.« Die einzige Reaktion in diesen Minuten, in denen wir die Nachricht erst einmal zu verarbeiten hatten, wäre die nochmalige Forderung nach größerer Härte gewesen. Doch wie gesagt, ich rannte gegen Mauern und beschränkte mich auf eine stichelnde Frage, die meinen terranischen Freunden einfach unter der Haut brennen mußte. »Warum Ertruser und keine Blues? Befanden sich irgendwelche prominenten Mitglieder dieses … Volkes auf Gatas, mit denen die Spindelwesen hoffen könnten, uns erpressen zu können?« Homer G. Adams schüttelte den Kopf. »Das Gesetz der Serie«, meinte Gucky mit ernstem Gesicht. »Was?« fragte Bully. Der Ilt teleportierte sich auf seinen Schoß. Bull war der einzige, der noch saß. Gucky drückte ihm einen Finger auf die Nase und sagte: »Na, das Gesetz der Serie, auch ›Rhodans Gesetz‹, nie davon gehört? Vielleicht hat sogar irgendein Verwandter von Perry und Mike es einmal aufgestellt. Die Rhodans waren ja immer schon große Theoretiker.«
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Horst Hoffmann
Er zwinkerte mir zu, und ich lächelte offen zurück. »Ich kenne nur das Gesetz von den Mausbibern, die um so mehr Unsinn reden, je älter sie werden«, knurrte Bully ihn an und schob den Finger zurück. »Soll heißen, weiser Greis, daß mir diese Ertruser langsam stinken«, wurde er von dem Ilt belehrt. »Wann immer es in letzter Zeit Ärger und Zoff gegeben hat – wer war daran beteiligt? Die Herren und Damen Rindviehfresser. Ich würde sie gerne einmal alle miteinander …« »Gucky!« befahl Perry streng. »Ich denke, das reicht.« Der Mausbiber stöhnte gekünstelt. »Keine Angst, Perry, ich wollte sie nicht zu einer Grillparty am Goshun-See einladen, aufs Rhodansche Grundstück. Sie würden zuerst den gesamten Tierbestand Terras verputzen, vom Eichhörnchen aufwärts, und danach den ganzen See aussau … austrinken. Aber es ist doch wahr! Wenn mein unvergessener Freund und Spitzenklopper …« »Kupferstecher«, warf Mike ein. »Auch das«, sagte Gucky in seinem Eifer. »Wenn also mein alter Kumpel Melbar Kasom geahnt hätte, was aus seinen Leuten einmal werden würde – er hätte sich damals dem erstbesten Schreckwurm freiwillig zum Fraß vorgeworfen.« Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als uns die offizielle Beschwerdenote der gatasischen Regierung von der Liga Freier Terraner übermittelt wurde, wo sie drei Minuten vorher eingetroffen war.
* In der Note wurde im Prinzip bestätigt, was Aldoro Rosen schon mitgeteilt hatte. Kein Blue zeigte sich, um sie zu übermitteln. Eine wesenlose Stimme trug den Protest vor, dazu war das 3-D-Symbol von Gatas zu sehen. Frostiger hätte der Spruch nicht sein können, und es war uns allen klar, warum. Ich konnte die Blues gut verstehen.
Vierzehn Berserker-Terraner, so hieß es, hätten die gatasische Raumabwehr überrumpelt, indem sie sich mit ihrem Raumschiff auf »unglaubliche Weise« nicht nur ins Verth-System, sondern direkt in den Ortungsschatten der Sonne begeben hätten, so als wären sie aus dem Hyperraum direkt bei dem Blauen Riesen materialisiert. Nach dem Überfall aus dem Transmitter hatten sie, so Gatas, nicht nur blindwütig zerstört und insgesamt 23 Blues und vier Mitglieder anderer Völker kaltblütig umgebracht, nicht nur das Verth-System syntronisch lahmgelegt und »geheime Regierungsdaten aus dem Hauptsyntron gestohlen«, sondern die Speicher anschließend partiell und scheinbar völlig unmotiviert gelöscht, so daß wichtige Daten für immer verloren seien. Soll das heißen, daß die Blues davon keine Sicherheitskopien hatten? fragte mein Extrasinn. Auch mir kam diese Behauptung etwas seltsam vor. Die Gataser versicherten, daß sie sich alle weiteren Schritte vorbehielten, diese sorgfältig überlegen und nicht zuletzt davon abhängig machen würden, wie die Terraner sich eine »Wiedergutmachung« vorstellten. Auf jeden Fall wollten sie die Angelegenheit vor das Galaktikum bringen. Ob der Galaktische Gerichtshof eingeschaltet werden würde, das hing – wie sie deutlich genug sagten – von der Höhe und Art unserer Wiedergutmachung ab. Ich war betroffen von dem, was auf Gatas geschehen war, und wie es passiert war. Wir mußten der Galaxis klarmachen, daß es sich bei den Vierzehn nicht um Terraner handelte. Sie hatten sich von den Blues Informationen über die fehlenden Spindeln erhofft. Die Blues konnten sie ihnen nicht liefern, weil sie diese Daten nicht besaßen. Wo würden die Spindelgeschöpfe es also nun versuchen? Das Vernünftigste in unserer Lage wäre gewesen, der ganzen Galaxis jetzt die Wahrheit über sie zu sagen und alle Völker zu warnen. Perry, das war mir klar, würde es
Syntron-Alarm nicht tun – noch nicht. Weil dieser unverbesserliche Optimist und Idealist immer nach wie vor hoffte, die Lage selbst in den Griff zu bekommen, und außerdem Panik und wildwuchernde Spekulationen in den Medien zu vermeiden. Sicher spielte auch eine Portion Eitelkeit mit. Die BASIS-Expedition war vor zehn Jahren von der ganzen Galaxis ausgerüstet und auf den Weg zur Großen Leere geschickt worden, aber er, Perry Rhodan, hatte die Spindeln mit nach Hause gebracht – und damit auch das, was in ihnen geschlummert hatte. Bis seine Terraner es weckten. Nein, nicht Eitelkeit. Das war nicht das richtige Wort. Der Barbar glaubte noch immer, alles selbst richten zu können. Er würde nie aufhören, sich sämtliche Bürden des Universums auf die Schultern zu laden, um sich im Spiegel ins Gesicht sehen zu können. Du regst dich auf, weil du in ihm selbst einen Spiegel vor Augen hast, spottete mein Logiksektor. Wenn du Perry siehst, dann siehst du ein großes Stück von dir. Ihr seid nur verschieden in der Wahl der Mittel, nicht in der Sicht der Dinge. Das war Unsinn, ich war nicht aufgeregt. Die Warnung, die Perry nicht gab, kam von den Blues. Von ihnen ging sie an das Galaktikum, das sie baten, alle Völker der Milchstraße zu besonderer Vorsicht und zu allen erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen gegen die »vierzehn terranischen Verbrecher« anzuhalten. Wir mußten uns nun anschließen, Adams übernahm das für die Hanse. Er bestätigte das, was von Gatas gekommen war, und hielt sich an die Terminologie von den »terranischen Verbrechern«. Natürlich hütete auch er sich davor, offiziell bekanntzugeben, um welche Wesen es sich bei den Vierzehn tatsächlich handelte. Er allerdings hatte vollkommen pragmatische Gründe, die ich auch nachvollziehen konnte. Eigentlich gab es nur eine größere Interes-
13 sengruppe in der Milchstraße, die sich den richtigen Reim auf die seltsamen Nachrichten machen konnte und würde. Die FAMUG.
* Um 23:32 Uhr trennten wir uns. Bevor ich mich auf die ATLANTIS zurückstrahlen ließ, winkte ich in einem günstigen Moment den Ilt zu mir und bugsierte ihn in eine kleine Technikerkammer. Ich schloß die Tür hinter uns, er blickte mich aus großen Augen neugierig an. »Wie war das mit Tramp III?« fragte ich ihn. »Ich habe das vorhin nicht ganz mitbekommen.« »Da war auch nichts mitzubekommen«, antwortete er und lachte, es war eine Spur zu schrill. »Ein Witz. Du kennst mich doch. Ich habe nur …« »Ich kenne dich, eben«, erinnerte ich ihn. »Seit wie vielen Jahren?« »Seit …« Der Mausbiber sah mich lange an. Sein Nagezahn blitzte kurz und verschwand dann wieder. Schließlich setzte er sich auf einen der wenigen Sitze und legte die Ellbogen auf den einzigen Tisch. Er stützte den Kopf in die kleinen Händchen. »Ich habe allen Grund zu der Annahme«, sagte er langsam, als ich ihm gegenüber Platz genommen hatte, »daß es ihn tatsächlich gibt.« »Wen?« fragte ich. »Den Planeten«, flüsterte Gucky. Seine schwarzen Augen funkelten mich in erwachender, noch vorsichtiger Begeisterung an. »Tramp III eben, den Planeten der letzten Mausbiber.« Das hatte ich nur hören wollen. Ich schüttelte den Kopf, stand auf und wollte zum Ausgang gehen. Guckys derartige Phantastereien gingen nicht nur mir auf die Nerven, und das nicht erst, seit ES ihn auf die Suche nach den Spiegelgeborenen geschickt hatte und er überzeugt gewesen war, einer Spur zu
14 seinen immer noch existent geglaubten Artgenossen zu folgen. Gucky litt darunter, der einzige noch lebende Ilt zu sein. Aber wir alle hatten irgendwann lernen müssen, Verluste hinzunehmen – und er hatte dazu schon viele Jahrhunderte Zeit gehabt. Daß er jetzt hier wieder damit anfing, war in meinen Augen einfach nur lächerlich. »Warte, Atlan!« Ich drehte mich zu ihm um, eigentlich nur, um ihm meine Meinung zu sagen. Aber er hielt mir etwas entgegen, das wie ein Büschel Haare aussah, eingegossen in einen fünf mal fünf mal fünf Zentimeter großen Würfel aus Kunstharz. »Was glaubst du wohl, was das ist?« fragte er. Seine Augen blickten so treu wie eine Psychowaffe, die sofortige, völlige Anteilnahme hervorrief und den Verstand lahmte. Aber weil ich ihn so gut kannte, wußte ich, daß er mir jetzt kein Theater vorspielte. »Haare, Atlan«, sagte Gucky beschwörend. »Und es sind Mausbiberhaare. Ich weiß es genau. Ich habe sie untersuchen lassen. Es kann gar keinen Zweifel geben. Zell, Molekül-, Genstruktur – alles stimmt. Es sind Haare von einem echten, von einem lebenden Ilt, Atlan! Und sie stammen von diesem Planeten!« Er reichte mir den Würfel wie die zerbrechlichste Kostbarkeit dieser Welt. Ich nahm ihn, hob ihn vor meine Augen und drehte ihn in der indirekten Beleuchtung des Raumes. »Sieht aus wie Haare«, mußte ich zugeben. »Es sind Haare, Atlan«, lispelte er. Telekinetisch holte er sich den Würfel zurück. »Echte Mausbiberhaare. Von einem … einem lebenden Ilt!« »Das sagtest du schon.« Ich seufzte, weil ich glaubte, daß ich gerade wohl Zeuge des Beginns einer neuen, großen Suche würde. Doch dann erfaßte ich die Bedeutung von Guckys Worten erst ganz. »Du meinst, sie stammen von einem Pla-
Horst Hoffmann neten, auf dem heute noch Mausbiber leben?« Der selbsternannte Retter des Universums nickte heftig und schnell. »Und wo ist er? Am Ende des Universums? In der Galaxis Gibtsgarnicht? In …?« »In unserer Milchstraße, Atlan!« rief der Kleine empört. »Hör auf, mich zu verspotten! Die Sache ist ernst!« Ich schwieg. Er war aufgesprungen und setzte sich jetzt wieder. »Ich weiß ja, daß es euch allen langsam schwerfallen muß, an die Weiterexistenz meines Volkes zu glauben, aber …« Sein Kopf ruckte hoch. Er sah mich ganz verzweifelt an und kreischte: »Mein … Informant war auf diesem Planeten, der sicher ganz anders heißt. Ich habe ihn Tramp III genannt. Später, wenn er mir gehört, wird der Name natürlich offiziell. Ich werde mich nur noch meinem Volk widmen. Wir werden einen Sitz im Galaktikum beantragen und natürlich auch bekommen. Wir werden …« »Halt!« bremste ich ihn mit abwehrend erhobener Hand. »Soweit sind wir doch gar nicht. Wenn ich dich recht verstanden habe, willst du diesen Planeten kaufen?« »Ja«, antwortete er zögernd. Dabei vermied er es geradezu kunstvoll, mir ins Gesicht zu sehen. »Also, wo liegt er?« »Das … das weiß ich nicht«, gab er kleinlaut zu. »Mein Informant gibt mir die Koordinaten, sobald der Kaufvertrag perfekt ist. Ganz legal natürlich, unter Beachtung aller Auflagen des Galaktikums für den Kauf von freien Planeten mit intelligenten Bewohnern.« Seine Stimme hob sich schon wieder und versprühte Erregung. »Er hat mir Bilder von Tramp III gezeigt, Atlan! Von der Landschaft, von den Kolonien der Ilts. Sie leben dort wie im Paradies. Es ist ein Paradies.« »Und was soll dieses Paradies kosten?« fragte ich sarkastisch. Sofort schaltete Gucky einen Gang zurück und betrachtete konzentriert seine Finger. »Oooh«, meinte er, »nicht viel, wenn du bedenkst, was er für mich – für uns alle! –
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bedeutet. Ich meine, alles hat seinen Preis, wenn du verstehst. Ich allein kann die Summe im Moment nicht ganz aufbringen, und deshalb wollte … will ich auch versuchen, bei einer guten Gelegenheit …« »… bei einigen guten alten Freunden, ein paar halbe Milchstraßen für deinen Mausbiber-Planeten lockerzumachen«, beendete ich den Satz. »Freunde allein reichen da nicht, Atlan«, gab er zu. »Ich meine, es müßten schon sehr viele sein. Oder der Freund müßte über eine Organisation verfügen, so eine mit viel, viel Geld, weißt du?« »Also Homer G. Adams, die Kosmische Hanse«, stellte ich fest. »Ja«, flüsterte Gucky. »So ungefähr.« Er sah mich groß an, wieder mit diesen gefährlichen Bettelaugen. »Würdest du mich notfalls etwas unterstützen, Atlan?« Ich sah ihn an und versuchte, ernst und ganz ruhig zu bleiben. Vor mir stand ein Mausbiber. Ich stellte mir einfach vor, daß an seiner neuesten Abenteuergeschichte etwas dran sei, und daß es zehn Mausbiber geben könnte. Dann sah ich hundert vor meinem geistigen Auge – sagen wir, über Arkon I verteilt. Tausend. Willst du eine ehrliche Antwort, Kleiner? hätte ich fast gefragt. Statt dessen wich ich auf die in solchen Situationen übliche und bewährte Floskel vom »Ich-werde-darüber-Nachdenken« aus. Als er mir dankte und in seinem Überschwang einen feuchten Kuß auf die Wange drückte, hatte ich sogar fast ein schlechtes Gewissen.
3. Galactic Guardians »Langsam werde ich verdammt sauer«, sagte Goroncar und schickte einen derben Fluch hinterher. »Vielleicht bilden die sich ein, daß sie uns nicht brauchen. Vielleicht geht irgendwann einfach das Schott auf, und
einer von ihnen feuert herein. Wir sollten darauf vorbereitet sein. Wir sollten uns so teuer wie möglich verkaufen.« »Hör auf«, grollte Ponam Wonkh, »hör endlich auf!« »Hört beide auf!« ging Deffa Basam dazwischen. Die Ertruserin lag, scheinbar teilnahmslos, in einer Ecke des Lagerraums, in den man sie paralysiert geworfen hatte. Sie trug, wie ihre beiden männlichen Begleiter, noch die grauweiße, overallähnliche Bekleidung, die sie als Gast in der gatasischen Hauptschaltzentrale ausgewiesen hatte. Sie, Goroncar Mur und Wonkh hatten dort im Rahmen eines innergalaktischen Wissenschaftleraustauschs mit Vertretern anderer Völker zusammengearbeitet, natürlich nicht an Stellen, wo sie an strenggeheime Informationen der Blues hätten kommen können. Das Austauschprogramm war eine galaxisweite, vom Galaktikum ins Leben gerufene Aktion des gegenseitigen guten Willens, mehr nicht. Ertruser, Arkoniden und Akonen arbeiteten auf Gatas in peripheren Bereichen mit, dafür Blues auf den Zentralwelten der anderen. Aber wirklich an die eigenen Geheimnisse heran ließ niemand die anderen. Insofern war das Programm ebenso falsch wie die Identität der drei von Gatas entführten Ertruser und diese Entführung an sich. Sie hatten sich von ihrer Organisation, als Wissenschaftler getarnt, auf Gatas einschleusen lassen, um dort irgendwann an wichtige Regierungsunterlagen heranzukommen, militärische, wirtschaftliche oder von anderer irgendwie gut zu vermarktender Art. Also um genau das zu tun, was ihnen eigentlich nicht möglich sein sollte. Sie hatten dafür zwei Jahre angesetzt, und erst ein Drittel davon war vergangen, mit eher kümmerlichem Erfolg. Tillion Dhak belohnte sie fürstlich für verwertbare Infos. Und er kannte eine ganze Reihe von wirkungsvollen Bestrafungen für jene seiner Leute, die versagten und mit leeren Händen zurückkamen. Tillion Dhak, das war ein heimlich aus
16 seiner Verbannung nach NGC 6822 in die Milchstraße zurückgekehrter Überschwerer, ein ehemaliger Anhänger der Pariczanerin Paylaczer. Und die Organisation, der sich die drei Ertruser verdingt hatten und in der Tillion Dhak mittlerweile eine wichtige Rolle spielte, das waren die Galactic Guardians, gefürchtet und gehaßt von all jenen, denen sie »beistanden«. Geliebt von niemandem. Was in den Wirren der Post-Monos-Ära von einem Mann namens Ariel Guardian ins Leben gerufen worden war und durchaus hehre Ziele verfolgt hatte, das war längst zu einer Art kriminellen Organisation des 13. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung geworden. Grundgedanke der ursprünglichen Guardian Angels war gewesen, jedweden Galaktikern gegen entsprechende Bezahlung Schutz gegen jedwede Gefahr und Bedrohung anzubieten. Diese »Schutzengeltruppe« war dann auch ein voller Erfolg gewesen – bis die Zeiten wieder ruhiger wurden und sich überall in der Galaxis neue Ordnungsstrukturen herausbildeten. Mit der Truppe ging es bergab, und Tausende von plötzlich beschäftigungslosen Guardians suchten ihr Heil in immer dubioseren Geschäften und bildeten als Galactic Guardians bald jene Organisation, vor der ganze Planetenregierungen zitterten. Dazu hatten diese allerdings auch allen Grund. Während die »legalen« Guardians, die sich noch den alten Zielen verpflichtet fühlten, sich von ihren verbrecherischen Kollegen lossagten, sich wieder Guardian Angels nannten und gegen die anderen kämpften, gewannen diese mehr und mehr Einfluß und Macht und verfügten mittlerweile sogar über Raumflotten. Gesteuert wurde die Organisation wohl von NGC 6822 aus, jener zur Lokalen Gruppe gehörenden Galaxis, in die während der ES-Krise die Überschweren unter Paylaczer verbannt wurden. Dort, auf einem Planeten namens Neu-Paricz, sollte sich das eigentliche
Horst Hoffmann Hauptquartier befinden. »Sie werden kommen«, hoffte Deffa, »denn sie können uns brauchen. Hätten sie uns sonst mitgenommen?« Die beiden Männer fluchten vor sich hin und schwiegen. Sie legten sich auf den Rücken und starrten zur hohen Decke des, bis auf sie, völlig leeren Raums. Deffa Basam musterte sie mit einem Anflug von Verachtung. Ponam und Goroncar waren körperlich voll auf der Höhe. Sie waren beide über zwei Meter fünfzig groß und hatten die entsprechende Schulterbreite. Jeder von ihnen wog bestimmt fast zwanzig Zentner. Sie konnten kämpfen wie Stiere – aber wirklich nur so. Was ihnen fehlte, war die Füllung der oberen Schädelhälfte unter dem zehn Zentimeter hohen Sichelkamm. Früher war er noch größer und bunter gewesen. Sie hatten ihn sich für die Aufgabe auf Gatas auf ein »seriöses« Maß herabstutzen lassen müssen. Deffa selbst war kaum sparsamer ausgefallen, den Körperbau und aber, vor allem, das Hirn betreffend. Sie war der Kopf der Dreiergruppe. Sie war Tillion Dhak direkt verantwortlich – und sie hatte erkannt, daß sich auf Gatas nichts holen ließ, das den Einsatz und die damit verbundenen Hoffnungen rechtfertigte, und bei dem Überfall der Terraner blitzschnell reagiert. Deffa war als Kämpferin ausgebildet gewesen. Sie hatte in Manövern mitgemacht, die kein Mann durchgestanden hatte. Sie war schnell und ohne Skrupel, wenn sie ans Ziel wollte. Aber was ihr die Terraner gezeigt hatten, das hatte sie noch nie erlebt. Ausgerechnet diese Schwächlinge von der Erde, die eigentlich nichts anderes tun sollten, als sich den ganzen Tag über in eine Ecke zu stellen und sich dafür zu schämen, was aus ihnen, den Nachfahren eines einstmals so schlagkräftigen Volkes, im Lauf der Jahrhunderte geworden war! Sie waren in das Hauptschaltzentrum ge-
Syntron-Alarm stürmt und hatten general-stabsmäßig ganz Gatas und das gesamte Verth-System innerhalb einer halben Minute lahmgelegt, nur um an Daten aus der Hauptsyntronik zu kommen! Deffa hatte nicht gewußt, wer sie waren und was genau sie wollten. Sie hatte aber sofort erkannt, welche Chance sich ihr und den beiden anderen Ertrusern bot, nachdem sie bisher völlig erfolglos geblieben waren. Und als sie von einem der Terraner eingesperrt wurde, mit zehn Gatasern zusammen, da hatte sie ihm schnell ins Ohr flüstern können, daß sie ihm helfen könne, wenn er und seine Gefährten es wollten. Wie helfen und wobei, das war ihr in diesem Moment ganz egal gewesen. Aber diese Truppe hatte etwas verdammt Großes vor, und was konnte Deffa Besseres passieren, als sich bei ihnen anhängen zu können? Wenn sie auf Gatas fanden, wonach sie suchten, dann würden sie sich wahrscheinlich nicht mehr blicken lassen, hatte Deffa kalkuliert. Hatten sie aber keinen Erfolg oder brauchten einfach nur starke Bundesgenossen, dann kamen sie vielleicht auf das Angebot zurück. Sie hatten nicht gesagt, wie sie sich entschieden hatten, als sie wiederkamen und die Lähmschüsse abgaben. Aber sie hatten die drei Guardians mit durch den Transmitter und in ihr Schiff genommen, und das war auch eine Antwort. »Sie werden kommen«, wiederholte die Anführerin. »Wenn sie es sich anders überlegt hätten und wir ihnen lästig geworden wären, dann hätten sie uns schon lange getötet.« »Wenn ich eine Waffe hätte«, knurrte Goroncar, »könnten sie uns nicht so ignorieren.« »Sie sind besser als du«, sagte Deffa. »In jeder Hinsicht.« Goroncar wälzte sich zu ihr herum, starrte sie aus seinen Glotzaugen an wie eine Irre und begann brüllend zu lachen. »Du mußt verrückt geworden sein«, sagte
17 Ponam Wonkh. »Glaubst du?« fragte Deffa, setzte sich in die andere Richtung und wartete. Aber bald sollten sie uns etwas zu essen bringen, dachte sie. Wissen sie nicht, daß es für einen Ertruser nichts Schlimmeres gibt als Hunger?
* Es verging noch ein ganzer Tag, bis das Schott geöffnet wurde. Deffas Magen knurrte wie ein Bär. Sie hatte inzwischen das Gefühl, daß er sich nicht nur verkrampfte, sondern schon selbst zu verschlingen begänne. Zu trinken gab es zum Glück einen Wasserautomaten, aber den hatten die Terraner nicht für ihre Gefangenen aufgestellt. Er gehörte zur normalen Einrichtung des Raums. Die Galactic Guardians waren bei ihrer Ausbildung durch eine harte Schule gegangen; sie hatten auch lernen müssen, Hunger auszuhalten. Nur deshalb, und um nicht als Schwächlinge dazustehen, redeten sie auch nicht vom Essen. Aber jetzt war die Grenze erreicht, an der diese Disziplin zusammenbrechen würde, und als das Schott aufging, sah Deffa an den Augen der beiden anderen, daß sie lieber lebende Rinder gesehen hätten als die Terraner. Der Mann und die Frau kamen zielstrebig herein. Sie hatten Waffen, allerdings an der Hüfte in ihrer Halterung. Sie trugen keine Schutzkleidung, sondern einfache, eng anliegende Kombinationen aus einem elastischen Material. Deffa hatte beide noch nicht gesehen. Er hatte ein rundes, blasses Weichlingsgesicht mit braunen Haaren und braunen Augen, bewegte sich auch fast wie eine Frau. Sie dagegen wirkte mit ihren groben Zügen und den kalten grauen Augen eher wie ein Mann. Aber das war nichts, womit sich Deffa lange aufhalten konnte. Die beiden Terraner blieben in der Mitte des Lagerraums stehen, wo Goroncar und Wonkh lagen, und sahen die Gefangenen an – einfach nur an. Aber das reichte. Sie sprachen kein
18 Wort, und sie gaben keine Zeichen. Die beiden Ertruser am Boden aber zogen die Beine an und standen auf. Deffa stieß sich an der Wand ab und trat zu ihnen. Es war grotesk. Eben noch hatten die Guardians über die Terraner geflucht, und jetzt traten sie vor ihnen an wie gehorsame Befehlsempfänger. »Wir brauchen Informationen«, sagte die Frau übergangslos. Ihr Blick war tatsächlich kalt wie der eines Roboters. »Ihr habt im Datenzentrum der Blues gearbeitet. Ihr seid Fachkräfte, oder sie hätten euch nicht geduldet.« »Was für Informationen?« fragte Deffa, noch immer beherrscht. Aber in ihr begann die Wut über die unglaubliche Arroganz zu kochen, mit der sie und die anderen behandelt wurden. Gut, sie hatten sich den Terranern angeboten – aber nicht als erbärmliche Sklaven angedient, mit denen man so umspringen konnte. »Welche Sorte?« »Alle, die zu beschaffen sind«, antwortete der Mann. »Wir werden uns dann schon die für uns relevanten heraussuchen.« In Deffa brachen alle Dämme. Sie sprang zwei, drei Schritte zurück, stampfte tobend ein paarmal mit den Füßen auf, schrie und versuchte sich so abzureagieren. »Was seid ihr für Figuren?« brüllte sie dann, während Goroncar und Wonkh, die eben ihren Mund noch so weit aufgerissen hatten, wie in Lämmer verwandelt dastanden und schwiegen. »Seid ihr pervers, oder was? Ihr habt gemerkt, daß wir euch helfen können? Dann laßt uns über Bedingungen reden. Wir schaffen euch alle Informationen heran, die je in dieser Galaxis in einen Speicher geschickt worden sind. Aber nicht umsonst, Freunde!« Sie lachte und ging zu ihnen zurück. Einen Augenblick die Beherrschung vergessend, stieß sie dem Mann mit voller Wucht die Faust gegen die Brust – und schrie auf, als der Schmerz ihre Hand, ihren Arm, den ganzen Oberkörper durchfuhr. Die rechte Hand und das Gelenk waren gebrochen. Schlimmer hätte es nicht sein können, wenn sie mit voller Wucht gegen
Horst Hoffmann massiven Stahl geschlagen hätte. Also Roboter! war ihr erster Gedanke, noch als sie aufbrüllte. Aber jeden Robot hätte sie umgestoßen. »Ihr Schweine!« schrie Goroncar und stürzte sich auf den Terraner – oder was immer das war. Ihm blieb die Erfahrung erspart, die Deffa soeben gemacht hatte, denn der Terraner wich so schnell aus, daß es kaum wahrzunehmen war. Goroncar taumelte ins Leere, wurde von hinten gepackt, hochgehoben und durch den Raum gegen eine Wand geschleudert, wo er ächzend zusammenbrach. Die Wucht des Aufpralls hatte ihm die Luft aus den Lungen gepreßt, aber wenigstens schien bei ihm nichts gebrochen zu sein. »Nicht mit uns!« schrie Ponam Wonkh, der noch immer nichts begriffen zu haben schien. Er war sonst eigentlich besonnen und stritt sich mit Goroncar andauernd wegen dessen Unbeherrschtheit. Aber jetzt stürmte er auf die Frau los, die zu Goroncar gegangen war und ihm die Hand reichte, um ihm aufzuhelfen. »So springt mit uns keiner um!« Sie wirbelte herum und packte ihn im Sprung. Sie drückte ihn an die Stahlwand und schob ihn, allein mit der linken Hand, langsam daran hoch. Dann raste ihre rechte Faust auf ihn zu. Wonkh brüllte auf, aber die Faust der Terranerin fuhr Zentimeter neben seiner Hüfte in den Stahl und verbeulte ihn. »Reicht diese Demonstration?« fragte sie. Sie wartete Wonkhs Antwort nicht ab, sondern ließ ihn achtlos fallen und ging zu Deffa, die mitten im Raum stand und die Zähne zusammenbiß, als ihr der weichlich aussehende Terraner den Arm abtastete. »Wir helfen euch«, preßte Deffa hervor, »wenn ihr auch uns helft.« Die Terranerin nickte. »Darüber wollten wir mit euch reden. Deshalb sind wir gekommen.« »Dann laßt uns reden!« stöhnte Deffa. »Aber bringt uns vorher etwas zu essen. Verdammt, ich weiß nicht, wer und was ihr
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seid. Normale Terraner bestimmt nicht. Vielleicht müßt ihr nicht essen, aber wir brauchen das nun mal zum Leben.« »Was und wieviel?« fragte die Frau, ohne jede Anteilnahme, so als nähme sie eine Bestellung für technische Ersatzteile entgegen. »Für uns drei und das nach drei Tagen?« Deffa schrie wieder auf, als der Mann ihren Arm losließ und sagte, das sei leicht zu heilen. »Fünf Zentner ist das mindeste. Viel Fleisch, Gnädigste, Fleisch!« Sie zeigte kein Erstaunen, obwohl Deffa sicher war, daß sie anhand der Menge irritiert sein mußte, sondern nickte nur. »Ich werde das in die entsprechende Menge an Konzentraten umrechnen lassen und sie euch anschließend bringen lassen«, versprach sie. »Danach unterhalten wir uns über das Geschäftliche.«
* Zwei Tage darauf, am 10. Oktober, fand das Treffen statt, nahe einer bedeutungslosen, roten Sonne im Zentrumsgebiet der Galaxis. Die Spindelwesen brauchten nicht lange zu warten. Keine drei Minuten, nachdem sie die LAYSSIA am vereinbarten Punkt zum Stehen gebracht hatten, orteten sie Tillion Dhaks Schiff, einen 250-Meter-Diskus, das hinter dem äußersten Planeten hervorkam. Es trug den Namen CZYPOR. Das war alles, was den Wesen bislang darüber bekannt war. Die drei Guardians hatten ihnen nichts sagen können, weil sie selbst nichts wußten. Tillion Dhak machte aus allen seinen Angelegenheiten ein Geheimnis, und das sicherte ihm eine gewisse Unangreiflichkeit zu. Der Überschwere war für niemanden so leicht zu berechnen, selbst für seine eigenen Vertrauten nicht. Ihre Identität als Galactic Guardians hatten Deffa und ihre Begleiter den vermeintlichen Terranern gegenüber bekannt gegeben, als diese knapp und präzise gesagt hatten, was sie von ihnen erwarteten. Über sich selbst hatten die »Terraner«
kein Wort verloren, auf entsprechende Fragen nicht geantwortet. Aber immerhin wußten die Ertruser jetzt nicht nur, daß sie hinter ganz bestimmten Informationen her waren, die sie in den zentralen Speichern der Galaxis zu finden hofften, sondern daß sie nach ihrem Coup auf Gatas von der gesamten Milchstraße gejagt wurden. Ihr Raumschiff hatten sie bis zum erneuten Aufbruch wieder im Ortungsschatten einer Sonne versteckt. Trotzdem konnten sie über ausgeschleuste Sonden den Hyperfunkverkehr zwischen den galaktischen Zivilisationen abhören und wußten so immer, woran sie waren. Den Ertrusern gegenüber sagten sie nur aus, daß sie »Geächtete« seien und Deffa, Goroncar und Ponam Wonkh selbst entscheiden mußten, ob sie trotzdem bei ihnen bleiben wollten. Sie wollten. Ihnen wäre wahrscheinlich gar keine andere Wahl geblieben; die einzige Alternative konnte nur der Tod sein. Aber als sie ihre Verhandlungen mit den Terranern beendet hatten, durfte Deffa mehr als zufrieden sein. Die Vierzehn gestanden ihnen ohne lange Diskussionen zu, sich an den Informationen zu bedienen, die sie aus den wichtigsten Großspeichern der Milchstraße mit ihrer Hilfe herausholen würden. Sie interessierten nur spezielle Daten, über die sie nicht sprachen. Alles andere war für sie uninteressant, war Abfall. Brot für ihre nötigen und lästigen Helfer. Lästig, daran ließen die Wesen keinen Zweifel. Nie gewann Deffa den Eindruck, daß sie und die anderen beiden Guardians von den Terranern als gleichwertig anerkannt wurden. Und nötig, weil sie – oder besser: Tillion Dhak und die Organisation – ihnen die Türen öffnen konnten, hinter denen die gierig gewünschten Informationen zu holen waren. Ein zweiter Coup wie auf Gatas war nicht mehr allein zu schaffen. Die Galaxis war jetzt gewarnt. Deffa war klug, aber sie verstand nichts
20 von dem, was sie sah und hörte, soweit es nicht ihre Geschäfte anging. Sie dachte an den Gewinn, den sie daraus ziehen könnte, und wie sie damit vor Tillion Dhak dastehen würde. Alles andere verdrängte sie. Die Pseudo-Terraner, wie sie die anderen bei sich nannte, ermöglichten es ihr, einen Hyperfunkspruch an den Guardian-Anführer zu senden. Sie tat das selbst mit dem entsprechenden Kode, hatte aber das Gefühl, daß die Terraner den Kode in dem Moment erkannten, in dem sie ihn eingab. Und nach einem halben Tag hatte Tillion Dhak geantwortet. Die Verhandlungen wurden von Schiff zu Schiff geführt. Tillion Dhaks Gesicht mit der typischen grünen Haut der Überschweren schien überlebensgroß und in Kopfhöhe der Besatzung mitten in der Kommandozentrale der LAYSSIA zu schweben. Auf die gleiche Weise wurde vor Dhak in der CZYPOR ein Holo von Fünf erzeugt, der als Sprecher der Spindelwesen fungierte und dem Guardian knapp und präzise vortrug, was er verlangte. »Das läßt sich alles machen«, urteilte der Überschwere schließlich. »Ich bin bereit, euch zu helfen – zu den Bedingungen, die Deffa euch bereits vorgetragen hat. Wir verschaffen euch Zutritt zu den galaktischen Informationszentren, an die ihr ohne uns nicht mehr so leicht herankommt – oder überhaupt nicht. Ihr dagegen seid in der Lage, Syntroniken zu knacken, die für uns Guardians bislang unangreifbar sind. Ich bin einverstanden. Wir werden beide davon profitieren. Ihr kommt an eure Informationen und holt für uns aus den Speichern, was für uns von Interesse ist.« Er machte es kurz, der etwa 1,60 mal 1,60 Meter große und breite Nachkomme eines vor Jahrtausenden vom Stammvolk der Springer abgesplitterten Volkes. Tillion Dhaks Erfolg beruhte nicht zuletzt darauf, daß er Situationen und Menschen schnell einschätzen und sich auf sie einstellen konnte.
Horst Hoffmann Daß die vierzehn »Berserker-Terraner« an Bord des Arkonraumers keine Menschen waren, das wußte er spätestens nach Deffas Bericht, in dem einige Hinweise auf ihre Fähigkeiten versteckt gewesen waren. Die Galactic Guardians hatten gute Kontakte zu Teilen der FAMUG, und Tillion Dhak war stete über die Dinge informiert, die in der Galaxis etwas in Bewegung versetzten. »Konkret?« fragte Spindelwesen Nummer Fünf. »Ertrus, fürs erste«, antwortete Dhak sofort. »Dorthin haben meine Leute besonders gute Verbindungen. Vielleicht werdet ihr dort schon fündig; die Chancen stehen ebenso gut oder schlecht wie an jedem anderen Ort der Galaxis, das heißt bis auf …« »Bis auf …?« fragte Fünf. Tillion Dhak winkte ab. Sein breites Gesicht verzog sich zu einem Lachen. »Wir beginnen mit Ertrus. Gebt mir … drei Tage Zeit. Dann können wir zuschlagen. Ich sorge dafür, daß ihr nur noch zu kommen und abzuräumen braucht. Die aus den Syntrons kopierten Daten übergebt ihr dann Deffa – bis auf jene, die ihr für euch haben wollt.« »Wir sind einverstanden«, sagte Fünf, ohne eine Miene zu verziehen. Dhak nickte. »Haltet euch in der Nähe des Kreit-Systems bereit. Ihr bekommt ein Signal, wenn wir soweit sind.« Damit wurde die Verbindung unterbrochen. Tillion Dhak lehnte sich in seiner CZYPOR gemächlich im Kommandantensessel zurück und schwenkte zu seiner Mannschaft herum. »Sie sind es«, verkündete er dem letzten Zweifler. »Diese vierzehn Wesen aus Spindeln. Sie werden uns reich machen, wenn wir es richtig anfangen. Wir werden an strenggeheime Daten der galaktischen Völker herankommen und uns vor Interessenten nicht retten können, die uns dafür Unsummen bieten werden. Das ist der galaktische
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Friede!« Sein Lachen wurde verächtlich. »In Wirklichkeit wartet jeder nur darauf, dem anderen den Kopf einschlagen zu können. Wir nennen uns Intelligenzen, aber Intelligenz ist immer böse und zerstörerisch. Nur das Gekrieche ist unschuldig und wird deshalb ausgerottet.« Manchmal kamen diese Anwandlungen über ihn, und Dhak begann zu philosophieren. »Und was ist, wenn die Spindelwesen uns nicht mehr brauchen?« fragte einer von seinen Leuten. »Dann spielen wir sie der FAMUG zu«, erwiderte der Überschwere. »Aus Dank dafür, daß sie uns über ihre Existenz unterrichtete – und natürlich gegen eine gewisse Bezahlung …« »Du bist ein Teufel«, sagte eine Terranerin aus seiner Besatzung. »Ich bin intelligent, Vanja«, sagte er grinsend.
4. Ertrus, 13. Oktober 1212 NGZ Deffa Als wir das Signal erhielten, wußte ich, daß alles vorbereitet war. Der Rafferfunkspruch erreichte die drei Lichtstunden von Kreit entfernte LAYSSIA auf Hyperbasis. Nach der Entschlüsselung wußten die Pseudo-Terraner, was sie zu tun hatten und daß ich sie bei dem bevorstehenden Einsatz führen sollte. Es schien ihnen gar nicht zu passen, aber Tillion Dhak erwartete ausdrücklich keine Rückantwort, also auch keinen Protest. Die mitgefunkten Informationen für mich enthielten Kodewörter, mit denen nur Angehörige der Organisation etwas anfangen konnten. Ich wußte, wer wo auf uns wartete und was vorbereitet worden war – die Pseudos nicht. Sie sprachen nicht miteinander, sondern sahen sich nur an und verstanden sich. Ihr Sprecher gab mir das Zeichen, daß sie bereit waren.
Um 13:06 Uhr steuerte die LAYSSIA, nach einer kurzen Überlichtetappe und rasendem Flug ins System hinein, einen Orbit um Ertrus an. Wir verließen sie in einem 30-Meter-Beiboot und landeten mitten auf dem Raumhafen von Baretus, der Hauptstadt. Ich vertraute auf Tillion Dhak, aber bis zum letzten Moment hatte ich das Gefühl, daß planetare Geschütze das Feuer auf uns eröffnen müßten. Statt dessen geschah gar nichts. Etwa zwei Dutzend Schiffe verschiedener Völker standen auf dem Hafen, aber nirgendwo blitzte es auf. Wir erhielten keine Aufforderung, uns zu identifizieren oder abzudrehen. Alles schwieg. Ertrus war lahmgelegt, aber garantiert auf andere Weise als vor einer Woche die Hauptwelt der Blues. Die LAYSSIA war hinter ihren starken Energieschirmen sicher. Es hätten schon ganze Flotten kommen müssen, um sie zu gefährden. Die vierzehn Pseudo-Terraner folgten mir aus dem Boot und zu dem Gebäude, wo die Guardians auf uns warteten. Sie trugen auch jetzt keine SE-RUNS oder ähnliche, entsprechend schwere Schutzmonturen, und sie trugen vor allem keine Schwerkraftneutralisatoren. Die vierzehn unheimlichen Gestalten bewegten sich auf Ertrus so schnell und ungehemmt, als seien die 3,4 Gravos Schwerkraft für sie das Selbstverständlichste! Ich zwang mich dazu, die Gedanken daran abzustellen, wer sie wirklich waren. Tillion Dhak, das ahnte ich, wußte es, und das gab mir eine gewisse Beruhigung. Dennoch wollte ich froh sein, Wenn ich nichts mehr mit ihnen zu tun hatte. Goroncar und Ponam zerbrachen sich nicht so den Kopf. Sie brauchten Befehle, die sie befolgten, und die Hoffnung auf eine Gleiterladung Frischfleisch, um sich den Wanst vollzuschlagen. Das reichte für die beiden. Goroncar war inzwischen, ganz im Gegenteil zu seinen anfänglichen Gefühlen für sie, der Meinung, wir hätten mit den Pseudos das Große Los gezogen.
22 Zwei Stunden, hatte Dhak mitgeteilt. Von unserer Landung an gerechnet. Für zwei Stunden garantierte er, daß wir keinen Widerstand zu befürchten hätten. Danach mußten wir entweder verschwunden sein, oder wir handelten auf eigenes Risiko. Die Galactic Guardians hielten die Hauptstadt des Planeten Ertrus und den planetennahen Weltraum in der Hand. Es tat mir gut, zu wissen, daß sie damit dem großen Coup der Pseudos auf Gatas in nicht viel nachstanden. Wir wurden empfangen und ohne Verzögerung weitergeschickt. Lifte, Transmitter und andere Beförderungsmittel brachten uns ins Hauptschaltzentrum und zum zentralen Syntron, wo die Frau, die sich »Sechs« nannte, sofort mit der Arbeit anfing. Vier andere halfen ihr dabei, während der Rest mit den vorher eingedrungenen Guardians zusammen das Gelände absicherte. Tillion Dhak ließ sich nicht blicken. Weshalb auch? Er war die Spinne, die das Netz gesponnen hatte und nun aus dem Verborgenen heraus beobachtete, wer oder was sich darin fing. Ich konnte nichts tun. Nach anderthalb Stunden bemerkte ich die immer nervöser werdenden Blicke der Guardians, bei diesem Einsatz waren es fast ausschließlich Ertruser. Von irgendwoher waren die ersten Schüsse zu hören. Unsere Leute und die Pseudos mußten die ersten Regierungstruppen zurückschlagen, die die errichteten Sperren gestürmt hatten und in den Komplex hineindrängten. Sechs schien davon nichts mitzubekommen. Sie arbeitete ruhig, aber unglaublich intensiv am Syntron. Ihre Helfer zogen die Kopien auf Datenträger, die sie uns versprochen hatten. Praktisch wurde der gesamte Inhalt des Hauptsyntrons abgezogen. Aber die Pseudos schienen nicht zu finden, wonach sie suchten. Dann waren die beiden Stunden vorüber, und der Kampflärm kam näher. Mir war klar, daß es Dhak überhaupt erst dadurch gelungen war, uns hier ungestört einmarschie-
Horst Hoffmann ren und arbeiten zu lassen, daß er alle Verbindungen hatte spielen lassen. Er hatte einflußreiche Männer und Frauen aus Regierung und Verwaltung, Militär und Abwehr entweder vorübergehend ausgeschaltet oder erpreßt. Er besaß unzählige Möglichkeiten. Aber jetzt war das vorbei. Diesen Vorteil hatte er uns nur einmal bieten können. Jetzt rückten die ertrusischen Regierungstruppen an, und der Kampf wurde auf Leben und Tod geführt. »Wir müssen verschwinden!« schrie ich Sechs und Fünf an, der jetzt hinter der Frau stand. »Wir müssen es anderswo versuchen, wenn ihr bis jetzt nichts gefunden habt.« »Schweig!« fuhr Sechs mich an. Sie hatte mir den Kopf zugedreht, und ich glaubte keine Luft mehr zu bekommen, als ich in ihre Augen sah. Das war so absolut fremdartig! Aber dann berührte Fünf ihre Schulter. Sie schauten sich an, und Sechs stand widerstrebend auf und folgte ihm, die anderen ebenfalls. Sie gingen nicht etwa in die Richtung, aus der wir hier hereingekommen waren, sondern in die, wo gekämpft wurde. Vielmehr in die drei Richtungen, denn die Regierungstruppen hatten die Sperren mittlerweile an drei Stellen durchbrochen und waren auf dem Vormarsch. Goroncar, Ponam und ich wußten nicht, was wir zu tun hatten. Wir waren allein, das wurde mir schmerzlich bewußt. Tillion Dhak konnte uns keine Rückendeckung geben. Und gegen die Truppen hatten wir keine Chance. Das dachte ich, bis ich die Pseudo-Terraner zurückstürmen und zurück-weichen sah! Sie kümmerten sich nicht um die Guardians, die mit ihnen flohen. Aber sie kümmerten sich um die Soldaten, die sie verfolgten! Einer von ihnen – es war, glaube ich, Zwölf – kam zu uns gerannt und winkte, wir sollten ihm folgen; zum Ausgang, zu den Transmittern, den Schächten, den Laufbändern; zum Gleiter, der bestimmt schon er-
Syntron-Alarm obert oder zerstört war. Wir taten es, aber ich konnte noch sehen, wie die anderen Pseudos kämpften. Ich habe nie das geführt, was die Moralapostel ein »anständiges Leben« nennen. Ich war immer am Rand des Gesetzes, und schließlich nur noch außerhalb, lange bevor ich zu den Guardians stieß. Aber nie liebte ich den Kampf, und den Krieg verabscheute ich, in jeder Form. Was ich hier aber erlebte, war Krieg. Die Pseudos trugen keine Schutzmonturen, aber Waffen. Und irgendwo am Leib mußten sie winzige Projektoren versteckt haben, die Schutzschirme um sie legten. Sie feuerten so schnell, daß sie jedes Duell gegen hypermoderne Roboter hätten gewinnen müssen. Und sie schossen nicht mit Lähmstrahlen. Sie waren eiskalt. Sie machten ihre zahlenmäßige Unterlegenheit durch Skrupellosigkeit und Beweglichkeit wett. Sie wechselten ihre Positionen, während wir flohen, und immer war einer von ihnen da, wo Gefahr drohte, und verschaffte uns anderen den nächsten kleinen Vorsprung. Wenn wir Guardians Verbrecher waren, so waren sie Monster. Ich hatte von mir immer geglaubt, besonders kühl und hartgesotten zu sein, aber was ich während dieser Flucht mit ansehen mußte, ließ mich würgen. Irgendwann schob sich die Apathie wie ein schützender Filter vor meinen Verstand, und ich nahm nichts mehr wahr. Ich rannte wie eine Wahnsinnige, eine Schlafwandlerin. Immer mit den anderen. Die Transmitter konnten wir nicht mehr benutzen, das bekam ich noch mit. Wir mußten lange Umwege nehmen, und irgendwie schafften wir es. Tillion Dhak mußte also doch noch einige Sicherungen eingebaut haben, denn bei allen schier übermenschlichen Fähigkeiten der Pseudo-Terraner hätten wir uns niemals zum Beiboot durchschlagen können, das tatsächlich noch unter einem Schutzfeld stand und auf uns wartete. Wie durch ein Wunder kamen wir an
23 Bord, die Vierzehn und wir drei Ertruser, dazu noch vier Guardians, die mit uns geflohen waren. Wie durch ein Wunder konnten wir starten und dem endlich einsetzenden Feuer der Bodenforts entgehen. Wie durch ein Wunder erreichten wir die LAYSSIA und konnten uns einschleusen. Wie durch ein Wunder gelang es uns, aus dem Orbit auszubrechen, den anrückenden Wachschiffen zu entkommen und in den Hyperraum zu verschwinden.
* Später, als wir uns wieder sicher fühlen konnten, berieten sich die Pseudos. Wieder taten sie es nur mit Blicken. Zum erstenmal sah ich einige von ihnen erregt – richtig wütend. Ich bekam Angst. Ich war allein mit ihnen in ihrer Zentrale, meine sechs Begleiter lagen in den mittlerweile für uns eingerichteten Kabinen. Ihnen blieb das hier erspart. Warum schliefen die Pseudos nie? Fast immer waren sie zusammen in der Zentrale. Ich hatte sie auch wirklich noch nie etwas essen gesehen. Was waren sie? Klone? Probierten die Terraner eine neue Waffe aus? Wozu brauchten sie sie? Was hatten sie vor? Was, bei den Göttern, war mit unserer Galaxis los? Wir hatten zuletzt die Topsider-Krise erlebt, den Terror der Blauen Legion, und seit einiger Zeit spielten die Arkoniden verrückt. Waren die Terraner die nächsten? Ich war das Bindeglied zwischen den Pseudos und Dhak. Von mir erwartete er einen gerafften Bericht. »Wir haben nichts gefunden«, sagte Fünf schließlich zu mir. »Nichts, was für uns wichtig wäre. Eure Daten könnt ihr haben, sie interessieren uns nicht. Aber wir müssen weitersuchen. Und wir haben nicht ewig Zeit.« Obwohl keine Aggressivität in der Stimme lag, klang das wie eine Drohung. »Ich werde es Tillion Dhak sagen«, versetzte ich und wünschte mir, tausend Licht-
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jahre weit weg zu sein. Besser eine Milliarde. »Und er wird wissen, was wir tun können.« Sie ließen mich die Nachricht an die nur mir bekannte Adresse funken, und nach nur einem Tag hatten wir die Antwort. »Das kann nicht sein Ernst sein«, entfuhr es mir, als ich sie entschlüsselt hatte. »Heilige Milchstraße, das kann er nicht wirklich vorhaben …« Aber ich kannte ihn leider zu gut. Es war der helle Wahnsinn. Es war die Ausgeburt eines kranken Gehirns.
5. Atlan Diesmal also Ertrus. Der Protest der Regierung des KreitSystems war nicht minder heftig als jener von Gatas vor gut einer Woche – nur fiel er insofern »vorsichtiger« aus, als die Ertruser sich ein wenig an die eigene Nase fassen mußten. Zu den Umweltangepaßten und wie sie sich heutzutage gelegentlich aufführten, hatte ich durchaus meine eigene Meinung. Sie war nicht ganz so kraß wie die von Gucky geäußerte, aber sie unterschied sich doch auch – wieder einmal – von der Perry Rhodans. Ich hätte die von Ertrusern dominierte »Schutztruppe« an Bord der BASIS und anderswo nicht so unkontrolliert und undiszipliniert gewähren lassen wie anfangs der Terraner – aber auch das war etwas, das nicht zu unserem momentanen Problem gehörte. Tatsache war, daß die Regierung von Ertrus sich vorzuwerfen hatte, sich nicht genügend auf einen Überfall der »terranischen Verbrecher« vorbereitet zu haben. Tatsache war auch, daß sie nicht mit den Umtrieben der Galactic Guardians auf ihrem Planeten und – zum Teil – in ihren eigenen Reihen fertig wurde. Im nachhinein betrachtet, könnte man sa-
gen, daß diese Konstellation zu erwarten gewesen wäre. Die Guardians und die Spindelwesen. Zumindest die führenden Köpfe der Guardians mußten wissen, wen wir jagten, denn die Kontakte zu Teilen der FAMUG waren für uns kein Geheimnis. Was die Guardians sich von dem Zweckbündnis mit den Spindelgeschöpfen erhofften, lag auch auf der Hand. Und ebenso, daß sie ihre besten Kontakte nach Ertrus hatten. Wir hätten es voraussehen können, vielleicht müssen. Aber passiert war passiert, und nun rechnete NATHAN daran, wo die Spindelwesen als nächstes zuschlagen würden. Eine Wahrscheinlichkeit hatte er bereits mitgeteilt. Sie klang einleuchtend, auch wenn einige von uns sich weigerten, das zu akzeptieren. Wir schrieben den 17. Oktober, als ich mich mit Ronald Tekener traf. Wir hatten uns in einer Bar in einem Vorort von Terrania verabredet, wo sich soviel echte und unechte Prominenz umhertrieb, daß selbst wir nicht besonders auffielen. Das PoorMan's Son war ausgerechnet bei jenen Kreisen »in«, die ganz bestimmt nicht zu den Söhnen und Töchtern armer Leute zählten. Dazu gehörten jüngere und ältere Semester aus allen Kreisen der Gesellschaft, aus Kultur, Wissenschaft – und eben Politik. Tek erwartete mich in einer Ecke an einem Stehtisch. Mein Getränk stand schon bereit. Der Smiler mit den LhashatPockennarben im Gesicht grinste mich fast unverschämt an, als ich etwas indigniert die Brauen hob und den Blick kreisen ließ. Momentan war Flackerlicht wieder modern, und die Musik erinnerte mich halb an Karlheinz Stockhausen, halb an Orff, beide aus dem musikalisch so chaotischen und widersprüchlichen, aber überaus fruchtbaren zwanzigsten Jahrhundert. Gesang der Jünglinge im Feuerofen gemischt mit Carmina Burana, und dazu der augenblicklich wieder einmal gängige Schepperrhythmus. »Und?« fragte ich Tek. »Was für eine Nachricht hast du?«
Syntron-Alarm Wir konnten in gemäßigtem Ton sprechen, scheinbar die Leute beobachtend, die an Theken standen, an Tischen saßen und sich unterhielten oder mit dem Mut der Verzweiflung auf das syntronische Geschepper zu tanzen versuchten. Es gab keine versteckten Abhöreinrichtungen. Teks Leute hatten den Laden gründlich unter die Lupe genommen, während die Putzroboter schliefen. »Tillion Dhak«, sagte Ronald, ohne mich anzusehen. Er grinste eine langmähnige Frau an einer Theke an und prostete ihr zu. Ich stieß ihn unter dem Tisch mit der Stiefelspitze an. »Schon gut, Atlan. Sagt dir der Name etwas?« »Nein«, mußte ich zugeben. »Wer ist das?« »Ein verdammt übler Kerl von einem Überschweren«, sagte Tek, »einer von denen, die nach NGC 6822 verbannt wurden. Er ist vor einer Weile in die Milchstraße zurückgekehrt und räubert seitdem mit wachsendem Erfolg. Er ist ganz groß drin in der Organisation.« »Du meinst, bei den Guardians?« Es war nur eine Feststellung. Natürlich wußte ich, daß Ronald Tekener seit fast zehn Jahren versuchte, die Umtriebe der Guardians zu stoppen, und daß er ihnen auch schon manche schwere Schlappe beigebracht hatte. Er war sogar der Spur der sogenannten Paylaczer Guardians von Hangay bis nach NGC 6822 verfolgt, wo er auf den Lenker einer extremen Splittergruppe gestoßen war, den sogenannten Absoluten. Auf jeden Fall hatte Tek in dieser Zeit etliche Kontakte geknüpft, auch solche der nicht gerade sehr legalen Art, und war häufig auf dem laufenden, was neue Aktionen und Planungen der GaGuas betraf. »Tillion Dhak«, sagte der Smiler, »ist an den Spindelwesen dran, deren Identität er kennt. Ich habe einige Verbindungen spielen lassen und weiß daher, daß er mit ihnen zusammenarbeitet, indem er ihnen Zugang zu Großspeichern verschafft und dafür all die Daten abkassiert, die sie nicht interessieren.«
25 »Was so gut wie alle sind, die nichts mit ihrer Entstehung, den gesuchten fünf Spindeln und der nie gefundenen Einundzwanzigsten zu tun hat«, murmelte ich. »Ganz genau. Auf Gatas und Ertrus fanden sie nichts, und jetzt planen sie den ganz großen Coup, um endlich an die Informationen zu kommen.« »Das hört sich dramatisch an«, sagte ich, als ob ich nicht ahnte, was ich gleich hören würde. »Das ist dramatisch«, versetzte Tek. »Sie wollen den Zentralsyntron des Galaktikums im Humanidrom knacken, Atlan. Und zwar am zwanzigsten Oktober – in drei Tagen.« Ich hatte es mir gedacht, aber jetzt, als er es aussprach, da wurde mir doch mulmig zumute. Hätten wir es mit Verrückten zu tun gehabt, dann wäre mir beträchtlich wohler gewesen. Aber das waren keine Verrückten. Es waren nicht einmal Menschen oder irgendwelche anderen Wesen, die man ausrechnen, begreifen oder verstehen konnte. Es waren die Geister, die wir selbst gerufen hatten … Tekener brachte mir nicht nur diese Information, er hatte auch schon ganz konkrete Vorstellungen davon, wie wir auf den geplanten Überfall reagieren und den Spieß so umdrehen konnten, daß am Ende nicht die Spindelwesen ihren Triumph hatten, sondern wir. Bevor er davon anfing, teilte ich ihm mit, was ich an Neuigkeiten hatte. Bevor er den Zeitpunkt des geplanten Coups nannte, waren sie mir zwar prekär, aber längst nicht so brisant erschienen. Denn die arkonidische Delegation unter ihrem Galaktischen Rat Tydon von Tramis hatte eine Proklamation vor dem Galaktikum angekündigt – und zwar für den zwanzigsten Oktober. Dem Tag des von ganz anderer Seite geplanten Überfalls. Oder waren die beiden Parteien überhaupt nicht so weit voneinander entfernt? Ich woll-
26 te den Gedanken nicht weiterführen – noch nicht. Ich durfte mich nicht selbst verrückt machen. Worauf es jetzt ankam, war ein klarer Verstand. Tek sah mich finster an, als ich zu Ende berichtet hatte. Aber er sagte nichts dazu, gar nichts. »Ich habe es mir so vorgestellt«, begann er statt dessen, »daß wir das Galaktikum nicht vor dem Überfall der Spindelwesen – oder unserer terranischen Verbrecher – warnen, sondern den Vierzehn mit Hilfe der LFT eine Falle stellen.« Ich starrte ihn an, ziemlich schockiert. Natürlich, ein solcher Vorschlag paßte zum Smiler, aber wir hatten es nicht mit irgendeiner planetaren Regierung zu tun, sondern mit der gewählten Vertretung aller galaktischen Völker, der höchsten politischen Instanz der Milchstraße. »Das ist dein Ernst«, sagte ich. »Aber nicht meiner. Natürlich muß das Galaktikum gewarnt werden. Bisher hat es immer Opfer gegeben, auf Gatas wie auf Ertrus. Soll das auch im Humanidrom passieren?« »Wer soll das Galaktikum warnen?« fragte Tekener. »Wir?« »Natürlich nicht«, sagte ich erregt. »Dann würden sie uns ja fragen, woher wir die Informationen …« Ich brauchte nicht auszusprechen. Er nickte. »Ich stelle es mir so vor, daß wir eine Staffel von Vertigo-Robotern umprogrammieren oder über das Vertigo-Leitsystem so steuern, daß sie die erwarteten Eindringlinge in jene labyrinthische Bereiche locken, wo einst die Nakken tätig waren.« Ich wußte sofort, was er meinte; schlecht hörte es sich wirklich nicht an. »Du meinst, die Spindelwesen würden den Vertigos folgen, bis sie erkennen, daß sie hilflos verloren sind, ohne Orientierung und ohne Hoffnung, ohne Hilfe je wieder aus den unteren Bereichen des Humanidroms herauszufinden.« »Es könnte sogar völlig ohne Blutvergießen ablaufen«, sagte Ronald. »Am Ende
Horst Hoffmann würden sie so verzweifelt sein, daß wir sie eigentlich nur noch einzusammeln brauchten.« Die Vertigo-Roboter … Von ihnen gab es rund 240.000 im Humanidrom, das so groß war, daß man ohne Führer fast immer in Gefahr schwebte, sich hoffnungslos zu verirren. Das galt schon allein für den oberen Teil des um 800 NGZ erbauten, kilometergroßen Wunderwerks galaktischer Technik. Es war wie eine fremde Welt mit verschlungenen Irrgartenpfaden in einer surrealistisch-abstrakten Chaos-Graphik aus einem Computer. Gewundene Gänge schienen in geradewegs andere Dimensionen zu führen, so daß man mit jedem Schritt scheinbar an einen anderen Ort gelangte. Doch das täuschte; nur die Architektur war so raffiniert, daß der Besucher meinte, eine andere Welt zu betreten. Das Galaktikum tagte im oberen Teil des Gigantkomplexes, der aussah wie zwei mit der Krempe aneinandergesetzte, altmodische Hüte. Dabei besaß die »Hutkrempe« oder der »Äquatorring« – einen Durchmesser von 7000 Metern, soviel wie die Entfernung von oberer zu unterer Basis, die jeweils immerhin noch 2500 Meter aufwiesen. Dieses riesige Ding umkreiste den Planeten Lokvorth, rund 36.000 Lichtjahre von Sol entfernt. Auch sein Äußeres war bereits abenteuerlich. Um beim vielstrapazierten und daher legitimen Vergleich mit den Hüten zu bleiben, schienen diese Hüte von zahlreichen Höhlungen und Gängen durchzogen zu sein, wobei der Verlauf dieser nur vorgespiegelten Höhlungen für das menschliche Auge nicht erkennbar war. Es war ein seltsames Gebilde mit unendlichen, sich nicht kreuzenden Flächen, und man könnte stundenlang über die Wunder des Humanidroms reden. Aber nicht jetzt, nicht hier. Tek und ich kannten das alles von vielen Besuchen – und selbst wir brauchten die Vertigo-Robots als Führer, um weiter ins Humanidrom vorzudringen als »nur« bis in den Konferenzsaal
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des Galaktikums, den Schwingungstempel. Dorthin wurden die Delegierten normalerweise sofort per Transmitter gebracht – oder auf anderem Weg, wenn sie dies vorzogen. Die anderen Bereiche aber waren immer wieder so neu, so abenteuerlich und so fremd, daß ich auch in hundert Jahren nicht auf einen Vertigo verzichten würde. Außerdem befand sich das Humanidrom in weiten Teilen in stetiger Veränderung. Das Gebilde »lebte«, es entwickelte sich in einer Art sich verselbständigender Architektur immer weiter. Tekener redete mir zu, und alles, was er sagte, klang einleuchtend. Am Ende war ich sogar fast überzeugt, daß die Spindelwesen uns gar keinen größeren Gefallen hätten tun können, als sich das Humanidrom auszusuchen. Hätten sie es nicht von selbst getan, wir hätten sie auf den Gedanken bringen müssen. Ronald atmete auf und bestellte grinsend zwei Getränke, als er mich nicken sah. Sofort bremste ich seinen Eifer. Ich war fast davon überzeugt, daß sein Plan gelingen könnte – aber noch lange nicht ganz. Andere hatten die Fehler gemacht, die Spindelgeschöpfe zu unterschätzen. Ich wollte das nicht riskieren. Mein Logiksektor warnte und appellierte an mich. Doch diesmal war das völlig überflüssig. Alle unsere bekannten Maßstäbe versagten bei unseren vierzehn Berserkern. Wir konnten Erfolg haben, aber auch eine Enttäuschung erleben, gegen die der bisherige durch die Vierzehn angerichtete Schaden geringfügig war. »Im Prinzip bin ich einverstanden«, teilte ich also dem Smiler mit. »Aber ich möchte noch eine Sicherung eingebaut haben.« Er kniff die Augen zusammen und sah mich abwartend an. »Und?«
* Meine »Sicherung« für den Fall, daß die Spindelwesen wider Erwarten aus dem Humanidrom entkommen konnten, war zur
Hälfte das Ergebnis einiger Überlegungen, mit denen ich mich seit längerem herumplagte und die den Verräter in meiner Mannschaft betrafen. Ich hatte gewisse Dinge eingeleitet und auch schon Fallen gestellt, aber der – oder die – Gesuchte hatte sie entweder durchschaut oder gehörte nicht zu dem Personenkreis an Bord der ATLANTIS, den ich bisher in Betracht gezogen hatte. Sollte es dazu kommen, daß mein Plan zur Erfüllung kam, dann würde sich diesbezüglich automatisch eine Situation ergeben, in der sich der Verräter entlarven mußte. Ich verlangte von Tekener, daß rechtzeitig vor dem 20. Oktober die gezielte Falschinformation in die Speicher des Humanidroms eingegeben wurde, daß sämtliche Daten über das Versteck der restlichen fünf Spindeln und das Geheimnis des 21. Spindelsatzes auf Arkon I verwahrt würden. Tek würde wissen, wie und mit wem er das bewerkstelligte. Es würde schwer sein, aber es war zu machen. Sollten die Spindelwesen uns wieder das Nachsehen geben, dann gab es für sie nur ein einziges nächstes Ziel: Arkon I und den dortigen Hauptsyntron. Was dann geschehen sollte, nachdem sie dort aufgetaucht waren, machte ich Tek nur in groben Zügen klar. Er brauchte die Einzelheiten noch nicht zu erfahren, sondern mußte nur wissen, worum es mir ging. Als ich schwieg, grinste er anerkennend. »Du bist und bleibst ein Schlitzohr, Atlan«, sagte er. »Ich bin einverstanden. Die Spindelwesen werden, falls sie die Falle entdecken oder ihr erst später entgehen, auf jeden Fall zum Hauptsyntron vorstoßen und ihn datenmäßig ausrauben – denn wir werden sie nicht daran hindern. Sie werden die falschen Informationen also mit hundertprozentiger Sicherheit finden.« Ich nickte erleichtert. »Genauso stelle ich es mir vor.« Fast kam ich mir vor wie in alten USOZeiten. Es machte Spaß, mit dem Smiler zusammenzuarbeiten, wir verstanden uns blind. »Ich werde sofort beginnen, ein Team zu-
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sammenzustellen, Detailpläne zu erarbeiten und durchrechnen zu lassen«, verkündete er und trank aus. »Dann werde ich dir spätestens morgen mittag einen Zwischenbericht …« Er verstummte plötzlich. Beim Sprechen hatte er sich umgesehen, als ob er schon hier und jetzt nach fähigen Menschen suche, die er gleich mitnehmen und einspannen konnte. »Was hast du denn?« erkundigte ich mich, auch zum Gehen bereit. »Homer«, sagte er verwundert. »Den habe ich hier überhaupt noch nie gesehen. Und dann noch mit … Gucky?« Ich sah in die Richtung, in die er dezent mit dem Daumen zeigte. Im Flackerlicht schwer erkennbar, saßen Homer G. Adams und der Ilt tatsächlich in einem vergleichsweise ruhigen Winkel der Bar und prosteten sich gerade zu, als Gucky mich ebenfalls erblickte. Der Kleine drehte sich schnell um und lenkte Homers Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Ich ahnte etwas und zog Tek mit mir fort. Auf seine Fragen konnte ich Ronald leider keine Antwort geben. Meine eigene Neugier war ebenfalls groß, aber ich wußte, daß ich nicht lange mit ihr würde leben müssen. Und zwei Stunden später, ich hatte mich auf die ATLANTIS abstrahlen lassen, einige Zeit in der Zentrale verbracht und gerade erst meine Privaträume aufgesucht, erschien der Ilt, um Bericht zu erstatten. So jedenfalls nannte er das, was er dann von sich gab.
* »Ich habe ihn nicht beschwatzt«, verbesserte Gucky mich entrüstet, »sondern überzeugt.« Er seufzte, warf theatralisch die Ärmchen in die Luft und raufte sich das Fell auf dem Kopf. »Homer hat mich so unterstützt, wie man es von alten Freunden erwarten sollte. Ich sehe aber, daß sich der wahre Freund wieder einmal erst dann zeigt, wenn man ihn wirklich braucht – oder nur seinen
Rat.« Natürlich war das auf mich gemünzt. Ich unterdrückte ein Schmunzeln, ließ einen Servo-Roboter kommen und neue Getränke bringen. Gucky wartete nicht, bis der Servo bei ihm war, sondern nahm ihm das hohe Glas mit dunkelrotem Fruchtsaft telekinetisch ab und ließ es an seinen Mund schweben. Das anschließende TelekineseKunststück, armlos zu trinken, zeigte mir seinen wahren Seelenzustand. Er spielte mir nur den Ertappten vor. Er war zu mir gekommen, weil noch niemand etwas von dem großen Geschäft wissen sollte – niemand außer ihm, mir und Homer G. Adams. Er hatte sich anscheinend fast zu Tode erschrocken, als er mich im Poor Man's Son entdeckte, und hoffte jetzt auf Schadensbegrenzung. Homer G. Adams hatte diesen angeblichen oder tatsächlichen Mausbiber-Planeten also für die Kosmische Hanse erworben – beziehungsweise war bereit, das zu tun. Anscheinend hatte Gucky ihm den Kauf so schmackhaft gemacht, daß Adams angebissen hatte. Entweder hatte er es wirklich aus alter Verpflichtung der Menschheit dem Ilt gegenüber getan, oder er glaubte tatsächlich an die Mausbiber auf Tramp III. Oder Gucky hatte ihn einfach so lange genervt, daß er zähneknirschend zugestimmt hatte, bevor er sich den Strick nehmen mußte. Ich hielt das für die wahrscheinlichste Möglichkeit. Aber so oder so, Homer G. Adams war bereit, den geheimnisvollen Planeten für die Kosmische Hanse legal zu erwerben und vorerst unter Hanse-Schutz zu stellen, bis geklärt war, ob dort Mausbiber lebten oder nicht. Im Moment hatte er andere Probleme, aber später … Gucky hat ihn schwindlig geredet, meinte mein Extrasinn. Adams hat noch nie an Märchen geglaubt und die Katze im Sack gekauft, wie die Terraner sagen. Dagegen sprach eigentlich nur, daß der alte Homer in der Bar sehr zufrieden ausgesehen hatte – wie nach einem geglückten Ge-
Syntron-Alarm schäftsabschluß oder einem gelungenen Coup. Hoffte er auf eine Mausbiberpopulation, die noch über die parapsychischen Kräfte ihrer Vorfahren verfügte? Dachte er an eine Psi – Armee? Unsinn! bremste mich der Extrasinn. Das wäre kein Gewinn, das wäre eine Katastrophe! Und zwar für uns, nicht für irgendwelche Gegner. »Also bitte«, appellierte der Ilt erneut an mich. »Noch kein Wort zu niemandem. Morgen will Homer den Vertrag unterzeichnen und die erste Rate des Kaufpreises an meinen … Kontaktmann anweisen. Und dann …« Er stand auf, blies die Brust auf und begann, in die Luft zu boxen. »Ich sage dir, alter Arkonide, ich werde nach Tramp III fliegen und mit einem Korps der Ilts zurückkehren! So wie einst Ovaron mit seinem Korps der Cappins, werde ich mit einem Paukenschlag auf der galaktischen Bühne erscheinen und die Spindelwesen wieder zu Spindeln machen. Ich … nein, wir werden sie spindelweich klopfen, bis sie um Gnade flehen und dorthin zurückfliehen, woher sie gekommen sind. Die Große Leere wird sie verschlingen, und das Universum wird wissen, wem es die Rettung zu verdanken hat. Gucky und seinem Mausbiberkorps! Wir werden unser galaktisches Erbe antreten und …« Ich befahl den Servo zu mir und kontrollierte, ob er nicht statt des georderten Fruchtsafts Rotwein in Guckys Glas gegeben hatte. Aber der Kleine brauchte anscheinend keinen Alkohol oder andere Stimulanzien, um sich in seine Phantastereien hineinzusteigern. Eben hatte er mir noch kleinlaut und wie um sich selbst zu beruhigen erklärt, warum bei Tramp III alles anders sei als bei den verschiedenen Tramp-II-Welten, auf denen er in der Vergangenheit das Versteck der letzten Ilts zu finden geglaubt hatte. Er hatte mittlerweile ganz neue Theorien über die Rettung der Ilts vom Planeten Tramp, der im
29 Jahr 2045 einem Überfall aus dem All zum Opfer gefallen war. Und alle von seinem »Kontaktmann«, von dem er auch die Mausbiberhaare bekommen hatte. Man konnte tatsächlich nachdenklich werden, obwohl ich mich immer noch fragte, wie Gucky einem Fremden so blind vertrauen konnte, dessen Gedanken er nicht lesen konnte, weil er mentalstabilisiert war – was nun gewiß nicht zu den Normalfällen gehörte. Guckys Erklärung, es handle sich schließlich um einen interstellar tätigen Agenten, der seine Geheimnisse nicht vorzeitig preisgeben durfte und sich deshalb der Prozedur unterzogen hatte, befriedigte mich nicht so ganz. Ich gähnte ausgiebig, und beim siebtenmal geschah es, daß der Kleine es tatsächlich bemerkte und wohl auch richtig deutete: nämlich, daß ich müde war und in den kommenden Tagen viel Arbeit auf mich wartete. »Ich … war wohl etwas zu aufgekratzt, eh?« fragte er bescheiden. »Also schön, dann schlaf gut. Wenn du mich suchen solltest, ich halte mich immer in Homers Nähe auf, damit er mir nicht noch im letzten Moment abspringt. Wir sehen uns.« Und damit war er verschwunden, und es war ruhig. Ich wußte nicht, was ich ihm – und uns – wünschen sollte; daß sich sein Traum erfüllte oder besser doch nicht. Er glaubte daran, aber das hatte er schon mehrmals getan, und er war immer enttäuscht worden. Hatte er das alles vergessen? Ich fragte mich, wer dieser geheimnisvolle »Informant« oder »Kontaktmann« sei. Wer auch immer – ich wollte nicht in seiner Haut stecken, falls Gucky heute, morgen oder übermorgen merken sollte, daß er ihn aufs Kreuz gelegt hatte. Ich ging zu Bett. Ich war wirklich müde. Aber Schlaf fand ich so schnell keinen. Ich sah mich in den Labyrinthen der gigantischen Raumstation über Lokvorth, wo so oder so eine Entscheidung in Sachen Spindelwesen fallen mußte.
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Und ich sah die Gesichter meiner Vertrauten vor mir und mich ihnen, jedem einzelnen, tief in die Augen schauen. Ich suchte nach der undichten Stelle, wartete darauf, daß sich der Verräter verriet … … und das war schon der Beginn eines langen, heftigen Traums, aus dem ich schweißgebadet erwachte. Etwas hatte mich entsetzlich erschreckt. Ich wußte nicht mehr, was es gewesen war. Aber ich fühlte und sah, daß ich in Schweiß gebadet war.
6. Humanidrom, 20. Oktober 1212 NGZ Atlan Daß ich an der Sitzung teilnehmen würde, verstand sich von selbst. Ich war als Gast der Liga Freier Terraner im Schwingungstempel und saß deshalb auch mit Julian Tifflor, Ronald Tekener, Homer G. Adams und dem aus dessen Nähe nicht mehr wegzudenkenden, bisher einzigen Ilt in der terranischen Empore, nicht in der arkonidischen. Es gab eine Empore für jedes dem Galaktikum zugehörige Volk. Der Schwingungstempel als zentraler Konferenzsaal war so unkonventionell gestaltet wie das ganze Humanidrom an sich. Es handelte sich um einen Halbkreis von zweihundert Metern Radius, mit einem Rednerpodest im Zentrum, von dem aus unsichtbare Felder jede Tonschwingung aufnahmen und zu den Emporen weiterleiteten. Der Boden des Saales erhob sich in sanfter, gekräuselter Schwingung, wie eine flache Schale. Entlang der Wände ragten in zehn Metern Höhe die ersten Balkons heraus, eben die Emporen mit den jeweiligen galaktischen Delegationen darin. Weitere Emporen waren in größerer Höhe angebracht. Sie alle ließen sich, je nachdem, wer gerade sprach und wer dafür das größte Interesse zeigte, gegeneinander beliebig verschieben. Und es war immer noch Platz für neue Emporen für neue Völker, die Sitz und Stimme im Galaktikum anstrebten.
So gesehen, wuchs auch der Schwingungstempel stetig weiter und paßte sich an. Er war wie ein stetiges, ständig mitwachsendes Spiegelbild der Situation und Machtverhältnisse in unserer Milchstraße. Der Name »Schwingungstempel« kam nicht nur von dem perfekten akustischen Systems des Konferenzsaales, sondern leitete sich auch daher ab, daß, wenn im Saal jemand die Stimme erhob, Wellen, Kräuselungen und Ausbeulungen durch das Wandund Bodenmaterial liefen. Dieses Phänomen war auch an entlegenen Orten des Humanidroms zu beobachten, allerdings weniger stark. Die Schwingungen bildeten ein hervorragendes Stimmungsthermometer. Je größer der Lärm und die Erregung der Galaktischen Räte, desto stärker waren die Schwingungen, die ausgezeichnet Erheiterung, Zorn oder auch Angst widerspiegelten. Bei allen verschiedenen Auffassungen über Sinn und Zweck des Humanidroms – dies hier war genial, einmalig in unserer und vielleicht auch in anderen Galaxien. Sprach ein Redner auf dem Podest, so konnte sich aus den Schwingungen das Bild eines ruhigen Teiches, in den ein Stein geworfen wurde, ergeben. Sprachen mehrere Personen durcheinander, wurde daraus ein Teich bei Wind. Und begannen sich die Mitglieder der verschiedenen Delegationen zu streiten, dann wurde daraus ein sturmgepeitschtes Meer. Dieser Vergleich stammt nicht von mir; ich habe ihn einmal gehört, und er könnte besser nicht sein. Nun hatte Tydon von Tramis das Wort. Oh, wie gut ich mich noch daran erinnerte, wie der inzwischen 121jährige mich seinerzeit bekniet hatte, mich zum alten, neuen Imperator küren zu lassen. Er hatte schon damals zu der großen Gruppe traditionsbewußter Arkoniden gehört, die von einem neuen Sternenreich träumten und in mir ihre Symbolfigur sahen. Tydon von Tramis hatte mein Vertrauen besessen, auch wenn ich ihn hinsichtlich des Imperatortitels enttäuschen mußte. Er hatte
Syntron-Alarm als Mitglied der GAFIF Zugang zu vertraulichsten Daten gehabt und von mir pikante Aufträge erhalten. Ich hatte mich damals auf ihn verlassen können. Heute, das erfuhr ich spätestens jetzt, war das anders geworden. Tydon von Tramis stand auf dem Rednerpodest und schmetterte eine wütende Anklage gegen Terra in den Raum. Vielleicht war ich nicht ganz unschuldig an seiner Wandlung. Vielleicht war es die Enttäuschung über meine damalige Verweigerung, die ihn sein politisches Heil in den Reihen derjenigen suchen ließ, die seinen eigenen Ideen so gefährlich nahe gekommen waren. Für Arkons Macht und Glorie … Tydon von Tramis sprach an diesem Tag nur für die FAMUG, das war mir nach den einleitenden Worten seiner Rede – der angekündigten Proklamation – schon klar. Der korpulente, bei weniger publikumsträchtigen Anlässen sehr viel behäbiger wirkende, aber ausgesprochen selbstgefällige Arkonide kam schnell zum Wesentlichen. Er klagte die Terraner an, verbrecherische Klonexperimente nach dem Vorbild der Cantaro zu betreiben. Das erste sichtbare Ergebnis seien die vierzehn »Berserker-Klone«, die momentan die Galaxis unsicher machten. Das genügte bereits, um für erhebliche Aufregung unter den Galaktischen Räten zu sorgen. Die Schwingungen, die sich im Humanidrom ausbreiteten, waren entsprechend. Aus dem ruhigen Teich wurde im Handumdrehen das sturmgepeitschte Meer, und es wurde um so wilder, je mehr Völker durch ihre Sprecher Aufklärung über die Vorwürfe und das Treiben der »Berserker« verlangten. Erst jetzt wurde mir so richtig klar, wie verunsichert und alarmiert die galaktische Öffentlichkeit angesichts der Spindelwesen war. Vertreter der verschiedensten Völker meldeten sich von ihren Emporen aus zu Wort und verlangten Aufklärung: ob es Unither waren, Naats, Aras, Ferronen, Azgonen oder sogar direkte Terraner-Nachkömmlinge wie Plophoser, Rumaler oder Epsaler – Abgeordnete, die unter normalen Umständen
31 niemals so leicht an ihrer Mutterwelt und den dortigen Verantwortlichen gezweifelt hätten. Es gab eine tiefe Kluft in der Milchstraße, aufgetan durch nur vierzehn von terranischen Wissenschaftlern und danach von sich selbst erschaffene Spindelwesen von der Großen Leere und aus rund zwei Millionen Jahren Vergangenheit. Andererseits – einen größeren Gefallen als das Gerede von terranischen Klonexperimenten hätte uns Tydon von Tramis zu diesem Zeitpunkt gar nicht tun können! So kam wenigstens niemand auf die Idee, etwas anderes zu vermuten. Klone waren eine absolut naheliegende Erklärung für die Vierzehn und ihre Kräfte. Und wer die Wahrheit kannte, der würde sich hüten, sie offen hinauszuposaunen, denn er versprach sich mit Sicherheit eigene Vorteile aus seinem Wissen, wenngleich seine Vorstellungen noch vage sein mußten. Wenn Tramis zur FAMUG gehört, gab mein Logiksektor zu bedenken, dann kennt er auch die Wahrheit. Ich sah es ein, hatte aber noch keine Antwort auf die Frage, weshalb der arkonidische Rat dann die Klon-Geschichte auftischte. Die Unruhe um uns herum blieb, Ich sah immer wieder zur Uhr. Ich hatte keine Ahnung, zu welcher Stunde der Überfall der Spindelwesen erfolgen würde. Ronald Tekener hatte mit seinem Team ganze Arbeit geleistet. Die Vertigos waren für unsere Zwecke umprogrammiert, so gut wie niemand im Galaktikum wußte davon. Aber wann genau die Spindelgeschöpfe und ihre Helfer erscheinen würden, das hatte auch Tek trotz seiner guten Verbindungen nicht in Erfahrung bringen können. Mein Gefühl sagte mir, daß sie, genauer die Guardians, mindestens einen Verbündeten hier sitzen hatten, der ihnen ein Signal schickte, wenn der beste Zeitpunkt gekommen war. Sie waren also bestimmt schon in der Nä-
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he, mit der LAYSSIA. Und zwar unentdeckt. Der Gedanke daran, daß sie vielleicht schon innerhalb des Scarfaaru-Systems standen, mit der LAYSSIA beispielsweise antriebslos und über Tage hinweg hereingedriftet und deshalb ortungstechnisch nicht zu erfassen, war elektrisierend. Ich mußte an mich halten, um nicht Gucky zu bitten, mit mir in einen am Humanidrom angelegten Kreuzer oder eine Space-Jet zu teleportieren und ins All zu fliegen, um mich davon zu überzeugen. Aber das Teleportieren im Humanidrom mit seinen multidimensionalen Feldern war eine heikle Angelegenheit, und bisher war es dem Ilt ohnehin noch nicht gelungen, ein Spindelwesen telepathisch anzupeilen. Also konnten wir nur warten. Im Schwingungstempel explodierte die Stimmung. Der Rat der Gataser trat aufs Podium und erhob heftige Beschuldigungen an die Adresse der Terraner, was absolut einzusehen war. Der anschließende Auftritt eines Ertrusers war eher peinlich, wenn nicht schon unverschämt. »Es reicht jetzt«, hörte ich hinter meinem Rücken Tiffs Stimme. Julian Tifflor hatte sich mit der Ersten Terranerin, Koka Szari Misonan, darauf geeinigt, daß er von Tramis die passende Antwort erteilte. Es war keine Zurücksetzung von Koka. Tiff hatte ganz einfach die größere, in Jahrtausenden gewachsene Erfahrung darin, mit politischen Gegnern umzugehen. Und außerdem waren wir uns selbst gegenüber ehrlich genug, auf die Wirkung eines biologisch Unsterblichen und seiner Worte zu setzen. Doch Julian kam nicht dazu, das Wort zu ergreifen. Denn während er zum Podest unterwegs war, gellte der Alarm durch das Humanidrom.
* Deffa Dieses verdammte Humanidrom! Dieser verdammte Tillion Dhak! Alles andere hätte
er ihnen vorschlagen können – aber nicht dies hier! Es war ein einziger Alptraum. Und es konnte nicht gutgehen, niemals! Natürlich war ich noch nie im Humanidrom gewesen. Wir beide hätten auch bis an mein Lebensende gut aufeinander verzichten können: diese Ausgeburt einer kranken Phantasie und ich, eine freie Ertruserin. Aber was heißt das schon, frei. Ich hatte Lust gehabt, einfach zu verschwinden. Dhak den Kram hinzuschmeißen, als ich seinen Plan erfuhr. Aber ich tat es nicht, weil ich es nicht konnte. Ich wußte zuviel, und einem Tillion Dhak kehrte man nicht den Rücken – nicht ungestraft. Er hätte mich bis ans Ende des Universums gejagt, und noch weiter. Ich wäre nirgendwo sicher gewesen, vielleicht jahrelang auf der Flucht. Also fügte ich mich in dem Wissen, daß dieser Alptraum zwar schlimm werden würde, daß ich wenig Überlebenschancen besaß, aber daß er relativ bald vorbei sein würde. Einige Stunden, dann hatten entweder die Pseudos das, was sie suchten, oder die Galaktiker hatten sie. Und uns, und mich. Wir waren insgesamt einundzwanzig, vierzehn Pseudo-Terraner und sieben Guardians. Ich kannte den Verbindungsmann nicht, der uns Zutritt in Form eines empfangsbereiten Transmitters verschaffte, dessen Code mir Tillion vorher mitgeteilt hatte. Wir ließen uns von der antriebslosen nahe Lokvorth driftenden LAYSSIA abstrahlen, zuerst fünf Pseudos, dann wir, dann der Rest der Unheimlichen. Unser unbekannter Helfer hatte ganze Arbeit geleistet, denn wir wurden nicht angegriffen, sondern von diesen schwebenden Diskusrobotern empfangen, den sogenannten Vertigos. Fünf zeigte sich von der verrückten und fremdartigen Umgebung keinen Moment lang irritiert, sondern wandte sich an den nächstbesten Robot und befahl ihm, uns zum Hauptsyntron des Humanidroms zu führen. Sie marschierten hier ein, so als ob sie ir-
Syntron-Alarm gendeinen eigenen kleinen Stützpunkt beträten, wo sie zu Hause und absolut sicher waren! Und es ging ebenso unglaublich weiter. Die Vertigos gehorchten. Sie bestätigten den Befehl und forderten uns auf, ihnen zu folgen. Die Pseudos zögerten keine Sekunde. Zwar hielten sie ihre Waffen in den Händen, aber sie wirkten keinen Moment lang so, als würden sie irgend etwas befürchten. Bei meinen Gefährten war das anders. Wir wußten, daß wir in einem technischen Monstrum steckten, in dem schon ganz andere auf der Strecke geblieben waren. Als wir den Transmitterraum verließen, blieb Goroncar kurz stehen und blickte zweifelnd zu dem großen Torbogen zurück. Sein Blick schien sagen zu wollen, daß dort vielleicht die letzte Chance lag, dem Unheil zu entkommen. Der Transmitter in der LAYSSIA hatte sich nach unserem Durchgang automatisch auf Empfang geschaltet. Dieser hier mußte noch justiert werden, und … Ich wußte, woran Goroncar dachte. Wenn wir den Pseudos nur ein kleines Stück folgten und dann schnell umkehrten, den Transmitter justierten und uns auf die LAYSSIA abstrahlen ließen; wenn wir das Schiff übernehmen und damit fliehen konnten; wenn wir die Pseudos an die Stellen verrieten, die am besten für den Tip bezahlten und uns eine Schutzgarantie gegen die GaGuas und Tillion Dhak gaben; wenn … Es war sinnlos. Niemand würde das tun, und nie würden sich die Pseudos von uns überlisten lassen. Sie schienen unsere geheimsten Gedanken zu kennen, denn einer von ihnen kam und winkte uns mit dem Strahler. Wir sollten vorgehen. Zähneknirschend gehorchten wir. Fünf Vertigos schwebten vor uns. Sie brachten uns in immer wieder neue Gänge, Schächte, Stollen, in Räume so groß wie Sportplätze und ausgefüllt mit den fremdartigsten Maschinen und anderen Dingen, die ich je gesehen hatte. Auch eine halbe Stunde nach unserer An-
33 kunft hatte es noch keinen Zwischenfall gegeben. Es ging tiefer ins Humanidrom hinein. Dort, in der unteren Hälfte, hatten Nakken gelebt, das wußte ich. Das war aber auch schon alles. Schon begann ich Hoffnung zu schöpfen. Wir mußten den Hauptsyntron bald erreicht haben, jedenfalls lautete so die Auskunft der Vertigos. Wir wußten, daß im Schwingungstempel das Galaktikum tagte. Vielleicht war die ganze Aufmerksamkeit der hier arbeitenden Galaktiker auf diese Sitzung gerichtet. Es war, als hätte ich durch diese Gedanken das Unheil heraufbeschworen. Denn plötzlich öffnete sich vor uns eine Tür, rechts in einem breiten Korridor, und eine Gruppe Akonen trat heraus. Die Pseudos reagierten so, wie ich es inzwischen von ihnen gewohnt war. Sie schossen, bevor die Akonen begriffen, wie ihnen geschah. Immerhin mit Paralysatoren. Sie waren schnell, diese Wesen, aber in diesem Fall zu schnell. In dem Raum, aus dem sie ahnungslos gekommen waren, mußte sich mindestens noch ein weiterer Akone befunden haben. Und als er die Schüsse hörte und seine Artgenossen draußen auf dem Gang zusammenbrechen sah, hatte er noch Zeit, um Alarm zu geben. Damit begann das Chaos.
* Von diesem Moment an waren wir Gejagte. Wie lange es dauern würde, bis Truppen zur Stelle waren und uns aufzuhalten versuchten, wußten wir nicht. Die Pseudos reagierten, indem sie die Vertigos aufforderten, sie schneller zu führen. Sie rannten oder benutzten die Gravo-Paks ihrer leichten Schutzanzüge. Ich trug einen SERUN und konnte ihnen so einigermaßen gut folgen. Meine Gefährten allerdings hatten trotz ihrer Überlebensmonturen Probleme, aber das fiel mir am Anfang noch gar nicht so auf. Ich hatte plötzlich furchtbare Angst, hin-
34 ter den Pseudos zurückzubleiben. Sie, die Unheimlichen, erschienen mir auf einmal als der einzige Lebensgarant, falls es so etwas hier überhaupt noch gab. Wenn jemand es schaffte, aus dem Schlamassel herauszukommen, dann allein sie. Und ich, wenn ich bei ihnen blieb und verdammt großes Glück hatte. Wir rasten durch die Alptraumlandschaft, immer tiefer, den Vertigos nach. Jetzt tauchten von überallher andere Roboter auf – Kampfmaschinen oder solche, die versuchten, sich uns mit ihren Werkzeugen oder ihren bloßen Körpern in den Weg zu stellen. Die Pseudos schossen sie in Stücke oder desintegrierten sie, mitten im Flug. Ihre Schutzfelder und die Schirme meines SERUNS glühten unter dem Bombardement von kleinen und kleinsten Trümmerstücken grell auf. Aber wir hielten nicht an, versuchten keine Umkehr. Ich dachte nur ganz kurz an die Chancen, daß unser Verbindungsmann den Transmitter für uns freihalten konnte. Sie waren minimal. Irgendwann hörten die Wände auf, gerade zu sein. Gänge, Schächte, der Boden und die Decken, alles schob sich in unregelmäßigen Winkeln in- und übereinander. Unsere Schutzfelder flammten mehrmals auf, ohne daß wir unter Beschuß gerieten. Wir flogen in ein Labyrinth hinein, das sowohl räumlicher als auch energetischer Art war. Ich sah nur zu, daß ich den Kontakt zu den Pseudos nicht verlor. Daß ich meine Gefährten von den Guardians verloren hatte – oder vielmehr, sie uns – das merkte ich erst, als die Pseudo-Terraner abrupt abbremsten, auf dem schräg zur Seite kippenden Boden landeten und sich mit ernster Miene anblickten. Sie redeten wieder mit Blicken, natürlich. So konnte ich nur aus ihren Gesten und Aktionen ersehen, was sie taten. Sie befahlen die Vertigo-Roboter zu sich und begannen damit, an ihnen zu arbeiten. Sechs und Sieben taten das, während die anderen sich auf Sichtweite verteilten und mit ihren Strahlern in die benachbarten Korrido-
Horst Hoffmann re und Räume sicherten. Zu meiner Überraschung fand Fünf die Zeit, mir zu erklären, daß seine beiden Kumpane dabei waren, die Vertigos umzuprogrammieren. »Die Galaktiker wollten uns in eine Falle locken«, sagte er. »Das erklärt, daß wir bisher auf keinen Widerstand gestoßen sind. Die Roboter sollten uns in dieses Labyrinth führen, damit wir uns verirren und am Ende aufgeben. Bei deinen Freunden hatten sie damit auch Erfolg, die finden hier nicht mehr heraus. Wir aber werden nun schnell zum Hauptsyntron kommen.« Kein Wort darüber, wie wir hier wieder herauskamen. Aber das war die längste Erklärung, die ich je von Fünf gehört hatte. Er stand schon wieder bei den anderen und wartete ungeduldig. Wie konnte es für diese … Supermenschen so selbstverständlich sein, daß die Vertigos sie zum Hauptsyntron führten? Wieso hatte Fünf mit keinem Wort die Kampfroboter und Truppen erwähnt, die bestimmt ihre Absicht kannten und einen Sperriegel vordem Syntron aufbauen würden? Aber er wußte es natürlich. Es gab nur eine Erklärung, und sie bedeutete den schnellen Tod für alle, die sich ihnen in den Weg stellen würden. Bei dem Gedanken daran wurde mir speiübel. Doch wenn ich überleben wollte, mußte ich mich an sie halten – in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine günstige Gelegenheit zu erwischen, die Fronten zu wechseln. Was Tillion Dhak dann mit mir anfangen würde, war mir auf einmal so egal wie meine abgeschnittenen Borsten vom letzten Jahr. Endlich waren Sechs und Sieben fertig. Sie wirkten zufrieden. Ihre Arbeit hatte knapp drei Minuten gedauert, und obwohl sie jetzt wissen mußten, daß ihre Falle nicht funktioniert hatte, starteten die Galaktiker keinen Generalangriff – oder er war noch nicht weit gekommen. Es hätte mich auch
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gar nicht gewundert, wenn unser unbekannter Verbündeter (oder die Helfer, einer allein konnte das gar nicht geschafft haben), ihnen eine Menge Steine in den Weg gelegt hätte. Außerdem fanden sich die anderen ohne Vertigos hier tief im Humanidrom genausowenig zurecht wie wir. Und die Roboter arbeiteten jetzt eben für uns. Ihr ganzes Leitsystem mußte von Sechs und Sieben über die uns führenden Diskusse manipuliert worden sein. Ja, jetzt glaubte ich, daß sie den Hauptsyntron erreichten und daran arbeiten konnten. Es war ein Wahnsinnsunternehmen, und das alte terranische Sprichwort »Wer wagt, der gewinnt« schien immer noch zu gelten. Und zehn Minuten später waren wir aus dem Labyrinth heraus und standen beim Hauptsyntron. Wir hatten einige Transmitterverbindungen benutzt, brav geführt von den Vertigos. Kein Mensch war uns in die Quere gekommen. Die Dutzende von zerstrahlten Robotern, die zählten nicht. Jetzt hatten die Pseudos wohl endlich, was sie wollten.
7. Atlan Sie hatten es tatsächlich geschafft. Sie, fragte der Extrasinn sarkastisch, oder ihr? Ronald Tekener hatte mitgeholfen, tüchtig sogar. Wir würden dem Galaktikum einiges zu erklären haben, und ich wollte nicht in der Haut desjenigen stecken, der den Delegierten der Völker Rede und Antwort zu stehen hatte. Ich gebe zu, daß ich zuerst wütend war. Wütend auf Tekener, dessen Spruch, daß die Spindelwesen den Hauptsyntron auf jeden Fall erreichen und ausrauben würden, und zwar ungehindert von uns, mir um so bitterer aufstieß, je klarer mir wurde, daß ich ihn sofort hätte richtig verstehen müssen.
Der ehemalige USO-Staragent hatte so geschaltet und gewaltet, daß es den Spindelwesen nicht nur leichtgefallen war, per Transmitter ins Humanidrom einzudringen. Er hatte auch dafür gesorgt, daß sie nach zwei Stunden Arbeit am Hauptsyntron wieder fast ungehindert abziehen und sich auf die LAYSSIA zurückstrahlen lassen konnten. Inwieweit er dabei mit den Guardians zusammengearbeitet hatte und gewisse alte, nützliche Verbindungen innerhalb des Humanidroms benutzt hatte, das mußte er mir noch sehr genau sagen. Tatsache war, daß die Spindelgeschöpfe den Hauptsyntron datenmäßig ausraubten und enttäuscht wurden, weil sie ihre Informationen nicht fanden – aber dafür den Hinweis auf Arkon I, wohin wir jetzt mit der ATLANTIS unterwegs waren. Es war nicht so, daß Tek mir einen besonderen Gefallen hatte tun wollen, indem er seinen Plan selbst zum Scheitern verurteilte und die Vierzehn nach Arkon schickte. Er hatte versucht, sie mit den Vertigos in die Falle zu locken, aber gleichzeitig alle Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Wesen nicht gefaßt werden konnten, wenn dieser Plan mißlang. Bei den Guardians hatte es, bis auf eine Ertruserin, die mit den Geschöpfen entkommen war, geklappt. Man hatte sie total entnervt aus den Labyrinthen der ehemaligen Nakken-Bereiche geholt. Daß die Spindelwesen unsere Falle gewittert und die Vertigos einfach umprogrammiert hatten, als handle es sich um das Umlegen eines Schalters, hatte Tek zwar befürchten können, aber niemals wirklich glauben. Auf jeden Fall war es seiner Doppelstrategie zu verdanken, daß es nicht viele Dutzend Tote gegeben hatte. Es war auch so schlimm genug. Aber hätten Tek und seine Helfer nicht das Vertigo-Leitsystem so geschaltet, daß die Roboter die legalen Bewohner und Benutzer des Humanidroms und seine Truppen daran hinderten, die Eindringlinge rechtzeitig vor ihrer Flucht zu stellen – es hätte
36 mit Sicherheit ein Massaker gegeben. Ich war jetzt davon überzeugt, daß die Vierzehn ihr Ziel auf jeden Fall erreicht hätten, mit oder ohne Teks kleine »Hilfe«. Es wird schwer werden, den Galaktikern das zu erklären, falls sie entdecken, wer da mitgespielt hat – außer den Guardians, denen wir natürlich alles in die Schuhe zu schieben versuchen. Sie sind schmutzig genug, in sie paßt noch viel Dreck hinein; es trifft keine Unschuldigen. Was mich aber vor allem anderen seit unserem Abflug aus dem Scarfaaru-System beschäftigte, war die Frage, ob die Spindelwesen unser Spiel nicht längst durchschaut hatten. Sie waren unberechenbar, auch was ihre Intelligenz betraf. Sie konnten vielleicht glauben, eine Falle, die mit den Vertigos und den Labyrinthen, erkannt zu haben. Dies erklärte ihr ungestörtes Eindringen. Aber war es nicht ebenso wahrscheinlich, daß sie sich Gedanken über die Leichtigkeit machten, mit der sie entkommen konnten, und daraus ebenfalls die richtigen Schlüsse zogen? Nur die Zukunft konnte meine Fragen beantworten. Ich war unruhig. Wenn ich mich für einige Stunden hinlegte, tat ich das mit der Angst vor Träumen und Traumbildern, die mich stets bedrängten. Wir schrieben den 22. Oktober. Morgen würden wir auf Arkon I landen, und ich hatte erstens dort einen schweren Gang vor mir und mußte zweitens vorher den Dingen den letzten Schub geben, die die ATLANTIS und den Verräter an Bord betrafen. Irgendwann am Ende des Tages fand ich doch noch Entspannung und Schlaf. Und als ich Stunden später erwachte, hatte ich Fetzen eines verrückten Traums im Kopf. Leider erinnert man sich ja viel zu selten an Träume; man wacht auf und weiß, man hat etwas sehr Schönes geträumt, aber je mehr man sich anstrengt, desto schneller verschwinden die Bilder wie in einem Schwarzen Loch. Im umgekehrten Fall, nach bösen Alpträumen, ist dieser Effekt natürlich
Horst Hoffmann willkommen – obwohl immer die bange Frage danach bleibt, was einem sein Unterbewußtsein auf diese Weise hat mitteilen wollen. Mein Traum hatte sich um Gucky und seinen neuesten Mausbiber-Planeten gedreht. Er und Homer G. Adams standen am Rand einer primitiven Siedlung stramm und nahmen eine Parade von Ilts ab. Ilts, Hunderte von ihnen, Tausende, eine lange Schlange ohne Ende, als würden sie ihren ganzen Planeten umwandern und irgendwann der Anführer wieder vor meinen beiden Freunden auftauchen, hinter dem letzten der Reihe. Und alles ging weiter und wieder von vorne los. Ewig. Aber irgendwann, als er, vielleicht schon zum zehntenmal aufmarschierte und eine neue Runde des Reigens um den Planeten einleitete, kam mir das Gesicht des örtlichen Mausbiberchefs seltsam bekannt vor. Beim nächstenmal war ich sogar fast sicher, die Züge zuordnen zu können. Wem, das wußte ich nicht mehr, als ich erwachte. Und ich hatte sofort wieder andere Dinge im Kopf als Guckys – und Adams' – Problem. Beide würde ich wahrscheinlich auf Arkon wiedersehen, falls Homer sich rechtzeitig aus dem Humanidrom zurückziehen konnte. Und, hol's der Teufel, alles sah ja so aus, als hätte Gucky diesmal zwar einen windigen »Kontaktmann« an der Hand, aber tatsächlich eine Welt gefunden, auf der seine Enkel, Urenkel oder Neffen noch lebten. Heilige Galaxis, nicht das! Wir hatten noch zwei Flugstunden bis Arkon, als ich die gesamte Mannschaftsführung in der Hauptzentrale zusammenrief und sie in meinen Plan, die Spindelwesen betreffend, einweihte. Gleichzeitig stellte ich die letzte Falle auf. Sollte mir der Verräter nicht hineingehen, dann wußte ich allerdings keinen Weg mehr, ihn zu schnappen. Ich ertappte mich wieder einmal dabei, den Blick dorthin zu wenden, wo so lange Zeit Theta von Arigas Platz ge-
Syntron-Alarm wesen war. Jetzt saß dort Hatolec und sah mich erwartungsvoll an. Akton Pfest, Mirrit, Mayhel Tafgydo, Tassagol – alle waren sie da; alle, denen ich seit vielen Jahren vertraut hatte. Und doch mußte einer von ihnen mich und meine Ideale schändlich verraten haben. Der Gedanke an den Datenverrat ließ mich alle falschen Sentimentalitäten vergessen. Wer keine Schuld hatte, würde weiterhin meine Hochachtung und Sympathie haben. Aber wer sich entlarvte … Also erklärte ich ihnen, für die Spindelwesen eine falsche Fährte für den Fall gelegt zu haben, damit sie es schafften, zum Hauptsyntron des Humanidroms vorzustoßen und anschließend zu entkommen. Aber jetzt kam es! »Diese falsche Fährte ist tatsächlich eine falsche«, erläuterte ich, und es widerstrebte mir, meinen alten Getreuen gegenüber ebenso falsch spielen zu müssen – nur wegen einer einzigen schwarzen Seele. »Die Wahrheit ist, daß sich sämtliche noch nicht geraubte Geheimunterlagen über die Spindeln und Spindelsegmente auch hier im Bordsyntron der ATLANTIS befinden. Sie sind dort unter dem Kodenamen Gonozal abgelegt.« Ich machte eine Pause, um die Worte auf sie wirken zu lassen. Ich beobachtete verstohlen jeden einzelnen. Es war unverdächtig, denn jedem mußte klar sein, daß ich seine Reaktion auf diese, in ihren Augen sensationelle, Eröffnung sehen wollte. Ich hatte ihnen erklärt, den Spindelwesen eine falsche Information gegeben zu haben, was Arkon I betraf. Nun aber mutete ich ihnen zu glauben zu, daß sich die gesamten Geheimdaten, hinter denen sie her waren, auch wieder auf unserem Schiff befanden. Einige zeigten nur Überraschung, einige grinsten. Andere konnten ihr Erschrecken nicht verbergen, denn sie mußten nun mit dem rechnen, was Hatolec langsam, mit heiserer Stimme aussprach: »Aber dann … dann, mein Imperator, sind wir die nächsten, die sie heimsuchen wer-
37 den. Spätestens nachdem die Vierzehn gemerkt haben, daß in den Speichern auf Arkon I nichts für sie ist, werden sie die ATLANTIS stürmen!« »Ist das so einfach?« fragte ich halb amüsiert, halb ernst. Hatolec hatte noch immer die Angewohnheit, mich manchmal mit dem Titel eines Imperators anzusprechen, obwohl ich den nicht mehr hören konnte und wollte. Aber da jedes Ding seine zwei Seiten hatte, konnte er mir vielleicht in den auf mich zukommenden Auseinandersetzungen wieder von Nutzen sein. Ich beobachtete meine Führungsmannschaft, hörte mir Fragen an und gab Antwort, so gut ich konnte. Aber niemand gab sich eine Blöße, keiner verriet sich. Ich würde zu warten haben. Und wenn ich ganz ehrlich war, begann ich allmählich manchmal schon daran zu zweifeln, daß es überhaupt einen Verräter unter meinen Leuten gab. »Bevor sie die ATLANTIS stürmen«, versetzte ich einen letzten Nadelstich, »müssen sie erst einmal wissen, daß sich die Daten im Bordsyntron befinden. Wir werden es ihnen nicht verraten, und außerdem müßten sie das Kodewort kennen. Es besteht also keine Gefahr für das Schiff und für uns.« Ich hoffte und befürchtete es gleichermaßen. Die Falle war aufgestellt, mehr konnte ich jetzt nicht tun. Nun hatte ich mich nur auf meinen bevorstehenden Auftritt auf dem Hügel der Weisen entsprechend vorzubereiten.
8. Arkon I, 23. Oktober 1212 NGZ Atlan Als ich auf Arkon landete, war es auf diesem Teil des Planeten bereits dunkel. Ich wollte denen, die mich auf dem »Hügel der Weisen«, unserem Regierungszentrum, erwarteten, ein Schauspiel bieten. Viele Arkoniden liebten den Pomp wie vor tausend oder zehntausend Jahren, und sie sollten ihn
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haben. Jeder sollte sehen, daß hier der Unsterbliche kam, der Kristallprinz, der nur deshalb nicht Imperator war, weil er die angetragene Würde abgelehnt hatte. Die ATLANTIS senkte sich wie ein gigantisches, in allen Farben strahlendes und blitzendes Juwel vom Nachthimmel herab. Ich hatte den ganzen Tag über, seitdem wir im Arkon-System waren, vom Schiff aus mit verschiedenen Ratsmitgliedern sowie wichtigen Männern und Frauen aus anderen Bereichen konferiert und immer deutlich eine gewisse Kühle spüren lassen. Sie sollten alle wissen, daß ich im Zorn kam. Je mehr Zeit bis zu meinem Auftritt verstrich, desto nervöser und unsicherer würden sie werden. Die FAMUG konnte noch Pläne schmieden, um mir in die Parade zu fahren. Sollten sie, das erwartete ich sogar. Ich sah die Oberfläche des Planeten näher kommen und sich scheinbar schnell ausdehnen. Auch Arkon funkelte und machte seinem Namen »Kristallwelt« alle Ehre. Der Anflug im Dunkeln war immer ein Erlebnis. Ich sah die großen, phantastisch illuminierten Wohntrichter meines Volkes und die Prachtstraßen, die sie, ebenfalls beleuchtet, verbanden. Ich sah den Hügel der Weisen mit seinen großartigen Anlagen, unter einer riesigen Glocke aus reinem, sich farblich verändernden Licht, mit Wasserspielen, Seen und »lebendigen« Skulpturen aus wandernden Laserstrahlen. Laß dich nicht von der schönen Fassade blenden, wisperte der Extrasinn. Dahinter werden die Messer gewetzt – gegen dich. »Ich weiß«, murmelte ich. Und dann stand die ATLANTIS auf ihren Antigravfeldern, nach und nach liefen die Aggregate aus, und das Schiff kam zur Ruhe. Für mich aber wurde es ernst.
* Den Paukenschlag hatte ich mir für das
Ende meiner Rede aufgespart. Vorher hatte ich den vollständig versammelten Regierungsmitgliedern auf dem Hügel der Weisen erklärt, was ich vom Auftritt unseres Galaktischen Rates im Humanidrom hielt. Es war eine mit aller echten Verbitterung vorgetragene Anklage gegen den adeligen Ankläger und seine Hintermänner. Ich sprach offen aus, daß ich Tydon von Tramis für der FAMUG zugehörig hielt, und adressierte meine heftigen Worte damit dann auch direkt an die gefährlichen Traumtänzer. Ich klagte sie an, durch Tydon von Tramis vor der galaktischen Öffentlichkeit grobe Unwahrheiten über angebliche Klonexperimente der Terraner verbreitet zu haben. Ich betonte, daß es solche Experimente zu keiner Zeit gegeben habe. Ich wußte sehr gut, welche Frage danach zwangsläufig auf mich zukommen würde. Ich hatte mich vorbereitet. Unmittelbar nach unserem Abflug vom Humanidrom hatte ich während einer kurzen Unterlichtetappe mit Perry Rhodan per Hyperfunk konferiert. Der Terraner war einsichtiger, als ich erwartet hatte. Nach den Ereignissen über Lokvorth fiel es mir nicht mehr schwer, ihn davon zu überzeugen, daß wir der galaktischen Öffentlichkeit nun die Wahrheit über die Spindelwesen sagen mußten – oder jedenfalls einen Teil dieser Wahrheit. Die führenden Köpfe der FAMUG waren nach dem Datendiebstahl informiert, und wie viele Mitglieder der Galactic Guardians inzwischen Bescheid wußten, war überhaupt nicht abzuschätzen. Auf jeden Fall waren es genug, um davon auszugehen, daß Informationen über die »Berserker-Terraner« und ihre wahre Natur jederzeit an die Medien durchsickern konnten, für die unsere Vierzehn ohnehin schon das Thema Nummer eins geworden waren. Die galaxisweite Berichterstattung über sie war eine Mischung aus plumper Sensationsund Panikmache und moderner OutlawRomantik. Horrorvisionen hier, Jesse-James-Mythen dort. Wie es weiterging, wenn jetzt nicht Fak-
Syntron-Alarm ten gegen Spekulationen und Unfug gesetzt wurden, war leicht vorzustellen. Es gab für uns nur die Flucht nach vorn. Ich sprach mich mit Perry genau darüber ab, was ich der arkonidischen Regierung – und damit der Milchstraße – sagte. Er wollte sofort mit Tifflor Kontakt aufnehmen, damit Tiff vor dem Galaktikum synchron eine entsprechende Erklärung abgeben konnte. Von diesem 23. Oktober an, 23:44 Uhr Standardzeit, wußte die Galaxis, was und wer sich hinter den vierzehn »Berserker-Terranern« verbarg. Ich schilderte unsere Suche an der Großen Leere nach den Spindeln und den fehlenden Segmenten. Ich ging nicht näher auf die Fehlschläge bei den ersten Experimenten ein, sondern erklärte nur klar und deutlich, daß die vierzehn vermeintlichen terranischen Klone in Wahrheit Geschöpfe seien, die bei der Verschmelzung von Spindel und Spindelsegment und unter ganz besonderen Umständen entstanden seien. Ich fügte hinzu, daß nun alles getan werden müsse, um die Spindelwesen unter Kontrolle zu bekommen; weiter sagte ich noch nichts. Die erwartete Empörung brandete über mich hinweg. Ich ließ sie schreien und toben, die Frauen und Männer, die plötzlich ihre zur Schau getragene Würde total vergessen hatten. Ich war darauf gefaßt gewesen, aber ich erschrak doch, als ich sah, wie groß der Einfluß der FAMUG auf die Regierung von Arkon tatsächlich war. Ich war den Abweichlern ein Dorn im Auge. Die Bevölkerung achtete und verehrte mich nach wie vor, fast bis zur Grenze der Peinlichkeit. Hier aber war ich eine Art Verräter, der sich geweigert hatte, »Arkons Macht und Glorie« aufs neue in die Galaxis hinauszutragen. Sie wollten mehr über die Spindelwesen wissen, natürlich. Sie wollten erfahren, »was sich während dieser Expedition wirklich zugetragen« habe. Sie beschuldigten mich, zugelassen zu haben, daß die Terraner etwas in unsere Galaxis eingeschleppt hätten, das wir
39 nicht unter Kontrolle hätten und das uns vielleicht allen zum Verhängnis werden könne. Die Emotionen schlugen hoch, und ich mußte mich beherrschen, äußerlich kühl abzuwarten, bis den Schreiern die Puste ausgegangen war. Und dann sagte ich ihnen, warum es für Arkon so wichtig sei, die Spindelwesen matt zu setzen, und was die Arkoniden tun konnten, um sich für das zu rehabilitieren, was Tydon von Tramis im Galaktikum an politischem Unheil angerichtet hatte. Ich erklärte, daß die vierzehn Geschöpfe als nächstes planten, auf Arkon I einzufallen und den hiesigen Zentralsyntron zu stürmen. Für einen Moment herrschte entsetztes Schweigen. Jeder der Anwesenden mochte in diesen Augenblicken an das denken, was man von Gatas, von Ertrus und vom Humanidrom gehört hatte. Und nun die Kristallwelt – der eigene Heimatplanet, der für viele meiner Artgenossen noch immer (oder schon wieder) das Zentrum des Universums war. »Das ist nicht wahr!« wurde gerufen. »Er will uns mit dieser lächerlichen Behauptung nur erpressen!« Auch auf den Einwand war ich gefaßt gewesen. Ich antwortete kühl, daß ich – über Yart Fulgen, das klang nur logisch und entband mich automatisch aller konkreteren Auskünfte – entsprechende, todsichere Informationen erhalten hätte. Das nächste Ziel der Spindelgeschöpfe sei Arkon I, daran gäbe es überhaupt keinen Zweifel – und wer das nicht einsehe, der öffne den Vierzehn kampflos alle Türen und könne sie gleich zum Zentralsystem durchmarschieren lassen. Sie zogen sich zu Beratungen zurück, und ich wartete. Sie konnten am Ende nur eins tun. Sie würden hadern und fluchen, Pläne machen und wieder verwerfen – aber am Ende mußten sie einfach klein beigeben, wenn ihnen daran lag, den Schaden für Arkon soweit wie möglich in Grenzen zu halten. Die Schlagkraft der Spindelwesen war be-
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kannt. Daß sie über Leichen gingen, ebenfalls. Und daß die im Hauptsyntron abgelegten arkonidischen Geheimnisse in die Hände der Vierzehn und ihrer Helfer, der Guardians, gerieten, konnten sie nicht riskieren. Und so kam es, wie es kommen mußte. Die Regierungsmitglieder kehrten von ihrer Beratung zurück und verkündeten ihre Entscheidung. Sie wiesen nachdrücklich daraufhin, daß diese mit knappster Mehrheit gefaßt worden sei. Dann baten sie mich mit Gesichtern, die ablehnender nicht hätten sein können, die Bedrohung durch die Spindelwesen von der Kristallwelt abzuwenden. Wie groß mußte ihre Panik sein! Sie versuchten es nicht zu zeigen und sparten nicht mit Seitenhieben gegen mich und »meine terranischen Freunde«, aber die FAMUG-lastigen, adeligen Herrschaften übertrugen mir, dem politischen Gegner, alle Vollmachten zur Verteidigung des Arkon-Systems und der Kristallwelt. Darf ich sagen, daß es mich mit Genugtuung erfüllte? Genugtuung, stellte mein Logiksektor fest, kannst du spüren, wenn du die Spindelwesen schachmatt gesetzt hast.
* Natürlich galt es für mich nun in erster Linie, Schaden von Arkon abzuwenden und zu versuchen, die Spindelwesen abzufangen, bevor sie den Wohnplaneten angreifen konnten. Erst wenn das nicht gelang, konnten andere Methoden greifen. Mit anderen Worten: Den Verräter unter meinen Leuten zu finden, war mir zwar wichtig, aber im Moment zweitrangig. Es würde also im Fall Arkon I keine offenen Türen geben, wie von Tekener im Humanidrom gehandhabt. Ich hatte fast eine Woche lang Zeit gehabt, alles Erdenkliche zu tun, um das Hauptziel zu erreichen: die Spindelwesen zu entdecken, zu stellen und möglichst in unsere Gewalt zu bringen. Perry Rhodan hatte
mir Unterstützung angeboten, aber ich hatte dankend abgelehnt. Ich wollte nicht wieder darüber diskutieren, wie man die Spindelgeschöpfe am besten anpackte. Ich hatte ein großes Flottenaufgebot, das unter meinem alleinigen Oberbefehl stand, im Arkon-System ausschwärmen lassen. Dieser mehrfach gestaffelte Gürtel aus Schiffen sollte, zusammen mit den unzähligen ohnehin vorhandenen Satelliten, Sonden und Forts, eine Stecknadel orten können, wenn sie aus dem Hyperraum kam oder nur sonstwie Energie abgab. Gegen den uralten Trick mit dem Ortungsschutz der Sonne hatte ich um das Zentralgestirn herum hochsensible Sonden installieren lassen, die jede noch so geringfügige und kurzfristige Veränderung im 5-D-Strahlungsspektrum von Arkon registrieren würden. Sollten die Spindelwesen in Schleichfahrt eindringen, so wie im Scarfaaru-System geschehen, dann mußten sie auf irgendeinem Radarschirm erscheinen, irgendwo auf einem Schiff oder in einer Station, von wo aus sofort Alarm gegeben werden würde. Ich hatte alle Absicherungen getroffen. Den Vierzehn und ihren Helfern konnte nach menschlichem Ermessen gar nichts anderes übrigbleiben, als offen in das Sonnensystem einzufliegen. Sie mußten versuchen, sich den Weg freizuschießen. Wenn sie dann per Transmitter von der LAYSSIA nach Arkon I gehen wollten, trafen sie auf die entsprechenden Sperren. Sie würden kein Glück haben und in einer von mehreren Fallen landen, wo schwerbewaffnete Arkoniden und Roboter auf sie warteten. Sie würden sozusagen »im Sprung umgeleitet« werden, statt in der Nähe des Hauptsyntrons dort materialisieren, wo meine Leute waren. Und sollten sie doch schlauer sein als ich und meine Berater, dann hatte ich vielleicht – unter anderem, wovon aber wirklich nur eine halbe Handvoll absolut zuverlässiger Freunde wußten – noch einen Joker in petto. Gucky war mit Homer G. Adams inzwi-
Syntron-Alarm schen im Arkon-System eingetroffen und hatte sofort seine Bereitschaft erklärt, mir zu helfen. Davon wollte ich allerdings wirklich nur im äußersten Notfall Gebrauch machen. Der Planet Tramp III gehörte nun ganz offiziell der Kosmischen Hanse. Gucky hatte von seinem »Kontaktmann« mit dem gegengezeichneten Vertrag die Koordinaten bekommen und wartete nun voller Ungeduld auf die Nachricht von Terra, wo in der Galaxis die endlich gefundene Mausbiberwelt liegen sollte. Es kostete ihn sichtlich Überwindung, nicht selbst zur Erde zu fliegen. Aber ihm war versprochen worden, daß er sofort eine Nachricht erhielt, wenn die Position »seines« Planeten anhand der Koordinaten ermittelt worden war. Daß dies nicht ganz einfach in jedem Schiffssyntron geschehen konnte, der die Sternverzeichnisse in seinen Speichern hatte, lag an der Übervorsicht des »Kontaktmanns«. Dieser große Unbekannte, den Adams mir gegenüber als seltsamen Patron bezeichnet hatte, hatte sich inzwischen sang- und klanglos verabschiedet – natürlich mit dem Geld, das sein Auftraggeber für Tramp III verlangt hatte. Und dieser Auftraggeber wollte absolut anonym bleiben, der Kontaktmann hatte alle Vollmachten von ihm und konnte den Vertrag folglich rechtsgültig unterschreiben. Um die Position des Planeten genau zu bestimmen, wurden Zusatzdaten benötigt, die sich auf der Erde befanden. Wo, das stand in dem Vertrag. Dort war auch die Rede von »weiteren Informationen« des großen Unbekannten, dem die Welt bisher gehört hatte. Ich hatte von Anfang an meine Zweifel an diesem seltsamen Geschäft gehabt. Ich hatte zwar immer wieder ein Hoffnungsfünkchen für Gucky gesehen, aber was die beiden mir erzählt hatten, ließ mich das Schlimmste befürchten. Die Geschichte war so verrückt und verdreht, daß ein Blinder den faulen Braten roch. Gucky war kein Vorwurf zu machen. Wenn er etwas von angeblich noch irgendwo lebenden Artgenossen hörte,
41 schaltete sich sein Verstand sofort aus. Aber ein Homer G. Adams machte den Zirkus mit: Er kaufte einen Planeten, den er nicht nur noch nicht betreten, sondern dessen Position er bei Vertragsabschluß noch gar nicht gekannt hatte! Vielleicht war ich zu hart, zu logisch. Vielleicht sollte man auch einem von uns Unsterblichen einmal zugestehen, daß er sich in ein Abenteuer mit Ungewissem Ausgang stürzte. Das genaue Gegenteil von dem tat, was sonst seine Gewohnheit war. Seit Tausenden von Jahren gewesen war. Vielleicht hatte Homer G. Adams eine Art Drangwäsche nötig und war deshalb so lächerlich leichtsinnig gewesen. Oder Gucky hatte ihn tatsächlich so lange und intensiv bearbeitet, daß ihm nur noch die Flucht in die Wunscherfüllung geblieben war. Wir würden es sehen. Wichtiger war für mich zu hören, daß sich die Wogen im Galaktikum nach Tifflors und Adams' gemeinsamer Erklärung etwas geglättet hatten. Zwar wollten die Delegierten jetzt wissen, was genau es mit den Spindelwesen und dem ganzen Komplex ihrer Entstehung und den Entdeckungen an der Großen Leere auf sich hatte, aber sie sprachen nicht mehr von verbrecherischen Klonexperimenten der Terraner. Es würde noch viel Aufklärungsarbeit und guter Wille nötig sein, bis die Ruhe einigermaßen wiederhergestellt war – nachdem wir die Vierzehn unter Kontrolle hatten. Es dauerte bis zum Nachmittag des dreißigsten Oktobers. Dann raste der Alarm durch das Arkonsystem. Sie kamen, wie ich es vermutet hatte: offen und aus allen Rohren feuernd.
* Sie waren am Rand des Systems aus dem Hyperraum gestürzt und rasten auf die Kristallwelt zu. Auf unsere Funkanrufe, vor allem Aufforderungen zur Identifizierung und Umkehr, reagierten sie erwartungsgemäß überhaupt nicht. Sie schossen auf unsere
42 Hauptwelt zu – und auf alles, was ihnen an Raumschiffen in den Weg kam. Ich wartete nicht bis es unnötige Opfer auf unserer Seite gab, sondern erteilte den Feuerbefehl. Die LAYSSIA sollte wrackgeschossen und gestürmt werden. Es würde kein Spaziergang werden, wenn wir sie überhaupt stoppen konnten, ohne sie zur Atomsonne schießen zu müssen. Die Kommandanten meiner Schiffe waren darüber informiert, daß die Spindelwesen immun gegen Paralysebeschuß waren – es sei denn, sie bekamen soviel davon mit, daß ihre Abwehr am Ende doch zusammenbrach. Falls nicht, blieb im Kampf Mann gegen Mann nur der tödliche Schuß mit Impulsstrahlen. Die Mitglieder der Enterkommandos trugen allesamt TRUVS. Wie ein Kampf in der LAYSSIA ausgehen würde, war unmöglich vorauszusagen. Aber ich war entschlossen, nicht zweiter Sieger zu bleiben. Schon daher wäre es undenkbar gewesen, Perry Rhodans Angebot anzunehmen. Er mit seinen Vorstellungen von friedlicher Einigung jetzt hier, wenn der Tanz richtig losging – das wäre eine Katastrophe geworden. Was Adams diesbezüglich dachte, wußte ich nicht. Er und Gucky hielten sich bei mir auf der ATLANTIS auf, die nach wie vor auf Arkon I verankert lag. Dies hatte nichts damit zu tun, daß ich plötzlich feige geworden wäre und mich davor drückte, am Kampf im Weltraum teilzunehmen. Es hatte ganz andere Gründe. Die ATLANTIS und die Schaltung Kodename Gonozal waren mein letzter Trumpf in diesem Spiel. Außer Gucky natürlich. Schon nach den ersten Minuten begann sich abzuzeichnen, daß es das ganze Können unserer Kommandanten erfordern würde, die LAYSSIA in die Enge zu treiben. Das Schwesterschiff der ATLANTIS verfolgte keinen sturen Anflugkurs, sondern flog halsbrecherische, wahnwitzige Ausweichmanöver kreuz und quer durch unsere Einheiten. Überall, wo ein Sperrgürtel aufgebaut werden sollte, hatten unsere Schiffe das Nachsehen. Nach einer
Horst Hoffmann Viertelstunde waren sechs unserer Raumer explodiert, drei trieben als Wracks durch das All. An den Kontrollen der LAYSSIA mußte ein Genie sitzen. Das Schiff entkam den unmöglichsten Situationen – schließlich waren auch unsere Kommandanten und Piloten keine Stümper, sondern ausgesuchte Elite. Die LAYSSIA flog Ausweichmanöver, die kein Bordsyntron so berechnen konnte, und immer wieder kurze Überlichtetappen. Bevor wir uns neu orientiert und dem neuen Standort zugewandt hatten, war es schon wieder an einer anderen Stelle. Sie halten unsere Leute zum Narren, sagte der Extrasinn. Das kann nur einem Zweck dienen. Du kennst ihn. Natürlich! Fünf Minuten später hatte ich die Bestätigung. Die LAYSSIA begann übergangslos langsamer zu werden. Sie flog noch immer mit Wahnsinnsgeschwindigkeit durch das System, aber ihre Manöver wurden behäbiger, leichter zu durchschauen. »Ihr könnt sie euch jetzt holen«, gab ich per Hyperrundruf an die Kommandanten der Arkon-Schiffe durch. »Die Spindelwesen sind nicht mehr an Bord – nur noch ihre Helfer.«
9. Die Falle schnappt zu Deffa Diesmal gab es kein Entkommen. Jetzt war es vorbei. Ich wußte es, nachdem die Pseudos durch den Transmitter gegangen waren. Fünf hatte mir schon vorher zu verstehen gegeben, daß sie keinen von uns mitnehmen würden. Wir sollten mit der LAYSSIA noch einige Scheinmanöver fliegen, damit die Arkoniden dächten, alle seien an Bord. Und dann in einer Überlichtetappe aus dem System heraus und in drei Lichtwochen Entfernung darauf warten, daß sie das Signal sendeten, sie abzuholen. Aber wir schafften es nicht.
Syntron-Alarm Graner Gork, einer von vier Epsalern, die mit zwanzig anderen Guardians zusammen vierhundert Lichtjahre von Arkon entfernt an Bord gekommen waren, war ein guter Pilot, der sich auch mit einem Syntron fast blind verstand. Aber er hatte nicht entfernt die Fähigkeiten eines dieser unheimlichen … Dinger! Sie hatten uns nicht gesagt, was mittlerweile anscheinend die halbe Galaxis wußte; wer und was sie wirklich waren. Aber wir Guardians konnten die Anrufe der Arkoniden mithören, und den Begriff »Spindelwesen«. Was wir – vielmehr nur ich, denn mit den anderen hatten sie nie gesprochen – noch von den Pseudos wußten, war der Plan, wie sie nach Arkon I gelangen wollten. Und wahrscheinlich hätten sie ihn auch mir nie verraten, wenn ich ihnen den Plan nicht geliefert hätte – und zwar wieder als Mittlerin zwischen Tillion Dhak und ihnen. Tillion Dhak und die FAMUG, um korrekt zu sein. Atlan erwartete, daß sie per Transmitter zur Kristallwelt kämen, und hatte sicher entsprechende Fallen aufgestellt. Die arkonidische FAMUG hatte entsprechend reagiert und Konterpläne gemacht, zusammen mit meiner Organisation. Die mir jetzt auch nicht mehr helfen konnte. Wir kamen hier nicht mehr heraus. Die LAYSSIA wurde von schweren Treffern erschüttert, und wir hatten keine Chance mehr, der Übermacht der arkonidischen Flotte zu entkommen. Bestimmt waren unter den Schiffen, die uns gerade zum Wrack schossen, auch solche, deren Kommandanten zur FAMUG gehörten. Aber sie mußten den Schein wahren. Sie durften sich keine Blöße geben. Sie mußten so tun, als wären sie loyal. Den Preis für ihr widerliches Spiel bezahlten wir. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte versuchen, mit den Arkoniden und den Terranern ins Geschäft zu kommen. Ich hätte ihnen
43 vieles anbieten können, zahlreiche Informationen über die Pseudos und die Guardians. Der Arkonide, der den anderen voran, während schon zahlreiche Enterkommandos an Bord waren, in die Zentrale stürmte, fragte nicht lange danach. Natürlich hatten wir unsere Waffen in der Hand. Natürlich waren wir total verunsichert, und natürlich begannen einige von uns zu feuern, obwohl ich sie anschrie, das sein zu lassen. Nein, ich wollte nicht sterben. Aber ich sehe den Tod in den Augen des Arkoniden.
* Der Verräter Schlau hat er sich das ausgedacht. Aber es funktioniert nicht. Wir sind keine Dummköpfe. Wir konnten uns ausrechnen, was er für den Empfang der Spindelwesen plante, und unsere eigenen Pläne machen. Die FAMUG ist stärker, als es manchen hohen Herrschaften lieb ist. Und wir haben ein großes Interesse daran, daß die vierzehn Spindelwesen den Terranern und ihren Knechten nicht in die Hände fallen. Der Kontakt wurde über die Galactic Guardians hergestellt, über Tillion Dhak. Seine Interessen sind nicht unbedingt die unseren, aber die Guardians könnten einmal zu wertvollen Kampfgenossen werden. Und die Spindelwesen in unserer Hand, auf unserer Seite … Es läuft folgendermaßen ab, in diesen Minuten, während Atlan in seiner Zentrale vergeblich darauf wartet, daß die Vierzehn in einem seiner umstellten Empfangstransmitter materialisieren. Die Spindelgeschöpfe haben sich aus der LAYSSIA abstrahlen lassen, aber nicht nach Arkon I, sondern auf ein Schiff der Flotte, das von FAMUG-Leuten kontrolliert wird. Von dort aus wechseln sie auf andere uns zugehörige Einheiten über, und dann erst werden sie hierher auf die Kristallwelt kom-
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men. Es müßte jeden Augenblick geschehen. Atlan hat uns seine Pläne mitgeteilt, bis zum letzten und entscheidenden Punkt. Aber er irrt sich. Er hat in das arkonidische Syntronnetz eine Sicherheitsschaltung installieren lassen. Sie soll und wird sich aktivieren, sobald die Spindelwesen versuchen, den Zentralsyntron zu stürmen, für sich in Besitz zu nehmen und auf seinen Speicherinhalt zu durchforschen. Der alte Mann treibt viel Aufwand. Er nimmt in Kauf, daß Arkon längere Zeit ohne Syntronvernetzung daliegt, zur Hilflosigkeit verurteilt wie damals, als wir von der zweiten Toten Zone überrascht wurden. Aber es wird ihm nichts nützen. Er hat dafür gesorgt, daß es nach dem Blockieren des Syntrons nur noch eine direkte Leitung von dort zur ATLANTIS gibt. Auf diese Art kann er den Hauptsyntron von hier aus wiederbeleben und steuern, wenn es die Lage erfordern sollte. Er hat uns das erklärt, als seien wir seine naiven Schüler. Diese direkte Leitung wird durch den Kodenamen Gonozal aktiviert. Genau wie der Zugriff auf die in unserem Bordsyntron gespeicherten Daten über den gesamten Komplex Spindelwesen und Große Leere. Er ist sich seiner Sache sehr sicher. Zu sicher. Ich habe nichts gegen ihn persönlich. Ich hasse ihn nicht. Aber er hat einem Menschen sehr weh getan, den ich mehr verehre und liebe als ihn.
* Atlan Wir haben die LAYSSIA. Sie treibt als Wrack im Raum zwischen Arkon I und Arkon II, und die Enterkommandos haben das Schiff unter Kontrolle. Leider haben bei dem kurzen Kampf um die Zentrale zwei von uns und zwei Guardians ihr Leben gelassen.
Bei einer der Toten, einer Ertruserin, ist ein winziges Kehlkopfimplantat gefunden worden, offenbar ein Aufzeichnungsgerät in Mikrobauweise, auf das sie bis zum Ende ihre Erlebnisse mit den Spindelwesen »gesprochen« hat – möglicherweise für ihren Auftraggeber bei den Guardians. Es wird sich herausstellen. Wir haben die LAYSSIA als Wrack im Weltraum – und die Spindelwesen auf Arkon I. Sie haben es also geschafft. Die FAMUG – ich habe bisher keine Beweise, aber ich zähle eins und eins zusammen – hat sie von einem unserer Schiffe zum anderen springen lassen und letztlich die Schaltung umgangen, die zu den vorbereiteten Fallen führte. Die Vierzehn sind in dieser Minute auf dem Weg zum Zentralsyntron und schießen sich wie gewohnt ihren Weg frei. Ich habe strikte Order gegeben, daß sich ihnen da niemand entgegenstellt, außer Robotern – aber die sind kein Hindernis. Einmal soweit vorgedrungen, werden sie an ihr Ziel kommen, das hat die Erfahrung gelehrt. Und dann tritt die Sicherheitsschaltung in Kraft. Jeden Moment. Ich versuche, ganz ruhig zu bleiben. Ich spüre die Blicke der Mitglieder meiner Zentralebesatzung, und einer von ihnen ist der Verräter. Wenn er dazu den jetzt hier versammelten Personen gehört, wird er versuchen, den Spindelwesen die Brücke zur ATLANTIS zu bauen – und ich werde ihn nicht daran hindern. Was in meiner Macht stand, um Arkon das zu ersparen, was sich jetzt wie der Schleier der Nacht um den Planeten legt, habe ich guten Gewissens getan. Die Kristallwelt wird hilflos wie zu Zeiten der Toten Zone, denn jetzt spricht die Sicherheitsschaltung an, und der Planet versinkt in einen syntronischen Schlaf. Die Spindelwesen haben den Hauptsyntron erreicht und versuchen, an seinen Speicherinhalt zu gelangen. Jetzt habe ich ein
Syntron-Alarm
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Bild von ihnen. Sie sind in einem großen Schaltraum und sehen sich aufgeregt an. Mayhel Tafgydo, meine Chefmedikerin, verläßt die Zentrale. Aktet Pfest scheint sehr nervös zu sein. Und Tassagol, der Funk- und Ortungschef der ATLANTIS, blickt auffällig oft zur Uhr. Ich werde mich jetzt auch zurückziehen. Zu den Dingen, die keiner von meinen Verantwortungsträgern weiß, gehören die fünfzig schwerbewaffneten Spezialisten aus Yart Fulgens Antiterror-Kommando, die inzwischen rund um den Haupttransmitter des Schiffes Aufstellung bezogen haben müssen. Ich will dabeisein, wenn die Spindelwesen erscheinen. Und der Verräter soll sich sicher genug glauben, um den Kodenamen Gonozal einzugeben. Viel Zeit hat er nicht mehr, denn die Geduld der Spindelgeschöpfe ist sicher nicht sehr groß. Wenn sie merken, daß sie nicht an den Hauptsyntron herankommen, werden sie zu toben beginnen. Die LAYSSIA steht ihnen nicht mehr zur Verfügung, das wissen sie genau. Also werden sie versuchen, sich den Weg zum Raumhafen und in ein anderes Schiff freizuschießen, mit dem sie entkommen wollen. Ich gehe davon aus, daß der Verräter noch keine Gelegenheit hatte, sie zu informieren. Das Stammpersonal hat die ATLANTIS schließlich nicht verlassen. Alle mit der Außenwelt gewechselten Funksprüche sind vom Bordsyntron registriert, aufgezeichnet und mir auf einer speziellen Nebenstelle abgelegt worden. Der Verräter muß die Spindelwesen informieren, über eine Ausgabeeinheit des Arkon-Hauptsyntrons, solange sie dort sind. Er muß den Kodenamen Gonozal eingeben und ihnen gleichzeitig die Justierungsdaten unseres Transmitters funken. Dann haben wir sie – und ihn. Ganz sicher. Wenn ich keinen Fehler in meinen Überlegungen habe.
*
Der Verräter Endlich ist er gegangen. Sie sind noch da, in den Kontrollräumen des Hauptsyntrons. Noch kann ich sie erreichen. Ich weiß nicht, wie es danach bei mir weitergehen wird. Vielleicht bleibe ich bei ihnen, obwohl ich daran kein Interesse habe. Vielleicht kann ich aber wenigstens mit ihnen fliehen und zu einem unter FAMUGKontrolle stehenden Schiff stoßen. Eine Karriere in der FAMUG, das wäre nicht das Schlechteste. Vielleicht würde ich dann bald sie wiedersehen. Wir würden gemeinsam kämpfen, für die gleichen Ideale. Sie sind gut, unsere Ziele. Wir wollen keinen Krieg mit anderen Galaktikern, und wir fühlen uns nicht als Herren der Milchstraße, wie manche Akonen es bis heute tun. Wir sind kein Herrschervolk, aber wir haben eine lange Tradition, die nicht mit Füßen getreten werden darf. Arkon ist wieder groß und stark geworden – zugegeben, auch dank des Kristallprinzen. Aber nie wieder darf unser Volk in Degeneration versinken und zweit- oder gar drittrangig werden. Nein, ich rede mir das nicht ein. Ich glaube daran. Und deshalb muß ich jetzt handeln. Für dich! Jeder hier in der Zentrale ist mit sich selbst beschäftigt oder verfolgt mit Spannung die Übertragung aus der Schaltzentrale. Syntronisch läuft nichts mehr auf Arkon I, außer auf der ATLANTIS und anderen Schiffen. Aber die wichtigsten Systeme wurden von Atlan vorsorglich mit positronischen Schaltungen bestückt. Niemand sieht her. Es ist so einfach. Ich gebe dem Bordsyntron den Kode unseres Transmitters ein, und danach den Kodenamen Gonozal. Schließlich eine Botschaft für die vierzehn Spindelwesen, daß sich die gesuchten Informationen in unserem Bordsyntron befinden.
46 Ein einziger Befehl, und ab geht das Paket – in den Hauptsyntron der Kristallwelt. Warum zittert meine Hand? Mir ist, als würdest du mir jetzt zusehen. Dein Gesicht … steht vor mir. Du nickst mir zu. Du weißt, daß es richtig ist, nicht wahr? Ja, ich muß es jetzt tun, für dich, für uns. Ich gebe den Befehl, nun gibt es kein Zurück. Ich sehe, wie die Köpfe der Spindelwesen herumfahren. Unten in der Schaltzentrale. Sie hören das Signal. Sie sehen, wie Bildschirme aufleuchten und Informationen geben. Aufgeregte Rufe um mich herum. Sie springen auf, die Männer und Frauen in der Zentrale. Ich tue es auch. Keiner von ihnen kann feststellen, von wo aus der Kodename und die Informationen dem Bordsyntron zur Abstrahlung eingegeben wurden. Es kann in einem Dutzend Nebenzentralen geschehen sein, und jeder logisch Denkende würde einen Verräter am ehesten dort suchen. Nicht hier! Aber was ist das? Ein bisher dunkler Bildschirm direkt vor mir aktiviert sich – und gibt eine Inhaltsübersicht der Datei »Kodename Gonozal«! Es ist nichts darunter, das mit den Spindelwesen und ihrer Herkunft zu tun hat. Die Datei ist völlig leer! Sie existiert gar nicht. Der Kodename Gonozal diente in Wirklichkeit nur dazu, die Verbindung zum Hauptsyntron Arkon zu schalten – und den Verräter an Bord zu entlarven. Es war eine Falle, und ich bin hineingetappt. Die Daten verschwinden vom Sichtschirm. Vor mir baut sich ein Holo von Atlans Gesicht auf. »Warum, Hatolec?« fragt er nur. Eine plötzliche Hitze flutet durch meinen Körper. Ich sehe, wie die anderen sich zu mir umdrehen. Einige kommen näher. Ich ziehe meinen Strahler und warne sie, nicht näher zu kommen. Und auf einmal bin ich ganz ruhig.
Horst Hoffmann Ich sehe ihm in die Augen, dem Vieltausendjährigen, und erkenne Betroffenheit und Zorn in seinem Blick. Beides scheint sich die Waage zu halten oder um die Vorherrschaft zu kämpfen. »Für Theta«, höre ich mich sagen. Meine eigene Stimme kommt mir fremd vor, als ob sich ihr Klang entfernen würde. »Für Theta von Ariga. Du hast sie im Stich gelassen, als sie sich zu den neuen Werten unseres Volkes bekannte.« »Du meinst, zu den Werten der FAMUG«, sagte Atlan. Sein Blick zuckt nach links. Ich kann nur ihn sehen. Was ist links von ihm? Wo ist er? »Für Arkons Macht und Glorie«, antworte ich. »Für eine große Zukunft unseres Volkes.« Plötzlich packt es mich. Ich muß es einfach sagen. Vielleicht ist auch für mich die Zukunft noch nicht völlig verloren. »Für uns alle, mein Imperator. Komm zu uns! Theta und du, ihr könntet Arkon …« Kurzschluß. Theta und er? Was rede ich da? Sie rücken näher. Langsam, als ob ich es nicht bemerken sollte. Sie haben mich jetzt umringt, Atlan sieht es. Er will mich nur ablenken. Es ist wieder heiß, schrecklich heiß! »Es ist gut, Hatolec«, höre ich von der Seite und blicke auf das Abstrahlfeld einer Waffe. »Du hast verloren.« Verloren? Ich? »Für Arkons Macht und Glorie!« schreie ich und nehme ihnen das schmutzige Handwerk ab. Niemand wird mich vor ein Gericht stellen. Nie wird Theta von Ariga sehen, daß mein Kopf sich beugt. Ich werde sie nie besitzen, aber sie soll mich auch nie vergessen! Tränen quellen aus meinen Augen, und noch einmal sehe ich das Gesicht der Frau darin, in tausend Lichtfacetten, bevor sie in der Glut meiner eigenen Waffe verzischen.
* Atlan
Syntron-Alarm Also Hatolec. Aus falsch verstandener Treue – oder mehr? – zu Theta von Ariga hat er sich in die Dienste der FAMUG gestellt. Es kann nur so sein. Dafür sprechen seine letzten Worte, ebenso seine Kurzschlußreaktion. Dafür spricht auch, daß er nie, solange ich ihn kannte, irgendwelche Äußerungen gemacht hat, die Sympathien für extreme Gruppierungen verrieten. Er hat sich selbst getötet, dieser verdammte Narr. Ich werde ihn, trotz allem, in guter Erinnerung behalten. Ein Mensch ist nicht an dem zu messen, was er irgendwann in einer Verblendung getan, sondern an der Gesamtheit dessen, was er in seinem Leben geleistet hat. Das könnte von Perry Rhodan stammen, verspottet mich der Extrasinn. Wenn er mich darauf hinweisen will, daß in diesen Augenblicken keine Zeit für Sentimentalitäten ist, dann hat er recht. Denn jetzt sehen wir, wie sich die Spindelwesen nach ungewöhnlich langer, lautloser Beratung, auf den Transmitter zubewegen, in dem sie vor Minuten erst materialisiert sind. Ich weiß, daß sie ihn bereits auf die ATLANTIS einjustiert haben. Jeden Augenblick müssen sie hier ankommen. Auf der Kristallwelt herrscht das erwartete Chaos. Das hat weniger mit akutem Notstand zu tun, als vielmehr mit der Psyche der Arkoniden. Niemand war eingeweiht, keiner wußte, daß das Syntronnetz ausfallen würde. Daher ist es nur zu verständlich, daß sie sich jetzt in die Zeit der Toten Zone zurückversetzt fühlen und annehmen müssen, dieser Zustand könne wiederum tage- oder wochenlang anhalten. Aber da sind die Spindelwesen. Weshalb tränen meine Augen so heftig? Ich bin erregter, als ich es mir gestatten wollte. Ich sehe die ersten Spindelwesen aus dem Transmitter treten. Sie blicken verwundert, aber nicht entsetzt.
47 Sie sind genauso kalt, wie ich es mir nach allen erhaltenen Berichten vorgestellt habe. Ich habe Bilder von ihnen gesehen, aber jetzt stehe ich ihnen zum erstenmal Auge in Auge gegenüber. Warum will meine Hand zur Waffe greifen? Fünfzig GAFIFSpezialisten halten ihre schweren Strahler auf die Ankömmlinge gerichtet. Auch die Spindelwesen sind bewaffnet, aber diesmal können sie gar nicht so schnell schießen wie die Arkoniden, die nur den Bruchteil einer Sekunde brauchen würden, um die entsicherten Strahler auszulösen. Ist das wirklich so? Unterschätze ich sie nicht doch, weil ich immer noch menschliche – oder übermenschliche, aber mir vorstellbare und deshalb ungeeignete – Maßstäbe anlege? Fünf sind jetzt da. Vier materialisieren in diesem Moment und treten zu den anderen, um das Verstofflichungsfeld freizugeben. Ein rascher Blick auf einen Monitor zeigt mir, daß die letzten Fünf sich anschicken, ihren Gefährten zu folgen. Es gibt also keine Möglichkeit der Kommunikation zwischen ihnen über Distanzen hinweg. Gewundert hätte es mich auch nicht, wenn sie über einen telepathischen »Draht« verfügten und die letzte Gruppe gewarnt worden wäre. Sie sehen mich an, nur mich, als hätten sie vom ersten Moment an gewußt, daß ich der einzige wirkliche Gegner bin. Gegner oder Verhandlungspartner? Sie haben die Strahler in den Händen, aber sehr locker, auf den Boden gerichtet. Sie sind jetzt komplett. Sie sehen sich an und reden mit Blicken. Kein Außenstehender kann ermessen, was sie sich mitteilen. Es sind keine Blicke, wie man sie sich unter normalen Lebewesen zuwirft und aus denen ein Dritter lesen kann, was sie sagen sollen. Mir wird kalt. Die Augen tränen weiter. Ich kann es nicht aufhalten. Arkoniden »weinen«, wenn sie erregt sind. Sie scheinen das zu wissen. Sie kommen jetzt, nachdem sie sich verständigt haben, auf mich zu. Langsam, nur keine Aggressionen! Sie scheinen alles zu wissen und sich
48 blitzschnell darauf eingestellt zu haben. Darauf, daß sie hier keine Chance zu einem Überraschungsschlag haben. Meine Leute haben Order, im Angriffsfall sofort mit tödlichen Strahlen zu schießen, es nicht erst mit Paralyseschauern zu versuchen. Bevor diese möglicherweise gewirkt hätten, wären wir alle tot gewesen. Nein, sie wissen nicht, daß sie in diesem Moment verloren haben. Und sie werden nun das einzige tun, das man in einer solchen Situation versuchen kann. Verhandeln. Reden. Sie sind so fremdartig. Sind sie wirklich so etwas wie ultimate Wesen? Beim Frostrubin sind wir damals Wesen begegnet, die so bezeichnet worden sind. Ich denke nur an Auerspor. Also gut. Ich bin bereit. Der nun vor mir steht, muß Fünf sein, ihr Sprecher. Und tatsächlich, er sieht mir in die Augen und beginnt zu reden. »Wir sehen, daß wir im Moment hilflos sind«, sagt er. »Das kann sich jederzeit wieder ändern. Aber wir haben nicht die Zeit, so lange zu warten. Wir sind bereit, uns deine Vorschläge anzuhören.« Eben ist mir noch kalt gewesen. Jetzt rast eine Hitze durch meinen Körper, die mich fast schreien läßt. Ist das einfach nur Arroganz von ihnen? Fühlen sie sich uns so überlegen, daß sie, eben in die Falle gegangen, gnädig anbieten, sich meine Bedingungen dafür anzuhören, daß ich nicht … einfach kurzen Prozeß mit ihnen machen lasse? Beherrsche dich, warnt der Logiksektor. Du hast gewonnen, sei dir dessen bewußt. Sie haben erkannt, daß sie im Augenblick nur verhandeln können. Und sie wissen, daß sie auf dich angewiesen sind und daß du den Feuerbefehl geben wirst, sobald sie auch nur eine Waffe gegen euch heben. Es stimmt. Ich habe ihnen demonstriert, daß sie bei uns keine Schonung zu erwarten hatten. Das war die Sprache, die sie verstehen. »Ich möchte«, höre ich mich sagen, und die Wor-
Horst Hoffmann te sind nicht zurechtgelegt, sondern spontan, »daß wir zusammenarbeiten. Ihr habt im Augenblick, wie ihr selbst feststellt, keine andere Wahl. Ihr sucht nach Informationen über euch und die anderen Spindelsätze. Sie sind nicht im Syntron der ATLANTIS, aber ich habe sie hier, in meinem Kopf. Ich kenne eure Geschichte besser als ihr selbst. Wir Galaktiker sind nicht eure Feinde, auch wenn ihr es uns nicht gerade leichtmacht. Wir haben kein Interesse daran, gegen euch zu kämpfen. Wir sind im Gegenteil sehr daran interessiert, zu erfahren, was eure Bestimmung ist. Wir haben euch – vielmehr die Spindeln und ihre fehlenden Segmente – an und in der Großen Leere geborgen und hierher mitgebracht. Jetzt haben wir euch. Ich kann nicht sagen, daß wir darüber sehr glücklich sind. Und schon allein deshalb sind wir eventuell bereit, euch darin zu unterstützen, eurer Bestimmung nachzukommen. Ihr wurdet aus zwei Millionen Jahren alten Gegenständen erschaffen, folglich muß euch eine überragende Bedeutung zukommen. Natürlich kaum in unserer Milchstraße, sondern dort draußen, an der Großen Leere.« Ich holte Luft. »Aber eines muß auch klar sein: Wir sind an den Geheimnissen interessiert, die mit euch zusammenhängen, aber wir werden nicht zögern, euch zu töten, wenn eure Existenz für unsere Völker noch weiteres Blutvergießen bedeutet.« Das war lang. Es war mehr, als ich zu sagen vorgehabt hatte. Ich sehe in das Gesicht von Fünf und zwinge mich, seinem forschenden, kalten Blick standzuhalten. Ich hoffe, daß er mir das mit der gar nicht vorhandenen Datei abnimmt. Davon hängt vieles ab. Denn natürlich gibt es sie. »Es ist gut«, sagt er. Sie scheinen sich gar nicht mehr beraten zu müssen. Sie scheinen schon alle Möglichkeiten im voraus besprochen zu haben. »Wir werden vorerst auf alle Aktionen gegen euch verzichten – unter einer Bedingung.« »Und die wäre?« fragte ich. »Du bringst uns ins Solsystem.«
Syntron-Alarm
49
* Epilog Am frühen Vormittag des 31. Oktobers startete die ATLANTIS, mit den Spindelwesen an Bord, von Arkon I mit Kurs auf Terra. Das Syntronnetz der Kristallwelt funktionierte inzwischen wieder einwandfrei. Die Arkoniden hatten einige bange und hilflose Stunden ertragen müssen – das war alles. Wirklich aufgeregt waren nur die Regierungsmitglieder, die von Atlan im unklaren gelassen worden waren und auf alle Anfragen aus der Bevölkerung keine Antwort hatten geben können. Ihr Stolz war verletzt, und die FAMUG schürte erneut das Feuer gegen Atlan. Doch der hatte jetzt andere Sorgen. Er war sich des Risikos bewußt, das er eingegangen war, als er sich mit der Forderung der Spindelwesen einverstanden erklärt hatte. Auch tausend Bewaffnete konnten auf Dauer nicht garantieren, daß sie nicht doch in einem unerwarteten Moment die Gelegenheit fanden, die ATLANTIS zu übernehmen. Sein Schiff kam ihm wie eine scharfe Bombe vor, aber er hatte seine Entscheidung getroffen, und er würde wieder so handeln. Schlimmer war es, Gucky dabei zuzusehen, wie er litt. Auch jetzt war der Mausbiber wieder in Atlans Wohnräume gekommen, um sich trösten zu lassen. Er wäre normalerweise mit Adams geflogen, aber aus bestimmten Gründen mied er vorerst die Nähe des HanseChefs. Der Arkonide ließ ihn jammern und schimpfen, zeigte aber bewußt nicht zuviel Anteilnahme. Der Ilt hatte sich das eingebrockt, und nun sollte er auch allein dafür büßen – obwohl zu bezweifeln stand, daß es eine langanhaltende Lehre für ihn sein würde. Atlan setzte sich seufzend in einen seiner bequemen Kontursessel und nahm die Druckfolie, die auf der frei schwebenden,
nierenförmigen Tischplatte lag. Auf ihr war der Text zu lesen, der kurz vor dem Start der ATLANTIS von Terra gefunkt worden war. Er enthielt die kompletten Koordinaten des angeblichen- Mausbiber-Planeten sowie den erwarteten Begleittext dazu. Und der lautete: Ich gratuliere dir, Gucky, und ganz besonders der Kosmischen Hanse zum Erwerb des Planeten, der in unserem Vertragswerk abgekürzt als TR bezeichnet worden ist. Ich bin sicher, ihr werdet viel Vergnügen an ihm haben. Du, mein alter Freund Homer, hast deinen berühmten guten Riecher für lohnende Investitionen bewiesen. Ich bin froh, TR zu meiner Entlastung an dich zurückgegeben zu haben. – Ein Trost, Homer, alter Gauner: Nach Abzug aller eigenen Kosten bleibt mir ein Gewinn von sage und schreibe zweihundertvierzig Galax. Ach so: TR könnte natürlich auch für »Tramp« stehen. Leider bedeutet es aber in diesem Fall »Traevon«. Du weißt schon, das Freudenhaus, das du mir so freundlich angedreht hast, in dem die Rosen nur eine Nacht blühen. Ich gratuliere nochmals zum Rückkauf, alter Gauner, wir sind quitt – für dieses Mal. Und du, Gucky, gib die Hoffnung nicht auf. Wenn ich den Planeten der Ilts je entdecke, dann melde ich mich wieder über meinen »Kontaktmann«. Übrigens, die Mausbiberhaare darfst du behalten, sie gehören schließlich dir. Einer meiner Söhne hat sich erlaubt, sie dir auf nach einem Besuch einer befreundeten Welt im Menschengewühl heimlich abzuschneiden – im Nacken. Du wirst es ihm hoffentlich sehr großzügig verzeihen. Mit vorzüglicher Hochachtung: Mordrer Keyn Haitabu, Springer-Patriarch. Nach Diktat verreist.
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Horst Hoffmann ENDE
Daß es vierzehn Wesen mit dem Aussehen von Terranern schaffen könnten, in der Galaxis für ein kleines Chaos zu sorgen, hätte sich vor dem Herbst 1212 NGZ niemand vorstellen können. Die »Berserker«, wie sie von manchen genannt werden, sorgen mit ihren Auftritten für immensen Ärger- und verfolgen ihre geheimnisvollen Ziele mit gnadenloser Härte. Sie sind die VIERZEHN BERSERKER