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Sunshine Benny »Komm, Kind«, hört Patricia Monroe die Tante neben sich sagen. »Wir müssen einsteigen, sonst fährt der Zug noch ohne uns …« »Bleiben Sie hier, Ladys«, klingt Ben Sunshines Stimme. Er sieht wachsam zu den Stationsgebäuden hinüber. »Gleich wird Cleve Lonestar mit seinen Leuten den Postwagen ausrauben. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Geldtransport für die Bank in Dale City.« Tante Betty sieht Ben Sunshine scharf an. »Gehören Sie vielleicht auch zu dieser Bande?« Er schenkt ihr ein freundliches und sonniges Lächeln. Seine leuchtenden Augen sprühen nur so vor Lebensfreude. »Nein, Madam«, sagt er, »ich bin nur ein einsamer Satteltramp, der friedlich durch die Gegend reitet und den warmen Sonnenschein liebt.« Patricia Monroe beobachtet mit großen Augen die Männer, die nun das Zugpersonal mit Waffen bedrohen und auch die Stationsgebäude bewachen. Aus der Cowboygruppe, die scheinbar aus Neugierde die Ankunft eines Zuges erleben wollte, ist plötzlich eine wachsame Banditen-Mannschaft geworden …
Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe bereits als Band 123 und im Western-Bestseller als Band 767.
Nun beherrschen sie die Station und räumen den Postwagen aus. Zwei Männer, die beide Leinensäckchen in den Händen halten, springen soeben aus dem Wagen. Einer davon ist ein großer, rothaariger Mann. Er scheint das Kommando zu führen, denn er ruft den anderen einige Befehle zu. Dann reicht er die Leinensäckchen weiter und wendet sich um. Einen Moment scheint er zu zögern, dann setzt er sich in Bewegung und nähert sich der Gruppe am Ende der Rampe. »Hallo, Ladys!« ruft er heiser. »Wollen Sie bitte einsteigen, damit ich den Zug abfahren lassen kann. Die verrückten Kerle haben es so eilig, zur nächsten brauchbaren Telegraphenstation zu kommen, daß sie abfahren würden, bevor die Ladys eingestiegen sind.« Während der Worte kommt er immer näher. Er schiebt sich den großen Hut in den Nacken. Patricia sieht in ein langes, hartes und bitteres Gesicht. Ein roter Schnurrbart hängt über die Mundwinkel des Banditen. Die grauen Augen sind scharf, wachsam und hart. Als er stehenbleibt, sieht er sehr aufmerksam auf Ben Sunshine. »Hallo, Sunshine Benny«, murmelt er. »Du bist heute ein Bandit geworden, Cleve Lonestar«, erwidert Sunshine sanft. »Ich würde es nicht auf diese Art machen«, fügt er hinzu. »Ich würde«, ruft Patricia plötzlich zornig, »wenn ich ein Mann mit einem Colt wäre, diesen Banditen festnehmen. Dieses Land ist zu gut und zu herrlich, als daß Banditen in ihm leben dürfen! – Wenn ich ein Mann wäre, so …« Sie hält jäh inne. Ben Sunshine sieht Patricia sanft und freundlich an und scheint ihren Zorn und ihre wilde Verachtung wie einen herrlichen Sonnenaufgang zu genießen. Und Cleve Lonestar grinst seltsam. Er hebt langsam die Hand
und deutet auf Ben Sunshine. »Der da ist ein Mann mit ’nem Colt. Ich kenne beide ganz genau. Wenn er Ihnen den Gefallen täte, Miß, so würde es hart für mich werden. Ich habe keine Chance gegen ihn. Wenn er wollte, so könnte er mich und meine Leute zum Teufel jagen. – Aber er hält sich raus! Sunshine Benny hält sich raus! Er weiß zu gut, daß man mir Unrecht angetan hat und daß ich mich auf meine Art revanchiere. Und weil er ein fairer Bursche ist, hält er sich raus! Nun kommen Sie, Ladys!« Patricia achtet gar nicht auf Cleve Lonestars letzte Aufforderung. Sie wendet sich voll Ben Sunshine zu. »Er sagt, daß Sie, wenn Sie wollten, ihn und seine ganze Bande zum Teufel jagen könnten. – Dann tun Sie es endlich! Es darf nicht sein, daß Züge ausgeraubt werden. Das Land ist zu jung, um Banditen ertragen zu können!« Sie zeigt auf seinen Colt. »Ich sehe an der Art, wie Sie ihn tragen, daß Sie ein Revolvermann sind. – Aber Sie kämpfen wohl nur, wenn man Sie dafür bezahlt? – Nun, ich bin wohlhabend! Kämpfen Sie, und nennen Sie mir dann Ihren Preis! Und geben Sie mir Ihr Gewehr, dann will ich …« Sie tritt schnell an den Rand der Rampe und will sein Gewehr aus dem Sattelschuh zerren. Aber sein Pferd weicht zur Seite. »Verdammt, dann laß ich den Zug eben ohne die Ladys abfahren«, grollt Cleve Lonestar und will sich abwenden. »Wir müssen weg von hier«, murmelt er noch. Da treffen ihn Ben Sunshines sanfte Worte fast körperlich. »Bleib noch, Cleve!« Der wirbelt herum und hat seine Hand am Colt. »Was? Du willst dich doch nicht einmischen?« »Nimm die Hand von der Waffe, Cleve. Ich möchte mich mit dir immer noch freundschaftlich unterhalten.« »Well, Sunshine Benny.«
»Schaff das Geld in den Wagen zurück, und reite mit deinen Leuten ab. – Es lohnt sich nicht für dich, Cleve, daß du wegen ein paar tausend Dollar zum Verbrecher wirst.« »Ich will verdammt sein, wenn ich meine Beute zurückgebe«, keucht Cleve Lonestar. »Ich will dir nicht drohen, denn ich mag dich, Cleve. Und du kennst mich! – Wieviel ist dir mein Wort wert, Cleve?« »Ich kenne dich. Viele kennen dich, aber nur wenige so gut wie ich. Denn mein Sohn war einmal dein Sattelgefährte. Du hast ihn drei Tage durch die Wüste getragen, obwohl du wußtest, daß er sterben würde. Aber du hast jede Chance ausgenutzt, ihn rechtzeitig zum Doc zu schaffen. Es war nicht deine Schuld, daß der Doc gegen den Wundbrand nichts mehr tun konnte. – Und du hast drei Tage kein Wasser getrunken und zu Fuß meinen Jungen geschleppt. Er konnte es mir noch sagen, bevor er starb. – Ich kenne also deine Treue und deine Anständigkeit. Dein Wort gilt mir mehr als hundert Treueschwüre rechtschaffener Männer. – Was soll das aber?« »Wenn du das Geld in den Waggon bringst und mit deinen Leuten abreitest, mache ich deine Sache zu der meinen. Ich mische mich nie ungebeten in anderer Leute Angelegenheiten. Aber wenn man dir damals Unrecht angetan hat, wenn deine Weste weiß ist und wenn du diese Sache hier rückgängig machst, so hast du mein Wort, daß ich für dich mehr tue als für deinen Jungen.« Er sagt es ganz lässig und sanft. Aber seine Augen sprühen und funkeln. Eine wilde Freude leuchtet aus ihnen. Patricia und Tante Betty sehen ihn staunend an. Dann wischt sich Lonestar erregt über das lange Gesicht. »Well«, murmelt er heiser. »Ich habe dich nicht gebeten, Sunshine Benny, für mich deinen Hals zu riskieren. Wahrscheinlich ist die Sache sogar für dich zu höllisch, als daß du etwas erreichen könntest. – Aber ich erkenne deinen guten Willen und deine Fairneß an. Nur deshalb laß ich das Geld
zurückschaffen! Und vergiß dein Versprechen! Mich haben sie nur aus dem County gejagt. Du bist gefährlicher! Dich werden sie hängen, wenn …« »Geschenkt!« unterbricht Sunshine Benny. Dann verbeugt er sich vor Patricia und Tante Betty. Nicht einmal ein Gentleman von besonderer Lebensart könnte sich vollendeter im Sattel verbeugen. »Ich wünsche den Ladys eine gute Reise. – Es ist immerhin möglich, daß wir uns eines Tages wieder begegnen.« »Ich bin Patricia Monroe«, sagt das Mädchen fest und reicht ihm ihre schmale und dennoch feste Hand. »Ah, dann sind Sie die junge Besitzerin der Block-M-Ranch, die vor vier Jahren nach dem Osten ging? Ich habe davon gehört. Ihr Onkel hat Sie zu einer Lady erziehen lassen. – Aber er brauchte Sie zu diesem Zweck nicht nach dem Osten zu schicken. Sie sind auch ohne Bildung eine Lady, Miß Patricia.« Er verbeugt sich noch einmal, zieht dann seinen Schecken herum und reitet zu den Tränktrögen hinüber. Cleve Lonestar ist schon wieder bei seinen Leuten. Er erteilt ein paar Befehle. Als Patricia und Tante Betty in ihr Abteil steigen, wird auch die Beute wieder in den Postwaggon gereicht. Das Zugpersonal steigt erleichtert in den Zug. Die Pfeife der Lok schrillt, und die Räder beginnen sich knirschend zu drehen. Tante Betty sinkt schnaufend auf die Bank. Patricia steht am Fenster. Drüben bei den Tränktrögen steht Sunshine Benny neben seinem Schecken. Er schwingt fröhlich seinen Hut. Und das Mädchen winkt mit dem roten Schal zurück. Dann rattert der Zug über die endlose Weide, den fernen Bergen entgegen. Patricia starrt zum Horizont im Westen, der ganz in der Ferne von welligen Hügeln begrenzt wird. Sie sieht diese Hügel gar nicht, denn sie sieht nur ihre Gedanken – und ein lächelndes
Männergesicht. »Du weißt es vielleicht noch nicht«, sagt die Tante hinter ihr, »daß du dich bereits in ihn verliebt hast.« Sie fährt herum. »Wie kannst du so etwas behaupten? Das ist doch – verzeih, Tante! – närrisch und absurd!« »Ich bin eine alte Frau, Pat. Ich habe beobachtet, wie ihr euch angesehen habt. Ihr konntet einander in die Herzen sehen. Wenn ich jung wäre – und so schön wie du, dann würde ich jeden Tag beten, daß mir auch mal solch ein Knabe über den Weg laufen würde. Er ist ein Gentleman, Pat! – Sunshine Benny nennen sie ihn! Ha, wir waren zu lange im Osten, Mädel! Ich wette, daß er dem Namen nach weit und breit im ganzen Land bekannt ist. Der gehört zu der Sorte, deren Geschichten man sich an den Campfeuern und am Kamin erzählt. – Verdammt, Mädel! Er wird sicherlich nach Dale City kommen. Dann lade ich ihn zum Kaffee ein!« »Du fluchst wie ein Cowboy, Tante«, lächelt Patricia. »Eines Tages werde ich es mir auch angewöhnen. Warum bin ich dann nur in den Osten gegan…« »Still, du Küken! Du solltest die Welt sehen und die sogenannte gute Gesellschaft kennenlernen. Du solltest von dieser Gesellschaft so richtig die Nase voll bekommen. Um so besser wird es dir jetzt auf deiner Ranch gefallen.« »Ja, Tante! Ich freue mich auf die Ranch! Auf die Berge, auf die Pferde, auf Onkel Sam und auf die Boys, die mir vor Jahren Lassowerfen, Schießen und Reiten beigebracht haben.« »Du wirst alle Boys wild machen, Pat. Es wird schlimm werden! Die Jungens sind ja so stolz und selbstbewußt. Sie werden dir Heiratsanträge machen. – Aber ich wette, daß du auf einen ganz bestimmten …« »Hör auf, Tante. Erzähle mir lieber, was du von diesem Cleve Lonestar weißt.« »Gar nichts, mein Kind. Als wir damals nach Osten fuhren, siedelte er sich gerade an. Er war nicht arm. Ich hörte nur noch,
daß er einen guten Start gehabt haben sollte. Mein Bruder Sam hat uns ja nur auf den Scheckabschnitten ein paar Grüße gesandt. Ich werde dem schreibfaulen Knaben die Nase abbeißen, weil er uns so wenig von den Dingen des Countys berichtet hat.« * Fünf Tage später, es ist an einem Nachmittag, kommt Sunshine Benny durch die Hügel und sieht das mächtige Dale Valley zu seinen Füßen. Es ist ein sehr unregelmäßiges Tal, das in vielen weiten Canyons nach Norden zu seine Fortsetzung findet. Hinter den Hügeln liegt Dale City. »Es wird prächtig werden, Speck«, sagt Sunshine Benny zu seinem Schecken. Der Hengst schnaubt, wirft den schönen und wahrhaftig klug aussehenden Kopf hoch und trinkt den warmen Wind, der vom Tal her aufsteigt. Dann schüttelt er sich unter dem Reiter wie ein Hund. Seine wilde Mähne flattert nur so. »Sicher, Speck, sicher. Es wird einige Knaben geben, denen wir wenig willkommen sind. Es wird sich inzwischen herumgesprochen haben, daß ich mit Cleve Lonestar einen Handel abgeschlossen habe. – Man soll sich nicht in fremde Angelegenheiten mischen. Die Lady, dieses herrliche Mädel, hat mich dazu gebracht. Denn ich weiß, daß Philip Mallone das ganze Land schlucken möchte. Und weil er es so will, führen alle Wege zusammen. – Mit Cleve Lonestar hat es begonnen – und mit der Block-M-Ranch wird es noch nicht mal aufhören. Wir sehen uns wieder, Patricia Monroe. – Vorwärts, Speck!« Speck trabt den Hang hinunter. Sunshine Benny schüttelt binnen Sekunden alle Sorgen und Ahnungen ab, schiebt seinen Hut in den Nacken und beginnt zu
summen, zu pfeifen und zu singen. »… und da sattle ich mir mein Pferd! Denn ich muß reiten, Mädel – ich laß mich treiben, Mädel – bei dir war’s schön, sehr schön! Doch ich habe den Ruf der Wildgänse gehört!« * Genau vierundzwanzig Stunden später reitet Sunshine Benny von Süden her in den Ort. Jeder andere Reiter käme nach solch einem langen Ritt müde, verschwitzt, verstaubt und mit einem Stoppelbart in die Stadt. Jeder Reiter müßte in der nächsten Stunde ganz dringend ein Bad nehmen, zum Barbier gehen und sich zumindest ein neues Hemd kaufen. Sunshine Benny ist anders. Wie ein Dandy, wie aus dem Ei gepellt, frisch rasiert, gebadet und mit blankem Lederzeug an sich und an seinem Pferd, so kommt er in die Stadt. Er sieht aus, als wollte er zu einem Fest reiten und käme nicht von einem Sechs-Tage-Ritt herein. Aber das gehört zu seinen Eigenarten. Eine Stunde vor der Stadt hat er eine tiefe Stelle in einem Creek gefunden und dort ausgiebig gebadet und alle Dinge an sich, dem Pferd und der Ausrüstung in Ordnung gebracht. Und es ist auch so, daß er, wenn er in einen Ort reitet, diesen Ort als eine Art Rummelplatz betrachtet – oder als eine Art Gehege, in dem gute, schöne, prächtige, aber auch böse, gefährliche und wilde Tiere leben. Er war drei- oder viermal in dieser Stadt. Und immer hatte er sich ganz bescheiden zurückgehalten und nur die Menschen studiert. Sein Name ist weit über die Grenzen dreier Staaten bekannt.
Es gibt hier in Dale City jedoch nur wenige Menschen, die ihn persönlich kennen. In Dale City ist Sunshine Benny noch nie in Aktion getreten. Die Bank ist in einem Gebäude untergebracht, dessen oberes Stockwerk keine falsche Fassade ist. Während Sunshine Benny vorbeireitet, liest er die Buchstaben über dem Eingang. Dale City Bank Philip Mallone & Co. Als er seinen Blick vom Schild nimmt und auf die Fassade des Baues richtet, sieht er Philip Mallone im offenen Fenster. Mallones langes Pferdegesicht ist unbeweglich. Er sieht regungslos und unbeweglich auf den Reiter hinunter und wippt nur mit der keulenähnlichen Zigarre im Mundwinkel. Sunshine Benny lächelt freundlich hinauf und tippt mit seinem Zeigefinger an den Hutrand. Er weiß, daß Philip Mallone einer der wenigen Menschen in Dale City ist, die ihn nicht nur dem Namen nach kennen. Er sieht, wie der Bankier nur leicht seine Linke hebt und sie gleich wieder müde fallen läßt. Die Straße ist sehr belebt. Dale City ist als Verladebahnhof und Mittelpunkt eines großen Rinderlandes nie eine ruhige Stadt gewesen. Sunshine Benny meint aber, daß heute besonders viel Betrieb in der Stadt ist. Er erreicht den Platz, in den noch zwei kleinere Straßen münden – und sieht in der Mitte dieses Platzes den Ring. Es ist ein von drei Seilsträngen eingezäuntes Viereck auf einer erhöhten Plattform. Daneben steht auf zwei Pfosten ein großes Plakat, Sunshine Benny verhält seinen Pinto und liest:
Großkampftag in Dale City! Im Hauptkampf treffen sich: Tex Hay, der ›Stier von Texas‹, der Mann, der noch nie geschlagen wurde! – Sammy Brown, der ›Killer von Kansas‹, der Mann, der mit John L. Sullivan 57 Runden kämpfte! Der Kampf wird bis zur Entscheidung ausgetragen!« »Oha«, murmelt Benny belustigt, »das ist auch ein Segen der Eisenbahn. Sie bringt nun auch Boxmeister bis in die entferntesten Ecken des Landes. Und ich wette, daß jetzt mehr Wettgelder im Umlauf sind, als Philip Mallone Bargeld in seiner Bank liegen hat. – Und der hat viel Bargeld im Tresor, da er ja auch das Viehgeschäft an sich gerissen hat und seine Viehaufkäufer jeden Tag eine Menge Geld auszahlen müssen. – Ich glaube, ich werde mir diesen Kampf der beiden Schwergewichte ansehen.« Er reitet um die Menge herum, die vor dem Schild steht und über den Kampf diskutiert, biegt in eine breite Hofeinfahrt ein und erreicht den Mietstall. Er versorgt sein Pferd selbst und verlangt das beste Futter vom Stallmann. Als der es bringt, riecht Benny sorgfältig daran. Aber das Heu ist gut – es riecht würzig. Dann nimmt er sein Bündel und geht über den Hof. Als er den Bohlensteig erreicht, muß er nur fünfzig Schritte gehen, um den Eingang der Buffalo-Bar zu erreichen. Er macht noch ein paar Schritte weiter und erreicht den Eingang des dazu gehörenden Hotels. »Wir haben kein Zimmer frei«, brummt der hagere Mann hinter dem Pult. Sunshine Benny lächelt wieder auf seine sonnige Art, die auch so manchem harten Mann das Herz warm macht. Es gibt ein paar Leute, die behaupten steif und fest, daß Bennys Lächeln einen Eisblock schmelzen könnte. Der Hotelmann wäre nicht weich geworden, aber Sunshine
Benny sagt lässig: »Ich bin ein ganz besonderer Freund von Mister Mallone.« »Aha«, sagt der Mann. »Dann bekommen Sie Zimmer Nr. 11. Aber wenn Sie mich angelogen haben, dann …« Er verstummt plötzlich, obwohl er sagen wollte: »… dann werden Sie in Stücke gerissen und mitsamt Ihren Siebensachen auf die Straße geworfen!« Aber er sagt es nicht, denn er sah rein zufällig in Sunshine Bennys Augen. Diese Augen hatten plötzlich nicht mehr den freundlichen, sanften und netten Blick. Der Hotelmann sieht nur zwei Sekunden in diese Augen. Deshalb spricht er nicht seinen begonnenen Satz zu Ende. Er sagt gar nichts mehr, schluckt nur hart und bekämpft das flaue Gefühl in seinem Magen. Erst als Sunshine Benny um die obere Treppenbiegung verschwunden ist, erst dann findet der Hagere seine Sprache wieder. »Verdammt«, murmelt er, »ich dachte erst, er wäre ein eitler Dandy, eben ’n netter, prächtig gewachsener und freundlicher Boy, der viel zu gut aussieht, um ein richtig harter Mann zu sein. Aber ich habe etwas in seinen Augen gesehen, was mir Angst eingejagt hat. – Jetzt glaube ich fast, daß er ein Freund vom Chef ist. – Und er hat sich nicht einmal ins Buch eingetragen. – Was mag der hier wollen? Ob ihn Mallone herbestellt hat, weil …« * »Ich werde ihn schlagen. Ich werde ihn Stück für Stück zertrümmern. Die Wetten stehen haushoch für ihn, aber ich will den Leuten zeigen, was Tex Hay für ein Mann ist. Ich bin der ›Stier von Texas‹! Ich fälle ihn wie einen morschen Baum. Auf diesen Kampf habe ich schon lange gewartet!« Tex Hay wiegt nicht ganz zweihundertdreißig Pfund. Er ist so
stark wie ein Büffel – aber auch nicht viel klüger als ein solcher. Und doch besitzt er die wilden Instinkte eines Büffels. Und die reichen für ihn! Er ist eine muskelbepackte Kampfmaschine mit Instinkten. Er ist gerade der richtige Mann für Ben Miller, seinen Manager. Miller schmettert seine fette Hand auf den Tisch. »Du hattest ja nie viel Verstand, Tex«, schnappt er. »Und Sullivan hat dir in Frisko die letzten drei Gramm Gehirn aus dem Kürbis getrommelt. – Du weißt ganz genau, daß du als Boxer erledigt bist. Du kannst noch eine Weile von deinem Namen zehren, aber in einem Jahr wird kein Mensch mehr über dich sprechen!« Der Boxer duckt sich tiefer zusammen. Wie ein großer Gorilla hockt er in dem großen Sessel. In seinem zerschlagenen Gesicht arbeitet es, seine zerfetzten Ohren werden blutrot. »Chef«, keucht er, »Chef, ich glaube nicht daran, was der Doc in Frisko behauptet hat. Mein Knochen ist gut verheilt. Er wird nicht beim ersten Schlag wieder brechen. Und ich kann meine Rechte ja vorsichtiger einsetzen.« Miller starrt ihn wütend an, so wie ein Wildeber einen Gorilla anstarren würde. Und dann flüstert er heiser: »Der Mittelhandknochen deiner Rechten ist keine drei Cent mehr wert – und du weißt es ganz genau. Du machst dir selber etwas vor. Beim ersten vollen Schlag wird er wieder zu Knochensalat. Und dann macht Sammy Brown Hackfleisch aus dir. Mit der Linken könntest du nicht mal einen Dritt-KlasseMann schlagen. Ohne deine Rechte bist du nichts – gar nichts!« »Verdammt, Chef! Ein Manager muß seinem Schützling doch Selbstvertrauen geben und …« »Wenn du nur die winzige Idee einer Chance gegen Sammy Brown hättest, so würde ich …«, schnaubt Miller. Er bricht ab und winkt nur müde mit der Hand ab.
»Nein, Tex«, brummt er, »du bist erledigt. Du kannst in Zukunft nur noch Arbeit als Rausschmeißer in Bars und Sündenhöhlen finden.« »Chef, warum läßt du mich dann gegen ihn kämpfen? Warum sind wir denn dann überhaupt in diese Stadt gefahren? Warum …« »Du wirst gar nicht kämpfen, Tex«, unterbricht Miller. »Jedenfalls wirst du nicht gegen Sammy Brown kämpfen.« »Aber, aber, da-dann bekommen wir doch keine Kampfbörse, und wir brauchen doch Geld«, stottert Tex Hay. Miller grinst ihn an. »Wir werden hier viel Geld machen, du Idiot. Auch für dich springt eine ganze Menge raus. Vielleicht kannst du davon eine Kneipe aufmachen. Hämmere dir es in deinen blöden Schädel ein: Hier kannst du zum letztenmal in deiner Laufbahn Geld machen!« »Da-das mußt du mir erklären, Chef!« »Ich will es wenigstens versuchen.« Miller trinkt erst einmal einen Schluck Whisky. »Es ist noch nicht bekannt«, beginnt er, »daß deine Rechte nach dem ersten vollen Schlag erledigt sein wird, weil dein Mittelhandknochen wieder brechen wird. Alle Welt hält dich noch für den großen Tex Hay, der noch nie geschlagen wurde. Aber Sammy Brown hat mehr Kämpfe als du. Und er wurde nur von Sullivan geschlagen, dem besten Boxer auf dem Kontinent. Sammy Brown ist bekannter als du. Die Wetten stehen 5:1 für ihn. Ich hätte zum erstenmal nicht auf deinen Sieg gewettet, Tex, obwohl ich dein Manager bin. Mit einer gesunden Hand hättest du ihn wahrscheinlich geschlagen, denn du bist eine Idee härter im Nehmen. Ich will jedoch mehr als nur 5:1 verdienen. Ich will zwanzig Dollar für einen einzigen bekommen. Und für Zehntausend will ich Zweihunderttausend bekommen.« »Ho, ich komme nicht dahinter«, grollt Tex Hay und bewegt seinen runden Kopf, der ohne Hals auf den breiten Schultern
sitzt. »Außerdem haben wir keine zehntausend Dollar«, fügt er hinzu. »Ich bekomme sie. Das heißt: Ein Gentleman wettet für mich, ich hatte vor einer Stunde ein Gespräch mit ihm. Er hat mich auf die Idee gebracht, als ich Kredit von ihm wollte. Und diese Idee ist gut!« »Was für eine Idee, Boß?« »Vor zwei Stunden ist ein besonderer Mann in die Stadt gekommen. Er ist hier nicht gut bekannt, aber seinen Namen haben schon viele Leute gehört.« »Was für ein Name, Chef?« »Sunshine Benny. – Du beginnst mit ihm Streit und läßt dich nach kurzem Kampf von ihm knockout schlagen.« »Ich will verdammt sein, Chef, wenn ich …« »Du wirst es tun, denn sonst kommst du nur als toter Mann aus dieser Stadt – und ich auch«, brummt Miller, und in seinen Schweinsaugen erscheint der Ausdruck von Angst. Tex Hay richtet sich auf. »He, Chef! Wenn meine Rechte auch nicht mehr gut ist – ich traue mir noch zu, einem Dutzend Kerlen heilige Mannesfurcht beizubringen und …« »Halt deinen Mund, du Narr! Hast du schon mal etwas von Revolverleuten gehört? – Nun, es gibt in dieser Stadt ein paar von dieser Sorte. Mein Auftraggeber bezahlt sie. Ein ganz kleiner Zwerg könnte dich mit einem Colt in Stücke schießen. Wir sind in eine wilde Stadt gekommen, Tex! Nun müssen wir sehen, wie wir mit Profit wieder rauskommen.« Der Boxer setzt sich wieder. »Und wenn mich der Kerl – dieser Sunshine Benny – dann knockout geschlagen hat?« fragt er niedergeschmettert. »Dann ist die Geschichte für dich erledigt, und du kannst mit fünftausend Dollar morgen in den Zug steigen.« »Und was bekommst du, Chef?« »Die Hälfte vom Wettgewinn!« »Dann werde ich also betrogen«, schnauft Tex Hay, dessen
Gedanken stumpf und langsam arbeiten. »Fünftausend Dollar und dein Leben«, murmelt Miller, »ist das nichts?« * Sunshine Benny trinkt sein Glas verdünnten Whisky aus und will sich von der langen Bar entfernen, da tritt ein Mann neben ihn und drängt ihn hart zur Seite. Benny bleibt stehen, wendet sich wieder um und tippt dem dicken Mann, der sich schon auf den Schanktisch lehnt, sanft auf die Schulter. Der Mann wendet sich halb um. »Was ist?« »Wenn ich jemanden anremple, entschuldige ich mich höflich«, lächelt Benny sanft. »Und weil ich so bin, so verlange ich diese Höflichkeit auch von meinen Mitmenschen. Klar, Mister?« »Ach, bleiben Sie mir mit Ihrem Quatsch vom Leibe«, grunzt Miller, der Boxmanager, denn dieser ist der Anrempler. Er dreht Benny den Rücken und verlangt vom Barmann einen doppelten Whisky. Es sind natürlich noch mehr Gäste an der Bar und im Schankraum. Und sie alle erkennen in Miller den Manager des berühmten Preisboxers Tex Hay, den man den »Stier von Texas« nennt. Der kleine Streit hat bereits einige Aufmerksamkeit erregt. Einige Gäste stoßen überraschte Rufe aus, als Sunshine Benny die Hand hebt, an Millers dickes Ohrläppchen greift und den dicken Mann daran herumzerrt. Miller flucht laut und schlägt nach Benny, trifft diesen jedoch nicht, da Benny gedankenschnell seinen Kopf wegnimmt. Dabei stößt er Miller hart vor die Brust und gegen den Schanktisch. Miller schnappt nach Luft und brüllt kreischend
einen Namen heraus. »Tex! Tex!« Wie auf Kommando kommt Antwort: »Hoii, Chef?« Im selben Moment weiß Sunshine Benny, daß dies alles kein Zufall ist, sondern daß er hereingelegt werden soll. Er läßt Miller los, wendet sich um und sieht Tex Hay, der langsam aus dem Speisesaal kommt. Hays Stimme hat sofort sämtliche Köpfe herumfahren lassen. Die meisten Leute erkennen ihn sofort, denn er weilt seit zwei Tagen in Dale City. Es gehört zu seinem Geschäft, daß er sich von Zeit zu Zeit der Menge zeigt, um sich begutachten zu lassen. Er hat gestern auch schon einige Ketten zerrissen und ein paar Hufeisen gebogen. Man macht ihm sofort Platz. Er kommt langsam durch den großen Raum und bleibt vor Sunshine Benny stehen. »Cowboy«, sagt er gurgelnd, »du hast dir den falschen Mann ausgesucht. Das ist mein Manager – und ich bin Tex Hay, der Stier von Texas!« Es ist ganz still im Raum. Jeder will die Antwort des großen Cowboys hören, dessen Lächeln so sonnig und freundlich ist. »Sicher«, lächelt Benny auch sofort, »als ich deinen zerschlagenen Kohlkopf sah, da dachte ich mir sofort, daß du einer von den beiden Schlächtergesellen sein müßtest, die sich heute abend gegenseitig bearbeiten wollen.« »Er hat mich am Ohr gezogen und gegen die Brust gestoßen«, geifert Miller. »Gib ihm ’ne Abreibung, Tex!« Nun bringen sich die Gäste eilig außer Reichweite. Und Tex Hay holt mit der flachen Hand aus, um Benny eine Maulschelle zu geben. Aber die Hand trifft ins Leere. Dafür bekommt Tex Hay eine Wucht in den Magen, daß er sich leicht verbeugt. Dabei schlägt er eine kurze Linke auf Bennys Leber und eine Rechte auf dessen kurze Rippe. Er legt nicht allzuviel Wucht in die Schläge und befürchtet sogar schon, daß es bereits zu viel für
den Mann wäre. Aber als seine Fäuste treffen, weil Benny nicht ausweichen kann, da er noch zu dicht vor Miller und seitlich des Schanktisches steht, spürt er, wie seine Fäuste federnde Muskeln treffen. Bevor er sich über diese Erkenntnis wundern kann, taucht Benny vor ihm weg. Und dann bekommt Tex Hay eine höllisch harte Sache auf die Kinnbacke. Er schnaubt erstaunt, wackelt mit dem runden Schädel und macht sich an die Arbeit. Ich werde ihn ein wenig verprügeln, denkt er dumpf, und ihm dann eine Chance geben, mich umzulegen. Es scheint ja ein harter Knabe zu sein – wie der erste Blick doch manchmal täuschen kann. Das denkt Tex Hay, indes er sich langsam dreht, weil Benny leichtfüßig um ihn herumtänzelt. Hay geht nun mit langen Schritten an den Gegner heran und schlägt ein paar mächtige Schwinger – in die Luft. Sunshine Benny ist kein Boxer von Beruf. Aber er ist ein Athlet. Wäre er unbekleidet, so könnte es jeder sehen. Und es ist ein sicherer Instinkt, der Benny auf eine Art kämpfen läßt, wie sie im Boxsport dieser Zeit noch gar nicht üblich ist. Sunshine Benny ist Boxer aus Instinkt. Tex Hay, der sich für einen Klasseboxer hält und der gut fünfzig Pfund schwerer als Benny ist, bekommt es zu spüren. Er wird klassisch gekontert, läuft in ein paar Doubletten und muß einen Aufwärtshaken nehmen, der ihm fast den runden Kopf von den Schultern reißt. Es ist einfach ungeheuerlich. Ein bekannter und berühmter Preisboxer wird von einem Cowboy verprügelt! Die Zuschauer, die sich an die Wände des Raumes drücken und den Kämpfern Stühle und Tische aus dem Weg ziehen, halten ihren Atem an und wundern sich wie Leute, die auf einer grünen Sommerwiese einen Schneemann sehen.
Und indes sie sich wundern und die ganze Szene gar nicht fassen können, wird Tex Hay geschlagen, ohne selbst einmal richtig voll landen zu können. Es ist, als würde er gegen einen schnellen Schatten kämpfen. Benny ist zu schnell für ihn. Noch einmal schlägt Hay zu. Es sollte ein Tiefschlag werden. Sunshine Benny gleitet wie der Schatten einer fliegenden Schwalbe zur Seite. Und Tex Hays Rechte kracht gegen den schweren MahagoniSchanktisch. Als er den gemeinen Schmerz spürt, da weiß er, daß die Knochen wieder gebrochen sind. Der Doktor in Frisko hat nicht gelogen. Dann bekommt Hay einen schmetternden Schlag unter das Kinn. Er wankt auf den Absätzen einige Schritte rückwärts und setzt sich dann auf den Boden. Dort bleibt er sitzen. Früher hätte er noch zehnmal die Energie zum Aufstehen gehabt und hätte noch weiter gekämpft, wenn es bedeutend schlimmer und härter geworden wäre. Aber er hat die Nerven verloren. Er ist zerbrochen – seelisch zerbrochen. Er will nicht mehr. Und er soll ja auch gar nicht mehr. Er bleibt mit schwankendem Oberkörper sitzen und bewegt nur dumm seinen gesenkten Kopf. Er wirkt wie ein Betrunkener, der sich müde darüber wundert, daß er nicht mehr auf die Beine kommen kann. Er hört auch nicht das Gebrüll der Zuschauer, dieses wilde Geschrei, mit dem sich alle Luft machen. Er fühlt nur, wie man ihm auf die Beine hilft. Als er wieder einigermaßen denken kann und den gemeinen Schmerz der gebrochenen Hand spürt, da findet er sich in seinem Zimmer auf dem Bett vor. Er weiß noch nicht, wer ihn heraufgeschleppt hat. Aber als er sich aufsetzt und die schmerzende Hand unter den linken Arm quetscht, da sieht er Miller neben sich stehen.
Neben Miller steht Sunshine Benny. Dessen Atem geht noch ziemlich schwer, aber sein Gesicht ist nicht einmal gezeichnet. Tex Hay erinnert sich dumpf daran, daß er dieses Gesicht immer wieder treffen wollte und ihm dies nicht gelungen ist. »Ich bin erledigt«, murmelt er heiser und undeutlich. Die Tür fliegt auf. Der Doktor kommt herein. Und mit dem Doc erscheinen ein paar harte Männer, die einen Colt in jeder Hand haben. Drei oder vier Mündungen richten sich auf Benny. Er ist kein Narr. Er hebt seine Hände. Und er lächelt wieder sanft und sonnig, als ihm Miller den Colt aus der Halfter zieht. »Du langbeiniger Hundefloh«, grunzt Miller giftig, »du hast meinen Mann zertrümmert. Tex Hay kann heute abend nicht kämpfen. Ich verliere ’ne Menge Geld. Und du wirst mir den Schaden ersetzen müssen!« Sunshine Benny achtet gar nicht auf den dicken Manager – er sieht sich die drei Revolverleute an. »Euch nette Knaben sollte ich doch kennen«, murmelt er sanft. »Und ihr solltet mich kennen, Jungens.« Sein Lächeln ist wieder so linde wie Fliederduft und so warm wie Sonnenschein. Und doch verbirgt sich eine Drohung hinter den letzten Worten. »Wir kennen dich, Bruderherz«, grinst der flachsköpfige Dick Shane hart. Shane ist ein Mann aus Nevada, der schon in anderen Staaten viel Wirbel gemacht hatte und nun für einige Zeit in Dale City seine Zelte aufgeschlagen hat. »Wir kennen dich, Sunshine Benny«, wiederholt er kalt. »Dein Schatten ist in den letzten Jahren recht groß geworden. Aber heute haben wir keine Bange vor dir – heute nicht.« Er richtet seine Coltmündung auf Bennys Magen. »Nein«, lächelt Benny, »ihr habt heute keine Bange. Gemeinsam seid ihr ja auch ein prächtiger Verein. Das Krummbein neben dir sieht aus wie Montana-Conny.«
»Ich bin es, Benny«, grinste der ledergesichtige Wurzelzwerg, der noch vor einem Jahr in Montana eine berüchtigte Rustlerbande führte und dann von einem halben Dutzend Aufgeboten durch ganz Wyoming südwärts gejagt wurde. »Ich habe viele Geschichten über dich gehört, Benny«, fügt er hinzu. »Aber wenn ich dich jetzt so stehen sehe, so muß ich sagen, daß du eigentlich ziemlich harmlos aussiehst.« »Das macht die Umgebung, Conny«, lächelt Benny freundlich und richtet seinen sanften Blick auf den dritten Mann. Der sieht wie ein Indianer aus; so dunkel und sehnig ist er. Aber Ray Chance ist kein Indianer. Er kommt aus New Mexico. Er trägt seine Revolverhalfter im Kreuzgurt und muß deshalb auch im Kreuzgriff ziehen. Jetzt braucht er es nicht, denn er hält beide Kanonen in den Fäusten. Benny wirft einen kurzen Blick auf die gut gefetteten Lederhalfter, die auf des Mannes lange Oberschenkel festgebunden sind. »Ray Chance soll seine Eisen auf diese Art tragen, und er soll auch zur Zeit in diesem Land weilen«, murmelt Benny, der wirklich über viele geheime Dinge stets bestens informiert ist. »Ich bin es«, grinst Chance. »Und nun wirst du dir sicherlich inzwischen klargemacht haben, daß du gegen drei solch prächtige Fellows keine Chance hast. Du könntest sicherlich jeden von uns einzeln mit Pfeffer und Salz zum Frühstück verputzen – aber wir sind nun Drillinge geworden und …« »Yeah, Chance«, lächelt Benny, »ich habe wirklich keine Chance gegen euch drei prächtige Schießer. Ihr werdet Philip Mallone eine höllische Stange Geld kosten. Es ist ja nicht billig, gleich drei von eurer Sorte zu importieren. – Na, Brüderchen, was soll’s denn sein?« »Halt dein …«, zischt Dick Shane. Aber er kommt nicht weiter, denn auf der Treppe und im Korridor wird es jetzt laut.
Einige Paar Männerstiefel poltern. Flüche, Gebrüll, Gemurmel und all die Geräusche, die eine Menge verursacht, die sich gegenseitig behindert und zugleich vorwärtsdrängt. Und dann sind sie vor der offenen Tür und werden still. Die drei Revolvermänner stecken ihre Waffen weg. Auch Miller, der sich Bennys Colt geangelt hatte, tritt ans Fenster zurück und verbirgt die Waffe unter der Jacke. Drei Männer kommen herein. Der erste Mann trägt einen Marshalstern auf der geblümten Weste. Er ist ein viereckiger Mann, der etwas zu fleischig geworden ist. Aber sein Mund ist fest, und seine grauen Augen sind ruhig und offen. Er besitzt den festen Blick eines selbstbewußten Mannes, der sich immer noch zutraut, für sich selbst sorgen zu können. Er nickt Benny kurz zu und bleibt vor ihm stehen. Benny sieht über die Schulter des Marshals und sieht den Bürgermeister Jos Right, der sich nicht besonders wohl unter seiner gelben Pergamenthaut zu fühlen scheint. Und hinter Right kommt Philip Mallone herein. Er grinst wie ein wiehernder Hengst und wirft einen forschenden Blick auf die drei Revolverleute, dann einen auf Miller und einen dritten auf Tex Hay, der dumm und stur auf dem Stuhl sitzt und offensichtlich nicht viel von der ganzen Sache begreift. Erst dann richtet der Bankier und Viehaufkäufer seine harten Augen auf Benny. Und Benny gibt diesen karten Blick voll zurück. Dann muß er seine Aufmerksamkeit dem Marshal schenken, denn dieser tippt ihm sanft auf die Brust und beginnt ruhig zu reden: »Sie sind Sunshine Benny?« »Mein Name ist Ben Sunshine. Wollen Sie mich verhaften, Marshal, weil ich einen Preisboxer verprügelt habe?« »Ich habe nichts gegen Sie, Mann«, brummt der Marshal sauer. »Sie sind zwar in diesem Lande so etwas wie ein Fregattvogel, aber Ihr Name hat einen guten Klang. Vielleicht
ist er einigen Leuten zu gut, Sunshine! Na, jedenfalls sitzen Sie mächtig in der Patsche – und wenn ich Ihnen helfe, stelle ich mich gegen den Willen des Volkes und bin erledigt. Überdies ist es nicht unfair, was man von Ihnen verlangt, Sunshine.« »Was soll es sein?« fragt Benny freundlich und verschränkt seine Arme über der Brust. Marshal Kay Blyde schiebt sich seinen steifen Hut in den Nacken, zeigt ein Stück Glatze und hängt seine Daumen in die oberen Westentaschen. »Mehr als tausend Menschen sind in der Stadt«, sagt er rauh. »Und mit jeder Minute kommen mehr herein – zu Pferd, mit Wagen und auch zu Fuß. Noch nie kamen so viele Menschen nach Dale City. In einer Viertelstunde trifft außerdem noch ein Sonderzug ein. Manche Leute sind hundert oder gar zweihundert Meilen geritten oder gefahren. – Diese Stadt wird so voll wie ein Topf quellender Reis. – Wissen Sie auch warum, Sunshine?« Benny lächelt und nickt. »Der große Boxkampf«, sagt er. »Richtig!« schnappt Kay Blyde. »Und Sie haben den Stier von Texas kampfunfähig gemacht. Was meinen Sie, Sunshine, was in dieser Stadt passiert, wenn …« »Ich weiß, Marshal«, winkt Benny ab. »Es sind einige Dutzend wilde Treiber- und Cowboymannschaften im Ort. Und sie werden Dale City auseinandernehmen, wenn sie keinen Boxkampf sehen.« »Noch mehr, Sunshine: Man wird Sie voller Wut lynchen. Sie haben Tausende von Menschen um einen Spaß gebracht. Und es sind mehr als eine Million Dollar als Wettgelder eingezahlt worden. Schon allein die Leute der Buchmacher werden …« »Ich weiß Bescheid«, lächelt Benny. »Das ganze County will einen Kampf sehen. Und wenn der Kampf nicht stattfindet, so bricht die Hölle los!«
Er lacht leise, als ginge es ihn gar nichts an. Aber seine blauen Augen richten sich dabei auf Philip Mallone. »Das haben Sie gut eingefädelt, Mallone«, ruft er ihm freundlich zu. Der Bankier richtet sich auf, will etwas sagen, doch da meldet sich der Doktor aus der Ecke. Der Arzt hatte sich nämlich inzwischen längst um Tex Hays verletzte Hand gekümmert. Bevor jemand es verhindern konnte, ruft der Doc nun: »Es wäre kein fairer Kampf geworden. Tex Hay hätte nicht mehr Chancen gegen Sammy Brown gehabt als ein Dackel gegen einen Wolf! Was ist das nur für eine Schufterei! Miller, wie konnten Sie für diesen Mann überhaupt einen Kampf abschließen?« Alle Augen richteten sich auf den Doktor. Der läßt sich nicht lange bitten. »Hay hat sich den Mittelhandknochen gebrochen – er hätte ihn auch gegen Sammy Brown beim ersten vollen Schlag gebrochen. Es war ein schlecht verheilter Bruch, der immer wieder gebrochen wäre. Als Tex Hay gegen Sunshine boxte, war er als Boxer keine drei Cent wert.« Der Arzt ruft es ziemlich wütend, denn er gehört zu den wenigen Leuten, die auf Tex Hay gewettet hatten. Nun richten sich alle Augen auf Miller. Der tut ganz verblüfft und erstaunt. »Das habe ich doch nicht gewußt! Der Arzt in Frisko sagte uns, daß der Bruch wieder gut verheilt wäre und Tex mit der Faust einen Felsblock zertrümmern könnte.« Bevor ein weiteres Gespräch über diesen Fall entstehen kann, mischt sich der Bürgermeister ein. »Deshalb muß aber dennoch ein Kampf stattfinden!« ruft er nervös. Seine flackernden Augen irren zwischen Benny und Mallone hin und her. Plötzlich tritt er vor, schiebt den Marshal zur Seite und legt den Kopf zurück, um besser in Bennys
Gesicht sehen zu können. »Sunshine«, sagt er. »Unten und überall in und vor dem Haus stehen ein paar hundert Leute, die Sie um eine Menge Freude gebracht haben. Sie haben Tex Hay geschlagen. Nun müssen Sie an seine Stelle treten. Der Kampf muß stattfinden! – Sie, Sunshine, müssen gegen Sammy Brown kämpfen, sonst bricht die Hölle los!« »Ich bin aber nur ein Cowboy und kein Preisboxer.« Benny lächelt wieder auf seine freundliche und sonnige Art, als unterhielte er Sich über belanglose Dinge. Der Bürgermeister wirft einen unruhigen Blick über seine schiefe Schulter auf Mallone. Dann wendet er sich wieder an Benny. »Diese Stadt wird aussehen wie nach einem Indianerüberfall. Aber wenn Sie kämpfen, wird alles gut werden. Ihr Name ist in vielen Staaten bekannt. Sie haben ein paar Dinge vollbracht, deren Geschichten man sich in den Bars und an den Campfeuern erzählt. – Und eine Menge Leute haben gesehen, wie Sie Tex Hay zusammenschlugen. – Natürlich haben Sie gegen Sammy Brown keine Chance, denn wie der Doc eben sagte, war Hay keine drei Cent mehr als Boxer wert. Aber das weiß ja die Menge nicht! Sie will den Kampf sehen. Und wenn sie weiß, daß Tex Hays Bezwinger gegen Brown antritt, so wird sie sich damit zufriedengeben. Kämpfen Sie, Sunshine! Halten Sie wenigstens ein paar Runden durch. Mehr hätte Hay ja wohl auch mit seiner Hand nicht durchhalten können. Aber dann ist die unruhige und schon sehr böse Menge beruhigt. – Wenn Sie nicht kämpfen, Sunshine, dann garantiere ich für nichts! – Wenn wir Sie jetzt verlassen und hinuntergehen, so wird man uns unten fragen. – Wenn wir Ihre Absage bringen, so wird die Menge wild. Sie wird dieses Hotel abreißen, Sie erwischen und …« »Ich kämpfe!« schneidet Sunshine Benny dem Bürgermeister die weiteren Worte ab. Dabei richtet er seinen Blick fest auf
Mallone. In seinen blauen Augen ist keine Sanftheit mehr – wenigstens für eine Sekunde lang nicht mehr. Es ist ein wildes und hartes Leuchten. »Ich kämpfe«, murmelt er noch einmal. Und keiner der Anwesenden begreift, daß diese Worte Mallone gelten. Mallone grinst wieder hinterhältig. Er verläßt als erster den Raum. Schon auf dem Korridor fragen viele erregte Stimmen. »Ja doch! Er kämpft gegen Sammy Brown!« hört man Mallones Stimme rufen. Der Bürgermeister verschwindet ebenfalls mit erleichtertem Aufatmen, Der Doktor macht sich immer noch an Tex Hays Hand zu schaffen. Miller steht am Fenster. Der Marshal setzt sich schnaufend in einen Sessel. Er sieht die drei Revolvermänner an. »Was wollt ihr denn hier?« »Wir sorgen dafür, daß Sunshine auch pünktlich zum Kampf antritt«, grinst Dick Shane hart. Kay Blyde betrachtet und studiert ihn nachdenklich – und dann auch die beiden anderen, die lächelnd neben der Tür an der Wand lehnen. Man kann dem Marshal ansehen, daß er gründlich und sorgfältig nachdenkt. Aber er sagt nichts. Er holt seine zerdrückte Zigarre hervor und setzt sie in Brand. Der Doktor knurrt: »Sie müssen in meine Praxis kommen, Hay. Ich muß einen Gipsverband anlegen.« Hay erhebt sich. Miller folgt ihm. »Er hat meinen Colt unter der Jacke, Marshal«, sagt Benny sanft. »Nehmen Sie bitte meinen Colt in Verwahrung, Marshal.« »Sicher«, nickt der und ruft Miller zu: »He, geben Sie mir Sunshines Colt.« Miller wendet sich hastig um, gibt ihm die Waffe und folgt eilig dem Doktor und Tex Hay. Der Marshal besieht sich die Waffe aufmerksam. Dann
richtet er die Mündung plötzlich auf die drei Revolvermänner. »Raus!« sagt er. »Raus, ihr schnellen Wölfe! Ich weiß noch nicht, für wen ihr in meiner Stadt arbeitet. Aber ich werde es bald wissen. Dies hier ist ein Zimmer für Gentlemen. Und Sunshine und ich, wir beide sind Gentlemen!« Die drei Kerle spannen sich. Sie sagen kein Wort, aber sie ersticken fast an ihrer Wut. Was sie auch vorgehabt haben, sie geben es auf. Denn sie haben sich vom Marshal reinlegen lassen. Aber als sie gehen, zischt Dick Shane über die Schulter: »Passen Sie auf sich auf, Marshal!« Dann schließt sich die Tür. Sunshine Benny geht zum Bett, zieht sich die Stiefel aus und legt sich lang. »Wann beginnt der Kampf, Marshal?« fragt er und starrt zur Zimmerdecke. Der Marshal holt eine billige Nickeluhr hervor. »Knapp zwei Stunden. – He, Sunshine. Heraus mit der Sprache! Hier ist doch ein besonderes Spiel im Gange?« »Yeah, Marshal! Jemand macht sich viel Mühe mit mir.« »Wenn ich Ihr Feind wäre – und wenn ich wüßte, daß Sie mir an den Kragen wollten – und wenn ich kein Gentleman wäre, so würde ich mir auch viel Mühe machen«, brummt der Marshal. »Denn Sie, Sunshine Benny, Sie sind ’ne ganz besondere Nummer. He, wie war es denn, als Sie die CrowtonBande erledigten, bloß deshalb, weil die Kerle einem Ihrer Freunde die Pferde aus den Corrals gestohlen hatten? Erzählen Sie mir mal …« Er bricht ab, denn Sunshine Benny ist eingeschlafen. »Verdammt«, murmelt der Marshal, »er ist eingeschlafen. Und ich wollte mich mit ihm unterhalten, damit er nicht an den Kampf denkt und nicht schon vorher nervös wird. Oha, der hat Nerven!«
* Der Ring steht mitten auf dem Platz. Die Fenster und Dächer der Häuser rings um den Platz sind voller Menschen. Große Karbidlampen mit vernickelten Kesseln schwanken im leichten Abendwind und verbreiten weißliches Licht. Eine dichte Menge drängt sich hinter den Sitzbänken. Und hinter der stehenden Menge sind an die hundert Wagen aufgefahren, die als Tribünen benutzt werden und auf denen sich dicke Menschentrauben drängen. Es sind gut und gern fünfzehnhundert Menschen versammelt – viel mehr leben nicht im County. Sunshine Benny ist mit einer engen Hose bekleidet und trägt an den Füßen schmiegsame Mokassins. Sein Oberkörper ist nackt. Ruhig steht er am Fenster seines Hotelzimmers und sieht auf den Platz und die vielköpfige Menge hinunter. Unten wenden und heben sich viele Gesichter. Ein paar hundert Augenpaare richten sich auf ihn. Geschrei! Man ruft seinen Namen, schwenkt die Hüte und pfeift. Er tritt zurück. »Yeah«, sagt er. »Es sind mindestens hundert wilde Burschen darunter, die mich in Stücke gerissen hätten, wenn ich mich geweigert hätte.« Er dehnt seinen prächtigen Körper. Marshal Kay Blyde, der jetzt auf dem Bett sitzt und an der erloschenen Zigarre kaut, staunt schon eine ganze Weile. »Sunshine«, sagt er hingerissen, »wenn man Sie im Anzug sieht, so täuscht man sich gewaltig. Was wiegen Sie, Benny?« »Knapp hundertachtzig Pfund, Blyde.« »Oha, und dabei keine Unze Fett oder faules Fleisch. Alles prächtige Muskeln – wohlgeformt und ausgebildet. Sie sind ein makelloser Athlet.« »Ich bin ein fauler Bursche.« Benny lächelt sanft. »Ich
bewege mich nur, wenn ich daran Spaß habe oder eine Arbeit hinter mich bringen muß. Ich habe es geerbt. Ich bin so geboren, und alles ist rein zufällig so gewachsen.« »Eine Million Männer würden Sie beneiden.« »Möglich.« Der Marshal wischt sich über das Gesicht. »Junger Mann«, sagt er, »ich werde auf Sie all mein Geld setzen. Und ich werde gewinnen. Und was ich noch sagen wollte: Ich war dafür, daß Sie mit Sammy Brown kämpfen sollten, weil ich der Meinung war, daß es besser ist, Sie werden zusammengeschlagen, als daß in dieser Stadt die Hölle losbricht. Mir sind aber in der Zwischenzeit ein paar Dinge aufgefallen. Benny, Sie gefallen mir! Und wenn ich eine Chance habe, Ihnen helfen zu können, so will ich es mit Freuden tun. Ich bin mir nämlich darin sicher, daß Sie nur für eine saubere Sache Ihre Haut zu Markte tragen. Und jetzt frage ich Sie: Warum sind Sie nach Dale City gekommen? Warum waren diese drei Revolverleute hier im Zimmer? Und warum …« »Zu viele Fragen, Marshal. Aber ich werde Ihnen eine davon beantworten: Ich bin nach Dale City gekommen, um mich um die Angelegenheiten eines Bekannten zu kümmern. Es gibt ein oder zwei Leute hier, die es nicht zulassen wollen, daß ich in der Vergangenheit herumstochere. Diese Leute fürchten und hassen mich wie die Hölle. Sie wollen es elegant machen. – Tex Hay ist dümmer als ein Ochse. Der Streit mit ihm war gewollt. Er hat zuerst gar nicht fest zugeschlagen. Ich wette, daß es so gedacht war, daß ich ihn besiegen sollte.« »Und dann?« fragt der Marshal grimmig. »Man hat eine Menge Leute aufgewiegelt. Wenn ich nicht mit Sammy Brown in den Ring steigen würde, so käme man mich holen und würde mich lynchen. Es hätte dann keine Leute gegeben, an die sich meine Freunde hätten halten können. – Und ein Mann allein, ich meine einen Revolvermann, der hätte
gegen mich keine Chance. – Ich sollte auf diese Art erledigt werden.« Der Marshal verdaut Bennys Behauptungen. »Nun«, murmelt er langsam, »nun kämpfen Sie aber! Also …« »Vielleicht soll mich Sammy Brown zusammenschlagen«, unterbricht Benny ihn. »Ja, vielleicht soll mich dieser Klotz so zertrümmern, daß ich in Zukunft auch keine drei Cent mehr wert bin. Oder vielleicht ist noch ein anderer Trick dabei. – Na, jedenfalls muß ich erst einmal in den Ring. – Marshal, wenn es für mich schlimm werden sollte, so sorgen Sie bitte für mein Pferd.« »Ich werde noch mehr tun – ich werde mir ein paar vernünftige Männer zusammenholen.« Das Gespräch muß nun unterbrochen werden, denn draußen brüllt die Menge nun mächtig auf. Es ist ein gewaltiger Lärm. Und immer wieder wird ein Name gerufen. »Ah, sie feiern Sammy Brown schon und heißen ihn willkommen.« Benny wirft einen Blick aus dem Fenster. »Er klettert in den Ring. – Ich muß mich von Ihnen verabschieden, Marshal.« * Gegen Sammy Brown, der in der anderen Ecke steht, wirkt Benny natürlich schmal und fast zu schlank. Aber jeder der Zuschauer sieht, daß Benny ein prächtiger Athlet ist. – Immerhin gehört er mit seinen hundertachtzig Pfund schon in die Schwergewichtsklasse, die mit neunundsiebzig Kilogramm beginnt. Aber die hundertachtzig Pfund sieht man ihm nicht an, weil er so prächtig gebaut ist. Man schätzt ihn höchstens auf hundertsiebzig und in Kleidern auf hundertsechzig Pfund. Ein dicker Mann ist Ringrichter. Punktrichter gibt es nicht,
denn der Kampf geht bis zur Entscheidung. Benny setzt sich bescheiden auf den Stuhl und sieht zur anderen Ecke hinüber. Dort steht Sammy Brown, der Killer von Kansas. Sammy Brown ist nicht größer als er. Und dennoch wiegt er gut fünfzig Pfund mehr. Er ist viereckig gebaut, gar nicht einmal fleischig oder fett, sondern knochig und sehr muskulös. Als der Ringrichter Brown zur Mitte winkt und ihn noch einmal offiziell vorstellt, brüllt die Menschenmenge gewaltig auf. Es ist das Brüllen einer Menge, die einen harten Kampf sehen möchte. Die Hälfte aller Leute hat weite Reisen hinter sich, und fast alle Zuschauer haben gewettet. Dann muß Benny in die Ringmitte. »Sunshine Benny! Der Mann, der Tex Hay geschlagen hat und der fair genug war, daraufhin an Tex Hays Stelle einzuspringen, um die Ladys und Gentlemen nicht um den Genuß des Kampfes zu bringen! Ladys und Gentlemen! Es wird mir wohl keiner widersprechen, wenn ich behaupte, daß ein Mann, der Tex Hay von den Beinen geschlagen hat, auch für Sammy Brown gut genug ist und eine einwandfreie Chance hat!« Der Ansager brüllt diese Rede durch einen Sprachtrichter. Und nun jubelt die Menge wieder. Viele jubeln aber nur, weil sie den Mut des Mannes anerkennen. Die Vorstellung ist beendet. Die Kämpfer gehen in ihre Ecken. Und dann ertönt der Gong, der sonst immer im Speisesaal des Hotels der Buffalo-Bar zum Essen ruft. Langsam kommt Sammy Brown aus seiner Ecke. Auch er gehört noch nicht zu der leichtfüßigen und beweglichen Sorte von Boxern, die bald den neuen Kampfstil einführen werden und sich damit die Ringe der Welt erobern. Sammy Brown steht fest auf beiden Beinen. Er wird den Schlägen des Gegners
kaum ausweichen, wird sie hinnehmen wie eine unvermeidliche Sache. Aber er wird gewaltig zurückschlagen. Er hat seine Kämpfe stets dadurch gewonnen, daß er mehr als der andere Mann vertragen und härter und vernichtender schlagen konnte. Benny weicht zurück, gleitend, tänzelnd, sehr leichtfüßig und mit dem Oberkörper pendelnd. Und dann springt er den Gegner an. Sammy Browns Rechte radiert nur über seine Kopfhaare. Bennys Faust trifft die Magenpartie. Er hört Brown überrascht stöhnen, duckt dessen linken Schwinger ab, so daß die mächtige Faust über sein Genick reibt, blockiert instinktsicher die Rechte und reißt einen Aufwärtshaken nach oben. Er legt alles, aber auch alles in diesen Aufwärtshaken, seine ganze Kraft und sein ganzes Gewicht. Und als er das breite Kinn trifft, hat er einen Moment das Gefühl, als hätte er sich den ganzen Arm gebrochen. Der Schmerz reicht bis zum Schulterblatt. Wenn er gegen einen Felsklotz geschlagen hätte, könnte es nicht anders sein. Und Sammy Brown schüttelt nur den Schädel, weicht einen halben Schritt zurück, schwankt etwas und kommt erst mehr ins Wanken, als Benny wieder an ihn heranspringt und die Linke auf sein Ohr und noch einmal die Rechte gegen die Magenpartie schmettert. Ja, da taumelt Sammy Brown! Aber er schlägt dabei beidhändig. Seine Rechte trifft Bennys linke Kopfseite. Benny wird wie von einem Pferdetritt zur Seite geworfen. Er fällt gegen die Seile, wird zurückgeschleudert und bekommt Browns Faust nochmals wie einen Huftritt auf die Rippen geschmettert. Als er wieder klar denken kann, da merkt er, daß er auf dem Boden kniet und sich auf die Arme stützt. Und er hört wie aus weiter Ferne den Ringrichter zählen. Ich werde diesen Klotz niemals von den Beinen bringen,
denkt er dumpf und wundert sich, warum sein Gehirn so schwer arbeitet. Als er sich aufstemmt und zur Seite taumelt, da hört er den vielstimmigen Aufschrei der Zuschauer. Browns Rechte zischt an seiner Nasenspitze vorbei, die Linke fängt er mit der hochgezogenen Schulter auf. Aber dieser Stoß läßt ihn zurücktaumeln. Er fällt wieder gegen die Seile. Diesmal ist es sein Glück. Als ihn die Seile zurückschleudern, taucht er seitlich unter Browns Schwinger weg, hat plötzlich wieder klaren Kopf und fühlt sich sicherer auf den Füßen. Brown wendet sich ziemlich langsam. Bevor er seine beiden Dampfhämmer auf die Reise schicken kann, trifft ihn Benny einmal und noch einmal. Benny legt die Verzweiflung eines Mannes in diese Schläge, der sich vor einer unlösbaren Aufgabe sieht und dennoch nicht aufgeben will. Er trifft auf Herzspitze und Leber. Dann springt er leichtfüßig zurück. Sammy Brown, der sich knurrend auf ihn werfen wollte, fällt ins Leere. Er kracht auf die Bretter, richtet sich jedoch sofort wieder auf. Es wird allen Zuschauern und auch Benny klar, daß er nur das Gleichgewicht verloren hat und nicht durch Bennys Fäuste gefällt worden ist. Sunshine Benny müßte noch mindestens fünfzig Pfund mehr Gewicht hinter seinen Schlägen sitzen haben, um diesen zweibeinigen Büffelbullen fällen zu können. Er erkennt es jetzt klar. Er hat es nun mehrmals versucht und mit aller Kraft und Wucht landen können. Er konnte Brown nicht erschüttern. Wenn er es noch einige Male versucht, wird er sich die Fäuste oder die Gelenke brechen. Nun stellt er sich um. Sein Gehirn arbeitet wieder gut. Er ist ja so zäh und geschmeidig wie eine Pumakatze. Er konnte die Schläge schnell verdauen. Ich muß ihn zermürben – ich muß ihm die Augen schließen, so daß er unsicher wird und ich besser an ihn herankommen
kann. Dann muß ich ihn Stück für Stück zerhämmern und zermürben – so wie man einen Felsensockel zerhämmern muß, bevor er umfällt. Als Benny dieses denkt, ertönt der Gong. Als er sich auf den Stuhl in seiner Ecke niedersetzt, bemüht sich der alte Marshal um ihn – das heißt: er will sich um ihn bemühen. – Aber er findet nichts, womit er Benny die Sache erleichtern könnte. Und deshalb knurrt er: »Hoi, Benny! Du schwitzt noch gar nicht! Pulvertrocken bist du noch. – Und dein Atem ist ja fast normal! Verdammt, Junge: Sag mir, wie du dich fühlst?« »Wenn er mich ein einziges Mal voll erwischt, stehe ich minutenlang nicht mehr auf«, murmelt Benny bitter. »Wenn ich die ersten zwanzig Runden durchstehen kann, so wird er wohl etwas müde sein, so daß ich ihn systematisch zertrümmern kann.« Kay Blyde stößt ein überraschtes Schnaufen aus. »Benny«, keucht er, »du bist doch etwa nicht auf die Idee gekommen, ihn schlagen zu können? – Wenn ich dir raten darf, so mach nach drei oder vier Runden Schluß. Sonst schlägt er dich in Stücke. In der fünften oder sechsten Runde kannst du ruhig zu Boden gehen und liegenbleiben. – Die Zuschauer werden zwar pfeifen, aber du hast deine Pflicht getan. Tex Hay hätte keine zwei Runden gegen ihn durchgestanden. Trotz allem warst du ein besserer Mann, als der vorgesehene Gegner es hätte sein können.« »Ich gebe nie einen Kampf auf – ich kämpfe stets mit allem Einsatz um den Sieg. Ich will ihn schlagen! Ich werde nur zu Boden gehen, wenn ich wirklich nicht mehr stehen kann«, murmelt Benny hart. Seine blauen Augen blitzten. Rein zufällig blickt er über den Ring und die Zuschauer hinweg. Drüben, in einem erleuchteten Hotelfenster, da sieht er Patricia Monroe stehen. Tante Betty und ein alter Mann stehen neben ihr.
Sunshine Benny hebt plötzlich die Hand und winkt. Sein Gruß kommt wirklich an – über all die Menschen und über das Gewimmel hinweg kommt sein Gruß an. Patricia Monroe winkt mit einem Taschentuch zurück. Dann beginnt die nächste Runde. Benny kann nicht mehr sehen, daß Patricia sich die Hände vor das Gesicht hält und sich vom Fenster abwendet, als könne sie es nicht ertragen, dem Kampf zuzusehen. Nur Tante Betty und der alte Mann bleiben im Fensterviereck. Benny aber sieht nur noch seinen Gegner und dessen böse Augen, die regelrecht haßvoll glitzern. Es liegt wirklich eine wilde Wut in Sammy Browns kleinen Augen. Benny erkennt ganz plötzlich, daß ihn dieser Preisboxer aus irgendwelchen Gründen tödlich haßt. Warum? – Warum? – Es ist doch nur ein Kampf! Er braucht mich doch deshalb nicht zu hassen, denkt Benny verwundert und ahnt dunkel, daß hier noch andere Dinge im Gang sind. Er trifft Sammy Brown mehrmals hart ins Gesicht und zeichnet ihn somit schwer. Eines der glitzernden Augen beginnt sich zu schließen. Sunshine Benny haßt plötzlich diesen Kampf. In ihm ist ein Widerwille gegen diese Sache. Und dann wischt ihn der Preisboxer mit einem Schwinger quer durch den Ring. Angeschlagen taumelt Benny in der Seilecke von links nach rechts. Aber es gelingt ihm, unter Browns rechter Geraden durchzutauchen und sich freizutänzeln. Der Bulle folgt ihm beharrlich. Das ist kein Männerkampf – das ist eine Schlächterei, denkt Benny bitter. In ihm steigt eine wilde Wut auf. Er fühlt sich plötzlich eingesperrt. Er kommt sich vor, als befände er sich in einem festen Zwinger und müßte gegen ein stures Tier kämpfen, das viel stärker ist als er. Er hat das Gefühl, als hätte ihn eine grausame Meute eingesperrt und ergötze sich daran, wie er zusammengeschlagen werden soll.
Und da ist die eiskalte Wut wieder in ihm. Er will sich nicht zusammenschlagen lassen. Nun explodiert er erst richtig, wird schneller als ein Panther und greift ständig an. Jetzt erst beginnt sein sonnengebräunter Athletenkörper leichten Schweiß zu zeigen. Er glänzt im Lampenlicht. Und er trifft Sammy Brown immer wieder, stößt sich an ihm die Fäuste gefühllos und fragt sich, ob er diesen Kampf noch viele Runden lang durchstehen kann. Und dann kommt das Wunder. Als ihn ein Schlag wieder durch den Ring taumeln läßt und er auf Sammy Browns vernichtenden Treffer wartet, kommt dieser zwar, aber zu weit hergeholt. Benny kann abducken, prallt schwer gegen den Gegner, löst sich tänzelnd, fühlt, wie er wieder die Kontrolle über sich bekommt, schlägt noch einmal mit aller Verzweiflung zu und trifft das kantige Kinn des Gegners. Er rechnet damit, daß dieser Schlag genauso vergeblich ist wie all die anderen. Es ist ja, als ob er gegen den steinernen Schädel eines Denkmals geschlagen hätte. Er ist sicherlich mehr überrascht als all die brüllenden Zuschauer. Denn Sammy Brown, der Killer von Kansas, schwankt, taumelt und sackt zusammen, als hätte man die Luft aus ihm gelassen, als wäre er eine überdimensionale Schweinsblase, in die man mit einem spitzen Messer hineingestochen hätte. Er kracht auf die Bretter, legt sich brummend auf die Seite und bewegt sich dann über die Zeit hinaus nicht mehr. Benny steht verwundert mit hängenden Fäusten neben ihm, sieht auf ihn hernieder und begreift die Sache nicht. Um ihn herum ist ein brodelnder Hexenkessel. Der Ringrichter hat längst ausgezählt, aber Brown bewegt sich immer noch nicht. Erst nach einer Weile richtet er sich auf, sitzt einige Sekunden unbeweglich am Boden und sieht Benny an. Sein glitzernder Blick ist eiskalt, klar und mordlustig.
Und Sunshine Benny erkennt, daß dieser Mann gar nicht knockout war, daß er aus irgendwelchen Gründen nur so getan hat. Sammy Brown hat diesen Kampf mit Absicht verloren. Nun kommen die Betreuer und der Manager. Sie nehmen Brown in ihre Mitte, hängen ihm eine Wolldecke um und helfen ihm durch die Seile. Das ist es. Das ist der Trick! Hölle! denkt Benny bitter. Und als ihn der Marshal und dessen Freunde umringen, denkt er immer noch an diese Sache. Er weiß nicht, wie er in sein Hotelzimmer gekommen ist, weiß nur, daß er sich durch eine Menge von brüllenden Menschen durcharbeiten mußte und daß der Marshal und dessen Freunde dabei eine höllische Arbeit hatten. »Geht alle raus! Laßt mich mit ihm allein! Boys, er muß doch jetzt Ruhe haben!« Als sich die Tür hinter dem letzten Mann schließt, zündet sich der Marshal eine alte Pfeife an. Benny sitzt auf seinem Bett und hört die Stimme des Marshals: »Well, ich habe hundert Dollar auf dich gesetzt und zehn zu eins gewonnen. Gut gemacht, Benny.« »Er war nicht knockout! Es war Schiebung! Ich konnte ihn gar nicht schlagen! Er hat sich mit Absicht hingelegt!« Benny stößt es scharf und hart, bitter und zornig hervor. »Es war Schwindel, Marshal. – Du hast dein Wettgeld auf Grund eines Schwindels gewonnen – und viele andere Leute auch. Und der überwiegende Teil hat verloren – durch Schwindel! Marshal, jetzt habe ich den Trick erkannt. Tex Hay sollte sich von mir schlagen lassen. Das geschah auch! Es war Zufall, daß ich ihn wirklich geschlagen habe. Und dann wurde dafür gesorgt, daß ich in den Ring steige. Man kennt mich gut. Einige wichtige Leute kennen mich zu gut. Und sie haben auf ihre Art gesorgt, daß ich bald mein Gesicht und meinen guten Ruf verliere. Überdies haben sie dabei hohe Wettbeträge
gewinnen können. Denn, Marshal, diese paar Männer haben nicht nur hundert Dollar auf meinen Sieg gesetzt.« Er verstummt und sieht den Alten an. Der schüttelt leise mit dem Kopf. »Es sah aber verdammt echt aus, Benny. – Du hast ihn mehrmals voll getroffen. Warum soll es nicht möglich …« »Ich weiß es! – Der Mann war einfach nicht umzustoßen!« »Dann wird es wohl so sein«, murmelt der Marshal wieder. Seine Augen werden wachsam. »Wenn es herauskommen sollte, so wird dieses Land die Hölle für dich!« * Sammy Brown sitzt düster und finster im Hinterzimmer der Buffalo-Bar. Er trinkt Bier und stürzt die Gläser nur so hinunter. Er pfeffert das Bierglas mit einem Fluch gegen die Tür. Die öffnet sich bald, und einer der Barmänner steckt vorsichtig seinen Kopf herein. »Ein neues Bier!« schnappt Brown wild. Als sich die Tür abermals schließt, stützt er den Kopf in beide Hände und starrt auf die Tischplatte. Nach einer Weile hört er, wie ein Mann hereinkommt. Er meint, es wäre der Barmann, und brummt mißlaunig: »Stell’s hin, und bringe mir noch ’ne Zigarre.« Als darauf nichts erfolgt, hebt er müde den Kopf und – sieht Benny Sunshine vor sich am Tisch stehen. Bennys Lächeln ist irgendwie verständnislos, nicht so warm und milde wie sonst, sondern hart und grimmig dabei. »Warum bist du zu Boden gegangen? Du warst nicht knockout! – He, Sammy Brown, warum bist du zu Boden gegangen? Wegen dieser drei Schufte, die ich vor einiger Zeit aus diesem Zimmer kommen sah? Sie sahen mich nicht hereingehen, du kannst also ruhig mit mir sprechen. – Du
hattest Angst vor ihren Colts, was? Und deshalb …« »Verdammt ja! Ja, ich habe … und jetzt ist’s mir ganz egal! Von mir aus soll es jetzt jeder in dieser Stadt wissen, daß ich freiwillig zu Boden gegangen bin und nur so getan habe, als ob du mich knockout geschlagen hättest! Alle sollen es wissen, daß es in dieser Stadt ein paar Hundeflöhe gibt, die einen ehrlichen Boxer nicht fair kämpfen lassen! – Und ich hätte dich, wenn ich dich erwischt hätte, mit einem Schlag umlegen können! So wie jetzt!« Brüllend ist Sammy Brown um den Tisch herumgekommen und hat sich Sunshine Benny genähert. Als er die letzten Worte ruft, schlägt er schon zu. Benny kann abducken, aber mit der Rechten erwischt ihn Sammy Brown dann endgültig. Sein Überfall kam für Benny doch etwas unvorbereitet. Benny fliegt quer durch den Raum und bis vor die Füße der beiden Barmänner, von denen einer das bestellte Bier bringen und der andere einen neugierigen Blick auf den besiegten Boxer tun wollte. Die beiden Barmänner öffnen gerade die Tür, als Sammy Brown losbrüllt. Sie hören jedes Wort und sehen dann auch, wie Brown mit einem Schlag seinen scheinbaren Bezwinger umlegt. Sammy Brown stürmt auf sie zu. Sie weichen schnell zur Seite und lassen ihn durch. Er drängt sich durch den gefüllten Schankraum wie ein wütender Bulle durch eine Herde. Und alle, die ihn sehen, die machen ihm Platz, denken, daß er wegen seiner Niederlage sehr wütend ist und gern irgendwo allein sein möchte, wo es still und ruhig ist und er wirklich keinen anderen Menschen hört und sieht. Er stapft dem Ausgang zu, wischt unterwegs ein paar Männer zur Seite, stößt die Pendeltür auf und verschwindet. Draußen steht er einen Moment auf der Veranda der BuffaloBar und lauscht zum Bahnhof hin. Dort schrillt der erste Pfiff der Lok. Ein paar Männer mit Gepäckstücken kommen soeben aus
dem Hoteleingang, der sich ja dicht neben der Buffalo-Bar befindet. Sammy Brown erkennt erleichtert, daß es seine eigenen Leute sind. »Kommt schnell«, grollt er, als er sie eingeholt hat. »Gleich wird hier die Hölle losgelassen. Hoffentlich ist der verdammte Zug mit uns dann schon wenigstens eine Meile gefahren.« * Als Sunshine Benny erwacht, findet um ihn herum eine mächtige Keilerei statt. Es ist dunkel im Raum, aber durch die offene Tür fällt das Licht des Schankraumes herein. In diesem Lichtkeil erkennt Benny kämpfende Männer. Jemand tritt ihm auf die Hand. Er zieht sie an sich und springt auf. Taumelnd erreicht er eine Ecke. Des Marshals heisere Stimme brüllt: »Bleibt draußen! Bleibt draußen, ihr Hitzköpfe! Sunshine Benny betrügt nicht! Vielleicht ist er reingelegt worden wie ihr auch! Er hat doch hart genug gekämpft! Zur Hölle, ich mache von der Waffe Gebrauch, wenn …« Dann geht die heisere Stimme des alten Marshals im Gebrüll der Männer unter. Immer mehr drängen sich durch die offene Tür in das Hinterzimmer herein. Der Marshal hat anscheinend ein paar Freunde bei sich, die ihm helfen, die wütende Meute abzuhalten. Aber bald können sie es nicht mehr schaffen. Benny begreift, daß jemand Sammy Browns Bekenntnis gehört haben muß. Als er einen Mann gellend brüllen hört: »Sammy Brown hat noch den Zug erreichen können, aber den anderen Schuft werden wir uns vornehmen!«, da weiß Benny ungefähr, was gespielt wird. Die Menschenmenge war mit dem jäh beendeten ZweiRunden-Kampf ohnehin nicht besonders zufrieden gewesen.
Die Leute hatten sich schließlich doch gefügt und sich murrend zufriedengegeben. Aber nun haben ein paar Worte wie Zündfunken gewirkt. Viele Wetter wurden getäuscht, alle die, die auf Sammy Brown gesetzt hatten. Nun haben sie etwas erfahren. Die beiden Barmänner werden es wohl verkündet haben, nachdem Brown das Lokal verlassen hatte und sie nicht mehr zu befürchten hatten, daß er ihnen die Köpfe zusammenschlug. Brown ist entkommen. Nun will die Meute ein anderes Opfer haben. Benny wird dieses alles klar, während er in der Ecke an der Wand lehnt und klaren Kopf bekommt. »Wo ist der Schuft! Er muß doch noch hier im …«, brüllt eine tiefe Stimme dicht neben ihm. Und dann sieht ihn der Mann an der Wand lehnen. »Hier! Hier ist er!« Der brüllende Mann greift nicht an – er weicht sogar zurück und wartet wohl darauf, daß sein Gebrüll von den anderen verstanden wird und er Hilfe bekommt. Er hat Benny im Ring arbeiten sehen und eine ganze Menge Respekt vor ihm. Ein vielstimmiges Gebrüll antwortet. Der Marshal und dessen Freunde werfen sich noch einmal gegen den Ansturm, doch nun handelt Benny. Er stürmt vor, rammt dem Mann die Faust in den Magen, schlägt drei, vier zugreifende Hände weg und wirft sich zusammengekrümmt gegen das Fenster. Vorhänge, Fensterkreuz und Scheiben reißt er mit, landet mit all dem Zeug auf dem Hof und rafft sich blutend auf. »Er ist im Hof! Versperrt alle Auswege!« hört er hinter sich brüllen. Er eilt an der Hauswand entlang und klettert durch das dritte Fenster wieder in das Haus. Als er die Tür zum Gang öffnet, gellen vor dem Fenster schon wilde Rufe. Er schließt die Tür hinter sich zu und eilt über den Gang. Nach wenigen Sprüngen
erreicht er eine Kreuzung. Dort trifft er auf zwei Männer, die wohl aus dem Hotel herüberkamen. Er trifft diese Männer wuchtig mit den Schultern, läßt sie zurück und benutzt den Gang, der zum angrenzenden Hotel hinüberführt. Dieser Gang ist leer, aber hinter ihm erklingen die Alarmrufe der Kerle. Wenn irgendwo eine Meute Jagd auf ein Wild macht, so schließen sich dem Rudel immer mehr Jäger an, die erst gar nicht lange fragen, sondern mitmachen, weil sie meist auf unerklärliche Weise vom Jagdfieber gepackt werden. Und wenn eine Meute einen einzelnen jagt, nimmt man ja wirklich an, daß der im Unrecht ist. Die beiden von Benny umgerannten Männer erheben auch wirklich ein wildes Gebrüll. Sie sorgen dafür, daß die wilde Meute auf der heißen Fährte bleibt. Als Benny in die Hotelhalle kommt, kracht ihm ein Stuhl von rechts her auf Nacken und Schulterblätter. Er taumelt. Zwei Männer werfen sich auf ihn. Sicherlich hoffen sie, den Flüchtling einige Sekunden aufhalten zu können. Benny schlägt sie nieder. Aber als er zum Ausgang laufen will, quirlen einige Männer durch die Tür. Sie stutzen, als sie ihn sehen, denn sie wollten nur für alle Fälle sämtliche Ausgänge blockieren und vermuteten ihn sicherlich noch nicht im Hotel, dessen Halle durch einen Gang mit der Buffalo-Bar verbunden ist. Und nun sehen sie den Mann, den sie so gern haben möchten. Benny will sich zum Hinterausgang wenden, aber auch dort wird Gebrüll hörbar. Dieses Rudel kommt vom Hof herein. Einen Moment sieht es so aus, als wollte sich Benny zum Vorderausgang durcharbeiten, mitten durch die Männerkette. Aber dann wirbelt er herum und springt die Treppe hinauf. Nach ein paar Stufen verhält er, hält sich rechts und links am Treppengeländer fest und schwingt die Beine hoch. Die beiden ersten Verfolger bekommen Bennys Füße gegen die Brust und
stürzen rücklings auf das nachdrängende Rudel. Noch mehr stürzen. Alle bilden auf der Treppe einen brüllenden Wirrwarr. Wieder lacht Benny voll wilder Lust und nimmt die letzten Stufen mit einem einzigen Sprung. Auf dem Treppenabsatz steht ein runder Tisch. Benny wirft ihn hinunter. Nach vier weiteren Sprüngen erreicht er den Korridor. Er muß versuchen, auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu kommen. Das ist Bennys Chance. Von einem Stall- oder Scheunendach aus kann er durch die Gärten und Felder in der Dunkelheit entkommen. Bevor die Verfolger in Sicht kommen, reißt Benny die erste Tür auf. Sie ist nicht verschlossen. Er schließt sie leise und lehnt sich erst einmal daneben an die Wand. Seine Augen müssen sich einen kurzen Moment an die Dunkelheit des Raumes gewöhnen. Sein Atem geht noch ziemlich ruhig. Er ist überhaupt nicht erregt, als hätte er bisher nur einen gemächlichen Spaziergang unternommen. Er schiebt leise den Riegel vor, als polterndes Fußgetrampel auf dem Korridor hörbar wird und mehr als ein Dutzend brüllende Stimmen gewaltigen Lärm machen. »Durchsucht die Zimmer! Verdammt, er steckt in einem der vielen Zimmer!« heult eine Stimme über all dem Lärm. Sunshine Benny tastet sich nun durch den dunklen Raum. Seine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er kann die Umrisse der Möbel erkennen. Als er in der Mitte des Raumes steht und dem runden Tisch und den Stühlen ausweicht, da öffnet sich eine Tür. Geduckt wirbelt er herum. Nun liegt seine Hand am Colt. Und dann lächelt er endlich wieder sein sonniges und wohltuendes Lächeln, läßt den Coltgriff los, richtet sich auf und verbeugt sich huldigend wie ein Caballero. »Es tut mir wirklich leid, Miß – es ist mir wirklich sehr unangenehm. – Aber ich dachte, Sie wohnen auf der anderen Seite des Korridors!« Patricia Monroe steht in der offenen Tür. Sie hält eine
Petroleumlampe in der erhobenen Hand. Und das gelbe Licht verursacht seltsame Schatten und Reflexe auf ihrem leuchtenden Haar, das die Farbe polierten Kupfers besitzt. Ihre Augen leuchten unwahrscheinlich grün. Ihr roter Mund ist leicht geöffnet und gibt zwei weiße Perlenreihen frei. Mit der anderen Hand hält sie ihren grünen Morgenrock zusammengerafft. Aber Benny sieht, wie der Puls an ihrem Hals schlägt – es ist ein herrlicher und makelloser Hals, auf dem ein stolzer Kopf sitzt. »Ich entferne mich sofort durch dieses Fenster da«, murmelt er etwas bedrückt. »Auf der anderen Seite wohnt mein Onkel. Tante und ich, wir sahen uns von seinem Zimmer aus den Boxkampf an«, flüstert Patricia. Benny steht bereits am Fenster. Als er die Vorhänge zur Seite schiebt und in den Hof späht, sieht er zwar unter sich das Kuchendach, aber auch ein paar Laternen und Fackeln, die den ganzen Hof, die Dächer und alle Gebäude beleuchten. Männer laufen umher. Einige tragen Schrotflinten. Benny läßt den Vorhang wieder zufallen, bevor jemand von unten sein Gesicht im Fenster erkennen kann. Die Sache ist ernster, als er dachte. Vorder- und Rückseite der Häuserreihe werden von suchenden Trupps bewacht. Und im selben Moment wird an der Tür geklopft. »Aufmachen! Aufmachen! Wir suchen einen Betrüger!« »Man hat eine sehr schlechte Meinung von mir«, lächelt Benny und macht nun doch Anstalten, den Vorhang wegzuschieben und das Fenster zu öffnen. Aber da ist das Mädchen auf einmal neben ihm. Sie greift nach seinem Arm. Ihre Augen funkeln nur so, und ihr lebendiges Gesicht drückt viele Gefühle aus, die Benny trotz seiner mißlichen Lage irgendwie froh und glücklich machen. »Schnell!« flüstert sie energisch. »Ich habe eine andere Meinung als diese brüllenden Leute! Nun kommen Sie doch
endlich!« Sie zerrt ihn durch das Zimmer. Er folgt ihr unschlüssig. Als sie das andere Zimmer betreten, reißt er sich nun doch mit einem bestürzten Ausruf los und will wieder zurück. Denn in einem der beiden Doppelbetten sitzt Tante Betty. Sie hat eine rosa Nachthaube auf dem Kopf, und zu beiden Seiten hängen ihr zwei dünne Zöpfe wie Rattenschwänze herunter. »He, Sie Feigling! Bleiben Sie nur ruhig hier! Meinen Anblick können Sie bestimmt leichter ertragen als die netten Späße, die diese brüllenden Affen da draußen sicherlich mit Ihnen vorhaben, junger Mann. Bleiben Sie hier! Außerdem bin ich eine Lady – eine alte Lady, der es gar nichts ausmacht, wenn sich ein junger Boy in ihr Schlafzimmer verirrt. Verstanden?« »Ja«, sagt Benny. Er macht eine tiefe Verbeugung und sieht dabei in alle anderen Richtungen, nur nicht auf das Bett, in dem die alte Dame sitzt. »Ich – ich möchte doch wieder gehen«, stottert er und zieht sich langsam zurück, als entferne er sich rückwärts von dem Thron einer Königin. »Hiergeblieben! Sonst komme ich aus dem Bett!« zürnt sie ziemlich wütend. »Oh«, stöhnt er und sinkt ergriffen auf einen Sessel neben der Tür. Draußen auf dem Korridor ist es immer noch sehr laut. Abermals krachen harte Schläge gegen die Tür, und wilde Stimmen verlangen Einlaß. »Ich schicke sie jetzt weg«, lächelt Patricia, die zwar etwas erregt ist, aber während der letzten Sekunden mit belustigtem Lächeln dem Wortwechsel zwischen Tante Betty und Sunshine Benny gelauscht hatte. Nun geht sie mit der Lampe wieder davon. »Ja, Madam«, murmelt Benny bitter. Dann lauschen die Tante und Benny, denn Patricia hat
inzwischen die Tür zum Korridor geöffnet. »Was wünschen Sie?« schleudert sie den Männern entgegen, die sich auf dem Korridor drängen und nun doch etwas zurückweichen, als sie das junge Mädchen erkennen. Es wird ganz still. Man hört jetzt nur noch den Lärm außerhalb des Hotels und die Geräusche aus der Halle. »Lady – Miß – Madam, wir suchen einen gerissenen Betrüger«, erwidert endlich eine Stimme. »Ich bin Patricia Monroe, die Besitzerin der Block-M-Ranch. Suchen die Gentlemen vielleicht den Flüchtling in meinem Schlafzimmer, oder?« »O nein – nein, da-das nicht, Miß Monroe! – Wir da-dachten nur, daß er sich vielleicht in Ihre Zimmer geflüchtet hätte. – Vielleicht steht er sogar hinter Ihnen und bedroht Sie mit der Waffe!« »Dann treten Sie ein und überzeugen Sie sich, Mister – wenn ich es nicht erlauben würde, so käme dieses wilde Rudel ja wohl doch herein und …« »Oh, wir glauben natürlich den Worten einer Lady – nur …« Der Sprecher drängt sich durch die Tür. Es ist Dick Shane. Er hält einen schußbereiten Colt in der Hand und wittert wie ein Wolf an allen Ecken des schwach erhellten Zimmers. Und dann bewegt er sich auf die halb geöffnete Tür des angrenzenden Schlafzimmers zu. Aus diesem Zimmer schallt jetzt die zornige Stimme Tante Bettys: »Kommt nur, ihr Buschräuber, kommt nur, ihr traurigen Knaben! Aber ich habe einen Colt in der Hand! Und ich werde euch Strauchdieben schon beibringen, wie gefährlich es ist, in das Schlafzimmer einer Lady zu kommen. – Früher, da gab’s noch Gentlemen in diesem Land! Aber jetzt haben die Buschräuber die Oberhand, und alle anderen verkriechen sich feige vor ihnen.« Dick Shane bleibt unschlüssig stehen. Durch den Türspalt
kann er undeutlich Tante Bettys Oberkörper inmitten der Bettkissen erkennen. Und er sieht auch, daß sie einen kleinen Gegenstand in der Hand hält. Da zieht er höflich seinen Hut und sich selbst zurück. »Pardon, Ladys«, flüstert er. Sein hartes Gesicht scheint mit einer Röte überzogen zu sein. Er verschwindet schnell aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Patricia hört ihn draußen sagen: »Die alte Lady hätte gewiß mächtig Alarm geschrien, wenn er hereingekommen wäre. Sucht weiter, irgendwo muß er schließlich stecken!« Patricia hört es und schiebt den Riegel wieder vor. Dann kommt sie langsam zurück und stellt die Lampe auf den Tisch. »Sie werden sich einige Zeit bei uns aufhalten müssen, Mister Sunshine«, sagt sie zu Benny, der langsam und mit rotem Gesicht aus dem anderen Zimmer kommt und erschöpft auf einen Stuhl sinkt. Die paar Minuten im Schlafzimmer haben ihn sichtlich angegriffen – mehr als eine Jagd über hundert Meilen. »Es tut mir wirklich leid«, murmelt er. »Ich hatte wirklich keine Ahnung, daß Sie und Ihre Tante hier …« »Ich freue mich, daß der Zufall Sie in diese Räume geführt hat«, unterbricht Patricia offen. »Ich freue mich sehr, daß ich Ihnen helfen konnte, Mister Sunshine. – Denn ich bin sicher, daß all diese Ereignisse irgendwie mit dem Versprechen zusammenhängen, das Sie diesem Cleve Lonestar gegeben hatten.« »Yeah«, nickt Benny, »es greift alles ineinander. – Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, Miß, so sagen Sie nicht Mister Sunshine zu mir.« Er schaut auf und lächelt. »Oder ist es zuviel verlangt?« »All right, Mister Benny.« Tante Betty kommt in einem Schlafrock aus dem anderen Zimmer.
»Wer ist eigentlich in dieser Stadt Ihr großer Feind, Benny?« fragt sie kurz. »Mister Mallone ist es«, erwidert Benny sanft. Er schnurrt es wie eine Katze. Und gerade dieses sanfte Schnurren drückt mehr aus als eine wilde Verwünschung oder eine Drohung. »Sind Sie auch wegen des Boxkampfes nach Dale City gekommen?« fragt er mit einem etwas bitter wirkenden Lächeln. »Nein! Tante liebt solche Kämpfe – aber ich hasse jede Art von Schlägerei«, ruft Patricia und sieht Benny wieder offen ins Gesicht. »Ich bin mächtig froh, daß Sie so denken.« »Und mich verachten Sie, was?« grollt die Tante. »Nein, denn ich bin überzeugt, daß Sie nur einen sauberen Boxkampf lieben – keine Keilerei.« Es klopft an der Tür. Eine Männerstimme ruft die Namen der Tante und deren Nichte. »Ach, das ist Onkel Sam – er schläft wie ein Bär, aber nun ist er wohl doch aufgewacht«, ruft Patricia und öffnet schnell. Der Korridor ist leer. Die suchenden Männer sind verschwunden. Sie läßt den Onkel ein und riegelt wieder ab. Benny erhebt sich und sieht sich den alten Mann an. Er erkennt auf den ersten Blick, daß Sam Monroe seine beste Zeit längst hinter sich hat. Er steht an der Schwelle des Greisenalters und ist nicht mehr allzuviel wert. Männer in seinem Alter ziehen sich zumeist auf ihr Altenteil zurück, sitzen im Schaukelstuhl gern in der Sonne und rauchen behaglich aus langen Pfeifen. Sie erzählen ihren Enkelkindern Geschichten und lassen sich von ihren Töchtern verwöhnen. Sam Monroe ist mittelgroß, faltig und leicht gebeugt. Sein gutgeschnittener Kopf ist weiß. Unter den buschigen Augenbrauen, die noch ziemlich dunkel sind, leuchten zwei graue Augen voll Sorge und Unruhe. Er reicht Benny die Hand. Der ist etwas von ihrem noch
kräftigen Druck überrascht. Vielleicht ist Sam Monroe doch nicht ganz so alt, wie es den ersten Anschein hatte. »Ich habe einige Geschichten über Sie gehört, Sunshine. Und meine Schwester und Patricia haben mir von der Abmachung erzählt, die Sie mit Cleve Lonestar getroffen hatten, als dieser den Geldtransport der Bank rauben wollte. Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, würde ich vielleicht auch den Versuch machen, die Bank zu berauben und …« »Ich verstehe, Monroe. Sie sind inzwischen dahintergekommen, daß nicht Cleve Lonestar der große Viehdieb ist, wie?« »Viele sind dahintergekommen, Sunshine, viele, die sogar dabei geholfen haben, daß Cleve Lonestar von seiner Ranch vertrieben wurde. – Nun ist die Block-M-Ranch dran! – Ich war ein schlechter Rancher. Und es schmerzt um so schlimmer, weil die Ranch nicht mir, sondern der Tochter meines Bruders gehört. Ich habe lange Zeit gehofft, daß die Rinderdiebstähle aufhören würden. Ich habe Betty und Pat nie etwas davon geschrieben. Nun sind sie heimgekommen – auf eine ruinierte Ranch.« »Und du Narr hast Geld aufgenommen, um uns Schecks zu schicken«, murmelt Tante Betty zornig. »Ich hoffe doch, daß man die Viehdiebe bald …« Benny unterbricht ihn mit der Frage: »Sie haben von Philip Mallone Geld geliehen?« »Ja! – Ich hoffte, daß die Ranch bald wieder mit Gewinn arbeiten würde. Unsere Weiden sind gut. – Aber jetzt sind sie bis auf ein paar verirrte und herumstreunende Rinderrudel leer. Winston Wayman treibt seine Herden auf unsere Weide. – Und ich habe keine Reiter, die ihn daran hindern könnten. Wir sind in die Stadt gekommen, um mit Mallone wegen der Wechsel zu reden. Wenn er will, kann er in wenigen Wochen die Ranch übernehmen. Sie gehört jetzt schon so gut wie ihm. – Und wenn ich etwas Mut hätte, so …«
»Nichts werden Sie«, unterbricht Benny ganz sanft und ruhig. »Es wird anders kommen. – Verlassen Sie sich darauf. – Ich bin über einige Dinge orientiert. Die Faules-W-Ranch gehört nicht Winston Wayman. Der verwaltet sie nur für Philip Mallone. Sie haben Cleves Ranch geschluckt, nachdem …« Er bricht ab, winkt lässig mit der Hand und erhebt sich. »Ich muß gehen! – Wenn ich etwas Glück habe, ist Philip Mallone in drei Tagen hier in Dale City erledigt. Ich will ihn hier vertreiben. Er wollte sich mit Hilfe eines schlauen Tricks mit mir einen köstlichen Spaß machen. – Nun wird ihn diese Sache in Dale City unmöglich machen. Ich wette, daß er sich auf die Faules-W-Ranch zurückzieht und die Hölle von dort aus losläßt. Aber bis dahin werde ich eine prächtige Mannschaft in den Sätteln haben. – Sam Monroe: Ich möchte aus verschiedenen Gründen Vormann auf der Block-M werden!« Der Alte stutzt. Aber dann leuchten seine alten Augen. Er deutet auf Patricia. »Sie ist jetzt mündig – sie ist die Rancherin. Ich war ein schlechter Verwalter ihres Erbes. Ich war ein dummer und einfältiger Narr und …« »Das wissen wir, Sam – aber ich habe dich trotzdem noch ganz gern«, unterbricht die Schwester. Sie tritt neben den Bruder und schiebt ihren Arm unter den seinen. Beide beobachten Benny und Patricia. Die sehen sich nämlich offen in die Augen und vergessen dabei die Umwelt. Patricias Gesicht sieht irgendwie verklärt aus. Es ist, als hörte sie eine wunderschöne Melodie oder sähe ein herrliches Bild. – Aber vielleicht ist es nur, weil sie gewissermaßen in Sunshine Bennys Herz sehen kann – jetzt in diesen Sekunden. Und Benny lächelt nicht, nein, denn er erlebt einen Höhepunkt seines Lebens: Er liest in den Augen eines schönen Mädchens Zuneigung und Vertrauen. Dann spricht er ruhig:
»Pat, ich möchte die Block-M-Ranch leiten, wenn ich zurückkommen sollte – und wenn es mir gelingt, Philip Mallone aus dieser Stadt zu vertreiben.« »All right, Ben«, sagt sie fest und ruhig. Tante Betty stöhnt vor Zufriedenheit. Sam Monroe wischt sich über das Gesicht. Betty zieht ihn ins andere Zimmer. »Sam«, murmelt sie, »unter meinem Bett ist eine Maus. Du mußt mal nachsehen.« »Seit wann fürchtest du dich vor Mäusen, Betty?« ächzt er verwundert, läßt sich aber mitziehen. * Mallone wird in seinen Gedankengängen durch eine sanfte Stimme unterbrochen. »Holen Sie noch ein Glas, Mallone. – Ich denke, daß ich mir heute einen hochfeinen Whisky verdient habe.« Mallone zuckt nur unmerklich zusammen. Ganz ruhig nimmt er noch ein zweites Glas aus dem Wandschrank, schließt mit der eckigen Schulter die Tür und kommt mit Flasche und Gläsern zum Tisch zurück. »Hallo, Sunshine«, murmelt er tonlos. »Ich habe da ein gutes Schloß an der Tür und hätte nie gedacht, daß ein Mensch es von außen öffnen könnte.« »Yeah, Sie alter Geier – ich habe zwei Minuten sorgfältig probieren müssen, bis ich’s …« »Sie sollten nicht solche Ausdrücke gegen mich gebrauchen, Sunshine Benny. Sie sind noch schlauer, als ich dachte. Hier ist Ihr Whisky. – Und wenn er Ihnen geschmeckt hat, dann können Sie mir sagen, was Sie wollen. Sie haben wirklich Glück, daß Sie mich zu so später Stunde noch im Büro antreffen.« »Vielleicht bin ich nur gekommen, um Ihnen den Hals umzudrehen, Sie alter Geier«, Benny lächelt und nippt
vorsichtig an dem amberfarbenen Whisky, bevor er ihn trinkt. »Oh, Sie vergreifen sich nicht an einem Mann, der Ihr Vater sein könnte und der Sie ja gar nicht bedroht«, lächelt Mallone spöttisch. »Sie sind der Meinung, Mallone, daß Sie mich ganz genau kennen, was?« »Stimmt! Ich kenne Sie vermutlich besser, als Sie sich selber kennen. Und ich weiß, daß Sie eine Menge Dinge über mich wissen. Aber das alles wird Ihnen nichts nützen. Sehen Sie, Sunshine Benny: Sie sind nicht schlecht genug, um mich schlagen zu können. Ich aber bin so richtig skrupellos. Mir ist jedes Mittel recht. Deshalb werde ich immer gewinnen.« »Sie sind sehr offenherzig, Mallone.« »Kann ich! Warum sollte ich nicht? – Sie wissen ja doch über mich Bescheid. Zwischen uns kann alles klar sein. Ihr Name, Sunshine, ist in diesem Land erledigt. Ja, ich habe Sammy Brown unter Druck setzen lassen. Und ich wußte ganz genau, daß er in seiner Wut eine Dummheit machen würde. Er hat sie gemacht. Die Schiebung ist bekanntgeworden. Ihre Tage sind gezählt, Sunshine! Jemand wird Sie sehr bald abschießen, und keiner Ihrer vielen Freunde wird sich darum kümmern. – Ich hatte allerdings gehofft, daß man Sie erwischen und in Stücke reißen würde. Und jetzt verschwinden Sie, Sunshine! Hauen Sie ab, ganz höllisch schnell!« Die letzten Worte zischt er scharf zwischen schmalen Lippen hervor. Dabei zeigt er seine Zähne. Aber Benny lächelt nur, beugt sich vor und nimmt sich eine Zigarre aus dem Kistchen. »Ich wollte schon immer mal mit Ihnen gemütlich plaudern, Mallone. Machen Sie sich um meinen Ruf keine Sorgen. Ich sorge schon dafür, daß er wieder makellos wird. – Well, ich habe lange Zeit wirklich geglaubt, daß Cleve Lonestar ein Viehdieb ist. Das ganze Land glaubte es ja. Selbst als ich seinen Sohn, der früher lange Zeit mein Sattelgefährte war,
angeschossen in der Wüste fand, glaubte ich, daß ihn Waymans Reiter zu Recht gejagt und gehetzt hätten. – Dan Lonestar war zu schwer verwundet und konnte nicht mehr sprechen. Und ich fragte auch nicht, da ich von seiner Schuld überzeugt war. Nachts schoß man auch mein Pferd zusammen, und ich mußte Dan aus der Wüste tragen. Er war ständig ohne Besinnung. – Well, dann vereinigten sich alle Rancher und vertrieben Cleve Lonestar von seinem Besitz. Und weil er bei dir, Mallone, verschuldet war, übernahmst du die Ranch und verkauftest sie formell an Winston Wayman. – Und jetzt, Mallone, jetzt schließe ganz schnell deinen Geldschrank auf!« Sunshine Benny beugt sich vor. In seinen Augen ist eine mitleidlose Flamme. Seine Art, wie er den Mund schließt, läßt einen grimmigen Entschluß erkennen. Mallone grinst höhnisch. »Ich möchte sehen, Sunshine, wie du mich dazu zwingen könntest!« »So!« ruft Benny, beugt sich über den Schreibtisch und schlägt blitzschnell mit der flachen Hand mehrmals in das lange Pferdegesicht Mallones. – Der fällt fast vom Sessel. »Du, du, der faire Sunshine Benny schlägt einen alten und wehrlosen Mann?« keucht er, und wilde Mordlust flackert in seinen Augen. »Mir fällt es gar nicht mal so schwer, wie ich dachte«, murmelt Benny eiskalt. »Ich denke eben, daß ich einen räudigen Wolf oder einen ekelhaften Geier vor mir habe. Irgendwie stimmt das. Mallone, ich gebe dir mein Wort, daß ich dich hier in diesem Zimmer in Stücke schlage, wenn du nicht binnen einer Minute diesen Geldschrank da öffnest – ja, diesen Privatschrank – nicht den großen Tresor nebenan!« Mallone starrt ihn an. Staunen und hilflose Wut sind in seinem Blick – und immer noch böse und hinterhältige Mordlust. Aber das Staunen überwiegt mehr und mehr. »Ich hätte nie gedacht«, murmelt er, »daß du so etwas
machen könntest, Sunshine. – Kämpfst du eigentlich für Cleve Lonestar oder für Patricia Monroe?« »Mach den Schrank auf, Mallone!« Der Bankier und Viehaufkäufer öffnet langsam die Schreibtischschublade. »Well«, preßt er hervor, »hier ist der Schlüssel.« Er greift in die Lade hinein, doch als er die Hand schnell herausbringt und den kleinen Colt-Derringer hochreißen will, da greift Bennys Rechte schneller als eine zuschnappende Klapperschlange zu. Mallone stöhnt. Die kleine stupsnäsige Waffe poltert auf die Tischplatte. Mallone umklammert mit der Linken sein Handgelenk. Er ist ganz weiß im Gesicht. »Du – du – hast es mir – gebrochen«, ächzt er. Benny nimmt die kleine Waffe und schiebt sie in seinen rechten Stiefelschaft. Dann tritt er neben Mallone und nimmt das Schlüsselbund aus der Schublade. Er beachtet Mallone nicht mehr. Zwei Minuten später hat er den Geldschrank geöffnet. Nach kurzem Suchen findet er einige Geschäftsbücher. Damit setzt er sich neben der Lampe in einen Sessel. Mallone sitzt wie ein tückischer Wolf da, beobachtet, stöhnt dabei wegen des Handgelenkes und wagt es nicht, sich zu rühren. Nach wenigen Minuten hat Benny in einem Ordner die gesuchten Schriftstücke gefunden. »Ich wollte es genau wissen«, sagt er, den Kopf hebend. »Ich wollte ganz genau wissen, ob dir die Faules-W und die Lonestar-Ranch wirklich gehören und ob Winston Wayman wirklich nur dein Verwalter ist. – Schon bald, Mallone, wird man dich aus diesem Land hetzen – so, wie du Cleve Lonestar hetzen ließest. Und ich werde dafür sorgen, daß du nicht entkommen kannst. Du bist also der große Boß, von dem sich ein paar Viehdiebe erzählen. – Well, wir sehen uns bald wieder, Mallone!«
Er steht auf. Die Bücher und Ordner läßt er achtlos auf den Boden fallen. An der Tür bleibt er stehen. »Wenn du Lärm schlägst, Mallone, komme ich zurück. Denk daran, daß du deine drei Schießer weggeschickt hast. Sie werden nicht hinter mir, sondern ich werde hinter ihnen sein auf dem Ritt zur Bahnstation. Dorthin hast du sie doch geschickt, ja? In weiser Voraussicht, was ich unternehmen werde.« Er öffnet die Tür und gleitet hinaus. Mallone stöhnt, legt die gebrochene Hand vorsichtig auf den Schreibtisch, greift mit der Linken nach der Flasche und trinkt lange aus ihr. * Sunshine Benny kennt dieses Land wie seine rechte Hosentasche. Er kennt alle einsamen Wege und Pfade. Er kennt die geheimen Treibwege der Rustler und alle Pässe, Schluchten und Waldpfade. Deshalb weiß er, daß er noch vor dem Zug, den Sammy Brown nahm, die Station Last Hill erreichen kann. Es ist später Nachmittag, als Sunshine Benny Last Hill erreicht. Es ist nur eine kleine Station. Ein paar Hütten und Schuppen, drei Blockhäuser und eine lange Laderampe, an der sich großräumige Korrals befinden. Eines der Blockhäuser ist das Stationsgebäude. Daneben liegt der Gasthof. Sunshine Benny ist fest davon überzeugt, daß er noch vor Mallones Revolverleuten eingetroffen ist. Er hat ein paar Wege benutzt, die Mallones bezahlte Schießer unmöglich kennen konnten, da sie ja verhältnismäßig fremd in diesem Land sind. Benny hält auf einem Hügel in Deckung einiger Bäume und späht scharfäugig zur Station hinunter. Dort steht nur ein Planwagen von der Frachtfuhrgesellschaft. Ein Mann kommt aus dem Gasthof, geht zum Wagen, schwingt sich auf den
Bock und fährt davon. Benny hält nach Sattelpferden Ausschau, aber es scheinen wirklich keine Reiter eingetroffen zu sein. Ein riesiger Neger hackt Holz. »Gib ihm das beste Futter, Schneeball«, sagt Benny und wirft einen blanken Dollar in die Luft. Grinsend fängt der Schwarze das Geldstück auf. »All right, Mastah«, sagt er kehlig. »Ich will etwas essen«, erklärt Benny. »Wenn drei Reiter kommen, so kannst du ein Lied singen, Schneeball. Ich werde es in der Gaststube hören.« »Schneeball werden vom schönen Virginia singen.« »Nett von dir, schwarzer Knabe.« Benny tritt durch die Hintertür ein. Die Gaststube ist leer. Ein dicker Mann ist allerdings vorhanden, doch er gehört sozusagen zum Inventar, denn er ist der Wirt. Er sitzt in einem Schaukelstuhl und liest in einer Zeitung. Als Benny hereinkommt, nickt ihm der Dicke zu und schmunzelt freundlich. »Hallo, Sunshine Benny! Lange nicht in Last Hill gewesen. Du willst sicherlich etwas essen, nicht wahr?« »Ja, Mike – wenn es deiner Frau nicht zuviel Mühe macht, einen hungrigen Wolf außerhalb der Essenszeit zu versorgen.« Er setzt sich in die dunkelste Ecke. Der Wirt bringt ihm ein Glas Bier und schlurft dann in die Küche. Er ist kaum verschwunden, als Benny den schrillen Pfiff der Lokomotive hört. Ich werde erst nachher essen können, denkt er und hört bereits die Geräusche des Güterzuges, die noch aus weiter Ferne kommen, aber mehr und mehr anschwellen. Und dann hört er Schneeball draußen auf dem Hof von der schönen Virginia singen. Er erhebt sich, tritt mit fünf langen Schritten neben das Fenster und lugt vorsichtig hinaus. Drei Reiter rutschen sattelmüde von schweißnassen und
staubigen Pferden. Sie trennen sich sofort. Einer kommt schnurgerade zum Gasthof, der andere geht zum Stationsgebäude, und der dritte bringt die Pferde hinter den Bahnschuppen. – Es sind Mallones Coltmänner. Dick Shane wird in wenigen Sekunden den Gastraum betreten. Benny gleitet schnell durch den Raum, flankt geschmeidig über den Schanktisch und kauert sich dahinter. Der Wirt kommt aus der Küche. Als er hinter den Schanktisch tritt, sieht er Benny darunter hocken. Benny legt seinen Zeigefinger an die Lippen. Mikes fettes Gesicht bleibt ruhig und zeigt keinerlei Verwunderung. Er stellt sich vor den hockenden Mann und fragt: »Bier oder Whisky, Fremder?« »Whisky«, krächzt Dick Shane heiser. Benny hört, wie Shane sporenklirrend am Schanktisch entlanggeht. Er hört es, obwohl draußen der Zug hält und die Waggons gegeneinander stoßen und klirren. Der Wirt bringt das Whiskyglas zur Ecke hin. Benny weiß also, daß Shane sich am Ende des langen Tisches aufgebaut hat, dort, wo das hereinfallende Tageslicht den Raum nicht mehr besonders erhellt. Mike entfernt sich und bleibt dicht neben der Küchentür stehen. »Sind Sie allein – wollen Sie etwas essen?« fragt er Shane. »Wenn ich etwas haben will, werde ich es schon rechtzeitig bekanntgeben«, murmelt Shane. Dann scheint er zu trinken. Er setzt das Glas im selben Moment hart auf die Tischplatte, als sich die Hintertür öffnet und einige Gäste direkt vom Bahnsteig in die Gaststube kommen. Der Zug hat in Last Hill einen längeren Aufenthalt. Die neuen Gäste nähern sich dem Schanktisch. »Whisky, Bier und ein kräftiges Essen!« ruft eine Stimme. »Sicher – für vier Gentlemen«, erwidert Mike und verschwindet schnell in der Küche. Sunshine Benny überlegt noch, ob er sich schon jetzt erheben
und ein freundliches Hallo sagen soll, da hört er einen überraschten Ausruf. – Es ist Sammy Browns Stimme. »Hölle!« ruft Brown böse. »Das ist doch …« »Yeah, ich bin es, Brown! Und du hast Glück! Es paßte meinem Boß gut in den Streifen, daß du in Dale City zum Schluß doch noch explodiertest und allen Zuhörern bekanntgabst, daß du dich bestechen ließest. Dein Glück, daß du noch den abfahrenden Zug erreichen konntest.« »Was willst du hier?« fragt Browns Stimme, nachdem Shane verstummt ist. Benny hält nun den Zeitpunkt für gekommen. Er schnellt auf. »Mich wollen sie abfangen!« ruft er dabei und schnappt seinen Colt heraus. Er war fair genug, ihn nicht schon vorher in die Hand zu nehmen. Dick Shane ist ein eiskalter und durch nichts zu überraschender Revolvermann. Müßte er nicht gegen Sunshine Benny antreten, wäre er wahrhaftig für Mallone das viele Geld wert, das dieser ihm zahlt. Als Benny so plötzlich auftaucht, ist Dick Shane nur eine Zehntelsekunde lang überrascht. »Ha!« ruft er dann wild, und sein Arm schwingt mit einem Ruck den Colt hoch. Ziehen und Hochschwingen sind bei ihm eine einzige blitzschnelle Bewegung. Aber als er abdrückt, sieht er schon Bennys Mündungsfeuer. Ein harter Stoß gegen seine Schulter läßt ihn zurücktaumeln. Sein rechter Arm wird gefühllos. Die Waffe fällt herunter. Er selbst taumelt immer noch rückwärts und findet erst an einem Tisch einen festen Halt. Inzwischen hatte er jedoch mit der Linken den zweiten Colt gezogen. »Verdammt! Shane! Laß das doch!« ruft Benny bitter. Doch dann muß er abermals schießen. Es ist Shanes Glück, daß Benny genügend Zeit zum Zielen hatte. Deshalb trifft die Kugel nur die Hand. Er läßt sich zu Boden sacken, sitzt dort mit verzerrtem Gesicht und geweiteten Augen, die zusehen,
wie Sunshine Benny über den Schanktisch flankt. Und in seinen geweiteten Augen erscheint ein verwunderter Ausdruck. Benny achtet weder auf Shane noch auf Sammy Brown und dessen Begleiter. Er weiß ja, daß der Kampf erst begonnen hat. Draußen befinden sich noch Montana Conny und Ray Chance. Beide haben die Schüsse gehört – und beide können sich ausrechnen, daß Sunshine Benny schon mit Dick Shane zusammengestoßen ist. Benny macht ein paar schnelle und gleitende Schritte. Er nähert sich dabei der Hintertür. Und dort zeigt sich plötzlich der halbe Körper Montana Connys. Er zuckt sofort zurück, aber sein Colt, die Hand, der Arm, ein Stück Schulter und der halbe Kopf bleiben sichtbar. Und er feuert sofort. Auch seine Kugel trifft nicht, denn wieder war Sunshine Benny schneller. Ein blitzschneller Schnappschuß läßt Montana Conny zusammenzucken. Er zeigt einen kurzen Moment etwas mehr von seinem kleinen, krummen und dennoch sehnigen Körper. Bennys Colt dröhnt abermals. Als der Rückschlag seine Faust hochwirft, sieht er Montana quer vor die Tür stürzen und heiser stöhnend zusammenbrechen. »Hinter dir, Benny!« brüllt Sammy Brown von der entferntesten Ecke des Schanktisches, hinter dem er Deckung gesucht hat. Benny wirft sich wie eine Katze herum, landet auf dem Boden mit seiner ganzen Länge. Bevor er jedoch die Dielenbretter berührt, schießt er bereits. Ray Chances Kugel reißt ihm am Rücken das Hemd auf und brennt auf seiner Haut wie ein Peitschenschlag. Chance stolpert in den Raum herein. Benny springt auf. Chance wechselt seinen Colt indes von der rechten in die linke Hand. Als Ray Chance sein Gleichgewicht findet und linkshändig schießen will, wirft Benny sein langes Bein hoch. Die Stiefelspitze trifft das Handgelenk. Der Colt wirbelt in die Luft und spuckt Feuer.
Dann ist alles erledigt. Sammy Brown und dessen Betreuer erheben sich. Sunshine Benny lächelt sie an. Diesmal ist es ein ernstes und bitteres Lächeln. Aber auch Brown lächelt bitter. »Sunshine«, grollt er, »ich glaube, ich habe dir viel abzubitten. Ich dachte immer noch, daß du mit diesen drei Hundeflöhen unter einer Decke steckst. Auch deine Fragen im Hinterzimmer der Buffalo-Bar konnten mich nicht von dieser Idee abbringen. – Aber nun sehe ich, daß sie auch gegen dich etwas hatten. – Es war mir eine wirkliche Herzensfreude, zuzusehen, wie diese drei großspurigen Schießer auf einen besseren Mann stießen. – Aber begreifen kann ich die ganze Sache noch nicht recht.« Benny antwortet noch nicht. Er sieht forschend auf Ray Chance, der stöhnend am Boden sitzt und die Linke auf die Schulterwunde preßt. Dann geht er zu Dick Shane hinüber und sieht sich diesen an. Auch Shane wird nicht sterben. Aber seine rechte Schulter und seine linke Hand sind zerschmettert. Er wird in Zukunft nie mehr als Revolvermann sein Geld verdienen. Er starrt Sunshine Benny wortlos an. An seinen arbeitenden Backenknochen sieht man, wie sehr er die Zähne zusammenpreßt, um nicht brüllen zu müssen. Benny geht an ihm vorbei und zur Hintertür. Dort liegt Montana. Benny bückt sich und dreht ihn um. »Er ist tot«, murmelt er bitter, als er sich erhebt. Langsam tritt er an Sammy Brown heran. »Sammy«, sagt er hart, »muß ich dich vor meinem Colt nach Dale City zurückbringen, oder wollen wir Seite an Seite …« »He, was soll ich in dieser mistigen Stadt – mich lynchen lassen?« »Wir wollen noch einmal in den Ring steigen, Sammy. Diesmal wollen wir es fair auskämpfen. Ich hasse es, durch
Schwindel zum Sieger erklärt zu werden. Ich habe mein Bestes getan. Du konntest es nicht tun, da man dich sonst sicherlich von einem Hausdach abgeknallt hätte. Man hat es dir wohl angedroht, und du ließest dich von mir schlagen. – Hoi, Sammy, wenn wir jetzt gemeinsam zurückkehren, diese beiden Verwundeten mitnehmen, den Leuten unsere Geschichte erzählen und den Kampf noch einmal wiederholen, dann wird jeder Mann in diesem Land Verständnis aufbringen. – Die Leute hier werden schnell wütend und wild. Aber wenn sie erkennen, daß sie sich geirrt haben, sind sie recht nett. Deshalb wollten jene drei Kerle ja auch verhindern, daß ich dich zurückhole.« Sammy Brown hat staunend gelauscht. Nun schiebt er seinen Kopf vor, als hätte er nicht richtig gehört. »Du meinst, ich könnte meinen guten Namen als Boxer wiederherstellen?« »Und ich den meinen – man wollte mich nämlich in Stücke reißen, weil man dachte, deine Niederlage wäre ein Geschäft zwischen uns gewesen. Ich will dir unterwegs alles ganz genau erklären, wenn …« »Hier ist meine Hand!« röhrt Sammy Brown. »Ich komme mit, Mann! Ich will mit dir einen fairen Kampf. Und wenn mir irgendein Mistkerl noch einmal mit ein paar Revolverhelden droht, so werde ich mich diesmal nicht darum kümmern! Lieber in der Hölle schmoren, als …« * Zwei Tage später kommen sie aus den Hügeln und sehen Dale City unter sich in der Nachmittagssonne liegen. Sunshine Benny hält sein Pferd zurück und wartet, bis der leichte Wagen mit dem Boxer und dessen Betreuern neben ihm hält.
»Da kommt Marshal Kay Blyde mit der Ehrengarde«, lächelt er und deutet auf die stattliche Reiterschar, die ihnen entgegenkommt und die sie schon längst gesichtet hat. »Wir werden diesen Leuten unsere Geschichte erzählen – und sie werden alle unsere Freunde werden, zumal Dick Shane und Ray Chance bereit sind, ihren Auftraggeber zu verraten, um die eigenen Köpfe retten zu können. Bald sind unsere Westen rein und sauber, Sammy Brown. Philip Mallone wird fluchtartig die Stadt verlassen müssen.« Er setzt sich nach diesen Worten zufrieden im Sattel zurecht, holt Tabak und Blättchen aus der Hemdtasche und dreht sich eine Zigarette. Indessen nähert sich die Reiterschar schnell. Als Benny die Zigarettenkippe wegwirft, sind die Reiter heran. Sie bilden sofort einen dichten Kreis um Reiter und Wagen. Colts und Gewehre drohen. Bennys Lächeln ist verwundert. Er sieht den Marshal an, der finster brütend auf seinem Pferd sitzt und unruhig seinen grauen Kopf bewegt. »Was bedeutet das, Marshal? Hast du die Leute nicht aufgeklärt? Wir wollen doch die ganze Sache endgültig ins reine bringen und …« »Man hat Philip Mallone mit einem Wurfmesser getötet – in seinem Büro. Das Wurfmesser paßt genau in die Scheide, die man in deinem Gepäck gefunden hat, Benny – Und Philip Mallone muß nicht gleich tot gewesen sein. Es ist möglich, daß er nach einer Weile – nachdem sein Mörder bereits verschwunden war, meine ich – noch einmal für wenige Minuten das Bewußtsein erlangte, bevor er richtig starb. – So ist es, Sunshine Benny! Und ich kann diese Narren hier zu beiden Seiten auf keine andere Idee bringen. – Ich muß dich verhaften, Ben Sunshine! – Gib mir deinen Colt, Cowboy! Und sei kein Narr!« Benny duckt sich leicht zusammen. Seine Augen sprühen
regelrecht vor wildem Zorn. Sein schönes Gesicht wird so hart, daß es für wenige Sekunden all die Eigenschaften ausdrückt, die in Benny verborgen sind. Nun ist kein sonniges Lächeln mehr da, das andere Menschen über Bennys Format und seine wahre Klasse täuschen könnte. »Kay Blyde«, sagt er kurz und kühl. »Ein Messer ist kein Beweis. Mein Gepäck blieb im Hotelzimmer. Jeder Stümper hätte sich Zutritt verschaffen können. Wenn meine Messerscheide beim Gepäck war, so sollte man eigentlich annehmen, daß ich die Klinge nicht in der Westentasche herumgetragen habe. Das ist kein Grund, Kay Blyde!« Der Marshal nickt langsam. Sein zerfurchtes Gesicht wird noch düsterer und bitterer. »Da ist noch etwas«, murmelt er, und er murmelt es widerwillig. »Philip Mallone war dabei, einen Brief zu schreiben, als ihn das Wurfmesser in den Rücken traf. Der Brief enthält keine Anrede. – Hier!« Beim letzten Wort greift der Marshal in die Tasche und holt ein Stück Papier heraus. Heiser liest er vor: »Sunshine Benny wird gefährlich. Er kämpft für Cleve Lonestar und wird mich binnen drei Tagen zur Hölle schicken, wenn wir ihn bis zu diesem Zeitpunkt nicht erwischt haben. Er hat mir gedroht, und er hat mir das Handgelenk gebrochen. Wenn er noch einmal kommt, wird er mich …« Der Marshal bricht ab. Er kann nicht mehr weiter vorlesen, denn hier endet der Brief. »Benny«, sagt der Marshal hart, »ich weiß, daß du Philip Mallone nur aus diesem Land jagen wolltest. Ein paar andere Leute glauben das auch. Aber …« Benny setzt sich jetzt ganz bequem im Sattel zurecht und legt die Hände über den Kopf des Sattelhorns. Er sieht sich um. Was er sieht, das begeistert ihn nicht sehr. »Ich kann es mir vorstellen«, murmelt er mehr für sich. »Mallone bekam das schwere Messer in den Rücken. Da er
gerade schrieb, fiel er mit dem Oberkörper auf die Tischplatte und begrub den Brief unter sich. Und nun bilden sich ein paar Idioten ein, daß ich der Mörder bin und den Brief unter Mallones Brust nicht bemerkt habe. – Und ich wette, daß die Handschrift anders ist, weil Mallone ja mit der linken Hand schreiben mußte, da ich ihm das rechte Handgelenk brach. Ganz gut gemacht! Es überrascht mich jedoch, daß man mir solch eine feige Sache zutraut – das überrascht mich mehr als alles andere.« Er richtet sich auf und sieht die Männer an. Neben Marshal Kay Blyde hält ein großer, schwerer und knochiger Mann auf einem grauen Riesenpferd. Sein breitflächiges Gesicht ist von einem harten Leben gezeichnet. Es ist vom Wetter gebräunt. Augenbrauen, Schnurrbart und Schläfenhaare sind fast weiß, jedenfalls sehr farblos. Der Mann ist jedoch nicht älter als vierzig Jahre. Das sieht man auf den ersten Blick. Seine schmalen Augen sind rauchgrau. Als sie Bennys Blick begegnen, erscheinen gelbe Flecken in ihnen. »Sie sind doch Winston Wayman?« fragt Benny sanft. Wayman beachtet die Frage gar nicht. Er wendet sich an seine Nachbarn. »Wir haben genug geredet«, sagt er, und seine Stimme klirrt. Es ist eine selbstbewußte Stimme. »Sperren wir ihn endlich in eine gute und sichere Zelle. Dann können wir eine Jury bilden. Die ganze Sache ist doch klar. – Er reitet für Cleve Lonestar und war Mallones Feind. Sein Messer steckt in Mallones Rücken. – Was brauchen wir sonst noch zu wissen? – Daß er nicht ehrlich ist, bewies der Boxkampf, der eine Schiebung war. Und …« »Hölle und schwarzes Schneegestöber!« brüllt Sammy Brown vom Wagen herunter. »Der Kampf war eine Schiebung, aber Sunshine Benny wußte nichts davon! Er hat ehrlich gekämpft. Ich habe mich schließlich schlagen lassen! Ich habe mich doch hingelegt und
nicht er! Und ich habe mich auf die Bretter gelegt, weil mir sonst ein paar Hundeflöhe heißes Blei zwischen die Rippen gejagt hätten! Ich bin schließlich nur ein Boxer und kein Revolverheld! – Fragt doch diese beiden verwundeten Salzknaben hinter mir, wie die Sache …« Während seiner Erklärung wendet sich Sammy Brown um und deutet auf die beiden verwundeten Revolvermänner, die ganz hinten auf einer weichen Strohschicht im Wagen sitzen. Und als er sie grinsen sieht, so richtig spöttisch und giftig, da verstummt er verblüfft. Winston Wayman, der anscheinend immer mehr das Heft in seine Hand nimmt, benutzt die Pause. »All right!« ruft er. »Dann klären wir eben die Sache hier auf der Stelle und sofort. He, Dick Shane! Wie war die ganze Sache?« »Oha! Was springt denn für mich und meinen Partner Ray Chance dabei heraus?« fragt Dick Shane scharf. In seinen Augen leuchtet Hoffnung. Wayman lächelt unter seinem Hängeschnurrbart verständnisvoll. Er deutet mit einer flüchtigen Armbewegung auf die Reiter, die immer noch schweigsam einen dichten Kreis bilden, ihre Waffen bereithalten und aufmerksam lauschen. »Shane«, sagt er dabei, »das ist Marshal Kay Blyde. Ich weiß nicht, ob er noch länger als einen Tag Marshal sein wird. Er ist für euch jedenfalls nicht mehr sehr wichtig. Das da ist Mister Buck Miles von der Star-Ranch. Und das ist Mister Dunnhill, der die Wolfskopf-Ranch leitet. Die anderen Männer sind unsere Reiter. Wir haben uns vorgenommen, endlich Ordnung zu schaffen. Wenn es nötig sein sollte, bringen wir noch zwei Dutzend Boys in die Sättel. – Wir wollen jetzt aufräumen. Wir sind die Macht im County – jetzt, wo wir uns zusammengeschlossen haben. Wenn ihr beiden die Kronzeugen macht, so dürft ihr ungehindert das Land verlassen, wenn ihr wieder in einem Sattel sitzen und auf einem Pferd reiten
könnt.« »Der Marshal und ein paar Leute in der Stadt werden aber dagegen sein«, grinst Dick Shane zweifelnd. »Pfeif darauf, Shane«, erwidert Wayman grimmig. Shane sieht seinen Partner Chance an. Der nickt ihm leicht zu. Das Spiel läuft also nach Winston Waymans Wunsch. Benny läßt seine Augen in die Runde schweifen. Es wird ihm klar, daß Wayman alle Männer auf seiner Seite hat. Nur der Marshal macht vielleicht eine Ausnahme. Dann hört er Dick Shane sprechen: »Es begann damit, daß Lonestar den Geldtransport …« »Yeah, es hat sich inzwischen herumgesprochen. Das Zugpersonal berichtete davon«, unterbricht Wayman kurz. »Sunshine Benny soll auf Wunsch Patricia Monroes eingegriffen und Cleve Lonestar irgendwie zur Vernunft gebracht haben.« »Stimmt«, grinst Dick Shane spöttisch. »Lonestar ließ das Geld wieder in den Waggon schaffen – weil Sunshine Benny ihm versprochen hatte, persönlich mit Philip Mallone abzurechnen. Sunshine Benny war Cleve Lonestars Mann geworden, weil er dem Mädel einen Gefallen tun wollte. Es war der Preis dafür, daß Lonestar seine Beute aufgab.« Shane macht eine genußvolle Pause. Dabei sieht er mit glitzernden Augen auf Sunshine Benny, der ruhig und lässig auf seinem Pferd sitzt und zuhört, als ginge ihn die ganze Sache furchtbar wenig an. Shanes Grinsen wird stärker, und er berichtet weiter: »Philip Mallone erfuhr das alles vom Zugpersonal und von den Monroes selbst. Er wußte nun, daß er Sunshine Benny zum Gegner hatte. Er wußte aber auch, daß es auf tausend Meilen im Umkreis keinen Mann gibt, der Sunshine mit dem Colt schlagen könnte. Deshalb stellte Mallone eine Falle auf. Es stimmt, daß wir die Boxer unter Druck setzten. Mallone
rechnete damit, daß die Sache rauskommen und man Sunshine in Stücke reißen würde. Es kam zwar ans Tageslicht, aber Sunshine konnte entkommen. Er wußte natürlich sofort, wem er diese Sache zu verdanken hatte. Es ist schon möglich, daß er Mallone mit dem Messer erledigt hat. An Sunshines Stelle hätte ja auch so mancher stolze Mann vor wilder Wut seine Grundsätze vergessen und wäre zu einem feigen Menschenmörder geworden.« Wieder unterbricht sich Dick Shane. Nun verlangt er eine Zigarette. Bevor jemand von den anderen Männern eine zur Hand hat, reitet Sunshine Benny die drei Meter zum Wagen hin, beugt sich aus dem Sattel und gibt Shane die verlangte Zigarette. »Deine Geschichte ist erstklassig, Shane«, lächelt er. »Diese Zigarette ist ein Ausdruck meiner Bewunderung für dich.« Shane läßt sich verblüfft die Zigarette zwischen die Lippen schieben. Benny reißt ein Zündholz am Daumennagel an und gibt ihm Feuer. »Erzähl weiter, Shane!« Er lächelt sanft. Das erstaunte Gemurmel der Reiter verstummt. »Wir sahen den Schatten des Mörders aus Mallones Büro gleiten«, krächzt Shane giftig, und die Zigarette wippt zwischen seinen Lippen. Der Rauch beißt in seine Augen, aber er zwinkert nur und berichtet weiter: »Wir folgten dem Schatten. Er entkam uns auf einem bereitgestellten Pferd. Wir schlugen keinen Alarm, weil wir den Ehrgeiz hatten, den Mann selbst zu stellen. Wenige Minuten später waren wir beritten und befanden uns auf der heißen Fährte. Die Nacht wurde klar und hell. Wir konnten ihm gut folgen. Aber sein Pferd war besser. Als wir in Last Hill eintrafen, war der Zug inzwischen ebenfalls angekommen. Jetzt wurde uns klar, warum Sunshine so schnell geritten war. Er wollte den Zug noch erreichen und wußte, daß der Zug einen großen Umweg fuhr und überall auf den
Verladebahnhöfen längeren Aufenthalt hatte. – Wenn ihr uns fragt, Leute, warum Benny den Boxer zurückholen wollte – und es ja auch fertigbrachte, so sagen wir nur: Sunshine Benny ist gerissener als hundert Indianer auf dem Kriegspfad. Er hat einen guten Namen im Land und setzte darauf. Er dachte sich aus, daß es gut für seine Zukunft wäre, wenn er Sammy Brown zurückbrächte und noch einmal mit ihm kämpfen würde. Alle Leute hätten dann gesagt, daß er ein prächtiger und ehrenwerter Bursche sei, der keine krummen Sachen macht. Er hatte uns, nachdem er uns seine Überlegenheit mit dem Colt demonstriert hatte, sogar schon so weit, daß wir in seinem Sinne ausgesagt hätten. Und wenn Mallone nicht den angefangenen Brief unter der Brust liegen gehabt hätte, wäre niemand auf die Idee gekommen, daß der prächtige, faire Sunshine Benny der Mörder ist. – So, Gents, jetzt wißt ihr alles!« Nach diesen abschließenden Worten lehnt sich Dick Shane schlapp und müde zurück. Seine glitzernden Augen beobachten Benny. Und neben ihm nickt Ray Chance zustimmend und knurrt: »Shanes Worte sind die Wahrheit – ich kann es beschwören.« Eine kleine Weile ist es still. Die Reiter warten alle auf Winston Waymans Entscheidung. Und der läßt wieder eine Überraschung los. Er deutet auf Bennys Pferd. »Das Tier stand im Stall des Marshals. – Also muß der Marshal es ihm gegeben haben. Ich schlage aber vor, daß wir diese Sache nicht besonders untersuchen. Kay Blyde hat sich von diesem prächtigen Sunshine Benny vielleicht bluffen lassen. Lassen wir den alten Marshal also laufen. He, Blyde! Du wirst nicht mehr nach Dale City zurückkehren! Du sitzt auf einem guten Pferd. Reite ohne Pause, bis du mindestens hundert Meilen hinter dir hast. Dann ruh dich einen Tag aus, und denke sorgfältig darüber nach, ob …«
»Ich werde verdammt viel nachdenken«, grollt der Marshal und wendet sein Pferd. Alle sehen ihm nach. Als er hinter einer Bodenwelle verschwindet, wenden sie sich wieder Sunshine Benny zu. »Sunshine«, sagt Buck Miles, »ich hätte für Sie meine Hand ins Feuer gelegt. Wie konnten Sie sich nur von Cleve Lonestar beeinflussen lassen?« Und Need Dunnhill mischt sich ein. »Gewiß, Philip Mallone hat einen gemeinen Trick an Ihnen ausprobiert. Vielleicht hätte Sie die Menge wirklich gelyncht, nachdem es bekannt wurde, daß der Boxkampf eine Schiebung war. Aber Sie hätten ihn nicht hinterrücks niederstechen dürfen. Wenn Sie ihm eine Chance gegeben und ihn dann erschossen hätten, so wäre das wenigstens fair gewesen. Sie hatten ein gutes Recht, sich für den Trick zu revanchieren, aber …« Need Dunnhill, ein hagerer, falkenäugiger Rindermann, winkt müde mit der Hand. »Vieles ist mir noch nicht klar«, murmelt er dann nachdenklich. »Mir auch nicht«, mischt sich Winston Wayman ein. »Aber das wird morgen der Richter mit Hilfe der Zeugen, der Beweise und einer fairen Jury klären. Bringen wir ihn ins Gefängnis! Einen neuen Marshal muß diese Stadt ebenfalls bekommen.« Mit spöttischen Blicken und einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, die schmal und messerscharf vom Schnurrbart halb verborgen sind, reitet Wayman dicht an Benny heran. »Deinen Colt!« Benny reicht ihm die Waffe und lächelt dabei. Es ist ein sanftes Lächeln, aber Wayman, der spöttisch in Bennys Augen sieht, bekommt plötzlich ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend. Er überwindet es schnell, fragt sich aber in Gedanken besorgt, ob er nicht einen Fehler gemacht hat.
Hinten flucht Sammy Brown. Und dazwischen klingen die Flüche seiner Betreuer und des Managers, die ja nur Figuren am Rande sind und sich die ganze Zeit auch so verhalten hatten. »Nehmt den Wagen in eure Mitte!« ruft Wayman einigen Reitern zu. * Sunshine Benny liegt vollkommen entspannt auf der harten Pritsche seiner Zelle. Zwei Zellen weiter befinden sich Dick Shane und Ray Chance. Sie liegen in einer Doppelzelle, die zwei Pritschen besitzt, und sie haben weiche Polster und Bettzeug erhalten. Der Doktor hat sich bereits um ihre Wunden gekümmert. Ihre Zellentür steht überdies auch noch offen, denn sie befinden sich als Kronzeugen sozusagen nur in Schutzhaft. Die Stimmung in der Stadt ist sehr geteilt. Auf Dick Shane und Ray Chance haben viele Leute wegen der verlorenen Wettgelder, die nur schwer zurückzubekommen sind, eine große Wut. Den Boxer Sammy Brown, der sich frei in der Stadt bewegt und sich vor Kummer mit Whisky vollaufen läßt, beachtet man kaum. Er gilt als Feigling, der sich vor ein paar Revolverleuten fürchtete und deshalb unfair kämpfte. Man verachtet ihn und richtet seine Wut auf Shane und Chance, die ja die Ursache des unehrlichen Boxkampfes waren. Deshalb sitzen die beiden verwundeten Kerle lieber hinter den schützenden Mauern des Stadtgefängnisses und hoffen, daß Winston Wayman sein Wort hält und sie nach der Gerichtsverhandlung in Sicherheit bringen läßt. Aber um all diese Dinge, die da sind, passieren und noch kommen werden, kümmert sich Sunshine Benny nicht. Er liegt bewegungslos auf der Pritsche, hat die Arme unter dem Kopf verschränkt und seinen Hut auf dem Gesicht. Er kann jedoch unter dem Hutrand hervor den Raum vor den Zellen
beobachten. Zwei Wächter, die geladene Schrotflinten neben sich stehen haben, sitzen neben dem Durchgang an einem kleinen Tisch und versuchen ihr Glück beim Blackjack. Ich muß hier raus, denkt Benny. Langsam erhebt er sich und tritt an das kleine Fenster. Drei starke Eisenstäbe sind im Mauerviereck verankert. Draußen im Hof ist tiefste Dunkelheit. Ein schwüler Luftzug zieht herein. Ganz in der Ferne zuckt ein Blitz durch die Nacht, und entfernter Donner grollt. Hoffentlich wird es das Gewitter aller Gewitter, denkt Benny, wendet sich und tritt an die Gittertür. »Hallo, Freunde – wie steht’s mit einem ordentlichen Abendbrot? Ein paar Scheiben kaltes Bratenfleisch, Schinken, Käse und eingelegte Gurken. Dazu Bier mit ’ner guten Zigarre. Es macht mir keinen Spaß hier, wenn mein Magen knurrt.« Die beiden Wächter – es sind Cowboys der Faules-W-Ranch – unterbrechen ihr Kartenspiel. Sie grinsen spöttisch, erheben sich und nähern sich der Zelle. »Bruder«, sagt der eine, »du bist ein besonderer Freund von Lonestar. Und das ist Grund genug, dich hungern zu lassen. Wenn du nicht schon morgen vor die Jury treten müßtest, würden wir uns mit dir ein paar Späße erlauben.« Er verstummt, denn gewichtige Schritte nähern sich sporenklingend. Dazwischen hört man die Geräusche leichterer Schritte. Und dann wundert sich sogar Benny etwas, denn neben Winston Wayman erscheint Patricia Monroe. »Hallo, Pat!« ruft Benny lächelnd und froh, als hätte er das Mädchen ein ganzes Jahr nicht gesehen. Wayman bleibt stehen und winkt die beiden Cowboys hinaus. Patricia aber kommt schnell bis vor die Gittertür. Sie reicht Benny beide Hände durch die Stäbe. Der nimmt und drückt sie sanft. »Angst, Mädel?«
Er sieht sie dabei an. Ihr Gesicht ist etwas blaß, aber in ihren Augen leuchtet verzweifelte Entschlossenheit. Sie trägt die Tracht des Landes: einen geteilten Cordrock, eine weiße Bluse und darüber eine grüne Wildlederweste. Um ihre schmalen Hüften liegt ein Waffengurt, in dessen Halfter sich ein kleiner Colt befindet. Ihre Reitstiefel sind zierlich. Ihr Sporen sind ohne Räder. Der schwarze Stetson mit flacher Krone hängt auf ihrem Rücken. »Ich habe immer schon geahnt, daß du in dieser Kleidung wunderschön aussiehst«, sagt Benny. »Aber ich sehe, daß die Wirklichkeit doch noch meine Vorstellung übertrifft. Du bist viel zu prächtig für einen Mörder, Pat. Ich verdiene dich nicht. Und dieser ehrenwerte Gentleman wird es dir sicherlich schon gesagt haben.« »Das habe ich«, meldet sich Winston Wayman nähertretend. »Und ich kann es verstehen«, fügt er hinzu, »daß du ihr gerne einen Gefallen tun wolltest. – Sie wollte nicht, daß Lonestar den Geldtransport …« »Halt deinen Mund, Wayman!« »… und Lonestar gab die Sache nur deshalb auf, weil du ihm ein bestimmtes Versprechen gabst. Lonestars Feind war der Bankier und Viehaufkäufer Philip Mallone. – Nun ist er tot. Du hast dein Versprechen gehalten – ihr zuliebe. Sie hat mich gebeten, dich sprechen zu dürfen. Nun, ich bin kein Unmensch. Sie kann dich noch zweimal sehen – morgen, während der Verhandlung – und wenig später, wenn sie dich hängen. – Sprechen könnt ihr euch also jetzt zum letztenmal. Leider kann ich euch nicht allein lassen, denn …« Er grinst und deutet auf ihren Colt. »… sie könnte damit Dummheiten machen.« Sunshine Benny achtet gar nicht auf Waymans Worte. Er hält immer noch Patricias rechte Hand, aber seine Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Mann, den er als seinen eigentlichen Gegner erkannt hat. Er stellt einen Fuß zwischen die Gitter und die
unterste Querverstrebung. Seine Rechte ruht lässig auf dem Knie. »Wayman«, sagt er sanft. »Jetzt, wo Mallone so plötzlich verstorben ist, jetzt bekommst du auf einmal eine Ranch geschenkt, was? – Eine große Ranch ist es, wahrhaftig! Wenn man bedenkt, daß die Hälfte des Weidelandes einmal Cleve Lonestar gehörte! Du bist wahrhaftig ein Glückspilz, Wayman.« Der zuckt zusammen. Doch sofort hat er sich wieder in der Gewalt. »Die Faules-W-Ranch war schon immer mein Eigentum. Es ist ja auch mein Brandzeichen. Du redest Unsinn, Sunshine!« »Bestimmt nicht, Freund«, grinst Benny hart. Seine Hand gleitet dabei vom Knie. Da er seinen Fuß einen halben Meter hoch auf der Querverstrebung stehen hat, kann er schnell in seinen Stiefelschaft greifen. Wie durch Zauberei erscheint Philip Mallones kleiner ColtDerringer in der Hand. »Kein Unsinn und keinen Spaß mehr, Wayman! Du weißt ja wohl, was ich mit einer kleinen Knallbüchse alles machen kann! Na, willst du dich nicht überreden lassen, die Händchen zu heben?« Geduckt steht Wayman vor der Zelle. Seine schmalen Augen weiten sich unnatürlich. Er hält die Luft an und schluckt dann die bittere Erkenntnis wie eine schlechte Medizin. Patricia tritt langsam zurück. »Nein, Mädel, du hast nichts damit zu tun«, flüstert Benny scharf. »Du wirst ihn weder entwaffnen noch die Schlüssel vom Wandbrett holen. Nichts wirst du tun. Ich wollte mir diesen feinen Spaß eigentlich viel später erlauben – gegen Morgen, wenn im Ort alles ruhig ist. – Aber ich sah’s dir an, daß du einen Entschluß gefaßt hattest. Ich will nicht, daß du etwas mit meiner Befreiung zu tun hast. Geh hinaus, Pat! Verlaß dieses Haus, bevor die Hölle losbricht. Geh!«
Leider kann er sie nicht ansehen. Vielleicht hätte sein wilder und zugleich bittender Blick sie zur Vernunft und zur Einsicht gebracht. Aber Benny behält Winston Wayman genau im Auge. Er braucht den Mann nur anzusehen, um zu wissen, wie gefährlich und schnell Wayman sein kann. »Gib mir deinen Colt, Wayman!« fordert er leise, aber scharf. Die beiden verwundeten Coltmänner in der Nebenzelle sind natürlich längst aufmerksam geworden und vollkommen im Bilde. Und doch mischen sie sich nicht ein. Kämpfen könnten sie ohnehin nicht, aber schreien könnten sie. Sie tun es nicht. Sie haben Sunshine Benny kennengelernt. Sie sind froh, daß sie am Leben bleiben konnten. Nein, sie riskieren nichts. »Gibt mir deinen Colt, Wayman«, sagt Benny also scharf. Er läßt Wayman ganz genau in den kurzen Doppellauf der kleinen Waffe sehen. »Es ist Mallones Waffe. Er wollte es probieren, aber ich konnte ihm das Handgelenk brechen. Es war reiner Zufall, daß ich sie in meinen Stiefel steckte. Und ist es nicht auch ein Zufall, Wayman, daß es ausgerechnet Mallones Waffe ist, mit der ich mir nun aus der Not helfe? He, ist es nicht ein wunderbarer Zufall? – Es ist nobel von dir, daß du die beiden Wächter hinausgeschickt hast. Sie sind sicherlich so gut erzogen, daß sie nicht ungerufen hereinkommen. – Deinen Colt, Wayman!« »Ich stehe hier nur, bewege mich nicht, greife nicht zur Waffe – und du wirst nicht schießen, Sunshine, du nicht. Ich kämpfe ja nicht, Benny! Oder willst du deinen Ruf verraten? Willst du auf einen Mann schießen, der nicht kämpfen will?« Wayman murmelt es selbstsicher. Aber als er spöttisch in Bennys Gesicht starrt, da sieht er die jähe Wandlung, sieht die Härte, die es jetzt ausdrückt. »Probieren wir’s aus, Wayman«, sagt Benny sanft. Mit dem
Daumen spannt er beide Hähne der kleinen Waffe. »Eigentlich wollte ich dich an den Galgen bringen, Wayman. Aber ein Mann in meiner Lage hat wenig Geduld. All right: Ich zähle bis drei!« »Benny!« flüstert Patricia scharf, die immer noch bewegungslos in der Ecke steht. »Verlaß dieses Haus, Mädel. Bei Gott, ich kann dich nur darum bitten und auf deine Einsicht vertrauen. Du hast genug getan, Mädel – du hast mir Winston Wayman vor die Zelle gebracht. Er steht allein vor mir. Die Wächter sind hinausgegangen. Mehr brauchtest du nicht zu tun. Nun geh!« In Bennys Stimme sind eine Menge wilder Gefühle. Plötzlich versteht Patricia alles. »Viel Glück, Ben Sunshine«, sagt sie kurz und geht. Sie verschwindet im Büro. Benny lauscht. Ihre Schritte verklingen. Endlich werden weit entfernte Stimmen hörbar. Sie sind so unklar, daß man sie kaum hören kann. »Wayman, deine Wächter stehen vor der Tür auf dem Gehsteig, plaudern mit neugierigen Leuten und genießen die schwüle Luft vor dem Gewitter. Pech für dich! Miß Monroe hat ihnen sicherlich jetzt gesagt, daß du mit mir noch ein paar Worte allein zu reden hast. – Well, ich zähle jetzt: Eins! Zwei!« Sie starren sich in die Augen. »Halt«, knurrt Wayman. Langsam greift er mit zwei Fingerspitzen nach dem Colt, zieht ihn langsam aus der Halfter und reicht ihn zwischen den Stäben hindurch in die Zelle hinein. Die Verwundeten in der anderen Zelle haben alles beobachtet. Nun stöhnen sie und atmen schwer. Vielleicht kommt ihnen gerade die Erkenntnis, daß sie für Winston Wayman ohne Wert sind, wenn Sunshine Benny entkommt. Benny nimmt Waymans Colt mit der Linken. Er wirft ihn in die Luft, läßt ihn wirbeln und fängt ihn auf, ohne dabei seinen
harten Blick von Wayman zu nehmen. »Gute Waffe – liegt tadellos in der Hand, Wayman. – Jetzt hol den Schlüssel und schließe auf.« Wayman steht mit hängenden Armen und vorgebeugtem Oberkörper da. Seine Hände krampfen sich zusammen und öffnen sich wieder. Er stiert auf Benny. Sein Atem geht schwer. Und dann wendet er sich langsam, tritt an die Wand und nimmt den betreffenden Schlüssel vom Brett. Als er zurückkommt und vor die Gittertür tritt, zittert er am ganzen Körper. Seine Wut ist nun so angewachsen, daß er sich kaum noch beherrschen kann. Ein Mann von seiner rücksichtslosen Sorte ist viel zu stolz, als daß er solche Sachen gleichmütig schlucken kann. Und er weiß: Wenn Sunshine Benny erst wieder in Freiheit ist, dann wird es sehr rauh und bitter werden. Er denkt an viele Dinge, die Benny ans Tageslicht bringen könnte – und die ruhen und bald vergessen sein würden, wenn er Benny ausschalten könnte. Er schließt auf und öffnet langsam die Tür. Benny hat die kleine Waffe weggesteckt, doch Waymans Colt liegt fest in seiner Hand und ist auf Waymans Gürtelschnalle gerichtet. Als die Tür offen ist, ist auch Waymans wilde Wut groß genug. Hundert Colts, deren Kugeln ihn zerfetzen würden, könnten ihn nicht mehr zurückhalten. Er muß es einfach tun. Und er tut es auch. Er springt Benny an. Und Benny schießt – nicht. Er wirft sich vor. Als beide Männer hart zusammenprallen, stößt Benny den Coltlauf genau auf Waymans Magen. Wayman stößt ein Stöhnen aus, lehnt sich schwer an Benny und hält sich an ihm fest. Doch mit einem wilden Ruck reißt Benny sich frei, bringt die Revolverhand hoch und schlägt zu. Waymans verzweifelter Griff löst sich. Ächzend taumelt er
gegen die Gitterstäbe. Benny steckt den Colt in den Hosenbund, packt den schweren Mann und schleift ihn zur Pritsche. Als er Wayman hinlegt, hat dieser das Bewußtsein verloren. Benny schließt die Zelle hinter sich ab und steckt den Schlüssel in die Tasche. Einige Sekunden steht er regungslos und lauscht. Von der Straße her kommen undeutliche Geräusche herein. Ganz entfernt klingen Männerstimmen. Er hört schwaches Gelächter. Zufrieden lächelt er und tritt vor die Zelle der verwundeten Coltmänner. »Bis jetzt habt ihr ja vornehm geschwiegen. Bleibt weiter so reserviert und zurückhaltend. Als Zeugen seid ihr für Wayman nun keinen halben Cent mehr wert!« Er wendet sich ab, tritt an das Schlüsselbrett, sucht den richtigen Schlüssel und schließt die Zelle der beiden Kerle ab. Auch diesen Schlüssel versenkt er in seiner Hosentasche. »Mann, laß uns doch raus«, keucht Dick Shane. »Wir mußten doch Waymans Melodie singen. Jetzt, da Mallone tot ist, hat Wayman das Heft in der Hand. Er hat den Marshal davongejagt. Eine Menge Leute fressen ihm aus der Hand oder hören auf ihn. Was sollten wir denn sonst tun, wenn wir unsere Haut retten wollten?« Sunshine Benny antwortet nicht. Er schenkt ihnen nur ein verächtliches Lächeln. Als er ihnen den Rücken dreht, sieht er noch einmal über die Schulter. »Wenn ihr vorzeitig Lärm macht, komme ich zurück«, sagt er sanft. Dann gleitet er zum Durchgang und späht ins Büro hinein. Es ist leer. Eine Karbidlampe brennt dicht unter der Decke und verbreitet weißliches Licht. Er durchquert das Büro und bleibt neben der offenen Tür stehen. Der Gang ist dunkel. Er betritt ihn mit gleitendem Schritt und wird in der Dunkelheit zu einem lautlosen Schatten. Was jetzt kommt, das wird schwer, wenn nicht fast
unmöglich sein. Er weiß natürlich, daß ein Dutzend Wächter das Marshal-Haus bewachen. Sie sind im Hof, in der Seitengasse und vor der Haupttür auf dem Gehsteig. Da er jetzt im dunklen Gang flach an der Wand steht, sieht er das hellere Rechteck der offenen Tür. Zwei Männer lehnen zu beiden Seiten an den Türpfosten und unterhalten sich mit anderen, die draußen auf dem Gehsteig stehen. Benny schiebt sich flach an der Wand entlang. Bis zur Tür sind es sechs Meter. Er schafft es, ohne von den Männern gehört zu werden. Der Gang ist breiter als die Tür. Aus diesem Grunde befindet sich neben der Tür eine finstere Ecke. Er kauert sich hinein und wartet. Er weiß, daß es sehr bald losgehen wird. Er lauscht jetzt aufmerksam auf das Gespräch vor der Tür. »… viele Freunde im ganzen Land. Wenn er nicht binnen zwei Tagen für schuldig befunden und aufgeknüpft wird, dann …« »Ah, der Boß wird’s schon machen. – Außerdem warten wir darauf, daß Cleve Lonestar gegen Morgengrauen einen Befreiungsversuch machen wird. Der wird sich wundern. Im Hof und gegenüber der Vordertür werden ein paar Scharfschützen lauern. – Na, es dauert mir doch zu lange. Ich will mal nachsehen, ob der Boß immer noch mit Sunshine Benny spricht.« Der Sprecher drückt sich vom Türpfosten ab und kommt in den Gang. Benny bewegt sich nicht, als der Mann ahnungslos an ihm vorbeigeht, den Lichtstreifen der Bürotür erreicht und im Büro verschwindet. Dann ruft der Mann im Büro: »Hallo, Boß! Ist noch alles all right?« Der Mann ist im Büro gleich nach dem Eintritt stehengeblieben. Benny sieht seinen Schatten, der aus der Tür inmitten des Lichtkeiles auf den Gang fällt. Der Mann wagt es nicht, ohne Waymans Erlaubnis den Zellenraum zu betreten.
Deshalb rief er nur. Und nun brüllt Shane: »Höllenpest! Sunshine Benny hat euren Boß zusammengeschlagen und ist ausgebrochen – sicherlich durch die Hintertür!« Damit geht es los. Männer kommen drängend durch die Tür, aber keiner wirft einen Blick in die finstere Ecke. Benny wird nicht bemerkt. Die Kerle poltern den Gang entlang, quetschen sich ins Büro und machen einen Höllenlärm. Einige kommen aber sofort zurück und laufen den Gang weiter und zur Hintertür. Draußen fällt ein Schuß, den wohl ein nervös gewordener Wächter abgibt. Benny lacht leise in sich hinein, richtet sich auf und geht ruhig durch die Vordertür. Ein Windwirbel kreiselt die schlecht beleuchtete Straße herunter und erzeugt eine rotierende Staubsäule. Ein gewaltiger Donnerschlag kracht und rollt dann noch lange im weiten Tal herum. Zugleich flammt ein gleißender Blitz über der Stadt auf. Dann ist es für wenige Sekunden ganz still. Benny ist zwanzig Schritte gegangen, als die stille Main Street lebendig wird. Aus den Lokalen kommen Männer gelaufen. Der Schuß vor dem Donnerschlag hat Aufmerksamkeit erregt. Eine Männergruppe, die schräg gegenüber dem General Store unter dem Dach des Gehsteiges stand, löst sich und kommt über die Fahrbahn. Benny geht ruhig weiter, und der Lärm im Marshal-Haus wächst zu einem wilden Spektakel. Nun krachen einige Alarmschüsse. Und im selben Moment rauscht ein wahrer Wolkenbruch vom Himmel. Zwei, drei, vier Männer kommen Benny entgegen. Einer prallt gegen ihn. »Was ist los?« keucht eine Stimme. Benny begrüßt den Wolkenbruch sehr, der die Dunkelheit des überdachten Gehsteiges noch undurchdringlicher macht. »Weiß nicht – vielleicht wollen sie Sunshine befreien. Ich
halte mich raus«, erwiderte er auf die Frage des Mannes. Aber der hört die letzten Worte gar nicht mehr, denn er hatte es zu eilig weiterzukommen und das Marshal-Haus zu erreichen. Benny lächelt, während er ruhig weitergeht. Er taucht unter dem Haltegeländer hindurch und springt durch den rauschenden Gewitterregen quer über die Fahrbahn, die sich binnen Sekunden in einen zähen Morast verwandelt hat. Vollkommen durchnäßt biegt er in den Hof des Mietstalles ein. Als er den Stall betritt, schüttelt er sich einen Moment wie ein nasser Hund. Donner, Regen und Windböen übertönen den Lärm der suchenden Trupps. Hinten im Stall brennt eine Laterne. Auf einem Strohlager liegt der Stallbursche. Neben ihm liegt eine leere Whiskyflasche. In der Box wiehert Speck, der längst seinen Herrn gewittert hat. Benny sattelt und zieht den Schecken aus der Box. Nachdem er das große Stalltor aufgestoßen hat, schwingt er sich in den Sattel und reitet in den Regen hinaus. In der Hofeinfahrt stößt er in ein dichtes Männerrudel, das gebückt gegen den Regen hastet. Er begreift, daß es ein Suchtrupp ist, der den Mietstall durchsuchen und bewachen soll. Er treibt den Pinto mitten in das Rudel hinein. Sein gellender Schrei bricht durch das Toben des Unwetters. Speck rammt zwei Männer, die wie Strohpuppen zur Seite fliegen. Ein Schuß kracht. Die Kugel reißt Bennys Hut in den Nacken. Er lacht wild. Das Pferd teilt den Trupp wie eine Axt einen Holzklotz. Er beugt sich aus dem Sattel und wuchtet dem Schützen die Faust ins Genick, bevor der Mann zum zweitenmal abdrücken kann. Dann ist er durch, reißt Speck scharf nach rechts und verschwindet hinter dem rauschenden Regenvorhang. Einige Schüsse krachen hinter ihm her, aber keine der Kugeln trifft. Plötzlich fällt ihm etwas ein, was er vor wenigen Sekunden nur im Unterbewußtsein wahrgenommen hatte. Er hat im Vorbeireiten durch die erleuchteten Fenster in den Schankraum
der Buffalo-Bar sehen können. Der Raum war fast leer. Alle Gäste mußten ihn verlassen haben und die Straße hinaufgerannt sein, als Benny im Stall sein Pferd sattelte. Deshalb liegt alle Gefahr so ziemlich hinter ihm, wenn er sich jetzt beeilt. Aber er beeilt sich nicht. Er wendet sogar sein Pferd und reitet zurück. Nach wenigen Metern kann er wieder durch die Fenster in den Raum sehen. Nun erkennt er, daß er sich nicht getäuscht hat. Hinter dem Schanktisch steht ein Barmann und putzt Gläser. Vor dem Schanktisch steht Sammy Brown. Er stützt den Kopf in die Hände seiner aufgestemmten Arme und starrt regungslos in den Spiegel. Das alles sieht Benny durch das Fenster. Er drängt den Pinto dicht an das Geländer und gleitet vom Sattel aus auf den erhöhten und überdachten Gehsteig, der hier vor der Bar eine Art Veranda ist. Mit drei schnellen Schritten erreicht er die Pendeltür und stößt sie auf. »Sammy Brown!« ruft er scharf. Als hätte ihn eine Nadel gestochen, wirbelt der Preisboxer herum. »Komm rein, Benny, sonst ertrinkst du da draußen«, grinst er betrunken und wischt sich über das narbige Gesicht. »Komm mit mir, Sammy! Reite mit mir!« »Warum sollte ich mit dir reiten, Cowboy?« »Denke unterwegs darüber nach – ich kann nur drei Sekunden auf dich warten!« »Dann denke ich morgen nach – heute bin ich betrunken. Alle haben mich verlassen – ich bin allein! – Alle verachten mich!« »Dann reite mit mir und unternimm etwas dagegen!« »Hoii, das ist ein Wort! Ich werde die ganze Stadt einreißen!« Der Boxer kommt schnell durch den Raum. Als er nahe genug ist, daß er in Bennys Augen sehen kann, erkennt er darin
ein seltsames Leuchten, das ihn sofort ansteckt. Irgendein Gedanke ist plötzlich in seinem betrunkenen Schädel. »Verdammt, wir sind Partner! Zeigen wir’s den Hundeflöhen!« Seite an Seite stoßen sie die Schwingtür auf – und sie knallt auseinander, als hätten zwei Pferde ihre Hinterhufe dagegen gefeuert. Ein paar Männer wollten soeben herein. Benny stößt einen wilden Schrei aus und springt wie ein Panther vorwärts. Sammy Brown bleibt an seiner Seite. Dabei grollt er wie ein angreifender Grisly. Es sind vier oder fünf Männer. Und sie werden von den beiden Partnern wie Schneiderpuppen weggefegt. »Da ist das Pferd, Sammy!« ruft Benny und zerrt den Boxer zu seinem Schecken. Er hilft ihm sogar in den Sattel, ergreift die Zügel des Pferdes und läuft los. Sie sind kaum aus dem Lichtschein und in der Regenwand untergetaucht, da raffen sich die Niedergeschlagenen vom Gehsteig auf, stimmen ein höllisches Gebrüll an und feuern aus ihren Colts. Noch mehr Männer kommen den Gehsteig heruntergelaufen. Die ganze Meute macht sich an die Verfolgung. Hinter ihnen tauchen die ersten Reiter auf. Benny ist ein guter Läufer. Nach fünfzig Metern erreichen sie eine Gasse. Er biegt sofort ab und zerrt den Schecken hinter sich her. Der Regen trifft sie nicht mehr so arg, denn die Gasse ist so schmal, daß zwei Reiter in ihr nicht nebeneinander reiten könnten. »Ich kann ja gar nicht reiten«, orgelt Sammy Brown, der wie ein Kartoffelsack auf Bennys Pinto hängt. »Lerne es höllisch schnell, Partner! Lerne es!« ruft Benny über die Schulter. Nach hundert Metern endet die Gasse, wird zu einem schmalen Feldweg, der mitten durch die Maisfelder der Stadt
führt. Ein paar Obstbäume stehen neben dem Wege. Benny stoppt plötzlich ab, denn unter den Obstbäumen bewegen sich große Schatten. Es sind Pferde. Sie sind nur wenige Meter entfernt, so daß Benny sie trotz des Regens und der Nacht erkennen kann. Bevor er sich darüber Gedanken machen kann, flammt ein langer Blitz den Himmel entlang, teilt sich in drei Äste und erhellt eine volle Sekunde die Gewitternacht. Benny schiebt den nassen Colt in den Hosenbund zurück. Der Blitz war gut. Als der Donner verklingt, kommen die Reiter näher. »He, wir haben deinen Schecken erkannt, Benny. Wir hörten vor wenigen Minuten den Lärm im Ort und dachten uns schon, daß du ihnen ein paar Tricks gezeigt hättest!« Der erste Reiter, der dicht vor Benny und Sammy Brown auftaucht, beugt sich aus dem Sattel und ruft es beruhigend. »He, Cleve. Was machst du im Gewitter unter den Apfelbäumen?« brüllt Benny zurück. »Wir wollten diese Idiotenstadt in Stücke reißen und dich aus dem Gefängnis holen. Wir haben ein Pferd für dich! Was hast du da für einen Klotz auf deinem Pinto sitzen?« »Das ist Sammy Brown! Wir sind vorläufig ein Herz und eine Seele. Und ich habe ihn von einem schauerlichen Besäufnis abgehalten. Achtet auf ihn, denn er behauptet, nicht reiten zu können.« »Sicher, sicher! Oha, was man nicht alles für Überraschungen mit dir erlebt.« Indes sich die Männer diese Worte zubrüllen, kommen noch vier Reiter herbei. Einer führt ein Sattelpferd neben sich. Benny sitzt mit einem Sprung im Sattel. Im selben Moment zuckt wieder ein Blitz den Himmel entlang. Benny erkennt den Mann, der ihm das Pferd gebracht hat. Es ist Marshal Kay Blyde. »He, Blyde! Warum reitest du mit Viehdieben?«
»Ein anständiger Mensch muß ja wenigstens dabei sein!« grollt der alte Marshal zurück. Dann formiert sich das Rudel und reitet an. * Es ist Tag geworden, und Sammy Brown ächzt: »Ich will hundert Runden gegen Sullivan kämpfen – aber nie mehr einen rauhen Weg auf einem Gaul reiten.« Benny und Cleve Lonestar wenden sich um und grinsen. »Wir sind bald in meinem Camp«, verspricht Lonestar tröstend. Dann arbeiten sie sich vom Kamm einen Hang hinunter und erreichen eine breite Bergterrasse, die sich tief in die Bergfalte hereinzieht und endlich an einer steilen Felswand endet. Aber an ihrer breitesten Stelle ist diese Terrasse über hundert Yards breit. Mächtige Föhren und dazwischen ein paar Laubbäume geben fast überall Schatten und Deckung. Ein kleiner Corral und eine Blockhütte stehen unter dichten Bäumen im Schutz einer Felswand. Bevor die Reiter jedoch zur Hütte reiten, führt sie Cleve Lonestar an den Terrassenrand. »Da!« stößt er kurz hervor und macht eine weite und umfassende Armbewegung. Benny erkennt die günstige Lage des Camps mit einem einzigen Blick. Sie befinden sich fünf- oder sechshundert Yards über dem Tal. Rechts von ihnen durchbrechen einige Schluchten die Berge. Weiter im Nordosten stößt ein Berg weit in das Tal hinein. Er wird ebenfalls von einer Schlucht durchbrochen. Im Westen beginnt ein mächtiger Canyon. »Da drüben«, zeigt Lonestar, »der Canyon da, der gehört noch zur Block-M-Ranch. Wayman läßt seit ein paar Tagen jedoch schon seine Rinder hineintreiben. – Zu unseren Füßen liegt die Weide, die mir gehörte. Jetzt steht Waymans Vieh mit
dem Faules-W-Brand darauf. Im Süden die Hügel und alles Land dazwischen und dahinter, das ist die Weide der Star-Ranch, die Buck Miles leitet. Dunnhills Weide können wir nicht einsehen – aber wir ritten über ein Stück davon, bevor wir die erste Schlucht erreichten. – Und da in die vielen Schluchten, da hinein wird all das Vieh getrieben, das die bösen Rustler den prächtigen Ranchern abhaken. – Ich, Cleve Lonestar, soll es sein. – Es wird aber bald anders werden. – Ruhen wir erst mal aus.« Sie satteln ab, versorgen ihre Pferde und versammeln sich dann vor der Blockhütte. Ein krummbeiniger Boy, dessen braunes Baumrindengesicht die Traurigkeit der ganzen Welt ausdrückt, geht hinein, um fürs Essen zu sorgen. »Das ist Shorty. Er kocht meistens gern. Aber wir dürfen ihn dabei nicht stören«, murmelt Cleve Lonestar und setzt sich auf einen Baumstumpf. Sunshine Benny lehnt an der Hüttenwand und dreht sich eine Zigarette. Er nickt. »Du hast eine gute Mannschaft, Cleve.« »Yeah. Sie blieben bei mir, als man mich aus dem Land jagte. Das ist Larry. Ohne seine Sommersprossen wäre er gar nicht so schön.« »Hallo, Larry«, nickt Benny freundlich. Sein Lächeln ist wieder da. Cleve deutet auf den nächsten seiner Reiter. »Das ist Sidney.« Benny tauscht mit Sidney einen festen Blick aus. Auch dieser Cowboy gefällt ihm. Sidney ist ein schweigsamer, viereckiger und dunkelhaariger Mann. Er ist nicht mehr sehr jung. Benny sieht, daß Sidney seinen Colt sehr tief trägt. Es ist eine alte Waffe, deren Elfenbeingriff sehr abgegriffen ist. Im selben Moment kommt ein alter Blecheimer durch die Hüttentür geflogen. »Ich brauche Wasser!«
»Das ist Shorty«, grinst Cleve. »Er ist eine Seele von Mensch.« Indes bückt sich Larry nach dem Eimer und entfernt sich damit zur Quelle, die als dünner Wasserfall aus der nahen Bergwand sprudelt. »Clurch Chicio ist nicht da«, fährt Cleve Lonestar fort. »Er ist ein …« »Ich kenne ihn – Clurch kenne ich«, winkt Benny ab. »Das ist deine ganze Mannschaft?« »Yeah, Benny! Und es ist deine Mannschaft. Du bist jetzt der Boß hier, Sunshine Benny – ich bin jetzt nur noch dein Vormann, der deine Befehle ausführt.« »He, Boys – ich bin auch noch da. Ich will auch in dieser prächtigen Crew reiten«, meldet sich Marshal Kay Blyde. Benny nickt ihm zu. »Du bist all right, Blyde. Du hast dich nur von Winston Wayman verjagen lassen, weil du Cleve Lonestar suchen wolltest.« »Er bat uns gefunden, uns von deinem Pech erzählt und einen verdammt guten Vorschlag gemacht, wie wir dich rausholen könnten«, nickt Lonestar. »Du bist der Boß«, wiederholt er endgültig. * Das Essen ist fertig. Benny füllt sich den Teller mit Bratkartoffeln, im selben Moment kommt die Überraschung. Bevor Shorty, der auf Wache gehen wollte, die offene Tür erreicht, taucht ein großer, geschmeidiger, dunkelhäutiger Mann in ihr auf. Der Mann hält in jeder Hand einen soliden Colt, und man braucht kein Menschenkenner zu sein, um nicht sofort zu erkennen, daß dieser ungebetene Besucher mit seinen beiden Schießeisen eine Menge schlimme Sachen anstellen könnte.
»Keine Witze mit mir! Mal sehen, ob ihr Dummköpfe seid!« Der Mann spuckt es scharf und schnell zwischen zwei blitzenden Zahnreihen hervor. Seine wasserhellen Augen, die zu seiner dunklen Gesichtsfarbe und seinen schwarzen Haaren einen seltsamen Kontrast bilden, überwachen jede Bewegung im Raum. »Shorty!« ruft Sunshine Benny, denn er sieht, wie der kleine Reiter etwas riskieren möchte. Die anderen sind halb aufgesprungen. Cleve Lonestars Hand liegt am Coltgriff. Larry und Sid stehen mit eingezogenen Köpfen lauernd da. Sie warten sichtlich auf eine Chance. Sammy Brown steht immer noch kauend am Fenster, dessen Sims er als Tisch benutzt, weil er zur Zeit nicht ohne gewaltige Schmerzen sitzen kann. Nur Sunshine Benny ist ruhig sitzen geblieben, nachdem er nur leicht zusammengezuckt war. Ruhig füllt er sich den Teller mit Bratkartoffeln. »Setzt euch, Brüderchen, setzt euch. Der Gentleman da hat sich genau den richtigen Moment ausgesucht. – Ich wette, daß es Winston Waymans Weideboß Mac Flynn ist, von dem ich schon ein paar mehr oder weniger nette Geschichten hören mußte. – Hallo, Flynn! Die Bratkartoffeln sind warm – oder bist du im Moment nicht sehr daran interessiert?« Er lächelt sonnig und strahlt Flynn richtig freundlich an. Nur seine Augen leuchten nicht mehr so hell – sie sind unwahrscheinlich dunkel geworden. Ihr strahlendes Blau hat sich in ein Tintenblau verwandelt. Mac Flynn lächelt zurück. Es ist ein mitleidloses Lächeln, so richtig eiskalt und zufrieden. »Ich wollte dich schon immer mal kennenlernen, Sunshine Benny. Man erzählt sich viel von dir, du doppelter König aller Cowboys. Ich wollte schon immer mal mein Glück bei einem erstklassigen Mann versuchen. – Deine Bratkartoffeln interessieren mich wirklich nicht im Moment. Und du hast
richtig getippt: Ich stand schon ein paar Minuten neben der Tür. Durch ein Loch zwischen den Baumstämmen konnte ich dich genau beobachten. Ich wartete, bis du den Teller in der einen und den Löffel in der anderen Hand hattest. Ich habe zu viel über dich gehört, als daß ich ’ne Dummheit machen wollte.« Er richtet sich etwas auf. »Steht auf, tretet an die Wand, und legt eure Hände dagegen. Hoch, ganz hoch mit den Händen! Los!« Benny erhebt sich langsam. »Du bist sehr selbstsicher, Flynn.« »Die ganze Bude ist umstellt, und ich habe euch vor meinen Läufen. Rechne dir selbst eure Chancen aus, Benny. Ich weiß, daß du kein Narr bist, also!« »Habt ihr unsere Fährte verfolgt, Flynn?« »Nein! – Einer meiner Reiter fand gestern dieses verlassene Camp. Er benachrichtigte uns. Wir kamen sehr vorsichtig. Wir sahen die Pferde im Corral und wußten, daß das Camp nicht mehr verlassen war. – Nun sind wir hier, und ihr habt keine Chance. – Mallone hat ’ne Menge Dummheiten gemacht! Er war ein Narr und glaubte, dich durch einen raffinierten Trick ausschalten zu können. – Winston Wayman machte es nicht besser. Sie hatten viele Dinge über dich gehört und konnten dich dennoch nicht richtig einschätzen, Sunshine. – Ich mache keine Fehler. Ich schieße! Drei Mann von euch sind bestimmt fällig, bevor die anderen zum Schuß kommen. – Und nun zum letztenmal, Nachbarn: An die Wand mit euch!« Die Bewegungen seiner Colts sind unmißverständlich. Von draußen werden zur gleichen Zeit einige Stimmen hörbar. Cleve Lonestar zerbeißt einen Fluch zwischen den Zähnen. Shorty zittert wie ein Terrier an einer unsichtbaren Kette. Larry und Sid lauern immer noch geduckt und haben sich bis jetzt noch gar nicht bewegt.
Marshal Kay Blyde betrachtet sich die ganze Sache ruhig, als wäre er nur Zuschauer. Und Sammy Brown, der sich vor wenigen Tagen den Drohungen einiger Coltmänner gebeugt hatte und sich als Feigling wie in der Hölle fühlte, verliert die Geduld. Es kommt wie eine Explosion. Was er macht, ist eine Dummheit, die nur ein Mann versucht, der dieses Land und die gefährlichen Männer in ihm nicht kennt. Sonst hätte Sammy Brown niemals sein Glück bei einem erstklassigen Zweihandschützen versucht, der überdies auch noch beide Colts schußbereit in den Fäusten hält. Aber in Sammy Brown sind viele Gefühle, die sich einfach nicht mehr bändigen lassen. Er hat in den vergangenen Tagen zu viel schlucken müssen. Und er hat sich geschworen, daß er sich nie mehr von einem Revolvermann Angst und Furcht einjagen läßt. Diesen Schwur hält er. Er gleicht einem wilden Büffel, der stur und wild gegen einen Menschen anrennt, weil er sich gar nicht über die Gefahr und die vernichtende Wirkung der Feuerwaffen klar ist. Brüllend wirft er sich vor. Mac Flynns rechter Colt richtet sich auf ihn und spuckt Feuer. Die Kugel trifft natürlich auf diese kurze Entfernung – aber das Blei hält den schweren Mann nicht auf. Brown zuckt nicht mal zusammen. Sein gewaltiger Schwinger kommt von rechts wie ein Huftritt. Die Faust kracht mitten in Flynns grinsendes Gesieht, bevor es einen verwunderten Ausdruck bekommen kann. Flynns nächste Kugel saust ins Hüttendach. Er selbst fliegt durch die unwahrscheinliche Wucht des Schwingers rücklings aus der Tür, kracht draußen auf den Rücken und wirft die Beine hoch. Sammy Brown taumelt. Mit letzter Kraft wirft er die Tür zu und legt den Querbalken vor. Dann lehnt er sich dagegen,
rutscht mit dem breiten Rücken daran herunter und setzt sich langsam auf den Boden. Seine Augen sind aufgerissen und leuchten seltsam. »Heute nicht«, ächzt er mühsam, aber zufrieden, »heute habe ich vor solch einem großspurigen Revolverknaben keine Angst gehabt.« Dann fällt sein Oberkörper nach links. Keiner beachtet ihn. Sunshine Benny feuert seinen Colt auf das Fenster ab. Cleve Lonestar springt an das zweite Fenster, das sich in der anderen Hüttenwand befindet. Shorty holt das Beil vom Herd. Sidney reißt es ihm mit einem Fluch aus der Hand und beginnt an der gegenüberliegenden Wand den feinen Spalt zwischen zwei Stämmen zu vergrößern. Larry klettert am Dachstützbalken hoch, kauert sich auf den Querbalken und schiebt von innen einige Holzschindeln zur Seite. Während er durch die Öffnung späht, schiebt er Colt, Arm, Schulter und Kopf hindurch und beginnt zu schießen. »Komm herunter, du verdammter Narr!« heult Shorty. Aber Larry kräht triumphierend, während er seinen Colt auflädt. »Einen habe ich erwischt! Einen habe ich …« Mitten im Wiederholungssatz bricht er ab. Seine Linke löst sich vom Stützbalken. Er fällt lautlos herunter und in Shortys Arme. Sie stürzen beide schwer neben dem Tisch auf den Boden. Marshal Blyde steht neben Benny am Fenster. Sie laden und schießen abwechselnd. Manchmal sehen sie kriechende Männer. Dann verstummen die Waffen der Angreifer plötzlich. »Hört ebenfalls auf«, sagt Benny halblaut. »Sie haben nur deshalb soviel Blei gegen die Hütte gepfeffert, weil sie den Burschen Feuerschutz geben wollten, die Mac Flynn wegtragen mußten. Nun werden sie ihn schnell zu Bewußtsein bringen und auf seine Befehle warten.«
Shorty sieht auf Larry hinunter, bückt sich ganz schnell mit einem bestürzten Ausruf und untersucht ihn. Als er sein Baumrindengesicht wieder hebt, ist er ernst und bitter. »Er ist tot«, sagt er heiser. Mit ungeahnter Kraft hebt er Larrys schlaffen Körper hoch und taumelt damit in die Ecke der Hütte. Dort befinden sich einige Schlafpritschen, roh zusammengehauen, aber weich mit Laub und Gras gepolstert. Er legt Larry auf ein Lager und zieht eine alte Decke über ihn. »Er ist tot«, wiederholt er leise, als er sich umwendet. Sunshine Benny kniet neben Sammy Brown. Die ganze Zeit hat er ihn durchsucht und kein Blut gefunden. Und doch ist es sicher, daß Mac Flynns Kugel in Sammy Browns Leib geschlagen sein muß. Brown rührt sich ja auch gar nicht, und sein Gesicht ist bleich. Als Benny Jacke und Hemd des Boxers aufreißt, findet er schnell des Rätsels Lösung. »Oho, Sammy, oha! Mann o Mann! Es ist mehr als Glück! Es ist ein Wunder!« Er ruft es überrascht und froh. »Was ist mit ihm?« fragt Marshal Blyde hoffnungsvoll. Benny massiert Sammy Browns Brust. Ohne seinen Blick vom Bewußtlosen zu nehmen, berichtet er: »Er hat einen Brustbeutel unter dem Hemd. Es sind Zwanzigdollarstücke im Beutel. Mac Flynns Kugel traf ausgerechnet den Beutel. Die Dollarstücke haben sie aufgehalten. Aber Sammy hat eine Wucht auf die Herzgegend bekommen. Das war mehr als ein harter Punch – das war auch mehr als ein Pferdetritt. Aber er atmet schon besser.« Er stellt die Massage ein, schiebt seine Arme unter den schweren Mann. Sammy Brown wiegt fast zweieinhalb Zentner. Sunshine Benny hebt diese Last, trägt den Bewußtlosen zu den Lagerstätten. Nur sein Gesicht rötet sich ein wenig, und seine Adern treten an den Schläfen hervor,
während sich an seinem Hals deutliche Stränge abzeichnen. Cleve Lonestar kommt mit einer Flasche herbei. »Hier, Benny! Das ist hochprozentige Pumaspucke. Wenn man sie trinkt, hat man das Fegefeuer im Leib. – Aber äußerlich wird sie für den Dicken eine Wohltat sein.« Benny nimmt die Flasche, gießt etwas auf Sammy Browns Brust und setzt die Massage fort. Ein dunkelroter Fleck, der sich ständig vergrößert, entsteht über Sammys Herzgegend. Draußen bellen einige Gewehre auf. Zwei, drei Pferde wiehern gellend. Dann wird es wieder still. Aber Cleve Lonestar, der seinen Posten am Fenster wieder eingenommen hat, spuckt fürchterliche Flüche. Dabei bebt und zittert er am ganzen Körper. »Diese Schufte! Diese Bastarde! Sie haben unsere Pferde getötet! – Oh, wie kann ein Mann unschuldige Tiere töten? Welch eine Stinktierbande!« Benny stellt die Massage ein, eilt zu Cleve Lonestar, nimmt dessen Gewehr und zischt: »Nimm deinen Hut, Cleve!« Cleve sieht ihn aus lodernden Augen an, aus Augen, in denen es flackert und böse funkelt. »All right! Zeigen wir ihnen einen Trick!« Er steht auf der rechten Seite des Fensters mit dem Rücken an der Wand. Benny steht auf der anderen Seite. Er hat das Gewehr halb im Anschlag. Er späht lauernd und scharfäugig hinaus. Sein Blickfeld umfaßt einen Winkel von vielleicht vierzig Grad. Cleve Lonestar hält seinen Hut in die Ecke des Fenstervierecks. Sofort bellen draußen zwei Schüsse auf. Der Hut wird Lonestar aus den Fingern gerissen und fällt auf den Hüttenboden. Den dritten Schuß gibt Sunshine Benny ab. Er kracht nur eine
Zehntelsekunde später als die vorhergehenden Schüsse. Und draußen taumelt ein Mann aus seiner Deckung, schwankt wie betrunken, läßt sein Gewehr fallen und fällt selbst über den Baumstumpf, der bisher seine Deckung war. Benny reicht sein Gewehr zurück, wendet sich ab und geht zu Sammy Brown. Draußen knattert wütendes Gewehrfeuer. Die Kugeln klatschen und splittern gegen die Hüttenwände. Einige Geschosse pfeifen durch die Fenster. Eines surrt als Querschläger gegen eine blinde Spiegelscherbe. Dann wird es wieder still. Benny massiert den Boxer so ruhig, als sei nichts geschehen. Aber sein Gesicht ist hart und bitter. Seine Augen haben wieder jene tintenblaue Farbe, und in ihrem Hintergrund steht eine gelbliche Flamme. Sein Pinto, Speck, war ihm ein guter Freund und Kamerad gewesen. Cleve Lonestar meldet sich: »Auf meiner Seite sind noch zwei.« »Ich konnte drei Schützen ausmachen«, ruft Blyde kurz. »Auf meiner Seite sind’s mindestens zwei«, erklärt Shorty. »Dann werden es neun bis zehn Mann sein«, murmelt Benny. »Sie werden sich etwas ausdenken. Ich wette, daß sie es mit einem Feuerchen versuchen werden. Es ist später Mittag. Wir werden sehen!« Die anderen brummen und knurren. Sammy Brown beginnt sich zu regen. Dann zittern seine Augenlider. Als er sie aufschlägt, ist sein Blick noch verschleiert. »Hallo, sind wir schon in der Hölle?« ächzt er heiser. Als die Dämmerung hereinbricht, schnallt Benny seine Sporen ab und verbirgt sie unter dem Hemd. Dann nimmt er den Colt des toten Larry, lädt ihn auf und schiebt ihn in den Hosenbund.
Sidney folgt Bennys Beispiel. Er zieht auch die Stiefel aus und streift weiche Mokassins über. Dann tritt er an die Tür und sagt: »Schätze, ich habe das Gefühl, daß mit mir etwas passieren wird. – Ihr braucht aber nicht darüber zu weinen. Ich weine ja auch nicht. – Aber sagen will ich dir noch, Cleve Lonestar, daß ich gerne für dich geritten bin. Das ist alles!« Es wird so still, daß man nur die schweren Atemzüge der Männer hört. »Verdammt«, ächzt Shorty, »du warst ja schon immer eine ulkige Nummer. Und nun bist du sogar Hellseher geworden. Du redest natürlich Unsinn und …« »Mach dich lieber fertig«, unterbricht Sidney Tanner kurz und scharf. Er zieht seinen Colt. Sammy Brown richtet sich ächzend vom Lager auf und schwankt, als er auf den Beinen steht. »Sid«, murmelt Lonestar bitter, »Sid, du hast nur einen rauhen Spaß gemacht?« »Sicher, Boß, sicher, hahaha!« Sidney Tanners Lachen ist hart und grimmig. Inzwischen ist es binnen weniger Minuten finster geworden. Die Nacht hat endgültig den Tag besiegt, und im Westen ist das letzte Rot vom Himmel verschwunden. »All right«, flüstert Sunshine Benny hart. »Ich gehe mit Sid durch die Tür. Sammy, du folgst uns erst, wenn der Weg frei ist, denn du bleibst im Fenster stecken, du Walroß. – Cleve, du wirfst dich durch das eine Fenster. Shorty und Blyde, ihr turnt durchs andere. – He, Cleve, wo könnten die Pferde der Bande stehen?« »Südwärts den Hang hinunter – von dort müssen sie gekommen sein, Benny.« »Dann wißt ihr Bescheid. Fertig?« Benny will zur Tür gehen und sie öffnen, da handelt Sidney Tanner überraschend. Allen wird sofort klar, warum er davon
überzeugt war, daß er hier seinen letzten Kampf machen wird. Er will es, weil er seinen Kameraden eine Chance geben möchte. Ganz bewußt opfert Sidney Tanner sich. Der harte, schweigsame Bursche, der viele Stunden stumm vor sich hinbrütete, tritt nun mit ungeahnter und unwahrscheinlicher Schnelligkeit in Aktion. Den Querbalken hatten sie bereits entfernt. Nun reißt er die Tür auf und gleitet wie ein schneller Panther hinaus. »Sid!« brüllt Cleve Lonestar wild. Ein gellender Kampfschrei antwortet von draußen. Und dann krachen viele Waffen. Sunshine Benny folgt Sidney wortlos. Aber der hat inzwischen bereits zehn Meter Vorsprung. Sidneys Colt bellt in rascher Folge. Benny sieht am Aufblitzen des Mündungsfeuers, wo sich Sidney befindet. Und er erkennt auch, daß er auf die Knie gesunken ist. Unter seiner Kleidung mußte Sidney Tanner noch einen zweiten Colt verborgen gehalten haben, denn er gibt mehr als nur sechs Schüsse ab. Sein Mündungsfeuer lenkt alle Kugeln der Belagerer auf sich. Benny liegt links neben der Tür auf dem Boden und schießt beidhändig auf die grellen Feuerblitze. Das war es, was Sidney Tanner gewiß erreichen wollte. Deshalb stürzte er vorzeitig aus der Tür, lief ein paar Meter und begann zu schießen. Er lenkte das Feuer auf sich und gibt nun Sunshine Benny die Gelegenheit, vernichtend einzugreifen. Und jetzt zeigt es sich auch, warum Sunshine Benny so sehr von seinen Feinden gefürchtet wird, daß sie sich mit Hilfe allerlei Tricks seiner entledigen wollten. Benny schießt blitzschnell auf die aufblitzenden Mündungsfeuer. Wieder schreit ein Mann gellend. Dann ist auf dieser Seite der Hütte der Kampf aus. Als Benny aufspringt, taumelt Sammy Brown gegen ihn. »Los, Sammy, lauf nach Süden!«
Er gibt ihm einen leichten Stoß, und der Riese torkelt davon. Auf der anderen Seite der Hütte, vom ansteigenden Hang, krachen jetzt Schüsse. Shortys wilder Schrei erklingt. Dann zuckt irgendwo zwischen einigen Felsen Feuerschein auf und erhellt die Umgebung. Die Belagerer haben das Feuer zu spät angezündet. Es sollte die Hütte anleuchten und einen Ausbruchsversuch durch die Tür verhindern. Es wird jetzt überall geschossen. Das beweist aber auch, daß alle Männer aus der Hütte entkommen sind und sich nun den Weg freikämpfen. Sunshine Benny steckt seinen Colt weg. Die Waffe ist ohnehin leergeschossen. Aus einem nahen Gebüsch kommt das schmerzvolle Stöhnen eines Mannes. Benny läuft geduckt zu Sidney hinüber und hockt sich neben ihn. Sidney Tanner liegt auf seinem Gesicht. Seine Hände umkrampfen noch fest die Colts. Benny erkennt es deutlich im schwachen Schein des Feuers. Er dreht ihn auf den Rücken. Sidney Tanner ist tot. Er hat durch sein wildes Gebrüll und durch die Mündungsfeuer seiner Waffen alle Schüsse auf sich gelenkt. Ein schweigsamer und seltsamer Mann, ein opferbereiter Kamerad, der sich in die Idee vernarrt hatte, daß er durch sein Opfer den anderen besser helfen könnte. Und es war auch so! Benny konnte Sidneys Gegner niederkämpfen. Er streicht Sidney über die blutige Wange und erhebt sich halb. In seiner Nähe wird nicht mehr geschossen. Der Kampf ist überall, denn die Eingeschlossenen sind durchgebrochen. Sunshine Benny denkt an Sammy Brown und an die Pferde der Gegner. Als er sich gleitend in Bewegung setzen will, trifft ihn eine haßvolle Stimme fast körperlich. Die Worte sind kaum verständlich.
Es muß Mac Flynn sein, der nicht mehr deutlich sprechen kann, da Sammy Brown ihm sicherlich ein paar Zähne eingeschlagen hat. »Ich habe dich, Benny, du Hundefloh!« Benny duckt sich und wirbelt schneller herum, als es ein geschmeidiger Puma könnte. Er wirft sich flach auf den Boden. Bevor er auf dem Bauch landet, schießt er bereits. Da Mac Flynn noch vor ihm abdrückt, kann er sich wiederum nach dem Mündungsfeuer richten. Diesmal trifft er seinen Mann nicht. Flynn macht keinen Fehler. Er liegt hinter einer guten Deckung. Eine Kugel brennt heiß über Bennys Rücken. Sie wirkt wie der Schlag einer fetzenden Bullpeitsche. Benny rollt sich mehrmals um die eigene Achse, springt dann wie eine Feder auf und vorwärts, geduckt, im Zickzack und seine letzten Kugeln aus dem Lauf feuernd, so erreicht er die Deckung des hartgesottenen Weidebosses der Faules-WRanch. Und als er die große Baumwurzel erreicht, richtet sich vor ihm Mac Flynns große Gestalt auf. Benny drückt ab, aber es löst sich kein Schuß mehr aus der leergeschossenen Waffe. Er wirft sich vorwärts, erwartet im selben Sekundenbruchteil die Kugel des Gegners, aber auch dessen Waffe muß leer sein. Der Schuß kommt nicht. Die beiden Männer prallen hart aneinander. Flynn stößt einen gurgelnden Schrei aus. Der Zusammenprall ist so wuchtig, daß die beiden eng umschlungen den festen Stand verlieren und umfallen. Sie rollen übereinander. Flynns Colt kracht dicht neben Bennys Kopf auf den Boden. Dann fallen sie umschlungen über den Rand der Terrasse. Sie rollen sich überschlagend und dabei mit wilder Wut kämpfend viele Meter bergab und landen zwischen dünnen Birkenstämmchen, die wie Federn wirken und sie nicht besonders hart abbremsen. Und Benny liegt auf Mac Flynn. Er hält die leergeschossene Waffe in einer Faust und schlägt dem Gegner den Coltlauf quer
über die Stirn. Benny bleibt einige Sekunden auf dem Bewußtlosen liegen. Sein Rücken schmerzt, aber sonst ist noch alles ganz an ihm. Er rollt sich zur Seite, kniet, lädt die Waffe neu und lauscht. Ganz in der Ferne krachen Schüsse, und zwar vom Südende der Terrasse her. Als er sich bückt, kommt ein hartes und grimmiges Lachen aus seinem Mund. Mit einem einzigen Ruck wirft er sich Mac Flynn über die Schulter und tastet sich in die Dunkelheit hinein. Als er einmal anhält, um zu verschnaufen, da hört er vor sich einen Mann brummend stöhnen. »He, Sammy Brown – bist du es?« keucht Benny. »Ich weiß es nicht, ob ich’s noch bin«, grollt er zurück. Benny schwankt mit seiner Last einige Schritte weiter. Eine große Gestalt richtet sich neben ihm auf. Die Sterne stehen jetzt klar am Himmel, und man kann einige Meter weit sehen. »Ausgerutscht, hingeknallt, Kopf gegen einen Stein gestoßen«, ächzt Sammy bitter. Er atmet sehr kurz und schnell. Die Prellung über seinem Herzen macht ihm noch zu schaffen. »Ah, es ist ein prächtiger, runder und höllischer Spaß«, keucht Sunshine Benny. »Komm, Dicker! Du mußt diese Runden durchstehen!« »Dir scheint’s ja gutzugehen – wen trägst du denn da?« »Mac Flynn!« »He, ist das nicht der Revolver-Buddy, den ich …« »Genau der!« »Aaah …« Sie arbeiten sich weiter abwärts, Benny mit der Last zuerst und Sammy hinterher. Die abfallende Terrasse endet in einem lichten Wald. Als sie anhalten, um wieder zu verschnaufen, da hören sie ein Pferd wiehern. Im selben Moment kracht ein Schuß. »He, Cleve, ich hab’ ihn!« ruft eine keuchende Stimme. Es ist die heisere Stimme des Marshals.
»Sammy, hier sind wir richtig«, stößt Benny zufrieden zwischen zusammengepreßten Lippen hervor und setzt sich in Bewegung. »Los, Sammy, bald kannst du wieder reiten lernen!« »Hört denn diese Hölle überhaupt nicht mehr auf?« grollt der Preisboxer zurück. Seine Worte werden von Shorty gehört, der am Rand einer Lichtung unter einem Baum hockt. »He, Boß, da kommt Benny – und Brown ist bei ihm. Der ganze Verein ist wieder beisammen«, ächzt Shorty heiser und richtet sich am Baum auf. Vom anderen Rand der Lichtung blitzt es zweimal auf. Die Kugeln fetzen ein paar Rindenstücke von den Bäumen. Als es zum drittenmal aufblitzt, hat Benny seine Last von der Schulter geworfen und erwidert aus seinem Colt das Feuer. Dann ist es still. Shorty steht immer noch am Baum. Ein Schatten gleitet heran. Es ist der Marshal. »Benny, wir müssen weg. Wir haben eine Hölle losgelassen und ein paar von den Brüdern erwischt. Es sind jedoch noch welche übrig, die es noch einmal probieren könnten.« »Hier, Benny. Hab’ eine Kugel im Bein – aber reiten kann ich, wenn ich nur erst ein Pferd …« »All right, Cleve! Ich bringe dir eins! Hoi, Shorty, kannst du auf Mac Flynn aufpassen?« »Heiliger Rauch! Das ist Flynn? Ich dachte, du schlepptest Sidney herbei!« »Sid ist tot«, murmelt Benny und geht auf die Lichtung. In der Mitte steht eine große Eiche. Ihre Äste hängen tief. Ein Dutzend Pferde sind hier angebunden. Sie tanzen, schnauben und steigen. Eines der Tiere reißt sich jetzt los und bricht wiehernd durch die Büsche. Es dauert eine kleine Weile, bis Benny drei Tiere losgemacht und beruhigt hat. Er führt sie über die Lichtung. Blyde kommt herbei. Cleve Lonestar stützt sich auf ihn. Sie setzen ihn in den
Sattel. Blyde geht davon, um noch ein paar Pferde zu holen. Es fällt kein Schuß mehr. Als Benny dem kleinen Shorty in den Sattel hilft, fühlt er, daß Shortys Hemd blutig ist. »Wo ist es, Shorty?« »Hoch in der Schulter. – Aber ich kann’s noch eine Weile aushalten. Erst mal weg von hier!« Benny erwidert nichts. Er erkennt jetzt erst richtig, daß sie zwar aus der Falle entwichen sind und dabei die Gegner zerschlagen haben, daß sie aber selbst auch kaum mehr einsatzfähig sind. Cleve ist verwundet. Shorty ist verwundet. Larry und Sidney tot. »He, Blyde – wie steht’s mit dir?« »Nur der Arm, Benny – nur der linke Arm«, krächzt der Marshal, der trotz seiner Verwundung mit drei Pferden herbeikommt. Da weiß Benny, daß er vorläufig der einzige noch kampffähige Mann dieser Mannschaft ist. * Nachdem sie einige Meilen geritten sind, entzünden sie ein Feuer, um in dessen Schein die Wunden zu verbinden. Sunshine Benny gleitet ganz plötzlich zur Seite und zieht seinen Colt. Zugleich werden sie aus der Nacht angerufen: »All right! All right! He, Cleve – ich werde nicht ganz schlau. Da sind doch Fremde bei euch!« Es ist eine kehlige Stimme. Sie kommt vom oberen Rand des südlichen Creekufers, dort, wo dichte Weidenbüsche stehen. Der Rufer muß gewiß schon einige Minuten dort gelegen haben. »Ah, das ist Clurch Chicio«, ächzt Cleve zufrieden, und
Shorty ruft: »Komm her, Clurch! Sie haben uns in Fetzen geschossen, aber ein paar von uns leben noch! – Sunshine Benny, Kay Blyde und Sammy Brown sind bei uns. – Alles in Ordnung, Clurch!« »Well, ich hole erst mein Pferd!« Nach wenigen Minuten kommt Clurch Chicio ins tiefe Creekbett herunter. Er zieht sein Pferd hinter sich her und läßt es bei den anderen Tieren stehen. »Johooo, Benny«, sagt er kehlig. Sein Großvater war ein weißer Mann, seine Mutter war eine Halbindianerin, und sein Vater war ein Comanche. »Hallo, Clurch«, murmelt Benny zufrieden und findet dessen Hand, die sich mit festem Druck um die seine schließt. Benny und Clurch kennen sich. Sie haben schon einige Campfeuer gemeinsam angezündet, weiter im Süden, dort, wo sich die gewaltige Wildpferd-Mesa befindet. Damals hatten sie zusammen ein Rudel Wildpferde gejagt. »Ich bin froh, Clurch, daß du uns gefunden hast«, ächzt Cleve Lonestar. Der Indianer kniet neben ihm nieder und tastet ihn ab. »Du wirst leben, Boß – Was ist mit dir, Shorty?« »Kaum der Rede wert, Bruder«, grinst Shorty, so daß seine Zähne in der Nacht blinken. »Ich hörte den Kampf«, berichtet Clurch kehlig und erhebt sich geschmeidig. »Aber eine Schlucht versperrte mir noch den Weg. Ich hörte die Schüsse. Eine Stunde später erreichte ich die Terrasse und suchte sie ab. Es war ein großer Kampf. Larry fand ich in der Hütte. – Sid lag draußen. Und drei tote Reiter von der Faules-W-Ranch fand ich. Ich kannte sie genau. – Well, dann spürte ich weiter. – Unterhalb der Terrasse, im Süden, da brannte ein Feuer. – Zwei tote Pferde, doch hatten sie ohnehin kaum reiten können. Ich hörte Männer sprechen. Sie warteten auf Hilfe, denn sie hatten vor dem Kampf einen
Boten abgeschickt, der die ganze Faules-W-Mannschaft holen sollte. Ich ging davon, holte mir mein Pferd und suchte mir einen Abstieg. – Dann folgte ich auf eurer Fährte. Unterwegs hielt ich an und ließ die Faules-W-Mannschaft an mir vorbei. – Sie wird jetzt bei den Verwundeten angelangt sein. Ich ritt weiter.« Clurch Chicio verstummt. Die anderen denken über seinen kurzen Bericht nach. Und sie können es einfach nicht fassen, daß Clurch mitten in der Nacht ihre Fährte gefunden und verfolgt hatte. Was muß dieser Indianer doch für bemerkenswerte Instinkte und Fähigkeiten besitzen! Cleve Lonestar bewegt sich unruhig. »Clurch?« fragt er. Er ruft nur dieses eine Wort in fragendem Ton. »All right, Boß«, murmelt Clurch, »ich habe die Weide gefunden, auf der fünftausend gestohlene Rinder grasen. Ich habe fünf verschiedene Brandzeichen gesehen. – Im Camp befinden sich sieben Mann. Ihre Pferde tragen den Faules-WBrand, und ihr Boß ist Jeff Stringlay, der zweite Vormann Winston Waymans.« »Bei Gott, ich habe es immer gewußt«, knirscht Cleve Lonestar bitter. »Winston Wayman ist der Boß dieser Viehdiebe. Er und Philip Mallone waren Partner. Nun ist Mallone tot. Wayman hat alles an sich gerissen. Mich stempelte man zum Viehdieb, damit man uns zu Sündenböcken machen konnte. – Nun sind sie fast am Ziel. Deshalb suchten sie nach uns, erkundeten unser Camp. – Wenn sie uns hätten erledigen können, hätten schlagartig alle Viehdiebstähle aufgehört. Winston Wayman wäre der große Mann geworden, der das Land von der Lonestar-Bande befreit hat. – Und daß er uns erledigen wollte, ist ein klarer Beweis dafür, daß er am Ziel ist. Er muß etwas in den Händen haben, womit er …« »Ich weiß es, Cleve«, mischt sich Sunshine Benny ein. »Wir
müssen jetzt reiten. – Ich werde dich in meine Arme nehmen, Cleve. – Clurch, du reichst ihn mir hinauf!« »Das werde ich tun – ich bin der stärkste Mann hier«, grollt Sammy Brown, bückt sich und nimmt Cleve wie ein Baby in die Arme. »Dieser Bulle ist nicht mal von einer Kugel kleinzukriegen«, brummt Shorty voller Bewunderung. * Im Wohnzimmer der Block-M-Ranch brennt noch Licht, als sie im Schritt in den Ranchhof reiten und vor der langen Veranda des Haupthauses die Pferde verhalten. Plötzlich geht das Licht aus. Im tiefen Dunkel der überdachten Veranda klirrt ein Fenster. Und dann fragt Tante Bettys tiefe Altstimme: »Was ist das für eine Mannschaft?« »Hier ist Sunshine Benny, Madam. – Wir bitten um Hilfe für ein paar Verwundete. – Ich würde Sie nicht belästigen, wenn der Weg zum Doc nicht so weit wäre und …« »Ben! Ben Sunshine!« ruft eine zweite Frauenstimme, und die Verandatür öffnet sich. Es ist Patricias Stimme. Eine Lampe leuchtet, verbreitet Licht. Benny sieht Tante Betty im offenen Fenster. Die alte Lady stellt soeben eine Schrotflinte weg und verschwindet, um wenige Sekunden später ebenfalls auf der Veranda zu erscheinen. »Komm herein!« ruft Patricia ruhig. Fünf Minuten später liegt der bewußtlose Cleve Lonestar auf dem großen und sehr bequemen Sofa, das man rasch als Krankenbett hergerichtet hat. Betty Monroe kümmert sich um ihn. Shorty und Marshal Blyde liegen müde und schlapp in tiefen Sesseln. Der riesige Sammy sitzt neben der Tür auf einem Stuhl. Clurch Chicio ist draußen geblieben – als Wächter, denn er hat längst erkannt,
daß die beiden Frauen allein auf der Ranch waren. Sunshine Benny und Patricia sind in die Küche gegangen. Sie bringt das nur noch schwach glimmende Feuer wieder in Gang, und er stellt eine große Schüssel mit Wasser auf die Herdplatte. Die Schüssel ist breit und nicht sehr hoch. Das Wasser wird binnen weniger Minuten sieden. Und als sie diese kleinen Arbeiten verrichtet haben, sehen sie sich an. Sie lesen in ihren Herzen und spüren dabei, wie sehr sie zusammengehören. Das Mädchen bewegt sich zuerst. Es tritt zu ihm und umklammert seine starken Oberarme, legt ihre Wange an seine Brust und spürt den starken Schlag seines Herzens. Er legt seine schlanken, schmalen und so kräftigen Hände auf ihre schmalen Schultern, fühlt, wie sie erst leicht erbeben und dann sich ruhig entspannen. »Du riechst nach Pulverrauch, nach Blut, Staub und Pferdeschweiß. Aber du lebst, Ben Sunshine, du lebst, und sie haben dich nicht töten können. Ben, laß uns fortgehen von hier. Mac Flynn, der Vormann der Faules-W-Ranch, liegt gefesselt auf der Veranda. Ich erkannte ihn sofort. – Dafür werden sie euch töten und …« »Ja, Pat, es wird noch mächtig rauh werden. Aber wir kämpfen es aus. – Warum seid ihr allein auf der Ranch?« »Unsere letzten drei Reiter haben ihre Bündel gepackt und sind verschwunden. – Die Block-M-Ranch ist ohne Mannschaft. – Du wolltest hier der Vormann sein. – Nun bist du ein gehetzter Reiter, der unter Mordverdacht steht und der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Und die Ranch ist ohne Mannschaft. – Vor einer Stunde war ein Bote hier, der Onkel Sam zu einer Rancherzusammenkunft abholte. Es muß sich um wichtige Dinge handeln. Die Zusammenkunft der Rancher findet bei Wayman statt. Onkel Sam ritt mit dem Boten. Er war besorgt, wollte jedoch wissen, wie all die Dinge stehen. Deshalb ritt er mitten in der Nacht mit dem Boten zu Wayman.
– Oh, Ben, wie viele Dinge geschehen …« »Es greift alles ineinander«, murmelt Sunshine Benny. Ganz sanft schiebt er Patricia von sich weg, küßt sie zart und nimmt dann die Schüssel mit dem heißen Wasser. »Du wirst hier aushalten und mit Tante Betty abwarten, bis, alles vorbei ist. – Und ich verspreche dir, Pat, daß es keine drei Tage mehr dauert! – Dann ist alles ausgekämpft und vorbei. – Die Ereignisse werden sich überstürzen. – Ich habe mir ein paar Chancen für uns ausgerechnet!« Sie öffnet ihm die Tür und sieht dabei klar und fest in seine Augen. »All right, Ben Sunshine! Ich wußte, daß du bis zum Ende kämpfst! Du bist so – und es muß wohl auch so sein. Ich liebe dich, Ben! – Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Ich halte hier aus und warte. – Ich wäre froh, wenn ich ein Mann wäre und an deiner Seite reiten könnte.« Sie schließen die Tür hinter sich und bleiben einen Moment auf der Veranda stehen. Clurchs Schatten taucht auf. »Sind noch Pferde in den Corrals, Clurch?« »Ja, Benny.« »Sattle zwei frische Tiere. Wir beide reiten in wenigen Minuten, Clurch.« »All right«, murmelt der Indianer kehlig und entfernt sich ohne weitere Frage. »Und ich?« grollt Sammy Brown. »Du wirst auf die Ranch und auf Mac Flynn aufpassen, Sammy. Und auf die beiden Ladys mußt du achten. – Aber jetzt wollen wir erst einmal mit Mac Flynn ein paar harte Worte reden. Ich glaube, wir bringen ihn ins Bunkhouse. Da sind wir ganz ungestört.« »Sicher«, erwidert Sammy und bückt sich. Im Lichtschein des Fensters liegt der gefesselte Vormann auf den Brettern. Er liegt noch so da, wie man ihn hingelegt hatte, nachdem man
ihn vom Pferd herunternahm. Sammy wirft ihn sich über die Schulter und stapft hinter Benny her. »Was – was – was habt ihr beiden Schufte mit mir vor?« keucht Mac Flynn gepreßt. Er liegt mit dem Unterleib auf Sammys breiter Schulter. Sammy hebt den freien Arm und patscht seine mächtige und brettharte Hand wuchtig auf den strammen Hosenboden des Vormanns. »Verprügeln werden wir dich, Revolver-Buddy, so richtig verprügeln, damit du uns mit heller Stimme ein paar Liedchen singst. Und Fragen hast du nicht zu stellen. – Wir sind die, die dich was fragen.« Mac Flynn ist trotz seiner kleinen Verletzung noch durchaus kampffähig und in Ordnung. Er ist so hart, so schnell und so voller Energie, daß er mit einer ganzen Mannschaft kämpfen könnte. Das alles erkennt Benny im Bunkhouse. »Flynn«, sagt er, »ich habe ein paar Dinge über dich gehört. Es waren alles blutige Geschichten. Aber was auch war – was auch hinter dir liegt, du sollst nie dein Wort gebrochen haben. – Ich halte dich für einen rücksichtslosen Burschen, der jedoch genug Stolz besitzt, um nicht wortbrüchig zu werden. – Well, Flynn! – Was ist dir eine Chance wert? Was ist dir ein fairer Kampf zwischen uns wert? – Wenn du mich schlägst, dann kannst du gehen. – Sammy Brown wird dir keine Steine in den Weg legen. – Wenn du mich schlägst, dann kannst du gehen, Flynn! – Was ist dir diese Chance wert?« Er fragt es sanft. Sein Lächeln ist wieder da. Aber diesmal mildert es nicht die Härte auf seinem zerschundenen und zerkratzten Gesicht. Mac Flynn wird ganz ruhig – nur seine Augen glitzern. »Ich würde«, sagt er heiser und unnatürlich ruhig, »meine Seele dem Teufel verschreiben, um zu einem Kampf mit dir zu
kommen. Ich hatte euch in der Hütte fest. Ich hatte eine hartbeinige Mannschaft bei mir. – Ihr seid entkommen, und du hast mich … Ah, ich würde alles tun, wenn ich es noch einmal mit dir versuchen könnte, Sunshine Benny! – Was willst du von mir?« Er starrt lauernd in Bennys Augen. »Ich will dein Wort, Mac Flynn! Ich will dein Versprechen, daß du gegen Winston Wayman den Kronzeugen machst, wenn du verlierst. – Du brauchst mir nicht zu sagen, daß er Philip Mallone umgebracht hat. Ich weiß es! – Ich weiß nicht, warum du danach immer noch Winston Waymans Vormann bliebst. – Das ist deine Sache! – Ich will dein Wort, daß du vor der Jury den Kronzeugen machst. – Dein Wort drauf, und ich schneide dir deine Fesseln entzwei und lege meinen Waffengurt ab. – Ich denke, daß es fair ist, Flynn.« Mac Flynn lauscht mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf. Er ließ Bennys Worte tief in sich eindringen. Und nun zögert er keine Sekunde. »Du hast mein Wort, Sunshine Benny! Wenn du mich schlägst, so will ich der Hundefloh sein, der einen größeren Hundefloh verrät. – Und eines will ich noch klarstellen: Wayman hat den Bankier erstochen und dann den Privattresor ausgeräumt. – Ich blieb Waymans Vormann, weil er sonst eines Tages die ganze Mannschaft um ihren Lohn geprellt hätte. Ich blieb bei ihm als Vormann, weil ich ihn zwingen wollte, seinen Gewinn mit uns zu teilen. Ich wollte ihn später zertreten und ihn um die Beute bringen. Er wäre eines Tages der Gefangene seiner Mannschaft gewesen. Er hätte sein zusammengeraubtes Reich verkaufen müssen. Wir, ich und die Mannschaft, wir hätten geteilt und uns in alle Richtungen zerstreut. – Das wollte ich tun, denn er ist ein Bastard! Ich hasse ihn, weil er dennoch lange Zeit mein Boß war – es sein konnte, weil ich zu spät erkannte, für welchen Feigling ich die ganze Zeit ritt. – Das ist es! Nun schneide meine Fesseln durch.
Ich will dich schlagen! Wenn du wirklich der bessere Mann bist, so werde ich mein ganzes Leben die Hölle in mir verspüren – aber ich werde mein Wort halten. Los jetzt! Ich möchte dich zertrümmern!« Mac Flynn zittert vor wilder Kampflust und ungestümer Erwartung. Er will wissen, ob Benny wirklich der bessere Mann ist. Alles andere auf dieser Welt ist ihm vorerst gleichgültig. Sunshine Benny nickt ernst. Er setzt das Messer an und schneidet die Fesseln durch. Als Mac Flynn wieder selbst auf den Beinen stehen kann, läßt ihn Sammy Brown los und tritt bis zur Tür zurück. Dort lehnt er sich an die Wand und verschränkt seine muskulösen Arme über der breiten Brust. Flynn bewegt die Arme und massiert die Gelenke. Er macht ein paar Kniebeugen und kniet anschließend nieder, um sich die Sporen abzuschnallen. Benny hat den großen Tisch in die Ecke geschoben und stapelt nun all die Bänke, Hocker und Stühle auf, die im leeren Bunkhouse herumstehen. Es ist ein großer Raum. Früher bewohnten ihn mehr als ein Dutzend Weidereiter. Die letzten drei Reiter haben vor wenigen Stunden ihre Arbeit aufgegeben und die Ranch verlassen. Es ist sicher, daß sie von Reitern der Faules-WRanch unter Druck gesetzt wurden. Er schnallt seinen Waffengürtel ab, geht damit an Mac Flynn vorbei und übergibt Sammy Brown den Gürtel. »Fertig, Flynn«, sagt er. Und da erfolgt auch schon der erste, blitzschnelle und unerbittliche Angriff des Vormanns. Vielleicht ist es etwas unfair, so blitzschnell und ohne Warnung zu beginnen, aber es steht schon jetzt fest, daß es ein erbarmungsloser Kampf werden wird. Benny bekommt Flynns harte Rechte auf die Rippen
gedonnert. Flynn kracht mit dem ganzen Körper gegen ihn, und die Wucht des Ansturmes treibt Benny durch den ganzen Raum und bis an die Wand. Dort kämpft er verbissen, nimmt alle kurzen Haken und schnellen Schläge und stößt sich dann mit aller Kraft ab. Die ihm entgegenschießende Rechte duckt er gedankenschnell ab, trommelt eine ganze Serie harter Punchs in Flynns Körper und springt ganz plötzlich zurück. Das war der Trick! Flynn stürmt nach. Und rennt mit aller Wucht in einen mächtigen Aufwärtshaken. Benny legt seine ganze Kraft und sein ganzes Gewicht in diesen Schlag hinein. Und Flynn rennt mit aller Wucht in diese harte Faust, die ihn so vernichtend trifft. Sammy Brown gluckst an der Tür vor Vergnügen. Er hat ja selbst mit Benny zwei Runden im Ring gekämpft, und wenn er sich damals auch schließlich freiwillig auf die Bretter legte, so weiß er doch, wieviel Dampf hinter Bennys Schlägen sitzt. Flynn geht zwei Schritte auf den Absätzen rückwärts, verliert dann das Gleichgewicht und fällt auf den Rücken. Mit einem Stöhnen rollt er sich auf den Bauch, kniet auf die Hände gestützt und schüttelt den hängenden Kopf. Vielleicht hätte er sich an Bennys Stelle rücksichtslos und erbarmungslos auf den Mann gestürzt. Benny wartet mit hängenden Armen. Er gibt Flynn noch einmal eine faire Chance. »Oh, Hölle«, ächzt Flynn und stemmt sich auf. Taumelnd wendet er sich dem Gegner zu und nimmt die Fäuste wieder hoch. Wie ein Tiger ist Benny da, durchbricht die Deckung, pariert ein paar unkontrollierte und müde Schläge und feuert anschließend selbst zweimal eine Wucht ab. Wie ein Sack kippt Flynn um und rührt sich nicht mehr. »Das war kurz und schmerzlos, Benny«, sagt Sammy Brown
sanft. »Und ich bekomme wieder Lust, es mit dir noch einmal – und zwar richtig zu versuchen. – Mann, was wäre das für ein prächtiger Kampf!« fügt er hinzu. »Warum habe ich dich wohl aus dem Zug geholt und nach Dale City zurückgebracht? He, Sammy, warum habe ich dich gebeten, mit mir zu reiten und für eine gute Sache zu kämpfen? Doch nur, damit du eine faire Chance gegen mich bekommst und deine Boxerehre wiederherstellen …« »Du lügst, Benny, nun lügst du zum erstenmal«, grinst Sammy Brown freundlich. »Du kämpfst für Cleve Lonestar – und für das Mädel. Sie ist prächtig! Lonestar ist prächtig! Alle sind prächtig – auch dieser großmäulige Shorty! Ein Kampf mit mir interessiert dich nur am Rande. – Nur deshalb, weil du mir etwas schuldig zu sein glaubst. – He, Benny – ich werde nie mehr gegen dich kämpfen. – Ich würde mich für dich in Stücke reißen lassen, aber ich würde nie mehr …« »Danke, Sammy. – Als du mich im Hinterzimmer zusammenschlugst, weil du deine Scham nicht mehr länger ertragen konntest, da erkannte ich, daß du all right bist. Und ich erkannte es im Laufe der weiteren Ereignisse immer wieder. Sammy Brown, ich mag dich!« Er streckt ihm die Hand hin. Der Boxer nimmt sie mit feierlicher Gebärde und atmet dabei tief und zufrieden auf. Sie sehen sich dabei an, sprechen kein Wort und wissen im selben Moment, daß sie Freunde geworden sind. Die Tür öffnet sich. Clurch Chicio taucht auf. »Die Pferde sind zur Stelle, Sunshine Benny«, meldet er ruhig. Seine nachtschwarzen Augen erfassen in Sekundenschnelle die Szene und bleiben auf der bewegungslosen Gestalt Mac Flynns haften. »Wir brauchen noch ein Pferd – er reitet mit«, sagt Benny kurz und deutet dabei auf Flynn. »Sicher«, erwidert der Indianer kehlig. Seine Augen funkeln
zufrieden. Er stellt keine weiteren Fragen. Er verschwindet, und Sammy schließt wieder die Tür. »Wird er sein Wort halten, Benny?« fragt er. »Er wird es halten – denn er könnte sich sonst nicht mehr als Mann fühlen«, murmelt Benny. Mac Flynn rührt sich im selben Moment. Ächzend setzt er sich auf, bleibt eine Weile so hocken und bewegt dann seinen derben Kopf. Benny hilft ihm nicht auf die Beine, denn er weiß, daß Flynn sich nur noch mehr schämen würde. Flynn schafft es mit einiger Anstrengung auch allein. Er kommt schnell in Ordnung und beweist dadurch, wie hart er ist. Sein Blick wird klar. »Du hast mich von den Beinen geschlagen, Sunshine. Du warst besser – auf diese Weise. Es gibt jedoch noch andere Kampfarten. Und man muß sie alle durchprobieren. Sunshine, wir wollen es jetzt mit den Colts versuchen! Ich wette, daß …« »So war es nicht ausgemacht. – Du hattest deine Chance, Mac Flynn – und ich habe dein Wort! – Wenn wir’s mit den Colts austragen, besteht immerhin die Möglichkeit, daß ich dich erschieße. Und dann kannst du dein Wort nicht mehr halten! Dann kannst du gegen Winston Wayman nicht mehr den Kronzeugen machen. Das leuchtet dir doch ein?« Benny spricht mit freundlicher Ruhe. Flynn lauscht mit gesenktem Kopf. Dann nickt er und hebt seine Arme, um sie kraftlos fallen zu lassen. »Richtig«, murmelt er, »das Wort, das ich gab, steht dagegen. Aber wenn ich es eingelöst habe, will ich es mit dir noch einmal probieren. – Sunshine, einer von uns beiden ist zuviel auf der Weide! Du hast mich zu oft geschlagen, als daß ich es ertragen könnte.« »Das verstehe ich, Flynn. – Jetzt reiten wir! Bist du all right?« Flynn nickt. Dann taucht Clurch wieder auf. Vor der Tür stehen drei
Pferde. Der Indianer sieht Flynn an und läßt ihn an sich vorbei. Sie sitzen auf. Sammy Brown steht neben ihren Pferden. »Kannst du schießen, Sammy?« fragt Benny. »Besser als reiten! Außerdem halte ich mit einer Schrotflinte Wache«, erwidert Sammy kurz. Sie wollen anreiten, doch da fällt Benny noch etwas ein. »He, Sammy«, sagt er ruhig. »Geh schnell ins Haus, und hole Mac Flynns Waffengürtel. Er muß auf einem Stuhl liegen. Und schiebe einen guten Colt in die Halfter. Ich habe im Waffenschrank ein paar liegen sehen.« Sammy Brown zögert einige Sekunden, dann stampft er über den Hof und verschwindet im Verandazimmer. Sie sehen durch die offene Tür, wie er sich über das Gepäck beugt, welches von den Reitern gleich neben der Tür niedergelegt worden ist. Er fischt Mac Flynns Waffengurt heraus, verschwindet aus dem Blickfeld der Reiter und taucht bald wieder auf. Ruhig kommt er über den Hof und tritt an Bennys Pferd. »Hier ist der Gürtel mit einem Colt. Die Waffe ist geladen.« Benny nimmt den Gürtel und reicht ihn Flynn. »Warum tust du das, Sunshine?« fragt Flynn heiser. »Ich habe dein Wort, Flynn. Das genügt mir. Du machst den Kronzeugen! – Es könnte rauh und hart werden. Man wird dich für einen Verräter halten – denn man kennt deine Gründe nicht. Deshalb möchte ich, daß du nicht ohne Waffe bist, wenn es gefährlich wird. – Durch dein Wort stehst du auf unserer Seite, bis Winston Wayman erledigt ist.« »Und dann?« fragt Flynn heiser. »Dann hast du eine Waffe und ein Pferd!« »Ah, Sunshine«, stöhnt Flynn. Er nimmt den Gürtel und legt ihn um. Er holt den Colt heraus und hantiert mit ihm. Dann schiebt er ihn in die Halfter und sitzt eine kleine Weile bewegungslos im Sattel. »Sunshine Benny«, sagt er hart, »ich hasse dich, weil ich
nicht anders kann. – Aber du bist Klasse! Dich kann man nur hassen – oder lieben. Das macht mir die Niederlage leichter!« Dann reitet er an. Er kennt den Weg. Clurch Chicio folgt ihm wachsam. Benny reitet als letzter Mann. Am Tor wendet er sich im Sattel. In der erhellten Tür erscheint Patricia Monroe. Sie läuft bis zum Geländer der Veranda. »Komm wieder, Ben Sunshine, denn ich liebe dich!« ruft sie laut und klar, fest und ruhig. »Ich komme wieder, Patricia!« Die Nacht verschluckt ihn. Man hört nur die trommelnden Hufschläge. Sammy Brown führt das Mädchen ins Haus und erscheint wenig später mit einer Schrotflinte, um damit als einsamer Wächter seine Runden zu gehen. Im Ranchhaus aber brennt noch lange Licht. Tante Betty und Patricia haben noch viel Arbeit. Cleve Lonestar schläft in halber Bewußtlosigkeit auf weichem Lager. Für Shorty wurde ein Armee-Feldbett aufgestellt, das jedoch mit weichen Kissen gepolstert ist. Marshal Blyde wird im Bunkhouse schlafen. Die alte Lady verbindet ihn soeben. Und sie schimpft dabei wie ein alter Cowboy. »Sie alter Narr«, knurrt sie. »Ich glaubte wirklich, Sie hätten nur einen Kratzer. – Einen steifen Arm werden Sie behalten. Warum bezeichnen Sie Ihre Wunde dauernd als eine Bagatelle?« Blydes viereckiges Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. »Ich wollte Sie nicht nervös machen, Madam.« »Mich kann nichts nervös machen, gar nichts! Heul nicht, Patricia! Manchmal müssen Männer reiten und kämpfen! Und Sunshine Benny kommt zurück. – Er müßte ja ein noch größerer Narr als Mister Blyde sein, wenn er sich erschießen läßt, wo du doch auf ihn wartest.«
»Ja, Tante«, murmelt Patricia und bringt die Schüssel mit blutigem Wasser weg. »Und Sie legen sich drüben ins Bunkhouse, Marshal. Ich komme mit Ihnen und bette Sie ordentlich, und es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, wenn ich Sie in Unterhosen sehe?« »Doch, sehr viel! Ich bin Junggeselle. Sammy kann mich zudecken und …« »Quatsch! – Kommen Sie, Blyde!« »Jawohl«, knurrt der Marshal und erhebt sich mühsam aus dem tiefen Sessel. Als sie den Raum verlassen, grinst Shorty ihnen von seinem Lager aus nach. »Die beiden sind prächtig, aber sie werden miteinander noch eine Menge Spaß haben. – Die haben sich ja gesucht und gefunden.« In der Küche steht Patricia am Fenster und sieht stumm in die Nacht hinaus. * Wayman hat den Ranchern, die er zu sich befahl, die Bedingungen genannt, zu denen er ihre Ranches übernehmen will. Der Weidepirat ließ seine Tarnung endgültig fallen. Drei alte Männer denken nach. Und sie kommen zu der Erkenntnis, daß ihre beste Zeit hinter ihnen liegt und daß sie zu alt sind, um eine harte Sache bis zum Ende auskämpfen zu können. Es fehlt der Mann, der sie und ihre Mannschaften zusammenschweißt und der Winston Wayman gewachsen ist. Auf dem Hof erklingen Hufschläge. Wayman lauscht. »Ah«, murmelt er, »das sind sicherlich die Boten meiner Mannschaft, die mir den Sieg über die Lonestar-Bande melden. Vielleicht ist Mac Flynn selbst vorausgeritten, um …« Er bricht ab, denn sporenklingende Schritte kommen über die Veranda.
Ein fragender Ruf ertönt, Mac Flynns Stimme antwortet kurz. »Er ist es«, grinst Wayman. »Die Lonestar-Bande und Sunshine Benny sind in der Hölle.« Die Tür öffnet sich, und Mac Flynn erscheint. Hinter ihm kommen Sunshine Benny und Clurch Chicio herein. Sie schließen die Tür und bleiben rechts und links neben ihr stehen. Winston Wayman benötigt eine volle Sekunde, um mit dem Schock fertig zu werden. Vielleicht dachte er auch im ersten Moment, daß Benny und Clurch als Gefangene hereinkommen. Aber dann sieht er, daß sie Waffen tragen. Und er sieht Mac Flynns Gesicht, das eine graue Maske ist. Er erhebt sich langsam. Seide Augen öffnen sich ganz weit, und seine Arme zucken seltsam. »Flynn«, ächzt er heiser. Der bleibt in der Mitte des Raumes stehen. Die Rancher sind längst aufgesprungen; sie weichen zur Seite und bleiben an der Wand stehen. Sie begreifen die ganze Sache noch nicht, aber sie ahnen, daß die Dinge eine Wendung bekommen. »Flynn!« brüllt Wayman fast kreischend. Der lange Vormann hebt die Hand. Sein zerschlagenes Gesicht wird noch bleicher. Jede Farbe weicht aus ihm. »Ich habe verloren. Der Kampf war schon aus, bevor die Verstärkung eintraf. Ich wurde mit Ben Sunshine nicht fertig. Die Lonestar-Mannschaft ist nicht erledigt. – Jetzt ist es Zeit, daß alles aufgeklärt wird. Lonestar war nie ein Viehdieb. Dein zweiter Vormann, Jeff Stringlay, ein Teil unserer Mannschaft – und manchmal auch ich, wir waren vorsichtig und schlau. Keiner kam uns auf die Schliche. Für alle Welt war es stets die Lonestar-Bande. – Das ist die Wahrheit. – Nun, ich bin vielleicht ein Hundefloh, Wayman – weil ich zum Verräter werde. – Aber ich habe nie einen Mann von hinten erstochen. Es hat mir nicht gefallen, daß du Mallone hinterrücks abstachst. Er saß am Schreibtisch und schrieb. Du hattest einen
Schlüssel zu seinem Büro. Er hörte, wie jemand normal aufschloß, und wußte, daß du es sein mußtest. Du riefst ihm ein beruhigendes Wort zu und tratest ein. Da er wohl erst den Satz beenden wollte, den er schrieb, sah er sich gar nicht um. – Und da bekam er dein Messer. Ich sah es. Und du drehtest dich um, grinstest mich an und sagtest, daß es so besser wäre. So würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe treffen; Sunshine Benny erledigen und auch den nutzlosen Mallone ausschalten, den Sunshine Benny in wenigen Stunden unmöglich machen würde. – Du wußtest ja von einem schnellen Reiter, daß Benny mit Sammy Brown und den angeschossenen Revolverleuten auf dem Weg nach Dale City war. Und ich Hundefloh unternahm damals nichts, weil ich …« Mac Flynn kann nicht mehr weiter, denn Winston Wayman, der die ganze Zeit stumm und starr gelauscht hatte, so, als könnte er die Wendung gar nicht fassen und begreifen, zuckt zusammen und greift unter die Jacke. Als er den kurzläufigen Colt aus der Schulterhalfter reißt und die Mündung auf Mac Flynn richtet, schießt dieser zweimal. Mit einem stöhnenden Laut fällt Wayman über seinen Schreibtisch. Wie im Traum wendet sich Mac Flynn um. Er steckt die Waffe weg. »Danke, Benny«, murmelt er, »danke für die Waffe. Wenigstens konnte ich es fair mit ihm austragen. Er hatte die Waffe zuerst in der Hand. – Ich gehe jetzt. – Bringt alles in Ordnung. Ich warte auf dich in Dale City.« Er geht an Benny und Clurch vorbei, öffnet die Tür und geht steif und gerade über die Veranda. Bald darauf erklingt draußen ein scharfer Ruf. Es ist einer der Ranchwächter. Flynn antwortet dem Mann: »Reitet, Charly! Packt eure Sachen und verschwindet. Das ganze Spiel ist aus. Ich habe Wayman getötet. Er war es, der
Mallone ermordete. – Ich bin hier fertig!« Dann galoppiert Flynns Pferd an. Als die Hufschläge verstummen, tritt Sunshine Benny auf die Veranda. Drüben laufen die Männer vor dem langgestreckten Bunkhouse zusammen. »He!« ruft Benny hinüber. »Hier ist Sunshine! Ich gebe euch zehn Minuten Zeit! Diese Ranch ist erledigt! Reitet!« Er braucht nur wenige Sekunden zu warten, dann kommt die kurze Antwort. »All right! Wenn Mac Flynn aufgibt, sind auch wir hier fertig. – Wir reiten!« Benny geht in den Büroraum zurück. Die drei alten Rancher bewegen sich unruhig. »Das ist Clurch Chicio, ein Reiter Cleve Lonestars. Er hat das Tal der gestohlenen Rinder gefunden«, sagt Benny kurz. »Wayman hat die gestohlenen Rinder nicht verkauft. Er hat sie in einem verborgenen Tal versteckt. Es sollen fünftausend Tiere sein. Wahrscheinlich wollte er sie auf die alten Weiden treiben, nachdem er eure Ranches übernommen hatte. Dann konnte er sie ja normal und ohne Verlust verkaufen. – Wieviel Reiter bringt ihr in die Sättel?« Buck Miles leckt sich über die Lippen. »Sieben«, sagt er heiser. »Fünf«, ruft Need Dunnhill. »Die Block-M-Ranch ist ohne Mannschaft«, krächzt Sam Monroe. »Stimmt nicht, Monroe! Clurch und ich, wir reiten für die Block-M-Ranch. – Und Sie reiten nach Hause. Sie haben Besuch bekommen.« »Ja«, sagt Sam Monroe und wischt sich aufgeregt über das faltige Gesicht. Benny wendet sich an Miles und Dunnhill. »Reiten wir! Holen wir die Boys, und reiten wir! In zwei oder drei Tagen können wir die Sache beendet haben. In einer
Woche kann das gestohlene Vieh wieder auf den alten Weiden stehen.« »Sunshine! Und ob wir mit Ihnen reiten! Los komm, Need!« ruft Miles energisch. Sie setzen sich in Bewegung, verhalten jedoch noch einmal vor Benny. »Wir haben Ihnen viel abzubitten, Benny! Wayman war für uns der große Nachbar und …« »All right, Miles! Reiten wir«, lächelt Benny. Sie klettern auf die Pferde, bilden ein dichtes Rudel und verlassen die Ranch. Als sie einige Meilen geritten sind, halten sie an und trennen sich von Sam Monroe. »Bestellen Sie Grüße, Sam Monroe. Sagen Sie, daß alles bald erledigt ist«, ruft Benny ihm zu. Als sie auseinanderreiten, wird im Westen der Himmel rot. Sie verhalten noch einmal ihre Pferde und sehen die Sache an. »Da brennt was«, keucht Miles. »Die Faules-W-Ranch brennt«, sagt Benny ruhig. »Die enttäuschten Cowboys haben ihrem Groll wohl auf diese Art Luft gemacht. Das konnte ich nicht ahnen. Und wir haben jetzt wichtigere Dinge zu tun, als Brandstifter zu fangen. Los, reiten wir!« Und sie reiten. Bald erreichen sie das Herdencamp der Star-Ranch. Miles schickt alle Reiter aus. »Holt alle Boys zusammen. Benachrichtigt auch die Wolfskopf-Mannschaft! Wir treffen uns bei Sonnenaufgang am Fuß des Nord-Passes!« »Hoiii, Boß!« * Drei Tage und drei Nächte hält sich Mac Flynn nun schon in
Dale City auf. Er trinkt mäßig, sitzt den ganzen Tag vor der Buffalo-Bar und läßt sich zweimal täglich rasieren. Er raucht viele Zigaretten und spricht kein einziges Wort. Und alle anderen Menschen machen einen großen Bogen um ihn, denn sie fürchten das gelbe Licht in seinen Augen. Sie kennen Mac Flynns Gefährlichkeit und möchten nicht mit ihm Krach bekommen. Jeder weiß, daß in Mac Flynn die Hölle wütet. Sie brauchen nur in seine Augen zu sehen. Längst ist es ganz Dale City klar, daß der einstige Vormann auf etwas wartet. Verschiedene Leute hätten ihm gern eine Menge Fragen gestellt, aber sie wagen es nicht. Keiner wagt es, Mac Flynn auch nur scharf anzusehen. Natürlich ist es inzwischen längst bekanntgeworden, daß die Faules-W-Ranch abgebrannt ist. Ihre Mannschaft hat sich aufgelöst und ist in alle Himmelsrichtungen geritten. Ein paar Reiter kamen durch Dale City und tranken einen Whisky. Sie erzählten verschiedene Dinge, manchmal nur Bruchstücke. Aber die Leute reimten sich alles zusammen. Gerüchte und Nachrichten verbreiten sich schnell im Rinderland. Es ist, als arbeite ein unsichtbarer und geheimnisvoller Telegraf. Nur ein einziges Mal sprach Mac Flynn in diesen drei Tagen. Es geschah in der Buffalo-Bar. Er trank gerade ein Glas aus, als drei seiner ehemaligen Reiter hereinkamen. Sie näherten sich ihm, und einer stellte eine sanfte Frage. »Stimmt«, erwiderte Mac Flynn, und die Barmänner hörten es. »Es gibt keine Faules-W mehr. Die Ranch hat aufgehört zu existieren. Sie hat keinen Boß und keinen Vormann mehr. Ich habe Winston Wayman getötet. Er hat Philip Mallone ermordet. Und für euch wäre es gut, wenn ihr höllisch schnell dieses Land verlaßt! Höllisch schnell!« »Kommst du mit?« fragte einer der Cowboys. »Ich habe noch etwas zu erledigen.« Das war alles. Die Reiter verließen den Ort. Mac Flynn setzte
sich wieder auf die Veranda und wartete. Und in der ganzen Stadt verbreitete sich die neue Nachricht. Der vierte Tag nähert sich seinem Ende. Mac Flynn kommt aus dem Barbierladen. Er hat sich vollkommen neu eingekleidet und wirkt fast wie ein Dandy. Seine vergoldeten Sporen klirren melodisch, als er den Gehsteig entlangschlendert. Er betritt das Zigarrenlädchen und kommt mit einer dicken Zigarre zwischen den schmalen Lippen wieder heraus. Rauchend schlendert er zum Mietstall hinüber. Wenig später führt er sein Pferd auf die Straße und bindet es neben der Buffalo-Bar an den Tränktrog. Lässig betritt er die Veranda und lehnt sich an einen Stützbalken. Er beobachtet aufmerksam die Straße, späht jedoch meistens zum Nordausgang der Stadt. Viele Augen beobachten sein Tun mehr oder weniger verstohlen. In den nächsten Minuten verbreitet es sich wie ein Lauffeuer im Ort, daß sich Mac Flynn bereitmacht. Die Straße leert sich, aber aus Fenstern und Türen, aus den Saloons und Stores beobachten viele Menschen den einsamen Mann vor der Buffalo-Bar. Einsam, jawohl, einsam ist er. Ganz einsam und mit seinen bitteren Gedanken allein, mit seinen heißen Wünschen und seinem verletzten Stolz. Er war ein großer Vormann und führte eine harte und rauhe Mannschaft, der er seine gewisse Großspurigkeit einimpfte und die er zu der wichtigsten Mannschaft in diesem Land machte. Er war der Vormann einer großen Raubranch. Seine Aufgabe war es, die Interessen seiner Ranch zu wahren und allen Reitern auf dieser Weide, die außerhalb der Faules-W-Ranch standen, heilige Mannesfurcht beizubringen. Das alles schaffte er spielend. Und dann geriet er an Sunshine Benny. Benny schlug ihn auf verschiedene Arten. Das ist es!
Das kann er nicht schlucken. Er hebt nur leicht den Kopf, als am Nordausgang ein Reitertrupp auftaucht. Er ist überhaupt nicht überrascht, denn er hat es sich ganz genau ausgerechnet. Er wußte, daß noch vor Anbruch der Nacht die Stunde kommt. Nun ist sie da! Er beobachtet die Reiter. Sie kommen im Schritt herein. Ihre Pferde sind voller Staub, sie selbst sitzen müde in den Sätteln. Die ganze Straße gerät in Aufregung, denn dieser Reitertrupp bringt Verwundete und Gefangene herein. An der Spitze reitet Sunshine Benny, flankiert von Buck Miles und Need Dunnhill. Die beiden Rancher sind ziemlich erledigt und sicherlich sehr froh, daß die Sache hier ein Ende findet. Hinter diesen drei Männern reiten ein paar Cowboys. Sie haben fünf Gefangene zwischen sich. Der rotköpfige Jeff Stringlay, der zweite Vormann der Faules-W, ist unter diesen Gefangenen. Den Schluß macht Clurch Chicio. Sein Hut hängt am Sattelhorn, und sein Kopf ist verbunden. Der ganze Trupp hält vor dem Marshal-Haus. Joe Right, der Bürgermeister von Dale City, und einige andere wichtige Männer der Stadt eilen herbei. Mac Flynn sieht das alles. Er weiß, daß Sunshine Benny abermals eine Aufgabe erfolgreich durchgeführt hat. Die Gefangenen beweisen, daß Sunshine Benny mit den Reitern das Tal der gestohlenen Rinder gefunden und die Wachmannschaft geschlagen hat. Die geraubten Herden stehen sicherlich wieder auf den alten Weiden oder sind auf dem Weg dorthin. Sunshine Benny hat die Faules-W-Ranch abermals geschlagen. Es ist alles beendet. Mac Flynn sieht, wie der Bürgermeister nach kurzem Gespräch mit den beiden alten Ranchern die Tür des MarshalHauses öffnet. Die Gefangenen werden ins Gefängnis gebracht. Mac Flynn stößt sich vom Balken ab, an dem er bisher
bewegungslos lehnte. »Für Ben Sunshine ist noch nicht alles beendet – noch nicht alles«, murmelt er. Dabei fühlt er, daß er heute so schnell und so gut wie noch nie in seinem Leben sein wird. Er geht sporenklirrend die Stufen hinunter und mitten auf die Fahrbahn. Dort bleibt er im knöcheltiefen Staub stehen. Sein neues Halstuch flattert im leichten Wind über seiner linken Schulter. Es ist rot und bildet zum blauen Hemd einen Kontrast. Er schiebt seinen hellgrauen Stetson in den Nacken. »Hoiii! Sunshine!« Der Ruf ist rauh und scharf. Er ist bis zum Ende der langen Straße zu hören. Sunshine Benny, der seinem Pferd den Sattelgurt lockert, arbeitet ruhig weiter. Er nimmt dem müden Tier die Kandare heraus, klopft dann Brust und Hals ab – und wendet sich dann langsam um. Etwas müde hebt er die Hand und gibt ihm ein beruhigendes Zeichen. Die Straße leert sich. Die Männer, die aus dem Marshal-Haus gelaufen kommen, treten dicht an die Hauswand. Sunshine Benny rückt an seinem Waffengurt und setzt sich endlich in Bewegung. Auch er tritt in die Mitte der Fahrbahn und nähert sich Mac Flynn. Dreißig Schritte vor Flynn hält er an. Auf Bennys Gesicht liegt eine dichte Staubschicht. Es ist rötlicher Staub, der sich mit Schweiß vermischt hat. Getrockneter Pferdeschweiß hat Bennys Chaps fleckig gemacht. Auch sein Hemd ist fleckig vom getrockneten Schweiß. Seine Rechte hängt bewegungslos herab, dicht über dem braunen Hickoryholzkolben des Colts. Die Linke hebt er und schiebt den Hut zurück. Durch eine Hauslücke kommt der letzte Schein der Sonne und trifft seine rechte Wange. »Warum kannst du es nicht schlucken, Mac Flynn?« fragt er ruhig, und die Worte klingen sanft – sie sind noch laut genug,
um Mac Flynn zu erreichen. »Wir haben noch nicht diese Kampfart ausprobiert, Sunshine. Du hast alles erledigt. Ich bin nicht mehr an mein Wort gebunden. Du brauchst mich nicht mehr als Kronzeugen und – Verräter. Ich habe ein Stinktier verraten, um von dir eine Chance zu bekommen. Du hast mich geschlagen. Nein, ich kann es nicht schlucken! – Mir ist, als wäre ich nur geboren worden, um eines Tages mit dir zu kämpfen. – Ben Sunshine, es ist nicht nur deshalb, weil du mich bisher auf jede Art schlagen konntest! – Ich habe aus verschiedenen Gründen ein Anrecht auf die letzte Auseinandersetzung zwischen uns. Verstehst du denn nicht, daß ich der Faules-W-Ranch treu wurde, um zu einer Chance zu kommen, es mit dir austragen zu können? Wir haben es nur halb austragen können. Es war kein Kampf bis zur allerletzten Entscheidung. – Aber du hattest mein Wort. Ich durfte nicht weitermachen, weil du mich immerhin hättest töten und ich dann nicht Zeuge gegen Winston Wayman hätte sein können. – All right, Sunshine, jetzt ist alles erledigt! Jetzt ist nur noch die Sache da, die von Anfang an zwischen uns war!« Er verstummt, macht einen tiefen Atemzug und wartet. Benny hebt müde die Hand. Er schüttelt den Kopf. »Ich habe keinen Groll gegen dich, Flynn. Du rittest einen rauhen Weg – und manches an dir ist falsch – war falsch. Jeder Mann reitet manchmal einen falschen Weg. – Ich möchte nicht auf dich schießen! Reite und vergiß alles! Im Leben jedes Mannes sind Dinge, die lange Zeit brennen und eines Tages vergessen werden. Zum Teufel, Flynn! Zerbeiß es und würge es hinunter!« »Nein! – Wenn die Rangierlok wieder pfeift, Sunshine, dann werde ich auf dich schießen! Sei schnell, Ben!« Mac Flynn beugt sich leicht vor. Sein Körpergewicht ruht nun noch auf den Zehen und Fußballen. Er hat seine langen Beine gespreizt. Seine Hand hängt griffbereit über der Waffe.
Dabei starrt er aus schmalen Augen auf den Gegner. Es gibt nichts, was seine Absicht ändern könnte. Er hat sich in eine Idee verrannt und ist nicht mehr davon abzubringen. Er will richtig und endgültig geschlagen werden, bevor er es frißt. Sunshine Benny steht ruhig da wie immer, ganz lässig und sorglos. Es ist ihm nur eine gewisse Müdigkeit und keinerlei Spannung anzumerken. Aber sein Blick ist fest, klar und hart. Er sieht in Mac Flynns Augen – und er kann selbst auf diese Entfernung das wilde Licht in ihnen glitzern und sprühen sehen. Und dann gellt der kurze Pfiff der Rangierlokomotive vom Verladebahnhof her. Sie schnappen nach den Waffen, reißen sie mit einem gleitenden Zug und Schwung hoch. Mac Flynn schießt schnell und hastig. Ben Sunshine hat den Colt eine winzige Idee früher in der Hand und auf den Gegner gerichtet. Er war schneller! Aber er schießt sorgfältiger, ganz überlegt und auf ein bestimmtes Ziel. Als er abdrückt, brennt es hoch oben in seiner linken Schulter. Weil er so sorgfältig zielte, hat er Flynn den ersten Schuß überlassen, obwohl beide Schüsse fast wie ein einziger klangen. Mac Flynn stößt einen wilden Schrei aus. Er schwankt und hebt dann langsam seine Rechte. Sie blutet. Die vorderen Glieder von Mittel- und Ringfinger bluten. Sunshine Benny hat ihm nur den Colt aus der Faust geschossen. Und er hat auf dreißig Schritte genau die Finger getroffen, die den Kolben umklammerten.
Er hätte Mac Flynn die Kugel mitten in die Stirn plazieren können. Das wird Mac Flynn klar, als er seine blutende Hand betrachtet. Es wird ihm klar, daß er jetzt schon ein toter Mann hätte sein können. Jawohl! Das trifft ihn hart. Er will keine Gnade und keine Schonung. Er will keine Rücksicht. Ihm selber wird klar, daß er auf den Tod gewartet hatte und schon vorher überzeugt war, daß Benny der bessere Mann ist. Mit einem wilden Schrei bückt er sich und will mit der Linken die entfallene Waffe aufheben. Da schießt Benny abermals. Er trifft die Waffe. Sie wirbelt ein Stück weiter und verschwindet im tiefen Staub. Wieder greift Flynn danach, und wieder schießt Benny, sich dabei mit langen Sprüngen dem Gegner nähernd. Staub spritzt in Flynns Augen. Er greift tief in den Staub, erwischt die Waffe und reißt sie hoch. Sunshine Benny schlägt ihm den Coltlauf auf das Handgelenk, denn er ist inzwischen dicht am Mann. Flynn läßt die Waffe fallen und richtet sich kerzengerade auf. Sie stehen dicht voreinander und sehen sich in die Augen. Sie sagen kein Wort, sehen sich nur an – bis Mac Flynn sich abwendet und zu seinem Pferd taumelt. Erst nach einigen Schritten wird sein Gang sicherer. Er klettert in den Sattel. »Jetzt schlucke ich es, Ben Sunshine! Viel Glück fürs ganze Leben, Ben!« ruft er heiser. »Reite eine saubere Fährte, Mac!« ruft Benny zurück. Und sein warmes Lächeln ist wieder da. Mac Flynn reitet langsam aus dem Ort. Er sieht sich nicht mehr um. Er verschwindet allmählich in der Staubwolke, die
der Wind ihm nachtreibt. Benny schiebt seinen Colt in die Halfter, bückt sich, hebt Flynns Waffe auf und steckt sie in den Hosenbund. Dann fühlt er nach seiner Wunde. Sie blutet nicht sehr stark. Er kann es aushalten. Langsam wendet er sich und sieht all die Leute, die immer noch wie versteinert längs den Hauswänden stehen oder aus Fenstern und Türen schauen. Miles und Dunnhill – und der Bürgermeister kommen ihm entgegen. »Laßt ihn reiten«, murmelt Benny, »laßt ihn reiten.« * Sam Monroe, Sammy Brown und Kay Blyde sitzen auf der Veranda der Block-M-Ranch. »Yeah«, sagt Blyde, »Alter schützt vor Torheit nicht, Sam, deine Schwester hat mich drei Tage gepflegt. Heute hat sie mir gesagt, daß mein Arm steif bleiben wird und ich nicht mehr länger Junggeselle bleiben könnte.« »Es haben sich schon ältere Leute als ihr beiden verliebt. Sie ist ja etwas rauh – aber nur äußerlich. Du wirst einen ausgeben müssen, Schwager.« »Du – du lachst uns nicht aus, Sam?« »Warum sollte ich? – Ihr seid schlau! Ich dagegen werde einsam mein Leben beschließen müssen. – Ich lasse mir ein Buch über Rosenzucht schicken und …« Sammy Brown springt plötzlich auf und brüllt: »Hoiii! Jooohooo! Sie kommen! Sie kommen zurück! Er hält sein Wort! Er kommt wieder!« Sammys gewaltige Stimme klingt über die ganze Ranch. Zuerst kommt Tante Betty aus dem Haus. »Warum brüllt der …«, beginnt sie, doch dann sieht sie durch das offene Ranchtor die Reiter über die Weide kommen.
Ben Sunshines Haar leuchtet wie Gold in der frühen Morgensonne. Neben Benny reitet Clurch. »Sammy! Sammy, du Bulle! Komm! Hol mich raus! Trag mich auf die Veranda! Ich will’s auch sehen!« brüllt Shorty. Und Sam Brown holt ihn. Er bringt ihn im selben Moment heraus und behält ihn wie ein Wickelkind in den Armen, als Benny und Clurch in den Ranchhof kommen. Sie halten bei den Tränktrögen. Clurch übernimmt die Pferde und entfernt sich mit ihnen zu den Corrals. Benny kommt langsam über den Hof. »Good Morning.« Er lächelt, und seine Augen suchen. »Sie wartet drinnen auf dich, Benny«, sagt Tante Betty rauh. »Wir wollten dich nur sehen – uns kannst du später begrüßen. Sie will dich allein haben. Vielleicht will sie auch wissen, ob du es noch eine Weile hier aushältst, wo sie doch drinnen auf dich wartet.« »Ich halte es nicht aus«, lächelt Benny und geht an allen vorbei und verschwindet im Haus. »Sammy, warum hast du mich herausgeholt«, grollt Shorty. »Drinnen hätte ich vielleicht sehen können, wie ein guter Mann einen harten Ritt beendet.« »Du Affe hättest nur gestört«, brummt Sammy. »Cleve ist doch auch noch drinnen!« »Der schläft sich gesund – der hört und sieht nichts«, murmelt Kay Blyde zufrieden. Und drinnen treffen sie sich vor dem Bett des Verwundeten, der bald wieder seine alte Ranch bewirtschaften und ein guter Nachbar sein wird. »Hallo, Pat«, Benny lächelt. »Der neue Vormann meldet sich zum Dienst. Die neue Mannschaft kommt heute abend.« Sie steht regungslos neben dem Krankenbett. Ihre Augen leuchten. »Du hältst immer dein Wort, Ben! Aber ich brauche keinen Vormann, ich brauche einen Rancher!«
»Hab’ ich da auch Chancen?« fragt er lächelnd. Sie eilt in seine Arme. Und sie küssen sich lange. Als sie sich umwenden und zur Tür gehen wollen, sehen sie einige Gesichter in den offenen Fenstern – lachende und zufriedene Gesichter. Es ist alles in Ordnung – alles! ENDE
Selbstverständlich hat Deutschlands Western-As Ihnen auch in der kommenden Woche einen Top-Roman anzubieten!
Killer auf der Fährte Ein Sterbender machte Cindy Burte zur reichsten Frau des Goldlandes. Von der Stunde an war ihr Leben keinen Cent mehr wert …