KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR KUND LI CHE
HANS
HEFTE
HARTMANN
HEINRI...
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KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR KUND LI CHE
HANS
HEFTE
HARTMANN
HEINRICH HERTZ STRAHLENMEER AN DER S C H W E L L E DES RUNDFUNKZEITALTERS
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN • I N N S B R U C K - BASEL
Es war wie vor 70 Jahren . . . Am 22. Februar 1957 in Karlsruhe. Die ehemalige großherzogliche Residenzstadt, in deren Geschäftszentrum alle Straßen strahlenförmig auf das Schloß zulaufen, so daß der Untertan von einst das Haus des Fürsten und ihn selber nie aus den Augen verlieren konnte, beging wieder einen ihrer großen Gedenktage. In dieser seit ihrer Planung und Gründung im 18. Jahrhundert geistig und künstlerisch so beweglichen Stadt lebt ja die Erinnerung an viele historisch bedeutsame Ereignisse fort. Stätte des Gedankens war an diesem Wintertag die ehrwürdige Fridericiana, die Technische Hochschule. Die Stadt selber bot nur die anmutige Kulisse, allerdings eine sehr bildhafte Kulisse, wenn man die Strahlenform des Stadtkerns ins Auge faßt. Denn hier wurden zum erstenmal jene Strahlen drahtlos hinausgesendet und wieder empfangen, die heute Tag für Tag von 850 Fernsehsendern aus auf achtzig Millionen Fernsehschirme der Welt Bilder zaubern und von 6000 Rundfunkstationen aus in viele hundert Millionen Wohnungen Radioklänge tragen; es sind die gleichen Strahlen, mit deren Hilfe heute Raketen in die Umlaufbahn um die Erde gelenkt oder auf und um den Mond gesteuert werden können. Die wissenschaftliche Welt — eigentlich hätte die ganze fernsehund rundfunkfreudige Welt dabei sein müssen — feierte am 22. Februar 1957 in Karlsruhe den hundertsten Geburtstag von Heinrich Hertz, jenem Frühvollendeten, der als der Begründer des Rundfunkzeitalters in die Geschichte eingegangen ist. Die erlauchten Gäste hatte man in das „Geburtszimmer" dieses Zeitalters eingeladen, einen Hörsaal der Karlsruher Hochschule. Als die ungewöhnliche Feststunde begann, waren die sieben Jahrzehnte seit der Entdeckung der drahtlosen Wellen vor etwa siebzig Jahren wie weggewischt. Der Hörsaal war in das Laboratorium von Heinrich Hertz zurückverwandelt worden. Statt Festgir2
landen und Fahnengehängen fanden die Gäste die Originalapparaturen des großen Physikers vor: große flache Blechwände, die Heinrich Hertz zur Spiegelung „seiner" Wellen gedient hatten, und Hohlspiegel, in denen er sie zu bündeln und zu richten verstand. Man sah den unscheinbaren, genial einfachen aus Draht und Metallkugeln bestehenden Sender, der die Wellen ausschickte, und den noch einfacheren Empfänger, ein simples Drahtgebilde, mit dessen Hilfe Hertz das Vorhandensein der Sendewellen nachgewiesen hatte. Um die Originalversuche im zeitlich knappen Rahmen der Feierstunde wiederholen zu können, waren lediglich einige allzu zeitraubende Versuchsanordnungen von damals durch moderne Einrichtungen ersetzt worden. Es war beinahe unfaßbar, daß mit diesen schlichten Geräten und in diesem Saal und mit den gleichen Experimenten, wie sie den Teilnehmern der Feststunde vorgeführt wurden, Heinrich Hertz das Band der Funkwellen im unermeßlichen elektromagnetischen Wellenmeer überhaupt hatte ausfindig machen können. Der Hörsaal, das „Auditorium", hatte ihm zudem in den entscheidenden Jahren — 1886 und 1887 — nur gelegentlich zur Verfügung gestanden. Ein großer Teil seiner grundlegenden Versuchsergebnisse war in einem für solche weitgreifenden Zwecke unzulänglich kleinen Institutsraum zustande gekommen. Nur wenn nicht gerade Vorlesungen waren, und am Wochenende und in den Semesterferien, hatte Hertz seine Geräte ins „Auditorium" hinüberbringen können; er mußte sie mühsam abbauen, wenn am Montag oder nach Ferienschluß die Studenten auf den Saal wieder Anspruch erhoben. Die Teilnahme an der glanzvollen Karlsruher Erinnerungsfeier und an der Wiederholung des ersten Auffunkeins und „Aufgreifens" künstlich erzeugter, ohne Drahtleitung sich ausbreitender elektromagnetischer Wellen, und das Nacherleben der genialen Versuchsfolge des jungen Professors Hertz wurden für die Zuhörer und Zuschauer ein Ereignis, das sie nicht vergessen werden. Der Bewunderung und Ergriffenheit der Anwesenden gab einer der Festredner Ausdruck: „Heinrich Hertz hat wohl bei seinen Versuchen kaum daran gedacht, daß sie den Anfang einer geradezu lawinenartigen Entwicklung eines Zweiges der Elektrotechnik bilden würden, der Entwick3
lung wohl einer der populärsten Techniken überhaupt. Denn die drahtlose elektrische Nachrichtentechnik, die sich auf den Grundexperimenten von Heinrich Hertz aufbaut, ist mit ihren Rundfunkund Fernsehgeräten' bis in den Familienkreis eingedrungen und hat, das kann wohl ohne Übertreibung gesagt werden, unser kulturelles, wirtschaftliches und politisches Leben in einem Maße beeinflußt, wie es nur wenige Entdeckungen getan haben. In alter klassischer Zeit würde man gesagt haben, Heinrich Hertz sei dem Neide der Götter zum Opfer gefallen. Doch er hat die knappen zehn Jahre, die ihm zur Entfaltung nach Abschluß seiner Ausbildung gegeben wurden, in wahrhaft königlicher Art ausgenutzt." Die letzten Worte vom „Neide der Götter", die dem Menschen seine Triumphe nicht gönnen, spielten an auf den frühen Tod des großen Physikers, der, noch nicht 37 Jahre alt, am 1. Januar 1894 unter tragischen Umständen aus seinem Schaffen herausgerissen worden ist — als einer der berühmtesten und verehrtesten Männer seiner Zeit. örsteds Kompaß macht Sprünge Es war der 4. Oktober 1886 — der Tag steht genau fest —, als Heinrich Hertz nach fast zweijährigen Vorarbeiten zum erstenmal seine Geräte zu den Prüfversuchen ansetzte, die dann nach Jahresfrist, 1887, zum Erfolg führen sollten. Was die Elektrizität sei, diese fast unheimlich rätselvolle Erscheinung, was der nicht minder geheimnisvolle Magnetismus sei, das beschäftigte im vorigen Jahrhundert die Physiker und Philosophen nicht weniger, als heute die Frage nach dem Wesen der Atomkraft oder im Altertum die Frage, was das Feuer oder was die Luft sein könne. In allen Kulturländern saßen Wissenschaftler und Techniker über ihren Geräten, Influenzmaschinen, Kondensatoren, Induktoren, Spulen, Galvanometern, Akkumulatoren und Transformatoren, schickten den Strom durch Drahtgewinde und Kabel, durch Flüssigkeiten aller Art, durch tierische Nervenstränge und ließen Geißlersche Röhren in zauberhaften Farbenspielen erstrahlen. Für viele magnetische und elektrische Erscheinungen wurden Formeln gefunden, in denen die Gesetze der magnetischen und elektrischen Vorgänge in Zahlen und Zeichen dargestellt wer4
Der „Oszillator" von Hertz, der erste Sender der Welt. Unten rechts Batterie als Stromquelle, links der Induktor, der den Strom hochspannt, A und B die „Sammler", die sich stoßweise entladen und in wechselnder Richtung Funken von a nach b oder von b nach a überspringen lassen. Um die Funkenstrecke bilden sich schwingende Kraftfelder, die sich als Wellen in den Raum fortpflanzen (vgl.Abb.S.13) den konnten. Es fehlte nicht an Versuchen, die Vielfalt der Gesetzlichkeiten auf einen einzigen Nenner zu bringen, auf eine Grundformel, wie wir heute sagen würden. Man wußte, daß Elektrizität und Magnetismus etwas Gemeinsames haben mußten und daß sie in Wechselwirkung zueinander standen. Der dänische Physiker ö r sted hatte bereits im Jahre 1820 die aufsehenerregende Theorie 5
vorgetragen, daß der elektrische Strom in einem Draht nichts anderes sein könne, als das Fließen von kleinsten Elektrizitätscinheiten, Elektrizitätskörperchen — Elektronen —, die zwischen die Metallmoleküle eingelagert seien. Er lehrte, daß jedes dieser ins Strömen gebrachten Elektrizitätsteilchen und alle gemeinsam ein magnetisches Kraftfeld um sich bildeten, örsted war durch einen Zufall zu dieser Erkenntnis gekommen: In seinem Arbeitsraum hatte er eine galvanische Batterie in Betrieb gesetzt, während entfernt von den Drahtleitungen ein Kompaß lag. So oft er den Strom schloß, begann die Magnetnadel heftig zu tanzen. Da keiner der Drähte mit Kompaß und Magnetnadel in Verbindung stand, mußte es zwischen dem fließenden Strom und der Nadel eine magnetische Beziehung geben. Diese Wirkung hatte örsted schon dreizehn Jahre vorher auf Grund anderer Beobachtungen und vieler Überlegungen vermutet. Endlich hatte ihm ein Glücksfall die Bestätigung erbracht. Diese Glücksstunde wurde die Geburtsstunde des Elektromagnetismus. Jetzt fand man auch eine Erklärung für manche Schiffskatastrophen der Vergangenheit. Die Schiffe waren vom Kurs abgekommen und in Untiefen geraten oder gegen Klippen geprallt, weil bei schweren Gewittern mit ihren Elektrizitätsentladungen die Kompaßnadeln aus der Nord-Süd-Richtung abgewichen waren, ohne daß die Steuerleute die Abweichung bemerkt hatten. So waren die Segler auf den gefährlichen Kurs geraten. Es ergab sich daraus, daß nicht nur der drahtdurchfließende Strom, sondern auch Elektrizitätsentladungen in der freien Atmosphäre an entfernten Punkten magnetische Kräfte „aufwolken" lassen. Auf örsteds Spuren . . . Auf örsteds Spuren bewegten sich in der folgenden Zeit viele andere Physiker in den Forschungslaboratorien der Welt. Der entscheidende Schritt vorwärts gelang dem Engländer Michael Faraday, der bis zu seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahre als Buchbinder gearbeitet hatte und im Umgang mit den Büchern geistig so weit gereift war, daß ihn der englische Chemiker und Physiker Sir Humphry Davy im Jahre 1813 als Gehilfen in sein Laboratorium aufnahm. Dreizehn Jahre später war Faraday Professor am berühmten Königlichen Institut in London. 6
Die entscheidende Idee blitzte in Faraday auf, als er in seinem Arbeitsraum sich mit örsteds elektromagnetischen Experimenten befaßte. Sollte es nicht möglich sein, örsteds Versuch mit der Magnetnadel umzukehren und mit Hilfe eines Magneten elektrischen Strom zu erzeugen? Man erzählt sich, Michael Faraday habe jahrelang ein Stück magnetisches Eisen und einen Kupferdraht in der Tasche mit sich herumgetragen, damit er sich stets an diese Aufgabe erinnere. Wo sich ihm nur eine Gelegenheit bot, kramte er seinen Tascheninhalt hervor, um immer von neuem damit zu experimentieren. Aber die Sternstunde war ihm erst im Jahre 1831, als er bereits Professor in London war, beschieden. Er hatte wieder einmal einen Kupferdraht zur Hand genommen, ihn zu einer Schlinge, einer Spule, gebogen und die Drahtenden an ein Galvanometer, ein Gerät zur Stromfeststellung und -messung, angeschlossen. Neugierig näherte er seinen Magneten dem Drahtgebilde, als plötzlich der Zeiger am Galvanometer auszuschlagen begann. Brachte er den Magneten zur Ruhe, dann schlug der Zeiger auf den Nullpunkt zurück. Entfernte er den Magneten, so begann auch der Zeiger des Galvanometers sich wieder zu regen, diesmal in entgegengesetzter Richtung. Das war eine ganz überraschende Erscheinung, aber Faraday wußte genau, was sich hier abspielte. Sobald der Magnet sein Magnetfeld verschob und sich dem Kupferdraht näherte, begannen die Elektronen in dem Metalldraht nach einer Seite zu strömen, entfernte er den Magneten, wurde also das Magnetfeld wieder schwächer, so wendeten sich die Elektronen und strömten in der entgegengesetzten Richtung. Wie durch Zauberhand kam ein Wechselstrom in Bewegung. Der heftig nach links und dann nach rechts ausschlagende Zeiger des Galvanometers war dafür der deutliche Beweis. Es genügte nicht, den Magneten nur in die Nähe der Drahtschlinge zu halten, um einen Strom zu erzeugen; sein Kraftfeld mußte sich ändern: man mußte es entweder auf die Spule zu oder von der Spule weg bewegen. Immer wenn sich das Magnetfeld änderte, kamen die Elektronen im Kupferdraht zum „Strömen". Um einen Wechselstrom von Dauer zu erhalten, montierte Faraday den Magneten auf eine kreisende Scheibe, bei deren Umlauf der Magnet sich mit großer Geschwindigkeit der Spule näherte oder sich von ihr entfernte. Die Kraftzone, in der
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sich diese Wirkung kundtat, nannte er elektrisches und magnetisches Kraftfeld, die erstaunliche und geheimnisvolle Stromerzeugung lediglich mit Hilfe des Magnetismus nannte er Induktion (Hineinbeförderung). Faraday trug zwar, als er die Induktion von elektrischem Strom durch magnetische Feldwirkung entdeckte, die Werner von Siemens später in seiner Stromerzeugungsmaschine, dem Dynamo, nutzbar gemacht hat, den Titel eines königlichen Professors; aber gewisse Fachkollegen seiner Zeit sahen in ihm immer noch den ehemaligen Buchbinderlehrling und trauten dem aus dem Handwerk Aufgestiegenen nicht solche umstürzenden Erkenntnisse zu. Andere aber machten sich daran, das magnetische Feld um den stromdurchflossenen Draht örsteds und das stromerzeugende Feld um den hinund herbewegten Magneten Faradays und ihre Einwirkung aufeinander näher zu durchforschen. Jahrzehntelang bemühte man sich, hinter die Naturgesetze zu kommen, die sich hier offenbarten. Hartnäckig, ja erbittert kämpfte man um das Problem, wielange es dauere, bis ein bewegter Magnet die Elektronen im Draht der Spule zum Strömen bringe, und umgekehrt, wie lange es dauere, bis das elektrische Kraftfeld eines stromdurchflossenen Drahtes eine entfernt stehende Magnetnadel in Unruhe versetze. Deutsche Forscher neigten zu der Ansicht, daß diese Frage unsinnig sei, daß die magnetischen und elektrischen Kräfte zu ihrer Ausbreitung keine Zeit nötig hätten, daß sich alles zugleich abspiele, daß eine unerklärliche „Fernwirkung" vorliege und man von Geschwindigkeit gar nicht sprechen dürfe. Die Engländer aber schlugen sich im allgemeinen auf die Seite ihres Landsmannes Faraday, der behauptet hatte, daß eine gewisse, wenn auch ungeheuer kurze Zeit vergehe, bis die elektrische oder magnetische Kraft in ihrer Wirkung an den nächsten oder entfernteren Stellen bemerkbar werde. Ein gewisses Etwas pflanze die Kräfte in einer Kette von „Nahwirkungen", Punkt um Punkt im Räume fort. Das gewisse „Etwas" Die Phantasie der alten Griechen hatte beim Nachdenken über die Entstehung der Welt an den Anfang alles Werdens das göttliche Chaos gesetzt, in dem alle Gegensätze: Hell und Dunkel, Feuer 8
Der erste Empfänger für drahtlose Wellen, wie ihn Hertz entwickelt hat. An winzigen elektrischen Fünkchen, die, nur durch ein Fernrohr zu sehen, an der Unterbrechungsstelle des Drahtkreises übersprangen, erkannte er das Vorhandensein der elektromagnetischen Wellen, Der Strom im Draht war durch sie „induziert". Mit einer Schraube konnte Hertz den Empfänger auf den Sender abstimmen, indem er die Unterbrechungsstelle verkleinerte oder vergrößerte. und Wasser, Erde und Luft noch vereinigt waren. Aus diesem chaotischen Urgrund der Dinge sei der Äther hervorgegangen, der mit der Erde die göttlichen Wesen gezeugt habe. Die reinere Himmelszone über der Lufthülle der Erde sei zum Wohnraum des Äthers geworden. Auf der Suche nach einer Bezeichnung für das gewisse räumliche „Etwas", in dem die magnetischen und elektrischen Kraftfelder sich bewegten, entschieden sich die Physiker des vorigen Jahrhunderts für den Namen des göttlichen Äthers; er sei Träger der elektrischen und magnetischen Kräfte im Raum, ähnlich wie die Luft für den Schall. Man dachte ihn sich als einen unendlich zarten, unwägbaren, unstofflichen, alles durchdringenden und den leeren Raum ausfüllenden Träger. Auf den Flügeln des Äthers gelange auch das Licht der Sonne mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern in der Sekunde durch den sonst leeren Raum zu uns auf die Erde. Das Merkwürdige war, daß selbst die feinsten Messungen dieses ätherische „Etwas" zu fassen nicht in der Lage waren. Im Hin und Her der Meinungen wurde der englische Physiker James Clerk Maxwell zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zum zuverlässigsten Wegweiser in die Zukunft. Er behauptete, die elektromagnetischen Kräfte bewegten sich in den elektromagnetischen Kraftfeldern wie Wellen, die sich durch den Raum ausdehnten. Auch das Sonnenlicht sei ein elektromagnetischer Wellenvorgang, der durch unvorstellbar schnelle Bewegungen von elektrischen Kräften in der Lichtquelle — der Sonne — ausgelöst werde. Wie der Strom ein Magnetfeld erzeuge auch ohne Magnet, 9
so könne auch ein Magnetfeld ein elektrisches Feld aufwachsen lassen, ohne daß vorher dort Elektronen vorhanden waren. Licht entstehe durch elektrische Ströme in der Sonne, die in der Umgebung ein magnetisches Feld hervorbrächten, dieses wieder induziere, sobald es zusammenfalle, in der Nachbarschaft ein elektrisches Feld; und das wiederhole sich unendliche Male, bis das Licht unser Auge erreicht habe. Die Folge der immer neu von der wirbelnden Sonnenenergie hervorgebrachten Kraftfelder werde zu dem unaufhörlichen Lichtstrom, der unser Dasein erhelle. Maxwell schloß aus all seinen Überlegungen und Versuchen, daß solche einander folgenden, sich gegenseitig „induzierenden" Magnet- und Elektrizitätsfelder auch entstehen müßten, wenn zwischen zwei stromführenden, durch eine Lücke getrennten Drähten ein elekscher Funke überschlage. Um die Funkenstrecke wachse ein Magnetfeld an, das nach dem Funkenschlag wieder in sich zusammensinke. Dieses Zusammensinken wirke sich in die Umgebung wie ein bewegter Magnet aus, es entstehe in der Nähe ein elektrisches Kraftfeld, das ebenfalls nach kürzester Zeit in sich zusammenfalle. Das Zusammenfallen entspreche einem elektrischen Stromstoß, und dieser lasse ein weiteres Magnetfeld in der Nähe anwachsen. So pflanzten sich Felder in den Raum hinein als elektromagnetische Wellen fort. Maxwell fand auch die Formeln für diese Theorie — die indes Theorie bleiben mußte, solange es nicht gelang, diese Aufeinanderfolge von elektrischen und magnetischen Feldern in Empfangsgeräten zu registrieren. Man hatte bis dahin mit „Leydener Flaschen" die erforderliche Zahl von Funkenschlägen nicht hervorbringen können. Denn es mußten, wie Hertz später feststellte, mindestens 80 bis 100 Millionen Entladungen je Sekunde sein, bevor mit den Mitteln der Zeit überhaupt Wellen im Raum aufgespürt werden konnten. Niemand glaubte damals daran, daß Maxwells kühne Ideen je praktisch bewiesen würden. Heinrich Hertz sollte diese Großtat gelingen. Blick in ein Tagebuch • Im Dezember des Jahres 1884 war der junge Professor Heinrich Hertz von Kiel nach Karlsruhe berufen worden, um an der Techniscnen Hochschule Vorlesungen zu halten und sich neuen Experi10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.14 11:05:13 +01'00'
menten zu widmen. Aber sein Weg zu dem großen Erfolg war keineswegs ein Siegeslauf. Er erkämpfte sich den Pfad zum Gipfel unter größten Hemmnissen und oftmaligem Verzagen. Bereits an der Universität Kiel hatte er begonnen, ein Tagebuch zu führen. Es ist uns kein anderes ähnliches Tagebuch von. einem großen Genie im Reiche der Physik bekannt. Eine solch eingehende Art der Selbstbeobachtung und ein gleich großes Mitteilungsbedürfnis wird man bei andern vergebens suchen. Röntgen war in seiner verhaltenen Schweigsamkeit Heinrich Hertz völlig entgegengesetzt. Er hat nie darüber gesprochen, wie er bei seinen Forschungen vorgegangen ist, auch nicht bei seinen wichtigsten, der Entdeckung der Röntgenstrahlen. Gewiß darf man nicht den Verdacht haben, als ob Röntgen und mit ihm mancher andere ganz gefühllos, rein sachlich, gleichsam wie ein unbeteiligter Zuschauer, seinen eigenen Leistungen gegenübergestanden habe. Aber er und andere haben nie etwas davon mitempfinden lassen. Die Blätter des Tagebuches von Heinrich Hertz, das durch Briefe an seine Eltern und an seinen Lehrer Helmholtz, den „Physikerfürsten" in Berlin, ergänzt wird, sind gerade in den entscheidungsvollen Karlsruher Jahren von 1884 bis 1889 für seine persönlichen Erlebnisse und seine wissenschaftlichen Arbeiten besonders aufschlußreich. An Helmholtz schrieb er zwischen dem 5. Dezember 1886 und dem 30. November 1888 sechs Briefe, in denen er den jeweiligen Stand seiner Forschung über die elektromagnetischen Wellen in geradezu klassischer Weise formulierte. Hertz bemühte sich, auch seinem Lehrer gegenüber den Fortgang seiner Arbeiten verständlich darzulegen. Gleich zu Beginn des Sommersemesters 1885 beschäftigte sich Hertz mit elektrotechnischen Problemen. Er wollte mit einer Dynamomaschine Messungen vornehmen, aber der Gasmotor streikte. Deshalb probierte er eine kleine elektrische Lampe, um sie im luftverdünnten Raum zu beobachten: „doch ging's nicht recht". Bald überfielen ihn, zumal ihm auch die Vorlesungsarbeit nicht behagte, pessimistische Anwandlungen, zu denen er zeitlebens neigte. Am 31. Mai 1885 notierte er in seiner knappen Form: „Einige Besuche gemacht, sonst über die Gasentladung nachgedacht und spazieren 11
gegangen, trübselig genug im Vergleich zu vorigem Jahr". Am 12. Dezember des gleichen Jahres lesen wir: „Wieder mit unnützen Gedanken mich geplagt", am nächsten Tage „Vormittags einsamer Spaziergang im Schneegestöber nach Ettlingen", am 14. Dezember: ,Die Vorlesungen machen mir schon wieder Mühe", am 15. Dezember: „Abends wieder einen kleinen Akkumulator probiert, mehr aus Spielerei", am 22. Dezember: „Alle diese Zeit schwer mit Mißmut und Hoffnungslosigkeit gekämpft". Und am 31. Dezember schrieb er in sein Buch: „Froh, daß dies Jahr herum und hoffend, daß kein solches folgt". Forschungs- und persönliche Vermerke ziehen sich auch durch die Tagebuchblätter des folgenden Jahres. Oft sind in nur ein oder zwei Zeilen eingreifende Geschehnisse zusammengefaßt: So am 10. April 1886: „Kraftübertragung fertig und Tafel über magnetische Dimensionen gemacht", am 12. April: „Ausflug mit Dolls nach Bühl und auf die Windeck. Verlobt mit Elisabeth Doli"; und am 31. Juli: „Hochzeitstag". Als ein großer Tag erschien ihm der 2. Dezember 1886: „Gelungen, Resonanzerscheinung zwischen zwei elektrischen Schwingungen herzustellen." Aber am 21. Dezember mußte er bereits wieder von einem Mißerfolg bei Versuchen über die Einwirkung sogenannter dielektrischer (nichtleitender) Stoffe berichten. Am 19. Juli 1887 schwand ihm völlig die Lust zur Arbeit. Am 15. September stellte er zu seinem Schrecken fest: „Eigentümliche Störung in den Versuchen, große Mühe". Das war die Zeit, in der er spürte, daß ein kleiner Raum nicht genüge, um exakte Messungen vorzunehmen. Er ging daher am nächsten Tage mit seinen Apparaten in das „Auditorium". Alles schien nun aufs beste zu gelingen. Er sandte einen zuversichtlichen Bericht an Helmholtz, der ihm erwiderte: „Manuskript erhalten. Bravo! Werde es Donnerstag überreichen zum' Druck." Seine Gattin teilte die frohe Nachricht ihren Eltern mit: „Heinz hat Montag schon neue Versuche begonnen, und als er abends nach Hause kam, sagte er mir, er habe ßie Apparate aufgestellt, versucht, und innerhalb einer Viertelstunde seien ihm schon wieder die schönsten Versuche gelungen; er hat eine neue Arbeit schon so gut wie fertig. Und diese sei noch schöner wie die abgeschickte. Er 12
Se stellte sich Heinrich Hertz die Entstehung und Ausbreitung der drahtlosen elektromagnetischen Wellen, der Funkwellen, vor: in der Mitte der Sender (s. Abb. Seite 5) mit dem Funkensprung; der Funke läßt ein magnetisches Feld entstehen, das magnetische Feld ein elektrisches Feld, und so fort. Eine Welle breitet sich allseitig im Räume aus schüttelt gegenwärtig die schönen Sachen nur so aus dem Ärmel. Das macht ihn natürlich sehr vergnügt und mich auch, wenn er mir mit strahlendem Gesicht davon erzählt." Aber schon wenige Tage später drohte die schlimmste Krise, als Hertz auf einen Irrweg geriet und alles hätte scheitern können, wenn er nicht zäh seinen Weg weiter verfolgt hätte. Das war, als er das so heftig umstrittene Problem durchdachte, ob die elektromagnetischen Wirkungen zeitlos an jedem beliebigen Punkt des Weltalls eintreten oder ob sie sich „in der Zeit" Stück um Stück 13
ausbreiten als Wellen. Er gesteht am 17. November 1887: „Andere Versuche über endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wirkungen gemacht, geben ebenfalls negatives Resultat." Am folgenden Ta