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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprach...
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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Stirb langsam, Spade Hurtado de Salvador war der einzige Sohn eines mexikanischen Despoten, und sein Hass auf mich brannte heißer als das Höllenfeuer. Selbst die Tatsache, dass ich ihm das Leben rettete, änderte daran nichts. Ich musste ihn töten – aus Notwehr. Seitdem hatte ich seinen Vater auf dem Hals …
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G. F. UNGER IM TASCHENBUCH-PROGRAMM: 43 361 Texanerwort 43 362 Zozo Valley 43 363 Ohne Revolverarm 43 364 Cincaid 43 365 Zwei reiten mit Johnny 43 366 Hölle im Leib 43 367 Der letzte Wolf 43 368 Sattelgefährten 43 369 Ritt um Recht 43 370 Slades Colt 43 371 Kriegsfeuer 43 372 Gekaufte Treue 43 373 Das Todesspiel 43 374 Kansas City 43 375 Der Reitboss 43 376 Gold Creek Canyon 43 377 Der Weg nach Bozeman 43 378 Kein Glück in Mesa City 43 379 Der Vormann 43 380 Bitteres Erbe 43 381 Das Million-Cliffs-Land 43 382 Wer keine Gnade kennt 43 383 Der Wolf von Golden City 43 384 Stunde des Stolzes 43 385 Yellowstone John 43 386 Die Schattenhaften 43 387 Seine Spuren verwehen 43 388 Wer den Stern nimmt 43 389 Kendall Canes Weg 43 390 Die Sage-Valley-Fehde 43 391 Wilde Camps 43 392 Jede Fährte endet 43 393 Einer kommt wieder 43 394 Sterne über der Weide
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43 395 Der harte Jim 43 396 Kutsche nach Last Chance 43 397 Satteltramps 43 398 Der Blechstern 43 399 Stunde der Vernichtung
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G. F. Unger
Stirb langsam, Spade
Western-Roman BASTEI LÜBBE
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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 43 400 1. Auflage: März 2004
Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe All rights reserved © 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Faba/Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AIT Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-43400-5 Sie finden uns im Internet unter www.bastei.de oder www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
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Frage an G.F. Unger: Die Hauptperson aller Western ist und bleibt stets der Cowboy. Warum ist das so?
Antwort: Nur der Cowboy verkörpert heute noch die Idee der Ehre in ihrer schlichtesten Form, die vor allem das unverdorbene Gemüt sofort verspürt. Und so wird der Cowboy zum Ritter ohne Furcht und Tadel und zum Vorbild für alle Western-Heldengestalten. Nur wenn sie dem Cowboy-Typ ähnlich sind, können sie vor dem Leser bestehen. G.F. Unger
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1 Es war Hochzeit in Santa Rosa. Eigentlich war ich nur hergeritten, weil ich hoffte, hier meine letzten drei Pferde verkaufen zu können. Es waren gut zugerittene Tiere, die letzten von einem guten Dutzend, das ich mir aus einer ganzen Wildpferdherde aussuchen konnte, nachdem ich sie in eine Schlucht getrieben und darin gefangen hatte. Aber es war damals so kurz nach dem Bürgerkrieg gar nicht einfach, gute Pferde zu verkaufen. Haben wollten viele Leute erstklassige Tiere, nur zahlen konnten sie nicht, eher schon tauschen. Ich war deshalb recht gut ausgerüstet, ritt selbst ein gutes Tier, saß in einem guten Sattel, trug gutes Zeug und war auch erstklassig mit einem Colt und einem Gewehr bewaffnet. Das alles verschaffte ich mir auf dem Tauschweg gegen meine Pferde. Nur an Geld fehlte es mir. Und deshalb war ich entschlossen, die letzten drei Pferde nur gegen Bargeld herzugeben, nicht mehr im Tausch gegen andere Dinge. Wer konnte das nicht verstehen? Ah, jeder musste das verstehen. 8
Aber als ich nach Santa Rosa kam, war dort Hochzeit. Darüber freute ich mich, denn bei Hochzeiten in diesen alten Dörfern aus der Spanierund Mexikanerzeit, da waren auch Fremde willkommen, ja, sogar Gringos wie ich. Denn alle freuten sich, alle waren vergnügt, alle benahmen sich wie eine große Familie und feierten Tag und Nacht. Ich wusste von Anfang an, dass ich vorerst keinen Käufer für meine Pferde finden würde. Also stellte ich die drei Tiere mit meinem Sattelpferd in einen Corral und hängte meinen Sattel über die Stange. Dann machte ich mich auf den Weg ins Vergnügen. Ja, ich wollte Spaß haben. In dieser Hinsicht war ich hungrig wie ein Wolf, der aus der Wüste in eine wildreiche Gegend kommt, und natürlich hatte ich mich vorher an einem Wassertrog einigermaßen frisch gemacht und mir auch den Staub aus der Kleidung geklopft. Nun, hübsch war ich nicht. Dennoch hatte ich niemals Schwierigkeiten bei Frauen. Es gab genug Mädchen und Frauen in Santa Rosa, und das lag nicht zuletzt daran, dass viele Männer längst schon sinnlos betrunken waren und ausfielen. Nun, ich könnte jetzt damit prahlen, was ich alles in den nächsten beiden Tagen und der dazwischen liegenden Nacht erlebte. Aber über solch intime 9
Dinge redet ein Bursche meiner Sorte nicht. Nur eines will ich verraten: Es wurde auch für mich ein prächtiges Fest. Ich hatte mich gewissermaßen mit all diesen Vergnügungen voll gesogen wie ein Schwamm mit Wasser, und was die Frauen betraf – nun, ich würde jetzt wieder eine Weile ohne sie auskommen können, so glaubte ich damals. Ja, ich war satt, richtig satt. Mein Erwachen war weniger erfreulich. Denn jemand stieß mir die Faust in die Seite und sagte immerzu: »Du musst jetzt raus! Wach auf, du grauäugiger Gringo! Jetzt musst du raus! Denn wenn die Hombres erst ihren Rausch ausgeschlafen haben, werden sie dir die Haut abziehen wollen. Und nüchtern könnten sie es schaffen, obwohl ich da auch meine Zweifel habe trotz der Überzahl, in der sie sich befinden. Denn du bist einer von diesen verdammten Hombres, denen andere einfach nicht beikommen. Du könntest einer von El Toros großen Caballeros sein, die ihn dann und wann hier vertreten. Aber wenn du einer von El Toro Francisco de Salvadors Rittern wärst, dann hättest du wohl nicht seinen Sohn Hurtado und seine Begleiter klein gemacht. Ay, steh auf, du Starker! Wach auf, damit du fort bist, sobald sie alle wieder nüchtern sind und sich an das erinnern, was geschah!« 10
Die Frauenstimme neben mir wiederholte sinngemäß immer wieder diese Worte, und dabei stieß sie mir aufmunternd ihre kleine Faust zwischen die Rippen. Ich begriff endlich, dass ich meine Trunkenheit schneller bekämpfen und sofort aufwachen musste. Denn irgendwie konnte ich Verdruss an den Hals bekommen. Ich öffnete also mühsam die Augen, brummte ärgerlich und drehte etwas den schmerzenden Schädel. Und da endlich sah ich sie. Ja, es war die Schöne, die ich erobert hatte. Oha, in meinem brummenden Schädel regten sich endlich wieder ein paar Lebensgeister. Diese Conchita saß neben mir im Bett, und sie war nackt. Ihre langen schwarzen Haare bedeckten die Brüste. »Ay, Chita«, grunzte ich. »Ay, du bist das schönste Weib der Erde. Man müsste zu einem anderen Stern über all die Wolken wandern, bis man vielleicht…« »Du Dummkopf«, unterbrach sie mich und stieß mir wieder energisch ihre kleine Faust zwischen die Rippen. »Du musst raus hier«, drängte sie, deutlich böse werdend. »Du musst verschwinden! Was sollen die 11
Leute von mir denken? Das ganze Dorf wird bald aus dem großen Rausch erwachen. Dann blicken alle Augen wieder anders. Und überdies musst du verdammt schnell vor Hurtado de Salvador und seinen Freunden die Flucht ergreifen. Oh, Cass, du warst der beste Mann von allen. Cass, ich werde dich gewiss so schnell nicht vergessen. Doch auch mein eigener Mann wird gewiss bald aufgewacht sein und …« Ich hörte gar nicht länger zu, denn alles in mir klingelte plötzlich Alarm. Und ich kam verdammt schnell auf die Beine. Erst als ich neben dem Bett stand, steckte ich meine kleinen Finger in die Ohren und rüttelte kräftig. »Sagtest du etwas von einem Mann, Chita?« Sie lachte kehlig. »Du kennst ihn doch«, erwiderte sie. »Er war der Brautführer, und er musste deshalb am meisten trinken von allen. Der liegt noch irgendwo herum. Aber jetzt wird er bald aufwachen und …« Wieder hörte ich nicht länger zu, sondern fuhr in mein Zeug. Dabei wurde ich immer nüchterner und wacher. In der Küche der Adobehütte fand ich einen Topf mit kaltem Kaffee. Das Zeug war gewiss schon zwei oder drei Tage alt – aber ich trank es gierig. 12
Als ich mich umwandte, stand Conchita in der Tür. Sie trug jetzt einen Morgenmantel. »Und wie war das mit diesem Hurtado?«, fragte ich ahnungsvoll, denn dunkel erinnerte ich mich daran, dass ich irgendwann einige Burschen verprügelt hatte, die immer wieder versuchten, gegen mich anzurennen. Aber sie hatten keine Chance gegen mich, weil sie noch betrunkener waren als ich. »Hurtado«, sagte sie, »ist der Sohn von El Toro Francisco de Salvador. Es war eine große Ehre für das ganze Dorf, dass er gekommen war in Vertretung seines Vaters, in dessen Schatten wir alle leben. Er hätte sogar das Erstrecht auf die Braut gehabt, wenn er nur gewollt hätte. Doch er wollte mich. Ich aber wollte dich, mein grauäugiger Gringo. Du hast Hurtado und seine Freunde schlimm verprügelt. Doch wenn sie wieder nüchtern sind …« Ich hörte nicht länger zu. Zu Conchita sagte ich nur noch: »Lange sollst du leben, mein Augenstern! Und viel Freude sollst du noch haben auf dieser Erde!« Dann schlich ich mich hinaus wie ein satter und müder Wolf aus einem Schafstall. Draußen schien die Sonne und ließ mich blinzeln wie ein Uhu.
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Das Dorf war noch betäubt. Ich sah überall Betrunkene herumliegen. Vieh brüllte in den Ställen. Da und dort gab es Lebenszeichen. Pumpen quietschten, Brunnenaufzüge knarrten. Man brauchte da und dort frisches Wasser, und das war das Zeichen, dass Santa Rosa allmählich aus dem Rausch erwachte. Ich hielt mich nicht lange auf. Bald war ich unterwegs. Denn von diesem El Toro Francisco de Salvador hatte ich schon gehört. Er war ein ganz großer und sehr mächtiger Hidalgo drüben auf der anderen Seite der Grenze. Doch sein Besitz reichte auch weit in dieses Territorium herein. Wahrscheinlich gehörten ihm Dutzende solcher Dörfer wie Santa Rosa. Und ich hatte seinen Sohn und dessen Freunde verprügelt. Nun konnte ich nur noch hoffen, dass sie entweder Spaß verstanden oder schon zu betrunken waren, um sich richtig zu erinnern. Da ich mich aber auf meine Hoffnung nicht völlig verlassen wollte, blieb ich mit meinen drei Pferden an der Leine in Bewegung und schwitzte in den nächsten Stunden all den Wein und die vielen Schlucke Tequila wieder aus, die ich in mich gegossen hatte. 14
Wahrscheinlich stank ich in der ersten Stunde zehn Yards gegen den Wind nach ausgeschwitztem Schnaps. Es war dann schon Mittag, als ich eine Quelle erreichte und auch der Meinung war, dass ich weit genug geritten wäre. Ich hielt an, saß ab und trank erst einmal, bis ich den Brand in mir einigermaßen gelöscht hatte. Hunger hatte ich keinen. Aber das war kein Wunder. In den vergangenen Tagen und Nächten hatte ich während der Feier eine Menge gegessen. Es gab nicht nur Kuchen. Über den Feuern drehten sich Hammel, Schweine, Ochsen. Man konnte sich einen Wanst anessen. Ich hatte also nur Durst. Und ich wurde auch schon wieder müde. Der kurze Schlaf bei Conchita hatte zwar ausgereicht, um mich halbwegs nüchtern zu machen. Doch ausgeschlafen war ich noch längst nicht nach dieser endlosen Feier. Ich schlief bald ein – und ich träumte noch einmal, wie schön es war. Diesmal stieß mich nicht Conchitas energisch zu einer Faust geballte Hand zwischen die Rippen – nein, diesmal war es anders. Es waren Tritte. Bevor ich richtig wach war, begriff ich das. 15
Und so rollte ich mich gegen den Treter, bekam seine Beine zu fassen und warf ihn um. Als er am Boden lag, hechtete ich auf ihn, bekam ihn unter mich und gab es ihm. Doch dann explodierte mein Schädel. Mein Erwachen war dann schlimm. Denn sie traten mich jetzt von zwei Seiten. Mein Schädel schien immer noch explodieren zu wollen. Ich musste mich übergeben. Wie aus weiter Ferne hörte ich eine heisere Stimme sagen: »Hört auf! Sonst ist er tot, bevor er weiß, von wem er es bekam. Aber er muss wissen, wer ihn strafte! Er muss es wissen, bevor er stirbt, dieser Cabron!« Der Sprecher sprach jenes Mexiko-Spanisch, das ich fast so gut wie ein echter Mexikaner beherrschte. Sie ließen also von mir ab. Und weil ich mich langsam erholte, wusste ich bald, in wessen Hände ich gefallen war wie ein dummer Hammel. Ja, es war dieser Hurtado Salvador mit seinen Freunden. Sie hatten mich eingeholt. Ich kroch zur Wasserstelle und erfrischte mich, wusch mein Gesicht und legte mir dann das nasse Halstuch auf die Beule am Kopf. Jemand musste mir einen Gewehrlauf über den Kopf geschlagen haben, 16
als ich über dem Burschen lag, der mich am Anfang getreten hatte. Sie ließen mir Zeit, sodass ich mich einigermaßen erholen konnte. Doch meine Rippen schmerzten. Einige waren gewiss angeknickt worden durch die bösartigen Tritte. Mein Kopf schmerzte. Ich sah die Kerle an. Es waren fünf, und man konnte es wahrscheinlich so ansehen, dass es sich um eine Art »Fürstensohn« mit seinen »Spielgefährten« handelte. Ja, das war gewiss kein übertriebener Vergleich. Denn dieser Francisco de Salvador lebte wie ein Fürst in seinem Reich, das so groß war, dass es sich auch über die Grenze hinweg auf amerikanisches Territorium erstreckte. Und dieser hier war sein Sohn. Während der großen Hochzeitsfeier in Santa Rosa hatte ich ihn nur für einen besonders eitlen Burschen gehalten, einen dieser mexikanischen Dandys, die sich so nobel herausputzten und hinter denen sonst nicht viel steckte. Doch jetzt wusste ich besser Bescheid. Er grinste mich an – und dieses Grinsen war nicht freundlich, denn ich hatte ihm mit der Faust die Lippen gespalten.
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Ich sagte: »Nun, jetzt sind wir wohl quitt, nicht wahr? Jetzt sollten wir aufhören und uns wieder vertragen.« Er grinste stärker. Auch seine Freunde und Begleiter grinsten. Ich sah sie mir an und erkannte an ihnen die Zeichen meiner Fäuste. Sie sagten jedoch nichts, grinsten nur böse. Wahrscheinlich waren sie also nicht seine Freunde, denn sie fühlten sich nicht gleichberechtigt. Es waren seine Reiter, seine Begleiter – mehr gewiss nicht. Deshalb waren sie umso gefährlicher. Denn sie würden alle seine Befehle ausführen und keine eigene Meinung vertreten. Wenn er böse war, waren auch sie es. Ich begann zu begreifen, in welcher Klemme ich saß. Denn dieser Hurtado war mein Todfeind. Er konnte mir nicht verzeihen. Seiner Meinung nach waren wir noch lange nicht quitt. Er grinste immer noch, als er sagte: »Quitt? Das sind wir erst, wenn du in der Hölle bist. Du hast uns verprügelt wie dumme Jungens. Du konntest das zwar nur, weil wir betrunkener waren als du – aber das wissen die Leute von Santa Rosa nicht. Zumindest werden sie dies nicht als Entschuldigung gelten lassen. Nein, man wird sich bald im ganzen Land erzählen, dass bei der Hochzeit 18
in Santa Rosa ein verdammter Gringo El Toros Sohn Hurtado de Salvador und seine vier Begleiter verprügelt hat, als wären sie nur dumme Hosenscheißer. Meinem Vater wird das zu Ohren kommen. Es geschieht nichts in diesem Land, was ihm nicht früher oder später bekannt wird. Du wirst zur Hölle fahren müssen, mein starker Amigo.« Nun wusste ich es. Und ich begriff, dass er nicht bluffte. Er war der selbstherrliche Sohn eines Despoten, und er war verrückt vor Hass. Sein Grinsen war wie gefroren. Seine schwarzen Augen funkelten. Eigentlich war er ein hübscher Bursche, fast eine Augenweide. Doch irgendwie fehlte ihm etwas. Er wandte sich ab, zog dabei seinen Colt und erschoss meine Pferde. Er tat es ohne Erbarmen und ließ dabei nicht das geringste Zögern erkennen. Nun begriff ich schon mehr, was ihm alles fehlte. Denn ein Bursche, der es fertig bringt, unschuldige Tiere zu töten – nun, dem fehlt jedes Gefühl für Schonung und Duldung. Solch ein Bursche gebraucht seine Stärke nicht, um Schwache zu schützen, sondern geht rücksichtslos seinen Weg. Er tötete mein Sattelpferd und dann die drei anderen Tiere mit vier raschen Schüssen. Ja, schießen
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konnte er. Da kam ihm wahrscheinlich kaum jemand gleich. Er lud dann seinen Revolver nach und wandte sich mir wieder zu. »Zieh dich aus«, sagte er. »Ich will dich nackt sehen, mein starker Amigo. Oder sollen dir meine Muchachos die Kleidung vom Leib reißen?« Sie hätten es getan, dies war mir klar. Er hätte ihnen nur ein kleines Zeichen geben müssen. Also gehorchte ich. Was blieb mir anderes übrig? Sie hätten es sonst sehr rau gemacht, und ich wäre dann ebenso nackt gewesen. Und so stand ich also bald nackt vor ihnen. Einer von ihnen machte ein Feuer an. Das war leicht, denn in der näheren Umgebung gab es einige trockene Büsche und anderes verdorrtes Zeug. Sie warfen mein ganzes Zeug in das Feuer – auch meinen Sattel und meine Waffen, meine gesamte Ausrüstung, alles, was ich besaß. Das Feuer rauchte mächtig. Manchmal war der Rauchpilz schwarz und fett. Ich sah zu ihm empor, und ich dachte daran, dass es in diesem Land streifende Apachen gab, auch Banditen. Und wenn solche Burschen den schwarzen Rauchpilz sahen, dann würden sie sich fragen, was es mit ihm für eine Bewandtnis hatte. 20
Aber was ging mich das an? Und was konnte mir das schon helfen? Nichts mehr konnte mir helfen, gar nichts mehr. Ich überlegte, ob ich die fünf Kerle angreifen sollte, um ihnen wenigstens noch einmal einen letzten Kampf zu liefern. Doch auch dazu war es schon zu spät. Sie wandten sich ihren Pferden zu, strebten also auseinander und saßen geschmeidig auf. Nun, in den Sätteln wirkten sie noch verwegener, härter und rücksichtsloser. Sie nahmen ihre Lassos von den Sattelhörnern. Und dann bestraften sie mich. Als ich endlich zerschunden am Boden lag, sprach dieser Hurtado de Salvador auf mich nieder: »Nun, jetzt hast du wohl genug für alle Zeit. Stirb langsam, Spade! Nicht wahr, dein Name ist Spade? So nanntest du dich in Santa Rosa. Man sagte es mir. Stirb also langsam, Spade. Und denk an mich dabei.« Dann ritten sie fort. Und ich verlor für eine Weile das Bewusstsein.
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2 Die Sonne war schon verschwunden – doch das Abendrot war noch am westlichen Himmel –, als ich erwachte, zur Quelle kroch und meine Wunden kühlte. Sie hatten mich mit den Lassoenden gepeitscht und immer wieder umgeritten, bis ich wehrlos am Boden lag. Das Wasser tat gut. Es erfrischte mich, kühlte und linderte die vielen Striemen und Wunden. Ich fluchte und stöhnte abwechselnd. Dann wurde mir klar, dass ich an dieser Quelle nicht bleiben konnte. Denn ich war nackt und wehrlos. Zu einer Quelle in diesem Land aber kam auch vierbeiniges und zweibeiniges Raubwild, also Wölfe, Pumas oder gar Apachen. Besonders gefährlich waren auch die Javelinas. Das waren Moschusschweine, und diese nicht sehr großen Tiere konnten sich bei der Witterung von Blut in Bestien verwandeln. Dann waren sie nicht weniger gefährlich als ein Wolfsrudel. Sie griffen dann alles an, was nach Blut roch, waren in diesem Zustand völlig verrückt wie Amokläufer. Ich roch nach Blut. 22
Dieser Hurtado de Salvador hatte mir ein langsames Sterben gewünscht. Nun, sein Wunsch konnte in Erfüllung gehen in dieser Nacht. Ich überlegte, wohin ich gehen sollte, und wie ich am schnellsten zu Menschen gelangen konnte. Wahrscheinlich war der Weg zurück nach Santa Rosa für mich die einzige Möglichkeit. Ich war all die vielen Meilen geritten. Vielleicht konnte ich sie zu Fuß schaffen. Aber ich war nackt. Die Sonne würde mich verbrennen. Wenn ich mich also auf den Weg machen wollte, dann musste dies sofort geschehen. Ich musste die kühle Nacht ausnutzen. Doch wollte ich überhaupt nach Santa Rosa zurück? Ich kauerte nackt an der Quelle, kühlte meine Wunden und dachte nach. Nein, ich wollte nicht nach Santa Rosa. Denn die Kerle, die an mir ihr Mütchen gekühlt hatten, waren gewiss nicht mehr weit geritten an diesem Tag. Mir selbst war das ja auch sehr schwer gefallen nach dem langen Fest und dem bösen Rausch. Sie waren noch betrunkener gewesen als ich. Nein, ich hätte wetten können, dass sie nur noch wenige Meilen geritten waren. Sie waren mir näher als Santa Rosa in der anderen Richtung. Und so machte ich mich auf den Weg. 23
Es gab keine andere Möglichkeit für mich, wollte ich überleben. Ich musste die Nacht ausnutzen, durfte nicht länger warten. Ja, ich musste – nackt und ohne Waffen wie ich war – gegen diese fünf Schufte mein Glück versuchen. Die einzige Chance, die ich hatte, war, dass sie dies von mir niemals erwarten würden. Es war auch anzunehmen, dass sie nicht weniger tief und fest schlafen würden wie ich am Nachmittag, als sie mich überrumpelten. Ja, ich machte mich also auf den Weg. Ihre Fährte war in der zunehmenden Abenddämmerung noch gut zu erkennen. Ich kannte also die Richtung. Jeder Schritt und jede Bewegung schmerzten. Ich humpelte, hinkte, bewegte mich krumm und schief. Schon bald waren meine Füße voller Dornen und Stacheln. Einmal rasselte eine Klapperschlange ganz in meiner Nähe. Ich sprang wie eine Gämse vor Angst, fluchte wild – doch dann grinste ich und hielt an, um mich zu verschnaufen. So schlecht es mir auch ging, in Todesnot konnte ich noch mächtig springen. Das machte mir Mut. Ich war halt doch ein zäher Bursche, zumindest so zäh wie ein Apache. Dieser 24
Hurtado und seine Kumpane hatten mich unterschätzt. Ich war sehr viel härter als sie, und das konnten sie sich nicht vorstellen, weil sie sich selbst für hart und zäh wie niemanden sonst hielten. Ich wanderte Schritt für Schritt, Meile um Meile. Manchmal wollte ich aufgeben, doch ein grausam gegen mich selbst gerichteter Wille beherrschte mich. Hurtados letzte Worte waren immerzu in meinem Sinn: »Stirb langsam, Spade«, hatte er gesagt. Nun, vielleicht würde ich langsam sterben auf diesem Weg. Manchmal wollte ich aufgeben. Die Nacht war hell und klar geworden, aber zugleich auch kalt. Ich schwitzte dennoch, so nackt ich auch war. Nur wenn ich anhielt, um zu verschnaufen, da war es mir, als wollte die schmierige Schweißschicht auf meiner Haut zu Eis gefrieren. Dann ging ich weiter, sosehr meine Füße auch schmerzten, weil sie wund und voller Dornen und Stacheln waren. Ich quälte mich weiter und weiter – und dann endlich witterte ich das Feuer. Ich ging sofort dicht bei einem Busch in die Hocke und verhielt im Mondschatten. Rauch! Das war wie ein scharfes Signal. Es konnten nur die fünf rauen Burschen sein, deren Feuer ich witterte. 25
Was nun? Ich war einige Meilen gelaufen, und ich war ein kranker, zerschundener Mann, nackt und ohne Waffen. Wenn mich die fünf Hombres noch mal in ihre Gewalt bekamen, dann würden sie schnell begreifen, dass sie es mit mir noch nicht hart genug gemacht hatten. Was mir dann blühte, war mir klar. Indes ich so hockte, hörte ich in einiger Entfernung einen Wolf heulen. Und dann war auch plötzlich der scharfe Ruf eines Nachtfalken zu hören. Und abermals hörte ich einen Wolf – nur aus einer anderen Richtung als beim ersten Mal. Ich wusste Bescheid, denn ich war erfahren genug in diesem Land. Ich hatte Wildpferde gejagt, nach Gold gesucht, war Fahrer oder Begleitmann auf Postkutschen und Scout bei der Armee gewesen. Ich kannte mich aus in diesem Land – und mit den Apachen. Die beiden Wölfe, die ich heulen hörte – und auch der Nachtfalke –, das waren Apachen. Einer hatte das Feuer gewittert wie ich, und nun rief er das Rudel herbei. So war es. Darin war ich mir sicher. Heiliger Rauch, warum geriet ich nur immer wieder von einer Klemme in die andere?
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Wenn ich mir nicht sofort ein Pferd und Waffen verschaffte, würden mich die Apachen erwischen wie ein wehrloses Schweinchen, das nichts anderes als laufen und quieken kann. Ich durfte keine einzige Sekunde mehr verlieren. Deshalb vergaß ich alle Schmerzen und machte aus meinem Kern noch einmal alle notwendigen Lebensgeister frei für mein Vorhaben. Ich ging weiter – nein, jetzt schlich ich. Ein Zögern konnte es nicht mehr geben. Ich brauchte ein Pferd, Waffen und Kleidung, und zwar in dieser Reihenfolge. Das Feuer brannte in einer Senke. Deshalb war es auch nicht zu sehen gewesen und konnte nur mit einer feinen Nase gewittert werden. Der Wind war leicht und drehte manchmal. Deshalb war die leichte Witterung von Rauch überall in der Runde. Es war ein sehr leichter Wind, kaum mehr als ein leises Fächeln oder Atmen. Ich sah die fünf Narren rings um das Feuer liegen. Sie waren so selbstherrlich und von sich eingenommen, dass sie wohl gar nicht auf die Idee kamen, jemand könnte sie angreifen in diesem Land von El Toro Francisco de Salvador. Oder waren sie noch zu erschöpft von der Hochzeitsfeier? 27
Jedenfalls schliefen sie alle fünf. Sie schnarchten sogar um die Wette. Ich glitt also leicht und leise wie ein Schatten hinunter in die Senke. Das liest sich jetzt so leicht dahin, aber mir machte das damals irrsinnig viel Mühe, und nur weil es um mein Leben ging, mobilisierte mein Selbsterhaltungswille all die notwendigen Kräfte und Fähigkeiten. Nur deshalb war ich leise und leicht wie ein Schatten, nur deshalb. Zuerst holte ich mir einen Colt, den einer der schnarchenden Schläfer griffbereit neben sich liegen hatte. Nun fühlte ich mich schon nicht mehr ganz so nackt. Ich hätte nie geglaubt, dass einem nackten Mann ein Colt in der Hand ein völlig anderes Gefühl geben konnte. Als ich mir überlegte, wessen Kleidung mir passen würde und ob einer der Kerle vielleicht einen Poncho oder Mantel in seinem Sattelgepäck hatte, bewegte sich der Mann, dessen Colt ich in der Hand hielt. Er öffnete die Augen, richtete sich auf, sah mich im Mond- und Sternenschein und staunte. Dann öffnete er den Mund, um ein Gebrüll auszustoßen. Doch das musste ich verhindern. Ich staunte über mich selbst, wie schnell ich noch sein konnte. Denn
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ich hieb ihm den Revolverlauf über die Stirn – und so seufzte er nur und legte sich wieder lang. Ich verharrte, hielt den Atem an und lauschte. Und wieder hörte ich die Wölfe heulen und den Jagdruf des Nachtfalken. Die Apachen waren näher gekommen. Sie kreisten das Camp ein. Ich musste mich beeilen, sonst kam ich nicht mehr davon. Die Schläfer schnarchten. Ich nahm also dem Burschen, dem ich etwas über die Birne zog, den Sattel weg, den er als Kopfkissen benutzte. Am Sattel war auch noch das Gewehrholster mit einem guten Spencerkarabiner. Ich fand auch einen Poncho, also einen deckenähnlichen Umhang, der in der Mitte ein Loch hatte, durch das ich den Kopf stecken konnte. Ich tat es, und nun fühlte ich mich noch etwas besser. Wenn nur meine Füße und all die anderen verwundeten Teile meines Körpers nicht so gebrannt und geschmerzt hätten. Es war kaum noch auszuhalten. Als ich das Pferd sattelte, bewegte sich einer der anderen Schläfer. Er setzte sich auf, starrte in die Runde. Ich verharrte bewegungslos zwischen den Pferden. Sie gaben mir Deckung. Der Mann beugte sich etwas weiter vor und warf einige Kakteenleichen auf die Glut des Feuers. Nun züngelten die Flammen 29
wieder. Das Feuer spendete wieder Wärme, und Letzteres hatte der Bursche wohl nur gewollt. Denn er legte sich brummend zurück und rollte sich auf die Seite. Ich machte weiter, sattelte also das Pferd fertig und machte die Leinen los, mit denen die fünf Pferde an ein ausgespanntes Lasso gebunden waren. Es gab ja einige starke Büsche und kleine Bäume in der Senke. Als ich in den Sattel stieg, erlebte ich ein völlig ungewohntes Gefühl, denn ich hatte noch niemals mit dem nackten Hintern in einem Sattel gesessen. Eigentlich war mir nach einem grimmigen Fluch zu Mute. Doch ich brachte es fertig, in dieser Situation zu grinsen. Denn mir ging es doch eigentlich wieder recht gut. Ich hatte einen Colt in der Hand und ein Pferd unter dem – wenn auch nackten – Hintern. Die fünf Kerle dort beim Feuer aber würden bald sterben. Denn sie schliefen immer noch, und die Apachen waren nun schon sehr nahe. Ich selbst würde mir vielleicht sogar den Weg gegen diese Apachen freischießen müssen. Ja, die fünf Hombres dort am Feuer waren fast schon so gut wie tot.
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Als ich dies dachte, verspürte ich im selben Moment auch schon die Hemmung. Verdammt ja, es war plötzlich etwas vorhanden, was ich mir nicht sogleich erklären konnte. Aber es war eine Hemmung, ich spürte sie stark. Verdammt, was war das? Die fünf Schufte hatten mich bis auf die Haut ausgeplündert, meine Sachen verbrannt, mich dann ausgepeitscht bis zur Bewusstlosigkeit und meinem Schicksal überlassen. Nach dem Willen ihres Anführers sollte ich langsam sterben. Nur allein weil sie meine Zähigkeit, Härte und Energie unterschätzten, weil ich zwei Klassen besser war, als sie glaubten, war ich nun fast schon gerettet. Sie aber waren schon so gut wie tot. Ich brauchte nur fortzureiten – mehr nicht. Aber ich brachte es nicht fertig. Ich konnte selbst solche Schufte wie sie nicht ungewarnt dem Tod überlassen. Das ging nicht. Ich wäre ja selbst solch ein Schuft gewesen. Und das war ich gewiss nicht, denn ich hatte einmal eine gute Mam daheim, und eine gute Mam konnte selbst einem wilden Burschen wie mir stets einen Halt geben. Meine Ehre ließ es nicht zu, selbst Todfeinde in solch einer Situation ungewarnt zu lassen.
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Und so stieß ich einen scharfen Ruf aus und rief dann nach diesem Warnschrei die Worte: »Apachen! Passt auf, es sind Apachen da!« Dann erst ritt ich los. Und hinter mir wurden sie wach und heulten auf. So müde sie auch waren nach der langen Hochzeit und ihrem Rausch, dem Ritt danach und dem »Spaß« mit mir – so dumm und närrisch waren sie doch nicht, dass in ihnen jetzt nicht alle Lebensgeister alarmiert waren. Apachen! Das war ein Wort in diesem Land, das man oft genug als Schreckensschrei hörte. Ich hielt den Colt bereit. Dass er geladen und schussbereit war, darauf musste ich vertrauen. Aber ich konnte das auch bald schon ausprobieren, denn die Apachen hatten das Camp bereits eingekreist. Es waren nicht viele Krieger, und dennoch geriet mir einer in den Weg. Er sprang mich von der Seite her an. Ich hielt ihn mitten im Ansprung mit einer Revolverkugel auf und wusste deshalb, dass die Kanone funktionierte. Er ritzte mich noch mit der Messerspitze tief in den Oberschenkel – doch auf eine Wunde mehr oder weniger kam es bei mir nicht mehr an. Ich war ohnehin am ganzen Körper gezeichnet. 32
Ich sauste davon. Hinter mir war die Hölle los. Schüsse krachten. Die Apachen stießen ihren wilden Pumaschrei aus, mit dem sie manchmal den Gegner um einen winzigen Schrecksekundenbruchteil zu lähmen versuchten. Nein, es war nicht außergewöhnlich, dass Apachen angriffen. Ich ritt ein Stück in die Nacht und hielt dann an. Sie kämpften immer noch miteinander. Und dann hörte ich Hufschläge. Reiter ritten durch die Nacht. Ich begriff sofort, dass Hurtado und dessen Begleiter offenbar den ersten Angriff mehr oder weniger erfolgreich abgewehrt und nun die Flucht ergriffen hatten. Das mussten sie, denn sie waren nicht zahlreich genug, um die Senke an deren oberen Rändern verteidigen zu können. Sie wussten auch, dass die Apachen zwar in kleineren Rudeln durchs Land streiften, sich aber sehr schnell zu einer großen Kriegshorde sammeln konnten. Und wenn sie sich in dieser Senke von den Apachen festnageln ließen, hatten sie bald keine Chance mehr zum Entkommen. Sie ergriffen also die Flucht. Ich sah sie dann auch in der Nacht. Es waren noch drei Reiter. Zwei der fünf Giftpilze hatten die Apachen also erwischt. Ich freute mich 33
nicht darüber – nein, wirklich nicht. Und das war abermals eine neue Erkenntnis für mich. Was sollte ich tun? Ich fragte mich, wo die Apachen ihre Pferde hatten und wie lange es dauern würde, bis sie die Verfolgung aufnahmen. Denn dass sie dies tun würden, dies glaubte ich, weil ich die Apachen kannte. Die ließen kein Wild entkommen. Was sollte ich tun? Sollte ich meines Weges reiten? Ich hatte ein Pferd, Waffen, einen Sattel und einen kratzigen Poncho. Aber es behagte mir nicht, dass ich nackt war unter dem Poncho. Dieser Hurtado war mir eine Menge schuldig. Ich kannte die Richtung, in die jene drei Reiter flüchteten. Hoffentlich war Hurtado einer der drei Reiter gewesen. Ich hielt mich etwas seitlich von dieser Fährte, ritt jedoch in der gleichen Richtung. Und als ich einmal zwischen einigen roten Felsen und bei Büschen verhielt und in der hellen Nacht Ausschau hielt, da sah ich endlich auch die Apachen. Sie saßen nun auf ihren Pferden und hatten die Verfolgung aufgenommen. Es waren fünf, ja, »nur« fünf. Aber das kleine Wörtchen »nur« würden allein Leute gebrauchen, die sich mit Apachen nicht auskannten. 34
Denn fünf Apachen … Nun, ich hatte schon erlebt, dass ein halbes Dutzend Apachen eine ganze Armeepatrouille von zwölf Mann erledigte. Ich ritt wieder los. Denn in diesem Spiel wollte ich der Joker sein.
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3 Apachen konnten sehr beharrlich ein Wild verfolgen. Sie »bissen« sich richtig fest, und sie glichen dann jenen Javelinas, die bei der Witterung von Blut völlig verrückt wurden und dann sogar blindlings ins Verderben rannten. Ihr Selbsterhaltungstrieb war dann völlig lahm gelegt. So war es auch in jener Nacht. Fünf Apachen verfolgten drei weiße Hombres und ließen nicht locker. Ich fragte mich, warum die Salvador-Reiter sich nicht zum Kampf stellten. Denn sie waren doch allesamt Revolverschwinger, also Burschen, die mit den Colts den Apachen gewiss überlegen waren. Wenn sie die Apachen nur nahe genug an sich herankommen ließen, mussten sie gewinnen. Aber sie flüchteten. Entweder waren sie feige und flüchteten aus Angst – oder sie waren mehr oder weniger schlimm verwundet und wollten sich deshalb nicht zum Kampf stellen. Es war schon im Morgengrauen, als einer der Verfolgten plötzlich vom Pferd fiel und über den Boden rollte. Aber als er dann still lag, schoss er noch
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einmal mit dem Colt und holte einen der Apachen vom Pferd. Die anderen Apachen ritten weiter. Aber indes sie an ihm vorbeijagten, schossen sie auf ihn. Als ich mich näherte, erwartete ich einen toten Weißen und einen ebenso toten Indianer zu sehen. Doch nur der Apache war tot. Der mexikanische Pistolero lebte noch, obwohl von einigen Kugeln durchbohrt. Er starb langsam, und ich erinnerte mich daran, dass auch ich langsam hatte sterben sollen, wäre es nach dem Willen dieser Kerle gegangen, die mich an der Quelle in ihre Gewalt bekamen. Ich saß ab und kniete bei dem Sterbenden nieder. Er sah zu mir auf und erkannte mich. Ja, er grinste. Er tat es wahrhaftig, wenn auch verzerrt und bestimmt nicht glücklich. »Dieser Hurtado«, sagte er mühsam, »ist ein Schwein, und wir alle müssen dafür büßen. Wenn wir damals nicht über die hübschen Apachenmädchen hergefallen wären in jenem kleinen Dorf am …« Mehr sagte er nicht mehr. Er starb von einem Atemzug zum anderen. Aber ich wusste nun besser Bescheid. Die Apachen kannten keinen Spaß, wenn es um ihre Frauen und Mädchen ging. Jetzt wusste ich auch, warum die kleine Kriegshorde bis zum letzten 37
Mann hinter diesem Hurtado her sein würde – bis zum allerletzten Mann. Und offenbar war Hurtado de Salvador einer der beiden noch flüchtenden Weißen. Ich hätte gern eine Hose und ein Paar Stiefel gehabt. Ja, ich hätte mich nicht geniert, beides dem Toten abzunehmen. Doch der Mann war sehr viel kleiner als ich. Ich ritt also weiter, saß mit nacktem Hintern im Sattel und hatte nichts über meinem Körper als einen kratzigen Poncho. Als dann das Morgengrauen in einen hellen Tag überging, da hörte ich die Schüsse. Und ich wusste, dass die vier Apachen nun den prächtigen Hurtado und seinen letzten Begleiter gestellt und eingekeilt hatten. Ich ritt langsam näher, kam um einige rote Felsen herum und sah sie dann. Hurtado und sein Mann hatten nur kümmerliche Deckung, nämlich nur ihre gestürzten und offensichtlich toten Pferde, ein paar kleine Steine und Büsche. Es war eine wirklich miese Deckung. Aber das hatten die Apachen natürlich gewollt, als sie die Pferde der Flüchtenden erschossen. Nun hatten die vier Apachen sich verteilt. Ich konnte sie von meinem etwas erhöhten Standort aus 38
beobachten. Sie waren schon aus den Sätteln und schlichen zu Fuß vorwärts – nein, sie glitten vorwärts wie angreifende Wölfe, die ja in solch einem Fall fast auf den Bäuchen vorwärts kriechen, dabei aber stets sprungbereit bleiben. Es war schon eine spannende Sache, Apachen zu beobachten, wenn sie so wie jetzt dabei waren, ein paar Feinde zu killen. Und man darf nicht glauben, dass dies so einfach war für mich – ich meine das Unbemerktbleiben. Ich musste mich höllisch vorsehen, von ihnen nicht bemerkt zu werden. Obwohl sie sich in den Gegner verbissen hatten, waren sie natürlich nicht blind für ihre Umgebung. Aber ich kannte mich aus. Als Wildpferdjäger und Scout bei der Armee hatte ich eine Menge gelernt. Überdies war ich ein Sohn dieses Landes. Ich kam ja einst als kleiner Junge mit meinen Angehörigen nach El Paso und wuchs in diesem Land auf. In mir war an diesem verdammten Morgen ein Zwiespalt von Gefühlen. Da vor mir wurde dieser Hurtado mit dem letzten seiner Begleiter klein gemacht. Sie hatten mir den Tod gewünscht und alles dafür getan, dass ich nackt verrecken würde. Dass sie mich unterschätzten, war nur ihr Fehler, doch keine
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Entschuldigung oder mildernder Umstand. Nein, sie waren Killer, die mich hatten töten wollen. Nun konnte ich zusehen, wie sie zur Hölle fuhren. Das hätte so manchem Burschen an meiner Stelle eine Menge Freude bereitet. Aber ich konnte mich nicht so recht freuen. Es war wieder jene Hemmung in mir, die mich schon vor einigen Stunden veranlasst hatte, einen Warnschrei auszustoßen und die fünf Kerle vor den Apachen zu warnen. Ich hatte sie nicht schlafend ihrem Schicksal überlassen können. Jetzt war es wieder so. Dieser Hurtado und sein letzter Mann waren verwundet. Ich konnte sie sehen. Die Apachen schlichen aus vier Richtungen auf sie zu, legten sich dann in Deckung und begannen zu schießen. Natürlich schossen Hurtado und sein letzter Mann zurück. Ich sah sogar, wie einer der Apachen getroffen wurde und nicht mehr mitmachte. Aber die drei anderen suchten sich noch bessere Positionen und schossen weiter. Dann erwischte es Hurtados Begleiter – und dann versuchte Hurtado fast in das Pferd hineinzukriechen, hinter dem er Deckung gesucht hatte. Am liebsten hätte er sich gewiss ein Loch gegraben und sich in eine Maus verwandelt. Doch das ging nicht. 40
Sie hatten ihn. Er war schon so gut wie tot. Ich zögerte immer noch. Er war mein Todfeind. Diesen Hundesohn hätte ich selbst gern umgebracht und ihm so alles zurückgezahlt. Doch jetzt … Verdammt noch mal, ich konnte das nicht mehr länger mit ansehen. Da war etwas, was ich nicht erklären konnte. Ich sagte mir, dass die drei noch kämpfenden Apachen bestimmt bessere Menschen waren als dieser Hurtado. Ich sagte mir auch, dass sie wahrscheinlich ihre Gründe hatten, diesen Hundesohn umzubringen. Und dennoch konnte ich nicht länger zusehen. Lag es daran, dass Hurtado ein Weißer war wie ich? Ich weiß es nicht. Hey, ich musste einfach eingreifen. Ich musste es ganz einfach tun und konnte nicht anders. Und so nahm ich das Gewehr, das ich mit dem Sattel, dem Pferd, dem Colt und dem Poncho stahl. Das war ein gutes Gewehr, dies sah ich sofort, ein erstklassiger, siebenschüssiger Spencer-Karabiner, mit dem man noch auf dreihundert Yards treffen konnte, wenn man ein guter Schütze war. Ich war einer.
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Gleich mit dem ersten Schuss erwischte ich den mir am nächsten befindlichen Apachen. Er sprang steil in die Luft und fiel dann um. Die beiden anderen warteten nicht länger. Sie begriffen sofort, dass sie von mir in diesem Spiel ganz miese Karten bekommen hatten. Ich lag einige Yards höher als sie alle. Ich konnte das ganze Gelände übersehen und war für sie ganz offensichtlich ein guter Schütze. Die beiden roten Burschen glitten davon. Sie erreichten ihre Pferde, warfen sich auf deren Rücken und sausten davon. Ich hätte sie noch mit Kugeln verfolgen können. Vielleicht hätte ich auch getroffen. Doch ich wollte nicht. Langsam ritt ich hinunter zu Hurtado de Salvador und seinem letzten Mann. Sie lebten beide noch, doch sie waren angeschossen. Hurtado ging es noch etwas besser als seinem Begleiter. Ich grinste auf sie nieder. »Nun sagt mal selbst«, sprach ich heiser, »ob ihr meine Hilfe verdient habt! Habt ihr das? Hey, sagt es mir!« Hurtado sagte nichts. Er lag da, stöhnte, verdrehte die Augen und knirschte mit den Zähnen.
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Doch sein Begleiter, dem es noch schlechter ging, weil er zwei Kugeln abbekommen hatte, sagte dankbar und glücklich: »Si, Señor, wir haben es wahrhaftig nicht verdient. Sie sind ein echter Caballero, ein Hidalgo von Geblüt. Das muss ich zugeben.« »Und ihr habt immer noch Glück«, sagte ich. »Denn wenn ihr nicht angeschossen wärt, sondern kämpfen könntet, dann müsstet ihr mir jetzt Genugtuung geben. Dann würde ich euch zum Duell fordern und in die Hölle schicken.« Als ich die letzten Worte sprach, kam mir auch schon der Widersinn zu Bewusstsein. Denn dann hätte ich die beiden Schufte nur vor den Apachen gerettet, um sie selbst umzubringen. Und das war doch verrückt. Aber so sind wir Menschen manchmal. Ich hörte Reiter kommen und wandte mich im Sattel um. Es waren zwei Reiter. Sie ließen ihre Pferde aus dem Galopp in Trab und dann in Schritt fallen. Denn sie hatten gesehen, dass alles schon vorbei war und sie ihre müden Pferde schonen konnten. Oh, ich sah sofort, dass da zwei besondere Hombres angeritten kamen. Das hatte ich nicht nur im Gefühl, sagte mir nicht nur mein Instinkt – nein, man konnte es auch sehen. 43
Sie ritten Dreihundert-Dollar-Pferde. Und wenn man bedenkt, dass man in diesem Land schon für zwanzig Dollar ein brauchbares Pferd bekommen konnte, dann weiß man gewiss einigermaßen, was ein Dreihundert-Dollar-Pferd war. Man sah auch den Reitern einen langen Ritt an. Doch zugleich konnte man erkennen, dass sie unter dem Staub zwar einfache, doch gute Kleidung trugen. Alles war gediegenes Zeug, von der Stiefelsohle bis zu den Hüten. Die Sättel waren nicht billiger gewesen als die Pferde. Es waren zwei hagere, zähe und helläugige Burschen, etwas älter schon als ich, doch kaum älter als dreißig. Ich musste sofort an zwei Falken denken, und deshalb wusste ich sie auch einzustufen. Es waren Revolverfalken. Sie sahen mich fest und kühl an, aber sie nickten mir nicht unfreundlich zu, nur zurückhaltend. Über meinen Aufzug grinsten sie nicht, nein, das taten sie mir nicht an. Einer wandte sich Hurtado zu. »Das waren Locos Apachen«, sagte er. »Und sie hielten bisher mit uns Frieden, weil das für beide Seiten Vorteile brachte. Was also hast du ihnen angetan, dass sie so wild wurden und dich zu killen versuchten, dich, El Toros Sohn? Gib Antwort!«
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Ich staunte. Denn dieser Mann redete mit Hurtado wie mit einem dummen Jungen und so, als könnte er ihm Befehle erteilen. Aber Hurtado gab ihm auf die Frage keine Antwort. Er sagte vielmehr ächzend und zerknirscht: »Ich verblute. Wollt ihr euch nicht um mich und Paco kümmern? Sollen wir verbluten? Es wird El Toro gar nicht gefallen, dass ihr erst noch eine Weile zuseht, wie mir das Blut ausläuft. Schließlich werdet ihr von meinem Vater bezahlt! Oder?« Er fragte es ziemlich giftig. Aber er hatte Angst. Er machte sich Sorgen. Ich begriff mehr und mehr, dass dieser Giftpilz wahrscheinlich nur im Land umher ritt, um einen Verdruss nach dem anderen anzustiften und seinem Vater Sorgen zu machen. Und ich begriff, dass die beiden Reiter El Toro Francisco de Salvadors Reiter waren, und zwar keine gewöhnlichen. Ich hatte von ihnen schon gehört. Man nannte sie El Toros Caballeros, also Ritter, und sie durften in seinem Machtbereich an seiner Stelle Befehle geben. Man hatte ihnen absolut den gleichen Respekt und Gehorsam zu erweisen wie El Toro Francisco Salvador selbst.
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Ja, ich hatte von ihnen gehört. Jeder von ihnen war ein besonderer Mann und eine ganze Mannschaft wert. Nun sah ich gleich zwei von ihnen. Sie dachten nicht daran, sich besonders zu beeilen, um Hurtados Wunden zu verbinden. Sie wandten sich an mich. Und ich hielt noch den Colt in der Hand. Das tat ich ganz zwangsläufig, denn ich hatte keinen Gürtel, nicht mal einen Hosenbund, hinter den ich die Waffe hätte schieben können. Aber sie achteten scheinbar gar nicht auf diesen Colt. Einer sagte mit einem glucksenden Unterton in der Stimme: »Hübsche Mode, Mister. Sitzen Sie tatsächlich mit dem nackten Po im Sattel? Kann man das so einfach? Oder haben Sie schon Schwielen?« Ich grinste ohne Freundlichkeit. »Macht nur eure Witze«, erwiderte ich. »Irgendwann lache ich vielleicht auch mal über euch.« Wir starrten uns nun an – und weil sie erfahrene Burschen waren, begannen sie zu wittern, dass ich eher zu ihrer Sorte gehörte als zur Klasse von Hurtado und dessen Begleitern. Sie bekamen vibrierende Nasenflügel, sosehr nahmen sie Witterung.
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Und plötzlich nahmen sie auch den Colt in meiner Hand sehr ernst. Einer sagte: »Kann das Ding losgehen?« »Vielleicht«, erwiderte ich. »Das kommt drauf an. Denn mit diesem da müsste ich noch abrechnen. Vielleicht habe ich ihn nur deshalb nicht den Apachen überlassen. Würdet ihr ihn beschützen, auch wenn er im Unrecht ist?« Ich meinte Hurtado. Meine Frage klang lauernd, und so hatte ich es auch gewollt. Sie sollten begreifen, dass sie sich ihre Antwort gut überlegen mussten. Da sie bestimmt keine Lügner waren – denn dazu waren sie gewiss zu stolz und war ihre Selbstachtung zu groß –, würden sie sich entscheiden müssen. Sie betrachteten mich noch einmal eingehend. Sie sahen, wie zerschunden ich war und dass meine Füße blutige Klumpen waren. Sie sahen auch, dass ich auf einem Pferd der Salvador-Mannschaft saß. Hurtado stöhnte am Boden und sagte wieder einmal: »Ich verblute.« Doch jener Paco, der es von den anderen Reitern bisher als Einziger überlebt hatte und sehr viel schlimmer verwundet war, sagte heiser und gepresst: »Als wir die Siebensachen dieses Hombres verbrannten und der Rauch schwarz gen Himmel stieg, haben wir gewiss die Apachen angelockt, die 47
ohnehin nach uns suchten, weil Hurtado einfach verrückt ist – einfach verrückt.« Als er dies gesagt hatte, verlor er die Besinnung. Die beiden Reiter stiegen nun ab, ohne mir noch einen weiteren Blick zu schenken oder mir eine Antwort auf meine Frage zu geben. Sie begannen sich um die beiden Verwundeten zu kümmern. Ich blieb auf dem Pferd hocken und sah zu. Es tat mir gut, sitzen zu können und auf meinen schmerzenden Füßen nicht stehen zu müssen. Und immer noch hielt ich meinen Colt bereit. Erst nach einer Weile sagte einer der beiden harten Burschen kurz über die Schulter: »Mach dir keine Sorgen, Amigo. Immerhin hast du El Toros einzigem Sohn das Leben gerettet. Wir sahen es mit eigenen Augen. Was Hurtado dir auch angetan haben mag, du wirst entschädigt werden. Sein Vater ist ein echter Hidalgo. Der zahlt alles mit Zinsen zurück – das Gute und das Schlechte. Also …« Die beiden Revolverfalken hießen Al Sacketter und John Hannagan. Sie waren auf einem so genannten »Inspektionsritt« durch El Toro Francisco de Salvadors gewaltig großes Gebiet. Dann waren sie auf die Fährten der Apachen gestoßen, und weil sie ebenfalls die schwarze Rauchsäule sahen, wollten sie nachsehen, was da verbrannt worden war. 48
Die Rauchsäule war gewiss fünfzig Meilen weit zu sehen gewesen. In diesem Land und in dieser trockenen Luft waren alle Dinge über große Entfernungen hinweg deutlich zu erkennen, selbst wenn sie durch die Entfernung nur noch die Größe einer Maus hatten. Nun, wir blieben noch zwei Tage und Nächte, bis Hurtado und Paco sich so weit erholt hatten, dass wir sie im Sattel transportieren konnten. Inzwischen hatten Al Sacketter und John Hannagan auch ausführlich gehört – Paco erzählte es ihnen, nicht ich –, was geschehen war. Sie behandelten mich wie ihresgleichen. Sie hatten begriffen, dass ich zu ihrer Sorte gehörte und sie an meiner Stelle nicht anders gehandelt hätten. Ich ritt mit ihnen. Denn ich hatte Forderungen an El Toro. Sein Sohn war mir vier Pferde, einen guten Sattel und Kleidung schuldig. Ich war sehr gut ausgerüstet gewesen. Dafür, dass ich seinem Sohn das Leben rettete, als die Apachen ihn schon fast erledigt hatten, wollte ich nichts haben. Auch nach Schmerzensgeld war mir nicht. Ich ritt also mit ihnen, und ich trug jetzt außer dem Poncho immerhin schon richtiges Unterzeug, also Unterhose und Hemd. Mehr konnten mir Sacketter und Hannagan leider auch aus ihrem 49
Gepäck nicht geben. Dass ich keine Stiefel besaß, machte mir nicht so viel aus, denn die Stiefel hätten drei Nummern zu groß sein müssen. Meine Füße sahen noch schlimm aus. Alle Dornen hatte ich nicht entfernen können. Einige eiterten. Schnitte und Risse mussten erst noch verheilen. Ich trug meine armen Füße in Lappen eingewickelt, die ich aus einer Decke riss. Mit Hurtado und Paco sprach ich unterwegs kein Wort. Aber die beiden Schufte konnten auch so nicht viel sagen. Es ging ihnen schlecht. Sie verbrauchten während dieses Rittes fast ihre ganze Lebenskraft. Besonders bei Paco, der schlimmer verwundet worden war als Hurtado, war es schon fast ein Wunder, dass er uns unterwegs nicht starb. An einem Nachmittag – wir hatten schon die unsichtbare Grenze zwischen amerikanischem Territorium und Mexiko passiert – sah ich dann El Toro Francisco Salvadors Residenz. Die Hazienda auf dem Hügel schien für einen König gebaut, und sie stammte gewiss noch aus der Spanierzeit, als hier die mächtigen Hidalgos das Land in Besitz genommen hatten und die Eingeborenen als Sklaven für sich arbeiten ließen. Ja, dort wohnte ein Fürst. Man ahnte, spürte und sah es, indes man darauf zuritt.
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Ich war gespannt auf diesen El Toro Francisco de Salvador, den mächtigsten Mann in diesem Land auf hundert Meilen in der Runde.
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4 Ein Junge brachte mich dann zum Gästehaus. Und hier traf ich auf Dee Lane. Verdammt noch mal, wie schämte ich mich plötzlich meines Aufzugs. Ich war ja lächerlich gekleidet. Und diese Dee Lane wirkte auf mich so, dass es mir den Atem verschlug und ich mein Herz klopfen spürte. Verdammt noch mal, es traf mich wie ein Keulenhieb. Sie war rothaarig und hatte grüne Augen. Sie hatte alles so, wie ich es mir bei einer Frau wünschte. Sie war das genaue Bild meiner Träume. Ich hätte niemals geglaubt und erhofft, dass es so etwas in Wirklichkeit geben würde. Und da stand sie nun auf der Veranda und lächelte mich an. Der Junge, der mich geführt hatte, sagte zu ihr: »Señora, Señor Sacketter bittet Sie, diesen Gast zu betreuen. Señor Sacketter sagte, dass der Patron ihm sehr verpflichtet sei.« »Schon gut, Chico«, erwiderte sie in spanischer Sprache, die auch der Junge gesprochen hatte, wobei 52
er vielleicht glaubte, ich verstünde sie nicht wie so viele andere Gringos. Er lief wieder davon. Und ich war mit ihr allein. »Ich bin Dee Lane«, sagte sie. »Mein Mann ritt für Don Francisco. Seit seinem Tod führe ich das Gästehaus und bin verantwortlich für die Betreuung wichtiger Gäste. Sie sind einer. Sonst hätte Al Sacketter Sie nicht geschickt. Treten Sie ein, Mister. Sie sind willkommen.« »Ich bin Spade«, sagte ich. »Cass Spade.« Dann trat ich näher an sie heran und hielt ihr meinen nackten Unterarm hin. »Bitte kneifen Sie mich mal, Mrs Lane, damit ich sicher bin, nicht zu träumen.« Aber sie lachte nur und schüttelte leicht den Kopf. Aus der Nähe erkannte ich einige feine Linien um ihre Mundwinkel und Augen, die mir verrieten, dass sie nicht sehr viel jünger sein konnte als ich und ihre Wege auf dieser Erde gewiss nicht besonders leicht gewesen waren. »Sie träumen nicht«, sagte sie dann nur und wandte sich, um vor mir ins Haus zu gehen. Ich bewunderte ihre geschmeidigen Bewegungen. Oha, dieser Lane, dessen Frau sie war, hatte gewiss den größten Fang auf dieser Erde machen können, den ein Mann nur bekommen konnte. 53
Doch jetzt war er tot. Heiliger Rauch, es musste schlimm sein, solch eine Frau allein zurücklassen zu müssen. »Ich denke«, sagte sie, »dass Sie erst einmal eine Wanne voll heißem Wasser haben wollen, nicht wahr?« Beim Essen leistete sie mir Gesellschaft. Ich war der einzige Gast im Gästehaus der Hazienda. Ich fühlte mich jetzt sehr viel besser nach dem langen, heißen Bad. Besonders meinen Füßen hatte es gut getan. Nun trug ich auch wieder richtige, mir passende Kleidung. Nur wegen meiner immer noch wunden Füße musste ich Sandalen tragen. Dee Lane wusste inzwischen auch Bescheid über mich. Sie sagte mir auch, woher ihr Wissen stammte. »Paco, der Ihnen sein Leben verdankt, ist der Bruder meiner Hilfe«, sagte sie. »Juanita pflegt ihn jetzt. Er hat ihr schon alles erzählt. Von ihr weiß ich, wie Hurtado mit Ihnen umgesprungen ist. Und zum Dank dafür retteten Sie ihn und Paco vor den Apachen.« Als sie »zum Dank dafür« sagte, bekam ihre Stimme einen sarkastischen Beiklang. In ihren Augen war plötzlich ein Funkeln. 54
Ich ahnte, dass sie Hurtado nicht mochte. Aber gab es auf dieser Welt überhaupt einen Menschen, der das konnte? Wir plauderten über viele Dinge, indes ich aß und sie mir Gesellschaft leistete, dabei selbst etwas Obst nahm und mich zwischendurch bediente, wenn mein Teller wieder einmal leer war. Sie war eine vollendete Gastgeberin. Und immer wieder spürte ich, dass sie mich genau zu beurteilen versuchte. Ihr weiblicher Instinkt tastete an mir, versuchte in mich einzudringen. Ich grinste kauend. »Ach«, sagte ich, »wahrscheinlich bin ich nur ein Sattelstrolch wie viele andere. Geben Sie es auf, Schwester, mehr über mich herausspüren zu wollen. Wie war denn Ihr Mann? Die ganze Zeit frage ich mich, was für ein Mann er gewesen sein mag. Denn er muss schon ein besonderer Bursche gewesen sein. Nur ein besonderer Bursche konnte eine Frau wie Sie bekommen. Oder?« Ja, es war ein plötzlicher Angriff von meiner Seite. Wahrscheinlich war ich ein grober Bursche, der sozusagen mit der Tür ins Haus fiel. Aber ich musste es fragen. Ich hielt es nicht mehr länger aus. Und ich war gewöhnt, stets jeden Stier an
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den Hörnern zu packen. Das traf auch zu, wenn der Stier nichts anderes als Neugierde war. Sie lächelte nicht mehr. Sie wirkte jetzt sehr ernst, fast abweisend. »Mein Mann, Jim Lane …«, begann sie, um dann zu verstummen und sinnend ins Leere zu blicken, so als könnte sie so irgendwelche Bilder sehen im Geist. »Mein Mann Jim Lane«, wiederholte sie dann langsam und sah mich an, »war äußerlich solch ein Bursche wie Sie, Cass Spade. Äußerlich! Denn wie Sie sonst sind, weiß ich nicht. Deshalb kann ich keine Vergleiche ziehen. Mein Mann suchte damals nach einer Chance. Und so kamen wir nach hier. Bei Don Francisco hat jeder eine Chance, der ihm lange genug dient und das überlebt. Dann bekommt er irgendwo in einem Zipfel seines Machtbereiches eine Ranch und Starthilfe. Doch erst muss er sich das verdienen. Mein Mann hatte kein Glück. Er musste ein paar Banditen jagen, die eines von Don Franciscos Dörfern ständig beunruhigten, bestahlen und erpressten. Er tötete drei der Banditen – doch dann ritt er in den Hinterhalt des vierten. Das war sein Risiko. Er schaffte es nicht, Don Francisco lange genug zu dienen und belohnt zu werden wie ein Ritter von seinem König. Er war äußerlich wie Sie, Cass Spade.« Nach diesen Worten ließ sie mich allein.
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Und ich schalt mich einen verdammten Dummkopf. Dennoch wusste ich, dass ich ständig über sie nachdenken würde. Und noch eines spürte ich – oder vielmehr hatte ich gespürt: Sie hasste Don Francisco, wie sie El Toro Francisco de Salvador nannte. Ja, sie hasste ihn. Ich spürte es in ihrer Stimme, erkannte es in ihren Augen. Und warum hasste sie ihn? Die Antwort schien mir leicht. Offenbar hatte dieser Jim Lane allein gegen eine Banditenbande kämpfen müssen. Das war in ihren Augen vielleicht so, als wäre er ohne Chance in den Tod geschickt worden. Ich spürte, dass ich in dieser Richtung auf der richtigen Fährte war. Aber ich fragte mich, warum sie noch hier war und ihm das Gästehaus führte? Gab es für sie keine andere Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen? Aber das konnte ich nicht recht glauben. Ich hielt sie nicht nur wegen ihrer rassigen Schönheit und ihrer weiblichen Reize für fähig, überall für sich sorgen zu können. Ich konnte meine Gedankengänge nicht fortsetzen. 57
Denn der Junge, den Dee Lane Chico genannt hatte, erschien wieder. »Señor, der Patron will Sie sehen«, sagte er. Und da erhob ich mich, wischte mir mit der Serviette den Mund ab und folgte ihm. Denn wenn dieser El Toro mich sehen wollte, dann sollte er nicht warten müssen. Ich war nicht minder neugierig auf ihn. Ja, er war ein zweibeiniger Toro. Bei seinem Anblick dachte man unwillkürlich an einen dieser schwarzen Kampfstiere, die damals mit den Spaniern in dieses Land kamen. El Toro – der Kampfstier. Gewiss, sein Haar war an vielen Stellen schon grau. Doch er war immer noch ein Mann voller Kraft, Energie, Ungeduld, Selbstbewusstsein. Er war nicht sehr groß, doch prächtig proportioniert. Er war einer dieser kaum mittelgroßen Männer, die auch mit um zwei Köpfe größeren Burschen fertig werden konnten. Aber es war nicht das so vollendet Körperliche, das beeindruckte. Er war ein Mann mit zwingender Ausstrahlung. Man spürte seinen Verstand. Ja, er war ein Hidalgo, ein King, ein besonderer Bursche.
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Er stand neben dem großen Kamin, in dem man einen Ochsen hätte am Spieß drehen können, und stopfte sich eine wertvolle Tabakpfeife. Er tat Letzteres ganz mechanisch, denn er sah mich an, betrachtete mich eingehend. Schließlich nickte er. Und dann kam die knappe Frage: »Und warum konnten Sie nicht zusehen, wie die Apachen meinen Sohn und Paco töteten?« Ich grinste und erwiderte: »Ja, darüber denke auch ich nach. Und ich finde keine richtige Antwort. Doch ich sage Ihnen, Señor, dass ich Ihren Hurtado zum Revolverduell gefordert hätte, wenn er noch kampffähig gewesen wäre. Ich hätte ihn im Duell abgeknallt wie einen tollen Hund. Denn Letzteres ist er. Das ist er wahrhaftig. Auf den können Sie bestimmt nicht stolz sein.« Sein Gesicht wurde dunkler. Seine Augen funkelten. Was ich ihm sagte, gefiel ihm gar nicht. Er sah einen Moment aus, als wollte er losbrüllen, und er ließ mich an einen echten vierbeinigen Toro denken, der seine Hörner zum Angriff senkt. Doch dann bekam er sich auch schon wieder unter Kontrolle. Er nickte. »Ein stolzer Mann sind Sie, Señor«, sprach er beherrscht, »ein Caballero, ein wirklicher Caballero, den nur ein Dummkopf falsch behandeln 59
konnte. Hurtado ist noch jung. Und ihm fehlte die Mutter. Aber er wird sich ändern, erkennen und begreifen. Er ist mein Sohn, er ist alles was ich habe. Ich bitte Sie für sein Tun um Entschuldigung, Señor Spade. Natürlich bekommen Sie Ihren Schaden ersetzt. Und überdies bitte ich Sie, sich zu überlegen, ob Sie nicht in meine Dienste treten wollen. Sie wissen vielleicht, dass einige überragende Männer für mich reiten, wirkliche Caballeros. Sie besitzen alle Vollmachten von Stellvertretern. Sie vertreten mich in allen Belangen in meinem Machtbereich. Nur ganz besondere Männer können diese Aufgaben erfüllen. Sie müssen nicht nur kämpfen können und nahezu unbezwingbar sein – nein, sie müssen auch Ehre besitzen, jene Ehre, die zum Beispiel nicht zulässt, dass sie zusehen, wenn ihre persönlichen Feinde von Apachen getötet werden. Denken Sie also darüber nach, Señor Spade. Und fühlen Sie sich hier wie daheim. Sie sind mir ein willkommener Gast. Sie können bleiben solange Sie wollen – auch wenn Sie nicht in meine Dienste treten möchten. Doch wenn Sie Letzteres tun, dann werden Sie das nicht zu bedauern haben.« »Und Hurtado?« Dies fragte ich, und er wusste, wie ich es meinte. Er lächelte schmal und erwiderte:
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»Hurtado muss noch viel lernen. Auch die Dankbarkeit gegenüber einem Lebensretter. Hurtado steht in der Rangordnung unter meinen Caballeros. Jeder von ihnen kann ihm Befehle erteilen. Er muss sich erst bewähren. Ich werde Sie morgen fragen, wie Sie sich entschieden haben.« Er trat zu mir und gab mir die Hand, und obwohl er mehr als einen Kopf kleiner war als ich und zu mir aufblicken musste, fühlte ich mich ganz und gar nicht größer als dieser Mann. Ich ging. Und ich glaubte damals in jenem Moment schon, dass ich bei diesem Mann mein Glück machen könnte. Ja, so ist es wohl anzusehen. Aber was war falsch daran für einen Burschen wie mich? Eigentlich nichts, so dachte ich damals. Don Francisco de Salvador war ein echter Hidalgo, der das Pech hatte, einen ziemlich miesen und ungeratenen Sohn zu besitzen. Ein großer Mann wie er brauchte treue Helfer, deren Treue irgendwann einmal nobel belohnt wurde. Hey, was ging mich dieser Hurtado noch an! Ich wollte einer von El Toros Caballeros werden, einer seiner Beauftragten, seiner Stellvertreter, die in
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seinem weiten Land überall nach dem Rechten sahen. Ja, ich war schon entschlossen, indes ich ihn verließ und dann überall umherschlenderte, um mir alles anzusehen. Oh, es gab viel zu sehen, sehr viel – auch drüben im Dorf. Aber es war inzwischen Nacht geworden, zwar eine helle Mond- und Sternennacht, doch aber Nacht. Am nächsten Morgen würde ich noch sehr viel mehr sehen können. Ich kehrte in mein Quartier zurück. Drinnen in der großen Wohnhalle saß Dee Lane am Tisch. Sie hatte eine Patience ausgelegt und starrte auf die Karten. »Nun, geht alles auf? Wie sprechen die Karten?«, fragte ich, indes ich neben ihren Stuhl trat und wie sie auf die Karten schaute. Sie wandte den Kopf und sah zu mir empor. »Ja«, sagte sie. »Diese Karten versprechen viel. Nur …« Sie brach ab. Aber ich fragte: »Nur – was?« Sie wischte die Karten zusammen und erhob sich mit einer raschen, gleitenden Bewegung. Dabei sagte sie: »… nur glaube ich nicht an die Karten.« Wir schwiegen beide eine Weile. »Möchten Sie noch etwas? Haben Sie noch einen Wunsch?« 62
Sie fragte es, indes sie vor mir stand, kaum mehr als eine halbe Armlänge von mir entfernt. Ich konnte sie leicht greifen. Sie sah zu mir empor. Ich spürte ihre Ausstrahlung, witterte ihren Duft. Sie hatte einen sehr guten, frischen fraulichen Duft. Ich roch sie gern. Noch niemals in meinem Leben hatte mir eine Frau so gefallen wie sie. Und sie fragte nach meinen Wünschen. Vorhin hatte sie mir gesagt, dass ich ihrem verstorbenen Mann äußerlich sehr ähnlich sah. Sollte ich sie greifen? Würde sie meinen Kuss erwidern, sich an mich schmiegen, mich ihr Verlangen spüren lassen? Ich fragte es mich in diesen Sekunden. Aber ich wusste zugleich auch, dass ich eine Menge zerstören würde, bevor überhaupt etwas anfangen konnte. Oder war sie nur äußerlich so prächtig und sonst ein Flittchen? All diese Gedanken und Empfindungen waren in mir. Sie lächelte zu mir empor – fast herausfordernd, zugleich aber auch mit einer Spur von Verachtung. Es war mir, als würde sie nicht nur denken, sondern laut sagen:
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»Wenn du es versuchen solltest, Hombre, dann trete ich dir vor die Schienbeine, dass du tanzen wirst wie mit nackten Füßen auf einer heißen Ofenplatte. Versuch es nur, Mister.« Ja, das waren ihre Gedanken. Und so grinste ich und trat zurück. Ich sagte: »Natürlich wollte ich es. Ich wäre unnormal, würde ich es nicht gewollt haben. Glauben Sie nur nicht, Dee, dass ich es aus Feigheit nicht versucht habe.« »Sondern?« Ich grinste. »Dann würde ich Sie für ein Flittchen gehalten haben, das sich mit jedem einlässt. Aber ich halte Sie nicht dafür. Und ich halte mich auch nicht für unwiderstehlich. Ich kann warten, bis wir uns näher kennen und Sie es wollen. Das werde ich spüren. Dann versuche ich es.« Sie sah mich eine Weile schweigend an. »Werden Sie bleiben, um für Don Francisco zu reiten, für ihn zu kämpfen und vielleicht für ihn zu sterben?« Ich nickte. »Ja, ich will bleiben«, sagte ich. »Er machte mir das Angebot. Aber ich bleibe gewiss auch wegen Ihnen, Dee. Ich möchte Sie besser kennen lernen. Es liegt mir viel daran.« Sie wandte sich ab und ging zur offenen Eingangstür. 64
»Ich schlafe nicht hier«, sagte sie. »Ich habe drüben ein kleines Haus. Alle Caballeros des Dons haben eigene Häuser. Auch Sie werden eines beziehen. Es werden manchmal welche frei.« Nach diesen Worten ging sie. Ich war allein in dem großen Gästehaus, in dem Platz war für ein ganzes Dutzend Gäste. Gewiss waren manchmal so viele hier. Ein Großer wie Don Francisco de Salvador unterhielt gewiss viele Verbindungen und bekam viele Besuche. Ich ging bald darauf schlafen. Von einem Atemzug zum anderen fiel ich in traumlose Tiefen.
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5 Ja, am nächsten Tag nahm ich El Toro Francisco de Salvadors Angebot an. Ich wurde sein Reiter und damit einer der Männer, die man im ganzen Land El Toros Caballeros nannte. Ich lernte auch die anderen kennen. Al Sacketter und John Hannagan kannte ich ja schon. Eine ganze Woche hatte ich Zeit, mich auf der großen Hazienda, im Dorf und in der näheren Umgebung umzusehen. Ich studierte auch im Büro alle Landkarten und Pläne. Ein kleines Haus – es war eine zweiräumige Adobehütte, die gut und bequem eingerichtet war – wurde mir zur Verfügung gestellt. Ich fragte Dee Lane, ob ich sie manchmal besuchen dürfe. Sie nickte mir nur zu und lächelte. Dann sagte sie, dass sie mich – wenn ich auf der Hazienda weilte – stets zum Essen erwarten würde. Ich freute mich darüber. Doch schon am nächsten Tag musste ich reiten. Ich war der Begleiter von Al Sacketter und John Hannagan. Es war mein erster Ritt für Don Francisco, und ich wusste, dass unsere Aufgabe gewiss nicht leicht sein würde. Denn wir ritten zu dritt. 66
Normalerweise genügte stets einer von El Toros Caballeros, um irgendwelche Aufgaben zu erledigen. Wir aber ritten zu dritt. Da man sagte, dass einer von El Toros Caballeros eine ganze Mannschaft aufwog, war es also so, als hätte El Toro Francisco de Salvador eine kleine Armee in Marsch gesetzt. Wir ritten nach Norden über die Grenze, von der niemand so richtig wusste, wo sie eigentlich verlief. Unterwegs erklärten Al und John mir dann unseren Auftrag. Al Sacketter begann mit den Worten: »Es hat sich weit im Norden eine ganze Menge verändert, genauer gesagt in Kansas. Es entstanden dort an der Kansasbahn große Verladebahnhöfe für Rinder. Man hat die ersten Rinderherden von Texas nach Kansas getrieben, genauer gesagt nach Dodge City und Abilene. Riesenherden waren das. Tausende Rinder gehörten zu einer Herde. Man trieb diese Herden den Chisholm Trail hinauf. Die meisten Herden kamen an und verwandelten sich in Kansas in blanke Dollars. Man zahlte bis zu dreizehn Dollar für jeden Stier, also gut zehn Dollar mehr, als er in Texas wert war. Ein gutes Geschäft, nicht wahr?« Er verstummte nach diesen Worten. Ich aber wusste immer noch nicht, worum es ging. Doch ich begann nachzudenken. Und da wurde mir alles binnen einer Minute von selbst klar. 67
John Hannagan, der mich von der Seite während des Reitens beobachtete, grinste plötzlich und sagte: »Nun, dann erzähl mal, Cass. Sag uns, wie es deiner Meinung nach weiterlaufen wird, nachdem du gehört hast, was in Kansas vor sich geht.« Ich grinste zurück. Sie wollten jetzt herausfinden, ob ich zwei und zwei zusammenzählen konnte. Und so sagte ich schlicht: »Der ganze Rindersegen hier auf dieser Weide ist plötzlich ein Vermögen wert, ein Riesenvermögen. Don Franciscos Herden haben ihren Wert vervierfacht. Man muss sie nur nach Kansas bringen.« Ich schwieg nach diesen Worten, dachte noch einmal nach. Sie ließen mir Zeit. Und dann hatte ich es auch schon. Ich sprach weiter: »Don Francisco hat viele Rinderherden auf seinem Gebiet zu beiden Seiten der Grenze. Die meisten Rinder tragen keine Brandzeichen. Es lohnte sich nicht, sie zu branden. Aber jetzt ist es anders. Jedes Tier ist in Kansas um die dreizehn Dollar wert. Jetzt wird jeder Mann, der gut mit einem Lasso und einem Brandeisen umgehen kann, scharf auf ungebrannte Rinder sein. Hey, das wäre es dann wohl, warum wir reiten müssen – oder?« Sie grinsten und nickten.
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»Dein Kopf ist in Ordnung, Cass«, sagte Al Sacketter. »Das hast du dir alles haargenau ausrechnen können. Weißt du auch was von einem gewissen Mister Maverick?« »Sicher«, sagte ich. »Das war ein Advokat, der mal eine Rinderherde bekam und diese nicht brandete. Die ungebrannten Rinder zerstreuten sich dann, und ein anderer Mann, der sie kaufte, ließ von seinen Reitern dann alle ungebrannten Rinder einsammeln, deren sie nur habhaft werden konnten. Sie behaupteten, dass es Maverick-Rinder wären. Es gab damals eine Menge Ärger deshalb. Nun, heute nennt man jedes ungebrannte Rind, das schon dem Muttertier entwöhnt ist, ein Maverick. Es gibt jedoch einen Unterschied zu damals. Die heutigen Mavericks gelten als herrenlos. Jeder kann ihnen sein Brandzeichen aufdrücken.« »Richtig«, sagte John Hannagan und nickte. »Doch auf der Salvador-Weide gibt es keine herrenlosen Mavericks. Es sind Salvador-Rinder. Sie alle stammen von der Urherde der Salvadors. Und jetzt sind wir unterwegs, um das allen Maverickjägern klar zu machen. Verstehst du, Compadre?« Ich nickte nur. Ja, ich wusste Bescheid.
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Wir ritten in einen Krieg. Wir sollten Don Francisco de Salvadors Eigentum schützen. Das würde verdammt schwer sein. Aber deshalb ritten wir ja auch zu dritt, nicht allein oder zu zweit. Wir waren drei von El Toros Caballeros, und wenn es stimmte, was man von diesen Caballeros behauptete, dann mussten wir drei Mannschaften aufwiegen. Zwei Tage später – es war schon Abend – sahen wir das Camp der Maverickjäger, das Don Francisco schon vor Tagen gemeldet worden war. Wir hielten auf einem Hügelkamm in Deckung einiger Felsen und sahen uns die Sache an. Die Maverickjäger hatten sich schon eine recht ansehnliche Herde in einer Senke gesammelt. An einem Feuer waren sie immer noch dabei, herbeigetriebene Rinder zu bränden. Wir zählten die Reiter. Ein halbes Dutzend war ständig im Sattel. Sie trieben ungebrannte Rinder ans Feuer oder gebrändete Tiere zu der Herde in der Senke. Am Feuer selbst waren drei Mann tätig. Und in ihrem Camp war ein Koch dabei, ihnen das Abendbrot zu bereiten. Es waren also insgesamt zehn Mann. Al Sacketter und John Hannagan sahen mich noch einmal prüfend an. Ich spürte, dass sie sich jetzt fragten, wie weit sie sich auf mich verlassen konnten. 70
War ich ihnen ein vollwertiger Partner – oder mussten sie einkalkulieren, dass ich das schwache Glied in der Kette war? Ich grinste nicht. Aber ich nickte ihnen ruhig zu. »Ich glaube nicht«, sagte ich, »dass ich schlechter bin als ihr, sollte es dazu kommen, dass heißes Blei fliegt.« Sie glaubten mir, und sie nickten knapp. Dann ritten wir hinunter. Ja, wir ritten hinunter. Denn wir waren Don Franciscos Caballeros. Wir kämpften nicht aus dem Hinterhalt. Das hätten wir tun können, indem wir nur einen von uns hinunterreiten ließen und zwei von uns sich mit Gewehren in gute Deckung gelegt hätten. Doch das war nicht unser Stil. Wir ritten also hinunter. Und als wir beim Feuer anlangten, waren dort sieben Mann versammelt – vier Reiter, die noch in den Sätteln hockten und die drei Männer, die das Bränden besorgten. Sie wirkten sehr selbstsicher, zugleich aber waren sie neugierig. Sorgen machten sie sich überhaupt keine. Denn wir waren ja nur drei Reiter. Was sollten ihrer Meinung nach schon drei Reiter gegen sie ausrichten können? Nichts, gar nichts!
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Als wir bei ihnen anhielten, wurden einige von ihnen schon etwas wachsamer und nachdenklicher. Denn sie erkannten endlich, dass wir harte Nummern waren. Auch sahen sie das Brandzeichen unserer Pferde. Es war ein so genanntes »Spanish Bit«, also eine Kandare, wie sie die Spanier und Mexikaner schon immer benutzt hatten. Dieses »Spanish Bit« – man konnte es auch Spanisches Gebiss nennen – war stilisiert, sodass es auch fast wie ein verschnörkeltes S aussah, was dann für Salvador stand. Nun, sie kannten dieses Brandzeichen. Und deshalb wurden sie wachsamer. Aber sie überschätzten immer noch ihre Überzahl und fühlten sich sehr sicher. Einer sagte: »Nun, wir freuen uns über jeden freundschaftlichen Besuch. Wer seid ihr denn? In diesem menschenleeren Land tut es richtig gut, mal andere Gesichter zu sehen. Gleich gibt es Abendbrot. Vielleicht laden wir euch ein.« Er sprach die letzten Worte lauernd. Er hielt sich gewiss für einen schlauen und erfahrenen Burschen. Er war zweifellos der Anführer. Seine Partner grinsten. Sie fühlten sich immer noch sicher und überlegen. Ihrer Meinung nach durften und konnten wir gar nicht frech werden.
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Aber wir mussten Farbe bekennen. Seine Worte ließen uns gar keine andere Wahl. Doch wir waren ja auch gar nicht zu diesem Feuer geritten, um Versteck zu spielen bezüglich unserer Absichten. Al Sacketter machte es dann auch sehr kurz. Er tändelte nicht lange herum, sondern sagte: »Wir geben euch eine Chance, weil ihr die ersten Rinderdiebe seid und es sich unter euch allen vielleicht noch nicht herumgesprochen hat, dass in El Toro Francisco de Salvadors Land niemand ungestraft Rinder stehlen darf. Ihr habt also großes Glück. Und nun lasst alles stehen und liegen und schleicht euch! Haut ab!« Sie wollten nicht glauben, dass man so mit ihnen reden könnte. Denn wir waren doch nur zu dritt. Sie staunten. Und sie blickten in die Runde, um herauszufinden, ob wir vielleicht gar nicht allein waren, sondern noch ein paar Gewehre im Hinterhalt liegen hatten. Aber sie sahen nichts – nur uns. Da begannen sie zu grinsen. Ihr Sprecher und Anführer lachte und sagte dann: »Fühlt ihr euch nicht ein wenig zu groß in euren Hosen, um solch eine Lippe zu riskieren? Sollen wir euch mal Beine machen?« 73
Es war eine unmissverständliche Drohung. Wir mussten jetzt kämpfen oder uns davonschleichen. Sie waren bereit. Wir sahen sie uns noch einmal an, Mann für Mann. Sie starrten zurück. Und der Atem von bevorstehender Gewalttat wehte. Irgendwie taten sie mir Leid. Ich konnte nichts machen gegen mein Gefühl, denn ich sah, dass sie mehr oder weniger Satteltramps waren, Veteranen aus dem verlorenen Krieg, die nun schon zwei Jahre nach ihrer Entlassung ohne Chancen herumgeritten waren zwischen Gut und Böse. Dass die Rinder in Kansas nun etwas wert waren, hatten sie als große Chance angesehen, nun endlich ihre Situation ändern zu können. Aber sie wollten nicht als Cowboys oder Treiber für irgendwelche Bosse arbeiten. Sie wollten selbst Herdenbosse sein. Doch die Rinder hier gehörten ihnen wirklich nicht. Alle Rinder hier gehörten zu der Urherde, stammten von dieser Urherde ab, die einst von einem Salvador-Vorfahren hergebracht wurde. Sie waren Viehdiebe. Wir aber ritten für Salvador. Ich wurde nun selbst davon überrascht, wie schnell Al Sacketter und John Hannagan handelten. 74
Al Sacketter sagte noch: »Ihr Narren!« Dies war zugleich auch sein Kommando. Er und Hannagan zogen sofort. Ich sah es aus dem Augenwinkel rechts von mir, denn ich hielt links von ihnen. Ich beeilte mich mächtig, sie im Ziehen einzuholen, doch ich schaffte es nicht. Sie waren so schnell, dass ich sie nicht mehr einholen konnte. Hätten wir zu gleicher Zeit gezogen, so hätte ich sie um keinen einzigen Sekundenbruchteil schlagen können. Sie schossen zuerst. Und ich schoss einen Sekundenbruchteil später ebenfalls. Denn die Hölle war los. Die Maverickjäger zogen ebenfalls. Sie brüllten dabei auf, voller Schrecken und zugleich auch Wut. Ja, sie nahmen den Kampf an. Wir kämpften um Salvadors Rinder und zugleich auch um unser Leben. Denn nichts war mehr aufzuhalten. Die Hölle war aufgebrochen. Ich schoss auf die sich mir gegenüber befindlichen Männer, die mich als ihren Gegner angenommen hatten, weil ich ihnen am nächsten war. Mein Pferd brach unter mir getroffen zusammen, doch ich sprang rechtzeitig ab und verschoss die letzten Kugeln.
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Dann sprang ich zu meinem toten Pferd und zog dort das Gewehr aus dem Sattelholster, um wieder bewaffnet zu sein. Doch es war vorbei, ja, endlich war es vorbei. Der Pulverrauch verzog sich, und indes ich meinen Colt lud – es war ja noch ein Perkussions-Revolver, und ich musste die leere Trommel gegen eine geladene auswechseln und sechs neue Zündhütchen aufsetzen, was einige Zeit dauerte –, sah ich mich um. Zwei Reiter flüchteten. Die anderen lagen am Boden. Auch die drei Männer am Feuer, die das Bränden besorgt hatten, lagen am Boden. Mein Pferd war tot. Al Sacketter und John Hannagan saßen noch im Sattel. Auch sie luden ihre Revolver neu. Sacketter war angeschossen. Aber er blieb im Sattel und lud seine Waffe. Er war also immer noch kampffähig. John Hannagan war unverwundet wie ich. Drüben im Camp stand der Koch bewegungslos neben dem Küchenwagen. Es war ein alter, kleiner Farmwagen, auf dem man mit Kistenbrettern einen Aufbau zimmerte. Der Koch stand dort und hielt die Hände hoch. Ein Gewehr lag vor ihm auf dem Boden. Er hatte es 76
herausgenommen aus dem Wagen, um zu kämpfen. Doch dann ließ er es bleiben. Verwundete stöhnten und fluchten. Eine heisere Stimme sagte: »Verdammt, ihr habt es uns aber gegeben! Oh, wir hätten wissen müssen, dass ihr drei ganz schnelle Schießer seid! Sonst wärt ihr nicht allein gekommen. Oooh …« Ich hatte meine Waffe neu geladen, ging zu meinem toten Pferd und nahm dem Tier den Sattel mit all dem Gepäck ab. Dann suchte ich mir ein lediges Pferd, dessen Reiter stöhnend am Boden lag. Ich nahm dem Tier den Sattel ab und legte ihm meinen eigenen auf. Es darf nicht verwundern, dass trotz der Schießerei die Pferde noch herumstanden. Es waren Rinderpferde. Sie waren nicht nur an Gewehr- und Revolverfeuer gewöhnt, nein, sie hatten als erste Lektion lernen müssen, dass sie sich mit zum Boden niederhängenden Zügeln nicht von der Stelle rühren durften. Das war für jeden Cowboy die beste Lebensversicherung. Sein Pferd durfte ihn niemals verlassen. Auf der freien Weide fand er oft nichts, woran er es festbinden konnte. Also wurden die Rinderpferde abgerichtet wie gute Jagdhunde. Und deshalb war auch keines weggelaufen.
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Nur mit solchen Pferden konnte man Rinder treiben, einfangen, branden und die gefährliche Lassoarbeit verrichten. Die Rinder waren fast verwildert. Als ich aufsaß, sagte der verwundete Mann: »Das ist ein gutes Pferd. Behandle es nur gut, du verdammter Schießer.« »Das werde ich«, sprach ich zu ihm nieder. »Aber auch mein Tier war ein gutes Pferd, besser noch als dieses. Warst du es, der es erschoss?« »Ich hab auf dich gezielt, du Hundesohn«, erwiderte er. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. John Hannagan rief zum Koch hinüber: »He, Pfannenschwenker, du kannst sie alle in den Wagen laden. Ihr müsst morgen schon von hier weg sein. Die Grenze vom Salvador-Land ist der Red Creek im Norden, die Berge dort im Westen und das Mesa Land im Osten. Wir geben euch zwei Tage Zeit, das Land zu verlassen.« Nach diesen Worten wandte er sein Pferd. Wir folgten ihm und ritten davon. Al Sacketter hing ziemlich schief im Sattel. Nein, er wollte den Maverickjägern nicht zeigen, dass auch sie einen von uns schlimm erwischt hatten auf Grund ihrer Überzahl. Sie sollten uns für unbesiegbar
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halten. Deshalb musste unser Wegreiten stolz aussehen. Aber wir, die wir hinter Sacketter ritten und ihn auch stöhnen hörten, wir wussten, dass es ihn schlimm erwischt hatte. Hinter der nächsten Bodenwelle, die uns dann deckte, da konnte er nicht mehr. Er hielt an, rutschte aus dem Sattel und legte sich auch schon der Länge nach auf den Boden, Wir saßen ab. Hannagan fluchte bitter. Und ich dachte in diesem Moment: Verdammt, Salvador verlangt einen hohen Preis von seinen Caballeros. Sie müssen nicht nur schießen, Blut vergießen und sogar töten, nein, sie müssen auch mit eigenem Blut bezahlen für Siege wie diesen. Was gibt er? Ja, was gibt er dafür? Aber es gab damals keine Antwort für mich. Wir hatten bald auch alle Hände voll zu tun, um Al Sacketter vor dem Verbluten zu retten. Denn die Kugel hatte ein böses Loch in ihn gerissen. Wir mussten über Al Sacketter eine Segeltuchplane ausspannen, damit er Schatten hatte in den nächsten Tagen und vom Tau geschützt war in den Nächten. Wir konnten ihn nicht transportieren, weil er dabei noch mehr Blut verloren hätte.
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Da lag er nun, der große und stolze Al Sacketter, einer von Don Franciscos Caballeros, der ganz oben auf der Rangliste dieser Ritter stand. Aber es hatte nun auch ihn erwischt. In der zweiten Nacht sah es so aus, als würde er sterben. Doch dann schaffte er es irgendwie und kam über den kritischen Punkt hinweg. Wir konnten nicht allzu viel für ihn tun, nur seine Wunde sauber halten und das Fieber bekämpfen. Wir machten ihm Wadenwickel und wuschen ihm immer wieder das Gesicht. Wir hielten ihn fest, wenn er sich bewegen wollte. Denn die Wunde durfte nicht mehr zu bluten beginnen. Ja, er hatte in uns zwei wirkliche Kameraden. Am dritten Tag ging es ihm besser. John Hannagan ließ mich mit ihm allein, um nachzusehen, ob die von uns bestraften Maverickjäger auch wirklich abgezogen waren mit ihren Verwundeten und Toten. Irgendwann öffnete Al Sacketter die Augen. Er sah mich an. Ich hockte neben ihm unter dem Schutzdach und blickte auf ihn nieder. Sein Blick wurde klarer. Ich sah ihm an, dass er sich erinnerte und bald wieder alles wusste. Ich nickte ihm zu und sagte: »Du bist über den Berg, Amigo. Jetzt schaffst du es bestimmt. Da bin ich sicher.« 80
Er nickte nur leicht. Ich ließ ihn trinken. Eine Weile lag er dann mit geschlossenen Augen da. Ich sah ihm an, dass er sehr wach war und immer nur nachdachte. Als er die Augen wieder öffnete, sah ich hinein und erkannte in ihnen den festen Entschluss. »Jedes Glück geht mal zu Ende«, murmelte er heiser. »Ihr werdet mich nicht zum Hauptquartier bringen. Das wäre ein zu weiter Weg. Nein, ich will nach Rosalia zu Dolores. Verstehst du? Nach Rosalia zu Dolores will ich. Denn ich musste ihr schwören, zu ihr zu kommen, wenn ich nicht mehr für El Toro reiten will oder muss.« Ich nickte nur, und ich hatte die Landkarte gut im Gedächtnis. Ich kannte das Salvador-Gebiet fast so gut, als wäre ich schon ewig darin umhergeritten. Und so wusste ich, dass Rosalia ein kleiner Ort war, etwa zwanzig Meilen südöstlich von unserem Notcamp. »Ich werde es bei Dolores gut haben«, murmelte Sacketter. »Sie wartet nur auf den Tag, da ich bei Salvador aufhören kann, weil ich für ihn genug geleistet habe und er meine Treue endlich belohnen muss. Jetzt ist dieser Moment gekommen. Ich bin am Ziel.« Ich nickte nur zu seinen Worten, und ich staunte sehr. Aber er nahm mein Staunen nicht wahr. Er 81
schlief bald schon wieder ein vor Schwäche. Die paar Worte hatten ihn völlig erschöpft. Ich hockte bei ihm, sah auf ihn nieder, lauschte auf seinen Atem und fühlte manchmal nach seinem Puls. Ich staunte immer noch. Denn je länger ich über seine Worte nachdachte, umso klarer wurde mir ihre Bedeutung. Al Sacketter, einer von Salvadors Rittern, ein Mann, der in der Rangordnung dieser Reiter ganz oben stand – dieser Sacketter fühlte sich am Ziel. Verdammt ja, er war verwundet worden, böse verwundet worden, sodass er wahrscheinlich nie wieder so reiten und kämpfen konnte wie bisher. Er musste aufhören und wünschte zu einer Dolores gebracht zu werden, die ihn offenbar liebte und bei der er sich geborgen fühlte. Und das schien sein Ziel zu sein. Er rechnete mit einem Lohn für seine Treue zu Salvador. Er erhoffte sich von Salvador reichen Lohn – vielleicht ein Lehen. Er tat mir plötzlich Leid. Und mir wurde klar, dass auch ich mir eines Tages Leid tun konnte. Denn ich war ja gewissermaßen Al Sacketters Nachfolger. Ich war der Neue. Und ein alter Kämpfer für Salvador trat ab. So war es wohl schon oftmals – 82
und so würde es auch bleiben, bis – ja, bis wann? Dies fragte ich mich. Doch ich fand keine Antwort. Einige Tage später brachten wir ihn nach Rosalia zu Dolores. Sie war eine Frau, wie ein Mann sie sich nur wünschen konnte. Vielleicht würde sie in einigen Jahren ein wenig füllig werden wie die meisten Mexikanerinnen. Und sie liebte Al Sacketter. Dies wurde mir klar, als sie sich um ihn zu kümmern begann. Er war wach und flüsterte: »Da bin ich also, Dolores. Jetzt ist das lange Reiten vorbei. Jetzt werde ich bleiben. Und wir werden es gut haben.« »Ja«, erwiderte sie. »Don Francisco wird deine Treue belohnen. Täte er das nicht, so würden bald keine Männer von deiner Sorte mehr für ihn reiten, kämpfen, Blut vergießen und sterben. Würde er euch nicht nobel belohnen, wäre er nicht größer als jeder andere Mann.« In ihrer Stimme war Bitterkeit. Und ich begriff sie gut. Ich dachte an Dee Lane. Deren Mann war für Salvador gestorben. Nun führte sie für Salvador das Gästehaus, hatte ein Heim, Sicherheit und gewiss ein gutes Auskommen. Wäre sie fortgegangen, so hätte sie dies nicht arm tun müssen. Ja, Salvador zahlte für
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die Treue seiner Leute. Und er konnte das nur, solange er ein Fürst blieb in diesem Land. Das war der Kreis, der sich immer schließen musste. Ich begriff es, und ich dachte immer noch darüber nach, als ich mit John Hannagan heimwärts ritt zu Salvadors Hauptquartier. Als wir einmal unsere Pferde an einer Wasserstelle verschnaufen ließen und in die Runde blickten, um das Land zu betrachten und zu prüfen, ob alles darin in Ordnung war in Salvadors Sinne, da fragte ich plötzlich: »Und was wird er für seine Treue erhalten? Was wird er bekommen, wenn er nicht wieder richtig gesund wird?« Hannagan grinste. »Sie werden ihm eine Ranch bauen in einem schönen Tal an Salvadors Grenze irgendwo. Er wird tausend Rinder mit seinem eigenen Brand bekommen, genügend Pferde und allerlei anderes Zeug. Er wird einen guten Start haben und in zehn Jahren wohlhabend sein. Er hat es geschafft. Seiner Dolores und den Kindern, die sie haben werden, wird es gut gehen. Das hat er verdient.« Ich nickte. Dann fragte ich ihn: »Und du? Wann wirst du es verdient haben?«
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Er grinste hart – und dennoch ein wenig schief und nachdenklich. »Wenn ich nicht mehr so reiten und kämpfen kann wie jetzt«, sagte er. »Wenn es mich so ähnlich erwischen sollte wie Al – oder wenn ich zu alt geworden bin für diese Aufgabe.« Er sagte »Aufgabe«, nicht Job. Vielleicht war es eine Aufgabe. Ja, wir waren Statthalter. Oder waren wir nur Handlanger eines machtbesessenen Großen, dessen Zeit bald vorbei war, weil eine neue Zeit kommen musste?
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6 Ich empfand es wie eine Heimkehr. Dee Lane erwartete mich in der Tür meines kleinen Hauses. Denn man hatte uns schon kommen sehen, als wir noch zwei Meilen entfernt waren. Man hatte unsere Rückkehr gemeldet – und sicherlich wusste Salvador schon, dass Al Sacketter nicht mit uns heimkam. Dee Lane erwartete mich also in der offenen Tür meines Hauses. Ein Junge kam gesprungen und nahm mir mein Pferd ab. Auch bei John Hannagan war dies gewiss der Fall, denn auch er kehrte zurück in sein kleines Heim, wo er ebenfalls von einer Betreuerin oder Haushälterin erwartet wurde. Vielleicht aber war es auch eine Geliebte. Ich wusste es nicht. Denn wir sprachen unterwegs nicht über diese Dinge. Ich trat zu Dee Lane. Sie sah zu mir empor. »Glück gehabt, nicht wahr?«, sagte sie leise. Ich nickte, sah auf sie nieder und in ihre Augen und erkannte, dass sie auf mich gewartet hatte. Meine Heimkehr erinnerte sie gewiss stark an die Heimkehr ihres Mannes – und an das Warten auf 86
ihn. Vielleicht hatte sie dann auch stets das Gefühl gehabt, dass er wieder einmal »Glück« gehabt hatte. Sie legte mir kurz ihre Hand gegen die Brust. Es war eine Willkommensberührung. Dann sagte sie schlicht: »Man sah euch schon aus der Ferne kommen. Ich habe in deinem Haus auf deinem Herd zu kochen begonnen. Das Essen wird fertig sein, wenn du gewaschen und umgezogen bist. Don Francisco lässt euch nach der Heimkehr zumindest eine Stunde Zeit, bevor er Bericht erwartet.« Ich nickte wieder, und es war etwas Vertrautes zwischen uns, so als würden wir uns schon sehr lange kennen. Mir war danach, Dee Lane zu nehmen und zu küssen. Ich hätte nur meine Hände auszustrecken brauchen, um sie in die Arme nehmen zu können. Aber ich tat es nicht. Ich wusste, es war noch zu früh. Dass ich sie an ihren Mann erinnerte, war nicht genug. Auch dass sie einsam war hier unter allen Menschen, war nicht genug. Wir mussten uns Zeit nehmen. Sie war kein Flittchen. Deshalb hatte sie einen Anspruch darauf, dass wir uns Zeit nahmen, uns erst besser kennen lernen konnten und unsere Gefühle gründlich prüften. Das war ich ihrer Selbstachtung schuldig. 87
Ich hob nur die Hand und strich mit dem Finger über die Rundung ihrer Wange bis abwärts zu ihrem Kinn. »Ich danke dir«, sagte ich. »Ein Mann kehrt gern heim, wenn er erwartet wird und sich jemand um ihn kümmert. Dee, du bist wie ein Licht in dunkler Nacht.« Sie schluckte etwas mühsam. Aber dann sagte sie hart: »Vielleicht halte ich es diesmal nicht durch, Cass Spade. Ich kann vielleicht nicht immer wieder warten und warten, bis sie eines Tages auch dich tot zurückbringen, so wie meinen Mann damals. Verstehst du? Vielleicht werde ich eines Tages fortlaufen.« Ich legte meine Hand gegen ihre Wange. »Dann suche ich dich, bis ich dich gefunden habe«, sagte ich. »Und mich wird man nicht tot heimbringen – mich nicht. Ich passe gut auf mich auf.« Sie wandte sich ab. Denn meine letzten Worte waren ziemlich dumm. Ich wusste, dass es mich erwischen würde, wenn das Schicksal es so wollte. Da konnte ich auf mich aufpassen, so viel ich wollte, es würde wenig nützen. Später dann, als ich gewaschen und umgezogen mit ihr am Tisch saß und wir das gute Essen aßen,
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das sie gekocht hatte wie eine liebende Frau dem heimgekehrten Mann, da erzählte ich ihr alles. Ich schloss mit den Worten: »Für Al Sacketter hat es sich also gelohnt. Und es ist doch so, dass man auf dieser Erde nichts geschenkt bekommt – oder? Dee, dein Mann damals hatte Pech. Al Sacketter hatte Glück. Auch ich werde Glück haben. Man muss an das Glück glauben. Setze doch mal ein paar Chips auf mich, Dee.« Sie lächelte und nickte. John Hannagan holte mich dann ab. Wir gingen zu Salvador. Er empfing uns in seinem großen Arbeitszimmer, an dessen Wänden die Bilder seiner Vorfahren hingen. Die Möbel sahen aus, als wären sie aus Spanien über den Atlantik gekommen und irgendwann an der Küste des Golfs von Mexiko ausgeladen worden, um dann die weite Landreise anzutreten. Ja, es waren echte spanische Möbel, wie sie sich nur ein reicher Hidalgo leisten konnte. John Hannagan erstattete Bericht. Als er fertig war, kam Salvador um seinen riesigen Schreibtisch herum und gab uns die Hand. Er sagte nichts dabei, aber es war, wie wenn ein Fürst seinen Rittern dankte. Dann waren wir entlassen. 89
Ich ging heim. Dee war fort. Sicherlich war sie wieder im großen Gästehaus, wo sie ja ihre Aufgaben hatte. Es sah auch so aus – wie ich im Vorbeigehen feststellen konnte –, als wären einige Gäste zu Besuch. Ich legte mich auf das Lager, und ich fühlte mich müde und ausgebrannt, war aber dennoch voller Zuversicht und unbestimmter Hoffnung. Jemand klopfte von draußen gegen die nach innen offen stehende Tür. Auf meinen Ruf trat ein kleiner, alter, vertrocknet aussehender Mann ein. Er trat an den Tisch und stellte dort einen Beutel hin. Er war doppelt so groß wie ein Tabaksbeutel, und es klirrte silbern darinnen. »Mit den besten Grüßen vom Patron«, sagte er und ging wieder. Offenbar war er der Buchhalter, Geldverwalter oder so etwas Ähnliches. Vielleicht konnte man ihn auch »Finanzminister« nennen, wenn man davon ausging, dass Salvador seinen gewaltigen Besitz wie ein Fürstentum regierte. Ich erhob mich, nahm den ledernen Beutel und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Ja, es waren Silberpesos. Sie waren so gut wie Dollars. Salvador belohnte uns nobel. Ich wusste inzwischen, dass er weiter im Süden einige Silber- und Goldminen besaß. Ja, er konnte
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uns leicht einige Hand voll Silberpesos schenken für unsere Dienste. Schon drei Tage später musste ich wieder reiten. Es sollte ein routinemäßiger Inspektionsritt werden. Ich hatte eine bestimmte Route einzuhalten und ein halbes Dutzend Dörfer zu besuchen. John Hannagan erklärte mir alles ganz genau, gab mir Verhaltensregeln mit auf den Weg und sagte zum Schluss: »Dass du schon allein reiten darfst, ist ein großer Vertrauensbeweis. Denn du vertrittst Salvador. Vergiss das nie. Du vertrittst einen König, daran musst du immer denken. Dieser Ritt wird nicht unter einer Woche zu schaffen sein, selbst wenn es keine besonderen Vorkommnisse geben sollte. Viel Glück.« Er gab mir dann ein kleines, goldenes Ding. Er selbst und auch Al Sacketter hatten solch ein Ding schon bei unserem gemeinsamen Ausritt am Hut getragen. Es war eine Art Anstecknadel, eine Art Sheriffabzeichen. Nur war es kein Stern, sondern eine stilisierte Kandare, ein Spanish Bit, das wie ein verschnörkeltes S aussah, also wie das Brandzeichen von Salvador. Es war das Abzeichen seiner Stellvertreter. Und es galt in seinem Machtbereich wie ein Sheriffstern. Ich steckte es mir an den Hut. 91
Dann verabschiedete ich mich von Dee Lane. Einen Moment sah es so aus, als wollte sie sich an mir festhalten, sich auf die Zehenspitzen stellen und mir einen Kuss geben. Ich erkannte es in ihren Augen. Aber dann ließ sie es. Sie legte nur kurz ihre Hand gegen meine Brust. Ich spürte es wie einen warmen Strom, der von ihr zu mir überging. Ich wandte mich ab und saß auf. Dann ritt ich davon. Ich sah mich nicht um, aber ich spürte ihre Blicke, die mich verfolgten, solange ich von ihr zu sehen war. Nein, ich sah mich nicht um. Das Wegreiten wäre mir sonst noch schwerer gefallen. Ich hätte sie dann noch mühsamer und schwerer aus meiner Erinnerung stoßen müssen. Denn ich musste mich auf meinen Auftrag konzentrieren. Ich hatte meine Bewährungsprobe zu bestehen. Nun war ich ein richtiger Stellvertreter Salvadors in seinem weiten Land. Salvador hatte gewiss nicht nur Freunde. Und seine Feinde würden auch meine Feinde sein. Ich war allein und musste dennoch eine ganze Mannschaft aufwiegen. Das war Salvadors großer Stil – oder Trick. Er zeigte seine Macht nicht mit Hilfe vieler Reiter. Nein, es war sehr viel beeindruckender, wenn seine 92
Stellvertreter zumeist ganz allein kamen. Dies machte sie größer, beeindruckender, gab ihren Taten mehr Gewicht. Sie waren die Großen im Land – unter einem Allergrößten. Denn jeder im ganzen Land wusste, dass Salvador auch hundert oder zweihundert Reiter schicken konnte, sollte es notwendig sein. Ich ritt nach Nordwesten. Dort jenseits der Grenze auf amerikanischem Territorium war mein Gebiet. Dort sollte ich Salvadors Interessen vertreten. In Fuente Hermandes hatte ich nur einen Streit zu schlichten, bei dem es um Wasser ging. Einer der Bauern mexikanischer Abstammung hatte den kleinen Creek einer Quelle abgeleitet, wodurch zwei Nachbarn kein Wasser mehr bekamen. Ich sprach ein Machtwort und ritt dann weiter nach Paloma Bianca. Und hier kam ich wie gerufen, denn im einzigen Gasthaus des kleinen Ortes saßen ein paar Strolche, ließen sich seit zwei Tagen und Nächten schon bedienen und beantworteten jede Bitte, erst einmal zu zahlen, mit Drohungen und Flüchen. Der Bürgermeister des kleinen Dorfes sagte warnend zu mir: »Es sind Pistoleros, Bandoleros aus dem Krieg. Sie betteln nicht, nein, sie nehmen sich, was sie brauchen. Und je mehr wir ihnen geben, 93
umso frecher werden sie. Es sind fünf. Doch zwei oder drei sind immer betrunken. Sie lösen sich ab.« Ich nickte nur, ritt vor das Gasthaus und stieg ab. Drinnen sangen betrunkene Stimmen. Ich trat ein und sah sie. Ja, sie hatten sich breit gemacht. Und sie fühlten sich als Herren des kleinen Dorfes. Sie waren hier auf keinen Widerstand gestoßen. Das nutzten sie aus. Doch sie waren zumindest schon eine Nacht und einen Tag zu lange hier. Sie hätten einkalkulieren müssen, dass selbst ein abgelegenes Dorf wie dieses Hilfe herbeirufen konnte. Sie starrten mich an, indes ich langsam eintrat. So wie sie, so war auch ich in den ersten Wochen und Monaten nach dem Krieg umhergeritten, schlecht gekleidet, hungrig und nach Chancen suchend. Dann hatte ich Wildpferde gejagt. Denn ich hatte kein Sattelstrolch bleiben wollen. Diese da waren es noch, und jetzt waren sie fast schon Banditen. Sie starrten mich an. Ihr Gesang war verstummt. Obwohl sie angetrunken waren, warnte sie ihr Instinkt vor mir. Sie spürten die von mir ausgehende Strömung deutlich. Einer sagte angriffslustig: »He, Amigo, wie geht es denn so?« 94
Sie waren gut im Raum verteilt. Zwei standen an der Bar. Einer spielte Billard. Der vierte Mann klimperte leise mit einer Gitarre. Und der fünfte Bursche lag mit dem Oberkörper über einem Tisch und schlief, wobei er seine Arme als Kopfkissen benutzte. Der Wirt stand hinter dem Schanktisch – ein blasser Mann, der sich fürchtete. Im Nebenraum – aus dem Essensdüfte kamen –, bewegten sich zwei Frauen. »Gleich gibt es was zu essen«, sagte der Sprecher von vorhin. »Wir haben uns ein schönes Ferkel zubereiten lassen – mit allen Schikanen auf mexikanische Art, schön scharf und pikant. Du kannst mitessen, Bruder.« Wieder war er so plump vertraulich – und zugleich auch herausfordernd. Ich nickte dem Wirt zu und fragte: »Haben sie schon bezahlt? Die sind doch schon zwei Tage und zwei Nächte hier. Zahlten sie schon?« Der Wirt sah auf das goldene Abzeichen an meinem Hut und wusste, wer ich war, obwohl er mich niemals zuvor gesehen hatte. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich fürchte, Señor«, sagte er, »dass sie gar nicht zahlen können, weil sie überhaupt kein Geld haben.
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Doch sie haben fünf Revolver. Fünf Revolver, Señor! Was soll man da machen?« Sie hörten die Worte des Wirtes, sahen mich herausfordernd an und grinsten. Durch die Fenster hatten sie wahrscheinlich gesehen, dass ich allein gekommen war. Sie machten sich wenig Sorgen. Es war fast so wie vor einigen Tagen, als wir die Maverickjäger stellten und diese auf ihre Übermacht vertrauten. Ich fragte: »Nun, wie ist es also mit dem Zahlen, Gentlemen?« Sie grinsten stärker, herausfordernder, böser. »Vielleicht gibst du uns was aus, Langer?«, fragte ihr Sprecher. »Du siehst nämlich so aus, als käme es dir auf ein paar Dollar nicht an. Vielleicht tust du mal was für deine Mitbrüder. Na? Hast du viel Geld in den Taschen? Nach deinem Pferd dort draußen muss du sogar reich sein. Na?« Wieder war dieser herausfordernde Klang in seiner Stimme. Und ich wusste jetzt, dass sie nicht nur Strolche, sondern Banditen waren, die hier ein wenig rasteten auf einer langen Zickzackfährte. Ich ging auf seine Worte gar nicht ein, sondern sagte: »Ihr werdet lange arbeiten müssen, bis ihr eure Schulden getilgt habt. Wahrscheinlich sind eure 96
Pferde gestohlen. Sonst würde ich sie euch wegnehmen und …« Nun brüllten sie los vor Lachen. Sie waren Narren. Ja, sie waren zu dumm oder zu betrunken, um die Gefahr richtig einschätzen zu können. Sie lachten also. Und während sie lachten, wollte es mir einer von ihnen zeigen. Wahrscheinlich war er der schnellste Mann von ihnen mit dem Colt und wurde deshalb von ihnen bewundert. Jetzt wollte er sich wieder ihre Bewunderung verdienen. Und so zog er, indes sie lachten, und er glaubte, mich überrumpeln zu können. Doch er hatte den Revolverlauf noch nicht einmal richtig heraus, als ich ihm schon die Schulter zerschoss. Jetzt lachten sie nicht mehr. Nun staunten sie. Denn noch niemals in ihrem Leben sahen sie einen Mann so schnell ziehen und schießen. Jetzt erst wussten sie Bescheid. Sie waren plötzlich nüchtern. Ich behielt meinen rauchenden Colt in der Hand, indes der Getroffene seine Waffe fallen ließ und sich auf den Boden setzte. Er stöhnte schmerzvoll. Dann legte er sich lang. 97
»Ihr seid hier im falschen Land«, sagte ich zu ihnen. »Wir werden eure Waffen und eure Sättel behalten. Und dann werde ich euch ein Stück begleiten, um euch den Weg aus diesem Land zu zeigen. Dies ist Salvador-Land. Lasst euch nur noch einmal hier blicken, und ihr werdet keine Chance mehr bekommen. Also los, kümmert euch um ihn! Verbindet ihn! In einer halben Stunde reiten wir. Auch wenn wir diesen da quer über seinem Pferd transportieren müssten.« Ich deutete auf den Verwundeten. Sie aber starrten mich an – staunend, ungläubig. Aber dann begannen sie zu gehorchen. Sie waren nur drittklassige Strolche, die sich in einem friedlichen und fast völlig wehrlosen Dorf nur viel zu groß vorgekommen waren.
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7 Zwei Tage später – ich war indes eine Zickzacklinie von mehr als vierzig Meilen geritten und hatte einige andere kleine Siedlungen, einzelne Ranches und Farmen besucht – kam ich an die Poststraße, die durch einen Zipfel von Salvadors Land führte. Es war die Linie, die von der Grenze bei Nogales nach Tucson führte, von dort aus durch die Santa Catalinas nach Fort Apache und von diesem weiter durch die Bunte Wüste nach Santa Fe. Die Postgesellschaft hatte mit Salvador einen Vertrag. Sie durfte durch sein Gebiet und auf diesem an einer Quelle eine Pferdewechselstation unterhalten. Sie zahlte eine geringe Gebühr, die eigentlich nur eine Anerkennungsgebühr war. Und selbst dafür erhielten sie garantierten Schutz auf Salvador-Gebiet. Die Station hieß Santa-Cruz-Mesa. Als ich hinkam, stand dort die Postkutsche mit sechs müden Pferden. Und der Stationsmann – ein Halbblut – erklärte dem Fahrer und dessen Begleitmann soeben, dass einige streifende Apachen in der vergangenen Nacht
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alle Pferde fortgetrieben hätten und er kein frisches Gespann bieten könne. Als sie mich kommen sahen, schenkten sie mir zuerst nur einen flüchtigen Blick, denn sie waren zu sehr mit ihren Problemen beschäftigt. Die Poststraße stieg die nächsten zwanzig Meilen immer nur an. Es gab viele Kehren. Die konnte man nur mit einem frischen Gespann schaffen – oder man musste hier einige Stunden rasten und die Tiere ausruhen lassen. Aber die Männer sahen dann das goldene Abzeichen an meinem Hut. Der Stationsmann sagte zu ihnen einige schnelle Worte. Nun wandten sie sich mir zu. Der Fahrer sprach: »Nun, Mister, gut, dass Sie kommen. Sie sind doch einer von Salvadors Rangern, nicht wahr? Also, jetzt gibt es Arbeit für Sie, denke ich.« Sie erklärten mir die Sache. Und ich nickte nur, sagte kein Wort mehr, ritt zum Corral und sah mir die Fährte an. Es waren fünfzehn Pferde im Corral gewesen, alles erstklassige Tiere, denn die Postlinie konnte nur allerbeste Tiere gebrauchen, eingespielte Gespanne, die aufeinander abgestimmt waren. Wenn ich die gestohlenen Tiere nicht wiederbeschaffen konnte, war das für die Postlinie
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nicht nur ein ziemlicher Verlust – nein, der Reiseverkehr verzögerte sich sehr. Ich nickte abermals. Und dann machte ich mich auf den Weg. Denn die fünfzehn Pferde waren von nur drei Apachen gestohlen worden. »Nur«, dies muss man natürlich in Anführungsstrichen schreiben. Denn drei Apachen konnten gefährlich sein wie drei Klapperschlangen. Nur mussten sie sich um die Pferde kümmern, die sie gewiss durch raues Gelände trieben. Es konnte also höchstens einer von ihnen den Rückzug sichern. Vielleicht konnte ich ihn erwischen, bevor er mich schaffte. Dann hatte ich schon halb gewonnen. Ich machte mich also auf den Weg. Denn das war mein Job. Ich war ein Salvador-Reiter. Der Fahrer hatte mich als einen von Salvadors Rangern bezeichnet. Ja, so konnte man uns wohl auch nennen. Ich ritt den ganzen Tag. Dieser Job war nicht neu für mich. Ich war Scout bei der Armee gewesen und kannte mich aus mit Apachen. Als ich mein Camp aufschlug, war es schon nach Mitternacht, und ich wusste nicht nur, dass ich den Apachen und den gestohlenen Pferden ganz nahe war, sondern auch, dass die Apachen von meiner Nähe wussten. 101
Es war ein richtiges Apachen-Poker, das ich spielte. Meine Karten waren nicht sehr gut. Aber wie bei einem richtigen Pokerspiel konnte ich auch durch Bluff gewinnen. Deshalb hoffte ich, dass die Apachen mich nicht für klug und erfahren hielten. Ich band mein Pferd an und machte mit Hilfe einiger Büsche und meiner Schlafdecke alles so zurecht, dass es so aussah, als läge dort ein Schläfer unter einem Busch und benutze den Sattel als Kopfkissen. Dann hockte ich mich in den nächsten Busch und hielt meinen Colt bereit. Alles war nun eine Geduldsache. Ich durfte mich nicht bewegen, kein Geräusch verursachen und musste warten, nichts als warten. Manchmal kamen mir Zweifel. Denn wenn die Apachen mich für einen erfahrenen Burschen hielten, dann würden sie nicht auf mein Spiel reinfallen. Es konnte nur klappen, wenn sie glaubten, ich wollte mich noch etwas ausruhen und sie erst im Morgengrauen angreifen, um mit ihnen um die Pferde zu kämpfen. Aber weil auch für die Apachen oftmals der Angriff die beste Verteidigung war, würden sie vielleicht kommen. Das war meine Hoffnung. 102
So bekam ich sie nämlich gut vor meinen Colt. Alle drei auf einmal! Aaah, ich musste lange warten. Aber kurz vor Morgengrauen hörte ich sie dann in der Nähe umherschleichen. Es waren typische Geräusche. Und dann fiepten und piepten sie wie das Nachtgetier, das sie verjagt hatten und dessen Geräusche in der Nacht nun fehlten, so sehr fehlten, dass dies sogar im Unterbewusstsein eines Schläfers registriert werden konnte, wenn er ein erfahrener Mann war. Aber dann – schon fast im Morgengrauen – sprangen sie los. Von drei Seiten her tauchten sie auf und stürzten sich auf den vermeintlichen Schläfer, stießen mit ihren langen Apachenmessern nieder – und erkannten endlich die Falle. Sie brüllten auf, wild, scharf, böse. Und dann wollten sie auseinander wie Wölfe aus der Nähe einer zuschnappenden Stahlfalle. Doch mein Colt krachte schon. Es war mein Job, die Pferde zurückzubringen. Und es war mein Recht, mein Leben zu erhalten. Ich erwischte sie – aber ich brauchte jede Kugel in meinem Colt. Denn sie griffen mich auch angeschossen an. Sie rannten in meine Kugeln, aber ihr Wille trieb sie auch dann noch vorwärts, wenn 103
ein normaler Mann sich längst schon hingelegt und nur noch geröchelt hätte. Ich brachte die Pferde am Abend des gleichen Tages zurück. Der Stationsmann staunte nicht einmal. Er sagte nur: »Ja, ihr Salvador-Reiter seid schon achtzehnkarätige Burschen. Was wäre er ohne euch?« Ich erwiderte nichts. Ich war müde. Und morgen musste ich weiter. Mein Inspektionsritt würde noch einige Tage dauern. Und mein Bericht würde lang werden. Das wusste ich schon. Ich ritt am nächsten Tag nach Sonnenaufgang weiter. Und gegen Mittag sah ich dann das Camp. Es war schon mehr als ein Camp. Ich betrachtete alles von einem Hügelkamm aus, über den der alte, schmale Apachenpfad führte, auf dem ich geritten kam. Zuerst wollte ich nicht glauben, was ich da sah. Doch es gab keinen Zweifel. Die Leute dort unten bauten eine Stadt – oder besser gesagt: Dort unten war man dabei, den großen Grundriss einer Stadt abzustecken. Man hatte auch schon einige Hütten errichtet als Notunterkünfte. Ein
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paar Wagen standen da und dort herum, ersetzten weitere Hütten. Es gab einige Zelte. Und am Creek war man dabei, ein großes Schöpfrad zu montieren, das von der Strömung angetrieben wurde wie eine Wassermühle, zugleich aber auch Wasser schöpfte und in eine Wasserleitung beförderte. Das war notwendig, denn der Creek hatte sich mit seinem Bett ziemlich tief eingefressen. Er konnte das Land nicht bewässern. Doch dieses Schöpfrad drehte sich Tag und Nacht und schöpfte stetig das Wasser herauf. Es war eine gute Idee. So konnte man Gärten, Felder und Äcker bewässern. Gewiss, man hätte auch Brunnen abteufen können. Doch in Brunnen gibt es keine Strömungen. Aus Brunnen muss man schöpfen. Der Creek aber drehte das Schöpfrad mit eigener Kraft. Es war schon eine tolle Sache. Ich spürte einen gewissen Respekt vor diesen Leuten dort unten. Sie hatten sich ein schönes Stück Land ausgesucht. Die Wagenstraße führte vorbei. In der Runde waren schützende Hügelketten. Der Creek wand sich durch das weite Tal. Er hatte in den Bergen unterirdische Quellen und führte das ganze Jahr Wasser. Gewiss, er war nicht so stark, dass er eine Sägemühle betreiben konnte. Doch für Schöpfräder reichte seine Kraft. 105
Nachdem ich lange genug gestaunt hatte, fiel mir endlich ein, dass dies dort unten ja Salvador-Land war und die Leute deshalb nur mit Salvadors Erlaubnis siedeln durften. Mir hatte man im Hauptquartier nichts gesagt von diesen Leuten hier. Sie konnten auch noch nicht lange auf diesem Platz dort unten sein. Nun, ich ritt hinunter. Man sah mich kommen. Man hatte die zukünftige Hauptstraße der geplanten Stadt abgesteckt. Rechts und links dieser geplanten Straße sah ich die abgesteckten Grundstücksparzellen. Es war alles genau vermessen. Da und dort waren Stangen mit Schildern eingerammt. Ein paar Männer traten mir auf der zukünftigen Hauptstraße entgegen. Als ich mein Pferd vor ihnen verhielt, sagte einer: »Willkommen in Green Valley, Mister.« Ich nickte und sah sie Mann für Mann an. Ja, es waren typische Städter. Ich konnte jetzt fast schon an ihnen erkennen, wer der Storehalter, der Schmied, der Sattler, der Schreiner war und was die anderen darstellen würden, wenn die Stadt erst fertig war. »Ich vertrete Salvador«, sagte ich. »Dies hier ist Salvador-Land. Sie haben sicherlich von Francisco de
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Salvador eine Erlaubnis, hier eine Stadt zu errichten. Bitte zeigen Sie mir diese Erlaubnis.« Sie grinsten nicht. Nein, sie gehörten nicht zu dieser Sorte. Sie waren ernste Männer, die es nicht danach juckte, durch Grinsen jemanden herauszufordern. Sie blieben ruhig, ernst und bedächtig. Und jener, der mich willkommen hieß, sagte nach einigen Atemzügen ruhig: »Dies ist nicht SalvadorLand, Mister. Wir haben uns genau erkundigt. Salvadors Anspruch auf dieses Gebiet stützt sich auf eine alte Schenkung der Krone Spaniens an seine Vorfahren. Doch es war schon immer eine zweifelhafte Schenkung. Die Salvadors konnten ihre Ansprüche zwar geltend machen, als alles mexikanisch wurde, doch die amerikanische Regierung hat die angebliche Schenkung der spanischen Krone nie anerkannt, so sehr sich Salvador mit Hilfe von Advokaten und Bestechungsversuchen auch bemühte. Durch den Bürgerkrieg ruhte das alles viele Jahre. Doch vor einigen Wochen entschied das zuständige Gericht gegen Salvador. Dieses Land ist frei. Wir sind befugt, hier eine Stadt zu gründen.« Er verstummte ernst. Ich staunte. Heiliger Rauch, da gab es doch wohl noch eine Menge Dinge, die ich nicht wusste. 107
Doch Salvador musste gewusst haben, dass er mich auf einen Inspektionsritt durch ein Land schickte, das ihm gar nicht mehr gehörte. Wenn das so war, dann hatte ich auch keine Polizeigewalt mehr als sein Vertreter. Ich spürte Unsicherheit. Ja, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Denn eines war mir klar: Wenn Salvador wusste, dass dies nicht mehr sein Land war und er mich dennoch auf diesen Inspektionsritt schickte, dann wollte er dieses Land auch behalten und sollte seinem Willen nach alles so bleiben wie bisher. In diesem Fall erwartete er auch von mir, dass ich diese Siedler und Städtegründer jetzt sofort zum Teufel jagte. Denn die Regierung war weit. Hier war tiefster Südwesten. Hier galt allein Salvadors Wille. So war das und nicht anders. Und ich war Salvadors Stellvertreter. Dies alles ging mir in diesen wenigen Sekunden durch den Kopf, indes ich im Sattel vor den Männern verhielt und wir uns betrachteten. Verdammt, was sollte ich tun? Ihnen Beine machen? Ihnen drohen? Ihnen ein Ultimatum stellen?
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Ich sah in die Runde. Diese Leute hier hatten Frauen und Kinder bei sich, halbwüchsige Buben und Mädchen. Der grauköpfige Sprecher sagte ruhig zu mir hoch: »Wir kommen aus Tennessee. Ein Bergrutsch hat dort unsere Stadt vernichtet. Aber wir haben ziemlich viel retten können, weil dieser Bergrutsch vorauszusehen war. Wir haben dann lange nach einem geeigneten Platz gesucht. Dieser Platz hier hat Zukunft. Hier bleiben wir. Und das Recht ist auf unserer Seite.« Ich wurde wütend. Denn in meinem Kern war ich unsicher. Wie weit reichte meine Treue zu Salvador? War ich auch bereit, für ihn Unrecht zu tun? Wenn ich nur gewusst hätte, ob das, was sie mir über die Schenkungsrechte erzählt hatten, der Wahrheit entsprach. Doch eigentlich glaubte ich ihnen. Diese ernsten Männer da blufften und logen gewiss nicht. Die standen da in sicherer Überzeugung vor mir. Sie waren nicht einmal bewaffnet. Es ging keine Feindschaft, keine Herausforderung und nicht einmal Eigensinn von ihnen aus. Sie strömten nur jene sichere Überzeugung aus, dass sie das Recht auf ihrer Seite hatten. 109
Und weil sie selbst das Recht respektierten, kamen sie gar nicht auf die Idee, dass andere Leute dies nicht tun könnten. Sie kamen aus dem fernen Tennessee, und dies machte ihre Denkungsart vielleicht erklärlich. Denn hier im Südwesten an der Sonora-Grenze, da war der Wille des Stärkeren allein das Gesetz. Das wussten sie offenbar nicht. Und hier war Salvador der Starke. Ich war einer seiner Vertreter. Ich musste in seinem Sinn handeln, seine Interessen vertreten. Was gut für ihn war, musste auch gut für mich sein. So dachte ich und kam nun doch endlich zu einem Entschluss. Ich sagte: »Selbst wenn alles stimmen sollte, was ihr mir bezüglich dieser Schenkung erzähltet – selbst wenn also dieses Land frei sein sollte, nun, da kommt ihr dennoch zu spät. Salvador ist schon hier. Überall stößt man auf seine Rinder. All die kleinen Dörfer gehören ihm. Die Post- und Frachtlinie hat mit ihm einen Vertrag. Nein, ihr könnt hier nicht bleiben. Es ist und bleibt Salvador-Land. Und so will ich euch etwas sagen …« Ich machte eine kleine Pause, sah sie fest und hart vom Sattel nieder an. Sie schwiegen und warteten – ernst und festgefügt als Gruppe und Gemeinschaft. 110
Ich wiederholte: »Ich will euch also etwas sagen. Ich befinde mich auf einem Inspektionsritt. In drei oder vier Tagen komme ich zurück. Wenn ihr dann noch hier sein solltet, mache ich euch Beine. Dann jage ich euch fort.« Sie sagten nichts. Sie standen nur als Gruppe da und sahen mich an. Und ich wusste, dass sie noch da sein würden, wenn ich in drei oder vier Tagen zurückgeritten kam. Ich spürte wieder meine Unsicherheit tief in meinem Kern. Und so zog ich mein Pferd herum und ritt davon. Beim Schöpfrad am Creek hielt ich einmal kurz an und betrachtete die ganze Konstruktion. Es war kein neues Schöpfrad. Man konnte es auseinander nehmen und in Einzelteilen transportieren. Wahrscheinlich war es auch aus Tennessee. Ich ritt weiter, und ich war unzufrieden mit mir, unsicher und ärgerlich. Die Dinge auf dieser Welt waren wieder einmal nicht eindeutig, glatt und ohne Probleme. Doch hatte Salvador nicht Anspruch auf meine Treue? Musste ich nicht zu ihm halten – wenn es sein musste, sogar gegen das Gesetz? Hatte er nicht uralte Rechte hier? Langsam kehrte meine alte Sicherheit wieder zurück.
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Noch am selben Tag stieß ich wieder auf einige Maverickjäger. Wahrscheinlich machte ich es deshalb so hart mit ihnen, weil immer noch ein Rest von Unsicherheit in mir war und ich etwas »gutmachen« wollte gegenüber Salvador, nachdem ich gezweifelt hatte, unsicher und schwankend geworden war beim Überlegen, wie weit meine Treue zu ihm reichen müsste. Es war eine Gemeinschaft von fünf Kriegsveteranen und Excowboys. Aber sie waren verteilt. Ich nahm mir zuerst die beiden Reiter vor, die in der Umgebung ihres Camps und der Sammelherde umherritten und immer wieder Rinder zum Brennfeuer trieben. Einen verwundete ich. Dem zweiten erschoss ich das Pferd. Als ich ins Camp ritt, waren sie dort schon wachsam, denn sie hatten die Schüsse gehört. Sie waren zum Kampf bereit. Es gab nur einen kurzen Wortwechsel. Dann schossen wir es aus – ich gegen drei. Doch als ich den ersten Schuss heraus und dem ersten Mann eine Kugel in die Schulter gejagt hatte, gaben die anderen auf. Sie hatten ihre Revolver noch nicht einmal richtig heraus. »Schon gut, schon gut, du Schießer!« Einer von ihnen brüllte es. Sie hoben ihre Hände. Und der 112
andere Mann sagte bitter: »Wir sind ja nur Excowboys, die mit dem Lasso umgehen können und nicht so sehr mit dem Colt. Deshalb müssen wir ja auch Mavericks jagen und haben es nicht so einfach wie du!« Ich grinste nur freudlos und dachte: Wenn die wüssten, wie wenig einfach ich es habe. Aber dann sagte ich: »Haut ab! Wenn ich euch noch mal hier bei der Rinderjagd erwische, lasse ich euch nicht mehr laufen.« »He, was passiert dann?« Einer der beiden Kerle fragte es aufsässig. Jener, denn ich in die Schulter schoss, hockte stöhnend am Boden. Ich grinste wieder hart. »Was macht man denn mit Pferde- und Viehdieben? He, was macht man mit ihnen? Habt ihr das vergessen? Ihr seid auf Salvador-Land. Es sind Salvador-Rinder. Jetzt wisst ihr Bescheid. Beklagt euch nur nicht, wenn ihr so dumm seid und euch noch mal erwischen lasst.« Ich ritt weiter. Und ich hatte auch diesmal wieder Blut vergossen. Ich dachte an Dee Lane. Bei meiner Rückkehr würde sie mich vielleicht wieder fragen, ob ich Glück gehabt hätte. 113
Wie lange würde ich Glück haben? Und wie viel Blut würde ich noch vergießen, bevor ich mein Glück bei Salvador gemacht hatte? Ich ritt weiter. Am Abend dieses Tages kam ich nach Rosalia. Es war ein kleines Dorf zwischen zwei Mesas. Hier lebte Dolores, zu der wir damals den so schwer angeschossenen Al Sacketter gebracht hatten. Es ging ihm schon besser, sehr viel besser. Es ist erstaunlich, wie schnell sich ein todkranker Mann von der Sorte eines Al Sacketter wieder erholen konnte. Das Loch war schon recht gut verharscht. Vielleicht würde er seinen Revolverarm auch wieder einigermaßen bewegen können, sodass er nicht einarmig blieb. Er sagte: »Etwa acht Meilen von hier bauen die Leute dieses Dorfes für mich in Salvadors Auftrag die Ranch. Ich bekomme auch tausend Rinder mit meinem Brandzeichen. Es wird ein Schaukelstuhl sein, ja, ein stilisierter Schaukelstuhl. Ha, das schien mir symbolisch, als ich mir das Brandzeichen ausdachte.« Er lachte zufrieden. Und auch Dolores nickte vergnügt. Dann ließ sie uns allein, um Essen zu machen. 114
Ich saß am Fenster dicht bei Al Sacketters Krankenlager, trank ab und zu einen Schluck aus dem Glas, welches Dolores mir füllte, rauchte eine leichte Zigarre und sah manchmal durch das Fenster auf das Mesa-Land im Osten. Dort also würde Al Sacketter seine Ranch bekommen für treue Dienste. Dort war die Grenze nach Osten und Norden von Salvadors Land. Ich begann von den Städtebauern am Green Creek im Green Valley zu erzählen. Und ich endete mit den Worten: »Al, gib mir einen Rat. Was soll ich tun, wenn sie immer noch dort sind und weitergemacht haben? Was soll ich tun, wenn sie meine Warnung nicht beachteten? Gib mir einen Rat, Al.« Er saß halb und lag halb im Bett. Auch er konnte durch das Fenster zu den Mesas hinblicken, dorthin, wo man ihm eine Ranch baute und bald Rinder mit seinem Brandzeichen auf der Weide stehen würden. Er hob den Arm seiner gesunden Schulter und deutete hin. »Ich kann dir nur sagen, was ich immer die ganze Zeit getan habe, solange ich für Salvador ritt«, sagte er dann langsam. Und er wartete nicht auf eine Entgegnung von mir, sondern sprach weiter: »Ich trat stets treu und absolut zuverlässig für seine Interessen ein – auch wenn diese nicht vom Gesetz 115
gedeckt wurden. Für mich war Salvador stets das Gesetz. Jawohl! Was für ihn gut war, das würde auch für mich gut sein, so dachte ich immer und handelte danach. Ja, ich habe für ihn gekämpft, Blut vergossen und getötet. Ich half ihm, sich sein Reich zu erhalten. Sicher, es war zuerst keine leichte Entscheidung. Mir ging es nicht viel anders als dir. Es handelte sich damals darum, für Salvador die Rechte an einer alten Silbermine zu vertreten. Damals musste ich mich so ähnlich entscheiden wie du. Es war schwer. Ich machte mir danach auch Gewissensbisse. Doch das ist schon vergessen. Ich habe ausgesorgt.« Er verstummte zufrieden. Ich wusste nicht, ob ich ihn beneiden, bemitleiden oder gar verachten sollte. Denn was er mir riet, war, dass ich zu Salvador hielt und für ihn die Revolverarbeit verrichtete, die nun mal notwendig war, um ihm sein Kingdom zu erhalten, sein Königreich. Ja, ich musste ihm ein getreuer Vasall sein. Dann würde ich später mal belohnt werden wie Al Sacketter – oder eines Tages für ihn sterben wie Dee Lanes Mann. Ich musste mich in zwei oder drei Tagen entscheiden, wenn ich zurückgeritten kam ins Green Valley, wo sie eine Stadt gründeten. Ich konnte nicht kneifen. 116
Wir redeten noch über viele Dinge. Später brachte Dolores dann das Essen. Wir saßen bei Al Sacketter am Bert. Dolores fütterte ihn. Sie liebten sich sehr, das sah man ihnen an, wenn sie sich betrachteten und mit Blicken oder einem Lächeln stumme Zwiesprache hielten. Ja, Al Sacketter war glücklich. Er hatte es geschafft. Dass er für Salvador kämpfte, Blut vergoss und tötete, dies hatte er schon so gut wie vergessen. Jedenfalls belastete es ihn wenig. Und was ihm möglich war, dies sollte doch wohl auch mir möglich sein. So dachte ich. Und ich machte mir damit Mut. Das war noch leicht. Denn die Entscheidung war ja erst in zwei oder drei Tagen fällig.
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8 Ich ließ mir Zeit, und ich ritt immer langsamer, als ich mich am dritten Tag nach meinem Besuch bei Al Sacketter dem Creek im Green Valley näherte. Als ich dann über die letzte Hügelkette kam und freie Sicht hatte, sah ich Hurtado de Salvador bei der »Arbeit«. Ja, es war Salvadors Sohn Hurtado, den ich die ganze Zeit – auch auf Salvadors Hazienda – nicht mehr gesehen hatte. Nun aber sah ich ihn. Er war also wieder mit einigen Begleitern unterwegs, so wie damals. Es waren andere Männer, denn damals verlor er sie ja alle bis auf einen im Kampf gegen ein Apachenrudel, das sich an ihm zu rächen versuchte. Hurtado und dessen Burschen machten es rau dort unten. Sie hatten auch schon mit ihren Colts heißes Blei verteilt. Ich sah Pferde und Maultiere erschossen am Boden, auch einen Mann, um den einige Frauen hockten. Einige Hütten und Wagen brannten. Hurtados Reiter waren nun dabei, mit Äxten das Wasserrad zu zerschlagen.
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Hurtado ritt indes dort unten umher wie ein Feldherr auf dem Schlachtfeld nach gewonnener Schlacht. Ja, er fühlte sich ganz offensichtlich großartig. Er hatte diese Siedler und Städtebauer so richtig klein gemacht und war immer noch dabei. Ich zögerte. Was sollte ich tun? Hatte er mir nur die Arbeit abgenommen? Oder war es anders? In mir war ein Widerstreit von Gefühlen. Verdammt, warum? Wenn Hurtado nicht dort unten eingegriffen hätte, würde ich diesen Leuten Beine gemacht haben. Das wäre mein Job gewesen. Denn ich war Salvadors Reiter. Ich kam mit dem Widerstreit meiner Gefühle nicht zurecht. Doch ich begriff, dass ich mich nicht davonschleichen konnte. Ich musste hinunter. Schon ohne Verdruss dort unten wäre ein Zusammentreffen mit Hurtado gewiss nicht ohne Probleme gewesen. Jetzt aber konnte ich mir an einem einzigen Finger abzahlen, dass ich Ärger mit ihm bekommen würde. Doch das musste ich hinter mich bringen. Er stand in der Rangordnung unter mir. Ich trug Salvadors goldenes Abzeichen am Hut, er nicht. Er war nur Salvadors Sohn, und er würde meine Befehle ausführen müssen. 119
Ich ritt also hinunter. Bald schon sahen sie mich kommen. Und Hurtado erkannte mich sofort. Ich sah es an der Art, wie er sein Pferd herumzog und mich lauernd im Sattel erwartete. Er sah mir starr entgegen. Seine Begleiter, die überall verteilt waren und noch zerstörten, bestraften, ein Exempel statuierten, die verhielten jetzt in ihrem Tun und beobachteten. Auch die Siedler und Städtegründer sahen zu mir her. Und dann hielt ich dicht vor Hurtado an, sodass ich leise genug sprechen und niemand uns zuhören konnte. Er grinste böse und voller Feindschaft. »Ist das dein Job?«, fragte ich ihn. Und setzte hinzu: »Wer gab dir den Auftrag für diesen Überfall?« Er grinste böse. »Ich bin Salvadors Sohn«, sagte er. »Und dies alles ist mein Erbe. Ich stehe zwar in der Rangordnung unter euch, denn ich bin noch kein SalvadorStellvertreter, nur sein Sohn, dem er noch nicht viel zutraut, weil ich mal einige Fehler machte. Aber heute habe ich keinen Fehler gemacht, heute nicht. Heute habe ich bestimmt ganz und gar in Salvadors Sinn gehandelt, als ich mit meiner Mannschaft 120
eingriff. Denn du hast versagt, du, Cass Spade! Du hättest diese Narren schon vor einigen Tagen zum Teufel jagen müssen.« Er verstummte anklagend. Ich dachte nach, und ich kam zu der Erkenntnis, dass ich beobachtet worden war. Hurtado hatte mir nachspionieren lassen. Aber was hatte ich denn von ihm erwartet? Er war mein Todfeind. »Ich werde meinem Vater melden, dass du nicht hart genug bist und seine Interessen nicht konsequent genug vertrittst«, sprach er weiter. »Dann schmeißt er dich raus. Und dann ist für mich die Jagd auf dich wieder frei. Spade, du hast es vielleicht noch nicht begriffen, doch du bist immer noch am Sterben. Du stirbst nur langsam, so langsam, dass du es gar nicht merkst. Doch ich bin immer noch hinter dir her. Du stirbst langsam, Spade.« Sein Hass prallte gegen mich. Und ich begriff, wie närrisch es von mir war, bei seinem Vater diesen Job anzunehmen. Ich sagte: »Hurtado, mach deine Ohren auf. Ich sage es dir nur einmal. Nimm deine Hombres und verschwinde. Verschwinde schnell mit ihnen! Sonst packe ich dich an den Ohren! Verstanden?« In seinen Augen war einen Moment lang der Ausdruck von Unsicherheit. 121
Aber dann bekam der böse Hass wieder die Oberhand. »Ich bin El Toro Francisco de Salvadors Sohn«, sagte er. »Mein Vater wird mir mehr glauben als einem hergelaufenen Sattelstrolch…« »… dem du das Leben verdankst«, unterbrach ich ihn, denn ich wollte ihm etwas von seinem Hass nehmen und ihn zum Nachdenken bringen. Ja, ich erinnerte ihn daran, dass die Apachen ihn damals ohne mein Eingreifen umgebracht hätten. Es war sonst nicht meine Art, jemanden an erwiesene Wohltaten oder irgendwelche Dienste zu erinnern. Doch ich hatte eine schwache Hoffnung, seinen Hass dämpfen zu können. Er erwiderte nichts, starrte mich nur an und schluckte mühsam, so, als müsste er einen Stein schlucken. Dann wandte er sein Pferd und ritt davon. Er winkte wortlos seinen Begleitern. Es waren wieder fünf, und es handelte sich auch bei ihnen um junge Burschen aus irgendwelchen Dörfern jenseits der Grenze. Sie alle waren mexikanischer Abstammung. Nur solche Burschen brachten ihm die verlangte Bewunderung und den notwendigen Respekt entgegen als El Toros Sohn. Es war gewiss leicht für ihn, immer wieder solche Gefolgsleute zu finden. Wahrscheinlich war das im Sinne seines Vaters. Sein 122
Sohn sollte selbstständig werden und daran gewöhnt werden, Reiter zu führen. Er durfte Fehler machen, Dummheiten begehen und sollte sich austoben, reifen, lernen. Dies war die Art der Herrensöhne. So ließen wahrscheinlich all die stolzen Hidalgos ihre Söhne reifen, bevor sie ihnen endlich ernste Aufgaben übertrugen. Ich sah ihm nach, wie er mit seinem Anhang abzog. Ja, dieser Hurtado lebte wie der Sohn eines Feudalherren. Und damit sein Erbe erhalten blieb, mussten Reiter wie Al Sacketter, John Hannagan und ich für Salvador kämpfen, Blut vergießen und auch töten. Mir kam das alles in diesem Moment klar zum Bewusstsein. Ich ritt hinüber zu dem zerschlagenen Wasserschöpfrad, bei dem sich alle anderen Menschen hier sammelten – bis auf jenen leblos am Boden liegenden Mann, bei dem nur noch eine Frau hockte, wahrscheinlich seine eigene. Aber alle anderen Leute kamen zum zerstörten Schöpfrad. Als ich bei ihnen mein Pferd verhielt, sahen sie sich nach mir um, blickten sie zu mir empor. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich bekam kaum die Zähne auseinander. 123
Aber dann sagte ich doch: »Warum habt ihr nicht auf mich gehört? Warum seid ihr nicht weitergezogen? Ich sagte euch doch, dass ihr hier nicht bleiben könnt. Wenn Salvadors Sohn nicht gekommen wäre, hätte ich euch jetzt Beine machen müssen. Warum begreift ihr das nicht?« Sie starrten mich an und schwiegen. Erst nach einer Weile trat der Mann aus ihrer Mitte vor, der schon vor Tagen ihr Sprecher gewesen war und deshalb wahrscheinlich ihr Anführer sein musste. Er sagte zu mir empor: »Das war Landfriedensbruch und Mord. Verstehen Sie, Revolvermann? Das war Mord! Dieser junge Salvador ist verrückt. Er gebärdete sich wie der Sohn eines mittelalterlichen Despoten. Solche Leute würden in Tennessee und anderen Staaten aufgeknüpft. Und eines Tages, wenn wir hier eine Stadt sind mit einer verwaltenden Ordnung und Gerichtsbarkeit, dann werden wir ihn – sollte er sich dann hier blicken lassen – von unserem Sheriff verhaften lassen und vor ein Gericht bringen. Verstehen Sie?« Er fragte es hart, und ich staunte über seine Härte. Er war ein unbewaffneter Mann. Auch alle anderen Männer waren wie er. Sie hatten sich von einem Rudel wilder Burschen zurechtstutzen und demütigen lassen. 124
Dennoch sprachen sie jetzt immer noch davon, hier eine Stadt zu gründen. Sie wollten immer noch nicht aufgeben, ja, sie wollten sogar eine verwaltende Ordnung und eine Gerichtsbarkeit schaffen. Ich staunte. Und dann wurde mir klar, wie stark ihr Mut und ihr Wille sein mussten. Sie würden nicht aufgeben. Und beim nächsten Mal würden sie vielleicht sogar kämpfen. Ja, sie würden sich dazu durchringen. Sie waren die Bürgerschaft einer Stadt in Tennessee, die von einem Bergrutsch vernichtet worden war. Sie hatten hier neu angefangen und ließen sich gewiss nicht vertreiben. Ich wandte mein Pferd und ritt davon. Es war doch nicht so einfach, für Salvador zu reiten. Was würde ich tun? Zwei Tage später kam ich … nein, diesmal kam es mir nicht wie eine Heimkehr vor. Und so konnte ich nicht sagen, dass ich zwei Tage später heimgeritten kam. Nein, wie damals, als ich mit John Hannagan zurückgeritten kam, war es nicht – obwohl mich Dee Lane auch diesmal wieder erwartete und mir ein gutes Essen zubereitete, indes ich mich wusch, rasierte und frisches Zeug anzogt 125
Sie hatte mich mit einem Kuss begrüßt, war aber schnell zurückgewichen, so, als ob sie befürchte, dass ich sie festhalten würde. Doch ich tat es nicht. Dann saßen wir uns gegenüber. Sie aß mit mir, und ihr Blick war forschend. Ich überlegte noch, wie ich ihr alles sagen wollte, was mich bedrückte. Denn dass ich ihr alles erzählen würde, stand für mich fest. Sie sah mir wohl alles an oder spürte es mit dem feinen Instinkt einer Frau. Denn sie sagte plötzlich zwischen zwei Bissen: »Erzähl es mir ganz einfach, so wie du es siehst. Ja, wir haben hier schon gehört, dass Hurtado dich bei Don Francisco schlechtgemacht hat. Du sollst am Green Creek ein Versager gewesen sein. Er musste eingreifen, um deinen Fehler zu bereinigen. Doch Don Francisco glaubte ihm nicht. Er sagte ihm, dass er noch zu jung und nicht erfahren genug wäre, um die Situation richtig beurteilen zu können. Es wird auf deinen Bericht ankommen, Cass. Und lass dir nichts anmerken, dass du gewarnt bist. Sonst wirft Don Francisco seine Wirtschafterin hinaus, die mir alles erzählen konnte, weil sie lauschte. Verstehst du?«
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Ich nickte nur kauend, und obwohl das Essen vorzüglich war und ich großen Hunger hatte bei meiner Ankunft, verspürte ich keinen Appetit mehr. Ich begann Dee alles zu erzählen. Sie hörte schweigend zu, doch wenn sie mich ansah, konnte ich erkennen, dass sie ganz auf meiner Seite war und mit mir fühlte. Ich endete mit den Worten: »Es ist nicht einfach, für Salvador zu reiten. Man muss ihm wohl mit Leib und Seele ergeben sein und die Dinge stets so sehen wie er. Dee, ich fürchte, ich bin ihm nicht so ergeben, wie es nötig wäre, um die Dinge so zu sehen wie er.« Sie nickte. »Meinem Mann ging es auch so«, sagte sie. »In dieser Hinsicht seid ihr euch sehr ähnlich – ebenfalls ähnlich, muss ich wohl sagen. Denn schon äußerlich gleicht ihr euch im Typ. Aber er wollte die große Chance nicht ausschlagen, die Salvador ihm bot.« Ich nickte, und ich dachte an Al Sacketter und Dolores, die bald eine schöne Ranch besitzen würden. Ein Junge kam herein, nachdem er geklopft hatte. Er sagte, dass ich zum Patron kommen solle. Und so ging ich bald darauf zu El Toro Francisco de Salvador. Mir war nicht besonders wohl in meiner Haut.
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Denn ich wusste immer noch nicht, wie ich mich entscheiden sollte. Und wenn ich gewusst hätte, wie ich mich entscheiden sollte, nun, dann stand immer noch nicht fest, wie ich mich entscheiden würde. Denn es ist ja manchmal so bei den Menschen, dass sie mitunter genau wissen, was sie tun sollen, aber dann ganz entgegen diesem Wissen das Gegenteil tun. Er erwartete mich schweigend, nickte kaum als Erwiderung meines Grußes. Er wirkte auf mich wie ein Kampfstier kurz vor dem Angriff. Ich erstattete Bericht. Und ich verschwieg nichts. Obwohl ich wenige Worte machte, berichtete ich alles so, dass er sich ein genaues Bild machen konnte. Solche Berichte hatte ich auch als Armeescout machen müssen. Deshalb fiel es mir leicht. Als ich fertig war, erhob er sich hinter seinem alten Schreibtisch, der damals auch dem König von Spanien gut genug gewesen wäre. Er begann im Raum umherzuwandern. Obwohl er fast so alt war, um mein Vater sein zu können, bewegte er sich geschmeidig und leicht. Plötzlich wandte er sich mir zu. »Reite morgen wieder hin und jage sie zum Teufel – endgültig!« Er sagte es hart und entschieden. Es war ein Befehl. Und er fügte noch härter hinzu: »Ich 128
will nicht noch einmal erleben, dass ein noch recht unerfahrener Junge wie Hurtado Männerarbeit erledigen muss, nur weil meine Stellvertreter nicht konsequent genug sind. Wenn sie auf meinem Land eine Stadt gründen wollen, dann müssen sie mich um Erlaubnis bitten und mit mir einen Vertrag machen. Anders geht es nicht. Sonst müssen sie verjagt werden. Denn wenn wir ihnen das durchgehen lassen, kommen bald noch mehr. Also, du reitest morgen wieder hin und erledigst das. Verstanden?« Er sah mich fest an. Und ich wusste, er forderte nun meine völlige Unterwerfung, mein absolutes Übergehen auf seine Seite. Ich sah ihn an und hörte mich fragen: »Wie ist das mit der Schenkung wirklich? Hat die amerikanische Regierung diese alte Schenkung anerkannt oder nicht? Don Francisco, sind Sie dort drüben auf der anderen Seite der Grenze überhaupt rechtmäßiger Besitzer des Landes oder …« Ich sprach nicht weiter. Es war auch nicht nötig. Er ging wieder umher und hielt plötzlich inne. »Dieses Land dort drüben«, sagte er, »gehörte immer den Salvadors. Die Rinder vermehrten sich wie Kaninchen. Grob geschätzt sind es gewiss mehr als hunderttausend Rinder, die ich jenseits der 129
Mexiko-Grenze auf amerikanischem Territorium stehen habe. Und jedes Jahr werden diese Rinder zahlreicher, steigt ihr Wert. Dieses Jahr zahlt man in Kansas schon dreizehn Dollar für jeden Stier. Im nächsten Jahr wird man vielleicht siebzehn oder gar zwanzig Dollar zahlen. Ich will dieses Land mit seinen Rindern und den Weideflächen noch lange halten. Verstehst du?« Ich nickte. O ja, ich verstand ihn. Aber zugleich begriff ich auch, dass er ein Pirat war. Die Rinder hatten sich ohne sein Zutun vermehrt. Er hatte nur immer das Land bewachen lassen. Jahrelang waren die Rinder nichts wert. Denn es gab keine Absatzmärkte. Doch jetzt war alles anders. Sein Vermögen an Rindern wuchs mit jedem Jahr ins Ungeheure. Es gab kein Gesetz hier. Die Armee wurde nicht einmal mit den wilden Apachen fertig. Ein Mann wie Salvador war in diesem Gebiet immer noch der absolute Herrscher. Durch Männer wie Al Sacketter, John Hannagan und mich konnte er das sein. Und wenn ich sein Stellvertreter bleiben wollte, dann musste ich am nächsten Tag noch einmal ins Green Valley und an den Green Creek, um die Leute dort endgültig zu vertreiben. 130
Konnte ich das? Ich sah ihn an und erkannte, dass er die Entscheidung von mir auf der Stelle verlangte. Er forderte meine Treue bis in die Hölle und zurück. Ich hörte mich leise stöhnen. Denn ich begriff, dass ich jetzt meinen guten Job verlor und nie mein Glück machen konnte wie Al Sacketter. Nein, auf diese Weise konnte ich mir nicht so wie Al Sacketter eine schöne Ranch verdienen und als Vasall an Salvadors Grenze leben. Nein, so ging es nicht. Ich konnte es nicht. Es war mir möglich, Rinderdiebe, Apachen und Banditen für Salvador zu bekämpfen. Doch diese Städtegründer am Green Creek konnte ich nicht vertreiben. Ich wusste, dass ich dann Blut vergießen und töten musste. Und sie waren keine Diebe, keine Banditen, keine Apachen, die mein Leben bedrohten. Nein, sie wollten nichts anderes als eine Stadt gründen. Ich sah Salvador an und schüttelte den Kopf. »Nein, Don Francisco, ich kann Ihnen nicht länger mehr als Reiter treu sein. Es geht nicht. Ich könnte die Leute dort am Creek nicht vertreiben mit meinem Colt. Es sind friedliche Leute. Nein, ich kann nicht mehr Ihr Reiter sein.« Er sah mich an und nickte.
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»Dann reite fort«, sagte er. »Reite aus meinem Land. Du darfst dir außer dem Sattelpferd noch drei andere Tiere mitnehmen. Für das, was mein Sohn dir antat und dafür, dass du ihm dann das Leben gerettet hast, als die Apachen ihn schon hatten, gebe ich dir einen Beutel mit Goldstaub im Wert von etwa tausend Dollar. Dann sind wir quitt, ja?« Ich sah ihn an und nickte. »Ja, Don Francisco, dann sind wir quitt«, erwiderte ich. »Doch halten Sie mir Hurtado vom Leib, bis ich aus dem Land bin. Ich reite in einer Stunde. Gut so?«
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9 Ich brauchte Dee Lane nicht viel zu sagen. Sie hatte wahrscheinlich schon damit gerechnet, dass ich mit Salvador fertig sein würde und wieder reiten müsste. Sie sah mich lange an. Dann sagte sie: »Ich wünschte mir damals, dass mein Mann auch so gehandelt hätte wie du jetzt. Vielleicht würde er dann noch leben. Aber er hatte sich für Salvador entschieden. Cass, ich achte dich. Ich achte dich sehr. Aus uns beiden hätte etwas werden können, ein Paar, meine ich damit. Aber ich kann nicht mit dir gehen. Es ist zu früh. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich meinen Mann vergessen und dich allein lieben könnte, Cass. Es geht noch nicht. Ich kann nicht mit dir gehen.« Sie verstummte herb, und sie war meiner Frage mit ihrer Antwort zuvorgekommen. Sie hatte in meinen Augen alles erkannt und mit ihrem Instinkt zugleich auch alles gespürt. Ja, es war zu früh für uns. Wir hätten uns noch länger kennen müssen. Wir wussten noch zu wenig voneinander. Und die Erinnerung an ihren Mann war noch zu stark in ihr. 133
Ich hatte zurzeit kein Glück. Aber ich versuchte es noch einmal. »Komm mit mir«, sprach ich und streckte meine Hände aus. Doch sie wich zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, so schnell kann ich mich nicht entscheiden«, sagte sie. »Es ist zu früh. Vielleicht wäre ich in einigen Wochen mit dir gegangen. Ich bin kein junges Ding mehr, sondern eine ziemlich misstrauische Frau, die einige Zeit auf rauen Wegen wanderte und fast den Glauben an die Welt verlor. So schnell geht das nicht mit mir. Ich werde dir Proviant in zwei Satteltaschen packen.« Nach diesen letzten Worten ging sie, und es war wie eine Flucht. Ich begriff, dass sie Angst hatte, doch noch mit mir zu gehen, wenn wir noch eine Weile zusammen in meinem kleinen Adobehaus waren. Drüben im großen Gästehaus der Hazienda war ihr Reich. Dort würde sie sich wieder sicherer fühlen. In mir war Bitterkeit. Doch dann ging ich daran, meine Sattelrolle zu schnüren. Ja, ich würde mir außer dem Sattelpferd noch drei andere Tiere mitnehmen. Das war mein gutes Recht, denn Hurtado hatte ja meine Tiere erschossen.
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Ich würde auch das Säckchen mit dem Goldstaub annehmen. Denn Hurtado hatte mir Schmerzen zugefügt. Einige Narben würden mich bis zum Ende meines Lebens daran erinnern. Und den Marsch als nackter Mann konnte ich ebenfalls nie wieder vergessen. Dennoch würde ich quitt sein mit Salvador. Wenn er mir nur Hurtado vom Leibe hielt. Ich ritt langsam und sah nicht zurück. Die drei ledigen Pferde hatte ich an einer Leine. Es waren ungebrannte und erst frisch zugerittene Mustangs, so wie es ja meine Tiere auch gewesen waren. Der Beutel mit dem Goldstaub wog schwer in meiner Tasche. Ich hätte ihn leeren und seinen Inhalt in mehrere kleinere Behälter oder Beutel aufteilen sollen. Ich wusste noch nicht, wohin ich reiten sollte. Vorerst wollte ich nur über die Grenze auf amerikanisches Territorium zurück. Vielleicht würde ich dann versuchen, ob mir jemand in Nogales die drei Pferde abkaufte. Indes ich so ritt, überdachte ich noch einmal alles. Und manchmal kam mir auch die Idee, noch einmal Al Sacketter zu besuchen. Vielleicht hätte mir eine Aussprache mit ihm geholfen. Er hatte ja schon
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versucht, mir durch seine Auffassung der Dinge Lebenshilfe zu geben. Manchmal dachte ich auch an Hurtado. Irgendwie verspürte ich dann stets ein warnendes Gefühl meines Instinktes. Ich konnte nur hoffen, dass Salvador mir seinen Sohn vom Leibe hielt. Denn eines war klar: Solange ich ein Reiter seines Vaters war – einer seiner Stellvertreter –, war ich für Hurtado tabu gewesen. Aber jetzt musste ich für ihn ja geradezu vogelfrei sein. Sein Hass würde ihn zu dieser Denkweise zwingen. Ja, hoffentlich hielt Salvador seinen Sohn jetzt einige Tage unter Kontrolle. Ich ritt den ganzen Tag, machte dann für die Nacht eine Pause und ritt bei Sonnenaufgang weiter. Ich hielt die Augen auf und hielt immer wieder an, um das Land zu beobachten. Doch ich sah nichts, was mir Sorgen bereiten konnte. Überall waren Salvadors Rinder. Ich sah manchmal Siedlungen, Dörfer, Pfade. Menschen ritten oder fuhren auf den Wegen und Pfaden. Als ich die Post- und Wagenstraße einige Meilen weit neben mir hatte, sah ich einen Wagenzug, der 136
nach Süden fuhr. Später dann holte ich einen Wagenzug ein, der nach Norden unterwegs war. Beide transportierten sie Waren in entgegengesetzte Richtungen. Aber das war natürlich. Aus Mexiko kamen vor allen Dingen Gewürze, Teppiche, Stoffe, Silberwaren. Aus amerikanischen Territorien kamen Pflüge, Werkzeuge, Waffen, Fallen für die Jagd und technische Dinge. Diese beiden Warenströme begegneten sich sozusagen im Gegenverkehr. Und sie mussten den Green Creek entlang durch das Green Valley, wo eine Stadt entstehen sollte. Ihre Lage war gut gewählt. Ich musste immerzu an die Leute dort denken. Ihretwegen hatte ich den besten Job meines Lebens aufgegeben. Wegen ihnen hatte ich meinem Gewissen gehorchen müssen. Ob sie noch dort waren, wo sie ihre Stadt bauen wollten? Oder gaben sie inzwischen auf? Wie entschlossen und mutig waren sie? Was sich in mir regte, war mehr als Neugierde. Ich wollte plötzlich wissen, ob mein Entschluss, bei Salvador aufzuhören, richtig war. Denn wenn diese Städtegründer jetzt doch fortzogen, dann hätte ich auch bei Salvador bleiben können. Ich musste es wissen. Und so war Green Creek, wie sie ihre entstehende Stadt nannten, mein Ziel. 137
Da ich ja ohnehin nach Norden wollte, war es kein großer Umweg. Ich folgte jedoch nicht der Wagenstraße, sondern nahm einige Abkürzungen durch die Hügel. Sie waren noch da. Es war am Nachmittag des zweiten Tages, als ich wieder jenen Platz erreichte, von dem aus ich zum ersten Mal die Leute dort unten beim Bau ihrer Stadt beobachtet hatte. Ja, sie waren noch da und emsig bei der Arbeit. Vor allen Dingen mühten sie sich beim Wasserrad, das ja so wichtig war, weil es Tag und Nacht Wasser aus dem Creek in ein Bewässerungssystem schöpfte. Das Rad begann sich plötzlich wieder zu drehen. Ich sah es deutlich. Die Leute dort beim Rad jubelten. Sie warfen Arme und Hände hoch, schwenkten Hüte und sprangen freudig umher. Sie hatten also das wichtige Schöpfrad reparieren können. Hurtados Begleiter waren offenbar bei der Zerstörung nicht gründlich genug zu Werk gegangen. Und sie hatten nicht genügend bedacht, dass diese Städter allesamt in ihrem Fach gute Handwerker waren, die auch stark beschädigte Dinge wieder reparieren konnten.
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Ich freute mich. Ja, es war ein gutes Gefühl in mir. Die Leute dort unten machten also weiter. Sie gaben nicht auf. Aber was würden sie tun, wenn Salvador jetzt einen neuen Mann schickte? Ich wusste, dass er außer Al Sacketter, John Hannagan und mir fast noch ein halbes Dutzend weiterer »Stellvertreter« hatte. Einige lernte ich kennen. Sie kamen dann und wann ins Hauptquartier, bekamen neue Anweisungen und ritten wieder. Jeder hatte sein Gebiet, seinen Sektor. Wahrscheinlich würde Salvador jetzt John Hannagan schicken. Und Hannagan würde dann tun, was ich nicht zu tun bereit war. Gegen den Revolvermann John Hannagan hatten die Leute dort unten keine Chance. Er konnte ein halbes Dutzend von ihnen umbringen, bevor sie überhaupt richtig begriffen, was geschah. Ich wollte mein Pferd herumziehen, um ungesehen fortzureiten. Doch dann hielt ich in der Bewegung inne. Durfte ich fortreiten? Konnte ich das vor mir selbst verantworten? Diese Fragen stellte ich mir. Dabei erschrak ich. Oha, ich erschrak höllisch. Es war in mir wie ein Messerstich. Denn zugleich kam
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auch die Erkenntnis, dass ich – wenn ich bleiben würde – kämpfen musste. Verdammt, ich saß schon wieder in der Klemme. Was war denn nur mit mir los? Wollte ich plötzlich ein Wohltäter der Menschen werden? Wollte ich diese verdammte Welt verändern, besser machen? War es nicht besser für mich, meines Weges zu reiten und mich nur um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern? Ich kam mir wie ein Narr vor. Denn ich würde ein Narr sein, wenn ich blieb. Ich wusste plötzlich, dass ich auch gegen John Hannagan kämpfen würde, sollte dieser kommen und Salvadors Befehle ausführen – Befehle, die ich nicht auszuführen bereit war. Wenn ich nicht völlig von allen guten Geistern verlassen war, dann machte ich jetzt die Fliege. Ich wollte also mein Pferd endgültig herumziehen und mir die drei anderen Tiere holen, die ich ein Stück zurück angebunden hatte. Und abermals verhielt ich im Ansatz der Bewegung. Dennoch sah ich etwas aus dem Augenwinkel. Es kamen Reiter. Und es war wieder Hurtado de Salvador, der giftige Sohn von El Toro Don Francisco. Heiliger Rauch, was würde er tun? 140
Aber das brauchte ich doch gar nicht zu fragen. Er kam, um sich nützlich zu machen, um seinem Vater zu beweisen, dass er auch schon als sein Stellvertreter reiten konnte. Er kam gewiss auch, um sich sein Erbe zu erhalten. Denn er war nun einmal der Auffassung, dass dies hier zu seinem Erbe gehörte, das ihm früher oder später als Salvadors Sohn zufallen musste. Ich wusste also genau, warum Hurtado kam und was er tun wollte. Es gab keinen Zweifel. Deshalb konnte ich nicht fortreiten. Nein, es ging nicht. Ich nannte mich in Gedanken einen verdammten Narren. Und ich wusste, dass ich mir einen höllischen Verdruss einhandeln würde. Und dennoch konnte ich den Dingen nicht den Rücken kehren. Ich zog also mein Pferd nicht herum, um fortzureiten. Nein, ich wartete. Und ich hoffte, dass Hurtado den Leuten dort unten nichts tun würde. Ich betete fast zum Himmel, so sehr wünschte ich es mir. Doch Hurtado und seine Begleiter ritten genau auf das sich wieder drehende Schöpfrad am Creek zu. Sie ritten herausfordernd, großspurig, ganz und
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gar wie eine Revolvermannschaft, die beim geringsten Anlass die Hölle loslassen würde. Ich sah auf die Leute aus Tennessee. Würden sie zu den Waffen greifen? Sie mussten doch Waffen haben. In diesem Land, in dem noch die wilden Apachen streiften und alle Weißen zu töten versuchten, deren sie nur habhaft werden konnten, musste man Waffen besitzen. Ich sah, dass einige Männer Gewehre aufnahmen und sich zu einer Gruppe formierten. Hinter dieser bewaffneten Gruppe liefen die Frauen und Kinder zusammen, die Alten und auch die Halbwüchsigen, die noch nicht kämpfen konnten. Nun war klar, dass es einen Kampf geben würde. Diese Leute aus Tennessee würden kämpfen. Hurtados Reiter schwärmten aus. Ich sah, wie sie schon ihre Revolver zogen. Da konnte ich nicht mehr anders. Ich gab meinem Pferd die Sporen und ritt an. Dabei stieß ich einen scharfen Ruf aus. Es war ein wilder Schrei. Hurtado hörte ihn. Sie alle hörten ihn. Und sie sahen in meine Richtung, erkannten mich sicherlich auch bald schon. Dann riss Hurtado de Salvador sein Pferd herum. An seinen Armbewegungen erkannte ich, dass er seinen Reitern einen Befehl zurief. Denn auch sie 142
hatten ihre Tiere herumgerissen. Sie wollten mit ihm reiten. Doch er wollte das nicht. Er schickte sie gegen die Städtegründer und kam mir allein entgegen. Dieser Junge war verrückt vor Hass. Er überschätzte sich, und sein Ehrgeiz, seinem Vater zu zeigen, dass auch er das Zeug zu einem Stellvertreter hatte, war heiß. Es war für ihn die Minute der Bewährung. Er wollte gewiss nicht nur seinem Hass gegen mich nachgeben – nein, es ging ihm jetzt um mehr. Mut hatte er. Feige war er nicht. Er wollte ein zweiter El Toro werden, ein Salvador sein. Als er mir nahe genug war, begann er zu schießen. Er griff mich schießend an. Eine Kugel zupfte an meinem Ärmel. Eine zweite Kugel streifte meinen rechten Oberschenkel. Er schoss gut, und er kam mir immer näher und würde vielleicht schon mit seiner dritten Kugel voll treffen. Er war ein glänzender Reiter und erstklassiger Schütze. Nein, ich konnte nicht auf seinen dritten Schuss warten. Ich schoss zurück. Und da ich angehalten hatte, schoss ich besser. Die Kugel warf ihn aus dem Sattel. Ich ritt zu ihm.
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Und als ich vom Sattel aus auf ihn nieder sah, da erkannte ich, dass er tot war. Ja, ich sah es schon vom Sattel aus. Sein Blick war starr. Er war tot. Ich hatte Francisco de Salvadors einzigen Sohn getötet. Ich behielt den Colt schussbereit in der Hand. Denn nun kamen Hurtados Begleiter. Sie hatten ihren Angriff auf die Leute beim Schöpfrad abgebrochen, denn sie sahen ja Hurtado vom Pferd fallen. Zuerst sah es so aus, als wollten sie angreifen wie Hurtado. Doch dann begriffen sie offenbar, dass sie keinen Anführer mehr hatten. Ich aber war vor kurzem noch einer von Salvadors Stellvertretern gewesen, ein Mann also, dem sie vollsten Respekt zu zollen hatten. Sie wussten, dass sie in mein heißes Blei reiten würden, machten sie so weiter. Da ließen sie es. Sie näherten sich im Schritt und steckten ihre Revolver ein. Sie kamen, um nach Hurtado zu sehen, nicht mehr, um mich anzugreifen. Die Sache war zu groß für sie geworden. Und dann hielten sie bei mir und starrten auf den Toten. 144
Sie waren völlig durcheinander, und weil sie bisher nur immer Befehle ausgeführt harten und mitgeritten waren, wussten sie jetzt nicht, was sie tun sollten. Sie ahnten nur, dass etwas von ungeheurer Tragweite geschehen war. Der Sohn des mächtigsten Mannes auf mehr als hundert Meilen in der Runde war tot. »Vielleicht wird El Toro euch bestrafen, weil ihr seinen Sohn nicht beschützen konntet«, sagte ich zu ihnen. »Wer von euch will ihn heimbringen zu Salvador? Wer von euch will ihm mit seinem toten Sohn unter die Augen treten?« Ihr Erschrecken war heftig. Und ihre Furcht konnte nicht größer sein. Sie waren junge, wilde Burschen, verwegen und kühn. Sie fühlten sich als Auserwählte, weil sie ihrer Meinung nach mit einem Fürstensohn ritten – reiten durften. Sie fühlten sich vielleicht sogar als seine Freunde und Gefährten. Nun erschraken sie. Sie benahmen sich wie wilde Jungens, die jäh erkennen mussten, dass aus einem wilden Spiel blutiger Ernst geworden war. Einer machte den Anfang. Er riss sein Pferd herum und jagte davon. Ein zweiter folgte ihm. Und diesem folgten die anderen.
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Sie ergriffen die Flucht wie vor einer Lawine, vor einem Bergrutsch oder einer Stampede. Die ganze Sache war plötzlich zu gewaltig für sie geworden. Und so ließen sie den toten Anführer zurück, weil sie sich vor seinem Vater zu sehr fürchteten. Ich saß langsam ab. Und ich seufzte. In mir war die ganze Bitterkeit der Welt, und auch ich wäre am liebsten fortgeritten in wilder Flucht. Doch ich war kein dummer, wilder Junge mehr. Ich war ein Mann. Und ich konnte nicht fortlaufen. Aber was sollte ich tun? Sollte ich Hurtado quer über sein Pferd legen und ihn zu seinem Vater bringen? Der würde mich wahrscheinlich auf der Stelle hängen, zumindest jedoch töten lassen. Als ich neben Hurtado kniete und nach seinem Puls fühlte, sogar mein Ohr auf seine Herzgegend legte, da hoffte ich noch, dass er nur bewusstlos sei. Aber er war wirklich tot. Die Leute aus Tennessee kamen herbei. Sie sahen den Toten und mich abwechselnd an. Ihr Anführer und Sprecher sagte: »Auch wir hätten auf ihn schießen müssen, auch wir. Und auch wir hätten ihn zu töten versucht. Er und seine Begleiter begingen vor einigen Tagen hier
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Landfriedensbruch und Mord. Warum griff er Sie an, Mister?« Er sah nach meinem Hut und erkannte, dass ich nicht mehr das goldene Abzeichen trug, das mich als Salvadors Stellvertreter auswies. »Ich reite nicht mehr für seinen Vater«, erwiderte ich nur. Sie nickten, als verstünden sie auch das, was ich ihnen nicht sagte, nämlich, dass mich die Selbstachtung bei Salvador aufhören und schließlich an diesen Ort hier zurückreiten ließ. Sie begriffen eine Menge von dem, was in mir war und mein Handeln bestimmte. Ich sah sie an und sagte: »Sein Vater wird eine ganze Mannschaft schicken, die euch klein macht, völlig klein macht und vernichtet. Dass ich diesen Narren töten musste, ist für euch so schlecht wie sonst nichts. Ihr müsst die Flucht ergreifen. Denn sonst müsst ihr dafür büßen, dass ich den Sohn eines Despoten töten musste. Versteht ihr?« Sie sahen mich an. Ich begriff, dass sie bleiben würden, komme, was da wolle. Sie hatten das Wasserschöpfrad wieder in Gang gebracht und hätten auch gekämpft. Sie würden immer noch kämpfen, sollte man sie angreifen.
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Es ging immer noch die gleiche unbeirrbare Beharrlichkeit von ihnen aus, die ich von Anfang an gespürt hatte. Sie waren von Tennessee weg, weil ein Bergrutsch, eine Naturgewalt, ihre Stadt vernichtet hatte. Doch von Menschen ließen sie sich nicht herumstoßen und vertreiben. Ihre Stadt würde eine mutige Stadt werden, eine Stadt mit Recht und Ordnung, in der die Kleinen die gleichen Rechte besaßen wie die Großen. Dies begriff ich plötzlich. Sie halfen mir dann, den Toten in eine Decke zu wickeln und quer über das Pferd zu legen, das jemand heranbrachte. Ich saß wieder auf. Jemand gab mir die Zügel von Hurtados Pferd. Ich sagte: »Ich bringe ihn so dicht wie möglich an Salvadors Hauptquartier heran, sodass sein Pferd dann mit ihm heimlaufen wird. Ich habe dort hinter dem Hügelkamm drei Pferde angebunden. Bitte holt sie und sorgt für sie. Ich hole sie mir. Wenn ich sie mir nicht hole, behaltet sie. Es sind ehrlich erworbene Tiere ohne Brandzeichen.« Nach diesen Worten ritt ich los. Ich konnte nicht anders. Denn dass ich Hurtado von hier fortbringen musste, war völlig klar. Und
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wenn ich ihn nahe genug zur Hazienda brachte, lief sein Pferd mit ihm das letzte Stück von selbst. Vielleicht – wenn Hurtados Begleiter sich nie wieder blicken ließen in diesem Land und sie deshalb auch niemand befragen konnte – würde Salvador nie erfahren, wie sein Sohn gestorben war und wer ihn getötet hatte. Ja, diese schwache Hoffnung hatte ich. Wahrscheinlich war sie dumm. Doch was sonst konnte ich tun? Sollte ich Hurtado vielleicht in den Hügeln verscharren, sodass er spurlos verschwunden blieb? Auch das war eine Möglichkeit. Auf jeden Fall aber musste ich ihn erst einmal möglichst weit von Green Creek wegbringen, um die Leute hier nicht zu gefährden. Dann konnte ich sie vielleicht auch vor einer erbarmungslosen Rache bewahren.
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10 Ich kam nicht weit. Dann hatten sie mich. Es war John Hannagan, der noch zwei Gehilfen bei sich hatte. John Hannagan gab mir keine Chance. Als er aus seiner Deckung ritt mit schussbereiter Waffe, da taten das rechts und links hinter mir auch seine beiden Begleiter. Ich war eingekeilt. Und jede Bewegung nach der Waffe hätte nichts anderes als meinen Tod bedeutet. Jeder von ihnen war ein Revolvermann, der mich mit der ersten Kugel schon voll treffen konnte und keinen Fehlschuss getan hätte. Wenn ich am Leben bleiben wollte, um auf eine bessere Chance zu warten, dann durfte ich keine Bewegung machen – nicht die Geringste. Sie kamen langsam näher, bis wir um den Toten eine Gruppe bildeten. John Hannagan beugte sich herüber. Mit einer Hand hielt er seinen schussbereiten Colt – mit der anderen griff er sich meine Waffe aus dem Holster. Einer seiner beiden Begleiter zog mein Gewehr aus dem Sattelholster. 150
Nun hatten sie mich. John Hannagan sah mich seltsam an. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, denn ich erkannte irgendwie Bitterkeit darin, Freudlosigkeit, zugleich aber auch Enttäuschung – und dann das Glimmen von Wut und Ärger. »Warum hast du nicht zur Waffe gegriffen, um wie ein Mann zu sterben?«, fragte er mich langsam und schwer. »Das wäre für uns alle am besten gewesen. Denn nun müssen wir dich zu Salvador bringen. Verdammt, warum hast du nicht die allerletzte Chance genutzt, schnell und wie ein Mann sterben zu können?« Ich gab ihm nicht gleich eine Antwort. Mein Mund war trocken. Die Lippen waren spröde. Ich leckte darüber. Und die ganze Zeit sah ich John Hannagan an. Mit ihm und Al Sacketter war ich geritten. Fast waren wir Freunde geworden, Sattelpartner. Gewiss, zu Al Sacketter hatte ich mich mehr hingezogen gefühlt, aber auch Hannagan hätte mein Freund werden können. Nun bedauerte er, dass er mich zu Salvador bringen musste. Mein Tod wäre ihm lieber gewesen als das, was mir bei Salvador bevorstand. Er musste sich dann sicherlich mitschuldig fühlen. Das behagte ihm nicht.
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Ich fragte: »Du dienst ihm also wie ein Hund? Ihr dient ihm wie drei Hunde, jeder für sich, Mann für Mann, ja?« Ich sah auch die beiden anderen Reiter an. Sie erwiderten meinen Blick hart und unpersönlich. Ich kannte einen nur flüchtig, den anderen sah ich noch nie. Aber auch sie trugen wie Hannagan das goldene Abzeichen am Hut, das sie als Salvadors Stellvertreter auswies. »So ist es«, sagte einer, dessen Name Hank Carradine war, wie ich wusste. »Wir reiten für ihn. Er ist nobel zu uns. Und er hat deshalb einen Anspruch auf unsere Treue. Wenn er nicht mehr der große Salvador sein kann, ist auch für uns alles vorbei und beendet. Nur ein großer Mann kann großzügig sein. Also müssen wir ihm helfen, groß zu bleiben. Warum konntest du das nicht begreifen? Ist das so verdammt schwer?« Er fragte es grimmig. Ich seufzte. Dann sagte ich: »Carradine, dir fehlt etwas. Es fehlt dir so sehr, dass ich dir nicht erklären könnte, was zwischen Salvador und mir war, was ihn und mich plötzlich trennte. Du würdest es nicht begreifen können.« Ich sah Hannagan an. »Du auch nicht, John?«
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Er wich meinem Blick aus, zog sein Pferd herum in die Richtung, in die wir reiten mussten, wollten wir zu Salvador. »Ich halte zu Salvador«, sagte Hannagan dabei, und er sah mich bei seinen Worten nicht mehr an. Ich wusste, er wollte eines Tages eine Ranch bekommen wie Al Sacketter. Und dafür wollte er alles tun, einfach alles, was von ihm verlangt wurde. Vielleicht machte es ihm eine Menge aus, mich zu Salvador zu bringen. Doch er würde mich dennoch nicht laufen lassen. Er hatte für Salvador schon zu viel getan, um jetzt aufzugeben und eigene Wege zu reiten. Er diente Salvador schon sehr lange. Vielleicht hätte auch ich Salvador nicht mehr verlassen können an Hannagans Stelle. Ich lenkte mein Pferd hinter John Hannagan her. Hinter mir folgten die beiden anderen Reiter. Einer hatte das Pferd mit dem Toten an der Leine. Verdammt, dachte ich bei mir, vielleicht wäre es für mich wirklich besser gewesen, nach der Waffe zu greifen und dabei getötet zu werden. Ich verspürte Furcht vor Salvador. Es war eine heiße Furcht. Sie stieg in mir auf wie eine Hitzewallung. Denn ich hatte seinen Sohn getötet. John Hannagan und die beiden anderen Reiter, die wahrscheinlich unterwegs waren, um Hurtado unter 153
Kontrolle zu bekommen – denn Hurtado war gewiss ausgerissen – hatten gewiss von den Hügeln aus sehen können, wie ich Hurtado tötete. Sie konnten nicht mehr eingreifen, nur beobachten und mir dann einen Hinterhalt legen. Ja, so musste es gewesen sein. Es wurde ein harter, langer Ritt. Wir blieben bis zum Sonnenaufgang im Sattel und rasteten dann während des heißen Tages zwischen schattigen Felsen. Mit der Leiche konnten wir nicht in der Tageshitze reiten. Ich hockte wie die anderen Männer herum, schlief manchmal – und lauerte immerzu auf eine Chance. Aber es gab keine. Sie hatten meine Handgelenke gefesselt und bewachten mich ständig. Ich hätte nur eine Verzweiflungstat begehen können, die mit meinem Tod geendet hätte. Eigentlich war ich wieder ein langsam sterbender Mann. Als es dann wieder Nacht wurde, ritten wir weiter. Unsere Pferde waren erholt. Die Kühle tat uns gut. Wieder ritten wir Meile um Meile zurück. Mir lag es fortwährend auf der Zunge, Hannagan und die beiden anderen Männer um ein Entkommendürfen zu bitten. Aber mein Stolz ließ dieses Bitten letztlich doch nicht zu. 154
Überdies wäre es auch völlig vergeblich gewesen. Sie brachten den toten Hurtado heim. Und es war nur gut für sie, wenn sie auch mich mitbrachten. Ich sagte irgendwann in der Nacht zu ihnen, als wir unsere Pferde einmal verschnaufen ließen: »Vielleicht jagt Salvador euch zum Teufel, weil ihr nicht verhindern konntet, was geschah. Vielleicht wirft er euch ein Versagen vor. Ihr solltet Hurtado doch gewiss einholen und heimschicken – oder?« Sie gaben mir keine Antwort. Doch ich spürte, wie sie brütend über diese Möglichkeit nachdachten. Erst nach einer langen Zeit – wir waren schon wieder gut eine Meile geritten –, sagte einer von ihnen: »Salvador kann es sich nicht leisten, gleich drei von uns …« Er sprach nicht weiter, wollte es nicht. Auch die anderen sagten nichts. Wir ritten schweigend und näherten uns Salvador mit jeder Stunde um etwa fünf Meilen. Was würde Salvador mit mir tun? Darüber dachte ich nach. Vielleicht sollte ich ihn in seiner ersten Wut so sehr reizen, dass er mich auf der Stelle erschoss. Ich würde damit wahrscheinlich meine Leiden verkürzen. Denn ich traute ihm zu, dass er mich
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sonst langsam sterben ließ. Er war ein Despot, und Despoten nehmen Rache, genießen sie. Aber ich wusste, dass ich ihn nicht reizen würde, um schnell sterben zu können. Ich war auch nur ein Mensch, der bis zum letzten Atemzug hoffte. Verdammt, was saß ich in der Klemme. Ich hatte mich im Verlauf meines Lebens in so mancher fast aussichtslosen Situation befunden, aus der es kein Entkommen mehr zu geben schien. Aber irgendwie kam ich stets davon. Diesmal aber gab es gewiss keine Chance. Es war noch nicht Tag, als wir auf müde stolpernden Pferden vor dem Durchgang zum Innenhof des mächtigen Haupthauses verhielten. Jemand von der Dienerschaft kam mit dem großen, schwarzen Hund von irgendwoher zum Vorschein. John Hannagan sagte heiser: »Pedro, du musst den Patron wecken. Los, Pedro! Lauf schnell und wecke Don Francisco!« Der schwarze Hund begann zu winseln. Es war fast ein Heulen. Er witterte wahrscheinlich die Leiche. Und Pedro, der Wächter, stand starr da. Auch er ahnte etwas. Er sah ja im ersten Morgengrauen das
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Bündel quer über dem Pferd. Er erkannte es gewiss auch als Hurtados Tier. Wir hörten ihn sagen: »Ist – ist – ist das …« Aber er brachte es nicht fertig, seine begonnenen Worte als Frage zu beenden. John Hannagan fluchte. Dann sagte er: »Du sollst ihn wecken, Pedro, nichts anderes als wecken. Verstehst du?« Er verharrte noch einige Atemzüge lang, dieser Pedro, den ich ebenfalls flüchtig kannte. Dann wandte er sich wortlos ab und verschwand im Innenhof. Der schwarze Hund aber blieb. Er hockte jetzt am Boden und jaulte kläglich. Wir warteten, blieben in den Sätteln. Mein Herz klopfte mir im Hals. Würde ich in den nächsten Minuten sterben? Die Sekunden vergingen langsam, sehr langsam, und eine einzige Minute schien uns wie eine Stunde zu sein. Denn auch die drei Salvador-Reiter, die mich gefangen hatten, warteten besorgt. Es war auch ihnen nicht besonders wohl. Sie machten sich ganz sicherlich große Sorgen. Und dann – wie nach einer Ewigkeit – kam Salvador zum Vorschein. Er erschien oben im ersten Stockwerk auf einem kleinen Balkon, der fast wie eine Kanzel wirkte, von 157
der man seitlich auf den Eingang zum Innenhof sehen konnte. »Was ist?«, fragte er kehlig nieder. »Hannagan, ich erwarte eine schnelle und knappe Meldung!« Seine Stimme klang ungeduldig – und schon etwas böse, wütend, drohend. Es war, als wollte er seinen Ritter warnen, ihm eine schlechte Nachricht zu bringen. Seine Ablehnung war wie eine Strömung. Doch John Hannagan konnte ihm das Unvermeidbare nicht ersparen. Er sagte: »Wir bringen Hurtado heim – tot. Er griff Spade an und schoss zweimal auf Spade, traf diesen jedoch nicht gut genug. Spade gab erst den dritten Schuss ab. Er traf besser. Hurtado muss sofort tot gewesen sein. Wir bringen ihn heim. Und wir nahmen Spade gefangen. Hier ist er. Das ist alles, Don Francisco.« John Hannagans Stimme klang hart und fest. Es war in ihr keine Unsicherheit mehr. John Hannagan war ein harter Bursche. So sehr er sich auch vor dieser Minute gefürchtet haben musste, jetzt stand er sie durch wie ein furchtloser Mann. Und El Toro Francisco de Salvador stand oben auf dem Balkon, hielt die Eisenstäbe des kunstgeschmiedeten Brüstungsgitters umklammert und schwieg. Im Morgengrauen starrten wir alle zu ihm empor, und 158
wir sahen, wie der Grimm und der Schmerz ihm die Kiefer zusammenpressten wie im Krampf. Er konnte seinen Mund vorerst nicht aufmachen, weil er sonst gebrüllt haben würde wie ein schwerverwundeter Kampfstier. Erst nach einigen Atemzügen brachte er die Zähne auseinander und sagte zu uns nieder: »Bringt Hurtado in die Halle. Bringt ihn herein, damit wir ihn aufbahren können, wie es ihm, meinem Sohn, zukommt.« Er machte eine kleine Pause, saugte Luft ein, verharrte mit geballten Fäusten und starrte auf mich nieder. »Spade, du hast meinen Sohn getötet«, sagte er dann langsam. »Was hast du dazu zu sagen?« Ich hörte seine Frage, und ich wusste, dass meine Antwort unwichtig war für seine Entscheidung. Sein Urteil über mich stand schon fest. Er fragte mich nur, um mir dann zeigen zu können, wie wenig ihn das, was ich auch sagen würde, von seinem schon gefassten Urteil abbringen konnte. Ich sagte aber dennoch: »Er schoss zweimal auf mich und verwundete mich beide Male leicht. Er hatte zweimal die Chance, mich zu töten. Einen dritten Schuss konnte ich ihn nicht mehr abfeuern lassen. Es wäre Selbstmord gewesen. Sollte ich mich von Hurtado töten lassen?« 159
Da nickte er. »Ja«, sagte er. »Das wäre besser für dich gewesen. Denn Hurtado war mehr wert als ein Sattelstrolch wie du. Hurtado war mein Erbe. Er war wichtig für das Salvador-Land. Du warst und bist nicht wichtig, Spade. Du bist nur ein Sattelstrolch mit einem schnellen Colt.« Er machte eine kleine Pause. Dann sprach er weiter: »Hannagan, es wird ein auch ein starker Pfahl eingegraben, den angebundenes Maultier nicht umreißen kann. Spade wird an diesen Pfahl gekettet. Die Kette kann so lang sein wie ein Lasso. Ich werde dem Schmied noch genaue Anweisungen geben, wenn der Pfahl eingesetzt ist. Vorerst bekommt Spade zwanzig Hiebe mit der Bullpeitsche. Pytaya wird das machen. Holt Pytaya! Übergebt ihm den Gefangenen!« Er verschwand vom Balkon. Mein Erwachen war schlimm. Die Sonne brannte erbarmungslos von einem wolkenlosen Himmel nieder. Meine zerschlagene Haut brannte. Die Bullpeitsche war brutal gewesen. Dieser Pytaya hatte mich damit fast in Fetzen geschlagen. Blut und Staub brannten in meinen Wunden, wurden noch unterstützt durch die erbarmungslose Sonne. Ich war schon an den Pfahl gekettet. Um meine saß stramm ein Eisenring, dessen Taille 160
breitgeschlagene Enden zusammengenietet waren. Von dem Eisenring führte eine Kette zum Pfahl. Er hatte eine kegelförmige Kappe, einer Zipfelmütze ähnlich. Die Spitze dieser Kappe endete in einer Öse. In diesem Ring war das Ende der Kette festgemacht, wahrscheinlich mit Hilfe von Feuerschweißung unlösbar zugeschmiedet. Ich konnte rings um den Pfahl laufen. Am Pfahl stand ein Krug mit Wasser. Ich kroch zu ihm hin und erfrischte mich, nein, ich wollte mich erfrischen. Denn schon den ersten Schluck spuckte ich wieder aus. Das Wasser war salzig. Sie hatten mir einige Hand voll Salz in den mit Wasser gefüllten Krug geworfen. Ich wusste nun, was Salvador mit mir vorhatte. Ich sollte langsam sterben. Sein Hass war zu groß. Er war ein Despot, fühlte sich wie ein Herrscher von eigenen Gnaden und als mein Richter. Sein Schmerz, den einzigen Sohn verloren zu haben, machte ihn zu einem bösartigen Schinder und Folterknecht. Ja, es wäre besser gewesen, gegen Hannagan und die beiden anderen Revolvermänner die Waffe zu ziehen und von ihnen getötet zu werden. Ich hockte mich beim Pfahl nieder, lehnte meine Schulter dagegen. Meinen Rücken konnte ich nicht 161
anlehnen, denn er war zu zerschlagen. Meine Schmerzen waren schlimm. Und niemand kam, um meine Wunden zu pflegen. Niemand brachte mir etwas Wasser. Ich war wie ein Tier angekettet. Nach einer Weile blickte ich in die Runde. Das Leben in der Umgebung des Haupthauses ging seinen Gang. In den Werkstätten wurde gearbeitet. Drüben in den Corrals wurden Tiere zugeritten. Reiter kamen oder ritten davon. Fuhrwerke verkehrten, brachten die Maisernte von den Feldern. Niemand kümmerte sich um mich. Keiner sah zu mir her. Sie alle taten so, als gäbe es keinen Pfahl inmitten des Hofes vor dem Haupthaus und wäre an diesen Pfahl kein Mensch wie ein Tier angekettet. Sie schämten sich gewiss, sahen deshalb nicht her. Und da fiel mir endlich Dee Lane ein, die so schöne und begehrenswerte Dee, die fast mit mir von hier fortgegangen wäre – fast. Auch sie musste mich längst schon zumindest aus der Ferne beobachtet haben. Was mochte sie denken? Wie mochte sie fühlen? War sie froh, ihr Schicksal nicht an meines gekettet zu haben? Oh, es konnte gar nicht anders sein. Ich erkannte endlich doch einen Mann, der mich beobachtete. 162
Es war dieser Pytaya, den Salvador gewissermaßen zu meinem Folter- und Kerkerknecht bestimmt hatte und der mich auch so gnadenlos mit der Bullpeitsche schlug. Er hockte an der Hauswand im Schatten und schien im Sitzen zu schlafen. Doch sein Gesicht war unter dem vorgeschobenen Strohsombrero verborgen. Es war ein großer, hagerer, zäher und starkknochiger Bursche von unbestimmbarer Abstammung, ein Mann mit schrägen Augen und dunkler Haut. Aber gewiss war auch weißes Blut in ihm. Nun ist es ja meiner Meinung nach so, dass die Abstammung eines Menschen überhaupt nichts damit zu tun hat, ob er gut oder böse ist. Und dennoch ist die Abstammung stets maßgebend für die Chancengleichheit. Es ist leichter, rein und gut zu bleiben, wenn man niemals Not leiden musste und eine gute Schulbildung bekam. Ein armer Teufel, der im Dreck geboren wird, der hat es da verdammt viel schwerer. Dieser Pytaya hatte vielleicht von klein an lernen müssen, folgsam einem Herrn zu dienen, um nicht hungern zu müssen. Doch ich hasste ihn. Er war Salvadors williger Folterknecht. Ich konnte ihm das nicht vergeben. Ich hasste ihn. 163
Ich beobachtete ihn lange und kam zu der Auffassung, dass er auch mich beobachtete durch das lose Flechtwerk seines Strohsombreros. Vielleicht machte er manchmal für einen Moment die Augen zu. Doch wenn er sie öffnete, sah er mich. Neben sich hatte er die Bullpeitsche griffbereit hingelegt. Und neben ihm an der Hauswand lehnte seine Schrotflinte. Ich wandte endlich den Kopf und sah von ihm weg. Und da sah ich Dee Lane. Sie kam vom Gästehaus der großen Hazienda herüber und hatte einen großen Korb am Arm hängen. Ihr anderer Arm schwang beim Gehen vor und zurück, so wie man es tut, wenn man energisch und möglichst rasch einem Ziel zustrebt. Sie sah mich nicht an, blickte auf Pytaya an der Hauswand, auf das Haus selbst oder auf den Durchgang zum Innenhof, durch den sie offenbar wollte. Sie ging zwischen mir und Pytaya hindurch, verbarg mich also für eine Sekunde mit ihrem Körper vor Pytayas Blick. Ihre Hand machte während des Schwingens ihres Armes eine merkwürdige Bewegung. Ich sah es deutlich. Die Entfernung betrug gut vier Schritte. Und dann fiel etwas vor mir in den Staub, verschwand darin, weil es so klein und dabei so 164
schwer war. Ich konnte es durch den Staub nur noch ganz undeutlich erkennen, doch ich erkannte, was es war. Ich kannte diese kleinen Schlüsselfeilen. Man brauchte sie für die kleinen und dabei so komplizierten Sicherheitsschlüssel. Solche Schlüssel besaßen Doppelbärte und waren zum Beispiel für Schlösser von Geldschränken notwendig, die oftmals vier Dutzend Zuhaltungen besaßen. Solch kleine Vertiefungen und Zacken an den Schlüsselbärten konnte man nur mit ganz besonders kleinen und dünnen Feilen herausarbeiten. Und genau solch eine Feile hatte mir Dee Lane im Vorbeigehen zugeworfen. Sie war keine zehn Zentimeter lang, vielleicht einen Zentimeter breit und kaum mehr als einen Millimeter dick. Aber dieses winzige Ding war aus allerbestem Stahl. Ich machte keine Bewegung, denn ich musste damit rechnen, dass Pytaya mich jetzt besonders scharf beobachtete. Dee Lane verschwand im Durchgang zum Innenhof des einstigen spanischen Herrenhauses. Pytaya regte sich nicht. Ich auch nicht. Die Sonne brannte. Meine Wunden brannten noch böser als die Sonne. An meinem Körper hingen nur noch die Fetzen meiner einstigen Kleidung.
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Ich merkte mir die Stelle, wo die Feile im Staub lag. Denn ich würde sie erst nach Anbruch der Dunkelheit nehmen. Diese Feile war die einzige und wahrscheinlich allerletzte Chance für mich.
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11 Ich spürte ein wenig Zuversicht, ein wenig Kraft. Und ein warmes Gefühl der Dankbarkeit stieg in mir auf. Ich wusste, dass Dee Lane mir nicht nur aus Mitleid helfen wollte, nein, sie liebte mich. Vielleicht hatte sie diese Liebe nicht gespürt, als ich fortreiten und sie zum Mitkommen auffordern wollte. Doch als sie mich dann brachten und mir dies antaten, da musste sie sich über ihre Gefühle klar geworden sein. Denn nun stand sie auf meiner Seite. Das konnte so schlimm für sie werden, wie es schlimm für mich geworden war, als ich Hurtado getötet hatte und sie mich als Gefangenen zurückbrachten. Ich wurde müde, vielleicht sogar ohnmächtig. Als ich erwachte, geschah es nicht von selbst. Jemand trat mir mit aller Kraft in die Rippen. Ich knurrte und warf mich herum, aber Pytaya lachte nur. Und dann sah ich El Toro Francisco de Salvador zu Pferd. Er sah auf mich nieder und ich starrte zu ihm empor. Pytaya hatte mich geweckt, damit ich Salvador sehen konnte. 167
Mein Mund war trocken. Ich konnte meine Zunge kaum bewegen. Deshalb klangen meine ersten Worte unverständlich, waren nur ein heiseres Krächzen. Ich sagte: »Salvador, du willst ein Hidalgo sein? Ein Dreck bist du, ein verdammter Dreck ohne Ehre. Du stammst noch aus einer Zeit, die es schon vierhundert Jahre nicht mehr gibt. Du musst vernichtet werden. Despoten und Feudalherren gehören vernichtet. Ich werde aus dem Jenseits auf dich nieder spucken.« Er nickte. »Das glaube ich dir«, sagte er. »Doch erst wirst du langsam sterben müssen. Meine Leute fangen in den Bergen einen Puma. Der wird dann auf gleiche Art wie du hier an diesen Pfahl gekettet. Verstehst du?« Ich verstand ihn sofort. Er wollte seine Rache genießen. Er ritt weiter. Ich hockte mich wieder nieder und sah zu diesem Pytaya empor. Er starrte auf mich nieder – mitleidlos, ganz wie ein Mensch ohne jedes Gefühl. Ich fragte ihn: »Hat eine richtige Menschenfrau dich geboren? Hattest du eine Mutter?« Er verstand genau, was ich sagen wollte, grinste und nickte.
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»Ja«, sagte er, »ich hatte eine Mutter. Sie ging mit jedem Kerl ins Bett und hatte neun Kinder von neun verschiedenen Männern. Und als meine Schwestern alt genug waren, mussten auch sie mit jedem Kerl ins Bett gehen, der dafür etwas hergeben konnte. Ja, ich hatte eine Mutter. Sie kannte kein Mitleid. Aber ich will leben, besser leben. Hier geht es mir gut. Jetzt weißt du Bescheid. Und wenn du noch einmal den Mund aufmachst, bevor ich es dir erlaubt habe, schlage ich dir das Maul zu Brei. Wenn du etwas sagen möchtest, dann hebst du eine Hand. Und wenn ich dann nicke, darfst du reden.« Er ging wieder zu seinem Platz im Schatten zurück. Ich aber dachte an die Feile im Staub und hoffte, dass ich sie in der Nacht wiederfinden konnte. Ich hatte mich gewälzt, herumgeworfen. Solch ein kleines Ding konnte dadurch fast zu einer Nadel im Heuhaufen geworden sein. Die Nachtkühle ließ mich aus einem Zustand von Erschöpfung und Bewusstlosigkeit erwachen. Ich begann die Schmerzen wieder zu spüren, die an meinem Körper und in diesem selbst waren. Es war still auf der großen Hazienda, sehr still.
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Drüben hockte Pytaya. Ich sah seinen Schatten vor der weißen Hauswand. Er konnte meine Silhouette gewiss gut sehen. Ich sah auch das Licht im Gästehaus. Dort also war Dee Lane. Und sie würde jetzt gewiss darauf warten, was ich mit der Feile zu Stande brachte. Ich begann sie zu suchen, und je länger ich im Staub umhertastete, umso stärker wurde in mir die Energie. Ich musste jetzt in dieser Nacht freikommen. Morgen würde ich es nicht mehr schaffen. Ich würde zu schwach für ein Handeln und für eine Flucht sein. Heute musste es sein – heute in dieser Nacht. Ich begann zu schwitzen. Die Schmerzen wurden stärker. Panik wollte mich erfassen. Verdammt, wo war die kleine Feile? Pytaya kam herüber. Er stieß mir die Mündung der Schrotflinte vor die Brust und untersuchte die Kette und deren Befestigungen an mir und am Pfahl. Er sagte: »Du bist so unruhig. Was ist mit dir los? Gib Antwort.« »Mir brennen die Wunden«, sagte ich. »Ich kann mich nicht ruhig verhalten. Gib mir einen Eimer Wasser, damit ich trinken und auch meine Wunden waschen kann. Gib mir gutes Wasser ohne Salz.« Ich gab meiner Stimme einen bettelnden Klang. 170
Er erwiderte nichts, sondern ging wieder davon und zu seinem Platz hinüber. Er hockte sich nieder. Also würde er mich auch die ganze Nacht über bewachen. Er trug nun einen Poncho, der ihn wärmen würde in der zunehmenden Kühle. Dass er nach der Kette gesehen hatte, bedeutete vielleicht, dass er ein wenig schlafen oder einnicken wollte. Indes er sich drüben hinhockte, fand ich die Feile. Ich hätte am liebsten einen Schrei ausgestoßen. Denn nun hatte ich meine letzte Chance. Vielleicht musste ich doch noch nicht sterben. Der Niet zwischen den beiden plattgeklopften Enden des Eisenringes hatte sich nicht nur am Ende gestaucht, sondern auch zwischen den beiden Enden. Ich kam mit der Feile dazwischen. Mit der Schmalkante dieser kleinen Feile begann ich den Niet zu zertrennen. Es war ein Niet von etwa vierzehn Millimeter Durchmesser. Ich brauchte mehr als zwei Stunden. Dann konnte ich den Eisenring aufbiegen und abstreifen. Und dann schlich ich hinüber. Pytaya erwachte, als ich vor ihm stand. Ich trat ihm ins Gesicht. Er krachte mit dem Hinterkopf gegen die Hauswand. Ich kannte keine Gnade – nein. Und so gab ich es ihm so sehr, dass er nie wieder 171
einen Menschen schinden würde. Ich durfte keine Gnade kennen. Denn Pytaya würde sonst zu meinen Verfolgern gehören. Ich wusste, dass ich diesen Verfolgern wahrscheinlich nur dann entkommen konnte, wenn ich sie Mann für Mann auf meiner Fährte umbrachte. Ich nahm die Schrotflinte, fand in Pytayas Gürtel noch einen Revolver und ein Messer und überlegte dann, ob ich ins Haus schleichen sollte, um Salvador zu töten. Denn das war eigentlich meine einzige Chance. Doch in diesem Moment kam jemand von hinten näher. Ich wandte mich um. Es war Dee Lane. Sie war gekommen, mich zu holen. Sie ging ein gewaltiges Risiko ein. Denn obwohl es schon lange nach Mitternacht war und überall alles im tiefsten Schlaf lag, konnte es doch sein, dass jemand Dee Lane sah. Sie kam heran und nahm mich bei der Hand. Ich folgte ihr. Vielleicht hatte sie irgendwo schon ein Pferd für mich bereitgestellt. Doch sie ging mit mir auf das Gästehaus zu. Es war innen nicht mehr erleuchtet. Die Tür stand etwas offen.
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Wir glitten hinein. Und erst als die Tür hinter uns geschlossen war, sagte sie mit merkwürdig beherrschter Stimme: »Cass, du kannst so nicht flüchten. Dann holen sie dich bald ein. Du brauchst erst eine längere Erholung. In meinem Zimmer wird dich gewiss niemand suchen. Also komm mit auf mein Zimmer.« Ich verharrte still, dachte nach. Vielleicht sah sie die Sache richtig. Ich war schlimm zerschunden, war ein kranker Mann. Selbst auf einem besonderen Pferd konnte ich gewiss nicht lange genug im Sattel bleiben und meinen Verfolgern davonreiten. Vielleicht würden sie mich vorerst wirklich nicht hier auf der Hazienda und bei Dee Lane suchen. Für so frech hielten sie mich sicherlich nicht. Ich atmete langsam aus. »Dee, es ist gefährlich für dich«, murmelte ich heiser. »Du hast schon genug für mich getan. Ich schlag mich schon irgendwie durch.« »Nein«, sagte sie. »Du musst zumindest bis zur nächsten Nacht bei mir bleiben. Sie suchen dich gewiss erst an allen weiter entfernten Orten – nur nicht hier in der Höhle des Löwen, hier auf der Hazienda. Komm!« Sie nahm mich wieder bei der Hand. Wir machten kein Licht. Sie führte mich in ihr Zimmer, und dies 173
lag gleich neben der Eingangstür und der Treppe nach oben. So schlecht es mir auch ging, ich trat zuerst ans Fenster, schob Gardine und Vorhang zur Seite und blickte hinaus. Ich hatte durch dieses Fenster gute Sicht über den weiten Hof auf das Haupthaus. Ich konnte sogar durch den Eingang weit in den Innenhof hineinsehen. Dort lag jetzt natürlich alles in der Dunkelheit. Doch bei Tageslicht würde ich bessere Sicht haben. Ich blickte in die Runde des weiten Hofes, so gut ich dies durch das Fenster konnte. Nichts regte sich in den Schatten der Bauten. Die Menschen hier auf der Hazienda schliefen. Niemand hatte gesehen, was geschehen war in den vergangenen Minuten. Diese letzten Minuten waren mir wie eine Ewigkeit erschienen, und doch waren es nur wenige Minuten gewesen. Ich hatte diesen Pytaya getötet und war von Dee geholt und von ihr in dieses Zimmer gebracht worden. Hatte es zwei oder gar drei Minuten gedauert? Ich wusste es nicht. Wann würde man mein Verschwinden bemerken? Und was würde dann auf der Hazienda in Gang kommen?
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Ich dachte an diesen Pedro, der uns in der vergangenen Nacht empfangen und dann den Vater des toten Hurtado geweckt hatte. Zu diesem Pedro gehörte ein schwarzer Hund, der wegen des Toten so schrecklich geheult hatte. Machte dieser Pedro in dieser Nacht mit seinem Hund keine Runde? Als ich es mich fragte, fiel mir auch schon die Erklärung ein, warum Pedro nicht zu sehen war. Dieser Pedro wusste, dass Pytaya mich bewachte. Er hielt es deshalb nicht für notwendig, hier auf dem Hof und im Innenhof des Haupthauses seine Runde zu gehen. Er hielt sich gewiss bei den weitläufigen Corrals und Weidekoppeln auf und legte längere Pausen ein, die er in einem dunklen Winkel verbrachte, wobei er sich auf seinen Hund verließ. Ich ließ Vorhang und Gardine fallen, wandte mich um. »Wir sind allein im Haus«, sprach Dee Lane. »Dies hier ist mein Aufenthaltsraum. Du weißt ja, dass ich sonst noch in dem kleinen Haus lebe, das einst mein Mann für uns zur Verfügung bekam. Dies hier ist also mein Bereitschaftsraum, in dem ich mich aufhalten kann, wenn die Gäste mich nicht brauchen. Wir dürfen kein Licht machen. Denn der Vorhang ist nicht dicht genug. Aber wenn wir den Vorhang aufziehen, fällt genügend Helligkeit herein. Dann 175
kann ich mich um deine Wunden kümmern. Ich habe hier schon alles bereit. Du musst dich entkleiden und auf dieses Sofa legen. Ich helfe dir.« Sie kam zu mir, trat ans Fenster und zog den Vorhang auf. Die Gardine ließ die Helligkeit der Nacht in das kleine Zimmer. Die Nacht wurde immer heller, je klarer Mond und Sterne zu strahlen begannen. Draußen war es jetzt gewiss empfindlich kalt geworden. Das war zumeist so in diesem Land. Hitzeflimmern – den Tagen folgten klare, kalte Nächte. Dee sah mich an. Da wir sehr nahe voreinander standen, konnten wir uns betrachten. Ich sah das Funkeln ihrer Augen. »Und warum tust du das – warum begibst du dich in diese Gefahr?« Sie ließ mich einige Atemzüge lang auf ihre Antwort warten. Dann sagte sie schlicht: »Wenn du hier heil davonkommen solltest, Cass, dann würde ich dir bis ans Ende der Welt folgen. Das wurde mir klar, nachdem du fortgeritten warst. Und als sie dich dann als Gefangenen brachten, da wurde meine Gewissheit – unumstößlich. Cass, wir gehören zusammen. Ich kann dich nicht untergehen lassen, weil ich dich ganz plötzlich zu lieben begann.« 176
Ich erwiderte nichts. Doch ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Denn so schön es auch war, von ihr geliebt zu werden – die Chance, sie glücklich zu machen, war für mich verdammt klein. Sie würde dafür, dass sie sich auf meine Seite gestellt hatte, bitter büßen müssen, sollte man mich bei ihr finden. Ich begann meine zerfetzte Kleidung abzustreifen. Dee half mir dabei. Ihre Hände waren zart. Ja, es war wohl gut, dass meine Wunden versorgt wurden und ich mich ein wenig erholen konnte. Vielleicht konnte ich mich bis zur kommenden Nacht hier verborgen halten. Doch dann musste ich fort, um Dee nicht länger zu gefährden. Die Nacht war noch nicht herum, als die große Hazienda alarmiert wurde. Irgendwann war Pedro mit seinem Hund doch auf den Hof gekommen. Vielleicht wollte er Pytaya besuchen und mit ihm ein paar Worte wechseln. Ich hörte den Lärm, indes ich erwachte. Als ich den Kopf hob, sah ich Dee am Fenster stehen. »Bleib nur liegen«, flüsterte sie. »Jetzt haben sie bemerkt, dass du fort bist. Salvador steht wieder auf dem kleinen Balkon. Er ruft Befehle. John Hannagan wird ein halbes Hundert Reiter in Suchtrupps 177
einteilen und in alle Himmelsrichtungen aussenden. Drüben im Dorf sind genügend Reiter verfügbar. Sie alle werden sich die gewiss sehr hohe Belohnung verdienen wollen, die Salvador aussetzen wird. Aber hier werden sie dich nicht suchen.« »Noch nicht«, murmelte ich. Dann fragte ich: »Wird Salvador auch reiten? Und was ist mit John Hannagan und den anderen Stellvertretern? Reiten die auch?« »Nein«, erwiderte sie. »Heute bei Sonnenaufgang wird Hurtado beerdigt. Da müssen sie zugegen sein. Auch ich muss teilnehmen. Das Gästehaus wird sich bald zu füllen beginnen. Denn aus allen Richtungen sind jetzt schon Trauergäste unterwegs. Ich werde eine Liste zu führen haben, die Salvador sich später vorlegen lässt. Und wer nicht zur Beerdigung seines Sohnes gekommen ist, den wird er als seinen Feind ansehen. Doch du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Dieses Zimmer halte ich verschlossen. Es ist mein privater Raum. Hier kommt niemand herein. Und je voller dieses Haus mit Trauergästen ist, die sich hier frisch machen, umziehen und auch bewirten lassen wollen, umso weniger wird Salvador auf die Idee kommen, dass du hier versteckt bist. Du kannst wieder einschlafen. Mach dir keine Sorgen.« Ich vernahm ihre Worte zuletzt wie aus weiter Ferne, denn ich versank schon wieder in die dunklen 178
Tiefen eines Schlafes, der mich gewiss wieder zu Kräften bringen würde, sodass ich bald reiten konnte. Als ich erwachte, war es heller Tag. Ich fühlte mich besser, nur der Hunger wütete böse in mir. Aber das war ein gutes Zeichen. Nur ein gesunder Körper verlangte so rücksichtslos nach neuen Säften. Ich war allein. Im Dorf läuteten die Glocken. Ich begriff, dass Hurtado jetzt beerdigt wurde, Hurtado, den ich getötet hatte, weil er mir keine andere Wahl ließ. Dann würde Salvador seine ganze Energie einsetzen, mich wieder in seine Gewalt zu bekommen. Er und John Hannagan waren erfahrene Jäger. Und nicht nur sie. Viele von Salvadors Reitern kannten sich mit Fährten aus. Sie wussten auch alle, dass ich ein kranker Mann war, dem die Bullpeitsche fast das Fleisch von den Knochen schlug. Ich konnte unmöglich zwanzig oder dreißig Meilen im Sattel bleiben. Also hatte ich anhalten und mich verkriechen müssen. Wenn sie keine Spuren von mir fanden, würden sie zu denken beginnen. Und dann mussten sie auch bald zu der Erkenntnis kommen, dass ich vielleicht gar nicht 179
fortgelaufen war. Wenn sie sich besondere Mühe machten, mussten sie auch herausfinden, dass in den Corrals kein Pferd fehlte, auf dem ich fortgeritten sein konnte. Aber das war schwer herauszufinden. Es gab zu viele Reiter hier. Es herrschte ständig ein Kommen und Gehen. Immerzu wurden Pferde ausgetauscht. Nur mit viel Mühe würden sie herausfinden, dass kein Tier fehlte. Ich erhob mich vorsichtig. Viele der Wunden, die mir die Bullpeitsche schlug, spannten sich unter den Pflastern. Dee hatte mich gewaschen. Sie hatte Wundpuder in die Wunden getan und Pflaster darüber geklebt. Ich würde die Narben mein ganzes Leben lang behalten. Jeder, der meinen Rücken und meine Brust sah, konnte die Peitschennarben erkennen. Sie würden nie wieder verschwinden. Auf dem Tisch stand kalter Tee, war ein Teller mit Broten, die mit kaltem Bratenfleisch und Schinken belegt waren. Auch ein Krug mit Milch stand dabei. Ich begann zu essen, meinen wütenden Hunger zu stillen. Von meinem Platz aus konnte ich durch das Fenster blicken. Die Gardine behinderte den Blick ins Helle nicht. Nur umgekehrt war es nicht möglich. Das Zimmer war zu dunkel, um von draußen durch die Gardine blicken zu können. Das konnte man nur
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dann einigermaßen, wenn man die Stirn gegen die Scheibe presste. Aber vor dem Fenster waren Rosenbüsche, die ein Nähertreten verhinderten. Ich fühlte mich ziemlich sicher. Bald schon sah ich die ersten Menschen. Sie kehrten von der Beerdigung zurück, verteilten sich. Auf dem Hof waren viele Wagen abgestellt. Sattelpferde warteten gewiss bei den Corrals, aber dorthin hatte ich keinen Einblick. Einige der Trauergäste folgten Salvador in den Innenhof. Auch Dee war dabei. Wahrscheinlich waren im Innenhof Tische gedeckt, gab es dort einen Imbiss, damit die Trauergäste nicht mit leerem Magen heimkehren mussten. Ich sah John Hannagan, Hank Carradine und andere Salvador-Stellvertreter. Sie ließen sich von den Jungens ihre Pferde bringen, saßen auf und ritten in verschiedene Richtungen davon. Sie folgten den Suchtrupps. Die Suche nach mir würde nun viel intensiver werden. Und Salvadors Stellvertreter würden bald zu denken beginnen. Das mussten sie ganz zwangsläufig, wenn man bis zum Mittag von mir keine Spur finden sollte. In meinem Zustand konnte
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ich kaum mehr als zwanzig Meilen weit gekommen sein. Dies wurde mir nochmals klar. Also brauchten sie nur einen Kreis von etwas mehr als zwanzig Meilen abzusuchen. Wenn es sein musste, konnte Salvador mehr als hundert Reiter in die Sättel bringen. Und er würde es tun. Ich war satt und ging wieder zum Sofa. Ich legte mich lang und schlief wieder ein. Das lag gewiss nicht an meiner Nervenstärke, nein. Aber mein geschwächter Körper musste die Mahlzeit verarbeiten, Säfte und Kräfte produzieren. Deshalb wurde ich so müde.
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12 Als ich erwachte, war es schon später Nachmittag. Dee stand neben dem Sofa. Ich hatte sie nicht kommen gehört, so tief war mein Schlaf. Und dabei hatte sie die Tür aufschließen müssen. Ich sah zu ihr empor. Ihr Blick veränderte sich. Er war mitleidig, traurig, voller Sorge und Angst gewesen. Doch diese Gefühle wollte sie mir nicht zeigen. Sie versuchte nun zuversichtlich und mutig zu wirken. Doch sie konnte den Ausdruck in ihren Augen nicht so schnell verändern. Langsam sagte ich: »Dee …« Ich wollte ihr noch mehr sagen, doch sie lächelte, und ich begriff, dass sie schon alles, was ich ihr mit Worten sagen wollte, in meinen Augen lesen konnte. Sie setzte sich auf die Sofakante, beugte sich nieder und küsste mich. »Geht es dir besser, Cass?« »Viel besser«, erwiderte ich. »Wenn es Nacht ist, mache ich mich auf die Socken. Ich kann dich dann keine Minute länger mehr gefährden. Wo ist Salvador? Und wo sind John Hannagan und Hank
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Carradine? Diese drei Burschen sind am gefährlichsten.« »Sie waren fort«, erwiderte sie. »Seit einer halben Stunde sind sie wieder hier. Alle Gäste sind wieder weg. Man verließ die Hazienda fast fluchtartig. Salvador ist in bösester Stimmung. Er macht seinem Beinamen >El Toro< jetzt alle Ehre. Er gleicht einem schwarzen Kampfstier, der alles auf die Hörner nehmen will. Er wartet auf die Meldung, dass man dich aufgespürt hat. John Hannagan und Hank Carradine beraten offenbar noch. Doch sie werden nicht mehr lange warten, denke ich. Pedro forschte schon nach, wer von all den Reitern dieser Hazienda sich in der vergangenen Nacht ein Pferd aus den Corrals holte oder sein müdes Tier tauschte. Er hatte die Nachtwache. Salvador verlangt von ihm, dass er weiß, ob überhaupt ein Pferd fehlt. Sie werden noch vor Anbruch der Nacht die ganze Hazienda zu durchsuchen beginnen.« Sie verstummte sehr gefasst und ruhig. Ich aber murmelte: »Dann kommen sie auch hier nachsehen, Dee, nicht wahr?« Sie nickte zögernd. Dann sprach sie: »Vielleicht nicht. Weißt du, dieser John Hannagan wird nichts tun, was mich beleidigen könnte. Er wird sich gewiss mit einem Blick in dieses Zimmer begnügen. Deshalb
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brauchst du dich nur hinter die Tür zu stellen, wenn ich sie öffne. Verstehst du?« O ja, ich verstand sie gut, und weil ich sie verstand, begriff ich auch, wie sehr sie all ihre Hoffnung an einen einzigen dünnen Faden hing. Denn es gab keine andere Chance. Ich konnte nicht fort. Und sie würden jeden Winkel und jede nur mögliche für ein Versteck geeignete Stelle durchsuchen. Es gab nur diese alleinige Chance, dass John Hannagan selbst zu Dee kam, weil er dies keinem anderen Mann überlassen wollte und sie dann nicht so behandelte wie alle anderen Leute hier auf der Hazienda und drüben im Dorf. Ich erhob mich. Im Zimmer wurde es dunkel. Draußen war es Abend geworden. Ich küsste Dee auf Augen und Mund. »Du würdest für mich der kostbarste Besitz auf dieser Erde sein«, sagte ich, »wenn ich nur davonkommen und dich zu mir holen könnte.« Sie sagte nichts, lächelte nur. Dann sah sie mir im dunkler werdenden Raum zu, wie ich mich bewegte. Es ging mir jetzt sehr viel besser als in der vergangenen Nacht. Die Erholung hatte mir neue Kräfte und Fähigkeiten zurückgebracht. Ich konnte wieder reiten, kämpfen, durchhalten. Draußen klangen Stimmen.
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Dee brachte das Zimmer in Ordnung. Sie räumte mit einigen schnellen Handgriffen auf. Männer kamen draußen herbei. Ich trat dorthin, wo ich von der nach innen sich öffnenden Tür verborgen würde. Ich nahm die Schrotflinte und den Revolver mit. Die Kleidung, die Dee mir gab, war dunkel. So warteten wir. Dee hatte sich aufs Sofa gesetzt, so als wären ihr die Beine schwach geworden. In der zunehmenden Dunkelheit des Zimmers konnte ich ihren Gesichtsausdruck nicht mehr erkennen. Die Männer kamen ins Haus. Jemand klopfte an die Tür. Es war John Hannagans Stimme, die fragte: »Dee? Sind Sie dort drinnen, Dee?« »Ja, was ist?« Sie fragte es laut genug zurück, und ihre Stimme klang so, als wäre sie aus dem Schlaf geschreckt. Sie erhob sich, ging zur Tür, stand dort fast neben mir und fragte durch die Tür: »Was ist denn? Wer ist dort?« »Hannagan. Dee, sind Sie allein?« Sie stieß einen fast fauchend klingenden Ton aus, schloss sofort die Tür auf und fragte: »Warum soll ich nicht allein sein, John Hannagan?«
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Ich konnte sie und Hannagan nicht mehr sehen. Denn sie befanden sich auf der anderen Seite der nun offenen und mich verbergenden Tür. Wir waren nur etwa eine Armlänge und durch zolldickes Holz voneinander getrennt. Ich hielt den Atem an, versuchte nicht an Hannagan zu denken und wartete. Spürte sein Instinkt vielleicht meine Nähe? Ich kannte die Gefahr. John Hannagan war ein Jäger, auch ein Menschenjäger. Sein Instinkt war ausgeprägt. Er würde meine Nähe irgendwie gefühlsmäßig spüren, wenn ihn nichts ablenkte oder ich zu intensiv an ihn dachte. Doch wahrscheinlich lenkte ihn Dee ab. Es konnte nicht anders sein. Er musste mehr als nur eine Schwäche für sie haben. Vielleicht liebte er sie. Er sagte: »Dee, wir suchen Spade. Er hat sich vielleicht hier auf der Hazienda versteckt und ist noch gar nicht geflüchtet. Es fehlt kein Pferd. Wir müssen dieses Haus von oben bis unten durchsuchen. Das dauert eine Weile.« »Nur zu«, sagte sie. »Dort auf dem Tisch stehen genügend Lampen. Ich habe mich für eine Stunde niedergelegt. Es war ziemlich anstrengend für mich. Mein Haar ist noch ganz unordentlich. Wenn ihr mit der Durchsuchung fertig seid, werde ich abschließen 187
und heimgehen. Kann es wirklich sein, dass Spade noch hier auf der Hazienda ist? Habt ihr auch in meinem kleinen Haus nachgesehen?« »Ich selbst«, sagte er und wandte sich wieder ab. Dee folgte ihm in die Halle. Ich verharrte. Denn es konnte sein, dass er später noch einmal kam. Sie zündeten die Lampen auf dem Hallentisch an. Wenn er hinter die Tür blicken sollte, würde ich ihn töten müssen und dann um mein Leben kämpfen. Aber es ging alles gut. Sie durchsuchten das ganze Haus. Sie polterten überall umher, stiegen auch in den Keller und ließen nichts undurchsucht. Es dauerte ziemlich lange, und es war sehr nervenbelastend, still zu warten und zu hoffen. Aber es ging vorbei. Dee stand immer noch vor ihrem Zimmer, lehnte wahrscheinlich daneben an der Wand. Ich hörte dann Hannagan zu ihr sagen: »Das wäre es, Dee. Hier also ist er nicht. Doch wir werden ihn finden. Er kann aus Salvadors Land nicht entkommen, egal in welchem Loch er sich auch verkrochen haben mag.« Ich glaubte schon, dass Dee nichts erwidern würde. Doch dann hörte ich sie fragen: »Hassen Sie ihn, John Hannagan?« 188
Er ließ sie auf eine Antwort warten. Wahrscheinlich musste er überlegen und in sich hineinlauschen. Dann erst sagte er: »Geht es uns nicht gut hier? Dee, wenn du dich für mich entscheiden könntest, werfe ich Rosita auf der Stelle raus.« »Nein«, erwiderte Dee nur und öffnete von draußen die Tür. Sie kam herein und wandte sich in der offenen Tür noch einmal John Hannagan zu. »Das wäre in meinen Augen ein Tausch«, sagte sie mit einem deutlichen Klang von Verachtung. »Oh, was würde ich mich geehrt fühlen!« »Verzeih«, sagte er schnell. Dann ging er. Er warf hinter sich die Haustür zu. Ich atmete langsam aus. Sie schloss die Tür und schob den Riegel vor. Dann kam sie in meine Arme. Sie zitterte. Die Nervenanspannung in ihr war zu stark gewesen. Aber sie hatte ihre Rolle vollendet gespielt. Sie war ganz kühl und sicher, spröde und ruhig. Damit hatte sie Hannagan geblufft. Aber es wäre ihr niemals gelungen, würde sie Hannagan nicht sehr gefallen und machte sich Hannagan nicht immer noch Hoffnungen. Er lebte mit einer hübschen Mexikanerin in seinem Haus, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablas. 189
Und dennoch hätte er diese Rosita davongejagt, wäre Dee bereit gewesen, zu ihm zu ziehen. Was war er für ein Bursche? Hatte er überhaupt eine Ehre? Wenn er keine hatte, dann würde er letztlich auch keine Revolverehre besitzen. Ich hielt Dee in meinen Armen. Wir küssten uns. Aber dann dachte ich daran, wie ich von hier fortkommen sollte. Dee sagte: »Ich muss dich jetzt allein lassen, Cass. Da keine Gäste im Haus sind, gibt es keinen Anlass für mich, hier zu übernachten. Ich würde mich verdächtig machen, ginge ich auch heute nicht hinüber in mein kleines Haus.« »Ja«, sagte ich. »Ja, es ist besser, wenn du alles so machst. Schließ ab hinter dir. Wenn ich hier raus will, kann ich durchs Fenster klettern.« Dann ging sie. Ich hörte draußen die Haustür schlagen. Sie schloss ab. Dann verklangen ihre Schritte. Ich dachte darüber nach, wie schnell Menschen manchmal dann doch ihre Liebe zueinander entdecken. Dee Lane hatte sich dagegen gewiss gewehrt. Sie war misstrauisch geworden gegen jeden und alles. Sie wollte sich wohl auch nicht so schnell für einen anderen Mann entscheiden. Denn gewiss hatte sie ihren ersten Mann sehr geliebt. 190
Doch das Leben ging weiter. Sie war jung. Ich war ihrem ersten Mann sehr ähnlich. Als ich in Not geriet, musste sie sich auf meine Seite stellen. Ich wanderte zum Fenster, schob die Gardine vorsichtig zur Seite und sah hinaus. Draußen war es dunkel. Überall in den Häusern und Hütten brannten die Lampen. Reiter kamen geritten, hielten bei den Unterkünften, saßen ab, gingen in den Speiseraum – und Jungens holten die müden Pferde, brachten sie zu den Corrals, um die Sättel frischen Tieren aufzulegen. Salvadors Reiter durchkämmten immer noch das Land. Ich sah John Hannagan durch den Lampenschein gehen. Er verschwand im Innenhof des Haupthauses. Er musste sicherlich Salvador Meldung machen und würde neue Befehle bekommen. In meiner Vorstellungskraft konnte ich Salvador in seiner großen Wohnhalle unruhig umhergehen sehen – wie ein Kampfstier, der nur darauf wartet, losgelassen zu werden, so bewegte er sich gewiss umher. Was sollte ich tun? Wie konnte ich von hier wegkommen und mich retten? Es würde mir wie einem Wolf gehen, der sich durch ein Gebiet voller Jäger schleichen muss, die auf ihn lauern oder nach ihm suchen. 191
Einen Moment lang wollte ich mutlos werden, und ich sagte mir, dass ich hier in Dees Zimmer noch am sichersten sei. Ich wollte die Gardine, die ich etwas zur Seite gezogen hatte, wieder loslassen. Da sah ich den wirbelnden Staub in den gelben Lichtbarrieren. Ich hörte dabei auch das Fauchen des Windes. In der Ferne grollte es dumpf. Ich wusste was es war, nämlich ein trockenes Wärmegewitter. Wahrscheinlich würde kein einziger Regentropfen fallen. Nur der Wind würde eine Weile toben und gewaltigen Wirbel machen. Trockene Büsche, Staub, Gräser und all dieses Zeug würden umherfliegen. Es war sehr trocken gewesen um diese Jahreszeit. Es gab genug Staub und trockenes Zeug. Ganze Wolken würden fliegen wie bei einem Sandsturm. Es war eine Chance, die mir der Himmel schickte. Anders konnte es nicht sein. Ich musste handeln. Und so machte ich mich fertig, kleidete mich vollständig an und nahm die Waffen. Inzwischen konnte man die Lichter der Häuser in der Runde des Hofes nur undeutlich und wie durch dichten Nebel sehen. Ich musste mir das Halstuch vor Mund und Nase binden und die Augen zukneifen, nachdem ich das Fenster geöffnet hatte und hinausgeklettert war. Ich 192
duckte mich hinter die Rosenbüsche und zerschlug eine der kleinen Fensterscheiben, sodass ich von außen hineinlangen und den Riegel zuschieben konnte. Niemand sollte Dee verdächtigen können, einen Mann in ihrem Zimmer gehabt zu haben. Die kleine Scheibe im Fenster konnte auch durch ein fliegendes Holzstück oder einen Zweig des Rosenbusches zerbrochen worden sein. Ich verharrte und lauerte. Dann machte ich mich auf den Weg. Natürlich brauchte ich ein Pferd, aber nicht irgendeines, sondern das beste. Ich wusste, in welchem Corral die erstklassigen Tiere standen. Dreihundert-Dollar-Pferde, die nur Salvadors Stellvertreter reiten durften. Aber das beste Pferd auf hundert und noch mehr Meilen in der Runde gehörte Salvador selbst. Es war ein schwarzer Hengst, ein Teufelsbiest. Dieser Hengst konnte alles schlagen, einfach alles, was außer ihm noch vier Beine hatte. Ihn musste ich haben. Dann standen meine Chancen nicht mehr ganz so schlecht. Natürlich wusste ich, wo Salvadors Hengst seinen Corral hatte.
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Ich nahm mir Zeit. Der Sturm war noch schlimmer geworden. In der Ferne donnerte es immer wieder. Blitze zuckten. Doch es fiel hier über Salvadors Land kein einziger Tropfen vom Himmel. Nur der Sturm wirbelte alles durcheinander und übereinander. Meine Augen tränten, und Staub biss in ihnen. Ich war sicher, dass hier auf der Hazienda kein Fenster und keine Tür offen waren. Und niemand würde sich jetzt draußen im Freien aufhalten. Ich dachte jedoch auch an Pedro und den schwarzen Hund, die hier stets die Runden drehten in den Nächten. Würden auch sie sich verkrochen haben in einen Schuppen oder zumindest in einen Winkel, wo sie etwas geschützt waren vor dem wirbelnden Staub? Vor dem Hund fürchtete ich mich nicht. Er kannte mich, meine Witterung. Er musste mich für einen der vielen Menschen halten, die zu dieser Hazienda gehörten. Er würde also nicht Laut geben, wenn er auf mich stieß. Doch ich begegnete ihm nicht. Pedro hatte sich mit ihm vielleicht doch verkrochen. Ich erreichte den Corral, in dem sich der schwarze Hengst befand. Es gab hier für das Tier einen halb offenen Unterstand. Dieser aus Adobe gemauerte
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und mit Maisstroh gedeckte Schuppen war groß. Hier hätte ein halbes Dutzend Pferde Platz gehabt. Doch der Hengst war ja das Lieblingspferd eines Mannes, der wie ein Fürst lebte und herrschte. Deshalb genoss auch der Hengst viele Vorteile. Ich hatte ihn damals, als ich neu auf der Hazienda war und mir alles ansah, besonders genau angeschaut. Deshalb wusste ich auch, dass Salvadors Sattel ebenfalls im Schuppen auf einem Sattelbock lag. Es war ein kostbarer und prächtiger Sattel, der Sattel eines Fürsten. Ich kletterte zwischen zwei Corralstangen hindurch und näherte mich dem halb offenen Adobebau, in dem der Hengst sein musste. Er war da, hatte hier Schutz gesucht, was nur natürlich war. Denn jedes Lebewesen hatte jetzt Schutz vor dem wirbelnden Staub gesucht. Es war ja fast wie in einem Sandsturm in der Apachenwüste. Er stand in der Ecke und schnaubte warnend. Ich war ihm fremd. Aber das würde sich bald ändern. Ich erkannte ihn nur undeutlich, weil er ja so schwarz war und sich kaum vom Hintergrund abhob. Ich fand das Zaumzeug am Haken eines Stützbalkens, nahm es und näherte mich dem Hengst. Er zog sich vor mir noch tiefer in die Ecke zurück, schnaubte warnend. Ich hörte es durch das 195
ferne Grollen des Wärmegewitters und das Brausen des Sturmes. Doch ich fürchtete mich auch nicht vor einem Hengst, der mir fremd war und dem das Wetter nicht passte. Ich war Wildpferdjäger gewesen, bevor ich in diese Sache hier hineingeraten war. Dieses verdammte Hochzeitsfest in Santa Rosa – damit hatte alles begonnen. Ich kannte den Namen des Hengstes, und so trat ich langsam, doch sehr sicher wirkend auf ihn zu und sagte laut genug: »Nun komm, El Capitan – komm, Amigo! Du wirst dich an mich gewöhnen müssen, so oder so! Na, dann komm her!« Ich hielt ihm das Zaumzeug hin, und er schob seine Nase vor und schnupperte daran und an meinen Händen wie ein Hund. Dann schnaubte er wieder, doch nicht mehr warnend. Er war es gewöhnt, dass andere Leute ihn für seinen Herrn sattelten, und er war klug genug, um sich nicht dagegen zu wehren. Das hatte er früher vielleicht getan. Doch inzwischen lernte er längst seine Lektionen. Er wusste, dass ihn ein Lasso leicht klein machen konnte, wenn er nicht gehorchte. Er ließ sich das Zaumzeug anlegen, und längst schon hatte er gespürt, dass ich ein Mann war, der 196
sich mit Pferden auskannte. Er hörte das an meiner Stimme, begriff es mit seinem Instinkt, erkannte es an meinen Bewegungen, meinen Griffen und der ganzen Art, wie ich mit ihm umging. Nein, er machte keine Schwierigkeiten. Er war zu klug, um gegen Menschen anzukämpfen. Ich band die Zügelenden an den Stützbalken. El Capitan stand nun mitten im Raum. Ich wandte mich, um den Sattel zu holen. Er war da. Ich griff ihn, hob ihn vom Bock. Als ich mich damit umwandte, sah ich John Hannagan. Ja, es war John Hannagan. Seine Silhouette hob sich deutlich gegen den helleren Nachthimmel ab, der nicht einmal vom wirbelnden Staub verdunkelt werden konnte. John Hannagan lachte leise. Ich hörte es durch das Fauchen des Sturmes. Er lachte zufrieden. Wir standen uns nahe gegenüber. Ich hielt den Sattel vor meinem Leib, und nur dieser Sattel trennte uns. Hannagan hatte den Revolver schussbereit in der Hand. »Ich wusste«, sagte er, »dass du dir das beste Pferd holen würdest. Denn nur auf dem besten Pferd wären deine Chancen, entkommen zu können, ein wenig besser geworden.« Er verstummte lachend. »Ihr hieltet mich wohl für närrisch?«, fragte er mich dann und sprach sogleich weiter, ohne eine Antwort haben zu wollen. »Wir hatten die Hazienda 197
durchsucht. Für mich stand fest, dass du ein besonders gutes Versteck gefunden haben musstest. Als ich vor Dee Lanes Zimmer stand, als sie mir öffnete und mir den Weg durch die Tür versperrte, da wusste ich – spürte ich es mit meinem Instinkt wie eine scharfe Witterung –, dass du dort drinnen im Zimmer warst. Wir hätten dich herausholen können. Doch da wären die Fetzen geflogen. Blut wäre geflossen. Männer wären gestorben. Vielleicht hätte auch Dee dran glauben müssen. Das alles wurde mir klar, indes ich vor ihr stand und mit ihr redete. Ich wusste, dass du auf der anderen Seite der Tür standest. Ja, ich spürte es stark. Hab ich es nicht gut gemacht, als ich Dee sagte, dass ich Rosita davonjagen würde, wenn Dee zu mir käme?« Er verstummte fast freundlich. Ich nickte. »Ja«, sagte ich, »das hast du glänzend gemacht. Ich fühlte mich ganz sicher. Aber was ist nun? Willst du mich entkommen lassen, nachdem du bewiesen hast, dass du mich letztlich doch erwischen konntest und also der klügere Mann von uns bist?« Ich fragte es ebenfalls fast freundlich, und ich baute ihm sozusagen eine goldene Brücke. Er konnte seinen Stolz behalten, denn ich erkannte an, dass er mich letztlich doch erwischt hatte. Aber er konnte auch großmütig dabei sein.
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Er wusste, dass Salvador mich langsam sterben lassen wollte. Ich würde wieder an den Pfahl gekettet werden. Und bald würde ein Puma aus den Bergen dazukommen, der mich dann um den Pfahl treiben würde, je hungriger er wurde und je mehr mich meine Kräfte verließen. John Hannagan wusste das. Er konnte mich jetzt laufen lassen und sich dennoch als Sieger fühlen. Aber er war ein Hundesohn. Er hatte keine Ehre. Er wollte Salvador dienen wie ein Hund, und es machte ihm nichts aus, dass Salvador ein Despot und Menschenschinder war. Er sagte: »Nein, ich bringe dich zu Salvador. Das ist mein Job. Dafür werde ich bezahlt. Und seitdem Al Sacketter die schöne Ranch …« Ich wartete nicht länger. Ich musste handeln. Und so riss ich den Sattel, den ich mit beiden Händen gepackt hatte und vor meinen Leib gepresst hielt, mit einem Ruck nach oben. Aber das war noch nicht alles. Ich stieß zugleich auch einen wilden Schrei aus. Es war der Schrei eines angreifenden Pumas. Es geschahen zwei Dinge fast zugleich. Mit dem hochgerissenen Sattel stieß ich Hannagans Revolverhand mit der Waffe nach oben. Das Mündungsfeuer blendete mich, verletzte etwas 199
meine Haut an der Wange. Aber die Kugel ging über meine Schulter hinweg schräg nach oben. Zugleich aber feuerte El Capitan nach hinten aus. Denn mein Pumaschrei hatte ihn höllisch erschreckt. Revolver- und Gewehrfeuer war er gewöhnt. Auch scharfe Rufe hätten ihn nicht reagieren lassen. Aber bei einem Pumaschrei wurden seine Instinkte und Reflexe frei. Er musste ganz einfach explodieren. Hannagan stand ihm nahe genug. Beide Hinterhufe trafen Hannagan und zertrümmerten sein Rückgrat. Er gab keinen zweiten Schuss mehr auf mich ab. Ich hatte ziemlich viel Mühe, den noch eine Weile tanzenden Hengst zu beruhigen. Jede Sekunde war kostbar. Der Schuss musste gehört worden sein, obwohl ja immer wieder der Donner in der Ferne grollte und der Sturm überall an den Häusern und Gebäuden rüttelte, fauchte, Fensterläden und sonstige lose Dinge klappern ließ. Ich machte mir keine Hoffnung, dass man den Schuss nicht gehört hatte. Irgendwann – es kam mir wie eine Ewigkeit vor – brachte ich den Sattel über den Hengst und zog die beiden Bauchgurte stramm. Ich holte mir die Schrotflinte, saß auf und ritt los. 200
Hinter mir tönten Rufe. Gestalten tauchten auf durch den Staubwirbel. Man hatte den Schuss also doch gehört. Ich entkam in der Nacht. Doch ich wusste, dass sie bald hinter mir her sein würden. Und durch Feuersignale würden sie meilenweit alle anderen Suchtrupps alarmieren. Die Jagd war in Gang gekommen. Und nur der heftige Sturm, der den Staub wirbelte und die Sicht so schlecht machte wie Nebel, war mein Verbündeter.
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13 Ich wollte und musste nach Norden über die Grenze. Denn diesseits der Grenze in Mexiko war Salvador zu mächtig. Ich musste seinem Machtbereich entkommen – und das war nur nach Norden möglich. Der schwarze Hengst unter mir war ein außergewöhnliches Tier. Er trabte leicht wie eine Katze. Ich saß noch niemals in meinem Leben auf einem besseren Tier. Zuerst war er etwas schwierig, doch er begriff schnell, dass ich ein Reiter war, der alle Tricks kannte, ja, dass ich wahrscheinlich sogar ein besserer Reiter war als sein Herr Salvador. Ja, ich ließ ihn erst nur traben. Es wäre dumm gewesen, ihn galoppieren zu lassen. Denn einen meilenlangen Galopp sollten erst mal die Pferde meiner Verfolger machen müssen. Das war der alte Trick von Lang- und Raureitern. Je später man auf einem Pferd zu galoppieren begann, je länger würde es diesen Galopp durchhalten. Der Sturm jagte noch eine Weile alles lose Zeug durch die Luft. Der Staub biss in meinen Augen. Mund und Nase konnte ich mit dem hochgezogenen
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Halstuch schützen. Doch die Augen musste ich ungeschützt offen halten. Aber meinen Verfolgern würde dieses Reiten nicht weniger schwer fallen. Und jene, die irgendwo auf mich lauerten oder, durch Feuerzeichen alarmiert, mir den Weg verlegen wollten, die hatten es auch nicht besser als ich. Der Hengst lief jetzt willig unter mir. Ich dachte an Dee Lane, die ich zurücklassen musste. John Hannagan hätte sie verraten können. Er hätte Salvador sagen können, dass sie mich versteckt gehalten hatte. Doch John Hannagan war tot. Ein Hengst hatte ihm das Rückgrat gebrochen – ein Tier war von mir in letzter Not mit Hilfe eines Tricks missbraucht worden. Aber eine andere Chance gab es nicht für mich. Wenn Hannagan noch einen zweiten Schuss hätte abgeben können, würde er mich getötet haben. Er war tot, dieser Narr, dem ich die Möglichkeit gezeigt hatte, mich laufen zu lassen. Nun würde er von Salvador keine Ranch bekommen wie Al Sacketter. Manchmal blickte ich zurück. Die Sicht war manchmal so schlecht wie im dicken Nebel. Aber dann wieder fegte der Wind alles zur Seite, machte
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die Luft klar – und da konnte ich die Warnfeuer erkennen, die sie angezündet hatten. Ich sah hinter mir einige Reiter, und so ließ ich El Capitan nun auch galoppieren. Es war fast als flögen wir, so leicht und schnell galoppierte das Tier. Als ich mich wieder umsah, waren meine Verfolger schon nicht mehr zu sehen. Wenn sie doch meine Fährte verlieren würden. Das wünschte ich mir so sehr. Doch sie hatten sich längst ausrechnen können, dass mein Fluchtweg nur nach Norden zu über die Grenze auf amerikanisches Territorium führen konnte. Sie brauchten nur in diese Richtung zu reiten und möglichst viele Suchtrupps zu alarmieren. Irgendwann in der Nacht legte sich der Sturm so plötzlich, wie er sich erhoben hatte. Und bald schon wurde die Nacht klarer, heller, kälter. Die Sicht würde in Kürze meilenweit sein. Ich ritt in den zunehmenden Schatten von Hügelketten. Dann aber waren Reiter links vor mir. Sie kamen von irgendwoher und hatten mich offenbar schon gesichtet. Sie versuchten mir den Weg zu verlegen. Es gab da vor mir nur eine einzige Hügellücke. Wenn sie diese sperrten, konnten sie mich nach
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Osten zu abdrängen. Die Ebene nach Osten zu war weit. Ich würde dort keine Deckung finden. Ich musste durch die Hügellücke nach Norden. Dort in den Hügeln konnte ich eine Zickzackfährte reiten, die nur schwer zu verfolgen war. Es war ein starkes Rudel, also etwa sieben oder acht Mann. Einige von ihnen ritten schnellere Pferde und waren den anderen Reitern voraus. Es musste zu einem Zusammenstoß kommen. Ich begriff es mehr und mehr. Und so hielt ich die Schrotflinte bereit. Ja, mit solch einem Ding würde ich mir den Weg leichter freischießen können als mit dem Colt. Es kam dann so, wie ich es voraussah. Wir stießen fast rechtwinklig aufeinander. Sie kamen von links, also von Westen her. Ich ritt nach Norden auf die Lücke in den Hügeln zu. Sie begannen zu schießen. Kugeln streiften mich. Auch der Hengst zuckte unter mir zusammen, als ob er einen bösen Peitschenhieb bekommen hätte. Aber dann waren die ersten Reiter des Rudels nahe genug für die Schrotflinte. Ich servierte ihnen den Inhalt beider Läufe. Sie bildeten sofort mit ihren Pferden ein wildes Knäuel – und ich ritt weiter. Ich hatte mir den Weg freigeschossen und warf die Schrotflinte weg. Sie konnte mir nicht mehr nützen, denn ich besaß keine Patronen, sie neu zu laden. Es 205
war eine dieser neumodischen Parker-Schrotflinten, die man mit fertigen Papppatronen laden musste. Sie waren mit grobem Schrot gefüllt. Solche Patronen besaß ich nicht. Das Gewehr war also so wertlos für mich geworden wie ein Holzprügel. Nun besaß ich nur noch den, Colt, den ich Pytaya abgenommen hatte. Es war keine besonders gute Waffe, kaum durchschnittlich. Ich war also gar nicht mehr so gut bewaffnet. Aber ich war vorerst entkommen. Wie würde es weitergehen? Noch bevor es Tag wurde, begann El Capitan unter mir zu lahmen. Ich hielt an und untersuchte ihn. Ja, er hatte etwas abbekommen. Es war eine Streifwunde an der linken Hinterhand. Ich ritt weiter. Als wir eine Wasserstelle erreichten, hielt ich an. Ich wusch die Wunde aus, reinigte sie sorgfältig und riss dann meinem Unterhemd den Ärmel aus. Ich band diesen Ärmel um El Capitans Beinwunde. Sie war nicht schlimm. Er würde nur dann ein wenig Schmerzen spüren, wenn wir – so wie vorhin – durch Dornenbüsche und hartes Gras ritten. Doch jetzt war die Wunde geschützt. Wenn sie sich jedoch in den nächsten Stunden entzünden sollte, brauchte ich bald ein neues Pferd. 206
Ich mied den Wagenweg. Denn solch ein Wagenweg machte stets einige Umwege, weil er alle Steigungen und beschwerlichen Stellen mied. Zu Pferd konnte man kürzere Routen reiten. Ich musste mich vorsehen, dass sie mir nicht den Weg verlegten, weil sie das Land besser kannten als ich und deshalb noch kürzere Wege zu reiten vermochten. Die Sonne kam dann hoch und begann bald schon zu stechen. Es würde ein heißer und staubiger Tag im Sattel werden. Meine vielen Wunden, die mir die Peitsche geschlagen hatten, begannen zu brennen. Puder und Pflaster hätten gewiss geholfen, wenn ich einige Tage ruhig in Dees Zimmer geblieben wäre. Doch durch das Reiten brachen fast alle Wunden wieder auf. Die Pflaster lösten sich. Es ging mir zunehmend mieser. Und die Grenze war noch weit. Selbst wenn ich sie erreichte, war ich noch längst nicht gerettet. Denn Salvadors Macht reichte so weit. Ob er nun auch schon hinter mir ritt? Oder wartete er, bis man mich wieder zu ihm brachte, sodass er mich nochmals anketten lassen konnte? Ich schwor mir, dass sie mich nicht mehr lebend zu ihm bringen konnten, nein, zum zweiten Male nicht mehr. 207
Als sich der Tag dem Ende näherte, lahmte El Capitan stärker. Und ich hielt am Rand einer Ebene und sah meine Verfolger. Es waren vier Suchtrupps, die sich zu einer Mannschaft vereinigt hatten. Und Salvador selbst führte sie an. Ja, er kam selbst. Die Entfernung betrug kaum mehr als eine Meile. Er musste also sofort nach dem Schuss mit seinen Reitern losgeritten und mir dann die ganze Nacht dicht auf den Fersen geblieben sein. Ich ritt weiter – aber da waren plötzlich Reiter vor mir. Sie sperrten den Weg, und sie hatten mich vor meinen Verfolgern über die Ebene reiten sehen. Ich hielt mein Pferd an, sah zu ihnen hin. Es waren fünf, und wahrscheinlich waren sie die am weitesten gerittene Suchmannschaft. Sie starrten zu mir her. Ich rief ihnen zu: »Gebt den Weg frei, Amigos! Ich schieße nicht gern auf euch. Aber wenn ihr mir den Weg nicht freigebt, werden einige von euch sterben müssen. Also! Ich komme!« Ich hielt meinen Revolver bereit und ritt auf sie zu. Es gab keinen anderen Weg durch die Hügel, dem ich folgen konnte, ohne meinen Vorsprung zu verlieren. 208
Sie wichen nach rechts und links aus, machten mir Platz. Ich wusste, dass sie mich angreifen würden, sobald ich zwischen ihnen war. Sie würden es wagen. Das sah ich ihnen an, erkannte ich in ihren Blicken. Sie zischten sich Worte zu, indes ich herangeritten kam. Ich hatte nicht viele Chancen. Das konnte auch gar nicht sein. Und dennoch musste ich mit ihnen kämpfen. Ich hatte keine andere Wahl. Hinter mir kam Salvador mit seinen Reitern. Vor mir waren diese fünf Hombres. Ausweichen nach Westen oder Osten konnte ich nicht. Das wäre zu dumm gewesen, denn die Ebene erstreckte sich viele, viele Meilen weit in diese beiden Richtungen. Der Hengst lahmte. Eine lange Jagd konnte er vielleicht doch nicht mehr gewinnen. Ich übrigens auch nicht. Es ging mir schlecht. Ich hätte mich noch zwei oder drei Tage ausruhen müssen. Nun, ich ritt also mit dem Revolver in der Hand auf sie zu. Dann war ich zwischen ihnen, hatte also zwei rechts und drei links von mir. Sie ließen mich ziemlich weit zwischen sich durch. Ich spürte schon etwas Hoffnung. Doch sie warteten nur so lange, bis sie schräg nach vorn schießen 209
konnten, sodass sie sich nicht mehr gegenseitig gefährdeten. Dann stieß einer von ihnen einen scharfen Ruf aus. Und da begannen sie zu schießen. Aber sie schossen schlecht. Sie waren keine Revolvermänner vom Schlag Hannagans, Sacketters oder eines Burschen wie mir. Sie schossen hastig, weil jeder den ersten Treffer zu erzielen hoffte. Und überdies explodierten ihre Pferde unter ihnen. Denn ich wandte abermals den alten Trick an, wie ein angreifender Puma zu kreischen. Ja, ja, es war ein uralter Trick, und ich schäme mich fast schon, ihn hier wieder zu schildern. Doch es war nun mal so. Es war meine einzige Chance. Und in der Not wendet man auch uralte Tricks an, nicht wahr? Ich hatte sogar Glück damit. Denn solch ein wilder Pumaschrei war so ziemlich das Einzige, was gut geschulte Pferde, die man an Revolverfeuer und ähnlich Unvorhergesehenes gewöhnte, noch erschrecken konnte. Sie keilten aus, und deshalb schossen ihre Reiter so schlecht. Auch mein Hengst keilte aus, gebärdete sich verrückt. Denn ich hatte ihn ja ebenso erschreckt wie die anderen Pferde. 210
Ich brachte ihn jedoch etwas früher unter Kontrolle. Und so schoss ich auch etwas früher – und besser. Ich gab diesen Burschen eine Menge heißes Blei. Dann aber war mein Revolver leer. Ich riss El Capitan herum und ergriff die Flucht. Kugeln folgten mir. Ich hatte nicht alle Gegner niederkämpfen können. Überdies war auch Salvador mit seinen Reitern sehr viel näher gekommen. Ich war zu lange aufgehalten worden. Sie alle schossen hinter mir her. Ich spürte einige Kugeln. Und dann zuckte El Capitan unter mir zusammen. Er hatte zumindest einen zweiten Streifschuss abbekommen. War es aus mit der Flucht? Musste ich mich nun zum letzten Kampf stellen? War ich schon so gut wie tot? Ich musste wieder daran denken, was mir beide Salvadors schon sagten, nämlich: »Stirb langsam, Spade!« Beide Male war ich entkommen oder hatte mich retten können. Zweimal schon war es ihnen nicht geglückt, mich langsam sterben zu lassen. Hurtado hatte mich nackt und zerschunden meinem Schicksal in der Wildnis überlassen. Und sein Vater ließ mich auspeitschen und an einen Pfahl ketten. 211
Zweimal war ich schon fast so gut wie erledigt gewesen. Und jetzt? Ich galoppierte in die Hügel und versuchte meine Verfolger abzuschütteln. El Capitan unter mir begann immer stärker zu lahmen. Noch galoppierte er willig. Er war ein Kämpfer und gehorchte mir. Doch die zweite Wunde musste schlimmer sein als die erste, die ich ihm mit einem Ärmel meines Unterhemdes verbunden hatte. Ja, wahrscheinlich hatte jetzt schon mein Sterben begonnen.
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14 El Capitan kämpfte bewundernswert. Er gab alles, was er geben konnte. Doch er war angeschossen. Ihm ging es bald ebenso schlecht wie mir. Aber wir schlugen einige geschickte Haken, verhinderten in den Hügeln, dass die Verfolger aufholen konnten. Doch dann erreichten wir eine neue Ebene. Eigentlich war es ein Tal. Es war das Tal des Green Creek – das Green Creek Valley. Es war Tag geworden. Sie hatten mich die ganze Nacht gejagt. Heiliger Rauch, wie lange saß ich schon im Sattel? Wie lange dauerte diese Jagd schon? Es kam mir wie tausend Jahre vor. Aber sie jagten mich nun schon eineinhalb Nächte und einen Tag. Jetzt brach der zweite Tag an. Wir befanden uns längst schon auf amerikanischem Territorium, und Salvador war mit seinen Reitern immer noch hinter mir her. Ich ritt auf meinem lahmenden Hengst hinaus auf die Ebene.
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Als ich mich nach einer Weile umsah, konnte ich Salvador erkennen. Er war keine halbe Meile hinter mir. Von all seinen Reitern hatten nicht mehr viele sein Tempo halten können, nur jene mit den allerbesten Pferden. Ich zählte außer ihm nur noch vier. Aber das waren die gefährlichsten. Ich erkannte auch Hank Carradine unter ihnen, und Hank Carradine war so gefährlich, wie John Hannagan es gewesen war. Alle anderen Reiter hatten wir weit zurückgelassen. Ich ritt auf die Siedlung Green Creek zu. Warum? Nein, ich erwartete keine Hilfe von den Leuten dort. Aber ein frisches Pferd – und wenn es auch nur ein durchschnittliches Tier sein sollte – konnte mich retten. Die Tiere meiner Verfolger waren so ausgepumpt, dass sie selbst ein nur durchschnittliches Pferd nicht mehr einholen konnten. Wenn ich dort in Green Creek also nur ein halbwegs brauchbares Tier bekam, konnte ich entkommen. Deshalb also ritt ich hin, nur deshalb. Denn Hilfe würde ich von diesen Städtegründern nicht 214
bekommen. Nein, das glaubte ich nicht. Ich hielt sie für Leute, die nicht kämpfen konnten und dies auch gar nicht riskieren durften, wollten sie ihre Frauen nicht zu Witwen und ihre Kinder zu Halbwaisen werden lassen. Diese Städtegründer waren eine völlig andere Sorte. Ich versprach mir nichts von ihnen, gar nichts, was mit persönlicher Hilfe zusammenhing. Doch ein Pferd würden sie mir geben müssen. Ich hatte erlebt, wie Hurtado und seine Begleiter mit ihnen umsprangen. Und ich selbst hätte mir ebenfalls zugetraut, sie zu vertreiben, ganz allein, nur mit meinem Colt. Ich ritt also auf meinem immer stärker lahmenden Hengst auf diese Siedlung zu. Am Creek drehte sich das Wasserschöpfrad. Ich konnte es im ersten Morgenlicht deutlich erkennen. Immer wenn ich mich umsah, erkannte ich, dass Salvador und seine Revolvermänner mir etwas näher gekommen waren. Ihre Pferde waren unverletzt. Deshalb konnten sie sogar diesen wunderbaren Hengst schlagen, der mich retten wollte und sein Bestes gab. Aber die Siedlung kam immer näher. Ich sah schon, dass die Leute dort aufmerksam waren. Sie liefen zusammen, geworden 215
verständigten sich offenbar durch Zurufe und sahen mir entgegen. In der klaren Morgenluft des ArizonaTerritoriums konnte man alle Einzelheiten auf große Entfernungen gut erkennen. Und meine Entfernung zu den Leuten schmolz. El Capitan konnte kaum noch. Er galoppierte nur auf drei Beinen. Seine rechte Hinterhand war fast unbrauchbar. Salvador holte auf. Ich würde wahrscheinlich gar keine Zeit mehr haben, mir ein anderes Pferd zu verschaffen. Vielleicht musste ich mich auf ein sattelloses Tier werfen, um zu entkommen. Sie waren mir schon näher als eine Viertelmeile. El Capitan baute nun zunehmend ab. Sie kamen mir alle drei Galoppsprünge um einen Sprung näher. Aber ich würde und konnte es vielleicht schaffen. Ich erkannte einen Corral, in dem sich einige Pferde befanden. Ich ritt darauf zu. Jeder konnte begreifen, was ich im Sinn hatte. Ich wollte ein frisches Pferd. Und es musste mir vielleicht mit knapper Not gelingen, wenn ich keine Zeit mit dem Sattelwechsel verschwendete. Als ich mich wieder einmal umsah, erkannte ich, dass einer meiner Verfolger etwas zur Seite ritt, so, als wollte er freie Bahn haben. Ich begriff sofort, was dies zu bedeuten hatte.
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Als ich mich zum zweiten Mal umsah, war der Reiter schon vom Pferd herunter und kniete am Boden. Er hatte ein Sharps-Gewehr, eine so genannte Büffelflinte, ein Ding also, mit dem man sehr weit und sehr genau schießen konnte, ein schweres Ding mit langem Lauf, dessen Messingpatronen vom Kaliber 45-120-550 waren. Mit solch einem Ding konnte man auf zweihundertundfünfzig Yards noch einen Büffelbullen fällen. Er schoss auch sofort. Und er tötete Salvadors prächtigen Hengst El Capitan. Gewiss tat er dies auf Salvadors Befehl. Ehe Salvador mir die Chance zum Entkommen gab, ließ er lieber seinen prächtigen Hengst töten. Er seufzte unter mir, stolperte noch ein paar Yards und brach dann zusammen. Ich segelte über Hals und Kopf des braven Tieres, überschlug mich, rollte aus und lag still. Ich war wie gelähmt, so böse fiel ich auf den Rücken. El Capitan aber kam noch einmal hoch. Der Hengst kämpfte sich noch einmal auf die Hufe und kam zu mir. Er schnaubte und schnaufte, rollte die Augen und zeigte sein Gebiss. Ja, er war ein Kämpfer. Es war, als besäße er ein menschliches Verständnis für meine Not und wollte mir helfen.
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Als er bei mir stand, konnte ich mich immer noch nicht erheben. Meine Muskeln waren wie gelähmt, und ich fürchtete mich davor, dass etwas mit meinem Rückgrat wäre. Aber dann endlich wich die Lähmung. Ich wollte aufspringen. Doch da traf die zweite Kugel aus der Sharps den Hengst. Er fiel auf mich. Ich konnte mich nicht schnell genug wegrollen. Ich war noch zu langsam. Er begrub mich unter sich. Ich bekam nur meinen Oberkörper frei und spürte, wie eines meiner Beine brach. Nun war alles aus. Salvador hatte mich. Nun gab es keinen Zweifel mehr. Ich lag still. Das schwere Tier lag über meinen Beinen, und eines dieser Beine war gebrochen. Meinen Oberkörper hatte ich frei, und so konnte ich Salvador heranreiten sehen. Er hielt dann sein Pferd neben mir an und blickte auf mich nieder. Ich starrte zu ihm empor. So sahen wir uns einige Atemzüge lang an. »Gut gemacht, Spade«, sagte er nach einer Weile. »Doch jetzt musst du sterben.« Er zog den Colt und zielte vom Sattel herab auf mich. Von links hörte ich Leute herbeilaufen. 218
Eine Stimme rief: »Hoiii, nicht schießen! Das wäre Mord! Nicht schießen! Nicht auf einen wehrlosen Mann schießen!« Doch Salvador achtete gar nicht auf diese Rufe. Er musste sie jedoch ebenso hören wie ich. Nun legte er mit dem Daumen den Hammer der Waffe zurück. Da krachte dicht bei mir eine Schrotflinte. Die Bleisaat traf Salvador voll. Sie stieß ihn vom Pferd. Er schoss sterbend noch auf mich. Doch die Kugel fuhr neben meinem Kopf in die Erde. Er fiel zu Boden und rollte neben mich. Sterbend sah er mich an, doch er konnte mir nichts mehr sagen. Ich wandte den Kopf. Da standen die Leute von Green Creek. Es waren mehr als ein Dutzend Männer. Sie trugen Waffen, zumeist Schrotflinten. Und sie waren herbeigelaufen, um mir zu helfen. Sie wollten nicht zulassen, dass ein unduldsamer Despot auf dem Boden ihrer zukünftigen Stadt einen Mord beging. Sie hatten vor einiger Zeit genug hingenommen von diesem Hurtado und den anderen Salvador-Reitern. Ja, sie begriffen, dass sie kämpfen mussten, wollten sie nicht von Anfang an eine feige Stadt sein. Die Leute aus Tennessee hatten es begriffen.
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Und so hatten sie sich selbst vor einem Despoten wie Salvador nicht gefürchtet. Was würden Salvadors Reiter tun? Dies fragte ich mich – und ich wandte den Kopf in die andere Richtung, drehte auch meinen Oberkörper etwas. Mein gebrochenes Bein, das unter dem toten Hengst lag, schmerzte höllisch. Doch ich vergaß den Schmerz. Salvadors Reiter hatten angehalten. Sie zögerten. Ich sah auf diesen Hank Carradine. Dieser hatte jetzt gewiss das Kommando. Was würde er tun? Ich rief: »Carradine! He, Carradine! Er ist tot! Für wen kämpft ihr noch? Für einen Toten?« Er kam näher geritten. Die anderen folgten ihm nur langsam. Und sie hielten bei uns an und blickten auf Salvador nieder. Ja, sie sahen, dass er tot war. Carradine blickte auf die Städtegründer. »Vielleicht sollten wir euch alle zur Hölle jagen«, sagte er. Sie erwiderten nichts. Nein, sie erwiderten seine Drohung nicht mit einer Herausforderung. Sie standen als Gruppe da, schwiegen und wirkten dennoch entschlossen. Sie strömten einen Gemeinschaftssinn aus, den Salvadors Reiter deutlich spürten. Carradine entschloss sich. 220
»Wir nehmen Don Francisco mit«, sagte er und sah dann wieder auf mich nieder. »Glück gehabt, Spade«, sagte er. »Salvador ist tot. Ja, wofür sollten wir noch kämpfen? Die neue Zeit können wir nicht aufhalten. Was soll ich mit Dee Lane machen? Ich könnte eine Menge mit ihr machen, nicht wahr?« »Schick sie mir«, sagte ich. »Oder willst du an ihr billige Rache nehmen?« Er dachte nach, lauschte in sich hinein. Dann sagte er: »Ich schick sie dir. Ja, das werde ich tun. Du hast Glück, Spade.« Dee Lane kam wirklich einige Tage später. Zwei Reiter begleiteten sie. Doch sie kehrten um, als die Siedlung am Creek in Sicht kam. Ich sah Dee Lane entgegen. Sie hatten ihr einen leichten Wagen gegeben, in dem Dee all ihre Habseligkeiten mitbrachte. Es war nicht viel. Doch wir würden es schaffen. Mein Bein war geschient. Ich konnte sie nicht aus dem Wagen heben. Aber ich würde sie bald auf Händen tragen – mein ganzes Leben lang, jawohl! ENDE 221