Harry Harrison
STATIONEN IM ALL Die Geschichte des Materie-Transmitters
BASTEI-SCIENCE-FICTION-TASCHENBUCH Nr. 19 Ame...
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Harry Harrison
STATIONEN IM ALL Die Geschichte des Materie-Transmitters
BASTEI-SCIENCE-FICTION-TASCHENBUCH Nr. 19 Amerikanischer Originaltitel: One Step from Earth Deutsche Übersetzung: Walter Ernsting und Rosemarie Ott © Copyright 1970 by Harry Harrison Deutsche Lizenzausgabe 1972: Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelillustration: Eddie Jones Einbandgestaltung: Rosemarie Roden Gesamtherstellung: Moritz Schauenburg KG, Lahr/Schwarzwald ISBN 3-404-00.008 o Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
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INHALTSVERZEICHNIS Der Sprung zum Mars Opfer für Saturn Der Attentäter Die Braut des Gottes Die Last der Schwerkraft Weder Krieg noch Kampfeslärm… Wächter des Lebens Alpha und Omega
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Der Sprung zum Mars Die Landschaft war tot, und sie hatte niemals gelebt. Als sich die Planeten bildeten, war sie tot geboren worden – eine planetarische Totgeburt aus Felsen, Sand und Kies. Die Luft war so dünn und so kalt, daß sie dem Vakuum des Weltraums ähnlicher war als jede atembare Atmosphäre. Obgleich es beinahe Mittag war und die kleine, bleiche Sonnenscheibe fast im Zenit stand, blieb der Himmel dunkel. Im Sand der unebenen, toten Landschaft gab es keinen Fußabdruck, keine einzige Spur. Schweigen, Einsamkeit, Leere. Nur die Schatten bewegten sich. Während die Stunden vergingen, wanderte die Sonne über den Himmel und versank endlich unter dem Horizont. Mit der Nacht kam noch größere Kälte. Die Sterne zogen langsam ihren Bogen, und dann erschien die Sonne wieder am entgegengesetzten Horizont. Doch dann geschah etwas. Hoch oben am dunklen Himmel war ein Aufblitzen, als würde das Sonnenlicht von schimmerndem Metall zurückgeworfen. Etwas bewegte sich dort, wo noch niemals jemand gewesen war. Es wurde größer, verwandelte sich in einen Lichtfleck und dann in einen flammenden Feuerstrahl. Die Flamme wurde noch heller, als sie sich der Oberfläche näherte und dann dicht über ihr schwebte. Staub wirbelte davon. Felsbrocken zerschmolzen in der Glut – und dann erlosch der Feuerstrahl. Der wuchtige Metallzylinder fiel die letzten Meter und landete auf seinen weit auseinandergestreckten Beinen. Die Teleskopstützen federten aus, bis der Zylinder gerade stand. Dann bewegte sich nichts mehr. Die Minuten vergingen. Alles blieb ruhig, nur der Staub sank langsam wieder herab, und der geschmolzene Felsen erstarrte, wobei beim Erkalten breite Risse entstanden. Der scharfe Knall einer Explosion unterbrach die Stille, und die eine Seite des Zylinders wurde mehrere Meter weit weggeschleudert. Sie landete im Sand und blieb liegen. Der Zylinder vibrierte, beruhigte sich dann aber wieder. Dank der nun fehlenden Wand konnte man in das Innere der Kapsel blicken. Sie war mit Geräten und Instrumenten angefüllt, die alle um eine graue Platte geordnet lagen. Sie erinnerte an das trübe Bullauge eines Schiffes. Wieder geschah eine ganze Weile nichts, als müsse immer eine gewisse Zeit vergehen, ehe die Automatik eine Entscheidung fällte. Und genau das geschah auch, als plötzlich eine Antenne ausgefahren wurde. Zuerst glitt sie waagerecht zur Oberfläche dahin. Dann folgte ein gebogenes Teil, und sie stieg senkrecht nach oben. Noch während das geschah, erschien eine Fernsehkamera mit einer Halterung, bewegte sich unschlüssig hin und her, bis sie endlich einrastete und in Position blieb. Mit einem hellen Klicken verwandelte sich dann die runde Platte. Sie wurde
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tiefschwarz und schien verschoben zu werden, ohne daß sie sich bewegt hätte. Einen Augenblick später stand plötzlich auf ihr ein durchsichtiger Plastikbehälter, als sei er durch eine Tür gekommen. Er schwankte, verlor das Gleichgewicht und fiel aus der Kapsel auf den Boden. Die weiße Ratte im Innern des Behälters war sichtlich erschrocken, als ihr Käfig davonrollte und liegenblieb. Sie kam auf die Füße und versuchte, an den glatten Wänden emporzuklettern. Dann gab sie es auf und beruhigte sich. Mit ihren weißen Augen betrachtete sie die trostlose Landschaft um sich herum und begann sich dann zu putzen. Noch hatte die Kälte die Wände ihres Gefängnisses nicht durchdrungen. Das Bild auf dem Fernsehschirm war ziemlich verschwommen. Aber wenn man bedachte, daß es von der Oberfläche des Mars zu einer um den Planeten kreisenden Relaisstation gesendet und von dort zur Mondstation weitergeleitet wurde, die es dann zur Erde schickte, konnte man es nicht als schlecht bezeichnen. Trotz aller Störungen und »Schnee« war die Ratte in ihrem Behälter deutlich zu erkennen. »Erfolg?« fragte Ben Duncan. Er war ein drahtiger, kompakt gebauter Mann mit kurzgeschnittenem Haar und brauner lederartiger Haut. Die vielen kleinen Falten um die Augenwinkel herum zeugten davon, daß er viele Jahre in großer Kälte oder unter der Tropensonne zugebracht hatte. Beides stimmte. Seine ganze Erscheinung unterschied sich gewaltig von jener der bleichgesichtigen Techniker, die an den Kontrollständen saßen, wenn man von den Negern und Puertoricanern absah. »Bis jetzt sieht es gut aus«, meinte Dr. Thurmond. Er war Doktor der Physik für Materie-Transmission und mit Recht stolz darauf. »Wellenerscheinung in Ordnung, keine Verminderung, kaum Rückstrahlung. Das Versuchsobjekt ging mit dem Wert einskommadrei der MT-Skala durch. Es könnte also kaum besser sein.« »Und wann können wir durch?« »In einer Stunde, vielleicht etwas später. Die biologische Abteilung muß erst die Genehmigung erteilen. Sie wollen das erste Versuchsobjekt genau studieren, eventuell noch ein zweites. Dann erst können Sie mit Thasler durch den Materie-Transmitter. Sie gehen zusammen.« »Ja, natürlich, warum auch warten?« sagte Otto Thasler. Dann fügte er hinzu: »Entschuldigen Sie mich, bitte«, und rannte davon. Er war von kleiner Statur und trug eine Brille mit dickem Rand. Sein Haar war dünn und sandfarben. Er sah älter aus, als er in Wirklichkeit war, weil er stark gebeugt ging. Das kam von der vielen Laborarbeit. Außerdem war er nervös. Die Schweißtropfen auf seiner Stirn verrieten es. Er suchte nun schon zum drittenmal innerhalb einer Stunde die Toilette auf. Das hatte auch Dr. Thurmond bemerkt. »Otto ist aufgeregt«, stellte er fest. »Aber ich glaube nicht, daß Sie Ärger mit ihm haben werden.« »Wenn wir erst einmal dort sind, wird er sich beruhigen. Das Warten macht jeden Menschen nervös.«
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»Sie etwa auch?« erkundigte sich Dr. Thurmond mit einem leicht spöttischen Unterton in der Stimme. »Natürlich«, gab Ben Duncan zu. »Aber schließlich habe ich schon oft genug warten müssen, um nicht daran gewöhnt zu sein. Allerdings bin ich noch nicht auf dem Mars gewesen. Dafür aber an einigen anderen, nicht weniger merkwürdigen Orten.« »Davon bin ich überzeugt. Sie scheinen mir mehr eine Art professioneller Abenteurer zu sein, nicht wahr?« Diesmal war der spöttische Ton unverkennbar. Er drückte das Mißtrauen eines Mannes, der das Befehlen gewohnt war, einem anderen Mann gegenüber aus, der nur ungern Befehle entgegennahm. »Das nicht gerade. Ich bin Geologe und Petrologe. Einige der wirklich seltenen Proben, mit denen Sie in Ihren Labors arbeiten, habe ich gefunden, und das nicht gerade an leicht zu erreichenden Stellen.« »Na, fein.« Der Tonfall seiner Stimme blieb ausdruckslos und unpersönlich. »Dann haben Sie ja eine Menge Erfahrungen sammeln können, um auf sich aufzupassen und im Notfall Otto Thasler behilflich zu sein. Er hat das Kommando und wird die Hauptarbeit leisten. Sie sind lediglich sein Assistent.« »Selbstverständlich«, erwiderte Ben, drehte sich um und ging davon. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, diese Wissenschaftler. Und sie machten kein Geheimnis daraus, daß sie ihn für einen Außenseiter hielten. Sie hätten ihn auch niemals für diesen Job geholt, wenn sie selbst einen unter sich wüßten, der ihn ausführen konnte. TRANSMUTER GMBH war reicher als manche Regierung und auch mächtiger. Sie kannten den Wert des richtigen Mannes in der richtigen Stellung. Ein einfacher MT-Ingenieur für das geplante Unternehmen konnte schnell gefunden werden, und Otto, der sein Leben lang Angestellter gewesen war, hatte so gut wie keine Chance, das Angebot abzulehnen. In der überbevölkerten Welt des Jahres 1993 gab es nur noch wenig unbekannte Regionen auf der Erde und noch weniger Männer, die sie zu betreten wagten. Ben hielt sich gerade im Himalaja auf, als der Hubschrauber ihn holen kam. Er brach seine Expedition sofort ab, denn TM GmbH setzte Druck dahinter und bot ihm den besseren Vertrag an. Sie drängten ihn zur Unterschrift, aber das hätten sie nicht einmal nötig gehabt. Er hätte auch für ein Zehntel der angegebenen Summe unterzeichnet. Diese Bürotypen würden nie begreifen, daß er sich dieses Abenteuer schon lange gewünscht hatte. Durch die Tür gelangte er auf einen Balkon, von dem aus er die ganze Stadt überblicken konnte. Behutsam stopfte er seine Pfeife voll Tabak, zündete sie jedoch nicht an. Er würde in der nächsten Zeit nicht rauchen dürfen und es war gut, sich schon jetzt allmählich daran zu gewöhnen. In dieser großen Höhe war die Luft noch einigermaßen frisch. Doch die Dunstglocke begann bereits einige Stockwerke tiefer. Die Straßen und Häuser erstreckten sich bis zum Horizont und waren vollgepackt mit Menschen. Alle Städte auf der
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Erde sahen so aus, eine wie die andere. »Kommen Sie, Mr. Duncan, man wartet auf Sie!« Der Techniker stand in der Tür. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. Ben lächelte ihm zu und gab ihm mit betonter Ruhe seine Pfeife. »Würden Sie die bitte aufbewahren, bis ich zurück bin?« Otto war bereits eingekleidet worden, und nun stürzten sie sich auf ihn, zogen ihm den Overall aus und halfen ihm in den Spezialschutzanzug. Zuerst warme Unterwäsche, dann hauchdünne Seide, eine heizbare Kombination und elektrische Socken und Stiefel. Es ging alles sehr schnell. Dr. Thurmond inspizierte ihn, während die Verschlüsse verschraubt wurden. Er nickte zufrieden. »Lassen Sie einen offen, bis Sie die Kammer betreten«, sagte er. »Kommen Sie jetzt!« Er ging voraus, und alle liefen hinter ihm her. Wie eine Henne mit ihren Küken, dachte Ben belustigt. Sie gelangten in den Transmitterraum, angefüllt mit Instrumenten, Geräten und der elektrischen Leitschiene für die Energiezufuhr. Techniker und Ingenieure sahen ihnen neugierig entgegen; aber als einer von ihnen Ben zuwinkte, scheuchte Thurmond ihn mit einem eisigen Blick zurück. Die drei Männer betraten die Druckkammer, deren schwere Tür hinter ihnen verschlossen und abgeriegelt wurde. Thurmond schloß den dicken Mantel, als kalte Luft in die Kammer geblasen wurde. »Der letzte Countdown beginnt«, sagte er. »Ich wiederhole noch einmal meine Instruktionen.« Ben kannte sie schon auswendig, aber er hielt den Mund. »Temperatur und Luftdruck in der Kammer werden nun den atmosphärischen Verhältnissen auf dem Mars angepaßt. Im Augenblick werden minus zwanzig Grad Celsius auf der Oberfläche des Planeten gemessen. Der Luftdruck liegt bei zehn Millimeter. Sauerstoff ist so gut wie keiner vorhanden. Sie werden also stets Ihre Atemmasken tragen müssen, vergessen Sie das nicht! Sie müssen sie aufsetzen, sobald Sie gehen…« Er gähnte, um den Druck in den Ohren anzugleichen. »Ich verschwinde jetzt in der Schleuse.« Von dort aus setzte er seinen Vortrag fort und beobachtete sie durch das kleine Zwischenfenster. Ben versuchte, die dröhnende Stimme zu ignorieren, und Otto war viel zu aufgeregt, um zuzuhören. Im Versorgungsteil des Anzuges klickte der Thermostat, und Sekunden später spürte Ben, wie ihm warm wurde. Vor seiner Brust baumelte die Sauerstoffmaske. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, nahm das Mundstück und atmete den reinen Sauerstoff ein. »Der erste Mann – fertigmachen!« sagte Dr. Thurmond mit seltsam quiekender Stimme. Zum erstenmal seit ihrem Aufenthalt in der Kammer sah Ben auf die runde, schwarze Scheibe des Transmitters. Er legte sich auf den Tisch. Zwei Techniker in Druckanzügen kamen durch die Schleuse, um ihm zu helfen. Sie schoben den Tisch auf die Transmitteröffnung zu. »Moment noch!« sagte Ben. Der Tisch hielt an. Otto Thasler drehte ihm den
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Rücken zu und starrte die gegenüberliegende Wand an. Ben konnte sich den entsetzten Gesichtsausdruck des Mannes gut vorstellen. »Otto, ruhig bleiben! Es ist alles halb so schlimm. Am anderen Ende warte ich auf Sie. Denken Sie daran, daß wir Geschichte machen werden!« Otto gab keine Antwort, und Ben hatte auch keine erwartet. Je schneller sie jetzt alles hinter sich bekamen, um so besser war es. Automatisch nahm er die tausendfach geübte Position auf dem Tisch ein – rechter Arm vorgestreckt, der linke dicht an den Körper gepreßt. Der Materie-Transmitter wurde größer, als der Tisch auf ihn zurollte – wie ein großes, schwarzes Auge, in das er hineinblickte. »Jetzt!« sagte er. Die beiden Männer drückten gegen seine Füße. Er rutschte, und sein ausgestreckter rechter Arm begann zu verschwinden. Er spürte nichts. Erst als der Kopf hindurchging, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Dann war auch das vorbei. Vor sich sah er die groben Sandkörner der Marsoberfläche. Mit den Händen schwächte er den kurzen Sturz ab und landete auf dem Plastikbehälter mit der Ratte. Sie war tot und steifgefroren – kein gutes Omen. Schnell wandte er sich ab und schaltete das Mikrophon ein, das er vom Bildschirm her kannte. »Ben Duncan an Kontrolle. Bin gut angekommen, keine Probleme.« Vielleicht hätte er noch ein paar geistreiche Worte zu diesem historischen Ereignis sagen sollen, aber ihm fiel nichts ein. Er sah nur die kahlen, dunklen Hügel, den kleinen Krater nebenan und die fahle, kleine Sonne. Was hätte er sagen sollen? »Schickt Otto! Ende.« Er erhob sich und klopfte den Staub vom Anzug. Dann betrachtete er voller Spannung den Transmitter. Die Minuten vergingen, ohne daß etwas geschah. Aber dann kam endlich die Antwort: »Empfang gut. Wir schicken jetzt Thasler durch!« Noch ehe die Stimme ausgesprochen hatte, erschien Ottos Hand. Die Radiowellen benötigten immerhin vier Minuten, um den Mars zu erreichen, während der Materie-Transmitter nahezu zeitlos arbeitete. Raum und Zeit in gewohntem Sinne existierten nicht im Bhattacharya-Kontinuum. Ben sprang hinzu, als Ottos Körper materialisierte, um ihm den Fall zu ersparen. Behutsam ließ er ihn zu Boden gleiten und drehte ihn auf den Rücken. Die Augen des Mannes waren geschlossen. Er atmete regelmäßig und schien nur bewußtlos geworden zu sein. Transmitterschock, so nannte man es wohl. In wenigen Minuten würde er wieder zu sich kommen. Ben ließ ihn liegen und ging zum Radiogerät. »Otto ist hier. Bewußtlos, aber sonst heil. Ihr könnt jetzt das andere Zeug schicken.« Er wartete. Der Wind verursachte ein helles, dünnes Pfeifen, als er gegen die Atemmaske blies, und er war eiskalt. Ben spürte es an den Wangen, aber es war ihm egal. Für ihn war die Hauptsache, daß es den Wind gab, seine Füße
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auf festem Boden standen und über ihm die Sonne schien. Er hätte jetzt genausogut irgendwo auf der Erde sein können, auf einem hochgelegenen Plateau im Himalaja vielleicht. Er entsann sich an kühle Nebeltage, an denen er noch weniger von der Sonne gesehen hatte als jetzt. Die Schwerkraft? Die schwere Ausrüstung, die er jetzt mit sich herumschleppte, ließ keinen Unterschied aufkommen. Die roten Hügel voller Schatten, die dünnen Wolkenschleier am Himmel – es könnte wahrhaftig die Erde sein, ein unbekannter, menschenleerer Winkel vielleicht. Aber der Planet Mars? Er begriff es einfach nicht. Sicher, wäre er mit einem Raumschiff hierhergekommen, nach monatelanger Reise, dann wäre alles ganz anders gewesen. Aber so hatte er noch vor wenigen Minuten auf der Erde gestanden. Nun aber berührten seine Füße den groben Sand des Mars. Er sah den Käfig mit der zweiten Ratte. Sie lebte noch, aber nicht mehr lange. Sie atmete heftig, das Maul weit geöffnet und Todesangst in den kleinen Augen. Tausende solcher Versuchstiere starben täglich im Dienst der Wissenschaft; aber das war auf der Erde. Hier auf dem Mars war die Ratte außer ihm und Otto vielleicht das einzige lebendige Wesen. Es hatte die Wahl zwischen Erfrieren und Ersticken. Ben bückte sich und öffnete die Klapptür. Der Tod kam schneller, als er sich das erhofft hatte. Die Ratte atmete nur einmal die dünne Luft des Mars, dann streckte sie sich, zuckte noch einmal und lag dann still. Die Trockenheit der dünnen Luft war es, so wußte Ben von seinen Instruktionen her. Das absolute Fehlen jeglicher Feuchtigkeit würde die empfindlichen Schleimhäute von Nase und Rachen sofort verdorren lassen und die Lungen regelrecht verbrennen, als atme man Schwefelsäure ein. Ben war das übertrieben erschienen, aber nun hatte er selbst gesehen, wie schnell die Ratte gestorben war. Automatisch überzeugte er sich davon, daß seine Maske richtig saß. Dann ging er zu dem immer noch bewußtlosen Otto und überprüfte dessen Atemgerät. Nein, dies war nicht die Erde. Jetzt wußte er es. »Achtung!« kam die Stimme schrill und hell aus dem Lautsprecher. »Wir schicken die Ausrüstung. Ist Thasler noch immer bewußtlos? Schaffen Sie es allein?« Ben griff nach dem Mikrophon. »Schickt endlich das Zeug her, verdammt noch mal! Die unnötige Fragerei kostet uns hier oben zwölf Minuten. Wenn wirklich etwas kaputt geht, könnt ihr ja Ersatzteile besorgen, nicht wahr? Wir sitzen hier allein auf dem Mars. Außer Sauerstoff haben wir nichts. Fangt also endlich an!« Unruhig ging er hin und her, während er abermals wartete. Otto lag ganz still, als täte ihm die Ruhepause gut und als wolle er sie bis zur letzten Sekunde auskosten. Das fing ja wirklich gut an! Er zog Otto ein Stück zur Seite, damit nichts auf ihn fallen konnte, wenn der Transmitter anfing zu spucken. Als er zurückkam, schob sich gerade der
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erste Kanister aus dem Schirm. »Das wurde auch Zeit!« knurrte Ben. Er packte den Kanister und zog ihn heraus, bis er auf den Boden fiel. »Sauerstoff und Lebensmittel« stand in roten Lettern darauf. Na gut, wenigstens etwas, dachte Ben und schob ihn zur Seite, um Platz zu machen. Der Regler in seiner Atemanlage klickte reibungslos. Er bekam reinen Sauerstoff. Trotzdem fühlte er sich etwas müde. Kanister nach Kanister erschien. Sie hatten unterschiedliche Länge, aber alle den gleichen Durchmesser. Jemand klopfte ihm auf die Schulter, und Ben ließ den Gegenstand fallen, den er gerade in der Hand hielt. »Ich wurde bewußtlos, es tut mir leid. Ist alles soweit in Ordnung…?« »Helfen Sie mir lieber, Otto. Der Schirm muß frei sein, sonst kann nichts mehr durch!« Es kamen noch einige Behälter, dann fiel schließlich eine Duralschreibplatte auf den Boden. Jemand hatte mit roter Schrift darauf geschrieben: »Überprüfen Sie Ihren Sauerstoffvorrat. Unterkunft aufbauen und Tanks auswechseln!« »Die denken da unten noch für uns«, murmelte Ben und fragte: »Wie sieht es bei mir aus?« »Ein Viertel übrig.« »Gut. Fangen wir gleich mit dem Zelt an.« Otto hantierte mit den Kanistern, während Ben die große und unhandliche Plane ausbreitete. Er tat es genauso, wie er es wahrend des Trainings getan hatte – schnell und gekonnt. Der einzige Unterschied war nur der, daß er bei den Übungen nicht so erschöpft gewesen war wie jetzt. Außerdem trug er unbequeme Handschuhe, die ihn vor der Kälte schützten. Endlich hatte er es geschafft und sah schwer atmend zu, wie Otto einen Drucktank an ein Ventil anschloß. Plötzlich kam Bewegung in ihn. »Verflucht, was machen Sie denn da?« rief er und gab Otto einen Stoß, der diesen zu Boden stürzen ließ. Der Mann blieb ganz ruhig liegen, schweigend und mit weit aufgerissenen Augen. Er mußte annehmen, daß Ben verrückt geworden war. Aber Ben deutete nur auf den Tank und das Ventil. »Gebrauchen Sie doch Ihren Verstand, Mann! Sie bringen uns beide um, wenn Sie nicht aufpassen. Sie wollten die rote Leitung an das grüne Ventil anschließen.« »Es tut mir leid, aber ich achtete nicht auf…« »Natürlich nicht, Sie Kamel! Aber Sie müssen darauf achten! Rot bedeutet Sauerstoff, und damit wird das Zelt gefüllt. Grün ist ein harmloses Gas, mit dem die Zwischenwände aufgeblasen werden. Harmlos, aber hier auf dem Mars für uns absolut tödlich, weil wir es nicht einatmen können!« Ben ließ sich nicht davon abbringen, die Anschlüsse selbst vorzunehmen. Er scheuchte Otto einmal sogar mit dem Schraubenzieher davon, als dieser ihm helfen wollte. Einer der Tanks verwandelte die Plane in einen puddingförmigen Hügel, der mit Sauerstoff gefüllt war. Das nicht atembare
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Gas richtete die Plastikwände auf und gab dem Ganzen das Aussehen einer stabilen Kuppel. Auch der Boden war doppelt und hielt die Kälte ab. Ben wußte, daß der Sauerstoff in seinem Tank knapp wurde, aber er wollte zuerst mit dem Aufbau des Zeltes fertig werden. Er schleppte das Heizgerät in das Zelt. Aber als er in der kleinen Luftschleuse war, verlor er das Bewußtsein. »Noch Suppe?« fragte Otto. »Gute Idee, danke.« Ben leerte die Tasse und reichte sie Otto. »Tut mir leid, wenn ich Sie ausschimpfte. Immerhin haben Sie mir das Leben gerettet.« Otto sah noch ziemlich bekümmert aus, als er sich über den Ofen beugte. »Schon gut, Ben. Ich hatte die Strafpredigt verdient, weil ich nicht aufpaßte. Sie sind doch ein wenig erfahrener in diesen Dingen als ich.« »Ich war noch nie auf dem Mars.« »Sie wissen genau, wie ich es gemeint habe. Sie kennen die ganze Welt. Ich war lediglich auf der Schule und verbrachte dann meine Ferien auf den Bahamas. Das war so ziemlich alles, was ich erlebte. Ich bin ein Stadtmensch.« »Als ich ohnmächtig wurde, haben Sie das Richtige getan.« »Selbsterhaltungstrieb, nehme ich an. Um zu überleben, benötige ich Sie. Ich nehme an, es war der Sauerstoffmangel. Ihr Tank war leer. Im Zelt ist genug Sauerstoff. Also schleppte ich Sie hier herein. Ich nahm Ihnen die Atemmaske ab und heizte ein. Das ist eigentlich alles. Ich tat nur, was getan werden mußte.« Er schwieg. Mit seiner Brille sah er aus wie eine Eule. »Aber es mußte getan werden, Otto!« sagte Ben mit Betonung. »Und niemand hätte mehr tun können als Sie. Es wird allmählich Zeit, daß Sie Ihre Komplexe verlieren und nicht immer daran denken, daß Sie nur ein Stadtmensch sind. Sie sind einer der beiden einzigen Marsforscher, die es in unserem Sonnensystem gibt. Vergessen Sie das nicht.« Otto dachte darüber nadi. Er reckte sich ein wenig, als er meinte: »Das stimmt eigentlich. Da haben Sie recht, Ben.« »Vergessen Sie es nicht. Wir haben das Schlimmste überstanden. Der Transmitter hat funktioniert, und wir befinden uns auf dem Mars. Wir sind jetzt hier zu Hause, haben ein Zelt, Sauerstoff und zu essen. Die Vorräte reichen für ein paar Monate. Auch das Wasser. Wir haben nichts anderes mehr zu tun, als vorsichtig zu sein. Das ist alles. Wir erledigen unsere Arbeit, und dann kehren wir als Helden zur Erde zurück. Vergessen Sie nicht: als reiche Helden!« »Wir müssen noch den Transmitter aufstellen, aber das dürfte nicht zu schwer sein.« »Ich werde Sie an diese Worte erinnern«, sagte Ben und schlürfte die heiße Suppe. »Ehrlich gestanden, habe ich keine Ahnung davon, warum wir überhaupt noch einen aufstellen müssen, wenn wir doch schon einen hier haben. Ich weiß eigentlich auch gar nicht, wie so ein Ding funktioniert, denn bisher hat es mir noch niemand erklärt.« »Ganz einfach«, teilte Otto ihm mit. Er schien erleichtert zu sein, daß sie
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nun über ein Gebiet diskutierten, das er kannte. Das war auch der Grund, warum Ben ihn gefragt hatte. Er selbst wußte über den Materie-Transmitter gründlich Bescheid. »Erst die Entdeckung des Bhattacharya-Kontinuums machte den Materietransport in dieser Form möglich. Das B-Kontinuum ist dreidimensional, liegt jedoch außerhalb unseres eigenen Raumes. Wir können in das B-Kontinuum eindringen, und das Merkwürdige daran ist, daß wir immer an der gleichen Stelle in dem B-Raum landen, ganz gleich, an welcher Stelle unseres Universums wir in das B-Kontinuum hinübersteigen. Durch entsprechende Berechnungen ist es also möglich, zwei Transmitter so zu postieren, daß sie im B-Raum denselben Platz einnehmen. Vom B-Raum aus kann man dann an jeder beliebigen Stelle unseres eigenen Kontinuums wieder einsteigen. Die Schirme existieren, streng genommen, gar nicht mehr in unserem Raum. Was man in den einen Transmitter hineinschiebt, kommt beim zweiten wieder in unseren Raum. Transmitter sind gleichsam Doppeltüren einer anderen Dimension. So einfach ist das.« »Natürlich ist das sehr einfach, solange man nicht so ein Ding konstruieren muß. Aber trotzdem kapiere ich noch immer nicht, warum wir einen zweiten Transmitter aufstellen müssen, obwohl wir bereits einen haben.« »Dafür gibt es viele Gründe, Ben. Der wichtigste ist die Richtenergie und die Entfernung.« »Entfernung? Hatten Sie mir nicht erklärt, die Entfernung spiele keine Rolle?« »Tut sie auch nicht, aber sie beeinflußt die Richtung und macht dadurch die Berechnung so kompliziert. Der Transmitter, den wir hier haben, wurde mit einer Rakete zum Mars befördert. Sein Schirm hat nur einen halben Meter Durchmesser, und fast sämtliche Energie, die zur Verfügung steht, wird dafür benötigt, ihn stabil zu halten. Der Transmitter auf der Erde… nun, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll… schickt praktisch diese Energie hierher, stabilisiert den Empfang und ermöglicht ihn. Aber derselbe Vorgang ist umgekehrt nicht möglich.« »Was würde geschehen, wenn ich in unseren Transmitter etwas hineinstecke? Käme es nicht auf der Erde an?« »Natürlich nicht. Jeder Gegenstand würde sofort in Y-Strahlen verwandelt und im B-Raum zerstreut werden.« »Das hört sich nicht gerade gesund an.« Ben setzte die Tasse auf den Tisch zurück. »Was halten Sie davon, wenn wir den Rest der Sachen jetzt ins Zelt schaffen und dann ein wenig schlafen? Ich bin müde.« »Einverstanden.« Sie holten nur die wichtigsten Dinge herein – Lebensmittel, Wasser, Luftreiniger und ähnliches. Dann krochen sie in ihre Schlafsäcke. Am anderen Tag fühlten sie sich schon viel besser. Sie arbeiteten den ganzen Tag und bauten das Lager auf. Bereits am dritten Tag kamen die ersten Teile des zu errichtenden Rück-Transmitters durch den Schirm. Es war wie ein Alptraum. Keiner der Gegenstände durfte größer als einen halben Meter sein, was eine Unzahl von technischen Kompromissen zur
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Folge hatte. Nach vielen schlaflosen Nächten hatten die Ingenieure auf der Erde festgestellt, daß es unmöglich sei, ein Diesel-Elektro-Aggregat durch den kleinen Schirm zu schicken. Da kam ein namenloser kleiner Techniker auf den Gedanken, zuerst einmal so viele Batterien zum Mars zu schicken, daß man später den Zwei-Meter-Schirm lange genug aktivieren konnte, um das große Aggregat nachfolgen zu lassen. Der Rahmen stand bereits, und die Arbeit wurde zur Routine. Ben war kräftiger als Otto und schonte sich nicht. Er stellte die ganze Konstruktion fast allein auf, während der Ingenieur an der elektronischen Ausrüstung herumbastelte. Sie halfen sich gegenseitig, wo sie nur konnten. Endlich stand der Stahlrahmen, und Ben gab ihm einen freundschaftlichen Stoß mit dem Fuß. Morgen würden die benötigten Restteile eintreffen. Er ging zur Luftschleuse und rief Otto. Er bekam keine Antwort. Otto lag halb über der Werkbank, das Gesicht flach auf die Schaltpläne gepreßt. Seine Haut war stark gerötet und aufgedunsen. Seine Hand hielt den heißen Lötkolben fest. Es stank nach verbranntem Fleisch. Ben schleppte Otto zu seinem Lager und untersuchte ihn. Er war bewußtlos, daran konnte kein Zweifel bestehen. Er atmete schwer und unregelmäßig. Ben verband die Brandwunde und dachte nach. Er war kein ausgebildeter Arzt, verstand jedoch genügend von Medizin, um sicher zu sein, daß Otto von einer ihm unbekannten Krankheit befallen worden war. Er gab ihm eine Injektion, maß die Temperatur und den Puls. Sorgfältig machte er sich Notizen, ehe er das Zelt verließ und zum Radiogerät draußen beim Transmitter ging. »Sie erhalten nun von mir einige Informationen. Antworten Sie nicht eher, bis ich damit fertig bin, und schicken Sie die Antwort schriftlich durch den Transmitter. Otto ist krank. Ich weiß nicht, was es ist. Hier die Daten…« Er ließ keine Einzelheit aus und beschrieb, was er unternommen hatte. Dann wartete er, bis seine Botschaft die Erde erreicht und die Antwort durch den Transmitter kam. Er las den Zettel, knüllte ihn wütend zusammen und sagte: »Ja, ich habe auch an eine Marskrankheit gedacht. Aber ich werde keine langwierigen Untersuchungen anstellen. Sie schicken mir sofort einen Arzt her. Das dürfte kein Problem für Sie sein. Bieten Sie ein gutes Honorar, dann bekommen Sie Ärzte genug. Die Ausrüstung müssen Sie schon jetzt zusammenstellen und senden. Auch ein Mikroskop mit Zubehör. Ich werde dann Bodenproben vom Mars untersuchen und Ihnen mitteilen, ob es Mikroorganismen gibt. Pflanzenähnliches Leben haben wir ja entdeckt, wie Sie wissen. Aber darum sollten sich Ihre Biologen kümmern. Ich kümmere mich um die Mikroben. Doch das tue ich nur, wenn Sie prompt erledigen, worum ich Sie gebeten habe.« Transmitter GmbH hatte verstanden. Für sie war der Erfolg der Expedition genauso wichtig wie für Ben. Außerdem hatten diese Leute eine Menge Geld investiert. Sie zögerten nicht, ein weiteres Menschenleben zu riskieren. Der Arzt, ein verwirrt wirkender junger Mediziner – er hatte gerade einige Dokumente unterzeichnet, die seine Frau für den Rest ihres Lebens
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finanziell unabhängig machten – kam eine halbe Stunde später aus dem Transmitter und rollte auf die Oberfläche des Mars. Ben nahm ihn in Empfang und führte ihn ins Zelt, wo die angeforderten Instrumente bereits gestapelt waren. »Ihr Patient wartet schon, Doktor. Dort ist die Ausrüstung!« »Mein Name ist Joe Parker«, sagte der Arzt. Er ließ seine ausgestreckte Hand aber wieder sinken, als er Bens Gesicht sah. Er kümmerte sich um Otto. Nach einer gründlichen Untersuchung konnte er nur unwillig feststellen: »Es scheint eine etwas ungewöhnliche Krankheit zu sein.« »Kennen Sie sie oder nicht?« »Nein, aber…« »Dachte ich es mir doch!« Ben setzte sich und griff nach dem Wasserglas voll Brandy, der für medizinische Zwecke gedacht war. Dann besann er sich und bot dem Arzt ebenfalls einen Drink an. »Kann es eine neue Seuche sein? Eine vom Mars?« »Wahrscheinlich. Es sieht wenigstens so aus. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht. Aber einen Erfolg kann ich nicht garantieren.« Sie wußten beide, was geschehen würde, aber sie gestanden es sich nicht ein. Trotz der eingegebenen Medikamente starb Otto zwei Tage später. Parker untersuchte den Toten und machte die Entdeckung, daß sein Gehirn von einem unbekannten Organismus zersetzt worden war. Während Ben weiter an der Fertigstellung des Transmitters arbeitete, fror er Proben ein und beschriftete sie. Die Nachricht von dem, was auf dem Mars geschehen war, schien auf der Erde durchgesickert zu sein; denn es dauerte vier Tage, bis Transmitter GmbH endlich einen neuen Ingenieur schicken konnte, der die Arbeit an dem neuen Gerät vollenden sollte. Der Neue machte einen verschüchterten Eindruck und war sehr wortkarg. Ben stellte auch keine Fragen, denn er wollte nicht wissen, mit welchen Mitteln man den Mann gezwungen hatte, das Wagnis auf sich zu nehmen. Mart Kennedy arbeitete schnell und gut, aber über ihnen allen lag der drohende Schatten des unbekannten Todes. Selbst beim Essen wurden kaum Worte gewechselt. Parker war ziemlich sicher, daß er den gefährlichen Organismus gefunden und isoliert hatte. Er bewahrte ihn in einem Gefäß mit klarer Flüssigkeit auf, das sie gut verpackten und versiegelten. Es sollte zur Erde geschickt und dort genau untersucht werden. An dem Tag, an dem die Testversuche beginnen sollten, stand Mart Kennedy früh auf, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Bisher war ihm keine Zeit geblieben, denn er hatte fast pausenlos gearbeitet, um den Transmitter fertigzustellen. Er wußte nicht einmal, wie es draußen aussah, denn er hatte kaum darauf geachtet. Er kannte eine Menge Zukunftsromane, aber er hätte nie gedacht, selbst einmal hierher zu gelangen. Nun aber war er hier, und der Tod wartete gleich in seiner Nachbarschaft. Als er ins Zelt zurückkehrte, machte er Kaffee und weckte die anderen. Ben
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war sofort wach und rüttelte Parker, der noch fest schlief. Aber der Arzt rührte sich nicht. Kennedy ging hin und zog die Decke weg, dann sprang er erschrocken zurück. »Ben!« Seine Stimme war laut und schrill. »Ben, kommen Sie her! Da stimmt etwas nicht!« »Dieselben Symptome, verdammt! Es hat ihn erwischt! Wir geben ihm eine Injektion und sorgen dafür, daß der Transmitter endlich funktioniert. Mehr können wir nicht tun.« Der große Transmitter war schon am Vortag betriebsfertig geworden, aber sie waren alle zu müde gewesen, ihn zu testen. Ben bettete den Kranken bequem und gab ihm die Injektion, die bei Otto nicht geholfen hatte. Dann ging er nach draußen, um Mart bei der Arbeit zu unterstützen. »Alles in Ordnung. Wir können das Gerät in Betrieb nehmen, sobald Sie es wünschen.« »Je eher, desto besser, Mart!« »Gut.« Der Schirm flimmerte und wurde dunkel. Ben hatte auf einen Zettel geschrieben: »Schickt den Generator!« Er warf den Zettel in den Schirm, worin er verschwand. Sonst geschah weiter nichts. Vielleicht war die Botschaft im B-Raum zerstrahlt worden, vielleicht auch nicht. Die Batterien würden nur für eine weitere Minute reichen. Dann erschien der Generator. Er war auf einer rollenden Plattform verschraubt, die leicht zu bewegen war. Die beiden Männer machten den Schirm frei und bemerkten, daß der Schirm abermals flimmerte und dann erlosch. »Befestigen Sie schon mal die Zuleitungen, ich bringe das Ding inzwischen in Gang«, sagte Ben. Zu seiner Überraschung sprang der Motor gleich an. Er gab sofort Energie ab, und wenig später arbeitete der Transmitter wieder. Als erstes kam ein Behälter mit einer Ratte. Ben schickte sie zurück. Auch die zweite und dritte. Erst als Ben eine Nachricht über den Zustand von Dr. Parker in den Schirm warf, kam eine schnelle Antwort. Sie lautete: »Wir holen euch alle heraus. Die Instrumente werden auf Automatik geschaltet und von hier aus gesteuert. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Transmission beginnt sofort. Schicken Sie Dr. Parker zuerst!« Ben schrieb: »Und was geschieht mit uns?« Die Antwort war: »Sie kommen in eine abgeschlossene Quarantänestation, die nur per Transmitter betreten werden kann. Es wird alles für Sie getan werden.« Ben sagte zu Mart: »Holen wir Parker!« Sie kleideten den Bewußtlosen an und überzeugten sich, daß die Atemmaske einwandfrei funktionierte. Dann legten sie ihn auf eine Tragbahre und schafften ihn hinaus. Die Luftschleuse lag voller Geräte und Kanister, aber sie kamen gut daran vorbei. Mart ging voran, auf den Transmitter zu, der groß genug war, sie alle zusammen aufzunehmen. Er blickte nicht ein
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einziges Mal zurück, als sie in den Schirm traten. Das Licht war heller, als sie es gewohnt waren, und Ben spürte sofort die größere Schwerkraft. Als er die Atemmaske abnahm, kam ihm die Luft dick und schwer vor. Es roch nach allen möglichen Dingen. Sie standen in einem Raum, dessen eine Seite transparent war. Dahinter bemerkten sie neugierige Gesichter. »Hier spricht Dr. Thurmond«, sagte eine Stimme laut. Sie kam aus einem Lautsprecher unter der Decke. »Meine Instruktionen sind folgende…« »Können Sie mich hören?« unterbrach ihn Ben. »Ja, aber nun warten Sie, bis ich…« »Halten Sie den Mund und hören Sie gut zu! Sie haben nun Ihre beiden Versuchskaninchen, ein krankes und ein gesundes. Das reicht. Ich gehe zurück zum Mars. Wenn ich schon sterben muß, dann wenigstens dort.« »Der Transmitter ist ausgeschaltet.« Thurmonds Stimme überschlug sich fast. »Es ist verboten, und ich befehle Ihnen…!« »Sie haben mir nichts mehr zu befehlen! Die Tage auf dem Mars haben mich zu einem neuen Standpunkt bekehrt. Ich hasse Menschen, die wie die Ratten leben müssen und sich immer weiter vermehren, bis die Erde von ihrem Abfall stinkt. Die Erde mag schön gewesen sein, als es noch keine Menschen gab. Ich werde auf dem Mars leben, der noch nicht vergiftet ist. Eine Ratte kam mit mir zum Mars, und sie starb. Ich war ein menschliches Versuchskaninchen, das man wieder zurückgeschickt hat. Ihr seid alle nur menschliche Versuchskaninchen. Ich habe davon genug. Lieber will ich der erste Marsianer sein.« Dr. Thurmond erschien auf der anderen Seite der Wand, nur wenige Zentimeter von Ben entfernt. Er war wütend, aber noch beherrschte er sich. Er hob das Mikrophon an den Mund und sagte: »Alles ganz gut und schön; aber Sie sind unser Angestellter. Noch bestimme ich, was zu geschehen hat. Sie bekommen Zimmer Nummer drei und werden…« »Ich gehe zurück auf den Mars!« Ben zog eine Kneifzange aus Chromstahl hervor und klopfte damit sachte gegen die durchsichtige Wand. Die Gesichter wichen entsetzt zurück. »Dies ist ein Werkzeug, und ich werde es benutzen. Die hübschen Marsmikroben werden euch fressen, einen nach dem anderen. Nun, Dr. Thurmond, Sie sind es, der keine andere Wahl hat. Sie müssen mich umbringen oder zum Mars zurückschicken. Überlegen Sie sich das genau!« Thurmonds Gesicht war haßerfüllt; aber seine Stimme blieb ruhig, als er sagte: »Es hat wenig Sinn, mit Ihnen über Loyalität zu reden, denn Sie wissen ohnehin nicht, was das ist. Aber vielleicht verstehen Sie, wenn ich Ihnen mitteile, daß dieses Projekt zuviel Geld gekostet hat, um durch Sie gefährdet zu werden. Sie tun das, was ich anordne.« »Ich werde es nicht tun!« rief Ben und schlug kräftiger mit der Zange zu. Ein Stück Plastik splitterte ab, und diesmal wich sogar Dr. Thurmond
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erschrocken zurück. »Begreifen Sie endlich, daß ich nicht hierbleiben möchte. Und begreifen Sie noch etwas anderes: Falls ich wirklich immun gegen die Marsmikroben bin, kann ich von größtem Wert für Sie und Ihre Forschungsabteilung sein. Denken Sie darüber nach, aber schnell!« Wieder splitterte ein Stück Plastik ab. Thurmond rührte sich nicht. Erst als Ben ein drittes Mal zuschlug, wandte er sich um. »Aktivieren Sie den Transmitter«, ordnete er an und sah wieder zu Ben hinein. Der Schirm wurde schwarz. Ben betrachtete ihn, bevor er sagte: »Machen Sie jetzt keinen Fehler, Dr. Thurmond. Ich weiß, daß Sie den Transmitter so einstellen können, daß ich im B-Raum lande und zerstrahlt werde – das wäre glatter Mord. Es gibt genug Zeugen, die unser Gespräch hörten, und Ihre Vorgesetzten werden nicht sehr erfreut darüber sein, wenn Sie einen so wertvollen Mitarbeiter wie mich opfern, nur weil Sie ihn hassen. Ich kann auf dem Mars leben, Sie nicht! Ich kann sogar der Verwalter Ihrer geplanten Marsstation werden, wer denn sonst? Also überlegen Sie es sich. Sie könnten genauso schnell aus der Firma gefeuert werden, wie Sie selbst Ihre Angestellten entlassen, nicht wahr?« Ben ging auf den schwarzen Rundschirm des Transmitters zu. Noch einmal drehte er sich um und sah in die Gesichter der schweigenden Männer. »Ich werde mir Mühe geben, in Ihrem Sinne auf dem Mars weiterzuarbeiten. Sie haben nichts verloren, wenn ich nicht zur Erde zurückkehre. Außerdem bin ich davon überzeugt, daß es Ihnen jetzt sehr schwerfallen wird, noch Freiwillige für eine Reise zum Mars zu finden.« Ohne auf eine Entgegnung zu warten, schloß er seine Atemmaske und ging in den Schirm hinein…
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Opfer für Saturn Die angespannte Atmosphäre innerhalb des Schiffes stieg im gleichen Maße, wie der Außendruck auf die Hülle größer wurde. Vielleicht kam das nur daher, weil Nissim und Aldo nichts zu tun hatten. Sie hatten zuviel Zeit zum Nachdenken. Immer wieder fielen ihre Blicke auf die Druckanzeiger – und immer wieder sahen sie dann schnell woanders hin. Dieser Vorgang wiederholte sich in regelmäßigen Abständen. Wenn Aldo seine Finger nervös verkrampfte, spürte er die kalte und unangenehme Feuchtigkeit. Nissim rauchte eine Zigarette nach der anderen. Lediglich Stan Brandon, der Mann mit der Hauptverantwortung, blieb äußerlich ruhig und gelassen. Wenn er die Instrumente und Skalen überprüfte, wirkte er fast gleichgültig, was sich jedoch abrupt änderte, wenn er eine Justierung vornahm. Dann wurden seine Bewegungen schnell und entschlossen. Seine Handlungsweise machte die anderen beiden Männer wütend, obwohl niemand von ihnen das zugegeben hätte. »Der Druckanzeiger ist ausgefallen!« rief Nissim plötzlich und schnappte nach Luft. Er beugte sich vor, soweit die Sicherheitsgurte das zuließen. »Der Zeiger steht auf Null!« »So wurde das Ding eben konstruiert, Doc«, erklärte Stan und lächelte flüchtig. Er betätigte den Schalter unter der Skala. Der Zeiger sprang wieder vor. »Nur gewisse Arten von Druck werden mit diesem Instrument gemessen. Es besteht aus nichts anderem als Metall und Kristallen in der Außenhülle mit unterschiedlicher Widerstandskraft gegen Druck. Wenn wir umschalten…« »Ja, schon gut, das weiß ich auch.« Nissim beherrschte sich. Er sog an seiner Zigarette. Natürlich hatte man ihm während der Unterrichtsstunden alles über die Funktion der Instrumente erklärt, aber in diesem Augenblick kam es ihm so vor, als hätte er das alles vergessen. Wieder beobachtete er die Zeiger. Dann sah er weg und dachte einige Sekunden darüber nach, was außerhalb der dicken, naht- und fensterlosen Hülle war, die aus undurchdringlichem Metall bestand. Seine Hände waren noch feuchter geworden. Nissim Ben-Haim, leitender Physiker der Universität von Tel Aviv, hatte eine zu starke Phantasie. Aldo Gabrielli ebenfalls, und er wußte das auch. Sein sehnlichster Wunsch war, jetzt etwas tun zu können, statt tatenlos herumzusitzen. Dunkelhaarig, braunhäutig und mit einer Hakennase ausgestattet sah er wie ein typischer Italiener aus. Er war Amerikaner. Bereits vor elf Generationen waren seine Vorfahren in die Staaten ausgewandert. Er war Elektroneningenieur und in seinem Fach mindestens so begabt wie Nissim in dem seinen. Man bezeichnete ihn seit der Konstruktion des Scantron-Verstärkers, der die Technik der Materietransmission revolutionierte, als ein Genie. Und jetzt hatte er Angst. Die C. HUYGENS drang immer tiefer in die dichter werdende Atmosphäre
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des Planeten Saturn ein. So lautete zwar der offizielle Name des Schiffes, aber jene Männer, die sie gebaut hatten, nannten das Schiff einfach den »Ball«. Diese Bezeichnung traf den Nagel auf den Kopf. Zehn Meter dichte Metallwände umgaben die relativ kleine Kabine im Zentrum der riesigen Kugel. Die keilförmigen Sektionen waren im Asteroidengürtel gegossen und dann zur Station »Saturn-I« gebracht worden. In der Umlaufbahn, zwischen der grandiosen Schönheit der schimmernden Ringe, waren die Sektionen zusammengesetzt und molekular verschweißt worden. Zuvor jedoch war der Schirm des Materie-Transmitters in der Kabine installiert worden. Es gab also keine andere Möglichkeit, in das Innere des »Balles« zu gelangen, als durch den Materie-Transmitter. Der Schirm lag unter dem Boden der Kabine. Darüber befanden sich die Instrumente, die Lufterneuerungsanlage, die Lebensmittel und alles, was für eine derartige Expedition notwendig war. Die Kontrollen, mit denen sich das atomgetriebene Schiff manövrieren ließ, wurden am Schluß eingebaut. Das Schiff fiel nun mit den drei Männern der Oberfläche des Ringplaneten entgegen. Noch vor acht Jahren wäre die HUYGENS ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, denn damals gab es die druckfesten Legierungen noch nicht. Zweiundvierzig Jahre vorher wäre es ebenso unmöglich gewesen, da das Molekularschweißen noch nicht erfunden worden war. Und vor zehn Jahren hätte man mit der kompakten Metallhülle noch nichts anfangen können, weil man damals noch nicht wußte, wie der Unterschied der Atome bei den verschiedenen Elementen elektronisch genutzt werden konnte. Keine einzige Leitung unterbrach die Kompaktheit der Hülle. Dafür verbanden chemisch und physikalisch gleichwertige Metallstreifen die Kabine mit der Außenhaut der Hülle, und jeder dieser Streifen war fähig, elektrische Kontrollimpulse zu leiten. Der »Ball« war das ausgereifte Meisterwerk menschlichen Erfindergeistes und das Ergebnis seines ungebändigten Forschungstriebes. Er nahm drei wagemutige Männer mit sich zum Grund der dreißigtausend Kilometer dicken Atmosphäre, und er war nichts anderes als die sicherste Gefängniszelle der Welt. Sie waren gegen Claustrophobie geschult worden, aber nun spürten sie alle die schleichende Gefahr der Platzangst. »Hallo, Kontrolle, hören Sie mich?« sagte Stan in das Mikrophon und schaltete dann hastig auf Empfang. Das Tonband rollte in den MT-Schirm, und bereits nach wenigen Sekunden kam das Antwortband und glitt automatisch in das Wiedergabegerät. »Eins und drei.« »Das ist der Anfang des Sigma-Effektes«, stellte Aldo fest. Er sah auf den Druckmesser. »Einhundertfünfunddreißigtausend Atmosphären – da fängt es gewöhnlich an.« »Ich möchte mir das Band gern einmal ansehen«, meinte Nissim und drückte seine Zigarette aus. Gleichzeitig löste er seine Haltegurte. »Lassen Sie das!« warnte Stan und hob die Hand. »Bis jetzt hatten wir einen
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ruhigen Fall, aber das kann sich bald ändern. Sie wissen, welche Stürme hier
auftreten können. Ich nehme an, wir befinden uns jetzt in einem
gleichmäßigen Wind, der uns mitnimmt. Doch das bleibt nicht so.«
»Es dauert ja nur einen Augenblick«, sagte Nissim, blieb aber sitzen.
»In noch kürzerer Zeit können Sie sich das Genick brechen«, lehnte Stan
abermals ab, und in der gleichen Sekunde geriet das Schiff in eine
entgegengesetzte atmosphärische Strömung, wurde hin und her geschaukelt
und drehte sich unkontrolliert nach allen Seiten. Die beiden Wissenschaftler
hielten sich mit aller Macht fest, während der Pilot den Fall stabilisierte.
»Sie sind ein richtiger Unglücksprophet«, knurrte Aldo. »Können Sie auch
positive Ereignisse voraussagen?«
»Nur dienstags«, erwiderte Stan unerschütterlich. Er sah, daß einer der
Druckanzeiger wieder auf Null zurückfiel, und aktivierte einen anderen.
»Wir sinken wieder gleichmäßig.«
»Das dauert aber verdammt lange, bis wir unten sind«, beschwerte sich
Nissim und nahm eine neue Zigarette.
»Dreißigtausend Kilometer, Doc. Wir wollen ja auch nicht zu hart auf
treffen.«
»Ich kenne die Stärke der Saturnatmosphäre«, hieb Nissim ärgerlich zurück.
»Und hören Sie endlich damit auf, mich >Doc< zu nennen. Wenn Sie das
mit Gabrielli auch machen, kommen wir total durcheinander.«
»In Ordnung, Doc«, sagte Stan und zwinkerte mit den Augen, als Nissim
auffahren wollte. »War doch nur ein Witz. Wir sitzen alle im selben Boot,
warum sollten wir uns streiten? Sagen Sie Stan zu mir, und ich werde Sie
Nissim nennen. Was ist mit Ihnen, Doc? Sind Sie Aldo für uns?«
Aldo Gabrielli tat so, als habe er nichts gehört. Er hatte sich schon genug
über den Piloten geärgert.
»Was ist denn das?« fragte er, als eine kaum spürbare Vibration den »Ball«
hin und her schaukeln ließ.
»Schwer zu sagen«, meinte der Pilot und betätigte einige Kontrollen. Er
beobachtete die Schirme, auf denen die Impulse hüpften. »Da draußen ist
etwas. Wolken vielleicht. Wir fallen durch sie hindurch. Ich kann
unterschiedliche Aufschlagwiderstände messen.«
»Kristallisation«, sagte Nissim und studierte die Druckanzeiger. »Die
Temperatur dürfte draußen etwa hundertfünfzig Grad minus betragen. Aber
der geringe Gasdruck in den oberen Schichten der Atmosphäre verhindert
ein Gefrieren der Partikelchen. Jetzt ändert sich das, der Druck wird größer.
Wir fallen durch Wolken von Methan und Ammoniak, die kristallisierten.«
»Das Radar ist ausgefallen«, stellte Stan fest.
»Wir sollten eine Fernsehkamera einschalten können«, knurrte Nissim,
»dann sähen wir wenigstens, was da draußen los ist!«
»Was wollen Sie denn sehen?« Aldo zuckte die Schultern.
»Wasserstoffwolken mit gefrorenen Kristallen? Jede Kamera würde sofort
zerstört werden. Der Radio-Höhenmesser ist das einzige Instrument, auf das
wir uns jetzt verlassen können.«
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»Und er arbeitet einwandfrei«, gab Stan fröhlich bekannt, »die Werte sind noch zu hoch; aber bald können wir sie ablesen. Muß auch so sein, denn die Außenteile gehören zur Hülle.« Nissim nahm einen Schluck Wasser aus der Flasche neben seinem Sessel. Aldo sah es und fühlte, wie sein Mund plötzlich trocken wurde. Er trank ebenfalls. Der endlose Fall ging weiter. »Habe ich lange geschlafen?« erkundigte sich Nissim erstaunt darüber, daß er trotz der Spannung eingeschlummert war. »Ein paar Stunden immerhin«, erwiderte Stan. »Und zwar tief und fest. Sie haben geschnarcht wie ein Wasserbüffel.« »Meine Frau sagt immer, ich schnarche wie ein Kamel.« Nissim sah auf seine Uhr. »Was ist eigentlich mit Ihnen? Sie haben seit mehr als siebzig Stunden nicht geschlafen. Wie halten Sie das aus?« »Gut, keine Sorge. Ich werde das später nachholen. Außerdem habe ich einige Pillen eingenommen. Es ist nicht das erste Mal, daß ich so lange wach bin.« Nissim ließ sich in den Sessel zurücksinken. Er bemerkte, daß Aldo sich Notizen machte und an einem Problem arbeitete. Kein Gefühl kann ewig anhalten, dachte er bei sich – nicht einmal die Furcht. Und wir beide hatten ganz schön Angst, als der Flug begann. Ewig kann das ja nicht dauern… Und doch spürte er die Furcht wieder, als er auf die Druckmesser sah. Doch nur für einen Augenblick. »Die Instrumente verraten Materie, die nicht mehr gasförmig ist«, sagte Stan. »Die Höhe ist veränderlich.« Unter seinen Augen lagen dicke Ringe, denn schon mehr als dreißig Stunden hielt er sich mit Drogen wach. Nissim warf einen Blick auf die Skalen. »Wahrscheinlich flüssiges Methan und Ammoniak. Oder halbflüssig – mal Gas, mal Flüssigkeit. Weiß der Himmel, bei dem Druck ist so ziemlich alles möglich. Etwas unter einer Million Atmosphären – unglaublich!« »Ich glaube es«, sagte Aldo trocken. »Können wir das Schiff so lenken, daß wir vielleicht eine feste Oberfläche finden?« »Das versuche ich schon seit ein paar Stunden. Entweder tauchen wir in die Brühe hinab, oder wir müssen steigen und an anderer Stelle einen neuen Versuch unternehmen.« »Haben wir dafür genug Treibstoff?« »Das schon, aber eine Reserve wäre für den Notfall besser. Wir haben noch dreißig Prozent.« »Ich stimme für die Brühe«, rief Nissim laut. »Wenn jetzt unter uns Flüssigkeit ist, dann bedeckt sie auch aller Wahrscheinlichkeit nach die gesamte Oberfläche. Bei dem hohen Druck und den ständigen Stürmen wurden alle geologischen Unregelmäßigkeiten abgeflacht.« »Da bin ich nicht ganz Ihrer Meinung«, ließ sich Aldo vernehmen, »aber das kann ja ruhig jemand nach uns überprüfen. Ich stimme ebenfalls für die Landung hier, aber nur deshalb, weil sonst der Treibstoff zu knapp wird.«
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»Drei gegen null«, sagte Stan und grinste. »Also tauchen wir weiter.« Es war noch kein Tauchen im eigentlichen Sinne, denn noch immer wechselten Flüssigkeit mit Gas. Die Instrumente zeigten jedoch an, daß sie sich schnell einer »soliden« Flüssigkeitsoberfläche näherten. Es gab keine spürbare Erschütterung, als sie sie berührten und einsanken. Sie fielen weiter, immer weiter. »Ich habe endlich ein paar Daten«, gab Stan bekannt, und diesmal klang seine Stimme zum erstenmal richtig aufgeregt. »Feste Oberfläche in fünfzehn Kilometer Tiefe. Vielleicht haben wir doch noch Glück und können landen.« Die beiden Wissenschaftler verhielten sich schweigsam, während sie immer tiefer in den unbekannten Ozean hineinsanken. Sie wollten den Piloten nicht in seiner Aufmerksamkeit ablenken. Dabei war das Eintauchen in den Ozean der bisher einfachste Teil der gefährlichen Reise. Je tiefer sie sanken, desto weniger Strömungen gab es. Sie bewegten sich genau senkrecht nach unten, als der Grund noch einen Kilometer unter ihnen lag. Stan verlangsamte den Abstieg. Noch fünfhundert Meter. Stan schaltete die Landeautomatik ein und überließ die restliche Arbeit dem Computer. Wenn es Schwierigkeiten geben sollte, konnte er sofort wieder auf manuelle Bedienung umschalten. Der Fall kam zum Stillstand, dann sanken sie noch ein wenig, und schließlich setzten sie mit einem sanften Ruck auf dem Grund des Saturnmeeres auf. Stan schaltete den Antrieb aus. »So, das hätten wir«, sagte er und reckte sich. »Wir sind auf dem Saturn gelandet, und darauf sollten wir einen trinken.« Er grunzte erstaunt, als er seine schweren Glieder spürte. Es fiel ihm schwer, aus dem Sessel zu kommen. »Zweikommasechsvier G«, erinnerte ihn Nissim und vergewisserte sich an den Instrumenten, daß seine Angaben stimmten. »Die Arbeit wird uns nicht gerade leichtfallen.« »Sie wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen«, blieb Aldo optimistisch. »Ich bin für den versprochenen Drink. Danach kann Stan schlafen, während wir uns um den Transmitter kümmern.« »Damit bin ich einverstanden«, seufzte Stan müde. »Mein Job ist getan. Von nun an sehe ich euch bloß noch zu und warte, bis ihr mich heil nach Hause bringt.« Mit einiger Schwierigkeit hoben sie ihre Gläser, stießen an und tranken sich zu. Die mehr als doppelte Schwerkraft war keine Überraschung. Aldo und Stan wechselten die Plätze, so daß der Ingenieur die Instrumente und den MTSchirm besser sehen konnte. Außerdem wurden die Halterungen der Sessel gelöst. Nun konnte auch Nissim seinen Liegesessel herumschwenken und kam notfalls ebenfalls an die Kontrollen heran. In der Zwischenzeit lag Stan bereits lang und war eingeschlafen.
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Für die beiden Männer spielte das nun keine Rolle mehr. Jetzt begann ihr Teil der Gesamtaufgabe, und sie wußten, was sie zu tun hatten. Aldo, der MT-Spezialist, begann mit den Vorbereitungen für die ersten Versuche, während Nissim jeden seiner Handgriffe aufmerksam verfolgte. »Alle Fernsonden, die wir zur Oberfläche des Saturn hinabschickten, entwickelten den Sigma-Effekt, als sie etwa ein Fünftel in die Atmosphäre eingedrungen waren.« Aldo betätigte einige Schalter der Testanlage. »Wenn der Effekt zu stark wurde, verloren wir die Kontrolle und konnten die Sonden nur noch bis zur Hälfte der Gesamtstrecke verfolgen. Dann brach der Kontakt ab.« Er überprüfte die hereinkommenden Meßdaten und ließ das elektronische Impulsbild auf dem Schirm stehen. Erleichtert ließ er dann die Hände sinken und lehnte sich zurück. »Das Wellenbild sieht gut aus«, bestätigte Nissim. »Zum Glück, ja. Alles andere auch. Was bedeutet, daß zumindest die Hälfte Ihrer Theorie richtig ist.« »Wunderbar!« sagte Nissium und lächelte zum erstenmal, seit sie das Unternehmen gestartet hatten. Er konnte sich vorstellen, wie er später einmal vor den anderen Wissenschaftlern stehen und ihnen seine Beweise vorlegen würde. Sie hatten ihn zu voreilig verurteilt, diese Narren. »Der Fehler liegt also nicht beim Transmitter?« »Ganz sicher nicht.« »Dann versuchen wir es doch, Aldo! Wir werden dann sehen, ob er funktioniert. Der Empfänger ist eingeschaltet und wartet.« Aldo nickte. »Hier C. HUYGENS. Wir rufen Saturn-I. Bitte kommen! Wie empfangen Sie mich?« Beide sahen sie zu, wie das besprochene Band auf den Schirm des Transmitters rollte und in ihm verschwand. Aldo vergewisserte sich, daß der MT auf Empfang geschaltet war. Nichts geschah. Sie warteten eine volle Minute, ehe sie die Sendung wiederholten. Das Resultat war genau dasselbe. »Das ist der endgültige Beweis!« stellte Nissim befriedigt fest. »Der Transmitter ist in Ordnung, der Empfänger auch. Das ist sicher. Aber nichts kommt durch. Der von mir vorausgesagte Faktor der Raumverzerrung ist wirksam geworden. Wenn wir das korrigiert haben, erhalten wir Kontakt.« »Hoffentlich bald«, sagte Aldo ein wenig deprimiert und sah hinauf zu der gewölbten Decke ihres Gefängnisses. »Bis uns die Korrektur nicht geglückt ist, sitzen wir hier fest, mitten in einem Riesenball aus Metall, auf der Oberfläche eines unbekannten Planeten, dazu noch auf dem Grund eines Ozeans aus flüssigem Methan und Ammoniak. Selbst wenn es einen Ausgang gäbe, würde er uns nichts nützen. Allein der Druck würde uns sofort töten.« »Immer mit der Ruhe«, bat ihn Nissim. »Nehmen Sie einen Drink, während
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ich mit der Korrekturberechnung anfange. Sobald ich sie fertig habe, ist der Rest ein Kinderspiel.« »Ja, natürlich«, sagte Aldo, schloß die Augen und lehnte sich zurück. Stan war noch immer erschöpft, als er endlich aufwachte. Der Schlaf unter den erschwerenden Verhältnissen der höheren Gravitation war alles andere als eine Erholung. Er wechselte die Stellung, aber selbst das Liegen war mehr anstrengend als erleichternd. Er drehte sich schließlich zu den anderen um und sah, daß Nissim mit dem Computer beschäftigt war, während Aldo ein blutbeflecktes Taschentuch an die Nase hielt. »Gravitationsbluten?« erkundigte sich der Pilot. »Wäre Adrenalin angebracht?« »Keine Gravitation«, erwiderte Aldo wütend. »Der Kerl da hat mir auf die Nase geschlagen!« Er deutete auf Nissim. »Ja, genau mitten auf seine Gurke!« bestätigte Nissim. Er sah nicht von seinen Berechnungen auf. »Das Ding ist ja auch groß genug. Man kann es kaum verfehlen.« »Darf man auch den Grund erfahren?« erkundigte sich Stan. »Arbeitet der MT vielleicht nicht?« »Nein, das tut er allerdings nicht«, klärte Aldo ihn auf. »Und dieser Wüstling gibt mir die Schuld daran. Außerdem…« »Die Theorie stimmt, aber mit der Schaltung und Technik ist etwas nicht in Ordnung.« »… außerdem habe ich ihm nur vorgehalten, daß er sich bei den komplizierten Gleichungen vielleicht verrechnet haben könnte. Und was macht er? Er haut mich in kindischer Wut genau auf die Nase!« Stan bewegte sich erstaunlich schnell, um weitere Handgreiflichkeiten zu vermeiden. Seine laute Stimme übertönte die der anderen: »Ruhe jetzt! Redet wenigstens nicht beide auf einmal, sonst verstehe ich überhaupt nichts. Vielleicht ist jemand so freundlich, der Reihe nach zu berichten, damit ich weiß, was eigentlich hier gespielt wird.« »Aber gern«, erbot sich Nissim und wartete, bis Aldos Proteste verstummten. »Wieviel wissen Sie über die Theorie der MaterieTransmission, Stan?« »Die Antwort ist einfach: nichts! Ich bin Strahlenjockei, also Pilot, und dabei bleibe ich. Irgend jemand denkt sie sich aus, ein anderer baut sie, und ich fliege die Schiffchen. Machen Sie es also unkompliziert, wenn Sie mir etwas erklären wollen.« »Ich will es versuchen.« Nissim dachte angestrengt nach. »Ein Materietransmitter arbeitet nicht wie – nun, sagen wir mal wie das Fernsehen. Es wird kein Signal gesendet und empfangen. Bei einem MT wird die Materie des Schirms in einen Zustand versetzt, der kein Bestandteil unseres eigenen Raum-Zeit-Kontinuums ist. Der Schirm des empfangenden Transmitters befindet sich im gleichen Zustand, und sobald beide Geräte auf derselben Frequenz arbeiten, sind sie funktionsfähig. Mit anderen Worten: Beide Schirme sind praktisch Teile desselben Gerätes, und die
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dazwischenliegende Entfernung hat nichts zu bedeuten. Wenn Sie in den einen hineingehen, kommen Sie sofort aus dem anderen heraus. Weder Zeit noch Raum spielen dabei eine Rolle, Sie würden den Unterschied nicht einmal bemerken.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein schlechter Erklärer, Stan.« »Im Gegenteil, Nissim. Ich verstehe sehr gut. Ja, und was passiert noch?« »Wie ich betonte, hat die Entfernung überhaupt nichts mit der Funktion des Transmitters zu tun, wohl aber die zwischen Sender und Empfänger herrschenden Raumbedingungen.« »Das verstehe ich nicht.« »Ich werde es Ihnen an einem Beispiel erklären. Lichtstrahlen bewegen sich gradlinig durch den Raum fort, es sei denn, sie werden durch physikalische Gegebenheiten abgelenkt – Brechung, Reflektion und so weiter. Sie können aber auch von ihrer Richtung durch ein besonders starkes Gravitationsfeld abgelenkt werden, von der Sonne zum Beispiel. Den gleichen Effekt stellte man bei der Materie-Transmission fest, und bei Einrichtung der Geräte mußte man sogar die Oberflächenwölbung der Erde und anderer Himmelskörper berücksichtigen. Auch die Suppe, die der Saturn seine Atmosphäre nennt, übte einen bemerkenswerten Einfluß auf die MaterieTransmission aus. Der unglaubliche Druck allein verändert die Bindeenergie der Atome und verursacht Spannungen in den Molekülen. Eine Transmission kann unter diesen Umständen nicht reibungslos funktionieren. Bevor das der Fall ist, müssen entsprechende Berechnungen durchgeführt werden, die wiederum auf vorher angestellten Beobachtungen beruhen – falls es solche gibt. In unserem Fall gibt es einige, und ich bin eben dabei, sie in meine Berechnungen einzubauen.« »Hört sich so einfach an, wenn er es erklärt«, meckerte Aldo und überprüfte den Zustand seines Taschentuches. »Leider sieht das alles in der Praxis anders aus. Wir bekommen nicht einmal ein Signal durch den Transmitter. Nun hält es unser Freund für einen Fehler, wenn wir einfach die Sendeenergie vergrößern, damit die Impulse durch den Saturndreck dringen können. Man bedenke: Druck, Flüssigkeit und Atmosphäre!« »Es geht um Qualität, nicht um Quantität!« brüllte Nissim ihm zu. Stan versuchte, auf seine Art zu vermitteln: »Sie meinen also mit anderen Worten, wir müßten den Transmitter unter dem Boden freilegen, nicht wahr?« »Genau das meine ich«, behauptete Aldo überzeugt. »Er wurde ja auch entsprechend konstruiert. Auswechselbare Einzelteile, keine verschweißten Monsterstücke.« »Das wird einen Monat dauern, und bis dahin hat uns die erhöhte Schwerkraft alle umgebracht!« rief Nissim. »Das hoffe ich nicht«, sagte Stan und richtete sich auf. Es fiel ihm so schwer, daß er stöhnte. »Außerdem ist das ein gutes Training für unsere Muskeln.« Sie benötigten vier volle Tage, den Boden so von Geräten freizumachen, daß
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sie an den Transmitter herankamen. Noch bevor sie damit fertig waren, fühlten sie sich so erschöpft, daß sie fast aufgegeben hätten. Obwohl das Ganze so eingebaut worden war, daß jede Reparatur so leicht wie möglich durchgeführt werden konnte, stellte jede Handbewegung die größten physischen Anforderungen an jeden Mann. Aber dann hatten sie es endlich geschafft. Der Boden war frei. An dem Rand der Kabine standen nur noch die Schlafcouchen und die Kontrollstände. Eigentlich blieb nur noch der große MT-Schirm übrig. Sie ruhten auf den Liegesesseln und sahen auf den Schirm hinab. »Ein richtiges Ungeheuer«, stellte Stan mit Argwohn fest. »Da kann man ja ein Landeboot durchschicken!« »Es ist nicht nur die Größe«, erklärte Aldo und schnappte nach Luft. Er konnte das Hämmern seines Blutes in den Ohren hören und war sicher, daß er sich überanstrengt hatte. »Alle Stromkreise und Installationen wurden so verstärkt, daß der Transmitter das Hundertfache von dem leistet, was unter normalen Umständen notwendig wäre.« »Und wie wollen Sie in seine Eingeweide vordringen? Ich sehe nur den Schirm, sonst nichts.« »Das dürfte eigentlich nicht so schwierig sein.« Aldo deute auf eine runde Öffnung mit einem Gewinde, aus dem sie eine fußdicke Platte herausgeschraubt hatten. »Die Kontrollinstrumente sind dort drinnen. Es dürfte nicht kompliziert sein, unter den gegebenen Umständen an sie heranzukommen. Allerdings müssen wir den Schirm zu einem gewissen Teil zerlegen und abheben.« »Vielleicht ist es die ungewohnte Gravitation«, meinte Stan langsam, »oder ich bin schwer von Begriff.« Aldo blieb geduldig und ruhig. »Der Schirm ist der Hauptgrund für diese Expedition. Die Tatsache, daß der MT unter diesen erschwerten Umständen funktioniert, ist zwar für uns lebenswichtig, aber für das Unternehmen selbst nur zweitrangig. Wenn wir erst einmal hier heraus sind, werden die Techniker kommen und die vorhandenen Stromkreise neu anschließen, alle Teile durch versiegelte Einheiten ersetzen und wieder verschwinden. Durch besondere Maßnahmen wird man die Hülle des Schiffes schwächen, während der MT auf ein anderes entsprechendes Gerät senderichtig eingestellt wird, das sich hoch über der Ebene der Ekliptik befindet. Bei unweigerlich dann eintretenden Überdruckverhältnissen wird der >Ball< implodieren und in den sendebereiten Schirm stürzen. Die Trümmer werden in den Weltraum transmittiert, so daß der Schirm selbst unbeschädigt bleibt und weiterarbeitet. Die Funktionsspanne läßt sich durch weitere Versuche leicht bestimmen. Damit haben wir dann einen sicher funktionierenden Transmitter auf der Oberfläche des Saturn. Sie dürfen mir glauben, daß sich Druckspezialisten und Forscher schon jetzt auf diesen Augenblick freuen.« Stan nickte zustimmend. Nissim blieb stumm. Er sah nur hinauf zu der
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Decke der Kabine, als befürchte er, daß sie jeden Augenblick auf ihn herabstürzen konnte. Wahrscheinlich dachte er an den ungeheuren Druck, der darüber lastete. Aber dann sagte er doch: »Fangen wir an! öffnen wir den Schirm und nehmen wir die Änderungen vor. Es wird Zeit, daß wir hier wegkommen.« Sie halfen alle mit und bauten die einzelnen Segmente aus. Aber nur Aldo war in der Lage, die notwendigen Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen. Er arbeitete intensiv, fluchte hin und wieder vor sich hin, baute Teile ein oder wechselte sie aus und hatte zum Glück keine Zeit, Nissims besorgten Gesichtsausdruck zu registrieren, mit dem dieser ihn bei jeder Gelegenheit betrachtete. Stan kümmerte sich um das Essen, verabreichte ihnen in regelmäßigen Zeitabständen die Drogen gegen die erhöhte Schwerkraft und sorgte mit entsprechenden Bemerkungen für gute Stimmung. Munter erzählte er von seinen Flügen durch das Sonnensystem, und wenn schon die beiden Männer kein Interesse dafür zeigten, so hatte doch wenigstens er Spaß daran. Endlich waren sie fertig, und der Schirm lag wieder vollständig unter ihnen. Aldo legte einen Hebel um und drückte dann auf einen Knopf. Der schwarze Schirm begann zu schimmern. Das Gerät war sendefertig. »Wir können«, sagte Aldo. »Schicken Sie dies hier«, bat Stan und gab ihm ein Stück Papier, auf das er geschrieben hatte: »Wie empfangen Sie uns?« Aldo warf den Zettel auf den Schirm. Er verschwand sofort. »So, und nun schalten Sie auf Empfang.« Aldo bediente abermals die Kontrollen, und die Farbe des Schirms wechselte. Sonst geschah nichts. Angespannt starrten die drei Männer auf die schimmernde Oberfläche des Schirms. Sie wagten kaum zu atmen. Und dann, urplötzlich, erschien auf dem Schirm ein Tonband, bog sich unter der Last der höheren Schwerkraft und begann sich dann aufzuspulen. Nissim war geistesgegenwärtig genug, sofort danach zu greifen und es wieder aufzurollen, bis er das Ende in der Hand hielt. »Das Ding funktioniert!« rief Stan erfreut und erleichtert. »Nur zum Teil«, erwiderte Nissim kühl und nüchtern. »Qualität der Transmission läßt zu wünschen übrig. Wir werden noch einige Korrekturen vornehmen müssen. Aber wir sind nicht mehr allein. Am anderen Ende warten Spezialisten, die uns mit Ratschlägen helfen können.« Er legte das Tonband in den Recorder und schaltete ihn ein. Aus dem Lautsprecher kam ein unverständliches Gequäke, das man nur mit einiger Phantasie als eine menschliche Stimme identifizieren konnte. »Wie gesagt – Korrekturen!« sagte Nissim mit einem feinen Lächeln, das aber augenblicklich verschwand, als ein harter Ruck durch die Kabine ging. Langsam richtete sich der »Ball« wieder auf. Dann war es ruhig. »Etwas ist gegen uns gestoßen!« »Vielleicht nur die Strömung«, vermutete Aldo. »Oder etwas Festes, das
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fließen kann. Wer soll das wissen? Jedenfalls wird es höchste Zeit, daß wir hier verschwinden.« Die Müdigkeit lastete auf ihnen. Aber sie versuchten, sie zu ignorieren. Das drohende und schreckliche Ende schien so nahe. Dabei war die Sicherheit der Station Saturn-I praktisch nur einen einzigen Schritt entfernt. Während Nissim die erneuten Korrektviren mit Hilfe des Computers errechnete, bauten die anderen beiden Männer den Schirm wieder auseinander. Unter den herrschenden Gravitationsverhältnissen war das die schwerste Arbeit, die man sich vorstellen konnte. Nach einem Tag hatten sie es so weit geschafft, daß die Tonbänder verständlich durchkamen. Auch andere Gegenstände wurden hin- und hergeschickt und kamen heil an. Der Sicherheitsgrad war ein Zahl, die noch fünf Stellen hinter dem Komma stimmte. Immer wieder kam es vor, daß der »Ball« durch heftige Stöße von außen erschüttert wurde, aber die drei Männer versuchten, die unbekannte Gefahr zu ignorieren. »Wir sind bereit, mit dem Live-Test zu beginnen«, sagte Nissim in das Mikrophon. Wenig später sah Aldo zu, wie das Tonband in dem Schirm verschwand. Am liebsten wäre er hinterhergesprungen, aber dann siegte seine Vernunft. Später, dachte er. Nur abwarten! Er schaltete auf Empfang. »Ich kann mich nicht erinnern«, fuhr Nissim fort, »jemals in meinem Leben so lange auf demselben Platz ausgehalten zu haben.« Er ließ den Schirm nicht aus den Augen. »Selbst als ich auf Island im College war, begab ich mich jeden Abend nach Hause. Ein Schritt, und ich war in Israel.« »Wir nehmen den Materie-Transmitter bereits zu selbstverständlich«, stellte Aldo fest. »Als wir auf Saturn-I arbeiteten, verschwand ich jeden Tag mindestens einmal nach New York. Wir nehmen den MT als gegeben hin, bis einmal so etwas passiert wie jetzt. Für Sie, Stan, ist das weniger aufregend.« »Sagen Sie das nicht«, antwortete der Pilot und hob die Augenbrauen. »Mir ergeht es wie Ihnen. Ich gehe nach Neuseeland, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bietet.« Er sah zurück auf den Schirm. »Das meinte ich eigentlich nicht«, korrigierte Aldo. »Sie halten sich oft allein in einem Schiff auf, ohne sich einsam zu fühlen. Sie sind es eben gewohnt, wir nicht. Man sieht es doch jetzt. Sie scheint das alles nicht zu berühren.« Nissim nickte zustimmend, während Stan laut herauslachte. »Machen Sie sich doch nichts vor! Ich habe genauso Angst wie Sie, und ich schwitze auch genauso. Ich wurde nur anders ausgebildet, das ist alles. Nur eine Sekunde Panik in meinem Beruf bedeutet den sicheren Tod. In Ihrem hingegen bedeutet es unter Umständen nur, daß Sie ein paar Minuten später zum Essen oder Ihren Drinks kommen. Sie haben es niemals nötig gehabt, sich vollkommen zu beherrschen, und darum haben Sie es auch nie gelernt.« »Das stimmt nicht ganz«, protestierte Nissim energisch. »Wir sind zivilisierte Menschen, keine Tiere. Unsere Willenskraft…«
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»Haben Sie darum Aldo auf die Nase gehauen?« fragte Stan trocken. Nissim grinste verlegen. »Eins zu null für Sie. Zugegeben, manchmal geht mein Temperament mit mir durch, aber das gehört nun einmal zur menschlichen Psyche. Sie selbst haben eben, um es einmal vorsichtig auszudrücken, ein dickes Fell, eine Persönlichkeit, die nicht so leicht zu erschüttern ist.« »Wenn Sie mir die Haut ritzen, werde ich bluten – genau wie Sie. Es ist nur das Training, das mich daran hindert, die Beherrschung zu verlieren und auf den roten Knopf zu drücken. Raumschiffpiloten sind so, und zwar seit dem Jahre eins. Sie sind es nicht nur aus ihrer Veranlagung heraus, sondern das ständige Training machte sie so. Selbstbeherrschung wird zu einer automatischen Selbstverständlichkeit. Haben Sie mal die alten Tonbandaufnahmen gehört, die in der Sendung >Stimmen aus dem Raum< ausgestrahlt wurden?« Die beiden Wissenschaftler schüttelten den Kopf, nahmen ihren Blick jedoch nicht von dem immer noch leeren MT-Schirm. »Das hätten Sie aber tun sollen. Die Termine und Daten kann man natürlich nicht alle im Kopf behalten, denn schließlich ist das alles schon fünfzig Jahre her. Doch das Training und der Erfolg blieben immer gleich. Das beste Beispiel ist wohl zugleich auch das erste – die Stimme des ersten Mannes im Weltraum: Juri Gagarin. Es gibt mehrere Aufnahmen von ihm. Darunter auch die letzte. Er flog mit einem neuen Flugzeugtyp innerhalb der Atmosphäre und bekam Schwierigkeiten mit dem Motor. Er hätte mit dem Fallschirm abspringen und sich retten können, aber er befand sich gerade in diesem Augenblick über einem dicht bevölkerten Gebiet. Also flog er weiter und opferte sich selbst beim Absturz. Seine Stimme hörte sich bei dieser seiner letzten Sendung nicht anders an als sonst.« »Das ist unnatürlich«, kommentierte Nissim. »Er muß ein anderer Mensch gewesen sein als wir.« »Sie haben nicht verstanden, was ich damit sagen wollte«, lehnte Stan den Einwand ab. »Da – sehen Sie nur!« unterbrach Aldo die beginnende Diskussion. Auf dem MT-Schirm erschien ein Meerschweinchen, taumelte und fiel hin. Stan ergriff es und hielt es hoch. »Sieht ja großartig aus«, stellte er fest, ohne die Miene zu verziehen. »Gutes Fell, herrliche Schnurrbarthaare und warm. Aber es ist tot.« Er sah in die entsetzten Gesichter der beiden Wissenschaftler und lächelte. »Keine Sorgen, wir haben es ja nicht nötig, in diese Todesfalle da hineinzuspringen. Vielleicht überlegen Sie sich einige weitere Korrekturen. Sollen wir das tote Tier behalten, oder schicken wir es einer Analyse wegen zurück?« Nessim wandte sich ab und sagte: »Weg damit! Vielleicht bekommen wir wenigstens einen Bericht, der uns weiterhilft. Noch einmal den Schirm auseinandernehmen – dann reicht es mir aber!« Stan schickte das Meerschweinchen zurück. Kurz darauf traf die Diagnose des Labors ein. Sie besagte, daß ein totaler Zusammenbruch des
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Nervensystems des Versuchstieres die Ursache für seinen Tod sei. Bei den ersten Experimenten mit Transmittern hatte es das öfters gegeben, aber es gab eine Korrektur dafür. Sie wurde vorgenommen. Doch Aldo verlor während der Arbeiten einmal das Bewußtsein und mußte mit Drogen behandelt werden. Der Streß begann unerträglich zu werden. »Ich weiß nicht, ob wir es noch einmal schaffen«, flüsterte Aldo kaum hörbar, als sie endlich fertig waren. Er schaltete den MT nach der gesendeten Botschaft auf Empfang. Abermals erschien ein Meerschweinchen, bewegungslos zuerst, aber dann taumelte es auf die Beine, schnüffelte herum und suchte nach Futter oder einem Schlafplatz. »Auf Wiedersehn, Saturn!« rief Nissim aus. »Jetzt machen wir, daß wir hier wegkommen!« »Einverstanden«, stimmte Aldo ihm zu und schaltete den Transmitter auf Senden. »Warten wir erst einmal ab, was die Mediziner im Labor zu dem Tier zu bemerken haben!« rief Stan. Er wartete die Zustimmung der beiden Männer nicht ab, sondern setzte das Meerschweinchen auf den Schirm, in dem es spurlos verschwand. »Ganz richtig«, meinte Nissim widerwillig. »Ein letzter Test.« Diesmal dauerte es ziemlich lange, bis der Bericht eintraf. Er war nicht sehr erfreulich. Zur Vorsicht hörten sie ihn ein zweites Mal ab. Er lautete: »… der medizinische Report besagt einwandfrei, daß die Reflexe des Nervenzentrums unmerklich in ihrer Schnelligkeit reduziert wurden. Die Werte sind so gering, daß es weiterer Untersuchungen bedarf, ehe genauere Resultate erreicht werden können. Es ist uns unmöglich, Ihnen mehr mitzuteilen, da wir nicht mehr wissen. Alle weiteren Entscheidungen liegen allein bei Ihnen. Wir sind uns darin einig, daß eine gewisse geringfügige Veränderung an dem Versuchstier stattfand, aber wir vermögen nicht eindeutig zu bestimmen, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind. Dazu sind weitere Tests notwendig. Wir benötigen mindestens achtundvierzig Stunden, um weitere Einzelheiten mitteilen zu können…« »Achtundvierzig Stunden halte ich es hier nicht mehr aus«, sagte Nissim zu den anderen. »Mein Herz…« »Ich würde es schon aushalten«, unterbrach ihn Aldo und sah auf den Schirm hinab. »Aber welchen Sinn soll das haben? Noch einmal schaffen wir es nicht, den schweren Schirm auseinanderzunehmen. Damit wären wir am Ende. Es gibt nur einen einzigen Ausweg.« »Durch den Transmitter?« erkundigte sich Stan und schüttelte den Kopf. »Noch nicht! Wir müssen weitere Versuche abwarten, solange es uns möglich ist.« »Bis dahin sind wir tot«, sagte Nissim überzeugt. »Aldo hat ganz recht. Selbst wenn man uns die Korrekturdaten durchgäbe, wären wir nicht mehr in der Lage, das verdammte Ding noch einmal aus- und wieder einzubauen.
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Wir schaffen es nicht!« »Ich denke, das stimmt – leider.« Stan fühlte, daß er genauso fertig und erschöpft war wie die beiden anderen; aber er ließ es sich nicht anmerken. »Stimmen wir ab. Die einfache Mehrheit entscheidet – anders geht es ja wohl auch nicht.« Das Resultat waren zwei gegen eine Stimme. »Nun bleibt nur noch eine Frage offen«, stellte Stan fest und betrachtete die bleichen, ausgemergelten Gesichter der Wissenschaftler. Er wußte, daß er selbst nicht besser aussah. »Wer von uns geht zuerst?« Die Antwort war Schweigen. Dann hustete Nissim und sagte: »Eins ist doch klar. Aldo muß zurückbleiben, denn er ist der einzige von uns, der weitere Korrekturen ausführen kann, falls sie nötig sein sollten. Vielleicht ist er zu schwach dazu, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er noch bleiben muß.« Stan nickte. »Ich stimme mit Ihnen überein. Aldo fällt als Versuchskaninchen aus. Sie aber auch, Dr. Ben-Haim! Soweit mir bekannt ist, sind Sie die größte Hoffnung der wissenschaftlichen Welt von heute. Man braucht Sie. Piloten hingegen gibt es mehr als genug. Folglich gehe ich zuerst!« Nissim öffnete seinen Mund, um zu protestieren; aber dann fiel ihm nichts Passendes ein. Er schwieg. »Also in Ordnung, ich gehe zuerst. Aber wann? Jetzt? Haben wir wirklich alles getan, was nur möglich ist? Sind Sie sicher, daß wir es nicht so lange in diesem Käfig aushalten, bis eine neuerliche Korrektur erfolgt ist?« »Ich nicht mehr«, bekannte Aldo. »Ich bin fertig!« »Ein paar Stunden, vielleicht einen Tag – aber was können wir noch tun?« Nissim schüttelte den Kopf. »Es ist unsere letzte Chance.« »Wir müssen sicher sein«, sagte Stan und sah von einem zum anderen. »Ich bin kein Wissenschaftler und verstehe nichts von der Technik eines Transmitters. Wenn Sie also behaupten, Sie hätten das Menschenmögliche getan, so muß ich Ihnen das abnehmen. Aber ich verstehe einiges von Training, Selbstbeherrschung und Müdigkeit. Wir halten es viel länger hier aus, als Sie jetzt vielleicht glauben.« »Nein!« unterbrach ihn Nissim entschlossen. »Lassen Sie mich ausreden! Man kann uns Werkzeug schicken, mit dem sich leichter arbeiten läßt. Wir können uns einige Tage ausruhen und dann Stärkungsmittel nehmen. Die am anderen Ende könnten uns fertige Ersatzteile senden, damit Aldo weniger zu tun hat. Es gibt eine Menge Möglichkeiten…« »Alle diese Dinge können auch Leichen nicht mehr helfen«, stellte Aldo fest. Er warf einen Blick auf seine aufgeschwollenen Adern, die unter der Haut pulsierten. Das Blut mußte mit verdoppelter Anstrengung durch sie hindurchgepreßt werden, um der höheren Schwerkraft gerecht zu werden. »Das menschliche Herz hält die Belastung einfach nicht aus. Wir sind am
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Ende, glauben Sie mir.« »Sie würden staunen über die Leistungsfähigkeit des menschlichen Herzens und des gesamten Organismus!« »Ihr Herz hält das vielleicht aus«, sagte Nissim. »Sie wurden trainiert und sind in jeder Beziehung fit. Was sind wir? Wir haben Übergewicht und sind verweichlicht. Vor allen Dingen sind wir dem Tod näher als je zuvor in unserem Leben. Ich weiß genau, daß ich es nicht mehr länger aushalte. Und wenn Sie nicht endlich durch den Transmitter gehen, dann werde ich es tun.« – »Und was ist mit Ihnen, Aldo?« fragte Stan. »Nissim hat auch für mich gesprochen, Stan. Wenn ich vor die Entscheidung gestellt werde, werde ich den Schirm wählen. Er ist mir lieber als die Gewißheit des sicheren Todes hier in der Brühe des Saturn.« »Also gut.« Stan stand mühsam auf. »Dann bleibt ja wohl nicht mehr viel zu sagen. Ich sehe Sie dann in der Station wieder. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit. Sie hat mir viel Spaß gemacht. Wenigstens haben wir später unseren Kindern eine hübsche Geschichte zu erzählen…« Aldo schaltete den MT auf Sendebereitschaft. Stan kroch vor bis zum Rand des Schirms, dann ließ er sich einfach hineinfallen. Er war sofort verschwunden. Wenig später kam ein Tonband zurück. Aldos Hände zitterten, als er es in den Recorder spannte. »Hallo, HUYGENS, Major Brandon kam gut hier an – wenigstens ziemlich gut. Na, Sie kennen das ja. Er wird gerade untersucht, die Ärzte sprechen mit ihm. Warten Sie noch…« Das Band war noch nicht zu Ende. Sie warteten. Sie hörten Stimmengemurmel, als hielte jemand die Hand vor das Mikrophon. Dann sprach eine andere Stimme zu ihnen: »Hier ist Dr. Kreer. Es ist etwas schwierig zu erklären… Wir haben Ihren Piloten untersucht. Er kann nicht sprechen. Auch scheint er niemanden zu erkennen, obwohl wir keine äußerlichen Verletzungen feststellen können. Es sind auch keine Anzeichen eines Traumas vorhanden. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber es sieht nicht gut für ihn aus. Wenn wir alles mit den langsameren Reflexen des Meerschweinchens vergleichen, so könnte man zu dem Schluß gelangen, daß der Einfluß auf ein intelligentes Gehirn ungleich größer und damit negativer ist. Der Major reagiert sofort, wenn er zur Ruhestellung aufgefordert wird, aber was Intelligenz anbetrifft… nun, Fehlanzeige. An Sie ergeht hiermit die Anordnung, auf keinen Fall den Transmitter zu benutzen, ehe nicht weitere Versuche stattgefunden haben. Ich kann Ihnen nicht verheimlichen, daß durchaus die Möglichkeit besteht, daß Sie längere Zeit dort zubringen müssen.« Das Band lief aus. Das Gerät schaltete sich automatisch ab. Die beiden Männer sahen sich an, schweigsam und forschend. Endlich sagte Nissim: »Er ist tot – schlimmer als tot. Ein schrecklicher Unfall. Und er war so ruhig und gelassen, so zuversichtlich…«
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»Das war dieser Gagarin auch, als er sein Flugzeug in den Tod steuerte, um
andere zu retten. Was hätte also Stan anders tun können? Wir waren es, die
ihn in den Tod trieben, denn wir hatten Angst und waren verzweifelt. Er hat
sich für uns geopfert.«
»Sie können uns nicht dafür verantwortlich machen, Aldo.«
»Doch, das kann ich! Wir stimmten zu, daß er als erster ging. Und wir
versicherten ihm, daß unsere letzte Korrektur ausreichen würde, ihn gesund
ankommen zu lassen.«
»Das stimmt allerdings«, gab Nissim zu. Zum erstenmal sah er Aldo direkt
ins Gesicht. »Wir müssen jetzt weiterarbeiten, nicht wahr? Auf keinen Fall
werden wir den Transmitter benutzen, solange er nicht einwandfrei
funktioniert. Wir schaffen es, ganz bestimmt schaffen wir es, daß wir eines
Tages heil durchgelangen.« Aldo gab den fragenden Blick fest zurück.
»Ich schätze, daß wir Erfolg haben werden. Aber überlegen Sie einmal,
Nissim! Als wir abstimmten, hatten wir da wirklich vor – jeder von uns – ,
als erster durch den Schirm zu gehen?«
»Das ist schwer zu beantworten.«
»Eben! Aber wir müssen mit der Antwort leben, Nissim! Wir können ruhig
vor uns zugeben, daß wir beide Stan Brandon töteten.«
»Aber doch nicht absichtlich!«
»Natürlich nicht, aber unser Verhalten war noch schlimmer. Wir haben ihn
umgebracht, weil wir mit der Situation nicht fertig wurden. Er hatte recht,
und wir hätten mehr auf ihn hören sollen.«
»Hinterher weiß man immer alles besser. Uns fehlte mehr Voraussicht, das
ist alles.« Aldo schüttelte den Kopf.
»Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß er umsonst gestorben ist.«
»Er starb nicht umsonst, und er hat es auch gewußt. Er wollte dafür sorgen,
daß wir gesund hier wegkommen. Er hat es immer versucht, aber wir
wollten nicht auf seine Worte hören. Worte konnten uns nicht überzeugen,
wohl aber sein Tod. Ohne ihn hätten wir resigniert, hätten uns vielleicht in
die Betten gelegt und gewartet, bis wir gestorben wären. Auf keinen Fall
wäre einer von uns zuerst durch den Schirm gegangen.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte Aldo und kam mühsam auf die Füße. »Wir werden
das Ding so justieren, daß es reibungslos funktioniert. Wir werden es so
lange versuchen, bis wir es wissen, und dann werden wir beiden den Saturn
verlassen – heil und gesund. Das sind wir Stan schuldig. Wenn sein Tod
einen Sinn haben soll, dann liegt es an uns, ihn zu erfüllen.«
»Wir schaffen es«, stimmte Nissim zu und preßte die Lippen zusammen.
»Jetzt schaffen wir es!« Sie begannen mit der Arbeit.
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Der Attentäter Wunderbar! Die Sicht war ganz ausgezeichnet.
Als er die Waffe eingeschossen hatte, benutzte er ein optisches Zielfernrohr.
Jetzt verfügte er über ein elektronisches Sichtgerät, und trotz der
regnerischen Nacht konnte er das große Portal des Hauses auf der anderen
Straßenseite klar und deutlich erkennen. Seine Ellenbogen ruhten bequem
auf den Packkörben, die vor dem Sehschlitz standen, den er in die
Außenmauer des Gebäudes geschnitten hatte.
»Fünf Männer sind es, die jetzt auf die Straße gehen«, flüsterte die Stimme
aus dem winzigen Empfänger, den er im Ohr trug. »Der größte von ihnen ist
es!«
Er kam als erster durch das Portal, hochgewachsen und breitschultrig. Er
unterhielt sich mit den nachfolgenden Männern und lachte dazu.
Jagen sah seine weißen Zähne im Fadenkreuz des elektronischen
Zielfernrohrs und vergrößerte, bis die Zähne, die Zunge und der Mund das
gesamt Rundbild ausfüllten. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug,
während ein breites, grausames Lächeln sein Gesicht überzog.
Er drückte ab, und der Kolben der Waffe sprang gegen seine Schulter.
Es waren noch fünf Schuß im Magazin.
Jagen verkleinerte wieder, damit er die ganze Gruppe besser übersehen
konnte.
Sein Opfer stürzte zu Boden.
Feuer!
Ein Ruck ging durch den Gestürzten…
Feuer!
Ein weiteres Geschoß durchdrang die Schädeldecke, das nächste ging in die
Brust. Das letzte füllte einen anderen Mann, der dazwischensprang.
»Magazin leergeschossen«, sagte er in das knöpf große Mikrophon vor
seinen Lippen. »Fünf Schuß ins Ziel.«
»Verschwinden Sie jetzt!« lautete die Antwort.
Und ob ich verschwinde, dachte Jagen. Das brauchen Sie mir nicht extra zu
sagen. Die Polizei des Großen Despoten ist verdammt tüchtig.
Das einzige Licht in dem Raum war das matte, orangefarbene Glühen des
sendebereiten Transmitters. Den Erkennungskode des Zielempfängers hatte
Jagen höchstpersönlich gestanzt. Mit drei Schritten durchquerte er den
finsteren, verstaubten Raum. Er tauchte, ohne zu zögern, in den wartenden
MT-Schirm.
Und verschwand.
Grelles Licht traf seine Augen, und er blinzelte. Die Lampe war über ihm in
der Decke. Die Wände bestanden aus nacktem Fels, und die eiserne Tür
wirkte alt und war voller Rost. Er befand sich unter der Oberfläche eines
ihm unbekannten Planeten, vielleicht auf der anderen Seite der Milchstraße.
Es spielte keine Rolle. Ein Schritt durch den Materietransmitter konnte ihn
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überall hinbringen. Er wich hastig zur Seite aus, als Rauch und einige Trümmerstücke aus dem Schirm drangen. Der andere Transmitter hatte sich nach Plan zerstört. Zweifellos würde es der Polizei möglich sein, die letzte Einstellung des Gerätes zu rekonstruieren; aber das konnte lange dauern. Lange genug jedenfalls, um Jagen Zeit zu lassen, seine Spur endgültig zu verwischen. Außer dem Transmitter gab es in dem Raum nur noch ein großes Keramikgefäß mit einem festschließenden Deckel. Obwohl Jagen seine Instruktionen kannte, warf er einen Blick auf den Zettel. Für diese Station seiner Flucht war vorgesehen: Waffe vernichten! Vorsichtig hob er den Deckel von dem Gefäß und wich hustend zurück, als er die scharfen Dämpfe einatmete. Außer dem Material des Kruges würde die brodelnde, teuflische Säure jeden Gegenstand auflösen, der mit ihr in Berührung kam. Mit geübten Händen schraubte er den Kolben der Waffe heraus und ließ ihn vorsichtig in die Flüssigkeit gleiten. Sofort brodelte sie stärker, und die Dämpfe wurden dichter. Dann zog er eine nur handlange elektrische Säge mit einem Diamantblatt aus der Tasche und schaltete sie ein. Schon vor Tagen hatte er die Stelle am Lauf der Waffe gekennzeichnet, um keine wertvolle Zeit zu verlieren. Es dauerte auch nur wenige Sekunden, dann polterte der abgesägte Lauf zu Boden. Jagen warf ihn ebenfalls in die Säure. Dann folgte das Magazin. Ein neues trat an seine Stelle. Es war frisch gefüllt. Jagen ließ die erste Patrone in die Kammer schnellen und vergewisserte sich, daß der Sicherungshebel richtig stand. Dann erst schob er die stark verkleinerte Waffe in den Ärmel seines Rocks, bis er sie mit der Hand am abgesägten Laufende halten konnte. Stark verkürzt und ohne Zieleinrichtung war das, was er nun versteckt bei sich trug, immer noch eine tödliche Waffe. Wenigstens auf kurze Entfernung. Nach diesen Vorsichtsmaßnahmen warf er einen Blick auf seinen Instruktionszettel. Die Nummer war mit dem neuen Ziel identisch. Daneben stand einfach: Wechseln! Wenig später trat er in den Transmitterschirm und verschwand abermals. Lärm, Licht und Gerüche. Ganz in der Nähe war ein Ozean – irgendein Ozean – , und Jagen hörte die Brecher gegen die Klippen schlagen. Es roch nach Salz. Jagen bemerkte, daß ringsum weitere Transmitter standen. Er war auf einer Transport-VerteilerStation herausgekommen. Aus seinem Transmitter trat ein Fremder. Er murmelte etwas in einer unbekannten Sprache und ging weiter, ohne sich um Jagen zu kümmern, der ihm langsam und unentschlossen folgte. Er widerstand der Versuchung, einfach den nächstbesten Transmitter zu benutzen. Er hatte Zeit, und er wollte es mehr dem Zufall überlassen. Ein Mädchen ging an ihm vorbei. Sie trug einen extrem kurzen Rock und hatte erstaunliche O-Beine. Er folgte ihr bis zu einem der Transmitter, und
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als sie darin verschwunden war, wählte er einen anderen. Er war davon überzeugt, daß man ihn kaum noch aufspüren würde und begann sich bereits sicher zu fühlen. Als erstes sah er den grünen Stern, das Zeichen des Großen Despoten, am Giebel des Gebäudes, in dem das Hauptquartier der Polizei untergebracht war. Aber dann lächelte er beruhigt vor sich hin. Warum nicht? Vielleicht war er gerade hier am sichersten. Das Gebäude war öffentlich und diente mancherlei Zwecken. Hier würde er kaum Verdacht erregen. Tief in seinem Innern war trotzdem Unruhe und ein wenig Furcht, aber das gehörte mit zum Spiel, das er spielte. Er ging die Stufen empor, vorbei an den Wachposten, die ihn kaum beachteten. Er gelangte in einen runden Empfangssaal mit Tischen und Pulten. Auf der einen Seite stand eine Reihe von Transmittern. Ganz ruhig ging er darauf zu, wählte die in den Instruktionen angegebene Nummer, aktivierte den Schirm und trat hinein. Die Luft war dünn und kalt, fast nicht mehr atembar. Tränen schossen ihm in die Augen. Schon wollte er sich umdrehen und in den Transmitter zurückflüchten, als er einen Mann auf sich zukommen sah. Der Fremde trug eine Atemmaske und hielt Jagen eine zweite entgegen. »Warten Sie noch!« sagte er in Intergalakt. Jagen streifte die Maske über und atmete die warme, gute Luft ein. Er dachte nicht mehr an Flucht, und er wußte, daß der Fremde ihn hier erwartete. Er sah sich um und stellte fest, daß er im Kommandoraum eines Raumschiffwracks stand, das älteren Datums sein mußte. Die Kontrollen waren ausgebaut worden. Keiner der Bildschirme arbeitete noch. An den Metallwänden glitzerte die Feuchtigkeit; auf dem Boden bildeten sich vereinzelte Pfützen. Der Fremde bemerkte seine neugierigen Blicke. »Das Wrack befindet sich in einer Umlaufbahn, schon seit einigen Jahrhunderten. Solange der Transmitter arbeitet, wurde für Atemluft gesorgt. Ein künstliches Schwerkraftfeld wurde errichtet. Sobald wir das Schiff verlassen, wird es durch eine vorbereitete Explosion vernichtet. Wenn man Ihnen also bis hierher folgen sollte, endet die Spur.« »Was ist mit dem Rest meiner Instruktionen?« »Sie wurden überflüssig. Wir konnten nicht wissen, ob das Schiff rechtzeitig einsatzbereit sein würde.« Jagen ließ die Instruktionen und den Rest seiner Ausrüstung einfach auf den Boden fallen – Beweisstücke, die mit dem Wrack vernichtet werden würden. Die Waffe behielt er. Der Fremde wählte eine Nummer auf dem Transmitter. »Gehen Sie voraus!« forderte er Jagen auf. Der schüttelte den Kopf. »Ich folge Ihnen«, sagte er. Der Fremde nickte, warf die Atemmaske fort und ging in den Schirm. Jagen zögerte nun nicht mehr. Sie waren in einem ganz normalen Hotelzimmer, wie man es auf Tausenden
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von Planeten finden konnte. Zwei Männer, ganz in Schwarz gekleidet, saßen in Sesseln und blickten ihm entgegen. Der Fremde, der ihn gebracht hatte, wählte eine andere Nummer und verschwand wieder im Transmitter. Die beiden Männer trugen dunkle Brillen. »Die Arbeit ist getan?« fragte einer von ihnen. Es fiel Jagen auf, daß sie außer den schwarzen Handschuhen und Kapuzen auch noch schalldämpfende Mundmasken trugen. Ihre Stimmen wurden dadurch ausdruckslos und unidentifizierbar. »Was ist mit der Bezahlung?« erkundigte sich Jagen und stellte sich so, daß sein Rücken zur Wand zeigte. »Sie werden schon bezahlt, keine Sorge. Aber berichten Sie zuerst, was geschah. Wir haben genug Geld in die ganze Angelegenheit investiert.« Diesmal hatte der zweite Mann gesprochen. Die Bewegungen seiner Finger verrieten Nervosität. »Die Bezahlung zuerst«, erwiderte Jagen und versuchte, seiner Stimme einen gleichmütigen Tonfall zu geben. »Hier ist sie, Jäger«, sagte der eine Mann. »Und jetzt erzähle endlich!« Er nahm eine Schachtel vom Tisch und warf sie Jagen zu. Sie landete vor seinen Füßen und platzte auf. »Ich habe alle sechs Schüsse auf das befohlene Ziel abgefeuert.« Er betrachtete die goldenfarbenen Banknoten, die aus der Schachtel quollen. Genausoviel, wie sie versprochen hatten. »Vier Schuß in den Kopf, einen ins Herz, und der letzte traf einen Mann, der dazwischensprang. Es war alles so, wie Sie voraussagten. Der Schutzschirm half nichts gegen die Plastikgeschosse mit Eigenantrieb.« »Wir haben Ihnen zu danken«, sagte der zweite Mann ohne Gefühlsregung, aber das war weiter kein Wunder, denn seine Stimme war nicht die eigene. Seine Finger jedoch, die auf der Sessellehne herumhämmerten, verrieten abermals seine Nervosität. Jagen bückte sich, um das Geld aufzuheben. Er tat so, als sähe er nichts anderes. Der erste Mann in Schwarz zog eine Energiepistole aus der Rocktasche und feuerte auf Jagen. Jagen, der als berufsmäßiger Jäger stets das Gefühl haben mußte, selbst der Gejagte zu sein, rollte seitwärts an die Wand und hielt seine verborgene Waffe, die noch immer im Rockärmel steckte, am Lauf fest. Mit der anderen Hand fand er durch den Stoff den Abzug und drückte darauf. Die Entfernung war viel zu gering, um das Ziel zu verfehlen. Das Geschoß traf den Mann in der Mitte des Körpers und schleuderte ihn aus dem Sessel. Die Pistole entfiel seinen erschlaffenden Fingern. Er war zweifellos sofort tot. »Projektile aus Speziallegierung«, sagte Jagen ruhig. »Ich habe mir ein Magazin besorgt und aufgehoben. Viel besser als diese Plastikgeschosse, glauben Sie mir. Und wie klug von mir, die Waffe nicht vollständig zu
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vernichten, nicht wahr? Man kann noch gut damit schießen. Allerdings hatten Sie recht. Alle Beweise sollten vernichtet werden, aber das geschieht erst nach dieser bemerkenswerten Konferenz. Ich wundere mich, daß Sie die Waffe nicht früher entdeckten. Sie glaubten wohl, ich käme unbewaffnet? Nun, Ihr Freund hat eine bittere Erfahrung machen müssen – sie hilft ihm nun nicht mehr. Und was ist mit Ihnen?« »Töten Sie mich nicht«, flehte der zweite Mann. Seine Stimme blieb noch immer ausdruckslos, aber seine erhobenen Hände sprachen eine deutliche Sprache. »Es war seine Idee, Sie umzubringen. Ich habe nichts damit zu tun. Er befürchtete, daß man unsere Spur verfolgen konnte, wenn man Sie später erwischte.« Er warf einen hastigen Blick auf die Leiche und die größer werdende Blutlache. »Ich bin unbewaffnet und habe nichts gegen Sie. Töten Sie mich nicht, bitte. Ich gebe Ihnen auch Geld, alles, was ich bei mir habe – und mehr.« Jagen richtete die Waffe auf ihn. »Wieviel haben Sie bei sich?« »Nicht viel, ein paar tausend vielleicht. Aber ich kann Ihnen mehr besorgen.« »Tut mir leid, aber ich habe keine Zeit, darauf zu warten. Nehmen Sie, was Sie in den Taschen haben, vorsichtig und langsam heraus. Werfen Sie es dort auf den Boden.« Es handelte sich um eine ansehnliche Summe, was darauf schließen ließ, daß es sich um einen reichen Mann handelte. Sonst könnte er nicht so viel Geld mit sich herumschleppen, dachte Jagen. Er richtete seine Waffe auf ihn, um ihn zu töten, aber dann besann er sich anders. Was hätte er auch schon davon? Im Augenblick war er das Töten leid. Er ging also nur auf den Mann zu und riß ihm die Maske vom Gesicht. Zum Vorschein kam ein fettes, altes und aufgeschwemmtes Antlitz mit vor Angst verweinten und weit aufgerissenen Augen. Jagen stieß den Mann von sich und versetzte ihm voller Abscheu einen Tritt mit dem Fuß. Dann drehte er sich um und ging zum Transmitter. Vorsichtig, damit der andere nicht die geringste Chance erhielt, die gewählte Nummer zu erkennen, drückte er die entsprechenden Knöpfe ein. Er sah sich noch einmal um. Sein überlebender Auftraggeber lag am Boden und schien froh darüber, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Jagen zögerte nicht länger. Er ging in den Transmitter. Viele Lichtjahre entfernt kam fast zur gleichen Zeit im Büro des obersten Chefs der Polizei ein Roboter aus dem Transmitter. Die Unterredung fand auf dem Planeten statt, der Schauplatz des Attentats gewesen war. »Du bist der Verfolger?« vergewisserte sich der Offizier. »Ja, das bin ich«, entgegnete die Maschine. Sie sah gut aus, fast wie ein Mensch geformt und mehr als zwei Meter groß. Sie hätte natürlich jede beliebige Form haben können, aber da sie sich meistens unter Menschen bewegte, schien diese die günstigste zu sein. Die äußere Erscheinung war jedoch der einzige Kompromiß, der gemacht
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worden war. Einen Körper, vier Gliedmaßen und einen Kopf hatte der Roboter – der Rest war Positronik und streng logisch funktionierende Maschinerie. Das Material, aus dem das technische Wunderwerk bestand, war ein erst kürzlich entdecktes Metall, das in der Speziallegierung golden schimmerte. Dem eiförmigen Kopf fehlte jeder Gesichtsausdruck, denn er hatte kein Gesicht. Lediglich ein T-förmiger Schlitz verriet dahinter verborgene optische und akustische Anlagen. Die Sprache des Roboters klang nicht künstlich, sondern war wohlklingend wie die eines Mannes. »Du bist der einzige deiner Art, soviel ich weiß«, fuhr der Polizeichef fort. Er war im Dienst ergraut und schon alt; aber er hatte niemals seine Wißbegierde verloren. »Ihre eigenen Sicherheitsmaßnahmen erlauben mir in diesem Fall die Erklärung, daß weitere Verfolger in die Produktion gehen werden. Doch eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht verraten.« »Ausgezeichnet. Definieren Sie Ihre Aufgabe.« Der Polizeichef wurde automatisch höflicher zu der Maschine. »Es ist meine Aufgabe, jemanden zu verfolgen und zu finden. Meine positronischen Detektoren sind die leistungsfähigsten, die jemals konstruiert wurden. Das ist einer der Gründe, warum ich relativ groß gebaut wurde. Mein Erinnerung s Speicher ist aufnahmefähiger als jeder andere in diesem Umfang. Ich bin in der Lage, jederzeit neue Informationen hinzuzufügen. Ich werde den Mörder finden.« »Das wird vielleicht nicht ganz so einfach sein, denn der Mann zerstörte den Transmitter, nachdem er verschwunden war.« »Es ist mir möglich, die letzte Einstellung des Gerätes aus den vorhandenen Trümmern zu rekonstruieren.« »Er wird seine Spur verwischt haben.« »Keine Spur kann restlos getilgt werden. Ich bin der Verfolger.« »Es war ein gemeiner Mord. Jedenfalls wünsche ich Ihnen viel Glück – falls man einer Maschine Glück wünschen kann.« »Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit. Zwar verfüge ich selbst nicht über menschliche Empfindungen, aber ich begreife und verstehe sie. Ihre Gefühle mir gegenüber wurden bereits registriert und gespeichert, obwohl Sie das mit Ihrer Bemerkung sicherlich nicht bezweckten. Darf ich jetzt sämtliche Unterlagen über das Attentat sehen? Danach begebe ich mich zu dem Ort, an dem das Verbrechen geschah…« Zwanzig Jahre Leben in Reichtum und Wohlstand hatten Jagen kaum verändert. Die kleinen Fältchen unter den Augen und die grauen Schläfen hoben seine scharfen Züge eher hervor, als daß sie sie verbargen. Er hatte es nicht mehr nötig gehabt, seinen Lebensunterhalt durch die Menschenjagd zu verdienen. Wenn er noch jagte, dann zu seinem eigenen Vergnügen. Und das tat er oft genug. Viele Jahre war er auf der Flucht gewesen, hatte ständig Namen und Identität gewechselt und so versucht, seine Spur mehrfach zu verwischen. Dann hatte er, mehr durch Zufall, diesen rückständigen, primitiven Planeten
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entdeckt und beschlossen, zu bleiben. Der Dschungel war unberührt und wild, und auf keiner anderen Welt hätte das Jagen einen solchen Reiz wie hier ausüben können. Das durch seinen letzten Mord verdiente Geld hatte er gut angelegt, so daß er sich finanziell keine Sorgen zu machen brauchte. Allein die Zinsen erlaubten ihm, ganz seinen Wünschen zu leben und einigen kostspieligen Lastern zu frönen. Mehr als eine Woche lang hatte er sich im Urwald aufgehalten, und nun war er zurückgekehrt. Gebadet, erfrischt und ausgeruht überlegte er, was er tun sollte. Er kannte eine Vergnügungswelt, zwar sündhaft teuer, aber einmalig in ihrer Art. Dort bekam man alles für sein Geld, was man sich nur ausdenken konnte. Er trug einen goldbestickten Anzug. Er saß in einem bequemen Sessel, die Beine auf den Tisch gelegt, und hielt einen Drink in der Hand. Durch die transparente Wand seines Wohnraumes hindurch sah er zu, wie die Sonne hinter dem Dschungel unterging. Er hatte nie viel für Malerei oder Kunst übrig gehabt, aber nur ein Blinder hätte das farbenprächtige Schauspiel ignoriert, das sich seinen Augen darbot. Wahrhaftig, das Universum war wunderbar! Ein Summton machte ihn darauf aufmerksam, daß jemand die Nummer seines Transmitters gewählt hatte und zu ihm unterwegs war. Er drehte sich um und sah den Verfolger in den Raum treten. »Endlich habe ich den Mörder gefunden«, sagte der Roboter. Das Glas entglitt Jagens Fingern und rollte über den Holzboden, eine feuchte Spur hinter sich herziehend. Er war niemals unbewaffnet, aber sein Instinkt warnte ihn. Mit der kleinen Energiepistole, die er in der Jackentasche trug, konnte er dieser Maschine mit Sicherheit nichts anhaben. Er würde also vorsichtig sein müssen. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, sagte er und stand auf. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich die Polizei verständigen.« Er ging langsam auf das Visiphon zu, aber dann änderte er die Richtung und verschwand mit einem Satz im Nebenraum. Der Roboter setzte zur Verfolgung an, blieb aber abrupt stehen, als Jagen wieder in der Tür erschien. In seinen Händen hielt er ein Gewehr mit überschwerem Kaliber. Es verfeuerte Sprenggeschosse, die zur Jagd auf Saurier dienten. Jagen leerte das Magazin, das zehn Patronen enthielt. Der Lauf der Waffe war dabei auf den Roboter gerichtet, der ganz ruhig stehenblieb und abwartete. Die Geschosse detonierten und gaben die Splitter mit unheimlicher Vehemenz frei. Die halbe Einrichtung des luxuriösen Wohnraums ging dabei in Trümmer. Jagen selbst wurde im Nacken und am Bein verwundet, aber er schien das nicht zu bemerken. Er starrte nur auf den Roboter, dessen schimmernde Hülle nicht einmal einen Kratzer abbekommen hatte. »Setzen Sie sich«, befahl der Verfolger. »Ihr Herz arbeitet zu schnell. Das ist schädlich für Sie.« »Schädlich?« Jagen lachte bitter, dann gruben sich seine Zähne verzweifelt
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in die Unterlippe. Die Waffe fiel aus den verkrampften Fingern und polterte auf den Boden. Er wankte zu einem unbeschädigten Sessel und ließ sich hineinsinken. »Soll ich mir um meine Gesundheit Sorgen machen, wenn Sie hier sind, mein Henker?« »Ich bin der Verfolger, nicht der Henker.« »Dann werden Sie mich eben dem Henker übergeben. Was ist da für ein Unterschied? Aber verraten Sie mir, wie Sie mich nach zwanzig Jahren gefunden haben. Oder ist das ein Geheimnis?« »Die Einzelheiten sind geheim. Nur soviel – ich ging sämtlichen Hinweisen nach, rekonstruierte sämtliche Fluchtetappen durch die Transmitter, speicherte jede Kleinigkeit in meiner Erinnerungsbank und benutzte die positronisch-logistische Kombinationsauswertung. Ich bin eine Maschine, vergessen Sie das nicht! Ich kenne daher auch keine Ungeduld. Am Ende der Suche mußte ich Sie finden.« Solange Jagen noch lebte, gab er nicht auf. Vielleicht ergab sich noch eine Möglichkeit zur Flucht. Die Maschine konnte er nicht unschädlich machen, aber er konnte ihr entkommen. Er mußte Zeit gewinnen, mußte mit ihr reden. »Was werden Sie mit mir tun?« »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen.« Innerlich mußte Jagen lachen, aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er wußte nur zu genau, daß der Große Despot keinen Mörder zwanzig Jahre lang verfolgen ließ, nur damit dieser dann einem Roboter ein paar Fragen beantwortete. »Na gut, dann fragen Sie«, sagte er endlich. »Kennen Sie den Mann, den Sie erschossen haben?« »Ich habe noch nicht zugegeben, daß ich jemanden erschossen habe.« – »Sie gaben es zu, als Sie mich angriffen.« »Na schön, ich spiele also mit.« Er durfte die Unterhaltung jetzt nicht stocken lassen, das Ding mußte beschäftigt werden, bis sich die beste Gelegenheit zur Flucht bot. Später würden sie die Wahrheit ohnehin erfahren, wenn er ihnen nicht entkam. »Ich kannte den Mann nicht. Ich bin nicht einmal sicher, auf welcher Welt es geschah. Jedenfalls regnete es dort in Strömen, mehr weiß ich nicht.« »Wer hat Sie mit dem Mord beauftragt?« »Sie nannten keine Namen. Ich erhielt mein Geld, als ich meine Arbeit getan hatte. Das ist alles.« »Gut, das glaube ich Ihnen. Zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen noch mitteilen, daß Herzschlag und Puls wieder normal sind. Damit besteht keine Gefahr mehr, wenn ich Sie informiere, daß Sie bei Ihrem Anschlag auf mich verletzt wurden.« Jagen lachte laut und befühlte die Wunde im Nacken. »Vielen Dank für Ihre Fürsorge; aber die Verletzung ist wirklich nicht der Rede wert.« »Ich möchte sie säubern und verbinden. Geben Sie mir dazu Ihre
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Erlaubnis?« »Wenn Sie unbedingt wollen! Das Verbandszeug ist im anderen Zimmer.« Wenn der Roboter hinübergeht, dachte Jagen, erreiche ich den Transmitter mit Leichtigkeit. »Ich möchte die Wunde zuerst untersuchen.« Der Verfolger wuchtete wie ein Riese über Jagen und berührte den Nacken mit seinem kalten Metallfinger. Im gleichen Augenblick war Jagen am ganzen Körper gelähmt. Jagen spürte sein Herz regelmäßig weiterschlagen. Er konnte unbehindert atmen, und er konnte noch mit unbeweglichen Augen sehen. Aber er vermochte sich nicht mehr zu bewegen und konnte auch nicht mehr sprechen. »Ich mußte es tun«, erklärte der Verfolger, »um die Wunde behandeln zu können. Sie werden bei der kleinen Operation keinen Schmerz verspüren.« Die Maschine, so stellte Jagen am Geräusch der Schritte fest, ging davon und verließ den Raum. Er konnte ihr nicht mit den Augen folgen, die starr geradeaus gerichtet blieben. Operation? Welche unvorstellbare Bestrafung hatte sich der Große Despot da ausgedacht? Wer war eigentlich der Mann gewesen, den er getötet hatte? Die Rache, jetzt, nach zwanzig Jahren…! Zum erstenmal hatte er Angst, richtige Angst, aber selbst sie konnte den Herzschlag jetzt nicht mehr beschleunigen. Er hatte keine Gewalt mehr über seinen Körper, und sein Bewußtsein war in einer Ecke seines Gehirns eingesperrt worden, handlungsunfähig und voller Hysterie. Schritte verrieten ihm, daß der Roboter nun hinter ihm stand. Wenig später wurde er hin und her geschaukelt, aber er spürte nichts. Dann streifte etwas Dunkles seinen Sichtbereich und fiel auf den Boden. Er konnte es nicht mehr sehen. Was war es gewesen? Was? Dann fiel etwas anderes auf den Boden, aber so, daß er es sehen konnte. Schaum war dabei, ein paar Haarbüschel, und… Da endlich begriff Jagen. Enthaarungsschaum, in viel zu großer Menge! Die Maschine mußte den ganzen Behälter ausgesprüht haben und war nun dabei, sämtliche Kopfhaare zu entfernen. Aber warum nur? Wozu das? Der Roboter kam um ihn herum und trat vor ihn. Er wischte sich seine Metallhände an Jagens Anzug ab. »Ich mußte Ihre Haare entfernen, um die Operation durchführen zu können. Keine Sorge, die Haare wachsen wieder nach, und die Operation ist durchaus ungefährlich und hat keine schädlichen Folgeerscheinungen.« Noch während der Verfolger sprach, ging eine äußerliche Veränderung mit ihm vor. Die goldene Hülle, die selbst gegen Explosivgeschosse unempfindlich gewesen war, öffnete sich in der Mitte des Körpers. Jagen konnte nur schreckerfüllt und bewegungsunfähig zusehen, wie ein runder
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Hohlraum entstand, an dessen Rändern blitzende Instrumente und lange
Nadeln befestigt waren.
»Sie werden nichts spüren«, sagte der Roboter und nahm Jagens Kopf in
seine Hände, zog ihn mit sanfter Gewalt nach vorn und schob ihn in die
Öffnung. Jagen hätte später nie zu sagen vermocht, ob es die namenlose
Angst oder ein Betäubungsmittel gewesen war. Jedenfalls verlor er in
diesem Augenblick das Bewußtsein.
Er spürte nicht mehr die feinen Nadeln, die durch seine Kopfhaut drangen,
sich durch die Schädeldecke bohrten und schließlich im Gehirn anlangten.
Aber sein Unterbewußtsein wurde wach. Er konnte wieder denken.
Erinnerungen waren es, die plötzlich auftauchten, klar und deutlich wie nie
zuvor, und die der unheimlichen Maschine zugeleitet wurden. Seine
Kindheit, bestimmte Gerüche, längst vergessene Geräusche, ein Zimmer,
Gras unter seinen Füßen, ein junger Mann im Spiegel – er selbst.
Lange Zeit flossen die Erinnerungen, gesteuert und aus dem
Unterbewußtsein hervorgeholt, um von dem Verfolger überprüft zu werden.
Er sortierte die wichtigen Einzelheiten aus, setzte sie zu einem vollständigen
Bild zusammen und speicherte es.
Dann zogen sich die Nadeln zurück, Jagens Kopf wurde frei. Der Roboter
setzte ihn in den Sessel zurück und hob die Paralyse auf. Jagen konnte sich
wieder bewegen. Er fuhr mit einer Hand über den glatten Schädel, während
sich die andere um die Sessellehne krampfte.
»Was haben Sie mit mir gemacht? Was war das für eine Operation?«
»Ich habe nur Ihre Erinnerungen studiert und kenne nun die Leute, die Ihnen
damals den Auftrag erteilten.«
Mit diesen Worten drehte sich der Roboter, der wieder seine ursprüngliche
Gestalt angenommen hatte, einfach um und ging auf den Transmitter zu. Als
er die Nummer gewählt hatte, rief Jagen überrascht:
»Augenblick! Wohin wollen Sie? Was wird nun mit mir geschehen?« Der
Verfolger drehte sich um.
»Haben Sie da einen besonderen Wunsch? Was soll ich denn mit Ihnen tun?
Haben Sie Schuldgefühle, die beseitigt werden müssen?«
»Spielen Sie nicht mit mir, Maschine! Ich bin ein Mensch, Sie bestehen
lediglich aus Metall. Ich gebe Ihnen den Befehl, mir auf meine Fragen zu
antworten. Gehören Sie zur Polizei des Großen Despoten?«
»Ja.«
»Dann werden Sie mich also verhaften?«
»Nein. Ich verlasse Sie jetzt. Die Polizei dieser Welt, auf der Sie leben, kann
Sie ja verhaften. Doch soweit ich informiert bin, hat sie kein Interesse daran.
Der Fall geht sie nichts mehr an. Ihr Vermögen ist beschlagnahmt worden,
um die Kosten der Verfolgung wenigstens teilweise zu decken.«
Er drehte sich um, setzte sich in Bewegung.
»Halt!« Jagen sprang auf die Füße. »Mein Geld – ja, das kann ich mir
vorstellen! Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich zwanzig Jahre lang
verfolgt wurde – nur deshalb! Ich bin ein Attentäter, ein Mörder! Haben Sie
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das vergessen?« »Das hat niemand vergessen, auch ich nicht. Darum bin ich Ihnen ja gefolgt. Aber Ihre Meinung über sich selbst ist falsch. Sie stimmt überhaupt nicht. Sie sind weder einmalig, noch besonders begabt, noch interessant. Jeder Mann kann einen anderen töten, wenn er die Voraussetzungen dazu erhält. Schließlich sind die Menschen nichts als Tiere. In Kriegszeiten werfen junge Männer tödliche Bomben auf Menschen, die sie nicht kennen, indem sie nur auf Knöpfe drücken. Sie morden, ohne sich dabei Gedanken zu machen. Menschen töten, um ihre Familien zu schützen, und man verurteilt sie deswegen. Sie, Jagen, sind ein professioneller Killer gewesen, Sie haben Geld dafür erhalten, einen anderen Mann zu töten. Geld ist für Sie Motiv genug, ein Leben auszulöschen. Das ist weder edelmütig, noch besonders tapfer, und schon gar nicht interessant. Der Mann ist tot, und wenn ich Sie jetzt töte, wird er davon auch nicht wieder lebendig. Darf ich jetzt gehen?« »Nein! Mir ist noch nicht alles klar. Sie sind mir zwanzig Jahre lang gefolgt. Warum das? Nur um ein paar restliche Fakten herauszufinden, die niemandem mehr nützen?« Die Maschine stand groß und stark vor dem Transmitter. Ihre goldene Hülle schimmerte, als besäße das Metall ein eigenes Leben. Vielleicht reflektierte sie aber auch nur das Leben und die Gedanken ihrer Erbauer. »Ja, Fakten! Sie selbst, Jagen, sind nichts, und jene Männer, die Ihnen den Auftrag gaben, sind auch nichts. Aber warum sie es taten, und wieso sie in der Lage waren, es zu tun, das allein ist wichtig! Ein Mann, zehn Männer, selbst eine Million Männer sind nichts gegen den Großen Despoten, in dessen Händen das Schicksal von Zehntausenden von Planeten liegt. Der Große Despot rechnet nicht mit dem Einzelindividuum, er rechnet mit ganzen Völkern, Rassen und Gesellschaften. Ich habe Ihre Gedanken erforscht, Jagen, und nun werden wir die Gesellschaftsform untersuchen, aus der Sie und Ihre Auftraggeber stammen. Wir müssen erfahren, wie sie auf den Gedanken kamen, daß man mit Gewalt ein Ziel erreichen, eine Lösung finden kann. In welcher sozialen Umgebung konnte der Gedanke geboren werden, daß Töten ein Mittel zur Erreichung eines Zieles ist? Wo wird das Töten geduldet, ignoriert oder sogar verziehen? Wenn wir das wissen, dann wissen wir auch, wo der Grund für jeden Mord zu finden ist. Wir erfahren, warum Leben und Einstellung so geformt werden, daß tödliche Ideen in das Universum exportiert werden.« Der Roboter sah auf den schimmernden MT-Schirm. »Es ist die jeweilige Gesellschaft, die mordet, nicht das Individuum.« Er nickte Jagen fast spöttisch zu. »Sie, Jagen, sind ein Nichts.« Er ging in den Transmitter und verschwand.
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Die Braut des Gottes Ihr Name war Osie, und alle waren sich darin einig, daß sie bei weitem das reizendste Mädchen in Wirral-Lo war, einem Ort, der ohnehin schon seit langem für die außergewöhnliche Schönheit seiner Frauen bekannt war. Wirral-Lo, eine Ansiedlung hoch oben in den unwirtlichen Bergen des Planeten, der Orriols genannt wurde, hatte sonst nicht viel zu bieten. Die Schönheit ihrer Frauen war ihr größter Reichtum. Er wurde entsprechend geschützt und bewacht. Wenn Osie sich aus dem Hause wagte, trug sie einen Mantel aus schwerem Bleistoff, einen breitkrempigen Hut und eine Brille mit dicken, schwarzen Gläsern, um sich gegen die starken, radioaktiven Strahlen der weiß-blauen Sonne zu schützen. Abends aber, im Inneren der Häuser, bewunderte jeder die Schönheit ihrer Haut, den Glanz ihres langen, schwarzen Haares und die untadelige Rundung ihres üppigen, nackten Busens. Ihre Arme allerdings waren immer bedeckt – die strengen Sitten mußten eingehalten werden – , doch an ihrem weiten, in tiefe Falten gelegten Rock waren kleine, silberne Glöckchen angebracht, die bei jedem ihrer Schritte läuteten. Auch ihre Augen blieben stets hinter den runden, dunklen Gläsern verborgen; aber das, was man sehen konnte, war reizvoll genug. Die Arbeiter, deren Gesichter und Hälse von Brandnarben, krebsartigen Geschwulsten und Pocken entstellt waren, weideten sich an ihrer makellosen Schönheit. Sie waren alle sehr traurig, als beschlossen wurde, Osie auf eine Schule zu schicken. Dieses Vorhaben würde sehr kostspielig sein. Doch jeder sah ein, daß diese Investition auch sehr nutzbringend sein konnte. Vor vielen Jahrhunderten waren sie in die Berge gezogen, um hier die Pilloy-Pflanzen anzubauen, die nur auf dem Planeten Orriols unter der grellen, aktinischen Sonne gediehen. Hier war die Luft sehr dünn, aber ihre Vorfahren hatten in großer Höhe auf den Bergen Südamerikas gelebt, so daß ihnen dieser Umstand keine Beschwerden verursachte. Ihre Brustkörbe waren breit, und sie konnten diese Luft atmen. Die starke, radioaktive Strahlung allerdings war eine andere Sache. Sie tat ihnen nicht gut. Sie war die Ursache dafür, daß sie sich nicht in ausreichendem Maße vermehren konnten, und so hatten sie niemals genug Arbeitskräfte, um das Land zu bebauen. Es wurden teure Maschinen dazu gebraucht, und der Verkauf der Pilloy-Droge erbrachte nicht genügend Gewinn. So waren sie alle gerne bereit, ihr Scherflein beizutragen, um Osie für ihre Reise entsprechend auszustatten, denn sie wußten, sie würde einmal als Braut einen hohen Preis einbringen. Ganz bestimmt! Osie war ein junges Mädchen. Als sie zum Abschied winkte, konnte sie ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie trat durch den Materie-Transmitter und tauchte in den Bergen der Erde wieder auf – in Bern, wo sie die Schule besuchen sollte. Ein Jahr später, auf den Tag genau, kehrte sie wieder zurück. Jetzt war sie eine ausgeglichene, junge Frau, die es sich versagte, bei
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jeder törichten Gefühlsregung gleich in Tränen auszubrechen. Während eines großen Diners wurde sie von allen Anwesenden, die sie nur als junges Mädchen in Erinnerung hatten, sehr bewundert. Ihre Manieren waren tadellos, wenn auch ihr Verhalten den einfachen Arbeitern gegenüber ein wenig zu kühl schien. Doch ihre reife Schönheit und Anmut waren atemberaubend. Von der Schule brachte sie eine Bescheinigung mit, in der bestätigt wurde, daß sie alle Kurse mit der besten Note absolviert hatte. Ihr wurden untadelige Manieren bescheinigt sowie der Unterricht in den schönen Künsten. Auch die Tatsache, daß sie während des ganzen Jahres niemals außerhalb der Aufsicht der Schule gewesen sei, also jedem schlechten Umgang entzogen und unberührt geblieben war. Sie war also makellos in jeder Hinsicht. Mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachteten alle Anwesenden ihr Haar, ihre Brust, ihre perfekten Manieren und sahen dabei im Geiste nichts anderes als Traktoren, Eggen, Pflüge und viele, viele Säcke voll Düngemittel. »Hier ist das Inserat, das wir aufgeben werden«, sagte ihr Vater, als sie mit dem Mahl fertig waren und der Tisch abgeräumt wurde. Schreie des Entzückens und der Zustimmung waren zu hören. »Dieses Bild – einfach vollkommen!« »Die Maße – sie stimmen auf den Millimeter!« »Der Preis – er ist höher, als jemals zuvor!« Osie hielt den Blick gesenkt und schaute züchtig in ihr Weinglas. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Eine Welle der Zuneigung wurde ihr entgegengebracht, und alle hätten sie am liebsten geküßt und in Dankbarkeit umarmt, wenn sie nicht voll Furcht gewesen wären, sie zu verletzen und damit ihre Vollkommenheit zu zerstören. Nicht der kleinste Fehler durfte an ihr haften. Noch nie war sie geküßt worden, auch nicht von ihren Eltern, zumindest nicht seit ihrem fünften Geburtstag. Nach drei Tagen traf die erste Antwort ein. Natürlich kamen noch mehr – der Himmel mag wissen, wie viele – , aber die Heiratsvermittlung sortierte alle aus, die den geforderten Preis nicht zahlen konnten. Eine kleine Schar schwarzgekleideter Männer materialisierte durch den Materie-Transmitter. Die Männer blickten sich argwöhnisch in der schmucklosen Halle um, in der sie begrüßt wurden. Doch ihre Blicke wurden sofort freundlicher, als Osie anmutig vor sie hintrat. Die Rechtsanwälte prüften ihre Papiere, die Ärzte untersuchten sie unter den wachsamen Augen ihrer Leute, und der Geschäftsführer der Fremden feilschte um den Preis. Es ließ sich alles sehr gut an; als plötzlich ein anderer Mann aus dem Schirm trat und mit dem Fuß aufstampfte. »Ihr Fremden, verschwindet! Sie wird meine Braut!« Die Männer in Schwarz erbleichten. Osies Vater wandte sich dem Neuankömmling zu – betont liebenswürdig, denn der Mann sah nach sehr viel Geld aus. Seine Kleider bestanden aus kostbarstem Gewebe, und seine Juwelen, Diamanten und Smaragde waren von erstaunlicher Größe und ungewöhnlichem Schliff. Er hatte blondes Haar, das wie Seide bis auf seine Schulter herabhing. Seine Oberlippe wurde von einem Schnurrbart geziert,
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über den er sich leicht mit den Fingerspitzen strich. »Darf ich nach Euerem Namen fragen?« sprach ihn Osies Vater demütig an. Er machte eine leichte Verbeugung, wie es ihm bei dieser Gelegenheit angebracht erschien. »Ihr dürft! Ich bin Jochann, einziger Herr von Maabarot. Ich begehre Eure Tochter zum Weib.« Es war nicht befremdlich, daß noch niemand etwas von Maabarot gehört hatte, denn seit man Materie-Transmitter im Gebrauch hatte, war die Menschheit über die Galaxis zerstreut worden wie Spreu im Wind. Und es gab ungezählte Welten, die bewohnt waren. »Wir waren zuerst hier«, wagte einer der Schwarzgekleideten einen Einwand. »Ihr müßt gehen!« »Ich bleibe!« sagte Jochann und schlenkerte mit seinem zierlichen Stock, der anscheinend weit schwerer war, als er aussah, denn er stieß gegen die Schläfe eines »Schwarzen«, und der Mann sank augenblicklich ohnmächtig auf den Boden. »Ich überbiete jedes Angebot und gebe zehntausend Credits mehr«, fuhr Jochann fort. Er zog einen Beutel mit Geld aus seiner Tasche und warf ihn auf den Tisch. »Überdies ist der beleibte Auftraggeber dieser Schakale siebzig Jahre alt und hat eine Haut wie ein Warzenschwein.« »Ist das wahr?« fragte Osie, das erste Mal das Wort ergreifend, und ihre Stimme klang genauso lieblich und hell wie die Glöckchen an ihrem Rock. »Es ist nicht wahr!« sagte einer der Fremden und trat vor. »Ihr könnt es selbst auf diesem Bild sehen!« »Wahr genug für mich!« rief Osie, als sie auf das Bild sah, und kräuselte verächtlich ihre hübschen Lippen. Sie ließ es fallen und trat mit dem Fuß darauf. Dann wandte sie sich Jochann zu. »Ihr könnt mich haben, mein Herr. Aber ich bin nicht billig. Für diesen Grundpreis gehört Euch mein Körper, niemals aber meine Seele, denn ich werde immer daran denken müssen, daß Ihr Euer Geld vor Eure Liebe gestellt habt. Ich frage Euch, ob Ihr wohl so edelmütig sein könntet…« – »Wie edelmütig?« »Mindestens fünfzigtausend Credits mehr.« »Diese Edelmütigkeit ist nicht billig.« »Meine Liebe auch nicht. Ich sehe in Euch den Mann, den ich mit großer Leidenschaft lieben könnte, und ich glaube, meine Liebe keimt bereits. Aber ich kann ihr nicht mit gutem Gewissen stattgeben, solange ich mein armes Volk im Unglück weiß. Zahlt ihm diese für Euch kleine Summe, und für Euch wird ein neues Leben voll Liebe und Leidenschaft beginnen.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu, ergriff seine Hand, die er ihr widerstandslos überließ, führte sie an den Mund und berührte seine Handfläche leicht mit der Zungenspitze. Jochann stöhnte laut auf. »Ihr habt mich überzeugt«, sagte er, griff in seine Tasche, holte Beutel auf Beutel voller Geld hervor und warf sie auf den Tisch. Er war sich kaum bewußt, was er da tat. »Bereitet die Heiratspapiere vor. Wir wollen die Zeremonie schnell hinter
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uns bringen. Ich kann nicht lange warten!« »Ich habe viele Jahre gewartet«, flüsterte Osie ihm ins Ohr, und ihre Stimme klang ebenso heiser wie die seine. »Meine ganze Leidenschaft habe ich nur für Euch aufbewahrt.« Er stöhnte wieder und suchte die schwarzgekleideten Männer aus dem Raum zu vertreiben. Schließlich stieß er den letzten von ihnen in den MaterieTransmitter. Nur mühsam erlangte er seine Fassung zurück und ließ nun gleichmütig die Hochzeitszeremonie über sich ergeben, unterzeichnete alle Dokumente und gab seiner Braut einen flüchtigen Kuß auf die Wange. Aber er wollte das Hochzeitsmahl nicht mehr abwarten. »Das Fleisch wird ungeduldig«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen und holte seinen letzten Geldbeutel aus den weiten Taschen. »Ich hoffe, daß eine zusätzliche Zahlung über unser vorzeitiges Fortgehen hinwegtrösten wird. Dringende Pflichten rufen mich. Sie können nicht warten.« Man brachte ihm vollstes Verständnis entgegen, und das Gepäck von Osie wurde geholt. Jochann programmierte indessen den Materie-Transmitter mit seiner Materie-Transmitter den Schlüssel mit seinem Körper verdeckte. Er nickte kurz zum Abschied, nahm seine Braut bei der Hand und ging in den Transmitterschirm. Der Raum, den sie betraten, war klein, fensterlos, staubig und leer. Osie war wohlerzogen genug, nichts zu sagen. Sie beobachtete voller Interesse, wie ihr Ehemann die Transmitter-Kontrollen mit einem großen Schloß sicherte. Dann entriegelte er eine Tür und ließ sie in einen anderen Raum eintreten. Die schwere Tür schloß sich hinter ihnen, und er verriegelte sie mit einem guten halben Dutzend Schlösser. Osie fand für dieses rätselhafte Verhalten keine Erklärung. Doch nun sah sie sich in dem großen, geschmackvoll eingerichteten Raum um. Am auffälligsten war das große Bett, auf dem die Decken zurückgeschlagen waren. »Ich wußte, daß du meine Braut werden würdest«, sagte er mit vor Leidenschaft erstickter Stimme. Er nahm sie in die Arme und drängte sie zu dem Bett. In diesem Moment bemerkte er, daß ihr Körper steif wie Holz wurde. Ihr Gesicht wurde abweisend. Nur widerwillig ließ er von ihr ab. Sie glättete ihre Kleider, bevor sie sagte: »Würdest du mir bitte meinen Ankleideraum zeigen und mir mein Gepäck bringen? Ich werde mich sorgfältig vorbereiten, denn dieses sollte nicht mit ungebührlicher Hast geschehen. Auch du solltest dich gut vorbereiten, denn schließlich wirst du für mindestens zwei oder drei Tage diesen Raum nicht mehr verlassen.« Während sie sprach, nahm sie langsam die schwarze Brille ab, hinter der noch immer ihre Augen verborgen waren, die ihn nun weit, dunkel und mit verhaltener Leidenschaft ansahen. Dann fühlte er ihre heißen Lippen auf den seinen. Als sie wieder von ihm zurücktrat, nickte er nur, unfähig zu sprechen. Wortlos wies er auf eine Tür, durch die sie verschwand.
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Die erste Woche verlief für Osie sehr angenehm. Die Schule in den Alpen auf der Erde hatte sie hervorragend ausgebildet – so gut das eben ohne praktische Lehre möglich war. Außerdem glaubte sie, für diese Dinge eine ausgesprochene Naturbegabung zu besitzen. Überdies war es für sie eine wahre Erlösung von ihrem bisherigen eintönigen Leben, indem ihre einzige Freude darin bestanden hatte, sich auf ihre Aufgabe als Frau vorzubereiten, und das konnte sie auf die Dauer natürlich nicht befriedigen. Jetzt bot sich ihr endlich die Gelegenheit, alle Theorie in die Praxis umzusetzen, und sie tat es mit wilder Freude und variationsreichem Geschick. Als sie nach der siebten Nacht erwachte, bemerkte sie, daß ihr Gatte das eheliche Lager bereits verlassen hatte. Sie gähnte und rekelte sich wohlig, mit sich und der Welt zufrieden. Dann drückte sie auf den Klingelknopf, der neben dem Bett angebracht war. Bisher wurden ihnen die Mahlzeiten von einer unsichtbaren Hand stillschweigend durch den geschlossenen Vorhang gereicht. Doch nun zog sie den Vorhang zur Seite, lehnte sich bequem in die Kissen zurück und beobachtete, wie ein hübsches Mädchen in der Kleidung der Dienstboten zögernd den Raum betrat. »Etwas Wein«, befahl sie. »Leicht, kühl und erfrischend. Und etwas zu essen. Warum zögerst du?« Das Mädchen blieb mit gesenktem Kopf stehen. »Komm, du kannst ruhig mit mir sprechen. Ich bin deine neue Herrin. Was gibt es zu essen?« Das Mädchen schüttelte nur stumm den Kopf, und Osie wurde unwillig. »Sprich! Oder bist du stumm?« Das Mädchen antwortete mit einem lebhaften Kopfnicken und deutete auf ihren Mund. »Oh, du armes Ding«, sagte Osie mitleidig. »Du bist so jung und hübsch. Nun gut, dann bring mir irgend etwas Schönes. Ich habe großen Appetit.« Nach der guten Mahlzeit nahm sie ein ausgiebiges Bad und beschäftigte sich mit der Pflege ihres Haares und ihrer Fingernägel. Sie würde noch genügend Zeit finden, diese Welt und ihr neues Heim zu besichtigen. So verrichtete sie alles ohne große Eile. Ihr Gatte würde ihr sicher alles gerne zeigen, und darauf freute sie sich sehr. Diese Ehe hatte einen glücklichen Anfang genommen. Gegen Abend öffnete sich die schwere, bronzene Türe, und Jochann betrat den Raum mit festem Schritt. Er war ein sehr kräftiger Mann, und er schien keine Müdigkeit zu kennen. Doch bei näherem Hinsehen bemerkte man, daß die vergangene Woche auch bei ihm ihre Spuren hinterlassen hatte, denn unter seinen Augen lagen tiefe, schwarze Ringe. Osie flog ihm in die Arme, und sie küßten sich, aber als er merkte, daß ihn wieder eine Welle der Leidenschaft überkam, schob er sie von sich. »Für den Moment ist es genug«, sagte er. »Mein Weib, ich muß dir jetzt einiges von deiner neuen Welt zeigen. Und das Volk von Maabarot wünscht seine Herrin zu sehen. Zieh dir etwas besonders Hübsches an. Dann werden
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wir auf den Balkon treten, um der Menge zuzuwinken, die schon seit drei Tagen mit unverminderter Begeisterung auf diesen Augenblick wartet.« Er drückte auf einen Knopf an der Wand, und sofort war das Geschrei aus ungezählten Kehlen zu vernehmen. »Das klingt, als ob man sich sehr freuen würde.« »Es ist ein großes Ereignis in ihrem Leben. Nachdem wir uns auf dem Balkon gezeigt haben, werden wir zu einem Diner gehen, wo du die Honoratioren dieser Welt kennenlernen wirst. Doch vorher muß ich dir noch etwas Wichtiges sagen.« Jochann begann unruhig auf und ab zu gehen. Seine Finger spielten unbewußt mit den goldenen Tressen seines Gewandes, und ein finsterer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. War es vielleicht Angst? »Mußt du mir ein Geständnis machen? Gibt es irgend etwas, was du mir nicht sagen wolltest, bevor du dir meiner nicht sicher warst?« In ihrer Stimme schwang eine gewisse Kälte. »Oh, meine Liebste!« Er warf sich vor ihr auf die Knie und ergriff ihre Hand. »Nichts dergleichen! Das schwöre ich dir. Ich bin der Herr von Maabarot, so wie ich es dir sagte. Dieser ganze reiche Planet gehört mir, und ich will alles mit dir teilen. Ich habe dir nichts verschwiegen. Lediglich die Einstellung des Volkes mir gegenüber ist ein wenig sonderbar.« »Mögen sie dich nicht?« »Ganz im Gegenteil. Sie beten mich an.« Er erhob sich, und auf seinem Gesicht lag nun ein Ausdruck gelassener Würde. »Tatsächlich verehren sie mich. Du mußt verstehen, daß es sehr einfache Leute sind, die zu mir mit einer gewissen Ehrfurcht aufsehen.« »Wie schön! Sehen sie in dir vielleicht wie die alten Ägypter oder Japaner den Nachkommen des Sonnengottes?« »So ähnlich, nur noch ein bißchen mehr.« – »Noch mehr?« »Sie glauben, daß ich der Gott bin.« »Oh, wie wundervoll«, sagte sie. Sie zeigte nur ehrliches Interesse. Da war nicht der leiseste Anflug eines Lächelns, des Zweifels oder des Spottes; denn die Schule in Bern war wirklich eine gute Schule gewesen. »Ja, das ist es. Doch habe ich damit auch eine große Verantwortung zu tragen, denn die geringste meiner Launen wird zum Gesetz. Ich darf diese Macht nicht mißbrauchen.« »Und du? Glaubst du selbst, daß du ein Gott bist?« »Welche Frage!« Er lächelte. »Als Mann mit Geist kann ich es logischerweise natürlich nicht glauben.« Er runzelte die Stirn. »Oft befallen mich recht widerstreitende Gefühle. Der Druck ihres unbedingten Glaubens ist eine schwere Bürde. Doch wir wollen uns ein andermal darüber unterhalten.« »Kannst du mir erklären, wie es zu dieser Situation kam?« »Über die wahren Hintergründe bin ich mir selbst nicht völlig im klaren. Einige meiner frühesten Vorfahren gelangten in den Besitz des einzigen Materie-Transmitters dieses Planeten, und auf seltsame Weise ist es ihnen
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gelungen, ihn vor dem Volk verborgen zu halten. Mit Hilfe dieses Gerätes konnten in den Augen des ungebildeten Volkes wahre Wunder vollbracht werden. Tonnen von Getreide verschwanden in einem winzigen Raum, der normalerweise diese Menge nicht hätte fassen können. Fremdartige und wunderliche Dinge geschahen. Maabarot verschlummerte Jahrhunderte unter der gottähnlichen Herrschaft, und der einzige Mann, der einige Kenntnisse der Wissenschaft hat, ist Gott der Herr, also ich. Natürlich muß auch das Weib des Herrn unter mysteriösen Umständen vom Himmel herabsteigen, um seine Gemahlin zu werden. Das Weib des Gottes ist immer von einem anderen Planeten gekommen. Ein Gott hat immer nur einen Sohn, der einmal die Stellung seines Vaters einnimmt, wenn dieser zum Himmel zurückkehren wird. Du wirst nur einen Sohn haben. Du wirst keine Töchter bekommen.« »Ich werde sie sehr vermissen, denn ich habe mir immer eine große Familie gewünscht.« »Es tut mir leid. Wirst du mir trotzdem ohne Widerspruch gehorchen?« »Natürlich. Habe ich nicht geschworen, dir zu gehorchen? Wenn ich keine große Familie haben kann, werde ich meine ganze, uneingeschränkte Liebe auf meinen einzigen Sohn konzentrieren und mir immer vor Augen halten, daß er einmal ein Gott sein wird. Ich bin nicht unzufrieden.« »Wunderbar. Mein Weib ist ein Juwel unter zehn Millionen. Wollen wir nun auf den Balkon gehen?« »Ich werde das Mädchen rufen, damit sie mir beim Ankleiden hilft. Wie ist ihr Name?« »Bacjli.« »Wie hat sie ihre Sprache verloren?« »Ich sagte ihr, sie könne nicht länger sprechen, deswegen kann sie es nicht. Die Leute glauben aufrichtig an den Gott dieses Planeten. Das Hausgesinde ist unwissend und kann nicht sprechen. Auf diese Weise können keine Geheimnisse und intimen Vorgänge unseres Lebens an die Öffentlichkeit gelangen.« »Ist das notwendig?« »Es ist Gesetz, und es war immer schon so. Das ist eine Schranke, die nicht überschritten werden darf. Sie glauben, es ist ein kleines Wunder, und Tausende wären glücklich darüber, eine Stellung in meinem Palast zu erhalten.« »Es stürmen so viele Dinge auf mich ein, die mir noch unverständlich erscheinen.« »Es gibt nur eines, das schwieriger ist, als die Frau eines Gottes zu sein – selbst Gott zu sein.« »Das hast du schön gesagt.« Der Empfang, mit dem die neue Herrin begrüßt wurde, als sie auf den Balkon trat, war überwältigend und steigerte sich bis zu Hysterie, als sie sich anschickte, zum Volk zu sprechen. Aber der Herr hob seine Hand und gebot Ruhe, und augenblicklich breitete sich Schweigen aus. Das geschah kraft
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seiner göttlichen Suggestion, doch hauptsächlich durch ein Beruhigungsgas, das Jochann ferngelenkt durch eine Kontrolle an seinem Gürtel in die Menge strömen ließ. Das göttliche Paar verschwand und betrat nun unter Trompetenklängen den Bankettsaal, wo es sich einem Meer von gebeugten Rücken gegenüber sah. Erst nachdem sich der Gott und seine Gemahlin niedergesetzt hatten, richteten sich die Adeligen auf und traten vor, immer einer nach dem anderen, so wie der Zeremonienmeister sie namentlich aufrief. Sie beugten die Knie und küßten den Ring, den Osie am Finger trug. Währenddessen nippte sie an gekühltem Wein und lächelte, im Gegensatz zu Jochanns göttlicher, strenger Miene, und ihr flogen sofort alle Herzen zu. Gott, der Vorstellung müde, gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt, und das Mahl konnte beginnen. Es war eine köstliche Mahlzeit, die jedoch ein plötzliches Ende fand. Während des siebzehnten Ganges, der aus winzigen, in Honig gerösteten Vögeln bestand, erschien der Zeremonienmeister wieder. Ruhe heischend stieß er mit seinem Stab laut auf den Marmorboden. »O Gott, unser aller Vater, der mit Strenge und Liebe regiert, ich erlaube mir, Euch davon in Kenntnis zu setzen, daß der Hohe Gerichtshof in diesem Moment zusammengetreten ist, um Gericht zuhalten.« »Ich werde kommen«, sagte der Herr, erhob sich und bot Osie seinen Arm. »Zur Hölle, mitten während des Essens! Aber das ist eines der Dinge, die getan werden müssen. Ein Gott kann seine Arbeit nicht aufschieben, weißt du. Doch dieser Gang wird uns wieder Appetit machen. So ist nicht alles verdorben.« Die Gäste verbeugten sich und verließen rückwärtsgehend den Saal. Dann folgte der Herr mit seiner Gemahlin. Sie betraten den Justizpalast, in dem sie von dem Hohen Gericht erwartet wurden. Jochann geleitete seine Braut zu einem kleinen Balkon, der mit Wolken aus Gips dekoriert war, so daß man meinte, im Himmel zu sitzen. Sie ließen sich auf den mit Plüsch bezogenen Thronsesseln nieder, während die Richter in den Saal kamen. Sie trugen schwarze Gewänder und Mäntel und sahen aus, wie Richter überall auszusehen pflegen. Der Schreiber sprach mit einem hohen Tenor, die Worte halb singend. »Die Richter kommen zurück. Der Angeklagte möge sich erheben!« Jetzt erst bemerkte Osie einen kahlköpfigen Mann in zerrissener, grauer Kleidung, der in einem mit spitzen Eisendornen versehenen Kasten saß. Er war mit so schweren Ketten gefesselt, daß ihm die Soldaten auf die Füße helfen mußten. Doch dann traten sie zurück, und er mußte sich allein aufrecht halten. »Gefangener«, sang der Schreiber. »Du hast dich des schlimmsten Verbrechens seit Menschengedenken schuldig gemacht. Du hast schwer gesündigt und dich durch deinen eigenen Mund verdammt. Du wirst der Ketzerei für schuldig befunden. Du hast die Existenz Gottes geleugnet, und die Richter werden jetzt das Urteil fällen.«
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»Ich werde es wieder sagen!« schrie der Angeklagte mit tonloser, heiserer Stimme. »Ich werde es ihm ins Gesicht sagen, jawohl! Er ist genausowenig ein Gott wie ich. Ein Mann, nur ein Mann!« Die Soldaten hatten viele Mühe, den Gefangenen vor der aufgebrachten Menge zu schützen, die johlend vorwärts drängte, um ihn zu lynchen. »Es ist meine Schuld«, sagte der Gott zu seinem Weib. »Der Markt für die landwirtschaftlichen Produkte war rückläufig, und ich versuchte, die Landwirtschaft zu modernisieren. Ich habe eine Musterfarm mit elektronischen Einrichtungen gebaut. Aber die Wissenschaft ist für manche Untertanen ein Unglück. Dieser Mann war dort Vorarbeiter. Sein technisches Wissen hat ihn leider dazu verleitet, über die Theologie nachzudenken.« »Wirst du Gnade walten lassen?« fragte sie voller Entsetzen über die Blutgier der Menge. »Ich kann es nicht, denn ich bin ein unnachgiebiger Gott. Man muß mich fürchten.« Die Richter erhoben sich und sprachen gleichzeitig in monotonem Singsang: »Wir, die Richter, finden den Angeklagten schuldig im Sinne der Anklage und überantworten ihn in die Hände des lebenden Gottes. Er muß sterben, auf daß die Gerechtigkeit siege!« »Gerechtigkeit!« kreischte der Gefangene, als Jochann sich langsam erhob, und seine Worte klangen wie Schüsse in die atemlose Stille. »Aberglaube, das ist alles! Suggestion! Ihr wollt mich glauben machen, daß ich sterben muß? Aber ich werde es nicht tun, nein, Herr! Ich werde nicht tot umfallen, nur weil Ihr sagt: >stirbSolange der Krieg das Böse verkörpert, wird er immer seine Faszination behalten. Wird er als vulgäre Handlung entlarvt, verliert er seine Popularität