Haus 44
BdL
Büro der Leitung (Mannschaften des Wachregiments)
Haus 46 / 47
Abt. M
Postkontrolle
Haus 48
HA XIX
Sicherung Verkehrs- / Post- und Fernmeldewesen
Haus 48 / 49
HA KuSch
Hauptabteilung Kader und Schulung
Erzwungener Halt eines Fahrzeugs der alliierten Militärverbindungsmission Großbritanniens in der Ruschestraße durch einen Volkspolizisten, Ende der siebziger Jahre. Den Fahrzeugen der Militärverbindungsmissionen der USA, Großbritanniens und Frankreichs war die Durchfahrt durch die Rusche-, Normannen-, Magdalenen- und Gotlindestraße untersagt.
Christian Halbrock
Stasi-Stadt – Die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg Ein historischer Rundgang um das ehemalige Hauptquartier des DDR-Staatssicherheitsdienstes Mit einem Vorwort von Marianne Birthler
Ch. Links Verlag, Berlin
Halbvoll oder halbleer? Erich Mielke, Erich Honecker und Walter Ulbricht Ende der 60er Jahre
INHALT
1. STATION 2. STATION
3. STATION 4. STATION 5. STATION EXKURS 1 6. STATION 7. STATION
E
8. STATION EXKURS 2 9. STATION
10. STATION 11. STATION 12. STATION 13. STATION EXKURS 3 14. STATION 15. STATION 16. STATION 17. STATION 18. STATION 19. STATION 20. STATION
Vorwort Einleitung: Staatssicherheitsdienst und MfS-Zentrale Rund um die MfS-Zentrale Ein Ministerium entsteht
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Route des Stadtspazierganges U-Bahnhof Magdalenenstraße Müllerstraße – Standort hinter dem Eingang Frankfurter Allee und im Durchgang zur Gedenkstätte (Haus 1, das Stasi-Museum) Haus 7 – Innenhof der ehemaligen MfS-Zentrale Helmutstraße Haus 1 / ehemaliger Dienstsitz des Ministers – heute Gedenkstätte und Stasi-Museum Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße Munitionsbunker und Speisehaus auf dem „Feldherrenhügel“ Die Gebäude des Zentralen Medizinischen Dienstes an der Verbindungsstraße Das Haupttor, die Zufahrt zum MfS-Gelände Das Fernmeldeamt in der Dottistraße Ecke Rusche- / Normannenstraße – die Taut-Häuser und das hier errichtete MfS-Dienstleistungs- und Versorgungsgebäude Sprengung der neuapostolischen Kirche Der Dienstleistungs- und Versorgungstrakt Die Sperrung der Normannenstraße zwischen Ruschestraße und Roedeliusplatz Das Hans-Zoschke-Stadion und der Sportverein Lichtenberg 47 Das Teilobjekt Gotlindestraße nördlich des Hans-Zoschke-Stadions Lichtenbergs Finanzamt: Keimzelle der MfS-Zentrale und später Haus 2 Die Glaubenskirche Das Gerichtsgebäude am Roedeliusplatz Die Untersuchungshaftanstalt in der Magdalenenstraße Die Magdalenenstraße Ecke Magdalenenstraße / Frankfurter Allee Plattenbauten des Wohngebietes Frankfurter Allee / Süd
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Zwei Besetzungen durch Bürgerrechtler Ausblick
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Anhang
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24 26 28 30 32 34 36 38 40
42 44 46 48 51 54
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ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES
Die 20 Stationen des Stadtspazierganges
ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES
Stasi-Museum
An drei Punkten, dem Stasi-Museum (Haus 1), an der Dottistraße und an der Gotlindestraße wird dem Besucher in Form von Exkursen eine Erweiterung des Rundganges angeboten.
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VORWORT
ie MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg galt bis 1989 als geheimnisumwitterter Ort. Wer die Frankfurter Allee stadtauswärts fuhr, passierte noch vor der Lichtenberger Brücke den knapp zwei Quadratkilometer großen Ministerialkomplex, der den Willen der SED symbolisierte, ihren
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unter anderem vom Gebäude der „Hauptverwaltung Aufklärung“, der Westabteilung des MfS. Berlin-Lichtenberg war nördlich der Frankfurter Allee, dies war unverkennbar, ein Stadtquartier der besonderen Art. Doch dieses Gebiet war nicht nur Sitz der MfS-Zentrale: Die Magdalenen-
Vorwort Herrschaftsanspruch mit den Methoden einer skrupellosen Geheimpolizei durchzusetzen. Nur selten gelangten Aufnahmen der Gebäude an die Öffentlichkeit. Eine Ausnahme bildete ein ARD-Brennpunkt vom August 1985: Über bundesdeutsche bzw. westberliner Rundfunkantennen flimmerte ein Beitrag des in Ost-Berlin akkreditierten Korrespondenten Peter Merseburger über die Bildschirme in die ostdeutschen Wohnstuben. Von der Straßenecke Rusche- / Normannenstraße aus gaben die Bilder den Blick frei auf das Haupttor der MfS-Zentrale. „Berlin, Normannenstraße 22, Berlin-Lichtenberg, die meistgefürchtete Adresse in der DDR. Hier residiert die Firma, wie das Ministerium für Staatssicherheit im Volksmund heißt, und wer hier seine Kamera aufbaut, der zieht das Veto der Staatsmacht auf sich, auch wenn in der DDR akkreditierten Fernsehteams in Ost-Berlin Außenaufnahmen prinzipiell gestattet sind“, so der O-Ton Merseburgers. „Es handelt sich hier um ein Objekt der bewaffneten Organe.“ An dieser Stelle wird der Beitrag unterbrochen und in das Bild tritt ein Volkspolizist. „Aus diesem Grund möchte ich Sie bitten“, so der Uniformierte weiter, „dass Sie die Dreharbeiten einstellen und das Gelände hier verlassen.“ Was in dem Beitrag folgt, sind noch einige Aufnahmen, die verdeckt von dem Kamerateam aus einem Auto heraus während der Durchfahrt durch die Frankfurter Allee gefertigt wurden –
straße blieb bis in die sechziger Jahre eine Berliner Wohn- und Geschäftsstraße; bis zum Ende der DDR wohnten im Umfeld auch Menschen, die mit dem Staatssicherheitsdienst nicht mehr als andere DDR-Bewohner zu tun hatten. Die vorliegende Broschüre versucht sich auch dieser Frage zu nähern: Wie gingen die, die hier im Kiez wohnten, mit dem unheimlichen Nachbarn um? „Am Fuße des Leuchtturms ist es am dunkelsten“ heißt ein alter Spruch. Vielleicht lebte manch einer in der Nähe der Stasi-Zentrale auch nach dieser Devise. Christian Halbrock fasst im hier vorliegenden Stadtspaziergang Ergebnisse einer Studie zusammen, die von ihm im Rahmen eines Kooperationsprojekts der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zum Stadtraum Lichtenberg erarbeitet wurde. Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die das Entstehen der Studie, auf die sich der Stadtspaziergang stützt, förderte, sowie Nora Kuhlicke und Beate Rost, die als BStU-Mitarbeiterinnen wichtige Details zur Baugeschichte beisteuerten. Dankend erwähnt seien auch die Lichtenberger Zeitzeugen, die mit ihren Erinnerungen zum Zustandekommen der Studie in nicht unerheblichem Maße beitrugen. Unter ihnen
VORWORT
gebührt Helmut Eikermann, der Anfang der fünfziger Jahre in der Magdalenenstraße aufwuchs, besonderer Dank. Er stellte Fotos vom Bau des MfSDienstgebäudes Haus 7 zur Verfügung, die er als Jugendlicher heimlich aus dem Fenster der elterlichen Wohnung aufnahm und die er über drei Jahrzehnte bei sich versteckt und aufbewahrt hatte. Zudem hat er seine Jugenderlebnisse im Kiez rund um die Magdalenenstraße schriftlich festgehalten: Damit liegt eine wichtige Quelle vor, die Zeugnis über das Leben rund um die MfS-Zentrale in
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den frühen fünfziger Jahren gibt. Das vorliegende Buch entstand in enger Kooperation mit der Antistalinistischen Aktion (ASTAK), die auf dem Gelände im ehemaligen Haus 1 ein Stasi-Museum betreibt, und dem Museum Lichtenberg im Stadthaus. Das Engagement von Jörg Drieselmann (ASTAK) und Christine Steer (Museum Lichtenberg) trug sehr zum Zustandekommen des Projektes bei. Auch ihnen sei ausdrücklich gedankt. Marianne Birthler
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EINLEITUNG: STA ATSSICHERHEITSDIENST UND MFS-ZENTRALE
Feliks Edmundowitsch Dzierżyński (1877–1926), Begründer der gefürchteten sowjetischen Tscheka, Vorbild der staatspolizeilichen Geheimdienste im Ostblock
Ernst Wollweber, zweiter Chef der Staatssicherheit von 1953 –1957
Wilhelm Zaisser, erster Minister für Staatssicherheit von 1950 –1953 mit Erich Mielke, Staatssicherheitsminister von 1957 –1989
Geballte Macht: Mielke (7. von links) und einige seiner Generäle in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre im Zentralkomitee, empfangen von Erich Honecker (5. von links) und Egon Krenz (2. von rechts); rechts neben Mielke: Werner Großmann, der Chef der HV A
EINLEITUNG: STA ATSSICHERHEITSDIENST UND MFS-ZENTRALE
as Gelände der ehemaligen Zentrale des DDR-Staatsicherheitsdienstes zählt zu den prominenten Orten im Berliner Stadtgebiet, die an die SED-Diktatur erinnern. Als allgegenwärtiges Überwachungs- und staatspolizeiliches Verfolgungsorgan fungierte das MfS als eine der wesent-
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der Gesellschaft zudem maßgeblich auf Inoffizielle Mitarbeiter (IM), die ihre Mitmenschen bespitzelten, Informationen über diese weitergaben und denunzierten. Im Lauf von vier Jahrzehnten haben an die 600 000 DDREinwohner als IM mit dem MfS zusammengearbeitet und so mit dem
Einleitung: Staatssicherheitsdienst und MfS-Zentrale lichen Stützen, die die Herrschaft der SED vier Jahrzehnte lang absicherten. Nicht ohne Grund galt der Staatssicherheitsdienst mit seinen 91 015 hauptamtlichen Mitarbeitern (Stand: 31. Oktober 1989) auch nach offizieller Lesart als „Schild und Schwert der Partei“. Bei einer Bevölkerung von 16,4 Mill. Ende 1989 kam auf 180 Einwohner ein hauptamtlicher Staatssicherheitsdienstmitarbeiter. Im Vergleich mit anderen Ostblockstaaten verfügte die DDR dem Personalbestand ihres Staatssicherheitsdienstes zufolge über die höchste Überwachungsquote im sowjetischen Machtbereich (Tschechoslowakei = 1 : 867, Polen = 1 : 1574). Das MfS stützte sich bei der Kontrolle
SED-Repressionsapparat kollaboriert. In den Jahren von 1952 bis 1988 wurden vom MfS gegen annähernd 110 000 Menschen Ermittlungsverfahren eingeleitet, die meist zur Inhaftierung und Verurteilung führten. Weitaus mehr Menschen wurden in sogenannten Operativen Personenkontrollen und Operativen Vorgängen „bearbeitet“; die Zahl der Personen, über die das MfS Informationen sammelte, geht in die Millionen: Verfolgt wurde letztlich das Ziel, alles über all jene zu wissen, deren Verhalten von den Normen des SED-Staates abzuweichen schien.
1 Haus 1, Sitz des Ministers für Staatssicherheit um 1976 / 77
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RUND UM DIE MFS-ZENTRALE
Blick über das Stadtgebiet um 1975, im Vordergrund die MfS-Zentrale, rechts dahinter die neogotische Glaubenskirche und das Gebäude des Stadtbezirksgerichtes Lichtenberg, in dem Regimekritiker abgeurteilt wurden
Verkehrsführung an der Ecke Frankfurter Allee / Ruschestraße, Mitte der achtziger Jahre. Das Abbiegen in die Ruschestraße ist ein Privileg der „Anlieger“ – hauptsächlich des hier ansässigen MfS.
Die Glaubenskirche und das Stadtbezirksgericht Lichtenberg (mit Turm) von Norden her gesehen, erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
RUND UM DIE MFS-ZENTRALE
it dem Ausbau der MfS-Zentrale entstand nicht nur eine hermetisch abgeriegelte und misstrauisch bewachte Sperrzone mitten in einem vordem gewöhnlichen Stadtgebiet: Es bildete sich ein gut 22 Hektar großes „Städtchen“ innerhalb der Stadt heraus, das sich dem Blick Außenste-
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genvernehmungen“, zu denen Freunde und Bekannte von politisch Inhaftierten einbestellt wurden (und mitunter anschließend hier verblieben). Gleichzeitig präsentierte sich die Straße dem Betrachter bis Mitte der sechziger Jahre als typische Berliner Wohn- und Geschäftsstraße mit Kneipe, Geschäf-
Rund um die MfS-Zentrale hender weitgehend entzog. Schätzungsweise 5000 bis 7000 MfS-Mitarbeiter arbeiteten hier nach dem Stand Mitte der achtziger Jahre. Das gesperrte Territorium lag innerhalb einer zuvor vor-
ten, Friseur u. ä. Einzelne Einrichtungen – wie der HO-Laden „Fleischwaren + Wurst“ an der Ecke zur Frankfurter Allee – blieben bis 1982 bestehen. Doch zeigte sich das MfS kaum gewillt,
städtisch, durch Kleingärten und Wohnstraßen geprägten Gegend zwischen den Bahnhöfen Lichtenberg und Frankfurter Allee. Gleichzeitig vollzog sich offensichtlich aber auch ein Wandel in den Straßenzügen rund um die MfS-Zentrale. Immer mehr Wohnungen wurden an MfS-Mitarbeiter vergeben; für die Zufahrtstraßen galt ein eigenes Sicherheitsreglement, das die Einund Durchfahrt in einer Reihe von Fällen untersagte. Trotz allem gab es aber auch dies: im Schatten des übermächtigen Nachbarn einen Alltag, der scheinbar unbeeindruckt weiterlief. Zwar erlangte die Magdalenenstraße schnell zweifelhafte Berühmtheit aufgrund der sich hier befindenden Untersuchungshaftanstalt des MfS und der hier ebenfalls stattfindenden Zeu1 Blick aus der Ruschestraße in die Normannen-
einzelne ihm besonders sicherheitsgefährdend erscheinende „Anwohneraktivitäten“ dauerhaft zu dulden. Beargwöhnt wurden so die sonntäglichen Versammlungen der neuapostolischen Gemeinde in ihrer Kirche unmittelbar an der Sperrmauer zum MfS-Gebiet. Misstrauisch beobachtete das MfS auch den Fußballverein Lichtenberg 47 mit seinem Stadion an der Normannenstraße, das mit seinem Punktspielbetrieb für Unruhe sorgte. Als störend empfand man auch die evangelische Pfarr- und Glaubensgemeinde, in deren Kirche – nur 300 Meter Luftlinie vom Dienstsitz des Ministers entfernt – sich im September 1983 ein kirchlicher Friedens- und Umweltkreis gründete: Es handelte sich dabei um jenen Kreis, der ab Sommer 1986 die regimekritische Umweltbibliothek an der Berliner Zionskirche aufbaute.
straße, November 2008
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EIN MINISTERIUM ENTSTEHT
m 8. Februar 1950 stimmte die Provisorische Volkskammer der DDR dem Gesetz über die Bildung eines Staatssicherheitsministeriums ohne Enthaltungen und Gegenstimmen zu. Der neu zu schaffenden Einrichtung oblag die Aufgabe, die seit Ende August 1947 verdeckt unter der
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zweiten geheimdienstlich tätigen Vorläufer des MfS. Das Gesetz bestimmte: „Die bisher dem Ministerium des Innern unterstellte Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft wird zu einem selbständigen Ministerium für Staatssicherheit umgebildet.“ Zum ersten Minister wurde am 16. Februar
Ein Ministerium entsteht Verantwortung der Deutschen Verwaltung des Innern agierenden Einsatzgruppen der politischen Abteilung der Polizei, der K 5, zusammenzufassen. Der Geheimhaltung entsprechend, der diese Gruppen unterlagen, bezog sich der Gesetzestext jedoch nur auf den
1950 Wilhelm Zaisser ernannt. Zaisser genoss das uneingeschränkte Vertrauen der sowjetischen Führung. Seinen Dienstsitz erhielt das Ministerium in den Räumen des Lichtenberger Finanzamtes in der Normannenstraße Nr. 22 zugewiesen. Die Vorbereitungen
EIN MINISTERIUM ENTSTEHT
zum Aufbau des Staatssicherheitsdienstes hatten hier bereits vor dem Februar 1950 begonnen. Als Mentoren traten dabei sowjetische Stellen in Erscheinung: Seit April 1947 nutzte ein sowjetisches „Informations-Ministerium“ 32 Räume im Finanzamt; in einem nahen Keller in der Schottstraße Nr. 2 und im Gefängnis Magdalenenstraße sperrten die Sowjets seit 1945 politische Häftlinge ein. Im angrenzenden Stadtbezirksgericht verhängte ein Sowjetisches Militärtribunal seine Urteile. Hinter dem Gefängnis befand sich in der Alfredstraße Nr. 9 ein Garagenhof der sowjetischen Geheimpolizei. Eine wichtige strategische und sicherheitspolitische Bedeutung kam darüber hinaus dem
1 Gebäude des ehemaligen Finanzamtes Normannenstraße in den sechziger Jahren
Stadtbezirksgericht Lichtenberg, vorn im Bild: Teile des Gefängnistraktes Magdalenenstraße
internationalen und städtischen Fernmeldeamt in der Dottistraße zu, das zugleich als Rundfunkknotenstelle fungierte.
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ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES
HV A-Blöcke an der Ruschestraße
ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES
er Rundgang möchte den Blick nicht nur auf das übermächtige Bauensemble der ehemaligen MfSZentrale lenken. Zugleich soll dargelegt werden, welcher Wandel sich hier im Stadtgebiet nach der Ansiedlung der MfS-Zentrale zwischen 1950 und 1989 vollzog. Gefragt wird aber auch,
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hindurchwindet und in das Innere der Zentrale führt. Der Blick des Besuchers fällt hier auf jenen Bereich, auf dem sich in den fünfziger Jahren noch die Kleingärten der Anlage „Schweizer Mühle“ sowie die Müller- und Helmutstraße befanden. Weiter führt der Spaziergang dann über den Innenhof
ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES welche „Anwohneraktivitäten“ bevorzugt das Misstrauen des Staatssicherheitsdienstes hervorriefen. Ausgangspunkt des Rundganges ist der U-Bahnhof Magdalenenstraße der hier vom Alexanderplatz aus verkehrenden U-Bahnlinie 5. Nach dem Verlassen des Bahnhofes (rechter Ausgang, stadteinwärts) befindet sich der Besucher unversehens vor dem 13-geschossigen, graugekieselten Plattenriegel der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) an der Ecke Ruschestraße / Frankfurter Allee (fertiggestellt 1978). Rechts davon startet der Rundgang entlang des Fußweges, der sich hier zwischen dem HV ABlock und einem Bau aus den sechziger Jahren
und – durch und um das MfS-Gelände herum – über die Rusche- / Normannen- / Magdalenenstraße im Uhrzeigersinn zurück zur Frankfurter Allee. Für den Rundgang sollten gut sechzig Minuten eingeplant werden. Zwei gesonderte Exkurse laden jene, die mehr Zeit haben und keine Mühe scheuen, zur Besichtigung der Dottistraße (Fernmeldeamt) sowie des im Norden an das Hauptgelände anschließenden Teilobjekts Gotlindestraße ein, das ab Anfang der achtziger Jahre entstand.
5 Blick von der Südseite der Frankfurter Allee auf die Bauten des MfS, Anfang der achtziger Jahre; rechts Haus 14, errichtet in den sechziger Jahren, links – hin zur Ruschestraße – die Blöcke der HV A, dazwischen der zumeist gesperrte Durchgang zum MfS-Innenhof
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ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES
Zum Sitz der MfS-Zentrale
Karte von 1957. Der Staatssicherheitsdienst saß seit 1950 im ehemaligen Lichtenberger Finanzamt an der Ecke Magdalenen- / Normannenstraße. Genutzt wurde zudem ein später zugunsten von Haus 1 wieder abgerissener Behelfsbau, der um 1950 an der Helmutstraße südlich des Finanzamtes entstand. Das MfS verfügte auch – bis 1955 zusammen mit den Sowjets – über die Untersuchungshaftanstalt in der Magdalenenstraße sowie angrenzende Gebäude, u. a. über die Magdalenstraße Nr. 12 und einen Garagenkomplex in der Alfredstraße Nr. 9.
ROUTE DES STADTSPAZIERGANGES
Bebauungsstudie des MfS von 1983 für den „Dienstkomplex Normannenstraße“. Die Helmutstraße und die Müllerstraße sind bereits nicht mehr auffindbar; große Teile der ursprünglichen Bebauung wurden durch MfS-Objekte ersetzt.
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1. STATION
enau genommen muss ein Stadtspaziergang, der durch und rund um das MfS-Gelände führt, unten auf dem Bahnsteig des U-Bahnhofes Magdalenenstraße der 1930 eröffneten Linie E (heute U 5) Alexanderplatz – Friedrichsfelde (Tierpark) bzw. seit 1988 / 89 Hönow beginnen. Als Bahn-
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und nachmittags, wenn der Feierabendverkehr einsetzte, gespenstisch leer. Die Station – so ein Zeitzeuge – war kein gewöhnlicher Halt, wer hier aus- oder einstieg, wurde nicht nur beargwöhnt. In der Distanz drückte sich Angst, Verachtung, mitunter auch Wut aus: „Frühmorgens und nachmit-
1. STATION U-Bahnhof Magdalenenstraße hof trägt die Station den Namen der bittfertigen Büßerin, der zu DDR-Zeiten bald zum Synonym für die politische Strafverfolgung schlechthin werden sollte: Am stadtauswärts gelegenen Ausgang des Bahnhofes lag die Magdalenenstraße mit ihrem berüchtigten Zellentrakt für politische Untersuchungshäftlinge. Der U-Bahnhof wirkte vor 1989, außer früh zu Arbeitsbeginn
tags stiegen ja diese unauffällig auffälligen Typen aus bzw. ein, die waren ja unverkennbar, auch wie die aussahen.“ Der HV A-Mitarbeiter, MfS / BND-Doppelagent und spätere West-Überläufer Werner Stiller erinnerte sich folgendermaßen an seine erste Fahrt 1972 zur MfS-Zentrale: „In der U-Bahn vom Alexanderplatz in Richtung Tierpark
U-BAHNHOF MAGDALENENSTRASSE
Friedrichsfelde saßen auffallend viele gut gekleidete Fahrgäste. Ich war nicht erstaunt, als die meisten von ihnen mit mir den Zug am Bahnhof Magdalenenstraße verließen.“1 Als wolle man den gespenstischen Eindruck, den die Station ausstrahlte, absichtlich verstärken, brachte man 1986 großformatige Wandbilder des kommunistischen Künstlers Wolfgang Frankenstein an den Bahnhofswänden an. Die expressionistischen, der figürlichen Malerei entlehnten Darstellungen wurden von vielen als düster und martialisch empfunden. Zugleich entsprachen sie aber auch kaum dem offiziellen Kunstverständnis der DDR: Einige Berliner gaben vor, zu wissen, das sich MfS-Minister Erich Mielke, der den aus West-Berlin in die DDR übersiedelten Frankenstein angeblich
kannte, persönlich für die künstlerisch umstrittenen Bilder eingesetzt habe. Die Motivwahl der Bilder kommt als Ensemble einem profanen Kreuzweg gleich: Zwanzig Bilder illustrieren die Emanzipation der Arbeiterklasse in der deutschen Geschichte. Die Bilder, deren Motive vordem nur schwer zu identifizieren waren, wurden Mitte der neunziger Jahre im Zuge der Rekonstruktion des Bahnhofes mit Titeln versehen: Diese reichen von „Die Weber (1848)“ über „Oktoberrevolution (1917)“ bis „Friedensdemonstration (1986)“. In der Themenwahl spiegelt sich jene in der DDR geläufige Auffassung von Geschichte wider, die diese als eine Abfolge vom „Niederen“ zum „Höheren“ begreift: In dieser komme der Arbeiterklasse die geschichtsentscheidende Rolle zu.
1 U-Bahnhof Magdalenenstraße Mitte der achtziger Jahre: ein Zu- und Ausstiegsort der besonderen Art
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2. STATION
„Honecker ist sau blöd“ – Sicherung des Tatortes am HV A-Gebäude
Defizite der omnipotenten Überwachung: Soldat der Wachmannschaften am Tatort
MfS’ler in lockerer Runde mit Geheimdienstlern eines ihrer „Bruderorgane“: Markus Wolf (2. von links) mit Erich Mielke (Mitte mit Mikrophon); an der Wand das Bild des Begründers des sowjetischen Geheimdienstes, Dzierżyński
MÜLLERSTRASSE
er vom U-Bahnhof Magdalenenstraße kommt und über den hier verlaufenden Durchgang von der Frankfurter Allee aus auf das ehemalige MfS-Gelände gelangt, steht zunächst vor einem Mehrzweckbau jüngeren Datums. Er wurde in den neunziger Jahren als Betriebskantine von der
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nagechef Markus Wolf am 19. Januar 1979, an seinem 56. Geburtstag, von der Flucht: „In der Abteilung XIII unseres Sektors für wissenschaftlich-technische Aufklärung (SWT) war im Sekretariat der Schrank aufgebrochen worden; neben wichtigen Unterlagen hatte der unbekannte Täter den Son-
2. STATION Müllerstraße – Standort hinter dem Eingang Frankfurter Allee und im Durchgang zur Gedenkstätte (Haus 1, das Stasi-Museum) Deutschen Bahn errichtet. Diese nutzte die den Hof auf der rechten Seite einrahmenden graugekieselten Dreizehngeschosser seit den neunziger Jahren als Verwaltungssitz. Bis 1989 residierte in den 1978 fertig gestellten Blöcken die von Markus Wolf (bis 1986) und dann von Werner Großmann geleitete Hauptverwaltung Aufklärung, die DDRAuslandsspionage. Wolf und Großmann fungierten in dieser Position zugleich als Stellvertretender Minister für Staatssicherheit. Sie hatten ihr Büro vis-à-vis von Minister Mielke in dem zentral zum Hof hin stehenden 13-Geschosser des HV A-Riegels in der 9. Etage, eine Etage unter den Räumen der HV A-Auswertungsgruppe. Der die HV A in eine tiefe Krise stürzende Doppelagent und West-Überläufer Oberleutnant Werner Stiller saß hingegen im Block an der Frankfurter Allee im fünften Stock. Als letzten Akt seiner BND-Zuträgerarbeit räumte er zwei Stunden vor seiner Flucht in den Abendstunden des 18. Januar 1979 noch den Schrank im Sekretariat seines Abteilungsleiters aus. In die Hände des BND fielen so die „Material-Listen mit den Titeln aller nachrichtendienstlich aus dem Westen bezogenen Informationen“ der Abteilung des Sektors Wissenschaft und Technik (SWT), zu der Stiller gehörte. Durch einen Telefonanruf erfuhr Spio-
derausweis mitgenommen, der zum Passieren der Grenzkontrollen am Bahnhof Friedrichstraße berechtigte.“2 Mitte der achtziger Jahre gelang es einem Unbekannten, an die Außenfront des HV A-Blockes mit einem schwarzen Wachsstift „Honecker ist sau blöd“ zu schreiben. Trotz aller Überwachungsmaßnahmen und den rund um das Gelände eingesetzten Wachposten blieb der Urheber unerkannt. Akribisch wurde das Vorkommnis an der Ecke Ruschestraße / Frankfurter Allee kriminaltechnisch protokolliert und untersucht, jedoch nie aufgeklärt. Bis zu ihrer Eingliederung in das Sperrgebiet 1975 erstreckte sich hier die
Tatort: von Stiller aufgebrochener Panzerschrank
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2. STATION
Blick von der Frankfurter Allee auf das Areal der ehemaligen Müllerstraße 1974 / 75 (vorn rechts), die Kleingärten am nördlichen Ende der Müllerstraße sind bereits ersetzt worden durch Parkplätze und Behelfsbauten des MfS.
MÜLLERSTRASSE
Müllerstraße: Sie zweigte etwa dort von der Frankfurter Allee ab, wo sich ab 1978 das mit Blechelementen verkleidete Treppenhaus des HV A-Neubaus emporreckte. In Wirklichkeit war sie eine Sackgasse, die, wenn man ihr bergauf nach Norden hin folgte, nach etwa 500 Metern an den Kleingärten der Kolonie „Schweizer Mühle“ endete. Nach den Erinnerungen eines Zeitzeugen war die Müllerstraße bis zu ihrer Aufhebung 1975 „eine ländliche Idylle mit Kopfsteinpflaster, Kolonialwarenladen und Gartenrestaurant, das 1950 in ein Aufklärungslokal der Nationalen Front umfunktioniert worden war.“ Das Areal blieb bis 1975 geprägt von einer Wohn-Gewerbe-Mischbebauung: Auf einem Doppelgrundstück hin zur Ruschestraße saßen der Kinderbekleidungsanbieter „Kusmagk KG“ sowie die Firma „Graf & Topp Werkzeug und Maschinenbau“, die sich auf die Reparatur von Revolverdrehautomaten spezialisiert hatte. Zudem gab es ein Möbellager, ein katholisches Altersheim und ein Ledigenheim für MfS Mitarbeiter.
7 Karte des Liegenschaftsdienstes, Gemarkung Lichtenberg, mit den Bezeichnungen der Flurstücke, ausgefertigt im Juni 1955, mit handschriftlichen Eintragungen. Der rechts nachträglich eingezeichnete Häuserblock zeigt den Standort des MfS-Hauses 14.
Sprengung der Häuser der Müllerstraße, deren Einmündung in die Frankfurter Allee gut zu erkennen ist. Im Hintergrund links das alte Fernmeldeamt, rechts daneben das Gebäude des VEB Gießereimodellbau.
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3. STATION
Haus 7 kurz vor der Fertigstellung 1956. Obwohl „jegliche bildliche Darstellung strengstens untersagt“ war, fotografierte ein Anwohner aus einem Fenster des Seitenflügels Magdalenenstraße Nr. 3 das Baugeschehen und verbarg die seltene Aufnahme gut drei Jahrzehnte bei sich zu Hause. Vorn rechts im Bild der Seitenflügel, aus dem das Foto heimlich aufgenommen wurde. Im Hintergrund in der Bildmitte das Satteldach des alten Fernmeldeamtes, rechts daneben der Turm des Rathauses Lichtenberg.
Dachaufsatz Haus 7
HAUS 7 – INNENHOF DER EHEMALIGEN MFS-ZENTRALE
er Rundgang führt weiter über den Fußweg, leicht bergan, linker Hand an der Kantine aus den neunziger Jahren vorbei, auf einen quer zum Weg stehenden Bürobau zu. (Da sich der Besucher dem Haus von hinten nähert, wird empfohlen, an dessen Westgiebelseite vorbeizugehen und
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tonische Akzentsetzung erhielt das Gebäude im Schnittpunkt beider in der Geschoßzahl ungleichen Flügel einen loftähnlichen, großzügig gestalteten Dachaufsatz. Bis 1989 war in diesem Gebäude die Hauptabteilung XX untergebracht: Ihr oblag die politische Verfolgung von Regimekritikern, die Über-
3. STATION Haus 7 – Innenhof der ehemaligen MfS-Zentrale im nun folgenden großen Innenhof den nächsten Halt einzulegen.) Mit dem MfS-intern als Haus 7 bezeichneten Gebäude entstand 1956 hier einer der ersten Erweiterungsbauten der MfS-Zentrale. Das Gebäude basiert auf zwei im rechten Winkel zueinander angeordneten Baukörpern. Dort, wo sich entlang der Straße bis
wachung von Kunst, Kultur, Kirche und Sport sowie die Unterdrückung von Normabweichung, Widerstand und Opposition. Berühmtheit erlangte das Gebäude nach dem Ende der DDR, als Bürgerrechtler ab dem 4. September 1990 Teile des Gebäudes besetzten und von hier aus – mittels eines Hungerstreikes – den freien Aktenzugang
Der große Innenhof mit Haus 7, dessen südlicher Flügel (hier rechts im Bild) sich über die Helmutstraße schob
1955 noch ein Holzplatz befunden hatte, wuchs innerhalb eines Jahres ein sechsgeschossiges Gebäude im Stil der neoklassizistischen Stalinallee empor. Während der nördliche Flügel der Begrenzung der östlichen Helmutstraße entsprach, versperrte der südliche Flügel den Verbindungsweg hin zur Frankfurter Allee endgültig. Der fünfgeschossige Südflügel zerschnitt nicht nur die Helmutstraße, sondern ragte weit auf das Gelände der Kleingartenanlage, deren hier gelegene Parzellen verschwanden. Als architek-
und den Verbleib der Akten in OstBerlin bzw. in den ehemaligen DDRBezirken erstritten. Seit 1992 nutzt der bzw. die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR das Gebäude. Mitarbeiter der hier tätigen Abteilung Archivbestände (AR) führen in den angrenzenden Kartei- und Magazinräumen des Archivs des MfS Führungen durch, deren Termine auf der Internetseite der BStU (www.bstu. bund.de) zu erfahren sind.
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4. STATION
Das Gelände, auf dem sich die Kleingartenanlage Schweizer Mühle an der Helmutstraße befand, um 1974 / 75; dahinter die wenig später abgerissenen Altbauten der Müllerstraße; im Hintergrund Häuser an der südlichen Frankfurter Allee
Kleingartenkolonie Schweizer Mühle Mitte der zwanziger Jahre; hinten die Höfe und Rückhäuser der Magdalenenstraße. Vor ihnen verlief die Helmutstraße.
HELMUTSTRASSE
it der Etablierung des MfS im Stadtgebiet verschwand neben der Müllerstraße noch eine weitere Straße aus dem Berliner Stadtplan: die Helmutstraße (mitunter auch Helmuthstraße geschrieben). In ihrem nördlichen Verlauf hatte die Straße zwei Zugänge: Der erste gestattete die
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sigen Terrain des Geländes nach Süden hin folgend, die Normannenstraße mit der Frankfurter Allee. Bald schon machte sich hier die Anwesenheit des neu angesiedelten Ministeriums bemerkbar. Bereits 1952 war die Straße durchgängig nur noch als Fußweg passierbar. Ein in aller Eile errichteter
4. STATION Helmutstraße Passage vom Roedeliusplatz aus und verlief südlich des Finanzamtes. Ab Sommer 1945 richtete die Volkspolizeiinspektion Lichtenberg auf ihm einen Parkplatz für ihren eigenen Bedarf ein; 1950, mit dem Anbau eines weiteren Gebäudeteiles, wurde der Zugang überbaut. Der zweite Zugang zweigte oben am ehemaligen Finanzamt von der Normannenstraße ab und lässt sich heute noch anhand der östlichen Baufluchtlinie Finanzamt – Haus 1 (heute Gedenkstätte) ohne Vorbau – Nordflügel von Haus 7 – nachzeichnen. Vom Finanzamt aus verband die Helmutstraße, die eher den Eindruck eines leidlich befestigten Weges als den einer Straße vermittelte, dem abschüs-
Behelfsbau des MfS, der 1961 dem neuen repräsentativen Hauptgebäude, Haus 1, weichen musste, versperrte die Fahrbahn. Schritt für Schritt wurde die Helmutstraße in den folgenden Jahren in das MfS-Gelände eingegliedert, überbaut und zum Parkplatz umgewandelt. In den sechziger Jahren löschten die in der Frankfurter Allee 177– 183 errichteten MfS-Erweiterungsbauten im Süden die Spuren des einstigen Verbindungsweges. Lediglich die überbaute Durchfahrt an der Frankfurter Allee 183, die aber schon nicht mehr in der Achse der Helmutstraße entstand, mag heute noch als Reminiszenz an die verschwundene Verbindung begriffen werden.
1 Eingang zum Haus 7, in dem heute die BStU-Abteilungen AU (Verwendung von Unterlagen) und AR (Archivbestände) untergebracht sind. Dort, wo sich heute der Eingang befindet, verlief früher die Helmutstraße.
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5. STATION
Blick auf den Haupteingang von Haus 1, den Ministersitz. Im Rahmen eines Sicherheitschecks ermittelten MfS-Tester 1974, wie weit die neu errichteten Wohnhäuser der Frankfurter Allee / Süd eine Einsichtnahme auf den Ministerzugang erlaubten. Zu diesem Zweck postierte sich ein MfS-Mitarbeiter vor dem Eingang mit einem beschriebenen Pappschild. Tatsächlich waren die Sorgen nicht unberechtigt: Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ präsentierte in Heft 10 / 1979 eben ein solches Foto, das den Blick von den Wohnblöcken auf den ungeschützten Eingang freigab.
Der 1975 / 76 mit einem Sichtschutz ausgestattete Zugang zum Ministersitz
HAUS 1 / EHEMALIGER DIENSTSITZ DES MINISTERS
aus 1, der einstige Dienstsitz des Ministers, bildete das Herzstück der MfS-Zentrale. Heute beherbergt das Gebäude die Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße, das Stasi-Museum (so die Eigenbezeichnung), das von einem Verein, der 1990 gegründeten Antistalinistischen Aktion
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richten 1979 von hier aus den Funkverkehr der MfS-Spitze. Als Schwachstelle des Gebäudes entpuppte sich der Haupteingang mit seinem modernen, verglasten Zugang. Im Westen veröffentlichte Fotos belegen dies: Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ druckte im März 1979
5. STATION Haus 1 / ehemaliger Dienstsitz des Ministers – heute Gedenkstätte und Stasi-Museum (AStAK), betrieben wird. Zudem nutzen verschiedene Aufarbeitungsinitiativen und Opferverbände das ehemalige Ministerhaus. Das Hauptgebäude des Ministerialkomplexes wurde 1961/ 62 errichtet. Zugleich wurde so die Lücke zwischen dem vom MfS genutzten Finanzamt und dem 1956 fertiggestellten Haus 7 geschlossen. Intern sprach man daher mitunter auch vom „Zwischenbau (Objekt Z)“. Neben dem Minister zogen sein Stellvertreter, die Arbeitsgruppe des Ministers und das Büro der Leitung in das neue Gebäude. Drei 15 Meter hohe Antennenmasten ermöglichten bis zum Umzug der Abteilung Nach-
ein vor 1976 mit Teleobjektiv aufgenommenes Foto vom Haupteingang ab. Mit dem Bau der Wohnhochhäuser der Frankfurter Allee / Süd (1971 – 1975), die aus guter Position einen ungeschützten Blick auf das Haus gewährten, entschied sich das MfS, die Sicherheitslücke zu beseitigen: Ein wenig geschmackvoller Vorbau aus ornamentalen Betonformsteinen verdeckte nun die Zufahrt und den Eingang. Mit den 1978 errichteten HV A-Blöcken an der Ecke Ruschestraße / Frankfurter Allee schirmte man den Innenbereich weiter gegen Blicke von außen ab.
1 Über den Dächern der Stadt, Mitte der siebziger Jahre: Während Minister Mielke in der 1. Etage saß (tatsächlich in der 2., die zum Foyer hin offene 1. Etage wurde jedoch als Zwischenetage bezeichnet), residierte in der 4. und 5. Etage bis 1986 die Abteilung XII – Zentrale Auskunft / Speicher; darüber, unterm Dach, war bis 1979 die Abteilung Nachrichten angesiedelt.
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EXKURS 1
ie Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße und das StasiMuseum halten am ehemaligen Dienstsitz des Ministers für Staatssicherheit die Erinnerung an das SED-Regime wach. Die Idee, den Ort als Erinnerungs- und Gedenkstätte zu nutzen, entstand unmittelbar in den Tagen
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EXKURS 1 Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße – Stasi-Museum nach der Erstürmung der MfS-Zentrale am 15. Januar 1990. Seit dem 4. / 5. Dezember 1989 waren bereits in etlichen DDR-Städten MfS-Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen durch Demonstranten besetzt worden, so unter anderem in Erfurt, Suhl, Leipzig, Greifswald und Rostock. In Kavelstorf, auf halbem Weg an der Bahnstrecke zwischen Rostock und Laage, hatten Mitglieder des oppositionellen Neuen Forums bereits am 2. Dezember ein streng geheimes Export-Waffenlager der MfS-Scheinfirma IMES enttarnt und die Öffnung der Lagerhallen erzwungen. Nachdem sich in den DDRBezirken mehrere Bürgerkomitees zur Sicherung der Akten und zur Auflösung des Staatssicherheitsdienstes gebildet hatten, nahmen im Januar auch in Ost-Berlin Demonstranten das MfSGelände in Beschlag und bildeten ein Bürgerkomitee. Noch im Januar 1990 beschloss der Zentrale Runde Tisch, an dem Repräsentanten der alten Macht mit Vertretern der neuen Oppositionsgruppen zusammenkamen, unter dem Eindruck der Ereignisse, dass in Haus 1 eine „Gedenk- und Forschungsstelle zum DDR-Stalinismus“ eingerichtet werden sollte. Da es jedoch bei dieser Absichterklärung blieb, übernahm ein zum Zweck der „Musealisierung“ von Haus 1 gegründeter Verein, die „Antistalinistische Aktion Berlin Norman-
nenstraße“ (ASTAK e. V.), die Initiative und begann mit der Sicherung des historischen Ortes. Am 7. November 1990 eröffnete die Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße mit der Ausstellung „Wider den Schlaf der Vernunft“ ihre Türen für den regulären Besucherverkehr. Die Erinnerungsstätte – eine bis dahin einmalige Präsentation der DDR-Vergangenheit – legte sich mittlerweile den Namen Stasi-Museum zu. Original erhaltene Dienst- und Arbeitsräume – vor allem Erich Mielkes Arbeitszimmer inklusive Sekretariat und die Büroräume seiner persönlich Untergebenen und engsten Mitarbeiter in der 1. Etage – sowie ein Konferenzsaal mit angeschlossenem Kasino vermitteln anschaulich eine Innensicht in die ehemalige MfS-Zentrale. Die Präsentation der Überwachungstechnik und Ausführungen über die angewandten Methoden der Observation informieren zudem über das
FORSCHUNGS- UND GEDENKSTÄTTE NORMANNENSTRASSE
Wirken des MfS. Hinzu kommen Ausstellungen zu Widerstand und Repression oder zur Traditionsarbeit, die zum festen Bestandteil der „politisch-ideologischen Erziehung“ der MfS-Mitarbeiter gehörte. Haus 1 und die MfS-Zentrale war zuallererst Ort der Repression: Dementsprechend fanden mehrere Vereine, die sich der Opferbetreuung und deren Interessenvertretung verschrieben haben, hier ab 1990 ihre Wirkungsstätte: so der Bund der Stalinistisch Verfolgten e. V. (BSV) und die Opferberatungsstelle Help e. V. Hinzu kommt ein „Osteuropa-Zentrum“. Durch bürgerschaftliches Engagement konserviert wird am Ort ferner ein Stück des Geistes des Herbstes 1989 und der nachrevolutionären Monate: Von Haus 1 aus agiert so auch das Bürgerkomitee 15. Januar e. V., das die „Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur – Horch und Guck“ herausgibt und
in ihr unter anderem über den Tod des Jenaer Jugendlichen Matthias Domaschk in MfS-Haft, die von WestBerlin akzeptierte Sprengung einer störenden Kirche im Todesstreifen der Mauer oder über die Kriminalisierung von Andersdenkenden in der DDR informiert. Das Museum ist geöffnet: Mo – Fr: 11 – 18 Uhr Sa, So, Feiertag: 14 – 18 Uhr Anmeldungen für Besuchergruppen können unter folgender Telefonnummer vorgenommen werden: 030-5 53 68 54.
1 November 2008: Eine Schülergruppe auf dem Weg in das Stasi-Museum. Links die Wandinschrift an Haus 1 – „SECURITATE“ – entstand in den Abendstunden des 15. Januar 1990, nachdem Demonstranten das Gelände der MfS-Zentrale besetzt hatten. Die Securitate war die für ihre Brutalität und Rücksichtslosigkeit zum Begriff gewordene kommunistische Geheimpolizei Rumäniens.
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6. STATION
Im Bild auf der rechten Seite (in der Reihenfolge von unten nach oben) die Dächer der Häuser 7 (Sitz der Hauptabteilung XX), 1 (Ministersitz) und 2 (ehemaliges Finanzamt). Gegenüber mit weißem, schneebedecktem Satteldach das MfS-Speisehaus. Der sich zwischen den Gebäuden erstreckende Parkplatz wird in seinem oberen Teil von einer Rasenfläche begrenzt: Hier befand sich ein Munitionsbunker.
MUNITIONSBUNKER UND SPEISEHAUS AUF DEM FELDHERRENHÜGEL
egenüber von Haus 1 fällt der Blick auf einen Imbissstand. Die sich dahinter auf dem Boden befindenden Stahlplatten zeigen an, dass auch diese Grünfläche einem sicherheitspolitischen Anliegen diente. Unter ihr verbarg sich ein 40 m 2 großer Munitionsbunker. Links der Verbindungs-
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mussten, hinüber zu den Türmen der Glaubenskirche, die dann von Haus 1 verdeckt wurden, zählte die Mühle bis zu ihrem Abriss 1911 zu den beliebtesten Ansichtskartenmotiven Lichtenbergs. MfS-intern bürgerte sich für das Speisehaus auf dem Erdwall die Bezeichnung
6. STATION Munitionsbunker und Speisehaus auf dem „Feldherrenhügel“ straße wurde 1960 das Speisehaus, das spätere Haus 22, errichtet. Der Neubau fand seinen Platz auf dem Erdwall der ehemaligen Köhlerschen Schrotmühle, einst eine der wenigen Wippmühlen Preußens. Mit dem seinerzeit freien Blick von den Kleingärten an der Müllerstraße aus, die später einem MfS-Parkplatz weichen
„Feldherrenhügel“ ein. Es stand ausschließlich höheren Mitarbeitern als Verpflegungseinrichtung zur Verfügung. Der Speisesaal selbst mit ca. 200 Plätzen befand sich im Erdgeschoß; im Obergeschoß gab es einen Konferenzsaal für Festveranstaltungen und für die Dienstkonferenzen des Ministers.
Das ehemalige Speisehaus auf dem „Feldherrenhügel“
MfS-Poliklinik (links), dahinter der Dienstleistungsund Versorgungstrakt, vorn im Bild: Imbissstände
7 Köhlersche Schrotmühle
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7. STATION
DIE GEBÄUDE DES ZENTRALEN MEDIZINISCHEN DIENSTES
Gebäude des Zentralen Medizinischen Dienstes, dahinter der Dienstleistungs- und Versorgungstrakt
usgangspunkt ist die Verbindungsstraße, die den Ministersitz, Haus 1, mit dem Haupttor der MfSZentrale, der überbauten Zufahrt (Haus 17), verband. In dem Bereich der Verbindungsstraße reichten urspünglich die Kleingärten bis an die Ruschestraße heran. Flankiert wird die Ver-
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bindungsstraße steht, wurden die hier ansässigen Pächter zur Aufgabe ihrer Parzellen gezwungen. 1966 kam ein Erweiterungsbau u. a. für die stomatologische Abteilung hinzu. Heute befinden sich in den Gebäuden verschiedene Arztpraxen. Das Gebäude links des Verbindungsweges, in dem inzwi-
7. STATION Die Gebäude des Zentralen Medizinischen Dienstes an der Verbindungsstraße bindungsstraße auf der rechten Seite (von Haus 1 aus gesehen) von den Bauten des Zentralen Medizinischen Dienstes. 1960, mit dem Bau der MfSeigenen Poliklinik (Haus 19), deren Hauptgiebel im rechten Winkel zur Ver-
schen eine Sparkasse ihre Filiale hat, diente den Mannschaften des Wachregiments „Feliks Edmundowitsch Dzierżyński“ als Dienstsitz sowie als Aufenthaltsraum. Es wurde 1964 errichtet.
Links im Bild, vorn: das Speisehaus, daran anschließend das zweistöckige Haus 21 (weiße Fassade), das von den Mannschaften des Wachregiments genutzt wurde; rechts daneben das viergeschossige Haupttorgebäude mit der Ausfahrt zur Ruschestraße und am rechten Bildrand die MfS-Poliklinik Feliks Edmundowitsch Dzierżyński
7 Minister Mielke beim Appell aus Anlass der Namensverleihung an das Wachregiment am 15. Dezember 1967 in Berlin-Adlershof
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8. STATION
Hauptzufahrt zur MfS-Zentrale in den achtziger Jahren
Links das Haupttor; im Vordergrund der Parkplatz mit Sichtschutzblechen zur Verdeckung der KfZ-Nummernschilder
Das Haupttor in der Ruschestraße am 15. Januar 1990 gegen 17.30 Uhr nach der Erstürmung durch Demonstranten
DAS HAUPTTOR
er sich über die Verbindungsstraße von Haus 1 entfernt, erreicht nach einigen hundert Metern das einstige Haupttor zur MfS-Zentrale. (Dem Besucher wird empfohlen, durch dieses hindurchzugehen und die überbaute Durchfahrt nebst Gebäude von vorne zu betrachten. Man erreicht so
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Das „Tor 13“ umschließende Gebäude (Haus 17) diente zugleich als Sichtschutz nach außen. Um tatsächlich jede Einsichtnahme zu unterbinden, fand man an der Stelle, wo Haus 17 an seiner rechten Flanke auf den bereits errichteten Dreizehngeschosser (Haus 16) traf, eine architektonisch
8. STATION Das Haupttor, die Zufahrt zum MfS-Gelände zugleich die Ruschestraße und mit ihr, der westlichen Begrenzung der MfSZentrale, wieder den Außenbereich des ehemaligen Sperrgebietes.) Das Haupttor wurde Ende der siebziger Jahre als viergeschossiger Plattenbau errichtet. Auf seiner rechten Seite beherbergte das Gebäude – indem die beiden unteren Etagen auf einer Länge von 17 Metern ausgespart blieben – das repräsentative „Tor 13“. Als „Ministereinfahrt“ fungierte bis zur Sperrung der Normannenstraße 1979 „Tor 1“ an der ehemaligen Einfahrt zur Helmutstraße. Mit der Sperrung der Normannenstraße 1979 änderte sich dies: Der Wagen von Erich Mielke bog zwar in der Regel schon zuvor von der Frankfurter Allee aus in die Ruschestraße ein, um zum Hauptgebäude Haus 1 zu gelangen. Nun fuhr er jedoch über das neue Haupttor, mitunter auch über die ebenfalls neu geschaffene Zufahrt an der Normannenstraße zum Dienstsitz des Ministers.
außergewöhnliche Lösung. Der Viergeschosser, der aufgrund der schon vorhandenen Poliklinik näher als die anderen Plattenbauten an die Ruschestraße herangerückt werden musste, wurde vor die Baufluchtlinie des angrenzenden Hauses 16 gestellt. Um keine Einsichtnahme in das Gelände zuzulassen, verzahnte man quasi beide Gebäude miteinander: Im Ergebnis überlappte das Zufahrtsgebäude die unteren vier Etagen von Haus 16 im Bereich eines vertikalen Plattenbandes. In den späten Nachmittagsstunden des 15. Januar 1990 belagerten Demonstranten, die einem Aufruf des oppositionellen Neuen Forums gefolgt waren, das bis dahin militärisch gesicherte Tor. Unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen öffneten sich wenig später die Blechtore: Die Besetzung der MfS-Zentrale begann.
1 Ausfahrt zur Ruschestraße, 2008
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EXKURS 2
In der Bildmitte: das alte Fernmeldeamt, davor ein später abgerissenes Wohnhaus und ein Fabrikgebäude (mit Schornstein). Rechts neben dem Fernmeldeamt (leicht zurückgesetzt, quer zur Ruschestraße) das Gebäude des VEB Gießereimodellbau. Links das neue Fernmeldeamt, unten rechts im Bild Altbauten an der Ruschestraße, die Mitte der achtziger Jahre einem Wohnblock des MfS weichen mussten.
Rechts im Bild: das neue Fernmeldeamt zwischen Frankfurter Allee und Dottistraße; links ein Wohnblock der Frankfurter Allee / Süd
Das neue Fernmeldeamt Ende der siebziger Jahre; auf der inzwischen beräumten westlichen Seite der Ruschestraße (vorn im Bild) entstand 1987 ein Wohnblock für MfS-Mitarbeiter.
DAS FERNMELDEAMT IN DER DOTTISTRASSE
as Fernmeldeamt Dottistraße lag außerhalb des MfS-Sperrgebietes. Es zählte aber mit der hier untergebrachten Rundfunkknotenstelle und dem internationalen Fernmeldeamt zu den Objekten, die von ihrer Funktion und Bedeutung her unmittelbar mit der MfS-Zentrale verzahnt waren.
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Postbehörde, sondern das MfS, das das noch freie Eckgrundstück Dotti- / Rathausstraße beim Magistrat „zur Bebauung 1957“ vormerken ließ. Auf diesem Grundstück – Dottistraße Nr. 3 – errichtete man Anfang der sechziger Jahre das neue Fernmeldeamt. Dieses verwuchs nach dem Bau der in den
EXKURS 2 Das Fernmeldeamt in der Dottistraße (Um zur Dottistraße zu gelangen, muss der Besucher von der ehemaligen Hauptzufahrt aus einige Meter in Richtung Frankfurter Allee gehen. Die Dottistraße zweigt dann auf der rechten Seite von der Ruschestraße ab.) Bereits Ende der vierziger Jahre nutzen „sowjetische Stellen“ und dann ab 1950 das MfS das alte Fernmeldeamt, den massiven Klinkerbau auf der rechten Seite der Dottistraße, für ihre staatspolizeilichen Zwecke. Die Dottistraße selbst war für die Durchfahrt gesperrt; Zeitzeugen erinnern sich, dass an den Einfahrten anfangs noch Schlagbäume standen. Noch ein weiterer Umstand deutet auf eine enge Verflechtung zwischen Fernmeldeamt und Staatssicherheitsdienst hin. So war es nicht die an sich zuständige
„Verbinder“ über die Dottistraße, vor 1978
neunziger Jahren wieder abgerissenen Fußgängerstraßenüberführung – dem sogenannten Verbinder – mit dem alten Fernmeldeamt zu einem Gebäudekomplex. Dem neuen Fernmeldeamt kam eine strategische Schlüsselfunktion zu: Auf dem Flachdach des Gebäudes sollten im Ernstfall zwei Geschütze positioniert werden; die darunter liegende Glasloggia des Dachaufbaus, die einen guten Einblick in die anliegenden Straßen gewährte, war für die MfS-Kampfgruppenzentrale vorgesehen. Mitte der achtziger Jahre entstand auf der Fläche neben dem neuen Fernmeldeamt, zur Ruschestraße hin, ein weiterer Plattenbauriegel. In dem rotgrau-gekieselten Block (heute knallig bunt) befanden sich ausschließlich Wohnungen von MfS-Mitarbeitern.
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9. STATION
Die Taut-Bauten in der Normannenstraße 1934
Taut-Bauten Mitte der siebziger Jahre. Das Seifenhaus der Inhaberin Frau Wendt, in dem für die Anwohner eine Wäschemangel stand, verschwand ersatzlos. Erhalten blieb die Pumpe auf der nördlichen Straßenseite. Einen Meter links von ihr errichtete das MfS Ende 1982 sein Zufahrtstor, weshalb die Normannenstraße auch nach dem Ende der Bauarbeiten für den Fahrzeugverkehr gesperrt blieb.
Gebäude des Zentralen Medizinischen Dienstes, im Hintergrund Wohnhäuser, erbaut nach den Plänen des Architekten Bruno Taut
TAUT-HÄUSER UND DAS MFS-DIENSTLEISTUNGS- UND VERSORGUNGSGEBÄUDE
ls nächster Halt auf dem Rundgang bietet sich die Straßenecke Rusche- / Normannenstraße an. Der Besucher erreicht den Ort, indem er von „Tor 13“ aus der leicht ansteigenden Ruschestraße ca. 200 Meter folgt. Dort, wo an der Ecke 1979 – 1982 auf 6500 m 2 der MfS-Dienstleistungs- und
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zugleich am weitesten von der Normannenstraße entfernter Teil mit seiner Längsseite jeweils Richtung Ruschestraße wies. Dadurch, dass der in sich gestaffelte Baukörper mit dem Geländeanstieg hin zur Normannenstraße von der Ruschestraße wegrückte, wurde der Kreuzungsbereich
9. STATION Ecke Rusche- / Normannenstraße – die Taut-Häuser und das hier errichtete MfS-Dienst-leistungs- und Versorgungsgebäude Versorgungstrakt errichtet wurde, standen bis zu ihrem Abriss 1979 drei vierstöckige Wohnungsbauten, die Bruno Taut für die „Gemeinnützige Baugesellschaft Berlin-Ost m.b.H.“ im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen hatte. Ihr Abriss gilt als der architekturgeschichtlich schwerwiegendste Eingriff in die Bausubstanz im Lichtenberger Norden im Zuge der MfS-Erweiterung. Die Bauten waren 1928 an ihre Mieter – jeweils 24 pro Haus – übergeben worden. Wie der Architekturhistoriker Kurt Junghanns in seiner Taut-Werkschau von 1970 feststellt, fand Taut für die abschüssige und zudem ungünstig geschnittene Fläche eine mustergültige Lösung. Taut entwarf drei in sich dreifach, jeweils um vier Meter versetzt gestaffelte Wohnzeilen, deren im Gelände tiefster und
beider Straßen betont. Die oben an der Normannenstraße endenden drei Kopfseiten wurden, um den Wohnstraßencharakter hervorzuheben, breiter ausgeführt und mit Läden ausgestattet. Verglaste Veranden und in die Fassaden eingelassene Eckbalkone an der Normannenstraße unterstrichen die lebhafte Gliederung der Baukörper.
1 Das 1982 fertig gestellte Dienstleistungs- und Versorgungsgebäude der MfS-Zentrale in der Normannenstraße – Blickrichtung Ruschestraße. Vor dem Gebäude Teile der hier abgesperrten Normannenstraße, die das MfS ab 1982 als Objektinnenhof beanspruchte. Die vordere Ecke des Versorgungstrakts bezeichnet die Stelle, wo zuvor die neuapostolische Kirche stand.
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10. STATION
Die 1931 eröffnete neuapostolische Kirche in der Normannenstraße 20
Die neuapostolische Kirche kurz vor der Sprengung Anfang 1979. Die Häuser von Bruno Taut sind bereits abgeräumt.
SPRENGUNG DER NEUAPOSTOLISCHEN KIRCHE
m anderen Ende des MfS-Versorgungstraktes – hin zum Roedeliusplatz – stand bis 1979 die neuapostolische Kirche, die, wie die Taut-Bauten, ebenfalls im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet worden war. Das Ministerium, für das die oberste Geheimhaltungsstufe galt, war be-
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denen Teilen Ost-Berlins hierher zum Gottesdienst anreisten. Ihre Kirche befand sich unmittelbar links neben der sogenannten Ministereinfahrt. Bereits seit 1970 gab es Bestrebungen, die neuapostolische Gemeinde an einen anderen Ort zu verlagern. Zwischenzeitlich erwog man, die dann leer-
10. STATION Sprengung der neuapostolischen Kirche strebt, unbeobachtet von außen in seinem Sperrbezirk agieren zu können. Dieser Sicherheitsdoktrin entgegen standen gleich zwei Kirchen in der unmittelbaren Nachbarschaft des MfS-Komplexes: die Kirche der evangelischen Gemeinde mit ihrem massiven, 61 Meter hohen Doppelturm auf dem Roedeliusplatz und die der neuapostolischen Gemeinde in der Normannenstraße rechts neben dem Finanzamt und zugleich an der alten Helmutstraße. Nur allzu leicht vermochten Außenstehende von beiden Kirchen aus einen Blick in das Innere des Sperrbezirkes zu werfen. Hinzu kam das sonntägliche Treiben der Neuapostolischen, die aus verschie-
7 Sprengung der neuapostolischen Kirche
stehende Kirche für das MfS als Kinosaal umzufunktionieren. Der letzte Gottesdienst fand hier am 24. Januar 1979 statt. Wenig später wurde die Kirche gesprengt, um dem MfS-Dienstleistungs- und Versorgungstrakt zu weichen. Zuvor war vom zuständigen Hauptauftragnehmer Aufbauleitung Sondervorhaben Berlin in Rekordzeit ein neues Gemeindezentrum am Münsterlandplatz (Nähe Bahnhof Lichtenberg) als Kompensationsobjekt errichtet worden.
1 Eingang des am 28. Januar 1979 eingeweihten Neubaues der neuapostolischen Kirche am Münsterlandplatz. Dahinter das Kirchenschiff. „Da sie weit über 1000 Personen Platz bietet“, so das Gemeindeblatt, „gilt sie als ... Zentralkirche“ des Apostelbezirks Berlin-Brandenburg.
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11. STATION
itte der siebziger Jahre beschloss die Führung des MfS, in seiner Zentrale – neben den bereits bestehenden Einkaufsmöglichkeiten – einen gehobenen Dienstleistungs- und Versorgungstrakt zu errichten. Der Neubau diente einem sicherheitspolitischen Aspekt: So wollte man Sorge
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Komplex im DDR-typischen Stil der Exquisit- und Delikatversorgung zur Belohnung und Leistungsstimulation seiner ihm treu ergebenen Mitarbeiter. Nach drei Jahren Bauzeit konnte der Trakt am 4. Oktober 1982 kurz vor dem 33. Jahrestag der DDR (7. Oktober) seiner Bestimmung übergeben
11. STATION Der Dienstleistungs- und Versorgungstrakt dafür tragen, dass die in der Zentrale beschäftigten Mitarbeiter zur Erledigung von kleineren Einkäufen in ihren Pausen oder auch bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen (Friseur u. ä.) nicht das Gelände verließen. Das MfS konzipierte einen entsprechenden
werden. Der Bau wurde mit aus Belgien importierten, braungetönten Schichtglasscheiben verkleidet, die verhindern sollten, dass jemand von außen Einsicht nahm. In seinem Inneren entstanden Speisesäle, ein Konferenzzentrum, eine Kaufhalle sowie
DER DIENSTLEISTUNGS- UND VERSORGUNGSTRAKT
eine Ladenzeile mit Friseursalon, Reisebüro, einem Souvenirshop mit Utensilien des MfS-Betriebssportklubs Dynamo und einer Buchhandlung. Das Foyer schmückte die von dem Magdeburger Künstler Richard Wilhelm geschaffene Buntglaswand „Revolution: Frieden unserem Erdenrund“: Wilhelm hatte auch die Glasblume im „Palast der Republik“ gestaltet. Der Neubau diente einem repräsentativen Zweck, lag jedoch im MfS-Gelände und sollte von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden: Dementsprechend fiel der Charakter der Veranstaltungen aus, die hier vor 1990 stattfanden: Gelegentlich tagten die
SED-Parteigruppen der „waffentragenden Organe“. Am 15. Januar 1990, als es zur Erstürmung der MfS-Zentrale kam, rannten die Demonstranten zuallererst zu dem nicht unmittelbar am Haupttor des Sperrgebietes gelegenen Versorgungstrakt. Bis heute hält sich daher das Gerücht, dass es dem Staatssicherheitsdienst gelang, die Demonstranten hierhin umzuleiten, wo, so hoffte man, sich die Entrüstung an den bereitstehenden Lebensmittelkonserven und Sektflaschen entladen würde. Vorgebeugt wurde dadurch, dass Demonstranten das MfS-Hauptgebäude, den Ministersitz Haus 1, oder gar das Archiv stürmten. Weder hier noch am Versorgungstrakt kam es zu nennenswerten Zerstörungen. Eilig aus der gerade laufenden Sitzung des Zentralen Runden Tisches herbeigerufene Vertreter – unter anderem DDR-Ministerpräsident Hans Modrow und die Bürgerrechtler Rainer Eppelmann und Wolfgang Ullmann – versuchten die Demonstranten zu beruhigen und forderten diese auf, das Gebäude zu verlassen. Direkt im Anschluss an diese Ereignisse bildete sich das Berliner Bürgerkomitee zur Auflösung des Staatssicherheitsdienstes. Das Konferenzzentrum rückte dann Anfang der neunziger Jahre nochmals in das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Vom 10. bis 12. Dezember 1993 fand hier die AufarbeitungsKonferenz „Kampf um die Seele. Die Operative Psychologie des MfS und die Folgen“ statt. Am 11. Dezember 1993 gab der 1976 ausgebürgerte Liedermacher und SED-Kritiker Wolf Biermann an diesem Ort ein Konzert. In den neunziger Jahren beherbergte der Trakt zwischenzeitlich noch einen Supermarkt. Seit 2003 steht das Gebäude leer.
1 Baugrube für den MfS-Dienstleistungs- und Versorgungstrakt; rechts dahinter das letzte, noch nicht gesprengte Taut-Haus
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12. STATION
it dem Beginn der Bauarbeiten für das MfS-Sozialgebäude erwirkte das MfS die Sperrung der Normannenstraße für den öffentlichen Fahrzeugverkehr zum 12. Februar 1979; der Stadtbezirk erteilte die Genehmigung nur für die Zeit der Bauphase. Zuvor musste von den Berliner
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die Mauer – die „Objekteinfriedung“ des Staatssicherheitsdienstes. Die vom VEB STUNA (Stuck- und Naturstein) gefertigten Mauerfertigteile (sogenannte Batterieformbetonplatten) waren, wie der vier Meter hohe Erdgeschoss-Sockel des Versorgungstraktes, zur Ruschestraße hin mit braunen Ke-
12. STATION Die Sperrung der Normannenstraße zwischen Ruschestraße und Roedeliusplatz Verkehrsbetrieben die Linienführung des Nachtbusses und des Oberleitungsbusses der Linie 30 geändert werden. Doch von Beginn an plante man MfS-intern, die Normannenstraße in die Zentrale zu integrieren und in einen MfS-eigenen Parkplatz umzuwandeln. 1983 wurde die Normannenstraße durch eine Mauer vom übrigen Stadtgebiet abgetrennt. An der Kreuzung Ruschestraße versperrte ein zehn Meter breites und zweieinhalb Meter hohes Metalltor, rechts beginnend an der Außenwand des Dienstleistungsund Versorgungstraktes bis hin zur Straßenmitte, die Durchfahrt. Hier begann
ramikfliesen verkleidet. In der Normannenstraße folgten mit Keramikfliesen verkleidete Betonplatten mit graugekieselten Fertigteilelementen im Verhältnis 1 : 2 aufeinander. Vom Eckpfosten aus, der bereits auf dem Gehweg der Normannenstraße stand und hinter dem sich Soldaten des Wachregiments in ihrem Unterstand halb über der Mauer postierten, verlief die Absperrung Richtung Roedeliusplatz. Für MfS-Fahrzeuge, die vom Osten her auf den Hof gelangen oder diesen wieder verlassen wollten, gab es ein weiteres Tor an der Seite hin zum Roedeliusplatz.
1 Die abgesperrte Normannenstraße auf der Objektinnenseite; rechts das ehemalige Finanzamt (Haus 2). Hinten im Bild, hinter dem Schlagbaum und der mit einem Blechtor gesicherten Zufahrt zum MfS-Parkplatz, ragt das Eckhaus Roedeliusplatzes / Schottstraße hervor. Hier befand sich eine Polizeiinspektion.
DIE SPERRUNG DER NORMANNENSTRASSE
Die STUNA-Fabrikate gelangten – wie beim Tierpark Berlin-Friedrichsfelde – gewöhnlich nur an stadtplanerisch hervorgehobener Stelle zum Einsatz. Die Anregung, auch in der Normannenstraße hierauf zurückzugreifen, ging dabei vom Ost-Berliner Chefarchitekten Roland Korn aus. Um der „aus Sicherheitsgründen erforderlichen Höhe“ zu genügen, erhielten „die Batterieformplatten als oberen Mauerabschluss ein horizontalstrukturiertes Sichtbeton-Aufsatzelement“. Mit der „Einfriedung“ verschwanden nicht nur die südliche Gehwegseite und die Fahrbahn der Normannenstraße im Objektinneren. Auch ein 1,7 Meter breiter Streifen des nördlichen Fußweges fiel dem MfS zu. Dadurch, dass die von insgesamt 41 Betonpfeilern getragene Mauer auf dem benannten Gehwegstreifen errichtet worden war, also nicht auf der tieferliegenden Straße stand, kam sie in ihrer vollen Höhe zur Geltung. Gleichzeitig befanden sich einzelne Betonelemente auf den Gullydeckeln des hier verlaufenden Regenwasserkanals, der sich nun zum Teil nicht mehr öff-
nen ließ. So zum Beispiel an der Einmündung zum Schwarzen Weg, der als Verbindung zum Objekt Gotlindestraße diente und aus diesem Grunde durch ein gesondertes Tor, das Tor an der ehemaligen Helmutstraße, erreichbar war. Der Weg, ursprünglich ein unbefestigter, wild entstandener Trampelpfad, führte über einen Geländestreifen an der Ostseite des Hans-ZoschkeStadions entlang. 1973 übernahm das MfS den etwa 550 m 2 großen Streifen und baute ihn zum Verbindungsweg aus. Zugleich wurde der Weg zum Stadion hin mit Zäunen und Sichtblenden abgeschirmt. Per Vertrag erhielt das MfS das Gelände dann 1981 mit Wirkung zum 1. Februar 1982 von der Sportstätten-Verwaltung Berlin ohne Wertausgleich zugewiesen. Aufgrund seiner speziellen Funktion und der hier hindurcheilenden uniformierten Chargen erhielt der Durchgang MfS-intern die Bezeichnung „Offiziersrennbahn“.
1 Der verbliebene Durchgang an der Normannenstraße hin zum Roedeliusplatz. Auch die Häuser links im Bild befanden sich im Besitz des MfS: In den unter der Bezeichnung Haus 27, 28 und 29 geführten Objekten saßen die MfS-Betriebsgruppen des Gewerkschaftsbundes FDGB und der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft sowie die MfS-Bildstelle. Zugleich verfügte der Zentrale Medizinische Dienst des MfS hier über einen Sozialbereich.
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as Hans-Zoschke-Stadion entstand in den Jahren von 1949 bis 1952. Es ersetzte den einfachen, ebenerdigen Sportplatz Normannenstraße, auf dem bis 1947 der Fußballverein Lichtenberg-Nord zuhause war. Seinen Namen erhielt das Stadion nach dem aus Lichtenberg stammen-
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rend der Saison seine Ligaspiele, die aufgrund der jeweils anreisenden Fans vom MfS beargwöhnt wurden. „Der Verein“, so erinnerte sich ein Lichtenberger Zeitzeuge, „hat ja mal 1950 in der Oberliga mit Dynamo Dresden gespielt.“ Das ging, so der Zeitzeuge weiter, „aber nur ein Jahr“
13. STATION Das Hans-Zoschke-Stadion und der Sportverein Lichtenberg 47 den und 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichteten NS-Gegner Johannes (Hans) Zoschke. Zur Eröffnung fand hier das FDGB-Pokal-Endspiel Sportgemeinschaft Deutsche Volkspolizei Dresden (später Dynamo Dresden) gegen Betriebssportgemeinschaft Einheit Pankow (später SV BVB Lichtenberg) vor 18 000 Zuschauern statt. Dresden siegte 3 : 0. Geschätzt wurde das Stadion von Beginn an aufgrund seiner besonderen Atmosphäre als englisches Fußballstadion: Ansonsten absolvierte der ab- wie aufstiegserfahrene Klub Lichtenberg 47 hier wäh-
gut. Lichtenberg 47 absolvierte in dieser Saison 34 Oberligaspiele, gewann hiervon 6, spielte acht unentschieden und verlor zwanzig Partien. In der Ewigen DDR-Oberliga Tabelle belegt Lichtenberg 47 mit Platz 41 somit den viertletzten Platz hinter Post Neubrandenburg und vor den Betriebssportgemeinschaften von Vorwärts Schwerin, Chemie Buna-Schkopau und Motor Suhl. In der Saison 1951 / 52 spielten die 47er noch in der DDRLiga, Staffel 1, stiegen dann aber weiter in die Bezirksliga Berlin ab, von wo aus sie es 1955 wieder in die
1 Stadion zwischen Ministerialbauten: im Süden der Versorgungstrakt, im Norden das Objekt Gotlindestraße; links des Stadions an der Ruschestraße standen Baracken der MfS-Verwaltung Rückwärtige Dienste
DAS HANS-ZOSCHKE-STADION UND DER SPORT VEREIN LICHTENBERG 47
II. DDR-Liga Staffel Nord schafften. Tatsächlich erwiesen sich die Herausforderungen in den höheren Spielklassen für die Lichtenberger Freizeitfußballer häufig als zu groß. Fortan spielte Lichtenberg 47 mitunter in der Berliner Bezirksliga (1957, 1963 – 66,
B (1971 – 77, 1981 / 82, 1983 / 84). In den Jahren 1955, 1964, 1970, 1979, 1981, 1983 wurden die 47er (Ost-) Berliner Fußballmeister. Ab der Saison 1969 / 70 lief die Fußballmannschaft der SG Lichtenberg 47 als Betriebssportgemeinschaft des VEB
November 2008: Anzeigetafel des Fußballclubs Lichtenberg 47. Auf der Rasenfläche (vorn im Bild) standen ab Ende der siebziger Jahre Baracken des MfS.
1969 –71, 1978 – 81, 1982 / 83 und 1984 – 91), gelangte aber auch wieder in die II. DDR-Liga Staffel 2 (1958 – 63), DDR-Liga Staffel Nord (1966 – 69) oder die DDR-Liga Staffel
Elektroprojekte und Anlagen Berlin (ab 1980 BSG EAB 47 Berlin) auf; seit der Saison 2005 spielt der Club als SV Lichtenberg 47 in der Verbandsliga Berlin.
1 Das Hans-Zoschke-Stadion 1995. Als englisches Fußballstadion, ohne Laufbahnen, die die Ränge vom Spielfeld trennen, lässt es den Zuschauer unmittelbar am Geschehen teilhaben.
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13. STATION
Die Erweiterungsbauten des MfS in der Normannenstraße und in der Gotlindestraße ab 1975 ließen das Fußballfeld ab Ende der siebziger Jahre dann zunehmend als Enklave im ministerialen Sperrgebiet erscheinen. Nördlich des Stadions wuchs ein eigener MfS-Komplex, bestehend aus zehn Gebäuden, einem großen Parkplatz und MfS-eigenen Werkstätten, empor. Schließlich erwog man, beide Sperrgebiete durch Hineinnahme des Stadiongeländes miteinander zu verbinden. Die ersten Pläne zur Verlegung des Hans-ZoschkeStadions lassen sich dementsprechend spätestens ab 1977 nachweisen. Im MfS-Perspektivplan vom 1. Dezember 1977 heißt es hierzu: Die „Existenz eines öffentlichen Sportplatzes mit Punktspielbetrieb neben bzw. zwischen Dienstobjekten des MfS ist ein nicht länger vertretbarer Faktor und verhindert die Schaffung eines in sich geschlossenen Dienst-Objektes“. Gerüchte, dass das MfS den Fußballklub als Störfaktor ansah und das Stadion nicht länger dulden wolle, gab es schon früher. Kurios muteten in diesem Zusammenhang die Hintergründe an, die zur Sperrung des Fußballplatzes 1972 / 74 führten: Das Mittelfeld hatte sich zuvor in „eine tadellose Sandwüste verwandelt“. Angesichts der Gerüchte, die eine Urheberschaft des benachbarten und am Platz interessierten MfS nicht ausschließen wollten, zog ein Artikel in der Ost-Berliner Satire-Zeitschrift Eulenspiegel die besondere Aufmerksamkeit auf sich. John Stave setzte sich in Heft 12 / 1975 mit den Hintergründen der zweimaligen Zerstörung der Rasenfläche in den Jahren 1972 und 1974 auseinander. Unter dem Titel „Testgelände“ mutmaßte Stave über die Gründe, wie das Unkrautvernichtungsmittel Unkraut-Ex, das den Schaden herbeigeführt hatte, zweimal hintereinander auf das Spielfeld gelangen konnte. Hierfür verantwortlich zu sein schienen zunächst der Platzwart sowie der
VEB Sportplatzbau Berlin, der nach der ersten Sperrung zur Reparatur des Rasens hinzugezogen worden war. Bereits der Platzwart hatte das „Präparat, das rein äußerlich der althergebrachten Schlämmkreide aufs Haar gleicht“ versehentlich auf den Markierungsstreifen aufgebracht, von wo aus es sich verteilte und den Rasen angriff. Doch, so mochte man sich fragen, warum befand sich im Abstellraum neben dem Sack mit Schlämmkreide ein zum Verwechseln ähnlicher Sack, der Unkraut-Ex enthielt? Oder war der Schlämmkreidesack von jemandem mit Unkraut-Ex aufgefüllt worden? „Von Spieltag zu Spieltag konnten 1000 bis 2000 Zuschauer verfolgen, wie das chemische Mittel ... sein Vernichtungswerk sorgsam vollbrachte“, so John Stave im Eulenspiegel. Im Ergebnis waren die „Lichtenberger Ligafußballer“ damit konfrontiert, „ihre Heimspiele ... auf Ausweichspielplätzen austragen (zu) müssen“. Zu den Gerüchten, die sich rund um das Stadion entwickelten, zählte noch ein weiteres. Es besagte, dass die Witwe des Namenspatrons und NSGegners Hans Zoschke eine Beseitigung des Stadions mit ihrem Veto blockiere. Das MfS warte nun, um seinen Plan umsetzen zu können, noch auf das Ableben der betagten Dame. Ein Bewohner der Ruschestraße gab dementsprechend zu Protokoll: „Es gab Gerüchte, dass der Sportplatz verlegt wird, dass Mielke den Sportplatz schließen lassen wolle, weil er ihn stört, und da hat sich die Witwe von Zoschke so stark gemacht, dass Mielke von seinem Plan abrückte.“ Die Realität sah jedoch anders aus. Planrückstände und Schwierigkeiten bei der Umsetzung des DDR-Volkswirtschaftsplanes verhinderten in den achtziger Jahren die bereits beschlossene Verlagerung des Sportklubs nach Malchow an den Berliner Stadtrand.
DAS TEILOBJEKT GOTLINDESTRASSE
33Zu Fuß ca. 7 min über den Schwarzen Weg, den Durchgang zur Agentur für Arbeit rechts neben dem Stadion oder alternativ hierzu über die Ruschestraße. Ihre größte räumliche Erweiterung erfuhr die MfS-Zentrale durch das Teilobjekt Gotlindestraße ab den siebziger
Stadion getrennte Ausbaugebiet erreichte von seiner Fläche her annähernd dieselben Ausmaße wie das Sperrgebiet Rusche- / Normannen- / Magdalenenstraße. Zunächst entstand hier, angrenzend an das Stadion, ab 1972 ein MfS-eigener Parkplatz, dem die Kleingartenanlage (KGA) „Müllers-
EXKURS 3 Das Teilobjekt Gotlindestraße nördlich des Hans-Zoschke-Stadions Jahren. Das knapp 500 Meter nördlich der Normannenstraße liegende und von dieser nur durch das Zoschke-
Ruh“ zum Opfer fiel. Später verschwanden auch die nördlich der Gotlindestraße gelegenen Gärten der KGA
1973 bei der Kreisplankommission Lichtenberg eingereichter Plan mit vom MfS beanspruchten Flächen. Rechts unten (d. h. südlich) auf dem Plan das Hans-Zoschke-Stadion. Während das Gebiet unmittelbar links (bzw. nördlich) des Stadions 1985 mit Bürohäusern des MfS bebaut wurde, entstanden auf Teilen der fett eingerahmten Optierungsfläche (v. a. im unteren, westlichen Bereich) ein Parkplatz und Werkstätten des MfS. Langfristig erwog das MfS die Übernahme weiterer Flächen: Verschwunden wäre ab den neunziger Jahren so auch der Städtische Friedhof Lichtenberg (in der Mitte der Optierungsfläche / rechts). Dazu kam es aber nicht mehr.
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EXKURS 3
Das „eingefriedete“ Teilobjekt Gotlindestraße an der Ruschestraße, Mitte der achtziger Jahre
Die während der Bauarbeiten zwischenzeitlich gesperrte Gotlindestraße von der Ruschestraße aus gesehen, Mitte der achtziger Jahre. Vorn rechts das Eckgebäude war der Sitz der Postkontrolle (Abteilung M) sowie der Hauptabteilung Kader und Schulung.
DAS TEILOBJEKT GOTLINDESTRASSE
Das ehemalige Haus 47, in dem heute die Agentur für Arbeit untergebracht ist, 2008
„Bergauf“. Bis 1981 wurden, mit der Entscheidung, das Gelände nördlich der Gotlindestraße bis hoch an die Bornitzstraße als Parkplatz zu nutzen, alle noch verbliebenen Kleingärten geräumt: so auch die zum Teil bewohnten Parzellen der Gartenkolonie „Heinrichsruh“. Auf dem bisherigen Parkplatz, dort, wo sich vordem die Anlage „Müllers-Ruh“ südlich der Gotlindestraße befunden hatte, errichtete das MfS 1985 – als Eckbebauung zur Ruschestraße hin – drei 8- bzw. 13-geschossige Plattenbauten. Für die MfS-Abteilung M (Postkontrolle) sowie die Hauptabteilungen XIX (Sicherung Verkehrs- / Post- und Fernmeldewesen) und KuSch (Kader und Schulung) entstanden ca. 700 neue Diensträume. Fortan waren die MfS-intern Haus 45, 47, 48 und 49 genannten Objekte der Ort, an dem man sich unter anderem mit dem heimlichen Öffnen von Postsendungen von Dienst wegen beschäftigte. Der hintere Bereich des Geländes war bereits in den siebziger Jahren im Auftrag des MfS bebaut worden: Von 1975 bis 1978 /79 errichtete das Metallbaukombinat Leipzig hier drei sechsgeschossige Bürogebäude vom Leichtbautyp „Leipzig II“ auf der Basis der Skelettverstrebtechnik. Ein Büroblock wurde parallel zur Gotlinde-
straße geplant. Die anderen beiden stellte man im rechten Winkel hierzu mit der Giebelseite jeweils rechts und links des ersten Blocks zur Straße hin auf. In den sogenannten Häusern 40, 41 und 42 kamen die Hauptabteilung Sicherung des MdI (Ministerium des Innern) und der DVP (Deutsche Volkspolizei), die Abteilung Finanzen sowie die Abteilung N, die für die Nachrichtenvermittlung und die Regierungsverbindungen verantwortlich zeichnete, unter. Im Ergebnis entstand ein nach drei Seiten hin geschlossener Hof: An der Südseite zog der Ingenieurhochbau Berlin das fünfgeschossige Nachrichtenfunktionsgebäude, Haus 43, empor. In den 8- bis 13-geschossigen Plattenbauten an der Ecke Rusche- /Gotlindestraße, also in den ehemaligen MfS-Häusern 47– 49, siedelte sich in den neunziger Jahren das Arbeitsamt bzw. die Bundesagentur für Arbeit an. Auf der vom MfS als Parkplatz genutzten Fläche zwischen der Gotlinde-, Rusche- und Bornitzstraße entstand ab 2007 der „Eigenheimatpark Lichtenberg“: eine innerstädtische Wohnanlage, bestehend aus Eigenheimen und Reihenhäusern.
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14. STATION
Das Finanzamt vor der Errichtung des Erweiterungsbaus an der Helmutstraße 1938. Davor eine Festgesellschaft auf dem Gelände, wo von 1949 – 1952 das Hans-Zoschke-Stadion entstand. Hinter dem Finanzamt sind die Türme der Glaubenskirche; rechts daneben der Turm des Stadtbezirksgerichtes zu sehen.
Blick an Haus 2 vorbei von der Normannenstraße in die Magdalenenstraße hinein
LICHTENBERGS FINANZAMT
ie Eckbebauung der Normannenstraße hin zur Magdalenenstraße wird ausgefüllt durch das massive und kaum zu übersehende Gebäude des Finanzamtes. Das sich hier dem Besucher präsentierende Eckhaus entstand in den Jahren 1930 / 31; 1938 kam ein Ergänzungsbau an der Helmut-
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dass sich die Veränderungen erst beim zweiten Hinsehen ausmachen lassen. Bald schon bemängelten die hier arbeitenden Staatssicherheitsangestellten, dass die Bewohner der gegenüberliegenden Häuser der Normannenstraße Nr. 23 bis 25 d zu leicht Einblick in
14. STATION Lichtenbergs Finanzamt: Keimzelle der MfS-Zentrale und später Haus 2 straße hinzu. Ab 1950 erfolgte der Ausbau zur Staatssicherheitszentrale. Mit der Inbesitznahme durch den Staatssicherheitsdienst ging eine Reihe von Umbauten an dem Gebäude einher: Der Bau erhielt ein weiteres Obergeschoß. An der Magdalenenstraße verschwand durch die Verlängerung des Ostflügels die Baulücke zwischen den Nummern 23 und 25. Mit der Errichtung des Südflügels zwischen Helmut- und Magdalenenstraße verfügte der neue Nutzer über einen geschlossenen Innenhof. Die Erweiterungsbauten orientierten sich weitgehend am ursprünglichen Baustil. Bei der Aufstockung führte man den Gesimsabschluss mit den für den Bau charakteristischen Glastonsteinen aus, so
ihre Büroräume nehmen konnten. 1955 wurden die betreffenden Häuser geräumt. Auch hier zogen MfS-Dienststellen ein. Die fortan Haus 27 bis 29 bezeichneten „Objekte“ nahmen die Arbeitsbereiche Massenorganisationen FDGB / DSF, die Bildstelle und den ZMD (Zentralen Medizinischen Dienst) auf. Im ehemaligen Finanzamt, nach MfS-Zählung Haus 2, residierten zum Schluss die Hauptabteilung II (Spionageabwehr), die Abteilungen X (Internationale Beziehungen), BCD (Bewaffnung / Chemische Dienste) und das BdL (Büro der Leitung) mit dem Kurierwesen und dem Post- und VS-Wesen (Verschlußsache). Heute hat hier wieder das Finanzamt des Stadtbezirkes Lichtenberg seinen Sitz.
Haus 2 in der Magdalenenstraße, in dem heute wieder das Finanzamt residiert, 2008. Der im Bild zu sehende Gebäudeabschnitt mit der Durchfahrt in das Innere der ehemaligen MfS-Zentrale und mit den drei überdimensionierten Hauszugängen entstand als Erweiterungsbau um 1950.
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15. STATION
Die Glaubenskirche auf dem Roedeliusplatz gegenüber der MfS-Zentrale; im Vordergrund die Magdalenenstraße
Der Roedeliusplatz mit der Glaubenskirche mit ihrem 61 Meter hohen Doppelturm, 2008
DIE GLAUBENSKIRCHE
eben der 1979 abgerissenen neuapostolischen Kirche zählte die evangelische Glaubenskirche zu den von den Objektverantwortlichen beargwöhnten kirchlichen Bauten in der unmittelbaren Nähe der MfS-Zentrale. Die Glaubenskirche war von 1903 bis 1905 nach den Plänen der Architekten
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lich schrumpfte, ließ sich die alte Glaubenskirche nicht so einfach wie die Kirche der Neuapostolischen abtragen. In Teilen der hier verbliebenen Restgemeinde fand das MfS zudem einen beharrlichen Widersacher. So scheiterte der Plan, den kirchlichen Kindergarten an der Ecke Rusche- /
15. STATION Die Glaubenskirche Robert Leibnitz und Ludwig von Tiedemann im Stil des Historismus errichtet worden. Der Sockelbereich ist mit Sandsteinquadern verblendet worden. In einem bizarren Kontrast hierzu wechseln spätgotische und renaissanceverwandte Formen einander ab. Die Kirche selbst ist nach Norden hin ausgerichtet, als Zugeständnis an das am Platz ebenfalls gebaute Amtsgericht mit seiner repräsentativen breiten Fassade. Notgedrungen musste das MfS mit der Nachbarschaft der hier stehenden Kirche leben: auch wenn die Gemeindegliederzahl aufgrund des Bevölkerungsaustausches und der Inanspruchnahme des Stadtraumes durch das MfS merk-
Bornitzstraße übernehmen zu können, um das MfS-Gelände zu erweitern, trotz des Einverständnisses des Konsistoriums um Manfred Stolpe am hartnäckigen Nein der Ortsgemeinde. Mitunter griff das MfS in die Aktivitäten der Gemeinde ein: Ende der fünfziger Jahre verbot das Ministerium dem Posaunenchor das traditionelle Blasen vom Turm zu besonderen Höhepunkten des Kirchenjahres. Am 6. September 1983 gründete sich hier ein kirchlicher Friedens- und Umweltkreis; eben jener Kreis, der 1986 die Umweltbibliothek an der Ost-Berliner Zionskirche ins Leben rufen sollte. 1998 übernahm die Koptisch-Orthodoxe Kirche das Gotteshaus und weihte es den Schutzheiligen St. Antonius und St. Shenouda.
Links im Bild ein Kapellenanbau der Glaubenskirche mit dem für die Kirche typischen hohen Sockel aus behauenem Kalkstein und darüber liegendem Klinkerverblendwerk; dahinter das Gebäude des Stadtbezirksgerichtes Lichtenberg
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16. STATION
as Amtsgericht – das spätere Stadtbezirksgericht – entstand in den Jahren 1903 – 1906. Die schlossartige Putzfassade nimmt vom Stil her Anleihen westfälischer Barockbauten in sich auf. Architekt war Rudolf Mönnich. Die Standortwahl erfolgte keineswegs zufällig: Nach 1900 plante man, der sich
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tiert wurden. Auch der Staatssicherheitsdienst hielt an diesem Ort ab 1950 seine Prozesse ab. Die Öffentlichkeit blieb – von Ausnahmen abgesehen – von den Verhandlungen, deren Ergebnis zumeist vorab feststand, ausgeschlossen. Nur selten wurde einer breiteren Öffentlichkeit
16. STATION Das Gerichtsgebäude am Roedeliusplatz immer weiter ausdehnenden Gemeinde Lichtenberg entlang der Achse Roedeliusplatz – Normannenstraße – Möllendorffstraße ein neues, zentral gelegenes Stadtzentrum zu geben. Am Ort entstand ebenfalls die repräsentative Glaubenskirche; in den dreißiger Jahren kam noch das Lichtenberger Finanzamt hinzu. Aus diesen Erwägungen heraus entschloss man sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der unmittelbaren Nähe das Hans-ZoschkeStadion zu errichten. Es war als zentrale Sportstätte des Bezirks konzipiert worden. Mit der Ansiedlung des MfS verlor diese Planung ihre Grundlage. Die Idee des Stadtbezirkszentrums wurde später, nach 1989, nicht wieder aufgegriffen. Nach dem Kriegsende 1945 diente das Gerichtsgebäude dem sowjetischen Innenministerium als Standort eines Sowjetischen Militärtribunals (SMT), geführt als Standort Nr. 48240. Hier ergingen hohe Zuchthausstrafen. Mehrere Studenten, unter anderen Georg Wrazidlo, Manfred Klein und Gerda Rösch, die sich für Demokratie eingesetzt hatten, wurden hier zum Beispiel 1948 unter dem Vorwurf, Spionage betrieben bzw. einer „Untergrundbewegung an der Universität Berlin“ angehört zu haben, angeklagt und zu jeweils 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Bis Anfang 1953 kam es vor, dass hier verurteilte vermeintliche „Spione, antisowjetische Hetzer und Verräter“ nach der Urteilsverkündung in sowjetische Haftlager depor-
bekannt, was sich hier abspielte. Aufsehen verursachte die Hauptverhandlung am 29. Januar 1988 gegen die drei Mitglieder der oppositionellen Umweltbibliothek Bert Schlegel, Andreas Kalk und Till Böttcher. Sie hatten die Absicht, an der Gegendemonstration während der offiziellen LiebknechtLuxemburg-Gedenkkundgebung am 17. Januar 1988 teilzunehmen. Mit ihnen waren als vermeintliche Organisatoren der Gegendemonstration der Liedermacher Stephan Krawczyk und Vera Wollenberger, Mitglied des Pankower Friedenskreises, inhaftiert worden. Insgesamt wurden am 17. Januar in Berlin etwa 160 Personen, unter ihnen ein großer Teil Ausreiseantragsteller, die sich in der oppositionellen Gruppe Staatsbürgerschaftsrecht zusammengeschlossen hatten, festgenommen; einige von ihnen wurden in den folgenden Stunden wieder aus der Haft entlassen. Am 25. Januar kam es zu einer weiteren Verhaftungswelle: Neben der Theaterregisseurin Freya Klier traf es diesmal mit Lotte und Wolfgang Templin, Ralf Hirsch, Bärbel Bohley und Werner Fischer den Kern der Initiative für Frieden und Menschenrechte. Die Anklage lautete auf versuchte Zusammenrottung, Verbindungsaufnahme „zu geheimdienstlich gesteuerten Kreisen in Westberlin“ und „landesverräterische Beziehungen“; das Gericht verhängte gegen einen Teil der Inhaftierten Freiheitsstrafen von sieben bzw. acht Monaten Haft.
DAS GERICHTSGEBÄUDE AM ROEDELIUSPLATZ
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Gebäude des Stadtbezirksgerichtes am Roedeliusplatz, 2008
Um ihre Solidarität mit den Angeklagten zu bekunden, öffnete die Pfarr- und Glaubensgemeinde am 29. Januar die dem Stadtbezirksgericht gegenüberliegenden Türen der Kirche. Während der Prozess lief, fanden sich hier etwa fünfzig Demonstranten zu einem Schweigeprotest ein. Das MfS sprach von „organisierten demonstrativen Ansammlungen vor und in der Glaubenskirche“ am 27., 28., 29. Januar und 1. Februar, also an den Tagen, an denen im Stadtbezirksgericht Prozesse gegen Teilnehmer der Gegendemonstration stattfanden. Von den 151 Gegendemonstranten wohnten laut einer Aktennotiz des MfS „117 in der Hauptstadt der DDR und 34 in 9 Bezirken der DDR, wobei Potsdam (13) der Schwerpunkt ist“. Registriert wurden auch die „Aktivitäten eines Fernsehteams der BRD im Bereich Glaubenskirche und Stadtbezirksgericht“ am 1. Februar 1988 in der Zeit von 14 Uhr bis 14.35 Uhr. Einen Tag später, am 2. Februar, in der Zeit von 13.05 bis 13.20 erfolgte die „Beobachtung von 5 Personen vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg“.3 Unter ihnen befand sich Rechtsanwalt Wolfgang Schnur (später, 1990, als IM „Torsten“ enttarnt), dessen PKW ebenfalls im Umfeld des Stadtbezirksgerichtes „festgestellt“ wurde. Am 6. Februar
1988, vier Tage später, erfuhr auch der DDR-Zeitungsleser von dem hier observationstechnisch aufgezeichneten, ungewöhnlichen Vorgang: Entsprechend einer Meldung der Berliner Zeitung seien die in Lichtenberg „wegen landesverräterischer Beziehungen inhaftierten Ralf Hirsch, Wolfgang und Regina Templin, Bärbel Bohley und Werner Fischer“, wie sich die Zeitung ausdrückte, „in die BRD ausgereist“. Zuvor waren die Bürgerrechtler aus der Untersuchungshaftanstalt entlassen und Richtung Westen abgeschoben worden. Bedingt durch die Vermittlung der Berlin-Brandenburgischen Kirchenleitung, die mit der SED einen Deal „Zeitweilige Ausreise gegen Wiedereinreise“ ausgehandelt hatte, durften die Bürgerrechtler aber ihren DDR-Reisepass behalten, verbunden mit der vagen Zusage, in die DDR nach einem halben bis zwei Jahren Auslandsaufenthalt wieder zurückkehren zu können. Die in dieser Art erstmals praktizierte Form des unfreiwilligen, jedoch zeitweiligen Exils diente vor allem einem Zweck: So sollte die landesweite Solidaritäts- und Protestwelle, die nach der Inhaftierung der Mitglieder der Initiative für Frieden und Menschenrechte eingesetzt hatte, eingedämmt werden und – da ihr nun die Grundlage fehlte – zum Erliegen kommen.
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17. STATION
U-Haft Magdalenenstraße; in der Mitte die voneinander abgetrennten „Käfige“ des Freiganghofes mit dem darüber liegenden Steg für die Wachmannschaften
DIE UNTERSUCHUNGSHAFTANSTALT IN DER MAGDALENENSTRASSE
om Roedeliusplatz aus begibt sich der Besucher in die zur Frankfurter Allee hin bergab verlaufende Magdalenenstraße. Einige Meter hinter dem Gerichtsgebäude, heute verdeckt durch einen Neubau, befindet sich ein Gefängnis aus der Zeit um 1890. Es diente ab 1945 bis 1955 dem Sowje-
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das Gefängnis. Mittels eines vertraulichen Akts vom 20. September 1953 stimmte der Vertreter des Hohen Kommissars der UdSSR schließlich einer Teilübertragung in die Hoheit des MfS zu. Bis 1955 nutzten die Sowjets weiterhin einen Saal des Stadtbezirksgerichts und die 4. Etage des Gefäng-
17. STATION Die Untersuchungshaftanstalt in der Magdalenenstraße tischen Geheimdienst und von 1950 bis 1989 dem Staatssicherheitsdienst als Untersuchungshaftanstalt. Als Standort eines Sowjetischen Militärtribunals (SMT) bot Lichtenberg den für die Unterdrückung von politischen Gegnern Verantwortlichen nahezu ideale Bedingungen: Die an das Gericht angeschlossene Haftanstalt, das sowjetische Gefängnis Nr. 6, zählte nicht ohne Grund zu den zwei in Berlin vorhandenen sogenannten Inneren Gefängnissen von zentraler Bedeutung. Formal unterstand das Gefängnis Magdalenenstraße der Abteilung Speziallager des sowjetischen Innenministeriums mit Sitz in Hohenschönhausen. Das Gericht und die Haftanstalt waren unterirdisch durch Gänge in den unterkellerten Höfen miteinander verbunden. Nach den Erinnerungen eines Zeitzeugen, der im Haus Magdalenenstraße Nr. 3 wohnte, stand ab Mai 1945 bis Mitte der fünfziger Jahre „an der Rinnsteinkante“ vor dem Gefängnis bis hinunter zur Nr. 8 „der russischgrüne Zaun“. Hinter ihm verschwand der Bürgersteig auf einer Länge von ca. 200 Metern. An der unteren Ecke befand sich ein Wachturm, der seinen Scheinwerfer regelmäßig auf die zu später Stunde noch eintreffenden Bewohner der benachbarten Häuser richtete. Obwohl das MfS seit 1950 in der Normannenstraße residierte, verfügten die sowjetischen Dienststellen weiterhin über
nisses, konkret die Zellen 104 bis 130. Danach unterhielt anschließend das MfS das Untersuchungsgefängnis bis 1989. Neben der U-Haftanstalt in Hohenschönhausen bildete es, MfS-intern als UHA II bezeichnet, das zentrale Untersuchungsgefängnis des MfS. Auch für die Häftlinge aus Hohenschönhausen fanden die Besuchs- und Anwaltstermine in der Regel in der Magdalenenstraße statt. Sofern bei bundesdeutschen oder ausländischen Untersuchungshäftlingen, die in MfSHaftanstalten saßen, Diplomatenbesuch anstand, wurden sie aus den verschiedenen Teilen der DDR hierher überführt. Im Seitenflügel des Hofes, der an den Zellentrakt anschloss, richtete die MfS-Hauptabteilung IX / 6, als „Untersuchungsorgan“ zuständig für „Militärstraftaten“, ihre Büros und Vernehmungszimmer ein. Vorrangig saßen in den folgenden Jahren die von dieser Hauptabteilung „bearbeiteten“ Häftlinge im Zellentrakt der Magdalenenstraße ein. Ab 1982 erfolgte der Zugang zum „Sprecher“, wie der Termin allgemein genannt wurde, von der Alfredstraße aus, die die Untersuchungshaftanstalt nach Osten hin begrenzte. Hier in der Alfredstraße, an der Rückseite des Gefängnisses, befand sich auch ein gesonderter Garagenkomplex, der zunächst von einem sowjetischen „Informations-Ministerium“, dann vom MfS genutzt wurde. In der UHA Mag-
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17. STATION
Blick von der Südseite der Frankfurter Allee in die Magdalenenstraße nach dem Abriss der Häuser der Nummern 3, 5 und 9 um 1980 / 81. Vom hier entstehenden MfS-Bürobau sind bereits die Gleitkerne erkennbar. Vorn links das Eckhaus Magdalenenstraße 1 / Frankfurter Allee, das 1982 vom MfS übernommen wurde. Hier befand sich noch das HO-Geschäft Fleischwaren + Wurst.
Gang im Zellentrakt. Als Besonderheit des Haftgebäudes gilt, dass lediglich auf einer Seite des Ganges Zellen liegen. Zur linken Seite hin fehlte der Platz für weitere Zellen, da hier bereits das Nachbargrundstück angrenzte; Aufnahme von 1990. Heute ist hier ein Frauengefängnis untergebracht.
DIE UNTERSUCHUNGSHAFTANSTALT IN DER MAGDALENENSTRASSE
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Blick auf den Gebäudekomplex der Haftanstalt in der Magdalenenstraße Nr. 14 im Jahr 2008. Der offizielle Zugang befindet sich inzwischen in der Alfredstraße Nr. 11 auf der anderen Seite des Gebäudekomplexes, wo heute eine Gedenktafel an die Zeit von 1945 bis 1989 erinnert. Im Bild links ein moderner Erweiterungsbau des Gerichts, der nach 1990 entstand.
dalenenstraße verhörte das MfS auch „vorläufig“ oder „zur Klärung eines Sachverhaltes“ Festgenommene, bevor sie dem Haftrichter vorgeführt und nach Hohenschönhausen „überstellt“ wurden. Aber auch als Zeugen im Ermittlungsverfahren befragte Personen wurden hierhin einbestellt. Eigens zu diesem Zweck entstand hierfür auf dem Hof der Untersuchungshaftanstalt in den siebziger Jahren ein Barackengebäude, das über mehrere Flure mit dem Zugang in der Magdalenenstraße verbunden war. Zu den hier Vernommenen zählen unter anderem die OstBerliner Liedermacherin Bettina Wegner, die Musiker der Rockgruppe Renft, Gerulf Pannach und Christian Kunert, sowie die Schriftsteller Thomas Brasch und Jürgen Fuchs. Verhört wurden hier ebenfalls sechs bei der nächtlichen Durchsuchung der Ost-Berliner Umweltbibliothek am 24. November 1986 festgenommene Aktivisten der staatlich-unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung, von denen zwei, Wolfgang Rüddenklau und Bert Schlegel, anschließend in die UHA Hohenschön-
hausen „überstellt“ wurden. Nach öffentlichen Protesten und der Mahnwache vor der Berliner-Zionskirche meldete die DDR-Nachrichtenagentur ADN am 30. November 1987 überraschenderweise, dass die „Haftbefehle“ am 28. November „aufgehoben“ worden seien. In der Regel verschwanden jedoch die hierhin „verbrachten“ Systemgegner nach der „Zuführung“ in die Magdalenenstraße für unabsehbare Zeit im Ungewissen; weder die ihnen bevorstehende Haftzeit, noch die Möglichkeit, irgendwann auf einen Rechtsbeistand zurückgreifen zu können, waren absehbar. Häufig erfuhren selbst die Verwandten erst nach Tagen, in Einzelfällen erst nach Wochen des zermürbenden Wartens etwas vom Verbleib des Inhaftierten. In seinem 1998 nach dem Untergang der DDR erschienenen Roman „Magdalena“, betitelt nach dem Stasi-Untersuchungsgefängnis, verarbeitete Jürgen Fuchs seine Assoziationen mit diesem Ort. Zugleich konfrontiert er den Leser mit den Taten des MfS und den Mühen, das einst Geschehene aufzuarbeiten.
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18. STATION
er Name der Magdalenenstraße sollte aufgrund des sich hier befindenden MfS-Untersuchungsgefängnisses zum Synonym für die politische Strafverfolgung in der DDR schlechthin werden. Dennoch handelte es sich bei der Magdalenenstraße noch bis Mitte der sechziger Jahre um eine weitge-
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abspielenden Szenen trugen mitunter gespenstige Züge. Wie Jan Eik in seinen Erinnerungen „Die Stätten meiner Kindheit“ festhielt, fanden Silvester 1946 überall Hausdurchsuchungen statt – ein Häftling war entflohen. „Jahre später“, so Jan Eik, „sprang ... ein Mann vom LKW und schrie: Ich bin
18. STATION Die Magdalenenstraße hend typische Berliner Wohnstraße mit Läden, Kneipen, Arztpraxen und einer Apotheke. Auf der westlichen Seite umfasste die Straße – im Bereich zwischen dem Finanzamt und der Frankfurter Allee – noch zehn Mietshäuser. Doch, so erinnerte sich ein Zeitzeuge aus der Magdalenenstraße Nr. 3, wurden die Wohnungen „in den fünfziger Jahren schon sehr selektiv vergeben, es kam nicht mehr jeder rein und wir haben eigentlich immer auf Abruf hier gelebt, also mit der Vorstellung, dass wir sowieso irgendwann hier mal raus müssen“. Auf der östlichen Straßenseite wurde mit der Übernahme des Gefängnisses zugleich die benachbarte Nr. 12 beschlagnahmt. In die Wohnungen rückten sowjetische Wachmannschaften ein. Die sich hier
Deutscher! Helft mir! Vor dem Hauseingang der Magdalenenstraße 5 wurde er von seinen Bewachern niedergeschossen.4 Eine Zeitzeugin berichtete außerdem von abendlichen Gelagen der Wachmannschaften, begleitet vom Spiel der Ziehharmonika mit lautem Gesang. Sie sah zu, wie Soldaten „von einem Balkon auf den anderen sprangen“. Mit dem Abzug der sowjetischen Gefängnisbewachung und der Übergabe der Haftanstalt an das MfS endete dieser Zustand Ende 1955. Die Magdalenenstraße Nr. 12 diente nach ihrer Übergabe an die ostdeutschen Stellen als Wohnunterkunft von hier beschäftigten MfS-Mitarbeitern: In das Haus zogen Mitarbeiter der Abteilung XIV, die mit der „Sicherung“ der Haftanstalt beauftragt waren, mit
Blick durch die Magdalenenstraße zur Frankfurter Allee; links am Bildrand die Untersuchungshaftanstalt; in der Mitte der Häuserzeile Wohnungen von MfS-Angestellten
DIE MAGDALENENSTRASSE
ihren Familien ein. Der Parterrebereich des Hauses wurde in den folgenden Jahrzehnten ausgebaut und neu gestaltet. Anstelle der aus der Gründerzeit stammenden Haustür sicherte eine gut verschließbare Neubautür den Zugang; die neu hineingebrochenen Fensterhöhlen füllten StandardNormfenster aus, hinter denen DDRtypische Einheitsgardinen hingen. Anfang der fünfziger Jahre wurden die stark kriegsbeschädigten Häuser der Nummern 4 bis 10 durch einen Neubau ersetzt. In die kleinen und wenig attraktiven Wohnungen zogen Kraftfahrer und Wachposten des MfS mit ihren Familien ein. Im Januar 1958 wurde die Nr. 15 auf der westlichen Straßenseite vom MfS als Wohngebäude in Anspruch genommen. Hier kamen später Teile der MfS-Hauptabteilung II, der Spionageabwehr, unter: Aus der zivilen Adresse Magdalenenstraße Nr. 15 wurde MfS-intern Haus 5 der Stasi-Zentrale. Der HV A-Mitarbeiter und spätere Westüberläufer Werner Stiller beschrieb den Gang durch die Magdalenenstraße an seinem ersten Arbeitstag 1972 wie folgt: „Die Altbauten an der linken Straßenseite, normale Wohnhäuser, Läden, kleine Betriebe, gehörten anscheinend nicht zum Gebäudekomplex des MfS. Nach fünfzig Metern wech-
selte die Szene. Die Fenster hatten jetzt Einheitsgardinen und waren in der ersten Etage vergittert. Eine Tordurchfahrt war wieder mit einem NVA-Posten besetzt. Er ließ Personenkraftwagen nach gründlicher Kontrolle der Dienstausweise und einer zusätzlichen Einlaßkarte passieren. Ich ging die Magdalenenstraße weiter entlang. Auf der rechten Straßenseite befand sich eine hohe Mauer mit einem verschlossenen Tor. Links wurde die leicht ansteigende Straße nun von einem schmutziggrauen, fünfgeschossigen Gebäude gesäumt, dessen untere Fenster ebenfalls vergittert waren. Die darüber liegende Fensterreihe war mit Metallstreifen gesichert. Fast am Ende des Komplexes erblickte ich eine Tür mit einem grauen Milchglasschild: Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik – Ministerium für Staatssicherheit – Besuchereingang. Ich bemerkte eine Fernsehkamera über der Tür, die offenbar die gesamte, nicht sehr lange Magdalenenstraße erfaßte.“5 Die verbliebenen Altbauten zwischen der Nr. 13 und dem Finanzamt – die Hausnummern 17 bis 19 – wurden auf Weisung des MfS 1974 geräumt und abgerissen. Die Häuser wurden durch einen grauen, sechsgeschossigen Plattenbau ersetzt. Der Neubau – nach
Die westliche Seite der Magdalenenstraße nach der Übernahme der Häuser durch das Ministerium für Staatssicherheit
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18. STATION
Das Eckhaus Magdalenenstraße 1 / Frankfurter Allee um 1980 mit dem Laden für Fleischwaren und Wurst
Magdalenenstraße Anfang 1984. Im Eckhaus (inzwischen das Haus 12 der MfS-Zentrale) zog wenig später die Zentrale Koordinierungsgruppe ein.
Das Eckhaus nach der Umgestaltung, ca. 1986
DIE MAGDALENENSTRASSE
MfS-Zählung Haus 4 – nahm die ZAIG, die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, auf. 1978 ereilte die Bewohner der auf der westlichen Seite noch vorhandenen Mietshäuser der Nummern 1, 3, 5, 9 und 11 dasselbe Schicksal. Auch sie bekamen Ausweichquartiere in anderen Teilen der Stadt zugewiesen. Unter der Wucht der hier angesetzten Sprengladungen stürzten Vorder- und Hinterhaus der Nummer 11 am 29. April 1980 in sich zusammen. Am 13. Mai 1980 folgte die Sprengung der Nummern 3, 5 und 9 (drei Vorder- und zwei Hinterhäuser). Hier entstand ein Archivneubau mit einem Bürobau zur Straße
sein Sperrgebiet eingegliedert. In der Nr. 21 (MfS-intern: Haus 3) saß der Zentrale Operativstab (ZOS) des MfS; in der Nr. 13 (bzw. Haus 5 und 6) Teile der Spionageabwehr und die Elektronische Datenverarbeitung der Zentralen Informations- und Auswertungsgruppe, im Eckhaus Magdalenenstraße 1 (bzw. Haus 12) die Zentrale Koordinierungsgruppe, die Ausreisen und Übersiedlungsanträge bearbeitete. Der Charakter der Magdalenenstraße hatte sich innerhalb von zwei Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Mit den beiden noch erhaltenen Altbauten der Nr. 13 und 21 sollte dementsprechend verfahren
Bau von Haus 8 und 9 in der Magdalenenstraße um 1981. Zuständig für die Errichtung des Büro- und Archivgebäudes war der Spezialhochbau Berlin, ein dem MfS zugeordneter volkseigener Betrieb. Lediglich Spezialaufträge wurden an andere Betriebe vergeben, so die Kupferauskleidung des EDV-Bereiches im Archivgebäude, die eine elektromagnetische Abschirmung gewährleisten sollte.
hin. Die Gebäude – Haus 8 und 9 – beherbergten das Archiv und den Elektronischen-Daten-Verarbeitungsspeicher der Zentralen Auswertungsund Informationsgruppe des MfS. Von der westlichen Altbauhäuserzeile der Magdalenenstraße blieben im Ergebnis nur die Nr. 21, 13 und das Eckhaus an der Frankfurter Allee, die Nr. 1, erhalten. Ungeachtet dessen, hatte der Staatssicherheitsdienst die ganze Straßenseite durch die Einbeziehung auch dieser Altbauten in
werden: Die straßenseitigen Zugangstüren beider Häuser wurden ersatzlos verschlossen und zugemauert. Lediglich an der Nummer 13 kamen als Ersatz baugleiche Fenster im Erdgeschossbereich zur Verwendung. An der Nr. 21 versah man den zugemauerten Eingangsbereich mit weder zum Baustil noch zu den Proportionen des Gebäudes passenden Normfenstern.
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19. STATION
uch wenn die Magdalenenstraße als Straße außerhalb des Sperrgebietes blieb, so kam auch hier die Sicherheitsdoktrin des MfS zum Tragen. Das entsprechende Verkehrskonzept zielte darauf ab, sowohl den Durchgangsverkehr als auch alle Ortsfremden und hier nicht Beschäftigten
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ren vor allem die Lieferanten und Kunden der an der rechten Straßenecke verbliebenen Magdalenenapotheke, die einen längeren Fußweg in Kauf nehmen mussten. Entlang der Frankfurter Allee führt der Rundgang zurück zum Ausgangspunkt, zum U-Bahnhof Magdalenenstraße.
19. STATION Ecke Magdalenenstraße / Frankfurter Allee vom Sperrbezirk fernzuhalten. Schilder, die die Einfahrt in die angrenzenden Straßen untersagten, die die Durchfahrt „nur für Anlieger“ frei hielten und die vom Gebäudekomplex fortweisenden blau-weißen Richtungspfeile gaben diesem Anliegen sichtbaren Ausdruck. Besonders gravierend wirkten sich die Maßnahmen zur „Verkehrsberuhigung“ an der unteren Magdalenenstraße aus: Hier versperrten fünf sogenannte Betonbehältnisse die Ein- und Ausfahrt zur Frankfurter Allee hin ab. Die Sperre diente, so das Büro der Leitung in einer Protokollnotiz vom 2. Januar 1986, der „Verhinderung der Einfahrt in die gesperrte Fahrtrichtung bzw. (der) Unterbindung des verkehrswidrigen Parkens von Kraftfahrzeugen im Bereich der dortigen Apotheke“. Die Leidtragenden dieser Maßnahme wa-
Die hier verbliebenen drei Altbauten (Frankfurter Allee 185 – 189 und Magdalenenstraße 1) wurden 1982 vom Ministerium übernommen. Volkswirtschaftliche Engpässe verhinderten, dass das MfS hier seine Abrisspläne umsetzen konnte und die Altbauten – ähnlich wie an der Ruschestraße – durch 13-geschossige Plattenbauten ersetzte. Im Laufe der vom MfS durchgeführten Rekonstruktion der Bauten in der Frankfurter Allee, die 1983 erfolgte, verloren die Häuser weitgehend ihr bisheriges Äußeres. Gesimse, Balkone und Verzierungen verschwanden; die Bauten erhielten einen schmucklosen, grauen Außenputz. Hinter der Anweisung, „die Umgestaltung der Erdgeschosszone erfolgt in Anlehnung an die Obergeschosse“ verbarg sich ein
1 Pflanzkübel an der Einfahrt zur Magdalenenstraße, Mitte der achtziger Jahre
ECKE MAGDALENENSTRASSE / FRANKFURTER ALLEE
weiterer Eingriff: Die Schaufenster im Erdgeschoss wurden herausgerissen und durch Zimmerfenster mit Milchglasscheiben und Vergitterung ersetzt. Anstelle von Türen verwiesen nun zum Teil alternativ hierzu eingesetzte Fenster auf den um Diskretion bedachten neuen Hausherren im Eckhaus Magdalenenstraße Nr. 1 / Frankfurter Allee. An den Häusern der Frankfurter Allee Nr. 185 – 189 blieben die Türen erhalten, wurden durch „Vermauerung derselben im Gebäudeinneren“ jedoch unpassierbar. Mit RFT-Wechselsprechanlagen versehen, wirkten sie, da sie stets vorbildlich verschlossen waren, im von Bauschäden gekennzeichneten Ost-Berlin wie eine unrealistische Inszenierung: „Für mich war stets klar“, so ein Zeitzeuge, „dass in diesen Häusern die Stasi sitzen musste – überall sonst in Ost-Berlin waren die Haustüren schadhaft und nicht verschlossen und konnten, da es so gut wie keine Klingeln gab, ungehindert betreten werden. Die hier zu Tage tretende Perfektion wirkte geradezu verräterisch.“ Doch meinte man die Folgen, die sich aus einer Nichtbenutzung der Türen ergaben, beizeiten bedacht zu haben. Während der turnusmäßigen Objektbegehungen, die ebenso im Außenbereich um die MfS-Zentrale herum führten, behielt man das Erscheinungsbild
1 Die Magdalenenapotheke, Ende 2008
der stillgelegten Hauszugänge stets im Auge. Nicht immer fand die gebotene Sorgfalt, die – wie festgelegt – auch die regelmäßige Reinigung der Türenattrappen beinhaltete, hinreichend Beachtung. Damit der Zustand der Türen nach außen hin nicht allzu offensichtlich wurde, legte man zum Beispiel anlässlich der Objektbegehung am 2. Februar 1987 fest, dass diese unverzüglich zu reinigen seien. Als Grund hierfür wurde angegeben, dass die „drei Türattrappen ... am Haus 12, im Bereich Frankfurter Allee verschmutzt“ angetroffen worden waren. In den Altbauten (intern Haus 12) kam die ZKG, die Zentrale Koordinierungsgruppe, unter, die für die Bearbeitung der laut DDR-Recht „ungesetzlichen Übersiedlungsersuche auf ständige Ausreise aus der DDR nach Berlin (West) oder in die BRD“ zuständig zeichnete. Hieran folgt hin zur Ruschestraße und zum übermächtigen 13-geschossigen Plattenbau der HV A ein Altneubau aus den sechziger Jahren (Haus 13 und 14), in dem ab 1976 verschiedene technische Serviceabteilungen sowie Teile der Hauptabteilung XVIII (Sicherung der Volkswirtschaft) unterkamen. Zuvor saß in den Häusern, die ursprünglich MfS-Mitarbeiter-Wohnungen beherbergten, der Sektor Wissenschaft und Technik der HV A.
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20. STATION
Das Punkthochhaus der MfS-Wohnungsverwaltung G auf der südlichen Seite der Frankfurter Allee – gegenüber von der MfS-Zentrale – kurz nach seiner Fertigstellung 1975. Der am linken Bildrand noch zu sehende Altbau wurde wenig später gesprengt. An seiner Stelle entstand ein Parkplatz. Vorn im Bild: Sichtschutzblenden des MfS-Parkplatzes, die die Nummernschilder verstecken sollten.
Die Plattenbauten der MfS-Wohnungsverwaltung G an der südlichen Frankfurter Allee; davor ein später gesprengter Altbau
Wohnblock an der Frankfurter Allee. Im Rahmen der Anwohnerüberprüfung „Wer ist wer“ erfaßte das MfS auch die im Umfeld wohnenden eigenen Mitarbeiter (Observationsfoto).
PLATTENBAUTEN DES WOHNGEBIETES FRANKFURTER ALLEE / SÜD
m Ende des Rundganges und vor dem Abstieg in die Berliner U-Bahn bietet es sich an, zum Abschied noch einen Blick auf die Häuser des Wohngebietes Frankfurter Allee / Süd auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu werfen. Mietinteressen der eigenen Mitarbeiter und vermeintliche Sicher-
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aus den Nummern Frankfurter Allee 178 – 192. Während das Hochhaus der Nr. 172 offiziell Eigentum der Kommunalen Wohnungsverwaltung blieb, die alle Wohnungen laut Absprache mit dem Staatssicherheitsdienst an dessen Mitarbeiter zu vermieten hatte, übernahm die MfS-eigene Wohnungs-
20. STATION Plattenbauten des Wohngebietes Frankfurter Allee / Süd heitsanforderungen des MfS gaben bei den von 1971 – 1975 errichteten Wohnhochhäusern die Leitlinie des Handelns vor. Dies galt insbesondere für die beiden Punkthochhäuser links der Einfahrt zur Schulze-Boysen-Straße (Verlängerung der Ruschestraße) und für die links hiervon liegende Häuserzeile. Nicht nur die Hochhäuser Frankfurter Allee 172 / 174 wurden in den Unterlagen des MfS unter der Rubrik „Wohnobjekte des MfS im Bereich des DO (Dienstobjektes) Berlin-Lichtenberg“ geführt. (Die Nr. 172 – ein 21-Geschosser – beherbergt 160 Wohnungen; die Nr. 174 umfasst mit 18 Geschossen insgesamt 134 Wohneinheiten). Auch verfügte das MfS über die hieran in Richtung Bahnhof Lichtenberg folgende elfgeschossige Häuserzeile, bestehend
verwaltung G der Verwaltung Rückwärtige Dienste die Nummern 178 –192 in Eigenregie. Im Wohngebiet Frankfurter Allee / Süd avancierten weiterhin das Hochhaus Schulze-Boysen-Straße 37 und in der Harnackstraße die Hausaufgänge Nummer 24, 26 und 28 zu „Wohnobjekten des MfS“. Daneben wohnten allerdings auch ganz normale Bürger. Nicht ohne Grund wählten die politischen Entscheidungsträger in Ost-Berlin für die Straßen und eine Schule dieses Wohngebietes für das MfS bedeutungsvolle Bezeichnungen: Die Namen der als „Kundschafter“ im Dienste der kommunistischen Sache beanspruchten Widerständler Harro und Libertas Schulze-Boysen, Hans und Hilde Coppi, Wilhelm Guddorf und John Sieg zählten zum festen Bestandteil der MfS-Traditionspflege.
Die Wohnblöcke der ehemaligen MfS-Wohnungsverwaltung, 2008
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ZWEI BESETZUNGEN DURCH BÜRGERRECHTLER
ZWEI BESETZUNGEN DURCH BÜRGERRECHTLER
urch die Besetzung mehrerer MfSBezirkszentralen und Kreisdienstellen ab dem 4. Dezember 1989 hatte der Auflösungsprozess des Staatssicherheitsdienstes, der sich seit dem 17. November Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) nannte, außerhalb Berlins weiter an Dynamik gewonnen.
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straße aus. Ein Kamerateam des DDRFernsehens begleitete öffentlichkeitswirksam die als Geste des Guten Willens nach außen deklarierte Veranstaltung. Nach Ende des Rundganges verließen die Bürgerrechtler wieder das Gelände; Absprachen über das weitere Vorgehen wurden nicht getroffen.
Zwei Besetzungen durch Bürgerrechtler In Leipzig, der zweitgrößten Stadt der DDR, begannen Bürgerrechtler, die sich zuvor zu einem Komitee konstituiert hatten, am 12. Dezember 1989 in der besetzten MfS-Bezirksverwaltung mit der Grobsichtung von Akten und Dienstunterlagen. Berlin harrte scheinbar weiter der Ereignisse. Hier kündigten MfS-Mitarbeiter für den Nachmittag des 5. Dezember unter der Losung „Achtung! Es geht um uns“ eine Reform-Demonstration im Innenhof vor Haus 1 an: Im Ankündigungstext hieß es zu den Forderungen der rebellierenden Diktaturgehilfen: „Wir wollen Veränderung im Amt! Reform von innen, nicht von außen! Stellen der Vertrauensfrage in allen Diensteinheiten! Saubere Arbeit auf den Ebenen!“6 Auch auf einer anderen Ebene schien in Berlin etwas in Bewegung zu geraten: Parallel zum Treffen der Kontaktgruppe Sicherheit im Vorfeld des ersten Runden Tisches willigte das AfNS in eine Besichtigung seiner Zentrale durch die Vertreter der neuen Gruppen ein. Am 7. Dezember, pünktlich um 10 Uhr, betraten die Teilnehmer des Rundganges – unter anderen Margitta Hinze (Initiative Frieden und Menschenrechte), Oliver Richter und Walter Förster (beide Sozialdemokratische Partei) sowie der thüringische Pfarrer Walter Schilling – das hermetisch abgeriegelte Gelände von der Rusche-
Nachdem sich noch am 7. Dezember eine „größere Menschenmenge“ vor der Berliner Zentrale versammelt hatte, um den Einlass „ins Objekt“ zu erzwingen, schien sich die Lage in den folgenden Tagen wieder zu beruhigen. Am 13. Januar ließ der Ministerrat nach Protesten verkünden, dass das Amt für Nationale Sicherheit ersatzlos aufzulösen sei und kein Verfassungsschutz vor den anstehenden Wahlen aufgebaut werden solle. Einen Tag später, am 14. Januar, trafen sich die Vertreter der Bezirks-Bürgerkomitees zu ihrem zweiten Treffen, diesmal in Berlin. Sie forderten auf ihrer Tagung „den sofortigen Beginn der Auflösung des MfS / AfNS“ mitsamt der Zentrale in der Normannenstraße. Damit stand auch unzweifelhaft das Lichtenberger Dienstobjekt zur Disposition. Aber auch das Berliner Neue Forum war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Zu jenem Zeitpunkt hingen bereits in den Ost-Berliner Innenstadtbezirken Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain, aber auch in Treptow und Köpenick Plakate und Handzettel, die zu gewaltlosem Protest und zu einer Vermauerung des MfS-Hauptsitzes in Lichtenberg am 15. Januar 1990 aufforderten. In dem Flugblatt hieß es: „Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi. Aktionskundgebung 15. Januar um 17 Uhr (...) Schreibt Eure Forderungen an die Mauern der Nor-
7 Die Mitglieder der Berliner Umweltbibliothek Till Böttcher und Frank Ebert während der am 4. September 1990 beginnenden Besetzung von Haus 7
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Besetzung der Staastsicherheitsdienst-Zentrale am Abend des 15. Januar 1990. Der herbeigeeilte Ministerpräsident Hans Modrow versuchte, die Demonstranten zu beschwichtigen.
Neugierige Besucher vor dem MfS-Dienstleistungs- und Versorgungstrakt am Abend des 15. Januar
mannenstraße! Bringt Farbe und Spraydosen mit! Wir schließen die Tore der Stasi! Bringt Kalk und Mauersteine mit! Mit Fantasie und ohne Gewalt.“ Am 15. Januar 1990 versammelten sich Demonstranten vor dem Haupttor in der Ruschestraße, begannen mit der symbolischen Vermauerung, äußerten lautstark ihren Protest und trommelten gegen die Tore. Hinter diesen verhandelten bereits Vertreter der Bürgerkomitees (aus den DDRBezirken) mit den Stasi-Offizieren über eine friedliche Übergabe. Nachdem sich die Tore unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen öffneten, stürmten rund 2000 Demonstranten die vier Jahrzehnte lang gesicherte MfS-Zentrale. Es bildete sich ein Bürgerkomitee das einige Büros vorübergehend besetzte. Nachdem sich Ost-
Verhandlungsführer Günther Krause und West-Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble, beide CDU, Ende August geweigert hatten, das von der am 18. März demokratisch gewählten Volkskammer verabschiedete „Gesetz zur Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Akten“ des MfS in den Vereinigungsvertrag aufzunehmen, eskalierte Monate später abermals die Situation. Zuvor hatten sich der KohlVertraute und CDU-Politiker Eckart Werthebach – ebenso wie Wolfgang Schäuble – für eine „Vernichtungsregelung“ ausgesprochen. Die Akten sollten zuvor in die Bundesrepublik verbracht werden. Am 4. September 1990 rückte die ehemalige MfS-Zentrale so abermals in das Zentrum des Geschehens: Bürgerrechtler, unter ihnen Bärbel Bohley und Katja Have-
AUSBLICK
mann, besetzten in den Vormittagsstunden Haus 7 des MfS-Objektes und begannen später einen Hungerstreik. Zu einer eindrucksvollen Demonstration und zum dauerhaften Medienereignis wurde die Besetzung durch die Solidarität und die Anteilnahme der Berliner Bevölkerung am Geschehen. Während sich am Haupttor zur ehemaligen MfS-Zentrale in der Ruschestraße eine Mahnwache in einem Zelt niederließ, versammelten sich Nach-
mittag für Nachmittag in der Ruschestraße mehrere tausend Demonstranten, die die Forderungen nach Aktensicherung durch ihre Anwesenheit unterstrichen. Am 18. September lenkten die Verhandlungsführer schließlich ein. In einer Zusatzklausel zum Einigungsvertrag wurde festgeschrieben, dass die MfS-Akten auf ostdeutschem Boden bleiben und von Betroffenen eingesehen werden können.
Ausblick Nach dem Ende der DDR und ihres Staatssicherheitsdienstes blieb in Lichtenberg, dort, wo sich die Zentrale des MfS befand, ein unwirtlicher Stadtraum zurück. Seine Nutzung wirft bis heute Fragen auf. Weder ließen sich für alle Gebäude Nutzer finden, noch lädt der Ort den Besucher zum Verweilen ein. Die überbauten und so zweckentfremdeten Durchgangswege konnten nur zum Teil wiederhergestellt werden. Somit gelang es auch nicht, den Gebäudekomplex kleinräumig, in Anlehnung an seine frühere Struktur, zu gliedern und als Stadtraum zu öffnen. Auch die Zukunft von Haus 1, des Hauptgebäudes, in dem die Antistalinistische Aktion (ASTAK) ihr StasiMuseum betreibt, ist nach wie vor ungewiss. Ebenso blieb die Frankfurter Allee / Süd, einst privilegiertes Wohngebiet von DDR-„Leistungsträgern“, vom Wandel nicht unberührt. Ein Mitglied der Lichtenberger CDU-Rathausfraktion sieht bereits „Verslumungstendenzen“, da viele ehemalige Bewohner weggezogen sind. Diejenigen jedoch, die heute hier leben, sehen „ihr Lichtenberg“ als durchaus akzeptablen Wohnort an. Neben der verkehrsgünstigen und zentralen Lage in der Stadt und den noch moderaten Mieten verweisen sie auf das viele innerstädtische Grün. Der prak-
tische Alltag hat für viele Bewohner die historischen Ereignisse überlagert – doch sollten sie keineswegs vergessen werden.
1 Haus 7 während der zweiten Besetzung durch Bürgerrechtler am 9. September 1990
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ANHANG
ANMERKUNGEN 1 Stiller, Werner: Im Zentrum der Spionage, 5. Auflage, Mainz 1986, S. 68. 2 Wolf, Marcus: Spionagechef im geheimen Krieg, München 1997, S. 300. 3 Dabei handelt es sich allem Anschein nach nicht um Inhaftierte der LuxemburgDemonstration, sondern wahrscheinlich um Unterhändler in der betreffenden Angelegenheit. 4 Jan Eik: Die Stätten meiner Kindheit, Horch und Guck Heft 6 (2/1993), S. 1–5. 5 Stiller, Werner: Im Zentrum der Spionage, 5. Auflage, Mainz 1986, S. 69. 6 BStU, MfS, BdL 535, p. 147. Ob es zu der Demonstration kam, geht aus den angeführten Unterlagen nicht hervor.
QUELLENVERZEICHNIS Bestände des Landesarchivs Berlin Bestände der BStU Bestände des Archivs des Museums Lichtenberg im Stadthaus Matthias-Domaschk-Archiv Unterlagen der Gedenkstätte ASTAK Berlin-Normannenstraße Unterlagen der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
LITERATURVERZEICHNIS Bahrmann, Hannes / Links, Christoph: Chronik der Wende. Die Ereignisse in der DDR zwischen 7. Oktober 1989 und 18. März 1990. Berlin 1999 Berlin. Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Generalbebauungsplan. Generalverkehrsplan, hrsg. v. Magistrat von Gross-Berlin, Berlin (Ost) 1969. Berlin-Lichtenberg. Frankfurter Allee Süd. Eine Spurensuche, hrsg. von der Interessengemeinschaft Heimatgeschichte an der Kiezspinne FAS e. V., Berlin 2007. Die Zentrale. Das Hauptquartier des Ministeriums für Staatssicherheitsdienst in Berlin-Lichtenberg, hrsg. von der Anti-Stalinistischen-Aktion, Berlin ohne Jahr (2002). Eik, Jan: Die Stätten meiner Kindheit, Horch und Guck, Heft 6 (2 / 1993), S. 1– 5.
Eik, Jan: Eine Menge Spaß. Ein Leben in der Magdalenenstraße, Berlin 2005 (Manuskript). Erler, Peter: GPU-Keller. Arrestlokale und Untersuchungsgefängnisse sowjetischer Geheimdienste in Berlin (1945 – 1949), Naumburg 2005, S. 49. Fricke, Karl Wilhelm: MfS intern. Macht, Strukturen, Auflösung der DDR-Staatssicherheit, Köln 1991. Gieseke, Jens: Die DDR-Staatssicherheit. Schild und Schwert der Partei, Bonn 2001. Gill, David / Schröter, Ulrich: Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums, Berlin 1991. Gräbner, Werner / Schulz, Joachim: Architekturführer DDR. Berlin. Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Auflage, Berlin (Ost) 1976. Junghanns, Kurt: Bruno Traut 1880 – 1938, Berlin (Ost) 1983. Kuhlicke, Nora / Rost, Beate: Zur Entstehung und Entwicklung des Zentralen Dienstkomplexes des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin Lichtenberg zwischen 1950 und 1989 / 90, Potsdam 2005 (Diplomarbeit). Stave, John: Testgelände, in: Eulenspiegel, Nr. 12 / 1975, S. 10. Steer, Christine: Straßennamen. Berlin-Lichtenberg (Lichtenberger Hefte 2), Berlin 1992. Stiller, Werner: Im Zentrum der Spionage, 5. Auflage, Mainz 1986. Süß, Walter: Staatssicherheit am Ende. Warum es den Mächtigen nicht gelang, 1989 eine Revolution zu verhindern, 2. Aufl., Berlin 1999. Wohnkomplex Frankfurter Allee-Süd, in: Deutsche Architektur, 9 / 1971, S. 526 – 531. Wolf, Markus: Spionagechef im geheimen Krieg. München 1997.
ANHANG
BILDNACHWEIS
IMPRESSUM
BStU: Einband, S. 2, 6, 7, 8 / 9, 10 (oben / Mitte), 11, 12 / 13, 14 / 15, 17 (Karte) 18 / 19, 20, 21, 22 / 23, 24 (unten), 26 (unten), 28 / 29, 32 und 33 (oben), 35, 36 (oben / Mitte), 38 / 39, 40 (Mitte / unten), 41, 42 (Mitte / unten), 44 / 45, 46 / 47, 48, 52, 53, 54 (unten), 56 (oben), 62 (oben), 66, 67, 68, 69, 70 Bundesarchiv: S. 34 Die Hoffotografen: S. 7 Eikermann, Helmut: S. 24 (oben), 26 (oben), 54 (oben / Privatarchiv) Eikermann, Stefan: S. 60, 62 (unten) Halbrock, Christian: S. 27, 30 / 31, 37, 43, 49 (unten), 55, 56 (unten), 57, 59, 63, 71, 74 / 75 Kunicke: S. 49 (oben) Landesarchiv Berlin: S. 10 (unten), S. 16 (Karte), 22 (Karte) 26 (oben), 32 / 33 (unten), 40 (oben), 42 (oben), S. 51 (Karte) Langrock, Paul (Zenit Bildagentur Berlin): 72 Volle, Christopher: hintere Klappe innen Walter, Rolf (Matthias-DomaschkArchiv): S. 36 (unten)
Dieses Buch ist ein Kooperationsprojekt der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das Projekt wurde gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage, März 2009 © Christoph Links Verlag – LinksDruck GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0 Internet: www.linksverlag.de;
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Oliver Boyn Das politische Berlin Der historische Reiseführer 128 Seiten, 223 Abbildungen, Klappenbroschur ISBN 978-3-86153-475-4 14,90 € (D); 15,40 € (A); 27,90 sFr (UVP)
Anne Kaminsky (Hg.) Orte des Erinnerns Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR 560 Seiten, 83 Abbildungen, Broschur ISBN 978-3-86153-443-3 24,90 € (D); 25,60 € (A); 44,00 sFr (UVP)
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Städtischer Friedhof
Hans-ZoschkeStadion
Glaubenskirche
Magdalenenstr.