Nr. 308
Stadt der Roboter Die Karawane der Plünderer in Wolterhaven von Kurt Mahr
Sicherheitsvorkehrungen, die auf At...
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Nr. 308
Stadt der Roboter Die Karawane der Plünderer in Wolterhaven von Kurt Mahr
Sicherheitsvorkehrungen, die auf Atlans Anraten noch gerade rechtzeitig getroffen wurden, haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor von den Herren der FESTUNG zur Strafe für sein »menschliches« Handeln auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Leiter der Invasion ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Allerdings verlieren die beiden Männer bei ihrem Durchbruch ihre gesamte Ausrüstung. Und so landen Atlan und Razamon – der eine kommt als Späher, der andere als Rächer – nackt und bloß an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und der Schrecken. Ihre ersten Abenteuer bestehen sie am »Berg der Magier«. Ihr weiterer Weg führt sie über die »Straße der Mächtigen« zu den Seelenhändlern und an die Stahlquelle. Und nach einem Zwischenspiel mit dem »Kämpfer der Nacht« erreichen der Arkonide und der Pthorer Wolterhaven, die STADT DER ROBOTER …
Stadt der Roboter
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Razamon - Der Arkonide und der Pthorer erreichen die Stadt der Roboter. Moonkay, Geraint und Erek - Robotherren von Wolterhaven. Gädar Glomp - Anführer einer Horde von Plünderern. Iwein und Owein - Zwei Robotbrüder. Ginover - Göttin der Nacht.
1. Auf Verlangen derer, die in der FESTUNG herrschen, rief der Herr Moonkay seine Diener zusammen und sprach zu ihnen so: »Großes Unglück ist über Pthor gekommen. Wir sind auf eine Welt gekommen, die sich gegen uns abschließt. Unser Land ist umgeben von einer durchsichtigen Mauer, die bislang noch niemand hat durchbrechen können. Nun aber wünschen die Herren der FESTUNG, daß diese Mauer falle. Sie haben mich beauftragt, daß ich dafür sorge.« Die Diener lauschten den Worten des Herrn Moonkay mit großer Aufmerksamkeit. Es waren nicht Worte, die das Ohr eines Menschen hätte verstehen können, sondern elektromagnetische Impulse. Denn der Herr Moonkay war ein Herr besonderer Art. »Mir ist Ehre widerfahren«, fuhr er fort, »indem die Herren der FESTUNG sich an mich wandten. Es gibt viele andere Robotbürger in Wolterhaven, denen sie ebenfalls diesen Auftrag hätten erteilen können. Aber sie haben mich auserwählt. Ich aber gebe die Ehre, die mir widerfahren ist, an euch weiter. Zieht aus, untersucht die schimmernde Mauer und reißt sie nieder. Geht behutsam vor, aber vergeudet die Zeit nicht. Unseres Bleibens auf dieser Welt ist wahrscheinlich nicht mehr lange. Bevor wir gehen, müssen die Herrscher der FESTUNG ihren Wunsch gehabt haben!« Die Diener, viele von ihnen mit kostbaren und empfindlichen Werkzeugen ausgestattet, machten sich auf den Weg. Sie schwebten aus der Stadt Wolterhaven hinaus, überquerten die Küste und wandten sich dann nordwestwärts. Zu ihrer Linken begleitete sie je-
nes durchsichtige, mattschimmernde Gebilde, das der Herr Moonkay eine Mauer genannt hatte. Sie hätten ihre Aufgabe gleich hier in Angriff nehmen können. Aber die Klügsten unter ihnen befürchteten, daß der Einbruch der Mauer nicht ohne gewaltigen Aufruhr vor sich gehen würde. Vor diesem aber mußte die Stadt geschützt werden. Während des Fluges nach Nordwesten untersuchten diejenigen, die mit den entsprechenden Meßwerkzeugen ausgestattet waren, die Mauer aus der Ferne und ergründeten ihre Beschaffenheit. Der Diener Dilthay glaubte alsbald zu erkennen, daß die Mauer aus derselben Substanz bestehen müsse, wie sie die Robotbürger von Wolterhaven benützen, um sich vor Gefahren zu schützen. Man nannte diese Substanz Schildkraft. An ihr prallten selbst die härtesten Geschosse der Yaght-Krieger ab, die mitunter aus dem Blutdschungel nach Wolterhaven vordrangen. Die anderen Diener widersprachen Dilthays Meinung nicht. Erstens waren sie mit ihren Messungen noch nicht so weit gediehen, und zweitens galt der Diener Dilthay allgemein als der bestausgestattete und klügste unter den Dienern des Herrn Moonkay. Was er sagte, war in neunundneunzig von einhundert Fällen richtig. Die Schar der Diener baute ihre Taktik also auf der Analyse auf, die Dilthay erstellt hatte. Was sie nicht wissen konnten, war, daß dies das eine von den einhundert Malen war, in dem Dilthay irrte. Es sah also aus, als könne das Durchbrechen der Mauer so schwierig nicht sein. Denn unter den Dienern befanden sich mehrere, die für den Umgang mit Schildkraft ausgestattet waren. Diese schickte der Diener Dilthay, der
4 aufgrund seiner Klugheit das Kommando über die Gruppe übernommen hatte, an die Front. Sie sollten eine Öffnung in der Mauer schaffen. Die beauftragten Diener taten ihre Verrichtungen. Darüber verging etwa eine halbe Stunde. Dann meldeten sie: »Wir sind fertig, Diener Dilthay.« Der Diener Dilthay war einigermaßen verblüfft – wenn man diesen Ausdruck auf ein Wesen von Dilthays Art überhaupt anwenden kann –, denn er hatte während der halben Stunde keine einzige Beobachtung gemacht, die darauf hinwies, daß mit der schimmernden Wand irgendeine Veränderung vor sich ging. »Seid ihr eurer Sache sicher?« fragte er daher. »Ja, das sind wir«, antworteten die Diener. »Wie groß ist die Öffnung?« wollte Dilthay wissen. »Ihr unteres Ende befindet sich auf der Oberfläche des Wassers«, lautete die Antwort. »Sie ist quadratisch und hat eine Seitenlänge von etwa fünfzig Metern.« »Wieso etwa?« »Wir haben Derartiges noch nie zuvor getan, Diener Dilthay. Wir besitzen keine Erfahrungen im Einsatz der Geräte, die mit Schildkraft zu tun haben.« Das war richtig, überlegte Dilthay. Also brauchte er auch nicht darüber beunruhigt zu sein, daß bei der Manipulation der Mauer, die nach seiner Ansicht aus Schildkraft bestand, kein beobachtbarer Effekt aufgetreten war. Man konnte doch nicht einfach annehmen, daß ein solcher Effekt auftreten müsse, wenn die ganze Sache noch nie ausprobiert worden war! »Zwei von euch sollen die beiden unteren Ecken der Mauerlücke markieren«, befahl der Diener Dilthay. »Dann schicke ich die Handlanger vor.« Die Handlanger waren die niedrigste Kategorie der Diener. Handlanger konnten nur mechanische Handlungen verrichten. Ihr Denkvermögen war beschränkt. Man mußte
Kurt Mahr ihnen alles, was sie zu tun hatten, genau vorschreiben, sonst richteten sie das größte Durcheinander an. Zwei der Diener, die Dilthay nach vorn geschickt hatte, postierten sich dicht über der Wasseroberfläche, etwa fünfzig Meter voneinander. Die übrigen kehrten zurück. Der Diener Dilthay sagte zu den Handlangern: »Ihr seht die beiden Diener, die über dem Meer schweben. Bewegt euch zwischen ihnen hindurch. Aber achtet darauf, daß ihr das Wasser nicht berührt.« Die Handlanger gehorchten sofort. Es waren ihrer siebzehn. Binnen weniger Sekunden überquerten sie die gedachte Linie, die die zur Markierung abkommandierten Roboter miteinander verband. Sie befanden sich alle auf gleicher Höhe. Schon wollte der Diener Dilthay dem Herrn Moonkay die Meldung zukommen lassen, daß der Durchbruch durch die Mauer geglückt sei, da gab es mit einemmal siebzehn blendende Blitze. Der Donner von Explosionen hallte über das Wasser. Eine Rauchwand entstand. Als sie sich verzogen hatte, sah man, daß von den siebzehn Handlangern kein einziger übriggeblieben war. Dilthay sagte zu der Schar der Diener: »Die Mauer ist unbezwingbar. Wir kehren zu unserem Herrn Moonkay zurück.« Der Herr Moonkay aber, der durch Dutzende von Kanälen mit allen seinen Dienern ständig verbunden war, hatte das Mißgeschick seiner Handlanger von Wolterhaven aus beobachtet. Als er hörte, wie Dilthay den übrigen Dienern befahl, mit ihm in die Stadt zurückzukehren, öffnete er den geheimen Kanal, der ihn mit den Herren der FESTUNG verband. Sofort erhielt er das Zeichen, daß man bereit war, ihn anzuhören. »Unseliges ist mir widerfahren, ihr Mächtigen«, klagte der Herr Moonkay. »Ich habe meine Diener ausgeschickt, um die Mauer zu zerstören. Sie waren zuversichtlich, daß sie sich ihres Auftrags erfolgreich entledigen würden. Aber das Schicksal hat mich hart
Stadt der Roboter getroffen, ihr Mächtigen! Meine Handlanger rannten gegen die Mauer an und wurden allesamt vernichtet!« Der Herr Moonkay lauschte. Nach wenigen Augenblicken kam die Antwort. Im Tonfall war sie ziemlich ungnädig. Das allerdings beeindruckte den Herrn Moonkay nicht. Er hatte die Herren der FESTUNG noch nie anders als ungnädig sprechen hören. »Du jammerst zuviel und tust zuwenig«, lautete die Antwort aus der FESTUNG. »Einige dich mit deinen Mitbürgern, daß sie dir die Handlanger ersetzen. Und strenge deinen Verstand an, einen Plan zu entwickeln, wie man der durchsichtigen Mauer wirklich beikommen kann. Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit.« »Das weiß ich, ihr Mächtigen«, antwortete der Herr Moonkay untertänig. »Ich werde mich anstrengen.« »Wir haben weitere Meldungen für dich«, ertönte es aus der FESTUNG. »Unsere Kundschafter verzeichnen ungewöhnliche Vorgänge. Hat die Auswertung der bisherigen Informationen schon etwas ergeben?« »Nicht viel Gewisses, ihr Mächtigen«, sagte der Herr Moonkay. »Bis jetzt wissen wir nur, daß, wenn überhaupt Fremde von dieser Welt nach Pthor eingedrungen sind, es nicht mehr als drei sein können.« Seltsamerweise fühlte die Stimme der Mächtigen sich aufgrund dieser Meldung zu einem Lob veranlaßt. »Das ist besser als gar nichts«, erklärte sie. »Nimm diese neuen Informationen entgegen und sieh zu, daß du damit weiterkommst.« Daraufhin ergoß sich für etwa fünf Minuten ein Strom elektromagnetischer Impulse in das Gedächtnis des Herrn Moonkay. Er unterzog die einströmende Information einer vorläufigen Analyse und stellte fest, daß die Kundschafter der Herren der FESTUNG insgesamt über elf Vorfälle berichteten, die nicht in das übliche Schema des pthorischen Alltags paßten. Im Überblick gewann der Herr Moonkay den Eindruck, daß diese Mel-
5 dungen bedeutungsvoll waren. Aus ihnen, zusammen mit den anderen, die er zuvor von den Herren der FESTUNG erhalten hatte, mochte sich wohl ergeben, ob Bewohner dieser Welt sich in Pthor befanden oder nicht. Denn dies war die große Sorge der Mächtigen: Pthor war auf dieser Welt gelandet, damit die Berserker und die Horden der Nacht sich hier austoben könnten. Die fremde Welt aber hatte Pthor einen Streich gespielt. Als es materialisierte, wurde es sofort von einer Mauer umgeben, die dafür sorgte, daß niemand Pthor verlassen konnte. Die Herren der FESTUNG vermuteten daher, daß man auf dieser Welt im voraus vom Erscheinen Pthors gewußt haben müsse. Von dieser Vermutung war es nur ein kurzer Schritt bis zu dem Verdacht, daß die Herrscher dieser Welt die Gelegenheit benutzt haben mochten, um Kundschafter nach Pthor zu schmuggeln. Denn Pthor war schon einmal während seiner Reise durch Zeit und Raum auf dieser Welt gewesen, und damals hatten Berserker und Nachthorden grausam auf ihr gehaust. Es mochte sein, überlegten die Herren der FESTUNG, daß die Bewohner dieser Welt sich an diesen Besuch, obwohl er schon Äonen in der Vergangenheit lag, erinnerten und Vorsorge gegen eine zweite Heimsuchung treffen wollten. Wenn dem aber so war, dann durfte Pthor nie mehr auf diese Welt zurückkehren. Denn die Herren der FESTUNG bestimmten, wohin Pthor sich bewegte, und die Macht der Mächtigen mußte brechen, sobald die Reise zu einer Welt führte, deren Bewohner den Herren der FESTUNG überlegen waren. So dachte der Herr Moonkay. Viele von seinen Gedanken waren seine eigenen Vermutungen. Die Herren der FESTUNG hatten nicht die Angewohnheit, andere an ihren Überlegungen teilnehmen zu lassen. Aber der Herr Moonkay kannte die Mächtigen seit Jahrtausenden. Er glaubte zu wissen, woran er mit den Herrschern war. Der Herr Moonkay benachrichtigte die
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übrigen Robotbürger von Wolterhaven, daß neue Meldungen eingetroffen seien. Sie schlossen einen Verbund und begannen, die Informationen der Kundschafter gemeinsam auszuwerten. Am Rand nahm der Herr Moonkay zur Kenntnis, daß während dieser Zeit sein Diener Dilthay an der Spitze einer in unerfreulichem Maße geschrumpften Dienergruppe in die Stadt Wolterhaven zurückkehrte.
2. Als der Morgen dämmerte, sahen wir die Stadt vor uns aufragen. Es war die merkwürdigste Stadt, die wir bisher im Lande Pthor zu sehen bekommen hatten. Sie stand auf einem Gerüst, wohl wegen des moorigen Untergrunds, auf dem sie gebaut war. Das Gerüst wurde von mächtigen Stangen gebildet, die aus Metall zu bestehen schienen. Die Oberfläche des Gerüsts bildete nicht etwa eine Ebene, sondern bestand aus Flächen unterschiedlicher Höhe. Der niedrigste Punkt der Stadt lag etwa zehn Meter über dem sumpfigen Boden. Daneben gab es Auswüchse, die bis zu einer Höhe von mehr als einhundert Metern aufragten. Auf diesen Auswüchsen standen kuppelförmige Gebäude. Sie waren durch ihre Größe und die Höhe ihres Standortes so eindeutig vor allen anderen Bauwerken der Stadt ausgezeichnet, daß man nicht umhin konnte, ihnen besondere Bedeutung beizumessen. Wie groß die Stadt war, ließ sich von unserem Standort nur schwer abschätzen. Ich schätzte die Breite, die sich uns darbot, auf rund zehn Kilometer. Wenn man annahm, daß es von dort, wo die Stadt begann, bis hinab zum Strand des Atlantiks noch einmal ebenso weit war, kam man auf eine Gesamtfläche von rund einhundert Quadratkilometern – für eine Stadt ein beachtlicher Wert. Wir standen am Rand des Morasts und nahmen das fremdartige Bild in uns auf. Razamon schüttelte langsam den Kopf. »Man sollte meinen, daß niemand einen solchen Anblick jemals vergißt«, murmelte
er. »Aber ich erinnere mich nicht, diese Stadt gesehen zu haben.« »Sie ist dir völlig fremd?« »Völlig.« »Es ist denkbar, daß sie erst errichtet wurde, nachdem du Pthor verlassen hattest«, kam es mir in den Sinn. »Das ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich«, antwortete Razamon. Dann gab er sich einen Ruck. Die Erkenntnis seiner Gedächtnislücke erfüllte ihn jedesmal von neuem mit dem Gefühl der Hilflosigkeit. Er schüttelte es von sich ab. »Ganz gleichgültig, wie es sich damit verhält«, stieß er barsch hervor, »für uns erhebt sich die Frage, wie wir in diese Stadt hineingelangen.« Dabei wandte er sich unwillkürlich um und warf einen Blick in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Wir befanden uns etwa zwei Kilometer südwestlich der Stelle, an der wir in der vorvorletzten Nacht von Baldur eingeholt und gestellt worden waren, als wir versuchten, dem Kämpfer der Nacht zu entkommen. Damals hatten wir schon die Lichter von Wolterhaven gesehen – dieselben, die uns auch in der vergangenen Nacht geleuchtet hatten. Hinter uns lagen Erlebnisse, die uns wie ein Alptraum auf der Seele lagen: der Kampf mit Baldur, der Marsch zurück in Baldurs Felsenheim, die Vernichtung des Dieners Deckenwiezel, der in Wirklichkeit ein Roboter war, Opals Tod und schließlich der heimtückische Anschlag, den Baldur auf den treuesten aller Getreuen, den Wolf Fenrir, verübt hatte. Unser Abschied aus dem Felsenheim war mehr eine Flucht vor all dem Unheimlichen gewesen, das wir dort gesehen und erlebt hatten. In der ersten Nacht hatten wir uns in den Sand der Wüste eingegraben und geschlafen wie lange nicht mehr. Am darauffolgenden Tag waren wir der metallenen Straße der Mächtigen weiter gefolgt, hatten uns dabei aber Zeit gelassen. Wir waren ausgeruht und bis tief in die Nacht hinein immer nach Südwesten gewandert. Ein letztes
Stadt der Roboter Mal hatten wir das ferne Wehgeheul des Wolfes vernommen. Es kam aus Norden. Fenrir schien sich in Richtung des Blutdschungels zu bewegen. Nach Mitternacht hatten wir ein paar Stunden geruht. Aber schon bald brachte uns die Ungeduld wieder auf die Beine. Kurz bevor die Dämmerung einsetzte, waren wir an die Stelle gelangt, an der die Straße der Mächtigen plötzlich aufhörte. Auch die Wüste blieb hinter uns zurück. Der Boden, den wir betraten, nachdem wir die Straße verlassen hatten, war schwammig und trügerisch. Aus dem Morast wuchsen kurzhalmiges Schilf und hier und da ein paar dornige Büsche. Es war uns bald aufgegangen, daß die Büsche hohen und trockenen Boden bevorzugten. Indem wir uns von einem Busch zum anderen bewegten, gelangten wir vergleichsweise trockenen Fußes durch den Sumpf – bis zu der Stelle, an der wir eben standen. Razamons Blick zurück wies, daß er sich noch immer nicht sicher fühlte. Baldur hatte uns entlassen. In seinem Schmerz über den Tod der Geliebten hatte er allein sein wollen. Aber wer gab uns die Garantie, daß er inzwischen nicht anderen Sinnes geworden war? Die Entfernung bis zum nordöstlichen Rand der Stadt betrug von hier aus noch etwa vier Kilometer. Die metallenen Stangen, die das Gerüst bildeten, strebten glatt und kantenlos in die Höhe. Es schien nirgendwo einen Aufstieg zu geben. Wolterhaven wurde, wie wir wußten, von Robotern bewohnt. Sie mochten ihre eigene Art haben, in ihrer Stadt ein und auszugehen. Aber wir wußten, daß Wolterhaven von Zeit zu Zeit auch menschliche Besucher beherbergte – die Händler von Orxeya zum Beispiel, die den Robotbürgern lieferten, was diese begehrten, und dafür Werkzeuge und Instrumente bekamen. Es mußte also einen Zugang geben. Infolge des schwierigen Geländes brauchten wir fast eine Stunde, um den Stadtrand zu erreichen. Während dieser Zeit gab es
7 keinerlei Anzeichen dafür, daß wir von Wolterhaven aus beobachtet würden. Die Stadt lag still, wie ausgestorben. Ich warf die schweren Satteltaschen zu Boden. Wir machten uns daran, eine der Gerüststangen zu untersuchen. Sie war in Wirklichkeit eher eine Säule, mehr als zwei Meter im Durchmesser und hohl, wie der Klang der metallenen Wandung verriet. Die Höhe der Säule betrug zehn Meter, die Entfernung bis zu ihrer Nachbarin mehr als das Zehnfache. Ich hielt es für möglich, daß der Aufgang zur Stadt sich im Innern der Säule befand. Aber ich war nicht sicher, ob ausgerechnet diese Säule einen Zugang enthielt. Der Gedanke, wir müßten womöglich der Reihe nach alle Gerüstsäulen untersuchen, war alles andere als erhebend. Razamon bearbeitete das Metall mit dem Knauf seines Messers. Er wollte an dem Klang der Klopftöne erkennen, ob es irgendwo eine Diskontinuität gab, wie sie beim Einbau einer Tür unwillkürlich entstehen mußte. Er umrundete die Säule zweimal. Dann schob er das Messer mit einem Fluch wieder in den Gürtel zurück. »So kommen wir nicht weiter!« knurrte er. In diesem Augenblick erklang aus der Höhe eine fremde Stimme: »Ihr müßt neu sein, wenn ihr nicht wißt, wie man sich zur Stadt der Herren Zutritt verschafft!«
* Ich trat drei Schritte zurück und blickte an der Säule hinauf. Oben, auf der Kante des Gerüsts, stand ein merkwürdiges Geschöpf, das mich an Deckenwiezel erinnerte. Es war größer als Baldurs Diener; aber es bestand aus demselben Durcheinander von runden und kantigen Bauteilen, mit Meßskalen, Schaltknöpfen und einem System großer Linsen. »Wer bist du?« rief ich hinauf. »Ich bin Iwein, ein Arbeiter des großen Herrn Moonkay«, antwortete das mechani-
8 sche Wesen mit knarrender Stimme, jedoch in einwandfreiem Pthora. »Und wie gelangt man in die Stadt?« Iwein war nicht bereit, diese Frage ohne weiteres zu beantworten. »Was wollt ihr hier?« erkundigte er sich. »Wir bringen Waren für die Robotbürger von Wolterhaven.« »Aus Orxeya?« »Ja.« »Ihr wollt aus Orxeya kommen und wißt nicht, wie man in die Stadt gelangt? Hat man euch dort nicht gesagt, was die Vorschrift der Vollkommenheit erfordert?« »Nein.« »Es fällt mir schwer, dir zu glauben. Vielleicht seid ihr Räuber, die es auf die Schätze dieser Stadt abgesehen haben!« Ich bemerkte, daß Razamon allmählich ungeduldig wurde. Ich mußte die Verhandlung mit dem Roboter rasch zu einem befriedigenden Abschluß bringen, oder der Atlanter würde vor Zorn explodieren und uns mit einem seiner berserkerhaften Anfälle jegliche Aussicht, jemals in die Stadt zu gelangen, für immer verderben. »Ich nehme dir deinen Zweifel nicht übel«, antwortete ich Iwein. »Wir aber sind nicht eigentlich Händler aus Orxeya, sondern Steinbildner, die für einen Magier in der Großen Barriere von Oth arbeiten. Auf der Suche nach Vorbildern gelangten wir in die Stadt der Händler. Dort nahm man uns gefangen. Wir kamen nur dadurch wieder frei, daß wir uns bei einem Händler verdingten, der uns den Auftrag gab, Waren nach Wolterhaven zu bringen.« »Und er schickte euch zu Fuß auf den Weg?« »Nein, er gab uns eine vollständige Ausrüstung. Unsere Yassels wurden scheu und rannten in den Blutdschungel. Dort wurden sie von den Bropen getötet.« »Deine Geschichte klingt phantastisch, aber sie ergibt Sinn«, bemerkte Iwein, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht hatte. »Was für Waren bringt ihr?« »Steine«, antwortete ich vorsichtig. Iwein
Kurt Mahr schien trotzdem zu wissen, was ich meinte. »Das ist gut!« rief er. »Und wer ist der Händler, an den ihr euch verdingtet?« »Er heißt Gäham Lastor.« Iwein machte eine Geste der Zustimmung. »Das ist richtig. Gäham Lastor ist einer der Händler, mit denen mein Herr Geschäfte betreibt. Ich will euch also glauben. Auch will ich euch erklären, wie man Zutritt zur Stadt erlangt. Die Vorschrift der Vollkommenheit erfordert, daß nur vollkommene Ware nach Wolterhaven gelangt. Es muß also eine Prüfung der Ware erfolgen, wobei der geprüfte Gegenstand unmittelbar in den Besitz des Prüfers übergeht. Verstehst du das?« Das war lustig. Seine geschraubte Erklärung lief auf nichts anderes hinaus, als daß er von uns ein Bakschisch haben wollte. Ein bestechlicher Roboter! »Wenn die Vorschrift es verlangt, dann müssen wir danach handeln«, antwortete ich. »Zeig uns den Aufgang, und der Prüfer wird erhalten, was des Prüfers ist.« »Der Prüfer bin ich!« machte Iwein mich aufmerksam. »Das habe ich schon begriffen.« »Gut. Geht zwei Säulen weiter nach Nordwesten. Dort werdet ihr eine Öffnung finden. In diese tretet ihr ein. Ich erwarte euch.« Ohne sich um meine Reaktion zu kümmern, machte er sich auf den Weg, um rechtzeitig am Ziel zu sein. Er bewegte sich dabei wackelnd auf einem Paar vielgliedriger, dünner Beine. Razamon hatte sich inzwischen beruhigt. Humpelnd las er die Satteltaschen wieder auf und reichte sie mir. »Was will ein Roboter mit Illusionssteinen anfangen?« fragte er. »Ich weiß es nicht. Aber die Ladung war von allem Anfang an für die Roboter von Wolterhaven bestimmt. Lastor wird schon wissen, was sie damit machen.« »Für die Herren!« verbesserte mich Razamon. »Für die Robotbürger von Wolterhaven, nicht für die Diener.«
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* Es war, wie Iwein gesagt hatte: In der zweiten Säule hatte sich eine rechteckige Öffnung aufgetan. Ich trat hinein und wurde sofort vom Sog eines kräftigen Antigravfelds erfaßt, das mich schnell in die Höhe riß. Ehe ich es mich versah, schoß ich aus dem offenen Säulenhals hinaus. Das Feld setzte mich ziemlich unsanft ab. Ich hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. Razamon war nur wenige Meter hinter mir. Es erging ihm nicht besser. Iwein war bereits zur Stelle. Er reckte mir einen seiner biegsamen Arme entgegen und gab durch das Spreizen der vier Greifklauen zu verstehen, daß er sein Bakschisch jetzt gleich empfangen wolle. Ich öffnete eine Satteltasche. »Wo wohnt dein Herr?« fragte ich. »Der Herr Moonkay ist der mächtigste unter den Robotbürgern«, antwortete Iwein. »Er wohnt an der höchsten Stelle der Stadt, wie es seinem Rang gebührt.« Ich sah mich um. Am Rand der Plattform, auf der die Stadt gebaut war, standen ein paar fensterlose, quaderförmige Gebäude. Zwischen ihnen hindurch führte ein breiter Pfad in Richtung des Stadtinneren. Etwa zweihundert Meter entfernt erhob sich die Plattform abrupt auf ein höheres Niveau. Dort erblickte ich den ersten Kuppelbau. »Diese Stadt ist nicht für Menschenbeine gebaut«, sagte ich zu Iwein. »Wie kommen wir dort hinauf?« »Wenn ich euch meinem Herrn anmelde, wird er dafür sorgen, daß die Aufgänge überall offen stehen.« Ich langte in die Satteltasche. »Dann melde uns an!« forderte ich den Roboter auf. »Sobald ich die Ware geprüft und ihre Vollkommenheit festgestellt habe«, antwortete er unerbittlich. Ich bekam einen der Illusionssteine zu fassen. Solange er sich in der Tiefe der Tasche befand, wirkte er wie ein unscheinbares
Stück Fels. Aber als das Licht der Morgensonne ihn traf, glühte er auf und begann, in allen Farben des Spektrums zu leuchten. Gleichzeitig wurde er durchsichtig. Der Blick durch einen Illusionsstein erschloß Lichtquellen, die das unbewaffnete Auge nicht wahrzunehmen vermochte, und ließ die Welt in einem Feuer von berauschender Schönheit erstrahlen. Wer lange genug durch einen Stein blickte, wurde schließlich selber berauscht und verlor den Kontakt zur Wirklichkeit. Iwein hatte es sehr eilig, in den Besitz des Geschenks zu kommen. Er riß mir den Stein fast aus der Hand. »Vergiß nicht, uns anzumelden«, mahnte ich. Iwein antwortete nicht. Er führte den Stein vor eine der großen Linsen, die den Oberteil seines verschachtelten Körpers zierten. Sekundenlang stand er still. Dann drang ein wohlgefälliges Brummen aus dem Innern des Metallgebildes. Gleichzeitig begann der Roboter sich zu bewegen. Er trat von einem Bein aufs andere und schwankte dabei hin und her wie ein Betrunkener. Das Brummen wurde heller und lauter und Iweins Gehüpfe immer schneller. »Oh Schönheit … oh Wohlgefallen … oh Herrlichkeit … oh Wonne!« »Hast du uns bei deinem Herrn angemeldet?« fragte ich besorgt. »Oh Farbenpracht … oh Feuerrausch …« Razamon schnellte vorwärts und versuchte, Iwein den Illusionsstein zu entreißen. Der Roboter aber, obwohl im Zustand höchster Verzückung, war schneller als er. Mit einem kräftigen Sprung hob er sich von der Plattform. Vor unseren erstaunten Blicken schwebte er davon, in die Stadt hinein, dabei immer höher steigend und die quaderförmigen Gebäude unter sich zurücklassend. Das letzte, was wir von ihm hörten, war ein schriller Entzückungsschrei. Dann verschwand er auf einer der höhergelegenen Ebenen der Stadt. Wir beide sahen einander an. »Ein Roboter mit Halluzinationen!« stieß
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Razamon hervor. »Wir hätten darauf dringen sollen, daß er uns anmeldet, bevor wir ihm den Stein gaben.« Der Vorwurf war gerechtfertigt. Andererseits hatte ich nicht vorhersagen können, daß Iwein auf den Illusionsstein in derselben Weise reagieren würde wie ein Mensch. »Wir können nur hoffen, daß die Anmeldung trotz allem erfolgt ist«, sagte ich.
3. Der Angriff kam zu einer Zeit, da niemand mit ihm rechnete, nämlich zum hohen Mittag. Gädar Glomps Trupp bewegte sich am Rand des Blutdschungels entlang in südwestlicher Richtung. Der Marsch verlief parallel zur Straße der Mächtigen, die etwa zehn Kilometer entfernt im Südosten lag. Die Straße hatte Gädar Glomp nicht zu benützen gewagt, weil Baldur ein höchst unberechenbarer Geselle war, dem man besser aus dem Weg ging. Als die Sonne den höchsten Punkt erreichte, bog Gädar Glomp mit seinem Trupp um eine Spitze, die der Dschungel weit in die angrenzende Steppe vortrieb. Wie er es gewöhnt war, wandte Gädar sich im Sattel seines Yassels um und vergewisserte sich, daß keiner von seinen Leuten zurückblieb. Da raschelte es über ihm im Laubdach des Dschungels. Gädar Glomp hörte einen Schrei und reagierte instinktiv. Er riß seinen Yassel herum und setzte ihm die Fersen in die Weichen. »Aufgepaßt!« schrie er dabei. Seine Reaktion war keine Zehntelsekunde zu früh geschehen. Aus den Bäumen regnete es plötzlich Körper – kleine, zierliche Gestalten mit zerbrechlichen Beinen und unglaublich langen Armen. Mit gellendem Geschrei stürzten sie sich auf die Kämpfer des Trupps. Sie schwangen plumpe Steinbeile, die sie mit unglaublichem Geschick handhabten. Zwei der bleichen, affenartigen Geschöpfe hatten sich Gädar Glomp als Opfer ausge-
sucht. Hätte Gädar nicht so blitzschnell reagiert, wären sie auf dem Rücken seines Yassels gelandet und hätten ihm zweifellos den Garaus gemacht. Gädars Yassel jedoch hatte sich und seinen Reiter mit einem gewaltigen Satz aus der Gefahrenzone katapultiert. Gädar griff mit der Linken hart in die Zügel und riß das Tier herum, bevor es in die Steppe hinausgaloppieren konnte. Die beiden Angreifer hatten ihren Fehlsprung mit ärgerlichem Geheul quittiert. Sie kamen auf Gädar zugestürmt, die Arme mit den Steinbeilen hoch erhoben. Gädar sah die vor Wut weit aufgerissenen Augen in den bleichen, eingefallenen Gesichtern und die drei grauen Haarbüschel, die die Angreifer auf dem sonst nackten Schädel trugen. Bropen! fuhr es ihm durch den Sinn. Mit einem Ruck riß er das Breitschwert aus der Scheide. Der Yassel, als wüßte er genau, worum es ging, machte einen Sprung zur Seite, gerade als einer der beiden Angreifer das Beil schleuderte. Die gefährliche Waffe zischte seitlich an Gädar Glomp vorbei. Zuckend fuhr das Schwert auf den ersten Angreifer hernieder. Die blitzende Klinge trennte den Schädel vom Rumpf des Bropen. In diesem Augenblick schrie der Yassel hell auf. Die steinerne Schneide der Axt des zweiten Angreifers hatte ihn getroffen. An seiner Seite klaffte eine fingerlange Wunde. Gädar hatte Mühe, das Tier unter Kontrolle zu halten. Er riß es herum. Der Brope stand vor ihm. Er hatte die Waffe zum Schlag erhoben. Aber als er dem anstürmenden Gädar in die blitzenden Augen blickte, da fuhr ihm die Angst in die Knochen. Mit einem Schrei ließ er die Axt fahren, warf sich herum und schnellte sich mit weiten Sprüngen auf die schützende Wand des Dschungels zu. Knurrend stieß Gädar das Schwert wieder in die Scheide. Er maß die Entfernung, die der Flüchtende noch zurückzulegen hatte. Fast gemächlich zog er die Skerzaal aus dem Gurt, der hinter dem Sattel um den Leib des Yassels befestigt war. Mit Bedacht legte er
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den schweren, stählernen Bolzen ein, spannte die Sehne und zielte. Das tödliche Geschoß fuhr dem Bropen mitten ins Leben – gerade in dem Augenblick, in dem er in die Höhe sprang, um einen tief hängenden Ast zu erreichen. Gädar Glomp sah sich um. Überall waren seine Krieger in Einzelkämpfe mit den Bropen verwickelt. Die affenartigen Geschöpfe waren weit in der Überzahl. Dafür hatten sie es mit erfahrenen Kämpfern zu tun. Wo es ihnen nicht gelang, ihr Opfer im ersten Ansturm zu töten, da unterlagen sie. Gädar sprang aus dem Sattel. Mit gellendem Kriegsschrei fuhr er mitten in das Kampfgetümmel hinein. Hoch zuckte sein furchtbares Schwert, und wo es traf, da ließ einer der heimtückischen Angreifer sein Leben. Es dauerte nicht lange, da begriffen die Bropen, daß hier nichts zu holen war. So gut sie konnten, lösten sie sich von ihren Gegnern und flüchteten in den Dschungel. Mancher allerdings wurde noch das Opfer eines flinken Skerzaal-Bolzens, bevor er die rettende Laubwand erreichte.
* Gädar Glomp wandte sich seinem Yassel zu. Es war dort niedergesunken, wo er aus dem Sattel gesprungen war. In den Augen des Tieres spiegelte sich der Schmerz, den die Wunde verursachte. Gädar strich über das weiße Fell und murmelte beruhigende Worte. Er untersuchte die Wunde und entfernte Schmutzteilchen von ihren Rändern, indem er Wasser aus seiner Kalebasse auf ein reines Tuch träufelte und die Wundränder damit betupfte. Es war fast rührend zu sehen, wie behutsam der gewaltige Krieger, der fast zwei Meter hoch stand und einen wallenden, feuerroten Bart trug, mit seinem Reittier umging. Er richtete sich auf. Sein Blick fiel auf einen seiner Leute. Er war verwundet und damit beschäftigt, sich selbst zu verbinden. »He, Otrant! Komm her!« dröhnte Gädars Stimme.
Der Verwundete erhob sich und kam auf ihn zu. »Geh in den Wald«, trug Gädar ihm auf, »und bringe mir eine Handvoll Blätter des Baumes Yggdra. Ich brauche sie für meinen Yassel.« Otrant, ein junger Mann von eher breitem als hohem Wuchs, warf zunächst einen mißmutigen Blick auf den Verband, den er erst zur Hälfte angelegt hatte. Dann sah er in Richtung des Dschungels. Ungewißheit lag in seinem Blick. »Die Bropen …«, begann er, doch Gädar fiel ihm sogleich ins Wort. »Die Bropen sind froh, daß niemand sie verfolgt«, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Du brauchst dich vor ihnen nicht zu fürchten. Jetzt geh und bringe mir die Blätter!« Otrant gehorchte. Gädar Glomp war ein unerbittlicher Kriegsherr. Gädar versuchte, mit sanftem Streicheln und halblautem Zureden seinen Yassel zu beruhigen, während Otrant in den Wald eindrang und nach einem Exemplar des Baumes Yggdra suchte. Minuten später kehrte er zurück. Er trug eine Handvoll blaugrüner Blätter. Aber der Arm, in dessen Hand er sie trug, war von Stichen der Mordwespen gerötet und angeschwollen. »Hier sind die Blätter«, sagte er mürrisch. Gädar nahm sie ihm ohne ein Wort des Dankes ab und breitete sie über die Wunde in der Seite des Yassels. Er befestigte sie dort mit einem Verband. Den Verband stellte er her, indem er sein Hemd mit dem Schwert in Streifen zerschnitt, diese zusammenknotete und um den Leib des Tieres schlang. Als er damit fertig war, tätschelte er den breiten Schädel des Yassels und murmelte: »Bleib liegen und ruh dich aus, mein Guter. Morgen wirst du wieder so kräftig sein wie eh und je.« Erst dann schickte er sich an, das Schlachtfeld zu inspizieren. Er trat der Reihe nach zu einigen Kriegern, die reglos am Boden lagen, und überzeugte sich, daß kein Le-
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ben mehr in ihnen war. Er untersuchte die gestürzten Yassels und gab einem von ihnen den Gnadenstoß, um ihm unnötige Schmerzen zu ersparen. Bei seinem Rundgang stieß er schließlich auf Vernigor, seinen Stellvertreter. Vernigor war ein breitschultriger, mittelgroß gewachsener Mann von unbestimmbarem Alter. Gesicht und Arme waren von den Narben früherer Kämpfe gezeichnet. Vernigor trug einen stählernen Spitzhelm, unter dem eine Fülle braunen Haars hervorquoll und dem Krieger bis auf die Schultern reichte. Vernigors Lieblingswaffe war das Langschwert. Ein riesiges Exemplar dieses Waffentyps trug er am Hüftgurt. »Wir haben elf Mann verloren, Gädar«, knurrte Vernigor wütend. »Der Teufel soll die hinterlistigen Bropen holen!« »Sie haben ihre Taktik geändert«, antwortete Gädar Glomp und musterte mit aufmerksamen Blick den Rand des Dschungels. »Noch vor einem Jahr wäre ihnen nicht eingefallen, am hellichten Tag einen Überfall zu machen.« »Wie verfahren wir weiter?« wollte Vernigor wissen. »Wir erweisen den toten Kriegern die letzte Ehre«, entschied Gädar. »Laß die Leute Holz sammeln und Scheiterhaufen errichten.« »Willst du hierbleiben?« fragte Vernigor überrascht. »Ja. Bis morgen früh.« »Die Bropen werden zurückkehren, um ihre Toten zu bergen!« Gädar verneinte. »Die Bropen bergen ihre Toten nicht, sie fressen sie. Da wir ihnen aber eine heillose Angst eingejagt haben, werden sie nicht zurückkommen, solange wir hier sind. Immerhin magst du ein paar von den Jungen beauftragen, sie sollen die Leichen der haarlosen Affen am Rand des Waldes aufstapeln.« Vernigor ging, um sich seiner Aufträge zu entledigen.
*
Als die Sonne versank, loderten die Scheiterhaufen auf. Jeder von ihnen trug einen der toten Krieger, wie die Sitte es befahl. Eine Stunde dauerte die Zeremonie. Gädar Glomp griff eine Handvoll heißer Asche aus den Überresten eines Feuers und warf sie in die Luft, so daß der Wind sie mit sich davonführte. »Wolkenheim – hier kommen elf tapfere Krieger!« rief er dazu mit lauter, dröhnender Stimme. Dann entfachten sie Lagerfeuer und verzehrten vom Fleisch der getöteten Yassels. Gädar hatte Wachen aufgestellt, die das Lager nach dem Blutdschungel wie nach der Steppe hin sicherten. Er saß mit Vernigor an einem Feuer, das in unmittelbarer Nähe der Waldspitze brannte, bei der der Kampf begonnen hatte. »Elf Mann und acht Yassels«, knurrte Gädar mit vollem Mund. »Es bleiben uns noch einundachtzig Mann. Ich meine, wir sind trotz allem nicht allzu schlecht davongekommen. Wir haben noch genug Leute, um den Robotbürgern von Wolterhaven ihre Schätze abzunehmen.« »Wenn nur Gähams beide Boten die Stadt ohne Zwischenfall erreicht haben«, meinte Vernigor. »Die machten auf mich nicht den Eindruck, als würden sie sich in ihren Plänen so ohne weiteres stören lassen!« »Immerhin haben wir ihre Spur verloren. Wir wissen nicht, ob sie sich vor oder hinter uns befinden.« »Vor ein paar Tagen gab es einen mächtigen Sandsturm in dieser Gegend. Man hat ihn von Orxeya aus beobachtet, wie er durch die Wüste strich. Was Wunder, daß wir da keine Spuren mehr finden!« »Wer ist eigentlich Ginover?« fragte Vernigor plötzlich. »Woher kommt sie, und warum ist Gäham so wild auf sie?« Ein breites Grinsen erschien auf Gädars Gesicht. »Ginover ist ein Weib – so schön, wie es noch nie zuvor in Pthor gesehen wurde. Ihre Haut sei schwarz, sagt man, ihre Lippen
Stadt der Roboter blutrot und voll. Sie bringt einen Mann zur Raserei, wenn er sie nur anschaut, behaupten viele. Woher sie kommt, weiß man nicht. Einige sagen, sie sei eine Sklavin der Herren der FESTUNG und habe von dort entkommen können. Andere wieder meinen, sie stamme von einem der großen Magier ab, die in der Großen Barriere von Oth wohnen. Und schließlich gibt es eine kleine Gruppe von ganz Schlauen, die behaupten, Ginover sei nichts anderes als eine von den Teufeln mit besonderer Sorgfalt gestaltete Bestie der Nacht.« »Sie lebt in Wolterhaven?« »Das will Gäham Lastor zuverlässig erfahren haben«, antwortete Gädar. »Und wenn wir sie ihm bringen, erhält jeder von uns einhundert Quorks.« »Jeder von uns?« staunte Vernigor. »Das wären über achttausend Quorks!« »Jeder von uns beiden, du Narr«, brummte Gädar. »Oder meinst du, Gäham verschwendet seinen Reichtum an das Fußvolk?« Vernigor riß mit kräftigen Zähnen ein Stück seines Bratens ab. »Hundert Quorks – das ist fast schon ein Reichtum. Was aber hat Gäham über den Transport dieses Weibes bestimmt?« Gädar musterte seinen Gegenüber mit mißtrauischem Blick. »Wie meinst du das?« »Nun – wenn sie wirklich so hinreißend schön ist, wie du sagst, dürfen wir dann auch ein wenig von ihrer Schönheit genießen, oder …« Weiter kam er nicht. Gädars Arm schoß blitzschnell nach vorne. Über die Glut des Feuers hinweg packte er Vernigor beim Kragen und zog ihn zu sich heran, bis die Hitze Vernigors Barthaare versengte. Vernigor war so erschrocken, daß er das Messer mit dem Fleisch hatte fallen lassen. Außerdem verschluckte er sich an dem Bissen, auf dem er gerade kaute, und bekam einen wilden Hustenanfall. Gädar ließ ihn nicht eher wieder los, als bis er sich beruhigt hatte. Inzwischen war Vernigors Bart zur
13 Hälfte verbrannt, und auf seiner Haut, aber auch auf Gädars Arm, hatten sich Brandblasen gebildet. Gädar gab seinem Gegenüber einen wütenden Stoß, daß Vernigor auf den Rücken purzelte. Dann sagte er mit gefährlich leiser Stimme: »Laß mich diese Frage nicht noch einmal hören! Ginover ist unantastbar – für dich, für mich und wahrscheinlich sogar für Gäham. Sie ist eine Halbgöttin und nicht für Händler oder ihre Söldner gemacht.« Vernigor richtete sich mühsam wieder auf. Er suchte nach seinem Bratenstück. Dadurch vermied er, seinem Anführer in die Augen blicken zu müssen. Mit rauher Stimme murmelte er: »War ja nicht so gemeint! Man wird doch noch eine Frage stellen können!« »Diese nicht!« herrschte Gädar ihn an. Vernigor zuckte mit den Schultern und fuhr fort zu essen. Später aber bedachte er den Anführer mit einem Blick, aus dem der blanke Haß sprach.
* Am nächsten Morgen wurde bekannt, daß der Krieger Otrant die Nacht nicht überlebt hatte. Er war nicht an seinen Wunden gestorben, sondern am Gift der Mordwespen, die ihn gestochen hatten, während er nach den Blättern des Baumes Yggdra suchte. So straff war die Disziplin des Söldnertrupps, daß niemand es wagte, Gädar wegen Otrants Tod einen Vorwurf zu machen. Auf der noch heißen Asche eines der Lagerfeuer wurde ein weiterer Scheiterhaufen aufgebaut. Otrant wurde nach dem Zeremoniell der Kriegsleute bestattet. Aber man wartete nicht, bis das Feuer herabgebrannt war. Sie saßen vorher auf und ritten davon. Gädars Yassel hatte sich gut erholt. Als sie um die Waldecke bogen, sanken die Flammen über dem toten Otrant in sich zusammen.
14 Der Rand des Blutdschungels verlief zunächst in südwestlicher Richtung, und man blieb ihm so nahe, wie es die Sicherheit des Trupps angesichts der Gefahren, die im Dschungel lauerten, geraten erscheinen ließ. Gegen Mittag bog die Kante, mit der der Blutdschungel gegen die angrenzende Steppe abschloß, nach Westen um. Für Gädar war das das Zeichen, daß man sich Wolterhaven näherte. Tatsächlich erschien wenige Stunden später die Silhouette der Stadt am südlichen Horizont, und nach abermals einer Stunde war das Rauschen des Meeres zu hören. Gädar Glomp ließ anhalten. Er ordnete an, daß zwei Feuer angezündet und mit nassem Holz gefüttert würden. Dadurch entstanden zwei mächtige Qualmsäulen, die der aus Süden wehende Wind in den Dschungel hineintrieb, so daß sie von Wolterhaven aus nicht gesehen werden konnten. Danach rief Gädar seinen scharfäugigsten Krieger zu sich: Kyrol, das Weitgesicht. Kyrol war noch sehr jung. Er stand kaum mehr als fünf Fuß hoch und hatte einen verwachsenen Rücken. Man sagte, er sei im Kopf nicht ganz richtig. Die übergroßen Augen und der schiefe Mund gaben solchen Gerüchten zusätzliche Nahrung. »Du wirst für mich in diesen Baum dort hinaufklettern, Weitgesicht«, sagte Gädar und deutete auf ein Gewächs, das kerzengerade fast dreißig Meter in die Höhe stieg. Kyrol sah sich um. Er hatte Angst, das war unschwer zu erkennen. »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, ermahnte ihn Gädar. »Der Rauch vertreibt alle Wespen.« Kyrol biß sich auf die schiefe Unterlippe und nickte. »Was soll ich dort tun?« fragte er. »Schau in die Stadt hinein und berichte mir alles, was du dort siehst. Ich will wissen, ob es in der Stadt lebhaft zugeht oder nicht.« Kyrol kletterte mühelos den gewaltigen Baum hinauf und hielt erst inne, als der Wipfel unter seinem Gewicht gefährlich zu schwanken begann. Er blieb auf seinem Ausguck, bis Gädar ihn zurückrief.
Kurt Mahr »Nun?« erkundigte sich der Anführer. Das Weitgesicht schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Bewegung in der Stadt. Alles ist völlig ruhig.« Vernigor war hinzugetreten. »Das kann nur eines von zwei Dingen heißen«, knurrte er: »Entweder haben die Steine nicht die gewünschte Wirkung, oder die Fremden sind unterwegs aufgehalten worden.« »Gäham ist seiner Sache völlig sicher«, antwortete Gädar. »Es muß also die zweite Möglichkeit sein. Die Fremden sind noch nicht nach Wolterhaven gelangt.« Mit prüfendem Blick überflog er die Umgebung und entschied, daß sie zum Lagern geeignet sei. »Wir bleiben hier und warten«, sagte er. »Die Ruhe wird uns guttun. Vernigor, bestimme drei Leute, die die Rüstung überstreifen, damit ihnen die Insekten nichts anhaben, und im Dschungel nach einer Quelle oder nach Saftblüten suchen. Wir müssen mit den Vorräten sorgsam umgehen.« Dies geschah. Im weiteren Verlauf des Nachmittags und des frühen Abends kletterte Kyrol, das Weitgesicht, noch mehrmals auf den Baum und hielt Ausschau. Aber bis zum Untergang der Sonne gab es in Wolterhaven keinerlei Anzeichen von derjenigen Art Aktivität, die Gädar Glomp zu sehen erwartete. Dies war der fünfte Tag, seit die beiden Fremden Razamon und Atlan die Stadt Orxeya verlassen hatten. Gädar Glomp beabsichtigte, höchstens noch zwei Tage zu warten. Hatte sich bis dahin in Wolterhaven nichts gerührt, würde er mit seinen Kriegern nach Orxeya zurückkehren.
4. Die Informationen, die die Herren der FESTUNG geliefert hatten, waren analysiert. Die Mehrzahl der Robotbürger von Wolterhaven hatte sich aus dem Denkverbund, dem die Analyse oblag, gelöst und gingen wieder ihren privaten Verrichtungen nach. Nur die
Stadt der Roboter drei mächtigsten waren noch an der Arbeit: die Herren Moonkay, Erek und Geraint. Sie diskutierten das Ergebnis der Analyse. Ihre Worte waren elektromagnetische Impulsfolgen, schnell wie das Licht und still wie die Tiefe des Meeres. »Ich stelle fest, daß wir ein bedeutendes Stück vorwärts gekommen sind«, sagte der Herr Moonkay. »Nicht nur wissen wir nun mit Sicherheit, daß die Welt, auf der wir uns dieser Tage befinden, Kundschafter nach Pthor gesandt hat. Wir kennen auch ihren bisherigen Pfad. Und wir wissen, daß mit dem Auftauchen der Kundschafter in der Stadt Wolterhaven gerechnet werden muß.« »Das ist richtig«, pflichtete der Herr Geraint bei. »Mehr noch: Wir wissen, daß es sich bei den Kundschaftern um zwei Männer handelt.« »Wir kennen indes ihre Namen nicht«, bemerkte der Herr Erek, der im Rat der drei immer der bedächtigste war. »Die Namen wären leicht zu erfahren«, überlegte der Herr Moonkay. »Man müßte die Herren der FESTUNG bitten, daß sie ihre Informanten nochmals um Auskunft bitten. Wir wissen jetzt, welche Informanten die bedeutsamen Daten geliefert haben, nämlich die in Panyxan, Zbohr, Zbahn und Orxeya. Das eben muß der Weg gewesen sein, den die beiden Fremden genommen haben. Was an Nachrichten von sonstwoher kommt, können wir getrost vergessen. Es reimt sich nicht mit den anderen Dingen zusammen.« Der Herr Geraint hatte darauf nichts zu erwidern. Der Herr Erek dagegen meinte: »Indem wir die Herren der FESTUNG um zusätzliche Informationen bitten, gestehen wir ein, daß wir aus eigener Lage nicht fähig sind, das Rätsel zu lösen. Ich frage: Haben wir das nötig?« Der Einwand war berechtigt, erkannte der Herr Moonkay. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß die beiden Kundschafter über kurz oder lang nach Wolterhaven gelangen würden. Wozu brauchte man dann ihre Namen?
15 »Ich stimme dir zu, Robotbürger Erek«, sagte er deswegen. »Wenn auch der Robotbürger Geraint sich unserer Ansicht anschließt, dann brauchen wir über eine weitere Bitte an die Herren der FESTUNG nicht mehr zu sprechen.« »Ich bin einverstanden«, ließ der Herr Geraint sich hören. »Gut. Dann formuliere ich die entsprechende Meldung.«
* »Wir sind den Fremden auf der Spur, ihr Mächtigen!« berichtete der Herr Moonkay an seine Auftraggeber. Er wartete auf ein Zeichen, daß seine Worte gehört worden waren. Es wurde alsbald gegeben, zusammen mit der Aufforderung, Einzelheiten zu berichten. Der Herr Moonkay gehorchte pflichteifrig. »Es handelt sich um zwei Männer. Sie müssen in der Bucht der Zwillinge an Land gegangen sein. Von dort aus läßt sich ihr Weg über Panyxan, Zbohr, Zbahn bis nach Orxeya verfolgen.« Er fügte noch mehr Details hinzu. Daß die beiden Männer unmöglich Pthorer sein konnten, weil sie fremde Künste beherrschten und sich vor der Straße der Mächtigen nicht fürchteten. Daß sie in der Stadt Orxeya aufgegriffen worden waren, weil sie keinen Seelenschein hatten – und weitere Dinge mehr, die allesamt darauf hindeutete, daß die beiden sich mit den Verhältnissen in Pthor nicht besonders gut auskannten. Die Herren der FESTUNG hielten die Analyse der Robotbürger für richtig. Der Herr Moonkay bekam sogar ein Lob zu hören: »Ihr habt gute Arbeit geleistet. Du sagst, die Fremden seien demnächst in Wolterhaven zu erwarten?« »Sie scheinen sich an die Straße zu halten, ihr Mächtigen«, gab der Herr Moonkay zu bedenken. »Der nächste Ort entlang der Straße aber ist Wolterhaven.« »Die beiden Kundschafter sind sofort
16 festzunehmen, sobald sie in Wolterhaven auftauchen!« befahl die Stimme aus der FESTUNG. »Wir werden tun, was die Mächtigen uns auftragen«, antwortete der Herr Moonkay, und damit war die Unterhaltung beendet. Der Herr Moonkay setzte sich nun seinerseits wieder mit den Robotbürgern Erek und Geraint in Verbindung. Er teilte ihnen mit, was die Herren der FESTUNG ihm aufgetragen hatten. Die drei Bürger einigten sich darauf, wie sie den Wachdienst entlang den Grenzen der Stadt unter ihren Dienern verteilen wollten. Dann rief der Bürger Moonkay nach seinem Diener Iwein. Er sollte das Kommando über die Wachen am Stadtrand übernehmen. Es wunderte den Herrn Moonkay, daß Iwein sich nicht sofort meldete. Es bestand immer die Möglichkeit, daß einem der Diener etwas zustieß. Aber Iwein war einer der umsichtigsten unter den Dienern des Herrn Moonkay. Von ihm würde man erst an letzter Stelle erwarten, daß er einen Unfall hatte. Die Besorgnis des Herrn Moonkay erwies sich rasch als grundlos. Der Diener Iwein meldete sich nach dem dritten Anruf – allerdings nicht auf die übliche Art und Weise. »Was willst du, alte Laus?« quengelte er. »Kannst du mich nicht ein paar Stunden in Ruhe lassen?« Der Herr Moonkay empfand das elektronische Äquivalent von Entrüstung. »Deine Antwort entspricht nicht dem vorgeschriebenen Kommunikationskodex!« herrschte er seinen Diener an. »Den Kom … komkatinations … kodex kann meinetwegen der Teufel holen!« antwortete Iwein respektlos. »Sag das noch einmal!« befahl der Herr Moonkay entsetzt. »Kann ich nicht. Ist zu schwierig!« Es gab keinen Zweifel: Der Diener Iwein war verrückt geworden. Der Herr Moonkay zögerte nicht lange. Er sandte den Impuls, der den Diener eigentlich auf der Stelle hätte desaktivieren sollen. Nur: Der Impuls hatte absolut gar keine Wirkung. Der Herr Moon-
Kurt Mahr kay nahm zur Kenntnis, daß er es hier mit einem äußerst komplexen Defekt zu tun hatte. »Hör mir zu!« befahl er Iwein. »Wenn du versprichst, daß es nicht lange dauert«, antwortete der Diener. »Ich habe bessere Dinge zu tun, als dir zuzuhören!« »Es wird nicht lange dauern«, versprach sein Herr. »Welche besseren Dinge hast du zu tun?« »Ich prüfe die Ware der Händler, die von Orxeya gekommen sind. Es ist eine exzellente Ware. Sie versetzt einen in die Lage, die wahre Schönheit der Welt zu erfassen!« Der Herr Moonkay stutzte. »Händler von Orxeya? Wieviele?« »Zwei«, antwortete Iwein. »Erwartetest du sie nicht? Sie sagen, Gäham Lastor hätte sie gesandt.« Es gab allerdings, erinnerte sich der Herr Moonkay, eine Absprache zwischen ihm und Gäham Lastor, daß ihm der letztere eine Warenprobe zur Begutachtung zusenden werde. Es war von einer ganz neuartigen, zauberhaften Ware die Rede gewesen. Insofern klangen Iweins Angaben plausibel – wenn sie auch nicht erklärten, warum der Diener sich in einem derartigen Zustand befand. Und noch etwas gab dem Herrn Moonkay zu denken: zwei Mann aus Orxeya – waren das womöglich die fremden Kundschafter? »Die Händler sagten, ich erwarte sie?« fragte er. »Sie sa … sagten überhaupt nicht viel«, stotterte Iwein. »Nur daß sie Ware für die Robotbürger hätten. Da sie von Gäham Lastor kamen, nahm ich an, sie seien zu dir gesandt.« »Du hättest sie anmelden sollen!« tadelte der Herr Moonkay. »Da … das tue ich hiermit!« lallte der Diener Iwein. Der Herr Moonkay verzichtete darauf, Iwein auf seine durch die Vorschrift der Vollkommenheit festgelegten Pflichten hinzuweisen. Es hätte in diesem Augenblick wenig Sinn gehabt. Statt dessen verlangte er.
Stadt der Roboter
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»Gib mir eine Kostprobe von der Ware, die du gerade prüfst!« »Aber nur einen Au … augenblick lang!« beschwor ihn Iwein. »Sie bringt dich nämlich wirklich aus dem Häuschen!« »Nur ganz kurz«, bestätigte der Herr Moonkay. Im nächsten Augenblick empfing er einen Schauer optischer Impulse. Es war, als sähe er die Welt durch die Augen seines Dieners Iwein – aber wie hatten sich Iweins Augen inzwischen verändert! Die Welt strahlte und funkelte in unbeschreiblichen Farben. Alles war in tanzender, gleitender Bewegung, selbst die starren Gebäude der Stadt Wolterhaven! Wer dieses Bild sah, der begriff intuitiv, daß er zum ersten Mal die Welt schaute, wie sie wirklich war – voller Leben und Farbe – und daß er bisher nur matte Abbilder der Wirklichkeit gesehen hatte. Leider war das erregende, berauschende Schauspiel bald vorüber. Der Diener Iwein hielt sich genau an die Abmachung. »Ich werde die Händler von Orxeya empfangen«, sagte der Herr Moonkay. »Ihre Ware scheint wirklich vorzüglich zu sein.« »Das hättest du mir gleich glauben können«, warf Iwein ihm vor. »Dann hätten wir nicht soviel Zeit zu verschwenden brauchen.«
5. Wir fanden den Weg, wie Iwein ihn beschrieben hatte. Die Stadt war nach wie vor totenstill. Nur hin und wieder ließ sich von ferne eine Art quietschendes Geschrei vernehmen. Wir waren sicher, daß diese Töne von Iwein kamen, den der Anblick des Illusionssteins in den Zustand hochgradiger Verzückung versetzt hatte. Wir erkannten jetzt, daß die Stadt der Robotbürger nicht etwa aus einer einzigen, riesigen Plattform bestand, die die Basis der Gebäude und der mannigfachen Erhebungen bildete, sondern aus zahllosen kleineren Einzelplattformen, von denen jede auf einer Gruppe von Säulen ruhte. Die Säulengrup-
pen waren von unterschiedlicher Höhe. Am Rand einer niedrigen Plattform, die an eine höhere grenzte, sah man zwischen den aufragenden Säulen hindurch bis hinab auf den morastigen Boden, auf dem die Stadt stand. Die Plattformränder waren nicht gesichert – ein Zeichen dafür, daß die Roboter, die diese Stadt bewohnten, sicheren Fußes zu sein glaubten. Moonkay, den Iwein als seinen Herrn bezeichnet hatte, sollte am höchsten Punkt der Stadt wohnen. Infolge der Ausdehnung Wolterhavens war es von unserem Standort aus schwer zu entscheiden, welches die höchstgelegene Plattform sei. Nach langem Hin und Her entschieden wir uns schließlich für eine, die durch einen mächtigen Kuppelbau gekrönt wurde. Es zeigte sich allerdings, daß es keinen direkten Weg dort hinauf gab. Wir suchten die Grenzen unserer Plattform ab und fanden schließlich eine Säule, die bis zu einer Höhe von dreißig Metern aufragte und deren Wandung eine Öffnung enthielt, wie wir sie bereits kannten. Ich trat wiederum als erster hinein und erlebte eine Wiederholung dessen, was mir vor knapp einer halben Stunde zum ersten Mal passiert war: Ein ungemein starkes Antigravfeld erfaßte mich, riß mich in die Höhe und setzte mich unsanft am Rand der höher gelegenen Plattform ab. Was war dies doch für ein ungereimtes Land! In den Wäldern lebten Eingeborene, die noch mit Steinbeilen kämpften. Über die Straße der Mächtigen herrschten Göttersöhne. In Orxeya mußten die Leute Seelenscheine mit sich führen, und der Transport von Handelsgütern über Land geschah auf dem Rücken von Lasttieren. Hier aber, in Wolterhaven, lebten Roboter, deren Gebäude durch ein kompliziertes Metallgerüst davor bewahrt wurden, im Sumpf zu versinken, und zu deren Transportmitteln unter anderem auch Antigravfelder gehörten. Während ich darüber nachdachte, kam mir in den Sinn, daß es eine noch viel größere Ungereimtheit gab. Pthor lag mitten auf der Oberfläche der Erde – die Berge der
18 Großen Barriere von Oth ragten aus dem Atlantik empor. Die großen Städte Lissabon und Casablanca waren weniger als zweitausend Kilometer von hier entfernt. Auf der Erde – ich dachte das so, als befände ich mich schon nicht mehr auf dem Planeten der Menschheit – mußte man wissen, daß ich nirgendwo anders sein konnte als hier; und aus dem Ausbleiben meiner Berichte mußte man schließen, daß es irgend etwas gab, was mich am Absenden von Nachrichten hinderte. In Terrania City mußten sämtliche Alarmsignale gesetzt sein. Eine gewaltige Such und Rettungsaktion hätte längst in Gang gekommen sein müssen. Hier aber, in Pthor, hielt die Zeit den Atem an. Keine Spur von einer Suchaktion, kein Zeichen von der Außenwelt. Es war, als wäre ich in dem Augenblick, in dem ich mich in der Bucht der Zwillinge an Land zog, in einen Bereich eingetreten, der Jahrtausende hinter der Jetztzeit lag. »Das ist eine bedenkenswerte Möglichkeit«, kommentierte mein Extrasinn. Zu weiteren Überlegungen dieser Art ließ mir Razamon keine Zeit. Er war, während ich nachdenklich vor mich hinstarrte, ungeduldig geworden. »Schau dort drüben!« sagte und deutete auf eine Gasse zwischen den Gebäuden entlang zum Rand der Plattform. »Noch eine Säule mit einer Öffnung!« Wir marschierten dorthin. Im Vorbeigehen studierten wir die Gebäude, die zu beiden Seiten der Gasse aufragten. Sie waren von verschiedenerlei Form, Umfang und Höhe. Eines war ihnen allen jedoch gemeinsam: Sie besaßen keine Fenster. Manchmal, wenn wir an einem solchen Bauwerk vorbeikamen, glaubten wir, aus dem Innern ein dumpfes Dröhnen zu hören. Durch die nächste Säule gelangten wir auf eine Höhe von rund fünfzig Metern. Nach mühevoller Suche fanden wir schließlich die nächste Verbindung, die uns auf das Achtzigmeterniveau brachte. Von hier aus hatten wir einen umfassenden Überblick über die Stadt und das angrenzende Land. Die Sicht
Kurt Mahr reichte bis zum Blutdschungel im Norden und im Südwesten bis auf die blaue Fläche des Atlantiks hinaus. Ich meinte, das matte Flimmern wahrzunehmen, das von dem Energieschirm ausging, der die Insel gegen die Umwelt abschirmte. Die Gebäude waren zierlicher und formschöner geworden, je höher wir uns bewegten. Es gab keinen Zweifel, daß für die Robotbürger von Wolterhaven »hoch« und »vornehm« proportionale Begriffe waren. Als wir aus dem offenen Säulenhals torkelten, fanden wir uns wenige Schritte vor einer steinernen Mauer. Allein die Anwesenheit von Natursteinen in diesem Gewirr aus Metall war schon erstaunlich. Wie überrascht waren wir aber erst, als wir durch den hohen Torbogen blickten, der den einzigen Durchgang durch das steinerne Hindernis bildete!
* Blumen in verschwenderischer Fülle und Pracht, tropische Dickichte, hoch aufragende Felsformationen, über die sich in silbernen Fällen klares Wasser ergoß, kleine, verträumte Weiher, gaukelnde Schmetterlinge und Vögel, die in den Zweigen des Gebüschs umherhuschten – wer hätte all das mitten in einer Robotstadt zu sehen erwartet? Wir standen starr. Unser Blick wanderte über die tropische Pflanzenpracht. Der Park war von bedeutender Ausdehnung, wenigstens zwei Kilometer im Geviert. Was hatte die Robotbürger veranlaßt, eine solche Anlage zu schaffen? Wir erkannten jetzt, daß es nur noch eine Plattform gab, die über der unsrigen lag. Sie befand sich in südlicher Richtung. Auf ihr thronte ein riesiger Kuppelbau. Das mußte unser Ziel sein. Auf einem der schmalen Pfade schickten wir uns an, den Park zu durchqueren. Der Weg schlängelte sich durch das Dickicht, dessen Blüten berauschend dufteten. Die kleinen, bunten Vögel empfanden
Stadt der Roboter keinerlei Furcht vor uns. Sie hockten im Gezweig am Wegesrand und beäugten uns neugierig. Plötzlich öffnete sich der Pfad auf eine kreisrunde Lichtung. Die Mitte der Lichtung bildete ein kleiner Weiher. Und aus der Mitte des Weihers wiederum erhob sich eine Statue, die mindestens ebenso atemberaubend war wie der Rest des Parks, dessen Mittelpunkt sie zu bilden schien. Die Statue war aus einem schwarzen, marmorähnlichen Gestein gefertigt und stellte etwa in Lebensgröße eine junge Frau dar. Kopfform, Haartracht und die Lippen deuteten auf negroiden Ursprung hin. Die Frau war in lässig sitzender Haltung dargestellt. Sie war nackt und von – fast möchte ich sagen: entnervender Schönheit. Ohne daß mein Verstand etwas dazu zu sagen hatte, packte mich eine wilde Sehnsucht nach dem Original, das zu dieser Skulptur Modell gestanden hatte. Razamon stöhnte auf. Das brachte mich wieder zur Besinnung. Ich wandte mich nach dem Atlanter um und erschrak über sein Aussehen. Die sonst gelbliche Haut seines Gesichts war kreideweiß. Er hatte die Augen geschlossen. Der Mund bildete einen schmalen, geraden Strich. Er hatte die Zähne so fest aufeinandergebissen, daß die Wangenknochen noch stärker als sonst hervortraten. Eine fremde Macht aber wollte ihn zum Reden zwingen. Ich sah, wie die Mundwinkel zu zucken begannen. Die Lippen öffneten sich. »Ginover …!« schrie er auf – so heftig, daß ich unwillkürlich einen Schritt zurückfuhr. Der Bann war gebrochen. Der fremde Name erlöste Razamon aus der Starre. Er riß die Augen auf und sah sich erstaunt um, als wisse er nicht, wie er hierher geraten war. »Ginover?« wiederholte ich. »Wer ist das?« Er schüttelte den Kopf und wich meinem Blick aus. »Ich weiß es nicht.«
19 »Du kennst diese Frau?« fragte ich. »Ich muß ihr irgendwann einmal begegnet sein«, antwortete er. »Der Name war irgendwo auf dem Grund meines Gedächtnisses vergraben. Ihr Anblick brachte ihn wieder hervor. Nur den Namen, sonst nichts!« Er sagte das mit solcher Heftigkeit, daß ich darauf verzichtete, ihm weitere Fragen zu stellen. Wir schritten weiter. Wir umrundeten den Weiher und folgten unserem Pfad, als er auf der anderen Seite der Lichtung wieder im Gebüsch verschwand. Ich wandte mich noch einmal um und prägte den atemberaubend schönen Anblick in mein Gedächtnis ein. Auch Razamon wollte sich umdrehen. Dann aber gab er sich plötzlich einen Ruck und eilte davon, daß ich Mühe hatte, ihn wieder einzuholen. Kurze Zeit später endete der Buschdschungel. Wir gelangten auf eine blumenübersäte Wiese. In der Luft lag plötzlich ein helles Summen. Ich blickte in die Höhe und sah eine Schar von fünf seltsam geformten Robotern, die von der über uns liegenden Plattform herabglitten und auf uns zukamen. Offenbar entstammten sie verschiedenen Robotfamilien. Denn der eine war eiförmig, der zweite hatte in etwa die Gestalt eines Würfels, der dritte war völlig unregelmäßig geformt und überdies ein Koloß, der vierte wies entfernt humanoide Körperformen auf, und der fünfte schließlich hatte die Gestalt eines Pilzes. Sie alle waren mit unförmigen Linsensystemen ausgestattet. Nachdem sie sich auf dem Gras vor uns niedergelassen hatten, starrten sie uns durch die großen Glasscheiben hindurch an. »Unser Herr Moonkay begehrt euch zu sehen«, eröffnete uns der Pilz. »Gut«, antwortete ich. »Führt uns zu ihm!« »Erst will er euch sehen«, widersprach der Pilz. Ich verstand nicht ganz. »Wie kann er uns sehen, wenn du uns nicht zu ihm führst?« »Er sieht euch durch unsere Augen«, wur-
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de ich belehrt. Ich hätte von selbst darauf kommen können. Der Herr stand in stetiger Verbindung mit seinen Dienern. Razamon und ich ließen die Prüfung, die etwa eine halbe Minute dauerte, geduldig über uns ergehen. »Es ist gut«, erklärte schließlich der humanoide Robot. »Der Herr Moonkay hat euch gesehen. Wir bringen euch jetzt zu ihm.«
* Sie führten uns nicht wirklich zu ihrem Herrn, sondern nur bis an die nächste Säule. Diese brachte uns auf die höchstgelegene Plattform der Stadt. Diesmal aber landeten wir nicht im Freien, sondern inmitten der riesigen Kuppel, die Razamon und ich schon von weitem bewundert hatten. Die drückende Hitze, die draußen über der Stadt lag, blieb hinter uns zurück. Das Innere der Kuppel war klimatisiert, die Luft angenehm kühl. Helligkeit drang aus unauffindbaren Quellen. In der Mitte des Kuppelraums wuchs ein trogähnliches Gestell aus dem Boden. In ihm lagen siebenundzwanzig silbern schimmernde Kugeln von je zwei Metern Durchmesser. Bis auf den Trog und die Kugeln war der Kuppelraum leer. Er hätte kahl gewirkt. Aber das Licht, das gleichmäßig jeden Kubikzentimeter der großen Halle erfüllte, verwischte diesen Eindruck. Es war still in der Weite des kuppelbedeckten Raumes. Kein Geräusch der Außenwelt drang herein. Razamon sah sich ungeduldig um. »Wo bleibt der Robotbürger?« fragte er laut. Ich wollte ihm bedeuten, sich etwas weniger forsch zu geben. Aber bevor ich meine Warnung aussprechen konnte, erscholl eine kräftige Stimme: »Der Robotbürger ist hier!« »Wo?« fragte Razamon. »Vor euch! Seht ihr die silbernen Kugeln nicht?«
Ich staunte. Das war der Robotbürger? Die Kugeln lagen nicht beieinander. Man konnte nicht erkennen, ob sie miteinander verbunden waren. Aber sie mußten es wohl sein, wenn sie zusammen eine Roboteinheit darstellten. »Wir sehen dich«, antwortete Razamon. »Wir bringen Waren aus Orxeya. Bist du der Abnehmer?« »Wenn die Waren von Gäham Lastor kommen, bin ich es. Was bringt ihr?« »Illusionssteine.« »Was ist das?« Razamon warf mir einen überraschten Blick zu. Ich war ebenfalls erstaunt. Wußte der Robotbürger nicht, was er von Lastor zu bekommen hatte? »Es sind Steine, die in merkwürdigen Farben funkeln, wenn das Sonnenlicht sie trifft. Dann werden sie durchsichtig, und wer hindurchblickt, sieht die Welt in ganz anderen Farben und Bewegungen.« Da geschah etwas Sonderbares. Der riesige Kuppelraum war plötzlich erfüllt von einem Geräusch, das sich anhörte wie ein menschlicher Seufzer. Kurz danach erklang die Stimme des Herrn Moonkay von neuem. »Ich weiß es. Einer meiner Diener hat das Glück, einen solchen Stein bereits zu besitzen.« Er sprach von Iwein. Ich war verwirrt. Hatte der Roboter den Seufzer ausgestoßen? Seine Sprache war perfekt. Ihr haftete nichts Robotisches an. Wer auch immer diese Sprachmechanismen geschaffen hatte, war sicherlich auch fähig gewesen, dem Roboter die Fähigkeit des Seufzens zu verleihen. Aber warum hätte er das tun sollen? Verbarg sich in diesen siebenundzwanzig Kugeln etwa ein organisches Wesen? Der Herr Moonkay hatte offenbar visuellen Kontakt mit seinem Diener Iwein gehabt. Durch Iweins Augen hatte er wahrgenommen, welche Wunder der Illusionsstein bewirkte. Er schien davon beeindruckt. War das möglich? Besaßen alle Roboter dieser Stadt die Fähigkeit, Halluzinationen zu erleben?
Stadt der Roboter »Wieviel Steine habt ihr?« erkundigte sich der Robotbürger. »Es sind uns über fünfzig übriggeblieben«, antwortete diesmal ich. »Wir wurden unterwegs überfallen.« »Überfallen? Von den Stämmen des Blutdschungels?« »Ja.« Eine kleine Pause trat ein. Dann bemerkte der Robotbürger: »Solche Dinge geschehen in letzter Zeit immer häufiger. Der Weg von Orxeya nach Wolterhaven wird zunehmend unsicherer. Es wird Zeit, daß die Herren der FESTUNG sich um die Wilden kümmern.« In jedem anderen Augenblick hätte ich dieses Stichwort dankbar aufgenommen, um mich nach den legendären Herren der FESTUNG zu erkundigen. Hier aber tat ich es nicht. Es stak mir etwas anderes im Sinn – ein Bildnis, das ich in einem Park gesehen hatte, der eigentlich gar nicht in eine Robotstadt gehörte. Ich möchte zu meiner Verteidigung außerdem anführen, daß es nicht der Verstand war, der mich zu meiner nächsten Frage veranlaßte, sondern das Emotionale. »Wer ist Ginover?« schoß es mir über die Lippen. Der Robotbürger schwieg eine Zeitlang. Als er schließlich antwortete, geschah es auf eine Art, die mir zu verstehen gab, daß ihm Fragen nach der schönen Frau nicht genehm waren. Er sagte: »Eine Sagengestalt. Welchen Preis hat Gäham Lastor euch aufgetragen, für die Steine von mir zu verlangen?« Wenn er beabsichtigt hatte, mich mit dieser Gegenfrage von meinem Thema abzubringen, so war ihm dies gelungen. Ich war, als wir Orxeya verließen, des Eindrucks gewesen, daß Gäham Lastor den Robotherren von Wolterhaven eine Sendung zukommen ließ, die er lange zuvor mit ihnen verabredet hatte. Es hatte für mich keinen Zweifel gegeben, daß die Abnahmebedingungen längst vereinbart waren und daß der Kaufpreis, der für die Illusionssteine zu entrichten war, auf dem üblichen Wege an Gäham Lastor gelan-
21 gen würde. Sicherlich nicht durch Razamon und mich, die wir ganz andere Ziele hatten als die Rückkehr nach Orxeya. »Er hat uns nichts aufgetragen«, antwortete ich auf die Frage des Robotbürgers. »Wahrscheinlich verlangt er denselben Preis, den du früher für diese Art Ware bezahltest.« »Früher? Ich habe solche Ware noch nie von Gäham Lastor gekauft.« »Hat er mit dir nicht über diese Sendung gesprochen?« »Nein. Lastor kommt in unregelmäßigen Abständen nach Wolterhaven. Wenn er kommt, bringt er Waren mit sich, die er zuerst mir anbietet. Ich suche aus, was mir gefällt, und kaufe es ihm ab. Dann geht er mit dem Rest seiner Sachen zu den anderen Bürgern. Zuerst zu dem Herrn Erek, der aus zweiundzwanzig Kugeln besteht, und dann zu dem Herrn Geraint, der neunzehn Kugeln sein eigen nennt. Danach kommen die andern. So ist es gerecht, denn die Höchsten haben die größte Auswahl. Ich hatte Gäham Lastor erst in ein paar Monaten wieder erwartet. Es überrascht mich, daß er euch zu mir geschickt hat – mit nur einer einzigen Art von Ware. Aber ich muß sagen, diese Art gefällt mir.« Ich war verwirrt. Razamon erging es nicht anders, das sah man ihm am Gesicht an. Weshalb war Gäham Lastor auf so unübliche Weise verfahren? Warum hatte er die Steine nicht selbst gebracht? Woher wußte er, daß ausgerechnet ein Roboter sich für Illusionssteine interessieren würde? »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte ich zu den siebenundzwanzig Kugeln. »Wir lassen dir die Ware hier. Das nächste Mal, wenn Gäham Lastor nach Wolterhaven kommt, einigt ihr euch über den Preis, den du zu zahlen hast.« »Und ihr? Wohin geht ihr von hier aus?« »Das wissen wir noch nicht«, antwortete ich ausweichend. »Ihr sollt wenigstens ein paar Tage lang meine Gäste sein«, schlug er vor. Ich überlegte. Wolterhaven war eine Stadt
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Kurt Mahr
voller Geheimnisse. Es war verlockend, sich eine Zeitlang mit ihnen zu beschäftigen. Andererseits wollten wir weiter. Von der Roboterstadt aus war der Weg zurück zur Außenwelt nicht zu finden. Mein Nachdenken war umsonst. Razamon kam mir zuvor, indem er sagte: »Wir danken für deine Gastfreundschaft und nehmen sie gerne an.« »Das freut mich«, antwortete die allgegenwärtige Stimme. »Wenn ihr denselben Weg zurückkehrt, den ihr gekommen seid, werdet ihr einige meiner Diener finden, die euch ein Quartier anweisen.«
6. Auch der sechste Tag, seitdem die beiden Fremden Orxeya verlassen hatten, verging, ohne daß Kyrol auch nur das geringste Zeichen ungewöhnlicher Aktivität in der Stadt Wolterhaven erspähte. Gädar Glomp war mürrisch. Die Leute gingen ihm aus dem Weg. Man hatte Saftblüten im Dschungel gefunden. Das Fleisch der Yassels, die gestern beim Angriff der Bropen gefallen waren, bot reichlich Nahrung. Die Söldner litten keine Not. Und ihnen war es gleichgültig, ob es jemals zum Vorstoß nach Wolterhaven kam oder nicht. Sie bekamen ihr Geld so oder so. Die nächste Nacht kam und verging. Einmal hörte eine der Wachen das klagende Geheul eines Wolfes. Sonst gab es während der Nacht nichts, was des Berichtens wert gewesen wäre. Am nächsten Morgen trat Vernigor auf Gädar Glomp zu. »Die Leute fragen, wann wir aufbrechen«, sagte er. Gädar war in übelster Laune. Er hatte als Anführer der Söldner sein festes Gehalt wie diese auch. Aber der Überfall auf Wolterhaven hätte ihm eine Sonderprämie eingebracht. Mit dieser Prämie hatte er fest gerechnet. Jetzt aber sah es so aus, als werde sie ihm entgehen. »Die Leute haben nichts zu fragen!«
herrschte er seinen Stellvertreter an. »Ich allein entscheide, wann wir aufbrechen. Der Tag hat erst begonnen. Meine Hoffnung lebt noch viele Stunden.« Mit einem Ruck drehte er sich um und schrie: »Kyrol …!« Der Verwachsene kam herbei und erhielt den Befehl, wieder in seinen Ausguck zu klettern. Er war kaum oben, da winkte er hastig mit den Armen. Gädar Glomp lief hinzu, legte die Hände an den Mund und rief hinauf: »Was gibt es?« »Zwei Leute kommen von Nordosten her auf die Stadt zu!« schrie Kyrol zurück. »Kannst du sie erkennen?« wollte Gädar wissen. »Sind sie beritten?« »Die Entfernung ist zu groß«, antwortete Kyrol. »Nein – sie sind zu Fuß!« Kyrol blieb auf seinem Posten. Etwa eine Stunde später meldete er, daß die beiden Fußgänger am Rand der Stadt verschwunden seien. Wahrscheinlich hatten sie Zutritt gefunden. Kurze Zeit danach beobachtete Kyrol ein Ding, das sich fliegend im Zickzack über der Stadt bewegte. Es mußte der Diener eines der Robotbürger sein. Sein Verhalten, wie Kyrol es beschrieb, war so, wie Gädar Glomp es erwartete. Aber solange es sich nur um einen handelte, konnte er das Zeichen zum Angriff nicht geben. Das Gerede über den Aufbruch verstummte. Spannung ergriff die Söldner. In den nächsten Stunden mußte es sich erweisen, ob Gäham Lastors Rechnung aufging oder nicht. Die Geduld der Wartenden wurde auf eine harte Probe gestellt. Der Mittag verging. Die Sonne trat den Rückweg an. Sie verschwand hinter dem Meer im Westen. Kyrol wollte seinen Ausguck verlassen, weil es dunkel wurde. Aber Gädar herrschte ihn an, er solle oben bleiben. Später zeigte es sich, daß Gädar einen guten Grund für seine Anweisung gehabt hatte. »Ich sehe Lichter!« schrie Kyrol plötzlich. »Bunte, in allen Farben. Sie bewegen sich
Stadt der Roboter
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überall im Gebiet der Stadt.« »Wieviele Lichter sind es?« wollte Gädar wissen. »Es werden jeden Augenblick mehr! Ein paar hundert sind es jetzt schon.« Als Kyrol schwieg, hörte man fernen Lärm. Es waren ganz eigenartige Geräusche, die da über die Steppe drangen: Quietschen, Miauen und Fauchen wie von einer wildgewordenen Rotte Katzen. Gädar Glomp begann zu grinsen. Er holte aus und schlug dem Söldner, der neben ihm stand, vor Begeisterung auf die Schulter, daß der Mann fast in die Knie ging. »Ich hab's euch gesagt, daß Gähams Plan gut ist!« schrie er lauthals. »Los, macht euch fertig! Wolterhaven ist unser!«
* Gegen Mitternacht erreichten sie den Rand der Stadt. Inzwischen war der Lärm über Wolterhaven immer heftiger geworden. Die Lichter gingen von den Dienern der Robotbürger aus. Sie schienen ein Fest zu feiern – eine wilde, rauschende Orgie, und keiner von ihnen war mehr bei Sinnen. Gädar Glomp wußte, daß er keine Aussicht hatte, auf dem normalen Weg in die Stadt zu gelangen. Er hatte vorgeplant. Die kräftigsten seiner Leute trugen Wurfhaken in ihrem Gepäck. Von starken Armen geschleudert, schossen die Haken bis zum Rand der tiefstgelegenen Plattform hinauf und verfingen sich an Hindernissen. Ein kräftiger Ruck: Das Seil, an dem die Haken hingen, straffte sich und bewies, daß es das Gewicht eines Mannes mühelos tragen konnte. Gädar gab den Befehl zum Aufstieg. Fünf Mann ließ er zur Bewachung der Yassels zurück. Der Rest der Truppe kletterte an den Seilen hinauf in die Stadt. Die Haken wurden freigemacht und mitgenommen. Gemäß dem Plan, der den Männern eingehämmert worden war, bildeten sich, als man zwei Plattformebenen weiter vorgedrungen war, vier Gruppen. Eine davon hatte die
Kuppel des Robotbürgers Vortimer zum Ziel, der auch »der Werkzeugschöpfer« genannt wurde. In Vortimers Wohnung gab es Vorräte von kostbaren Werkzeugen, auf die Gäham Lastor ein Auge geworfen hatte. Die zweite Gruppe sollte in das Gebäude des Bürgers Cynrik eindringen, der den Beinamen »Juwelenheld« hatte. Cynrik war der Hüter der Diamanten und sonstigen Edelsteine, die die Roboter in ihrer industriellen Produktion verwendeten. Auch hier war reiche Beute zu erwarten. Gruppe Nummer drei stieß zur Kuppel des Bürgers Leodagan vor, der den Beinamen »Quorkmeister« trug. Bei ihm lagerten die Quorks, die die Händler von Orxeya zu entrichten hatten, wenn die Ware, die sie mitbrachten, zum Bezahlen der Dinge, die sie von den Robotbürgern erwarben, nicht ausreichten. Angeblich war Leodagan Herr über mehrere tausend Quorks. Die vierte Gruppe schließlich wurde von Gädar Glomp selbst geführt. Auch Vernigor befand sich bei ihm, und zudem noch vier weitere Söldner. Diese kleinste Gruppe hatte gleichzeitig die schwierigste Aufgabe. Sie mußte Ginover finden und gefangennehmen. Während man von Vortimer, Cynrik und Leodagan genau wußte, wo sie wohnten, war Ginovers Aufenthaltsort völlig unbekannt. Man konnte nur annehmen, daß die Robotbürger die schöne Frau als ein überaus kostbares Gut betrachteten und sie daher auf einer besonders hoch gelegenen Plattform untergebracht hatten. Die außer Rand und Band geratenen Diener der Robotbürger fuhren fort, einen Heidenspektakel zu vollführen. Mit ihren bunten Positionslichtern hellten sie das Dunkel der Nacht ein wenig auf und erleichterten damit den Angreifern das Vorwärtskommen.
* Man kann nicht sagen, daß der Herr Moonkay sich seiner Verantwortung für die Sicherheit der Stadt leichtfertig entledigte. Im Gegenteil: er ließ die Illusionssteine, die die beiden Fremden in seiner Obhut zurück-
24 gelassen hatten, zunächst unberührt und konferierte mehrere Stunden lang mit den Herren Erek und Geraint. Bei der Besprechung ging es darum, ob man die beiden Männer aus Orxeya mit Recht für die Eindringlinge halten könne, die sich von der Außenwelt her nach Pthor eingeschlichen hatten. Aber eines schwerwiegenden Fehlers machte sich der Herr Moonkay dennoch schuldig. Nicht nur zitterte er selbst vor Ungeduld, die wunderbare Ware endlich in Augenschein nehmen zu können, er schilderte seinen beiden Gesprächspartnern obendrein die wunderbaren Erlebnisse seines Dieners Iwein und erweckte dadurch auch deren Begierde. Infolgedessen vollzog sich in den elektronischen Unterbewußtseinen der drei Robotbürger ein höchst seltsamer Prozeß: da sie, wenn sie die beiden Fremden als die gesuchten Eindringlinge identifizierten, nicht in den Genuß der Ware kommen würden, die in diesem Fall zusammen mit den beiden Männern an die Herren der FESTUNG ausgeliefert werden mußten, hatten sie keinerlei Interesse an einer derartigen Identifizierung. Die unterbewußte Abneigung dagegen, sich den Genuß der Ware stören zu lassen, erzeugte in den bewußten Regionen der Robotgehirne eine Art Vorspannung, die schließlich dazu führte, daß die Herren Moonkay, Erek und Geraint die Fremden aus Orxeya einstimmig für unverdächtig erklärten. Die Sonne war schon untergegangen, als dieser Beschluß zustande kam. Um die verlorene Zeit auszugleichen, ordnete der Herr Moonkay daraufhin an, daß die Satteltaschen, die die kostbare Ware enthielten, sofort geöffnet werden und der Inhalt an die Diener der Robotbürger zu verteilen sei. Die Zuteilung erfolgte proportional der Rangstellung des einzelnen Bürgers, die sich wiederum in der Zahl der Kugeln ausdrückte, aus denen er bestand. Selbstverständlich erhielt der Herr Moonkay, oder vielmehr seine Dienerschar, den Löwenanteil – fast ein Viertel der Illusionssteine. Als
Kurt Mahr nächste waren die Herren Erek und Geraint zu bedienen. Sie erhielten jeweils rund ein Achtel der Ware. Damit war die Hälfte schon verteilt. Eine Reihe von Robotbürgern der unteren Kategorien ging völlig leer aus, weil es nicht genug Steine gab, um alle 110 Bürger von Wolterhaven zu versorgen. Das bereitete jedoch keine ernsthaften Schwierigkeiten. Jedem Mitglied standen sämtliche Eindrücke zur Verfügung, die andere Mitglieder der Gemeinschaft empfingen. Die Bürger, die in der Hierarchie zuunterst standen, brauchten also nicht leer auszugehen. Sie konnten an der berauschenden Wirkung der Illusionssteine teilnehmen, indem sie sich an die höher eingestuften Robotbürger »anschlossen«. Der Diener Iwein konnte dazu überredet werden, das Geschenk, das er von den beiden Männern aus Orxeya erhalten hatte, eine Zeitlang beiseite zu legen und die Verteilung der Illusionssteine zu übernehmen. Das ging sehr schnell vonstatten. Die mit einem Illusionsstein bedachten Diener führten den geheimnisvollen Gegenstand alsbald vor ihre grotesken Sehsysteme und gerieten augenblicklich in Verzückung. Über die üblichen Kommunikationskanäle teilten sie ihren Herren mit, was sie durch die wunderbaren Steine erblickten, und die Herren wiederum vermittelten die Eindrücke an die Robotbürger niederen Ranges, die leer ausgegangen waren. Die Diener hielt es infolge ihrer Verzückung nicht mehr auf dem Boden. Sie setzten ihre Flugaggregate in Betrieb und erhoben sich in die Lüfte der Stadt. Um ihrem Glücksgefühl den nötigen Ausdruck zu verleihen, schalteten sie ihre Positionslichter ein und wirkten sodann wie ein Schwarm von Leuchtkäfern, die über Wolterhaven gaukelten. Die Diener, die keinen Stein erhalten hatten, waren dabei nicht ausgeschlossen. Über den Kommunikationsverbund nahmen alle an der phantastischen Wirkung der Illusionssteine teil. Wolterhaven versank in einem Freudentaumel, wie er in der Geschichte der Stadt
Stadt der Roboter
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kein Beispiel hatte.
7. Das Quartier, in das wir geführt wurden, erregte unsere Überraschung. Razamon und ich bekamen je ein Appartement zugewiesen, das aus Schlafraum, Wohnraum, einer kleinen Küche mitsamt Vorratskammer und schließlich aus sanitären Einrichtungen bestand, wie wir sie in dieser Form auf Pthor bislang noch nicht gefunden hatten. Der Haupteingang zu den beiden Appartements lag in einem geräumigen Zimmer, das Razamon und ich als Gemeinschaftsraum zu benutzen gedachten. Mein erster Gang führte mich zu der Vorratskammer, die an die kleine Küche angrenzte. Sie war gekühlt. Ich fand diverse Sorten Fleisch, Gemüse, Obst und Brotfladen. Ich hatte seit Orxeya nur eintönigen Marschproviant und hie und da das Fleisch eines erlegten Tieres zu schmecken bekommen. Mit wahrem Heißhunger stürzte ich mich auf die Früchte und die Brotfladen. Ich nahm mir vor, später, wenn wir nichts Besseres mehr zu tun hatten, die Mühe nicht zu scheuen und mir einen Braten samt dazugehörigen Beilagen herzurichten. Vorläufig allerdings, nachdem der erste Hunger gestillt war, hatte ich Wichtigeres im Sinn. Ich ging zu Razamons Wohnung hinüber. Er saß in seinem Wohnraum, hatte die Ellbogen auf das Knie, das Kinn in die Hände gestützt und starrte vor sich hin. »Diese Frau namens Ginover fängt an, mich zu interessieren«, sagte ich. Es war, als erwache er langsam aus einem tiefen Traum. Nur zögernd erfaßte der Fokus seines Blicks die Gegenstände der näheren Umgebung. Dann sah er zu mir auf. »Vergiß Ginover!« sprach er dumpf. »Warum?« »Sie ist eine Sagengestalt – flüchtig wie der Morgennebel im Sommer.« »Und schön wie eine arkonidische Prinzessin«, hielt ich ihm entgegen.
»Es gibt sie nicht wirklich«, behauptete er. »Das wollte der Herr Moonkay mir schon einreden«, antwortete ich. »Aber über eine Sagengestalt zu reden, hätte er eigentlich keine Scheu zu haben brauchen.« »Er ist ein Roboter. Was soll er dir lange über Sagengestalten erzählen?« »Du scheinst dich inzwischen genauer zu erinnern«, bemerkte ich. Er machte eine heftige Geste. »An nichts erinnere ich mich!« stieß er hervor. »Es liegt wie dichter Nebel über allem, was mir jemals in diesem Land zugestoßen ist.« »Woher weißt du dann, daß es Ginover nicht wirklich gibt?« Er senkte den Kopf und schob dabei die Hände übers Gesicht, bis sie auch die Augen bedeckten. »Weil der Robotbürger es gesagt hat«, antwortete er, und hinter den Händen hervor klang seine Stimme merkwürdig verstellt. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß es ratsam war, das Thema zu wechseln. »Wo, glaubst du, sind wir hier?« fragte ich. Er bedachte mich mit einem Blick, in dem einer mit sehr viel Phantasie Spuren von Dankbarkeit hätte lesen können. »Auf einer Plattform, die nur eine Ebene unter der des Robotbürgers Moonkay liegt und auf der absolut unrobotische Quartiere errichtet worden sind«, lautete seine Antwort. »Das weiß ich auch. Und für wen sind diese Quartiere bestimmt?« »Man treibt Handel mit den Leuten von Orxeya. Sie kommen öfter hierher.« Ich lachte. »Erinnerst du dich an die Händler? An Gäham Lastor, an Tynär Stump, an Tygon Hasset – an die ganze stinkende Horde? Was, glaubst du, würden sie mit einem Waschbecken anfangen? Du würdest ihren Schmutz auf jedem Möbelstück finden!« »Es gibt genug Roboter zum Saubermachen«, verteidigte Razamon seinen Stand-
26 punkt. »Aber die Robotbürger wissen, daß die Händler von Orxeya mit soviel Zivilisation nichts anfangen können. Sie kämen nie auf den Gedanken, so komfortable Quartiere nur für die Händler zu bauen!« »Für wen denn dann?« fragte Razamon. »Das ist das Geheimnis«, antwortete ich. »Wie weit sind wir von dem Park entfernt, in dem Ginovers Bildnis steht?« »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht aufgepaßt.« Er starrte wieder zu Boden. Das Thema Ginover war noch immer tabu. Ich war erleichtert, als sich in diesem Augenblick die Tür öffnete und einer von den Dienern des Herrn Moonkay eintrat. Er gehörte zu der Schar, die uns am Rand des Parks empfangen hatte, und war der, dessen Gestalt entfernt an einen Menschen erinnerte. »Wieviel von uns Dienern braucht ihr für euer Wohlbefinden?« fragte er mit quarrender Stimme. Ich sah Razamon an, Razamon erwiderte meinen Blick: Wir verstanden uns. »Wir sind einfache Leute«, antwortete ich dem Roboter, »Bildhauer aus den Bergen der Großen Barriere von Oth. Wir sind es nicht gewöhnt, bedient zu werden. Wenn dein Herr Moonkay es gestattet, werden wir also ganz ohne Diener auskommen.« »Mein Herr Moonkay wird nichts dagegen haben«, antwortete der Robot. »Aber um ganz sicher zu sein, will ich noch eine Zeitlang in eurer Nähe bleiben und abwarten, ob ihr nicht doch ein paar Wünsche habt.« Ich war damit einverstanden. »Wenn ich dich brauche – wie soll ich dich rufen?« fragte ich. »Schrei einfach meinen Namen«, riet er. »Gut. Und wie heißt du?« »Ich bin der Diener Karleol, ein würdiger Arbeiter meines Herrn.« Reichlich gravitätisch wandte er sich um und schritt wieder hinaus. Auch ich fand, daß ich meine Zeit besser nutzen konnte als mit erfolglosen Versuchen, den mürrischen
Kurt Mahr Razamon in eine Unterhaltung zu verwickeln. Er hatte nichts dagegen, daß ich ihn alleine ließ.
* Nun kam ich doch früher zu meinem Braten mit Gemüse, als ich gedacht hatte. Allerdings war ich während des Zubereitens der Mahlzeit so sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, daß mir weder das Fleisch noch die Beilagen so recht gelangen. Ich hatte mich ins Spekulieren verloren. Ginover hatte es mir angetan. Ich glaubte weder dem Robotbürger Moonkay noch meinem Weggenossen Razamon. Sie wußten mehr, als sie mir sagen wollten. Razamon hätte nicht so nachhaltig reagiert, wenn ihm beim Anblick der dunklen Statue lediglich die Erinnerung an eine Sagengestalt wiedergekommen wäre. Allerdings war ich bereit, ihm zu glauben, daß er tatsächlich nicht wisse, wer Ginover war. Und der Herr Moonkay – er war für meine Begriffe über meine Frage viel zu salopp hinweggegangen, als daß er mich hätte täuschen können. Für mich stand fest: Es gab diese Frau namens Ginover. Und sie stand zu der Stadt Wolterhaven und ihren Robotbürgern in einer nicht unerheblichen Beziehung. Die Frage war nur, ob sie sich auch in der Stadt aufhielt. Warum gab es diesen Park, mit dem Roboter nichts anfangen konnten? Obwohl, wie ich inzwischen festgestellt hatte, die Roboter von Wolterhaven ganz anders geartet waren als ihre Vettern außerhalb des Wölbmantels. Warum hatten die Robotbürger derart komfortable Wohnquartiere bauen lassen? Welche Gäste – außer den Händlern von Orxeya – pflegten sie in ihrer Stadt zu beherbergen? Ich mußte es herausfinden. Ich schlang die letzten Bissen meines Mahles hinunter, spülte mit ein paar Schlucken eines wohlschmeckenden, leicht alkoholischen Ge-
Stadt der Roboter tränks nach und machte mich auf die Suche nach meinem Freund Karleol. Von meinem Wohnzimmer aus führte ein Ausgang hinaus auf den Korridor, durch den wir gekommen waren. Ich hielt nach dem Roboter Ausschau, sah ihn aber nirgendwo. Schließlich erinnerte ich mich seiner Empfehlung und rief: »Karleol!« Die Wirkung war verblüffend. Dicht neben mir klaffte plötzlich die Wand auseinander. Ein breiter Spalt entstand, aus dem der Roboter diensteifrig auf mich zutrat. »Was ist das – ein Geheimgang?« fragte ich verblüfft. »Geheim ist er nicht gerade«, antwortete Karleol. »Nur nicht für die allgemeine Benutzung gedacht.« »Aha!« machte ich. »Hast du einen Wunsch?« erkundigte sich der Roboter. »Ja. Ich möchte spazierengehen. Darf ich das?« »Du bist der Gast des Herrn Moonkay. Du darfst vieles!« »Auch spazierengehen?« »Ja.« »Ich meine: nicht nur auf dieser Plattform, sondern überall in der Stadt.« »Das ist dir unbenommen.« »Ich kann aber nicht fliegen. Wie komme ich von einer Plattform zur anderen?« »Du trittst vor eine Transportsäule hin und sprichst das Wort ›broaigh‹ aus.« »Broaigh? Was ist das?« »Eines der siebenhundertsiebenundsiebzig Attribute der Göttin der Nacht.« »Gut. Ich werde es mir merken. Ist jede Säule eine Transportsäule?« »Nein.« »Wie erkenne ich die Transportsäulen?« »Tritt vor irgendeine Säule hin und sprich das Wort ›llinlith‹.« »Was heißt das?« »Es ist eines der sieben …« »… hundertsiebenundsiebzig Attribute der Göttin der Nacht«, fiel ich ihm ins Wort. »Richtig«, bestätigte er.
27 »Was geschieht dann?« »Die Säule weist dir den Weg zur nächsten Transportsäule.« Ich trat einen kurzen Schritt zurück und musterte Karleol voller Mißtrauen. »Höre, mein Freund! Du nimmst mich nicht etwa auf den Arm?« »Ich spreche die Wahrheit«, antwortete der Roboter ernst. »Ich will es hoffen.« »Hast du noch weitere Wünsche?« »Nur noch eine Frage. Wo wohnt Ginover?« Es war mir in den Sinn gekommen, daß ich vielleicht mehr Erfolg haben würde, wenn ich mich nicht angelegentlich, sondern ganz nebenbei nach der schönen Frau erkundigte und dabei so tat, als wisse ich genau, daß sie sich in Wolterhaven befand. Karleols Antwort war in der Tat aufschlußreicher als die, die ich von dem Herrn Moonkay erhalten hatte, aber in einer anderen Weise, als ich erwartete. »Ginover, die Göttin der Nacht, ist überall«, sagte er. Dann, als sei er gewiß, daß ich nun keine Wünsche mehr haben könne, wandte er sich um und verschwand in dem geheimnisvollen Spalt, der sich alsbald wieder hinter ihm schloß.
* Ich schritt den Korridor entlang bis zu seinem Ende und fand dort eine Tür, die sich mit Hilfe eines Drehknopfs öffnen ließ. Ich trat hinaus und befand mich am Rand des Parks, in dem Ginovers Statue stand. Eine merkwürdige Vision entstand vor meinen Augen. Ich stellte mir vor, wie ich nach Terrania City zurückkehrte und einem Reporter des Pan-Terra News Service oder der Associated News über meine Jagd nach einer schwarzen Frau inmitten einer Roboterstadt berichtete. Und darüber, wie ich vor metallenen Säulen gestanden und entweder »llinlith« oder »broaigh« gesagt hatte – und wie die Säulen mir antworteten, indem sie
28 mir entweder den Weg wiesen oder sich öffneten, um mir Zugang zu einem Antigravschacht zu verschaffen. Ich durchquerte den Park – nicht ohne vor dem Bildnis haltzumachen und seine aufreizende Schönheit zu bewundern. Auf der anderen Seite der Anlage gelangte ich an die Mauer, die Razamon und ich auf unserem Herweg durchschritten hatten, und mußte eine Zeitlang nach dem Durchlaß suchen. Ich schritt bis zum Rand der Plattform und machte nun voller Spannung eine erste Probe der Vorgehensweise, die Karleol mir empfohlen hatte. Ich trat an einen offenen Säulenmund heran und sagte halblaut – weil ich Angst hatte, daß mir sonst jemand zuhörte und mich für einen Narren hielt: »Llinlith!« Das Wort war mir kaum über die Lippen, da ertönte aus dem Innern der hohlen Säule eine dumpfe Stimme: »Geh drei Säulen weiter nach Nordwest!« Ich war ziemlich verblüfft, obwohl nichts weiter geschehen war, als was Karleol mir im voraus beschrieben hatte. Immer noch unsicher ging ich die dreihundert Meter bis zu der bezeichneten Säule und sagte dort: »Broaigh!« Sofort ertönte ein helles Summen, wie es üblicherweise von den Projektoren künstlicher Schwerefelder ausging. Ich traute der Sache trotzdem nicht und nahm einen kleinen Gegenstand aus der Tasche, warf ihn ins Innere der Säule hinein und beobachtete ihn, wie er langsam und gemächlich in die Tiefe sank. Erst dann glaubte ich, daß Karleol mir in allen Dingen nichts als die Wahrheit gesagt hatte. Ich vertraute mich der Säule an und gelangte zur nächsttieferen Plattform. Dort standen ein paar kleinere, rechteckige Gebäude und eine Kuppel, die allerdings längst nicht die Größe des Bauwerks besaß, in dem der Herr Moonkay wohnte. In der Nähe der Kuppel verhielten reglos ein paar Roboter. Ich ging auf sie zu und fragte: »Welcher Herr wohnt hier?« Eine der reglosen Gestalten antwortete:
Kurt Mahr »Hier wohnt der Herr Leodagan, den man auch den Quorkmeister nennt.« »Warum nennt man ihn so?« »Weil er über alle Quorks herrscht, die die Händler in unsere Stadt bringen.« Er war also eine Art Schatzmeister. Der Quork, ein zeigefingergroßes Stück gelblicher Knochensubstanz, war das gängige Zahlungsmittel in Pthor. Die Quorks, sagte man, waren Stücke des Gebeins der sagenumwobenen Yuugh-Katze. Wenn es einem Pthorer gelang, behauptete die Sage, alle im Umlauf befindlichen Quorks in seiner Hand zu vereinen, würde die Yuugh-Katze wiedererstehen. »Über wieviele Quorks herrscht er?« wollte ich von den Robotern wissen. Aber darauf gaben sie mir keine Antwort. Ich wanderte weiter.
* Es ging auf den Abend zu. Ich hatte die Stadt nach allen Richtungen durchstreift und viele Dinge zu sehen bekommen, die mir noch vor ein paar Wochen als wunderbar oder grotesk vorgekommen wären. Mittlerweile jedoch hatte die fremdartige Umwelt von Pthor auf mich zu wirken begonnen, und ich empfand als normal, was ich früher für unwirklich gehalten hätte. Noch eines war mir klar geworden. Ich durchstreifte diese Stadt nicht, weil ich mich für die Anlagen und Lebensgewohnheiten der Robotbürger und ihrer Diener interessierte, sondern weil ich Ginover finden wollte. Ihr Bildnis hatte es mir angetan. Es war jetzt mehr Leben auf den Plattformen der Stadt als am Morgen. Robotdiener, denen ich Fragen stellte, antworteten mir bereitwillig. Dabei bemerkte ich, daß es unter den Robotern nicht nur von der äußeren Erscheinung her, sondern auch in der Funktion Unterschiede gab, Klassen oder Kasten sozusagen. Mancher, dem ich Fragen stellte, antwortete mit abgehakten, kurzen Sätzen, die nur das Notwendigste an Vokabular enthielten. Von diesem Typ wurden viele mei-
Stadt der Roboter ner Fragen nicht verstanden. Im Lauf der Zeit bekam ich heraus, daß es sich bei diesen »beschränkten« Robottypen um sogenannte Handlanger handelte. Sie waren nur mit einem geringen Maß von Intelligenz ausgestattet. Über den Handlangern stand die Klasse der Arbeiter. Diese aber zerfiel wieder in zahlreiche Unterklassen, von denen sich die eine als »würdige«, die andere als »fleißige« und eine dritte als »nimmermüde« bezeichnete. Die Begriffe waren standardisiert. Die Attribute hatten nichts mit der Selbsteinschätzung des einzelnen Arbeiters zu tun; sie waren Standesbezeichnungen – oder, wenn man so will, Statussymbole. Immer wieder von neuem brachte ich zwischendurch die Frage an, die mich am meisten interessierte. »Wo wohnt Ginover?« Die Reaktionen waren verschieden. Die Handlanger und die weniger anspruchsvollen Unterklassen der Arbeiter verstanden nicht einmal den Namen und blieben mir die Antwort schuldig. Die höheren Arbeiter dagegen sagten, wie ich es bereits gehört hatte: »Ginover, die Göttin der Nacht, ist überall.« Als es dunkel wurde, machte ich mich auf den Rückweg. Die Stadt besaß nicht allzu viele Lichter. Es kostete mich einige Mühe, den Weg zum Park zu finden. Wie unter einem inneren Zwang suchte ich den Pfad, der zu dem Teich führte. Ginovers Statue war nur noch ein Schemen in der Dunkelheit. Aber selbst der Schatten konnte die Schönheit der Nachtgöttin nicht verleugnen. Schließlich ging ich weiter. Plötzlich glitten aus der Dunkelheit zwei bunte Lichter auf mich zu. Ich blieb überrascht stehen. Ein Roboter landete vor mir auf dem Pfad. Die Lichter schienen eine Art Positionslampen darzustellen. Die Gestalt des Robots kam mir merkwürdig bekannt vor. »Du bist Iwein, nicht wahr?« fragte ich, erfreut, einen alten Bekannten zu treffen. »Nein, ich bin Owein«, antwortete das Maschinenwesen. »Iwein ist mein älterer
29 Bruder.« Ich hatte mich, seitdem ich nach Wolterhaven gekommen war, schon an einiges gewöhnt. Aber daß zwei Roboter einander als Brüder betrachteten und dazu noch zwischen älterem und jüngerem Bruder unterschieden, das nahm mir fast den Atem. »Bist du sicher, daß du nicht Iwein bist?« erkundigte ich mich deshalb. »Ich bin völlig sicher«, antwortete der Robot. »Allerdings glaube ich nicht, daß mein Bruder noch weiß, ob er Owein oder Iwein ist.« »Warum nicht?« »Hat er nicht von dir und deinem Begleiter ein Geschenk erhalten?« »Ja, einen Stein.« »Mit diesem fummelt er sich schon den ganzen Tag über vor den Augen herum. Er ist verrückt. Er ist unbotmäßig! Er benimmt sich wie ein Pthorer, der zuviel Wein getrunken hat.« »Immer noch?« »Jawohl, immer noch«, lautete die zerknirschte Antwort, die ahnen ließ, daß Owein auf seinen älteren Bruder neidisch war. »Bist du auch ein Diener des Herrn Moonkay?« wollte ich wissen. »Selbstverständlich! Ich bin ein ideenreicher Arbeiter im Dienst des Großbürgers. Leider hält der Herr Moonkay nicht allzu viel von ideenreichen Arbeitern. Er hält mich für unzuverlässig.« Ich fragte mich, ob die Kaste der »ideenreichen Arbeiter« aus einer Art Hofnarren bestehe. Ideenreichtum war die erste Forderung, die an einen Narren der höfischen Zeit der Erde gestellt wurde. Vielleicht war es hier ebenso. Überdies war Owein ausgesprochen geschwätzig – auch dies ein Charakteristikum der Narren. »Für so unzuverlässig«, fuhr Owein in seiner Selbstbemitleidung fort, »daß ich wahrscheinlich nicht zu denen gehören werde, denen man ein Stück der kostbaren Ware anvertraut. Aber das macht nichts!« Seine Stimme hatte plötzlich einen helleren Klang,
30 als hätte er sich eines Besseren besonnen und erkannt, daß seine Lage in Wirklichkeit doch gar nicht so schlimm war. »An dem Fest nimmt die ganze Stadt teil. Es macht fast keinen Unterschied, ob man selbst in einen der Steine blickt oder ihn mit den Augen eines anderen sieht.« Ich war reichlich verwirrt. »Was für ein Fest?« fragte ich. »Was ist das mit der kostbaren Ware? Wer blickt in die Steine?« »Es muß gleich beginnen«, antwortete Owein anscheinend auf den ersten Teil meiner Frage. »Es wird ein Fest werden, wie es die Stadt Wolterhaven noch nie erlebt hat! Der Herr Moonkay hat in seiner Güte angeordnet, daß alle Bürger und Diener an den Freuden der Steine teilhaben dürfen.« Oweins Linsensystem schimmerte im Licht der Sterne. »Er mag mich falsch beurteilen«, sagte er in einem Tonfall, den ich nicht anders als »gerührt« bezeichnen kann, »aber er ist trotz allem sehr gütig, unser Herr Moonkay.« Meine Verwirrung war keineswegs beseitigt. Ich hatte tausend Fragen auf der Zunge. »Du sprichst nicht etwa von den Steinen, die Razamon und ich heute gebracht haben?« »Doch. Gerade von diesen. Sie werden … oooh!« Er trat plötzlich einen Schritt zurück, als hätte ihn etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich wollte hinzueilen, um ihm zu helfen. Er wankte, aber dabei hatte er eines seiner Beine eingezogen und hüpfte und schaukelte auf dem andern. Mit einemmal löste er sich vom Boden und trieb in die Höhe. Dabei stieß er laute Schreie aus, und zwischen den Schreien war zu hören: »Oh Wunder! Oh Verzückung! Oh Schönheit …!« Gleichzeitig wurde es auch an anderen Stellen der Stadt lebendig. Überall schossen die Positionslichter der Roboter in den dunklen Nachthimmel, von allen Seiten gellten verzückte Schreie. Ich wußte nicht, was ich davon halten
Kurt Mahr sollte. Nur eines war mir klar: Das Fest hatte begonnen. Und die Illusionssteine, die wir aus Orxeya gebracht hatten, mußten etwas damit zu tun haben. Auf einmal hatte ich es eilig, zu Razamon zurückzukommen.
8. Wir standen am Rande des Parks und starrten in den Himmel hinauf. Überall waren die bunten Lichter der Roboter, wilder Lärm erfüllte die Stadt. »Du kennst dich mit Robotern aus«, sagte ich zu Razamon. »Hast du jemals solche gesehen?« »Nein«, antwortete er. »Irgendwie kommt mir die ganze Sache merkwürdig vor. Verdächtig, wenn du weißt, was ich meine.« Der Lärm war fast ohrenbetäubend. Wir mußten schreien, um uns miteinander zu verständigen. Es kam mir in den Sinn, wir könnten den Robotbürger Moonkay aufsuchen und ihn über Sinn und Zweck dieses Festes befragen. Während ich aber an Moonkay dachte, erinnerte ich mich, daß er nicht gewußt hatte, welche Art von Ware ihm Gäham Lastor sandte, und daß er von deren Wirkung völlig überrascht worden war. Dieses Fest, wie es Owein genannt hatte, besaß also weder Sinn noch Zweck. Es war etwas aus dem Augenblick heraus Entstandenes. Die Roboter hatten etwas gefunden, was sie in einen ähnlichen Rauschzustand versetzte wie Menschen der Alkohol. Eine häßliche Vision entstand vor meinen Augen: Gäham Lastor sandte den Robotbürgern Illusionssteine, weil er wußte, daß deren Anblick sie berauschte. Und während die Roboter berauscht waren, drangen Lastors Leute in die Stadt Wolterhaven ein und beraubten sie all ihrer Schätze. Ich mußte an den Quorkmeister denken, vor dessen Kuppel ich heute gestanden hatte. Welchen Reichtum mochte allein er verwalten? Wir waren ein Stück weit in den Park hineingeschritten. »Wir müssen Moonkay warnen«, sagte
Stadt der Roboter ich zu Razamon. Er nickte nur. Wir kehrten um und suchten die Säule auf, die uns am Morgen dieses Tages zur höchsten Plattform der Stadt hinaufgeführt hatte. Sie war verschlossen. »Wie kommen wir hinauf?« fragte Razamon ratlos. »Broaigh«, antwortete ich. Die Säule öffnete sich. Razamon bedachte mich mit einem erstaunten Blick. Er sagte jedoch nichts. Ich trat in das Innere der Säule. In demselben Augenblick, in dem mich der kräftige Sog des künstlichen Schwerefelds erfaßte, hörte ich den Lärm, der von oben kam. Helles, unmelodisches Klingen und Heulen, wie es außer Kontrolle geratene elektronische Geräte verursachten, untermalt von einem dumpfen, an und abschwellenden Tosen. Mir ahnte Übles. Als ich aus dem Säulenmund schoß, geriet ich in eine von violettfarbenem Halbdunkel erfüllte Umgebung. Kaum konnte ich die siebenundzwanzig Metallkugeln wahrnehmen, aus der der Großbürger von Wolterhaven bestand. Der Lärm, der die Kuppel erfüllte, war so stark, daß mir die Ohren schmerzten. An den Wänden huschten matte, bunte Lichtreflexe auf und ab. Sie irritierten das Auge. Ich kam mir wie trunken vor. »Herr Moonkay – deine Gäste wünschen dich zu sprechen!« schrie ich gegen den Lärm an. Razamon war mir inzwischen gefolgt. Er stand neben mir. »Der Kerl ist genauso besoffen wie der Rest der Stadt!« rief er mir zu. Ob er recht hatte oder nicht, blieb dahingestellt. Auf jeden Fall bekam ich von Moonkay keine Antwort. Und so verließen wir die Kuppel und sanken durch die hohle Säule wieder auf die Ebene des Parks hinab. Es entging mir nicht, daß Razamon von Sekunde zu Sekunde rastloser wurde. Als wir wieder am Rande des Parks standen, stieß er hervor: »Wir sind Gäste dieser Stadt! Wir haben die Pflicht, sie zu wahren!« »Gegen wen?« fragte ich, scheinbar er-
31 staunt. »Siehst du nicht, was hier geschieht? Die Roboter haben die Kontrolle verloren. Über sich selbst, über die Stadt. Wolterhaven ist auf heimtückische Weise sturmreif geschossen worden. Weißt du womit?« »Mit den Illusionssteinen, die wir selbst gebracht haben.« »Richtig, mein Freund! Sturmreif geschossen durch die heimtückischen Steine. Und wer wird die Stadt stürmen?« »Wer anders als die Händler von Orxeya?« »Wiederum richtig! Was also werden wir tun?« Angesichts seines martialischen Ernstes blieb mir nichts anderes als der Spott. »Wir gehen hinaus und bringen sämtliche Angreifer mit unseren bloßen Händen um.« Merkwürdigerweise brachte ihn gerade diese Aussage ein wenig zur Besinnung. »Du hast recht«, antwortete er. »Ungestüm hilft nichts. Wir müssen mit Überlegung vorgehen. Was wollen die Händler?« »Reichtümer.« »Wo gibt es diese zu finden?« »Ich kenne nur einen Platz: die Kuppel des Quorkmeisters.« »Wo liegt sie?« »Eine Ebene tiefer. Ich kenne den Weg.« »Wir brauchen Waffen. Ich hole die Skerzaals!« Er huschte davon. Ich drang ein paar Schritte weit in das Gestrüpp ein, das an dieser Stelle den Park säumte. Heftige Erregung hatte sich meiner bemächtigt. Wir hatten keinerlei Beweise dafür, daß sich die Dinge wirklich so verhielten, wie wir glaubten. Aber es gab einfach keine andere Deutung. Irgendwo dort unten, im Umkreis der Stadt oder gar schon auf einer der tiefergelegenen Plattformen, schlichen die Söldner von Orxeya, die gekommen waren, um die Stadt der Robotbürger auszurauben. Sie hatten ihre Vorbereitungen gut getroffen. Die trunkenen Robotdiener vollführten einen solchen Lärm, daß es völlig aussichts-
32 los war, die Angreifer etwa anhand der Geräusche aufzuspüren, die sie verursachten. Wenn wir Wolterhaven schützen wollten, dann müßten wir aufs Geratewohl die Punkte bewachen, von denen wir annahmen, sie müßten die Ziele der Räuber sein. Aber wir waren nur zu zweit, und wahrscheinlich gab es wenigstens ein halbes Dutzend solcher Punkte. Soviel hatte ich inzwischen über Wolterhaven erfahren, daß die Stadt Schätze beherbergte, die alles überstiegen, was Zbohr, Zbahn und Orxeya zusammengenommen zu bieten hatten. Unser Unwissen minderte den Umfang unserer Aufgabe. Wir wußten nicht, wo die Schätze lagerten. Wir kannten nur das Haus des Quorkmeisters. Dort mußten wir Posten beziehen. Vielleicht gelang es uns, einen der Angreifer zu überwältigen und von ihm zu erfahren, wo die übrigen Angriffsziele lagen. Plötzlich mischte sich ein neues Geräusch in das Lärmen der Robotdiener. Ich hörte das Brechen von Ästen, das Knacken von Zweigen. Das Geräusch war ganz in der Nähe, nur deswegen nahm ich es überhaupt wahr. Zuerst glaubte ich, Razamon sei zurückgekommen. Dann aber merkte ich, daß die Leute aus der anderen Richtung kamen. Ich ging in Deckung. Stimmen waren zu hören – menschliche Stimmen, leicht unterscheidbar von den Lauten, die die Roboter von Wolterhaven hervorbrachten. Zuerst verstand ich nichts. Aber als die Geräusche näherrückten, kam mir der Umstand zugute, daß die, die da durch die Dunkelheit krochen, schreien mußten, wenn sie sich über den Lärm der Robotdiener hinweg miteinander verständigen wollten. Ich begann, einzelne Worte zu verstehen. »… irgendwo hier … in der Nähe des Großbürgers … dieser Park … wofür soll er denn sonst gut sein …« Die Stimmen kamen auf mich zu. Ich fragte mich, wo Razamon blieb. Es bestand die Gefahr, daß er den Fremden geradewegs in die Arme lief. Anhand der Geräusche erkannte ich, daß es sich bei den Unbekannten
Kurt Mahr um wenigstens vier oder fünf Leute handelte. Ich wich ein Stück zur Seite. Sie durften mich nicht entdecken. Allein mit dem Messer hätte ich mich nicht gegen eine solche Übermacht verteidigen können. Das Knacken der Zweige verstummte plötzlich. Eine fremde Stimme rief: »Hier geht ein Weg!« Und eine zweite antwortete: »Vielleicht führt er zu Ginover!« »Verdammtes Weib!« meldete sich die erste Stimme wieder. »Wie lange sollen wir noch nach ihr suchen? Hat Gäham an den Schätzen nicht genug, die wir ihm bringen?« Zornig erwiderte der zweite Sprecher: »Du hast nicht zu entscheiden, was für Gäham genug ist und was nicht! Ich sage dir: Ginover wiegt zehnmal alle Schätze auf, die in dieser Stadt verborgen sind!«
* Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Mein Verdacht war nur zum Teil richtig gewesen. Wir hatten die Illusionssteine nach Wolterhaven bringen müssen, damit die Steine die Wachsamkeit der Robotbürger lähmten und Gäham Lastors Söldnern die Möglichkeit boten, die Stadt zu plündern. Dies aber war mir niemals in den Sinn gekommen: daß Gäham Lastor nicht nur materielle Schätze begehrte, sondern auch Ginover, die Göttin der Nacht. Also gab es sie wirklich! Also lebte sie doch in Wolterhaven! Nach wenigen Augenblicken der Lähmung begannen meine Gedanken, einander zu überstürzen. Ich mußte Ginover warnen. Die Söldner waren ohne Zweifel auf der richtigen Spur. Die Göttin mußte sich irgendwo in der Nähe aufhalten. Der Park war nur für sie geschaffen worden – ich hatte denselben Gedanken schon früher am Tag einmal gehabt. Aber wo sollte ich sie suchen? Und wie sollte ich den Söldnern aus dem Weg gehen, die dasselbe Ziel verfolgten wie ich? Während ich mir noch den Kopf zerbrach,
Stadt der Roboter geschah das, was ich befürchtet hatte. Einer der Söldner vor mir rief plötzlich: »Seht – da kommt einer!« Von dem Pfad aus, an dessen Rand sie standen, ließ sich das Gelände jenseits des Parks einigermaßen überblicken – um so besser, als an der Mauer, die den Gebäudetrakt begrenzte, in dem unsere Unterkünfte lagen, eine Lampe brannte. »Er trägt zwei Skerzaals!« schrie eine andere Stimme. Sie hatten Razamon entdeckt! Die tiefe Stimme, die zuvor den Ungeduldigen über Gäham Lastors Ansprüche belehrt hatte, dröhnte: »Das ist einer der beiden Männer, die Gäham mit den Steinen nach Wolterhaven geschickt hat! Wir müssen ihn fangen!« Die Söldner vor mir tauschten ein paar Zurufe aus, die ich nicht verstand. Dann raschelte es im Gebüsch. Ein wilder Schrei ertönte. Ich erkannte Razamons Stimme. Dann gab es einen dumpfen Fall. Triumphierend verkündete eine Stimme: »Den haben wir!« Sie hatten Razamon überwältigt. Er hatte zwei Skerzaals getragen. Es war leicht zu erraten, daß ich eine davon erhalten sollte. Von da bis zu dem Schluß, daß ich irgendwo in der Nähe sein müsse, war nur ein kurzer Weg. Wenn ich nicht gefaßt werden wollte, mußte ich mich aus dem Staub machen. Ginover! Ich mußte sie finden! Unwillkürlich lenkte ich meine Schritte in Richtung des Teiches, aus dem sich ihr Ebenbild erhob. Ich wußte nicht, was ich dort wollte. Aber die Statue war mein einziger Anhaltspunkt. Vielleicht, wenn ich einfach den Namen der Göttin rief …? Das Gebüsch hatte schließlich ein Ende. Ich gelangte auf eine Lichtung, die von einem Pfad durchquert wurde. Diesen Pfad kannte ich. Ich folgte ihm eine Zeitlang, gelangte an eine Wegkreuzung und bog dort nach links ab. Wenige Augenblicke später stand ich am Ufer des Teiches. Bis hierher reichte der Schein der Lampe nicht, die an der Mauer jenseits des Parks
33 hing. Hier leuchteten mir nur die Sterne und die bunten Positionslampen der Robotdiener, die sich schreiend und kreischend über mir bewegten. Und dennoch sah ich, daß mich mein Instinkt richtig geleitet hatte. Zwar wußte ich immer noch nicht, wo Ginover sich befand. Aber ich hatte jetzt den Beweis, daß es sie wirklich gab. Aus dem ruhigen Wasser des Teiches ragte nur noch die marmorne Plattform, auf der die Statue geruht hatte. Das Bildnis selbst war verschwunden. Es war gar kein Bildnis gewesen, sondern – Ginover selbst! Sie muß eine Spur hinterlassen haben, schoß es mir durch den Kopf. Ich umrundete den Teich. Um besser zu sehen, ging ich auf die Knie nieder und bewegte mich auf allen vieren. Das erste Anzeichen einer Spur, das ich fand, war nicht etwas, das man sehen konnte. Die tastenden Hände stießen auf eine Stelle des Bodens, die naß war. Ginover hatte, als sie ihr Podest verließ, den Teich durchqueren müssen. War sie an diesem Ort an Land gegangen? Das Gras in der Umgebung des nassen Flecks schien niedergedrückt, aber sicher war ich meiner Sache nicht. Immerhin folgte ich der Richtung, in die die niedergedrückten Halme wiesen, und gelangte schließlich an den Rand des Gebüschdschungels, der die Lichtung mit dem Teich umschloß. Da erwies es sich, daß ich mich auf dem richtigen Weg befand. Zwischen zwei Büschen klaffte eine schmale Lücke. Wenn man in sie eindrang, gelangte man auf einen schmalen, aber anscheinend oft begangenen Pfad, der sich durch den Dschungel wand und nach etwa zweihundert Schritten vor einem steil aufragenden, mit Moos bedeckten Felsen endete. Ratlos stand ich vor dem mächtigen Stein, der etwa doppelte Mannshöhe besaß und einen Umfang von mindestens acht Metern hatte. Wie ging es weiter? Die Spur fand hier ihr Ende. Auf allen anderen Seiten war der Stein von dichtem Dschungel umgeben.
34 Ich horchte. Über mir war das Geschrei der trunkenen Robotdiener. Es gab kein Anzeichen, daß ich verfolgt wurde. Also wagte ich zu rufen: »Ginover!« Ich rief dreimal. Dann ertönte aus dem Gestrüpp eine dunkle Stimme: »Wer sucht die Göttin der Nacht? Bist du das, Göttersohn?« Ich stand wie elektrisiert. Welch eine Stimme! Dunkel, guttural, sanft und lockend zugleich! Plötzlich rauschte es neben mir. Das Gestrüpp teilte sich, eine schattenhafte Gestalt kam zum Vorschein. Es war Ginover. Sie war nackt, wie ich sie auf dem vermeintlichen Bildnis gesehen hatte. Ihre samtene Haut schimmerte matt im Licht der Sterne. Der Anblick verschlug mir den Atem. Mein Verstand geriet durcheinander. »Ginover …!!« stieß ich hervor. Sie kreuzte die Arme über der Brust und berührte mit den Fingerspitzen die Schultern. Es schien ein Gruß zu sein. Dann sagte sie: »Ja, du bist es: der Sohn der Götter. Kommst du, um mir deine Hilfe anzubieten?« Sohn der Götter war ich bereits einmal genannt worden – auf dem Weg von Zbahn. Ich hatte jetzt keine Zeit, der unvergleichlichen Frau den Irrtum auszureden. »Ich bin gekommen, um dich zu schützen«, antwortete ich. »Weißt du von der Gefahr, die dir droht?« »Ich weiß davon«, bekannte sie. »Orxeya hat seine Häscher ausgesandt, um mich zu fangen.« Mein Verstand kam allmählich wieder in Ordnung. Ich dachte an Razamon, der sich in der Gewalt der Eindringlinge befand. Meine erste Aufgabe war, ihn zu befreien. Ich beschrieb Ginover die Lage. »Und du, ein einzelner, willst ihn befreien?« fragte sie verwundert. »Es sind ihrer vier, fünf oder sechs«, antwortete ich. »Sie sind auf der Suche nach dir. Also haben sie den Gefangenen irgendwo abgelegt und lassen ihn durch einen,
Kurt Mahr höchstens durch zwei Mann bewachen. Die anderen durchsuchen den Park. Es wird nicht allzu schwer sein, Razamon zu befreien.« »Ich bleibe bei dir«, sagte sie mit ihrer dunklen Stimme. »Der Schutz des Göttersohnes ist mehr wert als eine Horde von Söldnern!« Ihr blindes Vertrauen ließ mein Herz schneller schlagen. Ich war kein Göttersohn – aber, bei allen Helden von Arkon, ich würde ihr Leben schützen! Ich nahm sie bei der Hand. Die Berührung alleine löste erregende Schauer aus. Wir wanderten den schmalen Dschungelpfad entlang und erreichten schließlich den Teich, aus dem sich die marmorne Plattform erhob, auf der Ginover bis vor kurzem noch geruht hatte. Wir wandten uns nach rechts. Von Zeit zu Zeit blieb ich stehen, um zu lauschen. Aber außer dem Geschrei der Roboter war nichts zu hören. Die Orxeyaner suchten nicht in dieser Gegend. Wahrscheinlich hatten sie sich dem Wohnkomplex zugewandt, der sich nordwestlich des Parks erhob. Wir folgten demselben Pfad, den Razamon und ich heute morgen benutzt hatten, bevor die Diener des Herrn Moonkay uns aufhielten. Schließlich erreichten wir den Rand des Gebüschdschungels. Etwa zwanzig Meter seitwärts gewahrte ich die dunklen Umrisse menschlicher Gestalten im Gras. Undeutlich drangen die Laute von Stimmen an mein Ohr. Es gab für mich keinen Zweifel: Dort war Razamon. Indem ich den Mund nahe an Ginovers Ohr hielt, machte ich mich verständlich, ohne schreien zu müssen. »Dort liegt der Mann, den ich befreien will. Wir müssen ein Stück durchs Gebüsch, bis wir hinter seinen Wächtern sind!« Sie machte das Zeichen der Zustimmung. Wir gingen ein paar Schritte weit zurück und drangen dann in das Gestrüpp ein. Ich hielt noch immer Ginovers Hand. So vorsichtig wie möglich arbeitete ich mich durch das Gebüsch. Die Stimmen, die ich zuvor
Stadt der Roboter gehört hatte, wurden lauter, wenn auch nicht deutlicher. Ich unterschied zwei Leute. Sie saßen nah beieinander und unterhielten sich so laut, wie es nötig war, um sich über kurze Distanz miteinander zu verständigen. Schließlich bog ich nach rechts ein. Meine Schätzung war gut. Unmittelbar hinter den Eindringlingen erreichten wir den Rand des Dschungels. Im Schein der Lampe, die drüben an der Mauer hing, konnte ich die Lage gut überschauen. Razamon lag gefesselt am Boden, die beiden Skerzaals neben ihm. Zu beiden Seiten des Gefangenen saß je ein orxeyanischer Söldner. Die Männer schauten zu den bunten Lichtern der Roboter hinauf und machten sich über deren Treiben lustig. Sie trugen Schwerter, aber die Waffen staken in den Scheiden. Ich zog das Messer aus dem Gürtel. Da spürte ich den sanften Druck von Ginovers Hand in der meinen. Ich verstand die Geste. Sie wollte mir Mut machen und mich gleichzeitig zur Vorsicht mahnen. Ich war erregt. In dem Zustand, in dem ich mich in diesem Augenblick befand, hätte ich es mit einer ganzen Heerschar aufgenommen – nur, um der herrlichen Frau meinen Mut zu beweisen. Ich stürmte vorwärts. Der Lärm dämpfte meine Schritte. Die beiden Wächter wurden meiner erst gewahr, als ich einen von ihnen bereits beim Schopf hatte. Es blieb mir keine Wahl. Einen von beiden mußte ich töten, wenn ich beide überwältigen wollte. Die scharfe Klinge drang dem Söldner in die Brust. Mit einem ächzenden Laut sank er zur Seite. Der andere fuhr mit wildem Schrei in die Höhe. Er zerrte an seinem Schwert, aber bevor er es frei bekam, hatte ich das Messer in der Hand gewendet und schlug ihm den Knauf auf den Schädel. Er war sofort bewußtlos. Zwei, drei rasche Schnitte lösten Razamons Fesseln. Er sprang auf. In seinen Augen brannte ein böses Feuer. Wortlos nahm er die beiden Skerzaals auf und reichte mir eine davon. Ich nahm sie, gleichzeitig aber legte ich ihm die Hand auf die Schulter.
35 »Nur Ruhe!« ermahnte ich ihn. »Es hat sich inzwischen einiges ereignet.« »Ich weiß«, knurrte er. »Diese beiden Laffen glaubten, sie hätten mich sicher, und hüteten ihre Mäuler nicht. Ich weiß, wen die Söldner berauben wollen. Wenn wir den Wolterhavenern helfen wollen, müssen wir uns beeilen!« »Gewiß, das werden wir tun«, beruhigte ich ihn. »Aber inzwischen ist noch etwas anderes geschehen.« »Was?« »Ich habe Ginover gefunden!« Die Veränderung, die mit seinem Gesicht vor sich ging, war erschreckend. Er wurde bleich. Der volle Mund wurde zu einem dünnlippigen Strich. Die Augen brannten noch böser als zuvor. »Wo hast du sie?« fragte er heiser. »Sie wartet dort drüben am Rand des Parks auf mich.« »Auf dich?« Ohne meiner zu achten, setzte er sich in Bewegung. Auf halbem Wege jedoch besann er sich eines Besseren. Er blieb stehen und rief mir zu: »Bring sie in Sicherheit! Wir haben Wichtigeres, worum wir uns kümmern müssen!« Ich ging zum Rand des Gestrüpps. Ginover sah mich kommen und trat mir entgegen. »Du hast die Feinde besiegt!« sagte sie, und ihre Augen leuchteten dabei. »Du bist nach wie vor in Gefahr«, warnte ich sie. »Willst du meinem Rat folgen?« »Ja.« »Bleib an dieser Stelle! Verbirg dich im Gebüsch. Die Orxeyaner suchen in den Gebäuden nach dir, aber nicht hier. Razamon und ich haben diese Stadt zu schützen. Wir kehren zurück, sobald wir unsere Aufgaben getan haben.« Sie blickte an mir vorbei und musterte Razamons düstere Gestalt. »Ist das dein Gefährte? Razamon aus der Sippe der Knyr?« »Ja, das ist er.« Sie wandte sich ab. »Ich werde auf dich warten, Göttersohn«,
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sagte sie. »Sieh dich vor! Die Söldner von Orxeya sind rauh und achten ein Leben gering – auch das von Göttern.« Sie verschwand im Gestrüpp. »Bist du endlich fertig mit Schwatzen?« schrie Razamon mich zornig an. Ich ging auf ihn zu. »Ruhig Blut, Mann!« antwortete ich. »Die Göttin der Nacht hat mich bezaubert. Wenn sie spricht, stehe ich unter ihrem Bann, aus dem ich mich aus eigener Kraft nicht lösen kann.«
9. Auf dem Weg zur Kuppel des Quorkmeisters berichtete Razamon, was er gehört hatte. »Wieviel Orxeyaner es genau sind, ging aus ihren Reden nicht hervor. Um die achtzig, nehme ich an. Ihr Anführer ist Gädar Glomp. Er war bei denen, die mich gefangengenommen haben. Seine Gruppe besteht aus sechs Mann, ihn selbst mitgerechnet. Sie sollen Ginover fangen und zu Gäham Lastor bringen. Er begehrt sie.« »Was tut der Rest der Angreifer?« »Sie haben sich in mehrere Gruppen geteilt. Jede Gruppe hat sich ein bestimmtes Ziel vorgenommen. Sie wollen die Stadt plündern. Die Schätze werden zur Hauptsache von drei Robotbürgern bewacht. Einer davon heißt Juwelenheld, der zweite Werkzeugschöpfer und der dritte Quorkmeister.« »Quorkmeister!« »Ja, dort werden wir sie fassen. Die anderen müssen wir ungeschoren lassen, weil wir nicht wissen, wo die Kuppeln des Werkzeugschöpfers und des Juwelenhelds stehen.« Wir hatten inzwischen den Rand der Plattform erreicht. Ich erinnerte mich an die Position der Säule, durch die ich heute mittag zur Ebene des Quorkmeisters hinabgefahren war. Es dauerte nur Sekunden, da standen wir auf der nächsttieferen Plattform. Wir lauschten. Die Angreifer waren entweder noch nicht hier, oder sie gingen mit
äußerster Vorsicht zu Werke. Die Kuppel des Quorkmeisters war ein dunkler Schemen gegen den sternübersäten Nachthimmel, an dem sich die bunten Lichter der Robotdiener tummelten. »Gädar Glomp hat einen Stellvertreter«, sagte Razamon. »Merkwürdigerweise hat er ihn bei sich, anstatt ihm die Führung einer anderen Gruppe zu übertragen. Es ist der Mann, den du niedergeschlagen hast.« Der Tonfall, in dem er diese Bemerkung machte, ließ mich aufhorchen. »Ist an dem Mann etwas Besonderes?« »Eigentlich nicht. Er scheint mit Gädar Glomp einen Streit zu haben. Auf jeden Fall versicherte er dem Mann, der unter deinem Messer starb, daß er Wolterhaven nicht verlassen werde, ohne zuvor etwas zu tun, was Glomp ihm streng verboten hat.« »Und was ist das?« »Er will Ginover besitzen!« Die Art, wie er das sagte, gab mir zu denken. Seine Stimme klang gehässig, als wolle er mir mit seinen Worten Schmerz zufügen. Mißgönnte mir der Gefährte, daß ich Ginover gefunden und ihr Vertrauen gewonnen hatte? Gleichzeitig erfüllten mich Razamons Worte mit Besorgnis. Ich hatte den Mann nur niedergeschlagen, nicht aber gefesselt. Er würde bald wieder zu sich kommen. Wie, wenn er Ginover fand? »Wie heißt der Kerl?« fragte ich. »Vernigor.« »Vernigor soll sich in acht nehmen!« sagte ich grimmig. »Wenn er Hand an die Göttin der Nacht legt, hat er sein Leben verwirkt!«
* Wir schlichen am Rand der Plattform entlang. Plötzlich blieb Razamon stehen. »Hier sind sie heraufgekommen!« zischte er. Er trat zur Seite. Ich erblickte einen vierarmigen Wurfhaken, an dem ein Seil über den Plattformrand hing. Der Haken hatte
Stadt der Roboter sich an einem niedrigen, kastenförmigen Aufbau gefangen. Das bedeutete, daß die Angreifer ihr Ziel bereits erreicht hatten. Sie mußten in der Kuppel sein. Ich beugte mich nieder und machte den Haken los. Er hing jetzt nur noch leicht an einer der Kanten des Aufbaus. Die geringste Belastung des Seils mußte ihn befreien. Dann schlichen wir auf die Kuppel zu. Wir umrundeten sie fast zur Hälfte, bevor wir den offen stehenden Eingang fanden. Drinnen herrschte ähnlich gespenstisches Halbdunkel wie im Haus des Großbürgers Moonkay, und auch der Quorkmeister gab klingende und quietschende Laute von sich, die davon zeugten, daß er sich in einem Zustand hochgradiger elektronischer Trunkenheit befand. Gestalten huschten im Innern der Kuppel hin und her. Ich sah Razamon die Skerzaal spannen und tat es ihm gleich. Wir hatten es mit mehr als zwanzig Söldnern zu tun. Aber sie waren auf einen Angriff nicht vorbereitet. Die Überraschung würde unser Verbündeter sein. Die Männer schienen genau zu wissen, wo die Beute sich befand. In der Nähe des Ausgangs waren sackähnliche Behälter aufgestellt, in die sie die Quorks entluden, die sie mit vollen Händen herantrugen. Ich legte den Bolzen ein. Einen Atemzug lang war ich erstaunt über mich selbst. Ich schickte mich an zu töten, dabei kam ich aus einer Welt, in der das Töten eines Menschen als das verabscheuungswürdigste aller Vergehen betrachtet wurde. Was war aus mir geworden? Wo aber lag die Welt, aus der ich gekommen war? War sie nicht unendlich weit entfernt? Befand ich mich nicht im Land Pthor, in dem andere Gesetze galten als dort, woher ich kam? Wenn wir die Räuber verjagen wollten, mußten wir einige von ihnen töten. Es gab kein anderes Mittel, um ihnen den nötigen Schreck einzujagen. Eine Gestalt huschte heran und schickte sich an, die vollen Hände in einen Behälter zu entladen. Ich zielte gut. Die Skerzaal gab
37 ein surrendes Geräusch von sich, als ich den straff gespannten Bogen auslöste. Fast noch im selben Augenblick hörte ich den klatschenden Aufschlag. Der Getroffene richtete sich steil auf und stürzte dann zu Boden. Wirres Geschrei brandete im Innern der Kuppel auf und übertönte den Lärm, den der Quorkmeister vollführte. Razamons Skerzaal surrte. Das Geschoß traf einen zweiten Räuber und warf ihn zu Boden. Da gerieten die Orxeyaner in Panik. Die Säcke vergessend, drängten sie auf den Ausgang zu. »Laß sie durch!« schrie ich Razamon zu. Er gehorchte – aber erst, als er mit einem blitzschnellen Schuß noch einen weiteren Räuber getroffen hatte. Wir traten beiseite. Die Banditen quollen aus dem Ausgang hervor. Mit hysterischem Geschrei rasten sie auf den Rand der Plattform zu. Wir folgten ihnen vorsichtig. Wir sahen, wie drei, vier, fünf von ihnen gleichzeitig das Seil ergriffen, das von dem Greifhaken in die Tiefe hinabhing. Ein Ruck – und der Haken löste sich. Wir hörten die schrillen Todesschreie der Männer, die zehn Meter tief auf die nächste Plattform hinabstürzten. Die Zurückgebliebenen standen einen Augenblick lang wie erstarrt. Dann liefen sie davon – die einen hierhin, die andern dorthin. Sie hatten den Kopf verloren. Sie waren auf dieser Plattform gefangen, denn sie kannten die geheimen Worte nicht, mit denen man die Säulen zwang, einem zu Diensten zu sein. Razamon schickte sich an, seine Skerzaal von neuem zu spannen. Ich schlug ihm den Spannhaken beiseite. »Wir sind hier fertig«, sagte ich. »Diese Leute richten keinen Schaden mehr an.« Die zurückschnellende Sehne hatte seinen Daumen getroffen. Das mußte schmerzhaft sein. Trotzdem verzog er keine Miene. »Wohin also jetzt?« fragte er. »Zum Werkzeugschöpfer? Zum Juwelenheld?« »Zu Ginover!« stieß ich hervor. »Sie ist in Gefahr!« Er lachte trocken. »Wir haben uns vorgenommen, die Stadt
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Kurt Mahr
zu schützen, nicht Ginover. Was soll ich mit einem Mitstreiter, der sich im Netz einer Frau gefangen hat?« Ich war zornig. »Dann geh du, um die Stadt zu schützen!« schrie ich ihn an. »Ich kümmere mich um Ginover!« Ich eilte davon. Der Gedanke, daß Vernigor inzwischen zu sich gekommen sein und Ginover gefunden haben könne, wurde von Sekunde zu Sekunde unerträglicher. Ich schulterte die Skerzaal und lief, so rasch mich die Füße trugen, auf die Säule zu, die mich zur nächsthöheren Plattform befördern sollte. Als ich vor der Säule stand und »Broaigh« sagte, hörte ich eilende Schritte hinter mir. »Ich weiß auch nicht, wo Werkzeugschöpfer und Juwelenheld wohnen«, sagte Razamon. »Also komme ich besser mit dir!«
* Wir eilten durch den Park. Noch waren wir Hunderte von Schritten von seinem nordwestlichen Rand entfernt, an dem ich Ginover zurückgelassen hatte, da hörte ich ein Geräusch, das sich wie ein Hilfeschrei anhörte. Ich legte noch an Geschwindigkeit zu. Razamon folgte mir. Ich verfluchte den Lärm, der mich daran hinderte, zu hören, was sich vor mir abspielte. Als wir den Rand des Gebüschdschungels erreichten, bot sich uns ein unerfreuliches Bild. Nur wenige Schritte seitwärts, mit dem Rücken zu uns, stand der Orxeyaner, den ich mit dem Knauf meines Messers niedergeschlagen hatte – Vernigor, der Stellvertreter des Anführers. Meine Sorge hatte nicht getrogen: Er hatte Ginover gefunden. Er hielt sie wie einen Schild vor sich, mit dem linken Arm ihren Hals umfassend. In der Rechten trug er das blanke Schwert. Ein paar Dutzend Schritte jenseits standen weitere vier Orxeyaner, darunter ein Mensch mit hünenhafter Gestalt, in dem ich den Anführer vermutete. Aus ihrer Haltung ging
klar hervor, daß sie sich hatten auf Vernigor stürzen wollen. Vernigor jedoch hatte ihr Vorhaben vereitelt, indem er Ginover als Geisel benutzte. Keiner der Räuber hatte uns bisher wahrgenommen. Sie schrien einander an, und der Zorn verlieh ihren Stimmen solche Kraft, daß wir den Wortwechsel mühelos verstanden. »Ich schlage dir den Schädel ein, wenn du dich an ihr vergreifst!« brüllte der Hüne. »Sie gehört Gäham! Laß deine schmutzigen Finger von ihr!« »Jetzt gehört sie mir!« rief Vernigor höhnisch. Ginover verhielt sich völlig ruhig. Mir brannte das Herz, wenn ich mir vorstellte, welche Angst sie in diesen Sekunden empfand. Der Hüne – es war Gädar Glomp, wie sich bald herausstellte – hatte einen Entschluß gefaßt. Mit einer herrischen Handbewegung wies er seine Begleiter an, sich nicht vom Fleck zu rühren. Dann riß er das Schwert aus der Scheide und kam mit langsamen Schritten auf Vernigor zu. »Bleib zurück!« schrie ihn der Bedrohte an. »Du bekommst sie sonst nicht lebend!« »Ob tot oder geschändet – das ist für mich kein Unterschied!« röhrte Gädar Glomp in maßlosem Zorn. »Wehr dich, du Ratte!« Für uns wurde es Zeit einzugreifen. Unsere Taktik war klar. Gädar Glomp war der einzige, der Vernigor in Schach halten konnte. Ihn durften wir nicht treffen. Vernigor selbst bot ein zu unsicheres Ziel. Es blieben also nur Gädar Glomps drei Begleiter. Indem wir sie ausschalteten, gelang es uns womöglich, soviel Verwirrung zu schaffen, daß Ginover entkommen konnte. Surrend entluden sich die Skerzaals. Zwei Orxeyaner gingen schreiend zu Boden. Der dritte stutzte, dann warf er sich herum und stob in wilder Flucht davon. Gädar Glomp war stehengeblieben. Der alte Fuchs beging nicht den Fehler, sich umzudrehen. Mit dem Gehör allein versuchte er, zu erkunden, was sich hinter ihm abgespielt hatte. Vernigor war sichtlich verstört. Er hatte
Stadt der Roboter gesehen, daß die Geschosse aus dem Gebüsch hinter ihm gekommen waren. Er wußte uns in seinem Rücken. Das machte ihn unsicher. Er versuchte, die Stellung zu wechseln. Dabei mußte er den Griff um Ginovers Hals lockern, und das war der Augenblick, auf den Ginover gewartet hatte. Mit einer blitzschnellen Bewegung entwand sie sich dem Orxeyaner. Vernigor stieß einen wütenden Schrei aus und wollte ihr nachsetzen. Im selben Augenblick aber hatte auch Gädar Glomp seine Chance erkannt. Mit ungeheurer Wucht lief er gegen Vernigor an. Diesem blieb keine andere Wahl, als den Kampf aufzunehmen. Er riß das Schwert in die Höhe und parierte mit flacher Klinge Gädars mörderischen Schlag. Gädar geriet dadurch aus dem Gleichgewicht. Auf die Möglichkeit, daß Vernigor den ersten Ansturm überstand, hatte er sich nicht eingestellt. In wildem Zorn drangen die beiden Männer aufeinander ein. Beide waren geübte Kämpfer. Keiner gab sich eine Blöße. Klingend trafen die Schwerter aufeinander. Razamon und ich standen gebannt vom Augenblick urzeitlichen Kampfeszorns, primitiver Kraft und Geschicklichkeit. Es war Ginover, die schließlich das Ende des Schwertkampfes herbeiführte. Als sie sich Vernigors Griff entwunden hatte, war sie nur ein paar Schritte weit geflohen – gerade weit genug, um sich zu vergewissern, daß ihr von Vernigor keine Gefahr mehr drohte. Jetzt huschte sie herbei. Unweit der beiden Kämpfer lag die Leiche des Orxeyaners, den ich erstochen hatte. Sie riß dem Toten das Schwert aus der Scheide. Ehe ich ahnen konnte, was sie vorhatte, sprang sie auf die Kämpfenden zu. Hoch blitzte das Schwert auf. Gädar Glomp stieß einen wütenden Schrei aus. Durch einen harten Schlag von der Seite her hatte Ginover ihm die Waffe aus der Hand geprellt. Ein heiseres Lachen kam über Vernigors Lippen. »Hab' ich dich, Hexe!« stieß er hervor und drang auf Ginover ein.
39 In fiebernder Eile machte ich die Skerzaal schußbereit und riß mir dabei die Finger am Spannhaken blutig. Aber ich kam nicht mehr zum Schießen. Bevor ich anlegen konnte, war der Kampf entschieden. Vernigors erster Schlag hatte nur den Zweck, Ginover waffenlos zu machen. Er wollte die Frau nicht ernsthaft verletzen. Das war sein Fehler. Ginover machte sich keine Mühe, den Schlag zu parieren. Sie unterlief ihn. Vernigor sah, was er falsch gemacht hatte, und brüllte wütend auf. Aber es war schon zu spät. Mit einer Kraft, die niemand dem schlanken Geschöpf zugetraut hätte, rannte Ginover ihm die Klinge in den Leib. Vernigor gab ein ächzendes Stöhnen von sich. Die Arme sanken herab, das Schwert entglitt der Hand. Leblos stürzte der gedrungene Körper zu Boden. Ginover warf den Kopf in den Nacken und blickte zu uns herüber. »So geht es jedem, der sich an der Göttin vergreift!« rief sie zornig. Gleich darauf aber milderte sich ihr Tonfall, als sie fortfuhr: »Hab Dank, Göttersohn. Ginover wird dich nicht vergessen. Wenn das Schicksal es will, kreuzen sich unsere Wege noch einmal!« Dann lief sie auf den Rand des Gebüschdschungels zu. »Halt! Bleib doch!« schrie ich hinter ihr her. Sie aber tat, als hätte sie mich gar nicht gehört. Binnen Sekunden war sie im Gestrüpp verschwunden.
* Gädar Glomp hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Fassungslos staunend war er den sich überstürzenden Ereignissen nur mit dem Blick gefolgt. Derweil hatte Razamon kein Auge von ihm gelassen. Als der Bann sich löste und Gädar einen günstigen Augenblick für die Flucht gekommen sah, da rief Razamon ihm zu: »Tu einen Schritt, und du bist ein toter Mann!« Das bannte den Riesen an die Stelle. Raz-
40 amons laute Worte brachten auch mich in die Wirklichkeit zurück. Bis jetzt hatte ich zu der Stelle hinübergestarrt, an der Ginover verschwunden war. Ich wandte mich an Gädar Glomp. »Dein Herr hat unsere Dienste mißbraucht!« fuhr ich ihn an. »Er hat uns Illusionssteine nach Wolterhaven bringen lassen, damit ihr die Stadt überfallen und plündern könnt.« Er hob die Schultern. »Das geht mich nichts an. Das mußt du mit Gäham Lastor ausmachen«, antwortete er. »Wohl geht es mich etwas an! Ohne es zu wissen, habe ich bei dem Verrat mitgeholfen. Ich muß alles tun, um die Stadt zu schützen.« »Tu es!« rief er höhnisch. »Ich bin schon dabei!« antwortete ich und legte die bereits gespannte Skerzaal auf ihn an. »Ohne ihren Anführer werden deine Leute sich leichter vertreiben lassen.« Da endlich bekam er es mit der Angst zu tun! Er hob abwehrend die Hände und rief: »Halt ein! Sag mir deine Bedingungen! Vielleicht können wir uns einigen!« »Wir einigen uns entweder, oder du stirbst!« hielt ich ihm entgegen. »Was verlangst du?« »Ihr stellt sofort das Plündern ein und zieht ab!« Ich sah, wie es in seinen Augen aufleuchtete. Ich hatte nicht davon gesprochen, daß er das bisher Geraubte wieder hergeben müsse. »Meinst du es so?« vergewisserte er sich. »Genauso. Also: Wie lautet deine Entscheidung?« »Ich nehme an. Wir stellen sofort das Plündern ein und ziehen ab. Laß mich zu meinen Leuten gehen und es ihnen sagen!« Da mischte sich Razamon in die Unterhaltung. »Meinst du, wir seien dumm? Schick einen Boten! Er mag hierher zurückkommen und melden, daß deine Leute tatsächlich abgezogen sind.«
Kurt Mahr Gädar Glomp sah sich um. Vernigor war tot, ebenso der Mann, den ich erstochen hatte, als ich Razamon befreite. Gädars Begleiter lagen am Boden und gaben stöhnende Laute von sich. Sie waren schwer verletzt. »Ich habe niemand, den ich schicken kann«, maulte der Hüne. »Oh doch!« rief Razamon. »Du hast einen. Er mag hervorkommen, sonst trifft ihn der Bolzen meiner Skerzaal.« Erst jetzt fiel mir auf, daß Razamon die ganze Zeit über seine Waffe in Anschlag gehalten hatte. Sie war auf ein Ziel an der Mauer gerichtet. Dort wuchs ein übermannshoher Strauch. Der Orxeyaner, der unseren Schüssen entkommen war, hatte sich dort versteckt. Es war ihm nicht entgangen, daß Razamon ihn längst entdeckt hatte. Er mußte Todesängste ausgestanden haben, denn jeden Augenblick konnte sich der Schuß lösen, der seinem Leben ein Ende bereitete. Er schlotterte, als er hinter dem Gesträuch hervorkam. »Du hast gehört, was hier gesprochen wurde?« rief Gädar Glomp ihm zu. »Ich habe es gehört«, antwortete der Söldner. »Geh zu den Leuten hinunter und sag ihnen, daß sie sofort abziehen sollen.« »Ich ge … gehorche«, stotterte der Mann und eilte davon, nicht ohne ab und zu einen Blick über die Schulter zu werfen. Er glaubte nicht, daß er so leichten Kaufs davonkommen sollte. Wir warteten über eine halbe Stunde. Während dieser Zeit wurde kein Wort gesprochen. Dann kehrte der Bote zurück. Er blieb am Rand des Parks stehen und rief: »Die Leute sind dabei, die Stadt zu verlassen!« Gädar Glomp verlangte: »Laß mich jetzt frei!« »Du bist frei«, sagte ich zu ihm. »Wenn du nach Orxeya kommst, richte Gäham Lastor aus, daß ich ihn für den Verrat bestrafen werde, den er an uns begangen hat. Und du selbst komm mir kein zweites Mal unters Auge, oder es ist dein Tod!«
Stadt der Roboter
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Gesenkten Blicks trottete er davon. Er wagte es nicht einmal, das Schwert aufzuheben, das Ginover ihm aus der Hand geprellt hatte.
10. Die trunkenen Robotdiener tummelten sich noch immer über der Stadt. Es war ungefähr Mitternacht. Razamon bemerkte vorwurfsvoll: »Du hast ihnen die Beute gelassen. Warum?« »Wie hätte ich sie ihnen abnehmen sollen?« fragte ich. »Außerdem liefert sie uns den nötigen Beweis.« »Welchen Beweis?« »Sollten wir jemals nach Orxeya zurückkehren, werde ich Lastor zur Rechenschaft ziehen. Er wird behaupten, er habe mit dem Überfall auf Wolterhaven nichts zu tun gehabt. Aber wenigstens ein Teil der Beute, die seine Söldner heute nacht gemacht haben, wird sich noch in seinen Händen befinden. Damit kann ich ihn überführen.« »Was tun wir mit den Verletzten?« »Wir überlassen sie den Robotbürgern. Sie wollen mit ihnen anfangen, was ihnen beliebt. Da sind außerdem noch die Leute auf der Plattform des Quorkmeisters. Der Rückweg ist ihnen versperrt. Die Robotbürger mögen sich auch ihrer annehmen.« Meine Gedanken waren fern von meinen Worten – bei Ginover, der Herrlichen, die mich ihrer Dankbarkeit versichert hatte. Ich wußte nicht, wohin sie gegangen war. Ich wußte nur, daß sie sich nicht mehr in der Stadt befand. Die Göttin der Nacht hatte Wolterhaven verlassen. Es war mir unklar, woher ich diese Gewißheit nahm. Aber sie war da und ließ sich nicht verdrängen. Ich hatte Ginover, wenigstens fürs erste, verloren. »Wie lange, meinst du, wird dieses Fest dauern?« fragte Razamon. »Ich weiß es nicht. Wir müssen ihm ein Ende bereiten. Die Robotbürger müssen aufwachen und den Schaden berechnen, den die
Räuber ihnen zugefügt haben.« »Wie wecken wir sie auf?« Ich deutete zu den bunten Positionslichtern der tanzenden Robotdiener hinauf. »Nur die wenigsten von ihnen besitzen Illusionssteine. Und doch sind sie alle berauscht. Wie kommt das?« »Sie tauschen ihre Erfahrungen untereinander aus. Auch die, die keine Steine besitzen, kommen in den Genuß der berauschenden Wirkung, die diejenigen empfinden, die Steine bei sich tragen.« »Das ist richtig. Und wie funktioniert der Erfahrungsaustausch?« »Wahrscheinlich auf elektromagnetischer Basis – wie die Nachrichtenübermittlung.« »Eben. Wir müssen einen der Robotdiener einfangen und ihn in einen Faraday'schen Käfig stecken, dann ist unser Problem bereits zur Hälfte gelöst.« Er grinste mich an. »So einfach ist das, wie?« »Es ist der einzige Weg«, antwortete ich. »Wenn er dir zu mühsam ist, leg dich schlafen.« Razamon schüttelte den Kopf. »Weiß Gott, ich könnte Schlaf gebrauchen«, sagte er. »Aber zuvor laß mich sehen, wie du einen dieser Roboter einfängst und in einen Faraday'schen Käfig steckst.« »Komm mit«, schlug ich ihm vor und deutete auf die Tür in der Mauer, die zu den Unterkünften führte. »Zuerst brauchen wir den Käfig, dann den Roboter.«
* Den Käfig fertigten wir aus den mit Draht bezogenen Rahmen, auf denen die Polster unserer Betten lagen. Es war eine ziemlich mühselige Arbeit, da weder Razamon noch ich mit besonderer Handfertigkeit begabt waren. Es mochte gegen vier Uhr morgens sein, als wir endlich am Ziel waren. Der Käfig bestand aus Draht, der zu einem reichlich grobmaschigen Netz geflochten war. Er hatte die Form einer Glocke und war im großen und ganzen unflexibel. Wenn
42 wir einen Roboter fingen, mußten wir das Metallgeflecht über ihn stülpen. Dadurch wurde erreicht, daß er keine elektromagnetischen Impulse mehr von außen empfangen konnte. Razamon besah sich unser Machwerk und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß wir damit unserem Ziel näherkommen«, sagte er. »Es muß versucht werden«, erwiderte ich. »Los, faß an!« Wir trugen den Käfig hinaus ins Freie. Im Osten wurde es bereits licht. Über uns aber torkelten und tanzten noch immer die trunkenen Roboter und vollführten einen unbeschreiblichen Lärm. Ich beobachtete sie aufmerksam. Sie bewegten sich in nicht allzu großer Höhe. Manchmal stieß einer von ihnen herab und strich dicht über die Wipfel des Gebüschs hin, aus dem der größte Teil des Parks bestand. Ich griff die Skerzaal und spannte den Bogen. »Willst du einen abschießen?« fragte Razamon verwundert. »So ähnlich«, antwortete ich. Ich legte den Bolzen ein und wartete. Im Laufe von zehn Minuten stießen mehrere Robotdiener herab und befanden sich sekundenlang innerhalb meiner Schußweite. Sie waren jedoch entweder zu groß, als daß sie in unseren Käfig gepaßt hätten, oder ich erkannte in ihnen die untergeordnete Kaste der Handlanger, die für meine Zwecke nicht geeignet war. Schließlich aber kam einer der humanoiden Robottypen angeflogen. Er torkelte über das Gebüsch dahin wie eine betrunkene Wachtel. Ich legte an und ließ den Lauf der Skerzaal eine Zeitlang seinem Flug folgen, um den richtigen Vorhaltewinkel zu ermitteln. Gerade in dem Augenblick, in dem er wieder in die Höhe steigen wollte, drückte ich ab. Es gab eine Art Gongschlag, als der stählerne Bolzen auf die metallene Hülle des Roboters traf. Der Robot wurde herumgerissen, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Der Aufprall machte ihn benommen.
Kurt Mahr Inzwischen hatten Razamon und ich das Netz ergriffen und eilten mit weiten Schritten zur Absturzstelle. Bevor der Roboter sich wieder aufrichten konnte, hatten wir ihm die Drahtglocke übergestülpt. Durch funkelnde Linsen starrte das Maschinenwesen uns an. »Was ist geschehen?« quarrte es. »Wo ist die Freude? Wo die Herrlichkeit?« »Die Freude war vorgetäuscht, die Herrlichkeit eine Fälschung«, antwortete ich. »Wolterhaven ist in Gefahr. Die Herren müssen aufgeweckt werden.« Während ich sprach, sah ich mir den Roboter genauer an. Es war mir, als müsse ich ihm schon einmal begegnet sein. »Du bist entweder Iwein oder Owein«, behauptete ich. »Kannst du deinen Herrn Moonkay wecken?« »Ich bin Owein«, antwortete der Robot. »In mir ist der Nachhall großer Freude, aber die Freude selbst empfinde ich nicht mehr. Du sagst, die Stadt sei in Gefahr?« »Söldner von Orxeya haben sie überfallen und geplündert. Hast du Verbindung mit deinem Herrn?« »Er feiert noch immer das große Fest.« »Du mußt ihm von der Gefahr berichten!« drängte ich. »Ich will es versuchen«, antwortete Owein und wurde starr. Erst nach einigen Minuten fing er wieder an, sich zu rühren. »Ich habe deine Sorge dem Herrn Moonkay vorgetragen«, sagte er. »Ich glaube, er hat verstanden, was ich sagte.« Razamon stieß mich an. »Schau!« rief er und deutete in den heller werdenden Himmel hinauf. Die Bewegung der fliegenden Roboter waren langsamer geworden. Ihr Geschrei verstummte. Die Robotdiener näherten sich der Stadt. Sie verschwanden hinter den Silhouetten der Gebäude. Es wurde mit einemmal unheimlich unruhig. Razamon lachte auf. »Von dir kann man etwas lernen, Arkonide«, stieß er hervor.
Stadt der Roboter
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Ich wandte mich an Owein. »Wir sind müde und bedürfen der Ruhe. Sag deinem Herrn, daß Gäham Lastor von Orxeya die Illusionssteine nur geschickt hat, um die Bürger und ihre Diener trunken zu machen. Während sie trunken waren, sind Lastors Söldner in die Stadt eingedrungen, um alle Schätze zu rauben und Ginover zu entführen. Wir haben Ginover gerettet und die Räuber am Haus des Quorkmeisters geschlagen. Dem Werkzeugschöpfer und dem Juwelenhelden aber konnten wir nicht helfen, weil wir nicht wußten, wo ihre Kuppeln liegen. Dein Herr soll eine Bestandsaufnahme machen lassen und feststellen, wieviel Verlust die Plünderer verursacht haben.« »Und ihr?« fragte Owein. »Wir gehen zur Ruhe«, antwortete ich. »Wir haben keine Betten mehr, weil wir das Drahtgeflecht brauchten, um diesen Käfig herzustellen. Aber wir sind müde genug, daß wir auch auf dem nackten Boden gut schlafen. Wenn dein Herr Moonkay uns braucht, soll er uns rufen lassen. Aber nicht vor Mittag!« Ich nahm den Drahtkäfig ab. Owein eilte davon. Ich sah ihn zur Plattform des Robotbürgers Moonkay emporschweben.
11. Der Herr Moonkay erwachte aus einem wunderschönen Traum. Sein Diener Owein hatte ihn gerufen – mit ernsten Worten, die ernstgenommen werden mußten. Räuber hatten die Stadt überfallen. Der Anschlag hatte dem Quorkmeister, dem Juwelenheld und dem Werkzeugschöpfer gegolten. Man hatte die Stadt ihrer Schätze berauben wollen. Und nicht nur das. Ginover hatte entführt werden sollen. Ginover, die die Herren der FESTUNG den Robotbürgern anvertraut hatten. Der Herr Moonkay sorgte dafür, daß das Fest sofort ein Ende fand. Die Diener wurden zurückgerufen. Die Illusionssteine, die sie trugen, waren in der Kuppel des Groß-
bürgers Moonkay zu deponieren. All dies geschah binnen einer halben Stunde. Es herrschte wieder Ruhe in Wolterhaven. Die aufgehende Sonne sah die Stadt so, wie sie sie zu sehen gewöhnt war. Den Herrn Moonkay aber ergriff Unbehagen. Er erinnerte sich eines Versäumnisses, dessen er sich schuldig gemacht hatte – aus lauter Eifer, daß das Fest bald beginnen möge. Inzwischen liefen die Meldungen ein. Der Herr Leodagan, der auch der Quorkmeister genannt wurde, war ungeschoren davongekommen. Die Räuber waren zwar in seine Kuppel eingedrungen und hatten begonnen, die Quorks zusammenzuraffen. Anscheinend waren sie jedoch gestört worden. Man fand in Leodagans Kuppel ein paar Tote, auch am Rande der Plattform, die unterhalb der Ebene des Quorkmeisters lag. Und auf Leodagans Plattform wurden noch ein paar verirrte Räuber ergriffen. Leodagans Diener verfuhren mit ihnen, wie die Vorschrift der Vollkommenheit es gebot: Sie brachten sie allesamt um. Den Herren Vortimer und Cynrik war es schlechter ergangen. Der eine war seine Juwelen und der andere seine Werkzeuge los. Den Verlust würden die Robotbürger von Wolterhaven leicht genug verschmerzen. Juwelen waren leicht wieder zu beschaffen, die Werkzeuglager ohne Mühe wieder zu füllen. Was den Herrn Moonkay bedrückte, war eine Sorge gänzlich anderer Art. Inzwischen hatte er erfahren, daß die nächtlichen Räuber nur deswegen nicht mehr Beute gemacht hatten, weil ihnen zwei Männer in den Weg getreten waren und sie vertrieben hatten: Atlan und Razamon, die Gäste der Stadt. Der Großbürger setzte sich mit dem Herrn Geraint in Verbindung, und dieser wiederum alarmierte den Herrn Erek. Das Gespräch, das die drei mächtigsten Robotbürger der Stadt Wolterhaven miteinander führten, war ernsten Inhalts. »Wer hat je davon gehört, daß es zwei
44 Männer gelingen könne, eine ganze Horde von orxeyanischen Söldnern zu vertreiben?« fragte der Herr Moonkay. »Das ist unerhört!« antwortete der Herr Geraint. »Sie sind außergewöhnlich«, fügte der Herr Erek hinzu. »Das sind sie in der Tat«, antwortete der Herr Moonkay. »So außergewöhnlich, daß wir unsere Überlegungen noch einmal überprüfen müssen.« »Welche Überlegungen?« fragte der Herr Erek. »Die Überlegungen, mit denen wir zu ergründen versuchten, ob die beiden Besucher unserer Stadt mit den zwei Eindringlingen von der Außenwelt identisch sein könnten.« Betretenes Schweigen folgte. Schließlich äußerte sich der Herr Geraint: »Es bereitet mir Wohlbefinden, daß auch dir Zweifel an unserem Entschluß gekommen sind. Ich hege dieselben Zweifel nämlich schon seit einiger Zeit und hätte sie binnen kurzem zur Sprache bringen müssen.« »Seit einiger Zeit?« fragte der Herr Moonkay zweifelnd. »Du warst ebenso am Feiern wie wir alle, und während des Festes plagten dich keinerlei Zweifel!« »Nun, das mag so sein«, gab der Herr Geraint zu. Er hatte mehr sagen wollen, aber der Herr Erek fiel ihm ins Wort. »Ich habe gehört, daß das Fest eine Falle war. Die Händler von Orxeya haben uns die Steine geschickt, damit wir unsere Wachsamkeit vergäßen. Inzwischen überfielen sie die Stadt und beraubten sie ihrer Schätze. Ist das wahr?« »Das ist wahr«, bekannte der Herr Moonkay. »Die Orxeyaner müssen dafür bestraft werden!« forderte der Herr Erek. »Das werden sie«, beruhigte ihn der Herr Moonkay. »Aber vorderhand geht es um etwas Wichtigeres. Sind Atlan und Razamon die gesuchten Eindringlinge von der Außenwelt, oder sind sie es nicht?« Die drei Herren berieten lange und einge-
Kurt Mahr hend. Schließlich kamen sie zu dem Schluß, daß sie sich bei ihrer letzten Beratung getäuscht hätten. Atlan und Razamon waren in der Tat die Späher von der Außenwelt. »Das muß sofort den Herren der FESTUNG gemeldet werden«, sagte der Herr Erek mit Nachdruck. »Überlege dir, was dann geschähe!« forderte der Herr Geraint ihn auf. »Was sollte geschehen?« »Die Herren der FESTUNG würden sich fragen, warum wir erst heute zu dieser Erkenntnis kommen. Sie müßten an unserer Weisheit zu zweifeln beginnen, weil wir nicht schon gestern die Zusammenhänge durchschaut haben. Sie würden uns womöglich aus ihren Diensten entlassen und kurzschließen oder womöglich gar die ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen.« Ähnliche Bedenken hatte der Herr Moonkay äußern wollen. Er war dem Bürger Geraint dankbar, daß er es an seiner Stelle getan hatte. Der Herr Erek zögerte nicht, die Weisheit des Herrn Geraint anzuerkennen. »Du hast recht«, sagte er. »Wir haben einen Fehler gemacht, aber wir dürfen ihn den Herren der FESTUNG nicht eingestehen.« »Nicht, wenn uns das Leben lieb ist«, fügte der Herr Geraint hinzu. »Hört zu, ich habe einen Plan«, sagte der Herr Moonkay. »Wir dürfen gegenüber den Herren der FESTUNG nicht zugeben, daß wir falsch geurteilt haben. Wir könnten die beiden Fremden einfach verschwinden lassen und so tun, als habe es sie nie gegeben. Aber wir sind Atlan und Razamon Dank schuldig, denn sie haben die Stadt vor größerem Schaden bewahrt. Also müssen wir sie aus Wolterhaven entfernen, ohne daß sie dabei Schaden erleiden. Und da sie nun von der Außenwelt kommen, könnten sie uns womöglich obendrein noch einen Dienst erweisen, den die Herren der FESTUNG hoch belohnen würden.« »Welchen?« fragten die Herren Erek und Geraint gleichzeitig. »Sie könnten einen Weg durch die Barrie-
Stadt der Roboter
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re bahnen, die Pthor umschließt.« »Das ist gefährlich. Sie werden nicht damit einverstanden sein.« »Wir machen sie gefügig, indem wir sie ein paar Tage einsperren!«
* Ich erwachte unsanft. Zwei übermannsgroße Roboter hatten mich gepackt und zerrten mich von meinem Lager. Ich versuchte mich zu wehren. Aber den Riesenkräften der Maschinenwesen war ich nicht gewachsen. Ich sah, daß es Razamon nicht besser erging als mir. Wir protestierten lauthals gegen die rauhe Behandlung. Aber die Roboter reagierten nicht darauf. Sie schleppten uns den Korridor entlang. An dessen Ende gab es eine Tür, die wir bisher noch nie bemerkt hatten. Dahinter führte eine Rampe in die Tiefe. Wir wurden in einen finsteren, niedrigen Raum geschafft, der etwa drei Meter im Geviert maß. Die Roboter warfen uns zu Boden. Dann traten sie zurück. Die schwere Tür wurde geschlossen. Das Licht, das bisher von der Rampe hereingefallen war, erlosch. Es wurde finster. »Womit haben wir uns das verdient?« fragte Razamon. »Da fragst du den Falschen«, brummte ich. »Ich dachte, wir seien die Helden von Wolterhaven, seitdem wir die orxeyanischen Söldner verjagt haben.« Zeit verging – eine Menge Zeit. Im Dunkeln verliert man leicht die Orientierung. Ich schlief ein wenig, wachte wieder auf, schlief wieder ein. Einmal weckte mich Razamon. »Da kommt einer!« zischte er. Die Tür wurde geöffnet. Grelles Licht fiel herein. Ein Roboter stellte vier Schüsseln auf den Boden. Zwei davon enthielten einen dampfenden, wenig appetitlich aussehenden Brei, die andern beiden klares Wasser. Ich benützte die wenigen Augenblicke, in denen es hell war, um mich umzusehen. In der hintersten Ecke der kahlen Zelle entdeckte ich ein kreisrundes Loch im Boden. Es hatte einen Durchmesser von einem halben Meter
und diente offenbar sanitären Zwecken. Wir aßen den Brei, tranken das Wasser und verrichteten unsere Notdurft. Nach langer, langer Zeit kam abermals ein Roboter, nahm die leeren Schüsseln weg und stellte neue vor uns hin. Ich nahm an, daß inzwischen ein Tag vergangen war. Auf die Fragen, die ich dem Roboter stellte, erhielt ich keine Antwort. Insgesamt viermal bekamen wir zu essen und zu trinken. Dann öffnete sich – zu einer Zeit, als wir es nicht erwarteten – die Tür von neuem. Draußen stand ein ganzer Zug von Robotern, an der Spitze einer, der aussah, als wäre er entweder Iwein oder Owein. »Kommt mit uns!« herrschte das Maschinenwesen uns an. Wir kamen mühsam auf die Beine. Die Roboter nahmen uns in die Mitte. Wir stiegen die Rampe hinauf und durchquerten den Korridor, an dem unsere früheren Unterkünfte lagen. Wir wurden hinaus ins Freie geführt. Durch eine Säule glitten wir hinauf zur höchsten Plattform der Stadt. Also war es der Großbürger Moonkay, zu dem man uns brachte! Die Roboter ließen uns auch in dem mächtigen Kuppelraum nicht aus den Augen. Wir waren waffenlos, also dem Lauf der Dinge hilflos ausgeliefert. In mir hatte sich mittlerweile eine mächtige Wut aufgestaut. Kaum war die Szene einigermaßen zur Ruhe gekommen, da donnerte ich los: »Ist das die Art der Bürger von Wolterhaven, ihre Gäste zu behandeln? Wir haben eure Stadt vor großem Schaden bewahrt! Wir haben die orxeyanischen Räuber verjagt, während ihr handlungsunfähig wart! Und wie sieht euer Dank aus?« Der Herr Moonkay antwortete sofort. Seine wohlmodulierte Stimme klang ruhig, fast sanft. »Und wer hat uns die Dinge gebracht, die uns trunken machten?« »Wir. Aber wir taten es guten Herzens. Wir wußten nicht, was Gäham Lastor vorhatte.« »Ich glaube euch. Dieses wenigstens.
46 Aber nicht, daß ihr Steinbildner aus der Großen Barriere von Oth seid.« Die Anschuldigung verschlug mir den Atem. Ich brauchte einen Augenblick, um meine Fassung wiederzugewinnen. »Wer sollten wir sonst sein?« »Ihr seid Kundschafter der Außenwelt«, antwortete das Wesen, das aus siebenundzwanzig Metallkugeln bestand. »Ihr seid als Spione nach Pthor eingedrungen, und die Herren der FESTUNG haben eine Belohnung auf eure Köpfe ausgesetzt.« Hatte es einen Sinn, gegenüber einem Roboter auf unserer Maske zu bestehen? Ich glaubte es nicht. »Also – was hast du mit uns vor?« fragte ich. »Wir sind euch Dankbarkeit schuldig«, antwortete der Herr Moonkay. »Ihr habt die Stadt vor größerem Schaden bewahrt. Wir werden den Herren der FESTUNG gegenüber schweigen, wenn ihr es unternehmt, einen Weg durch die Energiehülle zu finden, die Pthor umgibt.« »Und wenn wir es nicht unternehmen?« wollte ich wissen. »Dann müssen wir euch einkerkern und warten, was die Herren der FESTUNG über euch beschließen.« Ich dachte an die finstere Zelle. Sollten wir dorthin zurückkehren? Trotz dieser unerfreulichen Aussicht wollte ich dem Robotbürger gegenüber ehrlich sein. »Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß es unmöglich ist, die Energiehülle zu durchbrechen.« Daraufhin sagte er etwas, das mich sehr überraschte. »Wir verlangen nicht von euch, daß ihr es schafft – nur, daß ihr es versucht. Wagt ihr wenigstens den Versuch, dann seid ihr frei!« Ich begriff. Er wollte uns helfen. Es lag ihm nicht wirklich daran, ob es uns gelang, die Barriere zu durchbrechen. Sollte unser Versuch gelingen, würde er es als willkommenen Nebeneffekt empfinden und sich den Herren der FESTUNG gegenüber mit seinem Erfolg brüsten. Aber in Wirklichkeit
Kurt Mahr war er auf der Suche nach einer Weise, uns loszuwerden, ohne daß er uns den Herren der FESTUNG auszuliefern brauchte. »Wir werden den Versuch unternehmen«, erklärte ich entschlossen.
* Daraufhin durften wir in unsere Quartiere zurückkehren. Ich nahm ein stundenlanges Bad und reinigte mich von all dem Schmutz, der sich in mehr als vier Tagen angesammelt hatte. Dann wurden wir abgeholt. Auf dem morastigen Gelände am Nordostrand der Stadt standen zwei Yassels für uns bereit. Ich weiß nicht, wo die Robotbürger sie aufgetrieben hatten. All unser Eigentum war uns zurückgegeben worden – mit Ausnahme der Illusionssteine selbstverständlich, über die die Robotbürger zu gegebener Zeit mit den Händlern von Orxeya abrechnen würden – auf die eine oder andere Weise. Eine ganze Schar von Robotern bildete unsere Begleitung. Die zwei kräftigsten unter ihnen trugen ein Langboot, in dem wir versuchen sollten, die Energiebarriere zu durchbrechen. Der Führer der Schar war ein humanoider Roboter vom Iwein-Typ. Als er sich einmal in meiner Nähe befand, fragte ich ihn: »Sag mir – bist du Iwein oder Owein?« »Ich bin Iwein«, antwortete er stolz. »Mein jüngerer Bruder ist viel zu unzuverlässig, als daß der Herr Moonkay ihn mit einer solchen Aufgabe betrauen würde.« »Gut für dich!« lobte ich ihn. »Sag mir noch etwas: Was ist aus Ginover geworden? Befindet sie sich noch in der Stadt?« Es war, als verlöre sein groteskes Linsensystem an Glanz. Unwillkürlich hatte ich den Eindruck, sein Blick sei traurig geworden – obwohl das bei einem Roboter natürlich ganz und gar unmöglich ist. »Große Trauer ist über die Robotbürger von Wolterhaven und ihre Diener gekommen«, sagte er. »Die Göttin der Nacht ist spurlos verschwunden.«
Stadt der Roboter Dann glitt er davon. Unser Weg führte zunächst zur Küste. Dann ging es nach Nordwesten, immer am Meer entlang. Die Wildnis des Blutdschungels lag zu unserer Rechten. Es fiel mir auf, daß unsere Begleiter es eilig hatten. Sie versäumten, während sie über und neben uns herschwebten, keine Gelegenheit, die Yassels anzutreiben. Wir bewegten uns mit beachtlicher Geschwindigkeit, und im Laufe des Tages wurde mir allmählich bange um die Ausdauer unserer Reittiere. Es zeigte sich jedoch, daß die Herren von Wolterhaven offenbar die kräftigsten und ausgeruhtesten Yassels für unseren Transport ausgesucht hatten. Wir legten an diesem Tag weit über 100 Kilometer zurück. Gegen Einbruch der Dunkelheit kamen wir in eine Gegend, in der die Küste, die bisher in nordwestlicher Richtung verlaufen war, zunächst nach Norden und dann nach Nordosten umschwenkte. Bevor es völlig dunkel wurde, suchte Iwein einen Lagerplatz. Er fand eine Felsengruppe unmittelbar am Strand, in der wir uns für die Nacht einquartierten. Meine Frage, wie weit wir noch zu reiten hätten, bevor man uns das Boot übergab, blieb unbeantwortet. Am nächsten Morgen ging es weiter. Abermals hatte Iwein es eilig. Gegen Mittag ließ er anhalten. Ich glaubte zuerst, er wolle rasten. Aber die beiden Träger, die bislang das Boot geschleppt hatten, setzten das Fahrzeug ins Wasser, und Iwein forderte uns zum Einsteigen auf. »Ihr seht die Energiebarriere dort draußen schimmern«, sagte er. »Versucht, sie zu durchbrechen. Wenn es euch gelingt, kehrt ihr wieder hierher zurück.« Das war eine merkwürdige Anweisung. »Und wenn nicht?« fragte ich. Iwein machte die Geste der Ungewißheit. »Ich entledige mich nur eines Auftrags, den der Herr Moonkay mir gegeben hat«, antwortete er. »Ich soll euch zurückbringen, falls euer Versuch gelingt.« Ich wollte genau wissen, zu wieviel Zugeständnissen er bereit war. Deshalb erklärte
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Kurt Mahr
durch die energetische Wand zu finden.
* »Du willst den Kerlen doch nicht etwa wirklich den Gefallen tun?« fragte Razamon besorgt, als das leichte Flimmern, das die Position der Energiebarriere anzeigte, nur noch wenige hundert Meter von uns entfernt war. »Ich habe nicht die Absicht«, antwortete ich. »Aber ich möchte die Bürger von Wolterhaven nicht vor den Kopf stoßen. Sie sollen glauben können, daß wir den Durchbruch tatsächlich versucht haben.« Ich kreuzte eine halbe Stunde lang vor der Barriere auf und ab. Energetische Schutzwälle dieser Art sind unberechenbar. Je nach Aufbereitungszustand sind sie für den, der sie berührt, entweder harmlos oder voll tödlicher Gefahr. Der jeweilige Aufbereitungszustand läßt sich ohne entsprechende Meßgeräte nicht erkennen. Es gab keine Garantie, daß ein zweiter Versuch, die Wand zu durchbrechen, ebenso harmlos verlaufen würde wie der erste, den wir wenige Tage nach unserer Landung in Pthor unternommen hatten. Schließlich wandte ich mich um. Wir waren so weit vom Land entfernt, daß uns Iwein und seine Roboter nur noch wie winzige Punkte erschienen. Ich begann zu winken. Meine Gesten sollten zum Ausdruck bringen, daß es nicht geraten war, an dieser Stelle einen Durchbruch zu versuchen. Ich zeigte nach Norden, um anzudeuten, daß wir eine Strecke weit in dieser Richtung fahren und dann einen weiteren Versuch unternehmen würden. Ich konnte nicht erkennen, ob die Roboter meine Gestik verstanden. Aber als das Boot auf Nordkurs ging, folgten sie uns, indem sie entlang der Küstenlinie schwebten. Unnötig zu sagen, daß Razamon und ich es nicht eilig hatten. Mit mäßiger Geschwindigkeit trieben wir an der Energiebarriere entlang und warteten darauf, daß die Sonne sich endlich ins Meer senkte.
Sobald es finster wurde, hielt ich auf die Insel zu. Razamon meinte, es sei womöglich günstiger, noch ein paar Stunden zu warten. Er fürchtete, daß Iwein seine eigenen Aussagen nicht gar zu wörtlich nehmen und womöglich noch eine Zeitlang auf uns warten werde. Mir aber brannte die Zeit unter den Nägeln. Ich wollte weiter, um die Geheimnisse von Pthor zu erforschen. Anhand eines gänzlich unerwarteten Anlasses stellte sich heraus, daß meine Meinung die richtige gewesen war. Das hohle Summen, das seit unserem Aufbruch aus dem Leib des Bootes gedrungen war, verstummte plötzlich. Wenig später begannen die Wellen des Ozeans, das Fahrzeug zu schaukeln. Das Boot hatte aufgehört, Fahrt zu machen. Jeder Versuch, das Triebwerk wieder in Gang zu bringen, scheiterte. Wenn man die Sache genauer betrachtete, kam man zu dem Schluß, daß wir mit einer solchen Entwicklung eigentlich hätten rechnen müssen. Die Robotbürger von Wolterhaven hatten uns kein Fahrzeug zur Verfügung stellen wollen, mit dem wir mühelos sämtliche Küsten von Pthor bereisen konnten. Es war ein verständliches Anliegen ihrerseits, den Aktionsradius des Bootes auf das Nötigste zu beschränken. Wir hätten die Energiebarriere durchbrechen sollen. Dazu hätte der Treibstoffvorrat ausgereicht. Wir hatten den Durchbruch nicht geschafft. Von da an fühlten sich die Robotbürger für uns nicht mehr verantwortlich. Razamon kletterte über Bord. »Wir sind ziemlich nahe bei Land«, sagte er. »Das Wasser reicht mir kaum bis zur Brust.« Wir luden unsere Habseligkeiten auf und überließen das Boot sich selbst. Indem wir uns an den Sternen orientierten, die dieselben waren, die auch am Nachthimmel der Erde leuchteten, fanden wir den Weg an Land. Wir waren durchnäßt und hungrig, als wir endlich wieder trockenen Boden unter den Füßen hatten. Ein kalter Wind blies von der See herein. Es war ungemütlich. Wir suchten eine Zeitlang und fanden schließlich
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einen einzeln stehenden Felsen, der uns Schutz gegen den Wind bot. Hinter ihm legten wir uns nieder und schliefen bis zum Anbruch des Morgens. Ich träumte von Ginover. Und wie es im Traum manchmal geht: Wirkliches vermischte sich mit Unwirklichem. Es kam mir etwas wieder in den Sinn, was ich in jener denkwürdigen Nacht zwar zur Kenntnis genommen, dann aber sofort zu den Akten gelegt hatte. Ich weckte Razamon. »Was willst du?« fragte er mürrisch. »Dir etwas über Ginover sagen«, antwortete ich. »Ginover? Träumst du immer noch von ihr?« »Ich werde zeit meines Lebens nicht aufhören, von ihr zu träumen. Sie ist die herrlichste Frau, die diese Schöpfung hervorgebracht hat.« Er war jetzt vollends wach. Die Art, wie ich von Ginover schwärmte, schien ihn zu erheitern. Er grinste. »Also – was wolltest du über Ginover sagen?« fragte er. »Sie kennt dich besser, als du denkst.« »Mich? Woher willst du das wissen?« »Ich nannte ihr zuerst deinen Namen. Der schien ihr nichts zu bedeuten. Aber dann sah sie dich und nannte dich – Razamon aus der Sippe der Knyr!« Razamon starrte zu Boden. Ich hatte erwartet, daß er aufbrausen und versuchen würde, mir den Glauben an die Göttin der Nacht wieder auszureden. Er tat nichts dergleichen. Er starrte einfach vor sich hin, wohl eine halbe Stunde lang. Inzwischen ging die Sonne auf. Östlich von uns leckten Ausläufer des Blutdschun-
gels gegen die Küste hin. Nach Nordosten stieg das Gelände allmählich an. Der Horizont wurde begrenzt von steil aufragenden Bergen. Razamon sprang auf. »Wir müssen weiter!« sagte er. Wir rafften unsere Habseligkeiten zusammen. Razamon blinzelte gegen die aufgehende Sonne. »Was sehe ich dort?« rief er aus. Ich folgte der Richtung seines Blicks und entdeckte auf der Flanke eines steil aufragenden Berges die Umrisse eines Gebäudes. Morgendunst wallte aus dem Dickicht des Blutdschungels. Die Sicht war nicht sonderlich gut. Trotzdem erkannte ich, daß es sich um ein Bauwerk von bedeutenden Ausmaßen und ungewöhnlichen Formen handelte. »Wo, schätzt du, sind wir hier?« fragte Razamon. »Schwer zu sagen«, antwortete ich. »Wir haben ziemlich viel Strecke zurückgelegt. Etwa hundert Kilometer nördlich der Linie, die die Straße der Götter von Zbahn nach Orxeya zieht.« Er nickte. »Dann weißt du auch, was das dort drüben ist!« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Ich weiß es«, sagte ich. »Es ist die Feste Grool!« Er blickte mich an. Dabei grinste er. »Laß uns gehen und dem mächtigen Porquetor unsere Aufwartung machen!« schlug er vor.
ENDE
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