Simone Becker Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?
Simone Becker
Sport zur Gesundheitsförd...
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Simone Becker Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?
Simone Becker
Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport? Eine empirische Längsschnittanalyse
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Heidelberg, 2010
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17814-1
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ........................................................................ 8 Tabellenverzeichnis............................................................................ 9 1
Einleitung ................................................................................ 13 1.1 Ziel und Fragestellung der Arbeit ....................................... 15 1.2 Relevanz der Fragestellung ............................................... 17 1.3 Aufbau der Arbeit ............................................................ 22
2
Theoretische Überlegungen und aktueller Forschungsstand.......... 23 2.1 Entwicklung der Sportaktivität im Zeitverlauf ...................... 24 2.2 Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität ....................... 31 2.2.1 Theoretische Modelle zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität .......................................................................... 31 2.2.2 Weitere theoretische und empirische Befunde zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität ...................................................... 42 2.3 Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität unter Berücksichtigung weiterer Einflussfaktoren ......................... 55 2.3.1 Vertikal strukturierende Einflussfaktoren ............................ 56 2.3.1.1 Soziale Schicht ................................................................ 57 2.3.1.2 Bildung ........................................................................... 61 2.3.1.3 Berufliche Stellung ........................................................... 64 2.3.1.4 Einkommen ..................................................................... 66 2.3.2 Horizontal strukurierende Einflussfaktoren ......................... 68 2.3.2.1 Alter ............................................................................... 68 2.3.2.2 Generationszugehörigkeit ................................................. 79 5
2.3.2.3 2.3.2.4 2.3.3 2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3 2.3.4 2.3.4.1 2.3.4.2 2.3.4.3 2.4 2.5
Geschlecht ...................................................................... 82 Familienstand und Kinder im Haushalt ............................... 86 Lebensstilstrukturierende Einflussfaktoren .......................... 88 Alkoholkonsum ................................................................ 91 Tabakkonsum .................................................................. 91 Ernährung und Übergewicht ............................................. 92 Bedeutsame Lebensereignisse........................................... 97 Berufsein- und Berufsausstiege ......................................... 98 Familiäre Veränderungen .................................................. 99 Wohnortwechsel ............................................................. 101 Operationalisierungsprobleme und Forschungsdefizite ........ 102 Zusammenfassung der Hypothesen .................................. 104
3
Daten und Analysemethoden .................................................... 107 3.1 Verfügbare Datensätze mit Informationen zur Sportaktivität und zum Gesundheitszustand ...................... 107 3.2 Datengrundlagen ............................................................ 114 3.2.1 Das Sozio-Oekonomische Panel (SOEP)............................. 115 3.2.1.1 Stichproben und Stichprobenentwicklung .......................... 115 3.2.1.2 Erhebungsinstrumente und Feldarbeit............................... 117 3.2.1.3 Operationalisierung der Variablen des SozioOekonomischen Panels .................................................... 118 3.2.2 Projektdaten: „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ ...................................................... 131 3.2.2.1 Konstruktion des Fragebogens und Pretest ........................ 131 3.2.2.2 Stichprobenziehung nach dem Gabler-Häder-Verfahren ...... 135 3.2.2.3 Datenerhebung............................................................... 137 3.2.2.4 Externe Validierung und Repräsentativität ......................... 139 3.2.2.5 Gewichtung der Daten..................................................... 143 3.2.2.6 Operationalisierungen der Variablen der Studie „ Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in BadenWürttemberg“ ................................................................ 145 3.3 Auswertungsverfahren und Datenaufbereitung .................. 155
4
Empirische Befunde zum Einfluss der Gesundheitszufriedenheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität ....... 158 4.1 Deskriptive Ergebnisse zu Sport und Gesundheit ................ 158
6
4.1.1
Entwicklung der Sportaktivität und der Gesundheitszufriedenheit im Lebenslauf (Westdeutschland) 158 4.1.2 Entwicklung der Sportaktivität und der ärztlich diagnostizierten Erkrankungen im Lebensverlauf (Baden-Württemberg) ..................................................... 161 4.2 Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität unter Berücksichtigung weiterer relevanter Einflussfaktoren 165 4.2.1 Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit und Veränderungen der Gesundheitszufriedenheit auf Sportein- und Sportausstiege (Westdeutschland) ............... 166 4.2.2 Der Einfluss gesundheitlicher Einschränkungen auf Sportein- und Sportausstiege (Baden-Württemberg) .......... 181 4.2.2.1 Der Einfluss medizinischer Risikofaktoren auf Sporteinund Sportausstiege ......................................................... 181 4.2.2.2 Der Einfluss von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf Sporteinund Sportausstiege ......................................................... 196 4.2.2.3 Der Einfluss von orthopädischen Erkrankungen auf Sportein- und Sportausstiege ........................................... 207
5
Diskussion der Ergebnisse ........................................................ 221 5.1 Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?............................................................................ 221 5.2 Validiät und Reliabilität der Daten..................................... 240 5.3 Generalisierbarkeit der Ergebnisse .................................... 246
6
Implikationen für weitere Forschung und die Praxis .................... 249
Literaturverzeichnis......................................................................... 256 ANHANG A: .................................................................................... 293 Literaturliste zur Forschungsstandstabelle ..................................... 293 ANHANG B: .................................................................................... 300 Zusätzliche Ergebnistabellen ........................................................ 300
7
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Sportaktivität bundesdeutscher Erwachsener im Zeitverlauf nach Geschlecht .................................................. 30 Abbildung 2: Die Verankerung der sportlichen Aktivität im Salutogenesemodell (mod. nach Knoll) ....................................... 37 Abbildung 3: Modell zur sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit..... 39 Abbildung 4: Darstellung der Wechselbeziehungen zwischen körperlicher Aktivität, Fitness und Gesundheit ............................. 41 Abbildung 5: Sportkarrieren sportlich aktiver 50- bis 65-Jähriger Männer in Brandenburg ................................ 73 Abbildung 6: Sportkarrieren sportlich aktiver 50- bis 65-Jähriger Frauen in Brandenburg ................................. 74 Abbildung 7: Sportkarrieren sportlich inaktiver 50- bis 65-Jähriger Männer in Brandenburg ................................ 75 Abbildung 8: Sportkarrieren sportlich inaktiver 50- bis 65-Jähriger Frauen in Brandenburg ................................. 76 Abbildung 9: Modell zur Beziehung zwischen GesundheitsverhaltensParameter (GvP1 – GvP3 und Sport) und dem Gesundheitszustand-Parameter (GzP) ........................... 90 Abbildung 10: graphische Darstellung der Stichprobenentwicklung...... 116 Abbildung 11: Häufigkeit sportlicher Aktivität in den Jahren 1986 bis 2005 .................................................... 119 Abbildung 12: Die Stabilität sportlicher (In-)Aktivität über den Zeitraum von 1986 bis 2005 ....................................... 122 Abbildung 13: Entwicklung des Anteils der Sportler (wöchentlich) und Nicht-Sportler (selten/nie) im Lebensverlauf nach Geschlecht (gleitende 5-Jahresdurchschnitte) ............................................. 160 Abbildung 14: Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit im Lebensverlauf nach Geschlecht (gleitende 5-Jahresdurchschnitte) 161 Abbildung 15: Entwicklung der Sportaktivität getrennt für Männer und Frauen im Lebensverlauf (gleitende 5-Jahresdurchschnitte) ........ 162 Abbildung 16: Entwicklung der Sportaktivität im Lebensverlauf nach diagnostizierten Erkrankungen im höheren Erwachsenenalter ...... 165 8
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Korrelate sportlicher Betätigung in der Literatur .................. 93 Tabelle 2: Überblick über die aufgestellten Hypothesen ..................... 106 Tabelle 3: Überblick zu existierenden bundesdeutschen Datensätzen mit Informationen zur Sportaktivität und zum Gesundheitszustand ........ 113 Tabelle 4: Stabilität der Sport(in)aktivität in aufeinanderfolgenden Wellen (in %) ......................................... 121 Tabelle 5: Operationalisierung der abhängigen Variable für die Analysen mit dem sozio-ökonomischen Panel .................. 123 Tabelle 6: Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit im Zeitverlauf von 1986 – 2005 (alte Bundesländer) ................... 124 Tabelle 7: Operationalisierung der zeitveränderlichen Variablen in den Analysen mit dem SOEP ................................................. 127 Tabelle 8: Operationalisierung der zeitkonstanten unabhängigen Variablen in den Analysen mit dem SOEP .................................. 129 Tabelle 9: Mittelwerte aller unabhängiger Variablen (episodengesplitteter Datensatz) .............................................. 130 Tabelle 10: Die wichtigsten Themen der Studie Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“134 Tabelle 11: 50- bis 70-jährige Baden-Württemberger im ungewichteten Gesamtdatensatz und im Mikrozensus in % nach Altersgruppen ..................................................... 141 Tabelle 12: 50- bis 70-jährige Baden-Württemberger im ungewichteten Gesamtdatensatz und im Mikrozensus in % nach Bildung ................................................................... 142 Tabelle 13: 50- bis 70-jährige Baden-Württemberger im ungewichte ten Gesamtdatensatz und im Mikrozensus in % nach Geschlecht . 142 Tabelle 14: Operationalisierung der abhängigen Variable in den Analysen mit den Daten „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ ................................... 146 Tabelle 15: Operationalisierung der zeitveränderlichen Variablen in den Analysen mit den Daten des Projekts „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ ......................... 150
9
Tabelle 16: Operationalisierung der zeitkonstanten unabhängigen Variablen in den Analysen mit den Daten des Projekts „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ ..... 153 Tabelle 17: Mittelwerte aller unabhängiger Variablen (episodengesplitteter Datensatz) .............................................. 154 Tabelle 18: Bisherige Erstdiagnosen nach Alter in Prozent (in %) ........ 164 Tabelle 19: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit und des Alters auf die Ein- und Ausstiegsrate in/aus wöchentlicher Sportaktivität (relative Risiken) ............................................ 168 Tabelle 20: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit, des Alters, des Geschlechts und des Geburtsjahres auf die Ein- und Ausstiegs rate in/aus wöchentlicher Sportaktivität (relative Risiken) ........... 169 Tabelle 21: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderungen der Gesundheitszufriedenheit und weiterer Faktoren auf die Sporteinstiegsrate (relative Risiken).................. 179 Tabelle 22: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit und weiterer aktoren auf die Sporteinstiegsrate bei Männern (relative Risiken) 301 Tabelle 23: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit und weiterer Faktoren auf die Sporteinstiegsrate bei Frauen (relative Risiken) . 302 Tabelle 24: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit und weiterer Faktoren auf die Sportausstiegsrate (relative Risiken) ................. 180 Tabelle 25: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit und weiterer Faktoren auf die Sportausstiegsrate bei Männern (relative Risiken) ................................................................ 303 Tabelle 26: Der Einfluss der Gesundheitszufriedenheit, der Veränderung der Gesundheitszufriedenheit und weiterer Faktoren auf die Sportausstiegsrate bei Frauen (relative Risiken). 304 Tabelle 27: Der Einfluss des Vorliegens medizinischer Risikofaktoren, der Erstdiagnose eines medizinischen Risikofaktors, des Alters, des Geburtsjahres und des Geschlechts auf die Sportein- und Sportausstiegsrate (relative Risiken) ......................................... 183
10
Tabelle 28: Der Einfluss des Vorliegens medizinischer Risikofaktoren, der Erstdiagnose medizinischer Risikofaktoren und weiterer Faktoren auf die Sporteinstiege (relative Risiken) ....................... 189 Tabelle 29: Der Einfluss des Vorliegens medizinischer Risikofaktoren, der Erstdiagnose medizinischer Risikofaktoren und weiterer Faktoren auf die Sportausstiege (relative Risiken) ...................... 190 Tabelle 30: Der Einfluss des Vorliegens medizinischer Risikofaktoren, der Erstdiagnose medizinischer Risikofaktoren auf die Sporteinund Sportausstiegsrate getrennt für Männer und Frauen (relative Risiken) .................................................................................. 191 Tabelle 31: Der Einfluss von Bluthochdruck, erhöhten Cholesterin werten und Diabetes Mellitus sowie des Geschlechts, des Alters und des Geburtsjahres auf die Sportein- und Sportausstiegsrate (relative Risiken) ..................................................................... 193 Tabelle 32: Der Einfluss von Bluthochdruck, erhöhten Cholesterin werten, Diabetes Mellitus und weiterer Faktoren auf die Sportein- und Sportausstiegsrate (relative Risiken) ..................... 195 Tabelle 33: Der Einfluss von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, des Alters, des Geschlechts und des Geburtsjahres auf Sportein- und Sportausstiege ................................................... 197 Tabelle 34: Der Einfluss des Vorliegens von Herz-KreislaufErkrankungen, der Erstdiagnose von Herz-KreislaufErkrankungen und weiterer Faktoren auf die Sporteinstiege (relative Risiken) .................................................................... 200 Tabelle 35: Der Einfluss des Vorliegens von Herz-KreislaufErkrankungen, der Erstdiagnose von Herz-KreislaufErkrankungen und weiterer Faktoren auf die Sportausstiege (relative Risiken) ..................................................................... 201 Tabelle 36: Der Einfluss des Vorliegens von Herz-KreislaufErkrankungen auf die Sportein- und Sportausstiegsrate getrennt für Männern und Frauen (relative Risiken) .................... 202 Tabelle 37: Der Einfluss von koronaren Herzerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkten, des Alters, des Geschlechts und des Geburtsjahrgangs auf die Sportein- und Sportausstiegsrate (relative Risiken) ......................................... 204 Tabelle 38: Der Einfluss koronarer Herzerkrankungen, Herzrhythmusstörungen oder eines Herzinfarkts und
11
weiterer Faktoren auf die Sportein- und Sportausstiegsrate (relative Risiken) ..................................................................... 206 Tabelle 39: Der Einfluss des Vorhandenseins einer orthopädischen Erkrankung, der Diagnose einer orthopädischen Erkrankung, des Alters, des Geburtsjahres und des Geschlechts auf Sportein- und Sportausstiege (relative Risiken) ............................................... 208 Tabelle 40: Der Einfluss orthopädischer Erkrankungen und weiterer Faktoren auf die Sporteinstiegsrate (relative Risiken).................. 211 Tabelle 41: Der Einfluss orthopädischer Erkrankungen und weiterer Faktoren auf die Sportausstiegsrate (relative Risiken) ................. 212 Tabelle 42: Der Einfluss orthopädischer Erkrankungen auf die Sportein- und Sportausstiegsrate getrennt für Männer und Frauen (relative Risiken) .......................................................... 213 Tabelle 43: Der Einfluss von Arthrose, Arthritis, chronischen Rückenschmerzen, des Alters, des Geschlechts und des Geburtsjahrgangs auf die Sportein- und Sportausstiegsrate (relative Risiken) ..................................................................... 215 Tabelle 44: Der Einfluss von Arthrose, Arthritis, chronischen Rückenschmerzen und weitereren Faktoren auf die Sporteinund Sportausstiegsrate (relative Risiken) ................................... 217 Tabelle 45: Hypothesenbestätigung bezüglich des Einflusses einzelner Erkrankungen auf die Sportein- und die Sportausstiegsrate ......... 220 Tabelle 46: Überblick über die vorläufige Bestätigung der Hypothesen 239 Tabelle 47: Vergleich verschiedener Datensätze bezüglich des Anteils der wöchentlich sportlich Aktiven in der Gruppe der 50- bis 70-Jährigen ............................................................ 242 Tabelle 48: Vergleich ausgewählter sozialstruktureller Merkmale in Baden-Württemberg und der Bundesrepublik..............................248
12
1
Einleitung
Im Zusammenhang mit der gestiegenen Lebenserwartung1 und der zunehmenden Verbreitung chronischer Erkrankungen wächst insbesondere im mittleren und höheren Erwachsenenalter die Bedeutung des Sports zur Prävention, Kuration und Rehabilitation.2 Obwohl ältere Menschen heute biologisch gesehen im Durchschnitt später „altern“ als zu früheren Zeiten (Lubitz et al. 2003), wird immer wieder die Befürchtung geäußert, dass die durch die gestiegene Lebenserwartung gewonnenen Jahre zu einem großen Teil in Krankheit und Pflegebedürftigkeit verbracht werden (Klein und Unger 2002: 528; Hermey 2004: 1; Höpflinger 1997: 159). Untermauert wird diese Vermutung durch deutsche Gesundheitsstatistiken, die bestätigen, dass immer mehr Menschen immer länger unter chronischen Krankheiten leiden (Hermey 2004: 1; Perrig-Chiello 2003: 7). Die Sportaktivität ist insbesondere in westlichen Industriegesellschaften ein gesellschaftlich akzeptiertes Mittel zur Gesundheitsbeeinflussung (Bös und Brehm 1998: 7; Rost 1994: 13), und auch weltweit existieren wenig Zusammenhänge, die in den verschiedensten Gesellschaftsordnungen so unkritisch akzeptiert werden, wie die Auffassung, dass Sport gesund ist (Waddington 1998: 91). Durch die zunehmende Thematisierung 1 In den letzten 100 Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland, wie auch die meisten anderen westlichen Industrienationen, einen deutlichen Anstieg der Lebenserwartung, einen Rückgang der Geburtenzahlen und dadurch einen Zuwachs des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung erfahren (Baur et al. 1996: 37; Hermey 2004: 1; Wahl und Heyl 2004: 12ff.; Klein 2005: 45ff.; Klein und Unger 2002: 528; Nocera 1997:1; Höpflinger 1997: 143; Backes 1998). Im Jahr 2005 lag der Anteil der über 65-Jährigen bei 19%. Hochrechnungen zufolge kann davon ausgegangen werden, dass der Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen bis zum Jahr 2030 auf 29% ansteigt (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007: 21ff.). Diese demographischen Veränderungen sind zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass Infektionskrankheiten, Hunger und Krieg für eine frühe Sterblichkeit an Bedeutung verloren haben (Opaschowski 1987; Opper 1998a: 341). 2 Die Prävention zielt hierbei „generell auf die Vermeidung eines schlechteren Zustandes, während Kuration und Rehabilitation einen besseren Zustand zu erreichen suchen“ (Rosenbrock und Kümpers 2006: 246). Andere Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von Primärprävention (Verringerung oder vorbeugende Beeinflussung von Risikofaktoren), Sekundärprävention (Verhinderung einer Verschlimmerung der Erkrankung) und Tertiärprävention (Vermeidung von Folgeschäden) (z.B. Kruse 2002: 36f.).
13 S. Becker, Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?, DOI 10.1007/978-3-531-92750-3_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
des Sports als Mittel zur Gesundheitsförderung in den Medien ist zudem die Bedeutung, die der Einzelne dem Sport zuschreibt, stark angestiegen (Bös und Brehm 1998: 7; Darlison 2000: 963; Meusel 1996b; BKK Bundesverband 2006; Pilz 1991: 113; Schwenkmezger 1993; Tokarski 1991: 6; Woll et al. 2003: 38). In Befragungen wird Gesundheit fast durchgängig als Hauptmotiv für die Ausübung sportlicher Aktivitäten bzw. für die geplante Aufnahme sportlicher Aktivitäten genannt (Bös und Brehm 2003: 156). Ungefähr zwei Drittel der über 16-Jährigen sind der Meinung, dass Sport wichtig für die Gesundheit ist, und lediglich ein Drittel vertritt die Ansicht, dass es auch möglich ist ohne Sport gesund zu leben (BKK Bundesverband 2006). Zurückgeführt werden kann diese starke Verankerung der Sport-Gesundheits-Beziehung in den Köpfen der Bevölkerung zum Teil auf zahlreiche Kampagnen (z.B. „Sport tut Deutschland gut“3, „Von Null auf 42!“4), die die Möglichkeit der positiven Beeinflussbarkeit der Gesundheit durch Sport thematisieren und die Förderung der Sportaktivität in Deutschland vor dem Hintergrund des gesundheitlichen Nutzens zum Ziel haben. Auf der Grundlage einer Vielzahl empirischer Befunde deklarierte die WHO bereits 1986 mit der Ottowa Charta Gesundheitsförderung zur zentralen Aufgabe und Sport zum aussagekräftigsten Indikator für Gesundheit (Kickbusch 2003). Auch eine Vielzahl neuerer Studien bestätigen den positiven Einfluss des Sports auf verschiedenste Aspekte der Gesundheit. Im Zuge der Verbreitung des Wissens um den positiven Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit wird auch zunehmend „eine neue Ethik der Selbstverantwortung für Gesundheit propagiert“ (Digel 1994: 127). Diese Entwicklung kommt u. a. durch die Etablierung zahlreicher Bewegungsprogramme zur Prävention, Kuration und Rehabilitation zum Ausdruck. Es scheint mittlerweile kaum noch Krankheiten zu geben, für die noch keine Sport- oder Bewegungstherapie entwickelt wurde (Bouchard 1990; Bouchard und Shephard 1994; Frogner 1991: 5; Blech 2006). Ausdauertraining ist beispielsweise bei der Rehabilitation von Herz-Kreislauf3 Die Kampagne „Sport tut Deutschland gut“ vom Deutschen Olympischen Sportbund verfolgt das Ziel, die Bevölkerung für die gesellschaftliche und sozialpolitische Bedeutung des Sports zu sensibilisieren (Deutscher Sportbund 2003). 4 „Von Null auf 42“ wurde vom Südwestrundfunk ins Leben gerufen. „Jeder, der gesund ist, kann einen Marathon laufen“ lautete die Botschaft, mit der der Südwestrundfunk 2002 erstmals Nichtläufer suchte, die bereit waren, auf einen Marathon zu trainieren. Der Sender verfolgte die sieben ausgewählten Personen über ein Jahr mit der Kamera. Die daraus entstandenen Reportagen wurde an drei Terminen erstmals im Fernsehsender „Arte“ ausgestrahlt (Schiner 2004; Schlenker und Wessinghage 2004).
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Patienten inzwischen nicht mehr wegzudenken (Brusis et al. 1990). In diesem Zusammenhang kann leicht der Eindruck entstehen, als könnte „der Sport ein zuverlässiges Medikament mit Breitbandwirkung gegen Zivilisationsschäden, Alterskrankheiten und frühzeitigen Tod sein“ (Balz 1992: 261).5 Der Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit ist jedoch keineswegs so eindeutig, wie es teilweise in den Medien dargestellt wird (vgl. Kap. 2.2.2). Die Propagierung des Sports zum „Allheilmittel“ stellt dementsprechend für verschiedene Autoren eine Überschätzung der gesundheitlichen Wirkungen des Sports dar (Balz 1992: 262; Digel 1994: 134ff.; McCormick und Skrabanek 1989), denn bisher ist es weitgehend unerforscht, welchen Einfluss der Gesundheitszustand auf die Sportaktivität hat. Es stellt sich also die Frage, ob Sportler gesünder sind, weil sie Sport treiben, oder ob Gesunde mehr Sport treiben (Rost 1991: 54). Dieser sowohl aus soziologisch, sportwissenschaftlich, gerontologischer wie auch aus Public-Health-Sicht interessanten Fragestellung ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Im Folgenden werden das Ziel und die Fragestellung ausformuliert (Kap. 1.1), die Relevanz des Themas verdeutlicht (Kap. 1.2) und der Aufbau der Arbeit beschrieben (Kap. 1.3).
1.1
Ziel und Fragestellung der Arbeit
Das Ziel der Arbeit ist die theoretische und empirische Analyse des Einflusses der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität – dabei beziehen sich die Analysen auf Ein- und Ausstiege in bzw. aus der Sportaktivität in Abhängigkeit von der Gesundheitszufriedenheit bzw. gesundheitlichen Einschränkungen. Bisher wurde kaum untersucht, wie sich die Sportaktivität infolge von Gesundheitsverschlechterungen oder Krankheitsdiagnosen verändert: Wird die Sport(in)aktivität auch nach der Krankheit beibehalten, aufgegeben oder erst unter Gesundheitsaspekten aufgenommen? Mit der Fokussierung der Fragestellung auf Veränderungen der Sportaktivität als Resultante wird die Entscheidung gefällt, die Beziehung zwischen dem Gesundheitszustand und der Sportaktivität aus einer primär sozialwissenschaftlichen Perspektive 5 Teilweise ergeben allerdings Untersuchungen zur Wirkungsweise der sportlichen Aktivität, dass die Bewegung an sich den kleinsten Teil des positiven Effekts der Sportaktivität ausmacht. Vielmehr wird die positive Wirkung durch psychosomatische und psychische Einflüsse vermittelt (z.B. durch die gesellige Komponente der Sportaktivität) (Rittner 1985: 144ff.).
15
zu analysieren. Dabei sollen lebenslauf- und alterssoziologische Fragestellungen mit medizinsoziologischen, gerontologischen, gesundheitswissenschaftlichen und sportwissenschaftlichen Perspektiven verbunden werden, wobei jedoch die medizinischen Aspekte der Wirkung der sportlichen Aktivität auf die Gesundheit weitgehend ausgeklammert werden. Da in bisherigen Studien erkennbar ist, dass die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sport und Gesundheit im Allgemeinen nicht auf kausale Effekte reduziert werden kann, sondern auch durch komplexe Wechselwirkungen beeinflusst ist (Rütten 1993: 350), soll unter Berücksichtigung grundlegender soziologischer (und biographischer) Dimensionen eruiert werden, welchen Einfluss die Gesundheit und gesundheitliche Einschränkungen auf die Sportaktivität haben. Im Einzelnen wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, (1) welcher Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Aspekten der Gesundheit und der Sportaktivität besteht, (2) ob Unterschiede der Sportaktivität in Abhängigkeit von der Gesundheit durch soziodemographische Merkmale oder Lebensstilaspekte vermittelt sind, (3) ob Unterschiede der Sportaktivität in Abhängigkeit von der Gesundheit durch biographische Ereignisse (z.B. Geburt von Kindern, Trennung vom Ehepartner) erklärt werden können und (4) ob dieser Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität in Abhängigkeit von den diagnostizierten Erkrankungen variiert.6 Die Auswertung des Forschungsstandes macht deutlich, dass hierzu bisher noch kaum eine vergleichbare Studie existiert (vgl. Kap. 2). Aufgrund des Querschnittdesigns erlauben viele Studien zu Korrelaten der Sportaktivität keine Aussagen über den Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität und auch vorhandene Studien zur Sportcompliance7 lassen einen Großteil der hier untersuchten Fragen unbeantwortet. Zur empirischen Untersuchung dieser Fragestellungen werden zwei Datenquellen herangezogen: Zum einen die retrospektiv erhobenen Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“. Da es sich zusätzlich empfiehlt, für eine Untersuchung des bislang 6 Da wie in jeder wissenschaftlichen Arbeit ebenfalls interessierende Randfragestellungen ausgegrenzt werden müssen, erfolgt die Fokussierung auf beschriebenen Fragestellungen, und einige auch interessierende Teilfragestellungen (z.B. sportartenspezifischen Zusammenhänge) werden ausgeklammert. 7 Sackett, ein Pionier der Compliance-Forschung, definiert Compliance als „the extent to which person’s behaviour coincides with medical advice” (Sackett 1976). Unter Sportcompliance im Speziellen wird die Aufnahme oder Erhöhung der sportlichen Aktivität infolge einer ärztlichen Empfehlung verstanden (Tönges et al. 2006).
16
kaum untersuchten Einflusses des Gesundheitszustandes und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität nicht nur ärztliche Empfehlungen, sondern auch den Gesundheitszustand, wie er den Betroffenen selbst bekannt ist, einzubeziehen, wurden zum anderen die Datensätze des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP), in welchem die Gesundheit über die Gesundheitszufriedenheit erfasst ist, für die Analyse herangezogen (eine nähere Beschreibung der beiden Datensätze erfolgt in Kap. 3).
1.2
Relevanz der Fragestellung
Der Frage nach dem Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität kommt interdisziplinäre Bedeutung zu. Die Relevanz dieser Fragestellung für die Soziologie, die Gerontologie, die Gesundheitswissenschaft, die Sportwissenschaft und die Gesundheitsökonomie wird im Folgenden kurz thematisiert.
Gerontologische und (medizin)soziologische Relevanz der Fragestellung: Die demographischen Veränderungen der Gesellschaft betreffen auch den Sport. Insbesondere „der dramatische Wandel in der Alterspyramide in den Industriegesellschaften zwingt gerade auch in Deutschland zu einer Neubewertung der Gesundheitspolitik, wobei zunehmend präventiven Ansätzen eine entscheidende Rolle beigemessen wird“ (Rost 1994: 13) und die Bedürfnisse der älteren Menschen verstärkt beachtet werden sollten (Baur et al. 1996: 85; Denk und Pache 1999: 324). Neu im „Seniorensport“ sind vor allem die so genannten „Jungen Alten“, die keine Kinder mehr zu betreuen haben, und bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden sind (Baur et al. 1996: 86). Da die meisten Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen im höheren Erwachsenenalter auftreten und die vorliegenden aktuellen Untersuchungen (z.B. WHO 2002; Schlicht et al. 2004) deutlich zeigen, dass körperlich-sportliche Aktivität eine präventive Strategie ist, kommt der Fragestellung dieser Arbeit nach dem Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität auch aus gerontologischer und medizinsoziologischer Sicht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. In verschiedenen Studien wurde belegt, dass in der Sportaktivität soziale Ungleichheiten existieren und gerade Personen mit einem eher schlechtem Gesundheitszustand, die am meisten von sportlicher Betäti17
gung profitieren würden (z.B. Ältere, Personen mit geringer Bildung, mit niedriger beruflicher Stellung), am häufigsten inaktiv sind (vgl. zur Übersicht Schneider und Becker 2005a; Huber 1997). Da aber gerade diese Personengruppen, die im Sport unterrepräsentiert sind, oft über ein geringes Gesundheitswissen verfügen und überdurchschnittlich häufig unter chronischen Krankheiten leiden (Richter und Hurrelmann 2006), ist zu vermuten, dass sich die sozialen Ungleichheiten in der Sportpartizipation beim Auftreten körperlicher Beeinträchtigungen noch verstärken. Soziologische Untersuchungen deuten zudem darauf hin, dass das Wissen über die Gesundheitswirkungen des Sports, Sportmöglichkeiten sowie über gesundheitsbewusstes Verhalten im Allgemeinen ungleich verteilt sind (Digel 1994: 139). Unter der Voraussetzung, dass nur Personen, die ohnehin gesund sind, sich sportlich betätigen und die Personen, die über einen schlechten Gesundheitszustand verfügen, keinen Sport treiben und somit auch nicht von dem gesundheitsfördernden Einfluss sportlicher Aktivität profitieren, wird sich auf Dauer die gesundheitliche Ungleichheit noch vergrößern. Studien, die Veränderungen der Sportbetätigung in Abhängigkeit von der Gesundheit und gesundheitlichen Einschränkungen beschreiben, sind somit auch für die soziale Ungleichheitsdebatte in der Soziologie nicht uninteressant und könnten als Grundlage für die zielgruppenspezifische Erarbeitung von Bewegungsempfehlungen dienen.
Sportwissenschaftliche Relevanz: Obwohl noch Lücken im Wissen um die Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und dem Gesundheitszustand bestehen, „ist die Evidenz für ein gesundheitsorientiertes Bewegungsverhalten heute so eindeutig und überzeugend, dass international weit akzeptierte Empfehlungen möglich wurden“ (Hermey 2004: 99). Schon moderate Aktivität kann bei bisher inaktiven Personen zu einer deutlichen Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens führen (Blair und Conelly 1996: 202).8 Sigfried Israels Argumentation zur Aufnahme der Sportaktivität ist, dass 40% des Menschen aus Muskeln besteht und aus diesem Grund alle anderen Bereiche des menschlichen 8 Aus den in die Zusammenstellung zur Dosis-Wirkungs-Beziehung sportlicher Aktivität von Blair und Connelly aufgenommenen Untersuchungen geht übereinstimmend hervor, dass wenig physische Aktivität besser ist als keine und eine niedrige oder moderate Intensität der sportlichen Betätigung besser ist als ein überwiegend sitzender Lebensstil (Blair und Conelly 1996: 202). Bereits mit niedrigschwelligen Sportprogrammen können bei regelmäßiger Teilnahme nachhaltige Gesundheitswirkungen erzielt werden (Sygusch et al. 2005: 318).
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Körpers durch eine Aktivierung der Muskeln angeregt werden können, d.h. dass allein durch die Aktivierung der Muskeln bereits ein erheblicher Beitrag zur Gesundheitserhaltung geleistet werden kann (Israel 1995). In jüngster Zeit ist trotz des Defizits an konkreten, empirisch basierten Sportempfehlungen für unterschiedliche Patientengruppen (vgl. z.B. MacVicar und Winningham 1986; Nelson 1991; Sommerset et al. 2001) eine Tendenz zur Hochstilisierung des Sports zum Allheilmittel zu beobachten (z. B. Blech 2006). Diese Entwicklung ist nicht unkritisch zu betrachten, da gerade bei bereits eingetretenen Erkrankungen Überbeanspruchung zu Verschlimmerungen führen kann und körperlich-sportliche Aktivität erst dann gesundheitswirksam ist, „wenn sie geplant, strukturiert, zielgerichtet und regelmäßig stattfindet“ (Predel und Tokarski 2005: 834). Die Analyse des Einflusses der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität (unter Berücksichtigung der Art der diagnostizierten Erkrankung) ermöglicht die Identifizierung derjenigen Patientengruppen, die in ihrem Bewegungsverhalten deutlich von der medizinischen Angemessenheit abweichen und für die die Herausarbeitung solcher Bewegungsempfehlungen vorrangig ist. Denn notwendig ist vor allem „die Entwicklung von Sportprogrammen, die sowohl unter präventiven als auch unter therapeutischen Gesichtspunkten effektiv zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit beitragen“ (Bös et al. 1992: 9).
Gesundheitswissenschaftliche Relevanz: „Das Rezept ist uralt: Im antiken Griechenland wurde bereits regelmäßige und intensive Bewegung als Bestandteil eines gesundheitsorientierten Lebensstils verstanden, gleichbedeutend mit Hygiene, Ernährung und Entspannung“ (Brehm 1994: 75). Berühmte Ärzte wie Hippokrates und Pfarrer Kneipp integrierten bewegungstherapeutische Maßnahmen in ihre Heilpläne (Brooks und Fuller 2006: 914; Schwenkmezger und Schlicht 1994), und auch Turnvater Jahn propagierte im frühen 19. Jahrhundert für alle Bevölkerungsschichten festgelegte Turnübungen zur Verbesserung der körperlichen und geistigen Verfassung (Lamprecht und Stamm 1998: 141). Inzwischen gilt es als belegt, dass durch einen gesunden, aktiven Lebensstil mit ausreichender körperlicher Aktivität die Lebenserwartung gesteigert, die Lebensqualität verbessert und Erkrankungen bis ins hohe Alter hinausgeschoben werden können (WHO 2002; Hubert et al. 2002). Auch rückt durch die anhaltenden Kürzungen beim Sozial- und Gesundheitssystem, 19
die Forderung nach regelmäßigem Freizeitsport durch seine kostengünstige und flexible Durchführbarkeit immer mehr in den Fokus der Akteure des Gesundheitswesen sowie der Sozial- und Gesundheitspolitik (Opaschowski 1998: 12). In der kardiovaskulären Primärprävention nimmt Bewegung einen zentralen Stellenwert ein (Lichtenstein et al. 2006). Aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht ist es neben der Untersuchung der präventiven Wirkung sportlicher Aktivität von großer Bedeutung, wie sich die Sportaktivität von Personen infolge von Krankheitsdiagnosen verändert. Denn Patienten mit chronischen Erkrankungen wurde über eine lange Zeit geraten, sich zu schonen und körperliche Anstrengung zu vermeiden (Moore 2004: 6; Löllgen 2004: C635) und dies, obwohl gerade Inaktivität bei vielen Krankheiten kontraindiziert ist (Löllgen 2004: C635). In jüngerer Zeit ist zwar wiederum eher eine Hochstilisierung des Sports zum Allheilmittel zu beobachten (z.B. Blech 2006), jedoch ist nicht klar, ob bereits erkrankte Personen sich von solchen allgemeinen Empfehlungen angesprochen fühlen. Falls sich infolge von Krankheitsdiagnosen die Sportaktivität verringert und es dadurch zu weiteren Verschlechterungen des Gesundheitszustandes kommt, könnte es Aufgabe der Gesundheitswissenschaften sein, diesen „Teufelskreis“, z.B. durch die gezielte Herausgabe von entsprechenden Informationen an die betroffenen Patientengruppen zu durchbrechen. Da bei älteren Personen die sportliche Betätigung meist an ein Gesundheitsmotiv gekoppelt ist, kommt auch den Ärzten, über die Beratung bezüglich des gesundheitlichen Nutzens sportlicher Aktivität, eine besondere Bedeutung zu (Denk und Pache 1996a: 127). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch die Identifikation von kontraproduktiven Veränderungen des Sportverhaltens infolge von Erkrankungen der Sportinaktivität gezielt gegengesteuert werden könnte.
Ökonomische Relevanz: Infolge der mit der demographischen Entwicklung zusammenhängenden Explosion der Kosten des Gesundheitssystems9 gewinnt regelmäßiger Freizeitsport durch seine kostengünstige und 9 Die Kosten für das Gesundheitswesen sind auch im Zeitverlauf um ein vielfaches gestiegen (Nocera 1997: 4; Lampert und Wagner 1998: 188f.). Bei der Verteilung der Gesundheitskosten auf die verschiedenen Altersgruppen zeigt sich gemäß Schweizer Daten ein starkes Ungleichgewicht. Über 80-jährige Frauen nehmen ca. viermal so viele Gesundheitsleistungen in Anspruch wie die Gruppe der 30- bis 39-jährigen Frauen. Ältere Männer nehmen dagegen sogar fast neunmal so hohe Leistungen des Gesundheitssystems in Anspruch (Nocera 1997: 3f.).
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flexible Durchführbarkeit zunehmend auch aus ökonomischer Sicht an Bedeutung (Opaschowski 1998: 12; Weiß und Hilscher 2003; Knoll 1997: 13; Nocera 1997: 3f; Martinson et al. 2003: 319; Künemund 2001: 12; Statistisches Bundesamt 1998: 18), denn innerhalb der letzten 30 Jahre sind die Gesundheitsausgaben in Deutschland stark angestiegen (Schlander et al. 2005). Bereits ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ist aufgrund der Fokussierung auf gesundheitliche Probleme eine Ausrichtung des Sportsystems auf das Wirtschaftssystem zu beobachten (Cachay und Thiel 2000: 114). Denn trotz des Risikos von Sportverletzungen, Über- und Fehlbelastungsschäden, Doping und dem Auftreten von Essstörungen, die in Zusammenhang mit sportlicher Aktivität diskutiert werden, überwiegt der gesundheitliche Nutzen gegenüber den Nachteilen des Sports erheblich (Darlison 2000). Auch ökonomische Cost-Benefit-Analysen zeigen, dass die kostenreduzierenden Wirkungen sportlicher Betätigung die durch Sportverletzungen sowie Fehl- und Überbelastung entstehenden Krankheitskosten weit übersteigen (Weiß und Hilscher 2003; Jeschke und Zeilberger 2004: C636). „Es lässt sich anhand von zahlreichen Beispielen aufzeigen, dass Präventivmaßnahmen Kosten einsparen“ (Rost 1994: 15) und dafür verantwortlich sind, dass unser Gesundheitssystem heute noch bezahlbar ist (Rost 1994: 15). Die positiven ökonomischen Auswirkungen des Sports schlagen sich nach Darlison (2000) in drei Bereichen nieder. Eine körperlich und geistig leistungsfähige Arbeitskraft trägt erstens zur Steigerung der (Arbeitsmarkt-)Produktivität bei und nimmt zweitens die Leistungen des Gesundheitssystems seltener in Anspruch. Drittens leistet die so genannte Sportund Freizeitindustrie einen nicht unerheblichen wirtschaftlichen Beitrag (Darlison 2000: 965). Die spezielle ökonomische Relevanz der Aufnahme oder Beibehaltung der Sportaktivität nach der Diagnose von medizinischen Risikofaktoren (Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes) oder anderen (chronischen) Erkrankungen besteht darin, dass – wenn Verhaltensmechanismen erkannt werden – gezielte Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. So lässt sich eine Verschlimmerung der Erkrankungen sowie die Entstehung möglicher weiterer Erkrankungen und somit unter Umständen auch das Anfallen weiterer Kosten vermeiden. Besonders eindrucksvoll lassen sich die positiven ökonomischen Auswirkungen sportlicher Aktivität am Beispiel der kardialen Erkrankungen darstellen. Diese Erkrankungen zählen nach wie vor zu den bedeutendsten Ur21
sachen für frühzeitigen Tod und beeinträchtigte Lebensqualität. Die OECD schätzt allein die Kosten, die jährlich durch die Medikamentenbehandlung kardialer Erkrankungen entstehen, auf rund 4,8 Mrd. Euro (Berlin und Colditz 1990). Nimmt man nur Nordeuropa in den Blick, dann kann man 6% aller vorzeitigen Todesfälle alleine auf eine unzureichende körperliche Aktivität attribuieren (Colditz 1999). Aus ökonomischer Sicht ist die Sportaktivität somit ein kostengünstiges Mittel zur Verhinderung einer weiteren Kostenexplosion im Gesundheitssystem (WHO 2002).
1.3
Aufbau der Arbeit
Im Anschluss an die Einleitung erfolgt in Kapitel 2 die Darstellung des theoretischen und empirischen Forschungsstandes. Zur Einordnung in die Thematik finden hierbei auch Studien zu Korrelaten der Sportaktivität, Studien zur Sportcompliance sowie Studien zum „Drop out“ Beachtung. Nach der Erläuterung der nachfolgend verwendeten Daten und der angewandten Analysemethoden (Kap. 3) erfolgt in Kapitel 4 die Ergebnisdarstellung. In Abschnitt 4.1 werden erst einige deskriptive Ergebnisse zur Entwicklung der Sportaktivität und der verwendeten Gesundheitsindikatoren für Westdeutschland und anschließend für Baden-Württemberg dargestellt. In Abschnitt 4.2 erfolgt die Darstellung der Ergebnisse der durchgeführten ereignisanalytischen Regressionen wiederum in einem ersten Schritt für Westdeutschland und in einem zweiten Schritt für Baden-Württemberg. Die Diskussion der erzielten Ergebnisse sowie der Validität und Reliabilität der Daten und der Generalisierbarkeit der Daten erfolgt dann in Kapitel 5. Abschließend erfolgt die Herausabeitung von einigen Implikationen für die weitere Forschung und für die Praxis (Kap. 6).
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2
Theoretische Überlegungen und aktueller Forschungsstand
Obwohl sich die Untersuchung des Zusammenhangs von Sport und Gesundheit zu einem zentralen Thema entwickelt hat (Bös und Brehm 1998: 7), wurde bisher speziell die Frage nach dem Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität nur sehr unzureichend bearbeitet. Aufgrund der fragmentarischen Bearbeitung der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung, wird in den nachfolgenden Abschnitten zur Darstellung des theoretischen und empirischen Forschungsstandes (Abschnitt 2.2 und Abschnitt 2.3) in erster Linie auf Ergebnisse aus (Querschnitts-) Studien zu Einflussfaktoren bzw. Korrelaten der Sportaktivität, Studien zur (Sport-)Compliance10, zum Drop out11 aus Sportprogrammen und zur „exercise adherence“12, sowie ergänzend vereinzelt auf Studien zur Morbidität und Mortalität zurückgegriffen. Die Darstellung der Forschungsdefizite und die Zusammenfassung der aufgestellten Hypothesen erfolgt in Abschnitt 2.4 und 2.5.
10 Es existieren Untersuchungen zu den unterschiedlichen Bereichen der Compliance wie beispielsweise zur Einhaltung von Diätvorschriften, zur Aufgabe des Tabakkonsums, zur regelmäßigen Einnahme von Medikamenten und zur Erhöhung und Aufnahme einer Sportaktivität. Je nach untersuchtem Verhalten und je nach Zielgruppe variieren die Complianceraten zwischen 10% und 80% und liegen im Mittel bei ungefähr 50% (Brehm und Eberhardt 1995; Dunbar 1983; Faller 2006: 172). 11 Das Phänomen des Sportausstiegs (Drop out) gehört im englischsprachigen Raum im Vergleich zum deutschsprachigen Raum bereits seit den 70er Jahren zu den zentralen sportund gesundheitswissenschaftlichen Themen (Pahmeier 1994: 117). 12 In Studien zur Compliance geht es in erster Linie um das Einhalten von ärztlichen Empfehlungen oder Behandlungsanweisungen. In Studien zur „exercise adherence“ liegt dagegen der Fokus aus primärpräventiver Sicht auf der Aufrechterhaltung des gesundheitsförderlichen Verhaltens (Haynes et al. 1979; Willis und Campbell 1992). Meist wird dieser Begriff in Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Teilnahme an Sportprogrammen verwendet (Brehm und Pahmeier 1992; Fuchs 1994).
23 S. Becker, Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?, DOI 10.1007/978-3-531-92750-3_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2.1
Entwicklung der Sportaktivität im Zeitverlauf
Im Zuge von Individualisierungsprozessen13 haben sich verstärkt postmaterialistische Wertorientierungen und damit verbunden eine höhere Freizeitorientierung herausgebildet (Lamprecht 1991: 4). Insbesondere gesellschaftliche Veränderungen wie Arbeitszeitverkürzungen (auch bedingt durch Altersteilzeit und Frühverrentungen), mehr Freizeit, flexiblere Zeitgestaltung, Gesundheits-, Individualisierungs- und Differenzierungstrends bewirken, dass Sport in allen Bevölkerungsgruppen immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt (Schwark 1994: 13; Schimank 1988: 181f.; Tokarski 1991: 6). Jüngere Personen sind aufgrund dieser Entwicklung häufiger sportlich aktiv als es ältere Personen in ihren früheren Lebensjahren waren (Heuwinkel 1990: 32). In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Sport vor allem als Wettkampfsport in Vereinen von männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen betrieben. Durch die zunehmende Erweiterung und Etablierung breitensportlicher Angebote vor allem in Fitnessstudios und Sportvereinen, existieren heute vielfältige Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen (Baur et al. 1996: 26; Heuwinkel 1990: 24; Knoll 1997: 17). Aber trotz dieser Entwicklung stellen auch heute noch Vereine in Deutschland die wichtigsten Sportanbieter dar. Insgesamt existieren 87.000 Turn- und Sportvereine mit ca. 27 Millionen Mitgliedern. Daneben zählen kommerzielle Fitnessstudios ca. 6 Millionen Mitglieder (Woll 2006: 136). Jenseits der Vereine hat sich inzwischen zusätzlich „eine Sportkultur entwickelt, die alte Praktiken umbenennt, neue erfindet und die Resultate dieser Transformation ungeniert auch in der Öffentlichkeit vorführt“ (Bette 2001: 88). Aber auch der im Sportverein ausgeübte Sport ist heute nicht mehr mit Wettkampfsport 13 Die gesellschaftlichen Entwicklungen seit den 70er Jahren lassen sich mit dem Begriff der Individualisierung beschreiben (vgl. Beck 1986: 116ff.). Mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung verlieren die traditionellen, vor allem vertikal ausgerichteten Konzepte an Bedeutung und die so genannten Milieu- und Lebensstilkonzepte treten in den Vordergrund (Esser 2000: 166f.; Geißler 1994: 14; Lamprecht et al. 1991: 27). Es erfolgt ein Wechsel des sozialen Fokus „von der sozialen Ungleichheit auf die soziale Vielfalt“ (Geißler 1994: 14). Aus individualisierungstheoretischer Sicht beeinflussen der individuelle Lebensstil und persönliche Werthaltungen in immer stärkerem Ausmaß das Verhalten (Rohrberg 1998: 107; Esser 2000: 131). Beck beschreibt die durch die Individualisierung veränderten Lebensbedingungen in Deutschland als „jenseits der Klassengesellschaft“ liegend (Beck 1986: 121).
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gleichzusetzen. „Was in Sportvereinen stattfindet, gleicht sich … in seiner Handlungslogik und Erlebnisqualität dem an, was u.a. etwa in Freibädern, Parks, Bräunungsstudios, Fitnesscentern, Vergnügungsparks, Spielhallen oder Tanzschulen geschieht“ (Schimank 1992: 35). Es hat sich jedoch nicht nur die Organisationsform, sondern auch die Bandbreite der sportlichen Aktivitäten in den letzten Jahrzehnten erheblich erweitert, der Zugang zu ehemals exklusiven Sportarten gestaltet sich deutlich einfacher (Schwark 1994: 13) und eine Anpassung der Sportangebote an die veränderten demographischen Strukturen hat stattgefunden (Schöttler 1991: 25). Breitensportliche Varianten verschiedener Sportarten, die auch für Personen im höheren Erwachsenenalter (mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen) interessant sein können, wie beispielsweise Nordic Walking und Wassergymnastik, haben sich in jüngerer Zeit entwickelt und erleichtern heute auch, den bereits über eine längere Zeit sportabstinenten Personen noch im höheren Erwachsenenalter den Sporteinstieg (Baur et al. 1996: 27; Hübner 1994: 65). Ein steigendes Gesundheitsbewusstsein14 in der Bevölkerung führt zusätzlich zu einer erweiterten Nachfrage vor allem nach Gesundheitssportangeboten sowie infolge dessen, zu Veränderungen der Angebotsstrukturen in Vereinen und bei kommerziellen Sportanbietern. Speziell im Gesundheitssystem (z.B. durch Krankenkassen) wird Sport inzwischen verstärkt zur Vermeidung, Behebung oder Behandlung von gesundheitlichen Problemen verschiedenster Art eingesetzt (Cachay und Thiel 2000: 159). Die Verbreiterung der Einsatzgebiete des Sports geht mit einer erweiterten Zielgruppenansprache einher. In modernen Gesellschaften wird Erfolg zunehmend mit Sportlichkeit und Jugendlichkeit gleichgesetzt und gewinnt dadurch auch an Wert für den Einzelnen (Opper 1998b: 102; Pahmeier 2008: 171; Klein 1982: 52f.). Für einen großen Teil der Bevölkerung sind für die Ausübung oder Aufnahme der Sportaktivität inzwischen auch Schönheitsideale handlungsleitend geworden (Breuer 2004: 65). Insgesamt kommen dem Sport in der modernen Gesellschaft viele Funktionen zu: Sport als Wettkampf, Sport zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit, Sport zur 14 Die zunehmende Relevanz von Gesundheit und Sport sind auch auf die zunehmende Bedeutung von Zivilisationskrankheiten im Gegensatz zu Infektionskrankheiten und auf den Wertewandel in der postindustriellen Gesellschaft zurückzuführen (Opper 1998b: 341). Diese Veränderung der Morbiditäts- und Mortalitätsursachen im Zuge der Zeit wird in der medizinischen Soziologie mit dem Begriff epidemiologische Transition umschrieben (Siegrist 2005: 30f.).
25
Fitnessverbesserung, Sport zur Unterhaltung und Sport zum Ausdruck des Wohlbefindens (Heuwinkel 1990: 24; Tokarski 1991: 6; Schimank und Schöneck 2006: 21ff.). Dieser Bedeutungszuwachs des Sports schlägt sich auch in dem universellen Einsatz des Sports zur Bewältigung von gesellschaftlichen und gesundheitlichen Problemen aller Art (z.B. Erlebnispädagogik zur Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen, Sporttherapie zur Behandlung verschiedenster Krankheiten) nieder (Blech 2006: 134ff.). Beispielsweise findet durch Angebote unterschiedlicher Gesundheitsakteure auch zunehmend eine Aktivierung älterer Menschen statt (Blech 2006: 134ff.; Frogner 1991: 3ff.). In diesem Zusammenhang ist auch auf im Rahmen der FINGERStudie15 durchgeführte kulturvergleichende Analysen hinzuweisen. Ziel dieser Studie war die Analyse von Unterschieden und Übereinstimmungen in den Bereichen Sport, Gesundheit und Fitness zwischen Deutschland und Finnland (Woll 2006: 130). Bezüglich der Rahmenbedingungen der sportlichen Aktivität ist festzuhalten, dass in der „Sportnation“ Finnland eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Sport- und Gesundheitsorganisationen stattfindet (Ståhl et al. 1998; Woll 2006: 137). Die hohe Sportlerquote in der finnischen Bevölkerung scheint zum Teil darauf zurückzuführen zu sein, dass in Finnland Ärzte eher ihre Patienten zur sportlichen Aktivität auffordern. In einer Studie der EU gaben beispielsweise 42% der finnischen Befragten an sich von den Mitarbeitern des Gesundheitssystems gut beraten zu fühlen. In Deutschland lag dieser Anteil lediglich bei 23% (European Commission 1999). Zudem sind in Finnland insbesondere soziale „Randgruppen“ wie Behinderte, Langzeitarbeitslose und ältere Menschen fest in Sportgruppen organisiert. Insgesamt arbeiten 300 hauptamtliche Personen in dem so genannten Bereich „Sport mit Sondergruppen“. In Deutschland ist dieser Bereich noch in den Anfängen (Woll 2006: 138).16 Verschiedene Autoren sprechen jedoch auch in Deutschland im Hinblick auf die veränderte Bedeutung und die Erhöhung der Sportaktivität von einer Entwicklung des Sports zur Kultur (z.B. Grupe 1987; Hitzler 15 FINGER ist die Abkürzung für FINnish-GERman study on physical activity, fitness and health die vom Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe und dem nationalen Gesundheitsinstitut Finnlands durchgeführt wurde. 16 Möglicherweise kann durch diese starke Vernetzung des Sport- und Gesundheitssystems in Finnland die Spitzenposition Finnlands im Leistungssport erklärt werden. Denn wenn man die Leistungen bei Weltmeisterschaften und olympischen Spielen in Relation zur Einwohnerzahl betrachtet hat Finnland weltweit eine Spitzenposition inne (Ståhl et al. 1998).
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1991; Kaschuba 1989).17 Sport wird insofern als Kultur bezeichnet, als er für mehr steht als nur für Sport und somit einen tieferen Sinn als die Muskelbildung aufweist und über eigene Wertvorstellungen, Symbole und Rituale verfügt (Hitzler 1991: 481; Kolland 1992: 30). Erst durch die übergreifende Kultur erhält der Sport einen Sinn. Wenn man Sport jedoch „ohne Kultur“ betrachtet, ist er als sinnloses Verhalten anzusehen (Hitzler 1991: 485). Hitzler zieht das Fazit, dass Sport Sport ist, „weil und indem er Kultur (und in modernen Gesellschaften auch eine Kultur) ist“ (Hitzler 1991: 486). Für Hitzler ist Sport jedoch eher „Teil einer Kultur“ (z.B. der Gesundheits- oder Fitnesskultur) und daher weniger als eigenständige Kultur anzusehen (Hitzler 1991: 480f.). Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang insbesondere der Sinnkonstruktion zu. Diese ist variabel, denn je nach Sportart oder Person stehen andere Motive im Vordergrund, wie beispielsweise Wettkampf, Ausgleich einer meist sitzenden Tätigkeit oder Gesundheitserhaltung (Grupe 1987: 42; Hitzler 1991: 483). Gemäß Kaschuba hat sich dagegen der Sport eher aufgrund seiner Verbreitung zur Kultur entwickelt und Fitness ist heute dem Charakter nach schon fast eine „staatsbürgerliche Pflicht“ (Kaschuba 1989: 163). Der Autor zieht dies als Erklärung für die Zunahme der Verbreitung des Sports heran (Kaschuba 1989: 154) und führt diese Entwicklung unter anderem auf ein Mehr an Freizeit zurück (Kaschuba 1989: 154; Lamprecht 1991). Sport wird inzwischen als „Norm und Maßstab sinnvoller Alltags- und Lebensgestaltung gesehen“ (Kaschuba 1989: 157), „gepuscht“ durch die Kultur- und Freizeitindustrie (Kaschuba 1989: 160). Diese „Versportlichung“ der Gesellschaft hat zu einer Verbreiterung und einer wachsenden Unschärfe des Sportbegriffs und des Sportverständnisses 17 Kultur bezeichnet „die raum-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und ideeller Hervorbringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie institutionalisierter Lebensformen von Menschen“ (Klein 1992: 169) oder kürzer, nach Luckmann eine „handlungsorientierende Sinnkonfiguration“ (Luckmann 1988: 38). Aber nicht nur die Bedeutung des Sports, sondern auch der Kulturbegriff hat sich gewandelt. Früher wurde Kultur gleichgesetzt mit Literatur, klassischer Musik und Theater und galt als Privileg der oberen Schichten (Grupe 1987: 10f.). „Indem alles Kultur geworden ist und Kultur damit eine Art grobe Orientierungsgröße für bestimmte Lebensbereiche und deren Besonderheit darstellt, ist auch Sport (Teil der Kultur bzw.) Teil kulturellen (Alltags-) Lebens“ (Grupe 1987: 23). Sport hat sich also nicht zum Kulturgut entwickelt, weil er sich zum „kulturell Besseren“ gewandelt hat, sondern weil sich die Verwendung des Kulturbegriffs verändert hat (Grupe 1987: 27). Kolland (1992) berichtet jedoch auch einen Zusammenhang von Sportaktivität und kultureller Aktivität, wie Theater- und Konzertbesuche, Ausstellungsbesuche und Teilnahme an Weiterbildungen (Kolland 1992: 30).
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geführt. Der Spitzensportler, der Gelegenheitssportler und der Vereinssportler werden heute alle unter dem Begriff des Sportlers subsumiert (Hübner und Kirschbaum 1994: 86). Zudem kommt Sportlichkeit immer häufiger über käuflich zu erwerbende Artikel (z.B. Kleidung, Autos) zum Ausdruck und weniger über die tatsächliche Sportaktivität oder die Leistungsfähigkeit (Bös und Gröben 1993: 9). Zurückgeführt werden kann die Entwicklung des Sports zur „Massenbewegung“ und den Zuwachs des Anteils der Sportaktiven insbesondere im höheren Erwachsenenalter auf die Zunahme der Freizeit in den letzten Jahrzehnten (Heuwinkel 1990: 32), die anhaltende Verbesserung des Bildungsniveaus sowie des Gesundheitszustandes (Hirvensalo et al. 1998: 165; Ståhl et al. 1998: 78). Gerade ältere Menschen treten in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Sportvereine ein und nehmen auch überdurchschnittlich häufig vereinsunabhänig die Sportaktivität (wieder) auf (Tokarski 1991: 7). Zudem ist empirisch bestätigt, dass das gewandelte Sportverständnis von einem leistungsorientierten zu einem freizeitorientierten Sport, zu einer Zunahme des Anteils der Sportler im mittleren und höheren Erwachsenenalter beigetragen hat (Breuer 2004: 65; Cachay und Thiel 2000; Curtis et al. 2000; Denk und Pache 1996b; Eichberg 2003: 64; Breuer 2002; Heuwinkel 1990: 24). Ein Großteil der älteren Menschen hatte nach dem Schulsport das Sporttreiben aufgegeben, und auch ehemalige Leistungssportler beendeten früher nach ihrer aktiven Zeit ihre Sportkarriere häufig komplett (Baur et al. 1996: 27). Gegenwärtig finden dagegen selbst ältere Personen, die in früheren Lebensphasen kaum Sport getrieben haben, verstärkt Zugang zum Sport (Baur et al. 1996: 27; Becker 2008: 202f.; Schwark 1994: 13; Tokarski 1991: 7). Lampert und Kollegen (2005) legen in diesem Zusammenhang insbesondere eine Zunahme der sportlichen Aktivität im mittleren und höheren Erwachsenenalter dar (Lampert et al. 2005a: 1359). In der Untersuchung von Breuer (2002) ist beispielsweise ein sichtbarer Zuwachs der sportaktiven Personen über den untersuchten Zeitraum von 1985 bis 1999 in den Altersgruppen der 45- bis 54-Jährigen, der 55- bis 64-Jährigen und der über 65-Jährigen zu verzeichnen (Breuer 2002: 76f.). Bestätigt werden konnte diese Zunahme der Sportaktivität im höheren Erwachsenenalter auch gemäß einer an dänischen Rentnern durchgeführten Studie. Insbesondere für Radfahren, Gartenarbeit sowie für die körperliche Betä-
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tigung ist in dieser Altersgruppe ein deutlicher Anstieg über die Zeit18 (Periodeneffekte19) zu verzeichnen (Bijnen et al. 1998). Auch gemäß einer Untersuchung des BAT-Freizeitforschungsinstituts aus dem Jahr 1989 erwarten 27% der Bevölkerung, dass sie im Jahr 2000 wesentlich weniger arbeiten und in der zusätzlichen frei verfügbaren Zeit mehr Sport treiben werden (Opaschowski 1987). Allerdings zeigen aktuelle Auswertungen des Sozio-Oekonomischen Panels über den 10-Jahreszeitraum von 1992 bis 2001, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Der Anteil der wöchentlich sportlich Aktiven in der westdeutschen Gesamtbevölkerung hat sich diesen Auswertungen zufolge, im Zeitraum zwischen 1992 und 2001, lediglich um ca. 5% erhöht. Am deutlichsten ist die Erhöhung des Anteils der regelmäßigen Freizeitsportler unter den Frauen (vgl. Abb. 1) und in den Neuen Bundesländern20 (Becker et al. 2006). In einer finnischen Längsschnittstudie ist für den untersuchten 10-Jahreszeitraum von 1980 bis 1990 ist insgesamt eine etwas deutlichere Erhöhung derjenigen die mindestens zweimal pro Woche sportlich aktiv sind, und zwar von 40% auf über 50% feststellbar (Oja et al. 1994: 75).
18 Untersucht wurde die Entwicklung über den 10-Jahreszeitraum von 1985 bis 1995 (Bijnen et al. 1998). 19 Periodeneffekte sind z.B. auf gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen und wirken auf alle Generationen gleichzeitig (Klein 2005: 30). 20 Wobei hier beachtet werden muss, dass in den Neuen Bundesländern das Ausgangsniveau wesentlich geringer ist.
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Abbildung 1: Sportaktivität bundesdeutscher Erwachsener im Zeitverlauf nach Geschlecht
Jede Woche
Jeden Monat
Seltener
Nie
Quelle: Becker, Klein und Schneider 2006: 228
30
2.2
Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität
Der Zusammenhang zwischen Sport und dem Einflussfaktor Gesundheit ist keineswegs trivial (Balz 1992: 258; Digel 1994: 127; Knoll 1997: 24; Rütten 1993: 350; Schwenkmezger und Schlicht 1994: 229; Lüschen et al. 1993: 175): Sport setzt zwar einerseits eine gewisse körperliche Leistungsfähigkeit voraus, weshalb gesunde Menschen mehr und eher Sport treiben. Andererseits wirkt sich aber Sport auch günstig auf die Gesundheit aus, mit der Folge, dass sich die Gesundheit von Sportlern weiter verbessert bzw. länger erhalten bleibt. Wie aber wirken sich die Gesundheit und gesundheitliche Einschränkungen auf die Sportaktivität aus? Die Theoriebildung in der sportsoziologischen Forschung wurde in den letzten Jahren stark vernachlässigt. Bisher wurde in erster Linie die monokausalen Auswirkungen von Sportaktivität bzw. Sportinaktivität auf die Gesundheit untersucht (Opper 1998b: 113). Nachfolgend werden Sport- und Gesundheitsmodelle, die den Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität mitberücksichtigten skizziert21 (Abschnitt 2.1.1) sowie theoretische Überlegungen zur Sport-Gesundheits-Beziehung dargestellt (Abschnitt 2.1.2).
2.2.1 Theoretische Modelle zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität Insgesamt mangelt es für die Beschreibung der Beziehung zwischen Sport und Gesundheit an theoriebasierten tragfähigen Modellen (Knoll 1997: 155; Rütten 1993: 348). Es existieren zwar eine Vielzahl theoretischer Konzeptionen, die zur Erklärung der Aufnahme sportlicher Aktivität angewendet werden können (z.B. Health-Belief-Modell von Becker und Rosenstock, die Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen und anderen, die Theorie der Schutzmotivation von Rogers) und zur Identifikation von Einflussfaktoren der Gesundheit oder der Entstehung von Krankheiten (z.B. Risikofaktorenmodell von Schaefer und Blohmke, Salutogenesemodell von Antonovsky). Aber es existiert bisher kein Modell, welches 21 Eine genaue Darstellung dieser Modelle würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die angegebenen Quellen verweisen auf genauere Beschreibungen zu den jeweiligen Modellen.
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sich explizit mit dem Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität befasst. In einigen Modellen ist zwar ein Rückkopplungseffekt der Gesundheit auf die Sportaktivität berücksichtigt, aber selbst wenn ein solcher Einfluss in einem Modell abgetragen ist, wird diese Wirkungsrichtung von den Autoren meist nicht diskutiert (z.B. Modell zur Erklärung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit von Elkeles und Mielck). Nachfolgend werden ausgewählte Modelle, die den Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität implizit22 oder explizit23 mitberücksichtigen, vorgestellt. Es wird eine von Knoll (1997) um die Sportaktivität erweiterte Version des Salutogenesemodells von Antonovsky (1979; 1987), das Modell zur Erklärung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit von Elkeles und Mielck (1993) sowie das Modell zur Erklärung der Wechselwirkung von Sport, Fitness und Gesundheit von Bouchard und Shephard (1994) dargestellt.
Salutogenesemodell 24 Der Medizinsoziologe Antonovsky führte gegen Ende der 70er Jahre den Begriff der Salutogenese in die damalige Gesundheitsdiskussion ein. Der Hintergrund für die Entwicklung des Salutogenese-Modells durch Antonovsky war die Tatsache, dass viele Juden, die in Konzentrationslagern überlebt haben, auch Jahre später noch über eine gute Gesundheit verfügten (Opper 1998a: 115). Antonovsky’ s (1979) erklärtes Ziel vor diesem Hintergrund war die Identifikation von Faktoren, die Menschen trotz widriger Umstände gesund erhalten. In dem von ihm entwickelten Salutogenesemodell geht es somit in erster Linie um die Identifikation von gesundheitsschützenden Faktoren (Antonovsky 1997: 24f.; Opper 1998b: 114f.). Bereits im Namen des Modells kommt die vom pathologischen Gesundheitsverständnis (Abwesenheit von Krankheit) abweichende Gesundheitsdefinition zum Ausdruck; der Begriff der Salutogenese ist definiert als die „Entstehung von Gesundheit“. Gesundheit entsteht gemäß Antonovsky aus dem Zusammenwirken von zahlreichen belastenden und 22 In dem Salutogenesemodell von Antonovsky und dem Modell zur Erklärung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit von Elkeles und Mielck ist die Sportaktivität nicht explizit berücksichtigt, diese lässt sich aber ohne Probleme integrieren. 23 Das im Rahmen dieses Kapitels dargestellte Modell von Bouchard & Shephard berücksichtigt dagegen die Sportaktivität explizit. 24 Das Wort „Salutogenese“ setzt sich aus den lateinischen Wörtern „salus“ (=Gesundheit, Wohl, Heil) und „genese“ (= Entstehung, Schöpfung) zusammen und bedeutet Gesundheitsentstehung (Wolf und Mandl 2005: 10).
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schützenden Einflussfaktoren (Antonovsky 1987; Antonovsky 1993). Das Augenmerk liegt in diesem Modell somit auf Gesundheit und nicht auf Krankheit; obwohl Salutogenese für Antonovsky nicht nur die Kehrtseite einer pathogenetischen Sichtweise ist (Antonovsky 1997: 29f.; Bengel et al. 2001: 15f.; Opper 1998b: 12; Seidenstücker 2002: 90). In den Gesundheitssystemen kommt meist noch ein „dichotomer Gesundheitsbegriff“ zum Einsatz (Lampert und Wagner 1998: 189). Aber der Einzelne definiert in der Regel seinen Gesundheitszustand nicht nur über das Fehlen „pathologischer Symptome“ (Lampert und Wagner 1998: 189). Antonovsky lehnt diese Dichotomie „Gesund“ vs. „Krank“25 von Grund auf ab (Knoll 1997: 26). Stattdessen geht er von einem Kontinuum-Modell mit den Extrempolen „gesund“ und „krank“ aus, nach welchem alle Menschen als mehr oder weniger krank bezeichnet werden können (Antonovsky 1997: 23; Knoll 1997: 26). Der Gesundheitsbegriff im Salutogenesemodell umfasst sowohl die subjektive als auch die objektive Gesundheit. Die den Untersuchungen von Antonovsky zugrunde liegende Frage lautete somit: „Wie wird ein Mensch mehr gesund und weniger krank?“ (Bengel et al. 2001: 24). Das zentrale Element des Salutogenesemodells, der Kohärenzsinn (Sence of Coherence – SOC), ist definiert als „eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat“ (Antonovsky 1997: 36). Ein starker Kohärenzsinn aktiviert in pathogenen Situationen die generalisierten Wiederstandsquellen und sorgt dadurch für die Aufrechterhaltung der Gesundheit (Bös und Gröben 1993: 11). Gesundheit wird hier nicht mehr als genetisch vorgegeben sondern als durch den individuellen Lebensstil beeinflussbar angesehen (Bengel et al. 2001: 25; Hermey 2004: 17; Opper 1998b; Knoll 1997: 26). Zusammenfassend werden im Salutogenesemodell folgende Komponenten zur Erklärung des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums bei Antonovsky genannt: Zentral ist in Antonovsky’s Modell der Kohärenzsinn (= Sence of Coherence, SOC). Darunter versteht der Medizinsoziologe eine Persönlichkeitseigenschaft, die als andauerndes Gefühl des Vertrauens in die in25 Die Begriffe Gesundheit und Krankheit scheinen zwar auf den ersten Blick eindeutig definiert zu sein. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass Institutionen und Personen den Gesundheitsbegriff sehr unterschiedlich definieren. Teilweise wird eine ganzheitliche Sicht vertreten nach welcher, Gesundheit gleichbedeutend mit physischem und psychischem Wohlbefinden ist (Bengel et al. 2001: 15).
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nere und äußere Umwelt umschrieben werden kann (Antonovsky 1997: 36; Knoll 1997: 29). Kohärenzsinn bringt somit eine ähnliche Eigenschaft wie die Selbstwirksamkeit bei Bandura zum Ausdruck (Knoll 1997: 29) und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Verschiebung in Richtung Gesundheit. Der Kohärenzsinn stellt eine zentrale Variable in dem Modell dar. „Generalisierte Widerstandsquellen“ sind gesundheitsschützende Merkmale und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Gesundheit. Der Kohärenzsinn trägt zur Aktivierung der so genannten „Generalisierten Wiederstandsquellen“ (= Generalized Resistance Resources – GRR) bei. Je höher der Kohärenzsinn ausgeprägt ist, desto eher sind Individuen in der Lage, die ihnen zur Verfügung stehenden Widerstandsquellen zu aktivieren (Knoll 1997: 30). Antonovsky definiert diese gesundheitsfördernden Merkmale als Schutzfaktoren, die vor dem Erkranken schützen. Sind bei einer Person solche Schutzfaktoren vorhanden, dann können diese die Wirkung von Risikofaktoren kompensieren (Antonovsky 1979). Bedeutsame Schutzfaktoren sind z.B. ein gesundes Ernährungsverhalten, ausreichende Bewegung und ein angemessener Umgang mit Stress (Hermey 2004: 214). Daneben finden in dem Modell noch Stressoren (= Generalized Resistance Defizit – GRD) Beachtung. „Generalisierte Defizite“ sind z.B. Organschwächen, Stressoren oder Risikofaktoren. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit. Antonovsky integriert in sein Modell zwar medizinische Risikofaktoren, er kritisiert aber am Risikofaktorenmodell (vgl. Schäfer und Blohmke 1978), dass nicht berücksichtigt wird, dass zahlreiche Personen trotz Vorhandensein von Risikofaktoren nicht erkranken. Zusätzlich unterscheidet Antonovsky exogene26 und endogene27 Stressoren (vgl. Opper 1998b: 116). Diese drei Komponenten – Stressoren (GRD), Widerstandsquellen (GRR) und der Kohärenzsinn (SOC) – beeinflussen gemäß Antonovsky die Position des Individuums auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum (Eichberg 2003: 4; Hermey 2004: 17; Knoll 1997: 26).
26 Exogene Stressoren beinhalten soziale Stressoren ebenso wie Stressoren aus der physikalischen, chemischen und biologischen Umwelt (Plaumann et al. 2006: 7). 27 Endogene Stressoren stammen aus dem Organismus selbst und umfassen beispielsweise psychische Konflikte, kontraproduktive Gefühle, physiologische Belastungen. Endogene Stressoren können aber auch infolge von exogenen Stressoren auftreten z.B. Erschöpfungszustände infolge von belastenden Ereignissen (Plaumann et al. 2006: 7).
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Die sportliche Aktivität selbst hat Antonovsky nicht in sein Modell aufgenommen. Jedoch haben Bös und andere das Modell von Antonovsky um die sportliche Aktivität erweitert (vgl. Bös und Gröben 1993; Woll und Bös 1994; Knoll 1993; Knoll 1997). Die Sportaktivität lässt, sich wie bei Knoll (1997) verdeutlicht, an mehreren Stellen in das Modell eingliedern (vgl. Abb. 2). Die Autorin sieht die sportliche Aktivität im Salutogenesemodell unter anderem in den generalisierten Widerstandsquellen (GRR) verankert. Zudem kann die Sportaktivität zu einer Stärkung der Fitness und psychosozialer Schutzfaktoren (z.B. Selbstvertrauen) beitragen und indirekt zu einer Stärkung des Kohärenzsinns führen oder auch über die öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen in das Modell integriert werden (Knoll 1997: 31f.). Der Gesundheitszustand wirkt sich wiederum auf die generalisierten Widerstandsquellen und somit auch auf die sportliche Aktivität aus. Auch eine Rückwirkung der Gesundheit auf die generalisierten Widerstandsquellen (also auch die Sportaktivität) ist somit in dem Modell vorgesehen. Allerdings geht Knoll in ihrer Modellbeschreibung auf diesen Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität nicht näher ein (Knoll 1997: 32). Ein häufig geäußerter Kritikpunkt am Salutogenesemodell im Allgemeinen bezieht sich auf die Komplexität des Modells. Kritisiert wird, dass die Vielzahl der einbezogenen Faktoren eine empirische Überprüfung des Modells nahezu unmöglich macht (Knoll 1997: 33; Seidenstücker 2002: 97). Zudem ist die Auswahl der in dem Modell berücksichtigten Schutzund Risikofaktoren nicht ganz schlüssig (Knoll 1997: 33; Seidenstücker 2002: 97), z.B. bleibt offen, warum die sportliche Aktivität in dem ursprünglichen Modell von Antonovsky keine Berücksichtigung fand. Waller (2002) und Kaplan (1988) weisen zusätzlich darauf hin, dass es in dem Salutogenesemodell von Antonovsky zu einer Verwechslung von Ursache und Wirkung kommen kann. Es ist nicht klar, ob die Schutzfaktoren wirklich zu einer Verbesserung der Gesundheit führen, oder ob die Schutzfaktoren bereits ein Aspekt der Gesundheit sind (Waller 2002: 25f.; Kaplan 1988). Zu den Stärken des Modells ist dagegen der Kontiniuumansatz zum Gesundheits-/ Krankheitszustand zu zählen (Knoll 1997: 33; Waller 2002: 25). In den nachfolgenden Analysen dieser Arbeit wird der Gesundheitsbegriff in Anlehnung an Antonovsky verwendet. Die auf einer 7stufigen Skala eingeschätzte Gesundheitszufriedenheit und die ebenfalls metrisch gemessene Gesundheitsveränderung werden als Gesundheitsvariable in den Analysen für Westdeutschland berücksichtigt, und auch in 35
den Analysen für Baden-Württemberg werden gemäß der salutogenetischen Sichtweise das Vorliegen einer Erkrankung lediglich als eine Verschiebung auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum angesehen. Personen werden entsprechend dieser Sichtweise bei dem Vorliegen einer Gesundheitsverschlechterung oder der Diagnose einer Erkrankung nicht generell als krank bezeichnet, sondern immer nur in Bezug auf die analysierten Erkrankungen oder die Gesundheitsverschlechterung als beeinträchtigt wahrgenommen.
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Abbildung 2: Die Verankerung der sportlichen Aktivität im Salutogenesemodell (mod. nach Knoll)
Quelle: Knoll 1997: 32
Modell zur Erklärung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit von Elkeles und Mielck Bei dem Modell von Elkeles und Mielck (1993)28 handelt es sich um ein hierarchisches Mehrebenenmodell, welches sowohl die Mikro-, die Mesoals auch die Makroebene berücksichtigt (vgl. Abb. 3). Die Makroebene wird in diesem Modell verkörpert durch soziale Ungleichheit, auf der Mesoebene werden „gesundheitsrelevante Lebensstile“, „gesundheitliche Belastungen“, „Bewältigungsressourcen“ und „gesundheitliche Vorsorge“ berücksichtigt. Die Mesoebene beinhaltet somit die konkreten gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen, welche es erleichtern oder erschweren, gesundheitsbewusst zu leben (Elkeles und Mielck 1993: 30). Gesundheitliche Ungleichheiten kommen schließlich auf der Mikroebene zum Ausdruck (Opper 1998b: 122f.). Besonderen Wert legen die Autoren auf die hierarchische Anordnung innerhalb der einzelnen Ebenen. Beispielsweise können innerhalb der Mesoebene unterschiedliche Lebenssituationen zu Unterschieden im gesundheitsrelevanten Verhalten führen (Elkeles und Mielck 1993: 30). Die Sportaktivität wird in dem Modell zwar nicht explizit erwähnt, sie kann aber problemlos als Teil des gesundheitsrelevanten Lebensstils auf der Mesoebene integriert werden (Opper 1998b: 124). Eine Rückwirkung29 der Gesundheit auf den gesundheitsrelevanten Lebensstil und somit auf die Sportaktivität ist in dem Modell berücksichtigt. Allerdings entzieht sich das Modell – wie auch das Salutogenesemodell – aufgrund seiner Komplexität weitgehend einer empirischen Überprüfung.
28 Das gesetzte Ziel der Autoren war die Integration verschiedener vorhandener Ansätze zur gesundheitlichen Ungleichheit in einem Gesamtmodell (Elkeles und Mielck 1993: 28). 29 In der in der Zeitschrift „Gesundheitswesen“ veröffentlichten leicht modifizierten Abbildung des Modells finden die in der wiedergegebenen Abbildung abgetragenen Rückkopplungseffekte der Gesundheit auf die Sportaktivität (vgl. Abb. 3) keine Beachtung mehr (Elkeles und Mielck 1997: 138).
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Abbildung 3: Modell zur sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit Soziale Ungleichheit (Unterschiede in Wissen, Geld, Macht und Prestige)
Unterschiedliche gesundheitliche Beanspruchungen Bilanz aus: Gesundheitliche Belastungen
Bewältigungsressourcen
(z.B.: Stress am Arbeitsplatz,
(z.B.: soziale Unterstützung,
Umweltbelastungen in
Freizeitmöglichkeiten,
Wohnumgebung)
Kommunikationskompetenz)
Unterschiedliche gesundheitliche Versorgung
(z.B.: Qualität von Prävention, Kuration und Rehabilitation)
Unterschiedliche gesundheitsrelevante Lebensstile
(z.B.: Gesundheits- und Krankheitsverhalten wie Rauchen, Ernährung, Symptomtoleranz)
Gesundheitliche Ungleichheit (Unterschiede in Morbidität und Mortalität)
Quelle: Elkeles und Mielck 1993
Modell von Bouchard & Shepard zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Sport und Gesundheit Zur Erklärung der komplexen Wechselbeziehung zwischen Sport und Gesundheit entwickelten Bouchard und Shephard ein Modell (Bouchard und Shephard 1994; Bouchard 1996a). Die körperliche Aktivität in dem Modell von Bouchard und Shephard wird verstanden als „jede durch die Skelettmuskulatur hervorgerufene Bewegung des Körpers, die zu einer Erhöhung des Energieaufwandes führt“ (Bouchard 1996a: 44). Die Gesundheit ist in diesem Modell in Anlehnung an Antonovsky „als ein Zustand des Menschen mit physischen, sozialen und psychologischen Dimensionen, von denen jede als ein Kontinuum mit positiven und negativen Faktoren charakterisiert werden kann“, definiert (Bouchard 1996a: 46). In dem Modell ist die Beziehung der einzelnen Komponenten zueinander 39
dargestellt, dabei werden Kausalitäten, Rückkopplungen gesundheitlicher Ungleichheiten auf den gesundheitsrelevanten Lebensstil und der Einfluss von endogenen und exogenen Faktoren berücksichtigt (Bouchard 1996a: 42; Bouchard 1996b: 38). Ausgegangen wird hierbei von einer wechselseitigen Beeinflussung von Gesundheit, Fitness und Sportaktivität. Die körperliche Fitness stellt in diesem Modell eine Mediatorvariable dar (Bouchard und Shephard 1994: 78). Dabei wird angenommen, dass sportliche Aktivität die Fitness verbessert und diese wiederum zu einer Verbesserung der Gesundheit führt. Andererseits wird in diesem Modell berücksichtigt, dass bereits ein Mindestmaß an Gesundheit und auch Fitness vorhanden sein muss, um Sport überhaupt treiben zu können (Bouchard 1990; Bouchard et al. 1993; Bouchard 1996b: 39). Zusätzlich wird ein direkter Einfluss der Sportaktivität auf die Gesundheit und ein direkter Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität angenommen. Bouchard und Shephard gehen also in ihrem Modell von der Annahme aus, dass die Gesundheit sich direkt und indirekt über eine Verbesserung der Fitness auf die Sportaktivität auswirkt (Bouchard und Shephard 1994: 78f; Bouchard 1996a: 44; Bouchard 1996b: 39). Die körperliche Aktivität, die Fitness und die Gesundheit sind zudem noch von verschiedenen internen (z.B. genetischen Merkmalen) und externen Faktoren (z.B. weitere Lebensstilmerkmale) beeinflusst (Bouchard und Shephard 1994: 11; Bouchard 1996a: 44).
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Abbildung 4: Wechselbeziehungen zwischen körperlicher Aktivität, Fitness und Gesundheit
Heredity
Physical Activity • Leisure • Occupational • Other Chores
• • • • •
Health-Related Fitness Morphological Muscular Motor Cardiorespiratory Metabolic
• • • •
Health • Wellness • Morbidity • Mortality
Other Factors Lifestyle Behaviors Personal Attributes Physical Environment Social Environment
Quelle: Bouchard und Shephard 1994: 77
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle drei dargestellten Modelle einen Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität nicht ausschließen, wobei in allen drei Modellen die Wirkung der Gesundheit auf die Sportbetätigung nicht näher beschrieben wird. Zur Erklärung der komplexen Wechselbeziehung zwischen Sport und Gesundheit scheint jedoch von den drei dargestellten Modellen das Modell von Bouchard und Shephard am Besten geeignet zu sein, obwohl auch hier der Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität nicht explizit thematisiert wird (Bouchard und Shephard 1994; Bouchard 1996a).
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2.2.2 Weitere theoretische und empirische Befunde zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität Wie bereits einleitend erwähnt, ist der positive Einfluss der Sportaktivität auf verschiedenste Aspekte der Gesundheit als weitgehend belegt anzusehen (vgl. Kap. 1). Beispielsweise kann sportliche Aktivität ganz allgemein das Risiko des Auftretens chronischer Krankheiten reduzieren (PiSunyer 1993; Paffenbarger et al. 1993; Mensink 2002: 35; Blair und Conelly 1996: 193). Eine kardioprotektive Wirkung30 wird in diesem Zusammenhang vor allem moderatem Ausdauersport zugeschrieben (Opper 1998a: 63; Paffenbarger et al. 1979; Winkler 1998: 122; Sallis et al. 1989: 20; Löllgen 2003: 992; Lüschen et al. 1993: 176; Wannamethee und Shaper 2001; Winkler 1998; Berlin und Colditz 1990; Kaplan et al. 1996; Hu et al. 2006). Körperliche Ausdaueraktivitäten wirken sich dabei insbesondere positiv auf einzelne Risikofaktoren kardiovaskulärer Erkrankungen, wie zum Beispiel Bluthochdruck oder Blutfettwerte, aus (Boardley et al. 2007; Kokkinos et al. 2001; Panagiotakos et al. 2003; Pescatello et al. 2004; Schwarz und Halle 2006). Nicht zuletzt scheinen moderate sportliche Ausdauerbelastungen sowohl Adipositas als auch dem Diabetes mellitus entgegenzuwirken, eine Gewichtsreduzierung zu erleichtern und dadurch wiederum der Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen vorzubeugen (Berlin und Colditz 1990; Kaplan et al. 1996; Sullivan et al. 2005; Vatten et al. 2006; Villegas et al. 2006). Aktuelle Schätzungen für die Bundesrepublik Deutschland besagen, dass jährlich 6.500 Todesfälle infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch sportliche Betätigung vermieden werden könnten (Rütten et al. 2005). Der physischen Aktivität wird ebenfalls eine positive Wirkung auf bereits bestehende Krebserkrankungen zugeschrieben (Thune und Furberg 2001). Auch in der Prävention und bei der Behandlung orthopädischer Erkrankungen nimmt die physische Aktivität eine Schlüsselrolle ein (Winett und Carpinelli 2001). Im Vordergrund steht hier meist der gezielte Muskelaufbau durch entsprechende Bewegungsübungen. Zudem erkranken sportlich aktive Menschen seltener an chronischen Rückenschmerzen (Hartvigsen und Christensen 2007; Thomas et al. 2005) und sogar bei Arthrose dominieren positive Aspekte sportlicher Betätigung (Mayer et al. 30 Gerade koronare Herzerkrankungen gehören zu den durch den Lebensstil beeinflussbaren Krankheiten und zu der bedeutendsten Gruppe der vermeidbaren Todesursachen (Hermey 2004: 11).
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2003). Auch osteoporosebedingten Frakturen kann durch körperliche Aktivität vorgebeugt werden (Augestad et al. 2004; Cosman 2005; Gass und Dawson-Hughes 2006). Besonders ältere Menschen können durch eine Verzögerung des Alterungsprozesses und durch die Aufrechterhaltung der Beweglichkeit von sportlicher Betätigung profitieren (Brach et al. 2004; Patel et al. 2006; Bässler 1993; Eichberg 2003: 69; Emrich 1985: 341; Bässler 1989: 24; Meusel 1988: 29; Ehrler und Huth 2000: 221; Baur et al. 1996: 33; Hollmann und Hettinger 2000) sowie Stürzen vorbeugen (Meusel 1996b: 178; Hauer et al. 2001; Sherrington et al. 2004). Denn bereits ab dem 3. Lebensjahrzehnt kommt es ohne ausreichende Bewegungsanreize zum Muskelabbau und einer erhöhten Ermüdbarkeit (Denk und Pache 1996b: 15f.) sowie zum verstärkten Abbau von Knochenmasse (Wardlaw 1993). In einer finnisch-deutschen Längsschnittstudie wird deutlich, dass sporttreibende Personen unabhängig von Alter und Nationalität ihren Gesundheitszustand positiver bewerten als Nichtsportler aus beiden Ländern (Woll et al. 2003: 38). Ergebnisse einer Meta-Analyse bestätigen ebenfalls, dass unter Konstanthaltung von personen- und programmspezifischen Charakteristiken ein positiver Einfluss der Sportaktivität auf die physische Gesundheit besteht (Knoll 1993: 152, 154)31 und auch durchgeführte Längsschnittanalysen kommen zu dem Ergebnis, dass über den Lebenslauf gesehen, die durchgängigen Sportler im Hinblick auf die physische Gesundheit am stärksten von der Sportaktivität profitieren (Tittlbach et al. 2005). Zudem konnte in einer über 17 Jahre durchgeführten finnischen Zwillingsstudie, bei Personen die regelmäßig körperlich aktiv waren, eine deutliche Senkung der Mortalität beobachtet werden. Das relative Mortalitätsrisiko sank selbst bei Zwillingspartnern, die nur gelegentlich sportlich aktiv waren, im Vergleich zu den Zwillingspartnern, die inaktiv waren um 20 Prozent. Dies kann als eindeutiger Beleg dafür gesehen werden, dass auch unter Kontrolle genetischer Komponenten körperliche Aktivität eine Risikoreduktion bewirkt (Kujala et al. 1998: 440). Ein positiver Einfluss der Sportaktivität auf die psychische Gesund31 Allerdings ist die Beziehung zwischen Sport und Gesundheit keineswegs so eindeutig wie es auf der Grundlage dieser (Interventions-) Studien erscheint (Woll et al. 2003: 39). Gemäß den Meta-Analysen von Schlicht (1991, 1994) oder Knoll (1993) zum Zusammenhang zwischen Sport und seelischer bzw. körperlicher Gesundheit gibt es Anlass zu einer vorsichtigen Beurteilung der gesundheitlichen Wirkung des Sporttreibens (Opper 1998a: 14). Erst unter Kontrolle bestimmter programmspezifischer Merkmale lassen sich gesundheitsförderliche Wirkungen der Sportaktivität nachweisen (Knoll 1993; Schlicht 1991; Schlicht 1994; Bouchard und Shephard 1994; Woll 1996).
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heit konnte ebenfalls mehrfach nachgewiesen werden (Bässler 1993; Abele und Brehm 1990; Brehm 1987; Kleine und Hautzinger 1990; Hermey 2004: 32; Farmer et al. 1988; Brooks und Fuller 2006: 915f.). Übereinstimmend mit den vorliegenden empirischen Befunden stellt die Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) in ihrem Bericht von 2002 dar, dass ein inaktiver Lebensstil weltweit 1,9 Mio. vorzeitige Todesfälle verursacht (WHO 2002: 61).32 Bei einigen der veröffentlichten Studien verbietet sich jedoch streng genommen eine gerichtete Interpretation dieser Art (Schwenkmezger und Schlicht 1994: 223).33 Eine häufig zitierte Studie von Morris et al. (1953) besagt z.B., dass Busschaffner (überwiegend in Bewegung) im Vergleich zu Busfahrern (überwiegend sitzend) eine um den Faktor 1,5 geringere Sterblichkeit aufweisen. Allerdings zeigte sich hier in einer nachträglichen Analyse, dass Unterschiede bereits vor der Berufsaufnahme existierten. Die Busfahrer litten schon vor Berufseinstieg häufiger unter koronaren Risikofaktoren im Vergleich zu den Busschaffnern und haben teilweise genau aus diesem Grund eine sitzende Tätigkeit gewählt (Morris et al. 1953: 1055; Rost 1991: 56). Aufgrund dieser und ähnlicher Ergebnisse „darf der im Querschnitt ermittelte signifikante positive korrelative Zusammenhang zwischen der sportlichen Aktivität und der subjektiven und objektiven Gesundheit nicht einseitig im Sinne des Einflusses der Sportaktivität auf die Gesundheit interpretiert werden, denn auch die entgegengesetzte Einflussrichtung sowie nicht erfasste Drittvariablen sind zu berücksichtigen. Das Problem der Kausalität stellt sich jedoch nicht nur hinsichtlich der Wirkungsrichtung. Vielmehr muss an dieser Stelle auch die Wirkungsweise offen bleiben, d.h., auf welchem Weg körperliche Aktivität und Gesundheit möglicherweise zusammenhängen“ (Wagner et al. 2004: 146). 32 Der Zusammenhang zwischen einem inaktiven Lebensstil und der Lebenserwartung kann auch in kulturvergleichenden Studien bestätigt werden. Auf der Insel Okinawa zwischen Japan und China beispielsweise bleiben die Menschen länger gesund und haben eine höhere Lebenserwartung als anderswo. Diese hohe Lebenserwartung in Gesundheit ist in erster Linie auf den Lebensstil der Inselbewohner, mit ausreichend Bewegung, gesunder Ernährung und dem Praktizieren von Entspannungstechniken zurückzuführen (Hermey 2004: 1; Willcox et al. 2001). 33 Für eine Interpretation als Ursache-Wirkungs-Zusammenhang sollten drei Kriterien erfüllt sein: 1. es sollte eine statistisch signifikante Beziehung zwischen Ursache und Wirkung bestehen, 2. die Ursache sollte vor der Wirkung liegen und 3. der Einfluss von Drittvariablen oder Konfoundern sollte auszuschließen sein (Hodapp 1993; Steyer 1992). Diese Kriterien sind jedoch nur in wenigen vorliegenden Studien vollständig erfüllt.
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Der Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität wurde in einer Vielzahl von Studien zur Ermittlung von Determinanten der Sportaktivität mitberücksichtigt. In fast all diesen recherchierten (Querschnitt-) Studien (vgl. Tabelle 1) ist ein positiver Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit zu verzeichnen (vgl. Abele und Brehm 1990; Bässler 1990; Erlinghagen 2003; Gregg et al. 1996; Kolland 1992; Krämer et al. 1997; Lampert et al. 2005a; Lindström et al. 2001; Lüschen 1994; Rittner et al. 1994; Sternfeld et al. 1999). Beispielsweise bewerten gemäß einer Auswertung des Telefonischen Gesundheitssurveys 200334 Männer und Frauen, die regelmäßig Sport treiben, ihren Gesundheitszustand signifikant besser, als Männer und Frauen die keinen Sport treiben (Lampert et al. 2005a: 1362). Lediglich in einer recherchierten Studie von Lindström et al. (2001) kann für Männer kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem subjektiven Gesundheitszustand und der Sportaktivität nachgewiesen werden (vgl. Lindström et al. 2001). Der positive Zusammenhang besteht auch zwischen objektiven Gesundheitsparametern und der Sportaktivität. Aktiv sporttreibende Personen berichten seltener unter medizinischen Risikofaktoren wie z.B. Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rücken- und Gelenkerkrankungen sowie psychischen Erkrankungen zu leiden als ehemalig sportaktive und noch nie sportaktive Personen (Brown et al. 2000; Rittner et al. 1994: 169; Oldridge et al. 1983a: 72; Hirvensalo et al. 1998; Kaplan et al. 2003; Lim und Taylor 2005; Martin und Sinden 2001; Ruchlin und Lachs 1999). Die Analysen der Daten verschiedener so genannter Gesundheitssurveys35 zu Dimensionen der Gesundheit und dem Einfluss sportlicher Aktivität von Winkler et al. (1998) zeigen, dass Sport-
34 Eine genauere Beschreibung dieses Datensatzes erfolgt in Abschnitt 3.1. 35 Ausgewertet wurden für die alten Bundesländer Daten des Nationalen Untersuchungssurveys (NUS) erhoben in den Jahren 1984-86, 1988-89, 1990-92. Zusätzlich erfolgte für genau diese Erhebungszeiträume noch die Verwendung verschiedener Regionaler Untersuchungssurveys (RUS), die in Berlin-Spandau, Bremen, Bruchsal/Mosbach, Karlsruhe, Stuttgart sowie Landkreis Traunstein erhoben wurde. Für Ostdeutschland wurden für den dritten Erhebungszeitraum (1990-92) noch Daten des Surveys Ost ausgewertet (Winkler et al. 1998: 208f.).
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ler für alle erfragten Krankheiten36, außer für niedrigen Blutdruck, Schilddrüsenerkrankungen sowie Heuschnupfen und anderen Allergien, geringere Prävalenzen aufweisen (Winkler et al. 1998: 226f.). In einer auf Längsschnittdaten beruhenden Untersuchung an 484 Bad Schönborner Gemeindemitgliedern wurde auf der Basis der Angaben zur Sportaktivität über 10 Jahre die Sportkategorien Nichtsportler, Gelegenheitssportler, Freizeitsportler und Intensivsportler gebildet. Hier wird deutlich, dass Nicht- und Gelegenheitssportler häufiger unter HerzKreislauf-Restriktionen leiden und ihre Gesundheit schlechter einschätzen, als Freizeitsportler und Intensivsportler (Woll 1996: 282ff.). Allerdings können auch in dieser Untersuchung, aufgrund der fehlenden Informationen über Sportaktivität und Gesundheitsveränderungen zwischen den Erhebungen keine eindeutigen Schlüsse bezüglich des Kausalzusammenhangs gezogen werden. Auf der Grundlage von Querschnittsbefunden bleibt im Allgemeinen unklar, ob Nicht-Sportler mehr gesundheitliche Probleme haben, weil sie unter Bewegungsmangel leiden, oder ob die gesundheitlichen Einschränkungen zur Aufgabe der Sportaktivität geführt haben. Hinzu kommt, dass Sporttreibende ihren Gesundheitszustand für beeinflussbarer halten als Nicht-Sportler (Rittner et al. 1994: 172). Personen, die ihren Gesundheitszustand subjektiv als gut bezeichnen, erhalten ihre Sportaktivität im Vergleich zu Personen mit einem subjektiv schlechten Gesundheitszustand auch über einen längeren Zeitraum aufrecht (Gregg et al. 1996; Hirvensalo et al. 1998; Wagner 2001; Whaley und Ebbeck 1997). Sportaussteiger schätzen in einer ebenfalls auf Längsschnittdaten beruhenden Studie dagegen ihre Gesundheit zu beiden Zeitpunkten negativer ein und auch die kardiovaskuläre Gesundheit ist so-
36 Erfasste und in den Auswertungen berücksichtigte Erkrankungen sind Angina Pectoris, Herzinfarkt, Herzschwäche, Durchblutungsstörungen im Gehirn, Zuckerkrankheit, Schlaganfall, Venenleiden, Durchblutungsstörungen in den Beinen, Bluthochdruck, starkes Übergewicht, Harnsäure-Erhöhung, erhöhte Blutfette, zu niedriger Blutdruck, Gelenkrheumatismus, Hexenschuss, Ischias, Bandscheibenschaden, Lungen- und Bronchialasthma, Leberentzündung, Leberverhärtung, Gallenblasenleiden, Magengeschwüre, Magenschleimhauterkrankungen, Schilddrüsendefekte, Erkrankungen von Blase, Niere und Harnwege, Verdauungsbeschwerden, Heuschnupfen und andere Allergien (Winkler et al. 1998: 227).
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wohl zum ersten, als auch zum zweiten Messzeitpunkt37 weniger gut als bei Sporteinsteigern und kontinuierlich sportaktiven Personen (Eichberg und Rott 2004). Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse dahingehend, „dass die Verbesserung und der Erhalt des Gesundheitszustands ein wesentliches Motiv für die Aufnahme einer Sportaktivität ist und dass eine schlechte Gesundheitsbeurteilung ein Grund für die Aufgabe des Sportengagements darstellt (Eichberg und Rott 2004: 102). Zimmer et al. (1997) analysieren bei an Arthritis erkrankten Frauen im höheren Erwachsenenalter, Veränderungen der Sportaktivität in Abhängigkeit von der Stärke der Arthritis. Personen mit einer stärkeren Arthritis sind gemäß dieser Studie signifikant häufiger als Sportabbrecher zu bezeichnen, als Personen mit einer nicht so starken Arthritis. Jedoch scheint die Aufnahme der Sportaktivität in diesem Kollektiv unabhängig von der Stärke der Arthritis zu sein (Zimmer et al. 1997: 388f.). Speziell ältere Personen, die über eine gute Gesundheit verfügen, nehmen häufiger als ältere Personen mit schlechterem Gesundheitszustand an auf längere Zeit ausgelegten Sportprogrammen teil (Boyette et al. 2002: 95; Wolinsky et al. 1995; U.S.Department of Health and Human Services 1999). Eine Auswertung der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) bestätigt zudem, dass eine positive Bewertung der eigenen Gesundheit im höheren Erwachsenenalter zur Beibehaltung oder Aufnahme der Sportaktivität führt. Wohingegen eine schlechte subjektive Gesundheitseinschätzung eher zur Sportaufgabe oder zum Verbleib in der Sportpassiviät beiträgt (Allmer 1990; Allmer 1986; Eichberg und Rott 2004: 93). Da jedoch die meisten der existierenden Studien auf Querschnittsdaten beruhen38, lassen sich auch auf der Grundlage dieser Studien keine kausalen Aussagen zur komplexen Wechselwirkung von Sport und Gesundheit treffen (Balz 1992: 258; Rütten 1993: 350; Knoll 1997: 24). 37 Die Studie wurde anhand einer Stichprobe von Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) durchgeführt. Es wurden Daten von 447 Teilnehmern, die an der ersten (T1: 1994/95) und zweiten (T2: 1998/99) Erhebung teilnahmen, ausgewertet (Eichberg und Rott 2004: 95). Als kontinuierlich Aktive bzw. kontinuierlich Inaktive sind Personen bezeichnet, die zu Zeitpunkt 1 und Zeitpunkt 2 sportlich aktiv bzw. sportlich inaktiv waren. Einsteiger sind Personen, die zum ersten Zeitpunkt inaktiv und zum zweiten Zeitpunkt sportlich aktiv waren. Dementsprechend sind Aussteiger Personen, die zum ersten Zeitpunkt sportlich aktiv und zum zweiten Zeitpunkt sportlich inaktiv waren (Eichberg und Rott 2004: 96). 38 Studien, die auf Längsschnittdaten beruhen, sind in der Forschungsstandstabelle (vgl. Tab. 1) kursiv gedruckt.
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Denn Sport wirkt sich einerseits günstig auf die Gesundheit aus, mit der Folge, dass sich die Gesundheit von Sportlern weiter verbessert bzw. länger erhalten bleibt. Andererseits ist um Sport treiben zu können auch ein Mindestmaß an Gesundheit erforderlich. Somit ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass Personen, die Sport treiben, bereits vor der Sportaufnahme gesünder waren als Personen, die inaktiv bleiben (Eid und Schwenkmezger 1994: 170; Balz 1992: 262). Eine weitere Interpretationsvariante der positiven Beziehung zwischen Sport und Gesundheit wäre, dass Sportler ihren Gesundheitszustand positiver bewerten, da sie sich nach dem gesellschaftlichen Leitthema „Sport ist gesund“ verhalten. Nichtsportler hingegen sind eher von einem schlechten Gewissen beeinflusst und führen unter Umständen bereits geringe gesundheitliche Einschränkungen auf mangelnde sportliche Aktivität zurück (Opper et al. 1993: 56). Die gängige Interpretation des positiven Zusammenhangs zwischen Sport und Gesundheit in den Medien und der Wissenschaft ist jedoch, dass Sport zu einer Gesundheitsverbesserung führt und dadurch Sportler gesünder sind. Beeinflusst durch diese weit verbreitete Interpretationsvariante bleibt in den meisten Studien zu Determinanten der Sportaktivität oder Studien zur Wirkung der Sportaktivität auf bestimmte Gesundheitsparameter die Überlegung, dass das „Gesundheitsverhalten auch als Konsequenz des Gesundheitszustandes aufgefasst werden kann“ weitgehend unbeachtet (Schwenkmezger und Schlicht 1994: 224). Da es jedoch streng genommen keinen „kausalen Anfangs- und Endpunkt“ gibt (Schwarzer 1992: 164), ist die Beziehung zwischen Sport und Gesundheit kompliziert (Balz 1992: 258). Wenn man von einer wechselseitigen Beeinflussung in der Sport-Gesundheits-Beziehung ausgeht, kann die auch dieser Arbeit zugrunde liegende Kausalfrage erst abschließend beantwortet werden, wenn der Gesundheitszustand zeitlich vor der sportlichen Aktivität gemessen wird (Eid und Schwenkmezger 1994: 167f.; Hodapp 1994). In der bisherigen Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sport und Gesundheit wurde, obwohl in einer Vielzahl vorliegender Studien auf das Kausalitätsproblem hingewiesen wurde (z.B. Lampert et al. 2005a: 1357; Lüschen et al. 2001: 42; Wagner et al. 2004: 146), die Analyse von Kausalitäten weitgehend ausgeklammert. Infolge dessen ist der Einfluss der Gesundheit auf Veränderungen der Sportaktivität bis dato weitgehend unerforscht. Zu dem Mangel an geeigneten Längsschnittdaten (vgl. auch Kap. 3.1) für die Untersuchung dieser Fragestellung kommt, dass sowohl Sport als auch Gesundheit sehr komplexe Konstrukte und aus diesem 48
Grund empirisch nicht ohne Probleme zu erfassen sind (Kapustin 1994: 33; Lüschen et al. 1993: 175; Rütten 1993: 345). Auch wurde trotz der prinzipiellen Relevanz, welche die Soziologie dem Gesundheitszustand zuschreibt, teilweise gerade aufgrund der ungeklärten Kausalität in einigen (Querschnitt-) Studien zur Ermittlung von Determinanten der Sportaktivität bewusst auf die Berücksichtigung des Gesundheitszustandes verzichtet (z.B. Becker und Schneider 2005; Dai et al. 1990; Schneider und Becker 2005b). Ein weiterer Grund für die Nichtberücksichtigung der Gesundheitsvariable in verschiedenen Studien könnte die Tatsache sein, dass sich ein Großteil der durchgeführten Studien nur auf die erwerbstätige Bevölkerung bezieht und in dieser Personengruppe ein vergleichsweise geringer Anteil der Befragten von gesundheitlichen Einbußen betroffen ist (Lampert und Wagner 1998: 187). Studien zur Compliance zeigen, dass ärztliche Empfehlungen um so eher befolgt werden, je weniger die empfohlenen Verhaltensweisen eine Veränderung des bisherigen Lebensstils erforderlich machen (Kyngäs und Lahdenperä 1999: 832). Da jedoch gerade die Aufnahme oder Erhöhung der Sportaktivität infolge von ärztlichen Empfehlungen mit weit größeren Änderungen des Lebensstils einhergeht, als beispielsweise die regelmäßige Tabletteneinnahme, stehen die Vorzeichen für die Einhaltung ärztlicher Sportempfehlungen (Sportcompliance) eher schlecht. Gemäß einer auf den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 98 beruhenden repräsentativen Studie für Westdeutschland, liegt die Sportcompliance bei 52%, d.h. über die Hälfte derjenigen, die eine ärztliche Empfehlung zur Erhöhung oder Aufnahme der Sportaktivität erhalten haben, verhalten sich entsprechend dieser Empfehlung (Tönges et al. 2006: 113). Die Studienteilnehmer sollten im Bundes-Gesundheitssurvey 98 angeben, ob sie innerhalb der letzten 12 Monate im Rahmen eines Arztbesuchs zur Aufnahme oder Fortführung sportlicher Aktivität beraten wurden. Für die 488 Personen, die angaben eine solche Sportempfehlung erhalten zu haben, wurde eine darauf folgende tatsächliche Verhaltensänderung (Compliance) mit der Frage „Haben sie dadurch ihr Verhalten geändert?“ erfasst. Auch in einer Studie zur Ermittlung von Korrelaten der Sportaktivität mit den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys von 1998 zeigt sich, dass Personen, die eine ärztliche Empfehlung zur Erhöhung der Sportaktivität erhalten haben, insgesamt signifikant häufiger sportlich aktiv sind, als Personen, die keine ärztliche Empfehlung zur Erhöhung der Sportaktivität erhalten haben (Becker und Schneider 2005; Schneider und 49
Becker 2005b). In einer etwas älteren Studie von Heuwinkel (1990) gab ebenfalls jeder vierte der befragten 65- bis 75-Jährigen an, Sport bzw. sportähnliche Aktivitäten auf Anraten des Arztes zu treiben (Heuwinkel 1990: 27). Eine amerikanische Compliancestudie von Nawaz et al. (2000) lässt dagegen keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Aufnahme der Sportaktivität zwischen Personen mit und ohne Sportempfehlung für den abgefragten 12-Monats-Zeitraum erkennen (Nawaz et al. 2000). Zu bedenken ist allerdings, dass ärztliche Empfehlungen zum Gesundheitsverhalten nicht ausschließlich auf der Grundlage medizinischer Notwendigkeit ausgesprochen werden (Nawaz et al. 2000; Tönges et al. 2006; Taira et al. 1997), d.h. es erhalten nicht immer die Personen, die von der sportlichen Aktivität in besonderem Maß profitieren würden, auch eine ärztliche Sportempfehlung. Bei der Evaluation verschiedener Bewegungsprogramme hat sich dementsprechend ebenfalls gezeigt, dass die Compliance bei diesen Programmen gering ist und bereits bei der Aufnahme von Bewegungsprogrammen eine (Selbst-) Selektion der Teilnehmer stattfindet (Oldridge 1982: 56), beispielsweise verfügen „Dabeibleiber“ in Bewegungsprogrammen über einen besseren Fitnesszustand (Mirotznik et al. 1985: 13) und einen besseren (subjektiven) Gesundheitszustand (Stiggelbout et al. 2005: 413) als Sportabbrecher. In einer weiteren Studie zu Determinanten der Aufrechterhaltung sportlicher Aktivität in gesundheitsorientierten Programmen wird ebenso deutlich, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen auch bei Teilnehmern in gesundheitsorientierten Programmen verstärkt zur Aufgabe der Sportaktivität führen. Zudem wird die Gesundheitseinschätzung bei den Programmabbrechern im Verlauf der Teilnahme am Sportprogramm negativer. Die Dabeibleiber schätzen dagegen ihre Gesundheit über die Zeit positiver ein. Die Ergebnisse dieser Studie basieren im Gegensatz zu den meisten anderen Studien in diesem Bereich auf prospektiven Daten, die in Abhängigkeit von der Länge des evaluierten Sportprogramms zu zwei oder drei Zeitpunkten erfolgte (Wagner 2000: 217).39 Brehm und Eberhardt (1995) können in ihrer Studie zu „Drop-out und Bindung im FitneßStudio“ jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen Aussteigern 39 Im Rahmen der Studie wurden zwei Feldstudien in unterschiedlichen Sportkontexten durchgeführt. Im Rahmen der ersten Feldstudie (Langzeitstudie) wurden im Hochschulsport der TU-Darmstadt vier gesundheitsorientierte Sportprogramme eingerichtet. In der zweiten Feldstudie (Kurzzeitstudie) wurden Teilnehmer aus im Verein angebotenen gesundheitsorientierter Sportprogrammen untersucht (Bonadt et al. 1996).
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und Dabeibleibern hinsichtlich gesundheitlicher Probleme feststellen (Brehm und Eberhardt 1995: 176). Insgesamt ist das Interesse Sporttreibender an Gesundheitsthemen deutlich höher (Rittner et al. 1994: 172). Umschrieben wird dieses bereits aus anderen Studien zur Zielgruppenerreichung (wie Impfprogrammen, Ernährungsberatungen, Rückenschulen und Kursen zur Gewichtsreduktion) bekannte Phänomen mit dem Ausdruck „Preaching to the converted“ und besagt, dass gerade die Personen, die ohnehin einem geringen Erkrankungsrisiko ausgesetzt sind, verstärkt an gesundheitsfördernden Programmen teilnehmen (Oddy et al. 1995; Rost et al. 1990). In Befragungen von sportlich aktiven Personen und in Evaluationen verschiedener Bewegungsprogrammen zur primären Prävention40 und Rehabilitation von Patienten mit koronaren Herzerkrankungen, wird jedoch die Sorge um die Gesundheit von gesundheitlich beeinträchtigten Personen als Hauptgrund für die Teilnahme an Bewegungsprogrammen genannt (Bös und Brehm 2003: 156; Oldridge 1982: 57; Kolt et al. 2004: 190; Lamprecht und Stamm 2001; Rittner et al. 1994: 167). Allerdings ist ein schlechter Gesundheitszustand auch eine häufig genannte Begründung für die sportliche Inaktivität (Hirvensalo et al. 1998: 159; Hübner und Kirschbaum 1994: 92). Zudem interessieren sich Sporttreibende deutlich stärker für das Thema Gesundheit als ehemalige Sporttreibende und Sportabstinente (Rittner et al. 1994: 172). In einer Studie zu „Brustkrebs und Sport“ geben 80% der befragten Frauen an, nach der Schulzeit und vor der Erkrankung sportlich aktiv gewesen zu sein. Nach einem Mammakarzinom waren lediglich noch 65% sportlich aktiv (Schünemann et al. 1993: 491). Allerdings wurde in dieser Studie nicht die Sportbetätigung unmittelbar vor Diagnose der Erkrankung erfragt (Schünemann et al. 1993: 492), so dass die Studie keine Aussagen zum Einfluss der Krankheit auf Veränderungen der Sportaktivität zulässt. In einem Kollektiv von 8.881 an Arthritis leidenden Personen im höheren Erwachsenenalter gaben 48,9% an, in der vorangegangen Woche sportlich aktiv gewesen zu sein. Die meisten inaktiven Personen (72%) 40 Bei Programmen zur primären Prävention handelt es sich um Programme zur Vorbeugung des erstmaligen Auftretens von Erkrankungen. Ziel ist es bei diesen Programmen die Anzahl der Neuerkrankungen durch eine Reduktion der Risikofaktoren zu minimieren. Zielgruppe der primären Prävention sind folglich Personen, die noch keine Anzeichen der entsprechenden Erkrankung aufweisen, aber sich durch das Vorliegen eines Risikofaktors auszeichnen (Kruse 2002: 36).
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dieser Stichprobe begründeten ihre Inaktivität mit gesundheitlichen Problemen (z.B. Arthritis, Herz- oder Knieprobleme) (Trichopoulou et al. 2005: 35f.) und auch für den Ausstieg aus Bewegungsprogrammen zur primären Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden in erster Linie gesundheitliche Einschränkungen (vor allem Knieprobleme oder kardiale Probleme) sowie zeitliche Gründe genannt (Oldridge 1982: 57, 61-63). In verschiedenen anderen Studien zu Abbruchgründen von Sportprogrammen41 (Drop out) nennen ebenfalls zwischen 10% und 20% der Befragen gesundheitliche Probleme als Grund für den Sportabbruch (Bruce et al. 1976; Connell et al. 1988; Sallis et al. 1989; Sallis et al. 1992; Dishman 1987; Frogner 1991: 85; Tokarski 1985: 157). Sportabbrecher geben insgesamt signifikant häufiger als Nichtsportler, Sporteinsteiger und kontinuierliche Sportler an, dass sich ihr Gesundheitszustand stark verschlechtert hat (Tittlbach et al. 2005: 896; Opper et al. 1993: 56). Eine plausible Erklärung für diesen Zusammenhang ist, dass sich die Gesundheit trotz Sportaktivität verschlechtert hat und diese Personen aufgrund gesundheitlicher Probleme, die Sportaktivität aufgegeben haben (Opper et al. 1993: 56). Belegt ist in Übereinstimmung mit diesen Überlegungen, dass eine hohe Vulnerabilität als Indikator für die baldige Aufgabe der Sportaktivität angesehen werden kann (Baur et al. 1996: 24; Fuchs und Kleine 1995). Zudem ist die Gefahr des Abbruchs von gesundheitsorientierten Bewegungsprogrammen im ersten halben Jahr sowie die Gefahr der kompletten Aufgabe der Sportaktivität nach Programmende besonders hoch (Brehm und Eberhardt 1995: 174). Verstärkt wird dieses Verhalten (Aufgabe der Sportaktivität infolge von gesundheitlichen Beeinträchtigungen) möglicherweise noch dadurch, dass viele Ärzte nach der Diagnose einer Erkrankung zur körperlichen Schonung raten (Löllgen 2004: C635; Moore 2004). Beispielsweise klagen onkologische Patienten häufig noch nach Abschluss der Behandlung über Müdigkeit und Schlaffheit. Aufgrund dieser Symptome empfehlen Ärzte den Patienten häufig körperliche Anstrengungen zu vermeiden, obwohl dies u.a. noch zu einem weiteren Muskelabbau und dadurch zu einer höheren wahrgenommenen Anstrengung bei alltäglichen Verrichtungen führt (Dimeo und Rumberger 1998; Dimeo et 41 In gesundheitsorientierten Sportprogrammen sind Ausstiegsraten von durchschnittlich 50% innerhalb eines Jahres keine Seltenheit (Dishman 1988). Für den deutschsprachigen Raum wird eine Abbrecherquote in gesundheitsorientierten Sportprogrammen zwischen 20% und 50% berichtet (Pahmeier 1996). In vielen Fitnessstudios wechselt innerhalb von einem Jahr sogar 80% bis 90% der Mitglieder (Brehm und Eberhardt 1995: 174).
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al. 1999: C945; Dimeo 2001: 31). Auch Personen im höheren Alter bekamen in der Vergangenheit häufig von den Ärzten ein „Sportverbot“ (Denk und Pache 1992; Denk und Pache 1995). Diese Verhaltensempfehlungen können zu einer Verfestigung eines unsportlichen Lebensstils und dadurch zu einer weiteren Abnahme der Leistungsfähigkeit führen. In Konsequenz der vorliegenden Befunde könnte auf eine Polarisierung sportlicher Aktivität zwischen Gesunden und Kranken geschlossen werden. Eine Implikation dieser Polarisierungsthese ist in erster Linie ein Rückgang der Einstiegsrate sowie eine Erhöhung der Ausstiegsrate bei den erkrankten Personen, weil die gesundheitliche Hürde immer höher wird. Denn Kranksein geht auch insgesamt mit einem Rückgang der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und somit auch der Sportaktivität einher (Behrens 2006: 58f.). Andererseits wird der Zusammenhang dadurch weiter verkompliziert, dass die in den Medien propagierten günstigen Auswirkungen der Sportaktivität auf die Gesundheit, gerade auch Kranke zur Aufnahme sportlicher Betätigung motivieren könnten. In Übereinstimmung mit dieser Überlegung wird die Gesundheitsverbesserung als wichtigster Grund für die Aufnahme von Sportprogrammen genannt (Dishman 1987; Frogner 1991: 85; Rittner et al. 1994: 168; Bergmann und Heuwinkel 1990). Zusätzlich können Angebote unterschiedlicher Gesundheitsakteure dazu beitragen, dass gerade für ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Personen in jüngerer Zeit der Einstieg in den Sport erleichtert wird (Blech 2006: 134ff.; Frogner 1991: 3ff.). Die Wahrnehmung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen erhöht häufig auch die Bereitschaft, etwas am eigenen (Gesundheits-) Verhalten zu ändern, dadurch bestehen besonders nach dem Auftreten von Beeinträchtigungen, günstigere Voraussetzungen für Verhaltensänderungen (Schwarzer 1992). Insbesondere Personen mit ernsteren Erkrankungen sind eher gewillt, ärztliche Anweisungen zu befolgen als Personen mit nicht so ernsten Erkrankungen (Davis 1968: 119). In den USA wurden 7.392 Personen, die angaben einen Herzinfarkt gehabt zu haben oder unter einer koronaren Herzerkrankung zu leiden, befragt. 53,2% dieser Personen treiben nach eigenen Angaben zum Befragungszeitpunkt mehr Sport als vor der Diagnose der Herzerkrankung (Wofford et al. 2007: 295ff.). Der Effekt des Wissens um den positiven Einfluss der Sportaktivität wirkt hier unter Umständen wiederum einem Rückgang der Sporteinstiegsrate infolge von gesundheitlichen Beeinträch53
tigungen entgegen und bremst – oder (über-)kompensiert gar – die Abnahme sportlicher Aktivität infolge von Gesundheitsverschlechterungen. Demgegenüber stehen jedoch Studien, die Schwierigkeiten mit der Motivation der Patienten berichten (Oken et al. 2004). Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit einer andauernden Sportbetätigung umso geringer, je schwerwiegender die Erkrankung und je geringer die Erwartung einer Verbesserung (Pahmeier 1998: 128). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass speziell zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität ein Mangel an Studien besteht. Studien zu Korrelaten der Sportaktivität beruhen fast alle auf Querschnittsdaten und können aus diesem Grund nicht im Sinne von Kausalitäten interpretiert werden. Compliancestudien liefern, wenn man davon ausgeht, dass ärztliche Empfehlungen tendenziell eher bei Vorliegen eines schlechten Gesundheitszustandes oder infolge von Gesundheitsverschlechterungen ausgesprochen werden, Hinweise bezüglich des Einflusses der Gesundheit auf Verhaltensänderungen (z.B. Aufnahme der Sportaktivität infolge von Gesundheitsverschlechterungen). Auf der Grundlage der bisher vorliegenden Studienergebnisse sind für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten längsschnittlichen Analysen der Zusammenhänge, zwei Effekte des Einflusses der Gesundheit auf die Sportaktivität nahe liegend. In Betracht kommt bei Vorliegen einer Erkrankung (respektive geringer Gesundheitszufriedenheit) einerseits eine (weitere) Reduzierung der Sportaktivität, bedingt durch die Einschränkungen (z. B. Schmerzen), die die jeweilige Krankheit mit sich bringt. Entsprechend dieser Überlegung ist anzunehmen, dass es infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen bzw. einer geringen Gesundheitszufriedenheit zu einer Verringerung der Sporteinstiege (Hypothese 1 a) und analog dazu zu einer Erhöhung der Sportausstiege kommt (Hypothese 1 b). Andererseits kann es infolge der Erkrankung – je nach Art der Krankheit und der Sportaktivität –, bedingt durch das Wissen um die positiven Gesundheitseffekte der Sportaktivität zu einer gesteigerten Bereitschaft gesundheitsförderliche Maßnahmen zu ergreifen und dadurch zu einer gewissen Eigeninitiative kommen. Dieser Überlegung entsprechend ist anzunehmen, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen (respektive geringe Gesundheitszufriedenheit) als Auslöser sportlicher Aktivität in Betracht kommt und somit zu einer Erhöhung der Sporteinstiege (Hypothe-
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se 2 a) und zu einer Verringerung der Sportausstiege führt (Hypothese 2 b). Für Erkrankungen, bei denen ein positiver Einfluss der Sportaktivität auf die Gesundheit belegt ist (z.B. Bluthochdruck, koronare Herzerkrankungen), könnte die Diagnose einer Erkrankung eher zur Aufnahme sportlicher Betätigung führen, wie für Erkrankungen, für welche die Wirkung sportlicher Aktivität nicht so bekannt ist. Zudem ist denkbar, dass bei ernsteren Erkrankungen, bei welcher sportliche Aktivität mit einer höheren wahrgenommenen Anstrengung einhergeht, die Erkrankung eher zur Aufgabe der ausgeübten Sportaktivität bzw. zu einer Verringerung der Sporteinstiege führt als bei weniger ernsten Erkrankungen. Dementsprechend wird im Folgenden davon ausgegangen, dass der Einfluss gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf die Sportaktivität in Abhängigkeit von der diagnostizierten Erkrankung variiert (Hypothese 3).
2.3
Theoretischer und empirischer Forschungsstand zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die sportliche Aktivität unter Berücksichtigung weiterer Einflussfaktoren
Da feststeht, dass die Sport-Gesundheits-Beziehung äußerst komplex und durch eine Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst ist (Lüschen et al. 1993; Opper 1998b: 15; Schlicht 1994; Knoll 1997), werden in den folgenden Unterkapiteln empirische Ergebnisse zu weiteren Einflussfaktoren sowie theoretische Überlegungen bezüglich des Einflusses der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität unter Berücksichtigung dieser weiteren Einflussfaktoren dargestellt. Die Behandlung der zusätzlichen Einflussfaktoren erfolgt untergliedert nach vertikalen42 (Kap. 2.3.1), horizontalen43 (Kap. 2.3.2), weiteren gesundheitsrelevanten (Kap. 2.3.3) und biographischen Einflussfaktoren (Kap. 2.3.4).
42 Von vertikalen sozialen Ungleichheiten spricht man, wenn sich die verschiedenen Dimensionen einer Variablen in eine Rangordnung bringen lassen – wie beispielsweise Unterschiede im Einkommen oder im Berufsprestige (Esser 2000: 128). 43 Als horizontale Ungleichheiten oder neue Ungleichheiten bezeichnet man in erster Linie die Verschiedenartigkeit von Akteuren – also Ungleichheiten, die auf der Unterschiedlichkeit verschiedener Merkmale beruhen (z.B. Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen) (Esser 2000: 128).
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2.3.1
Vertikal strukturierende Einflussfaktoren
Neueren Befunden zufolge hat sich der positive Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Korrelaten und der Sportbetätigung in den letzten Jahren nicht geändert. Trotz der zentralen Bedeutung, die heute Entstrukturierungs-, Differenzierungs- und Pluralisierungsprozessen zugesprochen wird, kann immer noch von einem schichtspezifischen Zugang zum Sport allgemein und zu den einzelnen Sportarten ausgegangen werden (Hartmann-Tews und Cachay 1998: 3f.; Weiß 1999: 104f.) und auch der Gesundheitszustand ist in hohem Maß von sozio-ökonomischen Faktoren beeinflusst (Lampert et al. 2005a; Mielck 2000: 69ff.; Mielck 2005: 8). Begründet wird dies häufig damit, dass divergierende Startbedingungen unterschiedlicher Individuen im Lebenslauf zur differenten Bildung von Lebensstilen und Präferenzsetzung führt. Individuelle Präferenzen in der Art der Lebensführung (und somit auch der Sportaktivität) sind u.a. auf die grundlegenden Ungleichheitsdimensionen Bildung, berufliche Stellung und Einkommen zurückzuführen (Thiel und Cachay 2003; PerrigChiello 2003: 9). Nachfolgend werden theoretische Überlegungen und empirische Befunde zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität unter Berücksichtigung der vertikalen Ungleichheiten soziale Schicht (Kap. 2.3.1.1), Bildung (Kap. 2.3.1.2), berufliche Stellung (Kap. 2.3.1.3) und Einkommen (Kap. 2.3.1.4) dargestellt.
56
2.3.1.1
Soziale Schicht
Die soziale Schichtung44 im Sport stand in den 70er Jahren bereits im Mittelpunkt des Interesses sportsoziologischer Forschung (Hartmann-Tews und Cachay 1998: 2). Vor allem aufgrund der allgemeinen Verständlichkeit und der ihr zugeschriebenen hohen Erklärungskraft wird die Sozialschicht auch in späteren sportwissenschaftlichen Untersuchungen noch als Standardvariable zur Erklärung der Sportbetätigung verwendet (Bachleitner 1988: 241; Opper 1998b: 86f.). Alle im Rahmen dieser Arbeit recherchierten Studien, die den Sozialstatus als erklärende Variable für die Sportbetätigung berücksichtigen, finden einen positiven Zusammenhang zwischen dem Sozialstatus und der Sportbetätigung (vgl. Tabelle 1). Lampert und Kollegen (2005) belegen in diesem Zusammenhang, dass schichtspezifische Unterschiede in der Sportaktivität sowohl bei Frauen als auch bei Männern im mittleren Lebensalter am stärksten ausgeprägt sind, d.h. vor allem im mittleren Lebensalter betätigen sich Unterschichtsangehörige seltener sportlich als Mittel- oder Oberschichtsangehörige (Lampert et al. 2005a: 1361). Eine mögliche Erklärung für diese schicht44 Das Konzept der sozialen Schichtung ist jünger als die klassischen theoretischen Konzepte „Klasse und Stand“ und wurde erst in Auseinandersetzung mit Marx durch Theodor Geiger in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zum soziologischen Grundbegriff (Geißler 1994: 6). Da immer mehr Menschen inzwischen als unselbstständige Erwerbstätige arbeiten und zwischen diesen Erwerbstätigen in modernen Gesellschaften erhebliche Unterschiede festgestellt werden können, scheint die Unterteilung von Marx für die durch die Industrialisierung veränderte Gesellschaft nicht mehr passend. In Schichtmodellen kommt den berufsnahen Ungleichheitsdimensionen Einkommen, Beruf und Bildung eine besondere Bedeutung zu (Esser 2000: 153; Tofahrn 1997: 97; Mielck 2005: 47; Müller 1998: 10; HartmannTews und Cachay 1998: 2). Die Gesamtbevölkerung soll so gruppiert werden, dass Personen in einer ähnlichen Soziallage und mit damit verknüpften Lebenschancen sich in einer sozialen Schicht befinden (Geißler 2002: 116f.). Lenski stellt mit der Idee der Statusinkonsistenzen die Grundlagen eines multidimensionalen Schichtungsmodells bereit und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung der Komplexität sozialer Ungleichheit (Lamprecht et al. 1991: 25f.). Statusinkonsistenzen äußern sich dadurch, dass die verschiedenen Dimensionen der Schichtung relativ unabhängig voneinander sind. Unter Berücksichtigung dieser Idee der Statusinkonsistenzen können mit diesen Schichtungsmodellen beispielsweise auch Personen mit niedrigem Prestige und hohem Einkommen erfasst werden (Bornschier 1991: 63). Zur Vereinfachung der komplexen Ungleichheitsstruktur wurden verschiedene Schichtungsmodelle (wie z.B. die Bolte-Zwiebel oder die Geißler-Residenz) entwickelt. Gemeinsam ist all diesen Modellen die Vertikalität der Schichtanordnung auf einer eindimensionalen Skala der Bewertung (Esser 2000: 151; Geißler 1994: 8; Geißler 2002: 117). Zusätzlich wird in Schichtmodellen üblicherweise davon ausgegangen, dass die äußere Lebensstellung (also sowohl Bildung, berufliche Stellung und Einkommen) zu einer bestimmten inneren Haltung, einer entsprechenden Schichtmentalität, führt (Geißler 2002: 117).
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spezifische Sportbetätigung ist, dass Angehörige unterschiedlicher sozialer Schichten über unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen ungleichen Zugang zu Ressourcen (Digel 1994: 133) und somit auch über unterschiedliche Möglichkeiten, die regelmäßige Sportaktivität zu realisieren, verfügen. Die Schichtzugehörigkeit beeinflusst ebenfalls direkt die Wahrnehmung von Sportmöglichkeiten, beispielsweise erwägen Unterschichtsangehörige aufgrund ihrer finanziellen Situation seltener Golf zu spielen als Oberschichtsangehörige (Cachay und Thiel 2000: 194) und Schichtarbeiter, die verstärkt den unteren sozialen Schichten angehören, werden schon aufgrund der beruflich bedingten zeitlichen Restriktion, seltener an einem regelmäßigem Vereinstraining teilnehmen können und aus diesem Grund auch seltener in Erwägung ziehen einem Sportverein beizutreten. Des Weiteren werden Schichtunterschiede im Sportengagement über die in Abhängigkeit von der Schicht variierenden Wertorientierungen erklärt. Die Annahme ist, dass Angehörige der Unterschicht über andere Wertorientierungen, Einstellungen und Charakterzüge verfügen als Angehörige der Mittel- oder Oberschicht (Hurrelmann 2002: 173f.; Tofahrn 1997: 214). Die Fähigkeit zur Bedürfnisaufschiebung im Sinne einer langfristigen Zielsetzung, Aggressionskontrolle, Verantwortungsübernahme und Zeitmanagement sind Beispiele für Verhaltensweisen, die über die schichtspezifische Sozialisation (innerhalb der Familie), vor allem in der Mittel- und Oberschicht, vermittelt werden und auch im Sport von Vorteil sind (Brinkhoff 1998: 65; Collins 2004: 729; Heinemann 1974: 57; Hurrelmann 2002: 173f.; Voigt 1992: 165). Gemäß Bourdieu kann die unterschiedliche Sportbetätigung in Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit über einen unterschiedlichen Habitus45 erklärt werden. Unterschiedliche Lebensbedingungen führen zu unterschiedlichen Formen des Habitus und dieser bewirkt die Entstehung von unterscheidbaren Lebensstilen („Raum der Lebensstile“). Lebensstile
45 Bourdieu bezeichnet den Habitus als „strukturierte Struktur“, als die „Struktur der Existenzbedingungen“, welche bei Personen in ähnlicher Soziallage ähnliches Handeln (ähnliche „Praxisformen“) bewirkt (Bourdieu 1982: 279). Der Habitus kann als „Erzeugungsprinzip“ der verschiedenen Lebensstile bezeichnet werden (Bourdieu 1982: 277), die Realisierung des Habitus geschieht immer in Zusammenhang mit einem Feld. Der Habitus realisiert sich nur, wenn er auf ein Feld trifft, welches objektive Realisierungsmöglichkeiten für den Habitus vorgibt (Fröhlich 1994: 42).
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wiederum beeinflussen verschiedene Lebensbereiche, wie auch die sportliche Betätigung (Bourdieu 1982: 278f.).46 Durch die ungleiche Verteilung von Gütern und Merkmalen kommt es nach Bourdieu zu einer Distinktion zwischen den Angehörigen der verschiedenen sozialen Schichten. Die Distinktion dient der Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und der Bestimmung des Wertes eines Symbols (Bourdieu 1985b: 22) und kann als umso wichtiger angesehen werden, je höher die soziale Lage ist. Denn mit höherer sozialer Lage steigen die Gewinne, die aus der Distinktion erzielt werden. Ein Distinktionsgewinn kann auch durch die Abgrenzung der sporttreibenden Bevölkerung zur nichtsporttreibenden Bevölkerung erzielt werden, denn auch die Motive des Sporttreibens variieren mit der Schichtzugehörigkeit. Bourdieu sieht Sport als ein Element des sozialen Habitus und eines schichtspezifischen Lebensstils, welches der sozialen Distinktion dient und deshalb vor allem von höheren (Bildungs-) Schichten über das Jugendalter hinaus betrieben wird (Bourdieu 1982: 278f.; Bourdieu 1985a: 580ff.). Während bei Personen der unteren Klassen die Sporthäufigkeit mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter drastisch abnimmt, „zeichnet sich der hauptsächlich um der Gesundheit und sozialer Vorteile willen praktizierte ‚bürgerliche’ Sport dadurch aus, dass er noch weit über das Jugendalter hinaus betrieben wird“ (Bourdieu 1985a: 588). Compliancestudien deuten ebenfalls darauf hin, dass die Befolgung von ärztlichen Empfehlungen stark in Abhängigkeit von soziodemographischen Merkmalen wie der Schichtzugehörigkeit variiert. Gerade Personen der unteren Schichten, die häufiger von Krankheiten und Risikofaktoren
46 Der Zusammenhang von Handeln und Habitus nach Bourdieu lässt sich in einer Formel darstellen: (Habitus)(Kapital) + Feld = Praxis. Inhaltlich besagt diese Formel, dass der Habitus in Verbindung mit dem zur Verfügung stehenden Kapital in bestimmten Feldern zu einem bestimmten Handeln (Praxis), z.B. zur Sportausübung, führt (Winkler 1995b: 266).
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betroffen sind (Mielck 2000; Helmert et al. 2000)47, folgen in geringerem Maße den ärztlichen Empfehlungen (Richter et al. 2002; RöckelWiedmann et al. 2002). Auch einer auf den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 beruhenden Studie zufolge existieren in Abhängigkeit von der sozialen Schicht keine Unterschiede der Compliance infolge von ärztlichen Sportempfehlungen (Tönges et al. 2006). Insgesamt sind es gerade Personen mit einem vergleichsweise geringen Morbiditätsrisiko, wie z.B. Personen aus höheren sozialen Schichten, die häufiger an Präventionsprogrammen teilnehmen im Vergleich zu Personen mit höherem Morbiditätsrisiko (Oddy et al. 1995; Rost et al. 1990; Knopf et al. 1999; Mensink und Ströbel 1999). Angehörige der oberen Schichten verhalten sich im Allgemeinen tendenziell gesundheitsbewusster, indem sie sich häufiger sportlich betätigen, häufiger Nahrungsergänzungsmittel einnehmen (Knopf und Melchert 1999; Mensink und Ströbel 1999) sowie sich häufiger impfen lassen (Röckel-Wiedmann et al. 2002) und an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen (Kahl et al. 1999). Einer weiteren auf den Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 beruhenden Studie zufolge existieren jedoch keine Schichtunterschiede bezüglich der Sportcompliance (Tönges et al. 2006). Zusammenfassend kann auf der Grundlage der vorliegenden Befunde, die besagen, dass Schichtunterschiede hinsichtlich der Sportbetätigung, der Compliance und der Morbidität existieren, ver47 Je niedriger die soziale Schicht, desto höher ist auch die Morbiditätsrate und der Anteil an frühen Todesfällen (Hradil 2006: 37f.; Peter 2001: 28; Mielck und Helmert 1994; Mielck 1991; Kirchgässel 1990). Diese Befunde gelten unabhängig von der verwendeten Schichtdefinition und für die meisten Krankheiten. Ausnahmen stellen lediglich Allergieerkrankungen, bestimmte Krebserkrankungen (Hradil 2006: 38) sowie Psoriasis (Garbe 1990) und Scharlach (Abholz 1974) dar. Herzerkrankungen galten zwar in früheren Zeiten als typische Erkrankungen der oberen sozialen Schichten. Dies hat sich aber in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt, inzwischen sind es eher die unteren sozialen Schichten, die überdurchschnittlich häufig von Herzerkrankungen betroffen sind (Helmert et al. 1993; Hoffmeister et al. 1992). In einer englischen Längsschnittstudie zur Sterblichkeit erwerbstätiger Männer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren haben die unteren Sozialschichten ein 25% höheres Sterberisiko als die höchsten sozialen Schichten (Fox et al. 1988). Gesundheitliche Ungleichheiten in Deutschland lassen sich jedoch nicht auf den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit reduzieren. Vielmehr zeigt sich in existierenden Studien, dass auch zwischen der mittleren und oberen Schicht Unterschiede im Erkrankungsrisiko bestehen (Geyer 2002: 54). Das erhöhte Auftreten von gesundheitsbeeinträchtigenden Lebensbedingungen (z.B. höhere Schadstoffbelastung in der Wohnumgebung und am Arbeitsplatz, schlechtere materielle Versorgung zur Inanspruchnahme von kostenpflichtigen medizinischen Leistungen) und Verhaltensweisen in unteren sozialen Schichten (z.B. höherer Tabakkonsum, ungesündere Ernährung, Bewegungsmangel) kann nach dieser Annahme als eine bedeutende Ursachen für das größere Erkrankungsrisiko dieser Gruppe angesehen werden (Peter 2001: 32).
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mutet werden, dass auch der Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen in Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit variiert. Ein allgemeines Problem bei der Heranziehung von Schichtmodellen besteht jedoch in der uneinheitlichen Abgrenzung der Schichten gegeneinander. Die Konstruktion kann nicht als normiert betrachtet werden und auch die Anzahl der gebildeten Schichten variiert in Abhängigkeit von dem verwendeten Schichtindex. Durch die Existenz von Schichtmodellen mit drei, fünf und sechs Schichten ist die Vergleichbarkeit verschiedener Schichtmodelle nicht gegeben (Bachleitner 1988: 239f.). Kritisiert wird an der Konzeption der sozialen Schichten des Weiteren, dass sie die soziale Realität zu sehr vereinfacht (Lamprecht et al. 1991: 25; Voigt 1992: 153) und die alleinige Berücksichtigung der Schichtvariable die veränderte Sozialstruktur nicht mehr angemessen erfasst (Bachleitner 1988: 247). Auch können mit den Modellen der sozialen Schichtung lediglich Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, adäquat erfasst werden, nichterwerbstätige Haushaltsmitglieder sind dagegen nur unter Kompromissen, zum Beispiel über die berufliche Stellung des Haushaltsvorstandes, einzuordnen. Die wahren Lebensbedingungen der nicht im Berufsleben stehenden Personen lassen sich aufgrund dessen in Modellen der sozialen Schichtung nicht angemessen erfassen (Bachleitner 1988: 243; Lamprecht et al. 1991: 28). Aus diesem Grund finden trotz der prinzipiellen Relevanz, die der Schichtzugehörigkeit für die Analyse des Einflusses auf die Sportaktivität zugeschrieben wird, lediglich die Einzelindikatoren in den nachfolgend dargestellten Analysen Beachtung.
2.3.1.2
Bildung
Im Vergleich zu anderen Indikatoren der sozialen Schicht hat die Bildung den Vorteil, dass sie sich relativ früh manifestiert und im Gegensatz zur beruflichen Stellung und dem Einkommen meist über den Lebenslauf unverändert bleibt (Hradil 2006: 37; Hummer et al. 1998: 560; Statistisches Bundesamt 1998; Stolpe 2001: 17). Für die Bildung als Merkmal der Sozialschichtzugehörigkeit spricht zudem das die Bildung unabhängig von der Beschäftigungsstruktur ist. Allerdings ist bei der Verwendung der Bildung als Indikator für die Sozialschicht zu beachten, dass die Bildungsverteilung in Abhängigkeit von der Kohortenzugehörigkeit variiert (Valkonen 1989: 142).
61
Bildung steht sowohl für den Erwerb von Wissen als auch für die Internalisierung bestimmter Verhaltensweisen (Becker 1998; Bourdieu 1983), d.h. höher gebildete Personen verfügen eher über Wissen zu Krankheitsursachen, zu ärztlichen empfohlenen Verhaltensweisen und Präventionsmöglichkeiten (Becker 1998; Maas et al. 1997). Zusätzlich ist in höheren Bildungsschichten die Fähigkeit zur Bedürfnisaufschiebung und somit auch zur Selbstdisziplinierung bezüglich gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen (Becker 1998; Maas et al. 1997; Voigt 1992: 165) sowie auch die Selbstwirksamkeitserwartung höher als in unteren Bildungsschichten (Becker 1998; Maas et al. 1997). Entsprechend dieser theoretischen Überlegungen überwiegen Studien, die eine positive Beziehung zwischen Bildung und sportlicher Aktivität berichten (vgl. Tab. 1). Personen mit geringer Bildung treiben seltener Sport, geben ihre sportliche Aktivität über den Lebenslauf gesehen früher wieder auf und steigen seltener im mittleren oder höheren Erwachsenenalter wieder in die Sportaktivität ein (Crespo et al. 1999; Curtis et al. 2000; Frogner 1991; Ruchlin und Lachs 1999). Lediglich in drei recherchierten Studien (vgl. Burrmann et al. 2002; Kolland 1992; Lamprecht und Stamm 1995) lässt sich kein Zusammenhang zwischen der Schulbildung und der sportlichen Aktivität nachweisen und in einer Studie von Semmer (1991) zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen Bildungsstand und sportlicher Aktivität, wobei es sich bei dieser Studie um eine Untersuchung an Jugendlichen handelt. Gemäß dieser Studie von Semmer (1991) treiben Hauptschüler fast drei Stunden mehr Sport in der Woche als Gymnasiasten (Semmer 1991: 124). Erklärt werden kann dieses abweichende Ergebnis möglicherweise damit, dass die Schulbildung im Jugendalter noch relativ variabel ist und auch die mit der Bildung assoziierten Lebensstile noch nicht so stark entwickelt sind. Die Bildung hat auch einen Einfluss auf das Gesundheitswissen und den Zugang zu bestimmten gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen. Das Wissen um die gesundheitlichen Wirkungen sportlicher Aktivität hat wiederum Einfluss darauf, inwiefern sich eine Person für die Ausübung sportlicher Aktivität entscheidet und diese in ihre alltägliche Lebensführung integriert (Opper 1998a: 65). Höhere Bildung geht ebenfalls mit einer höheren Compliance einher; beispielsweise befolgen höher gebildete Herz-Kreislauf-Patienten signifikant häufiger ärztliche Bewegungsempfehlungen als erkrankte Personen mit geringerer Bildung (Wofford et al. 2007). Eine mögliche Erklärung für 62
die geringere Compliance bei Personen mit geringer Bildung könnte sein, dass Angehörige der unteren Bildungsgruppen häufiger die Meinung vertreten, dass Krankheiten „Schicksalsschläge“ sind und Gesundheit nicht über individuelles Handeln beeinflussbar ist (Opper 1998b: 46). Hinzu kommt, dass Angehörige der oberen sozialen Schichten und insbesondere der oberen Bildungsgruppen im Gegensatz zu Angehörigen der unteren sozialen Schichten und Bildungsgruppen eher in der Lage sind, eine recht detaillierte Beschreibung ihres Gesundheitszustandes zu geben. Aufgrund dieser Fähigkeit gestaltet sich die Arzt-Patient-Kommunikation bei höherer Bildung der Patienten tendenziell einfacher (Weiß und Russo 1994: 31). Zudem suchen höher gebildete Personen häufiger bereits vorsorglich einen Arzt auf, während in unteren Bildungsgruppen ersten Symptomen körperlicher Beeinträchtigung weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird und eine ärztliche Behandlung meist erst infolge von stärkeren Beeinträchtigungen aufgenommen wird. Aus diesem Grund können für Personen der oberen Bildungsgruppen häufiger noch Präventionsempfehlungen ausgesprochen werden als für Personen der unteren Bildungsgruppen (Weiß und Russo 1994: 31). Verschiedene empirische Studien zur Mortalität und Morbidität bestätigen ebenfalls durchweg einen positiven Bildungseffekt (Piperno und Di Orio 1990: 307; Klein und Unger 1999; Mastilicia 1990: 407; Richter und Hurrelmann 2006: 11; Valkonen 1992). Je höher das Bildungsniveau, desto besser wird der eigene Gesundheitszustand eingeschätzt (Statistisches Bundesamt 1998: 109). Das erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko von Personen mit niedriger Schulbildung wird meist über ein geringeres Gesundheitswissen und daher auch ein eher geringes Gesundheitsverhalten erklärt (Hradil 2006: 40). Beispielsweise ernähren sich Personen mit höherer Bildung gesünder, rauchen weniger und treiben mehr Sport (Bisig et al. 2001: 63; Hradil 2006: 40; Statistisches Bundesamt 1998: 109). Die Ergebnisse von Klein (1996) auf Basis des sozioökonomischen Panels belegen zudem, dass ab dem 16. Lebensjahr Männer ohne Abitur eine um 3,3 Jahre geringere Lebenserwartung haben als Männer mit Abitur; bei Frauen beträgt der Unterschied sogar 3,9 Jahre. Aufgrund der in jüngerer Zeit häufiger gewordenen höheren Schulabschlüsse, insbesondere auch bei Frauen, sinkt jedoch der Anteil von Personen mit geringer Bildung und führt dazu, dass die Bildungseffekte sich teilweise über Kohortenunterschiede erklären lassen (Hradil 2006: 37; Reijneveld und Gunning-Schepers 1995; Stolpe 2001: 17). 63
Die Bildung ist in den nachfolgenden Analysen als Kontrollvariable aufgenommen und zusätzlich werden in den Baden-Württemberg-Analysen Interaktionen zwischen der Bildung und den diagnostizierten Erkrankungen berücksichtigt. Zusammenfassend ist hier auf der Grundlage der dargestellten theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde davon auszugehen, dass höher gebildete Personen zwar seltener erkranken, aber wenn sie erkranken eher Zugang zu dem Wissen, dass Sport gesund ist haben und bedingt durch dieses Wissen mit höherer Wahrscheinlichkeit die Sportaktivität bei Vorliegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen aufnehmen (Hypothese 4 a) bzw. mit geringerer Wahrscheinlichkeit die Sportaktivität bei Vorliegen eines medizinischen Risikofaktors oder einer Erkrankung aufgeben (Hypothese 4 b).
2.3.1.3
Berufliche Stellung
Neben der Schulbildung und dem Einkommen gehört der Berufsstatus zu den traditionellen Variablen sozialer Ungleichheit. Aus der beruflichen Stellung und den damit einhergehenden ungleichen Belastungen am Arbeitsplatz ergeben sich auch bestimmte für den Sport relevante Verhaltensdispositionen. Beispielsweise bestimmen Umfang und Verteilung der Freizeit die Möglichkeiten zur Sportausübung (Heuwinkel 1990: 26). Dementsprechend sollten nicht erwerbstätige Personen deutlich häufiger sportaktiv sein als erwerbstätige Personen. Dem ist jedoch entgegenzusetzen, dass gerade durch den Kontakt zu sportlich aktiven Kollegen oder durch die Möglichkeit des Zugangs zu Betriebssportanlagen neue Anreize zur Aufnahme oder Beibehaltung der Sportaktivität geschaffen werden. Auch eine überwiegend sitzende Berufstätigkeit kann das Bedürfnis nach einem körperlichen Ausgleich verstärken. Jedoch steht ein sehr berufsorientierter Lebensstil, der in erster Linie in den oberen beruflichen Positionen zu beobachten ist, wiederum einer regelmäßig ausgeübten Sportaktivität eher im Weg (Heuwinkel 1990: 26). Arbeiter begründen ihre Sportabstinenz häufig damit, dass sie sich während der Arbeitszeit bereits ausreichend bewegen und aus diesem Grund auf Sport verzichten können (Allison und Coburn 1985). Eine unterschiedliche Sportaktivität von Arbeitern und Angestellten ist insgesamt empirisch gut bestätigt (z.B. Boutelle et al. 2000; Hübner und Kirschbaum 1994; Lamprecht et al. 1991; Lindström et al. 2001; Salmon et al. 2000; Voigt 1992) und ein direkter negativer Zusammenhang zwischen körperlicher Beanspruchung im Beruf 64
und sportlicher Aktivität lässt sich ebenfalls nachweisen (Becker und Schneider 2005: 188, 192). Auch die Sportcompliance erweist sich bei Arbeitern im Vergleich zu Angestellten als gering (Oldridge et al. 1978; Oldridge et al. 1983b). In Übereinstimmung mit diesen Befunden ist zudem die Dropout-Quote von männlichen Arbeitern in Sport-Rehabilitations-Programmen überdurchschnittlich hoch (Andrew et al. 1981; Cox 1984; Kriska et al. 1986; Oldridge 1979; Oldridge 1984: 173; Shephard 1988). Zudem geht mit einer geringen beruflichen Stellung ebenfalls ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko einher (Höpflinger 1997: 162; Peter 2001: 28). Insbesondere körperliche Arbeit im beruflichen Alltag wirkt sich signifikant negativ auf die Morbidität und Mortalität aus, wohingegen sportliche Aktivität eine positive Auswirkung auf die Gesundheit hat (Andersen et al. 2000: 1622f., Oppolzer 1994: 129; Minder et al. 1986; Wagner et al. 2004: 146). Ein Ländervergleich innerhalb Europas macht zwar ein Auseinanderklaffen der Beziehung von Mortalitätsrisiken und Berufsstatus zwischen Nord- und Südeuropa deutlich. Gemeinsam ist jedoch allen Ländern ein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Erkrankungsrisikos zwischen Arbeitern und Personen, die keiner manuellen Tätigkeit nachgehen (Kunst et al. 1998). Bezüglich des Gesundheitszustandes konnten insbesondere für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutliche Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit in Abhängigkeit von der beruflichen Stellung berichtet werden (Tuchsen und Endahl 1999; Bosma et al. 1998) und auch gemäß einer Vielzahl von amtlichen Statistiken der industrialisierten Länder ist die frühe Sterblichkeit umso höher, je niedriger die berufliche Position ist (Oppolzer 1994: 129). Eine in der Schweiz durchgeführte Studie weist zudem daraufhin, dass das Sterberisiko von manuell tätigen Personen am höchsten ist (Minder et al. 1986). Als Ursache für das höhere Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko von Personen in niedrigen beruflichen Stellungen wird meist ein Ungleichgewicht von Belastungen und verfügbaren Ressourcen genannt (Hradil 2006: 40).48 48 In der Literatur werden zwei Hypothesen zur Erklärung des negativen Zusammenhangs zwischen beruflicher Stellung und Gesundheit diskutiert. Die Drifthypothese geht von einem sozialen Abstieg oder einer Verhinderung der Erlangung einer höheren beruflichen Position durch den gesundheitlichen Status aus (Peter 2001: 32; Behrens 2006: 64). Die zweite Hypothese, die Verursachungshypothese, fokussiert dagegen die mit der jeweiligen Schichtzugehörigkeit zusammenhängenden Risikofaktoren (u.a. auch Bewegungsmangel, Tabakkonsum) als Ursache von unterschiedlichen gesundheitliche Risiken bzw. Gesundheitszuständen. Der Verursachungshypothese wird ein breiterer Geltungsbereich zugeschrieben (Peter 2001: 32).
65
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sowohl die Ausübung sportlicher Aktivität, die Compliance sowie Morbidität und Mortalität in einer negativen Beziehung zur Sportaktivität stehen. In den folgenden Analysen wird die berufliche Stellung als Kontrollvariable aufgenommen.
2.3.1.4
Einkommen
Die Variable Einkommen bezieht sich in erster Linie auf die materiellen Lebensbedingungen und ist neben Bildung und beruflicher Stellung in allen Industriegesellschaften ein wichtiger Indikator für die Sportbetätigung, die Gesundheit und die Lebenserwartung. Neben dem eingeschränkten Zugang zu lebensnotwendigen Gütern sind durch ein geringes Einkommen auch die Möglichkeiten der Teilhabe am sozialen Leben (Lampert und Kroll 2005: 1) und somit auch am Sport eingeschränkt. Allerdings wird der Indikator Einkommen, vor allem aufgrund methodischer Probleme (wie z.B. der hohe Anteil an Antwortverweigerungen auf die Einkommensfrage), vergleichsweise selten zur Operationalisierung sozialer Ungleichheit verwendet (Helmert et al. 1997). Zudem bleibt bei der Verwendung des Einkommens als Indikator sozialer Ungleichheit teilweise unberücksichtigt, dass das zur Verfügung stehende Einkommen auch in Abhängigkeit von der Anzahl der Haushaltsmitglieder variiert (Helmert et al. 1997). Obwohl für das Einkommen gemäß einer Studie von Bässler (1989) ein negativer Zusammenhang zwischen der Sportbetätigung und dem Einkommen festgestellt wurde und in einer anderen Studie (vgl. Lamprecht und Stamm 1995) kein Zusammenhang zwischen Einkommen und Sportbetätigung berichtet wird, besteht den meisten recherchierten Studien zufolge eine positive Beziehung zwischen Einkommen und sportlicher Betätigung (vgl. Tab. 1). Die Höhe des Einkommens ist zwar für die Zugangsmöglichkeiten zu verschiedenen Sportarten, wie beispielsweise Segeln, Reiten, Surfen oder die Möglichkeiten Sporturlaub zu machen entscheidend (Heinemann 1990). Es gibt aber auch eine Vielzahl Sportarten, die relativ unabhängig von dem zur Verfügung stehenden Einkommen (z.B. Joggen, Walking, schwimmen) ausgeübt werden können. Beratungsgespräche bezüglich des Ernährungs- und Bewegungsverhalten werden jedoch tendenziell eher mit Personen der oberen Einkommensklassen geführt (Nawaz et al. 2000; Taira et al. 1997; Tönges et al. 2006), wodurch sich die ohnehin schon vorhandene Kluft bezüglich des 66
Wissens um gesundheitsrelevante Verhaltensweisen zwischen Personen mit geringem Einkommen und Personen mit höherem Einkommen noch vergrößert. Auch ärztliche Vorsorgeuntersuchungen werden häufiger von Personen der oberen Einkommensgruppen im Vergleich zu Personen der unteren Einkommensgruppen in Anspruch genommen (Lampert und Kroll 2006: 225). Mehrfach belegt ist zudem, dass ein negativer Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der Gesundheit besteht (Lampert und Kroll 2006: 223; Statistisches Bundesamt 1998: 105). Dieser negative Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit hat sich sogar im Laufe der letzten Jahrzehnte, durch den stärkeren Anstieg der Lebenserwartung und die Verringerung der Morbidität in den oberen Einkommensgruppen im Vergleich zu den unteren Einkommensgruppen noch verstärkt (Heinzel-Gutenbrunner 2001: 39). Auch bezüglich dieses Zusammenhangs von Gesundheit und Einkommen werden in der Literatur zwei gegenläufige Hypothesen – die Selektions- und die Kausationshypothese – diskutiert.49 Einkommensunterschiede im Erkrankungsrisiko können zwar aufgrund der weitgehend gleichen Gesundheitsversorgung nicht direkt über das Einkommen erklärt werden. Allerdings sind gerade in den untersten Einkommensschichten besonders viele ungesunde Verhaltensweisen, wie fettreiche Ernährung, mangelnde Bewegung und hoher Tabakkonsum auszumachen (Hradil 2006: 41). In einer Untersuchung mit den Daten des sozio-ökonomischen Panels von Heinzel-Gutenbrunner (2001) wird deutlich, dass die Dauer der Armut ebenfalls einen Einfluss auf die Gesundheitszufriedenheit hat. Personen mit lang anhaltender Armut sind deutlich unzufriedener mit ihrer Gesundheit als Personen, die nur kurzfristig oder nie von Armut betroffen waren (Heinzel-Gutenbrunner 2001: 44). Aufgrund der bereits skizzierten methodischen Probleme und der Tatsache, dass in den Baden-Württemberg-Daten das Einkommen lediglich zum Befragungszeitpunkt erfasst ist und gerade im höheren Alter das Vermögen (fast) bedeutsamer ist als das Einkommen, wird in den im 49 Die Selektionshypothese geht von der Annahme aus, dass Krankheit Armut verursacht. Begründet wird dies u.a. durch längeren Arbeitsausfall, Frühverrentungen (HeinzelGutenbrunner 2001: 41), Kündigungen, die aus Krankheitsgründen erfolgen (Zimmermann 1983) und höhere Ausgaben, die im Krankheitsfall auf die Betroffenen zukommen (Huster 1990). In der Kausationshypothese wird dagegen der umgekehrte Kausalzusammenhang angenommen. Hier wird davon ausgegangen, dass Personen mit geringem Einkommen höheren Belastungen ausgesetzt sind (z.B. Mangelernährung) und sich über diese Bedingungen der schlechtere Gesundheitszustand erklären lässt (Heinzel-Gutenbrunner 2001: 41).
67
Rahmen dieser Arbeit durchgeführten empirischen Analysen auf die Berücksichtigung der Einkommensvariablen verzichtet.
2.3.2
Horizontal strukurierende Einflussfaktoren
Die Entwicklungen seit den 70er Jahren lassen sich mit dem Begriff der Individualisierung50 beschreiben (vgl. Beck 1986: 116ff.). Mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung verlieren die traditionellen, vor allem vertikal ausgerichteten Konzepte an Bedeutung und die so genannten horizontalen Einflussfaktoren treten in den Vordergrund (Abraham 1998: 29; Esser 2000: 166f.; Geißler 1994: 14; Lamprecht et al. 1991: 27). Es erfolgt ein Wechsel des sozialen Fokus „von der sozialen Ungleichheit auf die soziale Vielfalt“ (Geißler 1994: 14). Seit Mitte der 80er Jahre finden auch in der soziologischen sowie in der sportsoziologischen Forschung zunehmend diese neuen Ungleichheitskonzeptionen Beachtung. Diese sollen der Situation in modernen Industriegesellschaften besser gerecht werden als Schichtungs- und Klassenmodelle (Heinemann 1998: 207; Lamprecht und Stamm 1994: 256; Bässler 1993: 47). Im Folgenden wird der relevante theoretische und empirische Forschungsstand zum Zusammenhang von Sport und Gesundheit unter Berücksichtigung der horizontalen Einflussfaktoren Alter (Kap. 2.3.2.1), Kohortenzugehörigkeit (Kap. 2.3.2.2), Geschlecht (Kap. 2.3.2.3), Familienstand und Kinder im Haushalt (Kap. 2.3.2.4) sowie der Umfang der Erwerbstätigkeit (Kap. 2.3.2.5) zusammengefasst.
2.3.2.1
Alter
Da Sport traditionell eher eine Sache der Jüngeren ist, spielt das Alter für die Häufigkeit mit der jemand Sport treibt, eine entscheidende Rolle (Lamprecht 1991: 3). Hinzu kommt, dass Personen mit unterschiedlichem Gesundheitszustand gleichzeitig unterschiedlichen Altersgruppen angehören. Es ist allerdings noch weitgehend offen, inwiefern sich der Gesundheitszustand unter Berücksichtigung des Alters auf die Sportaktivität auswirkt. „Die mit dem Alter verbundene Abnahme der funktionellen Re50 Aus individualisierungstheoretischer Sicht beeinflussen der individuelle Lebensstil und persönliche Werthaltungen in immer stärkerem Ausmaß das Verhalten (Rohrberg 1998: 107; Esser 2000: 131). Beck beschreibt die durch die Individualisierung veränderten Lebensbedingungen in Deutschland als „jenseits der Klassengesellschaft“ liegend (Beck 1986: 121).
68
servekapazität der Gewebe und Organsysteme sowie das gleichzeitige Auftreten von Alterungsprozessen in vielen Körpersystemen führt bei Überschreitung von Schwellenwerten schließlich zu Störungen der Homöostase, das heißt zu einer reduzierten Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit des Organismus. Die Folgen sind eine erhöhte Vulnerabilität, also Anfälligkeit für Krankheiten und eine verringerte körperliche Leistungsfähigkeit“ (Voelcker-Rehage et al. 2006: 559). In der Kindheit und Jugend ist der Zugang zum Sport meist dadurch erleichtert, dass die Sportaktivität häufig von den Eltern initiiert wird und zusammen mit Gleichaltrigen (z.B. im Verein) erfolgt (Heuwinkel 1990: 25; Pahmeier 2008: 169). Vermittelt durch die mit dem Alter zusammenhängenden sich verändernden Lebensumstände (z.B. zunehmende berufliche und familiäre Verpflichtungen) ist zu erwarten, dass sich die Aufnahme der Sportaktivität mit steigendem Alter immer schwieriger gestaltet (Heuwinkel 1990: 25). Zudem kann angenommen werden, dass mit zunehmendem Alter die Motivation zum Sporttreiben nachlässt und aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen, Übergewicht oder langer Sportpassivität die zu überwindende Hürde mit zunehmender Dauer der Sportpassivität immer höher wird. Hinzu kommt, dass der Rückgang der motorischen Fähigkeiten sowie die Angst vor Verletzungen die zur Auswahl stehenden Sportarten mit zunehmendem Alter immer weiter einschränken (Lamprecht und Stamm 2001; Eichberg 2003; Lamprecht 1991: 4; Lehr 1992: 16). Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt ebenfalls das teilweise noch immer vorherrschende Altersstereotyp, nach welchem Alter eher mit Ruhe und Passivität gleichzusetzen ist (Emrich 1985: 341). Sport wird diesem Altersstereotyp entsprechend von den Älteren selbst häufig als altersinadäquat und gefährlich eingestuft (Kolland 1992: 24; Breuer 2004: 64). Mit der Verlängerung der Altersphase im Lebenslauf kommt es jedoch zu einer Aufweichung der bisher vorherrschenden Altersstereotypen (Pahmeier 2008: 171; Tokarski 1998: 113), zusätzlich konnte in den letzten Jahren eine zunehmende Differenzierung innerhalb der Gruppe der älteren Menschen beobachtet werden (Tokarski 1998: 113). Während im Erwerbsleben heute schon Personen ab 55 Jahren als alt gelten, werden in der Werbung Altersbilder vermittelt, gemäß welchen ältere Menschen noch hochaktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Wie sich ältere Menschen jedoch selbst einschätzen, hängt in hohem Maße von ihrem Gesundheitszustand ab (Baur et al. 1996: 54). Im Zusammenhang mit 69
der Entwicklung der Aktivität mit zunehmendem Alter werden in der Literatur häufig zwei Ansätze herangezogen: die Disengagement- und die Aktivitätstheorie. Der Disengagementtheorie von Cumming und Henry (1961) liegt die Annahme zu Grunde, dass in allen Lebensbereichen das Engagement mit zunehmendem Alter zurückgeht (Lampert und Wagner 1998: 191; Meusel 1996a: 61) und der ältere Mensch im Alter glücklich und zufrieden ist, wenn er sich zurückziehen kann (Meusel 1996a: 61). Gemäß der Aktivitätstheorie (Tartler 1961; Havighurst et al. 1964b) wird dagegen die Vermutung aufgestellt, dass Menschen nur zufrieden und glücklich sind, wenn sie gesellschaftlich integriert sind, ein aktives Leben führen und u.a. auch weiterhin sportlich aktiv sind (Meusel 1996a: 61). In fast allen recherchierten Studien (vgl. Tab. 1) wurde, wie nach der Disengagementtheorie zu vermuten wäre, ein negativer Zusammenhang zwischen Sport und Alter berichtet. Lamprecht und Stamm (1995) beispielsweise konnten keine Effekte der klassischen sozialen Ungleichheitskategorien sowie des Geschlechts und der allgemeinen Wohn-, Lebens- und Arbeitssituation nachweisen. Lediglich zwischen der sportlichen Aktivität und dem Alter fanden die Autoren einen hochsignifikanten negativen Zusammenhang (Lamprecht und Stamm 1995: 271f.). Bestätigt wird dieser negative Zusammenhang zwischen Alter und Sport ebenfalls in einer deskriptiven Längsschnittanalyse von Becker und Klein (2007), welche zeigt, dass die Sportbetätigung mit zunehmendem Alter tendenziell abnimmt. Bezüglich der Häufigkeit der sportlichen Betätigung konnte des Weiteren eine besonders große Variabilität der Sportbetätigung in der Zeit zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr beobachtet werden. Es ist denkbar, dass die Schwankungen auf die noch instabilen Lebensumstände (im privaten sowie beruflichen Bereich) dieser Altersgruppe zurückzuführen sind. Im weiteren Lebensverlauf sinkt die Sportaktivität mit zunehmendem Alter nahezu kontinuierlich (Becker und Klein 2007). Weitere jüngere Längsschnittauswertung der SOEP-Daten zum Zusammenhang zwischen Alter und Sportaktivität bestätigen ebenfalls die Ergebnisse der meisten vorliegenden Querschnittsstudien, nach welchen mit zunehmendem Alter der Anteil der Inaktiven beträchtlich steigt (Breuer 2005; Klein und Becker 2008). Der sich mit zunehmendem Alter tendenziell verschlechternde Gesundheitszustand (z.B. durch das verstärkte Auftreten von chronischen Erkrankungen) wird häufig als Begründung für den Rückgang der (sportlichen) Aktivität mit zunehmendem Alter angeführt
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(Baur et al. 1996: 25; Lampert und Wagner 1998: 191; Zarotis et al. 2003: 89). Daneben spielen auch die Angst vor Überforderung und Fehlern sowie Schamgefühle wegen der Figur eine Rolle (Zarotis et al. 2003: 89). Meyer et al. (2005) belegen in diesem Zusammenhang, dass mit zunehmendem Alter die Bereitschaft, sich regelmäßig sportlich zu betätigen, zu Gunsten der Ausübung alltäglichen körperlichen Aktivitäten (z.B. spazieren gehen, Gartenarbeit) abnimmt (Meyer et al. 2005: 223). Auch Tokarski belegt, dass in Abhängigkeit davon, was als Sport bezeichnet wird, bei den älteren Personen Sport eher unterdurchschnittlich verbreitet ist (Tokarski 1991: 8). In einer neueren ereignisanalytischen Auswertung des Einflusses des Alters auf die Sportein- und Sportausstiegsraten von Klein und Becker (2008) wird verdeutlicht, dass sich das Alter auch unter Kontrolle der Gesundheit nachhaltig auf die Bereitschaft, mit einem sportlichen Lebensstil anzufangen oder aufzuhören, auswirkt. Weder die Alters- noch die Kohortenunterschiede51 sportlicher Betätigung lassen sich dementsprechend einfach mit Gesundheit und Fitness erklären. Jedoch wird sichtbar, dass die geringere Beteiligung der Älteren an sportlichen Aktivitäten weniger in ihrem Alter begründet ist, als in ihrer Generationszugehörigkeit (Klein und Becker 2008: 237ff.).52 Im Rahmen der durchgeführten Literaturrecherche (vgl. Tab. 1) wurden 5 Studien, die einen kurvilinearen bzw. einen positiven Zusammenhang zwischen sportlicher Betätigung und Alter belegen, ausfindig gemacht. Mehrere dieser Studien unterliegen einer Altersbeschränkung. Bei Brinkhoff (1998) wurden ausschließlich Jugendliche befragt und Lindström et al. (2001) untersuchten nur Personen zwischen 45 und 64 Jahren. In dieser Population lässt sich ein positiver Alterseffekt für Männer nachweisen. Eine mögliche Erklärung für diesen Befund könnte sein, dass Männer im Rentenalter nach einer Betätigung suchen, um die zusätzliche Freizeit, die ihnen durch den Austritt aus dem Erwerbsleben zur Verfügung steht, auszufüllen. Dieser Anstieg der Sportaktivität im höheren Erwachsenenalter kann ebenfalls in Auswertungen des für die Bundesrepublik Deutschland repräsentativen telefonischen Bundes-Gesundheitssurveys 2003 belegt werden. Die regelmäßige Sportbetätigung bei 51 Dies gilt auch, wenn man sich nur auf Männer konzentriert, bei denen wegen der negativen Kriegsselektion eher gesundheitsbedingte Kohorteneffekte zu erwarten sind (tabellarisch nicht wiedergegeben). 52 Vgl. Kap. 2.3.2.2 zum Einfluss der Generationszugehörigkeit.
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Männern und Frauen ist in der jüngsten Altersgruppe (18 – 29 Jahre) am höchsten. Im Alter zwischen 30 und 59 Jahren sinkt die Sportbetätigung sowohl bei Männern als auch bei Frauen deutlich ab und steigt dann im Alter von 60 und 69 Jahren nochmals an, um anschließend steil abzufallen (Rütten et al. 2005).53 In einer Längsschnittuntersuchung von Eichberg (2003) wird dagegen über den Lebenslauf gesehen ein Anstieg der Sportaktivität eher im frühen Erwachsenenalter, und hier besonders bei Frauen, sichtbar (Eichberg 2003: 124). Allerdings widerspricht dies Studien die im mittleren Erwachsenenalter eine relative Stabilität der Sportaktivität finden (Denk und Pache 1996b; Woll 1996). Auch Studien, die sich spezifisch auf die Entwicklung der Sportaktivität im höheren Erwachsenenalter konzentrieren, liefern vergleichsweise uneinheitliche Befunde. Je nach Studie kann in dieser Altersgruppe eine Konstanz (Hirvensalo et al. 1998), eine Zunahme (Curtis et al. 2000) oder eine Abnahme des Anteils der sportaktiven Personen festgestellt werden (Ruchlin und Lachs 1999). Auf der Grundlage der Daten einer Seniorenerhebung in Brandenburg lassen sich lückenhaft die Sportkarrieren54 der zum Befragungszeitpunkt 50- bis 65-jährigen Personen rekonstruieren. Für diese Darstellung der Entwicklung der Sportkarrieren erfolgte die Unterteilung in zum Erhebungszeitpunkt sportlich aktive Frauen, sportabstinente Frauen, sportaktive Männer und sportinaktive Männer (Baur et al. 1996: 178ff.). Die erkennbaren Sportkarrieren bei den im höheren Erwachsenenalter sportlich aktiven Männern und Frauen unterscheiden sich, wie in Abbildung 5 – 8 sichtbar, deutlich. Bei den sportaktiven Männern kristallisieren sich zwei typische Karrieremuster heraus. Nach der Schul- und Ausbildungszeit behalten die meisten Männer eine regelmäßige oder unregelmäßige Sportaktivität bei. Ein kleinerer Teil (16%) der im höheren Erwachsenenalter sportaktiven Männer haben im frühen Erwachsenenalter die Sportaktivität eingestellt und sind erst später wieder eingestiegen (vgl. Abb. 5).
53 Aufgrund der Kategorisierung des Alters kann in dieser Studie ein nicht-linearer Verlauf der Abnahme der Sportbetätigung berichtet werden. 54 Erfragt wurde die Teilnahme am Schulsport, die Sportaktivität während der Ausbildung sowie die Sportbeteiligung nach der Ausbildung und im höheren Erwachsenenalter (zum Befragungszeitpunkt). Für das mittlere Erwachsenalter wurden keine Angaben zur Sportaktivität erhoben (Baur et al. 1996: 172).
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Abbildung 5: Sportkarrieren sportlich aktiver 50- bis 65-Jähriger Männer in Brandenburg
Quelle: Baur et al. 1996: 181
Der Anteil der kontinuierlich aktiven Frauen ist über den Lebenslauf gesehen deutlich geringer als der Anteil der kontinuierlich aktiven Männer. Die Mehrheit der Frauen nimmt zwar am Schulsport teil und betreibt auch während der Ausbildung Sport, jedoch setzen lediglich 8% dieser Frauen ihre Sportbetätigung im frühen Erwachsenenalter fort (vgl. Abb. 6). Im Vergleich zu den Männern ist allerdings der Anteil der Frauen, die die Sportaktivität im mittleren oder höheren Erwachsenenalter wieder aufnehmen, mit 41% deutlich höher als bei den Männern (Baur et al. 1996: 181).
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Abbildung 6: Sportkarrieren sportlich aktiver 50- bis 65-Jähriger Frauen in Brandenburg
Quelle: Baur et al. 1996: 181
Bei den zum Befragungszeitpunkt sportabstinenten Männern sind drei zentrale Verläufe der Sport(in)aktivität über den Lebensverlauf erkennbar. Etwa die Hälfte der im höheren Erwachsenenalter sportinaktiven Männer hat die Sportaktivität bis ins frühe oder mittlere Erwachsenenalter beibehalten und beendete dann erst die Sportaktivität (späte Sportaussteiger). Die zweite Gruppe, die frühen Sportaussteiger, geben nach der Ausbildung die Sportaktivität auf und die dritte Gruppe der dauerhaft Inaktiven haben außerhalb der Schulzeit nie Sport getrieben (vgl. Abb. 7).
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Abbildung 7: Sportkarrieren sportlich inaktiver 50- bis 65-Jähriger Männer in Brandenburg
Quelle: Baur et al. 1996: 182
Bei den sportabstinenten Frauen lassen sich ähnliche Sportverläufe aufzeigen, wie bei den sportabstinenten Männern (vgl. Abb. 8). Allerdings ist bei den älteren Frauen die Gruppe der dauerhaft Sportabstinenten am größten (Baur et al. 1996: 182).
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Abbildung 8: Sportkarrieren sportlich inaktiver 50- bis 65-Jähriger Frauen in Brandenburg
Quelle: Baur et al. 1996: 182
In weiteren durchgeführten Längsschnittanalysen auf der Grundlage der Daten des Sozio-ökonomischen Panels und der ILSE-Studie55 wird ebenfalls deutlich, dass die wenigsten Personen kontinuierlich sportlich aktiv sind und sich besonders Frauen über den Lebensverlauf häufig diskontinuierlich sportlich betätigen (Eichberg 2003: 125; Emrich 1985; Klein und Becker 2008; Matton et al. 2006). Allerdings sind gemäß verschiedenen Autoren gerade Personen im höheren Erwachsenenalter häufiger kontinuierlich aktiv. Begründet wird dies mit der im Alter zunehmenden Sorge um die Gesundheit und der zusätzlich zur Verfügung stehenden Freizeit (Lee et al. 1996; Oldridge 1988). Jedoch werden diese Zusammenhänge nicht von allen Forschern bestätigt. Verschiedene Studien finden gerade bei älteren Personen aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen eine größere Zahl von Unterbrechungen als bei jüngere Personen (Ecclestone et al. 1998). Gemäß der „Sport Schweiz 2000“-Studie, verändern sich im Lebensverlauf neben der Sporthäufigkeit auch die Sportartenpräferenzen. Die 55 Interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (vgl. Abschnitt 3.1).
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Vielfalt der ausgeübten Sportarten nimmt in der Befragtenpopulation mit zunehmendem Alter deutlich ab (Lamprecht und Stamm 2001: 18). Skilanglauf ist gemäß dieser Untersuchung die einzige Sportart, die in der Gruppe der 60- bis 74-Jährigen häufiger ausgeübt wird als in der jüngeren Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen (Lamprecht und Stamm 2001: 18). Weiterhin können in dieser Untersuchung lediglich sechs Sportarten56 ausfindig gemacht werden, für die sich nur geringfügige Änderungen in der Ausübungshäufigkeit bei den 60- bis 74-Jährigen im Vergleich zu den 45- bis 59-Jährigen ergeben (Lamprecht und Stamm 2001: 20). Die Begründungen von Lamprecht und Stamm (2001) für die Abnahme der Bandbreite der ausgeübten Sportarten können ansatzweise auch als mögliche Hintergründe für die quantitative Abnahme der Sportbetätigung herangezogen werden. Als Hauptgründe werden in dieser Studie der Wunsch, das Verletzungsrisiko so weit wie möglich zu reduzieren, und die Angst, den eigenen und fremden Leistungsansprüchen nicht mehr gerecht zu werden, angeführt. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass viele neue Sportarten (wie z.B. Snowboarden, Badminton und Inlineskaten) speziell die jüngeren Altersgruppen ansprechen und somit für ältere Personen den Zugang erschweren (Lamprecht und Stamm 2001: 20). Die in dieser Untersuchung ermittelten „Lifetime-Sportarten“ beziehen sich jedoch auf die Schweiz und lassen sich aufgrund der landschaftlichen Gegebenheiten nicht uneingeschränkt auf Deutschland übertragen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Sportaktivität, obwohl sich auch ältere Personen über den gesundheitlichen Nutzen sportlicher Aktivität bewusst sind, ab (Goggin und Morrow 2001: 62f.). Insgesamt verschlechtert sich über den in einer Studie von Tittlbach et al. (2005) untersuchten 10-Jahreszeitraum von 1992 bis 2002 sowohl bei Sportlern als auch bei Nicht-Sportlern der subjektive Gesundheitszustand mit zunehmendem Alter. Lediglich Sporteinsteiger erfahren eine minimale Verbesserung des subjektiven Gesundheitszustandes im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Aufnahme der Sportaktivität. Die deutlichste Verschlechterung des Gesundheitszustandes erfahren Sportabbrechern, wobei zusätzliche Analysen andeuten, dass der Sportabbruch häufig aufgrund dieser Gesundheitsverschlechterung erfolgte (Tittlbach et al. 2005: 896). Der objektive Gesundheitszustand (Arzteinschätzung) verschlechtert sich im Gegensatz zum subjektiven Gesundheitszustand über den un56 Keine große Veränderungen nach dem 60. Lebensjahr zeigten sich in der Verbreitung der Sportarten Turnen/Gymnastik, Wandern/Walking/Bergwandern, Tai Chi/Qi Gong/Yoga, Segeln, Tanzen/Jazztanz, Krafttraining/Bodybuilding.
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tersuchten 10-Jahreszeitraum lediglich bei Sportabbrechern. Sportler, Sporteinsteiger und Sportabstinente verbesserten sich hinsichtlich der objektiven Gesundheitseinschätzung über den untersuchten Zeitraum sogar tendenziell – wenn auch nicht signifikant (Tittlbach et al. 2005: 897). Bezüglich der Entwicklung der Sportbetätigung im Lebensverlauf existiert Heuwinkel (1990) zufolge ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Sportaktivität in den einzelnen Lebensabschnitten (Heuwinkel 1990: 24). Auch Chogahara und Yamaguchi (1998) vertreten die Auffassung, dass wie gemäß der Kontinuitätstheorie von Atchley (1989) angenommen, Personen, die im höheren Erwachsenenalter Sport treiben, gewöhnlich auch in früheren Lebensphasen sportaktiv waren (Emrich 1985: 342; Kohli 1994: 248). Gemäß einer Längsschnittanalyse von Malina (1996) ist die Sportaktivität in der Jugend sogar ein besserer Prädiktor für die Sportaktiviät im höheren Erwachsenenalter als die Bildung, das Einkommen und der Gesundheitszustand (Malina 1996: S-55). In Übereinstimmung mit dieser theoretischen Annahme belegen Boyette und andere (2002), dass Personen, die über eine Sportbiographie verfügen, signifikant häufiger auch im höheren Alter noch an Sportprogrammen teilnehmen (Boyette et al. 2002: 95). Auch Singleton und Kollegen (1993) können ebenfalls für die Mehrheit ihrer 1.040 Probanden keine Veränderung der Sportaktivität über den von ihnen untersuchten 20-Jahreszeitraum nachweisen (Singleton et al. 1993: 22). Insgesamt wird ein positiver Zusammenhang zwischen der Sportaktivität in der Kindheit und der Sportaktivität im Erwachsenenalter in einem großen Teil der vorliegenden Studien berichtet (Alfano et al. 2002; Becker 2008; Barnekow-Bergkvist et al. 1998; Glenmark et al. 1994; Telama et al. 1996). Die Datenlage zum Einfluss des Alters für die Befolgung von ärztlichen Empfehlungen zur Verhaltensänderung ist jedoch international uneinheitlich. Eine zurückgehende Compliance mit zunehmendem Alter berichten Saroff et al. (2002) und Nawaz et al. (2000). Gemäß einer Studie von Cromer und Tarnowski (1989), einer Untersuchung von Dion et al. (1988) und Analysen zur Sportcompliance von Dorn et al. (2001) verhalten sich Personen mit zunehmendem Alter eher compliant. Ein uneinheitlicher Alterseinfluss wird in den Untersuchungen zur Compliance von Richter et al. (2002) und Milton (1968) berichtet. Vermutlich ist der Zusammenhang zwischen Alter und dem Befolgen von ärztlichen Empfehlungen abhängig von der Art des empfohlenen Verhaltens. In Bezug auf die Sportcompliance berichten Tönges et al. (2006) keine signifikanten 78
Unterschiede zwischen den Altersgruppen (Tönges et al. 2006: 113). Speziell in einem Kollektiv von Herz-Kreislauf-Patienten wird deutlich, dass jüngere Herz-Kreislauf-Patienten eher Bewegungsempfehlungen befolgen als ältere Herz-Kreislauf-Patienten (Wofford et al. 2007). Da Ärzte jedoch tendenziell eher jüngere Personen zum Ernährungs- und Bewegungsverhalten beraten (Tönges et al. 2006), lassen Studien zur Sportcompliance nur eingeschränkt Schlüsse bezüglich des Einflusses der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen unter Berücksichtigung des Alters auf die Veränderung der Sportaktivität sowie die Sportcompliance zu. Der empirische und theoretische Forschungsstand zum Alterseinfluss lässt zusammenfassend vermuten, dass aufgrund der Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter auch die Sportaktivität abnimmt. Auch ein sich zwar langsam aufweichendes, aber in den Köpfen immer noch vorhandenes Altersstereotyp kann zu einer Verringerung der sportlichen Aktivität mit zunehmendem Alter beitragen. Da das Alter wie dargestellt einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Sportaktivität, die Compliance und auch die Morbidität/Mortaltiät hat, wird diese Variable in den nachfolgenden Analysen zum Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität konstant gehalten.
2.3.2.2
Generationszugehörigkeit
Angesichts dessen, dass nach wie vor fast alle Untersuchungen zu Determinanten der Sportaktivität auf Querschnittdaten basieren, stehen die in Abschnitt 2.3.2.1 zuvor beschriebenen Erklärungsansätze für die Altersunterschiede in der Sportaktivität (z.B. abnehmende Leistungsfähigkeit, Veränderung der Lebensumstände) unter dem Vorbehalt, dass nicht Kohortenunterschiede57 maßgeblich sind. Unterschiede zwischen Kohorten lassen sich durch ähnliche zeitgeschichtliche Ereignisse in denselben 57 „Eine Kohorte ist eine Teilpopulation der Bevölkerung, die durch ein gemeinsames Startereignis charakterisiert ist“. Wenn es sich bei dem Ereignis um die Geburt handelt spricht man von Geburtskohorten (Klein 2005: 26). Geburtskohorten sind im sozialhistorischen Kontext unter den entsprechenden politischen und kulturellen Bedingungen zu sehen. Zugleich unterscheiden sich Kohorten von anderen Kohorten dadurch, dass diese im Verlauf ihres Lebens nicht nur zum Teil mit anderen gesellschaftlichen Verhältnissen konfrontiert werden, sondern auch dadurch, dass dieselben zeitgeschichtlichen Entwicklungen und Ereignissen in jeweils andere Lebensabschnitte fallen (Backes und Clemens 1998: 16; Baur et al. 1996: 27).
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Lebensabschnitten erklären (Baur et al. 1996: 27; Klein 2005: 26) und auch Gemeinsamkeiten in den Sportkarrieren können teilweise auf die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Geburtskohorten zurückgeführt werden (Baur et al. 1996: 27). Als Ursache für diese Kohortenunterschiede in der Sportaktivität kommt erstens eine unterschiedliche (Sport-) Sozialisation zu verschiedenen Zeiten in Betracht. Unter dieser generationsspezifischen Sportsozialisation im Speziellen versteht man über die Sozialisation vermittelte unterschiedliche Einstellungen und Motivationen, beispielsweise zum Sporttreiben, von Personen verschiedener Generationen (Lamprecht et al. 1991: 34). Hinzu kommt, dass es während der Kriegs- und Nachkriegszeit nur unzureichend Schul- und Vereinssportmöglichkeiten gab (Frogner 1991: 40) und während Sport in der Weimarer Republik mit „Volksgesundheit“ und später mit Wehrkraft assoziiert war, ist sportliche Aktivität heute durch den Spaß an der Bewegung, an der Sportart, am Wettkampf, durch die Auswirkungen auf Gesundheit und Aussehen und andere individuelle Beweggründe motiviert (Cachay und Thiel 2000: 232ff.). Dieser Argumentation zufolge haben die Älteren zeitlebens weniger Sport getrieben, weil schon in ihrer Jugend aufgrund einer geringeren Freizeitorientierung weniger Sport getrieben wurde. Während sich erst in den jüngeren Generationen eine postmaterialistische Wertorientierung, eine stärkere Freizeitorientierung und eine stärkere Orientierung am eigenen Wohlergehen durchgesetzt hat und in deren Folge auch die Verbreitung der Sportaktivität angestiegen ist (Heuwinkel 1990: 32; Lamprecht et al. 1991: 34). Kohortenunterschiede der Sportaktivität können also nicht zuletzt auch auf Gelegenheiten und Restriktionen beruhen, denn auch die Sportangebote wurden seit den 70er Jahren fortwährend erweitert (Mörath 2005). In neueren Längsschnittauswertungen wird in diesem Zusammenhang ebenfalls sichtbar, dass physische Inaktivität sowohl durch das Alter als auch durch Perioden- und Kohorteneffekte beeinflusst ist (Becker und Klein 2007; Breuer 2005; Klein und Becker 2008). Den Kohorten kann in der Untersuchung von Breuer (2005) der stärkste Effekt zugeschrieben werden und auch Klein und Becker (2008) kommen zu dem Ergebnis, „dass die allgegenwärtigen Unterschiede sportlicher Betätigung zwischen den Altersgruppen fast ausschließlich auf Kohortenunterschieden beruhen“ (Klein und Becker 2008: 242). Infolge der skizzierten Entwicklungen von Sportverbreitung und Gesundheitsbewusstsein (vgl. auch Abschnitt 2.1) und den vorliegenden empirischen Befunde zum Zusammenhang 80
zwischen Generationszugehörigkeit und Sportaktivität erfolgt in den durchgeführten Analysen die Kontrolle des Geburtsjahrgangs. Zudem bestehen für die Sportaktivität (möglicherweise) relevante Kohortenunterschiede der Lebensbedingungen, beispielsweise hinsichtlich der körperlichen Beanspruchung durch manuelle Berufstätigkeit. In den letzten Jahrzehnten ist die körperliche Belastung in den manuellen Berufen durch technischen Fortschritt, Rationalisierung und Automatisierung der Produktion stark zurückgegangen (vgl. Klein 2005: 283ff.). Vor diesem Hintergrund des negativen Zusammenhangs zwischen körperlicher Belastung im Berufsleben und sportlicher Aktivität liegt die Vermutung nahe, dass der wirtschaftsstrukturelle Wandel zu einer Verbreitung sportlicher Aktivität in der Bevölkerung beigetragen hat und somit die Sportbetätigung eher in jüngeren Kohorten verbreitet ist. Hinzu kommt, dass Unterschiede der körperlichen Leistungsfähigkeit zwischen den Generationen nicht auszuschließen sind (Klein und Becker 2008). Zum einen wächst die Erkenntnis darüber, dass Ereignisse und Lebensbedingungen in der frühen Kindheit Einfluss auf die Sterblichkeit (und dieser vorausgehend den Gesundheitszustand) im späteren Erwachsenenalter haben (z.B. Barker 1998; Bengtsson und Lindstrom 2000; Costa 2000; Elo und Preston 1992; Gavrilova et al. 2003). Vor diesem Hintergrund erscheint es denkbar, dass Entbehrungen in der frühen Kindheit mit einer lebenslangen Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit einhergehen, während die zunehmende Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen breiterer Schichten in der Nachkriegszeit eine stetige Verbesserung der Gesundheit in der Generationenabfolge erwarten lässt. Zudem gilt als erwiesen, dass den Zweiten Weltkrieg vor allem Männer mit schlechter Gesundheit überlebt haben (Dinkel 1985; Horiuchi 1983). Eingezogen wurden bevorzugt die Gesunden und Wehrtüchtigen, von denen viele im Krieg gefallen sind. Übrig geblieben ist eine Selektion derer mit tendenziell schlechterer Gesundheit und geringerer körperlicher Leistungsfähigkeit. Mit der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen und dem Aussterben der Kriegsgenerationen steht in Einklang, dass sich in Deutschland die Gesundheit im höheren Lebensalter verbessert und die so genannte aktive Lebenserwartung deutlich zugenommen hat (Dinkel 1999; Ziegler und Doblhammer 2005; Klein und Unger 2002). Jüngere Kohorten weisen im Durchschnitt ein höheres Ausbildungsniveau, eine bessere Gesundheit und zur Zeit noch eine bessere soziale Absicherung auf und verfügen somit auch über bessere Voraus81
setzungen für ein sportlich aktives Leben als ältere Geburtskohorten (Künemund 2001: 151).
2.3.2.3
Geschlecht
Wie das Alter hat auch das Geschlecht neben der biologischen Komponente eine soziale Komponente58 und spielt für die Strukturierung des alltäglichen Verhaltens und der Interaktionen eine wichtige Rolle (Hagemann-White 1984: 50; Heinemann 1974: 59; Rulofs et al. 2002: 39ff.; Tillmann 1997: 41). Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden jedoch häufig mit biologischen Gegebenheiten erklärt (Heinemann 1998: 213; Darlison 2000: 959). Sport wurde bereits im 19. Jahrhundert eine positive Wirkung für die Erziehung von Jungen zugeschrieben. Durch die über den Sport vermittelte körperliche Stärke sollte die „Waffenfertigkeit“ bereits im Kindesalter eingeübt werden (Klein 1991: 152). In der geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung ist unter dem Stichwort der „kognitiven Sozialisation“ die Annahme verbreitet, dass Jungen und Mädchen, wenn sie sich ihrer Geschlechtszugehörigkeit bewusst sind, sich selbst in Richtung der geschlechtsspezifischen Eigenschaften sozialisieren (Hagemann-White 1984: 84). Innerhalb der Familien macht sich die geschlechtsspezifische Sozialisation unter anderem dadurch bemerkbar, dass Mädchen weniger räumliche Freiräume haben und behüteter aufwachsen als Jungen. Mädchen haben in der Regel nur dann die Möglichkeit, ihren Bewegungsdrang auszuleben, wenn sie sich in der Wohnumgebung gefahrlos aufhalten können (Klein 1991: 49f.). Aktives Sporttreiben steht somit bereits bei Mädchen, wie auch bei Frauen, insgesamt weniger in Übereinstimmung mit dem vorherrschenden Geschlechtsrollenstereotyp. Auch die vorwiegend männlichen Sportidole in den Medien bieten für Mädchen und Frauen kaum Gelegenheit, sich mit der Sportlerrolle zu identifizieren (Klein 1982: 55). Ein weiterer Grund für die geringere Sportbeteiligung von Mädchen und Frauen kann aus sozialisationstheoretischer Sicht darin gesehen werden, dass bereits im Kindes- und Jugendalter Jungen häufiger als Mädchen soziale Anerkennung von 58 In Meads ethnologischen Studien anhand verschiedener Südseestämme zeigt sich, dass es Gesellschaften gibt, in denen die bei uns „typisch“ männliche Rolle von den Frauen eingenommen wird. Entsprechend Meads Beobachtungen können Geschlechterrollen somit als in beträchtlichem Ausmaß kulturell geprägt und nicht biologisch determiniert angesehen werden (Weiß 1999: 77).
82
Gleichaltrigen, aufgrund ihrer sportlichen Fähigkeiten erhalten (Frogner 1991: 106). Zudem haben Männer und Frauen ein unterschiedliches Sportverständnis (Lamprecht und Stamm 2001: 9). Im Anschluss an Bourdieu wird von einem geschlechtsspezifischen Habitus gesprochen, da die mit dem Sport in Verbindung gebrachten Merkmale (z.B. besiegen, Aggression, Kampf) eher untypisch für Frauen sind und nicht ihrem sozialen Habitus entsprechen (Heinemann 1998: 213); insgesamt ist dieser Argumentation zufolge der traditionelle Sport in westlichen Gesellschaften eher dem männlichem Geschlechtsrollenstereotyp zuzuordnen (Heinemann 1998: 218; Darlison 2000: 957; Weiß 1999: 78f.). Entsprechend dieser Argumentation wird ein positiver Zusammenhang zwischen der männlichen Geschlechtszugehörigkeit und der Sportaktivität in fast allen vorliegenden Studien zur Sportaktivität festgestellt. Im Rahmen der durchgeführten Literaturrecherche (vgl. Tabelle 1) konnten nur wenige Studien ausfindig gemacht werden, die eine höhere Sportbeteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern finden. Da die Untersuchung von Voigt (1992) sich jedoch lediglich auf die Teilnahme am Betriebssport und somit auch nur auf erwerbstätige Frauen bezieht, ist dieser Befund unter Umständen auf die spezielle Population (erwerbstätige Frauen) und die spezielle Art der sportlichen Betätigung (Betriebssport) zurückzuführen. Gemäß weiteren auf den Daten des sozio-ökonomischen Panels beruhenden Studien wird deutlich, dass für den untersuchten Zeitraum von 1992 bis 2001 eine deutliche Erhöhung der Sportaktivität insbesondere bei den Frauen zu beobachten ist. Zusätzliche im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte logistische Regressionsanalysen mit den Daten des sozio-ökonomischen Panels von 2003 belegen, dass Frauen unter Kontrolle zentraler soziodemographischer und sozioökonomischer Variablen signifikant häufiger den regelmäßigen Sportlern zuzurechnen sind als Männer (Becker et al. 2006: 229). Breuer kommt jedoch in seinen Zeitverlaufsanalysen mit den SOEP-Daten von 1985 bis 1999 zu dem Ergebnis, dass sich die Geschlechtsunterschiede der sportlichen Aktivität im Lebensverlauf ändern. Im Jahr 1999 waren gemäß diesen Analysen lediglich noch bis zum Alter von ca. Mitte 30 bedeutsame Geschlechtsunterschiede der Sportbetätigung erkennbar (Breuer 2002: 77). Deskriptive Auswertungen verschiedener Wellen des sozio-ökonomischen Panels des Zeitraums von 1986 bis 2001 bestätigen ebenfalls, dass Geschlechtsunterschiede bezüglich der Sportaktivität vor 83
allem im frühen Erwachsenenalter bestehen und mit zunehmendem Alter eine Angleichung der Sportaktivität von Männern und Frauen stattfindet (Becker und Klein 2007; Becker 2008: 206). Die Tatsache, dass der Einfluss des Geschlechts in Abhängigkeit vom Alter variieren kann, wurde bisher jedoch in den meisten veröffentlichten Studien nicht berücksichtigt (Rulofs et al. 2002: 40). In neun recherchierten Untersuchungen (z.B. Lamprecht und Stamm 1996, Lamprecht und Stamm 1995; Kolland 1992; Lindström et al. 2001; Burrmann et al. 2002) können keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der sportlichen Aktivität nachgewiesen werden. Der Großteil der im Rahmen der Literaturübersicht recherchierten Untersuchungen (22 Studien) belegt jedoch den gemäß der geschlechtsspezifischen Sozialisation angenommenen negativen Zusammenhang zwischen der weiblichen Geschlechtszugehörigkeit und der Sportbetätigung (z.B. Becker und Schneider 2005; Boutelle et al. 2000; Crespo et al. 1999; Dai et al. 1990; Schneider und Becker 2005a). Im höheren Erwachsenenalter sind die Ergebnisse dagegen eher uneinheitlich. Während in einem Teil der Studien eine Abnahme des Anteils der inaktiven Frauen gegenüber dem Anteil der inaktiven Männer beschrieben wird (Crespo et al. 1999; Hirvensalo et al. 1998; Ruchlin und Lachs 1999; Weiß 1999), können gemäß verschiedenen Studien im mittleren und höheren Erwachsenenalter keine Geschlechtsunterschiede mehr nachgewiesen werden (Becker und Klein 2007; Becker 2008; Curtis et al. 2000; Denk und Pache 1996b; Mrazek 1995). Eine mögliche Begründung für die Verringerung bzw. das Verschwinden der Geschlechtsunterschiede mit zunehmendem Alter ist, dass Männer generell über den Lebenslauf gesehen häufiger kontinuierlich aktiv sind, Frauen jedoch häufiger erst später in den Sport einsteigen und ihre Sportaktivität dann im Gegensatz zu Männern seltener wieder aufgeben (Eichberg 2003: 125). Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich jedoch nicht nur in der quantitativen sondern auch in der qualitativen Dimension sportlicher Betätigung. Die geschlechtsspezifische Ausrichtung der Sportbetätigung kommt ebenfalls durch die stärkere Wettkampforientierung der Männer, die überwiegend von Männern betriebenen Mannschaftssportarten und die überwiegend männlichen Sportidole zum Ausdruck. „Männersport“ ist zudem assoziiert mit „sich austoben“, Wettkampf und „Kräfte messen“, während „Frauensport“ eher Kreativität und gestalterische Fähigkeiten erfordert, wie z.B. beim Jazztanz (Klein 1991: 149; Heinemann 1974: 58f.; 84
Stolpe 2001: 78f.; Heinemann 1976: 379; Heinemann 1998: 217; Pahmeier 2008: 174). Auch die Existenz von mehr typischen „Männersportarten“ im Vergleich zu typischen „Frauensportarten“ (Weiß 1999: 105) erschwert für Mädchen und Frauen die Identifikation mit der Sportlerrolle (Klein 1982: 55). Männer üben somit insgesamt ein breiteres Spektrum an Sportarten aus (Hirvensalo et al. 1998: 165) und nehmen zudem deutlich häufiger am Wettkampfsport teil (Hübner 1994: 54). Auch die Motive zur Sportausübung von Männern und Frauen unterscheiden sich. Frauen nennen häufiger medizinische und soziale Gründe (z.B. um Kontakte zu bekommen) als Hauptmotive für die Sportausübung als Männer (Kolt et al. 2004: 194). Bezüglich des Einflusses der Gesundheit auf die Sportaktivität unter Berücksichtigung des Geschlechts verweisen Compliance-Studien darauf, dass Frauen sich in der Regel häufiger compliant verhalten als Männer. Etwa gleich viele Männer und Frauen erhalten zwar vom Arzt eine Sportempfehlung, Frauen befolgen diese allerdings signifikant häufiger als Männer (Tönges et al. 2006). Jedoch halten sich Männer, die unter HerzKreislauf-Erkrankungen leiden, eher an ärztliche Bewegungsempfehlungen als unter an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leidende Frauen (Wofford et al. 2007: 298). Eine höhere Compliance von Frauen kann in einigen anderen Studien beispielsweise im Hinblick auf die Einhaltung von Ernährungsvorschriften (Kyngäs und Lahdenperä 1999), das Einhalten von ärztlichen Kontrollterminen oder Krebsfrüherkennungsuntersuchungen (Saroff et al. 2002; Richter et al. 2002) und die Einnahme von Medikamenten (Shea et al. 1992) bestätigt werden. Die geringere Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen und das höhere Ausmaß an gesundheitsriskanten Verhaltensweisen wurde in industrialisierten Ländern als Grund für die geringere Lebenserwartung von Männern identifiziert (Kolip 1998; Babitsch 2001: 90; Höpflinger 1997: 169). Da Frauen im Allgemeinen ihrer Gesundheit größere Bedeutung beimessen, überraschen diese Geschlechtsunterschiede in den Sportausübungsmotiven und der Sportcompliance nicht (Waldron 1997). Zugleich sind jedoch Frauen diejenigen, die häufiger und länger über gesundheitliche Beeinträchtigungen klagen (Babitsch 2001: 90; Helmert et al. 1993; Höpflinger 1997: 169). Trotz der häufig berichteten höheren Compliance von Frauen unterscheidet sich die Drop-out-Rate aus gesundheitsorientierten Bewegungsprogrammen gemäß einer Studie von Ward
85
und Morgan (1984) von Männern und Frauen nicht signifikant (Ward und Morgan 1984: 151). Pahmeier (2008) kommt in ihrer Literaturarbeit zusätzlich zu dem Ergebnis, dass auch die angeführten Gründe für die Sportabstinenz zwischen den Geschlechtern sich nicht in hohem Maße unterscheiden. Sowohl Männer als auch Frauen nennen zeitliche Barrieren am häufigsten als Grund für ihre Inaktivität. Frauen geben zusätzlich häufig emotionale Gründe (wie z.B. sich zu unfit zu fühlen) an (Pahmeier 2008: 173). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zwar die Sportbeteiligung gemäß den meisten vorliegenden Studien tendenziell bei Männern höher ist als bei Frauen. Die Compliance im Allgemeinen und auch die Sportcompliance im Besonderen ist jedoch dem Großteil der vorliegenden Studien zufolge bei Frauen höher als bei Männern. Aufgrund dieser empirischen Befunde kann somit davon ausgegangen werden, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen bei Frauen häufiger zur Sportaufnahme (Hypothese 5 a) und seltener zur Sportaufgabe führen als bei Männern (Hypothese 5 b).
2.3.2.4
Familienstand und Kinder im Haushalt
Aufgrund der im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklungen zunehmenden Individualisierung und Differenzierung von Lebensverläufen lässt sich vom Familienstand ausgehend immer weniger auf die tatsächliche Lebenssituation des Einzelnen schließen (Gärtner 1990). Auch die vorliegenden Befunde zum Zusammenhang zwischen Familienstand und sportlicher Aktivität sind tendenziell eher uneinheitlich. Einige Studien berichten, dass Verheiratete seltener sportaktiv sind als Unverheiratete (Bässler 1990; Sternfeld et al. 1999; Winkler 1995b; Boutelle et al. 2000), obwohl auch hier zwei Studien zu vermerken sind, die genau den umgekehrten Zusammenhang beschreiben (vgl. Mensink et al. 1997; Ransdell und Wells 1998). Im Gegensatz zu dem höheren Anteil Sportaktiver bei den Unverheirateten zeigt sich, dass Abbrecher von Bewegungsprogrammen häufiger unverheiratet sind als Dabeibleiber (Andrew et al. 1981; Gale et al. 1984; Oldridge 1982; Stern und Cleary 1981; Stiggelbout et al. 2005: 413). Auch die Bindung an Fitnessstudios ist bei Personen die mit ihrem Partner zusammen trainieren deutlich höher als bei Personen die ohne ihren Partner trainieren (Brehm und Eberhardt 1995: 181). Eheliche Unter86
stützung steht auch bei Herz-Kreislauf-Patienten in einer positiven Beziehung zur Aufrechterhaltung von Bewegungsprogrammen (Andrew und Parker 1979). Bei anderen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen wie beispielsweise bei der Einnahme von Medikamenten ist die Compliance von verheirateten Personen ebenfalls deutlich höher als von unverheirateten Personen. Begründet wird die geringere Compliance von Unverheirateten häufig mit dem unsteteren Lebensstil von unverheirateten Personen (Baumann et al. 1998). In Übereinstimmung mit den Compliance-Befunden haben Verheiratete ein verringertes Mortalitätsrisiko im Vergleich zu Unverheirateten (Klein 1993a, Klein 1993b; Overbeek 1982: 89; Rogers 1995). Zurückgeführt werden könnte dies darauf, dass die familiäre Eingebundenheit in (ehelichen) Lebensgemeinschaften und die erfahrene psychische Unterstützung in einem insgesamt gesünderen Lebensstil zum Ausdruck kommt (Baumann et al. 1998). Eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wirkung des Familienstandes auf das Mortalitätsrisiko finden Klein und Unger. Bei Männern zeigt sich lediglich für subjektiv kranke Männer und bei Frauen nur für subjektiv gesunde in Verbindung mit der Ehe eine Verringerung des Mortalitätsrisikos (Klein und Unger 1999: 175).59 Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass Gesündere häufiger heiraten und eher länger verheiratet bleiben als Personen mit schlechterem Gesundheitszustand (Lillard und Panis 1996). Kinder im Haushalt beanspruchen einerseits Zeit, die neben der Berufstätigkeit einen Großteil der zur Verfügung stehenden Zeit in Anspruch nimmt und die Möglichkeit einer regelmäßigen sportlichen Aktivität einschränkt (Heuwinkel 1990: 26; Wagner 2000: 78). Andererseits können Kinder im Haushalt die Sportaktivität der Eltern zum einen auch durch regelmäßige gemeinsame Freizeitaktivitäten begünstigen. Zum anderen kann die Aufnahme der Sportaktivität durch die Kinder für Eltern ein willkommener Anlass sein eine Sportaktivität (wieder) aufzunehmen (Heuwinkel 1990: 26). Die empirischen Befunde zum Zusammenhang zwi59 Unterschiede des Mortalitätsrisikos in Abhängigkeit vom Familienstand können mit der Protektionshypothese, die besagt, dass a) Verheiratete durch die Führung eines gemeinsamen Haushaltes ökonomische Einsparungen haben, b) einen gesünderen Lebensstil aufweisen, c) sozial besser integriert sind und dadurch mehr soziale Unterstützung erfahren und somit auch emotional ausgeglichener sind als Ledige, Verwitwete und Geschiedene. Eine alternative Erklärung stellt die Selektionshypothese dar, die besagt dass, d) Verheiratete bereits vor der Hochzeit über einen besseren Gesundheitszustand aufwiesen (Lillard und Panis 1996: 313).
87
schen minderjährigen Kindern im Haushalt und der Sportbetätigung sind jedoch uneinheitlich. Ob minderjährige Kinder die Sportbetätigung der Eltern beeinflussen, kann den vorliegenden Studien zufolge nicht einheitlich beantwortet werden, denn die hierzu ausfindig gemachten Studien kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen (Bässler 1990; Becker und Schneider 2005; Becker et al. 2006; Boutelle et al. 2000; Salmon et al. 2000; Sternfeld et al. 1999; Schneider und Becker 2005a; Schneider und Becker 2005b; Winkler 1995b; Mensink 1997; Heuwinkel 1990; Zimmer et al. 1997). Zusammenfassend ist auf der Grundlage der vorliegenden Befunde davon auszugehen, dass sowohl der Familienstand als auch das Vorhandensein von Kindern im Haushalt einen Einfluss auf die SportGesundheits-Beziehung hat; aus diesem Grund wird der Familienstand und das Vorhandensein von kleinen Kindern im Haushalt in den durchgeführten Analysen konstant gehalten.
2.3.3
Lebensstilstrukturierende Einflussfaktoren
Da es einfacher und billiger ist das Gesundheitsverhalten zu ändern als die Gesundheitsversorgung weiter zu verbessern, kommt der Ausbildung eines gesundheitsorientierten Lebensstils in jüngerer Zeit verstärkt Bedeutung zu. Neben der Sportbetätigung beinhaltet ein gesundheitsorientierter Lebensstil gesunde Ernährungsgewohnheiten, keinen Tabakkonsum und niedrigen Alkoholkonsum (Opper 1998b: 103). Rütten (1993) hat sich vor diesem Hintergrund in seiner theoretischen Abhandlung „Sport, Lebensstil und Gesundheitsförderung“ zum Ziel gesetzt „die ganze Spannbreite sozialwissenschaftlicher Grundlagen ... für eine ganzheitliche Betrachtungsweise von „Sport und Gesundheit“ fruchtbar zu machen“ (Rütten 1993: 348). Er strebte eine Erweiterung des vorwiegend in der medizinischen und epidemiologischen Forschung vorherrschenden „naturwissenschaftlichen-medizinischen“ Modells an. Mit diesem erweiterten Modell sollen neue Interpretationsmöglichkeiten, auch für schon vorliegende Befunde, bereitgestellt werden (Rütten 1993: 348). In den meisten bisherigen Modellen zur Erklärung des Gesundheitsverhaltens wird davon ausgegangen, dass der Gesundheitszustand in verschiedenen Bereichen (z.B. Bluthochdruck) durch eine (bivariates Modell) oder mehrere (multivariates Modell) Gesundheitsverhaltensweise(n) erklärt werden kann. Diese weit verbreiteten Erklärungsansätze sind in Modell 1 und 2 der Abbildung 9 dargestellt. Gemäß dem 88
bivariaten Modell 1 haben verschiedenen Gesundheitsverhaltens-Parametern (GvP1 – GvP3) sowie der Sport jeweils einen separate Einfluss auf den Gesundheitszustandsparameter (GzP). Das dargestellte Modell 2 beinhaltet zudem die Annahme, dass verschiedene Gesundheitsverhaltensparameter und der Sport in Kombination den Gesundheitszustandsparameter beeinflussen. Zur angemesseneren Erklärung der Sportaktivität entwickelte Rütten Modell 3 (vgl. Abb. 9). In diesem Modell wird angenommen, dass „die vier ausgewählten Erklärungsvariablen eine ganz bestimmte „Konstellation“ miteinander bilden, die in ihrer Beziehung zur abhängigen Variablen mehr bedeutet als die Schnittmenge der jeweiligen Einzeleffekte“ (Rütten 1993: 350f.). Eine wechselseitige Beeinflussung der abhängigen Variable (hier der Sportaktivität) und der erklärenden Variablen (verschiedene weitere Gesundheitsparameter) wird somit in diesem Modell nicht ausgeschlossen (Rütten 1993: 351). Kritisiert werden kann an dem Lebensweisemodell von Rütten (1993), dass es nicht praxisorientiert ist und auch kein Modell ist, mit dem sich die Operationalisierung einzelner Kategorien begründen lässt (Opper 1998b: 114). Ausgehend von der Annahme, dass die SportGesundheits-Beziehung von anderen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen beeinflusst ist wird im Folgenden der relevante Forschungsstand zu den Lebensstilfaktoren Alkohol (Kap. 2.3.3.1), Tabakkonsum (Kap. 2.3.3.2) und Ernährung (Kap. 2.3.3.3) dargestellt. Aufgrund der Datenlage kann jedoch für die nachfolgend durchgeführten Analysen lediglich der Einfluss des Tabakkonsums mit den Baden-Württemberg-Daten überprüft werden.60
60 Im SOEP wurden alle interessierenden gesundheitsrelevanten Variablen nicht regelmäßig bzw. nicht in allen relevanten Wellen erhoben.
89
Abbildung 9: Modell zur Beziehung zwischen
Gesundheitsverhaltens-Parameter (GvP1 – GvP3 und Sport) und dem Gesundheitszustand-Parameter (GzP)
Modell 1: GvP1------------->GzP GvP2---------->GzP GvP3------>GzP Sport------->GzP
Modell 2: GvP1 + GvP2 + GvP3 + Sport --------->------>--->----> GzP
Modell 3: GzP
GvP2 GvP1
Sport
GzP3
Quelle: Rütten 1993: 349
90
2.3.3.1
Alkoholkonsum
Der Zusammenhang zwischen der Sportaktivität und dem Alkoholkonsum ist bisherigen (Querschnitt-) Studien zufolge uneinheitlich. Boutelle et al. (2000) berichten in ihrer Untersuchung nur an Frauen eine positive Beziehung zwischen Alkoholkonsum und sportlicher Betätigung. Auch gemäß Analysen auf der Grundlagen der Daten des Bundes-Gesundheitssurveys 1998 sind Personen mit moderatem Alkoholkonsum signifikant häufiger den Sportlern zuzurechnen als sportabstinente Personen, d.h. Sportler genehmigen sich z.B. nach dem Sport durchaus mal ein oder zwei Bier (Schneider und Becker 2005a), insbesondere männliche Handballer und Fußballer (Wettkampfsportler) weisen einen überdurchschnittlichen Alkoholkonsum auf (Sygusch 2000). Sallis et al. (Sallis et al. 1989) finden dagegen in ihrer Untersuchung auf der Grundlage einer Stichprobe von erwachsenen Personen aus San Diego keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen. Auch zwischen der Befolgung ärztlicher Empfehlungen zur Erhöhung der Sportaktivität und dem Alkoholkonsum besteht kein signifikanter Zusammenhang (Tönges et al. 2006). Da in den SOEP-Daten in den relevanten Wellen der Alkoholkonsum nicht erfasst ist und auch im Rahmen des Projektes „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in BadenWürttemberg“ der Alkoholkonsum lediglich zum Befragungszeitpunkt erfragt wurde, ist dieser in den nachfolgenden Analysen nicht kontrolliert.
2.3.3.2
Tabakkonsum
Raucher treiben gemäß vorliegenden Studien signifikant seltener Sport als Nichtraucher (Abele und Brehm 1990; Boutelle et al. 2000; Criqui et al. 1980; Dai et al. 1990; Mensink 1997; Pomerleau et al. 2000; Sallis et al. 1989; Sternfeld et al. 1999; Weiß und Russo 1994). Allerdings weisen Handballer und Fußballer, die auf Wettkampfniveau trainieren neben dem erhöhten Alkoholkonsum auch einen überdurchschnittlich hohen Tabakkonsum auf (Sygusch 2000). Nicht- bzw. Gelegenheitsraucher verhalten sich im Vergleich zu Rauchern infolge von einer ärztlichen Sportempfehlung in einem hohen Maß compliant (Tönges et al. 2006). Dieser Zusammenhang ist auch gemäß einer Untersuchung an Herz-Kreislauf-Patienten belegt. Nichtrauchende Herz-Kreislauf-Patienten befolgen signifikant häu-
91
figer ärztliche Bewegungsempfehlungen als rauchende Herz-KreislaufPatienten (Wofford et al. 2007: 298). Auch Bewegungsprogramme zur primären und sekundären Prävention von koronaren Herzerkrankungen werden von Nichtrauchern seltener abgebrochen als von Rauchern (Dorn et al. 2001: 1083f.; Oldridge 1982: 58, 63; Oldridge et al. 1983b: 72). Analog zu diesen Befunden untersuchten Brehm und Abele (1990) die Bedingungen für den Sportausstieg und kommen zu dem Ergebnis, dass 42% der Aussteigerinnen im Vergleich zu 28% der Dabeibleiberinnen rauchen (Abele und Brehm 1990: 48).
2.3.3.3
Ernährung und Übergewicht
Personen, die sich gesund ernähren, sind häufiger sportlich aktiv als Personen, die sich ungesund ernähren (Boutelle et al. 2000; Dai et al. 1990; Mensink 1997; Pomerleau et al. 2000; Sallis et al. 1989). Zudem befolgen Personen mit einem gesunden Ernährungsmuster eher ärztliche Empfehlungen zur Erhöhung der Sportaktivität als Personen mit ungesundem Ernährungsverhalten (Tönges et al. 2006). Analog zu der positiven Beziehung zwischen gesundem Ernährungsverhalten und Sport belegen durchgeführte Studien, wenn man davon ausgeht, dass ungesunde Ernährung eher zu Übergewicht führt, eine negative Beziehung zwischen Übergewicht und sportlicher Aktivität (Abele und Brehm 1990; Dai et al. 1990; Mensink 1997; Sternfeld et al. 1999). Keinen Zusammenhang zwischen Sport und Übergewicht konnten Sallis et al. (1989) finden (Sallis et al. 1989). Jedoch sind Sportabbrecher in Sport-Rehabilitations-Programmen häufiger übergewichtig (Brehm und Eberhardt 1995: 176; Massie und Shephard 1971; Dishman und Ickes 1981; Oldridge 1982: 58; Stiggelbout et al. 2005) oder auch untergewichtig als Dabeibleiber (Stiggelbout et al. 2005). Da jedoch weder in den SOEP-Daten das Ernährungsverhalten und das Gewicht regelmäßig erhoben wurde noch in den Baden-Württemberg-Daten diese Informationen retrospektiv erfasst sind, kann der Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität nicht unter Kontrolle der Ernährungsgewohnheiten und des Übergewichts analysiert werden.
92
Tabelle 1: Korrelate sportlicher Betätigung in der Literatur61 Korrelate/ mögliche Risikofaktoren
Empirische Befunde
Variable
Positiver Zusammenhang
Kein Zusammenhang
Negativer Zusammenhang
Bässler (1989)
Alte, vertikale Ungleichheiten: Soziosturkturelle Merkmale Einkommen
Bässler (1990) Bässler (1993) Crespo (1999) Droomers (1998) Hoffmeister (1992) Kolland (1992) Pomerleau (2000 M) Wieland (1991) Winkler (1995)
Lamprecht (1995)
Berufliche Stellung
Bässler (1989) Bässler (1990) Boutelle (2000) Hübner/ Kirschbaum (1994) Hoffmeister (1992) Klein (2008) Lamprecht et al. (1991 M) Lindstrom (2001) Salmon (2000) Voigt (1992) Wieland (1991)
Lamprecht (1995)
Bildungsstand
Bässler (1989) Bässler (1990) Bässler (1993) Baur (1996) Becker et al. (2006) Becker (2008) Brinkhoff (1998) Crespo (1999) Dai (1990) Hoffmeister (1992) Klein (2008) Lamprecht (1991) Lamprecht et al.(1991 M) Ruchlin (1999) Sallis (1989) Salmon (2000) Sternfeld (1999 F) Voigt (1992) Wagner (1997) Wieland (1991) Zimmer (1997)
Burrmann/Baur (2002) Kolland (1992) Lamprecht (1995)
Sozialstatus
Bässler (1989) Boutelle (2000) Brinkhoff (1998) Helmert (1997) Hoffmeister (1992) Lampert (2005) Lindstrom (2001) Mensink (1997) Mensink (2002) Opper (1998) Pomerleau (2000) Ransdell (1998 F) Stahl (2001) Sternfeld (1999 F) Winkler (1998) Woll (2003)
Semmer (1991)
61 Die ausführlichen Literaturangaben sind in Anhang A aufgelistet.
93
Korrelate/ mögliche Risikofaktoren
Empirische Befunde
Variable
Positiver Zusammenhang
Kein Zusammenhang
Negativer Zusammenhang
Brinkhoff (1998) (kurvilinear)
Bässler (1989) Bässler (1990) Bässler (1993) Baur (1996) Becker et al. (2006)
Neue, horizontale Ungleichheiten: Soziodemographika Alter
Lindstrom (2001 M)
Curtis (2000)
Eichberg (2003) (kurvilinear) Heuwinkel (1990) (kurvilinear)
Beckern (2007) Boutelle (2000) Dai (1990) Hübner (1994) Helmert (1997) Heuwinkel (1990) Kolland (1992) Lampert (2005) Lamprecht (1991) Lamprecht (1995) Lamprecht (1996) Lamprecht (1998) Lim (2005) Mensink (1997) Mensink (2002) Opaschowski (1987) Opper (1998) Rittner (1994) Ruchlin (1999) Salmon (2000) Sallis (1989) Sallis (1992 M) Slenker (1984) Sternfeld (1999) Tittlbach (2005) Voigt (1992) Wieland (1991) Wagner (1997) Winkler (1995) Woll (2003) Zimmer (1997
94
Korrelate/ mögliche Risikofaktoren
Empirische Befunde
Variable
Positiver Zusammenhang Becker et al. (2006) Voigt (1992) Baur (1996)
Frau
Kein Zusammenhang Becker (2008)
Curtis (2000) Denk (1996) Kolland (1992) Lamprecht (1995) Lamprecht (1996) Lindstrom (2001 F) Mrazek (1995) Nagel (2003)
Negativer Zusammenhang Allison (1999) Azevedo (2007) Bässler (1989) Bässler (1990) Bässler (1993) Bernstein (2001) Brinkhoff (1998) Burrmann/Baur (2002) Crespo (1999) Dai (1990)
Hirvensalo (1998) Lamprecht (1991) Lamprecht (1998) Lim (2005) Lüschen (2001) Mensink (2002) Opper (1998) Ruchlin (1999) Semmer (1991) Slenker (1984) Wieland (1991) Woll (2003) Westdeutschland
Becker (2005) Becker et al. (2006) Mensink (2002) Schneider (2005a) Winkler (1998) Wagner (1997)
Ausländische Staatsbürgerschaft
Erwerbstätig
Becker et al. (2006) Lindström (2001) Wieland (1991)
Bässler (1990) Crespo (1999) Lamprecht et al. (1991M) Sternfeld (1999 F)
Droomers (1998) Lindström (2001) Mensink (1997 M)
Mensink (1997 F)
Lebenssituation Familienstand (verheiratet)
Mensink (1997) Ransdell (1998 F) Zimmer (1997)
Kind im Haushalt
Bässler (1990)
Bässler (1990) Becker et al. (2006) Boutelle (2000 M) Salmon (2000) Schneider (2005a) Schneider (2005b) Sternfeld (1999 F) Winkler (1995)
Becker (2005) Schneider (2005b)
Becker et al. (2006) Sternfeld (1999 F) Klein (2008)
95
Korrelate/ mögliche Risikofaktoren
Empirische Befunde
Variable
Positiver Zusammenhang Abele (1990) Bässler (1990) Becker (2008) Bös (1993) Eichberg (2004) Erlinghagen (2003) Gregg (1996) Hirvensalo (1998)
Gesundheitszustand
Kein Zusammenhang Lindström (2001 M)
Negativer Zusammenhang
Burrmann/Baur (2002)
Brinkhoff (1998)
Kaplan (2003) Klein (2008)
Ortsgröße
Soziale Unterstützung
Kolland (1992) Krämer (1997) Lampert (2005) Lindström (2001 F) Meyer (2004) Rittner (1994) Ruchlin (1999) Sternfeld (1999 F) Wagner (2001) Whaley (1997) Zimmer (1997) Bässler (1990) Lamprecht (1991) Lamprecht et al. (1991 M) Mensink (1997 M) Ruchlin (1999) Becker et al. (2006) Droomers (1998) Lindstrom (2001) Sallis (1989) Stahl (2001) Sternfeld (1999 F)
Handlungsmuster Alkoholkonsum
Boutelle (2000 F) Schneider (2005a)
Sallis (1989) Becker (2005)
Tabakkonsum
Gesunde Ernährungsweise
BMI
Abele (1990) Boutelle (2000) Dai (1990) Mensink (1997) Pomerleau (2000 M) Rittner (1994) Sallis (1989) Salmon (2000) Sternfeld (1999 F) Weiss (1994) Boutelle (2000) Dai (1990) Krämer (1997) Lim (2005) Mensink (1997) Pomerleau (2000) Sallis (1989) Sallis (1989)
Abele (1990) Boutelle (2000) Dai (1990) Mensink (1997 F) Sallis (1992) Salmon (2000) Sternfeld (1999 F)
Anm.: Bei den fett gedruckten Studien handelt es sich um multivariate Studien. Bei den kursiv gedruckten Studien handelt es sich um Längsschnittstudien; kursiv und fett gedruckte Studien sind multivariate Längsschnittstudien. Es wurde immer nur der Erstautor genannt, außer in der Arbeit wurden zwei Artikel von einem Autor aus dem gleichen Jahr zitiert – falls dies der Fall war wurde auch der Name des Zweitautors genannt.
96
2.3.4
Bedeutsame Lebensereignisse
Lebensverändernde Ereignisse sind Ereignisse, „die die individuelle Lebensroutine durchbrechen und Anpassungen bzw. Bewältigungsanstrengungen erfordern“ (Geyer 2007: 207). Da die sportliche Betätigung in die alltägliche Lebensführung integriert ist, ist in Übereinstimmung mit soziologischen und psychologischen Sozialisationsmodellen anzunehmen dass, lebensverändernde Ereignisse (sog. Turning points) im privaten und beruflichen Bereich (z.B. Schulabschluss, Eheschließung, Geburt eines Kindes) auch die Sportbetätigung beeinflussen (Nittel 1991: 36; Frogner 1991: 40; Huinink 1992: 347; Burzan 2006: 38; Simen 1999: 76). Dieser Annahme entsprechend geben ca. 90% der Sportaussteiger in einer Studie von Brehm und Pahmeier (1990) familiäre oder berufliche Gründe für den Sportausstieg an. In weiteren Studien werden ebenfalls oft starke Eingespanntheit durch Beruf und Familie als wichtige Gründe für eine Verringerung der Sportaktivität genannt (Brehm und Pahmeier 1990; Whaley und Ebbeck 1997; Oldridge 1982: 61). Insgesamt führen kritische Lebensereignisse häufig zu einer Bewertung des Sports als überflüssig und hinderlich (Wagner 2000: 78). Den starken Einfluss von Lebensveränderungen insbesondere auf die Gesundheit belegt eine Studie von Siegrist und anderen, gemäß welcher Zusammenhänge zwischen Lebensveränderungen und einem Herzinfarkt bestehen. Belastenden Ereignissen, die in den letzten 3 Monaten vor der Erkrankung aufgetreten sind, wird hierbei eine auslösende Wirkung zugeschrieben (Siegrist et al. 1980). Positiv bewertete Ereignisse haben dagegen Geyer (2002) zufolge keinen Einfluss auf das Auftreten von Krankheiten (Geyer 2002: 60). Die theoretischen Überlegungen und der empirische Forschungsstand zum Einfluss von Berufsein- und Berufsausstiegen (Kap. 2.3.4.1), familiären Veränderungen (Kap. 2.3.4.2) und Wohnortwechseln (Kap. 2.3.4.3) sind nachfolgend dargestellt.62
62 Da der Einfluss von biographischen Ereignissen auf die Sportaktivität größtenteils auf genannten Gründen zur Aufgabe der Sportaktivität beruhen und nicht auf Studien zu Determinanten der Sportaktivität wurden die hier berichteten Befunde in der Forschungsstandstabelle (Tab. 1) nicht aufgenommen.
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2.3.4.1
Berufsein- und Berufsausstiege
Berufseinstieg Der Berufseinstieg im frühen Erwachsenenalter geht häufig mit einer Reihe, auch für andere Lebensbereiche, relevanten Veränderungen einher. Die Aufnahme der in der Regel ganztägigen Berufstätigkeit lässt Freizeit zu einem knappen Gut werden. Aufgrund dieses eingeschränkten Zeitkontingents stellt der Berufseinstieg für viele Menschen ein Grund zur Verringerung oder Aufgabe der Sportaktivität dar (Baur et al. 1996: 25; Frogner 1991). Insbesondere die starke Eingebundenheit in der beruflichen Startphase geht häufig mit der Aufgabe der bisher regelmäßig ausgeübten Sportaktivität einher (Heuwinkel 1990: 25).
Berufsausstieg Ein weiterer sehr bedeutsamer Übergang im Lebensverlauf ist der Eintritt ins Rentenalter (Siegrist 1996: 20). Der Ruhestand hat sich im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung von einer bloßen Restzeit, die es zu durchleben gilt, zu einer eigenständigen Lebensphase63, die offen für die individuelle Gestaltung und sozialstaatlich abgesichert ist, entwickelt (Kohli 1994: 255; Kohli 2000: 18; Künemund 2001: 9). Aufgrund der zusätzlich verfügbaren Freizeit ist in diesem Alter die Aufgeschlossenheit für neue Freizeitbeschäftigungen und somit auch für die Aufnahme der Sportaktivität groß (Opaschowski 1998: 19; Kohli 2000: 18). Bezüglich der Wirkung des Eintritts in den Ruhestand für den Einzelnen besteht jedoch gemäß vorliegenden theoretischen Ansätzen Uneinigkeit. Der Aktivitätstheorie (Tartler 1961; Havighurst et al. 1964a) zufolge ist davon auszugehen, dass der Ruhestand tendenziell zu einer größeren Unzufriedenheit führt, die nur durch gesellschaftliche Integration und alternative Beschäftigungen (z.B. Sportbetätigung) ausgeglichen werden kann (Künemund 2001: 29). Insbesondere wird es als wichtig erachtet, einen aktiven Lebensstil auch nach dem Eintritt in den Ruhestand beizubehalten (Meusel 1996a: 61). Der Aktivitätstheorie widerspricht jedoch die Disengagementtheorie (Cumming und Henry 1961), welcher die Annahme zu Grunde liegt, dass die Ablösung der Älteren von gesellschaftli63 Früher war der Eintritt in den Ruhestand mit einer relativ festen Altersgrenze verbunden. Aber seit den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnet sich eine Aufweichung der festen Altersspanne für das Ausscheiden aus dem Berufsleben ab (Künemund 2001: 51). Berufstätige Männer und Frauen beginnen bereits mit Erreichen des 50. Lebensjahres sich verstärkt mit ihrer weiteren Erwerbs- und Lebensplanung zu befassen (Baur et al. 1996: 116).
98
chen Rollen funktional ist und die Zufriedenheit der älteren Personen durch den Rückgang der Verpflichtungen erhöht wird (Künemund 2001: 29). In einem Großteil der vorhandenen empirischen Studien wird zwar, wie bereits dargestellt (vgl. Abschnitt 2.3.2.1), der Disengagementtheorie entsprechend eine mehr oder weniger kontinuierliche Abnahme der Sportaktivität mit zunehmendem Alter berichtet (z.B. Becker et al. 2006; Boutelle et al. 2000; Lamprecht und Stamm 1998; Tittlbach et al. 2005). In einigen Studien finden sich aber trotz der generellen Abnahme der sportlichen Aktivität Hinweise darauf, dass nach dem Eintritt in den Ruhestand der Anteil der Sporteinsteiger zunimmt (Crespo et al. 1999; Hong und Lu 1999; Ruchlin und Lachs 1999). Obwohl der Wunsch, sich körperlich fit zu halten, nach Eintritt in den Ruhestand sowohl bei Männern als auch bei Frauen stark anwächst, lässt sich ein Anstieg der Sportaktivität nach Eintritt in den Ruhestand insbesondere bei Männern bestätigen (Heuwinkel 1990: 26). Diese Aufnahme der sportlichen Aktivität nach Eintritt in den Ruhestand erfolgt in vielen Fällen infolge einer ärztlichen Empfehlung zur Erhöhung der Sportaktivität (Heuwinkel 1990: 27). Da vermutet werden kann, dass sich der Einfluss der Gesundheit auf die Sportein- und Sportausstiegsrate unter Berücksichtigung von beruflichen Veränderungen (Berufsein- und Berufsausstiege) reduziert, erfolgt in den durchgeführten Analysen die Kontrolle dieser Variablen.64
2.3.4.2
Familiäre Veränderungen
Da die Familie ein zentraler Lebensbereich ist, ist ein Einfluss von Veränderungen innerhalb der Familie auf die Sport-Gesundheits-Beziehung nicht unwahrscheinlich. Bezüglich der Wirkungsrichtung ist zumindest davon auszugehen ist, dass Veränderungen im familiären Bereich eher einen Einfluss auf die Sportaktivität haben, als dass die Sportaktivität den familiären Bereich beeinflusst.
Gründung einer (nicht-)ehelichen Lebensgemeinschaft Gerade in der Familiengründungsphase kann es zu einer Interessenverlagerung auf die Partnerschaft und somit zu einem Rückzug aus der aktiven Sportbetätigung kommen (Heuwinkel 1990: 25). Insbesondere Frau64 Aufgrund der Datenlage konnte lediglich in den Analysen mit den Projektdaten „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ der Berufsein- und Berufsausstieg kontrolliert werden.
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en scheinen in der Phase der Familiengründung seltener sportlich aktiv zu sein (Baur et al. 1996: 25; Clark 1999; Curtis et al. 2000). Allerdings widersprechen diesem Befund Ergebnisse, die besagen, dass sich die Sportaktivität im frühen und mittleren Erwachsenenalter kaum verändert (Klein 1982; Tokarski und Schmitz-Scherzer 1985). Auch Umberson (1992) zeigt, dass die Eheschließung annährend keine signifikanten Veränderungen von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen, wie z.B. des Alkohol- und Tabakkonsum und der sportliche Aktivität mit sich bringt (Umberson 1992).
Geburt von Kindern Da Familienpflichten insbesondere die zur Verfügung stehende Freizeit von Müttern mit kleinen Kindern einschränken, sind infolge der Geburt von Kindern eher Veränderungen in der Sportaktivität zu erwarten, als infolge der Gründung eines gemeinsamen Haushaltes. Insbesondere in Zeiten, in denen die Kinder noch klein sind, haben Mütter meist kaum freie Zeit am Stück zur Verfügung. Aufgrund dieser unkalkulierbaren Freizeit ist es häufig nahezu unmöglich, diese so zu organisieren, dass Zeit zum Sport treiben bleibt (Baur et al. 1996: 23). Aber auch die Doppelbelastung von Erwerbstätigkeit und Familie führt bei vielen Müttern und auch Vätern häufig zu einer starken Einschränkung der Sportaktivität infolge der Geburt eines Kindes (Heuwinkel 1990: 25; Schwark 1994: 279). Die nachfolgenden Erziehungsprozesse sowie die Belastung durch die berufliche Tätigkeit schränken ebenfalls den „Denk- und Handlungsrahmen für Sport“ bei Frauen und auch Männern stark ein (Schwark 1994: 279). In einer Studie von Brehm und Abele (1990) wird jedoch die Geburt eines Kindes lediglich von Frauen als Ausstiegsgrund genannt (Abele und Brehm 1990: 40).
Verlust des Partners Da Veränderungen in der Lebensführung vor allem auf kritische Lebensereignisse zurückzuführen sind, kann angenommen werden, dass gerade psychisch schmerzhafte Veränderungen, wie der Verlust des Partners, zum einen mit erhöhten zeitlichen und organisatorischen Belastungen und zum anderen mit einem Bedeutungsverlust von Freizeitaktivitäten und somit auch der sportlichen Aktivität einhergeht (Curtis et al. 2000: 279). Aufgrund dieser Überlegungen ist von einer Erhöhung der Sportausstiege und einer Verringerung der Sporteinstiege und infolge dessen 100
auch eine Verringerung des Einflusses der Gesundheit auf die Sporteinstiegs- und Sportausstiegsrate unter Kontrolle des Partnerverlustes – egal ob durch Trennung vom Partner oder Tod des Partners – nicht auszuschließen.
2.3.4.3
Wohnortwechsel
Ein Wohnortwechsel geht meist mit Veränderungen der Sportstrukturen einher. Oftmals kann nach einem Wohnortwechsel die Sportaktivität nicht „oder nur unter erschwerten Bedingungen weitergeführt werden“ (Schwark 1994: 284). Bestätigt ist in diesem Zusammenhang, dass die Aufgabe der Sportaktivität häufig mit einem Wohnortwechsel, der z.B. aus Ausbildungsgründen oder anderen beruflichen Gründen erfolgt, begründet wird (Heuwinkel 1990: 25). Allerdings ist hier wiederum auch denkbar, dass gerade der Umzug in eine neue Stadt als Anlass genommen werden kann, die Sportaktivität beizubehalten oder wieder aufzunehmen, z.B. um über die Sportaktivität Kontakte zu knüpfen (Klein 2008). Hausbau und Umzug in stadtnahe Wohngebiete in der Phase der Familiengründung gehen dagegen meist mit einer Vergrößerung der Distanz zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sowie Wohnung und Heimatverein oder Fitnessstudio einher und können aufgrund der Belastung des Zeitbudgets, z.B. durch längere Wegzeiten zur Arbeit und zum Training, zur Aufgabe oder Einschränkung der Sportaktivität führen. In Übereinstimmung mit dieser Vermutung wird in Untersuchungen zu Korrelaten der Sportaktivität zum größten Teil eine erhöhte Sportaktivität mit steigender Wohnortgröße berichtet (Bässler 1990; Lamprecht 1991; Lamprecht et al. 1991; Mensink et al. 1997; Ruchlin und Lachs 1999). Sportabbrecher in einem Bewegungsprogramm gaben als Hauptgründe für den Abbruch des Bewegungsprogramms neben beruflichen und finanziellen Konflikten auch medizinische Gründe oder einen Wohnortwechsel an (Bruce et al. 1976). In einem Literaturreview von Oldridge (1982) wurden Umzüge ebenfalls als ein wichtiger Grund für den Abbruch von Programmen zur Rehabilitation von koronaren Herzerkrankungen genannt. Allerdings ist in dieser Studie nicht berücksichtigt, ob die Teilnehmer die Sportaktivität komplett aufgegeben haben oder ob sie lediglich aus dem Programm ausgestiegen sind (Oldridge 1982: 62).
101
2.4
Operationalisierungsprobleme und Forschungsdefizite
Während der positive Einfluss der Sportaktivität auf die Gesundheit durch eine Vielzahl von Untersuchungen bestätigt wurde, ist über den umgekehrten Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität (auch unter Berücksichtigung weiterer Einflussfaktoren) wenig bekannt. Die Forschungsdefizite lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: (1) Die meisten bisher durchgeführten Studien zum Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit beruhen auf Querschnittanalysen, d.h. auf der Grundlage von größeren sozial- und sportwissenschaftlichen oder epidemiologischen Datensätzen wurde in diesen Studien die sportliche Betätigung von Personen mit unterschiedlichem Gesundheitszustand zu einem (Kalender-) Zeitpunkt – d.h. in einem Querschnitt – miteinander verglichen. Diese vorliegenden Querschnittstudien implizieren bzw. werden in der Regel dahingehend interpretiert, dass der positive Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit auf eine Verbesserung der Gesundheit infolge der Sportaktivität zurückzuführen ist. Da Querschnittsstudien jedoch streng genommen keinerlei Aussagen zu Ursache-WirkungsZusammenhängen erlauben, kann die Interpretation der Zusammenhänge lediglich auf der Grundlage theoretischer Überlegungen erfolgen. Um die Bedeutung des Gesundheitszustands (unter Berücksichtigung anderer Variablen) für die Sportaktivität beurteilen zu können, sind Längsschnittdaten erforderlich. Allerdings existieren hierzulande bisher nur sehr wenige Studien, die die Entwicklung der Sportbetätigung im Zeit- und im Lebensverlauf mit Hilfe von Längsschnittdaten untersuchen (Rulofs et al. 2002: 40; Breuer 2002: 69; Breuer 2004: 52; Klein und Becker 2008). Verschiedene Autoren weisen zudem auf das Fallzahlenproblem hin (Knoll 1997; Schwenkmezger und Schlicht 1994). Insgesamt mangelt es an großangelegten repräsentativen Untersuchungen über einen längeren Zeitraum. Das weitgehende Fehlen „echter“ Längsschnittstudien ist jedoch zu einem großen Teil auch auf einen Mangel an entsprechenden Daten zurückzuführen (vgl. Kap. 3.1). (2) Zudem mangelt es an Theorien und theoretischen Konzeptionen, die einen Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität mitberücksichtigen. In den meisten existierenden theoretischen Konzeptionen ist die zu erklärende Variable jedoch der Gesundheitszustand und nicht die Sportaktivi102
tät. Lediglich in einigen wenigen theoretischen Modellen ist eine Rückkopplung der Gesundheit auf die Sportaktivität vorgesehen. Allerdings wird diese Wirkungsrichtung, wie in Abschnitt 2.2.1 dargestellt, meist nicht näher diskutiert. Die meisten theoretischen Modelle entziehen sich zudem aufgrund ihrer Komplexität weitgehend einer empirischen Überprüfung und insgesamt beziehen auch nur wenige Autoren ihre Hypothesen auf theoretisch elaborierte Modelle. Somit stehen empirische Ergebnisse oft ohne theoretische Verbindungen da. (3) Ein großer Teil der anhand größerer Datensätze durchgeführten sozialwissenschaftlichen Studien bezieht den Gesundheitszustand bei der Untersuchung der sportlichen Aktivität nur am Rande ein. In erster Linie werden in diesen Studien nach wie vor ungleiche Zugangschancen bzw. soziale Ungleichheiten im Sport analysiert (vgl. Cachay und HartmannTews 1998). (4) Weitgehend unberücksichtigt bleibt in vorliegenden Studien ebenfalls die Veränderung der Sportaktivität infolge von Krankheitsdiagnosen bzw. Gesundheitsveränderungen. Insbesondere an Befunden zu folgenden Fragestellungen mangelt es: Führen (chronische) Erkrankungen und/oder ein schlechter Gesundheitszustand im Allgemeinen zu einer Höherbewertung des gesundheitlichen Nutzens sportlicher Aktivität und somit auch zu einer Aufnahme der Sportaktivität? Oder tendieren Personen im Falle eines schlechten Gesundheitszustandes eher zur Schonung und somit zur Aufgabe der Sportaktivität? Es existieren zwar einige Studien zur (Sport-) Compliance und zu Abbruchgründen von Sportprogrammen (Drop out). Bei Studien zur Compliance sollte jedoch beachtet werden, dass die Aussprache ärztlicher Empfehlungen nicht nur nach medizinischer Notwendigkeit erfolgt; soziale Faktoren spielen hier eine nicht zu unterschätzende Rolle (Tönges et al. 2006; Nawaz et al. 1999; Logue et al. 1993). Da die Nichtbefolgung von ärztlichen Ratschlägen mit geringer sozialer Anerkennung einhergeht und dies häufig als sozial unerwünscht angesehen wird, tendieren die Befragten möglicherweise dazu ihre Sportcompliance zu übertreiben. Zur Vermeidung sozialer Erwünschtheitseffekte empfiehlt sich eine möglichst unabhängige Erfassung der Sport- und der Gesundheitsvariablen. Auch Studien zu Abbruchgründen von Sportprogrammen unterliegen, da die Teilnahme an evaluierten Bewegungsprogrammen in der Regel 103
freiwillig ist, dem Problem der Selbstselektion der Teilnehmer (vgl. Oldridge 1982) und gerade bei Studien zum Drop out muss beachtet werden, dass der Programmabbruch nicht unhinterfragt als fehlende Motivation oder mangelnde Fähigkeit, an dem Programm teilzunehmen, interpretiert werden kann. Ein Programmabbruch kann vielmehr auch als die Fähigkeit gesehen werden, etwas, was man nicht als richtig oder nützlich empfindet, zu beenden um etwas Neues auszuprobieren (Fuchs et al. 2005: 136). Groß angelegte Längsschnittstudien, in welchen die Sportaktivität und die Gesundheit detailliert und weitgehend unabhängig voneinander erfasst sind, existieren für Deutschland, mit Ausnahme der im Rahmen dieser Arbeit ausgewerteten Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ dem Kenntnisstand der Autorin zufolge bisher noch nicht.
2.5
Zusammenfassung der Hypothesen
Auf der Grundlage der bisher vorliegenden Studienergebnisse sind für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten längsschnittlichen Analysen der Zusammenhänge zwei Effekte des Einflusses der Gesundheit auf die Sportaktivität nahe liegend. In Betracht kommt infolge einer geringen Gesundheitszufriedenheit oder des Vorhandenseins gesundheitlicher Einschränkungen einerseits eine (weitere) Reduzierung der Sportaktivität (Verringerung der Sporteinstiege und Erhöhung der Sportausstiege), bedingt durch die Einschränkungen (z.B. Schmerzen), die die jeweilige Krankheit mit sich bringt (Hypothese 1 a + 1 b). Andererseits können gesundheitliche Einschränkungen – je nach Art der Krankheit und der Sportaktivität –, bedingt durch das Wissen um die positiven Gesundheitseffekte der Sportaktivität und der gesteigerten Bereitschaft das Gesundheitsverhalten zu ändern oder aufgrund ärztlicher Sportempfehlungen, als Auslöser sportlicher Aktivität in Betracht kommen. Auch die Ausstiegsrate verringert sich möglicherweise aufgrund des Wissens um die positiven Gesundheitseffekte (Hypothese 2 a + 2 b). Zudem ist denkbar, dass die Aufnahme oder Beibehaltung der Sportaktivität in hohem Maß von sogenannten Kosten-Nutzen-Überlegungen beeinflusst ist. Für Erkrankungen, bei denen ein positiver Einfluss der Sportaktivität auf die Gesundheit belegt ist (z.B. Bluthochdruck), führt die 104
Diagnose einer Erkrankung möglicherweise eher zur Aufnahme sportlicher Betätigung, als für Erkrankungen, für welche die Wirkung sportlicher Aktivität nicht so bekannt ist bzw. eine Verschlimmerung der Erkrankung durch die Sportaktivität befürchtet wird. Zudem kann eine ernstere Erkrankung, bei welcher die Aufnahme der sportlichen Aktivität mit einer höheren wahrgenommenen Anstrengung einhergeht, eher zur Aufgabe der Sportaktivität führen. Es kann also die Annahme aufgestellt werden, dass der Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität in Abhängigkeit von der diagnostizierten Erkrankung und mit den mit dieser Erkrankung in Zusammenhang stehenden Kosten-Nutzen-Überlegungen variiert (Hypothese 3). Aufgrund der vorliegenden Befunde lassen sich auch Wechselwirkungen zwischen der Schulbildung und der diagnostizierten Erkrankung auf die Sportein- und Sportausstiegsrate vermuten. Höher gebildete Personen erkranken zwar seltener, aber wenn sie erkranken, haben sie eher Zugang zu dem Wissen, dass Sport gesund ist und sind bedingt durch dieses Wissen bei Vorliegen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen eher bereit die Sportaktivität aufzunehmen oder beizubehalten. Angenommen wird somit, dass höher gebildete Personen infolge von gesundheitlichen Einschränkungen häufiger die Sportaktivität aufnehmen (Hypothese 4 a) und seltener infolge von gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Sportaktivität aufgeben (Hypothese 4 b). Zudem ist auf der Grundlage der vorliegenden Befunde festzuhalten, dass die Sportbeteiligung gemäß den meisten vorliegenden Studien tendenziell bei Männern höher ist als bei Frauen. Die Compliance im Allgemeinen und auch die Sportcompliance im Besonderen ist jedoch bei Frauen höher als bei Männern. Aus diesem Grund wird davon ausgegangen, dass eine Erkrankung bei Frauen häufiger zur Sportaufnahme (Hypothese 5 a) und seltener zur Sportaufgabe führt als bei Männern (Hypothese 5 b). Die aufgestellten Hypothesen sind auf der folgenden Seite in Tabelle 2 überblickartig zusammengefasst. In den Spalten 2 und 3 ist zusätzlich angegeben, mit welchem Datensatz die Hypothesen nachfolgend empirisch überprüft wird (vgl. Kap. 4).
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Tabelle 2: Überblick über die aufgestellten Hypothesen Hypothesen
H 1 a: Gesundheitliche Einschränkungen / geringe Gesundheitszufriedenheit führen/t zu einer Verringerung der Sporteinstiege. H 1 b: Gesundheitliche Einschränkungen / geringe Gesundheitszufriedenheit führen/t zu einer Erhöhung der Sportausstiege. H 2 a: Gesundheitliche Einschränkungen / geringe Gesundheitszufriedenheit führen/t zu einer Erhöhung der Sporteinstiege. H 2 b: Gesundheitliche Einschränkungen / geringe Gesundheitszufriedenheit führen/t zu einer Verringerung der Sportausstiege. H 3: Der Einfluss gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität variiert in Abhängigkeit von der diagnostizierten Beeinträchtigung. H 4 a: Personen mit höherer Bildung nehmen bei Vorliegen gesundheitlicher Einschränkungen eher die Sportaktivität auf als Personen mit geringer Bildung. H 4 b: Personen mit höherer Bildung geben infolge von gesundheitlichen Einschränkungen eher die Sportaktivität auf als Personen mit geringer Bildung. H 5 a: Gesundheitliche Einschränkungen führen bei Frauen häufiger zur Sportaufnahme als bei Männern. H 5 b: Gesundheitliche Einschränkungen führen bei Frauen seltener zur Sportaufgabe als bei Männern. dž: Hypothese wird mit diesem Datensatz überprüft
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SOEP dž
Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg dž
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3
Daten und Analysemethoden
Nach der Aufarbeitung des theoretischen und empirischen Forschungsstands, sowie der Ableitung der Hypothesen, werden in diesem Kapitel die Datengrundlagen, sowie das Vorgehen bei der Analyse erläutert. Zu Beginn des Kapitels erfolgt zunächst die kritische Betrachtung der für die Bundesrepublik Deutschland verfügbaren Datensätze, welche Angaben zum Sport-Gesundheits-Komplex beinhalten (Abschnitt 3.1). Anschließend werden die für die durchgeführten Analysen als Datenbasis fungierenden Datensätze (Abschnitt 3.2) und die angewendeten Analyseverfahren dargestellt (Abschnitt 3.3).
3.1
Verfügbare Datensätze mit Informationen zur Sportaktivität und zum Gesundheitszustand
Ein spezifisches Problem bei der Analyse der sportlichen Aktivität im Lebensverlauf im Allgemeinen, sowie bei der Analyse des Einflusses der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen im Speziellen ist, dass für diese Analysen individuell erhobene Daten, die sich auf einen längeren Zeitraum beziehen, nötig sind (Pitsch 2005: 315; Becker und Klein 2007: 293). Die in Abschnitt 2.4 beschriebenen Forschungsdefizite (z.B. das Fehlen von Längsschnittanalysen zum Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität), sind nicht zuletzt auf einen Mangel an geeigneten Daten für die Bundesrepublik zurückzuführen. Zwei Querschnittsdatensätze mit Angaben zu Sport und Gesundheit sind der Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 (BGS98)65 sowie der tele-
65 Beim Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 handelt es sich um die erste gesamtdeutsche Erhebung des Gesundheitszustandes und gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen der Bevölkerung (Thefeld et al. 1999: 57f.). Die Erhebung wurde zwischen Oktober 1997 und März 1999 durchgeführt und umfasst eine Netto-Stichprobe von insgesamt 7.124 Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren mit Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik (Schroeder et al. 1998: 104).
107 S. Becker, Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?, DOI 10.1007/978-3-531-92750-3_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
fonische Gesundheitssurvey von 2003 (GSTel03)66. Datenherr dieser beiden, für die Bundesrepublik repräsentativen Datensätze ist das RobertKoch-Institut in Berlin. Eines der Hauptziele beider Gesundheitssurveys besteht darin, Daten für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes zum Vergleich mit anderen europäischen Ländern zur Verfügung zu stellen. Dieser Zielsetzung entsprechend beinhalten die Gesundheitssurveys ausführliche Informationen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung. Zudem ermöglicht ein Vergleich der Daten beider Gesundheitssurveys die Formulierung von Trendaussagen zum Gesundheitszustand und der Sportaktivität in der bundesdeutschen Bevölkerung. Da diese beiden Querschnittsdatensätze jedoch keine retrospektiven Angaben zur sportlichen Betätigung beinhalten, sind trotz der vergleichsweise differenzierten Erhebung der Sporthäufigkeit67 und des Gesundheitszustandes, sowie der vergleichsweise hohen Fallzahlen, keine Kausalanalysen zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität möglich. Im Rahmen der durchgeführten Datensatzanalyse konnten zudem vier größere Längsschnittdatensätze mit Angaben zur sportlichen Aktivität ausfindig gemacht werden. Diese Datensätze, die mindestens für einen kurzen Zeitraum Längsschnittdaten zur sportlichen Betätigung und zur Gesundheit beinhalten, sind der Lebenserwartungssurvey (LES), der Spandauer Gesundheitstest, die Interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) und das sozio-ökonomische Panel (SOEP). Der Lebenserwartungssurvey wurde im Zeitraum von März 1998 bis September 1998 im Auftrag des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) als Wiederholungsbefragung der beiden vorherigen, nationalen Gesundheitssurveys68 durchgeführt. Ziel dieses Surveys war es, noch bestehende Informations- und Forschungslücken im Hinblick auf die gesundheitliche Gefährdung älterer Menschen zu schließen (Breckenkamp und Laaser 2001: 9). Aus diesem Grund wurde der Befragtenkreis der 66 Die Feldphase des telefonischen Gesundheitssurvey (GSTel03) zog sich von September 2002 bis März 2003 (Ziese 2005: 6). Insgesamt wurden 8.318 Personen ab 18 Jahren mit Erstwohnsitz in der Bundesrepublik befragt (Kohler und Ziese 2004: 8). 67 In den Gesundheitssurveys standen bei der Frage nach der Sportaktivität folgende Antwortmöglichkeiten zur Auswahl „Regelmäßig, mehr als 4 Stunden pro Woche“, „Regelmäßig, 2-4 Stunden pro Woche“, „Regelmäßig, 1-2 Stunden pro Woche“, „Weniger als 1 Stunde pro Woche“, „keine sportliche Betätigung“. 68 Die Erhebung der Nationalen Gesundheitssurveys fand 1984-86 in West- und 1991/92 in Ostdeutschland statt. Diese nationalen Gesundheitssurveys sind die Vorgänger des ersten gesamtdeutschen Bundes-Gesundheitssurveys von 1998.
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Wiederholungsbefragung auf Personen ab 45 Jahre beschränkt (Gärtner 2001: 4). Im Lebenserwartungssurvey stehen Informationen zur sportlichen Betätigung für jeweils zwei Erhebungszeitpunkte zur Verfügung; die Daten erlauben folglich die Analyse von Veränderungen vom ersten zum zweiten Erhebungszeitpunkt, wobei Veränderungen, die zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten stattfanden, undokumentiert bleiben. Bei der zweiten recherchierten Längsschnittstudie, dem Spandauer Gesundheitstest69, handelt es sich um eine prospektive Kohortenstudie (Ellert et al. 2002: 102).70 Ziel dieser Studie war die Untersuchung von chronischen Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Die erste Untersuchungswelle wurde 1982/83 durchgeführt und die Wiederholungsbefragungen erfolgten dann im 2-Jahresabstand (Ellert et al. 2002: 103). Insgesamt stehen für einen relativ langen Zeitraum, von über 20 Jahren, Angaben von ca. 2.000 Personen unter anderem zum Gesundheitszustand und zur Sportbetätigung zur Verfügung. Die Stichprobe setzt sich überwiegend aus Bewohnern des Berliner Bezirks Spandau, die über Anzeigen für die Studienteilnahme gewonnen wurden, zusammen (Ellert et al. 2002: 103). Durch die Art der Kontaktierung der Stichprobe kann vermutet werden, dass aufgrund des Themas der Befragung, sich vor allem gesundheitsbewusste Personen beteiligten (Ellert et al. 2002: 108). Als Hinweis für die Richtigkeit dieser Vermutung ist der deutlich höhere Anteil von Nicht-Rauchern (52%) im Vergleich zur Herz-
69 Der Gesundheitstest setzt sich aus vier Komponenten zusammen: Ausfüllen eines Fragebogens, körperliche Untersuchung, ärztliche Untersuchung und Blutanalyse (Ellert et al. 2002: 104). 70 Bei Kohortenstudien im Allgemeinen handelt es sich um Längsschnittstudien über die Zeit. Die Studienteilnehmer werden bezüglich bestimmter Merkmale ausgewählt und über die Zeit beobachtet. Bei prospektiven Kohortenstudie werden die interessierenden Merkmale (z.B. bestimmte Risikofaktoren oder Krankheiten) zu Beginn der Studie erhoben und beobachtet, wie diese sich über die Zeit entwickeln (Klug et al. 2004: T7).
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Kreislauf-Präventionsstudie71 (34%) zu werten (Ellert et al. 2003: 103). Aufgrund des relativ kurzen Zeitraums, für den Angaben zur Sportaktivität zur Verfügung stehen72, sowie der sehr selektiven Auswahl der Befragungspersonen, eignen sich diese Daten nicht zur Durchführung von repräsentativen Analysen zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität. Die ILSE-Studie („Interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters“) wurde von den Universitäten Heidelberg, Leipzig, Bonn, Erlangen/Nürnberg und Rostock unter Leitung des Deutschen Zentrums für Altersforschung mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, initiiert. Untersucht wurde in dieser Studie eine Kohorte von Personen, die zum Zeitpunkt der ersten Befragung dem mittleren Erwachsenenalter (Geburtsjahr 1950-52) zugeordnet werden konnten, sowie eine Kohorte die zum Zeitpunkt der Untersuchung zu Beginn des höheren Erwachsenalters (Geburtsjahr 1930-32) stand.73 Die Feldphase zur ersten Erhebungswelle dauerte von September 1993 bis April 1996; in diesem Zeitraum durchliefen die Teilnehmer ein zweitägiges Untersuchungsprogramm. Die zweite 71 Bei der Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) handelt es sich um eine „gemeindeorientierte, multizentrische Interventionsstudie“, die über einen Zeitraum von 8 Jahren durchgeführt wurde. Mit dieser im Auftrag des Robert-Koch-Instituts durchgeführten Studie wurde das Ziel, zur Reduktion der kardiovaskulären Risikofaktoren und der HerzKreislauf-Mortalität beizutragen, verfolgt. Zur Grundgesamtheit gehörten alle in Westdeutschland (inkl. Westberlin) in Privathaushalten lebenden Erwachsenen mit deutscher Nationalität zwischen 25 und 69 Jahren. Die Auswahl der Befragten erfolgte über ein Zufallsverfahren. Durchgeführt wurden die Gesundheitssurveys zu drei Zeitpunkten (t0: 1984-86, t1: 1987-89 und t2: 1990-92). (http://www.rki.de/nn_349564/DEContent/GBE/Erhebungen/Gesundheitssurveys/Nationale Gesundheitssurveys/nationalgessurvey__node.html__nnn=true 2006,Zugriff 27.08.06 9:59 Uhr). 72 Die Sportaktivität wurde erst ab dem 8. Durchgang (1996/97) erhoben. Von diesem Zeitpunkt bis zum letzten Durchgang (2000/01) erfolgte die Erhebung der Sportaktivität über die Frage „Wie oft treiben Sie Sport?“. Als Antwortkategorien standen zur Verfügung „Regelmäßig mehr als 4 Stunden in der Woche“, „Regelmäßig 2 – 4 Stunden in der Woche“, „Regelmäßig 1 – 2 Stunden in der Woche“, „Weniger als 1 Stunde in der Woche“, „Keine sportliche Betätigung“. 73 Die ältere Kohorte (1930/32) ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre Jugend durch den Krieg und den damit verbundenen Zusammenbruch von Wirtschaft und Staat geprägt war. Bei der zweiten untersuchten Kohorte (1950/52) handelt es sich um Personen, die sich zum Befragungszeitpunkt im mittleren Erwachsenenalter befanden. Diese Personen erlebten in ihrer Jugend und im frühen Erwachsenenalter den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit (Lehr et al. 2000: 1).
110
Erhebung erfolgte dann von September 1997 bis Dezember 1999 und die dritte Wiederholungsbefragung wurde im Zeitraum von Anfang 2005 bis Ende 2007 durchgeführt. Geplant ist zudem eine vierte Erhebung im Zeitraum von 2009 bis 2011.74 Die Sportaktivität wurde innerhalb dieser Studie über ein halbstrukturiertes Interview erhoben (Eichberg 2003: 75f.; Eichberg und Rott 2004: 93f.). In einem ersten Schritt wurde für die sportlich Aktiven möglichst genau die Sportaktivität zum Befragungszeitpunkt (Sportarten, Umfang der Sportbetätigung, Dauer der Sportbetätigung, Regelmäßigkeit der Ausübung) erfasst, während in einem zweiten Schritt die Erhebung von Angaben zur vergangenen Sportaktivität sowohl für Aktive als auch für Inaktive erfolgte. Ein großer Vorteil dieser Studie ist, dass das Design der Studie einerseits die Betrachtung von Altersunterschieden, sowie die Analyse von zeitgeschichtlichen Einflüssen erlaubt (Martin und Martin 2000: 18). Obwohl die Daten somit prinzipiell sehr gut für die Analyse der Entwicklung des Zusammenhangs zwischen Sport und Gesundheit im Lebensverlauf geeignet wären, liegt doch die Einschränkung vor, dass die Aussagen, die auf Grundlage dieser Daten getroffen werden können, auf zwei eng definierte Geburtskohorten beschränkt sind (Geburtsjahrgänge 1930 – 32 und Geburtsjahrgänge 1950 – 52). Beim vierten, im Rahmen der Datensatzrecherche ausfindig gemachten Längsschnittdatensatz handelt es sich um das Sozio-Oekonomische Panel (SOEP). In diesem Datensatz wurde sowohl die Sportaktivität, als auch die Gesundheitszufriedenheit regelmäßig erhoben. Da die Datensätze des Sozio-Oekonomischen Panels die Analyse von zeitlichen Verläufen ermöglichen und sowohl Angaben zur Sportaktivität als auch zur Gesundheitszufriedenheit beinhalten, ergeben sich daraus Analysemöglichkeiten, die noch kein anderer Survey in Deutschland bietet (Lampert et al. 2005b: 19; Wagner et al. 1994: 71). Dieser Datensatz ermöglicht aufgrund der regelmäßigen Erhebung dieser beiden Variablen die Analyse des Einflusses der Gesundheitszufriedenheit auf die Sportaktivität über einen vergleichsweise langen Zeitraum. Ein nicht zu unterschlagendes Defizit besteht allerdings in der relativ undifferenzierten Erfassung der Sport- und Gesundheitsvariable. So ist die Erfassung der Sportaktivität auf eine einzige Frage nach der Häufigkeit beschränkt. Nicht erfragt sind, die Dauer der jeweiligen Sportaktivität, die ausgeübte Sportart sowie die
74 Vgl. auch http://www.psychologie.uni-heidelberg.de/ae/apa/forschung/projekte/ilse.html 2007; Zugriff: 23.04.07; 15:15 MZES.
111
Intensität der Sportaktivität.75 Der Gesundheitszustand ist regelmäßig lediglich über die Gesundheitszufriedenheit erfragt. Aber trotz dieses Defizits stellen die Datensätze des SOEP zurzeit für Deutschland die einzige, für längsschnittliche Analysen zur Entwicklung der Sportbetätigung im Zeit- und im Lebensverlauf geeignete Datenquelle, dar (Breuer 2002: 75; Breuer 2004: 59). Eine ausführlichere Beschreibung des auch im Rahmen dieser Arbeit ausgewerteten Datensatzes erfolgt in Abschnitt 3.2.1. Auch die zweite Datengrundlage dieser Arbeit, die retrospektiv erhobenen Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“, werden nachfolgend näher beschrieben (vgl. Abschnitt 3.2.2). Zusammenfassend hat die Datensatzrecherche ergeben, dass es an bevölkerungsbasierten repräsentativen Längsschnittdaten, die komplexe Aussagen zum Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität erlauben, in der Bundesrepublik mangelt (vgl. Tabelle 3). Die verfügbaren Datensätze geben entweder nur Auskunft über einen relativ kurzen Zeitraum und/oder die Angaben zur Sport- und Gesundheitsbiographie liegen relativ undifferenziert vor. Für Baden-Württemberg kann mit den Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ zumindest für Personen im höheren Erwachsenenalter diese Datenlücke weitgehend geschlossen werden. Diese Daten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie sowohl Angaben zur Sport- (inkl. der ausgeübten Sportarten) als auch zur Gesundheitsbiographie beinhalten.
75 Aufgrund der fehlenden Erfassung der Sportarten besteht hier zudem keinerlei Möglichkeit zu kontrollieren, welche Aktivitäten die Befragten zu ihrer Sportaktivität gerechnet haben.
112
Tabelle 3: Überblick zu existierenden bundesdeutschen Datensätzen mit Informationen zur Sportaktivität und zum Gesundheitszustand
Datensatz
Datenqualität, Altersbereich und Erhebungszeitpunkt
Datenherr
Retrospektive und/oder prospektive Daten zur Gesundheit
Retrospektive und/oder prospektive Verlaufsdaten zur Sportpartizipation
Sportartspezifische Daten
Bundesgesundheitssurvey 1998
Querschnittdaten, 1997-1999
Robert-KochInstitut (RKI), Berlin
ja
nein
nein
Telefonischer Bundesgesundheitssurvey 2003
Querschnittdaten, ab 18 J., 2003/2004
Robert-KochInstitut (RKI), Berlin
ja
nein
nein
Lebenserwartungssurvey
Follow-UpErhebung der nationalen Gesundheitssurveys ab 45 J. / 19821998
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB), Wiesbaden
ja
nein
ja, stichtagsbe zogen zum ersten BefragungsZeitpunkt
SozioOekonomisches Panel (SOEP)
Längsschnittdaten, ab 16 J., 1984-2005
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
ja
ja
nein, nur Sportarten in der Jugend
Deutsches Zentrum für Alternsforschung (DZFA)
ja
ja, zu zwei Messzeitpunkten
ja
Interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE)
Längsschnittdaten, 42-44 – 6365 J., 1994-1998
Spandauer Gesundheitstest
Längsschnittdaten, 15-88 J., 1982-2001
Robert-KochInstitut RKI, Berlin
ja
nein
nein
„Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“
Retrospektive Querschnittsstudie
Landesstiftung Baden-Württemberg
ja
ja
ja
Quelle: eigene Recherche und Zusammenstellung
113
3.2
Datengrundlagen
Die der Arbeit zugrunde liegende Datenbasis ist zweigeteilt. Als Datengrundlagen für die durchgeführten Analysen fungieren zum einen, die Datensätze des Sozio-Oekonomischen Panels (vgl. Kap. 3.2.1) für Westdeutschland und zum anderen, Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ (vgl. Kap. 3.2.2) für Baden-Württemberg. Die Sportbetätigung ist in den durchgeführten Analysen nach Lamprecht, Ruschetti und Stamm (1991) sowie Schwark (1994)76 ganz allgemein als Ausübung sportlicher Handlungen verstanden (Lamprecht et al. 1991: 20; Schwark 1994: 24). Im Anschluss an Antonovsky sind Gesundheit und Krankheit als Extrempole eines Kontinuums bezeichnet. Die Trennung zwischen „gesund“ und „krank“ wird aufgegeben und ersetzt durch die Einordnung auf einem Kontinuum. In den durchgeführten Analysen wird Gesundheit für Westdeutschland über die Gesundheitszufriedenheit – gemessen über eine 11stufige Skala – und für Baden-Württemberg über die ärztliche Diagnose einzelner Krankheiten oder medizinischer Risikofaktoren, welche lediglich einen Teil der Gesundheit ausmachen, berücksichtigt.77 76 „Sport liegt dann vor, wenn der hauptsächliche Sinn der Tätigkeit auf einer gezielten, planvollen Handlung zur Beherrschung eines Gegenstandes, einer Umweltgegebenheit, eines Körpers oder seiner Teile beruht, verbunden mit einer gewollten räumlich sichtbaren oder innerlich spürbaren Ortsveränderung (Bewegung). Dabei liegt der Zweck nicht darin, ein Arbeitsprodukt zu schaffen oder dazu zu dienen, sondern der Bewegungsvollzug ist als eigentlicher Gegenstand der Tätigkeit individuell zu definieren. Der Raum, in dem die Tätigkeit stattfindet, ist offen und bietet, auch unter Einbeziehung der offiziellen und inoffiziellen Regeln und Normen, dem/der Sporttreibenden (theoretisch) unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten. Ausgeschlossen sind also Räume, deren Prinzip auf Zufälligkeit und Glück aufbaut und damit der Kontrolle und Beherrschung entzogen ist. Der „soziale“ Bezug dieser Sportdefinition leitet sich ab aus einem gesellschaftlich entwickelten Zustand, der es den jeweils Ausübenden der spezifischen Sporttätigkeit erlaubt, über die rein private Sphäre hinaus auf einem interpersonell anerkannten Niveau zu agieren und zu kommunizieren. Dies schließt sowohl personelle Kontakte als auch die individuelle sowie lediglich materielltechnische oder mediale Kontaktierung ein. Die rein private Deklaration von Bewegungshandlungen zu Sport, die den vorgenannten Kriterien entspricht, verbleibt dabei objektiv betrachtet auf dem allgemeinen Niveau der Bewegung und wird erst dann zu Sport, wenn diese spezielle Form der Bewegung vom privaten Kreis auf einen zumindest regional anerkannten Verbreitungsgrad ausgedehnt wird“ (Schwark 1994: 24). 77 Da die in den Analysen berücksichtigten medizinischen Risikofaktoren und Erkrankungen lediglich einen Teil der Gesundheit ausmachen, führen diese ebenfalls lediglich zu einer Verschiebung auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum.
114
3.2.1
Das Sozio-Oekonomische Panel (SOEP)
Als bundesweit repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung wird das SOEP zu ökonomischen und sozialen Themen im Auftrag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) seit 1984 durchgeführt. Dauerhafte inhaltliche Themenschwerpunkte im SOEP stellen Informationen zu Demographie, Erwerbstätigkeit, Einkommen, Steuern, Bildung, Wohnen, Gesundheit, Produktivität privater Haushalte, Einstellungen sowie gesellschaftliche Einbindung und Teilhabe dar (Wagner et al. 1994: 72; Stauder 2005: 398). Hauptziel dieser Längsschnittstudie ist, eine möglichst zeitnahe Erfassung des politischen und gesellschaftlichen Wandels in der Bundesrepublik (Lampert et al. 2005b: 18). Finanziert wird die Durchführung des Sozio-Oekonomischen Panels durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), sowie durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Lampert et al. 2005b: 18).
3.2.1.1
Stichproben und Stichprobenentwicklung
Das SOEP beruht auf einer repräsentativen Haushaltsstichprobe (d.h. die Haushalte und nicht die Personen werden nach einem Zufallsverfahren ermittelt). Im jährlichen Rhythmus werden alle Haushaltsmitglieder ab 16 Jahren befragt. Zum ersten Erhebungszeitpunkt, im Jahr 1984, wurden etwa 6.000 repräsentativ ausgewählte Haushalte mit über 12.000 Personen befragt. Die ermittelten Haushaltsmitglieder nehmen auch dann weiterhin an der Untersuchung teil, wenn sie alleine oder mit dem ganzen Haushalt innerhalb der BRD (vor 1990 innerhalb Westdeutschland incl. West-Berlin) umziehen (vgl. Frick 2006: 8f.; Haisken-DeNew und Frick 2000; Wagner et al. 1993; Wagner et al. 1994; Stauder 2005). Die Ausgangsstichprobe von 1984 wurde 1990 um eine DDR-Stichprobe und in der Folgezeit um eine Zuwandererstichprobe sowie um verschiedene Ergänzungsstichproben, deren wichtigste Funktion in der Stabilisierung der Fallzahl der Gesamt-Stichprobe liegt, erweitert. Da es über die Jahre im SOEP aufgrund von Verweigerungen der weiteren Teilnahme, Umzügen ins Ausland und Todesfällen zu Stichprobenausfällen kam, erfolgte, um diese auszugleichen, die Ziehung von Ergänzungsstichproben. Durch diese Zusatzstichproben will man zusätzlich der sich im Laufe der Jahre verändernden Gesellschaftsstruktur gerecht werden. Im Jahr 2000 wurde eine weitere Ergänzungsstichprobe zur Untersuchung neuer Erhebungskonzepte und zur Stabilisierung der Fallzah115
len gezogen.78 In den Datensätzen von 2005 umfasst das SOEP ca. 25.000 Personen in 13.000 Haushalten (Lampert et al. 2005b: 18). Die Stichprobenentwicklung des SOEP über die Zeit ist in Abbildung 10 dargestellt. Abbildung 10: graphische Darstellung der Stichprobenentwicklung ’84
’85
’86
’87
’88
’89
’90
’91
’92
’93
’94
’95
’96
’97
’98
’99
’00
’01
’02
’03
’04
’05
A Deutsche West
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
B Ausländer
1
2
3
4
5
6
C Deutsche Ost
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
1
2
3
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5
6
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9
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1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
1
2
3
4
5
6
7
8
1
2
3
4
5
6
1
2
3
4
D Zuwanderer E Querschnitt 98 F Erweiterung 2000 G Hocheinkommen
Quelle: erweiterte Version von Schupp 2001: 12
Da die Frage nach den lebenslaufbezogenen Analysen des Einflusses der Gesundheit auf die Sportaktivität einen möglichst langen Analysezeitraum erfordern, sind die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Analysen auf Westdeutschland begrenzt und umfassen lediglich Personen der beiden Ausgangsstichproben A und B, d.h. Personen, die 1986 bereits am SOEP teilgenommen hatten und in allen relevanten Wellen bis einschließlich 2005 alle relevanten Fragen beantwortet haben. Hinzu kommt, dass sich Systemunterschiede und eine unterschiedliche Sportsozialisation bis heute nachhaltig auf die Sportaktivität auswirken (vgl. Becker et al. 2006: 228f.; Mensink 2002: 43; Schneider und Becker 2005b: 602). Allerdings wurden in den durchgeführten Analysen, wie nachfolgend dargestellt, nicht alle verfügbaren SOEP-Wellen berücksichtigt (vgl. Kap. 3.2.1.3).
78 Zu näheren Informationen bzgl. der einzelnen Stichproben (vgl. Frick 2006: 8f.; Wagner et al. 1994: 75f.).
116
3.2.1.2
Erhebungsinstrumente und Feldarbeit
Im SOEP erfolgt die Datenerhebung über eine persönliche Befragung. Im Jahr 1998 wurde die Interviewmethode komplett von PAPI79 auf CAPI80 umgestellt (Frick 2006; Haisken-DeNew und Frick 2000). Insgesamt basiert die Datenerhebung auf fünf Erhebungsinstrumenten: -
Haushaltsfragebogen Personenfragebogen Fragebogen zu den im Haushalt lebenden Kindern und Jugendlichen Fragebogen zum bisherigen Lebensverlauf (für Erwachsene und Jugendliche) „Mutter und Kind“- Fragebogen
Mit dem Haushaltsfragebogen wird der Haushaltsvorstand zur Haushaltszusammensetzung und zur Einkommens- und Wohnsituation befragt. Alle Haushaltsmitglieder ab 16 Jahren werden zusätzlich über den Personenfragebogen noch zu ihrer persönlichen Lebenssituation befragt. Über einen separaten Fragebogen erfolgt die Befragung von Eltern zu allen im Haushalt lebenden Kindern unter 16 Jahren. Ebenfalls werden mittels des Biographiefragebogens81 einmalig Angaben zum bisherigen Lebensverlauf der befragten Personen erhoben. Erwachsene bekommen den Biographiefragebogen bei ihrem ersten oder zweiten Kontakt mit dem SOEP vorgelegt, während Jugendliche diesen Fragebogen im Alter von 17 Jahren beantworten. Mütter von Neugeborenen erhalten zusätzlich einen „Mutter und Kind“ – Fragebogen, in welchem es in erster Linie um persönliche Erfahrungen in der Schwangerschaft und um die Entwicklung des Kindes geht. Die für die durchgeführten Analysen zentralen Variablen „Sport“ und „Gesundheitszufriedenheit“ wurden im Rahmen des Personenfragebogens erhoben. Auch alle anderen, in den Analysen berücksichtigten unabhän79 PAPI ist die Abkürzung für „paper and pencil Interviewing“. Die Antworten werden vom Interviewer in einen Fragebogen eingetragen (Diekmann 2001: 438). 80 CAPI ist die Abkürzung für „computer-aided personal interviews“. Hierbei werden die Befragten ebenfalls von einer Person interviewt. Die Antworten werden vom Interviewer direkt in den Computer eingegeben (Diekmann 2001: 438). 81 Der Fokus dieses Biographiefragebogens liegt auf Angaben zur Erwerbs- und Familienbiographie (Lampert et al. 2005b: 18).
117
gigen Variablen, sind auf der Grundlage der im Rahmen des Personenoder Haushaltsfragebogens erhobenen Informationen generiert.
3.2.1.3
Operationalisierung der Variablen des Sozio-Oekonomischen Panels
Im Folgenden sind die Operationalisierungen der abhängigen Variablen, der zeitveränderlichen unabhängigen und der zeitkonstanten unabhängigen Variablen für die Analysen mit dem sozio-ökonomischen Panel dargestellt. Die in den Modellen berücksichtigten unabhängigen Variablen zur Erklärung des Einflusses der Gesundheitszufriedenheit und Veränderungen der Gesundheitszufriedenheit auf die Sportaktivität, wurden auf der Grundlage einer ausführlichen Literaturanalyse und theoretischer Überlegungen ausgewählt (vgl. Kapitel 2). Die Operationalisierung der abhängigen, sowie der zeitkontinuierlichen und zeitkonstanten unabhängigen Variablen sind nachfolgend beschrieben und jeweils im Anschluss an die Beschreibung tabellarisch zusammengefasst. In der letzten Spalte der entsprechenden Tabellen sind zusätzlich die zur Bildung der Variablen herangezogenen Originalvariablen aufgelistet. Die genaue Form der Erfassung kann auf der Internetseite des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung eingesehen werden.82
Abhängige Variablen Die Häufigkeit sportlicher Aktivität ist im SOEP in unregelmäßigen Abständen erfasst, nämlich 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003 und 2005. Für die Jahre dazwischen, stehen keine Angaben zur Verfügung. Zudem liegen der Erhebung der Sportaktivität in den verschiedenen Erhebungen, unterschiedliche Skalen zugrunde. Während in den meisten Jahren vier Antwortkategorien zur Verfügung standen („jede Woche“, „jeden Monat“, „seltener“ und „nie“), ist in einigen Jahren (1990, 1995, 1998 und 2003) eine fünfte Kategorie („täglich“) hinzugefügt.83 Aufgrund des immensen Einflusses der zur Verfügung stehenden Antwortkategorien auf das Antwortverhalten lässt sich die 5er-Skala nicht auf vier Kategorien reduzieren. Die nach oben verfeinerte Erfassung der Sportaktivität in den Jahren 1990, 1995, 1998 und 82 vgl. 2007 (Zugriff 31.05.2007; 22:48 MZES). 83 Eine Ausnahme stellt die erste Erhebungswelle (1984) dar. Hier wurde die Sportaktivität mit den Kategorien „nie, sehr selten“, „gelegentlich“ und „häufig, regelmäßig“ erfasst.
118
2003 hat offensichtlich einen positiven Einfluss auf die Häufigkeit der angegebenen Sportaktivität (vgl. Breuer 2004: 60; Becker und Klein 2007: 294). In den Jahren, in denen die Sportaktivität mit fünf Kategorien erfasst wurde, liegt die mindestens wöchentliche sportliche Aktivität (d.h. die beiden oberen Kategorien zusammengenommen) deutlich höher und der Anteil der Sportabstinenten („nie“) ist deutlich geringer, als bei der Erfassung der Sportaktivität mit einer 4er Skala (vgl. Abb. 11). Ein nach oben erweitertes Antwortspektrum, ‚steigert’ somit offensichtlich die angegebene Häufigkeit der eigenen Sportaktivität. Die Frage gibt somit nur begrenzt Aufschluss über die genaue Häufigkeit sportlicher Aktivität und ist mit den Ergebnissen anderer Studien – z.B. dem Bundes-Gesundheitssurvey mit einer nochmals anderen Erfassung der Sportaktivität (vgl. Mensink 1999: 126) – kaum vergleichbar. Abbildung 11: Häufigkeit sportlicher Aktivität in den Jahren 1986 bis 2005 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1986
1988
1990
1992 1994
1995
1996
1997
1998 1999
2001
2003
nie
seltener als 1mal pro Monat
mind. 1mal pro Monat
mind. 1mal pro Woche
2005
täglich
Quelle: SOEP 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003, 2005, eigene Berechnungen
Vorsichtig interpretiert kann man auf der Grundlage von Abbildung 11 trotzdem davon ausgehen, dass – ungeachtet der Dauer und der Intensität – etwa ein Viertel der westdeutschen Bevölkerung ab 16 Jahren jede 119
Woche Sport treibt, während etwa die Hälfte überhaupt nie sportlich aktiv ist. Außerdem zeigt die Abbildung, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Bevölkerung in der doch großen Kategorie zwischen einmal im Monat und weniger als einmal pro Woche angesiedelt ist. Dies deutet auf eine Polarisierung der Bevölkerung in zwei Pole hin: die Sportler, die doch mindestens einmal pro Woche aktiv sind, und die Nichtsportler, die gar keinen oder fast keinen Sport treiben. Aufgrund dieser deutlich sichtbaren Abhängigkeit des Antwortverhaltens von Frageform und Antwortvorgabe erscheint es aussagekräftiger, Veränderungen über einen Zeitraum zu untersuchen als Häufigkeiten oder Prozentwerte aus unterschiedlichen Studien (die mit unterschiedlichen Skalen erhoben wurden) miteinander zu vergleichen. Obwohl die Häufigkeit, mit der die beiden Extremkategorien bejaht wurden, am stärksten von den Antwortvorgaben beeinflusst sind, ist in diesen beiden Sportkategorien das Antwortverhalten am stabilsten. Dies geht aus Tabelle 4 hervor, die beschreibt, wie häufig zwischen zwei Befragungen84 kein Wechsel oder ein Wechsel in eine andere Kategorie stattgefunden hat. Während die wöchentlichen Sportler zu fast 70% und die „Nie“-Sportler gar zu über 80% in der nächsten Befragung noch in derselben Kategorie sind, ist ein Wechsel in den mittleren Kategorien wesentlich häufiger (vgl. Tabelle 4 oberer Teil, eine ähnliche Tendenz geht für die 5stufige Skala aus dem unteren Teil hervor). Hinsichtlich der Extremkategorien ist zusätzlich auch am wenigsten davon auszugehen, dass zwischen zwei Befragungen ein mehrfacher Wechsel stattgefunden hat. Die Stabilität in den Kategorien „monatlich“ und „seltener“ sowie in der Kategorie „täglich“ bei der 5er-Skala ist dagegen eher als gering einzustufen.
84 Gemeint sind hier und im Folgenden zwei Befragungen mit der Frage nach der Sportaktivität in derselben Kategorisierung.
120
Tabelle 4: Stabilität der Sport(in)aktivität in aufeinanderfolgenden Wellen (in %)
Vorwelle jede Woche jeden Monat Seltener Nie
Nachwelle tägl. -
jede Wo. 69,37% 29,32% 15,47% 6,48%
Täglich 30,67% 39,75% jede Woche 7,05% 55,70% jeden Monat 3,64% 31,19% Seltener 2,72% 16,92% Nie 1,53% 6,81% Quelle: SOEP 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 2005, eigene Berechnungen
Jeden Mon. 7,75% 24,82% 9,92% 2,06%
Seltener 11,13% 28,08% 39,58% 10,69%
Nie 11,76% 17,78% 35,04% 80,77%
7,29% 11,97% 10,32% 10,01% 16,49% 10,76% 21,44% 27,01% 16,72% 9,36% 42,58% 28,43% 2,75% 14,71% 74,20% 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003,
Aufgrund dieser mangelnden Vergleichbarkeit der 4er- und der 5er-Skala, stützen sich die durchgeführten Analysen ausschließlich auf die häufigere Erfragung der Sportaktivität in vier Kategorien. Die durchgeführten Analysen beziehen sich somit auf die Jahre im Zeitraum von 1986 bis 2005, in denen die Sportaktivität mit einer 4er Skala erfasst wurde. Der Analyse liegen zudem nur die Längsschnittpersonen, d.h. diejenigen zugrunde, die die Frage nach der Sportaktivität in der 4er-Kategorisierung durchgehend beantwortet haben85, nämlich 3.432 in Westdeutschland wohnhafte Personen.86 Die Antwortquote bei der Frage nach der sportlichen Betätigung lag im Durchschnitt über alle relevanten Wellen bei ca. 99%. Abbildung 12 zeigt, in welchem Maße die Personen der einzelnen Aktivitätsstufen über den gesamten Beobachtungszeitraum in einer Sportkategorie bleiben. Von denen, die 1986 mindestens wöchentlich Sport getrieben haben, bleiben mehr als 40% bis 2005 – d. h. 19 Jahre hindurch – durchgehend so aktiv. Bei den „Nie“-Sportlern sind es gar knapp 70%, während die mittleren Kategorien schnell in andere Kategorien abwandern. 85 Bezieht man sich auf alle paarweise vorhandenen Angaben, sehen die Ergebnisse sehr ähnlich aus. 86 Da für die ostdeutsche Bevölkerung die Sportaktivität erstmals im Jahr 1992 erfasst wurde und die Einbeziehung der ostdeutschen Bundesbürger den Analysezeitraum deutlich verkürzt hätte, beschränken sich die nachfolgenden Analysen auf die westdeutsche Bevölkerung.
121
Abbildung 12: Die Stabilität sportlicher (In-) Aktivität über den Zeitraum von 1986 bis 2005 100 90 80 70 60 % 50
40 30 20 10 0 1988
1992
1994 jede Woche
1996
1997
mind. 1*pro Monat
1999 seltener
2001
2005
nie
Quelle: SOEP 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003, 2005, eigene Berechnungen
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse der kurzfristigen und längerfristigen Stabilitätsanalysen (vgl. Tab. 4 + Abb. 12) werden in den durchgeführten Berechnungen Personen, die mindestens einmal pro Woche sportlich aktiv sind, als Sportler und Personen, die sich seltener als einmal die Woche betätigen, als Nicht-Sportler bezeichnet.87 Diese dichotome Sportvariablen dient als Basis für die Bildung der abhängigen Variablen „Sporteinsteiger“ und „Sportaussteiger“. Personen, die in der Vorwelle weniger als einmal in der Woche sportlich aktiv waren und in der folgenden Welle ihre Sportbetätigung auf mindestens einmal in der Woche erhöht haben, sind als Sporteinsteiger 87 Gemäß einer vom amerikanischen „Centers of Disease Control“ entwickelten Gesundheitsempfehlung und auch vom Robert-Koch-Institut ausgesprochenen Empfehlung ist eine halbe Stunde sportliche Betätigung an mindestens vier Tagen pro Woche auf einem gemäßigtem bis anstrengenden Niveau als gesundheitsförderlich einzustufen (Mensink 1998; Mensink 2002). Da die Überprüfung der Einhaltung der vom „Centers of Disease Control“ ausgesprochenen Bewegungsempfehlung nicht möglich ist und Blair und Connely davon ausgehen, dass zusätzliche Bewegung auf jeder Häufigkeitsstufe mit günstigen Gesundheitswirkungen verbunden ist (Blair und Conelly 1996), wurde die Grenze zur Unterscheidung zwischen Sportlern und Nichtsportlern in den hier durchgeführten Analysen auf einmal pro Woche gesetzt. Zudem ist Sport um so eher Bestanteil des Lebensstils und damit auch für die Lebensstilforschung interessant, je länger der Zeitraum und je häufiger sportliche Aktivitäten ausgeübt werden.
122
bezeichnet. Analog dazu sind Personen, die ihre mindestens wöchentliche Sportbetätigung auf weniger als einmal pro Woche reduzieren, per definitionem als Sportaussteiger bezeichnet (vgl. Tab. 5). Tabelle 5: Operationalisierung der abhängigen Variable für die Analysen mit dem sozio-ökonomischen Panel Variable Sporteinsteiger
Definition
Grundlage der Variablenbildung Aufnahme einer mindestens cp0903, ep0903, ip0703, wöchentlichen sportlichen kp1203, mp0503, np0303, Aktivität (gemessen an der pp0303, rp0303, vp0303 jeweiligen Vorwelle) 1- ja 0- nein
Sportaussteiger
Aufgabe einer mindestens wöchentlichen sportlichen Aktivität (gemessen an der jeweiligen Vorwelle) 1- ja 0- nein Quelle: SOEP 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 1995, 1996, 2005, eigene Darstellung
cp0903, ep0903, ip0703, kp1203, mp0503, np0303, pp0303, rp0303, vp0303
1997, 1998, 1999, 2001, 2003,
Zeitveränderliche unabhängige Variablen Da es sich beim SOEP um einen Paneldatensatz handelt und somit fast alle interessierenden Variablen in regelmäßigen Abständen erneut erhoben wurden, gehen die meisten unabhängigen Variablen als zeitveränderliche Variablen in die Analyse ein. Die zeitveränderlichen, unabhängigen Variablen beziehen sich immer auf die jeweilige Episode und geben entweder Zustände zu Beginn der jeweiligen Episode (z.B. Familienstand), Veränderungen vom Beginn bis zum Ende der Episode (z.B. Gesundheitsveränderungen) oder Ereignisse, die in der jeweiligen Episode (z.B. Berufseinstieg, Heirat) stattgefunden haben, wieder. Die in die Analysen aufgenommenen zeitveränderlichen, unabhängigen Variablen sind im Einzelnen folgendermaßen operationalisiert: Die zentrale unabhängige Variable, die Gesundheitszufriedenheit, ist mittels einer 11-stufigen Skala erfasst, wobei 0 für eine niedrige Gesundheitszufriedenheit und 10 für eine hohe Gesundheitszufriedenheit88 steht. Bereits in früheren Untersuchungen hat sich die Zufriedenheit mit der Gesundheit als guter Indikator für den Gesundheitszustand bewährt 88 Mit den Werten dazwischen kann abgestuft werden.
123
(Friese et al. 2003: 172; Ferraro 1980: 377). Die Gesundheitszufriedenheit gibt Auskunft darüber, inwieweit Krankheiten als negativ bzw. die Gesundheit als positiv erlebt wird (Opper 1998b: 79) und da in die Gesundheitseinschätzung sowohl physische als auch psychische Aspekte der Gesundheit einfließen, beinhaltet die Gesundheitszufriedenheit eine umfassende Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes (Opper 1998a: 79). Aus diesen Gründen wird die Selbsteinschätzungen der Gesundheitszufriedenheit ergänzend zum Einfluss der ärztlichen diagnostizierten Erkrankungen untersucht (vgl. Kap. 3.2.2). Die Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit über die Zeit ist in Tabelle 6 dargestellt. Tabelle 6: Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit im Zeitverlauf von 1986 – 2005 (alte Bundesländer)
1986 1988 1992 1994 1996 1997 1999 2001 2005
Mittelwert r Standardabweichung
Insgesamt Abs.
r r r r r r r r r
10.188 9.609 9.017 9.268 9.465 9.237 9.881 16.203 15.250
6,78 6,61 6,73 6,51 6,51 6,50 6,57 6,78 6,56
2,42 2,38 2,52 2,48 2,43 2,40 2,44 2,35 2,36
Quelle: SOEP (1986, 1988, 1992, 1994, 1996, 1997, 1999, 2001, 2005), eigene Berechnungen
Die zweite zentrale, unabhängige Variable ist die Veränderung der Gesundheitszufriedenheit vom Beginn bis zum Ende der Episode. Diese Variable ergibt sich durch die Subtraktion der Gesundheitszufriedenheit am Ende der Episode von der Gesundheitszufriedenheit zu Beginn der Episode und ist ebenfalls als metrische Variable in die Analysen aufgenommen. Über diese Variable soll der Einfluss von Verbesserungen und Verschlechterungen des Gesundheitszustandes auf die Sportein- bzw. Sportausstiege wiedergegeben werden.
124
Die weiteren beschriebenen zeitveränderlichen Variablen sind als Kontrollvariablen in den durchgeführten Analysen konstant gehalten: Für die jeweiligen Episoden ist in den Analysen jeweils das Alter zur Episodenmitte berücksichtigt. Aufgrund der zunehmenden Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre und der damit in Zusammenhang stehenden Kritik an der Relevanz der Bildungsvariable und den hohen Verweigerungsraten bei der Einkommensmessung, kommt dem Beruf eine zentrale Rolle für die Statuserfassung zu (Hoffmeyer-Zlotnik 1993). Die berufliche Stellung wurde im SOEP sehr differenziert erhoben und ist für die Analysen so recodiert, dass sechs ordinale Kategorien mit möglichst großen Abständen zwischen den Gruppen und kleinstmöglicher Streuung innerhalb der Gruppen entstehen. Für die Analysen umfasst die berufliche Stellung jetzt die Kategorien nicht erwerbstätige Personen, einfache Arbeiter, gelernte Arbeiter, Selbstständige, Angestellte und Beamte sowie sonstigen Erwerbstätige. Zu der Gruppe der nicht erwerbstätigen Personen sind Befragte zusammengefasst, die angegeben haben, nicht erwerbstätig und arbeitslos zu sein, sowie Auszubildende, Rentner, Praktikanten und Wehr- und Zivildienstleistende. Die Kategorie einfache Arbeiter umfasst an- und ungelernte Arbeiter und in der Kategorie gelernte Arbeiter werden gelernte und Facharbeiter, Vorarbeiter, Meister, Poliere und Industrie- und Werkmeister zusammengefasst. Die Angestellten und Beamten stellen in den folgenden Berechnungen die Referenzkategorie dar. Der Umfang der Erwerbstätigkeit ist über die Dummyvariablen Vollzeit, Teilzeit und nicht erwerbstätig in den Analysen berücksichtigt. Bei der Einordnung des Umfangs der Erwerbstätigkeit erfolgt die Orientierung am zeitlichen Umfang der jeweiligen Tätigkeit. Dementsprechend werden hier – anders als bei der Variable der beruflichen Stellung – auch Personen in betrieblicher Ausbildung und im Wehr- und Zivildienst den voll erwerbstätigen Personen zugeordnet. Die Kategorie nicht erwerbstätig geht als Referenzkategorie in die Modelle ein. Der Familienstand für die jeweilige Episode wird über den Familienstand zu Beginn der jeweiligen Episode definiert und ist mit den Kategorien verheiratet, getrennt lebend, ledig und verwitwet in den SOEPAnalysen berücksichtigt. Verheiratete, aber getrennt lebende Personen und geschiedene Personen sind in der Kategorie getrennt lebend zusammengefasst. Die Referenzkategorie in den durchgeführten ereignisanalytischen Regressionen stellen verheiratete Personen dar. 125
Als ein (weiterer) Aspekt der zur Verfügung stehenden Zeit und der Flexibilität wird das Vorhandensein von Kindern unter 6 Jahren im Haushalt als Dummyvariable Kinder unter 6 Jahre berücksichtigt. Wenn innerhalb der jeweiligen Episode im Haushalt mindestens ein Kind unter 6 Jahren lebt, weist die Variable den Wert 1 auf und andernfalls ist die Variable mit dem Wert 0 kodiert. Über den Verwandtschaftsgrad zwischen Kind und befragter Person ist damit allerdings nichts ausgesagt, d.h die im Haushalt lebenden Kinder müssen nicht die eigenen Kinder sein bzw. können auch ein anderes Verwandtschaftsverhältnis aufweisen. Aber unabhängig davon, ob es sich um die leiblichen Kinder handelt oder nicht, ist davon auszugehen, dass im Haushalt lebende Kinder Zeit für sich beanspruchen und möglicherweise auch das Sportverhalten beeinflussen. Als potentiell relevante Ereignisse für den Einfluss der Gesundheit auf die Sportaktivität finden in den durchgeführten Analysen Berufseinstieg, Berufsausstieg, Trennung, Verwitwung und Heirat jeweils über Dummyvariablen Berücksichtigung. Falls das entsprechende Ereignis in der jeweiligen Episode stattgefunden hat, bekommt die entsprechende Variable den Wert 1 zugewiesen und ansonsten den Wert 0.
126
Tabelle 7: Operationalisierung der zeitveränderlichen Variablen in den Analysen mit dem SOEP Variable Definition Zentrale unabhängige Variablen Gesundheitszustand Gesundheitszufriedenheit ist mittels einer 11stufigen Skala erfasst und wird jeweils zu Beginn der Episode berücksichtigt (metrische Variable). Gesundheitsveränderung Gesundheitszustand am Ende der Episode – Gesundheitszustand zu Beginn der Episode (metrische Variable). Soziodemographische unabhängige Variablen Berufliche Stellung Berufliche Stellung zum Ende der jeweiligen Episode 1 – nicht erwerbstätig 2 – Ungelernter Arbeiter 3 – Angelernte Arbeiter, gelernte und Facharbeiter, selbstständige Landwirte 4 – Selbstständige 5 – Angestellte und Beamte Alter Alter in der Episodenmitte (Erhebungsjahr – Geburtsjahr) Lebenssituation / Lebensstilrelevante unabhängige Variablen Umfang der Erwerbstätigkeit 1 – Vollzeit 2 – Teilzeit 3 – nicht erwerbstätig Familienstand
Kinder unter 6 Jahren im Haushalt Zentrale Lebensereignisse Berufseinstieg
1Verheiratet 2ledig 3getrennt 4verwitwet 1 – Ja 0 – Nein
1 – Ja 0 – Nein
Berufsausstieg
1 – Ja 0 – Nein
Heirat
1 – Ja 0 – Nein
Verwitwung
1 – Ja 0 – Nein
Trennung
1 – Ja 0 – Nein
Variablenname cp0101, ep0101 ip9801, kp0101, mp0101, np0101, pp0101, rp0101 cp0101, ep0101 ip9801, kp0101, mp0101, np0101, pp0101, rp0101, vp0101 stib86, stib88, stib92, stib94, stib96, stib97, stib99, stib01
gebjahr, erhebj
erwtyp86, erwtyp88, erwtyp92, erwtyp94, erwtyp96, erwtyp97, erwtyp99, erwtyp01 cp89, ep82, ip101, kp101, mp106, np113, pp131, rp131 ekgjahr, ikgjahr, kkgjahr, mkgjahr, nkgjahr, pkgjahr, rkgjahr erwtyp86, erwtyp88, erwtyp92, erwtyp94, erwtyp96, erwtyp97, erwtyp99, erwtyp01, erwtyp05 erwtyp86, erwtyp88, erwtyp92, erwtyp94, erwtyp96, erwtyp97, erwtyp99, erwtyp01, erwtyp05 cp89, ep82, ip101, kp101, mp106, np113, pp131, rp131, vp148 cp89, ep82, ip101, kp101, mp106, np113, pp131, rp131, vp148 cp89, ep82, ip101, kp101, mp106, np113, pp131, rp131, vp148
Anm.: Die in den späteren Analysen als Referenzkategorie berücksichtigte Kategorie ist bei kategorialen Variablen mit mehr als zwei Ausprägungen in der Tabelle fett gedruckt. Quelle: SOEP 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003, 2005, eigene Darstellung
127
Zeitkonstante unabhängige Variablen Als zeitkonstante unabhängige Variablen finden die Schulbildung, der Geburtsjahrgang, das Geschlecht sowie die aus datentechnischen Gründen kontrollierten Abstandsvariablen Berücksichtigung: Die Operationalisierung der Schulbildung erfolgt über den höchsten Allgemeinbildenden Schulabschluss der letzten berücksichtigten Erhebungswelle (2005). Die Variable weist drei Ausprägungen auf und orientiert sich an den drei Sekundarstufen des deutschen Bildungssystems. Personen mit Fachhochschulreife und Abitur bilden eine Kategorie, eine zweite Kategorie stellen Personen mit Realschulabschluss dar und zu einer dritten Kategorie sind Personen mit Hauptschulabschluss oder keinem Schulabschluss zusammengefasst. Diese letzte Kategorie dient in den durchgeführten Analysen als Referenzkategorie. Zur Modellierung von Kohorteneffekten erfolgt neben dem Alter, die Heranziehung des Geburtsjahres. Dieses ist mit der Tausender- und der Hunderterstelle in den Analysen berücksichtigt (z.B. 1944). Das Geschlecht ist als Dummyvariable mit den Ausprägungen 1 (Mann) und 0 (Frau) in die Analyse aufgenommen. Um die unterschiedlichen Abstände zwischen den relevanten Erhebungswellen zu berücksichtigten, erfolgte zusätzlich die Bildung von Dummyvariablen für den Abstand zwischen den Erhebungsjahren, in welchen die Sportaktivität mit der 4er-Skala gemessen wurde. Zum größten Teil erfolgt die Erhebung der sportlichen Aktivität mit der interessierenden 4erSkala alle 2 Jahre. Zwischen den Wellen von 1988 und 1992, sowie zwischen den Erhebungsjahren 2001 und 2005, liegt allerdings ein Abstand von 4 Jahren. Der 1-Jahres-Abstand zwischen den Wellen von 1996 auf 1997 fungiert in den berechneten ereignisanalytischen Modellen als Referenzkategorie. Denn die Größe des Befragungsabstandes erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensänderung bis zur Wiederbefragung, sie erhöht aber auch die Gefahr, dass Verhaltensänderungen mehrfach vorkommen und bis zur Wiederbefragung keine Veränderung mehr zu beobachten ist. Je größer der Befragungsabstand, desto wahrscheinlicher sind mehrfache Veränderungen des Sportverhaltens innerhalb des Zeitintervalls. Um dem Rechnung zu tragen, sind bei den folgenden Regressionsberechnungen durchgehend zwei Dummyvariablen konstant gehalten, die in Referenz zu dem Einjahresabstand auf 1 gesetzt sind, wenn der Befragungsabstand zwei bzw. vier Jahre beträgt, und ansonsten auf 0 gesetzt sind. Das Problem des zumeist zweijährigen Befragungsabstands 128
(einmal 1 Jahr, zweimal 4 Jahre, sonst 2 Jahre) ist in dem eventuell mehrfachen Wechsel zu sehen, der aber in den analysierten Extremkategorien der Sportaktivität am seltensten zu erwarten ist (vgl. Tab. 4 + Abb. 12). Tabelle 8: Operationalisierung der zeitkonstanten unabhängigen Variablen in den Analysen mit dem SOEP Variable Definition Variablenname Soziodemographische Variablen Schulbildung Die Schulbildung ist über den höchsten Vpbil erreichten Schulabschluss definiert 1 – Hauptschulabschluss 2 – Realschule, Mittlere Reife oder Fachschulreife, POS 3 – Abitur, Fachhochschulreife, EOS1 Metrisch Gebjahr 0 = Mann 1= Frau Sex
Geburtsjahrgang Geschlecht Technische Variablen Abstand 1 Jahr Dummyvariable, die bei Vorliegen des ge- Erhebj nannten Merkmals mit 1, ansonsten mit 0 codiert ist 0 = kein 1-Jahresabstand 1 = 1-Jahresabstand Abstand 2 Jahre Dummyvariable, die bei Vorliegen des ge- Erhebj nannten Merkmals mit 1, ansonsten mit 0 codiert ist 0 = kein 2-Jahresabstand 1 = 2-Jahresabstand Abstand 4 Jahre Dummyvariable, die bei Vorliegen des ge- Erhebj nannten Merkmals mit 1, ansonsten mit 0 codiert ist 0 = kein 4-Jahresabstand 1 = 4-Jahresabstand 1 Der Abschluss der erweiterten Oberschule (EOS) in der ehemaligen DDR entspricht dem Abitur Quelle: SOEP 1986, 1988, 1990, 1992, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003, 2005, eigene Darstellung
Zur Datenbeschreibung sind im Folgenden die Verteilung der Mittelwerte und prozentualen Anteile der zeitveränderlichen und zeitkonstanten Variablen in Tabelle 9 dargestellt.
129
Tabelle 9: Mittelwerte aller unabhängiger Variablen (episodengesplitteter Datensatz) Variable
Mittelwerte Einstieg
Gesundheitszustand3 Gesundheitsveränderung
Ausstieg 6,70 -0,14
6,71 -0,11
47,29 1948,02 4,76
46,52 1947,69 4,76
4,92 1,41 3,14
4,99 1,37 3,65
3,40 0,06
3,36 0,58
Gelernte Arbeiter1 Ungelernte Arbeiter1 Sonstige Erwerbstätige1
1,40 1,11 0,08
1,07 1,12 0,08
Nichterwerbstätig/Ausbildung1 Kinder unter 6 Jahre im Haushalt1
3,81 0,67
3,80 0,75
Alter Geburtsjahr2 Mann1 Umfang der Erwerbstätigkeit: Vollerwerbstätig1 Teilerwerbstätig1 Nichterwerbstätig1 Berufliche Stellung: Angestellte/Beamte1 Selbstständige1
Berufliche Ereignisse: Berufseinstieg1
0,50
0,52
Berufsausstieg1 Familienstand: Getrennt lebend1
0,70
0,68
0,69
0,65
Verheiratet1 Ledig1 Verwitwet1 Familiäre Ereignisse: Trennung1 Verwitwung1 Heirat1 Schulabschluss: (Fach-)Abitur1 Realschule1 Hauptschule1
6,90 1,38 0,54
6,80 1,45 0,53
0,10 0,10 0,22
0,09 0,08 0,22
5,77 2,31 0,39
1,93 2,27 5,81
Abstand 1 Jahr1
1,25
1,43
Abstand 2 Jahre1 Abstand 4 Jahre1
6,25 2,50
7,14 1,43
Abstand zur letzten Erhebung
1 2 3
Dummyvariable, die bei Vorliegen des genannten Merkmals mit 1, ansonsten mit 0 codiert ist Geburtsjahr wurde 4stellig in die Analysen aufgenommen 11stufige Skala, vgl. Text
Quelle: SOEP (1986, 1988, 1992, 1994, 1996, 1997, 1999, 2001, 2005), eigene Berechnungen
130
3.2.2 Projektdaten: „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ Zur Analyse des Einflusses von gesundheitlichen Einschränkungen auf die Sportaktivität, werden zudem Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben – Alter und Altern in Baden-Württemberg“ herangezogen. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt wurde von den Instituten für Sportwissenschaft der Universitäten Stuttgart und Tübingen, dem Institut für Soziologie der Universität Heidelberg sowie der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg initiiert und im Rahmen des Forschungsprogramms „Sport – Bewegung – Prävention“ von der Landesstiftung Baden-Württemberg im Zeitraum von September 2005 bis August 2007 gefördert. Das Projekt hatte zum Ziel, für die 50- bis 70-jährige baden-württembergische Bevölkerung generalisierbare und umsetzungsrelevante Daten zur Verfügung zu stellen und bestehende Daten- und Forschungsdefizite zumindest für Baden-Württemberg zu verringern. Thematische Schwerpunkte dieser Studie sind Sport und Bewegung sowie Gesundheits- und Lebensstilaspekte – und dies sowohl zum Befragungszeitpunkt als auch aus biographischer Sicht. Alleinstellungsmerkmal des Projektes ist dabei die erstmalige Berücksichtigung retrospektiver Verlaufsdaten innerhalb einer bevölkerungsbasierten repräsentativen Stichprobe der 50bis 70-jährigen Bevölkerung in Baden-Württemberg. Diese spezifische, in sich sehr heterogene Alterskohorte, gewinnt aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland zunehmend an Bedeutung (Wahl und Heyl 2004) und ist Augenzeuge und Träger von Versportlichungstendenzen der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland (Langen 2006: 245ff.; Bohus 1986: 158).
3.2.2.1
Konstruktion des Fragebogens und Pretest
Der Fragenbogen enthält einen ausführlichen retrospektiven Fragenteil zur Erfassung biographischer Angaben zur Sport-, Krankheits-, Familien-, und Migrationsbiographie und ermöglicht somit, die detaillierte Untersuchung des Einflusses der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität unter Berücksichtigung weiterer Lebensumstände. Die über die Biographiefragen erhobenen Ereignisdaten, stehen aufgrund der meist lückenlosen Erfassung der Ereignisgeschichte in der Informationshierarchie über den Pandeldaten (Diekmann und Mitter 1984: 28f.). 131
Insgesamt ist der Fragebogen in drei Hauptblöcke untergliedert: Einstellungs- und Lebensstilfragen, Fragen zum Bewegungs-, Sport- und Gesundheitsverhalten sowie klassische und neuere Sozialstrukturvariablen. Der erste Frageblock beinhaltet 48 kurze Aussagen der Projektgruppe Stuttgart/Tübingen zu den Themen Gesundheit, körperliche Aktivität, Sport und Aussehen im Alter, die von den Probanden mit einer Zahl von 1 („Stimme überhaupt nicht zu“) bis 5 („Stimme voll und ganz zu“) bewertet wurden. Die Aussagen stammen u. a. aus bereits vorhandenen Frageinstrumenten (Endrikat und Tietjens 1995; WZB et al. 1993) und wurden entsprechend dem Fokus „Alter“ modifiziert. Die verwendeten Skalen erforderten besondere Aufmerksamkeit. Da es bei einer telefonischen Befragung nicht möglich ist dem Befragten optische Hilfen zu bieten, ist es notwendig, dass der Fragebogen mit besonderer Sorgfalt entwickelt wird (Schenk 1990: 380) und eine einheitliche, dem Befragten leicht zugängliche Skala verwendet wird.89 Anschließend wurden persönliche Präferenzen der Freizeitgestaltung erhoben. Über diese Fragen sollte der Lebensstil der Probanden evaluiert werden. Dieser Fragebogenteil wurde aus dem Wohlfahrtssurvey 1993 (WZB et al. 1993) übernommen und auf das CATI-Interview angepasst. Der retrospektive Fragebogenteil der Heidelberger Projektgruppe beginnt mit der Erhebung der Partner- und Migrationsbiographie. Durch den Einstieg über diese relativ leicht zu erinnernden Angaben sollte es den Probanden erleichtert werden, Verknüpfungen zwischen wichtigen Lebensereignissen und der Sportbiographie, die im Anschluss erhoben wurde, herzustellen.90 Im sportbiographischen Frageblock sind u.a. Art, wöchentlicher Umfang, Beginn und Ende und ggf. Unterbrechungen sowie Organisationsgrad (z.B. Vereinssport) und Wettkampfteilnahmen von bis zu 15 89 Da Befragte mit unipolaren Skalen besser umgehen können als mit bipolaren Skalen (Wüst 1998: 29), hat sich die Projektgruppe dafür entschieden innerhalb des gesamten Fragebogens an den entsprechenden Stellen die unipolare fünfstufige Skala von 1 „ stimme voll und ganz zu“ bis 5 „stimme überhaupt nicht zu“ zu verwenden. 90 Vorangehende Fragen können hier als sog. „cues“ wirken und gezielt eingesetzt werden, um die Informationssuche bezüglich der nachfolgenden Fragen zu erleichtern (Künemund 2001: 37). Häufig werden zentrale (persönliche oder gesellschaftliche) biographische Ereignisse als Erinnerungsstütze (z.B. Hochzeit) herangezogen (Reimer 2001: 59; Shum 1998: 423). Da in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden kann, dass partnerschaftsbezogene Daten (wie z.B. das Heiratsjahr) sowie Wohnortwechsel von Männern und Frauen relativ gut erinnert werden, erfolgt die Abfrage partnerschaftsbezogener Daten und der Migrationsbiographie vor der Sportbiographie. Auriat (1993) konnte belegen, dass sich die Datierungsgenauigkeit verbessern lässt, indem man Verbindungen zu parallel stattfindenden Ereignissen herstellt (Auriat 1993: 166).
132
im bisherigen Leben ausgeübten Sportarten erfasst.91 Des Weiteren erfolgte eine Erfassung der zum Befragungszeitpunkt ausgeübten körperlichen Aktivitäten, die auch die für die Altersgruppe der 50- bis 70Jährigen relevanten nicht-sportlichen Aktivitäten, wie z. B. Hausarbeit, Gartenarbeit oder spazieren gehen, berücksichtigen. Die Struktur dieses Frageblocks wurde vom Minnesota Leisure Time Physical Activity Questionnaire (MLTPAQ) abgeleitet (Taylor et al. 1978). Den Abschluss des thematischen Kerns des Fragebogens, bilden Fragen zum aktuellen Gesundheitszustand sowie zur Gesundheitsbiographie. Nach der Erhebung des Fitnesszustandes sowie der subjektiven Gesundheit zum Befragungszeitpunkt, erfolgt die Erfassung von Daten zu kardiovaskulären und orthopädischen Erkrankungen sowie zu medizinischen Risikofaktoren. Anschließend sind Daten zum persönlichen Gesundheitsverhalten, wie z. B. Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum erfragt. Wo es möglich war, wurde bei der Konstruktion des gesamten Fragebogens auf bereits validierte Instrumente – wie Telefonischer BundesGesundheitssurvey 2003 (GSTel), Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS 98) oder Allbus 2004 – zurückgegriffen. Teilweise mussten jedoch bereits validierte Fragen entsprechend der speziellen Forschungsinteressen leicht modifiziert bzw. ergänzt werden. In diesem Fall wurden zusätzlich Experten der jeweiligen Fachgebiete konsultiert und um die Evaluierung und Optimierung der entwickelten Fragen gebeten.92 Der Fragebogen schließt mit der Erfassung der Soziodemographika. Hier wurde die Standarddemographie des statistischen Bundesamtes (Arbeitskreis deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute, Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftlicher Institute 2004) verwendet und teilweise um Fragen nach spezifischen Ereignissen, wie z. B. dem Jahr des Schulabschlusses, erweitert. Aufgrund der vielfältigen Analysemöglichkeiten durch die Erfassung von Retrospektivdaten, kommt die Datenstruktur dieser Studie dem Design einer lebenslangen Längsschnittstudie sehr nahe. Eine Übersicht der 91 Da es zudem als belegt gilt, dass die Erinnerung besser ist wenn das zeitlich letzte Ereignis zuerst abgefragt wird (Künemund 2001: 37), wurde beispielsweise bei der Erfassung der Sportbetätigung erst nach der aktuellen Sportaktivität bzw. nach dem Ende der Ausübung einer Sportart und anschließend nach der Aufnahme der Sportaktivität gefragt (vgl. Programmierung im Anhang). 92 Die Fragen zum Tabakkonsum wurden von einem Experten des Deutschen Krebsforschungsinstituts (DKFZ) der Abteilung Tabakprävention überprüft und weiterentwickelt. Die Überprüfung und Modifizierung der Frageblocks zur Gesundheitsbiographie erfolgte durch zwei Oberärzte der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg.
133
im Fragebogen aufgenommenen Themen liefert Tabelle 10. Der komplette Fragebogen kann im Anhang eingesehen werden.93 Tabelle 10: Die wichtigsten Themen der Studie „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ 1. Sport / körperliche Aktivität
- aktuelle Sportaktivitäten - aktuelle körperliche Aktivitäten - sportliche Voraussetzungen des personalen Umfelds - Settings - Motive 2. Biographie - Sport - Gesundheit - Lebenspartner - Migration 3. Körperliche Gesundheit - aktueller Gesundheitszustand - Fitnesszustand - Sportunfallverletzungen - Behinderungen - kardiovaskuläre Erkrankungen - orthopädische Erkrankungen - andere chronische Erkrankungen 4. Persönliche Meinung - Gesundheit - Alter - Sport - Körper und Aussehen 5. Lebensstil - Freizeitaktivitäten - Musik - Fernsehen - Literatur - Zeitung - Zeitschriften 6. Risikofaktoren - Alkoholkonsum - Tabakkonsum - Ernährung - Stress/berufliche Belastung Quelle: Aktives Leben in Baden-Württemberg 2006, eigene Zusammenstellung
Um den entwickelten Fragebogen an einer kleinen Stichprobe auf die Praktikabilität zu testen, wurde im Februar und März 2006 ein Pretest der eigentlichen Feldphase vorgeschaltet. Dabei standen die Kalkulation der 93 Die Fragen zur Sport-, Gesundheits-, Familien- und Migrationsbiographie sowie die Fragen zu medizinischen Risikofaktoren und beruflichen Belastungen wurden in Heidelberg entworfen und werden in erster Linie von der Heidelberger Projektgruppe ausgewertet.
134
Interviewdauer, die Überprüfung der Fragen auf Verständlichkeit sowie die Kontrolle der Antwortvorgaben auf Vollständigkeit im Vordergrund. Zusätzlich wurden den Interviews, einige speziell für den Pretest entwickelte Fragen, zur Bewertung des Fragebogens angehängt. Die Stichprobe des Pretests wurde, einem dem Altersbereich der Hauptstudie entsprechenden, regionalen Kollektiv entnommen. Neben dem Alter wurde ebenso auf eine gleichmäßige Verteilung von Geschlecht und Schulbildung geachtet. Der Pretest wurde in zwei Durchgängen durchgeführt. Nach dem ersten Teil des Pretests wurde der Fragebogen überarbeitet, zeiteffizienter gestaltet sowie einer Überprüfung durch ZUMA94 unterzogen. Insgesamt wurden 47 Pretest-Interviews durchgeführt. Für die Netto-Befragungszeit, also die Dauer ohne Bewertungsfragen, ergab sich bei den ersten Interviews ein durchschnittlicher Wert von 38:49 ± 04:58 Minuten. In der zweiten Hälfte des Pretests wurde eine durchschnittliche Interviewdauer von 33:39 ± 08:05 Minuten erreicht. Nach der Auswertung der zusätzlich gestellten Pretestfragen zeigte sich, dass nahezu alle Probanden den Fragebogen verständlich formuliert fanden. 38% der Probanden gaben an, dass das Interview vom zeitlichen Umfang her angemessen sei und der Großteil der Probanden empfand die Fragen als nicht zu persönlich und schätzten die Befragung als überdurchschnittlich interessant ein. Auch die retrospektiven Fragen bereiteten den meisten Probanden keine größeren Probleme.
3.2.2.2
Stichprobenziehung nach dem Gabler-HäderVerfahren
In den letzten Jahrzehnten hat sich der Anteil der im Telefonbuch nicht eingetragenen Privathaushalte beträchtlich erhöht. Da die Nichteintragungen systematischen Charakter haben, ist das Telefonbuch als Auswahlgrundlage in jüngerer Zeit für telefonische Befragungen nicht mehr geeignet (Deutschmann und Häder 2002: 75; Gabler und Häder 1997a). Gabler und Häder (Gabler und Häder 1997b) entwickelten aufgrund dieser fehlenden Passung ein neues, inzwischen etabliertes Design für eine Auswahlgrundlage, in welcher auch nicht eingetragene Telefonnummern berücksichtigt werden (Heckel 2002: 14; Gabler und Schürle 2002: 59). Das Grundprinzip des so genannten Gabler-Häder-Verfahrens besteht da94 Zentrum für Umfragen, Methoden und Analyseverfahren (Mannheim)
135
rin, aus den öffentlich zugänglichen Nummern eine Liste aller vorhandenen Festnetzanschlüsse zu erstellen und auf dieser Basis diejenigen Nummern zu generieren, die nicht in das Telefonverzeichnis eingetragen sind (Heckel 2002: 14f.; Kohler et al. 2005: 32).95 Die Stichprobenziehung nach diesem Verfahren erfolgt in mehreren Schritten. In einem ersten Schritt werden alle Service-Nummern, TelefaxNummern sowie alle doppelt eingetragenen Nummern und alle Bindestrichnummern gelöscht. Auf der Basis dieser restlichen Nummern erfolgt dann die Generierung von neuen potentiellen Telefonnummern (Kohler et al. 2005: 32). Hierzu werden auf der Grundlage der eingetragenen Nummern so genannte Blocks gebildet (Heckel 2002: 14). Als Blocks bezeichnet man „lange Abschnitte in der Folge der natürlichen Zahlen der Länge L“ (Gabler und Häder 1997a: 9).96 Diese stellen eine Menge von Ziffernfolgen dar, die mit Telefonnummern identisch sein können, aber nicht müssen (Gabler und Häder 1997a: 9). Im Anschluss an die Blockbildung werden die letzten beiden Stellen der eingetragenen Nummern durch die Zahlen „00“ bis „99“ ersetzt (Heckel 2002: 14; Kohler et al. 2005: 32). Dieser neu generierte Nummernpool enthält folglich neben eingetragenen Nummern auch generierte Nummern und bildet so den Auswahlrahmen für die zu ziehende Telefonstichprobe (Heckel 2002: 14). Enthalten sind in dieser Auswahlgrundlage alle Festnetznummern, die in einem Nummernblock liegen, der mindestens durch einen Eintrag definiert werden konnte (von der Heyde 2002: 34). Bei diesem Verfahren können lediglich, die Haushalte nicht erreicht werden, die eine nicht eingetragene Rufnummer haben, welche nicht einem bereits vorhandenen Block zugeordnet werden kann (Heckel 2002: 15). Die Anzahl dieser Nummern wird jedoch als vernachlässigbar klein eingestuft (Heckel 2002: 15; Kohler et al. 2005: 32). In einem letzten Schritt erfolgt (auf der Grundlage des generierten Nummernpools) über ein zweistufiges Verfahren die Auswahl des Haushaltes und der Zielperson (Kohler et al. 2005: 32; Frey und Oishi 1995: 61). Die Auswahl des Haushaltes erfolgt über die Ziehung der Zufallsstichprobe und die zu interviewende Person innerhalb des Haushaltes 95 In der vorliegenden Untersuchung erfolgt jedoch eine Beschränkung auf Festnetznummern, da der Anteil der Personen, die nur über Mobilfunk zu erreichen sind, bei den Über50-Jährigen mit 3,6% extrem gering ist (Grund 2002: 114). 96 Die Blöcke, die den Auswahlrahmen für die Ziehung der Telefonstichproben bilden, haben sich in den letzten Jahren stark erhöht. Gabler und Schürle (2002) berechneten beispielsweise für den Zeitraum von April 1999 bis April 2001 eine Steigerung der Blockzahl um ca. 25% (Gabler und Schürle 2002: 63).
136
wird über die Frage nach der Person, die als letztes oder als nächstes Geburtstag hat, ermittelt. Aufgrund von früheren Ergebnissen, die besagen, dass bereits gefeierte Geburtstage besser erinnert werden können als noch ausstehende Geburtstage (Frey und Oishi 1995: 61), erfolgte in der durchgeführten Baden-Württemberg-Befragung die Personenauswahl innerhalb des Haushaltes nach der „last birthday method“. Das heißt, wenn mehrere potentielle Zielpersonen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren im Haushalt leben, wird die Person, die als letztes Geburtstag hatte, interviewt. Mit der Methode des Geburtstagsschlüssels kann vermieden werden, dass das Interview immer mit der Person durchgeführt wird, die gerade ans Telefon geht. Da Frauen deutlich häufiger ans Telefon gehen wird durch dieses Verfahen eine deutliche Überrepräsentanz von befragten Frauen vermieden (Schulte 1997: 159; Frey und Oishi 1995: 61).
3.2.2.3
Datenerhebung
Von Mai bis Oktober 2006 wurden insgesamt 2.002 Telefoninterviews von den Mitarbeitern des CATI-Labors der Technischen Universität Chemnitz durchgeführt.97 Während der standardisierten Datenerhebung war stets ein Supervisor zur Unterstützung der Interviewer und Kontrolle der Datenerhebungssituation anwesend. Da den Interviewern bei der Erhebung von retrospektiven Daten zusätzlich die Aufgabe zukommt, auf die Lückenlosigkeit sowie die Konsistenz der Angaben zu achten, war die Anwesenheit eines Supervisors dringend erforderlich (Tölke 1982: 50f.; Becker 2001: 31). Trotz dieser, mit der zusätzlichen Erhebung von Retrospektivdaten in Zusammenhang stehenden Anforderungen, wurde die Entscheidung für die telefonische Datenerhebung innerhalb des Projektes vor allem aufgrund der positiven Kosten-Nutzen-Relation getroffen (Kohler et al. 2005: 37; Schnell 1997). Insgesamt fallen bei telefonischen Interviews im Vergleich zu persönlichen Befragungen geringere Kosten an und zusätzlich sind diese in der Regel flexibel und vergleichsweise schnell zu realisieren (Diekmann 2001: 436; Schnell 1997). Dazu kommt, dass telefonische Befragungen durch die zentrale Durchführung der Interviews unter Aufsicht eines Supervisors, eine Konstanthaltung der Erhebungssituation ermöglichen (Kohler et al. 2005: 29; Diekmann 2001: 436) und Fälschungen 97 Das Telefonlabor ist mit der Software "The Survey System" ausgestattet und verfügt über sechs Interviewerplätze sowie einen Supervisorenplatz.
137
weitgehend auszuschließen sind (Diekmann 2001: 436). Nicht zu unterschätzen sind zudem die technischen Vorteile der computergestützten telefonischen Befragung, wie die Möglichkeit des Rotierens von Antwortvorgaben, das Programmieren einer komplexen Filterführung in Abhängigkeit von vorangegangenen Antworten (Wüst 1998: 8; Diekmann 2001: 436) und das problemlose Durchführen erster Konsistenzchecks während der Datenerhebung (Diekmann 2001: 436). Dass das Telefon als Befragungsinstrument insbesondere dann besser geeignet ist als persönliche Befragungen, wenn es sich um sensible Fragen (wie z.B. Alkoholkonsum) handelt, hat sich bereits in früheren Untersuchungen gezeigt (Cockerham et al. 1990: 407).98 Die Interviews wurden zu Beginn der Feldzeit von Montag bis Freitag in der Zeit zwischen neun und 21 Uhr durchgeführt. Später telefonierten die Interviewer aufgrund der besseren Erreichbarkeit der Zielpersonen nur noch zwischen 13 und 21 Uhr.99 Die Studienteilnehmer wurden vor Beginn des Interviews über den Zweck der Befragung, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die anonyme Verarbeitung der erhobenen Daten aufgeklärt. Im Durchschnitt dauerte ein Interview ca. 33 Minuten. Allerdings variierte die Dauer erheblich in Abhängigkeit von der Lebenssituation der Befragten. Für Personen mit vielen chronischen Erkrankungen oder einer ausgeprägten Sportbiographie, dauerte die Befragung deutlich länger, als bei in Gegenwart und Vergangenheit gesunden und sportabstinenten Personen. Es hat sich jedoch in früheren Untersuchungen gezeigt, dass telefonische Interviews bis zu einer Länge von 45 Minuten nicht mit bedeutenden Problemen einhergehen (Diekmann 2001: 431). Ein weitaus größeres Problem stellte die im Erhebungszeitraum stattfindende Fußballweltmeisterschaft in Deutschland dar. Die Bevölkerung zeigte wegen dieses sportlichen Großereignisses eine deutlich geringere Teilnahmebereitschaft, woraus eine erhöhte Verweigerungsquote und infolge dessen, eine Verlängerung der Feldphase resultierte.
98 Da der Fragebogen einige sensible Fragen dieser Art enthält, kann vermutet werden, dass der Anteil der fragespezifischen Verweigerungen (Item-Nonresponse) durch diese Form der Datenerhebung verringert werden konnte. 99 Aus versicherungstechnischen Gründen konnten im Telefonlabor der TU Chemnitz an Wochenenden keine Interviews durchgeführt werden.
138
3.2.2.4
Externe Validierung und Repräsentativität
Die erzielte Ausschöpfungsquote100 der Studie liegt bei 21,23%. Erklärbar ist diese vergleichsweise geringe Ausschöpfungsquote mit der relativ schwer zu befragenden Zielgruppe der 50- bis 70-Jährigen. Zudem war, wie bereits erwähnt, die Verweigerungsquote während der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stark erhöht. Vermutlich wurde die Ausschöpfungsquote, speziell in dieser Zeit, noch zusätzlich dadurch negativ beeinflusst, dass eine Vielzahl der angerufenen Personen sofort abblockte und/oder nicht bereit war Angaben zum Vorhandensein von Zielpersonen im Haushalt zu machen. In solchen Fällen mussten aufgrund der fehlenden Information zu potentiell im Haushalt lebenden Zielpersonen diese Nummern, zum Teil irrtümlicherweise, den systematischen Ausfällen zugeordnet werden. Dies könnte zum Teil die geringe Ausschöpfungsquote erklären.101 Allgemein erhöhen sinkende Ausschöpfungen zwar das Risikopotential für das Entstehen eines Bias (Porst et al. 1998: 6; Koch 1997; Koch 1998; Schnell 1997), allerdings kann eine niedrige Ausschöpfungsquote nicht generell mit einer geringen Datenqualität gleichgesetzt werden (Latza et al. 2004: 334; Koch 1998; Porst et al. 1998; Pötschke und Mül100 Für die Berechnung der Ausschöpfungsquote existiert bisher noch keine einheitliche Definition (Schnell 1997: 19). Im Allgemeinen ist, um die Ausschöpfungsquote zu berechnen, zwischen stichprobenneutralen und nicht-stichprobenneutralen Ausfällen zu unterscheiden. Als neutrale Ausfälle wurden in dieser Studie alle Ausfälle definiert, bei denen trotz Erreichen der maximalen Zahl von Anrufen kein Kontakt hergestellt werden konnte. Auch Haushalte, in denen keine Zielperson zwischen 50 und 70 Jahren lebt, die Zielperson der deutschen Sprache nicht mächtig ist, die Rufnummer zu einem Haushalt außerhalb Baden-Württembergs gehört oder die Nummern, vom Teilnehmer anscheinend ausschließlich technisch genutzt (Fax, Modem) werden, wurden den neutralen Ausfällen zugeordnet. Als systematische Ausfälle gehen dagegen Verweigerungen und Abbrüche in die Berechnung ein. Da stichprobenneutrale Ausfälle bei der Berechnung der Ausschöpfungsquote nicht zu berücksichtigen sind, werden in einem ersten Schritt von der Ausgangsstichprobe (Ausgangsbrutto) die stichprobenneutralen Ausfälle subtrahiert. Das Ergebnis dieser Subtraktion wird gleich 100% gesetzt. Dieses so berechnete Stichprobennetto wird auch als bereinigte Stichprobe bezeichnet (Porst et al. 1998: 5; Schnell 1997: 23). Die Ausschöpfungsquote berechnet sich dann in einem nächsten Schritt, indem die Zahl der durchgeführten Interviews zu dem Stichprobennetto ins Verhältnis gesetzt wird (Schnell 1997: 19; Porst et al. 1998: 5). 101 Bei Befragungen der allgemeinen Wohnbevölkerung ab 18 Jahren besteht dieses Problem nicht in diesem Ausmaß, da selbst bei sofortigem Abbruch des Telefonats durch die Kontaktperson davon ausgegangen werden kann, dass eine Zielperson im Haushalt lebt und es sich somit aller Wahrscheinlichkeit nach um einen systematischen Ausfall handelt.
139
ler 2006: 84). Und inwieweit eine möglichst hohe Ausschöpfung tatsächlich sinnvoll ist, wenn unter massiven Einsatz von Maßnahmen zur Erhöhung der Ausschöpfungsquote auch noch „der letzte Befragte mit Gewalt“ zum Interview gebracht wird, ist eine andere Frage. Wenn nämlich der Einsatz dieser Maßnahmen zwar die „nonresponse rate“ reduziert, gleichzeitig aber Verzerrungen der Ergebnisse fördert, können sie unter dem Gesichtspunkt der Qualität von Umfragen sogar kontraproduktiv wirken (Porst et al. 1998). Dagegen kann der Bias auch bei geringer Ausschöpfungsquote, wenn die Ausfälle weitgehend zufällig erfolgen, klein sein (Koch 1997; Koch 1998; Porst et al. 1998). Die Teilnehmer würden sich dann nicht oder nur sehr geringfügig von den Nichtteilnehmern unterscheiden und würden somit lediglich eine Zufallsstichprobe aus der Ausgangsstichprobe darstellen. Eine sinkende Ausschöpfung würde in diesem Fall lediglich zu einem größeren Standardfehler führen (Porst et al. 1998: 6). Die Gefahr der Stichprobenverzerrung (Nonresponse-Bias) besteht dagegen, wenn sich die Ausfälle nicht zufällig über die Zielpopulation verteilen (Koch 1997; Koch 1998). Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass die Ausschöpfungsquote nur ein Merkmal unter anderen für die Qualität einer Umfrage ist (Porst et al. 1998) und die Konzentration auf diese, in erster Linie auf ihre objektive Messbarkeit zurückzuführen ist (Porst et al. 1998). Zudem kann, da der Nonresponse-Bias eine merkmalsspezifische Größe ist, bei schlechter Ausschöpfung (aber auch bei guter Ausschöpfung) hinsichtlich eines Merkmals eine deutliche Verzerrung bestehen, während bei einem anderen Merkmal die Umfrage dagegen weitgehend unverzerrt sein kann (Koch 1998). Ein großes Problem bei der Messung des Nonresponse-Bias besteht vor allem darin, dass Informationen über Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern meist nicht vorliegen (Koch 1998). In der Praxis kontrolliert man deshalb die Stichprobe ersatzweise darauf, wie gut die Verteilung einzelner ausgewählter Variablen mit amtlichen oder ähnlichen Daten übereinstimmt (Alt und Bien 1994). Um die tatsächliche Höhe des Nonresponse-Bias einiger soziodemographischer Merkmale zu erfassen, wurde im Rahmen der Datenkontrolle auch ein Vergleich der Randverteilung der Projektdaten mit amtlichen Daten (Mikrozensus 2004) hinsichtlich der Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung durchgeführt.102 Die für diese externe Validierung 102 Die Datenqualität kann als hoch eingeschätzt werden, wenn sich Teilnehmer und NichtTeilnehmer nicht systematisch unterscheiden (Latza et al. 2004: 334).
140
herangezogenen Daten wurden für das entsprechende regionale Kollektiv (50- bis 70-jährige Baden-Württemberger) von ZUMA ermittelt und der Autorin für die Analysen zur Verfügung gestellt. In Tabelle 11 ist der Vergleich der Mikrozensusdaten mit den Projektdaten für die Variable ‘Alter’ wiedergegeben. Die Altersverteilungen innerhalb der beiden Vergleichsgruppen entsprechen sich nicht; Personen der beiden jüngeren Altersgruppen sind im Vergleich zu der Verteilung im Mikrozensus überrepräsentiert (vgl. Tab 11). Tabelle 11: 50- bis 70-jährige Baden-Württemberger im ungewichteten Gesamtdatensatz und im Mikrozensus in % nach Altersgruppen
Alter Bezugsjahr
Ungewichteter Gesamtdatensatz1
2006
Amtliche Daten2 2004
50 bis 54 Jahre
28,9
25,1
55 bis 59 Jahre
26,1
21,6
60 bis 64 Jahre
18,4
25,2
65 bis 70 Jahre
26,7
28,0
Quellen: 1 „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ 2006 2 Mikrozensusdaten 2004, eigene Berechnungen
Bezüglich der Schulbildung werden beim Vergleich mit den amtlichen Daten die stärksten Verzerrungen sichtbar. Während im Mikrozensus 50,4% Hauptschulabsolventen teilnahmen liegt der Anteil der Hauptschulabsolventen in den Daten des Projekts „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ lediglich bei 40,9%. Analog dazu weichen auch die Werte für die anderen beiden Bildungsgruppen von den Werten der für die entsprechende baden-württembergische Altersgruppe ermittelten Mikrozensusdaten ab (vgl. Tab. 12).
141
Tabelle 12: 50- bis 70-jährige Baden-Württemberger im ungewichteten Gesamtdatensatz und im Mikrozensus in % nach Bildung
Schulbildung Bezugsjahr
Ungewichteter Gesamtdatensatz1 2006
Amtliche Daten2 2004
Hauptschule
40,9
50,4
Realschule
28,6
24,6
(Fach-)Abitur
30,5
25,0
Quellen: 1 „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ 2006 2 Mikrozensusdaten 2004
Beim Vergleich der Geschlechterverteilung werden ebenfalls Abweichungen der Projektdaten von den amtlichen Daten sichtbar. Ungefähr 5% mehr Frauen als im Mikrozensus von 2004 haben an der Befragung „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ teilgenommen (vgl. Tabelle 13), d.h. auch Frauen sind dementsprechend in den ungewichteten Projektdaten überrepräsentiert. Tabelle 13: 50- bis 70-jährige Baden-Württemberger im ungewichteten Gesamtdatensatz und im Mikrozensus in % nach Geschlecht
Geschlecht Bezugsjahr
Ungewichteter Gesamtdatensatz1 2006
Amtliche Daten2
2004
Frauen
57,6
51,5
Männer
42,4
48,5
Quellen: 1 „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ 2006 2 Mikrozensusdaten 2004
142
Die Überrepräsentanz von höher gebildeten Personen (Röckel-Wiedmann et al. 2002: 315), Frauen und jüngere Personen (Blasius und Reuband 1995) in telefonischen Umfragen ist bereits aus früheren Studien bekannt. Um diese auch in erhobenen Projektdaten festgestellten Verzerrungen auszugleichen, erfolgt eine Gewichtung nach Alter, Geschlecht und Schulbildung (eine ausführliche Beschreibung der durchgeführten Gewichtung erfolgt in Abschnitt 3.2.2.5).
3.2.2.5
Gewichtung der Daten
Aufgrund der beim Abgleich mit den amtlichen Daten festgestellten Verzerrungen hinsichtlich der zentralen soziodemographischen Variablen Alter, Bildung und Geschlecht (vgl. Abschnitt 3.2.2.4), wurde in Zusammenarbeit mit ZUMA ein entsprechender Gewichtungsfaktor generiert. Hierzu erfolgte in einem ersten Schritt eine theoretisch-statistische Gewichtung aufgrund der bekannten Auswahlwahrscheinlichkeit (Designgewichtung). Die Designgewichtung ergibt sich aus der Anlage des Stichprobendesigns. Da es in der Umfragepraxis häufig vorkommt, dass Personen mit ungleichen Auswahlwahrscheinlichkeiten in die Stichprobe gelangen, soll mit der Designgewichtung (GWdi) diese ungleiche Auswahlwahrscheinlichkeit ausgeglichen werden. Die Auswahlwahrscheinlichkeit für die einzelnen Personen, ist abhängig von der Anzahl der Zielpersonen im Haushalt und der Anzahl der privat genutzten Festnetzanschlüsse. Haushalte mit mehreren Rufnummern haben eine erhöhte Auswahlwahrscheinlichkeit und in Haushalten mit mehreren potentiellen Zielpersonen verringert sich die Auswahlwahrscheinlichkeit für die einzelnen Haushaltsmitglieder. Diese erhöhte Auswahlwahrscheinlichkeit von Haushalten mit mehreren potentiellen Zielpersonen, kann durch ein Dividieren der Anzahl der im Haushalt lebenden deutschsprachigen Zielpersonen zwischen 50 und 70 Jahren durch die Anzahl der privat genutzten Festnetzanschlüsse kompensiert werden (Kohler et al. 2005: 49; Kohler und Ziese 2004: 8; Glemser 2002).
GWd i
AEPHHi ATHHi
AEPHHi = Anzahl der erwachsenen Personen im Privat-Haushalti ATHHi = Anzahl der privat genutzten Festnetzanschlüsse im Haushalti
143
Da sowohl die Anzahl der potentiellen Befragungspersonen, als auch die Angaben zu den Anschlüssen im Haushalt fehlerbelastet sein können, hat sich nach mehreren Testungen die Wurzeltransformation der aufgeführten Formel bewährt (Kohler et al. 2005: 49). Zusätzlich fließt in die Designgewichtung noch die Größe der Stichprobe ein (Kohler et al. 2005: 50). Jedem realisierten Interview wird eine, auf der Grundlage dieser Formel ermittelten Auswahlwahrscheinlichkeit zugewiesen (Gabler und Häder 1997b: 18).
AEPHH i u ATHH i
GWd * i
n
¦
AEPHH i ATHH i
Auf der Grundlage des in Abschnitt 3.2.2.4 durchgeführten Abgleichs der Projektdaten mit den Mikrozensusdaten wird sichtbar, dass in der durchgeführten telefonischen Befragung Frauen, höher gebildete Personen und jüngere Personen überrepräsentiert sind (vgl. Abschnitt 3.2.2.4). Aus diesem Grund ist in einem zweiten Schritt eine zusätzliche Anpassungsgewichtung (Redressment) der basalen Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung an die Verteilung der (länderbezogenen) Mikrozensusdaten von 2004 erforderlich (Diekmann 2001: 365; Gabler und Häder 2002). Zur Vermeidung zu geringer Besetzungen in den einzelnen Gewichtungszellen, erfolgte für die Durchführung der Anpassungsgewichtung eine Unterteilung der metrischen Variable Alter in vier Kategorien. Anschließend wurde auf der Grundlage dieser dreidimensionalen Verteilung nach den Merkmalen Alter, Bildung und Geschlecht (4*3*2) Gewichtungszellen konstruiert. Die Redressmentgewichtung ergibt sich somit zusammenfassend aus folgender Formel:
GWri
pi
ABG
pi
soll
ABG
ist
piABG soll = Relative Zellbesetzung der Kombination aus den Merkmalen Alter, Bildung und Geschlecht in der baden-württembergischen 50- bis 70-jährigen Bevölkerung. piABG ist = Relative Zellbesetzung der Kombination aus den Merkmalen Alter, Bildung und Geschlecht in der designgewichteten Stichprobe. (Kohler et al. 2005: 50)
Bei dieser Gewichtung auf Personenebene wird die Haushaltsgewichtung (Designgewichtung) als Eingangsfaktor verwendet (Glemser 2002: 54) 144
und das für die Auswertung verwendete Endgewicht ergibt sich dann als Produkt der Designgewichtung und der Redressmentgewichtung: GEWi = GWdi * GWri Nach der Gewichtung der Daten entspricht die Verteilung hinsichtlich der basalen Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung der Verteilung für die 50- bis 70-jährigen Baden-Württemberger im Mikrozensus und kann somit hinsichtlich dieser zentralen Merkmale als repräsentativ bezeichnet werden.
3.2.2.6
Operationalisierungen der Variablen der Studie „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“
Im Folgenden wird die Operationalisierung für die in die Untersuchung aufgenommenen Variablen dargestellt. Die Datenaufbereitung und Operationalisierung der Variablen entspricht der Datenaufbereitung bei Klein (2008). Die abhängigen Variablen, sowie die zeitveränderlichen und zeitkonstanten unabhängigen Variablen, werden jeweils in separaten Unterabschnitten dargestellt. Die zur Bildung der Variablen herangezogenen Originalvariablen sind über die Variablencodes jeweils in der letzten Spalte, der am Ende der jeweiligen Abschnitte dargestellten Tabelle aufgelistet und der genaue Wortlaut der Frage kann in der Programmierung des Fragebogens (Anhang B) eingesehen werden.
Abhängige Variablen Zu den Kernelementen der Studie gehört eine retrospektive Erfragung der Sportaktivität über den gesamten Lebenslauf, inklusive einer jahresgenauen Erfassung des Beginns, des Endes und ggf. der Unterbrechungen von bis zu 15, im bisherigen Leben, ausgeübten Sportarten. Kriterium für die Ausübung einer Sportart ist, dass sie „mindestens einmal pro Woche“ und „mindestens eine Jahreszeit lang“ außerhalb des Schulsports betrieben wurde. Die im Laufe des Lebens jemals praktizierten Sportarten sind offen abgefragt – ausgenommen die folgenden fünf Sportarten: „Laufen/Joggen“, „intensives Wandern/(Nordic) Walking“, „intensives Fahrradfahren“, „Ausdauertraining an Geräten (Heimtrainer, Ergometer, Spinning)“ und „Bahnenschwimmen“. In den nachfolgend präsentierten 145
Ergebnissen gilt eine Person als sportlich aktiv, wenn sie in dem entsprechenden Lebensjahr mindestens eine Sportart praktiziert hat. Sportaktivitäten, wie z.B. Angeln und Dart, wurden aufgrund ihrer geringen Bewegungsintensität bei der Bildung der abhängigen Variablen nicht berücksichtigt.103 Die abhängigen Variablen Sporteinsteiger und Sportaussteiger sind auf Verhaltensänderungen zwischen mindestens wöchentlicher und seltenerer Sportaktivität bezogen. Wenn eine Person, ausgehend vom vorangehenden Kalenderjahr, von einer seltener als wöchentlich ausgeübten Sportaktivität, zu einer mindestens wöchentlich ausgeübten Sportaktivität übergeht, wird diese Person als Sporteinsteiger bezeichnet. Im Fall der Verringerung einer mindestens wöchentlichen sportlichen Aktivität auf eine seltener ausgeübte Sportaktivität im Vergleich zum Vorjahr, wird die Person dementsprechend als Sportaussteiger bezeichnet (vgl. Tab. 14). Tabelle 14: Operationalisierung der abhängigen Variable in den Analysen mit den Daten „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ Variable
Definition
Sporteinsteiger
Aufnahme der regelmäßigen sportlichen Aktivität (gemessen am jeweiligen Vorjahr) 1- ja 0- nein
Variablennamen
Q108, Q109, Q110, Q121, Q122, Q123, Q134, Q135, Q136, Q147, Q148, Q156, Q160, Q168, Q169, Q180, Q181, Q182, Q194, Q195, Q196, Q207, Q208, Q216, Q220, Q228, Q229, Q240, Q241, Q242, Q253, Q254, Q255, Q266, Q267, Q268, Q279, Q280 Sportaussteiger Aufgabe der regelmäßigen sportlichen Q108, Q109, Q110, Aktivität (gemessen am jeweiligen Q121, Q122, Q123, Vorjahr) Q134, Q135, Q136, 1- ja Q147, Q148, Q156, 0- nein Q160, Q168, Q169, Q180, Q181, Q182, Q194, Q195, Q196, Q207, Q208, Q216, Q220, Q228, Q229, Q240, Q241, Q242, Q253, Q254, Q255, Q266, Q267, Q268, Q279, Q280 Quelle: „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg 2006, eigene Darstellung
Q111, Q124, Q144, Q157, Q170, Q183, Q204, Q217, Q230, Q243, Q256, Q276,
Q112, Q132, Q145, Q158, Q171, Q184, Q205, Q218, Q231. Q244, Q264, Q277,
Q120, Q133, Q146, Q159, Q172, Q193, Q206, Q219, Q232, Q252, Q265, Q278,
Q111, Q124, Q144, Q157, Q170, Q183, Q204, Q217, Q230, Q243, Q256, Q276,
Q112, Q132, Q145, Q158, Q171, Q184, Q205, Q218, Q231. Q244, Q264, Q277,
Q120, Q133, Q146, Q159, Q172, Q193, Q206, Q219, Q232, Q252, Q265, Q278,
103 Aus inhaltlichen Gründen sind in den Analysen von Klein (2008) zusätzlich Entspannungssportarten wie z.B. Qui Gong und Tai Chi ausgeschlossen (vgl. Klein 2008).
146
Zeitveränderliche unabhängige Variablen Die zentralen zeitveränderlichen unabhängigen Variablen sind das Vorliegen von Erkrankungen in der vorangehenden Episode bzw. dem vorangehenden Kalenderjahr. Wobei hier unterschieden wird zwischen medizinischen Risikofaktoren, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und orthopädischen Erkrankungen. Für die Erhebung von Erkrankungen und Risikofaktoren wurden die Probanden gefragt: „Wurde bei Ihnen jemals durch einen Arzt eine der folgenden Krankheiten diagnostiziert?“ In die Kategorie der medizinischen Risikofaktoren fallen die erhobenen Erkrankungen Hypertonie, erhöhte Cholesterinwerte sowie Diabetes mellitus. Wenn die befragte Person in der vorangehenden Episode unter mindestens einem medizinischen Risikofaktor litt, wird der Variable medizinische Risikofaktoren der Wert 1 und andernfalls der Wert 0 zugewiesen. Nach dem gleichen Prinzip sind ebenfalls die Variablen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und orthopädische Erkrankungen gebildet. Abgefragte Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Angina pectoris, Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Aortenaneurysma, Schlaganfall und periphere arterielle Verschlusskrankheit. Die erfassten Erkrankungen Arthrose der Hüftoder Kniegelenke, Gelenk- oder Wirbelsäulenarthritis, Osteoporose und chronische Rückenschmerzen sind subsumierend als orthopädische Erkrankungen bezeichnet. Zusätzlich wurde der Einfluss ausgewählter, häufig vorkommender Krankheiten oder medizinischer Risikofaktoren (z.B. Bluthochdruck) separat untersucht. Nach dem zuvor beschriebenen Prinzip wird auch hier, falls in der vorangehenden Episode eine Person unter Bluthochdruck leidet, der Variable Bluthochdruck eine 1 zugewiesen und andernfalls wird die Variable mit 0 kodiert. Die Variable erhält erst wieder in dem Jahr eine 0, in dem die Person ohne Einnahme von Medikamenten nicht mehr unter Bluthochdruck leidet. Nach diesem Prinzip sind auch die Zustandsvariablen für die Krankheiten erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes Mellitus104, Herzrhythmusstörungen105, koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt106, Arthro104 Bei den medizinischen Risikofaktoren Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes Mellitus wird eine Person als „geheilt“ betrachtet, wenn sie ohne Einnahme von Medikamenten nicht mehr unter dem medizinischen Risikofaktor leidet. 105 Nach der Diagnose einer der Erkrankungen koronare Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen, Arthrose, Arthritis und chronische Rückenschmerzen wird der Person für die entsprechende Erkrankung erst wieder in dem Jahr eine 0 zugewiesen, wenn sie angibt keine Beschwerden mehr auf Grund der entsprechenden Erkrankung zu haben. 106 Falls bei der befragten Person mindestens einmal ein Herzinfarkt oder Schlaganfall diagnostiziert wurde, wird dieser Variable für alle folgenden Jahre der Wert 1 zugewiesen.
147
se, Arthritis und langanhaltende Rückenschmerzen gebildet. Durch die Berücksichtigung des Zustandes in der vorangehenden Episode, wird die Analyse von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ermöglicht. Falls im vorangehenden Kalenderjahr mindestens ein medizinischer Risikofaktor durch einen Arzt erstmalig diagnostiziert wurde, wird der Variable Diagnose medizinischer Risikofaktoren in dem entsprechenden Kalenderjahr der Wert 1 zugewiesen und falls im vorangehenden Kalenderjahr kein medizinischer Risikofaktor durch einen Arzt diagnostiziert wurde, wird der Wert 0 zugewiesen. Nach diesem Prinzip erfolgt ebenfalls die Bildung der Variablen Diagnose Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diagnose orthopädische Erkrankungen. Auch die Variablen Diagnose Bluthochdruck, Diagnose erhöhte Cholesterinwerte, Diagnose Diabetes Mellitus, Diagnose koronare Herzerkrankung, Diagnose Herzrhythmusstörungen, Diagnose Herzinfarkt, Diagnose Arthrose, Diagnose Arthritis und Diagnose chronische Rückenschmerzen werden nach diesem Prinzip gebildet. Diesen Variablen wird, im Gegensatz zu den Zustandsvariablen (z.B. Bluthochdruck, Herzinfarkt) lediglich eine 1 zugewiesen, wenn im vorangehenden Kalenderjahr eine Erkrankung erstmals diagnostiziert wurde. Durch die „Diagnose“-Variablen soll die kurzfristige Veränderung der Sportaktivität infolge der Erstdiagnose einer Erkrankung abgebildet werden. Die Variable Alter wird durch Subtraktion des Geburtsjahres vom Erhebungsjahr (2006) gebildet. Durch die Dummyvariable Erwerbstätig kommt der Erwerbsstatus in der entsprechenden Episode zum Ausdruck. Im Falle der Erwerbstätigkeit – unabhängig von Umfang und Art der Erwerbstätigkeit – wird der Wert 1 vergeben und falls zum entsprechenden Zeitpunkt keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, erfolgt die Zuweisung einer 0. Wenn die Person in der jeweiligen Episode in einer Beziehung lebt, bekommt die Variable Partnerschaft den Wert 1 zugewiesen und bei Nicht-Vorhandensein einer Partnerschaft wird der Wert 0 vergeben. Ob Kinder unter 6 Jahren im Haushalt leben wird als Dummyvariable Kinder unter 6 Jahren berücksichtigt. Wenn innerhalb der jeweiligen Episode im Haushalt mindestens ein Kind unter 6 Jahren lebt, ist die Variable mit 1 und andernfalls mit 0 kodiert. Erfasst sind hier sowohl leibliche als auch adopierte Kinder.107 107 Informationen über weitere nicht-verwandte im Haushalt lebende Kinder sind nicht verfügbar.
148
Erhoben wurde sowohl der Tabakkonsum zum Befragungszeitpunkt, der Tabakkonsum in vorangegangenen Lebensphasen und ggf. Beginn und Ende des Tabakkonsums. Auf der Grundlage dieser Angaben wurde die Zustandvariable Tabakkonsum gebildet, die falls in der jeweiligen Episode Tabak konsumiert wurde, den Wert 1 aufweist und andernfalls den Wert 0 annimmt. Zusätzlich ist in den durchgeführten Analysen der Einfluss einer Vielzahl zentraler Lebensereignissen mitberücksichtigt. Wenn in dem entsprechenden Kalenderjahr das interessierende Ereignis stattgefunden hat, erhält die Variable für diese Episode den Wert 1, andernfalls wird ihr der Wert 0 zugewiesen. Zentrale Ereignisse, die in den Analysen kontrolliert wurden, sind Schulabschluss, Berufseinstieg, Berufsausstieg, Partnerschaftsbeginn, Trennung vom Partner, Wohnortwechsel, Geburt von Kindern und Aufgabe des regelmäßigen Tabakkonsums (vgl. Tab. 15).
149
Tabelle 15: Operationalisierung der zeitveränderlichen Variablen in den Analysen mit den Daten des Projekts „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in BadenWürttemberg“ Variable Definition Zentrale zeitveränderliche unabhängige Variablen Medizinische Risikofaktoren Vorliegen mindestens eines ärztlich diagnostizierten medizinischen Risikofaktors 0 – Nein 1 – Ja Herz-Kreislauf-Erkrankungen Vorliegen mindestens einer ärztlich diagnostizierten HerzKreislauf-Erkrankung 0 – Nein 1 – Ja Orthopädische Erkrankungen Vorliegen mindestens einer ärztliche diagnostizierten orthopädischen Erkrankung 0 – Nein 1 – Ja Bluthochdruck Vorliegen von Bluthochdruck 0 – Nein 1 – Ja erhöhte Cholesterinwerte Vorliegen von erhöhten Cholesterinwerten 0 – Nein 1 – Ja Diabetes Mellitus Vorliegen von Diabetes Mellitus 0 – Nein 1 – Ja koronare Herzerkrankung Vorliegen von koronaren Herzerkrankungen 0 – Nein 1 – Ja Herzrhythmusstörungen Vorliegen von Herzrhythmusstörungen 0 – Nein 1 – Ja Herzinfarkt In der Vergangenheit ist mindestens ein Herzinfarkt diagnostiziert worden 0 – Nein 1 – Ja Arthrose Vorliegen von Arthrose 0 – Nein 1 – Ja Arthritis Vorliegen von Arthritis 0 – Nein 1 – Ja chronische Rückenschmerzen Vorliegen von chronischen Rückenschmerzen 0 – Nein 1 – Ja Diagnose medizinischer RisikoDiagnose mindestens eines medizinischen Risikofaktors faktor im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose Herz-KreislaufDiagnose mindestens einer Herz-Kreislauf-Erkrankung im Erkrankung vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose orthopädischer ErDiagnose mindestens einer orthopädischen Erkrankung im krankungen vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose Bluthochdruck Diagnose von Bluthochdruck im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose erhöhte CholesterinDiagnose von erhöhten Cholesterinwerten im vorangewerte henden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose Diabetes Mellitus Diagnose von Diabetes Mellitus im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose koronare HerzerkranDiagnose von koronaren Herzerkrankungen im vorangekungen henden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja
150
Nummer der Frage Q332, Q351, Q355, Q335, Q339, Q343 Q344,
Q333, Q352, Q356 Q336, Q340,
Q334, Q350, Q353, Q354, Q337, Q338, Q341, Q342,
Q345, Q346
Q332, Q350, Q351, Q352 Q333, Q353, Q354, Q355 Q334, Q356, Q357, Q358 Q336; Q362, Q363, Q364 Q340, Q373, Q374, Q375 Q338, Q369
Q344, Q385, Q386, Q387 Q345, Q388, Q389, Q390 Q348, Q397, Q398, Q399 Q350, Q353, Q356
Q359, Q362, Q365, Q369a, Q370, Q373, Q376, Q380a, Q382, Q385, Q388, Q391, Q397
Q350
Q353
Q356
Q362
Variable Diagnose Herzrhythmusstörungen
Definition Diagnose von Herzrythmusstörungen im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose Herzinfarkt Diagnose eines Herzinfarktes im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose Arthrose Diagnose von Arthrose im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose Arthritis Diagnose von Arthritis im vorangehenden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Diagnose chronische RückenDiagnose von chronischen Rückenschmerzen im vorangeschmerzen henden Kalenderjahr. 0 – Nein 1 – Ja Soziodemographische und lebensstilrelevante unabhängige Variablen Alter Alter im entsprechenden Kalenderjahr (Erhebungsjahr – Geburtsjahr) Erwerbstätig Erwerbstätigkeit in der jeweiligen Episode 0 – Nein 1 – Ja Partnerschaft Vorhandensein einer Partnerschaft in der jeweiligen Episode 0 – Nein 1 – Ja Kinder unter 6 Jahren im HausVorhandensein von Kindern unter 6 Jahren im Haushalt in halt der jeweiligen Episode 0 – Nein 1 – Ja Tabakkonsum Biographische Ereignisse Schulabschluss
Berufseinstieg
Berufsausstieg
Partnerschaftsbeginn
Partnerschaftsende
Wohnortwechsel
Geburt von Kindern
Aufgabe des regelmäßigen Tabakkonsums
Konsum von Tabakwaren in der jeweiligen Episode 0 – Nein 1 – Ja Schulabschluss in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja Berufeinstieg in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja Berufausstieg in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja Partnerschaftsbeginn in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja Eine stattgefundene Trennung vom Partner in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja Wohnortwechsel in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja Berufausstieg in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja
Nummer der Frage Q373
Q369a
Q385 Q388 Q397
Gebjahr Q445, Q448, Q449, Q450 Q50, Q54, Q58, Q62, Q66, Q70, Q74, Q78 Q437a, Q437b, Q437c, Q437d, Q437e, Q437f, Q437g, Q437h, Q437i, Q437j Q424, Q426, Q427
Q441
Q445
Q448, Q449, Q450
Q49, Q53, Q57, Q61, Q65, Q69, Q73, Q77 Q51, Q55, Q59, Q63, Q67, Q71, Q75, Q79 Q82a, Q82b, Q82c, Q82d, Q82e, Q82f, Q82g, Q82h Q437a; Q437b; Q437c; Q437d; Q437e; Q437f; Q437g; Q437h; Q437i; Q437j
Aufgabe des regelmäßigen Tabakkonsums in der jeweiligen oder in der vorangehenden Episode 0 – Nein 1 – Ja
Quelle: „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg 2006, eigene Darstellung
151
Zeitkonstante unabhängige Variablen Als zeitkonstante unabhängige Variablen finden die Schulbildung, der Geburtsjahrgang und das Geschlecht in den Analysen Berücksichtigung. Die Operationalisierung der Schulbildung erfolgt über den jeweils höchsten Allgemeinbildenden Schulabschluss. Personen mit Fachhochschulreife und Abitur bilden eine Kategorie, eine zweite Kategorie stellen Personen mit Realschulabschluss dar und zu einer dritten Kategorie sind Personen mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss zusammengefasst, welche gleichzeitig als Referenzkategorie in der durchgeführten Analyse dient. Bei Personen, die zum Befragungszeitpunkt erwerbstätig waren, wurde die berufliche Stellung zum Befragungszeitpunkt und für nicht mehr erwerbstätige Personen, die letzte berufliche Stellung für die Generierung der Variable berücksichtigt. Berufliche Tätigkeiten, die keine Ausbildung erfordern, sind in der Kategorie ungelernte Arbeiter zusammengefasst. Die Kategorie gelernte Arbeiter umfasst angelernte, gelernte und Facharbeiter sowie selbstständige Landwirte. Beamte im einfachen Dienst, Meister und Poliere sowie Angestellte mit einfacher Tätigkeit bilden eine weitere Kategorie und stellen in den durchgeführten Berechnungen die Referenzkategorie dar. In der Kategorie qualifizierte Angestellte sind Beamte im mittleren Dienst sowie Angestellte mit qualifizierten Tätigkeiten zusammengefasst. Selbstständige mit bis zu 9 Angestellten bilden eine eigene Kategorie. Hochqualifizierte Angestellte (z.B. Beamte im gehobenen Dienst, Angestellte mit hochqualifizierter Tätigkeit, selbständige Akademiker) und Führungskräfte (z.B. Beamte im höheren Dienst, Angestellte mit Führungsaufgaben, Selbständige mit mindestens 10 Angestellten) stellen eine weitere Kategorien dar. Zur Modellierung von Kohorteneffekten erfolgt die Heranziehung des Geburtsjahrs. Dieses ist mit der Tausender und der Hunderterstelle in den Analysen berücksichtigt (z.B. 1944). Das Geschlecht ist als Dummyvariable mit 1 (Mann) und 0 (Frau) in die Analyse aufgenommen (vgl. Tab. 16).
152
Tabelle 16: Operationalisierung der zeitkonstanten unabhängigen Variablen in den Analysen mit den Daten des Projekts „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ Variable
Definition
Soziodemographische Variablen Schulbildung Die Schulbildung ist über den höchsten erreichten Schulabschluss definiert 1 – Hauptschulabschluss 2 – Realschule 3 – Abitur Berufliche Stellung Berufliche Stellung zum Befragungszeitpunkt oder letzte berufliche Stellung 1 – ungelernte Arbeiter 2 – angelernte, gelernte und Facharbeiter 3 – einfache Angestellte / Beamte 4 – qualifizierte Angestellte / Beamte 5 – Selbstständige 6 – hochqualifizierte Angestellte 7 – Beamte höherer Dienst, Angestellte mit Führungsaufgaben Geburtsjahrgang Metrisch Geschlecht 0 = Mann 1= Frau
Nummer der Frage Q439
Q451, Q452
Q430b Q429
Zur Datenbeschreibung sind im Folgenden (vgl. Tab. 17) wie bereits bei der Darstellung der Daten des Sozio-Oekonomischen Panels die Verteilung der Mittelwerte und der prozentualen Anteile der zeitveränderlichen und zeitkonstanten Variablen, jeweils für die Datensätze zur Analyse der Ein- und Ausstiege, dargestellt.
153
Tabelle 17: Mittelwerte aller unabhängiger Variablen (episodengesplitteter Datensatz) Variable
Zentrale unabhängige Variablen 3 Med. Risikofaktoren 3 Diagnose med. Risikofaktoren 3 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 3 Diagnose Herz-Kreislauf-Erkrankung 3 Orthop. Erkrankungen 3 Diagnose orthop. Erkrankungen 3 Bluthochdruck 3 Diagnose Bluthochdruck 3 Cholesterin 3 Diagnose Cholesterin 3 Diabetes 3 Diagnose Diabetes 3 Herzrhythmusstörung 3 Diagnose Herzrhythmusstörung Herzinfarkt Diagnose Herzinfarkt 3 Koronare Herzerkrankung 3 Diagnose koronare Herzerkrankung 3 Arthrose 3 Diagnose Arthrose 3 Arthritis 3 Diagnose Arthritis 3 Anhaltende Rückenschmerzen 3 Diagnose anhalt. Rückenschmerzen 1 Alter 2 Geburtsjahr 3 Mann Berufliche Stellung: Führungsposition 3 Selbstständige 3 Hochqual. Angestellter 3 Qual. Angestellter 3 Einf. Angestellter 3 Gelernte Arbeiter 3 Ungelernte Arbeiter 3 Erwerbstätigkeit Berufliche Ereignisse: 3 Schulabschluss 3 Berufseinstieg 3 Berufsausstieg Familienstand: 3 In Partnerschaft lebend 3 Beginn Partnerschaft 3 Ende Partnerschaft Familiäre Ereignisse: 3 Geburt von Kindern 3 Kinder unter 6 Jahren im HH Umzug Schulabschluss: 3 (Fach-)Abitur 3 Realschule 3 Hauptschule Lebensstil: 3 Tabakkonsum 3 Aufgabe des Tabakkonsums 1
Mittelwerte
Einstieg
Ausstieg
0,76 0,06 0,36 0,03 0,87 0,06 0,50 0,05 0,34 0,03 0,14 0,01 0,18 0,01 0,04 0,004 0,08 0,01 0,40 0,03 0,12 0,02 0,52 0,03 36,10 1945 4,10
1,32 0,10 0,43 0,04 1,42 0,09 0,87 0,06 0,47 0,06 0,17 0,02 0,20 0,02 0,14 0,01 0,12 0,01 0,72 0,06 0,36 0,03 0,84 0,05 40,87 1945 5,42
0,13 0,16 0,35 0,65 2,29 2,87 0,70 8,10
0,12 0,26 5,10 1,68 2,67 3,02 0,50 8,36
0,07 0,13 0,01
0,05 0,08 0,13
7,00 0,28 0,90
7,63 0,21 0,10
0,52 2,56 0,36
0,36 1,90 0,35
1,60 1,60 6,48
1,78 2,10 6,17
1,39 0,06
1,64 0,08
Alter wurde 2stellig in die Analysen aufgenommen Geburtsjahr wurde 4stellig in die Analysen aufgenommen 3 Dummyvariable, die bei Vorliegen des genannten Merkmals mit 1, ansonsten mit 0 codiert ist Quelle: Ein aktives Leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg, 2006. 2
154
3.3
Auswertungsverfahren und Datenaufbereitung
Die Analyse beruht auf dem statistischen Instrumentarium der Ereignisanalyse (Allison 1995; Blossfeld und Rohwer 1995; Diekmann und Mitter 1990). Dieses Verfahren beschreibt die Wahrscheinlichkeit eines Zustandswechsels in Abhängigkeit von der Verweildauer und bietet somit die Möglichkeit, Ereignisse und Verweildauern zu analysieren (Allison 1995; Diekmann und Mitter 1990: 405). Das Verfahren der Ereignisanalyse ist für die Analyse der dieser Arbeit zu Grunde liegende Fragestellung besonders geeignet, da es mit diesem Verfahren möglich ist, den Risikoverlauf der Übergangsrate genau zu spezifizieren, zeitveränderliche Kovariaten in das Modell aufzunehmen, sowie rechts- und linkszensierte Daten zu verwenden, ohne verzerrte Effektschätzungen zu erhalten (Blossfeld und Rohwer 1995: 5f.). Wichtig ist hierbei nach wie viel Zeiteinheiten der Übergang in den Zielzustand erfolgt (Allison 1995: 15f.). Für die Analyse der Sporteinstiege und Sportausstiege wird der Zustandsraum in die beiden Zustände „Sporteinstieg“ und „kein Sporteinstieg“ bzw. „Sportausstieg“ und „kein Sportausstieg“ zerlegt. Die Zustandsvariable sollte diskreter Ausprägung sein, ein Zustandswechsel kann dagegen zu beliebigen Zeitpunkten auftreten, d.h. die Zeitvariable geht als metrische Variable in die Analysen ein (Diekmann und Mitter 1990: 405). Ereignisdaten sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass für einen Teil der Beobachtungen bis zum Ende des zu beobachtenden Zeitraums, das interessierende Ereignis noch nicht eingetreten ist (Rechtszensierung)108, d.h. das bei einem Teil der Personen bisher noch keine Veränderung der Sport(in)aktivität stattgefunden hat (Andreß 1985; Blossfeld et al. 1986; Diekmann und Mitter 1990; Klein 1993b: 720). Das herangezogene Exponentialmodell beruht auf der Annahme einer zeitunabhängigen konstanten Rate r(t). Mit zunehmender Länge des Zeitintervalls, fällt die Überlebenskurve exponentiell (Diekmann und Mitter 1984: 44). Diese Annahme einer zeitunabhängigen Rate ist jedoch nicht unabhängig. Verschiedene Autoren bevorzugen aus diesem Grund, 108 Von Linkszensierungen spricht man dagegen, wenn die Person das Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt hat, es aber schon vor Beginn des Beobachtungszeitraums eingetreten ist und somit außerhalb des Beobachtungsfensters liegt (Blossfeld und Rohwer 1995: 34). Linkszensierungen sind in der Regel schwerer zu behandeln, „da es im allgemeinen nicht möglich ist, die Auswirkungen der nicht bekannten Vorgeschichte auf zukünftige Ereignisse abzuschätzen“ (Blossfeld et al. 1986: 29).
155
Modelle mit einer zeitabhängigen Rate (Blossfeld et al. 1986). Der große Vorteil von zeitunabhängigen Modellen ist jedoch, dass die Koeffizienten der Parameter über die Stärke der Effekte auf die mittlere Verweildauer Auskunft geben. Dieser sollte bei der Analyse nicht verloren gehen. Um dieses Problem einer als zeitunabhängig unterstellten Rate zu beseitigen, ist im nachfolgend verwendeten Modell das Lebensalter von Anfang an als unabhängige Variable mit aufgenommen. Da Modell ßt den Einfluss auf die analysierte Rate beschreibt, kann auch von einem GompertzModell gesprochen werden (Blossfeld et al. 1986: 211; Klein 1998: 410). Das Gompertz-Modell hat sich bereits im Zusammenhang mit der Analyse von monotonen bio-medizinischen Alterungsprozessen bewährt und ist insbesondere bei der Analyse der zunehmenden Mortalität und Morbidität im Lebenslauf weit verbreitet (Heigl 2004; Lampert und Kroll 2005; Walter 2004). Das Modell ist folgendermaßen formuliert:
qx
a exp( E 0 x E1t E 2 X )
Dabei bezeichnet qx die Ein- bzw. die Ausstiegsrate bei dem Gesundheitszustand x. Das Lebensalter ist durch t und weitere unabhängige Variablen sind durch X wiedergegeben (vgl. Blossfeld und Rohwer 1995; Diekmann und Mitter 1984). Hierzu gehören zeitunabhängige Variablen – insbesondere das Geschlecht und die Schulbildung – sowie zeitabhängige Variablen, die sich im Lebenslauf ändern – z.B. die Erwerbstätigkeit oder das Vorhandensein von Kindern unter sechs Jahren im Haushalt. Durch die sukzessive Aufnahme der weiteren Variablen lässt sich ein realitätsnäheres Modell für die Einflussfaktoren der Sportaufnahme oder Sportaufgabe gewinnen (Blossfeld et al. 1986: 227). Die Regressionskoeffizienten sind entsprechend der Umformung RR = exp(ßi) im Folgenden als Relative Risiken wiedergegeben. Da in den durchgeführten Analysen ebenfalls zeitveränderliche Variablen berücksichtigt sind wurde im Rahmen der Datenaufbereitung mit der Methode des Episodensplittings Subepisoden festgelegt (vgl. Allison 1995: 104ff.; Blossfeld et al. 1986: 193ff.). Dabei wird von Zeitintervallen bzw. spells mit der Länge des Befragungsabstands (in Jahren) ausgegangen. Die Zeitepisoden wurden „derart in Teilepisoden unterteilt ..., dass die Kovariaten innerhalb dieser konstant sind und sich nur an den Teilepisodengrenzen ändern können“ (Diekmann und Mitter 1984: 49). 156
In den SOEP-Analysen variiert die Dauer der Subepisoden in Abhängigkeit vom Abstand zwischen den Erhebungswellen zwischen einem, zwei oder vier Jahren. Dabei ist anzunehmen, dass ein zeitkontinuierliches Modell eine adäquate Approximation an den diskreten Charakter der Daten (mit dem zumeist zweijährigen Befragungsabstand, einmal 1 Jahr, zweimal 4 Jahre) liefert, denn die Approximation hängt nicht nur von der Intervallbreite ab, sondern auch von der Übergangsrate bzw. von der Stabilität des Verhaltens (das sich auch mit der mittleren Verweildauer operationalisieren lässt). In einer Untersuchung von Galler (1986) wir sichtbar, „dass bei einer Intervallbreite von maximal der halben mittleren Verweildauer ein einfacher Schätzansatz mit auf die Intervallmitten datierten Ereignissen zu guten Ergebnissen führt“ (Galler 1986: 21). Die im SOEP untersuchten Übergangsraten in und aus sportlicher Aktivität sind mit durchschnittlichen Verweildauern verbunden, die weit über dem Doppelten des längsten Intervalls (4 Jahre) angesiedelt sind. Der Verbleib mindestens wöchentlicher Sportaktivität hat eine mediane Verweildauer von 11 Jahren, der Verbleib in seltenerer Sportaktivität sogar weit darüber. In den retrospektiv erhobenen Daten aus dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ konnten hingegen auf Grund der jahresspezifischen Erfassung einheitliche Subepisoden von einjähriger Dauer festgelegt werden. Im Rahmen der Analysen wurden alle Tests zweiseitig mit der Signifikanzgrenze p d 0,05 sowie rein informativ mit p d 0,10 durchgeführt. Die Durchführung aller Analysen erfolgte mit dem Statistikprogramm SAS for Windows in der Version 9.1 (SAS Institute Inc. Cary, NC 27513,USA).
157
4
Empirische Befunde zum Einfluss der Gesundheitszufriedenheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf die Sportaktivität
In diesem Kapitel erfolgt die empirische Beantwortung der Frage nach dem Einfluss der Gesundheit und gesundheitlicher Einschränkungen auf Veränderungen der Sportaktivität. In Abschnitt 4.1 werden in einem ersten Schritt deskriptiv die Sport- und Gesundheitsentwicklung in Westdeutschland (4.1.1) und in Baden-Württemberg (4.1.2) dargestellt. Anschließend erfolgt in Kapitel 4.2 die Präsentation der ereignisanalytischen Betrachtung des Einflusses der Gesundheitszufriedenheit bzw. der diagnostizierten Erkrankungen auf die Sportaktivität. Auch hier werden wiederum in einem ersten Schritt die Ergebnisse der SOEP-Analysen für Westdeutschland (Abschnitt 4.2.1) und in einem zweiten Schritt die Ergebnisse der Auswertungen der Projektdaten „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg“ dargestellt (Abschnitt 4.2.2).
4.1
Deskriptive Ergebnisse zu Sport und Gesundheit
4.1.1 Entwicklung der Sportaktivität und der Gesundheitszufriedenheit im Lebenslauf (Westdeutschland) In Abbildung 13 ist die Entwicklung der Sportbetätigung (wöchentlich vs. selten/nie) im Lebensverlauf getrennt nach Geschlecht dargestellt. Um zufällige Schwankungen auszugleichen sind Fünfjahresdurchschnitte abgetragen. Die Unterteilung in „wöchentlich Aktive“ vs. „selten/nie Aktive“ orientiert sich an Befunden, nach denen eine regelmäßige sportliche Betätigung erforderlich ist, um einen gesundheitlichen Nutzen zu erzielen (Blair und Conelly 1996). Ein Auseinanderklaffen der Kurven für die Anteile der wöchentlich Aktiven und der selten/nie-Aktiven mit zunehmendem Alter kann hier beobachtet werden. Der Anteil der Sportler sinkt im Lebensverlauf kontinuierlich und der Anteil der Inaktiven (selten/nie) steigt an. Bei den männlichen Befragten sind im Alter von 18 Jahren knapp 70% wöchentlich sportlich aktiv. Ein kontinuierliches Abfallen der Sportbetätigung ist bei den männlichen Sportlern bis ca. zum 23. Lebensjahr 158 S. Becker, Sport zur Gesundheitsförderung oder treiben nur Gesunde Sport?, DOI 10.1007/978-3-531-92750-3_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
zu beobachten. Vom 24. bis zum 27. Lebensjahr kann wieder ein leichter Anstieg des Anteils der männlichen Sportaktiven verzeichnet werden und im Alter von ca. 31 Jahren ist ein vorläufiger Tiefpunkt erreicht, dem ein leichter Anstieg des Anteils der Sportaktiven folgt. Bis ca. zum 45. Lebensjahr wird jedoch trotz tendenziell fallendem Anteil der Sportaktiven, ein zeitweiliges Wiederansteigen des Anteils der Sportler und analog dazu ein Abfallen der Nicht-Sportler sichtbar. Anschließend verringert sich der Anteil der männlichen Sportler kontinuierlich. Bei Frauen ist im frühen Erwachsenenalter ein etwas anderer Verlauf zu beobachten. Das Ausgangsniveau ist hier niedriger, ca. 42% der weiblichen Teenager treiben wöchentlich Sport. Bis zum 24. Lebensjahr sinkt der Anteil der weiblichen Sportaktiven. Anschließend kommt es bei Frauen zu einem kurzfristigen Anstieg des Anteils der Sportaktiven. Im Alter von 35 Jahren sind dann annähernd gleich viele Frauen wie Männer (ca. 1/3 der Befragten) den Sportlern zuzurechnen. Im Alter zwischen 36 und 38 Jahren, 48 und 54 Jahren sowie im höheren Erwachsenenalter ab ca. 68 Jahren, übertrifft die Sportbeteiligungsquote der Frauen sogar geringfügig die der gleichaltrigen Männer. Bei den Frauen kommt es jedoch ab dem 40. Lebensjahr ebenfalls zu einem nahezu kontinuierlichen Abfall des Anteils der Sportaktiven. Das beständige Ansteigen der Nicht-Sportler über den Lebenslauf, sowohl bei Männern als auch bei Frauen könnte als ein Gesundheitseffekt bzw. als ein Effekt abnehmender körperlicher Leistungsfähigkeit interpretiert werden, wenn man davon ausgeht, dass sich mit zunehmendem Alter die Gesundheit verschlechtert. In diesem Fall wäre die Begründung, dass Personen aufgrund zunehmender gesundheitlicher Einschränkungen im Lebensverlauf verstärkt aus dem Sport aussteigen naheliegend. Auch die Entwicklung des Anteils der Sportabstinenten (selten/nie) unterscheidet sich bei Männern und Frauen ebenfalls in erster Linie im frühen Erwachsenenalter. Bis ca. zum 45. Lebensjahr ist die Sportabstinenz bei Frauen durchgängig höher als bei Männern. Während sich der Anteil der Sportabstinenten bei Frauen vom 18. bis zum 45. Lebensjahr nur geringfügig verändert, können bei Männern im frühen Erwachsenenalter deutliche Schwankungen beobachtet werden. In der Lebensphase von Mitte 40 bis Mitte 50 ist der Anteil der Sportabstinenten bei Frauen und Männern annähernd gleich hoch. Ab Mitte des 5. Lebensjahrzehnts bis zum 7. Lebensjahrzehnt übertrifft der Anteil der sportabstinenten Frauen geringfügig den der sportabstinenten Männer. 159
Abbildung 13: Entwicklung des Anteils der Sportler (wöchentlich) und Nicht-Sportler (selten/nie) im Lebensverlauf nach Geschlecht (gleitende 5-Jahresdurchschnitte109) in % 100
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 18 21 24 27 30 33 36 39 42 45 48 51 54 57 60 63 66 69 72 75 78 Alter
jede Woche (Männer) jede Woche (Frauen)
selten/nie (Männer) selten/nie (Frauen)
Quelle: SOEP 1986, 1988, 1992, 1994, 1996, 1997, 1999, 2001, 2005, eigene Berechnungen
Die gleitenden 5-Jahres-Durchschnitte für die Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit im Lebensverlauf nach Geschlecht sind in Abb. 14 abgetragen. Die Gesundheitszufriedenheit nimmt, wie auch die Sportbetätigung, im Lebensverlauf nahezu kontinuierlich ab. Geschlechtsunterschiede für die Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit existieren, im Gegensatz zur Sportaktivität, nahezu nicht. Sowohl bei westdeutschen Männern als auch bei westdeutschen Frauen nimmt die Gesundheitszufriedenheit über den Lebensverlauf kontinuierlich ab.
109 Die Verwendung von gleitenden Durchschnitten hat den Vorteil, dass die Kurven geglättet und von Zufallseinflüssen bereinigt sind.
160
Gesundheitszufriedenheit
Abbildung 14: Entwicklung der Gesundheitszufriedenheit im Lebensverlauf nach Geschlecht (gleitende 5-Jahresdurchschnitte) 10 9 8 7 6
Männer Frauen
5 4 3 2 1 0 20
30
40
50
60
70
80
Alter Quelle: SOEP 1986, 1988, 1992, 1994, 1996, 1997, 1999, 2001, 2005, eigene Berechnungen
4.1.2 Entwicklung der Sportaktivität und der ärztlich diagnostizierten Erkrankungen im Lebensverlauf (Baden-Württemberg) Für die zum Befragungszeitpunkt 50- bis 70-jährigen Baden-Württemberger zeichnet sich, im Vergleich zu der westdeutschen Bevölkerung, eine etwas andere Entwicklung der Sportbetätigung über den Lebensverlauf ab. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen steigt die mindestens wöchentlich ausgeübte Sportaktivität bis ca. zum 50. Lebensjahr auf ca. 60% an und bleibt dann bis Mitte des 6. Lebensjahrzehnts nahezu konstant (vgl. Abb. 15).110 Im jungen und mittleren Erwachsenenalter liegt der Anteil der mindestens wöchentlich aktiven Männer geringfügig über dem der Frauen. Der Anstieg der Sportaktivität über den Lebensverlauf bei den zum Befragungszeitpunkt 50- bis 70-jährigen Personen ist möglicherweise mit dem Bedeutungszuwachs und der damit verbundenen zunehmenden Verbreitung der Sportaktivität in der Bevölkerung zu erklären 110 Zur Erinnerung: Minimale Abweichungen des Anteils der Sportaktiven von Klein (Klein 2008) kommen dadurch zustande, dass in seinen Analysen zu Determinanten der Sportaktivität und der Sportarten im Lebensverlauf so genannte Entspannungssportarten aus inhaltlichen Gründen ausgeschlossen wurden; ansonsten entspricht sich die Datenaufbereitung.
161
(vgl. Kap. 2.1). Denkbar ist aber auch, das in den retrospektiv erhobenen Projektdaten Erinnerungseffekte sowie soziale Erwünschtheitseffekte eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen (vgl. Kap. 5.2). Abbildung 15: Entwicklung der Sportaktivität getrennt für Männer und Frauen im Lebensverlauf (gleitende 5-Jahresdurchschnitte) 100 80 60 40 20 0 19
Quelle:
23
27
31
35
39
43
47
51
55
mindestens jede Woche (Männer)
seltener (Männer)
mindestens jede Woche (Frauen)
seltener (Frauen)
59
63
67
Aktives Leben in Baden-Württemberg 2006, eigene Berechnungen
In dem Projekt „Ein aktives Leben leben: Alter und Altern in Baden-Württemberg wurde neben der Sportbiographie eine ausführliche Krankheitsbiographie erfragt. Die Erfassung dieser Krankheitsbiographie erfolgt über die Erhebung verschiedener medizinischer Risikofaktoren, HerzKreislauf-Erkrankungen und orthopädischer Erkrankungen. Im Folgenden werden Hypertonie (Bluthochdruck), erhöhte Blutfett- oder Cholesterinwerte und Diabetes Mellitus zusammenfassend als medizinische Risikofaktoren bezeichnet. Erfragt wurden zusätzlich die Herz-Kreislauf-Erkrankungen Arteriossklerose, koronare Herzkrankheit, Angina Pectoris, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Aortenaneurysma, Schlaganfall und periphere arterielle Verschlusskrankheit. In die Kategorie der orthopädischen Erkrankungen fallen die erfragten Erkrankungen Arthrose, Arthritis, Osteoporose sowie länger anhaltende Rückenschmerzen. Da für jede der erhobenen Erkrankungen das Jahr der ärztlichen Erstdiagnose erfragt wurde lässt sich auf Basis der für Baden-Württemberg vorliegenden Daten das Auftreten der verschiedenen Erkrankungen im Lebensverlauf darstellen. Tabelle 18 bringt zum Ausdruck, dass in vielen Krankheitskategorien eine Erstdiagnose schon im mittleren Le162
bensalter weit verbreitet ist. 39% der Befragten leiden bereits vor dem 50. Lebensjahr unter einem der abgefragten medizinischen Risikofaktoren oder Erkrankungen. Bis zum 70. Lebensjahr wird bei fast 58% der Befragten, durch einen Arzt, mindestens einer der erfragten medizinischen Risikofaktoren bzw. mindestens eine der erfassten Erkrankungen diagnostiziert. Invers zu der zuvor für Westdeutschland dargestellten Abnahme der Gesundheitszufriedenheit ist für das Kollektiv der BadenWürttemberg-Studie eine kontinuierliche Zunahme der ärztlich diagnostizierten medizinischen Risikofaktoren und Erkrankungen mit zunehmendem Alter zu verzeichnen (vgl. Tab. 18).111 Das Vorliegen mindestens eines medizinischen Risikofaktors wurde bei 6,3% der befragten Personen bis zum 40. Lebensjahr durch einen Arzt diagnostiziert, bis zum 70. Lebensjahr erfolgt eine Versechsfachung des Anteils der unter einem der erfragten Risikofaktoren leidenden Personen in dem untersuchten Kollektiv und die ärztlich diagnostizierten Herz-Kreislauf-Erkrankung vervierfachen sich vom 40. Lebensjahr bis zum 70. Lebensjahr. Orthopädische Erkrankungen treten dagegen über den Lebenslauf betrachtet vergleichsweise früh auf. Bis zum 40. Lebensjahr leiden bereits 10,7% der Befragten unter mindestens einer ärztlich diagnostizierten orthopädischen Erkrankung. Dieser Anteil erhöht sich bis zum 70. Lebensjahr auf 36,3%. Insgesamt ist somit in allen untersuchten Krankheitskategorien eine Zunahme der Verbreitung der Erkrankungen festzustellen.
111 Da bei den Erkrankungen Mehrfachnennungen möglich waren ergibt die Summe der Erstdiagnosen in den verschiedenen Krankheitskategorien nicht die Summe der Erstdiagnosen der Krankheiten im Allgemeinen (vgl. Tab. 18).
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Tabelle 18: Bisherige Erstdiagnosen nach Alter in Prozent (in %) Variable Erstdiagnosen Allgemein1