K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KÜLTURKUNDLICHE
HEFTE
VIT ALIS P A N T E N...
23 downloads
368 Views
593KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KÜLTURKUNDLICHE
HEFTE
VIT ALIS P A N T E N B U R G
SPITZBERGEN A R K T I S C H E S ABENTEUER LAND
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
M U R N A U - MÜNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
Hoch im Nördlichen Eismeer, kaum mehr als tausend Kilometer vom Nordpol entfernt, liegt hingestreut die Inselgruppe Spitzbergen. Bereits im 12. Jahrhundert haben Wikinger sie von Island her auf Jagdfahrten angesegelt. Seit sie von Holländern um die Wende zum 16. Jahrhundert wie der entdeckt wurde, ist ihre Geschichte ebenso wechselvoll wie zuweilen dramatisch-spannend gewesen. Im Laufe der Jahrhunderte zog der Archipel zahlreiche wagemuti und abenteuerfrohe Männer in seinen Bannt Entdecker w Forscher, Walfänger und Pelzjäger, Abenteurer und Prospe toren, Spekulanten und Industrielle. Spitzbergen — das die Nordleute Svalbard nennen — galt bis in die Zeit vor dem letzten Kriege als das klassische Land der Polarforschung. Bis 1920 Niemandsland, wurde es nunmehr norwegisch. Es gibt sonst kein arktisches Land gleich nahe dem Nordpol, das noch so gut zugänglich ist. Auf dem Golfstrom nach Norden Vjrlutrot, eine einzige große Scheibe aus purem Feuer, berührt die Sonne das weißgekämmte Kordmeer. Die Zeiger meiner Armbanduhr stehen auf 12.00 Uhr. Genau genommen ist es 24 Uhr. Jetzt um Mitternacht leuchtet die tiefstehende arktische Sommersohne vom Horizont her. Der kleine Routendampfer, der uns von Tromsö herübergebracht hat, fährt direkt auf den Sonnenball zu. Als Kurs liegt genau Nord an. Dort muß das Ziel unserer Reise liegen — die scharfzackigen, firngleißenden Berge Spitzbergens. Hinter uns, mitten über dem Heck, ragt schroff und schartig das Nordkap auf. Der Gischt des unaufhörlich anprallenden grau2
grünen Nordmeeres brandet an seiner steilen Felsfront hoch, r o sigrot überhaucht vom Lichtspiel der mitternächtigen Sonne. Hier, mit dieser Felsklippe, ist Europa zu Ende. Von nun an beginnt die Herrschaft der Arktis. Doch ist es ein Irrtum, zu glauben, ihr grenzenloses Rund, ihr kalter, weiter nordwärts eisgefesselte Ozean wäre ohne Leben. Seit je reizten die Geheimnisse des Polarmeeres den Menschen, immer tiefer in den Norden vorzustoßen. Breitbugige, stämmige lischdampfer ziehen auf südlichem Kurs an uns vorbei. Sie stampfen schwer durch die unruhige See. So tief haben sie geladen, daß sie kaum Freibord zeigen. Ihre wehenden bunten Flaggen weisen sie durchweg als britische und deutsche Fischdampfer aus. Ob sich das wohl lohnt für die Briten und für meine Landsleute von der Waterkant? ,,Tja, mein H e r r " , meint Halvorsen, der Eislotse, ..hier könnten noch viel mehr Trawler ihre Schleppnetze über den Grund ziehen; diese See, wir nennen sie die Barents-See, würden sie niemals leerfischen. Da gibt's immer mehr als genug Kabeljau, Heilbutt und Köhler, für ganz Europa genug, von den anderen feinen Nutzfischen gar nicht zu reden. Fanggründe haben die hier, sage ich Ihnen, wie die Erde sonst kaum noch welche zu bieten hat." Darüber wundere ich mich. Sollte man doch glauben, die Fische zögen südlichere, wärmere Gewässer diesen kalten Breiten vor. Halvorsen kennt den Grund. „Sehen Sie, die meisten Fische sind da, wo sich am reichlichsten Plankton findet (die kleinen tierischen und pflanzlichen Lebewesen im Meer, die sieh nicht selbst fortbewegen, sondern nur schweben). Seit Fridtjof Nansen, dem großen Polarforscher, weiß man, daß gerade in den kalten polaren Randmeeren am meisten von diesem Plankton lebt.".
* Inzwischen ist das Nordkap hinter uns im Meer versunken, Wasser, nichts als Wasser umgibt uns. Darüber spannt sich das ungeheure Gewölbe des Himmels. Er sieht jetzt merkwürdig fahl aus, so, als würde bald Nebel kommen. Aber wo ist denn nur das Eis? 3
„Da müssen Sie sich noch eine ganze Weile gedulden", vertröstet uns der Eislotse, „auf Eis stoßen wir erst, wenn wir unter der Küste Svalbards sind. Hier wirkt noch der warme Golfstrom, der seine Ausläufer bis Spitzbergen und weiter hinauf bis zum Nordpol ausstreckt; daher ist Svalbard so gut anzusteuern. W i r können mehr als ein halbes J a h r auf die Westfjorde fahren und brauchen nicht mal einen Eisbrecher. Das ist der Grund", fügt er bedeutungsvoll hinzu, „warum diese Inselgruppe so interessant für die große Politik ist. Die Weltpolitiker und Strategen kümmern sich viel zu viel um uns. Uns Norwegern ist das gar nicht recht. W i r sind ein kleines Volk und möchten nichts anderes, als in Frieden leben.",
* Bis in die zwanziger Jahre hatte der Spitzbergen-Archipel noch keinen Herrn, er war „terra nullius", Niemandsland. Auf Grund der starken Entwicklung der Technik im ersten Weltkrieg, vor allem in der Luftfahrt und im Funkverkehr, erhoben die USA, Großbritannien und die Sowjetunion zugleich Anspruch auf diese strategisch und verkehrspolitisch wichtige Inselwelt. Man sah voraus, daß die Inseln im zukünftigen transarktischen Luftverkehr von der Alten zur Neuen Welt einmal eine bedeutende Rolle spielen würden. Aber auch die Norweger meldeten Ansprüche an; doch erst als die drei Großmächte sich untereinander nicht einigen konnten, sprach man die Inselgruppe der „Spitzen Berge" schließlich den Norwegern zu, weil sie sich, wie es hieß, um ihre wissenschaftliche Erforschung am meisten verdient gemacht hätten. Dureh den Vertrag von Sevres wurde Spitzbergen mit Nordostland und der Bäreninsel 1920 norwegisch, aber erst 1925 nahm Norwegen Svalbard offiziell in Besitz.
* Der Eislotse, der mit den Verhältnissen auf Svalbard seit einem halben Menschenalter aufs beste vertraut ist, erinnert sich gut der Zeiten, als die Inseln noch keinen Herrn hatten. Jeder, der Lust verspürte, konnte damals einfach ein Stück Land für sich in Besitz nehmen, wenn er nur die Landnahme durch eine Tafel 4
Die Eisränder ragen kirchturmhoch über das Meer
kenntlich machte. Später sah ich selbst auf Spitzbergen im Innern des Eis-Fjordes an einem Pfosten eine solche Tafel. Sie trug die Aufschrift: „Dr. Rudolf, Freiherr von Gagern, BerlinGrunewald, hat die südliche Halbinsel Kap Thordsen annektiert. 14. Juli 1914." Das Merkwürdige war, daß am gleichen Pfosten eich noch drei ähnlich beschriftete Tafeln fanden, auf denen Angehörige dreier weiterer Nationen Besitzansprüche auf genau das gleiche Gebiet erhoben. Aber keiner war mehr dazu gekommen, Rechte geltend zu machen. Der erste Weltkrieg und die anschließende Übertragung Spitzbergens an Norwegen hatte sie einfach weggewischt.
* Die Passagierliste und die Liste der Fracht- und Versorgungsgüter, die unser Dampfer an Bord hat, vermitteln schon unterwegs einen aufschlußreichen Einblick in das Leben des norwegischen Gouvernements Svalbard. Mit uns reisen Bergleute, einige Staatsbedienstete, mehrere Ingenieurstudenten, etliche Frauen und ein Schwärm Kinder. Der jüngste Fahrgast, der Norwegerjunge Sigurd, zählt kaum acht Jahre. Seine Mutter, eine Osloerin, befindet sich auf der Reise zur Bergwerksstadt Longyearbyen im Eis-Fjord; Sigurds Vater ist einer der leitenden Ingenieure bei der „Store Norske Spitsbergen Kulkompani". Die Kulkompani — Kohlengesellschaft — baut im Innern der größten Meeresbucht an der Westküste des Hauptlandes von Spitzbergen die besten Flöze ab. Hier liegt Kohle genug, wie Halvorsen mir erklärt, um das Heimatland da unten auf viele Generationen damit zu versorgen. Von Halvorsen erfahre ich auch, daß nur wenige Ingenieure und leitende Angestellte ihre Familien nach Spitzbergen mitbringen dürfen. Man hat nicht genügend Wohnungen für alle Verheirateten und deren Angehörige. Auch ist es nicht gerade jedermanns Sache, dort einen langen, drückend dunklen Winter zu verleben, obwohl die Gehälter und Löhne sehr hoch sind. Die Kinder leiden noch am wenigsten darunter, daß man auf Svalbard oft lange Zeit keinen Menschen der Außenwelt zu sehen bekommt. Die Kinder haben ihre Schule und können im Freien nach 6
Herzenslust herumtollen, ohne Gefahr, von einem Auto überfahren zu werden. Aber auch die Erwachsenen nehmen es heute etwas leichter hin, weil die im letzten Kriege zerstörten Gebäude viel schöner und zweckdienlicher wieder aufgebaut worden sind. Und da man sich weder über mangelnde Fürsorge, über Verpflegung, Hygiene oder Betreuung jeder Art zu beklagen braucht, ist das Leben in den Bergwerkssiedlungen auch im Winter erträglicher geworden.
* Die Studenten neben uns an der Reling sind guter Dinge, ja fast ausgelassen. Sie sollen auf Svalbard ihre Praktikantenzeit verbringen. Hohe Löhne winken ihnen, in der Freizeit sommerüber Abenteuer und Jagd auf Seehunde und Federwild, im W i n ter Skifahrten und Expeditionen mit Hundeschlitten. Mancher von den jungen Leuten zielt darauf ab, später auf Spitzbergen hochbezahlter staatlicher Bergmeister oder Ingenieur im Dienste der norwegischen Kohlengruben-Gesellschaft zu werden.
„Nebelhein"
Bären-Insel
Je näher wir an Björnöya, die Bären-Insel, die schon zum norwegischen „Außenland" Svalbard gehört, herankommen, um so dichter werden die Geschwader der Seevögel. Kette um Kette streichen reißenden Fluges buntgetupfte Papageitaucher über uns hin, langhalsige Kormorane zeigen sich, schwarzweiße Grillteiste, putzige Lummen und niedliche Krabbentaucher, aber auch pfeilschnelle Möwen verschiedener Arten. Im Sturzflug lassen sie sich auf das Meer fallen und schweben mit seinem Atem gleichsam auf und nieder, um alsbald mit stets reicher Beute wieder Kurs zu ihren wimmelnden, guanoweißen Felswänden zu nehmen. Von der kleinen, nur 173 qkm großen Björnöya-Insel ist nicht gerade viel zu sehen. Wie fast immer wallt ein Schleier weißlichgrauen Dunstes um das abweisend öde Eiland. „Taakeheimen", — Nebelheim — heißt es unter den Norwegern. Um 1920 w a r auch die Bären-Insel noch Niemandsland. Zwar hatte der Rhein-
7
Iänder Theodor Lerner 1899 kurzerhand den größten Teil der Bären-Insel „annektiert", die schwarzweiftrote Flagge darüber gehißt und die Insel dem Schutze des Kaiserlich Deutschen Reiches unterstellt. Aber die Eismeerjäger nahmen den Besitzer als „Taakesheimens Konge" nicht ganz ernst, obwohl er jedem den Zutritt zu seinem Eigenheim, seinem „Königreich", verwehrte; wenn es nicht anders ging, sogar unter Hinweis auf die Anwendung von Waffengewalt. Lerner vertrat jedenfalls sein Recht so energisch, daß die „Svetlana", ' ein kleiner Kreuzer, der vom Zaren ausgeschickt wurde, Rußlands Flagge über dem Eiland aufzuziehen, unverrichteter Dinge wieder abdampfte. Die Haltung des furchtlosen Deutschen wurde von weit vorausschauenden wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt. Auf Björnöya liegt nämlich Kohle. Lerner hatte sich gedacht, sein Nebelreich könne deutscher Kohlenstützpunkt für die Hochseefischerei werden. So war er der erste, der zum Abbau der Spitzbergenkohle anregte; aber der Erfolg blieb ihm versagt. Seine „Annektion" war ein Fehlschlag. Andere hatten mehr Glück als er und begannen auf Björnöya Kohlen zu fördern. Nach dem ersten Weltkrieg aber wurde Björnöya wieder „terra nullius". Heute unterhält der norwegische Wetterdienst in den Häusern des damals aufgegebenen Kohlenbergwerks auf Björnöya die Funkwarte Tunheim-Radio. Mitten in der großen Wetterküche des Nordens gelegen, gilt sie als eine der wichtigsten Stationen im polumspannenden Netz der Wetterwarten.
* Als wir Björnöya hinter uns gelassen haben, zeigt der Arktische Ozean sein Alltagsgesicht. Aus der bisher langatmigen Dünung ist eine kräftige See mit tiefen Tälern und gischtenden Wellenkämmen geworden. Rollend und schlingernd pflügt sich unser Dampfer sechs, sieben Stunden voran. Darüber wird es Mitternacht. Wieder hängt die Sonne als glutrote Scheibe tief über der Kimm, um, ohne unterzugehen, erneut zu ihrem Tagesbogen aufzusteigen. Sie h a t alles pastellfarben zartrosa überhaucht, ü b e r das Meer spannt sich das Himmelszelt, so groß und 8
Weit nördlicher als noch vor drei Jahrzehnten ist heute der Polarhase zu finden — dank der Erwärmung der Nordpolarkuppel. Der Eishase wurde aus Ostgrönland und Nord-Norwegen eingeführt. makellos blau, wie man es sonst nur über grenzenlosen W ü s t e n erlebt. Als die Wogen das Schiff auf einen besonders hohen Kamm heben, zeigt sich uns fern eine markante Zinne: Hornsund-Tind, mit fast anderthalbtausend Metern König unter den Bergen im Süden der Hauptinsel West-Spitzbergens. Erstmals bezwangen Deutsche ihn 1937. Bald aber ist diese Zacke nicht mehr allein. Andere gesellen sich zu ihr, eine ganze Gruppe, Reihen, eine hinter oder neben der anderen, die ihre hellen Gipfel in den Himmel türmen. Gewaltige Gletscher lecken mit ihren grünblauen haushohen Fronten in das Innere der tiefeingeschnittenen Meeresbuchten u n d schicken ununterbrochen abstürzendes Eis ins Nordmeer. 9
Wikinger — erste an der „Kalten Küste" Einen treffenderen Namen als „Spitze Berge" hätte der niederländische Kapitän Willem Barents diesem zinnengespickten Inselland kaum geben können. Als er sich am 17. Juni 1596 mit seinen beiden Expeditionsschiffen dieser Küste näherte, vermerkte er in seinem Schiffstagebuch: „ W i r gaben dem Land den Namen Spitzbergen wegen der hohen und großen Berggipfel, die dort sind.", Der Niederländer war der festen Überzeugung, er habe einen noch unbekannten Teil Grönlands entdeckt. Er gründete diesen Glauben auf die langvertretene Auffassung der Dänen und Norweger, Grönland zöge sich als geschlossener Block weit nach Nordosten ins Arktische Meer hinein. Erst ein halbes Jahrhundert nach Barents erkannten die Polarfahrer und Walfänger, daß Spitzbergen eine Inselgruppe für sich bildet und ohne jeden Zusammenhang mit Grönland ist. Doch dauerte es nach Barents Entdeckung mehr als zweieinhalb Jahrhunderte, ehe es einer wagte, die Spitzbergen-Inseln ganz zu umsegeln; es geschah im Jahre 1863 durch den norwegischen Fangkapitän Erling Carlsen.
* Doch wir erzählten von Willem Barents. Die Aufgabe, die ihm von den Generalstaaten der Niederlande gestellt worden war, hatte er mit der Entdeckung der „Spitzen Berge" noch keineswegs gelöst. Sein eigentlicher Auftrag war, die Nordostpassage, den Weg über das Polarmeer zu den märchenhaft reichen Schatzund Handelsländern China und Indien, zu finden. Er hatte mit dieser Reise jedoch kein Glück. Er stieß alsbald auf schweres Eis, kam hier nicht weiter, nahm deshalb Kurs südlich um Spitzbergen herum nach Osten, geriet aber mit seinem Segler an der Küste Nowaja Semljas in schweres Packeis. Das Schiff wurde zermalmt, Barents selbst und etliche seiner Gefährten erlagen beim Dberwintern dem gräßlichen Skorbut. Die Niederländer fanden also den so sehnlich gesuchten Arktischen Seeweg in dieser Gegend nicht; dafür entdeckten sie 10
aber etwas anderes, das alsbald die Kaufleute Amsterdams in helle Aufregung versetzte: riesige Herden mächtiger Wale, sogenannte Grönlandwale, die sich vor der Westküste Spitzbergens und den vorgelagerten Inseln tummelten. Die Wale wurden seitdem von niederländischen Waljägern, in deren Kielwasser alsbald andere Walfänger an die Eiskante segelten, so gründlich gejagt, daß man heute nur noch höchst selten einen Grönlandwal zu sehen bekommt. Erinnerungen an diese Waljagdzeit und an die Männer und Schiffe, die das rauhe Geschäft als Opfer gefordert hat, kann man noch an vielen Stellen auf den Stränden sehen: zahllose verfallene Gräber, verstreute Gebeine und Schädel, windschiefe Kreuze und die bleichenden Knochenhaufen! unzähliger Wale und Walrosse.
* Neben den Niederländern beanspruchen die Russen, frühe Befahrer des Eismeeres, den Ruhm, Spitzbergen entdeckt zu haben; einer ihrer Jäger, so glauben sie nachweisen zu können, habe schon hundert Jahre vor Barents in den Gewässern Spitzbergens gejagt. Doch weder den Holländern noch den Russen fällt die Ehre der Erstentdeckung zu. Die ersten, die vor Spitzbergen erschienen sind, waren die norwegischen Wikinger. Schon ein halbes Jahrtausend vor den Holländern oder Russen fuhren sie an der Kante der von Norden kommenden Treibeisströmung entlang, um die hier besonders reichlich vorkommenden Seetiere zu jagen. Dabei stießen sie, wie im altisländischen „landnamabok" aus dem Jahre 1195 erwähnt ist, auf Svalbard, das heißt soviel wie rauhe, kalte Küste. Die Eintragung Svalbard konnte man schon vor Barents' Zeit auf alten Seekarten finden, und zwar in der Gegend des heutigen Spitzbergens. Die seefahrenden IslandWikinger haben in Chroniken aus jener Zeit sogar Kurs und Entfernung vom isländischen Nordostkap bis nach Svalbard ziemlich genau angegeben. Daher gaben die Nachfahren jener kühnen Eismeerjäger, die Norweger, ihrer Polarkolonie den alten Namen wieder, als die großen Mächte ihnen das Inselgebiet übereigneten. 11
Nachbar des Pols Als unser Schiff zwischen den hochragenden, firnbedeckten Zinnen der „Spitze« Berge" die Einfahrt des hundert Kilometer langen Eis-Fjords erreicht, passiert uns ein tiefbeladener großer Kohlenfrachter. Vom Heck des modernen Schiffes weht die rote Fahne mit den sowjetischen Zeichen Hammer und Sichel. „Damals in den dreißiger J a h r e n " , erklärt uns der Eislotse, ^erwarben die Russen von einer niederländischen Gesellschaft die Gruben Barentsburg und Grumantcity am Eis-Fjord; nach dem Vertrag von Sevres konnten sie das. Alle Staaten, die ihn unterzeichnet haben, dürfen sich nach den Vertragsbestimmungen auf Spitzbergen wirtschaftlich betätigen. Wieviel Kohle die Russen fördern, weiß man nicht, weil sie keine Abgaben an uns zu zahlen brauchen, aber wir schätzen, daß sie mindestens doppelt so viel Leute auf Svalbard haben wie wir Norweger."
* Die Ankunft unseres Routenschiffes in Longyearbyen, der „ H a u p t s t a d t " Spitzbergens am Eis-Fjord, scheint ein recht bedeutendes Ereignis zu sein. Kein Wunder, denn dieses Post- und Passagierschiff läuft Longyearbyen, die Residenz des Sysselmans, des norwegischen Gouverneurs, nur alle vierzehn Tage an, natürlich nur im kurzen Sommer. Das bringt Leben, Fracht und interessante Gäste: die Überwinterer des kommenden Jahres, Urlauber, einen Schwärm neugieriger Fremden, Post und Zeitungen (nicht gerade die neuesten), frische Nahrungsmittel und tausenderlei andere Dinge. Man bestellt sie über den Funk und wartet dann sehnlichst darauf. Jeder, der nicht gerade Schicht im Bergwerk hat oder sonstwie verhindert ist, nimmt mit allen Fasern an diesem Festtag teil. Denn schon Ende Oktober wird das Packeis die Küsten wieder blockieren und ein dicker Eispanzer sich alsbald über alle Fjorde legen. Dann haben die Bewohner Spitzbergens bis zum nächsten Frühsommer mehr als reichlich Zeit zum Dahindösen und zu ausgedehntem Winterschlaf. Zwar gibt es heute manche Abwechslung — Kino, Radio und einige sonstige Vergnügungen. Der Eis12
Hütte eines Pelztierjägers an der Nordküste Spitzbergens lotse, der selber ein paar Jahre hier verbracht hat, meint jedoch, besser noch als solche Zerstreuungen helfe angestrengte Arbeit über die lange, drückende Polarnacht und die Schwermut hinweg, die manchmal in Polarkoller ausarten könne. Nirgends sonst auf der Erde wohnen und arbeiten Menschen in richtigen Siedlungen und Betrieben so weit nördlich wie auf Svalbard. Das Klima ist entsprechend hart. Serbst im Sommer, wenn die Sonne auch nachts über dem Horizont bleibt und es nicht dunkel wird, ist es so kühl, daß man sich kaum einmal ohne Jacke im Freien aufhalten kann. Die meisten Kinder, die 13
hier zur Welt kommen, haben außer im Film, auf Buchabbildungen oder in Zeitschriften noch nie eine Eisenbahn, eine Brücke oder gar das Schloß ihres Königs mit eigenen Augen gesehen. Dafür bekommen sie schon mal einen Eisbären zu Gesicht oder einen Moschusochsen. Sie lernen mit Hundeschlitten und den Skiern fahren, sammeln Möweneier und Flaumfedern von Eiderenten. Sie finden das natürlich herrlich, sie sind zudem fast alle erstaunlich gesund und machen einen viel froheren Eindruck als die meisten Kinder in unseren Großstädten. Die Bergleute verdienen sehr gut. Aber wer geht auch schon ans Ende der Welt, wenn ihm nicht wenigstens dieser Ausgleich geboten wird. In einem einzigen J a h r kann sich einer hier ein, kleines Vermögen zusammensparen. Nicht jeder freilich erträgt es, lange Zeit von der Außenwelt völlig abgeschnitten, zu leben (außer der Funkverbindung). Denn ein halbes Jahr lang kann keiner weg aus diesem Lande — von Oktober bis Ende Mai oder Anfang Juni.
* Aber ein richtiger „Svalbarder" oder wer ein solcher geworden ist liebt gerade diese Zeit besonders. Da flammt und geistert das Nordlicht mit seinen phantastisch bunten Vorhängen um den Polarstern, die Sterne flimmern wie Geschmeide am ungeheuren Nordhimmel, und der silberne und kalte Mond verbleibt viel länger auf seiner sichtbaren Bahn als in den gemäßigten Breiten. Alle, die das Leben hier kennen und lieben gelernt haben, die Ingenieure, Steiger, Bergleute, die Wetterfunker, die Schreiber in den Kontoren, die Ärzte und Schwestern finden sich mit der freiwilligen Gefangenschaft ab, ja viele schätzen sie. In den Monaten der Abgeschlossenheit wachsen sie zu einer erfreulichen und vorbildlichen Gemeinschaft zusammen, in der jeder jedes Freund zu sein für seine schönste Menschenpflicht ansieht. Dann ist Europa mit seinen harten Sorgen, dann sind Unruhe und Hast der weiten Welt so unendlich fern und unwirklich, daß man auf einem andern Stern zu leben glaubt. Sobald an einem der Tage nach der Februarmitte die Sonne zum ersten Male wieder über die Zacken der „Spitzen Berge'' 14
lugt und einen neuen, ununterbrochenen Sommertag von fast zwanzig Wochen ankündigt, schnallen sie die Skier unter und stürmen hinauf auf die Höhen, um die große Licht- und Lebensspenderin zu begrüßen. Eine zweite Unruhe kommt über die Svalbarder, wenn das Eis im Fjord in Bewegung gerät und schließlich ins Nordmeer hinaustreibt. Dann ist bald der erste Dampfer als Sommerbote aus der fernen Heimat zu erwarten und mit ihm Post, Zeitungen und Zeitschriften und lang entbehrte Genüsse, wie frische Butter, Gemüse, Kartoffeln, Obst und Südfrüchte. Das ist aber auch der Zeitpunkt, wo fast mit Sicherheit die ersten Erkältungs- und Grippekrankheiten auftreten. Den W i n ter über sind Schnupfen und Influenza völlig unbekannt, denn in der reinen Luft der Arktis gibt es kaum Bakterien und kaum eine Ansteckungsgefahr.
Kohlengruben — in glitzerndem Weiß Im Hafen von Longyearbyen nehmen wir Aufenthalt. Seit 1904 wird hier Kohle gefördert. Auf einer langen Seilbahn schweben pausenlos große Eimer in endloser Kette oben vom Berg, wo Flöz und Stollen fast waagerecht verlaufen; in ununterbrochener Folge überqueren die kohlenbeladenen Behälter die breite Mulde des Adventtales bis zum Verladekai. Hier poltern die schwarzen Diamanten in die Frachter, Tag und Nacht, bis die Laderäume gefüllt sind. Die norwegischen Gruben auf Svalbard führen jährlich etwa 460 000 Tonnen Kohle aus. Für Norwegen, vor allem für dessen nördlichen Landesteil, sind diese Kohlen lebensnotwendig und zudem in ihren Frachtkosten billiger als Kohle aus dem Süden. Es ist bereits daran gedacht, einen Teil der anfallenden Kohle in Spitzbergen zu veredeln, zu verflüssigen und die wichtigen Chemikalien herauszuziehen. Das könnte die Wirtschaftlichkeit der Svalbardkohle verbessern; denn der Betrieb der Bergwerke auf Svalbard ist sehr kostspielig. Das ist auch der Grund, warum andere Länder darauf verzichtet haben, hier Bergbau zu be15
treiben, obwohl sie es nach dem Spitzbergenvertrag ohne weiteres dürften. Aus dem gleichen Grunde haben die Holländer ihre Betriebe an die Sowjetrussen verkauft. Aber für die Russen und die Norweger bleibt die Spitzbergenkohle interessant, weil sie so günstig zu den Eismeerhäfen Nordrußlands und Nordnorwegens lagert. Im Winter stapelt sich die Kohle zu hohen Halden. Es ist eine recht ergiebige Kohle, die der europäischen Kohle kaum nachsteht. Die Geologen und Bergingenicure schätzen die Lager hier auf mindestens sechseinhalb Milliarden Tonnen. Sie sind eingebettet in ewiger Gefrornis, die Erde ist bis zu einer Tiefe von mindestens 300 Metern steinhart. Deshalb arbeiten die Bergleute stets bei einigen Grad unter Null.
* Der Steiger Tryggve hat sich erboten, mich durchs Revier zu begleiten. Ob die Kälte in der Tiefe den Bergleuten nicht sehr zu schaffen mache, frage ich. Er verneint: „Die Arbeit ist viel angenehmer als bei euch unter Tage, wo es manchmal mehrere Dutzend Grad über Null warm ist." Steiger Tryggve steht schon über ein Jahrzehnt im Dienst der „Großen Norwegischen Kohlengesellschaft". Er kennt sich in den Stollen gut aus. W i r müssen erst den halben Berg hinauf, etwa 150 Meter über der Talmulde, dann tappen wir uns von Schwelle zu Schwelle über die Grubenbahn in den Berg. Im Schein der Lampen glitzern und gleißen die Wände vom Rauhreif. Merkwürdig: Während die Kohlengruben bei uns schwarz sind, sind hier Schacht und Stollen blendend weiß — vom Firn, den die von außen hereingesaugte Frischluft auf Decken und Wände wachsen läßt. „ W i r sind dankbar für dieses Geschenk der Natur", bemerkt Tryggve, während wir immer tiefer vordringen. „Sehen Sie, bei diesen Temperaturen unter Null gibt es keine schlagenden W e t ter. Die Luft ist völlig keimfrei, so daß das Holz hier drinnen, nicht verfaulen kann. Ohnehin brauchen wir nur wenig Verstre16
bungen, weil doch alles durchfrostet ist und niemals auffriert. Aber was sich noch günstiger auswirkt: Wir benötigen keine Wasserhaltung. Sie wissen ja, welche Mühsal sonst die Grubenwasser machen. Hier gibt es kein rinnendes Wasser, keine Quellen — nur ewiges Eis." Tryggve fügt aber hinzu, daß etwas anderes den Bergleuten die Arbeit erschwert. Die Kohlenflöze seien durchweg nur etwa dreiviertel Meter stark. Es gebe also keine hohen Stollen. Die Männer müßten halb im Liegen arbeiten,' lösten die Kohle mit Spezialmaschinen und würfen sie mit der Schaufel auf das endlose Band. Hauptsächlich diese hochwertige Kohle macht den Norwegern ihr „Außenland" Svalbard so wertvoll. Daneben spielen heute die Hochseefischerei vor der West- und Südküste und die Jagd auf Polartiere — Eisfuchs, Bobbe, Walroß, Eisbär, Kleinwal und einiges Federwild — nur noch eine geringe Rolle. Von Bedeutung sind noch die norwegischen Funkwetterwarten auf Svalbard, von deren regelmäßig gesendeten Meldungen nicht nur Norwegen, sondern auch das übrige Europa zehrt. Das sind die einzigen Interessen, die die kleine norwegische Nation hier vertritt; immer wieder wehrt sie sich dagegen, daß die große Politik und die Polarstrategie sich mit ihrer Besitzung beschäftigen.
Farne und Mammutbäume im ewigen Eis Auf der Weiterfahrt, am Fuße des berühmten Tempelfjells im Inneren eines der Seitenfjorde, nimmt der Kapitän einen Wissenschaftler an Bord. Der junge Geologe Eric Jacobsen hat im Auftrag des norwegischen Polarinstituts, dem die wissenschaftliche Erforschung Svalbards anvertraut ist, Jagd auf versteinerte Dberblcibsel aus der Urzeit des Insellandes gemacht. Die reiche Ausbeute wird in Kisten an Deck befördert. Es sind kostbare Versteinerungen darunter. Jacobsen zeigt mir einige seiner schönsten und überraschendsten Stücke. Der Abdruck eines kleinen Zweiges stammt von 18
einem Baum, der mit dem Mammutbaum der Sierra Nevada in Amerika verwandt ist, jenem Baumriesen, der über hundert Meter hoch werden kann. Auf einer anderen Steinplatte ist das zarte Filigran eines Farnblattes zu erkennen. Auch fossile Reste von Haselgewächsen, von Eiche, Linde und Ulme werden vor mir ausgebreitet, Pflanzen, wie sie nur in warmen Zonen gedeihen. Daneben liegen versteinerte Relikte von allerlei Meerestieren — Muscheln, Seeigeln und Korallenarten —, die nur in Meerwasser von 20 Grad Celsius leben können. Heute beträgt die Temperatur des Meeres um Svalbard nicht einmal ein Zehntel davon. Also muß das Klima hier einstmals viel wärmer gewesen sein, und zwischen diesen toten „Spitzen Bergen* müssen einmal große, schöne Wälder gestanden haben, durch deren Baumwipfel warme Meerwinde strichen.
* „Ja, das gab es einst hier in der Arktis", erklärt der junge Nordmann. „ W i e sollten sonst unsere Kohlenlager zu erklären sein, die man zur Waler-Zeit, etwa in der Mitte des 17. J a h r hunderts, auf Spitzbergen entdeckt hat! Die Pflanzen sind hier im Tertiär heimisch gewesen, vor Millionen Jahren, lange vor der Eiszeit, die das Quartär eingeleitet hat. Die Abdrücke der Meerestiere entstammen einem noch älteren erdgeschichtlichen Zeitraum, dem Karbon, als die Kohlenflöze entstanden sind. J e denfalls hat hier auf Spitzbergen mehrmals ein Klima geherrscht, wie man es heute am Genfer See oder noch südlicher, um das Mittelmeer, findet. Die Geologen und Wetterforscher haben übrigens festgestellt, daß es seit etwa zwei, drei Jahrzehnten auf Svalbard wie auch in den übrigen Nordzonen wieder wärmer wird. Die Temperaturen im Jahresmittel sind angestiegen, die Gletscher gehen merklich zurück, das Meereis nimmt ab, man kann über eine merklich längere Zeitspanne im Sommer unbehelligt vom Eis die Küsten und Fjorde Svalbards ansegeln. Die Pflanzen gedeihen besser. Am Rand der Bergwerkssiedlungen können Sie heute Kornblumen wachsen sehen, die irgendwann einmal als Samen mit dem Hafei für die Grubenpferde eingeschleppt worden sind. Doch vermag kein Mensch zu sagen, wie lange 19
diese Erwärmungsperiode dauern wird. Aber sie kommt der Nutzung unserer Inseln entgegen.",
Paradies der Vögel Obwohl die Svalbard-Inseln heute weder den Menschen noch den Landtieren besonders verlockende Lebensbedingungen zu bieten haben, ist das Meer, das mit den Ausläufern des Golfstroms seine Buchten und wildgezackten kahlen Küsten bestreicht, erstaunlich reich an Meerestieren. Am zahlreichsten sind die Seevögel vertreten, deren Leben hier einzig auf der Nahrung beruht, die der Ozean in so reichem Maße hergibt. Von Deck aus können wir das Leben dieser Gefiederten gut beobachten. Millionen Vögel haben ihre Brut- und Nistplätze in den schroffen Felswänden und auf den harten Klippen. Die Luft ist e r füllt vom ewigen Gekreisch der mannigfachen Möwenarten, die manchmal die Sonne verfinstern. Im Durcheinanderschwirren erinnern sie oft an Schneeflockengestöber. Plötzlich taucht vor dem Bug ein Schwann Lummen oder Alken aus dem Wasser, oder ein Papageitaucherpaar sperrt seine feuerroten Krummschnäbel auf und baut drollige Männchen. Wo in den Niederungen zum Strand oder in den nahen Tälern Moospolster, Grasflächen, sumpfige Stellen und die eingestreuten Puschellichter des Wollgrases eine freundliche Note in die Landschaft zaubern, haben die schönen Prachteiderenten und Spitzbergengänse ihre Nester. Sie liegen manchmal so dicht beieinander, daß der einsame Wanderer sehr darauf bedacht sein muß, daß er nicht ihre Eier oder die „ F e derbällchen", die eben erst ausgeschlüpften Jungen, zertritt. Leider sind die Fänger und Eiersammler arg hinter diesen V ö geln her. Begehrt sind vor allem die flaumweichen Daunenfedern aus den Nestern, da sie gut bezahlt werden. Früher waren Hauptbeuteobjekt der Raubfänger die Robben und Walrosse im Meer und die Rudel der wilden Rentiere an Land. Das ist gottlob anders geworden, nachdem Svalbard unter norwegischeVerwaltung und Aufsicht gekommen ist. Seit 1925 gibt es Natur20
Der „Pelzjäger-Expreß", die nördlichste Eisenbahn der Welt, fährt auf Spitzbergen Schutzgesetze mit Schonzeiten für diese Tiere. Ob sich allerdings die Eismeerjäger immer nach ihnen richten, ist angesichts der großen Entfernungen, der Abgelegenheit und der sehr geringen Kontrollmöglichkeiten zweifelhaft. Jedenfalls ist es für die Walrosse bereits zu spät. Sie sind durch die beispiellose Raubjagd in früheren herrenlosen Zeiten so gut wie verschwunden. Einen kleinen Ausgleich bieten zwei Landsäugetiere, die es früher auf dem Hauptland Svalbards — auf Vest-Spitzbergen — nicht gegeben hat, die aber heute dort heimisch sind: der Moschusochse aus Ost-Grönland, den der um die Erforschung Svalbards hochverdiente Professor Hoel 1929 aussetzen ließ, und der Schneehase, der irgendwo hergekommen ist. Dem Moschusochsen scheint es auf dem hocharktischen Inselland besser zu behagen 21
als dem Schneehasen. Versteht sich, daß diese beiden Säugetiere ebenfalls unter Naturschutz gestellt wurden.
Sprungbrett vor dem Pol Nach zwei Tagen hat der Kapitän unseres Dampfers seine vielerlei Aufträge an den Anlegestellen für diese Reise fast erledigt. Das Glück ist uns hold; wir erleben unter dem ständigen Schein der Tages- und Mitternachtssonne die im Firn blitzenden Berge von ihren schönsten Seiten. Das ist im Sommer keineswegs immer der Fall. Der Golfstrom bringt zu dieser Jahreszeit nicht selten unangenehmen dicken Nebel und feuchte Kälte. Als letzten größeren Platz läuft das Schiff 'Ny Aalesund im Kongs-Fjord an. Hier hat die Kingsbay Kahlenkompanie erneut mit dem Kohlenabbau begonnen, nachdem die Anlagen rund dreißig Jahre stillgelegen .haben. Ny Aalesund ist der an denkwürdigen Erinnerungen aus neuerer Zeit bedeutendste Platz Spitzbergens. Ein Gedenkstein für Roald Amundsens ersten — mißglückten — Polflug und die rostbraunen Gerippe von Ankermast und Luftschiffhalle Nobiles erinnern an die großen Taten der ersten kühnen Pol- und Arktisflieger. Kein Wunder, daß man diesen Platz für die Luftsprünge zum Pol und über den Pol nach Nordamerika ausgewählt hatte. Von hier sind es nämlich nur einige Flugstunden bis zu dem „ G r o ßen Nagel" — so nennen die Eskimos den Geographischen Pol. Hinzu kommt — und das ist noch entscheidender gewesen —,' daß kein anderer so hoch nördlich gelegener Platz dank de;m Golfstrom so gut und so viele Monate im J a h r von den Schiffen der Expeditionen angelaufen werdein konnte. Auch bot das verhältnismäßig flache, ebene Gelände um Ny Aalesund natürliche Start- und Landemöglichkeiten für Luftfahrzeuge; die Bergwerkssiedlung aber konnte mancherlei erwünschte Hilfe für die Flieger und Bodenmannschaften zur Verfügung stellen.
* 22
Unser eisgrauer Spitzbergen-Lotse, damals Kapitän auf einem Fangschiff, ist Augenzeuge der weltbewegenden Ereignisse gewesen. „Das waren Zeiten!" erinnert sich Lotse Halvorsen, und er ist sichtlich stolz, daß er davon berichten kann. „ I m Mai 1925 startete mein Landsmann Roald Amundsen mit zwei deutschen Dornier-Wal-Flugbooten in Richtung Pol. Kaum zweihundert Kilometer vor dem Ziel zwang ein Motorschaden an einer der Maschinen die Polflieger, auf dem Packeis notzulanden. Wochenlang waren sie verschollen; schon hatte die Welt sie aufgegeben. Aber Amundsen brachte alle sechs Mann heil wieder zurück. Eines der Flugboote hatte er wieder hochkriege,n können, das andere hatte er opfern müssen. 1926, ein J a h r darauf, gerade als Amundsen hier mit Nobile und Ellisworth da's Luftschiff .Norge' (Norwegen) startklar machte, kam dann Richard Evelyn Byrd, der Amerikaner, umflog als erster den Pol und schnappte meinem Landsmann diesen Ruhm sozusagen vor der Nase weg. Ja — vel, so war es. Aber das konnte Amundsen natürlich nicht beirren. Einen Tag nach Byrd fuhr er mit der ,Norge' von hier direkt über den Pol und noch einmal so weit über ihn hinweg auf die andere Seite des Globus, gleich nach Alaska. Die ganze Welt jubelte ihm zu. Amundsen hatte als erster die ganze Arktis überquert und die Alte Welt mit der Neuen auch über den Pol verbunden." Halverson wirft das Steuer herum, um einer Schäre aus dem Weg zu gehen. „Und wie war es mit General Umberto Nobile?" frage ich. „Ich sah ihn, als er das zweite Mal zum Pol fliegen wollte. Es war 1928, zwei Jahre nach der BraVourfahrt mit Amundsen und Ellsworth. Ein feiner Herr, dieser Polarfahrer aus dem Süden. Vielleicht war er etwas zu aberteuerlustig und ehrgeizig. Er wollte- alle seine Vorgänger noch übertreffen. Aber er schaffte es nicht. Sie wissen ja: Sein Luftschiff ,Italia' zerschellte, nachdem es den Pol überflogen hatte, auf der Rückfahrt nach hier. Das ewige Eis holte sich ein halbes Dutzend der Besatzungsmitglieder. Der General wurde gerettet. Amundsen aber verlor sein 23
Leben auf der Suche nach der ,Italia . Nach dieser Katastrophe wurde es für eine ganze Zeit ziemlich still um die Polfliegerei. Spitzbergen war wieder das Land der Bergleute, der Handvoll Pelzjäger und einiger Forscher, die ihre wissenschaftlichen Expeditionen hierher machten. Denn es gibt bei uns zu Lande immer noch eine ganze Menge Geheimnisse, die zu enträtseln sind. Schließlich kam der letzte Weltkrieg, der Svalbard nicht ungeschoren ließ. Die Flugzeuge der kriegführenden Länder dröhnten zuweilen über unsere Berge. Ein paar Mal dampften auch Kriegsschiffe in die Fjorde. Was über der Erde stand, sank durch Bomben und Granaten in Trümmer. Zur Zeit lärmen Düsenflugzeuge zu uns herüber — drüben sind es die Amerikaner, hüben die Russen. Man sieht sie nie oder höchst selten. Aber hören kann man sie leider zu g u t . . . "
Oel für Europas Lampen Zu kurzem Aufenthalt legt der Routendampfer am Kai von Ny Aalesund an. Es reicht gerade, um die Postsäcke auszutauschen, ein paar Leute an Land gehen zu lassen, einige andere zum Heimaturlaub an Bord zu nehmen. Die Wetterfunker von Ny Aalesund-Radio, des nördlichsten norwegischen Postens, geben dem Eislotsen eine Warnung mit auf den Weg. Der Wind sei nach Norden umgeschlagen und es sei zu erwarten, daß er viel Eis aus dem Innern des Polarmeeres herantragen werde. Der Skipper hat es jetzt ziemlich eilig. Wir nehmen längs der Nordwestküste, zwischen dem Hauptland und zwei vorgelagerten Inseln, deren Namen Amsterdam-Öya und Dansk-Öya an vergangene glanzvolle Zeiten erinnern, Kurs nach Norden. Auf der Amsterdam-Insel, die wir ansteuern, hatten einst die niederländischen Walfänger in der „Smeerenburg" ihre Trankessel stehen.
* Ich finde in den nächsten Stunden Zeit, mich etwas mit d e r Geschichte des spitzbergischen Walfangs zu beschäftigen; die kleine Bücherei in der Kapitänskajüte enthält einige bemerkens24
Ausrüstung und Proviant werden für die kommende Überwinterung an Land gebracht. Die Männer im Boot lösen zwei Männer von der Expeditionsmannschaft an Land ab werte Schriften darüber. Ich lese darin, daß schon ein Jahr, nachdem Barents Spitzbergen und die riesigen Walherden entdeckt hatte, die erste, wohlausgerüstete Fangflotte aus den Niederlanden in diese Gewässer gesegelt ist. Sie wurde eskortiert von mehreren gutbestückten Kriegsschiffen. Diese Vorsichtsmaßnahme rechtfertigte sich, denn man fand die Hoheitszeichen, die Barents im Sommer 1596 hatte aufrichten lassen, ausgerissen. Die Übeltäter waren Briten. Die Kunde von den sagenhaft reichen Fanggründen hatte auch sie auf den Plan gerufen. Als die plumpen 25
Segler der Niederländer endlich ankamen, mußten sie feststellen, daß die Konkurrenten aus dem Inselreich ihnen zuvorgekommen waren. In den Tops ihrer Großmasten knatterten die .Union Jacks'. Der britische Flottillenführer ließ den Holländern eine Botschaft zukommen: „Nach unserer Order können wir hier ebensogut Walfang betreiben wie ihr. Wir haben das Land für unseren König in Besitz genommen. Seine Majestät, König James I., haben geruht, diese Inseln auf den Namen ,King James Newland' zu taufen und vor aller Welt zum britischen Hoheitsgebiet zu erklären." Die Holländer vertrieben zwar die Briten von diesem Fangfeld, aber auf die Dauer konnten sie ihr Walfangmonopol nicht behaupten. Der Gewinn aus dem gräßlich stinkenden tranigen ö l , das man aus dem dicken Speck der großen Meeressäuger gewann, war zu verlockend. Europas Lampen brauchten enorme Mengen davon. Die Damen an den Fürstenhöfen und die Frauen reicher Patrizier und Kaufherren hatten zudem beträchtlichen Bedarf an „Fischbein" als Korsettstangen für ihre Schnürleiber und als Gestänge für ihre Reifröcke. Dieses Fischbein lieferten die Grönlandwale und die kleineren Nordkapwale aus ihren Barten. Die ebenso gefahrvolle wie gewinnbringende Waljagd im eisigen Nordmeer vor West-Spitzbergen ging rücksichtslos weiter. Neben den Niederländern und Briten kreuzten bald andere W e t t bewerber auf: Dänen und Franzosen, Hanseaten aus Hamburg und Bremen, Friesen von den Nordseeinseln und -küsten, Russen aus Archangelsk. Jede Nation ließ ihre Walfänger von Kriegsschiffen begleiten. Nicht selten sprachen die Kanonen. Man kaperte sich gegenseitig Schiffe, Fangboote und Wale weg, es kam oft zu blutigen Seegefechten. 1618 schloß man zwar einen „Burgfriedensvertrag", in dem jeder Nation ein bestimmtes Stück Küste und Fangfeld zugeteilt w u r d e ; die Konkurrenzkämpfe aber waren damit nicht beendet, die Jagd nach leicht erraffbarem, großem Gewinn reizte zu sehr. Die Niederländer behaupteten aber im großen und ganzen das 26
Feld; sie blieben führend. I h r „Smeerenburg" war als einziger Fangplatz durch ein starkes Fort gesichert. In der Blütezeit des Walfangs — vom Beginn des 17. bis zum Ende des 18. J a h r h u n derts — kamen allsommerlich bis zu 300 Schiffe mit 15000 Menschen nach Spitzbergen. Ein tolles Leben und Treiben herrschte auf den Zimmerplätzen, in den Packhäusern, Transiedereien, Schmieden und sonstigen Werkstätten. Es gab Schenken und Kaufbuden, Schnaps, Bier, Wein und leichte Frauenzimmer, Händler, Feldschere, Offiziere und Soldaten. Auch Schiffsgeistliche begleiteten die Fangflotten, und oftmals mußten sie Beistand leisten, wenn bei der Jagd im Meer, beim Hantieren mit Harpunen, Speeren, Messern, im Kampf mit den Konkurrenten, in den Händeln untereinander oder in schweren Stürmen Menschen in Todesnot gerieten. Auch über die abenteuerliche Waljagd zu jener Zeit entdecke ich einige interessante Berichte. Einer ist von dem deutschen Feldscher Friedrich Martens verfaßt, der im Jahre 1671 auf dem Hamburger Schiff „Jonas im Walfisch" an einer Spitzbergenreise teilgenommen hat. Die Eindrücke und Beobachtungen hat er mit der Gewissenhaftigkeit des interessierten Naturforschers aufgezeichnet. Als Druckort für seine „Spitzbergische Reisebeschreibung" ist Hamburg und als Druckjahr 1675 genannt. Anschaulich schildert Martens eine Waljagd von kleinen gebrechlichen Schaluppen aus: „Den ersten Heumond, das ist der Juli, um Mittag waren zwei Walfische nahe bei unserem Schiff, man sah, wie sie sich miteinander vermischen wollten. Wir ließen flugs die Schaluppen vom Schiff, und die Harpune traf das Weibchen. Wie dies der andere Walfisch vernähme, säumte er nicht lange und lief herbei, schlug höllisch mit dem Schwanz und den Flossen um sich, so daß wir so nahe nicht herankommen konnten, um die Tiere zu lanzen. Einer von den Harpunierern war so kühn und wagte sich an den Walfisch. Der grüßte ihn sehr unhöflich mit einem Schlag seines Schwanzes über den Rücken, daß es ihm den Atem verschlug. Da eilten die anderen herbei, aber auch die warf der 27
Walfisch mit dem Schwanz um, so daß der Harpunier, wie es die Taucher machen, mit dem Kopf zuerst unter Wasser fuhr. Die anderen in den Schaluppen folgten ihm ohne Verzug, ilinen ward die Zeit im Wasser gar lange. Denn es war eisig kalt, und mit Zittern kamen sie wieder ans Schiff, aber es fehlten ihrer dreie."
* Die Jagd im offenen Boot auf das größte Säugetier der Erde> muß mit den Fangmitteln der damaligen Zeit ein unvorstellbar rauhes, gefahrvolles und unangenehmes Handwerk gewesen sein. Denn der Grönlandwal wurde bis zu 25 Meter groß und bis zu 450 000 Pfund schwer, und seine Kräfte waren enorm. Zimperliche Männer konnte man dabei nicht gut gebrauchen — nicht nur wegen der ständigen Gefahrdrohung. „Dieser Walfang", schreibt Friedrich Martens, „ist eine rechte Schinderei, bei der es über die Maßen heftig stinkt. Denn es wachsen weiße, längliche Maden wie Regenwürmer gestaltet in ihrem Fleisch. Ein toter Walfisch riecht häßlicher, als ich mein Lebtage Gestank gerochen." Unter den Zehntausenden Walfängern wurden nur wenige reich. Die Reeder und Kaufleute unten in den Niederlanden oder in. anderen Ländern aber heimsten, fern jeder Gefahr und Unannehmlichkeiten, sagenhafte Gewinne ein; denn immer größer wurde der Bedarf Europas an Tranöl und Fischbein. In dem Jahrhundert der Blütezeit erlegten allein die Niederländer mit über 14 000 Fangschiffen fast 60 000 Wale. Die Generalstaaten der Niederlande gründeten ihren allgemeinen W o h l stand, ihre Stellung als eine der ersten Handels- und Seemächte während des 17. und 18. Jahrhunderts zum weitaus größten Teil auf die enormen Gewinne aus den Walprodukten. Die Fänger trieben über anderthalb Jahrhunderte einen solch rücksichtslosen Raubfang, daß die J a g d sich nicht mehr lohnte. Selten begegnet man heute in den Gewässern um die SvalbardGruppe noch einem kleinen Fangschiff.
28
Pelzjäger am Ende der Welt Hier und dort, im Innern der Fjorde oder an der Küste, wo sich größeres flacheres Gelände findet, entdecken wir sehr einfache Hütten. Sie sind aus Brettern und Treibholzstämmen gefügt und oft halbhoch durch dicke Wälle aus Grassoden und Steinen geschützt. Es sind gleichsam die Stützpunkte, von denen aus eine Handvoll Jäger und Fänger dem arktischen Wild nachstellt. 25 bis 30 „Fangterrains", deren Größe und Lage durch den Sysselman bestimmt wird, werden alljährlich bewährten Leuten zugeteilt. Manchmal zu zweit — gelegentlich ist sogar eine furchtlose Frau dabei —, zuweilen auch ganz allein, leben und arbeiten sie hier, mindestens zehn bis zwölf Monate von jeglicher Verbindung mit den paar Siedlungen Spitzbergens und der übrigen Welt getrennt. Sie fangen — natürlich nur im Winter — weiße und die selteneren blauen Polarfüchse in einfachen, aber sehr wirkungsvollen Schlagfallen. Die Jäger schießen Robben und Eisbären, jagen Schneehühner, Wildenten, Wildgänse und anderes Vogelwild und sammeln Eier und Daunen. Wenn sie Glück haben und neben einigen Dutzend kostbaren Polarfüchsen auch die fast schneeweißen Winterfelle von Eisbären erbeuten, so bleibt — nach Abzug der Kosten für das „überwintern", — ein nettes Sümmchen aus dem Erlös übrig.
Doch nicht jedem liegt solch ein Leben voller Ertbehrungan und Gefahren in weltferner Einsamkeit und während der finsteren und klirrendkalten Wintermonate; ist es doch viel einfacher und angenehmer, in einer der Grubensiedlungen seinem Beruf nachzugehen. Es gehört ein Großteil Begeisterung und noch mehr Mut dazu, als Fangmann in die Einöde zu gehen und den Kampf mit der Natur aufzunehmen, die dem Menschen hier in ihrer härtesten und unerbittlichsten Form entgegentritt. Ein Fänger muß „Altmuligmann" sein, einer, für den es nichts gibt, was er nicht selbst fertigbringt. Denn niemand kann ihm helfen. Diese 29
Pelzjäger sind die nördlichsten Trapper der Welt, wortkarg und ziemlich verschlossen, aber oft von seelischer Größe — edelmütig, großzügig, stets hilfsbereit und kameradschaftlich bis zur Selbstaufgabe. Bevor im nächsten Sommer das erste Schiff von Süden her den Stützpunkt erreicht, weiß niemand draußen, ob seine Bewohner oder der AIlein-Dberwinterer die fast halbjährige Polarnacht lebend überstanden haben. Es gibt genug Geschichten von Fangmännern, die von einem Kontrollgang längs der Fallenreihe nicht mehr zurückkamen, die elend in ihren weltfernen Hütten starben, weil keiner von ihrem Zustand wußte, auch niemand ihnen hätte helfen können. Zuweilen erwiesen sich die prachtvollen vierbeinigen Gefährten der Polarnacht, die Hunde, als Retter aus höchster Gefahr. Ist der Fangmann zurückgekehrt, so pflegt er nur bescheiden zu sagen: „Ich habe überwintert." In diesen kurz und bündig geäußerten Worten steckt alles, was ein arktischer Winter an Furchtbarem und überwältigendem, an oft unvorstellbaren Strapazen und unglaublichen Entbehrungen zu bieten hat. Unübertroffen sind bis heute die Abenteuer, die der berühmte Svalbard-Trapper, Hilmar Nöis, erlebt hat, sie hören sich an wie Jägerlatein. Nöis „überwinterte" dreißig Jahre, und auf seiner Fangliste standen rund 1800 Polarfüchse; der Kolben seines Karabiners wies das reibeisenartige Geriffel von nahezu 1000 Kerben für erlegte Eisbären auf.
An der Packeisgrenze Unser Schiff umrundet die äußerste Nordwestspitze des Hauptlandes. Jetzt liegt weithin freies Wasser vor uns, was sonst nicht allzuhäufig vorkommt. Tief drinnen im Land reckt der Newtontoppen seine schlanke, weiße Pyramidenspitze hoch über die Ketten seiner niedrigeren Trabanten in den blauen Himmel. Er ist mit 1717 Metern Svalbards höchster Berg. Eine leichte Dünung rollt vom Pol her an, unserem Kurs entgegen. W i r fahren an der durch tiefe Fjorde eingeschnittenen 30
Nordküste entlang. Schon machen sich die ersten Vorboten des nordher treibenden Meereises bemerkbar. Bläulichgrüne zackige Schollen zeigen sich hier und dort. Vorerst hindern sie uns nicht. „An diesem Punkt sind wir nur noch zehnmal hundert Kilometer vom Pol entfernt", bemerkt Eislotse Halvorsen, ,,aber es sind Kilometer, gespickt mit Eisschollen, Treibeisfeldern und Packeis. Früher galt dieses Eis als ganz unbezwingbar. Heute bedeutet es kein Hindernis mehr für die stahlgepanzerten Eisbrecher-Riesen der Amerikaner, Kanadier und Russen; für Flugzeuge ist die Bezwingung der Eiszonen zu einer Selbstverständlichkeit geworden, und neuerdings schaffen es auch die Unterseeboote, die mit Atomkraft fahren. Sie haben es nicht mehr notwendig, aufzutauchen. Zu den dichten Schwärmen großer „Bürgermeistermöwen", die uns ständig begleiten und sich wütend um jeden zugeworfenen Bissen zanken, gesellen sich plötzlich noch viel elegantere und geschicktere Flieger auf elfenbeinweißen Schwingen und machen den Möwen mit Erfolg den Rang streitig. Halvorsen hat Sorgenfalten auf der Stirn. „Hm, Eissturmvögel", stellt er fest. „Die hat der Nordmeerfahrer gar nicht gern. Sie gelten als schlechte Vorboten. Spüren Sie — der Wind hat gedreht. Er weht uns jetzt scharf entgegen, genau aus Nord-Nordost. Das verheißt nichts Gutes. Das Eis kommt direkt auf uns zu. Das Schiff ist zwar kräftig gebaut, aber doch nicht für das Fahren in der schweren arktischen Packung." Halverson gibt dem Kapitän den Rat, unverzüglich kehrt zu machen und Kurs zurück auf die inselgesäumte Nordwestküste des Hauptlandes zu setzen. Hier ist man vor dem Treibeis um diese Zeit ziemlich sicher. Mit einem Male ist die tiefgrüne See im Norden dicht weißbetupft. Große und kleine Eisschollen treiben, zunächst noch als Vorreiter, aus der grenzenlosen Weite des Polarozeans rasch heran. Es sieht fast so aus, als müsse unser wackeres Schiff schon jetzt mit ihnen um die Wette laufen. Zwei Fangmänner, die auf 31
Kvadehuken Wood-Fjord und Wijde-Fjord, den größten Buchten an der Nordküste, zwischen einer Landspitze Vest-Spitzbergens mit all ihrer Ausrüstung für eine Dberwinterung abgesetzt werden wollen, kommen diesmal nicht zum Ziel. Sie müssen wie^ der mit uns zurück. „Kann sein", tröstet Halvorsen seine Landsleute, „ d a ß wir auf der nächsten Reise mehr Glück h a b e n . " „Ich darf diesen Männern die Hoffnung nicht nehmen", sagt er dann zu mir. „Vielleicht kommen wir in diesem Sommer überhaupt nicht mehr an den Wood- und Wijde-Fjord heran. Weir kann das wissen in diesen Nordbreiten? Hier regiert das arktische Gesetz. Das große Ewige Eis wird immer unberechenbar bleiben, mein Herr, glauben Sie es mir . . ."
Umsehlagbild: Karlheinz Dobsky Karte auf Seite 17: Karlheinz Dbbsky. Fotos: Vitalis Pantenburg und Ullstein-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 3 0 0 (Erdkunde) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . P>atur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vlerteljährl. 6 Hefte UM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor Mönchen
Warum eigentlich nicht? Der ermunternde Zuruf: »Wohl bekomm's!« paßt haargenau auf SINALCO, das zünftige Erfrischungsgetränk aus wertvollen Citrus-Früchten. Pfadfinder aller Länder erheben das Glas mit S I N A L C O : »A votre sante!« oder: »Your health!« oder: »Skftl! c In diesem Sinne also getrost: »Prost!«
Mit Recht ist auch die junge Welt längst auf S I N A L C O eingestellt: Den Trank aus köstlichen Früchten. Die S I N A L C O Flasdie mit Kelch im roten Punkt;
DER Q U A L I T A T S - U N D ECHTHEITSBEWEIS