HOWARD FAST
SPARTACUS Roman
ebook by celsius232 Februar 2004 Kein Verkauf!
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HOWARD FAST
SPARTACUS Roman
ebook by celsius232 Februar 2004 Kein Verkauf!
FACKELVERLAG OLTEN • STUTTGART • SALZBURG
Titel der amerikanischen Originalausgabe »SPARTACUS« Übertragung von Liselotte Julius
Umschlag aus DVD-cover zu Stanley Kubricks Buchverfilmung »Spartacus«, 1960/2000
Alle deutschsprachigen Rechte bei der Rheinischen Verlags-Anstalt GmbH., Wiesbaden Sonderausgabe für den Fackel-Buchklub Olten • Stuttgart • Salzburg Druck: Hohenloher Druck- und Verlagshaus, Gerabronn Einband: Großbuchbinderei Sigloch, Künzelsau Printed in Germany 1966
Dieses Buch ist meiner Tochter Rachel und meinem Sohn Jonathan gewidmet. Es erzählt von tapferen Männern und Frauen, die vor langer Zeit lebten und deren Namen niemals vergessen worden sind. Die Helden dieser Geschichte hielten die Freiheit und Würde des Menschen in Ehren und lebten edel und gut. Ich habe dieses Buch geschrieben, damit alle, die es lesen, meine Kinder und andere, Kraft daraus schöpfen für unsere ungewisse Zukunft und gegen Unterdrückung und Unrecht kämpfen – auf daß der Traum des Spartacus sich in unserer Zeit verwirklichen möge.
Die Handlung beginnt im Jahre 71 vor Christus
ERSTER TEIL Wie Gajus Crassus im Monat Mai auf der Heerstraße von Rom nach Capua zog. I Es wird berichtet, daß die Heerstraße, die von der Ewigen Stadt Rom zu der etwas kleineren, jedoch kaum weniger schönen Stadt Capua führte, bereits Mitte März wieder für den öffentlichen Verkehr freigegeben wurde. Das heißt aber nicht, daß das Leben auf dieser Straße sofort wieder normal verlief. Denn in den letzten vier Jahren hatte keine Straße der Republik den friedlichen, blühenden Wechsel von Handel und Menschen erfahren, den man auf einer römischen Straße wohl erwarten konnte. Es hatte überall mehr oder minder Unruhe gegeben, so daß man beinahe behaupten könnte, die Straße zwischen Rom und Capua sei zum Symbol dieser Unruhe geworden. Wie es auf den Straßen ist, so ist es in Rom. Dieser Satz hatte durchaus seine Richtigkeit. Wenn auf den Straßen Friede und Wohlstand herrschen, so ist es in der Stadt dasselbe. In Rom verkündeten Anschläge, daß jeder freie Bürger, der Geschäfte in Capua habe, dorthin reisen könne, um sie zu erledigen. Von Vergnügungsreisen in den schönen Kurort sei jedoch zunächst noch abzuraten. Als dann aber der sonnige Frühling seinen Einzug ins Land hielt, wurden die Römer wiederum von den prächtigen Bauten und der bezaubernden Landschaft Capuas angelockt. Neben der reizvollen Natur Kampaniens fanden diejenigen, die gutes Parfüm schätzten, sich jedoch an den Wucherpreisen stießen, in Capua sowohl Gewinn als 6
auch Vergnügen. Hier gab es die großen Parfümfabriken, die in der ganzen Welt unerreicht waren. Von überallher kamen seltene Essenzen und Öle nach Capua, erlesene exotische Duftstoffe, ägyptisches Rosenöl, Lilienessenzen aus Saba, galiläischer Mohn, Öle aus Ambra sowie aus Zitronen- und Orangenschalen, Salbei- und Minzenblätter, Rosen- und Sandelholz – eine schier endlose Menge. In Capua war Parfüm um weniger als die Hälfte des in Rom geforderten Preises zu kaufen. Bedenkt man nun, wie beliebt und auch wie notwendig Wohlgerüche zu jener Zeit bei Männern und Frauen waren, so kann man verstehen, daß eine Reise nach Capua schon aus diesem Grunde unternommen wurde. II Im März war die Straße freigegeben worden. Zwei Monate später, Mitte Mai, machten sich Gajus Crassus, seine Schwester Helena und ihre Freundin Claudia Marius auf, um eine Woche bei Verwandten in Capua zu verbringen. Sie verließen Rom an einem heiteren, hellen, kühlen Morgen, einem idealen Reisetag. Alle waren sie jung, helläugig und voller Vorfreude auf die Reise und die Abenteuer, die sie zweifellos erleben würden. Gajus Crassus, ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, dessen dunkles Haar in vollen, weichen Locken herabfiel und dessen ebenmäßige Züge ihm den Ruf der Schönheit und der Vornehmheit eingebracht hatten, ritt einen herrlichen Araberschimmel, das vorjährige Geburtstagsgeschenk seines Vaters. Die beiden Mädchen reisten in offenen Sänften. Jede Sänfte wurde von vier Sklaven getragen, die zehn Meilen ohne Ruhepause in leichtem Trab zurücklegen konnten. 7
Fünf Tage hatten sie für die Reise angesetzt, wobei sie in den Landhäusern von Freunden oder Verwandten übernachten wollten, um so in bequemen, angenehmen Etappen nach Capua zu gelangen. Sie wußten im vorhinein, daß es auf der Straße Strafmale gab, hielten diese jedoch nicht für störend. Freilich waren die Mädchen bei den Schilderungen, die sie gehört hatten, ziemlich aufgeregt. Gajus fühlte sich von derartigen Dingen stets angenehm und gewissermaßen sinnlich berührt. Außerdem war er stolz auf seinen Magen und die Tatsache, daß ein solcher Anblick ihm nichts Wesentliches anhaben konnte. »Schließlich ist es besser, wenn man ein Kreuz ansieht, als wenn man daran hängt«, erklärte er den Mädchen. »Wir werden geradeaus blicken«, erwiderte Helena. Sie war hübscher als Claudia, eine farblose Blondine mit blasser Haut, blassen Augen und müdem Aussehen, das sie noch betonte. Ihr Körper war üppig und reizvoll, doch Gajus fand sie ziemlich dumm und fragte sich, was seine Schwester wohl an ihr hatte. Er war entschlossen, diese Frage auf der Reise zu lösen. Bereits mehrfach hatte er sich vorgenommen, die Freundin seiner Schwester zu verführen, dieser Vorsatz war jedoch stets an ihrer trägen Gleichgültigkeit gescheitert, einer Gleichgültigkeit, die nicht ihm direkt galt, sondern allgemein war. Sie langweilte sich, und Gajus war davon überzeugt, daß nur diese Langeweile sie davor bewahrte, selbst höchst langweilig zu sein. Seine Schwester war anders. Sie erregte ihn auf verwirrende Weise. Sie war so groß wie er und ihm sehr ähnlich, nur hübscher. Männer, die sich nicht von ihrer Willensstärke abstoßen ließen, fanden sie schön. Seine Schwester erregte ihn, und er war sich durchaus bewußt, daß er diesem Zustand ein Ende bereiten wollte, als er die Reise nach Capua plante. Seine 8
Schwester und Claudia waren ein ungleiches, aber trotzdem angenehmes Paar, und Gajus freute sich auf das, was ihm diese Reise verhieß. Wenige Meilen außerhalb Roms begannen die Strafmale. Die Straße führte hier durch eine steinige, sandige Einöde von einigen Morgen Ausmaß. Der mit der Schaustellung Beauftragte hatte einen Blick für Wirkung bewiesen, als er gerade diese Stelle für das erste Kreuz wählte. Das Kruzifix war aus frischem, harzigem Pinienholz gehauen. Der Boden dahinter fiel ab, und so stand es starr, kahl und kantig vor dem morgendlichen Himmel – übergroß, – denn es war das erste – so daß man den nackten Körper des Mannes, der daran hing, kaum sah. Es war leicht vornübergeneigt, wie es bei einem überlasteten Kreuz häufig der Fall ist, und dadurch wurde der bizarre, beinahe menschliche Eindruck noch verstärkt. Gajus zügelte sein Pferd, das nunmehr auf das Kreuz zuschritt. Helena wies die Sänftesklaven mit einem leichten Peitschenhieb an, ihm zu folgen. »Dürfen wir ausruhen, Herrin?« flüsterte der Schrittmacher von Helenas Sänfte, als sie vor dem. Kreuz anhielten. Er war Spanier und sprach ein gebrochenes, zögerndes Latein. »Natürlich«, erwiderte Helena. Sie war erst dreiundzwanzig, jedoch willensstark wie alle Frauen ihrer Familie und verabscheute sinnlose Grausamkeit gegen Tiere, seien es Sklaven oder Vieh. Die Träger ließen die Sänften behutsam zu Boden gleiten und kauerten sich dankbar daneben. Wenige Schritte vor dem Kreuz saß auf einem Strohschemel, der von einer Zeltplane überdacht war, ein fetter, freundlicher Mann. Er war ebenso würdevoll wie arm. Seine Würde zeigte sich in jeder seiner zahlreichen Kinnfalten und seinem gewaltigen Bauch; die mit Faul9
heit gepaarte Armut wurde deutlich sichtbar in seinen zerlumpten, schmutzigen Kleidern, den schwarzen Fingernägeln und den Bartstoppeln. Seine Freundlichkeit war wie die leichte Maske des Berufspolitikers. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, daß er jahrelang die Straßen des Forums und des Senats und ebenso der Gefängnisse gekehrt hatte. Hier saß er nun, auf der letzten Stufe, bevor er zum Bettler wurde, der auf einer Matte in einem römischen Mietshaus sein Dasein fristete. Noch erscholl seine Stimme mit der durchdringenden Lautstärke eines Marktschreiers. Dies seien die Wechselfälle des Krieges, erklärte er den Reisenden. Einige wählten mit untrüglicher Sicherheit die richtige Partei. Er habe stets die falsche ergriffen, und man brauche nicht erst zu betonen, daß kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden bestehe. Das habe ihn hergebracht, doch gehe es besseren Menschen weniger gut. »Verzeiht mir, edler Herr und edle Damen, wenn ich nicht aufstehe, aber das Herz – das Herz.« Er legte die Hand irgendwo auf seinen mächtigen Bauch. »Wie ich sehe, seid ihr frühzeitig unterwegs, und das sollte man auch, denn es ist die rechte Zeit zum Reisen. Capua?« »Capua«, bestätigte Gajus. »Capua also – eine schöne Stadt, eine herrliche Stadt, eine glückliche Stadt – eine wahre Perle von einer Stadt. Ihr wollt ohne Zweifel Verwandte besuchen?« »Ohne Zweifel«, erwiderte Gajus. Die Mädchen lächelten. Er war ein liebenswerter großer Narr. Seine Würde schwand dahin. Lieber ein Narr für diese jungen Leute sein. Gajus erkannte, daß es irgendwie um Geld ging, kümmerte sich aber nicht darum. Einmal hatte es ihm nie an Geld für seine Bedürfnisse und Launen gefehlt, und dann wollte er die Mädchen durch seine Weltgewandtheit beeindrucken. Wer wäre dafür besser geeignet als dieser 10
abgebrühte fette Narr? »Ihr seht in mir einen Führer, einen Geschichtenerzähler, einen Hausierer in Recht und Strafe. Doch tut ein Richter mehr? Die Stellung ist zwar unterschiedlich, aber man nimmt besser einen Denar und die damit verbundene Scham hin als zu betteln …« Die Mädchen konnten die Augen nicht von dem Toten abwenden, der am Kreuz hing. Er war jetzt unmittelbar über ihnen, und sie blickten unverwandt auf den nackten, sonnenverbrannten, von Vögeln zerfleischten Leichnam. Krähen stießen herab, seine Haut wimmelte von Fliegen. Der hängende Leichnam, der am Kreuz hin und her pendelte, erweckte den Eindruck, als sei er ständig im Fallen, ständig in Bewegung – phantastische Bewegungen eines Toten. Sein Kopf hing vornüber, und das lange, rötliche Haar verbarg das Grauen, das in seinem Gesicht gestanden haben mochte. Gajus gab dem fetten Mann eine Münze. Der Dank war nicht überschwenglich. Die Träger hockten schweigend da. Sie hefteten die Augen starr auf den Boden und warfen keinen Blick auf das Kreuz. Sie waren wohl abgerichtet. »Dieses hier ist sozusagen symbolisch«, erklärte der Dicke. »Sieh es nicht als menschlich oder grausam an, Herrin. Rom gibt und nimmt, und mehr oder minder entspricht die Strafe dem Verbrechen. Dieses eine Kreuz steht allein und lenkt eure Aufmerksamkeit auf die folgenden. Wißt ihr, wie viele es von hier bis Capua sind?« Sie wußten es, aber sie warteten, bis er es ihnen sagte. Dieser fette, leutselige Mann, der sie mit dem Entsetzlichen bekanntmachte, war genau. Er war der Beweis dafür, daß es gar nicht entsetzlich, sondern normal und natürlich war. Er würde ihnen eine exakte Zahl nennen, die nicht stimmen mochte, dafür aber genau wäre. »Sech11
stausendvierhundertundzweiundsiebzig«, sagte er. Einige der Sänftenträger gerieten in Bewegung. Sie ruhten sich nicht aus, sondern saßen starr da. Wenn sie jemand betrachtet hätte, wäre es ihm aufgefallen. Aber niemand beachtete sie. »Sechstausendvierhundertundzweiundsiebzig«, wiederholte der Dicke. Gajus machte die passende Bemerkung: »Soviel Holz!« Helena wußte, daß es Schwindel war, aber der fette Mann nickte zustimmend. Jetzt hatten sie Kontakt miteinander. Der Dicke zog einen Rohrstock aus den Falten seines Gewandes und deutete auf das Kreuz. »Das hier – nur ein Symbol. Gewissermaßen das Symbol eines Symbols.« Claudia kicherte nervös. »Trotzdem interessant und bedeutsam. Mit Verstand aufgestellt. Verstand ist Rom, und Rom ist verständig.« Er hatte eine Vorliebe für Aphorismen. »Ist das Spartacus?« fragte Claudia törichterweise, doch der Dicke hatte Geduld mit ihr. Die Art, wie er sich die Lippen leckte, bewies, daß sein väterliches Gebaren nicht frei von Sinnlichkeit war. So ein alter Wollüstling, dachte Gajus. »Spartacus? Wohl kaum, meine Liebe.« »Sein Leichnam ist nie gefunden worden«, erklärte Gajus ungeduldig. »In Stücke zerrissen«, sagte der Dicke großtuerisch. »In Stücke zerrissen, mein liebes Kind. Eine gräßliche Vorstellung für zartbesaitete Gemüter, aber es ist die Wahrheit …« Claudia überlief ein angenehm prickelndes Schaudern. Gajus sah ein Leuchten in ihren Augen, das er nie zuvor bemerkt hatte. »Nimm dich in acht vor oberflächlichen Urteilen«, hatte sein Vater einmal zu ihm gesagt. Er hatte 12
dabei zwar an Wichtigeres gedacht als an Frauen, aber es traf dennoch zu. Noch nie hatte Claudia ihn so angesehen wie jetzt den Dicken, der fortfuhr: »– die reine Wahrheit. Und jetzt erzählen sie, Spartacus habe nie gelebt. Lebe ich? Lebt ihr? Hängen von hier bis Capua an der Appischen Straße sechstausendvierhundertundzweiundsiebzig Leichen am Kreuz oder nicht? Ja oder nein? Sie hängen sehr wohl da. Und laßt mich euch noch etwas fragen, meine lieben jungen Leute – weshalb sind es so viele? Ein Strafmal ist ein Strafmal. Doch warum sechstausendvierhundertundzweiundsiebzig?« »Die Hunde haben es verdient«, erwiderte Helena gelassen. »Wirklich?« Der Dicke runzelte nachdenklich die Stirn. Er sei ein Mann von Welt, erklärte er ihnen, und trotz ihres höheren gesellschaftlichen Ranges waren sie doch jung genug, um davon beeindruckt zu sein. »Vielleicht haben sie es verdient, aber warum schlachtet man soviel Fleisch, wenn man es nicht essen kann? Ich werde es euch sagen. Es hält die Preise hoch und stabilisiert. Vor allem aber entscheidet es einige sehr knifflige Eigentumsfragen. Das ist die ganze Antwort in wenigen Worten. Und dieser hier«, er fuchtelte mit seinem Rohrstock, »seht ihn euch gut an. Fairtrax, der Gallier, höchst wichtig, höchst wichtig! Er stand Spartacus sehr nahe. Ich habe beobachtet, wie er starb. Hier habe ich gesessen und ihn sterben sehen. Vier Tage lang. Er war stark wie ein Ochse. Wahrhaftig, ihr würdet solche Stärke kaum für möglich halten. Unglaublich. Sextus hat mir den Schemel hier gegeben. Kennt ihr ihn? Ein Herr, ein großer Herr, und mir sehr wohl gesonnen. Ihr würdet staunen, wie viele Leute herkamen, um zuzusehen, und es war auch ein lohnendes Schauspiel. Ich konnte zwar keine Eintrittsgebühr von ihnen fordern, doch die Menschen ge13
ben, wenn man ihnen etwas dafür wiedergibt. Eine Hand wäscht die andere. Ich machte mir die Mühe, mich zu unterrichten. Ihr wäret überrascht, wie wenig man überall von den Spartacuskriegen weiß. Nehmt nur diese junge Dame – sie fragt mich, ob das Spartacus sei. Eine durchaus natürliche Frage, aber es wäre dennoch recht unnatürlich, wenn er dort hinge. Ihr vornehmen Leute lebt sehr zurückgezogen, sonst wüßte die junge Dame, daß Spartacus zerstückelt wurde und daß man weder Haut noch Haar von ihm gefunden hat. Mit diesem hier war es anders – er wurde gefangengenommen. Ein wenig aufgeschlitzt, seht ihr …« Er zeigte mit dem Rohr auf eine lange Wunde, die der über ihm hängende Leichnam an der Seite aufwies. »Zahlreiche Narben – höchst aufschlußreich. Seitlich oder vorn. Keine einzige im Rücken. Solche Einzelheiten sind nichts für den Pöbel, doch euch kann ich erzählen –« Die Sänftenträger beobachteten ihn jetzt und lauschten. Ihre Augen leuchteten unter den langen, verfilzten Haaren. »…, daß dies die besten Soldaten waren, die je über römischen Boden marschiert sind. Doch zurück zu unserem Freund hier oben. Vier Tage hat er gebraucht, um zu sterben, und es hätte noch viel länger gedauert, wenn man ihn nicht ein wenig zur Ader gelassen hätte. Vielleicht wißt ihr das nicht, aber man muß es tun, wenn man sie kreuzigt. Entweder man zapft ihnen Blut ab, oder sie quellen auf wie ein Schwamm. Wenn man sie richtig zur Ader läßt, trocknen sie auch richtig und können einen Monat hängen bleiben, ohne mehr Unannehmlichkeiten zu verursachen, als ein bißchen Gestank. Dasselbe, wie wenn man Fleisch dörrt, man braucht nur viel Sonne dazu. Dies hier war ein wilder, trotziger, stolzer Mann – aber er verlor. Am ersten Tag hing er da oben und be14
schimpfte jeden anständigen Bürger, der zum Zuschauen gekommen war. In einer abscheulichen, unanständigen Sprache, die man keiner Dame zumuten möchte. Ohne jede Bildung, aber Sklave bleibt eben Sklave, ich habe es ihm nicht übelgenommen. Hier war ich, und dort war er, und mitunter sagte ich zu ihm: ›Dein Unglück ist mein Glück. Mag es für dich auch nicht gerade die angenehmste Art zu sterben sein, so ist es für mich ebensowenig die angenehmste Art, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und ich werde verdammt wenig verdienen, wenn du weiterhin solche Reden führst.‹ Ihn schien das nicht sonderlich zu erschüttern, aber am Abend des zweiten Tages verstummte er. Sein Mund schnappte zu wie eine Falle. Wißt ihr, welches seine letzten Worte waren?« »Was?« flüsterte Claudia. »›Ich werde wiederkommen, und aus mir werden Millionen geworden sein.‹ Das waren genau seine Worte. Phantastisch, nicht wahr?« »Was meinte er damit?« überlegte Gajus. Gegen seinen Willen hatte der Dicke ihn in seinen Bann gezogen. »Was mag er wohl gemeint haben, junger Herr? Ich ahne es ebensowenig wie du, und er hat auch kein Wort mehr gesagt. Am nächsten Tag habe ich ihn ein wenig gepiekt, aber er blieb stumm und sah mich nur aus seinen blutunterlaufenen Augen an, als wollte er mich umbringen, doch konnte er niemanden mehr töten.« Er wandte sich wieder an Claudia. »Du siehst, meine Liebe, es war nicht Spartacus, aber einer seiner Hauptleute. Ein harter Mann, beinahe wie Spartacus, doch nicht ganz so hart. Man möchte ihm nicht auf dieser Straße begegnen und wird es ja auch nicht, denn er ist tot und verfault. Was wollt ihr noch wissen?« »Ich glaube, wir haben genug gehört«, sagte Gajus, dem jetzt der Denar leid tat. »Wir müssen weiter.« 15
III Rom war in jenen Tagen wie ein Herz, das sein Blut durch die römischen Straßen in jede Ecke der Welt pumpte. Ein anderes Volk hätte vielleicht in tausend Jahren eine drittklassige Straße gebaut, die seine größeren Städte miteinander verband. Nicht so Rom. »Baut eine Straße!« befahl der Senat. Die Baumeister entwarfen die Pläne. Aufträge wurden ausgegeben, die Bauleute gingen ans Werk, und die Arbeitskolonnen trieben die Straße wie einen Pfeil ans Ziel. Stand ein Berg im Wege, wurde er abgetragen. Tiefe Täler wurden mit Viadukten, Flüsse mit Brücken überwunden. Nichts vermochte Rom aufzuhalten, und nichts die römischen Straßen. Die Straße, auf der die drei unbeschwerten jungen Leute von Rom südwärts nach Capua zogen, wurde Via Appia genannt. Sie war gut gebaut, breit, gepflastert und auf Schichten von vulkanischer Asche und Kies errichtet. Sie war für die Dauer bestimmt. Wenn die Römer eine Straße bauten, so geschah dies nicht für ein oder zwei Jahre, sondern für Jahrhunderte. Auf diese Weise war die Appische Straße entstanden. Sie war ein Symbol für den Fortschritt der Menschheit, für die Leistungsfähigkeit Roms und das unermüdliche Organisationstalent seiner Bewohner. In ihr manifestierte sich eindeutig, daß das römische System das beste war, das die Menschheit je ersonnen hatte, ein System der Ordnung, Gerechtigkeit und Klugheit. Überall fanden sich Zeugnisse dieser Klugheit und Ordnung. Den Menschen, welche die Straße entlangzogen, waren sie so selbstverständlich geworden, daß sie sie kaum noch bemerkten. So waren die Entfernungen zum Beispiel gemessen und nicht geschätzt. Jede Meile war mit einem Meilenstein gekennzeichnet. Und jeder Meilenstein wiederum ent16
hielt sämtliche Auskünfte, die für den Reisenden wissenswert waren. An jeder Stelle war man genau im Bilde, wie weit man von Rom, von Formia und von Capua entfernt war. Alle fünf Meilen gab es ein Rasthaus und Ställe, wo man Pferde, Erfrischungen und notfalls ein Nachtquartier bekommen konnte. Viele dieser Häuser waren sehr schön. Sie besaßen breite Veranden, auf denen Speisen und Getränke serviert wurden. Einige hatten Bäder, wo die müden Reisenden sich erfrischen konnten, andere wiederum gute, bequeme Schlafräume. Die neueren Rasthäuser waren im Stil griechischer Tempel gebaut; die natürliche Schönheit der Landschaft beiderseits der Straße wurde dadurch noch hervorgehoben. In Niederungen und Sümpfen war die Straße terrassenförmig angelegt, wobei die rechte Seite sich drei bis fünf Meter über dem Boden befand. In zerklüftetem oder hügeligem Gelände führte sie entweder gerade hindurch oder spannte sich in Viadukten über die Schluchten. Die Straße war ein Sinnbild der Beständigkeit, und auf ihr bewegte sich alles, was Roms Beständigkeit ausmachte. Soldaten konnten hier dreißig Meilen an einem Tag marschieren, und dies Tag für Tag. Lastzüge rollten über sie hin. Sie waren beladen mit Erzeugnissen der Republik, mit Weizen und Gerste, Roheisen und Nutzholz, Leinen und Wolle, Öl und Früchten, Käse und Rauchfleisch. Auf dieser Straße betrieben die Bürger ihren Handel, die vornehmen Römer begaben sich zu ihren Landsitzen, Geschäfts- und Vergnügungsreisende, Sklavenkarawanen zogen zum Markt, Menschen aus allen Ländern und Völkern – sie alle spürten die Festigkeit und Ordnung der römischen Herrschaft. Und zu jener Zeit erhob sich alle paar Schritte ein Kreuz an der Straße, und an jedem hing ein Toter. 17
IV Der Morgen wurde wärmer als Gajus erwartet hatte, und nach einiger Zeit wurde der Leichengeruch recht unangenehm. Die Mädchen tränkten ihre Taschentücher mit Parfüm und hielten sie ständig vor die Nase. Das konnte jedoch den süßlichen, ekelerregenden Geruch, der plötzlich die Straße überflutete, nicht abhalten und ebensowenig seine Wirkung verhindern. Den Mädchen war übel, und schließlich mußte auch Gajus zurückbleiben, und sich am Wegrand erbrechen. Der Morgen wurde ihnen dadurch beinahe verdorben. Zum Glück gab es innerhalb einer halben Meile von dem Rasthaus, in dem sie zu Mittag einkehrten, keine Kreuze. Sie hatten zwar nur noch wenig Appetit, aber die Übelkeit verschwand. Das Haus war in griechischem Stil erbaut, ein langgestrecktes einstöckiges Gebäude mit einer hübschen Veranda, auf der Tische standen und die über einer Bachrinne lag. Sie blickte auf eine Grotte, die von grünen, duftenden Pinienhainen umgeben war. Hier gab es nur den Duft der Pinien, den feuchten, süßen Duft der Wälder, und kein anderes Geräusch als die gedämpfte Unterhaltung der Gäste und das Murmeln des Baches. »Was für ein bezaubernder Ort«, sagte Claudia. Gajus, der schon früher hier eingekehrt war, suchte einen Tisch aus und begann sachkundig das Mahl zu bestellen. Der Wein des Hauses wurde sofort aufgetragen. Er war bernsteinfarben, herb und erfrischend, und als sie davon tranken, kehrte ihr Appetit zurück. Sie saßen im hinteren Teil des Hauses, der von dem vorn gelegenen Lokal getrennt war, wo Soldaten, Fuhrleute und Fremde aßen. Es war schattig und kühl hier, und man sah, daß nur Kaufleute und Patrizier bedient wurden. Das bedeutete keineswegs eine besondere Exklusivität, denn viele 18
Kaufleute waren Handelsreisende, Geschäftsleute, Fabrikanten, Agenten und Sklavenhändler; doch es war ja auch eine öffentliche Gaststätte und keine private Villa. Außerdem ahmten die Kaufleute in letzter Zeit die Sitten der Patrizier nach und wurden weniger laut, aufdringlich und unangenehm. Gajus bestellte kalte Räucherente und kandierte Orangen. Bis das Essen kam, plauderte er über das neueste Schauspiel, das in Rom aufgeführt worden war, eine der zahlreichen gekünstelten Komödien im schlecht imitierten griechischen Stil. Es drehte sich um eine häßliche, gewöhnliche Frau, die mit den Göttern ein Abkommen schloß. Gegen einen Tag Anmut und Schönheit versprach sie ihnen das Herz ihres Mannes. Der Ehemann hatte mit der Geliebten eines Gottes geschlafen, und die verwickelte, dürftige Handlung beruhte lediglich auf dem Rachemotiv. Das war zumindest Helenas Ansicht, doch Gajus protestierte. Trotz der Oberflächlichkeit enthalte das Stück viele gescheite Stellen. »Mir hat es gefallen«, erklärte Claudia. »Ich glaube, uns geht es zu sehr um das, was gesagt wird, statt um das Wie«, meinte Gajus lächelnd. »Ich gehe ins Theater, um mich über geistreiche Dinge zu amüsieren. Wer ein Drama auf Leben und Tod will, soll die Arena aufsuchen und zusehen, wie die Gladiatoren einander totschlagen. Ich habe jedenfalls festgestellt, daß nicht gerade die Geistvollen, Tiefgründigen bei den Spielen zu finden sind.« »Du entschuldigst schlechte Schreiber«, widersprach Helena. »Durchaus nicht. Ich halte nur die Qualität des Schreibens im Theater nicht für so wichtig. Ein griechischer Schreiber ist billiger als ein Sänftenträger. Ich gehöre 19
nicht zu denen, die einen Kult mit den Griechen treiben.« Bei den letzten Worten bemerkte Gajus einen Mann, der neben ihrem Tisch stand. Die übrigen waren inzwischen besetzt, und der Mann, irgendein Geschäftsreisender, fragte, ob er Platz nehmen dürfe. »Ich esse nur einen Bissen und gehe dann gleich wieder«, sagte er. »Hoffentlich störe ich euch nicht.« Er war ein großer, kräftiger Mann, offensichtlich wohlhabend und kostbar gekleidet. Seine Ehrerbietung galt lediglich der vornehmen Herkunft der jungen Leute. Früher hatten die Handelsreisenden dem Landadel gegenüber nicht diese Haltung eingenommen. Erst seitdem sie sehr reich wurden, entdeckten sie, daß ein Stammbaum zu den am schwersten käuflichen Dingen gehörte, und damit stieg er im Wert. Wie viele seiner Freunde stellte Gajus häufig fest, welcher Widerspruch zwischen den laut bekundeten demokratischen Gefühlen dieser Leute und ihrem starken gesellschaftlichen Ehrgeiz bestand. »Mein Name ist Gajus Marcus Senvius«, sagte der Handelsreisende. »Zögert nicht, mich zurückzuweisen.« »Bitte nimm Platz«, erwiderte Helena. Gajus stellte sich und die Mädchen vor. Die Reaktion des anderen freute ihn. »Ich habe einige Geschäfte mit Angehörigen eurer Familie gemacht«, erzählte der Handelsreisende. »Geschäfte?« »In Vieh. Ich bin Wurstmacher. Ich habe einen Betrieb in Rom und einen in Tarracina, von wo ich jetzt komme. Wenn ihr Wurst gegessen habt, so stammte sie von mir.« »Gewiß.« Gajus lächelte. Er haßt mich bis aufs Blut, dachte er. Man braucht ihn nur anzusehen. Er haßt mich, und doch ist er glücklich, hier sitzen zu dürfen. Was sind das doch für Schweine! 20
»Geschäfte in Schweinen«, sagte Senvius, als habe er die Gedanken des anderen gelesen. »Wir haben uns sehr gefreut, dich kennenzulernen und werden unserem Vater deine besten Wünsche übermitteln«, erklärte Helena höflich. Sie lächelte ihn kokett an, und er betrachtete sie erneut, als wolle er sagen: Patrizierin oder nicht, du bist eine Frau, meine Liebe. Gajus übersetzte es sich so: Wie würde es dir gefallen, kleine Hure, mit mir ins Bett zu gehen? Sie lächelten einander zu. In diesem Augenblick hätte Gajus ihn umbringen können, mehr aber noch haßte er seine Schwester. »Ich wollte euer Gespräch nicht unterbrechen«, sagte Senvius. »Laßt euch bitte nicht stören.« »Wir haben langweiliges Zeug über ein langweiliges Stück geredet.« Die Speisen wurden aufgetragen, und sie begannen zu essen. Plötzlich hielt Claudia, die ein Stück Ente zum Mund führen wollte, inne und sagte etwas, das Gajus später höchst erstaunlich fand: »Die Male müssen dich sehr geärgert haben.« »Welche Male?« »Die Kreuzigungen.« »Geärgert?« »Weil soviel frisches Fleisch verdirbt«, erklärte Claudia gelassen. Sie wollte keineswegs geistreich sein, sondern war ganz ruhig und beschäftigte sich wieder mit ihrer Ente. Gajus mußte sich zusammenreißen, um nicht in lautes Lachen auszubrechen, und Senvius wurde abwechselnd rot und blaß. Claudia jedoch hatte keine Ahnung, was sie getan hatte, und aß weiter. Nur Helena spürte, wie sich der Wurstmacher innerlich verhärtete, und war voll prickelnder Erwartung. Sie wollte, daß er zurückschlüge, und freute sich, als er es tat. »Geärgert ist nicht das richtige Wort«, sagte Senvius 21
schließlich. »Ich kann Vergeudung nicht leiden.« »Vergeudung?« fragte Claudia. Sie brach die kandierte Orange in kleine Stücke, die sie vorsichtig zwischen die Lippen schob. »Vergeudung?« Bei manchen Männern erregte Claudia Mitleid, bei wenigen Wut. Nur ein besonderer Mensch vermochte sie zu durchschauen. »Die Männer des Spartacus waren kräftig«, erklärte Marcus Senvius. »Und gut ernährt. Schätzungsweise wog jeder durchschnittlich hundertfünfzig Pfund. Über sechstausend hängen jetzt da draußen wie ausgestopfte Vögel. Das bedeutet neunhunderttausend Pfund Frischfleisch – jedenfalls war es frisch.« Nein, er kann es nicht so meinen, dachte Helena. Ihr ganzer Körper brannte jetzt vor Erwartung. Claudia aber, die ihre kandierte Orange weiter verzehrte, wußte, daß er es so meinte, und Gajus fragte: »Warum hast du kein Angebot gemacht?« »Das habe ich getan.« »Aber sie wollten nicht verkaufen?« »Es ist mir gelungen, eine Viertelmillion Pfund zu kaufen.« Worauf will er hinaus? fragte sich Gajus. Er versucht uns einen Schreck einzujagen, dachte er. Auf seine gemeine, schmutzige Weise will er uns Claudias Worte heimzahlen. Helena jedoch erkannte den Kern Wahrheit, der darin steckte, und Gajus sah mit Befriedigung, daß ihr endlich einmal etwas unter die Haut gegangen war. »Fleisch – von Menschen?« flüsterte Claudia. »Von Werkzeugen«, erklärte der Wurstmacher bestimmt. »Um den bewunderungswürdigen jungen Philosophen Cicero zu zitieren. Wertlose Werkzeuge. Ich habe sie geräuchert, klein gehackt und mit Schweinefleisch, Gewürz und Salz vermischt. Die Hälfte geht nach Gallien, die andere nach Ägypten. Und der Preis ist gerade 22
richtig.« »Ich finde deinen Scherz geschmacklos«, murmelte Gajus. Er war noch sehr jung und hatte es schwer, gegen die reife Bitterkeit des Wurstmachers aufzukommen. Der Handelsreisende würde Claudias Beleidigung sein Leben lang nicht vergessen und sie stets gegen Gajus ins Treffen führen, weil dieser den Fehler begangen hatte, dabeizusein. »Ich wollte gar nicht scherzen«, erwiderte Senvius sachlich. »Die junge Dame hat etwas gefragt, und ich habe geantwortet. Ich habe eine Viertelmillion Pfund Sklaven gekauft, um daraus Wurst zu machen.« »Das ist das Gräßlichste, Abscheulichste, was ich je gehört habe«, sagte Helena. »Deine angeborene Ungeschliffenheit treibt sonderbare Blüten.« Der Handelsreisende erhob sich und sah von einem zum anderen. »Verzeiht!« sagte er und wandte sich an Gajus. »Frage deinen Onkel Sillius. Er hat das Geschäft vermittelt und dabei schön verdient.« Dann ging er. Claudia aß ruhig weiter ihre kandierte Orange und hielt nur inne, um festzustellen: »Ein unmöglicher Mensch!« »Immerhin hat er die Wahrheit gesagt«, meinte Helena. »Was?« »Aber natürlich. Warum regt dich das so auf?« »Es war eine ganz dumme Lüge«, erklärte Gajus. »Er hat sie sich eigens für uns ausgedacht.« »Der Unterschied zwischen uns, mein Lieber, ist der, daß ich weiß, wenn jemand die Wahrheit sagt«, erwiderte Helena. Claudia wurde noch blasser als gewöhnlich. Sie stand auf, entschuldigte sich und ging würdevoll zum Ruheraum. Helena lächelte leise vor sich hin, und Gajus sagte: »Dich kann wohl nichts wirklich erschüttern, Helena?« 23
»Weshalb auch?« »Zumindest werde ich nie wieder Wurst essen.« »Ich habe nie welche gegessen«, sagte Helena. V Am frühen Nachmittag zogen sie weiter die Straße entlang. Sie begegneten einem syrischen Bernsteinhändler namens Musel Shabaal. Sein sorgfältig gelockter Bart glänzte von duftendem Öl, das lange, bestickte Gewand fiel zu beiden Seiten des prachtvollen Schimmels herab, den er ritt, und an seinen Fingern funkelten kostbare Edelsteine. Hinter ihm trabten zwölf Sklaven, Ägypter und Beduinen, die große Bündel auf dem Kopf trugen. Überall im römischen Machtbereich machte die Straße die Menschen gleich, und so fand Gajus sich bald in ein einigermaßen einseitiges Gespräch mit dem weltläufigen Kaufmann verwickelt, zu dem der junge Mann kaum mehr als ein gelegentliches Kopfnicken beitrug. Shabaal fühlte sich höchst geehrt, wenn er einen Römer traf, für die er stets größte Bewunderung empfand, insbesondere aber für jene gebildeten, wohlhabenden, zu denen Gajus zweifellos zählte. Unter den Orientalen gab es einige, die manches an den Römern nicht begriffen, zum Beispiel die Freiheit, die deren Frauen genossen. Shabaal jedoch gehörte nicht dazu. Sobald man einen Römer nur antastete, stieß man auf Granit, dafür zeugten die Strafmale an der Straße – und er freute sich über die Lehre, die seine Sklaven aus dem bloßen Anblick dieser eindrucksvollen Kreuze zogen. »Du wirst es kaum glauben, junger Herr«, sagte Musel Shabaal. Er sprach fließend Latein, jedoch mit fremdländischem Akzent. »Aber es gab Menschen in meiner 24
Heimat, die fest damit rechneten, daß Rom von Spartacus besiegt würde. Es kam sogar zu einem kleinen Aufstand unter unseren eigenen Sklaven, den wir mit scharfen Maßnahmen ersticken mußten. ›Wie wenig begreift ihr doch Rom‹, erklärte ich ihnen. ›Für euch ist Rom das, was ihr aus der Vergangenheit kennt oder was ihr in eurer Umgebung seht. Ihr vergeßt, daß Rom für diese Welt etwas Neues darstellt.‹ Wie soll ich ihnen Rom beschreiben? Zum Beispiel der Begriff gravitas. Was bedeutet er ihnen? Was sagt er all denen, die Rom nicht selber gesehen, die keine römischen Bürger kennengelernt und mit ihnen gesprochen haben? Gravitas – das heißt Aufrichtigkeit, Verantwortungsgefühl, Ernsthaftigkeit im Denken und Handeln. Levitas, das verstehen wir, sie ist unser Fluch. Wir spielen mit den Dingen, wir sind genußsüchtig. Der Römer spielt nicht, er ist ein Anhänger der Tugend. Industria, disciplina, frugalitas, clementia – für mich sind diese großartigen Worte Rom. In ihnen liegt das Geheimnis begründet, daß Frieden herrscht auf den römischen Straßen und im römischen Machtbereich. Doch wie soll man das erklären, junger Herr? Ich betrachte diese Strafmale mit aufrichtiger Befriedigung. Rom spielt nicht. Die Strafe ist dem Verbrechen angemessen, und hierin liegt die Gerechtigkeit Roms. Spartacus maßte sich an, all diese besten Kräfte herauszufordern und zu bekämpfen. Er bot Raub, Mord und Unordnung. Rom aber ist Ordnung – und so stieß Rom ihn zurück …« Gajus ließ den Redeschwall stumm über sich ergehen. Schließlich konnte er seine Langeweile und seinen Abscheu nicht mehr ganz verbergen. Daraufhin schenkte der Syrer unter zahlreichen Verbeugungen und Entschuldigungen Helena und Claudia zwei Bernsteinhalsbänder. Er empfahl sich ihnen, ihren Familien sowie sämtlichen 25
Geschäftsfreunden und zog davon. »Den Göttern sei Dank!« sagte Gajus. »Mein ernster Bruder!« erwiderte Helena lächelnd. VI Kurz bevor sie am späten Nachmittag von der Via Appia in die kleine Seitenstraße einbogen, die zu dem Landhaus führte, in dem sie übernachten wollten, wurde die eintönige Reise durch einen Zwischenfall unterbrochen. An einer Raststätte hielt ein Manipel der Dritten Legion, das sich auf Straßenpatrouille befand. Die Soldaten drängten sich auf dem Vorplatz und unter dem schattigen Sonnendach. Sie verlangten ungestüm nach Bier, das sie aus hölzernen Schalen tranken. Es waren zähe, bronzefarbene Männer mit harten Gesichtern, deren schweißgetränkte Lederhosen und Koller einen scharfen Geruch ausströmten. Sie führten lärmende, ungehobelte Reden und waren sich durchaus bewußt, daß die Strafmale an der Heerstraße ihr jüngstes Werk waren. Als Gajus und die Mädchen anhielten, um ihnen zuzusehen, trat der Hauptmann aus dem Pavillon. In der einen Hand hielt er einen Becher Wein, mit der anderen winkte er Gajus einen Gruß zu, der besonders herzlich ausfiel, da dieser zwei schöne Mädchen bei sich hatte. Der junge Mann war ein alter Freund von Gajus und hieß Sellus Quintus Brutas. Er war Berufssoldat, sehr forsch und gut aussehend. Helena kannte er bereits und war hocherfreut, nun auch Claudia zu begegnen. Dann fragte er sie kurz und sachlich, was sie von seinen Leuten hielten. »Ein lauter, dreckiger Haufen«, meinte Gajus. »Das stimmt – aber in Ordnung.« 26
»Wenn sie dabei sind, fürchte ich mich vor gar nichts«, erklärte Claudia. »Nur vor ihnen selber«, fügte sie hinzu. »Sie sind jetzt deine Sklaven und werden dich beschützen«, erwiderte Brutas höflich. »Wohin geht ihr?« »Wir übernachten in der Villa Salaria. Du erinnerst dich wohl, daß die Straße dorthin etwa zwei Meilen von hier abzweigt«, sagte Gajus. »Dann sollt ihr zwei Meilen lang nichts auf der Welt fürchten«, rief Brutas und fragte Helena: »Bist du schon einmal mit einer Ehrengarde von Legionären gereist?« »So wichtig bin und war ich nicht.« »Für mich bist du aber so wichtig«, erklärte der junge Offizier. »Gib mir nur die Gelegenheit. Du wirst schon sehen. Ich lege sie dir zu Füßen. Die Truppe gehört dir.« »Sie möchte ich zuallerletzt mir zu Füßen liegen sehen«, widersprach Helena. Er trank den Wein aus, und warf den Becher dem Türsklaven zu und pfiff auf der kleinen silbernen Pfeife, die ihm um den Hals hing. Es gab einen merkwürdig gebieterischen Triller von vier hohen und vier tiefen Tönen. Die Legionäre stürzten daraufhin ihr Bier hinunter, fluchten vor sich hin und eilten zu ihren Speeren, Schilden und Helmen. Brutas pfiff wieder und wieder, die Töne bildeten eine eindringliche Melodie, und der Manipel reagierte, als sei er ins Mark getroffen. Sie traten an, formierten sich zu Zügen, machten kehrt, schwenkten und bildeten dann zwei Kolonnen an jeder Seite der Straße. Es war ein wahrhaft erstaunliches Schauspiel eiserner Disziplin. Die Mädchen spendeten Beifall, und selbst Gajus, den die Posen seines Freundes etwas verärgert hatten, konnte nicht umhin, die Präzision der Truppe zu bewundern. »Kämpfen sie ebenso gut?« erkundigte er sich. »Frage Spartacus«, erwiderte Brutas, und Claudia rief: »Bravo!« 27
Brutas verbeugte sich und salutierte, worauf Claudia in Gelächter ausbrach, eine bei ihr ungewöhnliche Reaktion, aber heute war vieles an ihr für Gajus ungewöhnlich gewesen. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen funkelten erregt, als der Manipel exerzierte. Gajus fühlte sich weniger ausgeschlossen als vielmehr verblüfft durch die Art, wie sie mit Brutas zu plaudern begann. Dieser ging zwischen den beiden Sänften und hatte die Führung des Zuges übernommen. »Was können sie außerdem?« fragte Claudia. »Marschieren, kämpfen, fluchen …« »Und töten?« »Töten – ja, sie sind Totschläger. Sehen sie nicht so aus?« »Mir gefällt ihr Aussehen«, erklärte Claudia. Brutas musterte sie kühl und entgegnete dann leise: »Das glaube ich dir, meine Liebe.« »Was noch?« »Was willst du denn noch?« fragte Brutas. »Möchtest du sie hören? Marschieren – im Takt!« rief er. Die tiefen Stimmen der Soldaten sangen im Marschtritt: »Himmel, Erde, Straße, Stein! Erz schlägt alles kurz und klein.« Der Knüttelvers kam heiser und undeutlich aus ihren Kehlen, und die Worte waren schwer verständlich. »Was bedeutet das?« erkundigte sich Helena. »Genaugenommen gar nichts. Nur ein Marschlied. Es gibt sie zu Hunderten, und sie haben keinerlei Sinn. Himmel, Erde, Straße, Stein – das heißt soviel wie nichts, aber sie marschieren dabei besser. Dieser Vers stammt aus dem Sklavenkrieg. Manche sind nichts für die Ohren einer Dame.« »Für mich aber doch«, sagte Claudia. »Ich flüstere sie dir ins Ohr«, erwiderte er lächelnd und beugte sich zu ihr. Dann richtete er sich wieder auf. 28
Claudia wandte ihm den Kopf zu und starrte ihn an. Am Straßenrand standen wiederum Kreuze, und die Leichname hingen wie Schnüre daran herab. Brutas deutete auf sie. »Das ist ihre Arbeit. Mein Manipel hat allein achthundert ans Kreuz geschlagen. Es sind keine feinen Leute. Sie sind zäh, hart und mordlustig.« »Und sie werden dadurch zu besseren Soldaten?« fragte Helena. »Man vermutet es.« »Laß einen herüberkommen!« bat Claudia. »Weshalb?« »Weil ich es möchte.« »Gut.« Er zuckte die Achseln und rief: »Sextus! Heraustreten und melden!« Ein Soldat trat aus den Reihen, eilte im Laufschritt zwischen die beiden Sänften und marschierte dann vor dem Offizier weiter. Claudia setzte sich auf, verschränkte die Arme und musterte ihn eingehend. Es war ein mittelgroßer, dunkelhäutiger, muskulöser Mann. Seine nackten Unterarme, der Nacken, Hals und Gesicht waren fast mahagonibraun gegerbt. Er hatte scharfe, kantige Züge, die straffe Haut glänzte vor Schweiß. Er trug einen Metallhelm und auf dem Rücken über dem Tornister einen großen Schild. In der einen Hand hielt er das pilum, einen dicken Speer aus Hartholz, dessen eines Ende aus einer schweren dreieckigen Eisenspitze bestand. Außerdem war er mit einem kurzen spanischen Schwert ausgerüstet, und auf seinem Lederkoller waren über der Brust drei Eisenplatten befestigt und drei weitere auf beiden Schultern. Am Gürtel hingen abermals drei Eisenplatten, die beim Marschieren gegen seine Schenkel schlugen. Er trug lederne Hosen und hohe Lederstiefel und marschierte unter dieser gewaltigen Last von Metall und Holz leicht und anscheinend mühelos. Das Metall war geölt, 29
Öl, Schweiß und Leder verbanden sich zu dem eigentümlichen Geruch eines Handwerks, einer Kraft, einer Maschine. Gajus ritt hinter ihnen. Er konnte Claudias Gesicht im Profil sehen, die Zunge zwischen den leicht geöffneten Lippen, die Augen, die den Soldaten nicht losließen. »Ich möchte ihn neben der Sänfte haben«, flüsterte sie Brutas zu. Er zuckte die Achseln und gab dem Soldaten einen Befehl. Dessen Lippen umspielten ein leises Lächeln, als er neben der Sänfte marschierte. Er warf ihr nur einen einzigen Blick zu, dann sah er wieder starr geradeaus. Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Oberschenkel an der Stelle, wo die Muskeln sich unter dem Leder spannten. Dann sagte sie zu Brutas: »Sag ihm, er soll weggehen! Er stinkt und ist schmutzig.« Helena verzog keine Miene. Brutas zuckte abermals die Achseln und befahl dem Soldaten, wieder in die Reihe zu treten. VII Der Name Villa Salaria hatte einen einigermaßen ironischen Beigeschmack. Er erinnerte an die Zeit, da noch weite Landflächen südlich von Rom malariaverseuchte Sümpfe waren. Dieser Teil des Sumpfgebietes war jedoch bereits seit langem urbar gemacht worden. Die Privatstraße, die von der Via Appia abzweigte und zur Villa Salaria führte, war kaum weniger gut gebaut als die Hauptstraße selbst. Antonius Gajus, der Besitzer, war mütterlicherseits mit Gajus und Helena verwandt. Sein Landsitz war zwar nicht so prächtig wie andere, da er in der Nähe der Stadt lag. Dennoch war es ein großes Gut, 30
das zu den schönsten Latifundien gehörte. Nachdem Gajus und die beiden Mädchen die Via Appia verlassen hatten, mußten sie noch vier Meilen auf der Privatstraße zurücklegen, bevor sie das Haus selbst erreichten. Der Unterschied machte sich sofort bemerkbar. Jeder Fußbreit Boden war sorgfältig gepflegt. Die Wälder wirkten parkähnlich. Auf den terrassenförmig angelegten Hügeln waren Weinstöcke gepflanzt, die gerade die ersten Triebe angesetzt hatten. Auf anderen Feldern war Gerste angebaut – das wurde immer weniger gebräuchlich und einträglich, da die kleinen Bauernhöfe von den großen Latifundien verdrängt wurden – und wiederum andere waren mit endlosen Reihen von Olivenbäumen bestanden. Überall zeigte sich die sorgfältige Landschaftspflege, die nur durch fast unbeschränkte Sklavenarbeit ermöglicht wurde. Die drei jungen Leute entdeckten ständig neue, hübsche bemooste, grüne, kühle Grotten, in denen sich kleine Nachbildungen griechischer Tempel befanden, sowie Marmorbänke, Springbrunnen aus Alabaster und weiße Steinpfade, die durch die bewaldeten Schluchten führten. Als jetzt, am Spätnachmittag, die Sonne hinter den flachen Hügeln unterging und es kühler wurde, lag ein märchenhafter Zauber über der Landschaft. Claudia, die noch nie hier gewesen war, brach immer wieder in Ausrufe des Entzückens aus. Das paßte zu der »neuen Claudia«. Gajus dachte darüber nach, wie eine zart besaitete und recht vollblütige junge Dame derart unter der Reizwirkung der Strafmale aufblühen konnte. Um diese Tageszeit wurde das Vieh heimgetrieben. Das Läuten der Kuhglocken sowie der melancholische Klang der Hirtenhörner waren unablässig zu hören. Die Ziegenhirten – es waren junge Thraker und Armenier – trugen nichts als ein Lendentuch. Sie liefen durch die 31
Wälder und riefen die herumjagenden Tiere zusammen. Gajus fragte sich, ob nun die Ziegen oder die Sklaven menschlicher aussahen. Wie schon so oft, dachte er auch jetzt über den Reichtum seines Onkels nach. Das Gesetz untersagte den alten vornehmen Familien jegliche kaufmännische Betätigung. Antonius Gajus jedoch sah – wie viele seiner Zeitgenossen – in diesem Gesetz eher einen Deckmantel als eine Behinderung. Man sagte von ihm, er habe über seine Mittelsmänner über zehn Millionen Sesterzen gegen Zinsen verliehen, und der Zinsfuß belaufe sich dabei oft auf hundert Prozent. Außerdem erzählte man, daß ihm vierzehn Fünfdecker im Schiffahrtsverkehr mit Ägypten zum größten Teil sowie eine der bedeutendsten Silberminen Spaniens zur Hälfte gehörten. Die großen Handelsgesellschaften, die seit den Punischen Kriegen entstanden waren, wurden zwar ausschließlich von Kaufleuten beherrscht, erfüllten jedoch die Wünsche des Antonius Gajus bis ins letzte. Man konnte unmöglich sagen, wie reich er war. Die Villa Salaria gehörte dabei trotz allem Geschmack und aller Schönheit mit ihren über fünfzehntausend Morgen Acker- und Waldland noch nicht einmal zu den größten und prächtigsten Latifundien. Ebensowenig entfaltete Antonius Gajus seinen ganzen Reichtum, wie es bei vielen adligen Familien seit neuestem üblich geworden war, die große Gladiatorenkämpfe veranstalteten, unvorstellbaren kulinarischen Luxus trieben und Feste im orientalischen Stil gaben. Die Tafel des Antonius war gut und reichlich, aber Pfauenbrust, Kolibrizungen oder gefüllte Eingeweide libyscher Mäuse waren nicht darauf zu finden. Über einen derartigen Lebensstil runzelte man noch die Stirn, und die Familienskandale wurden nicht vor die Öffentlichkeit gebracht. Antonius war ein Römer von althergebrachter Würde, und Gajus, der ihn wohl 32
achtete, aber nicht sonderlich liebte, fühlte sich in seiner Gegenwart nie ganz wohl. Dieses Unbehagen war teilweise auf Antonius selbst zurückzuführen, der keineswegs zu den sympathischsten Erscheinungen gehörte. Mehr noch lag es in der Tatsache begründet, daß Gajus das Gefühl nicht loswurde, sein Onkel ziehe einen Vergleich zwischen ihm, wie er wirklich war, und dem, was seiner Meinung nach alle jungen Römer sein sollten, und dieser Vergleich falle nicht gerade zu seinen Gunsten aus. Gajus argwöhnte, daß die Legende von dem tugendhaften, ernsten jungen Römer heute weniger denn je der Wirklichkeit entsprach. Dieser junge Römer stellte sich dem Dienst am Staat zur Verfügung, bewährte sich zunächst als Soldat und wurde dann Offizier, heiratete ein rechtschaffenes römisches Mädchen und gründete mit ihr eine Familie wie die Gracchen. Er diente dem Staat selbstlos und treu, stieg von Posten zu Posten, um schließlich Konsul zu werden, er wurde geehrt und geachtet vom einfachen Volk sowie von den Reichen, Vornehmen und war in jeder Beziehung unantastbar. Einen solchen jungen Römer kannte Gajus nicht. Die jungen Männer, mit denen er gesellschaftlich zusammenkam, waren vielseitig interessiert. Einige beschäftigten sich damit, zahllose Eroberungen unter den jungen Mädchen zu machen. Andere verfielen bereits sehr jung der Geldkrankheit und waren schon als Zwanzigjährige in illegale Geschäfte verwickelt. Wieder andere lernten bald, Wählerstimmen zu kaufen und zu verkaufen, zu bestechen, zu schieben und beide Augen zuzudrücken, und erfuhren so eine gründliche Ausbildung in der schmutzigen politischen Kleinarbeit, die ihre Väter meisterhaft beherrschten. Manche wiederum entwickelten sich lediglich zu Feinschmeckern. Und sehr wenige nur gingen zum Heer, da die militärische Laufbahn bei 33
den jungen Männern ständig an Beliebtheit verlor. So betrachtete sich Gajus, der als Mitglied der größten Gruppe sich der stumpfsinnigen Aufgabe widmete, seine Tage so müßig und angenehm wie möglich zu verbringen, als harmlosen, wenn auch nicht gerade unentbehrlichen Bürger der Republik. Den unausgesprochenen Vorwurf, der häufig in den Reden seines Onkels Antonius mitklang, verübelte er sehr. Für ihn galt die Devise »Leben und leben lassen«, die er für praktisch und anständig hielt. Diesen Gedanken hing er nach, als sie den riesigen Ziergarten und die Rasenfläche betraten, welche die Villa umgaben. Die ausgedehnten Stallungen, Hürden und Sklavenunterkünfte, welche die Erwerbsgrundlage der Besitzung bildeten, waren von den Wohngebäuden getrennt, und keine Spur davon, nicht der leiseste Hauch von Mühsal und Arbeit durfte die klassische Ruhe und Heiterkeit des Hauses stören. Die Villa selbst stand auf einer kleinen Anhöhe: ein mächtiges, rechteckiges Gebäude, das um den Mittelhof, das Atrium mit Regenbekken, errichtet war. Sie war weißgekalkt, hatte ein leicht abgeschrägtes rotes Ziegeldach und sah nicht eigentlich unschön aus. Die Strenge der geraden Linien wurde durch die schlanken Zedern und Pappeln gemildert, die rundherum geschmackvoll angepflanzt waren. Die Gartenanlagen waren im sogenannten jonischen Stil gehalten. Es gab viele ungewöhnlich beschnittene blühende Sträucher, glatte Rasenflächen, Sommerhäuser in farbigem Marmor, Alabasterbassins für tropische Fische und zahlreiche herkömmliche Gartenstatuen, Nymphen und Pans, Faune und Amoretten. Antonius Gajus hatte einen ständigen Kaufauftrag zu Höchstpreisen auf den römischen Märkten erteilt, wo die Werke griechischer Bildhauer und Landschaftsmaler gehandelt wurden. Er knau34
serte dabei nie, obwohl es hieß, daß er keinen Geschmack besitze und lediglich dem Rat seiner Frau Julia folge. Gajus war davon überzeugt, da er selbst nicht ohne Geschmack war und bei seinem Onkel keine Spur davon entdecken konnte. Zwar gab es andere prachtvollere Häuser als die Villa Salaria – manche glichen den Palästen orientalischer Herrscher – doch konnte Gajus sich keines vorstellen, das geschmackvoller oder schöner in der Anlage gewesen wäre. Claudia war der gleichen Meinung. Als sie durch die Tore auf den Ziegelweg kamen, der zum Hause führte, sagte sie voller Überraschung zu Helena: »Das hätte ich mir niemals träumen lassen! Es ist wie ein Bild aus griechischen Mythen.« »Ein sehr schönes Fleckchen«, pflichtete Helena ihr bei. Die beiden kleinen Töchter von Antonius Gajus sahen sie zuerst und liefen ihnen über den Rasen entgegen, um sie zu begrüßen. Ihre Mutter Julia folgte ihnen langsamer, eine gutaussehende, dunkelhäutige, ziemlich üppige Frau. Antonius Gajus kam kurz darauf aus dem Haus, hinter ihm drei weitere Männer. Er legte bei sich wie bei anderen großen Wert auf gesellschaftliche Formen und begrüßte seine Nichte, seinen Neffen und deren Freundin mit gemessener Höflichkeit. Dann stellte er sie seinen Gästen vor. Zwei von ihnen kannte Gajus, nämlich Lentelus Gracchus, einen klugen, erfolgreichen römischen Politiker, und Licinius Crassus, den General, der sich im Sklavenkrieg einen Namen gemacht hatte und seit einem Jahr das Gesprächsthema der Stadt bildete. Der dritte war Gajus fremd. Er war jünger als die anderen, nicht wesentlich älter als Gajus selbst, und bewies die feine Zurückhaltung des nicht gebürtigen Patriziers zugleich mit der weniger feinen Arroganz des intellektuellen Römers. Er sah leidlich gut aus und hieß Marcus 35
Tullius Cicero. Bei der Vorstellung zeigte er Gajus und den beiden hübschen jungen Frauen gegenüber größte Bescheidenheit und Zurückhaltung. Dennoch konnte er seine rastlose Neugier nicht verbergen, so daß selbst Gajus, der kein sonderlicher Beobachter war, bemerkte, wie eingehend Cicero sie musterte, abschätzte und dabei versuchte, ihre Herkunft, den Reichtum und Einfluß ihrer Familien zu ergründen. Claudia hatte sich mittlerweile Antonius Gajus zugewandt, der ihr als das begehrenswerteste männliche Wesen erschien – der Herr des prächtigen Hauses und der endlosen Felder. Sie hatte wenig Sinn für Politik und auch nur eine ziemlich unklare Vorstellung vom Krieg, und somit war sie weder von Gracchus noch von Crassus sonderlich beeindruckt. Cicero wiederum war ihr nicht nur unbekannt, was sie übrigens nicht gestört hätte, sondern offensichtlich auch einer jener geldgierigen Kaufleute, die zu verachten man sie gelehrt hatte. Julia drängte sich bereits an Gajus, der zu ihren Lieblingen gehörte, und schnurrte wie eine große, ungeschickte Katze. Claudia bildete sich ein klügeres Urteil über Antonius, als es Gajus je gehabt hatte. In ihren Augen war der mächtige, hakennasige, muskelstrotzende Grundbesitzer aus Hemmungen und unbefriedigten Begierden zusammengesetzt. Sie spürte, daß sich hinter seiner sittenstrengen Maske Sinnlichkeit verbarg. Claudia bevorzugte Männer, die kraftvoll und doch zugleich kraftlos waren. Antonius Gajus würde niemals taktlos oder lästig sein. All dies hieß sie ihn mit ihrem scheinbar gleichgültigen Lächeln wissen. Die ganze Gesellschaft war jetzt vor dem Haus angelangt. Gajus war zuvor abgestiegen, und ein ägyptischer Haussklave führte sein Pferd weg. Die Sänftenträger waren erschöpft von den vielen Meilen, die sie zurückge36
legt hatten. Sie kauerten neben ihrer Last nieder und zitterten in der abendlichen Kühle. Die Muskeln ihrer mageren Leiber bebten vor tierhafter Müdigkeit. Niemand sah sie an, niemand beachtete sie, niemand kümmerte sich um sie. Die fünf Männer, die drei Frauen und die zwei Kinder gingen ins Haus, und die Träger hockten unbeweglich neben ihren Sänften und warteten. Auf einmal begann einer von ihnen, ein Junge von höchstens zwanzig Jahren, hemmungslos zu schluchzen. Es vergingen mindestens zwanzig Minuten, ehe ein Sklave kam und sie zu den Hütten führte, wo sie Essen und Nachtquartier erhielten. VIII Gajus ging mit Licinius Crassus ins Bad. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, daß der große Mann nicht zu jenen gehörte, die ihn persönlich für sämtliche Schwächen der heutigen vornehmen Jugend verantwortlich machten. Er fand Crassus angenehm und freundlich. Crassus hatte jene gewinnende Art, die sich für die Ansichten anderer interessierte, selbst wenn diese nur unbedeutende Menschen sind. Sie räkelten sich im Bad, ließen sich träge vom Wasser treiben, schwammen hin und her und genossen das warme Naß, das stark mit duftenden Salzen getränkt war. Crassus besaß einen gepflegten Körper, der noch nicht die Schlaffheit der mittleren Jahre aufwies, sondern straff und glatt war. Er wirkte jugendlich und elastisch. Er fragte Gajus, ob sie die Straße von Rom herunter gekommen seien. »Ja. Morgen reisen wir weiter nach Capua.« »Haben euch die Strafmale nicht gestört?« »Wir waren sehr neugierig, sie zu sehen«, erwiderte 37
Gajus. »Nein, sie haben uns wirklich nicht sonderlich gestört. Ab und zu sah man einen Leichnam, den die Vögel zerfleddert hatten. Das wurde allerdings ein wenig lästig, besonders, wenn der Wind in unserer Richtung wehte, aber das läßt sich nicht ändern, und die Mädchen haben einfach die Vorhänge zugezogen. Die Sänftenträger dagegen hat es mitgenommen. Ihnen wurde es manchmal schlecht.« »Ich vermute, sie fühlten sich mit ihnen solidarisch«, meinte der General lächelnd. »Möglich. Glaubst du, daß Sklaven solche Gefühle haben können? Unsere Sänftenträger sind größtenteils eigene Zucht. Die meisten wurden als Kinder in der Schule des Appius Mundellius mit der Peitsche abgerichtet. Sie sind zwar stark, aber doch nicht viel besser als Tiere. Können sie sich solidarisch fühlen? Ich kann es kaum für möglich halten, daß es bei Sklaven solche Gemeinsamkeit gibt. Aber das mußt du besser wissen. Meinst du, daß alle Sklaven etwas für Spartacus empfanden?« »Die meisten wohl, glaube ich.« »Tatsächlich? Bei dem Gedanken könnte einem unbehaglich zumute werden.« »Sonst hätte mir die Sache mit der Kreuzigung mißfallen«, erklärte Crassus. »Sie ist verschwenderisch, und ich kann Verschwendung um der Verschwendung willen nicht leiden. Außerdem glaube ich, daß Töten das Gegenteil bewirken kann – zuviel Töten. Ich meine, daß es etwas auslöst, das uns später einmal schaden könnte.« »Aber Sklaven?« widersprach Gajus. »Wie sagt doch Cicero so gern: ›Der Sklave ist das instrumentum vocale zum Unterschied vom Tier, dem instrumentum semi-vocale, und zum Unterschied vom gewöhnlichen Werkzeug, das wir als instrumentum mu38
tum bezeichnen könnten.‹ Eine sehr kluge Formulierung. Zweifellos ist Cicero ein höchst gescheiter Mensch, aber er mußte nicht gegen Spartacus kämpfen. Cicero brauchte den logischen Verstand des Spartacus nicht einzuschätzen, denn er mußte nicht nachts wachliegen wie ich, um die Gedankengänge des Spartacus im voraus zu berechnen. Wenn man gegen sie kämpft, entdeckt man plötzlich, daß Sklaven mehr sind als bloße instrumenta vocalia.« »Hast du ihn gekannt – persönlich, meine ich?« »Ihn?« »Spartacus.« Der General lächelte nachdenklich. »Eigentlich nicht. Ich habe mir mein eigenes Bild von ihm gemacht, wobei ich Steinchen um Steinchen zusammensetzte. Aber ich wüßte nicht, daß ihn irgend jemand wirklich kannte. Wie sollte man ihn auch erkennen? Wenn dein Hund plötzlich die Tollwut bekäme und sich dabei noch so intelligent verhielte, so bliebe er doch ein Hund, nicht wahr? Schwer zu sagen. Ich habe mir mein Bild von Spartacus gemacht, aber ich würde mir nicht anmaßen, eine Charakterstudie über ihn zu schreiben. Ich glaube, das könnte niemand. Diejenigen, die es gekonnt hätten, hängen an der Via Appia, und der Mann selbst ist bereits wie ein Traum. Wir werden ihn jetzt wieder zum Sklaven machen.« »Was er auch war«, sagte Gajus. »Ja, ja, vermutlich.« Gajus fiel es schwer, das Thema fortzusetzen. Nicht, daß er so wenig vom Krieg verstand, er interessierte sich nur nicht dafür. Doch der Krieg war die Pflicht seiner Kaste, seiner Klasse, seiner gesellschaftlichen Stellung. Was dachte Crassus wohl von ihm? Waren die Höflichkeit und die betonte Aufmerksamkeit echt? Jedenfalls 39
konnte man die Familie des Gajus weder übersehen noch geringschätzen, und Crassus brauchte Freunde. So ironisch es auch klang, diesem General, der den vielleicht erbittertsten Krieg der gesamten römischen Geschichte geführt hatte, war nur wenig Ruhm daraus erwachsen. Er hatte gegen Sklaven gekämpft und sie besiegt – als eben diese Sklaven beinahe Rom besiegt hatten. Das Ganze war ein seltsamer Widerspruch, und die Bescheidenheit des Crassus mochte durchaus echt sein. Von ihm würden keine Heldensagen und Lieder berichten. Der heiße Wunsch, den Krieg völlig zu vergessen, würde seinen Sieg immer mehr verkleinern. Sie stiegen aus dem Bade. Die wartenden Sklavinnen hüllten sie in warme Tücher. Mancher prachtvollere Landsitz als der des Antonius Gajus war nicht halb so gut mit allem ausgestattet, um jeden erdenklichen Wunsch der Gäste zu erfüllen. Gajus dachte darüber nach, während er trockengerieben wurde. In früheren Zeiten, so hatte man ihn gelehrt, gab es unzählige kleine Fürstentümer, Königreiche und Herzogtümer, von denen jedoch nur wenige in der Lage gewesen wären, wie Antonius Gajus zu leben und Gastfreundschaft zu üben. Dabei war Antonius nicht einmal ein besonders mächtiger oder bedeutender Grundbesitzer und Bürger der Republik. Man mochte sagen, was man wollte, die römische Lebensform war nur ein Spiegelbild derjenigen, die am geeignetsten und fähigsten waren, zu herrschen. »Ich habe mich nie ganz daran gewöhnt, daß mich Frauen ankleiden und bedienen«, sagte Crassus. »Gefällt dir das?« »Darüber habe ich noch nie richtig nachgedacht«, erwiderte Gajus. Das stimmte nicht, denn er fand entschieden Vergnügen und Reiz darin, von Sklavinnen bedient zu werden. Sein Vater gestattete es nicht, und in gewis40
sen Kreisen war es verpönt. In den vergangenen fünf bis sechs Jahren hatte sich jedoch die Einstellung den Sklaven gegenüber erheblich geändert. Für Gajus ebenso wie für seine Freunde hatten sie ihre menschlichen Züge größtenteils verloren. Es war eine schwierige Sache. Im Augenblick wußte er nicht, wie die drei Badewärterinnen aussahen. Wäre er plötzlich danach gefragt worden, hätte er nicht antworten können. Die Frage des Generals veranlaßte ihn, sie zu betrachten. Sie stammten irgendwoher aus Spanien, waren jung, feinknochig und nicht übel in ihrer dunklen, stillen Art. Sie gingen barfuß, trugen kurze, einfache Tuniken, die feucht vom Wasserdampf waren und Schweißflecke zeigten. Sie erregten ihn nur wenig angesichts seiner eigenen Nacktheit. Crassus jedoch zog eine an sich, tätschelte sie ungeschickt und lächelte auf sie herab, während sie sich duckte, ohne Widerstand zu leisten. Gajus war das äußerst peinlich. Er fühlte plötzlich Verachtung für diesen großen General, der eine Badesklavin betätschelte. Er wollte dabei nicht zusehen. In seinen Augen war es klein und häßlich und nahm Crassus seine Würde. Außerdem hatte Gajus das Gefühl, Crassus würde ihm später einmal nachtragen, daß er dabei gewesen war. Er ging zur Massagebank und legte sich hin. Crassus folgte ein wenig später. »Ein nettes kleines Ding«, sagte er. War der Mann denn ein völliger Narr in bezug auf Frauen? fragte sich Gajus. Doch Crassus war ganz unbefangen. »Spartacus war für mich ein ebensolches Rätsel wie für dich«, sagte er und setzte damit ihr voriges Gespräch fort. »Ich habe ihn nie gesehen – trotz des ganzen schaurigen Tanzes, zu dem er mich führte.« »Du hast ihn nie gesehen?« »Nein, niemals. Aber das bedeutet noch nicht, daß ich 41
ihn nicht gekannt habe. Stück für Stück habe ich ihn für mich zusammengesetzt. Das tue ich gern. Andere Leute komponieren ein Musikstück oder ein Gemälde. Ich aber habe ein Bild von Spartacus komponiert.« Crassus dehnte und streckte sich unter den erfahrenen Fingern der Masseuse. Eine Frau hielt einen kleinen Krug voll duftendem Öl und goß daraus ständig sorgsam unter die Finger der Masseuse, die Muskel auf Muskel zur Entspannung brachte. Crassus wand sich wie ein großer Kater, der gestreichelt wird, und stöhnte vor Wohlbehagen. »Wie war er – dein Bild von ihm, meine ich?« fragte Gajus. »Ich denke oft darüber nach, wie ich in seiner Vorstellung ausgesehen haben mag«, sagte Crassus lächelnd. »Am Schluß rief er nach mir. Man behauptet das jedenfalls. Ich kann nicht schwören, daß ich ihn gehört hätte, aber er soll geschrien haben: ›Crassus, du Hund, warte auf mich!‹ oder so ähnlich. Er war höchstens vierzig bis fünfzig Schritte von mir entfernt und begann sich den Weg zu mir zu bahnen. Es war erstaunlich. Er war nicht sehr groß und auch nicht sehr stark, aber er hatte einen rasenden Zorn. Das ist genau das richtige Wort. Wenn er mit seinen eigenen Waffen kämpfte, so war es ein rasender Zorn, eine wilde Wut. Und er schlug sich tatsächlich halb zu mir durch. Er muß mindestens zehn oder elf Männer in diesem letzten Ansturm getötet haben. Er war nicht aufzuhalten, bis wir ihn zerstückelten.« »Dann stimmt es also, daß seine Leiche nie gefunden wurde?« »Das stimmt. Er wurde in Stücke gehauen, so daß nichts von ihm übrigblieb, was man hätte finden können. Weißt du, was ein Schlachtfeld ist? Es ist bedeckt von Fleisch und Blut, und man kann sehr schwer sagen, 42
wessen Fleisch und Blut es ist. So ging er den Weg, den er gekommen war, aus dem Nichts ins Nichts, aus der Arena in den Schlächterladen. Wir leben durch das Schwert, und wir sterben durch das Schwert. Das war Spartacus. Ich grüße ihn.« Die Worte des Generals erinnerten Gajus an sein Gespräch mit dem Wurstmacher, und eine entsprechende Bemerkung lag ihm auf der Zunge. Er überlegte es sich jedoch und fragte statt dessen: »Du haßt ihn nicht?« »Weshalb? Er war ein guter Soldat und ein verdammter, schmutziger Sklave. Was sollte ich da hassen? Er ist tot, und ich lebe. Mir gefällt das –«, er dehnte sich wohlig unter den Fingern der Masseuse, wobei er es für selbstverständlich hielt, daß seine Worte an ihr vorbeiglitten, »aber ich habe nur begrenzte Erfahrung. Du würdest nicht so denken, habe ich recht? Deine Generation jedoch betrachtet die Dinge anders. Ich rede nicht von Huren, sondern von etwas Besonderem wie dieser hier. Wie weit kann man gehen?« Der junge Mann wußte zunächst nicht, wovon der General sprach, und sah ihn fragend an. Die Halsmuskeln des Crassus schwollen vor Leidenschaft, die seinen ganzen Körper ergriffen hatte. Gajus war verwirrt und ein wenig erschrocken. Er wollte rasch den Raum verlassen, doch es gab keine Möglichkeit, es taktvoll zu tun. Dabei störte er sich weniger an dem, was geschehen würde, als vielmehr daran, daß er anwesend sein müßte. »Warum fragst du sie nicht?« sagte er. »Sie fragen? Glaubst du, die kleine Hure spricht Latein?« »Das können alle ein bißchen.« »Du meinst, ich soll sie direkt fragen?« »Warum denn nicht?« murmelte Gajus. Er drehte sich auf den Bauch und schloß die Augen. 43
IX Während Gajus und Crassus im Bad waren und die letzte Stunde vor Sonnenuntergang die Felder und den Garten der Villa Salaria mit goldenem Schimmer übergoß, machte Antonius Gajus mit der Freundin seiner Nichte einen Spaziergang durch die Besitzung bis zur Pferdekoppel. Antonius Gajus erlaubte sich keinen übertriebenen Luxus, wie zum Beispiel eine private Rennbahn oder eine eigene Arena. Seine Theorie sah so aus: wenn man sich seinen Reichtum erhalten will, darf man ihn nur in Grenzen zeigen. Ebenso war ihm das Gefühl gesellschaftlicher Unsicherheit fremd, das die neuen Emporkömmlinge der Republik, die Kaufleute, hatten. Aber genau wie seine Freunde hatte Antonius Gajus eine Schwäche für Pferde und zahlte unwahrscheinliche Gelder für gute Zuchttiere. Seine Ställe machten ihm viel Freude. Damals kostete ein gutes Pferd mindestens fünfmal soviel wie ein guter Sklave – der Grund dafür war, daß man mitunter fünf Sklaven brauchte, um ein Pferd richtig aufzuziehen. Die eingezäunte Pferdekoppel lag auf einer großen Wiese. An der einen Seite waren die Ställe und Hürden, und unweit davon erhob sich eine bequeme Steintribüne, die Platz für etwa fünfzig Personen bot. Als sie zu den Ställen kamen, hörten sie einen Hengst schrill und verlangend wiehern. Es war Begierde und Wut darin, für Claudia neu, erregend und zugleich furchteinflößend. »Was ist das?« fragte sie Antonius Gajus. »Ein erregter Hengst. Ich habe ihn erst vor zwei Wochen auf dem Markt gekauft. Thrakisches Blut, starkknochig, wild, aber eine Schönheit. Möchtest du ihn sehen?« »Ich liebe Pferde«, erwiderte Claudia. »Zeig ihn mir, 44
bitte.« Sie gingen zu den Ställen. Antonius befahl dem Aufseher, einem dürren, verschrumpelten, kleinen ägyptischen Sklaven, den Hengst in die große Hürde zu führen. Dann wandten sie sich zur Zuschauertribüne und ließen sich auf Kissen nieder, die ein Sklave für sie aufgeschichtet hatte. Claudia entging nicht, wie gut geschult und flink die Leibsklaven des Antonius waren, wie sie jeden Wunsch errieten, jedem Blick gehorchten. Sie war von Kind auf an Sklaven gewöhnt und kannte die Schwierigkeiten, die man von ihnen zu gewärtigen hatte. Sie machte eine dahin zielende Bemerkung, und er erwiderte: »Ich peitsche meine Sklaven nicht. Wenn es Unruhen gibt, töte ich einen. Dadurch erziele ich Gehorsam, ohne ihre Moral zu brechen.« »Ich glaube, sie haben eine wunderbare Moral«, nickte Claudia. »Es ist nicht leicht, Sklaven zu behandeln, Sklaven und Pferde. Mit Menschen ist es am einfachsten.« Jetzt wurde der Hengst in die Hürde geführt. Es war ein mächtiger Falbe mit blutunterlaufenen Augen und Schaum vor dem Maul. Er war aufgezäumt, aber die beiden Sklaven, die an den Zügeln hingen, konnten das ausschlagende, sich bäumende Tier kaum bändigen. Der Hengst schleifte sie durch die halbe Hürde. Als sie ihn losließen, um sich in Sicherheit zu bringen, bäumte er sich auf und schlug mit den Hufen nach ihnen aus. Claudia lachte und klatschte begeistert in die Hände. »Herrlich ist er, einfach herrlich!« rief sie. »Aber weshalb ist er so haßerfüllt?« »Weißt du es nicht?« »Ich hielt es für Liebe und nicht für Haß.« »Das geht ineinander über. Er haßt uns, weil wir ihn von dem abhalten, was er will. Möchtest du es sehen?« 45
Claudia nickte. Antonius sagte ein paar Worte zu dem Sklaven, der in ihrer Nähe stand und der darauf hin zu den Ställen hinunterlief. Die Stute war kastanienbraun, nervös und geschmeidig. Sie floh durch die Hürde, und der Hengst wirbelte herum, um ihr den Weg abzuschneiden. Antonius Gajus aber sah nicht hin, sondern beobachtete Claudia, die von dem Schauspiel völlig gebannt war. X Gajus hatte sein Bad beendet, war rasiert, parfümiert, hatte sein Haar leicht geölt und sorgfältig gewellt und frische Kleider für das Abendessen angezogen. Er ging in den Farnraum, um vor dem Essen einen Becher Wein zu trinken. Der Farnraum der Villa Salaria hatte rosafarbene phönizische Kacheln und ein zartgetöntes blaßgelbes Glasdach. Um diese Tageszeit verwandelte der sanfte Glanz der untergehenden Sonne die dunklen Farne und die großblättrigen tropischen Pflanzen zu einem Traumgebilde. Julia war bereits da, als Gajus hereinkam. Sie saß auf einer Alabasterbank zwischen ihren beiden kleinen Mädchen. Die dämmrige Beleuchtung schmeichelte ihr. In ihrem langen weißen Gewand, das dunkle Haar geschmackvoll hochfrisiert, die beiden Kinder im Arm, war sie das Urbild einer ehrbaren römischen Ehefrau, voller Anmut, Gelassenheit und Würde. Wäre es nicht so offensichtlich und kindisch gestellt gewesen, hätte sie Gajus an sämtliche Bilder von der Mutter der Gracchen erinnert, die er je gesehen hatte. Er unterdrückte den Impuls, zu applaudieren oder »Bravo Julia!« zu sagen. Es war zu leicht, Julia zu treffen, denn ihre Schauspielerei war immer rührend und nie bösartig. »Guten Abend, Gajus.« In ihrem Lächeln lag gespielte 46
Überraschung und echte Freude. »Ich wußte nicht, daß du hier bist, Julia«, entschuldigte er sich. »Bitte bleib. Ich werde dir Wein einschenken!« »Gut.« Als sie die Mädchen wegschicken wollte, widersprach er: »Laß sie hier, wenn sie mögen …« »Es ist höchste Zeit für ihr Nachtessen.« Nachdem die Kinder weg waren, sagte sie: »Setz dich neben mich, Gajus. Bitte setz dich neben mich, Gajus!« Er ließ sich nieder, und sie goß Wein für ihn und sich ein. Sie stieß mit ihm an und trank, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Du bist zu schön, um gut zu sein, Gajus.« »Ich habe gar kein Verlangen, gut zu sein, Julia.« »Hast du überhaupt irgendein Verlangen, Gajus?« »Nach Vergnügen«, entgegnete er offen. »Das zu finden, wird immer schwieriger, so jung du auch bist, nicht wahr, Gajus?« »Ich sehe doch nicht sonderlich bekümmert aus – oder?« »Auch nicht besonders glücklich.« »Die Rolle der Vestalin ist nicht sehr kleidsam, Julia.« »Du bist viel klüger als ich, Gajus. Ich kann nicht so grausam sein wie du.« »Ich will nicht grausam sein.« »Willst du das beweisen und mich küssen?« »Hier?« »Antonius wird nicht hereinkommen. Er führt eben seinen neuen Hengst zur Stute. Um die kleine Blonde, die du mitgebracht hast, zu belustigen.« »Was? Claudia? Aber nein!« Er kicherte in sich hinein. »Was bist du doch für ein kleines Biest. Willst du mich küssen?« Er küßte sie flüchtig auf die Lippen. »Weiter nichts? Willst du – heute nacht, Gajus?« 47
»Wirklich, Julia …« »Sag nicht nein, Gajus!« unterbrach sie ihn. »Bitte nicht. Deine Claudia wirst du heute nacht bestimmt nicht haben. Ich kenne meinen Mann.« »Sie ist nicht meine Claudia, und ich will sie auch nicht heute nacht haben.« »Dann …« »Gut«, sagte er. »Gut, Julia. Wir wollen jetzt nicht davon sprechen.« »Du willst also nicht …« »Es geht nicht darum, ob ich will oder nicht will, Julia. Ich will nur jetzt nicht darüber reden.« XI Im Abendessen in der Villa Salaria zeigte sich ebenso wie in anderen Gepflogenheiten des Haushaltes ein gewisser Widerstand gegen Veränderungen, die im kosmopolitischen Rom bereits gebräuchlich waren. Bei Antonius Gajus war es weniger eingewurzelter Konservativismus als vielmehr der Wunsch, sich von der neuen Klasse der reichen Kaufleute zu unterscheiden, die ihr Vermögen durch Krieg, Seeräuberei, Bergbau und Handel erworben hatten und jede griechische oder ägyptische Neuerung eifrig nachahmten. So konnte Antonius Gajus kein Vergnügen daran finden, ein Mahl auf einem Ruhebett ausgestreckt einzunehmen. Es störte die Verdauung und lenkte von den richtigen Speisen ab durch die kleinen süßsauren Delikatessen, die jetzt so modern wurden. Seine Gäste saßen am Tisch und aßen vom Tisch. Er bewirtete sie mit Wild und Geflügel, mit köstlichen Braten und feinem Gebäck, mit den besten Suppen und saftigsten Früchten, doch gab es bei ihm keine der selt48
samen Erfindungen, die neuerdings auf den Tafeln so vieler römischer Adliger auftauchten. Ebensowenig schätzte er Musik und Tanz während der Mahlzeit. Er war für gutes Essen, guten Wein und gute Gespräche. Sein Vater und Großvater konnten fließend schreiben und lesen. Er hielt sich für einen gebildeten Mann. Während sein Großvater noch an der Seite seiner Sklaven die Felder selbst bestellt hatte, regierte Antonius Gajus sein großes Latifundium wie ein kleiner orientalischer Fürst sein Reich. Dennoch sah er sich gern als aufgeklärten Herrscher, der in griechischer Geschichte, Philosophie und Literatur wohlbewandert war, der zumindest ausreichende medizinische Kenntnisse besaß und zudem eine politische Rolle spielte. Die Auswahl seiner Gäste war kennzeichnend für seinen Geschmack. Als sie sich nach dem Mahl in ihren Stühlen zurücklehnten und Wein tranken – die Frauen hatten sich in den Farnraum zurückgezogen –, stellte Gajus fest, daß Gäste wie Gastgeber zu jener Elite gehörten, die Rom großgemacht hatte und die so fest und gut regierte. Gajus empfand dafür weniger Bewunderung als vielmehr Anerkennung. Er selbst besaß in dieser Hinsicht keinerlei Ehrgeiz. In ihren Augen hatte er weder Wert noch sonderliche Bedeutung. Er war ein junger Taugenichts aus guter Familie, der lediglich von Essen und Pferden wirklich etwas verstand. Diese Geschmacksrichtung war erst in den letzten ein bis zwei Generationen aufgekommen. Dennoch hatte er ein gewisses Gewicht; seine verwandtschaftlichen Beziehungen waren beneidenswert. Nach dem Tode seines Vaters würde er sehr reich sein. Möglicherweise könnte er durch irgendwelche Umstände sogar zu einer politischen Persönlichkeit werden. So war er nicht nur geduldet und wurde ein wenig besser behandelt, als man es sonst einem jungen Fant mit 49
hübschem Gesicht, geöltem Haar und wenig Verstand zugebilligt hätte. Gajus fürchtete sie. Sie waren krank, doch diese Krankheit schien sie nicht zu schwächen. Da saßen sie, hatten vorzüglich gespeist, tranken den milden Wein und jene, die sich gegen ihre Macht erhoben hatten, hingen meilenweit an Kreuzen auf der Via Appia. Spartacus war Fleisch, einfach Fleisch, wie es auf dem Block eines Schlächterladens lag. Es war nicht einmal genug von ihm übriggeblieben, um es ans Kreuz zu schlagen. Doch nie würde es jemand wagen, Antonius Gajus zu kreuzigen, der ruhig und sicher oben an der Tafel saß, von Pferden redete und mit scharfer Logik ausführte, daß man besser zwei Sklaven vor einen Pflug spanne als ein Pferd. Denn es gebe kein Pferd, das eine so unmenschliche Behandlung aushalten könne wie die Sklaven. Cicero hörte leise lächelnd zu. Er wirkte beunruhigender auf Gajus als die anderen. Wie konnte man Cicero mögen? Wollte er das? Einmal hatte Cicero ihn flüchtig angesehen, als wolle er sagen: »Oh, ich kenne dich, mein Junge. Vom Scheitel bis zur Sohle, von vorn und hinten, in- und auswendig.« Ob die übrigen wohl Angst vor Cicero hatten? Hüte dich vor Cicero, zum Hades mit ihm! sagte er sich. Crassus lauschte mit höflichem Interesse. Er mußte ja höflich sein. Er war das Musterbeispiel eines römischen Heerführers: aufrecht, fest, harte Züge, bronzefarbene Haut, schönes schwarzes Haar – und dann dachte Gajus daran, wie sich Crassus im Bad benommen hatte, und schüttelte sich. Wie konnte er nur? Gegenüber von Gajus saß der Politiker Gracchus, ein dicker Mann mit tiefer, dröhnender Stimme, wulstigem Kinn und fetten, schwammigen Händen, die fast an jedem Finger mit Ringen überladen waren. Er gab die wohldurchdachten Antworten des Berufspolitikers. Sein Lachen war 50
gewaltig, seine Zustimmung kräftig, sein Widerspruch dagegen stets geschmeidig. Seine Äußerungen waren bombastisch, jedoch niemals dumm. »Natürlich ist es günstiger, Sklaven vor den Pflug zu spannen«, meinte Cicero, nachdem Gracchus einige Einwände geltend gemacht hatte. »Ein Tier, das denken kann, ist dem ohne Denkvermögen vorzuziehen. Das steht fest. Zudem ist ein Pferd etwas Wertvolles. Es gibt keine Pferdestämme, gegen die wir Krieg führen und von denen wir danach hundertfünfzigtausend auf den Markt bringen können. Und wenn man Pferde nähme, würden die Sklaven sie zugrunde richten.« »Das begreife ich nicht«, sagte Gracchus. »Frage unseren Gastgeber.« »Es stimmt.« Antonius nickte. »Die Sklaven würden ein Pferd umbringen. Sie haben keinerlei Achtung vor dem, was ihrem Herrn gehört – sie selbst ausgenommen.« Er schenkte sich einen neuen Becher Wein ein. »Wollen wir uns weiter über Sklaven unterhalten?« »Warum nicht?« meinte Cicero. »Sie sind ständig in unserer Umgebung, und wir wiederum sind das einzigartige Ergebnis von Sklaven und Sklaverei. Das macht uns zu Römern, wenn man es sich genau überlegt. Unser Gastgeber lebt auf diesem großen Besitz – um den ich ihn beneide – dank Tausender von Sklaven. Crassus ist das Gesprächsthema Roms, weil er den Sklavenaufstand niederschlug, und Gracchus bezieht sein unschätzbares Einkommen vom Sklavenmarkt, der in einem Stadtteil liegt, wo ihm alles mit Haut und Haaren gehört. Und dieser junge Mann«, dabei nickte er Gajus lächelnd zu, »ist meiner Meinung nach sogar in erhöhtem Maße ein einzigartiges Produkt von Sklaven. Denn ich bin sicher, daß sie ihn säugten, fütterten, spazierenführten und kurierten und …« 51
Gajus errötete, während Gracchus in Gelächter ausbrach und rief: »Und was ist mit dir, Cicero?« »Für mich bilden sie ein Problem. Um heutzutage in Rom anständig zu leben, braucht man mindestens zehn Sklaven. Und die zu kaufen, zu ernähren und unterzubringen – das ist mein Problem.« Gracchus lachte wieder, aber Crassus sagte: »Ich kann dir darin nicht recht geben, daß es die Sklaven sind, die uns zu Römern machen, Cicero.« Gracchus lachte abermals schallend, nahm einen tiefen Zug Wein und begann von einem Sklavenmädchen zu erzählen, das er im vergangenen Monat auf dem Markt gekauft hatte. Er war leicht angeheitert, sein Gesicht glühte, und er kicherte zwischendurch, wobei sein gewaltiger Bauch wackelte. Er beschrieb das Mädchen, das er erworben hatte, in aller Ausführlichkeit. Gajus fand die Geschichte witzlos und gewöhnlich, aber Antonius nickte weise, und Crassus wurde von der urwüchsigen Schilderung des fetten Mannes mitgerissen. Cicero lächelte dünn und skeptisch. »Ich komme noch einmal auf Ciceros Behauptung zurück«, erklärte Crassus beharrlich. »Habe ich dich beleidigt?« erkundigte sich Cicero. »Niemand ist hier beleidigt«, sagte Antonius. »Wir sind eine Gesellschaft zivilisierter Menschen.« »Nein, nein, nicht beleidigt. Du hast mich verwirrt«, erwiderte Crassus. Cicero nickte. »Es ist merkwürdig, die Beweise für etwas mögen sich überall noch so aufdrängen, wir widersetzen uns dennoch der Logik ihrer Einzelheiten. Die Griechen sind anders. Logik besitzt für sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft, ohne Rücksicht auf die Folgen. Unsere Tugend aber ist Beharrlichkeit. Sehen wir uns doch einmal um!« Einer der Sklaven, der am Tisch bediente, ersetzte die geleerten Krüge durch volle, ein 52
anderer bot Früchte und Nüsse an. »Was ist das Wesentliche unseres Lebens? Wir sind kein beliebiges Volk. Wir sind das römische Volk, und wir sind es gerade deshalb, weil wir als erste die Nützlichkeit des Sklaven in vollem Umfang begriffen haben.« »Aber es gab doch bereits Sklaven, bevor es Rom gab«, wandte Antonius ein. »Allerdings, hier und dort einige wenige. Es ist richtig, daß die Griechen Plantagen hatten, und ebenso Karthago. Doch wir zerstörten Griechenland und Karthago, um Raum für unsere eigenen Plantagen zu schaffen. Die Plantage und der Sklave sind jedoch ein und dasselbe. Wo andere Völker einen Sklaven hatten, haben wir zwanzig. Und jetzt leben wir in einem Land von Sklaven, und Spartacus ist unsere größte Leistung. Was meinst du, Crassus? Du hattest eine enge Beziehung zu Spartacus. Hätte irgendein anderes Volk außer Rom ihn hervorbringen können?« »Haben wir denn Spartacus hervorgebracht?« gab Crassus zu bedenken. Der General war verwirrt. Gajus nahm an, daß es ihm in jedem Fall schwerfiele, gründlich nachzudenken, geschweige denn bei einem geistvollen Partner wie Cicero. Die beiden hatten wirklich keinerlei gemeinsame Basis. »Ich war der Meinung, die Unterwelt habe Spartacus hervorgebracht«, fügte Crassus hinzu. »Kaum.« Gracchus ließ sich nicht stören. Er grunzte behaglich, trank seinen Wein und erklärte Cicero entschuldigend, als guter Römer sei er ein schlechter Philosoph. Jedenfalls habe man nun einmal Rom und die Sklaven. Was für eine Lösung schlage Cicero vor? »Verständnis«, erwiderte Cicero. »Warum?« fragte Antonius Gajus. »Weil sie uns sonst vernichten werden.« 53
Crassus lachte und fing dabei einen Blick des Gajus auf. Es war der erste wirkliche Kontakt zwischen den beiden, und dem jungen Mann lief ein erregter Schauer über den Rücken. Crassus trank unmäßig, Gajus jedoch hatte in diesem Zustand kein Verlangen nach Wein. »Bist du die Straße heruntergekommen?« fragte Crassus. Cicero schüttelte den Kopf. Es war nie einfach, einen Militär davon zu überzeugen, daß nicht alles durch das Schwert entschieden wird. »Ich meine nicht die primitive Logik eines Schlächterladens. Es handelt sich hier um eine Entwicklung. Auf dem Grund unseres guten Gastgebers lebten einst mindestens dreitausend Bauernfamilien. Rechnet man jede Familie mit fünf Personen, so heißt das fünfzehntausend Menschen. Und diese Bauern waren verdammt gute Soldaten. Stimmt es, Crassus?« »Sie waren gute Soldaten. Ich wünschte, es gäbe mehr davon.« »Und gute Landwirte«, fuhr Cicero fort. »Nicht für Rasen und Ziergärten, sondern für Gerste. Nur Gerste, aber der römische Soldat marschiert für Gerste. Gibt es auf deinem Besitz auch nur einen Morgen Land, Antonius, der wenigstens halb so viel Gerste hervorbringt, wie ein fleißiger Bauer früher herausholte?« »Nicht einmal ein Viertel«, gab Antonius Gajus zu. Gajus fand das Ganze jetzt höchst öde und langweilig. Er hing seinen Träumen nach. Sein Gesicht war heiß und rot. Er glühte innerlich vor Erregung. So muß einem Soldaten zumute sein, bevor er in die Schlacht geht, dachte er. Er hörte Cicero kaum noch zu. Unentwegt sah er Crassus an und fragte sich, weshalb Cicero wohl so hartnäckig an diesem ermüdenden Thema festhielt. »Und warum, warum?« fragte Cicero. »Warum können deine Sklaven nichts hervorbringen? Die Antwort ist sehr 54
einfach.« »Sie wollen nicht«, erwiderte Antonius obenhin. »Genau, sie wollen nicht. Warum sollten sie auch wollen? Wenn du für einen Herrn arbeitest, liegt deine einzige Genugtuung darin, es schlecht zu tun. Es hat keinen Sinn, den Pflug zu schärfen, weil sie ihn ja doch gleich wieder stumpf machen. Sie zerbrechen Sicheln, zerschlagen Dreschflegel – Zerstören wird ihnen zum Prinzip. Das ist das Ungeheuer, das wir uns selber geschaffen haben. Hier lebten einst auf zehntausend Morgen fünfzehntausend Menschen. Heute dagegen sind es tausend Sklaven und die Familie des Antonius Gajus, während die Bauern in den Elendsvierteln und auf den Straßen Roms verkommen. Wir müssen das verstehen. Es war so einfach: wenn der Bauer aus dem Krieg heimkehrte, fand er sein Land von Unkraut überwuchert, seine Frau mit einem anderen im Bett vor, und die Kinder kannten ihn nicht mehr. Also drückte man ihm ein paar Silberlinge für seinen Grund und Boden in die Hand und schickte ihn nach Rom, wo er auf der Straße hausen sollte. Die Folge davon ist, daß wir in einem Land von Sklaven leben. Das ist Grundlage und Inhalt unseres Daseins. Die ganze Frage unserer Freiheit, der menschlichen Freiheit, der Republik und der Zukunft der Zivilisation wird durch unsere Einstellung zu ihnen bestimmt. Sie sind keine menschlichen Wesen. Das müssen wir begreifen und mit dem sentimentalen Unsinn Schluß machen, den die Griechen daherreden, daß nämlich alles, was gehen und sprechen kann, gleich sei. Der Sklave ist das instrumentum vocale. Sechstausend dieser Werkzeuge säumen die Straße. Das ist keine Verschwendung, sondern notwendig! Das Geschwätz von Spartacus, von seinem Mut, ja sogar von seinem Edelmut widert mich zutiefst an. Ein Köter, der nach seinem Herrn schnappt, hat keinerlei Mut 55
oder Edelmut!« Ciceros Kälte war in bleichen Zorn übergegangen, der nicht minder kalt war, jedoch die Zuhörer in Bann schlug und ihn zu ihrem Herrn machte, so daß sie ihn halb verrückt, halb verängstigt anstarrten. Nur die Sklaven, die um den Tisch herumgingen und Früchte, Nüsse und Süßigkeiten anboten sowie Wein nachschenkten, zeigten keinerlei Regung. Gajus, der jetzt empfindlich bis in die Fingerspitzen war, bemerkte das. Die Welt hatte für ihn ein anderes Gesicht bekommen. Er bestand nur noch aus Erregung und Spannung. Er sah, wie unbeweglich die Gesichter der Sklaven blieben, wie hölzern ihr Ausdruck, wie gleichgültig ihre Bewegungen. Cicero sprach also die Wahrheit – daß sie gingen und redeten, machte sie noch nicht zu Menschen. Er fühlte sich dadurch erleichtert, ohne zu wissen, warum. XII Gajus entschuldigte sich, während die anderen noch tranken und sich unterhielten. Sein Leib krampfte sich zusammen. Er glaubte wahnsinnig zu werden, wenn er noch länger dabeisitzen und zuhören müßte. Als Vorwand gab er an, er sei müde von der Reise. Aber nachdem er den Speisesaal verlassen hatte, merkte er, daß er dringend etwas frischer Luft bedürfe. Er ging durch den Hintereingang des Hauses auf die Terrasse, die aus weißem Marmor bestand und in deren Mitte sich ein Wasserbecken befand. Daraus erhob sich eine Nymphe über einer Gruppe von Seeschlangen. Sie hielt eine Muschel, aus der ein vom Mondlicht silbern überhauchter Wasserstrahl sprühte. Hier und da standen Bänke aus Alabaster und grünem Vulkangestein, um die herum Zypressen in 56
Krügen aus schwarzer Lava kunstvoll gruppiert waren. Die Terrasse erstreckte sich über die ganze Breite des Hauses und war etwa fünfzig Fuß tief. Das Marmorgeländer öffnete sich nur in der Mitte zu einer breiten weißen Treppe, die in die etwas einfacher angelegten unteren Ziergärten führte. Es sah Antonius Gajus durchaus ähnlich, diese verschwenderische Entfaltung seines Reichtums hinter dem Haus zu verbergen. Gajus war den Aufwand an Stein und Mauerwerk so gewöhnt, daß er keinen zweiten Blick auf die Einzelheiten verwandte. Cicero hätte darin vielleicht das Charakteristikum eines Volkes entdeckt, das sich in der Anwendung von Stein äußerte, sowie die Selbstgefälligkeit, mit der Beiwerk für die Ewigkeit geschaffen wurde. Gajus jedoch hatte solche Überlegungen nie angestellt. Auch sonst hatte er nur wenige Gedanken, die nicht von anderen angeregt waren. Sie drehten sich meist um das Essen oder um sexuelle Dinge. Es fehlte ihm jedoch weder an Phantasie noch war er dumm. Die Rolle, die er im Leben spielte, erforderte nur keine Phantasie oder selbständiges Denken. Augenblicklich sah er sich lediglich einem Problem gegenüber, nämlich den Blick, den Crassus ihm zugeworfen hatte, ehe er den Speisesaal verließ, richtig zu deuten. Darüber dachte er nach, als er die vom Mondschein überfluteten Hügel betrachtete. »Gajus?« unterbrach ihn eine Stimme. Julia war der letzte Mensch, mit dem er auf der Terrasse allein sein wollte. »Ich bin froh, daß ich herausgekommen bin, Gajus.« Er zuckte wortlos die Achseln. Sie ging auf ihn zu, legte ihm die Hände auf die Arme und blickte zu ihm auf. »Sei gut zu mir, Gajus«, bat sie. Warum hört sie nicht auf zu salbadern und zu winseln, dachte er. 57
»Du gibst so wenig, und es kostet dich so wenig, Gajus. Mich aber kostet es viel, dich darum zu bitten.« »Ich bin sehr müde, Julia, und möchte zu Bett gehen«, sagte er. »Vermutlich verdiene ich es«, flüsterte sie. »Bitte, fasse es nicht so auf, Julia!« »Wie denn soll ich es auffassen?« »Ich bin nur müde, das ist alles.« »Das ist nicht alles, Gajus. Ich sehe dich an und frage mich, was du eigentlich bist, und hasse mich selbst. Du bist so schön – und so verderbt …« Er unterbrach sie nicht. Soll sie doch alles heraussagen, um so schneller würde er sie los sein. Sie fuhr fort: »Nein, nicht verderbter als andere, glaube ich. Bei dir fällt es mir nur auf. Aber wir sind ja alle verderbt, wir alle sind krank, verseucht, in uns sitzt der Tod, zahllose Tode – wir sind in den Tod verliebt. Bist du es nicht, Gajus? Deshalb bist du die Straße herabgekommen, wo du die Strafmale sehen konntest. Strafe! Wir tun das, weil wir es lieben – wir tun die Dinge auf diese oder jene Weise, weil wir sie lieben. Weißt du eigentlich, wie schön du im Mondschein bist? Der junge Römer, die Krönung der ganzen Welt, in der vollen Blüte der Schönheit und Jugend – und du hast keine Zeit für eine alte Frau. Ich bin ebenso verderbt wie du, Gajus, aber ich hasse dich in dem gleichen Maße, wie ich dich liebe. Ich wünschte, du wärest tot. Ich wünschte, es würde dich einer töten und dein elendes kleines Herz herausschneiden!« Es folgte ein langes Schweigen, und dann fragte Gajus ruhig: »Ist das alles, Julia?« »Nein, nein, nicht alles. Ich wünschte, ich wäre ebenfalls tot.« »Beide Wünsche sind erfüllbar«, erwiderte Gajus. 58
»Du gemeiner …« »Gute Nacht, Julia«, sagte Gajus scharf und verließ die Terrasse. Er hatte beschlossen, sich nicht zu ärgern, aber der unsinnige Ausbruch seiner Tante verstimmte ihn dennoch. Wenn sie auch nur das leiseste Gefühl für Maß hätte, würde sie erkennen, wie lächerlich sie sich mit ihrem billigen, sentimentalen Gejammer machte. Doch dieses Gefühl ging Julia von jeher ab. Kein Wunder, daß Antonius sie schwierig fand. Gajus ging direkt in sein Zimmer. Eine Lampe brannte. Zwei Sklaven erwarteten ihn, junge Ägypter, die Antonius als Hausdiener bevorzugte. Gajus entließ sie. Dann zog er sich aus. Er zitterte vor Erregung. Er rieb den ganzen Körper mit einem milden Parfüm ein, puderte einige Stellen, schlüpfte in ein Leinengewand, blies die Lampe aus und legte sich aufs Bett. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er ganz gut sehen, da ein breiter Mondstrahl durch das offene Fenster fiel. Der Raum war angenehm kühl, erfüllt vom Duft des Parfüms und der Frühlingssträucher im Garten. Gajus konnte kaum mehr als ein paar Minuten dagelegen haben, doch sie erschienen ihm wie Stunden. Dann wurde ganz leise an die Tür geklopft. »Herein«, sagte er. Crassus trat ein und schloß die Tür hinter sich. Der große General hatte nie männlicher ausgesehen als jetzt, da er den jungen Mann anlächelte, der ihn erwartete. XIII Der Mondstrahl war weitergewandert. Gajus war müde, gesättigt und wollüstig wie ein Kater. Plötzlich erklärte er unvermittelt: »Ich hasse Cicero.« 59
Crassus war väterlich, selbstzufrieden und sanft. »Warum haßt du Cicero, den gerechten Cicero?« fragte er. »Cicero den Gerechten. Warum haßt du ihn?« »Ich weiß es nicht. Muß ich denn wissen, warum ich jemanden hasse? Manche liebe ich, und manche hasse ich.« »Wußtest du, daß es Ciceros Idee war – nicht ausschließlich, aber zum großen Teil –, die Strafmale zu errichten, die sechstausend Kreuze an der Via Appia? Haßt du ihn deshalb?« »Nein.« »Wie war dir zumute, als du die Kreuze gesehen hast?« fragte der General. »Mitunter erregte es mich, meist jedoch nicht. Die Mädchen waren aufgeregter.« Ja?« »Aber morgen werde ich anders empfinden«, sagte Gajus lächelnd. »Warum?« »Weil du sie aufgestellt hast.« »Nicht eigentlich, das war das Werk Ciceros und anderer. Mir war es gleich.« »Aber du hast Spartacus vernichtet.« »Spielt das eine Rolle?« »Ich liebe dich dafür – und ich hasse ihn.« »Spartacus?« »Ja, Spartacus.« »Du hast ihn doch gar nicht gekannt.« »Das macht nichts. Ich hasse ihn – mehr noch als Cicero. Cicero ist mir gleichgültig. Aber ihn, diesen Sklaven, ihn hasse ich. Hätte ich ihn doch nur selbst töten können! Wenn du ihn mir hättest bringen und sagen können: ›Schneide ihm das Herz heraus, Gajus!‹ Wenn du …« »Du redest jetzt wie ein Kind«, sagte der General nach60
sichtig. »Wirklich? Und warum nicht?« fragte Gajus etwas weinerlich. »Warum sollte ich denn kein Kind sein? Ist es so herrlich, erwachsen zu sein?« »Aber weshalb haßt du Spartacus so sehr, wenn du ihn nie gesehen hast?« »Vielleicht habe ich ihn gesehen. Vor vier Jahren bin ich nach Capua gereist. Ich war damals erst einundzwanzig, noch sehr jung.« »Du bist immer noch sehr jung.« »Nein, ich fühle mich nicht so jung. Aber damals war ich es. Wir waren fünf oder sechs. Marius Bracus nahm mich mit. Er hatte mich sehr gern.« Gajus sagte das absichtlich. Marius Bracus war im Sklavenkrieg gefallen, so konnte es keinerlei Verwicklung geben. Doch Crassus sollte ruhig wissen, daß er nicht der einzige und nicht der erste war. Der General erstarrte, sagte aber kein Wort, und Gajus fuhr fort: »Ja, Marius Bracus und ich, dann zwei Freunde von ihm, ein Mann und eine Frau, und noch zwei, glaube ich, deren Namen ich vergessen habe. Marius Bracus trat ganz groß auf, wirklich ganz groß.« »Hattest du ihn sehr gern?« »Es tat mir leid, daß er starb«, erklärte Gajus achselzuckend. Was bist du doch für ein kleines Biest! Was für ein elendes kleines Biest! dachte der General. »Jedenfalls reisten wir nach Capua, und Bracus versprach uns eine Sondervorstellung der Gladiatoren. Damals war das noch teurer als heute. Man mußte ein reicher Mann sein, um sich das in Capua leisten zu können.« »Zu jener Zeit hatte Lentulus Batiatus dort die Gladiatorenschule, nicht wahr?« fragte Crassus. »Ja, sie galt als die beste in der ganzen Republik. Als 61
beste und teuerste. Für das Geld, das ein Kampf zwischen zwei seiner Gladiatoren kostete, konnte man einen Elefanten kaufen. Es heißt, er habe damit eine Million verdient. Jedenfalls war er ein Schwein. Hast du ihn gekannt?« Crassus schüttelte den Kopf. »Erzähle mir von ihm, das interessiert mich sehr. Das war doch, bevor Spartacus ausbrach?« »Acht Tage vorher, glaube ich. Ja, Batiatus war ins Gerede gekommen, weil er einen regelrechten Harem von Sklavinnen hielt. Das mögen die Leute nicht. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Solange es im Zimmer hinter verschlossenen Türen geschieht, ist nichts dabei, aber auf der Straße ist es einigermaßen geschmacklos. Und das hat er getan. Er nahm zudem seine Männer als Hengste und die Frauen als Stuten her, was wohl ganz in Ordnung ist, aber er verstand sich nicht darauf, es diskret zu machen. Er war ein großer, fetter Bulle mit schwarzem Haar und schwarzem Bart. Ich erinnere mich noch, wie schmutzig seine Kleider waren, über und über besät mit Essensspuren. Als er mit uns sprach, hatte er vorn auf seiner Tunika einen frischen Eierfleck.« »An was du dich erinnerst!« Der General lächelte. »Das weiß ich noch genau. Ich suchte ihn mit Bracus auf. Bracus wollte zwei Kämpfe bis zum Tode sehen, doch Batiatus zögerte. Es habe keinen Sinn, Stil, Technik oder Exaktheit bei den Gladiatoren zu pflegen, wenn jeder gelangweilte reiche Römer seine eigenen Wünsche habe, sagte Batiatus. Aber Bracus hatte Geld, und das lockte.« »Bei dieser Art Menschen«, meinte der General. »Alle lanistae sind gemein, Batiatus jedoch war ein Schwein. Ihm gehören drei der größten Mietshäuser in Rom. Ein viertes ist im vergangenen Jahr eingestürzt, und die 62
Hälfte der Einwohner wurde unter den Trümmern begraben. Für Geld würde er alles tun.« »Ich wußte gar nicht, daß du ihn kennst.« »Ich habe mit ihm gesprochen. Er war eine unerschöpfliche Nachrichtenquelle über Spartacus – der einzige, der wirklich was von Spartacus wußte, vermute ich.« »Erzähle mir«, bat Gajus seufzend. »Du wolltest mir doch gerade erzählen, daß du vielleicht Spartacus gesehen hast.« »Erzähle mir«, wiederholte Gajus ungeduldig. »Manchmal hast du erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Mädchen.« »Sag das nicht! Das darfst du nie mehr sagen!« Gajus fauchte wie eine Katze. »Was habe ich denn gesagt, daß du so böse wirst?« besänftigte ihn der General. »Ich soll dir von Batiatus erzählen? Es ist nicht besonders interessant, aber wenn du willst, ich tue es. Ich glaube, es ist über ein Jahr her. Die Sklaven haben uns damals übel mitgespielt. Deshalb wollte ich etwas über diesen Spartacus herausbekommen. Wenn man einen Menschen kennt, kann man leichter mit ihm fertig werden …« Gajus hörte lächelnd zu. Er wußte nicht genau, warum er Spartacus so haßte. Manchmal jedoch fand er tiefere Befriedigung im Haß als in der Liebe.
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ZWEITER TEIL Crassus, der große General erzählt dem Gajus Crassus, wie Lentulus Batiatus, der eine Gladiatorenschule in Capua unterhielt, ihn in seinem Feldlager besuchte. I Das also geschah – erzählte Crassus, als er neben dem jungen Mann lag – kurz nachdem ich den Oberbefehl erhalten hatte, jene Ehre, die man in ein frühes Grab mitnimmt. Die Sklaven hatten unsere Legionen zerschlagen und regierten das Land in jeder Beziehung. Ich sollte das ändern. Zieh aus und besiege die Sklaven, erklärte man mir. Meine ärgsten Feinde ehrten mich. Ich hatte damals meine Truppen in Gallien diesseits der Alpen Lager aufschlagen lassen und sandte deinem fetten Freund Lentulus Batiatus eine Botschaft. Leichter Regen fiel, als Lentulus Batiatus sich dem Feldlager des Crassus näherte. Die ganze Landschaft war trostlos und öde, und auch er war traurig, so weit weg von der Heimat und der warmen Sonne Capuas zu sein. Nicht einmal die Bequemlichkeit einer Sänfte hatte er. Er ritt einen dürren Falben und dachte: Wenn das Militär ans Ruder kommt, müssen anständige Menschen nach seiner Pfeife tanzen. Man ist nicht mehr Herr seines Lebens. Die Leute beneiden mich, weil ich ein wenig Geld habe. Eine schöne Sache, Geld zu haben, wenn man Kaufmann ist. Und noch besser, wenn man Patrizier ist. Aber wenn man weder das eine noch das andere, sondern nur ein anständiger Mensch ist, der sein Geld auf ehrliche Weise verdient hat, kann man nicht mehr ruhig schlafen. Be64
sticht man einen Inspektor, ist ein Bezirksbeamter an der Reihe, und sobald man beide los ist, liegt einem ein Tribun auf der Tasche. Beim Aufwachen wundert man sich jedesmal, daß man nicht im Schlaf erstochen wurde. Und jetzt tut mir ein verdammter General die Ehre an, mich durch halb Italien zu zerren, um mir Fragen zu stellen. Wenn ich Crassus, Gracchus, Silenius oder Menius hieße, sähe alles ganz anders aus. Das ist römische Gerechtigkeit und römische Gleichberechtigung in der Republik Rom! Lentulus Batiatus erging sich in einer Reihe von wenig schmeichelhaften Gedanken über römische Gerechtigkeit und einen gewissen römischen General. Plötzlich schreckte ihn der Anruf der Wachtposten, die vor dem Lager aufgestellt waren, aus seiner Versunkenheit auf. Gehorsam zügelte er sein Pferd und saß nun da in dem kalten Sprühregen, während zwei Soldaten vortraten und ihn verhörten. Da sie sowieso bis zur Ablösung im Regen stehen mußten, hatten sie keine Eile, ihn aus seiner unbequemen Lage zu entlassen. Sie musterten ihn kalt und unfreundlich und fragten ihn, wer er sei. »Mein Name ist Lentulus Batiatus.« Da sie ungebildete Bauern waren, kannten sie den Namen nicht und erkundigten sich nun, wohin er wolle. »Diese Straße führt zum Lager, nicht wahr?« »Ja.« »Ich will ins Lager.« »Wozu?« »Um mit dem Kommandanten zu sprechen.« »So siehst du aus. Was hast du zu verkaufen?« Ihr schmutzigen Bastarde! dachte Batiatus, erwiderte jedoch geduldig: »Ich habe nichts zu verkaufen. Ich komme auf Einladung.« »Wessen Einladung?« 65
»Des Kommandanten.« Er zog den Befehl, den Crassus ihm geschickt hatte, aus der Tasche. Sie konnten nicht lesen, doch der bloße Anblick eines Stücks Papier genügte, um ihn passieren zu lassen. Er durfte mit seiner gelben Mähre die Militärstraße zum Lager hinunter. Wie viele Emporkömmlinge jener Zeit schätzte Batiatus alles nach seinem Geldwert. So konnte er nicht umhin, sich zu überlegen, was wohl der Bau dieser Straße gekostet haben mochte. Sie war zwar nur provisorisch für die Zwecke des Lagers angelegt, aber dennoch besser, als er die Auffahrt zu seiner Schule in Capua bauen konnte. Der Unterbau bestand aus Kies, darüber waren leicht behauene Sandsteinplatten gelegt. Diese Straße führte über eine Meile schnurgerade zum Lager. Wenn diese verfluchten Generäle sich mehr mit Kämpfen und weniger mit Straßen beschäftigen würden, wären alle besser dran, dachte er. Gleichzeitig war er jedoch ein wenig stolz. Man mußte zugeben, daß die römische Zivilisation selbst in einem schmutzigen, regnerischen, elenden Loch wie diesem spürbar war. Darüber bestand kein Zweifel. Jetzt näherte er sich dem Lager. Wie immer war das vorläufige Standquartier der Legionen einer Stadt ähnlich. Die Legionen brachten die Zivilisation mit sich. Wo sie lagerten, und sei es auch nur für eine Nacht, entstand Zivilisation. Hier war eine gewaltige, von einem Wall umgebene Fläche, die fast eine halbe Quadratmeile maß, so exakt angelegt wie die Zeichnung auf einem Reißbrett. Zuerst kam ein zwölf Fuß breiter und zwölf Fuß tiefer Graben und dahinter der zwölf Fuß hohe, mit hölzernen Schanzpfählen befestigte Wall. Die Straße führte über den Graben zum Eingang, wo sich bei seinem Herannahen schwere Holztore öffneten. Ein Trompeter kündigte 66
ihn an, und ein Manipel zog auf, als er einritt. Es war keine Ehrenbezeigung für ihn, sondern Disziplin um der Disziplin willen. Daß es noch nie in der Geschichte so disziplinierte Truppen gegeben habe wie die Legionen, war wahrhaftig kein leeres Gerede. Selbst Batiatus, der für Kampf und Blutvergießen viel übrig hatte, dabei jedoch den zum Militärdienst eingezogenen Soldaten verachtete, war von der maschinenähnlichen Exaktheit des Heeres beeindruckt. Es waren nicht nur die Straße, der zwei Meilen lange Wall und Graben oder die breiten Straßen der Lagerstadt, die Entwässerungsgräben oder das Sandsteinpflaster, auch nicht das bewegte Leben und die Ordnung in diesem römischen Lager von dreißigtausend Mann, sondern vielmehr das Wissen, daß dieses gewaltige Werk, das für den Verstand und die Arbeit des Menschen zeugte, nebenbei in den Abendstunden von den Legionen geschaffen worden war. Die Barbaren wurden leichter durch den Anblick einer Legion, die ihr Nachtlager aufschlug, besiegt als durch den Kampf – das konnte man ohne Übertreibung sagen. Als Batiatus abstieg und sich sein fettes Hinterteil da rieb, wo es zu lange und zu eng mit dem Sattel in Berührung gekommen war, erschien ein junger Offizier und fragte ihn, wer er sei und was er hier zu tun habe. »Ich bin Lentulus Batiatus aus Capua.« »Ach ja, richtig«, näselte der junge Mann. Er war höchstens zwanzig Jahre alt, das hübsche, duftende, gepflegte Produkt einer der besten Familien. Diese Sorte haßte Batiatus am meisten. »Ja«, sagte der junge Mann, »Lentulus Batiatus aus Capua.« Er wußte Bescheid. Er war genau im Bilde über Lentulus Batiatus aus Capua, wer er war, was er vorstellte und warum er hierher zum Heer des Crassus beordert worden war. Ja, dachte Batia67
tus, du haßt mich, du kleiner Hundesohn. Da stehst du nun und verachtest mich. Aber du kommst zu mir, winselst und kaufst von mir. Leute deiner Art machen mich zu dem, was ich bin. Doch du bist dir zu schade dafür, mir nahe zu kommen, weil mein Atem dich besudeln könnte, du kleiner Bastard! Er nickte jedoch nur und sagte kein Wort. »Der Oberbefehlshaber erwartet dich«, erklärte der junge Mann. »Ich weiß es. Du sollst sofort zu ihm kommen. Ich führe dich hin.« »Ich möchte mich ausruhen und etwas essen.« »Der Kommandant wird dafür sorgen. Er ist sehr rücksichtsvoll.« Der junge Offizier lächelte. Dann befahl er einem Soldaten in schnarrendem Ton: »Nimm das Pferd und gib ihm Wasser, Futter und Spreu.« »Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr zu mir genommen«, sagte Batiatus. »Wenn dein Kommandant so lange gewartet hat, kann er ruhig noch ein Weilchen warten, finde ich.« Die Augen des jungen Mannes verengten sich zu einem schmalen Spalt. Seine Stimme behielt jedoch ihren liebenswürdigen Ton, als er bemerkte: »Darüber hat er zu befinden.« »Ihr füttert das Pferd zuerst?« Der junge Offizier nickte lächelnd. »Komm mit«, sagte er. »Ich bin nicht in eurer verdammten Legion!« »Du bist aber im Lager der Legion.« Ihre Blicke kreuzten sich für einen Moment. Dann zuckte Batiatus die Achseln und fand, es habe keinen Sinn, den Streit in diesem durchdringenden Regen fortzusetzen. Er wickelte sich in seinen nassen Mantel und folgte dem jungen Offizier, den er bei sich eine dreckige kleine patrizische Rotznase nannte. Schließlich habe ich 68
an einem einzigen Nachmittag schon mehr Blut fließen sehen als dieser Bengel, der kaum trocken hinter den Ohren ist, während seiner ganzen sogenannten militärischen Laufbahn, dachte er. Doch wie dem auch sei, der fette Mann blieb ein kleiner Schlächter in einem Fleischerladen – sein einziger Trost war das Bewußtsein, daß er nicht ganz unbeteiligt war an den Kräften, welche die Legionen hierhergebracht hatten. Er folgte dem jungen Mann die breite Hauptstraße des Lagers hinunter und betrachtete dabei neugierig die schmutzigen, verfleckten Zelte zu beiden Seiten. Diese hatten zwar ein Dach, waren jedoch vorn offen, und die Soldaten, die sich auf ihren Graslagern räkelten, schwatzten, fluchten, sangen, würfelten und knobelten. Es waren zumeist, harte, glatt rasierte, olivhäutige italische Bauern. In manchen Zelten standen kleine Öfen, aber im allgemeinen nahmen sie die Kälte ebenso hin wie die Hitze, wie den endlosen Drill und die erbarmungslose Disziplin. Die Schwächlinge starben bald, die Zähen jedoch wurden immer zäher, das bisher furchtbarste Instrument der Massenvernichtung. Genau inmitten des Lagers, am Schnittpunkt der Diagonalen, stand das Zelt des Generals, das praetorium. Es war sehr geräumig und in zwei Gemächer unterteilt. Vor den beiden geschlossenen Eingängen hielten Posten Wache. Sie trugen eine lange, schlanke Lanze statt des schweren, mörderischen pilum sowie einen leichten Rundschild und ein gebogenes thrakisches Messer anstelle des üblichen schweren Langschildes und des spanischen Kurzschwertes. Ihre weißen Wollmäntel waren vom Regen durchtränkt. Wie aus Stein gemeißelt standen sie da, und das Wasser triefte von ihren Helmen, den Kleidern und den Waffen. Aus irgendeinem Grund beeindruckte das Batiatus mehr als alles, was er gesehen 69
hatte. Es gefiel ihm, wenn Fleisch mehr tat, als man von ihm erwarten durfte, und so war es hier. Als sie hereinkamen, salutierten die Posten und hielten die Zeltplane auseinander. Batiatus und der junge Offizier schritten hindurch in das Dämmerlicht eines Raumes von etwa vierzig Fuß Breite und zwanzig Fuß Tiefe. Das einzige Mobiliar bildete ein langer Holztisch, um den ein Dutzend Klappstühle stand. An einem Ende des Tisches saß der Oberbefehlshaber Marcus Licinius Crassus. Er hatte die Ellbogen aufgestützt und starrte auf eine Landkarte, die vor ihm ausgebreitet lag. Er erhob sich, als Batiatus und der Offizier eintraten. Der fette Mann stellte erfreut fest, wie eilfertig der General auf ihn zuging und ihm die Hand hinstreckte. »Lentulus Batiatus – aus Capua, stimmt es?« Batiatus nickte und schüttelte ihm die Hand. Dieser General war wirklich eine Persönlichkeit mit seinen schönen, starken männlichen Zügen und seinem so gar nicht überheblichen Auftreten. »Ich freue mich, dich kennenzulernen«, sagte Batiatus. »Du hast einen langen Weg hinter dir. Es war sehr freundlich von dir, zu kommen. Jetzt bist du durchnäßt, hungrig und müde.« Er sprach voller Teilnahme und mit einer gewissen Besorgnis, die Batiatus seine Befangenheit nahm. Der junge Offizier jedoch betrachtete den fetten Mann genauso hochmütig wie zuvor. Wäre Batiatus feinfühliger gewesen, so hätte er bemerkt, daß zwischen der Haltung der beiden kein Unterschied bestand. Der General brauchte ihn für seine Arbeit, während der junge Offizier Batiatus so behandelte, wie es unter seinesgleichen üblich war. »Das stimmt alles«, erwiderte Batiatus. »Ich bin durchnäßt und müde, vor allem aber halb verhungert. Ich habe diesen jungen Mann gefragt, ob ich etwas essen könnte. 70
Er hielt das jedoch für ein unbilliges Verlangen.« »Wir pflegen Befehle sehr genau auszuführen«, entgegnete der General. »Mein Befehl lautete, dich sofort nach deiner Ankunft zu mir zu führen. Jetzt wird es mir natürlich ein Vergnügen sein, jeden deiner Wünsche zu erfüllen. Ich verkenne keineswegs, was für eine anstrengende Reise hinter dir liegt. Trockene Kleider bekommst du selbstverständlich sofort. Möchtest du ein Bad?« »Das hat Zeit. Ich möchte etwas in den Magen bekommen.« Lächelnd verließ der junge Offizier das Zelt. II Sie waren mit dem gebratenen Fisch und den gebackenen Eiern fertig, und Batiatus verschlang jetzt ein Hühnchen. Er riß es auseinander und nagte jeden Knochen sorgfältig ab. Gleichzeitig bediente er sich aus einer Holzschüssel mit Haferbrei und spülte alles mit mächtigen Zügen aus einem Becher voll Wein hinunter. Sein Mund war mit Huhn, Haferbrei und Wein verschmiert, und die saubere Tunika, die Crassus ihm gegeben hatte, war bereits befleckt. Seine Hände glänzten vor Hühnerfett. Crassus beobachtete ihn interessiert. Wie so viele Römer seiner Klasse und Generation empfand er eine ausgesprochene gesellschaftliche Verachtung für den lanista, den Mann, der Gladiatoren schulte und ausbildete, der sie kaufte und verkaufte und sie an die Arena vermietete. Erst in den vergangenen zwanzig Jahren waren die lanistae in Rom eine politische und finanzielle Macht geworden. Häufig waren sie ungeheuer reich wie dieser fette, ungehobelte Kerl, der mit ihm am Tisch saß. Noch 71
vor einer Generation gehörten Arenakämpfe zu den gelegentlichen, nicht sonderlich wichtigen Zerstreuungen der Gesellschaft. Gegeben hatte es sie allerdings von jeher, bei manchen waren sie mehr, bei anderen weniger beliebt. Dann hatte man in Rom plötzlich eine fieberhafte Leidenschaft dafür entdeckt. Überall wurden Arenen gebaut. Jede noch so kleine Stadt hatte ihre hölzerne Arena. Statt eines Paares kämpften jetzt hundert, und eine einzige Kampfreihe erstreckte sich über einen Monat. Der Grad der Sättigung wurde nicht erreicht, sondern die Begierde des Publikums nahm anscheinend unablässig zu. Gebildete Römerinnen und Landstreicher nahmen gleichermaßen Anteil an den Spielen. Eine neue Fachsprache hatte sich herausgebildet. Die Veteranen warteten nur noch auf die öffentliche Unterstützung und auf die Spiele, und zehntausend arbeits- und obdachlose Bürger kannten offenbar keinen anderen Lebenszweck mehr, als bei den Kämpfen zuzusehen. Die Nachfrage nach Gladiatoren steigerte sich ungeahnt, und Gladiatorenschulen entstanden. Die Schule von Capua, die Lentulus Batiatus betrieb, gehörte zu den größten und einträglichsten. Wie das Vieh von bestimmten Latifundien auf jedem Markt besonders gefragt war, so wurden die Gladiatoren aus Capua in jeder Arena geschätzt. Batiatus war vom Zuhälter, vom drittrangigen Parteigänger zum reichen Mann und einem der angesehensten Ausbilder der bustuarii im ganzen Land geworden. Dennoch ist er immer noch ein Zuhälter, ein hinterlistiges, gewöhnliches, schleichendes Tier, dachte Crassus, während er ihn beobachtete. Man muß nur sehen, wie er ißt! Es war für Crassus von jeher schwer, zu begreifen, wieso derartig viele Menschen von geringer Herkunft und schlechter Erziehung mehr Geld hatten als zahlreiche 72
seiner Freunde je erhoffen konnten. Zweifellos waren sie nicht weniger klug als dieser ungehobelte Ausbilder. Er brauchte nur an sich selbst zu denken. Er kannte seinen Wert als Soldat. Er besaß die römischen Tugenden der Gründlichkeit und Beharrlichkeit und betrachtete die Regeln der Kriegskunst nicht als angeborene Gabe. Er hatte die Aufzeichnungen über jeden Feldzug studiert und die besten griechischen Geschichtsschreiber gelesen. Ebensowenig beging er den Fehler – wie bisher jeder General in diesem Krieg – Spartacus zu unterschätzen. Und dennoch saß er hier an diesem Tisch jenem ungebildeten Mann gegenüber und fühlte sich merkwürdigerweise unterlegen. Achselzuckend sagte er zu Batiatus: »Du mußt wissen, daß ich Spartacus sowohl in bezug auf dich als auch auf den Krieg objektiv gegenüberstehe. Ich bin kein Moralist. Ich mußte mit dir sprechen, weil du mir Dinge erzählen kannst, die kein anderer kennt.« »Und worum handelt es sich?« fragte Batiatus. »Um das Wesen meines Feindes.« Der fette Mann schenkte sich Wein nach und warf dem General einen verstohlenen Blick zu. Ein Posten betrat das Zelt und stellte zwei angezündete Lampen auf den Tisch. Es war bereits Abend. Im Lampenschein war Lentulus Batiatus ein anderer Mensch. Die Dämmerung hatte ihm geschmeichelt. Jetzt fiel ihm das Licht ins Gesicht, das er mit einem Mundtuch abwischte, und warf groteske Schatten auf die wabbligen Fleischmassen. Seine große, platte Nase zitterte unaufhörlich, und allmählich wurde er betrunken. Ein kalter Glanz in seinen Augen warnte Crassus, ihn nicht falsch einzuschätzen und nicht zu glauben, er habe es mit einem harmlosen Narren zu tun. Dieser da war kein Narr. »Was weiß ich von deinem Feind?« 73
Draußen erklangen Trompetenstöße. Das abendliche Exerzieren war beendet, und das Lager erdröhnte von dem Getrampel der Lederstiefel. »Ich habe nur einen Feind. Spartacus ist mein Feind«, sagte Crassus bedächtig. Der fette Mann schneuzte sich ins Mundtuch. »Und du kennst Spartacus«, fügte Crassus hinzu. »Bei den Göttern, und ob ich ihn kenne!« »Kein anderer außer dir. Niemand, der je gegen Spartacus gekämpft hat, kannte ihn. Sie zogen aus, um gegen Sklaven zu kämpfen. Sie erwarteten, daß sie nur die Trompete zu blasen, die Trommel zu schlagen und ihr pilum zu schleudern brauchten – und schon würden die Sklaven davonrennen. Wie oft auch die Legionen aufgerieben wurden, sie erwarteten das immer noch. Alles andere konnte nicht wahr sein. Und so macht Rom jetzt den letzten Versuch, und wenn der mißlingt, wird es kein Rom mehr geben. Das weißt du so gut wie ich.« Der fette Mann brüllte vor Lachen. Er hielt sich den Bauch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du findest das komisch?« fragte Crassus. »Die Wahrheit ist immer komisch.« Crassus beherrschte seinen Zorn und wartete, daß der andere zu lachen aufhöre. »Es wird kein Rom mehr geben – es wird nur noch Spartacus geben.« Der fette Mann kicherte jetzt. Crassus beobachtete ihn und fragte sich, ob er den Verstand verloren habe oder nur betrunken sei. Was ein Land doch alles hervorbrachte! Hier saß der lanista, der Sklaven kaufte und ausbildete zum Kampf. Natürlich lachte er darüber. Auch Crassus bildete Männer zum Kampf aus. »Du solltest mich aufhängen und nicht füttern«, flüsterte Batiatus entschuldigend und schenkte sich abermals Wein ein. 74
»Ich hatte neulich einen Traum«, sagte der General und gab damit dem Gespräch wieder die gewünschte Richtung. »Eine Art Alptraum. Einer von jenen Träumen, die man immer wieder hat …« Batiatus nickte verständnisvoll. »Und in diesem Traum kämpfte ich mit verbundenen Augen. Das ist furchtbar, aber logisch. Ich glaube nicht daran, daß alle Träume Vorzeichen sind. In manchen tauchen lediglich die Probleme wieder auf, denen man sich in wachem Zustand gegenübersieht. Spartacus ist der Unbekannte. Wenn ich gegen ihn in den Kampf ziehe, sind meine Augen verbunden. Das ist sonst nicht der Fall. Ich weiß, weshalb die Gallier kämpfen, die Griechen, die Spanier und die Germanen. Die kämpfen aus den gleichen Gründen wie ich, selbstverständlich mit gewissen Abweichungen. Aber ich weiß nicht, weshalb dieser Sklave kämpft. Ich weiß nicht, wie er mit diesem Pöbel, dem Kehricht und Abschaum der ganzen Welt, die besten Truppen vernichtet, die es je gegeben hat. Man braucht fünf Jahre, um einen Legionär auszubilden – fünf Jahre, um ihm begreiflich zu machen, daß sein Leben nichts gilt, daß die Legion und ausschließlich die Legion zählt, daß einem Befehl zu gehorchen ist, jedem Befehl. Fünf Jahre Ausbildung, zehn Stunden am Tag – und dann kann man sie an einen Abgrund führen und ihnen befehlen, über den Rand hinwegzumarschieren, und sie werden gehorchen. Und dennoch haben diese Sklaven die besten Legionen Roms vernichtet. Deshalb habe ich dich aus Capua hergebeten – damit du mir von Spartacus erzählst. Du sollst mir die Binde von den Augen nehmen.« Batiatus nickte düster. Seine Stimmung besserte sich. Er war der Vertraute und Ratgeber großer Generäle, und so sollte es auch sein. 75
»Da ist zuerst der Mensch«, sagte Crassus. »Erzähle mir von ihm. Wie sieht er aus? Woher hattest du ihn?« »Menschen sehen nie so aus, wie sie sind.« »Das ist wahr, sehr wahr. Wenn du das begriffen hast, bist du ein Menschenkenner.« Eine bessere Schmeichelei konnte man Batiatus nicht sagen. »Er war sanft, so sanft, beinahe demütig. Und er ist ein Thraker. Das ist jedenfalls richtig.« Batiatus tauchte einen Finger in seinen Wein und machte dann ein Zeichen auf dem Tisch. »Man behauptete, er sei ein Riese – das ist er keineswegs. Er ist kein Riese. Er ist nicht einmal besonders groß. Etwa so wie du, würde ich sagen. Schwarzes krauses Haar, dunkelbraune Augen. Seine Nase ist gebrochen. Ohne das hätte man ihn wohl hübsch nennen können. Aber die gebrochene Nase gibt seinem Gesicht einen schafähnlichen Ausdruck. Ein breites, gutmütiges Gesicht, doch das täuscht. Ich würde jeden anderen, der dasselbe wie er getan hätte, getötet haben.« »Was hat er denn getan?« fragte Crassus. »Ach …« »Ich möchte, daß du offen sprichst, weil ich ein klares Bild haben muß«, sagte Crassus langsam. »Du sollst wissen, daß alles, was du mir erzählst, streng vertraulich behandelt wird.« Er ließ zunächst die Frage fallen, aus welchem Grund Batiatus den Spartacus hätte töten wollen. »Ich möchte auch seine Geschichte erfahren – wo hast du ihn gekauft, und was war er?« »Was ist ein Gladiator?« Batiatus spreizte lächelnd die Hände. »Nicht gerade ein Sklave, verstehst du – zumindest sind die Gladiatoren von Capua keine gewöhnlichen Sklaven. Sie sind etwas Besonderes. Wenn du Hunde kämpfen lassen willst, kaufst du keine Schoßhündchen, die von kleinen Mädchen aufgezogen worden sind. Willst du Männer kämpfen lassen, so brauchst du auch Männer, 76
die kämpfen. Männer, denen die Galle überläuft, Männer, die hassen. Ich lasse also die Händler wissen, daß ich mich für solche Männer interessiere. Sie taugen nicht zu Haussklaven und ebensowenig für die Latifundien.« »Warum nicht für die Latifundien?« »Weil ich keinen Mann will, der gezähmt ist. Wenn man einen Mann nicht zähmen kann, muß man ihn töten, aber man kann ihn nicht zur Arbeit verwenden. Er verdirbt die Arbeit und die anderen Arbeiter. Er ist wie eine Seuche.« »Warum kämpft er dann?« »Das ist eben die Frage, und wenn du die nicht zu beantworten vermagst, kannst du auch nicht mit Gladiatoren arbeiten. Früher nannte man die Arenakämpfer bustuarii. Sie kämpften aus Liebe zum Kampf, sie waren krank im Kopf. Es gab ihrer nur sehr wenige, und sie waren keine Sklaven.« Er tippte sich vielsagend an den Kopf. »Keiner will bis aufs Blut kämpfen, wenn er nicht hier oben krank ist. Keiner mag das. Der Gladiator kämpft nicht gern. Er tut es, weil man ihm eine Waffe gibt und ihm die Ketten abnimmt. Sobald er aber die Waffe in der Hand hat, träumt er, daß er frei sei – und genau das will er: die Waffe in der Hand haben und träumen, daß er frei sei. Und dann steht dein Verstand gegen den seinen. Und weil er eine Bestie ist, mußt du auch eine sein.« »Wo findest du solche Männer?« fragte Crassus. Die einfachen, sachlichen Darlegungen eines Mannes, der sein Gewerbe verstand, nahmen ihn gefangen. »Es gibt nur einen Ort, wo du sie finden kannst – die Sorte, die ich brauche. Nur einen Ort. Die Bergwerke. Sie müssen von einem Platz kommen, mit dem verglichen die Legion und das Latifundium ein reines Vergnügen und selbst der Galgen noch eine Gnade sind. Dort finden 77
sie meine Unterhändler. Dort entdeckten sie auch den Spartacus – und er war koruu. Weißt du, was das Wort bedeutet? Ich glaube, es ist ägyptisch.« Crassus schüttelte den Kopf. »Es bedeutet ›Sklave in der dritten Generation, Enkel eines Sklaven‹. Im Ägyptischen nennt man außerdem irgendein scheußliches Tier so. Ein kriechendes Tier, das sogar aus der Gemeinschaft der Tiere ausgestoßen ist. Koruu. Warum kam das in Ägypten auf, könnten wir fragen. Ich will es dir sagen. Es gibt Schlimmeres, als ein lanista zu sein. Als ich in dein Lager kam, sahen deine Offiziere auf mich herab. Warum? Wir sind alle Schlächter, und wir handeln mit Fleischstücken. Warum also?« Er war betrunken. Dieser fette Ausbilder von Gladiatoren, der die Schule in Capua betrieb, war von Selbstmitleid erfüllt. Seine Seele kam zum Vorschein. Selbst ein so schmutziges, fettes Schwein hat noch eine Seele. »Spartacus war also koruu?« fragte Crassus sanft. »Kam er denn aus Ägypten?« Batiatus nickte. »Er war Thraker, kam aber aus Ägypten. Die ägyptischen Goldspekulanten kaufen in Athen wenn möglich koruu, und die Thraker werden geschätzt.« »Warum?« »Es heißt, sie seien gut unter der Erde.« »Ich verstehe. Aber weshalb erzählt man, Spartacus sei in Griechenland gekauft worden?« »Kenne ich den Grund für jedes Geschwätz? Aber ich weiß, wo er gekauft wurde, weil ich ihn gekauft habe. In Theben. Du glaubst mir nicht? Bin ich ein Lügner? Ich bin ein fetter lanista, ein einsamer Mann, der in diesem lausigen Regen in Gallien sitzt. Warum bin ich so verlassen? Was hast du für ein Recht, auf mich herabzusehen? Dein Leben gehört dir, so wie mir das meine.« »Du bist mein geehrter Gast. Ich blicke nicht auf dich 78
herab«, erwiderte Crassus. Batiatus beugte sich lächelnd vor. »Weißt du, was ich möchte? Weißt du, was ich brauche? Wir sind zwei Männer von Welt. Ich brauche eine Frau. Heute nacht.« Seine Stimme wurde heiser und flehend. »Warum brauche ich eine Frau? Nicht aus Begierde, sondern aus Einsamkeit. Um die Wunden zu heilen. Du hast Frauen – Männer schließen sich nicht von Frauen ab.« »Erzähle mir von Spartacus und Ägypten«, sagte Crassus. »Dann werden wir von Frauen reden.« III Ehe es eine christliche Hölle in Büchern und Predigten gab – und vielleicht auch später – existierte eine Hölle auf Erden. Die Menschen sahen sie und kannten sie sehr wohl. Denn es liegt in der Natur des Menschen, daß er nur die Höllen schildern kann, die er zuerst selber geschaffen hat. Gehe im Juli, wenn die schreckliche Trockenheit herrscht, von Theben aus den Nil aufwärts! Gehe bis zum Ersten Katarakt! Dort bist du bereits in des Teufels eigenem Land. Sieh, wie der Grünstreifen am Ufer zusammengeschrumpft und versengt ist. Sieh, wie die Hügel und Anhöhen der Wüste sich in staubfeinen Sand verwandelt haben! Rauchendes Pulver, über das der Wind hinstreicht und es hier aufstieben, dort seine Fühler ausstrecken läßt. In der Trockenzeit fließt der Nil träge dahin und ist von einer weißen Staubkruste bedeckt. Auch die Luft ist staubgetränkt, und es ist bereits sehr heiß. Aber hier weht zumindest noch ein leichter Wind. Du hast jetzt den Ersten Katarakt hinter dir gelassen und mußt in die Nubische Wüste, die sich nach Süden und 79
Osten erstreckt. Gehe so weit in die Wüste hinein, bis der letzte Windhauch vom Fluß erstorben ist, aber bleibe stehen, damit du noch die Brise vom Roten Meer her spürst. Und dann ziehe nach Süden! Plötzlich ist der Wind still und die Erde tot. Nur die Luft ist lebendig, sie flirrt und flimmert vor Hitze, so daß dir die Sinne vergehen. Man sieht nichts mehr, wie es wirklich ist, sondern alles verzerrt und verbogen von der Hitze. Die Wüste hat sich ebenfalls verwandelt. Es ist ein Irrtum, wenn viele Menschen meinen, die Wüste sei überall gleich. Wüste bedeutet nur, daß es an Wasser mangelt. Dieser Wassermangel aber hat zahllose Spielarten. Außerdem unterscheiden sich die Wüsten hinsichtlich ihres Bodens und ihrer Lage. Es gibt Steinwüsten und Bergwüsten, Sandwüsten, Salzwüsten, Lavawüsten – und dann noch die furchtbaren Treibsandwüsten, in denen der Tod regiert. Hier wächst gar nichts. Weder das verdorrte, harte Gestrüpp der Steinwüste noch das einsame Unkraut der Sandwüste – nichts. Gehe jetzt in diese Wüste. Schleppe dich durch den weißen Sand und laß dich von den tödlichen Hitzewellen treffen. Es ist so heiß hier, wie es der Mensch gerade noch ertragen kann, ohne zu sterben. Ziehe durch diese glühendheiße Wüste des Grauens, und Zeit und Raum werden endlos, ungeheuerlich. Du aber gehst weiter, immer weiter. Was ist die Hölle? Die Hölle beginnt dort, wo die einfachen, notwendigen Verrichtungen des Lebens zur Qual werden. Das haben zu allen Zeiten diejenigen erfahren, welche die Hölle kennenlernten, die von Menschen auf Erden geschaffen wurde. Das Gehen, Atmen, Sehen, Denken sind jetzt zur grauenvollen Pein geworden. Aber es bleibt nicht ewig so. Plötzlich zeichnen sich 80
Konturen ab, und ein neuer Ausschnitt der Hölle eröffnet sich. Schwarze Bergrücken tauchen vor dir auf, unheimlich wie ein Alptraum. Du gehst auf diese schwarze Felsbastion zu und siehst, daß sie von lauter schimmernden weißen Marmoradern durchzogen ist. Wie dieser Marmor leuchtet! Wie er in himmlischem Glanz funkelt und gleißt! Der Glanz ist wahrhaft himmlisch, denn die Straßen des Himmels sind mit Gold gepflastert, und der weiße Marmor ist reich an Gold. Darum sind die Menschen hierher gekommen, und darum kamst auch du, denn der Marmor ist schwer von Gold. Tritt näher und sieh! Vor langer Zeit entdeckten die ägyptischen Pharaonen diese schwarze Felsbastion. Damals besaßen sie nur Werkzeuge aus Kupfer und Bronze. So konnten sie nur an der Oberfläche schaben und kratzen, weiter nichts. Nachdem jedoch Generationen an der Oberfläche gescharrt hatten, war das Gold erschöpft. Jetzt mußte man in den schwarzen Felsen eindringen und den weißen Marmor herausschlagen. Man konnte das, da die Kupferzeit von der Eisenzeit abgelöst worden war. Die Menschen waren nunmehr imstande, den Marmor mit Hacken, Eisenkeilen und schweren Hämmern zu bearbeiten. Doch man brauchte dazu einen anderen Menschenschlag. Die Hitze, der Staub und die körperliche Anstrengung machten es unmöglich, Bauern aus Äthiopien oder Ägypten zu verwenden. Der gewöhnliche Sklave aber kostete zuviel und starb zu rasch. So brachte man vom Krieg gestählte Gefangene und Kinder hierher, die koruu, von Sklaven geboren, deren Eltern wiederum Sklaven gewesen waren – nur die zähesten, härtesten Elemente überlebten dabei. Für diese Arbeit waren Kinder erforderlich, denn in der Tiefe der schwarzen Felsen,wo sich die Goldadern verengten, konnten Erwach81
sene nicht arbeiten. Glanz und Macht der alten Pharaonen waren verschwunden und die Schatzkammern der griechischen Könige Ägyptens leerten sich. Rom hatte seine Hand darauf gelegt, und römische Sklavenhändler betrieben jetzt die Minen. Sie allein verstanden es, die Sklaven richtig arbeiten zu lassen. So bist du zu den Minen gekommen wie zuvor Spartacus. Einhundertzweiundzwanzig Thraker, mit schweren, glühendheißen Halsketten aneinandergefesselt, haben sich den ganzen Weg vom Ersten Katarakt heraufgeschleppt. Spartacus ist der zwölfte in der Reihe. Er ist fast nackt wie die anderen auch. Bald wird er ganz nackt sein. Er trägt einen zerlumpten Lendenschurz, sein Haar ist lang, er hat einen Bart genau wie die übrigen. Seine Sandalen sind zerrissen, aber er behält die Reste an den Füßen, so wenig Schutz sie auch bieten mögen. Die Haut an seinen Füßen ist zwar dick und zäh wie Leder, vor dem sengenden Wüstensand jedoch vermag sie ihn nicht zu bewahren. Wie sieht er aus, dieser Spartacus? Er ist dreiundzwanzig Jahre alt, als er seine Kette durch die Wüste schleppt, aber man kann ihn nicht einschätzen. Seinesgleichen haftet die Zeitlosigkeit des Werkzeugs an, es gibt keine Jugend, keine Mannesjahre und kein Greisentum. Er ist von Kopf bis Fuß überall mit dem staubfeinen weißen Sand bedeckt, doch darunter ist seine Haut so braungebrannt wie die dunklen, scharfen Augen, die haßerfüllt in dem ausgemergelten Gesicht glühen. Die braune Haut ist für ihn eine Lebensnotwendigkeit. Die weißhäutigen blonden Sklaven der nordischen Länder können in den Minen nicht arbeiten. Die Sonne versengt und tötet sie, und sie verenden unter gräßlichen Qualen. Es ist schwer zu sagen, ob er groß oder klein ist. Männer in Ketten gehen nicht aufrecht. Der Körper ist ela82
stisch, von der Sonne ausgedörrt, aber nicht mager. Seit vielen Generationen hatte ein Ausleseprozeß stattgefunden. Das Leben auf den steinigen Hügeln Thrakiens war niemals einfach gewesen. Was dort überlebte, ist hart und zäh. Die Handvoll Weizen, die er täglich zu sich nimmt, sowie der harte Gerstenfladen werden restlos verwertet, und der Körper ist jung genug, um sich selbst zu erhalten. Der bronzene Halsring hat eiternde Wunden in den starken, muskulösen Nacken gescheuert. Die Schultern sind wahre Muskelpakete. Der ganze Körper ist so wohlproportioniert, daß der Mann kleiner wirkt als er ist. Das Gesicht ist breit, die Nase, die einst durch den Knüppel eines Aufsehers gebrochen wurde, läßt es flacher erscheinen. Die weit auseinanderstehenden Augen geben ihm einen gutmütigen, schafähnlichen Ausdruck. Der unter dem Bart und Staub verborgene Mund ist groß und vollippig, sinnlich und empfindsam. Wenn die Lippen sich zu einer Grimasse, nicht zu einem Lächeln öffnen, sieht man die weißen, ebenmäßigen Zähne. Die Hände sind groß, stark und so schön, wie Hände nur sein können. Sie sind sogar das einzige Schöne an ihm. Das also ist Spartacus, der thrakische Sklave, der Sohn und Enkel von Sklaven. Kein Mensch kennt sein Schicksal. Die Zukunft ist kein aufgeschlagenes Buch. Und selbst die Vergangenheit kann zum dunklen Bett vielfältiger Qualen werden, wenn sie aus nichts als Mühsal und Plage bestand. Das also ist Spartacus, der die Zukunft nicht kennt und keine Veranlassung hat, sich der Vergangenheit zu erinnern. Nie kam ihm der Gedanke, daß die schwer Arbeitenden je etwas anderes tun könnten als eben arbeiten und daß es je eine Zeit geben würde, da sich die Menschen nicht unter Androhung der Peitsche abschuften müßten. Woran denkt er, während er durch den heißen Sand 83
stapft? Man sollte nie vergessen, daß Menschen, die Ketten schleppen, an sehr wenig denken. Meist ist es besser, nur daran zu denken, wann man wieder essen, trinken und schlafen wird. So sind die Gedanken des Spartacus und seiner thrakischen Gefährten, die mit ihm die Ketten schleppen, keineswegs kompliziert. Wenn man Menschen zu Tieren macht, denken sie nicht an himmlische Wesen. Aber jetzt geht der Tag zu Ende. Das Bild ändert sich. Männer wie diese greifen gierig nach einem bißchen Abwechslung. Spartacus blickt auf und sieht die schwarzen Klippen der Felsbastion. Sklaven haben ihre eigene Geographie. Zwar wissen sie nichts von der Form der Meere, der Höhe der Berge und dem Lauf der Flüsse, doch sie kennen die Silberminen Spaniens, die Goldminen Arabiens, die Eisenbergwerke Nordafrikas, die Kupfergruben des Kaukasus und die Zinnminen Galliens. Sie haben ihr eigenes Lexikon des Grauens. Ihr einziger Trost besteht in dem Wissen darum, daß es noch schlimmere Gegenden gibt als die, in der sie gerade sind. Doch etwas Ärgeres als die schwarzen Felsen Nubiens gibt es auf der ganzen weiten Welt nicht. Spartacus betrachtet sie, die anderen ebenfalls, und die ganze Reihe hält inne in ihrem qualvollen, schleppenden Gang. Die Kamele mit ihrer Last von Wasser und Weizen bleiben ebenfalls stehen und desgleichen die Aufseher, die Peitschen und Spieße in den Händen halten. Alle blicken sie auf das schwarze Tor zur Unterwelt. Und dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Die Sonne versinkt hinter dem schwarzen Felsen, als sie ihn erreichen. Er wirkt jetzt noch schwärzer, noch wilder, noch bedrohlicher. Der Arbeitstag ist zu Ende, und die Sklaven kommen aus den Schächten. Was sind das für Wesen? denkt Spartacus. 84
Und der Mann hinter ihm flüstert: »Die Götter stehen mir bei!« Doch die Götter werden ihm nicht helfen. Hier sind keine Götter, was sollen sie auch an einem solchen Ort? Und dann erkennt Spartacus, daß das, was er sieht, keine seltsamen Wüstengewächse sind, sondern Menschen wie er und Kinder, wie er selbst einmal gewesen ist. Daß sie anders sind, kommt von innen wie von außen. Die Kräfte, die sie zu nicht mehr menschenähnlichen Wesen formten, lösten auch eine innere Wirkung aus, so daß der Wunsch oder das Bedürfnis, menschlich zu sein, schwanden. Man brauchte sie nur anzusehen! Das Herz des Spartacus, das im Laufe der Jahre zu Stein geworden war, beginnt sich vor Angst und Grauen zusammenzukrampfen. Die Quellen des Mitleids, die er völlig versiegt glaubt, brechen wieder auf. Sein ausgedörrter Körper kann noch weinen. Er blickt sie an. Die Peitsche saust auf seinen Rücken, um ihn vorwärtszutreiben, aber er verharrt unbeweglich und sieht sie an. Sie sind in die Schächte hineingekrochen, und jetzt, da sie herauskommen, kriechen sie immer noch wie Tiere. Seitdem sie hier sind, haben sie nicht gebadet, und sie werden auch nie wieder baden. Ihre Haut ist von schwarzem Staub und braunem Schmutz verschmiert. Ihr Haar ist lang und verfilzt. Bis auf die Kinder haben sie alle Bärte. Es sind Schwarze und Weiße darunter, aber der Unterschied ist jetzt so gering, daß er kaum auffällt. Sie alle haben häßliche Schwielen an den Knien und Ellbogen, und sie sind nackt, völlig nackt. Warum nicht? Würden Kleider sie länger am Leben erhalten? Die Mine verfolgt nur den einen Zweck, den römischen Teilhabern Gewinn zu bringen, und selbst schmutzige Lumpen würden etwas kosten. Ein Kleidungsstück tragen sie jedoch. Jeder hat um den Hals einen Kragen aus Bronze 85
oder Eisen.« Als sie die schwarzen Felsen hinabkriechen, schließen die Aufseher jeden dieser Kragen an eine lange Kette, und sobald zwanzig zusammengekettet sind, schleppen sie sich zu ihren Behausungen. Noch nie ist jemand aus den nubischen Minen entkommen, keiner konnte fliehen. Ein Jahr in diesen Minen, und wie könnte man je wieder zur Welt der Menschen gehören? Die Kette ist mehr ein Symbol als eine Notwendigkeit. Spartacus starrt sie an und sucht nach seinesgleichen, nach seiner Rasse, der Menschheit, die selbst beim Sklaven Rasse und Art bedeutet. »So redet doch miteinander!« sagt er vor sich hin. Aber sie reden nicht. Sie sind stumm wie der Tod. Lächelt wenigstens einmal, bittet er im stillen. Doch niemand lächelt. Sie tragen ihre Werkzeuge bei sich, die eisernen Hakken, Brechstangen und Meißel. Viele haben primitive Lampen vor die Stirn gebunden. Die Kinder sind dünn wie Spinnen. Sie stolpern und blinzeln ständig ins Licht. Diese Kinder werden niemals erwachsen. Sie überstehen höchstens zwei Jahre in den Minen. Sie schleppen sich mit ihren Ketten an den Thrakern vorbei, ohne auch nur einmal den Kopf zu wenden und einen Blick auf die Neuankömmlinge zu werfen. Sie kennen keine Neugier. Ihnen ist alles gleichgültig. Spartacus weiß: ›Bald wird auch mir alles gleichgültig sein.‹ Und das ist erschreckender als alles andere. Die Sklaven gehen jetzt essen, und die Thraker werden mit ihnen abgeführt. Der steinerne Schuppen, der ihre Unterkunft bildet, lehnt sich an den Fuß des Felsenriffs. Er wurde vor langer, langer Zeit gebaut. Niemand kann sich genau erinnern, wann. Er besteht aus riesigen Blökken des roh behauenen schwarzen Gesteins. Innen ist kein Licht, und Luft kommt nur durch die Öffnungen an beiden Enden herein. Noch nie ist hier saubergemacht 86
worden. Der Schmutz von Jahrzehnten ist auf dem Boden verwest und hart geworden. Die Aufseher kommen nie hierher. Gibt es drinnen Unruhe, erhalten sie weder Essen noch Wasser. Hat man sie lange genug hungern und dursten lassen, werden die Sklaven gefügig und kommen herausgekrochen wie Tiere, die sie ja auch sind. Wenn einer drinnen stirbt, bringen die Sklaven die Leiche hinaus. Manchmal aber stirbt ein Kind ganz hinten, niemand bemerkt oder vermißt es, bis der Verwesungsgeruch darauf aufmerksam macht. Das also sind die Sklavenunterkünfte. Die Sklaven gehen ohne Kette hinein. Am Eingang werden sie losgemacht und erhalten eine Holzschüssel mit Essen und einen Lederbecher voll Wasser. Er faßt knapp einen Liter; diese Menge bekommen sie zweimal täglich. Doch zwei Liter Wasser am Tag reichen nicht aus, um das, was die Hitze an einem so trockenen Ort verbraucht, zu ersetzen. Somit sind die Sklaven der allmählichen Ausdörrung verfallen. Wenn nichts anderes sie umbringt, werden früher oder später ihre Nieren zerstört. Sobald sie dann vor Schmerz nicht mehr arbeiten können, jagt man sie in die Wüste hinaus zum Sterben. Spartacus weiß all diese Dinge. Er teilt das Wissen und die Gemeinschaft der Sklaven. Er wurde hineingeboren, ist darin aufgewachsen und gereift. Er kennt das wichtigste Geheimnis der Sklaven. Es ist das Verlangen – nicht nach Vergnügen, Bequemlichkeit, Essen, Musik, Lachen, Liebe, Wärme, Frauen und Wein – sondern danach, auszuhalten, zu überleben, nichts weiter als am Leben zu bleiben. Er weiß nicht, warum. Es gibt keinen Grund, keine zwingende Notwendigkeit, zu überleben. Doch die Erkenntnis ist auch kein bloßer Instinkt. Sie ist mehr als 87
das. Kein Tier könnte auf diese Weise überleben, denn die Voraussetzungen dafür sind nicht einfach. Sie sind weitaus komplizierter und ernster als alle Probleme, denen die Menschen gegenüberstehen. Und es besteht auch ein Grund dafür. Nur kennt ihn Spartacus nicht. Er will überleben. Er paßt sich an, ist geschmeidig, gewöhnt sich, stellt sich um. Sein Körper gewinnt Kraft, seitdem er von der Kette befreit ist. Wie lange haben er und seine Gefährten diese Kette geschleppt, über das Meer, den Nil hinauf und durch die Wüste! Woche um Woche in Ketten, und jetzt ist er ihrer ledig! Er fühlt sich federleicht, aber diese neugewonnene Kraft darf nicht vergeudet werden. Er empfängt seine Wasserration – mehr Wasser, als er seit Wochen gesehen hat. Er wird es nicht hinunterstürzen, sondern es aufheben und stundenlang daran nippen, damit jeder Tropfen in die Gewebe dringen kann. Er nimmt sein Essen entgegen, Weizen und Gerste, mit getrockneten Heuschrecken zu einem dünnen Brei verkocht. Nun, getrocknete Heuschrecken sind gehaltvoll, und Weizen und Gerste bilden seine Ernährungsgrundlage. Er hat schon schlechter gegessen. Außerdem muß man jede Speise ehren. Wer, auch nur in Gedanken, etwas Eßbares verachtet, wird zum Feind des Essens und stirbt bald. Er geht in das Dunkel der Unterkünfte, und der üble Fäulnisgestank bemächtigt sich seiner Sinne. Doch an Gestank stirbt niemand. Nur Narren oder freie Menschen können sich den Luxus, zu erbrechen, leisten. Darauf wird er kein Gramm seines Mageninhalts verschwenden. Er wird sich nicht gegen diesen Geruch wehren. Diesen Dingen ist man ausgeliefert. Er wird vielmehr den Gestank freudig begrüßen und in sich eindringen lassen, dann wird er bald kein Schrecken mehr für ihn sein. Er geht in das Dunkel, und seine Füße leiten ihn. Seine 88
Füße sind wie Augen. Er darf nicht stolpern oder fallen, denn in einer Hand trägt er sein Essen und in der anderen das Wasser. Jetzt tastet er sich hinüber zu der steinernen Wand, setzt sich nieder und lehnt sich mit dem Rücken an. Es ist gar nicht so schlecht hier. Der Stein ist kühl und bietet ihm eine Stütze. Er ißt und trinkt. Überall um ihn herum bewegen sich andere Männer und Kinder, atmen, kauen und tun genau dasselbe wie er. In seinem Innern beginnen die Organe zu arbeiten und ziehen aus dem wenigen Essen und Trinken das heraus, was sie brauchen. Er kratzt das letzte Körnchen aus seinem Napf, trinkt den Rest und leckt die Schüssel aus. Er ist nicht vom Appetit abhängig. Essen bedeutet Leben, jedes Krümchen ist Leben. Jetzt ist das Essen verzehrt. Einige sind danach zufriedener, andere lassen ihrer Verzweiflung freien Lauf. Hier ist die Verzweiflung noch nicht ganz erstorben. Die Hoffnung mag schwinden, die Verzweiflung aber ist hartnäckiger. Man vernimmt Stöhnen, Weinen und Seufzen und irgendwoher einen lauten Schrei. Dann klingen sogar ein paar Worte auf, und eine gebrochene Stimme fragt: »Wo bist du, Spartacus?« »Hier bin ich, Thraker«, erwidert er. »Dort ist der Thraker«, sagt eine andere Stimme. »Thraker, Thraker!« Es sind seine Landsleute, die sich um ihn sammeln. Er spürt ihre Hände, als sie sich an ihn drängen. Vielleicht hören die anderen Sklaven zu, jedenfalls herrscht tiefes Schweigen. In der Unterwelt haben nur die Neuankömmlinge das Recht zum Reden. Die früher Gekommenen mögen sich jetzt dessen erinnern, wovor sie sich zumeist fürchten. Einige verstehen die attische Sprache, andere nicht. Vielleicht taucht sogar hier und dort das Bild der schneebedeckten Berge Thra89
kiens auf, wo es so herrlich kühl ist, wo die Bäche in den Fichtenwäldern rauschen und schwarze Ziegen zwischen den Felsen umherspringen. Wer kennt die Erinnerungen, die in den Verdammten des schwarzen Riffs lebendig geblieben sind? »Thraker« nennen sie ihn. Jetzt spürt er sie überall. Er streckt die Hand aus und berührt ein tränenfeuchtes Gesicht. Tränen sind Verschwendung. »Wo sind wir, Spartacus, wo sind wir?« flüstert einer. »Wir sind nicht verloren. Wir erinnern uns, wie wir kamen.« »Aber wer wird sich unser erinnern?« »Wir sind nicht verloren«, wiederholt er. »Aber wer wird sich unser erinnern?« So kommt man nicht weiter. Er ist wie ein Vater zu ihnen. Für Männer, die zweimal so alt sind wie er, ist er nach altem Stammesbrauch der Vater. Sie sind alle Thraker, doch er ist der Thraker. Nun singt er leise, wie ein Vater, der seinen Kindern ein Märchen erzählt: »Wie wenn die Meerflut dröhnend einher zum Felsengestade Woge auf Woge sich stürzt, vom Zephyros peitschend getrieben; Eben noch war sie draußen, da ist sie auch schon an der Küste, Wirft sich donnernd dagegen und brandet im mächtigen Stoß Rings um die Felsen empor, speit Gischt von der salzigen Zunge: So nun wogten heran der Danaer schimmernde Reihen Unübersehbar zur Schlacht …« Er packt sie, dämmt ihren Schmerz und denkt bei sich: Welch wunderbaren Zauber hat dieser alte Gesang! Er befreit sie von der grauenhaften Finsternis, und sie stehen 90
an den schimmernden Gestaden Trojas. Dort sind die weißen Türme der Stadt! Und dort die mit Gold und Bronze gegürteten Krieger! Sanft steigen und fallen die Verse und lösen Angst und Schrecken. In der Dunkelheit ist scharrende Bewegung. Die Sklaven brauchen nicht Griechisch zu verstehen. Die thrakische Mundart des Spartacus weist auch wahrhaftig wenig Ähnlichkeit mit der Sprache Attikas auf. Sie kennen jedoch den Gesang, in dem sich die Weisheit eines Volkes erhalten und für die Zeit der Prüfung bewahrt hat. Schließlich legt sich Spartacus zum Schlafen nieder. Er will schlafen. Trotz seiner Jugend hat er bereits vor langer Zeit den furchtbaren Feind Schlaflosigkeit kennengelernt und überwunden. Jetzt beruhigt er sich und beschwört die Bilder seiner Kindheit herauf. Er sehnt sich nach Kühle, einem klaren blauen Himmel, Sonnenschein und einer sanften Brise – und all das hat er. Er liegt unter den Kiefern, sieht den grasenden Ziegen zu, und ein uralter Mann ist bei ihm. Er lehrt ihn lesen und zeichnet mit dem Stock Buchstaben in den Sand. »Lies und lerne, mein Kind«, sagt der Alte zu ihm. »Das ist für uns Sklaven eine Waffe. Ohne sie sind wir wie die Tiere auf den Feldern. Derselbe Gott, der den Menschen Feuer gab, verlieh ihnen auch die Gabe, ihre Gedanken niederzuschreiben, damit die Gedanken der Götter im Goldenen Zeitalter in ihnen lebendig blieben. Damals waren die Menschen den Göttern nahe, sie sprachen offen mit ihnen und waren keine Sklaven. Und diese Zeit wird wiederkommen.« Das alles fällt Spartacus ein. Und dann gleiten seine Erinnerungen in einen Traum über, und er schläft … Am Morgen weckt ihn Trommelschlag vom Eingang her. Das Echo hallt durch die Steinhöhle. Spartacus steht mit den anderen auf. Sie tasten sich durch die Finsternis. 91
Er nimmt seinen Becher und den Eßnapf. Falls er sie vergäße, bekäme er den ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken. Aber er kennt die Lebensgesetze der Sklaverei, die überall die gleichen sind. Beim Gehen spürt er, wie sich die Körper an ihn drängen, und läßt sich mit ihnen zur Öffnung am Ende der steinernen Unterkünfte treiben. Dabei dröhnt unablässig der Trommelwirbel. Es ist die Stunde vor Morgendämmerung. In der Wüste herrscht Kühle wie zu keiner anderen Tageszeit. Jetzt, in dieser einzigen Stunde, wird sie zur Freundin. Eine sanfte Brise streicht über das schwarze Riff. Der Himmel ist von einem herrlichen, verblassenden Blauschwarz, die funkelnden Sterne verlöschen allmählich. Sie sind die einzigen weiblichen Elemente in dieser freud- und hoffnungslosen Welt der Männer. Selbst Sklaven in den Goldminen Nubiens, aus denen keiner je zurückkehrt, brauchen ein wenig Abwechslung. Und so wird ihnen die Stunde vor Sonnenaufgang zuteil, damit eine schmerzlich-bittere Süße in ihre Herzen einziehen und ihre Hoffnungen beleben möge. Die Aufseher stehen in Gruppen etwas abseits. Sie kauen Brot und trinken Wasser dazu. Die Sklaven bekommen erst in vier Stunden zu essen und zu trinken. Aber es ist ja auch ein Unterschied, ob man Aufseher oder Sklave ist. Die Aufseher sind in Wollmäntel gehüllt, jeder trägt eine Peitsche, einen schweren Knüppel und ein langes Messer. Was sind diese Aufseher für Menschen? Was führt sie an diesen furchtbaren, frauenlosen Ort in der Wüste? Es sind Männer aus Alexandria, rauhe, harte Männer. Sie sind hier, weil der Lohn hoch ist und weil sie einen Anteil von dem Gold erhalten, das aus den Minen gefördert wird. Sie haben ihre Träume von Reichtum und Müßiggang. Außerdem hat man ihnen das römische 92
Bürgerrecht versprochen, wenn sie der Gesellschaft fünf Jahre gedient haben. Sie leben für die Zukunft: eine Wohnung in einem römischen Mietshaus, drei, vier oder fünf junge Sklavinnen für Bett und Bedienung, täglich zu den Spielen oder in die Bäder und jede Nacht betrunken. Sie glauben, ihr künftiges irdisches Glück dadurch vergrößern zu können, daß sie in diese Hölle gehen. In Wirklichkeit jedoch brauchen sie wie alle Kerkermeister die Unterwürfigkeit der Verdammten mehr als Parfüm, Wein und Frauen. Es sind merkwürdige Menschen, einzigartige Produkte aus den Elendsvierteln von Alexandria. Sie sprechen ein Gemisch aus Aramäisch und Griechisch. Vor zweieinhalb Jahrhunderten haben die Griechen Ägypten erobert, und diese Aufseher sind weder Ägypter noch Griechen, sondern Alexandriner. Das bedeutet, daß ihre Verderbtheit und ihr Zynismus vielfältiger Natur sind und daß sie an keinerlei Götter glauben. Ihre Laster sind pervers, aber gewöhnlich. Sie schlafen mit Männern und betäuben sich mit dem Saft der Khatblätter, die an der Küste des Roten Meeres wachsen. Das sind also die Männer, die Spartacus in der kühlen Stunde vor Sonnenaufgang beobachtet, während die Sklaven aus den großen Steinhöhlen kriechen, ihre Ketten nehmen und zum Riff gehen. Das also werden seine Herren sein, die über Leben und Tod bestimmen. Er sucht nach kleinen Unterschieden, Gewohnheiten, Eigenheiten und Merkmalen. In den Minen gibt es keine guten Herren, doch es könnte sein, daß manche weniger grausam und sadistisch sind als die übrigen. Er beobachtet, wie einer nach dem anderen seinen Posten bei den einzelnen Sklavengruppen übernimmt. Es ist noch so dunkel, daß er die Gesichter und Züge nicht genau unterscheiden kann, aber er hat ein geübtes Auge in solchen Dingen, und sogar Gang und 93
Umfang eines Menschen können einiges verraten. Es ist jetzt kühl, und die Sklaven sind nackt. Ihre kümmerlichen, unnützen, sonnenverbrannten Geschlechtsteile sind nicht einmal von einem Lendenschurz bedeckt. Sie zittern vor Kälte und schlingen die Arme um den Leib. Spartacus gerät selten in Wut, aber sie taugt nichts im Leben eines Sklaven. Aber er denkt: Alles können wir ertragen, doch wenn man uns nicht einmal einen Lappen gibt, um unsere Blöße zu bedecken, sind wir wie Tiere. Er verbessert sich rasch: Nein, weniger als Tiere. Denn als die Römer das Land eroberten, zu dem wir gehörten, und die Pflanzung, auf der wir arbeiteten, blieben die Tiere auf dem Felde, und nur wir wurden für die Minen ausgesucht. Jetzt verstummt das zermürbende Dröhnen der Trommel, und die Aufseher wickeln ihre Peitschen auf. Sie schlagen die Steifheit aus dem Ochsenleder, so daß die Luft vom pfeifenden Sausen der Riemen erfüllt ist. Sie peitschen die Luft, denn für das Fleisch ist es noch zu früh. Die Arbeitsgruppen setzen sich in Bewegung. Es ist jetzt heller. Spartacus kann die mageren, zitternden Kinder, die in das Innere der Erde kriechen und das Gold aus dem weißen Gestein scharren werden, deutlich erkennen. Die anderen Thraker sehen es auch. Sie drängen sich eng um Spartacus, und einige flüstern: »Vater, o Vater, was ist das für ein Ort des Schreckens!« »Es wird alles gut werden«, sagt Spartacus. Denn was soll man sonst erwidern, wenn man von Männern Vater genannt wird, die dein Vater sein könnten? So sagt er die Worte, die er sagen muß. Alle Gruppen sind bereits zum Riff abgezogen, nur die Thraker noch nicht. Ein halbes Dutzend Aufseher geht auf sie zu. Ihre Peitschen schleifen im Sand. »Wer ist euer Führer, Thraker?« fragt einer in seinem ungeschlif94
fenen Dialekt. Keine Antwort. »Für die Peitsche ist es noch zu früh, Thraker.« Jetzt erklärt Spartacus: »Sie nennen mich Vater.« Der Aufseher mustert ihn von Kopf bis Fuß. »Du bist zu jung, um Vater genannt zu werden.« »Es ist der Brauch in unserem Land.« »Bei uns herrschen andere Bräuche, Vater. Wenn das Kind nicht gehorcht, bekommt der Vater die Peitsche. Verstehst du?« »Ich verstehe.« »Hört alle gut zu, Thraker. Hier ist es schlimm, aber es könnte noch schlimmer sein. Wenn ihr lebt, verlangen wir Arbeit und Gehorsam. Wenn ihr sterbt, verlangen wir wenig. Anderswo ist es besser zu leben als zu sterben. Hier jedoch können wir dafür sorgen, daß es besser ist zu sterben als zu leben. Versteht ihr mich, Thraker?« Die Sonne geht jetzt auf. Sie werden angekettet und tragen ihre Kette bis zum Felsenriff. Dann wird sie ihnen abgenommen. Die kurze Kühle des Morgens ist bereits verflogen. Sie erhalten Werkzeuge, eiserne Hacken, Hämmer und eiserne Keile. Man zeigt ihnen einen weißen Streifen in dem schwarzen Felsen am Fuße des Riffs. Es könnte der Anfang einer Ader sein, vielleicht aber auch gar nichts. Sie sollen den schwarzen Felsen wegschlagen und den goldtragenden Stein freilegen. Die Sonne steht jetzt am Himmel, und die furchtbare Hitze des Tages beginnt von neuem. Hacke, Hammer, Keil. Spartacus schwingt einen Hammer. Von Stunde zu Stunde scheint der Hammer ein Pfund mehr zu wiegen. Spartacus ist zwar stark und abgehärtet, hat aber noch nie in seinem Leben eine solche Arbeit verrichtet. Bald schmerzt und zittert jeder Muskel seines Körpers vor Anstrengung. Leicht gesagt, daß ein Hammer sechzehn 95
Pfund wiegt. Die Qualen eines Mannes jedoch, der einen solchen Hammer Stunde um Stunde schwingt, sind nicht in Worten zu schildern. Und Spartacus beginnt hier, wo Wasser so kostbar ist, zu schwitzen. Der Schweiß tropft von seiner Haut, rinnt die Stirn hinunter in die Augen. Er wehrt sich mit seiner ganzen Willenskraft dagegen, denn er weiß, daß das in diesem Klima den Untergang bedeutet. Doch der Schweiß hört nicht auf, und der Durst in ihm wird zum wilden, reißenden, grausamen Tier. Vier Stunden sind eine Ewigkeit. Vier Stunden nehmen kein Ende. Wer versteht es besser als ein Sklave, die Bedürfnisse des Körpers zu zügeln? Aber vier Stunden sind die Ewigkeit, und als die Wassersäcke durch die Gruppen gehen, meint Spartacus vor Durst zu sterben. Die anderen Thraker empfinden dasselbe. Sie stürzen die Lederbecher mit der trüben, grünen, heißersehnten Flüssigkeit hinunter. Und dann erkennen sie, wie gedankenlos sie waren. Das sind die Goldminen Nubiens. Gegen Mittag versagt ihre Kraft, und die Peitschen beginnen sie anzutreiben. Ein Aufseher versteht die Peitsche meisterhaft zu führen. Jede Stelle des Körpers kann er treffen, zart, leicht, drohend, warnend. Leisten, Mund, Rücken, Stirn. Die Peitsche ist wie ein Instrument, das auf dem Körper eines Mannes spielt. Der Durst ist jetzt zehnmal ärger als zuvor, aber das Wasser ist verbraucht, und es wird erst nach der Tagesarbeit wieder welches geben. Und solch ein Tag ist eine Ewigkeit. Dennoch ist er einmal zu Ende. Alles endet irgendwann, so wie es anfing. Wiederum dröhnt die Trommel, und die Tagesarbeit ist zu Ende. Spartacus läßt den Hammer fallen und betrachtet seine blutenden Hände. Einige Thraker setzen sich hin. Ein Jüngling von achtzehn Jahren wälzt sich auf die Seite und 96
zieht die Beine in qualvollem Schmerz an. Spartacus geht zu ihm hin. »Bist du es, Vater?« »Ja«, erwidert er und küßt den Jungen auf die Stirn. »Küß mich auf den Mund, Vater. Denn ich sterbe und will dir das, was von meiner Seele übrig ist, geben.« Spartacus küßt ihn auf den Mund, aber er kann nicht weinen, denn er ist trocken und ausgebrannt. IV So beendete Batiatus seine Schilderung, wie Spartacus und die anderen Thraker zu den Goldminen Nubiens kamen und nackt am Fuß des schwarzen Riffs arbeiteten. Es hatte lange gedauert. Der Regen hatte aufgehört. Die Dunkelheit war angebrochen und hing nun schwer und tief am bleiernen Himmel. Die beiden Männer, der Ausbilder von Gladiatoren und der patrizische Soldat, der einmal der reichste Mann seiner Zeit sein würde, saßen im flackernden Lampenlicht. Batiatus hatte viel getrunken, und die schlaffen Muskeln seines Gesichts waren noch schlaffer geworden. Er gehörte zu den Sinnesmenschen, die Sadismus mit gewaltigem Selbstmitleid und der Gabe verbinden, sich mit anderen zu identifizieren. Seine Erzählung von der Goldmine war lebendig, farbig und voller Mitgefühl. Crassus war gegen seinen Willen bewegt. Er war weder ungebildet noch gefühllos. Er hatte den gewaltigen Prometheus-Zyklus des Aeschylos gelesen und spürte, was es für einen Spartacus bedeutete, von dorther so weit aufzusteigen, daß Rom keine Macht aufzubieten vermochte; die seinen Sklaven standhalten konnte. 97
Er spürte ein fast leidenschaftliches Verlangen, Spartacus zu verstehen, ihn sich vorzustellen – ja, sich in ihn hineinzuversetzen, so schwierig das auch sein mochte, um das ewige Geheimnis seiner Klasse, das Geheimnis des Menschen in Ketten, der nach den Sternen greift, zu lüften. Er warf Batiatus einen Blick zu und sagte sich, daß er diesem fetten, häßlichen Mann eigentlich viel schuldig sei. Er überlegte, welche von den Lagerdirnen wohl heute nacht das Bett des Batiatus teilen könnte. Crassus hatte keinerlei Verständnis für diese Art von Begierde. Seine Wünsche waren differenzierter, aber er nahm es mit kleinen, persönlichen Verpflichtungen sehr genau. »Und wie entfloh Spartacus von dort?« fragte er. »Er ist nicht geflohen. Von einem solchen Ort flieht keiner. Der Vorteil derartiger Gegenden liegt darin, daß sie den Wunsch des Sklaven, wieder in die Welt der Menschen zurückzukehren, so schnell zunichte machen. Ich habe Spartacus losgekauft.« »Von dort? Warum denn? Woher hast du gewußt, wo, wer und was er war?« »Ich habe es nicht gewußt. Du meinst wohl, mein Ruf als Ausbilder von Gladiatoren sei ein Märchen – du hältst mich für einen fetten, nutzlosen Klotz, der gar nichts versteht. Aber selbst mein Beruf ist eine Kunst, ich versichere dir …« »Ich glaube dir«, nickte Crassus. »Erzähle mir, wie du Spartacus gekauft hast.« »Ist Wein für die Legion verboten?« fragte Batiatus und hielt den leeren Krug hoch. »Oder verachtest du mich auch noch wegen Trunkenheit? Ist etwa der ein Narr, der seine Zunge im Zaum hält und sie nur vom Wein lösen läßt?« »Ich hole dir noch Wein«, erwiderte Crassus. Er erhob 98
sich, ging durch den Vorhang in seinen Schlafraum und kehrte mit einem neuen Krug zurück. Batiatus war sein Kamerad. Er hielt sich nicht lange mit dem Verschluß auf, sondern schlug den Hals des Kruges gegen das Tischbein und schenkte ein, bis sein Becher überfloß. »Blut und Wein«, sagte er lächelnd. »Ich wäre gern anderer Herkunft und würde heute eine Legion befehligen. Doch wer weiß? Vielleicht findest du Vergnügen daran, Gladiatoren kämpfen zu sehen. Mich langweilt es.« »Ich sehe genug Kampf.« »Ja, natürlich. Aber in der Arena findet man Stil und Mut. Deine Massenschlächterei kann da nicht mit. Du sollst jetzt Roms Schicksal wenden, nachdem Spartacus drei Viertel der bewaffneten Macht Roms vernichtet hat. Hast du das Land in der Hand? Nein. Spartacus ist Herr der Republik. Ja, du wirst ihn besiegen. Kein Feind kann Rom Widerstand leisten. Im Augenblick aber ist er dir überlegen. Stimmt es?« »Ja«, erwiderte Crassus. »Und wer hat Spartacus ausgebildet? Ich. Er hat nie in Rom gekämpft, aber dort findet man auch nicht die besten Kämpfer. Rom schätzt Schlächterarbeit. Die wirklich großen Kämpfe sieht man in Capua und auf Sizilien. Ich sage dir, kein Legionär versteht etwas vom Kämpfen. Geh nackt in die Arena, nur mit dem Schwert in der Hand. Auf dem Sand ist Blut. Du riechst es, wenn du hineinkommst. Die Trompeten schmettern, die Trommeln dröhnen, die Sonne scheint, und die Damen winken mit ihren Tüchern. Sie können die Blicke nicht von deinen Geschlechtsteilen wenden, die völlig nackt herunterhängen. Noch vor Ende des Nachmittags werden sie Nervenkitzel genug haben. Dein eigener Orgasmus aber kommt erst, wenn dein Bauch aufgeschlitzt ist und du schreiend 99
dastehst, während deine Eingeweide in den Sand gleiten. Das ist Kampf – und dazu taugen gewöhnliche Männer nicht. Hierfür braucht man andere, und wo findet man sie? Ich bin willens, Geld auszugeben, um welches zu verdienen, und so schicke ich meine Unterhändler aus. Sie sollen das kaufen, was ich brauche. Ich entsende sie in Gegenden, wo die Schwachen schnell sterben und die Feiglinge Selbstmord begehen. Zweimal im Jahr schicke ich sie zu den nubischen Minen. Einmal war ich selbst dort – ja, und das genügte. Um eine Mine in Betrieb zu halten, mußt du Sklaven aufbrauchen. Die meisten taugen zwei Jahre etwas, länger nicht, viele sogar nur sechs Monate. Aber die einzige gewinnbringende Art, eine Mine zu betreiben, besteht darin, daß man die Sklaven rasch aufbraucht und immer neue kauft. Und da die Sklaven das wissen, lauert ständig die Gefahr der Verzweiflung. Sie ist der große Feind der Minen. Eine ansteckende Krankheit. Du tust daher am besten, einen verzweifelten Mann, einen starken Mann, der die Peitsche nicht fürchtet, und auf den die anderen hören, sofort zu töten und ihn in die Sonne zu hängen, damit jeder sehen kann, wohin Verzweiflung führt. Aber das ist Verschwendung, von der niemand etwas hat. Ich habe daher ein Abkommen mit den Aufsehern getroffen, daß sie solche Männer für mich aufheben und mir zu einem angemessenen Preis verkaufen. Das Geld wandert in ihre Taschen, und niemand hat etwas dabei verloren. Aus solchen Männern werden gute Gladiatoren.« »Und auf diese Art hast du Spartacus gekauft?« »Genau. Ich habe Spartacus und einen anderen Thraker namens Gannicus gekauft. Damals waren die Thraker große Mode, weil sie gut mit dem Dolch umgehen können. Ein Jahr ist es der Dolch, im nächsten das Schwert. Tatsächlich haben jedoch viele Thraker noch nie einen 100
Dolch in der Hand gehabt, aber die Sage will es nun einmal so, und die Damen wünschen niemand anderen mit dem Dolch zu sehen.« »Du hast ihn selbst gekauft?« »Durch meine Unterhändler. Sie brachten die beiden in Ketten mit dem Schiff von Alexandria herüber. In Neapel habe ich einen Mittelsmann im Hafen, und dann lasse ich sie in Sänften weiterbefördern.« »Dein Geschäft ist nicht klein«, meinte Crassus, der stets auf der Suche war, wo er wenig Geld nutzbringend anlegen könnte. »Du hast den richtigen Blick«, nickte Batiatus. Er strich sich über die feisten Wangen, und der Wein troff ihm von den Mundwinkeln herab. »Das erkennen nur wenige. Was meinst du wohl, wieviel Geld ich in Capua investiert habe?« Crassus schüttelte den Kopf. »Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Man sieht die Gladiatoren und überlegt nicht, wie hoch der Geldeinsatz ist, bevor sie in die Arena gehen. Aber das ist immer so. Man sieht eine Legion und sagt sich, es hat immer Legionen gegeben, und deshalb wird es auch in Zukunft so sein.« Das war eine gewaltige Schmeichelei. Batiatus setzte seinen Becher nieder und starrte den Kommandanten an. Dann rieb er sich mit dem Finger seine Knollennase. »Schätze einmal!« »Eine Million?« »Fünf Millionen Denar«, erklärte Batiatus langsam und nachdrücklich. »Überlege dir das! Ich arbeite mit Unterhändlern in fünf Ländern. Ich unterhalte einen Mittelsmann im Hafen von Neapel. Ich gebe ihnen nur die besten Dinge zu essen, Vollweizen, Gerste, Fleisch und Ziegenkäse. Ich habe meine eigene Arena für kleine Veranstaltungen und Paare, aber das Amphitheater hat 101
eine Steintribüne und kostet rund eine Million. Ich gebe einem Manipel der örtlichen Garnison Unterkunft und Verpflegung. Von Bestechungsgeldern ganz zu schweigen. Entschuldige bitte, aber nicht alle Militärs sind wie du. Wenn du deine Männer in Rom kämpfen läßt, mußt du fünfzigtausend Denar im Jahr für die Tribünen und die Bezirksaufseher aufwenden. Gar nicht zu reden von den Frauen.« »Frauen?« fragte Crassus. »Ein Gladiator ist kein Ackersklave auf den Latifundien. Wenn er die nötige Spannkraft haben soll, muß man ihm eine Frau verschaffen, mit der er schlafen kann. Dann ißt und kämpft er besser. Ich habe ein eigenes Haus für meine Frauen und kaufe nur die besten, keine Schlampen oder vertrocknete alte Schachteln. Jede einzelne ist kräftig, gesund und jungfräulich, wenn sie in meine Hände kommt. Ich weiß das, denn ich probiere sie aus.« Er leerte seinen Becher, leckte sich die Lippen und sah traurig und verlassen drein. »Ich brauche Frauen«, fügte er klagend hinzu und goß sich bedächtig den Becher voll. »Manche Männer brauchen keine, aber ich habe sie nötig.« »Und was ist mit der, die man die Frau des Spartacus nennt?« »Varinia«, sagte Batiatus. Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen, und in seinen Augen lag eine Welt von Haß, Wut und Verlangen. »Varinia«, wiederholte er. »Erzähle mir von ihr.« Das Schweigen sagte Crassus mehr als die folgenden Worte. »Sie war neunzehn, als ich sie gekauft habe. Eine germanische Hündin, aber erfreulich anzusehen, wenn man gelbes Haar und blaue Augen mag. Ein schmutziges kleines Biest. Bei den Göttern, ich hätte sie töten sollen! Statt dessen gab ich sie dem Spartacus. Es war ein Witz. 102
Er wollte keine Frau und sie keinen Mann. Der bare Unsinn.« »Erzähle mir von ihr.« »Ich habe dir doch von ihr erzählt!« murrte Batiatus. Er stand auf, stolperte aus dem Zelt, und Crassus hörte ihn draußen urinieren. Es war eine Stärke des Generals, daß er seine Ziele unbeirrt verfolgte. Als Batiatus wieder hereinwankte, störte ihn das gar nicht. Er hatte weder die Absicht noch das Bedürfnis, aus dem lanista einen vornehmen Herrn zu machen. »Erzähle mir von ihr«, wiederholte er beharrlich. Batiatus schüttelte schwerfällig den Kopf. »Stört es dich, wenn ich mich betrinke?« fragte er voll gekränkter Würde. »Mir ist das gleichgültig. Du kannst trinken, was du magst«, erwiderte Crassus. »Aber du hast mir vorhin erzählt, daß du Spartacus und Gannicus in Sänften weiterschaffen ließest. Doch wohl in Ketten?« Batiatus nickte. »Du hast ihn also vorher nicht gesehen?« »Nein. Du hättest wenig von dem gehalten, was ich dann zu Gesicht bekam, aber ich beurteile Männer anders. Beide waren bärtig, verdreckt, über und über mit Geschwüren und Wunden bedeckt und von Peitschenhieben gezeichnet. Sie stanken so entsetzlich, daß sich dir in ihrer Nähe der Magen umdrehte. Überall klebte ihr eigener getrockneter Kot. Sie waren bis zur äußersten Grenze heruntergekommen, und nur in ihren Augen konnte man die Verzweiflung ablesen. Du hättest sie nicht einmal zum Säubern der Latrinen genommen, aber ich betrachtete sie mir und sah etwas. Das ist eben meine Kunst. Ich steckte sie ins Bad, ließ ihnen Bart und Haare abnehmen. Sie wurden mit Öl eingerieben und gut gefüttert …« »Willst du mir jetzt von Varinia erzählen?« 103
»Sei verflucht!« Der lanista langte schwerfällig nach seinem Becher und stieß ihn um. Er lag halb über dem Tisch und starrte den roten Fleck an. Man konnte nicht wissen, was er darin sah. Vielleicht die Vergangenheit, vielleicht auch die Zukunft. Denn die Kunst des Auguren ist kein bloßer Schwindel, und nur die Menschen, nicht aber die Tiere besitzen die Fähigkeit, die Folgen ihrer Handlungen zu übersehen. Dies war also der Mann, der den Spartacus ausgebildet hatte. Er hatte sich – wie alle Menschen – in eine Zukunft verstrickt, deren Ende nicht abzusehen war. Doch man würde sich seiner noch in fernen Zeiten erinnern. Der Ausbilder des Spartacus saß dem Führer von Männern gegenüber, die den Spartacus vernichten würden. Beiden gemeinsam war jedoch die unklare Vorahnung, daß niemand den Spartacus vernichten könne. Und weil sie beide einen Schimmer dieser Erkenntnis verspürten, waren sie gleichermaßen verdammt. V »Dein fetter Freund Lentulus Batiatus«, hatte der General Crassus gesagt. Aber Gajus Crassus, der junge Mann, der neben ihm lag, döste mit geschlossenen Augen vor sich hin und hatte nur Bruchstücke der Erzählung gehört. Crassus war kein gewandter Sprecher. Die Vorgänge lebten in seinem Bewußtsein, seinem Gedächtnis, in seinen Befürchtungen und Hoffnungen. Der Sklavenkrieg war beendet, und Spartacus erledigt. Die Villa Salaria bedeutet Wohlstand und Frieden, jenen römischen Frieden, welcher der Welt zum Segen gereicht, und er liegt mit einem Jüngling im Bett. Und warum nicht? fragte er sich. Tat er damit Schlimmeres als andere große Männer? 104
Gajus Crassus sinnierte über die Kreuze an der Straße von Rom nach Capua. Er war keineswegs ganz eingeschlafen. Es störte ihn nicht, daß er das Lager des großen Generals teilte. Seine Generation empfand nicht mehr das Bedürfnis, ihr Schuldgefühl durch Betrachtungen über Homosexualität zu erleichtern. Für ihn war sie etwas Normales. Ebenso normal war für ihn die Qual der sechstausend Sklaven, die am Straßenrand an Kreuzen hingen. Er war viel glücklicher als Crassus, der große General. Crassus, der große General, war von Dämonen besessen. Crassus, der junge Mann von vornehmer Herkunft – vielleicht waren sie entfernt verwandt, denn zu jener Zeit war die Familie des Namens Crassus eine der verbreitetsten in Rom –, kämpfte jedoch nicht gegen Dämonen. Es stimmte, daß der tote Spartacus ihn beleidigte. Er haßte einen toten Sklaven. Als er aber die Augen öffnete und in das umdüsterte Gesicht des Crassus blickte, vermochte er diesen Haß nicht zu erklären. »Du schläfst nicht«, sagte Crassus. »Nein, du schläfst nicht. Das ist also die Geschichte, wenn du überhaupt etwas davon gehört hast. Warum haßt du den Spartacus, der jetzt tot und für immer dahin ist?« Doch Gajus Crassus hing seinen eigenen Erinnerungen nach. Vier Jahre war es her, und Bracus war damals sein Freund gewesen. Mit Bracus war er die Via Appia hinunter nach Capua gezogen, und Bracus wollte ihm eine Freude machen. Das sollte auf vornehme, großzügige Art geschehen, denn was kann es Besseres geben, als neben einem Mann, den man begehrt, in den Kissen der Arena zu sitzen und zuzusehen, wie sich Männer bis aufs Blut bekämpfen? Damals, vier Jahre vor diesem seltsamen Abend in der Villa Salaria, hatte er mit Bracus in einer Sänfte gesessen. Bracus hatte ihm geschmeichelt und versprochen, er würde den besten Kampf – den Capua zu 105
bieten hätte, zu sehen bekommen – koste es, was es wolle. Blut würde in den Sand fließen, und sie würden zuschauen und dabei Wein trinken. Und dann war er mit Bracus zu Lentulus Batiatus gegangen, der die beste Schule unterhielt und die besten Gladiatoren im ganzen Land ausbildete. Und das alles war vor vier Jahren gewesen, dachte Gajus, bevor es den Sklavenkrieg gab und bevor noch jemand den Namen Spartacus gehört hatte. Und jetzt war Bracus tot und ebenso Spartacus, und er, Gajus, lag mit dem größten General Roms im Bett.
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DRITTER TEIL Die Geschichte der ersten Reise nach Capua, die Marius Bracus und Gajus Crassus etwa vier Jahre vor dem Abend in der Villa Salaria unternommen haben, und des Kampfes von zwei Gladiatorenpaaren. I An einem schönen Frühlingstag saß Lentulus Batiatus, der lanista, in seinem Büro. Er gab sich der angenehmen Beschäftigung hin, sein reichhaltiges Frühstück zu verdauen und rülpste von Zeit zu Zeit. Sein griechischer Buchhalter kam herein und teilte ihm mit, daß draußen zwei junge Römer warteten, um mit ihm über Gladiatorenkämpfe zu sprechen. Das Büro ebenso wie der Buchhalter, ein gebildeter jonischer Sklave, zeugten für den Reichtum und Erfolg des Batiatus. Seine Erfahrungen in der Parteipolitik und im organisierten Straßenkampf, der geschickte Ausbau von Beziehungen zu den ersten Familien sowie sein Organisationstalent, mit dem er eine der größten und schlagkräftigsten Straßenbanden der Stadt aufgebaut hatte, hatten sich bezahlt gemacht. Auch daß er seine sorgfältig gesparten Einkünfte in einer kleinen Gladiatorenschule in Capua angelegt hatte, war ein guter Gedanke gewesen. Wie er oft und gern äußerte, segelte er auf der Welle der Zukunft. Ein Bandenführer kann nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen, und keiner ist so klug, immer die Seite des Siegers zu wählen. Mächtigere Banden als die seine waren bereits durch den unerwarteten Sieg eines Gegners oder die blindwütige Raserei eines neuen Konsuls hinweggefegt worden. 107
Andererseits bot der Paarkampf – wie er allgemein genannt wurde – neue Anlage- und Gewinnmöglichkeiten. Es war ein legitimes, anerkanntes Geschäft. Und jeder, der die Zeichen der Zeit richtig zu deuten wußte, merkte, daß es noch in den Kinderschuhen steckte. Zunächst war es noch eine gelegentliche Unterhaltung, bald jedoch sollte ein ganzes Gesellschaftssystem dieser Leidenschaft verfallen. Politiker begannen zu erkennen, daß man, wenn man schon nicht den Ruhm eines siegreichen Krieges auf fremdem Boden haben konnte, fast das gleiche erreichte, indem man zu Hause etwas Ähnliches in kleinerem Maßstab bot. Kämpfe von hundert Paaren, die sich über Tage und Wochen hinzogen, waren keine Seltenheit mehr. Die Nachfrage nach ausgebildeten Gladiatoren konnte nie ganz befriedigt werden, und die Preise stiegen ständig. In einer Stadt nach der anderen wurden Steinarenen gebaut. Als schließlich in Capua eine der schönsten und gewaltigsten des ganzen Landes entstand, beschloß Lentulus Batiatus, dort eine Schule zu eröffnen. Er hatte sehr klein angefangen. Eine winzige Hütte und ein primitiver Kampfplatz, auf dem jeweils nur ein Paar ausgebildet wurde, das war alles. Aber sein Geschäft war schnell gewachsen, und jetzt, fünf Jahre später, hatte er ein großes Unternehmen, in dem er über hundert Paare ausbildete und auf Abruf bereithielt. Er besaß einen eigenen steinernen Zellenblock, eine eigene Turnhalle mit Badehaus, einen eigenen Ausbildungsplatz und schließlich eine eigene Arena für private Veranstaltungen. Die öffentlichen Amphitheater waren natürlich etwas anderes, aber seine Arena bot immerhin Platz für fünfzig bis sechzig Zuschauer, und es konnten drei Paare gleichzeitig kämpfen. Außerdem hatte er gute Beziehungen zu den örtlichen Militärstellen angeknüpft, so daß er jederzeit, mit entsprechenden Bestechungsgel108
dern, genügend reguläre Truppen zur Verfügung hatte und sich die Kosten für eine eigene private Polizeitruppe ersparen konnte. Seine Küche versorgte ein kleines Heer, denn mit den Gladiatoren, ihren Frauen, den Ausbildern, den Haus- und Sänftensklaven umfaßte sein Haushalt über vierhundert Personen. Er hatte Veranlassung, mit sich zufrieden zu sein. Das Büro, in dem er an diesem sonnigen Frühlingsmorgen saß, war seine neueste Errungenschaft. Zu Beginn seiner Laufbahn hatte er sich jeglicher äußeren Aufmachung widersetzt. Er war kein Patrizier und versuchte auch nicht, als solcher zu erscheinen. Als jedoch sein Gewinn zunahm, fand er, ein entsprechendes Leben stehe ihm wohl an. Er begann griechische Sklaven zu kaufen und stellte sowohl einen Architekten wie einen Buchhalter ein. Der Architekt hatte ihn überredet, ein Büro im griechischen Stil zu bauen, mit flachem Dach, Säulen und nur drei Wänden. Die vierte Seite war offen und bot die schönste Aussicht. Zog man die Vorhänge zurück, lag eine ganze Seite des Raumes in frischer Luft und Sonnenschein. Der Marmorfußboden und der schöne weiße Tisch, an dem er seine Geschäfte erledigte, waren von erlesenem Geschmack. Er hatte den Blick auf die Eingangstür und die offene Seite im Rücken. Daneben gab es einen Raum für die Angestellten und ein Wartezimmer. Seit den Zeiten der Bandenkriege in den Straßen Roms hatte er wahrhaft einen weiten Weg zurückgelegt. »Es sind zwei rosillae«, sagte der Buchhalter jetzt. »Parfüm, Schminke und sehr teure Ringe und Kleider. Viel Geld, aber es sind rosillae. Sie werden lästig sein. Einer ist noch sehr jung, etwa einundzwanzig, schätze ich. Der andere will ihm eine Freude machen.« »Führe sie herein«, sagte Batiatus. Kurz darauf traten die beiden jungen Männer ein. 109
Batiatus erhob sich und deutete mit ausgesuchter Höflichkeit auf zwei Stühle vor seinem Tisch. Während sie sich setzten, musterte Batiatus sie rasch mit Kennerblicken. Ihr Aussehen sprach für Reichtum, ließ jedoch erkennen, daß sie ihn nicht zur Schau zu stellen brauchten. Es waren junge Männer aus guter Familie, allerdings nicht aus den ersten Kreisen – dort hätte man eine solch eindeutige Beziehung nicht geduldet. Der jüngere, Gajus Crassus, war hübsch wie ein Mädchen. Bracus war etwas älter und härter und spielte die beherrschende Rolle. Er hatte kalte blaue Augen und sandfarbenes Haar, dünne Lippen und einen zynischen Gesichtsausdruck. Er führte das Wort. Gajus hörte nur zu und betrachtete seinen Freund hin und wieder voller Hochachtung und Bewunderung. Bracus sprach von Gladiatoren mit der leichten Selbstverständlichkeit des Kenners. »Ich bin Lentulus Batiatus, der lanista«, sagte der fette Mann. Er gab sich selbst diese erniedrigende Bezeichnung und gelobte heimlich, daß dies die beiden bis Ende des Tages mindestens fünftausend Denar kosten solle. Bracus stellte sich und seinen Freund vor und kam sofort zur Sache. »Wir hätten gern eine private Vorstellung von zwei Paaren.« »Nur für euch beide?« »Für uns und zwei Freunde.« Der lanista nickte bedächtig und legte die beiden fetten Hände aneinander, um seine zwei Diamanten, den Smaragd und den Rubin zur Geltung zu bringen. »Das läßt sich machen«, sagte er. »Bis zum Tode«, erklärte Bracus gelassen. »Wie?« »Du hast gehört, was ich sage. Ich möchte zwei Paare, Thraker, bis zum Tode.« 110
»Warum?« fragte Batiatus. »Warum muß es jedesmal, wenn ihr jungen Leute von Rom kommt, bis zum Tode sein? Ihr könnt ebensoviel Blut und einen ebenso guten Kampf – nein, sogar besser! – bis zur Entscheidung sehen. Warum also bis zum Tode?« »Weil wir das vorziehen.« »Das ist keine Antwort. Sieh her«, sagte Batiatus. Er hob beschwörend die Hände, um das Gespräch in ruhige, fachkundige Bahnen zu lenken. »Du willst Thraker. Ich habe die beste thrakische Schau der Welt, aber du kannst keinen guten Stil und keine gute Dolcharbeit erwarten, wenn du auf einem Kampf bis zum Tode bestehst. Das weißt du so gut wie ich. Es ist ja ganz klar. Du bezahlst dein Geld, und dann ist es aus. Ich kann dir eine Tagesvorstellung nach Punkten bieten, die in Rom ihresgleichen sucht. Du könntest auch ins Theater gehen und etwas Besseres sehen als irgendwo in Rom. Aber wenn du zu deinem Privatvergnügen herkommst, muß ich auf mein Ansehen bedacht sein. Ich habe nicht den Ruf eines Schlächters. Ich will dir gute Kämpfe bieten, die besten, die man mit Geld kaufen kann.« »Wir wollen ja gute Kämpfe«, lächelte Bracus. »Und zwar bis zum Tode.« »Das ist ein Widerspruch!« »Nach deiner Ansicht«, erwiderte Bracus ruhig. »Du möchtest sowohl mein Geld als auch deine Gladiatoren behalten. Wenn ich für etwas bezahle, kaufe ich es auch. Ich kaufe zwei Paare bis zum Tode. Wenn du mir das nicht liefern willst, kann ich ja auch anderswohin gehen.« »Habe ich gesagt, ich wollte dir nicht zu Diensten sein? Ich will es besser, als du denkst. Ich kann dir zwei Paare in Runden von morgens bis abends geben, acht Stunden in der Arena, falls du es wünschst. Wenn einer der Partner zu stark angeschlagen wird, werde ich ihn ersetzen. 111
Ich will dir das Blut und die Spannung bieten, die ihr und eure Damen euch nur wünschen könnt. Und für das Ganze werde ich euch nicht mehr als achttausend Denar berechnen. Darin sind Essen, Wein und jede nur denkbare Dienstleistung eingeschlossen.« »Du weißt, was wir wollen. Ich handle nicht gern«, erklärte Bracus kalt. »Also gut. Das wird dich fünfundzwanzigtausend Denar kosten.« Gajus war beeindruckt, ja sogar etwas erschrocken über die riesige Summe, doch Bracus zuckte nur die Achseln. »Sehr schön. Sie sollen nackt kämpfen.« »Nackt?« »Du hast gehört, was ich sage, lanista!« »Gut.« »Und ich wünsche keine Schiebung – nicht etwa, daß beide im Sand liegen und so tun, als seien sie erledigt. Wenn sie beide fertig sind, wird ihnen einer deiner Ausbilder die Kehlen durchschneiden. Das sollen sie wissen.« Batiatus nickte. »Ich gebe dir zehntausend als Anzahlung und den Rest, wenn die Paare fertig sind.« »Gut. Zahle bitte bei meinem Buchhalter. Er wird dir eine Quittung geben und die Verträge ausfertigen. Möchtet ihr sie vorher noch sehen?« »Können wir die Arena morgens haben?« »Morgens – ja. Aber ich muß dich warnen, daß ein derartiger Kampf sehr schnell zu Ende sein kann.« »Du brauchst mich nicht zu warnen, lanista.« Er wandte sich zu Gajus und fragte: »Möchtest du sie sehen, Kind?« Gajus lächelte schüchtern und nickte. Sie gingen hinaus. Nachdem Bracus bezahlt und den Vertrag unter112
schrieben hatte, kletterten sie in ihre Sänften und ließen sich zum Übungsplatz tragen. Gajus konnte den Blick nicht von Bracus wenden. Er hatte noch nie einen Mann mit solch bewundernswertem Auftreten gesehen, fand er. Nicht allein die fünfundzwanzigtausend Denar – seine sämtlichen Bekannten hielten sein eigenes Taschengeld von tausend Denar monatlich für sehr üppig –, sondern vielmehr die Art, wie er es ausgab, und wie er beiläufig über Menschenleben verfügte. Diese zynische Verachtung war für Gajus das erstrebenswerte Ziel und der höchste Grad von Kosmopolitismus. Und in diesem Fall ging er zusammen mit einem wunderbaren kühlen Intellekt. Er hätte niemals zu verlangen gewagt, daß die Gladiatoren nackt kämpfen sollten. Doch war gerade das einer der Gründe, weshalb sie zu einer Privatvorstellung nach Capua gekommen waren, statt die Arena in Rom zu besuchen. Auf dem Übungsplatz setzten die Sklaven ihre Sänften nieder. Es war ein etwa hundertfünfzig Fuß langer und vierzig Fuß breiter Hof, der an drei Seiten wie ein Käfig durch einen eisernen Zaun begrenzt wurde. Die vierte bildete ein Zellenblock, in dem die Gladiatoren wohnten. Gajus wurde klar, daß es hier um eine höhere und gefährlichere Kunst ging als um die Dressur wilder Tiere, denn ein Gladiator konnte überdies auch denken. Furcht und Erregung jagten ihm angenehme Schauer ein, als er die Männer auf dem Übungshof beobachtete. Es waren ungefähr hundert. Sie waren nur mit einem Lendenschurz bekleidet, glatt rasiert und kurzgeschoren und machten ihre Übungsgänge mit hölzernen Stangen und Knüppeln. Sechs Ausbilder waren dabei, wie üblich Veteranen des Heeres. In einer Hand trugen sie ein kurzes spanisches Schwert und in der anderen einen schweren Schlagring. Sie gingen wachsam und gespannt umher und hatten die Augen überall. Rund um die Einzäunung 113
war ein Manipel regulärer Truppen aufgestellt, dessen schwere, mörderische Wurfspieße außergewöhnliche Disziplin erforderten. Kein Wunder, daß der Tod einiger dieser Männer eine solch hohe Summe kostet, dachte Gajus. Die Gladiatoren hatten wunderbare, muskulöse Körper und bewegten sich mit pantherhafter Geschmeidigkeit. Sie zerfielen, grob gesprochen, in drei Gruppen, die damals in Italien sehr beliebt waren. Zunächst die Thraker – darunter verstand man weniger einen Volksstamm, als vielmehr eine bestimmte Art von Kämpfern, denn es gab zahlreiche Juden und Griechen unter ihnen – die zu jener Zeit am meisten begehrt wurden. Sie kämpften mit der sica, einem kurzen, leicht gebogenen Dolch, der in Thrakien und Judäa, woher die meisten von ihnen kamen, gebräuchlichen Waffe. Die retiarii begannen gerade populär zu werden. Sie kämpften mit zwei merkwürdigen Waffen, einem Fischnetz und einer langen dreizackigen Gabel, die man tridens nannte. Für diese Kampfgruppe bevorzugte Batiatus Afrikaner, große, langbeinige Neger aus Äthiopien, die stets gegen die murmilliones antraten. Diese waren fast immer Germanen oder Gallier und trugen entweder nur ein Schwert oder Schwert und Schild. »Sieh sie dir an«, sagte Bracus und wies auf die Schwarzen. »Das ist die schönste Kampfart, die am meisten Geschicklichkeit verlangt, aber sie kann langweilig sein. Am besten beherrschen sie die Thraker. Meinst du nicht auch?« wandte er sich an Batiatus. Der lanista zuckte die Achseln. »Jede hat ihre Vorzüge.« »Laß einen Thraker gegen einen Schwarzen antreten.« Batiatus sah ihn kurz an und schüttelte dann den Kopf. »Das ist keine gleichwertige Zusammenstellung. Der 114
Thraker hat nur einen Dolch.« »Ich will es aber«, entgegnete Bracus. Batiatus zuckte abermals die Achseln und bedeutete einem der Ausbilder herzukommen. Gebannt beobachtete Gajus, wie die Reihe der Gladiatoren mit tänzerischer Genauigkeit ihre Übungen ausführte. Die Thraker und Juden machten ihre Dolcharbeit mit kurzen Stäben und kleinen Holzschilden, die Schwarzen warfen ihre Netze und schleuderten ihre langen Holzstangen, die wie Besenstiele aussahen, die großen blonden Germanen und Gallier fochten mit ihren hölzernen Schwertern. Nie zuvor war er Männern begegnet, die in so guter Verfassung waren, die so beweglich, so elegant und scheinbar mühelos die einzelnen Figuren des Tanzes immer wieder durchgingen. Wie sie dort im Sonnenschein hinter den eisernen Schranken standen, erwachte selbst in dem verkümmerten, verderbten, verworrenen Gewissen des Gajus ein Gefühl des Mitleids, daß diese prachtvollen, kraftstrotzenden Männer abgeschlachtet werden sollten. Doch diese flüchtige Regung verflog sofort wieder. Noch nie hatte Gajus bei der Aussicht auf ein künftiges Ereignis eine derart starke Erregung verspürt. Bereits als Kind hatte er die Langeweile kennengelernt. Heute empfand er sie nicht. Der Ausbilder erklärte: »Der Dolch hat nur eine scharfe Scheide. Gerät er ins Netz, ist der Thraker erledigt. Das macht böses Blut in der Schule, denn es ist kein richtiger Kampf.« »Hole sie!« sagte Batiatus kurz. »Warum nicht mit einem Germanen …« »Ich bezahle für Thraker«, erklärte Bracus kalt. »Streite nicht mit mir.« »Du hast gehört«, sagte der lanista. Der Ausbilder trug eine kleine silberne Pfeife um den Hals. Er pfiff dreimal scharf, worauf die Gladiatoren 115
einhielten. »Welchen wünschst du?« fragte er Batiatus. »Draba.« »Draba!« rief der Ausbilder. Einer der Schwarzen wandte sich um und kam heran. Er zog Netz und Stange hinter sich her. Die dunkle Haut des Riesenkerls glänzte von Schweiß. »David.« »David!« rief der Ausbilder. Der schlanke Jude hatte ein Falkengesicht, schmale, verbissene Lippen und grüne Augen. Er war glatt rasiert und sonnengebräunt. Seine Finger umklammerten den hölzernen Dolch, und er sah blicklos durch die Gäste hindurch. »Ein Jude«, sagte Bracus zu Gajus. »Hast du schon einmal einen Juden gesehen?« Gajus schüttelte den Kopf. Bracus erklärte: »Das wird aufregend. Juden können sehr gut mit der sica umgehen. Sie verstehen nur damit zu kämpfen, aber sie sind wirklich ausgezeichnet.« »Polemus.« »Polemus!« rief der Ausbilder. Das war ein sehr junger, geschmeidiger, hübscher Thraker. »Spartacus!« Er gesellte sich zu den drei anderen. Da standen die vier Männer, von den beiden römischen Jünglingen, dem lanista und den Sänftensklaven durch das schwere eiserne Gitter des Übungshofes getrennt. Bei ihrem Anblick wurde Gajus klar, daß sie für ihn etwas Neues, Anderes, Seltsames und Furchtbares waren. Es lag weniger an der düsteren, bedrückenden Männlichkeit, die es in seinem eigenen Bekanntenkreis so gut wie gar nicht gab, als vielmehr an der Art, wie sie von ihm abgeschlossen 116
waren. Diese Männer waren ausgebildet, um zu kämpfen und zu töten, und zwar nicht wie Soldaten oder Tiere, sondern eben wie Gladiatoren, und das war etwas völlig anderes. Er blickte in vier erschreckende Masken. »Wie gefallen sie euch?« fragte Batiatus. Gajus hätte ums Leben nicht antworten oder auch nur ein Wort sagen können, doch Bracus erwiderte kühl: »Alle bis auf den mit der gebrochenen Nase. Er sieht nicht wie ein Kämpfer aus.« »Das Äußere kann täuschen«, gab Batiatus zu bedenken. »Das ist Spartacus. Er ist sehr gut, stark und schnell. Ich habe ihn aus bestimmten Gründen gewählt. Er ist sehr schnell.« »Gegen wen wirst du ihn antreten lassen?« »Gegen den Schwarzen«, erwiderte Batiatus. »Sehr gut. Ich hoffe, es ist das Geld wert«, sagte Bracus. Auf diese Weise also hatte Gajus damals den Spartacus gesehen. Allerdings hatte er vier Jahre später die Namen der Gladiatoren vergessen und erinnerte sich nur noch der heißen Sonne, der Atmosphäre jener Stätte und des Geruchs von Männerkörpern, von denen der Schweiß rann. II Varinia liegt wach in der Dunkelheit. Sie hat in dieser Nacht keine Sekunde geschlafen. Spartacus jedoch, der neben ihr ruht, schläft fest, gesund und tief. Ruhig und gleichmäßig geht sein Atem – wie das Auf und Ab des Lebens. Varinia denkt darüber nach und weiß, daß allem, was mit dem Leben im Einklang oder im Kampf ist, diese gleiche Regelmäßigkeit innewohnt, sei es der Wechsel 117
der Gezeiten, der Ablauf der Jahreszeiten oder das Reifen des Eies im Schoß der Frau. Doch wie kann ein Mensch so schlafen, wenn er weiß, was ihm beim Erwachen bevorsteht? Wie kann er an der Schwelle des Todes schlummern? Woher kommt sein Friede? Varinia berührt ihn ganz leicht und streichelt zart seine Haut, sein Fleisch, seine Glieder. Die Haut ist elastisch, frisch und lebendig, die Muskeln sind entspannt, die Glieder gelockert und ruhig. Schlaf ist kostbar, er bedeutet Leben für ihn. Schlafe, schlafe, schlafe, mein Geliebter, mein Liebling, mein Lieber, mein Guter, mein Furchtbarer – schlafe. Schlafe und spare deine Kraft, mein Mann, mein Mann! Sanft und vorsichtig schmiegt sich Varinia näher an ihn. Ihre langen Schenkel pressen sich gegen die seinen, ihre vollen Brüste streicheln ihn, und schließlich berührt ihr Gesicht seine Wangen. Ihr goldenes Haar breitet sich wie ein Fächer über ihn, ihre Angst wird durch Erinnerungen und Liebe gemildert, denn Angst und Liebe vertragen sich nicht gut. Sie hatte einmal zu ihm gesagt: »Ich möchte, daß du etwas tust. Wir tun es in unserem Stamm, weil wir etwas glauben.« Er lächelte sie an. »Woran glaubt ihr denn in eurem Stamm?« Sie sagte: »Du wirst darüber lachen«, und er erwiderte: »Lache ich jemals? Habe ich je gelacht?« Dann sagte sie zu ihm: »In unserem Stamm glauben wir, daß die Seele durch Nase und Mund in den Körper geht, mit jedem Atemzug ein wenig. Du lächelst.« Er antwortete: »Ich lächle nicht über dich. Ich lächle über die wundervollen Dinge, an die Menschen glauben.« Darauf rief sie: »Weil du ein Grieche bist, und die Griechen glauben an gar nichts.« Er erzählte ihr nun, daß er kein Grieche, sondern ein Thraker sei: »Es ist 118
nicht wahr, daß die Griechen an gar nichts glauben. Sie glauben vielmehr an die besten und schönsten Dinge, an die Menschen überhaupt glauben können.« Es sei ihr gleich, was die Griechen glauben, erwiderte sie. Ob er das tun wolle, was man in ihrem Stamm tue? Wolle er seinen Mund auf den ihren legen und ihr seinen Atem und seine Seele einhauchen? Sie würde dann das gleiche bei ihm tun. Damit wären ihre Seelen für alle Zeiten vereint. Oder fürchtete er sich? Und er entgegnete: »Kannst du dir nicht denken, wovor ich Angst habe?« Jetzt liegt sie mit ihm auf der dünnen Matte in ihrer Zelle. Diese Zelle ist ihr Heim. Sie ist ihr Schloß. Ihr ganzes Zusammensein hat sich in diesem steinernen Schlafraum abgespielt, der fünf mal sieben Fuß mißt und nur ein Nachtgeschirr und eine Matte enthält. Doch selbst das gehört ihnen nicht. Nichts gehört ihnen, sie gehören nicht einmal einander. Und jetzt liegt sie neben ihm, berührt sein Gesicht und seine Schenkel und weint leise – sie, die bei Tage noch keiner weinen sah. »Ich vergebe keine Frauen, ich verleihe sie«, war eine Lieblingsredensart von Batiatus. »Ich verleihe sie an meine Gladiatoren. Ein Mann, dessen Geschlechtsorgane verkümmern, taugt nichts in der Arena. Ein Gladiator ist kein Sänftensklave. Er ist ein Mann, und wenn er keiner ist, dann bezahlt auch niemand zehn Denar für ihn. Ein Mann aber braucht eine Frau. Ich kaufe die Unverbesserlichen, weil sie billig sind, und wenn ich sie nicht zähmen kann, so besorgen das meine Jungen.« Die Nacht nähert sich dem Ende. Das erste fahle Grau der Dämmerung fällt in die Zelle. Wenn Varinia aufstünde, in ihrer ganzen schlanken, biegsamen Größe, wäre ihr Kopf in einer Höhe mit dem einzigen Fenster der Zelle. Und wenn sie hinausblickte, würde sie die eisenumschlossene Fläche des Übungshofes sehen und dahinter 119
die schläfrigen Soldaten, die Tag und Nacht Wache stehen. Sie weiß das wohl. Im Gegensatz zu Spartacus sind für sie Zelle und Ketten nicht die naturgegebene Umwelt. Gerade diese Frau erfüllte Batiatus mit Begierde und Entzücken. Sein Unterhändler hatte sie in Rom sehr billig gekauft, für nur fünfhundert Denar, so daß die Ware fehlerhaft sein mußte, doch ihr Anblick allein entfachte ihn. Einmal war sie groß und herrlich gewachsen wie viele Frauen der germanischen Stämme, und Batiatus bewunderte große, schöngewachsene Frauen. Zum anderen war sie sehr jung, höchstens zwanzig oder einundzwanzig, und Batiatus liebte junge Frauen. Schließlich aber war sie sehr schön mit ihrem gutgeformten Kopf und dem goldenen Haar, und Batiatus bevorzugte schöne Frauen mit schönem Haar. So ist es begreiflich, daß sie den lanista mit Begierde und Entzücken erfüllte. Aber der Makel war da. Er entdeckte ihn, als er sie ins Bett zu nehmen versuchte. Sie wurde zur wilden Katze. Sie wurde zum spuckenden, kratzenden, schlagenden Ungeheuer – und da sie groß und kräftig war, hatte er Mühe, sie bewußtlos zu machen. Bei dem Kampf wurden sämtliche Kostbarkeiten seines Schlafzimmers zertrümmert, darunter auch eine herrliche griechische Vase, die er ihr erst über den Kopf hauen mußte, bevor sie aufhörte, sich zu wehren. Seine Wut und Enttäuschung waren derart, daß er sich durchaus berechtigt fühlte, sie umzubringen. Doch als er die schönen Vasen, Lampen und Statuen zu ihrem Kaufpreis hinzuzählte, kam er zu dem Ergebnis, daß die aufgewendete Summe zu hoch sei, um sich von seinem Ärger hinreißen zu lassen. Ebensowenig konnte er sie auf dem Markt zu einem Preis verkaufen, der ihrer Erscheinung entsprach. Batiatus besaß ein außerordentlich ausgeprägtes Gefühl für Geschäftsmoral, 120
vielleicht weil er als Bandenführer in den Straßen Roms angefangen hatte. Er war stolz darauf, daß er nichts unter falschen Vorspiegelungen verkaufte. Und so beschloß er, sie durch die Gladiatoren zähmen zu lassen. Da er bereits eine unvernünftige Abneigung gegen den sonderbaren, schweigsamen Thraker namens Spartacus gefaßt hatte, unter dessen schafähnlichem Äußeren eine Flamme loderte, die jeder Gladiator in der Schule respektierte, erwählte er ihn zu ihrem Gefährten. Es gefiel ihm, Spartacus zu beobachten, als er ihm Varinia mit den Worten übergab: »Hier ist eine Gefährtin fürs Bett. Schwängere sie oder nicht, ganz wie du willst. Mache sie dir gefügig, aber verletze und entstelle sie nicht.« So sprach er zu Spartacus, der schweigend und teilnahmslos dastand und das germanische Mädchen gelassen betrachtete. Varinia sah nicht schön aus bei dieser Begegnung. Auf ihrem Gesicht klafften zwei lange Wunden, ein Auge war zugeschwollen und gelb und lila verfärbt, Stirn, Hals und Arme waren mit blauen und grünen Flecken übersät. »Schau dir an, was du bekommst«, sagte Batiatus und riß ihr das bereits zerfetzte Gewand, das er ihr gegeben hatte, herunter, so daß sie nackt vor Spartacus stand. In diesem Augenblick sah Spartacus sie und liebte sie. Nicht wegen ihrer Nacktheit, sondern weil sie ohne Kleider überhaupt nicht nackt war. Sie krümmte sich nicht und versuchte auch nicht, sich mit den Armen zu verhüllen, sondern stand aufrecht und stolz da, zeigte weder Qual noch Kränkung, sah ihn und Batiatus nicht an und ruhte völlig in sich, ganz erfüllt von ihren Gesichten, ihrer Seele und ihren Träumen. Sie hatte nämlich beschlossen, das Leben, das nichts mehr wert war, von sich zu werfen. Sein Herz flog ihr zu. In jener Nacht kroch sie in die entfernteste Ecke seiner 121
Zelle, und er ließ sie allein. Erst als es kalt wurde, fragte er sie: »Sprichst du Latein, Mädchen?« Keine Antwort. Dann sagte er: »Ich rede lateinisch mit dir, weil ich nicht germanisch kann. Jetzt kommt die nächtliche Kälte, ich möchte daß du auf meiner Matte liegst, Mädchen.« Wieder keine Antwort. Er schob ihr die Matte hin, so daß sie zwischen ihnen lag, und am nächsten Morgen war sie immer noch dort. Sie hatten beide auf dem Steinboden geschlafen. Doch das war die erste freundliche Fürsorge, die Varinia widerfahren war, seitdem man sie vor anderthalb Jahren in den germanischen Wäldern aufgegriffen hatte. — In dieser feuchtkalten Nacht erinnerte sie sich jener ersten, und dabei strömt auf den neben ihr schlafenden Mann eine solche Welle von Liebe über, daß er aus Stein sein müßte, wenn er sie nicht spürte. Er wälzt sich unruhig herum, öffnet plötzlich die Augen, sieht sie undeutlich im fahlen Dämmerschein, jedoch klar in seiner Vorstellung. Noch halb im Schlaf, zieht er sie an sich und beginnt sie zu liebkosen. »Oh, mein Liebling, mein Liebling!« sagte sie. »Laß mich.« »Und wo willst du die Kraft für heute finden, mein Geliebter?« »Laß mich, ich bin voller Kraft.« Dann liegt sie in seinen Armen, und die Tränen fließen still. III Der Morgen bringt den Kampf. Er liegt in der Luft und über dem ganzen Platz. Jeder der mehr als zweihundert Gladiatoren weiß davon und ist erfüllt von knisternder 122
Spannung. Zwei Paare werden auf dem Sand verbluten, weil zwei junge Männer mit viel Geld von Rom gekommen sind und etwas Aufregendes erleben wollen. Zwei Thraker, ein Jude und ein Afrikaner, und da der Schwarze auf Netz und Dreizack ausgebildet ist, stehen die Chancen ungleich. Viele lanistae würden dergleichen nicht zulassen, denn man hetzt ja nicht einmal seinen Hund gegen einen Löwen, doch Batiatus tut für Geld alles. Der Schwarze, Draba, erwacht an diesem Morgen und sagt in seiner Sprache: »Ich grüße dich, Tag des Todes!« Er liegt auf seiner Matte und denkt über sein Leben nach. Er sinniert darüber, daß selbst die elendesten Menschen Erinnerungen an Liebe und Fürsorge, an Küsse und Spiel, an Freude, Gesang und Tanz haben, und daß sich alle vor dem Tod fürchten. Selbst wenn das Leben gar nichts wert ist, hängen die Menschen daran. Selbst wenn sie einsam und fern der Heimat sind, bar jeder Hoffnung auf Rückkehr, und jeder Entwürdigung, jedem Schmerz, jeder Grausamkeit ausgesetzt, wenn sie wie wilde Tiere gefüttert und dazu ausgegebildet werden, zum Vergnügen anderer zu kämpfen – selbst wenn dies alles so ist, hängen sie immer noch am Leben. Und er, der einmal ein rechtschaffener Bauer war, mit Haus, Weib und Kindern, auf dessen Stimme man im Frieden hörte und den man im Krieg achtete – er, der all das einmal war, hat jetzt ein Fischnetz und einen Dreizack und wird in den Kampf geschickt, damit Menschen über ihn lachen und in die Hände klatschen können. Er flüstert die armselige Lebensweisheit seiner Art und seines Handwerks vor sich hin: »Dum vivimus, vivamus.« Doch sie ist schal und spendet keinen Trost. Seine Knochen und Muskeln schmerzen, als er sich erhebt, um seinen Tag zu beginnen, und Körper und Geist mit Ge123
walt darauf vorbereitet, daß er den Spartacus töten muß, den er liebt und vor allen anderen weißen Männern hier schätzt. Aber heißt es nicht: »Gladiator, mach dir keinen Gladiator zum Freund!« IV Die vier gingen zuerst schweigend zum Bad. Es hatte keinen Sinn, etwas zu sagen, denn es gab jetzt nichts, worüber sie hätten sprechen können. Da sie von nun an bis zum Einzug in die Arena Zusammensein würden, konnten Worte alles nur noch verschlimmern. Das Badehaus war bereits gefüllt von heißem Dampf. Sie sprangen rasch in das dunkle Wasser, als müßten sie alles ohne Nachdenken und Überlegung tun. Das Badehaus war vierzig Fuß lang, zwanzig Fuß breit und lag völlig im Dunkel. Sobald die Türen geschlossen waren, wurde es nur durch einen schwachen Lichtschein von draußen erhellt. Das Wasser wirkte in dieser fahlen Beleuchtung dunkelgrau. Eine heiße Nebelschicht lag darüber. Sie stieg von den rotglühenden Steinen auf und erfüllte das ganze Badehaus mit dem schweren Dunst dampfgesättigter Luft. Er drang in jede Pore des Spartacus ein, lockerte seine verkrampften Muskeln und verlieh ihm ein seltsam gelöstes Gefühl der Leichtigkeit und des Behagens. Das heiße Wasser war für ihn stets aufs neue ein Wunder. Er konnte die Erinnerung an den trockenen Tod Nubiens nie ganz verwinden. Jedesmal, wenn er das Badehaus betrat, dachte er darüber nach, wie sorgfältig man die Körper derjenigen pflegte, die für den Tod gezüchtet wurden und deren einzige Aufgabe darin bestand, Tod zu bringen. Als er die Dinge des Lebens, Weizen, Gerste und Gold gefördert hatte, war sein Körper ein 124
schmutziger, wertloser Gegenstand gewesen, den man schlagen, stoßen, peitschen und verhungern lassen konnte. Nun aber, da er zur Kreatur des Todes geworden war, wurde sein Körper so kostbar wie das gelbe Metall, das er in Afrika geschürft hatte. Merkwürdigerweise war der Haß erst jetzt in ihm erwacht. Zuvor hatte es dafür keinen Raum gegeben. Haß ist ein Luxus; er braucht Nahrung, Kraft und auch Zeit für bestimmte Gedanken. All das hatte er nun und zudem Lentulus Batiatus als lebenden Gegenstand seines Hasses. Batiatus war Rom, und Rom war Batiatus. Er haßte Rom und ebenso den Batiatus, er haßte alles Römische. Er war geboren und aufgezogen worden, um die Felder zu bestellen, Vieh zu hüten und Metall zu schürfen. Doch erst in Rom hatte er erlebt, daß man Männer dazu erzog und ausbildete, einander in Stücke zu reißen und im Sand zu verbluten – zum Gelächter und zum Nervenkitzel gebildeter Männer und Frauen. Vom Bad gingen sie zu den Massagetischen. Spartacus schloß wie immer die Augen, als das duftende Olivenöl auf seine Haut gegossen wurde. Jeder Muskel seines Körpers lockerte sich unter dem leichten, kundigen Griff des Masseurs. Beim erstenmal war ihm zumute gewesen wie einem gefangenen Tier, er hatte Angst und Schrekken empfunden, als sein Fleisch, das einzige, was ihm je gehört hatte, von diesen zudringlichen, zupackenden Fingern angetastet wurde. Mittlerweile jedoch konnte er sich wirklich entspannen und das, was der Masseur ihm gab, voll auskosten. Zwölfmal hatte er bereits so dagelegen. Zwölfmal hatte er gekämpft, achtmal im großen Amphitheater von Capua, wo ihn die Schreie der blutrünstigen Massen anfeuerten, viermal in der privaten Arena des Batiatus zur Erbauung der reichen Kenner des Gemetzels. Sie waren aus der mächtigen, sagenhaften urbs, 125
die er nie gesehen hatte, gekommen, um hier einen Tag mit ihren weiblichen oder männlichen Geliebten zu verbringen und Männern beim Kampf zuzuschauen. Wie immer, wenn er auf dem Massagetisch lag, durchlebte er all das noch einmal. Es war in sein Gedächtnis eingegraben. Kein Grauen des Bergwerks oder der Felder kam dem gleich, das einen erfaßt, wenn man den festgestampften Sandboden der Arena betritt. Keine Furcht war wie diese, keine Schmach wie die, zum Töten auserwählt worden zu sein. Und so lernte er, daß es kein niedrigeres menschliches Lebewesen gab als den Gladiator. Und gerade diese Tierähnlichkeit wurde mit der gleichen sorgfältigen Pflege belohnt, die man edlen Pferden zuteil werden läßt, obwohl Lentulus Batiatus ebenso wie jeder andere Römer den Gedanken, ein gutes Pferd in der Arena zu opfern, entrüstet von sich gewiesen hätte. Er trug seinen besonderen Mantel aus Furcht und Schmach, und die Finger des Masseurs strichen jetzt über dieses Gewebe von Narben. Er hatte Glück gehabt. Nie war ihm ein Nerv zerrissen, ein Knochen gebrochen, ein Auge ausgeschlagen worden, nie ein Messer ins Trommelfell oder in den Hals gedrungen. Bisher hatte er keine jener furchtbaren Wunden kennengelernt, vor denen seine Gefährten solche Angst hatten, daß sie nachts schweißgebadet davon träumten. Durchschnittene Sehnen, durchbohrtes Eingeweide waren ihm erspart geblieben. Er konnte das nicht der Erfahrung zuschreiben und wollte es auch nicht. Erfahrenheit in dieser Schlächterei! »Kein Sklave gibt einen Soldaten ab«, hieß es. Aber er war flink wie eine Katze, fast so behende wie der grünäugige Jude, dieses haßerfüllte, schweigsame Geschöpf, das neben ihm auf dem Massagetisch lag, und zudem sehr stark und beson126
nen. Das war am schwersten – zu denken und nicht wütend zu werden. Ira est mors. Wen in der Arena der Zorn packte, der starb.« Angst war etwas anderes, nur kein Zorn. Es fiel ihm nicht schwer. Sein ganzes Leben lang hatten ihm seine Gedanken dazu verholfen, daß er überlebte. Nur wenige wußten das. »Der Sklave denkt an gar nichts.« Und: »Der Gladiator ist ein Tier.« Das war offensichtlich, aber genaugenommen lag es umgekehrt. Mitunter überlebt ein freier Mensch durch das Denken. Der Sklave aber muß Tag für Tag denken, um zu leben – zwar nicht nachdenken, jedoch immerhin denken. Der Gedanke ist der Freund des Philosophen, aber der Feind des Sklaven. Als Spartacus an jenem Morgen Varinia verließ, strich er sie aus seinem Bewußtsein. Sie durfte nicht für ihn vorhanden sein. Falls er am Leben blieb, würde auch sie wieder leben, doch jetzt war er weder lebendig noch tot. Die Masseure waren fertig. Die vier Sklaven glitten von den Tischen und hüllten sich in die langen Wollmäntel, die man Leichentücher nannte, und gingen über den Hof in den Eßraum. Die Gladiatoren waren bereits bei ihrer Morgenmahlzeit. Jeder saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und aß von einem kleinen Tisch, der vor ihm stand. Sie hatten einen Becher saurer Ziegenmilch und einen Napf Weizenbrei mit fettem Schweinefleisch. Der lanista fütterte sie gut. Mancher, der in seine Schule eintrat, aß sich hier zum erstenmal satt, wie ein zum Tode Verurteilter, bevor er ans Kreuz geschlagen wird. Für die vier, die in der Arena kämpfen sollten, gab es jedoch nur ein wenig Wein und ein paar Schnitten kalten Hühnerfleisches. Mit vollem Bauch kämpft man nicht gut. Spartacus jedenfalls war nicht hungrig. Sie saßen von den übrigen getrennt. Alle vier empfanden den gleichen Abscheu vor dem Essen. Sie nippten an dem Wein. Sie 127
nahmen einen Bissen Fleisch und sahen sich von Zeit zu Zeit an. Doch keiner sprach. Sie bildeten eine kleine Insel des Schweigens in dem Stimmengewirr, das die Halle erfüllte. Die anderen Gladiatoren schenkten ihnen weder einen Blick noch sonderliche Beachtung. Das war die Höflichkeit des letzten Frühstücks. Es war jetzt allgemein bekannt, wie die Paare zusammengestellt waren. Jeder wußte, daß Spartacus gegen den Schwarzen kämpfen würde – Dolch gegen Netz und Dreizack. Jeder wußte, daß der Thraker und der Jude gegeneinander antreten sollten. Spartacus würde sterben, und ebenso der junge Thraker. Es lag an Spartacus. Nicht nur, daß er mit dem germanischen Mädchen schlief und von ihr nie anders als von seiner Frau sprach – er hatte sich außerdem noch die Zuneigung der Männer erworben. Keiner der Gladiatoren, die hier saßen, hätte es genau erklären können. Sie wußten nicht, wie und weshalb es gekommen war. Ein Mann hat eine bestimmte Art, die aus tausend Einzelheiten besteht. Das sanfte Wesen des Thrakers, das schafähnliche Gesicht mit den vollen Lippen und der gebrochenen Nase – all das schien gar nicht dazu angetan, daß Männer sein Urteil anerkannten, mit ihren Sorgen und Beschwerden zu ihm kamen, bei ihm Rat und Trost suchten. Und doch taten sie, was er sagte. Wenn er in seinem singenden, fremdartig betonten Latein zu ihnen sprach, hörten sie auf ihn. Er redete zu ihnen, und sie waren getröstet. Er schien ein glücklicher Mensch zu sein. Er trug das Haupt aufrecht, für einen Sklaven höchst ungewöhnlich. Nie beugte er den Kopf, nie erhob er seine Stimme, nie wurde er zornig. Seine Zufriedenheit unterschied ihn von den anderen, und so bewegte er sich in dieser ruchlosen Gesellschaft von ausgebildeten Totschlägern und Verlorenen. »Gladiatoren sind Tiere«, sagte Batiatus häufig. »Wenn 128
man sie als Menschen betrachtet, verliert man jedes Maß.« Es war nun ganz einfach so, daß Spartacus kein Tier sein wollte, und eben deshalb war er gefährlich. Trotz seiner Geschicklichkeit und trotz seines Wertes als Kämpfer zog Batiatus es vor, ihn gegen gute Bezahlung tot zu sehen. Das Frühstück war beendet. Die vier Männer, die privilegio waren, wie es ironisch im Berufsjargon hieß, gingen allein. An diesem Morgen durfte sie niemand ansprechen oder anrühren. Gannicus jedoch ging zu Spartacus, umarmte ihn und küßte ihn auf den Mund. Das war noch nicht dagewesen. Der Preis dafür war hoch, dreißig Peitschenhiebe, aber es gab nur wenige unter den Gladiatoren, die nicht spürten, warum er es getan hatte. V Lentulus Batiatus dachte in den folgenden Jahren häufig an jenen Morgen. Immer wieder versuchte er, sich darüber klar zu werden, ob die anschließenden welterschütternden Ereignisse darauf zurückzuführen waren. Er konnte jedoch zu keinem Ergebnis kommen und vermochte nicht einzusehen, daß alles Spätere deshalb geschah, weil zwei römische Gecken eine Privatvorstellung mit tödlichem Ausgang verlangten. Es verging keine Woche, in der nicht eine private Schau mit einem, zwei oder drei Paaren in seiner Arena stattfand, und diese hier war schließlich nicht so anders. Sie erinnerte ihn an das Schicksal bestimmter Mietshäuser, die ihm in Rom gehörten. Sie galten allgemein als eine der besten Kapitalanlagen, die ein Geschäftsmann tätigen konnte. Zunächst hatte er zwei Häuser gekauft, ein vier- und ein fünfstök129
kiges. Jedes hatte zwölf Wohnungen je Stockwerk, und jede Wohnung kostete etwa neunhundert Sesterzen Miete im Jahr. Batiatus erkannte bald, daß ein auf Gewinn bedachter Kaufmann ständig aufstocken mußte. Straßenkehrer ohne Unternehmungsgeist hatten niedrige Häuser, Reiche dagegen reine Wolkenkratzer. Der lanista ließ also sofort in dem fünfstöckigen Haus zwei weitere Stockwerke anbauen, das vierstöckige jedoch stürzte beim ersten Aufstocken ein und belastete ihn nicht nur mit einem gewaltigen Verlust, sondern überdies mit dem Tod von über zwanzig Mietern – was zusätzlich ein Vermögen an Bestechungsgeldern bedeutete. Eine ähnliche Vergrößerung der Menge und damit eine Veränderung der Qualität gab es wohl auch bei seinen Gladiatoren. Aber Batiatus wußte, daß er nicht schlimmer war als die meisten lanistae, sogar besser als viele von ihnen. Es war allerdings ein schlechter Morgen. Zunächst die Auspeitschung des Gannicus. Es war nicht gut, Gladiatoren auszupeitschen, andererseits aber mußte die Disziplin einer Schule die strengste der Welt sein. Der geringste Verstoß eines Gladiators mußte bestraft werden, und zwar rasch und erbarmungslos. Zum anderen herrschte schwere Verstimmung unter den Gladiatoren, weil ein Dolchkämpfer gegen Netz und Dreizack antreten sollte. Und schließlich war es der Kampf selbst. Batiatus erwartete die Gäste an der Arena. Gleichgültig, was Batiatus persönlich von diesen Römern halten mochte, dem Geld gebührte Ehre, das vergaß er keinen Augenblick. Wann immer er einen Millionär traf – das heißt einen Mann, der nicht nur Millionen hatte, sondern sie auch ausgeben konnte –, überwältigte ihn die Erkenntnis, nur ein kleiner Frosch in einem Tümpel zu sein. Solange er noch Bandenführer in den Straßen Roms war, 130
träumte er davon, die vierhunderttausend Sesterzen zusammenzuraffen, mit deren Hilfe er in den Kaufmannsstand aufgenommen werden konnte. Nachdem ihm das jedoch geglückt war, erkannte er erst, was Reichtum bedeutete, und daß noch viele Stufen auf der Leiter des Erfolges vor ihm lagen. Ehre, wem Ehre gebührt. Deshalb wartete er hier auf Gajus, Bracus und die übrigen. Und deshalb wußte er auch nicht, daß Gannicus dreißig Peitschenhiebe bekommen hatte. Er führte die Ehrengäste zu der Loge, die für sie vorbereitet worden war. Sie lag gerade so hoch, daß man jeden Winkel der kleinen Arena mühelos überblicken konnte. Er rückte selbst die Kissen der Liegesofas zurecht, damit sie bequem zurückgelehnt den Kämpfen zusehen konnten. Kühler Wein, Schalen mit Süßigkeiten und junge Tauben in Honig wurden gebracht, so daß Hunger und Durst jederzeit gestillt werden konnten. Ein gestreiftes Dach bot Schutz vor der Morgensonne, und zwei Haussklaven standen mit Federfächern bereit, falls der morgendlichen Kühle ein heißer Vormittag folgen sollte. Während Batiatus die Vorbereitungen überwachte, schwoll sein Herz vor Stolz. Auch der verwöhnteste Geschmack fand hier alles, was er sich nur wünschen konnte. Um die Langeweile bis zum Beginn der Kämpfe zu überbrücken, produzierten sich zwei Musiker und eine Tänzerin in der Arena. Allerdings erregten weder die Musik noch der Tanz große Aufmerksamkeit. Die Gäste erwarteten mehr, und der verheiratete Freund des Bracus, Cornelius Lucius, schwatzte nervös davon, was man brauchte, um heutzutage in Rom anständig leben zu können. Batiatus hörte interessiert zu, als er erfuhr, daß Lucius fünftausend Denar für einen neuen libarius bezahlt hatte, ein Vermögen für einen Kuchenbäcker. 131
»Aber man kann doch nicht leben wie ein Schwein, nicht wahr?« fragte Lucius. »Oder auch nur so, wie mein Vater gelebt hat. Man will anständig essen. Dazu braucht man mindestens vier, den libarius, den cocus, den pistor und auf jeden Fall einen dulcarius; denn sonst müßte man die Süßspeisen vom Markt holen lassen, und dann könnte man ebensogut ganz darauf verzichten.« »Ich sehe nicht ein, wie man darauf verzichten sollte«, sagte seine Frau. »Jeden Monat einen neuen tonsor, keiner kann es dir recht machen. Aber wenn ich einmal einen Haarkünstler oder einen Masseur haben will …« »Es geht nicht darum, daß man hundert Sklaven braucht«, erklärte Bracus ihr höflich, »sondern darum, daß man sie abrichtet. Und selbst wenn man es getan hat, halte ich es manchmal gar nicht der Mühe wert. Ich habe einen privata für meine Kleider, einen Griechen aus Zypern, der stundenlang Homer zitieren kann. Wohlgemerkt, er wäscht und reinigt nicht. Ich verlange nichts weiter von ihm, als daß er meine Kleider in Ordnung hält. Wenn ich ein Kleidungsstück ablege, braucht er es lediglich in den dafür bestimmten Raum zu tun. Eine Tunika zum Beispiel in den Raum, in dem die Tuniken aufbewahrt werden. Man könnte einen Hund darauf abrichten, nicht wahr? Wenn ich ihm nun sage, Raxides, gib mir meine gelbe Tunika, so könnte er es tun. Aber er kann es eben nicht. Es würde mehr Zeit beanspruchen, ihm beizubringen, daß er es richtig tut, als es selbst zu machen.« »Aber du kannst doch so etwas nicht selbst machen«, widersprach Gajus. »Nein, natürlich nicht. Sieh nur, Kind, was für einen Wein uns der lanista vorsetzt.« Batiatus war schneller. »Cisalpinischen«, prahlte er und hielt ihnen den Krug hin. 132
»Wie bist du auf Kissen gekommen?« fragte Bracus. »Ich habe dir doch nichts davon gesagt, daß wir Kissen wollen! Hast du Wein aus Judäa, lanista?« »Selbstverständlich, den allerbesten. Einen leichten roten, den leichtesten, den es gibt.« Er rief einem der Sklaven zu, sofort judäischen Wein zu bringen. »Sag es ihm doch«, forderte Lucius seine Frau auf, die ihm etwas zuflüsterte. »Nein …« Bracus beugte sich zu ihr, nahm ihre Hand und drückte sie an die Lippen. »Gibt es etwas, Liebling, was du mir nicht sagen kannst?« »Ich flüstere es dir ins Ohr.« Sie tat es, und Bracus erwiderte: »Aber natürlich.« Und dann wandte er sich an Batiatus: »Bring den Juden her, bevor er kämpft!« Batiatus kam nie dahinter, welches gemeinsame Merkmal sämtlichen Handlungen gebildeter Menschen anhaftete. Er wußte zwar um sein Vorhandensein, hätte aber um nichts angeben können, worin es nun eigentlich bestand. Ebensowenig vermochte er für sich bestimmte Richtlinien aufzustellen, mit deren Hilfe er seine Herkunft hätte verbergen können. Jede Gesellschaft, die seine Arena für eine Privatvorstellung mietete, benahm sich anders. Batiatus schickte nach dem Juden. Er kam zwischen zwei Aufsehern bis zur Loge und blieb dort stehen. Er war noch in seinen langen, groben Wollmantel gehüllt, und seine blaßgrünen Augen waren wie kalte Steine. Er sah durch alles hindurch und stand einfach da. Die Frau lächelte geziert. Gajus hatte Angst. Zum erstenmal befand sich ein Gladiator in Reichweite von ihm, durch keinerlei Mauern oder Schranken getrennt, und die 133
beiden Aufseher boten ihm nicht genügend Sicherheit. Das war kein menschliches Wesen, dieser Jude mit den grünen Augen und dem schmalen Mund, der scharfen Hakennase und dem kurzgeschorenen Schädel. »Sag ihm, er soll den Mantel ablegen, lanista«, befahl Bracus. »Ausziehen!« flüsterte Batiatus. Der Jude rührte sich zunächst nicht. Dann ließ er plötzlich den Mantel fallen und stand nackt vor ihnen. Der schlanke, muskulöse Körper regte sich nicht, als sei er aus Bronze gegossen. Gajus starrte ihn fasziniert an. Lucius tat gelangweilt, seine Frau jedoch hatte den Mund leicht geöffnet, ihr Atem ging rasch und stoßweise. »Animal bipes implume«, sagte Bracus müde. Der Jude bückte sich, hob seinen Mantel auf und ging, gefolgt von den beiden Ausbildern. »Laß ihn zuerst kämpfen«, meinte Bracus. VI Damals bestand das Gesetz noch nicht, daß Thrakern oder Juden, die in der Arena mit dem traditionellen Dolch, oder besser mit dem leicht gebogenen Messer, der sogenannten sica, kämpften, ein hölzerner Schild zur Verteidigung gegeben werden muß. Selbst nach Erlaß dieses Gesetzes kam es häufig zu Übertretungen. Der Schild ebenso wie die herkömmlichen bronzenen Beinschienen und der Helm nahmen dem Messerkampf das entscheidende Spannungsmoment, nämlich die unwahrscheinliche Bewegtheit und Beweglichkeit. Bis etwa vierzig Jahre vor dieser Zeit – und zuvor gab es Paarkämpfe verhältnismäßig selten – war in der Arena der samnitas üblich. Hierbei kämpften die Paare in schwerer 134
Rüstung, und zwar mit dem großen Langschild der Legion, dem scutum, und dem spanischen Schwert, der spatha. Das war weder sonderlich aufregend noch blutig. Schilder und Schwerter krachten stundenlang gegeneinander, ohne daß die Kämpfer wesentlichen Schaden litten. Damals verachtete man den lanista genauso wie einen Zuhälter – gewöhnlich war er ein kleiner Bandenführer, der ein paar verbrauchte Sklaven kaufte und sie aufeinander losgehen ließ, bis sie vor Blutverlust oder aus reiner Erschöpfung umfielen. Sehr häufig war der lanista auch ein Zuhälter, der einerseits mit Gladiatoren und andererseits mit Prostituierten handelte. Zwei Neuerungen veränderten den Paarkampf von Grund auf, so daß aus einem langweiligen Schauspiel die Manie ganz Roms wurde und mancher lanista zu einem Sitz im Senat, einer Villa auf dem Land oder einem Millionenvermögen kam. Die erste Neuerung war eine Folge des militärischen und kommerziellen Vordringens nach Afrika. Die zuvor fast unbekannten Schwarzen tauchten auf dem Sklavenmarkt auf. Sie waren groß und stark. Ein lanista hatte den Gedanken, sie mit Fischnetz und Dreizack ausgerüstet gegen Schwert und Schild in die Arena zu schicken. Das erregte sofort. die Begeisterung der Römer, und die Spiele waren keine Nebensächlichkeit mehr. Diese Entwicklung wurde durch die zweite Neuerung vollendet, die auf das Eindringen Roms in Thrakien und Judäa zurückzuführen war. Dabei entdeckte man zwei starke, unabhängige Bergvölker, deren Hauptwaffe im Krieg aus einem kurzen, haarscharfen, gebogenen Messer bestand. Durch sie wurde der Gladiatorenkampf noch mehr verändert als durch die retiarii, die Netzmänner. Schild oder Körperpanzer wurden nur selten benutzt. Aus dem schwerfälligen Dreinschlagen der samnites wurde das blitzartige Gefecht der Dolche, das 135
lange, schreckliche Wunden, Blut, aufgeschlitzte Leiber, Geschicklichkeit, Schmerzen und rasende Bewegung mit sich brachte. Bracus sagte deshalb zu seinem jungen Freund: »Wenn du einmal Thraker gesehen hast, willst du nichts anderes mehr. Denn sonst ist alles sehr langweilig, sinnlos und öde. Eine gute thrakische Vorstellung ist das Aufregendste von der Welt.« Es war Zeit für die Paare. Die Tänzerin und die Musiker waren verschwunden. Die kleine Arena lag leer in der heißen Morgensonne. Ein schmerzendes, zitterndes Schweigen hing über dem ganzen Platz. Die vier Römer, die Frau und die drei Männer, lagen auf ihren Sofas unter dem gestreiften Sonnendach, nippten an dem hellroten judäischen Wein und harrten auf den Beginn des Spieles. VII Im »Haus der Erwartung«, einem kleinen Schuppen neben der Arena, saßen die drei Gladiatoren, die beiden Thraker und der Schwarze, und warteten auf die Rückkehr des Juden. Sie hockten unglücklich auf einer Bank. Nur die Scham war ihr Begleiter, weder Ruhm, noch Liebe, noch Ehre. Schließlich brach der Neger das Schweigen, das sie sich selbst auferlegt hatten: »Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben.« »Nein«, sagte Spartacus. Darauf fragte ihn der Schwarze: »Glaubst du an die Götter?« »Nein.« »Glaubst du an ein Leben nach dem Tode?« »Nein.« »Woran glaubst du denn, Spartacus?« fragte der 136
Schwarze. »Ich glaube an dich und an mich.« »Du und ich, wir sind Fleisch auf der Schlachtbank des lanista«, sagte Polemus, der junge, schöne Thraker. »Woran glaubst du noch, Spartacus?« beharrte der Schwarze. »Woran noch? Wovon träumt ein Mann? Was träumt ein Mann, wenn er vor dem Tode steht?« »Ich wiederhole, was ich dir zuvor gesagt habe«, erwiderte der Schwarze mit leiser, trauriger Stimme. »Ich bin zu einsam, zu fern von zu Hause und zu verbittert für meine Heimat. Ich will nicht mehr leben. Ich werde dich nicht töten.« »Ist hier der Ort für Barmherzigkeit?« »Es ist ein Ort für Müdigkeit, und ich bin müde.« »Mein Vater war Sklave und lehrte mich nur eine Tugend. Die einzige Tugend des Sklaven ist zu leben. »Wir können nicht beide leben.« »Das Leben hält nur eine einzige Freundlichkeit für den Sklaven bereit. Wie die anderen Menschen kennt auch er die Stunde seines Todes nicht.« Jetzt hatten die Wachen sie gehört. Mit ihren Speeren hämmerten sie an die Wand des Schuppens. Der Jude kehrte zurück. Er hätte keinesfalls gesprochen, das tat er nie. Er stand in der Tür, in seinen Mantel gehüllt, und hielt den Kopf tief gesenkt vor Trauer und Scham. Eine Trompete erklang. Der junge Thraker erhob sich. Seine Unterlippe zitterte vor Spannung. Er und der Jude warfen die Mäntel ab. Die Tür öffnete sich, und sie schritten nackt Seite an Seite in die Arena. Der Schwarze war gleichgültig. Er war dem Tode vermählt. Zweiundfünfzigmal hatte er mit Netz und Speer gekämpft und war mit dem Leben davongekommen. Jetzt war die Schnur, die ihn an das Leben band, zerrissen. Er 137
saß auf der Bank, in seine Erinnerungen versunken, den Kopf auf die Hände gestützt. Spartacus aber sprang mit einem Satz zur Tür und preßte das Auge an einen Spalt. Er nahm nicht Partei. Der Thraker war sein Landsmann, doch der Jude griff ihm auf besondere, unerklärliche Weise ans Herz. Wenn ein Paar bis zum Tode kämpfte, mußte einer sterben. Das innerste Wesen des Spartacus aber war Leben, und die Menschen erkannten das. So drückte er das Auge an den Spalt, der ihm einen Blick auf das Mittelfeld der Arena gewährte. Zunächst versperrten ihm die beiden die Sicht. Sie wurden jedoch rasch kleiner, während sie zur Mitte der Arena gingen und vor diejenigen traten, die ihr Fleisch und Blut gekauft hatten. Ihre dunklen Körper glänzten vor Öl. Sie stellten sich nun zehn Schritte voneinander entfernt am Rande seines Blickfeldes auf, Sand und Sonne zwischen ihnen. Spartacus konnte die Loge sehen, in der die Römer saßen, den breiten, farbenfreudigen Pavillon in Rosa, Gelb und Purpur mit dem gestreiften Sonnendach, die langsame Bewegung der Federfächer. Da saßen sie nun, die Leben und Tod gekauft hatten, diese wenigen Mächtigen – und all die Gedanken, die in einem Zeitalter unweigerlich mindestens einem Menschen kommen, drängten sich dem Spartacus auf … Jetzt erschien der Ausbilder, der Herr der Arena. Er trug die beiden Messer auf einem blanken Holzteller und überreichte sie als symbolische Geste denen, die den Preis des Spiels bezahlt hatten. Als er ihnen den Teller hinstreckte, blitzten die Klingen in der Sonne. Sie waren zwölf Zoll lang, aus blankem Stahl, haarscharf geschliffen, schön gearbeitet und mit einem Heft aus dunklem Nußbaumholz versehen. Das Messer war leicht gebogen, und die leiseste Berührung der Klinge brachte der Haut einen tiefen Schnitt bei. 138
Bracus nickte. Haß durchfuhr Spartacus von Kopf bis Fuß wie ein Messerstich. Bald gewann er wieder Gewalt über sich und beobachtete gelassen, wie die beiden Gladiatoren ihre Waffen wählten, auseinandergingen und dann aus seinem Blickfeld verschwanden. Aber er kannte trotzdem jede ihrer Bewegungen. Sie belauerten einander mit dem Grauen und der Wachsamkeit der Verdammten und maßen die erlaubten zwanzig Schritte Abstand. Dann bückten sie sich und rieben die Messergriffe und ihre Handflächen mit Sand ein. Nun standen sie geduckt da, jeder Muskel war gespannt, und ihre Herzen schlugen wie Hämmer. Der Ausbilder blies in seine Silberpfeife, und die beiden Gladiatoren tauchten wieder im Blickfeld des Spartacus auf. Die nackten, zusammengekrümmten Gestalten mit dem blitzenden Messer in der Rechten haben jeden menschlichen Zug verloren. Es waren zwei Tiere. Sie umkreisten einander wie Tiere und schleiften die Füße in kurzen, gleitenden Schritten durch den heißen Sand. Dann sprangen sie sich an, lösten sich wieder in einer krampfhaften Bewegung, die Römer klatschten, und über die Brust des Juden zog sich ein blutiger Strich wie eine Schärpe. Doch keiner von beiden schien die Verwundung zu bemerken. Sie waren so ausschließlich, so restlos aufeinander eingestellt, daß die ganze Welt für sie versunken zu sein schien. Die Zeit stand still, die gespannte Aufmerksamkeit, mit der sie sich gegenseitig belauerten, wurde qualvoll. Dann verkrampften sie sich wieder mit verzweifelter Entschlossenheit ineinander, die Linke des einen packte die Rechte des anderen. Auge in Auge, Körper an Körper, versuchten sie, ihre Handgelenke freizubekommen, und keuchten vor Verlangen, Schluß zu machen, zuzustechen, zu töten. Die Verwandlung war nunmehr 139
vollzogen. Sie haßten einander. Sie kannten nur noch das eine Ziel: den Tod, denn er allein konnte einem von ihnen das Leben schenken. Sie verharrten in diesem Griff, solange sie es ertragen konnten, wurden dann auseinandergerissen, und jetzt zog sich ein roter Streifen über den ganzen Arm des Thrakers. In zehn Schritten Entfernung standen sie da, keuchend und zitternd vor Haß. Beide waren über und über mit Blut, Öl und Schweiß besudelt, und der Sand zu ihren Füßen verfärbte sich rot. Nun schlug der Thraker zu. Mit ausgestrecktem Messer warf er sich auf den Juden. Dieser ging in die Knie, hob sein Messer und ließ den Thraker durch die Luft wirbeln. Noch bevor er wieder den Boden berührte, war der Jude über ihm. Es war der grauenvollste, aufregendste Augenblick des Kampfes. Der Tod griff nach dem Thraker. Er wandte, rollte, krümmte sich und wehrte mit dem bloßen Fuß das Messer ab. Doch der Jude über ihm stach immer wieder zu, ohne dem verzweifelt kämpfenden jungen Thraker den Todesstoß versetzen zu können. Der Thraker kam wieder auf die Füße. Aber sein blutender, zerfetzter Körper war ohne Kraft und Leben. Mit einer Hand versuchte er das Gleichgewicht zu halten, mit der anderen umklammerte er das Messer, schwankte hin und her und stach in die Luft, um den Juden abzuwehren. Dieser jedoch blieb hinter ihm stehen, ohne sich ihm zu nähern. Das war auch nicht mehr nötig, denn der Thraker war geschlagen. Gesicht, Hände, Leib und Beine waren mit Wunden bedeckt, und sein Leben versickerte in den Sand. Aber das Schauspiel um Leben und Tod war noch nicht beendet. Die Römer erwachten aus ihrem Rausch und begannen, den Juden mit schrillen, heiseren, fordernden Schreien anzufeuern: »Schlag zu! Schlag zu!« 140
Der Jude rührte sich nicht. Er hatte nur die eine Wunde über der Brust davongetragen, doch das Blut war während des Kampfes über den ganzen Körper geströmt. Jetzt warf er plötzlich sein Messer in den Sand, wo es zitternd steckenblieb. Mit gesenktem Kopf stand er da. Im nächsten Augenblick würde die Gelegenheit vorbei sein. Der nackte Thraker, der jetzt ganz in einen Mantel aus rotem Blut gehüllt war, brach in die Knie. Er ließ sein Messer fallen und starb rasch. Die Römer brüllten, ein Ausbilder raste durch die Arena und schwang einen schweren Ochsenziemer. Zwei Soldaten folgten ihm. »Kämpfe, du Hund!« schrie der Ausbilder, und dann sauste die Peitsche auf den Rücken des Juden nieder. »Kämpfe!« Er hieb wieder und wieder auf ihn ein, doch der Jude rührte sich nicht. Nun rollte der Thraker aufs Gesicht, zuckte noch ein paarmal und begann vor Schmerz zu stöhnen, erst leise, dann immer lauter, bis sich seinem gemarterten Körper ein markerschütternder Schrei entrang. Dann verstummte er und lag still da. Der Ausbilder schlug nicht mehr auf den Juden ein. Der Schwarze stand neben Spartacus am Türspalt. Schweigend hatten sie zugesehen. Die Soldaten gingen zu dem Thraker und stießen ihn mit ihren Speeren. Er bewegte sich ein wenig. Einer der Soldaten nahm einen kleinen, schweren Hammer von seinem Gurt. Der andere schob seinen Speer unter den Thraker und drehte ihn um. Nun versetzte ihm der erste mit dem Hammer einen furchtbaren Schlag auf die Schläfe, der die Hirnschale zertrümmerte. Danach grüßte er die Zuschauer mit dem Hammer, an dem das Hirn des Thrakers klebte. Ein zweiter Ausbilder führte einen Esel in die Arena. Der Esel trug einen bunten Federkopfputz und ein Ledergeschirr, an dem eine Kette nachschleppte. Sie wurde an den Füßen des Thrakers befestigt. Die Soldaten 141
trieben den Esel mit ihren Speeren an, so daß er um die Arena galoppierte und den blutigen Leichnam hinter sich herzog. Die Römer klatschten Beifall, und die Dame schwenkte begeistert ihr Spitzentuch. Danach wurde der blutige Sand umgegraben und geglättet, damit die Musiker und die Tänzerin die Gäste bis zum Beginn des nächsten Kampfes unterhalten konnten. VIII Batiatus war in die Loge seiner Gäste geeilt, um sich zu entschuldigen und zu erklären, weshalb der Jude trotz des hohen Eintrittspreises dem Thraker nicht den letzten Rest gegeben, ihm nicht die Schlagader durchschnitten hätte, so daß das eigentliche Ende des Kampfes durch einen reichlichen Blutstrom gekennzeichnet worden wäre. Doch Marius Bracus, der in der einen Hand den Weinbecher hielt, gebot ihm mit der anderen Schweigen: »Kein Wort, lanista. Es war großartig. Es hat genügt.« »Aber mein Ruf!« »Was schert mich dein Ruf? Warte, ich muß dir etwas sagen. Bring den Juden her. Keine andere Strafe. Wenn ein Mann gut gekämpft hat, so reicht das. Bring ihn her.« »Hierher? Nein, wirklich«, setzte Lucius an. »Natürlich! Versuche nicht, ihn erst zurechtzumachen. Laß ihn kommen, wie er ist.« Während Batiatus beflissen davonstürzte, bemühte sich Bracus wie viele Kenner, und ebenso vergeblich, den anderen zu erklären, worin die besondere Schönheit und Meisterschaft des Kampfes bestanden hatte. »Wenn man das einmal in hundert Fällen sieht, ist man glücklich zu preisen. Ein Augenblick höchster Spannung ist mehr wert als eine Stunde langweiliger Wühlarbeit. 142
Ein Flug in den Tod – könnte sich ein Gladiator etwas Schöneres wünschen? Bedenkt die Begleitumstände. Der Thraker mißt den Juden und weiß bereits, daß er erledigt ist …« »Aber er hat ihm doch den ersten Treffer beigebracht«, wandte Lucius ein. »Das will gar nichts heißen. Höchstwahrscheinlich hatten sie noch nie gegeneinander gekämpft. Das war ein Abtasten. Sie mußten einander erst in einer Reihe von Gängen kennenlernen. Wären sie gleichwertig gewesen, hätten sie ihre Geschicklichkeit und Ausdauer in einem langen Kampf gemessen. Aber als sie sich umklammert hatten, machte sich der Jude frei und traf den Arm des Thrakers. Wenn es der rechte statt des linken gewesen wäre, hätte damit alles ein Ende gehabt. So jedoch wußte der Thraker, daß er fertig war, und setzte alles auf eine Karte – nämlich einen Ausfall mit dem Körper zu machen. Neun von zehn Gladiatoren hätten das gelassen und statt dessen zu klammern versucht, selbst auf die Gefahr eines schweren Treffers. Wißt ihr, was es heißt, eines dieser Messer abzufangen, hinter dem die Wucht eines vollen Körpergewichts steht? Warum habe ich denn nach dem Juden geschickt? Ich will es euch zeigen …« Während er noch sprach, war der Jude erschienen. Er stand nackt vor ihnen, das wilde, grauenhafte Zerrbild eines Menschen. Sein Kopf war gesenkt, und jeder Muskel seines nach Blut und Schweiß riechenden Körpers bebte. »Bücke dich!« befahl Bracus. Der Jude rührte sich nicht. »Bücken!« schrie Batiatus. Die beiden Ausbilder, die mitgekommen waren, ergriffen den Juden und zwangen ihn vor den Römern in die Knie. Bracus deutete auf den Rücken des Juden. 143
»Seht ihr das! Nicht die Peitschenstriemen. Da ist die Haut geritzt wie von den Nägeln einer Frau. Dort hat ihn das Messer des Thrakers getroffen, als er sich duckte und ihn zu Fall brachte. Laß ihn in Ruhe, lanista. Keine Peitsche mehr. Laß ihn, du wirst noch ein Vermögen aus ihm herausholen. Ich werde seinen Namen bekanntmachen. Auf dein Wohl, Gladiator!« rief Bracus. Doch der Jude stand stumm mit gesenktem Kopf. IX »Die Steine weinen«, sagte der Schwarze. »Der Sand, auf dem wir gehen, wimmert und stöhnt vor Schmerz, aber wir weinen nicht.« »Wir sind Gladiatoren«, erwiderte Spartacus. »Hast du ein Herz aus Stein?« »Ich bin ein Sklave. Ich meine, ein Sklave sollte entweder ein Herz aus Stein oder überhaupt keins haben. Du hast wenigstens noch schöne Erinnerungen, doch ich bin koruu und habe gar nichts Angenehmes, woran ich denken könnte.« »Kannst du deshalb dies hier mitansehen, ohne davon berührt zu werden?« »Es würde mir auch nicht helfen, wenn ich mich rühren ließe«, entgegnete Spartacus dumpf. »Ich kenne dich nicht, Spartacus. Du bist weiß, und ich bin schwarz. Wir sind verschieden. Wenn in meinem Land das Herz eines Mannes voller Trauer ist, weint er. In euch Thrakern aber sind die Tränen versiegt. Schau mich an. Was siehst du?« »Ich sehe einen Mann weinen.« »Und bin ich deshalb weniger mannhaft? Ich sage dir, Spartacus, ich werde nicht gegen dich kämpfen. Mögen 144
sie in alle Ewigkeit verflucht sein! Ich werde nicht gegen dich kämpfen, das sage ich dir.« »Wenn wir nicht kämpfen, sterben wir beide«, erwiderte Spartacus ruhig. »Dann töte mich, mein Freund. Ich bin des Lebens müde. Es ekelt mich an.« »Ruhe da drinnen!« Die Soldaten hämmerten an die Schuppenwand. Der Neger drehte sich um und trommelte mit den großen Fäusten so heftig gegen die Wand, daß der ganze Schuppen erbebte. Dann hielt er plötzlich inne, setzte sich auf die Bank und verbarg das Gesicht in den Händen. Spartacus ging zu ihm, hob seinen Kopf und wischte ihm sanft die Schweißtropfen von der Stirn. »Sei nie eines Gladiatoren Freund!« »Wozu wird der Mensch geboren, Spartacus?« flüsterte er voller Todesqual. »Um zu leben.« »Ist dies die ganze Antwort?« »Die einzige Antwort.« »Ich verstehe sie nicht, Thraker.« »Warum denn nicht, mein Freund?« fragte Spartacus beschwörend. »Ein Kind weiß es bereits, wenn es aus dem Mutterleib kommt. Es ist so einfach.« »Nicht für mich«, erwiderte der Schwarze. »Mein Herz bricht um derentwillen, die mich einst geliebt haben.« »Es werden dich andere lieben.« »Nicht mehr«, sagte der Neger. »Nicht mehr.« X Gajus vermochte sich in späteren Jahren nicht mehr deutlich an die beiden Paare in Capua zu erinnern. In seinem Leben hatte es zahlreiche Sensationen gegeben, 145
für die man seinen Preis bezahlte, und Spartacus war schließlich nichts weiter als ein thrakischer Name. Für römische Ohren klangen sie alle gleich: Gannicus, Spartacus, Menicus, Floracus, Leacus. Als er die Geschichte erzählte, hätte Gajus den Juden ebenso als Thraker bezeichnen können, denn die ständig wachsende Fachkenntnis und der fast süchtige Hang eines ganzen Volkes für die Spiele hatten dem Begriff Thraker eine doppelte Bedeutung verliehen. Einmal nannte man jeden Angehörigen der hundert Stämme, die im südlichen Balkan lebten, so, und die Römer verbanden damit die noch unbestimmtere Vorstellung jedes barbarischen Volkes östlich vom Balkan bis zum Schwarzen Meer. Die in der Nähe Mazedoniens beheimateten Thraker sprachen griechisch, jedoch beileibe nicht alle, die man Thraker nannte – ebenso war das gebogene Messer keineswegs die allen diesen Stämmen gemeinsame Waffe. Andererseits hieß jeder, der mit der sica kämpfte, in der Fachsprache Roms »Thraker«. Somit war der Jude auch ein Thraker, denn weder wußte es Gajus noch kümmerte er sich darum, daß er von den »Zeloten« abstammte, wilden, zähen Bauern aus den Bergen Judäas, die seit den Zeiten der Makkabäer und des ersten Bauernkrieges ständig Widerstand und Haß gegen die Unterdrücker bewiesen hatten. Gajus hatte wenig Ahnung von Judäa, für ihn war der Jude einfach ein beschnittener Thraker. Er hatte ein Paar kämpfen sehen, und jetzt würde ein zweites folgen. Dieses war ungewöhnlich. Sobald er sich jedoch daran erinnerte, was mit dem Schwarzen geschehen war, vergaß er darüber dessen Gegner. Ihren Einmarsch in die Arena hatte er allerdings gut im Gedächtnis behalten. Beide kamen aus ihrem Käfig und dem Schatten in das helle, flutende Sonnenlicht und betraten den befleckten gelben Sand. Am vorgeschriebenen Platz 146
machten sie halt. Gajus erinnerte sich, wie klein der Thraker gegen den schwarzen Riesen aus Afrika wirkte, die Worte des Bracus jedoch hatte er vergessen. Sie waren sinnlos und nichtig, weggeschwemmt vom Strom der Zeit. Die kleinen Launen solcher Menschen sind niemals Ursache, sondern scheinen es nur zu sein. Selbst Spartacus war keine Ursache, sondern eine Folge dessen, was in den Augen des Gajus normal war. Für ihn war es keine Laune, die Bracus veranlaßt hatte, diese Orgie des Todes und der Qual zur Belustigung seines hohlköpfigen, nichtsnutzigen Gefährten zu veranstalten, sondern etwas Einmaliges, Erregendes. Das Paar brachte nun seine Huldigung dar, während die Römer Wein nippten und Süßigkeiten knabberten. Dann kam der Waffenträger. Für Spartacus das Messer. Für den Schwarzen der lange, schwere Dreizack und das Fischnetz. Die ganze Welt war versklavt worden, damit diese Römer hier sitzen und im Schatten ihrer bequemen Loge Wein trinken und Süßigkeiten naschen konnten! Das Paar ergriff die Waffen. Und dann wurde der Schwarze wahnsinnig. Das war die einzige Erklärung, die Gajus dafür fand. Weder er noch Bracus oder Lucius waren imstande, das Leben des Schwarzen bis zu seinen Anfängen zurückzuverfolgen, aber nur dann hätten sie gewußt, daß er keinesfalls wahnsinnig geworden war. Doch sie ahnten nichts von dem Haus am Fluß, von den Kindern, die seine Frau ihm geboren hatte, von dem Boden, den er bestellt, und von den Früchten, die er geerntet hatte, bevor die Soldaten kamen und mit ihnen die Sklavenhändler, die diese Ernte an Menschenleben einbrachten und sie in Gold verwandelten. So sahen sie nur, daß der Schwarze wahnsinnig wurde. Er warf sein Netz weg und stieß einen wilden Kriegsruf 147
aus. Dann raste er auf die Tribüne zu. Ein Ausbilder versuchte ihn mit gezücktem Schwert aufzuhalten, wurde sofort aufgespießt, wand sich wie ein Fisch auf dem Dreizack, überschlug sich und wirbelte laut schreiend durch die Luft, bevor er auf den Boden aufprallte. Jetzt versperrte ein sechs Fuß hoher Zaun dem schwarzen Riesen den Weg, doch er riß die Bretter weg, als seien es Grashalme. Seine geballte Kraft verwandelte ihn in einen Pfeil, der auf die Loge zuflog. Nun liefen Soldaten von allen Seiten hinzu. Der vorderste spreizte die Beine im Sand und schleuderte seinen großen Holzspeer mit der Eisenspitze, dem nichts in der Welt widerstehen konnte, der die Heere von hundert Völkern vernichtet hatte. Den Neger aber warf er nicht zu Boden. Der Speer traf ihn im Rücken, die eiserne Spitze drang durch die Brust vorn wieder heraus, doch er hielt ihn nicht auf. Selbst mit diesem unheimlichen Pfahl im Rücken strebte er weiter auf die Römer zu. Ein zweiter Speer drang ihm in die Seite, doch er kämpfte sich trotzdem vorwärts. Ein dritter ging wiederum in den Rücken, und ein vierter durchbohrte den Hals. Jetzt endlich fiel er. Der Dreizack in seiner ausgestreckten Hand jedoch berührte die Brüstung der Loge, in der sich die Römer erschreckt duckten. Dort lag er. Sein Blut verströmte, und er starb. Spartacus hatte sich währenddessen nicht gerührt. Die kleinste Bewegung hätte seinen Tod bedeutet. Er warf sein Messer in den Sand und blieb regungslos stehen. Leben – es gibt nur die eine einzige Antwort …
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VIERTER TEIL Marcus Tullius Cicero interessiert sich für den Ursprung des großen Sklavenkrieges. I Wenn in der Villa Salaria immer wieder von Spartacus und dem großen Aufstand, den er geführt hatte, gesprochen wurde, so war das nicht anders zu erwarten. Alle diese vornehmen römischen Damen und Herren, die hier für eine Nacht die Gastfreundschaft eines römischen Landedelmannes genossen, hatten die Appische Straße benutzt. Die meisten waren aus der Gegend südlich von Rom gekommen. Cicero hatte sie auf seinem Weg von Sizilien, wo er als Quästor ein wichtiges Amt bekleidete, in nördlicher Richtung passiert. So war ihre Reise von den Strafmalen begleitet, den harten, unerbittlichen signa poenae, die aller Welt verkündeten, daß Roms Gesetze gnadenlos und gerecht sind. Selbst der unempfindlichste Mensch hätte jedoch nicht über die große Heerstraße ziehen können, ohne an die furchtbaren Schlachten zwischen Sklaven und Freien zu denken, welche die Republik bis in die Grundfesten erschüttert hatten, und damit die ganze Welt, deren Gebieterin die Republik war. Es gab keinen Sklaven auf der Plantage, der sich nicht unruhig im Schlaf hin und her warf beim Gedanken an die vielen seinesgleichen, die an zahllosen Kreuzen hingen. Das ganze Land war erfüllt von der Qual der Sechstausend, die eines so langsamen und grauenhaften Todes gestorben waren. Das war nicht anders zu erwarten, und ebensowenig konnte ein junger Mann von der Sensibilität des Marcus Tullius Cicero 149
davon unberührt bleiben. Es ist übrigens bemerkenswert, daß Männer wie Antonius Gajus für Cicero eine Hochachtung empfanden, die in keinem Verhältnis mehr zu seinen zweiunddreißig Jahren stand. Dabei handelte es sich nicht um die Herkunft, die augenblickliche Bedeutung seiner Familie oder um sein anziehendes, liebenswürdiges Wesen. Nicht einmal seine Freunde hielten Cicero für besonders gewinnend. Er war zwar klug, andere jedoch nicht minder. Cicero gehörte zu jenen jungen Männern, die es zu jeder Zeit gibt und die imstande sind, jeglichen Skrupel, jegliche Ethik, moralische Bedenken, jede Gewissensregung, jedes Mitleid und Gerechtigkeitsgefühl über Bord zu werfen, sofern sie ihrem Erfolg im Wege stehen. Nicht etwa, daß Gerechtigkeit, Moral oder Mitleid für ihn nicht existierten; er ordnete sie nur seiner Karriere unter. Cicero war nicht bloß ehrgeizig, denn einfacher Ehrgeiz schloß gewisse Gefühlsmomente nicht aus. Er war vielmehr kalt und rücksichtslos auf den Erfolg aus – und wenn sich seine Spekulationen mitunter gegen ihn kehrten, so war das für Menschen seines Schlages durchaus nicht ungewöhnlich. Zu jener Zeit war ihm noch nichts Derartiges widerfahren. Er war der Wunderknabe, der mit achtzehn Jahren Advokat geworden war, der als Zwanzigjähriger einen großen Feldzug mitgemacht hatte – allerdings nur um des Ansehens willen und ohne Lebensgefahr – und der jetzt als Dreißiger einen hohen Staatsposten bekleidete. Seine philosophischen und politischen Schriften sowie seine Reden wurden gelesen und bewundert. Zwar stammte das spärliche Gedankengut, das sie enthielten, von anderen und nicht von ihm. Doch die meisten Menschen waren zu ungebildet, um zu wissen, wen er bestohlen hatte. Er kannte die richtigen Leute und wählte sie sorgfältig für seine Zwecke aus. Die meisten Römer suchten damals 150
einflußreiche Verbindungen. Ciceros Hauptstärke bestand darin, daß er seine Beziehungen durch nichts stören ließ. Vor langem hatte er bereits den tiefgreifenden Unterschied zwischen Moral und Gerechtigkeit entdeckt. Gerechtigkeit war das Werkzeug der Starken und wurde nach ihrem Wunsch angewandt. Moral war ebenso wie die Götter die Illusion der Schwachen. Sklaverei war gerecht: nur Narren behaupteten, nach Ciceros Meinung, daß sie auch moralisch sei. Während er die Heerstraße entlangzog, erfaßte er sehr wohl das furchtbare Leid der endlosen Kreuzigungen, ließ sich jedoch nicht davon berühren. Er schrieb damals an einem kurzen Abriß der verschiedenen Sklavenkriege, welche die ganze Welt erschüttert hatten, und so interessierte er sich außerordentlich für die verschiedenen Typen von Sklaven, die an der Via Appia hingen. Er vermochte dabei die Gallier, Afrikaner, Thraker, Juden, Germanen und Griechen eingehend zu studieren, ohne Übelkeit oder Mitleid zu empfinden. Ihm kam der Gedanke, daß sich in diesem gewaltigen Kreuzweg eine neue, mächtige Strömung der Zeit widerspiegele, deren Verästelungen bis in die fernste Zukunft reichten. Zugleich aber fiel ihm ein, daß ein Mann, der heutzutage diese neue Manifestation des Sklavenaufstandes kalt beobachten, analysieren und deuten könne, über eine einzigartige Machtposition verfügen würde. Cicero empfand nur Verachtung für diejenigen, die haßten, ohne die persönlichen Bedürfnisse der Objekte ihres Hasses zu begreifen. Manche erkannten diese Eigenschaften Ciceros, andere wiederum nicht. Als Claudia an jenem Abend in die Villa Salaria kam, bemerkte sie sie nicht. Ihr lag die unkomplizierteste Art von Kraft am meisten. Helena jedoch verstand und würdigte ihn. »Ich bin wie du«, sagten ihre 151
Augen zu Cicero. »Wollen wir etwas daraus machen?« Als ihr Bruder im Bett lag und den großen General erwartete, ging sie in Ciceros Zimmer. Sie umgab sich mit der gespielten Würde eines Menschen, der sich selbst verachtet und daraus Mut schöpft. Aber sie hätte nicht sagen können, weshalb sie sich diesem Mann unterlegen fühlte, der aus einer geldgierigen Familie des gehobenen Mittelstandes kam. Sie hätte auch nicht einmal sich selbst erklären können, warum sie noch vor Ende des Abends eine Reihe von Dingen tat, für die sie sich später hassen würde. Für Cicero jedoch war sie höchst begehrenswert. In ihrer hohen, straffen Gestalt, ihren schönen ebenmäßigen Zügen und den schwarzen Augen verkörperten sich für ihn sämtliche hochgezüchteten Eigenschaften patrizischen Blutes. Seit Generationen war seine Familie diesem Ziel nachgejagt, ohne es je erreichen zu können. Es war befriedigend, hinter diesem Äußeren noch obendrein Eigenschaften zu entdecken, die eine Frau zu so später Stunde und zu einem eindeutigen Zweck in das Zimmer eines Mannes führten. Damals geschah es selten, daß ein Römer nachts noch arbeitete. Die eigentümlich ungleichmäßige Entwicklung jener Gesellschaft besaß einen ihrer schwächsten Punkte in der künstlichen Beleuchtung. Die römischen Lampen waren dürftig. Sie spritzten, taten den Augen weh und gaben bestenfalls ein mattes gelbliches Licht. Wer also bei Nacht arbeitete, vor allem jedoch nach zu reichlichem Essen und Trinken, mußte entweder bewundernswerte oder verdächtige außergewöhnliche Eigenschaften besitzen. Bei Cicero, diesem erstaunlichen jungen Mann, waren sie natürlich bewundernswert. Als Helena sein Zimmer betrat, saß er mit gekreuzten Beinen auf dem Bett, hatte seine Papyrosrolle auf dem Schoß, machte 152
Notizen und korrigierte. Einer älteren Frau wäre die ganze Situation vielleicht zu gemacht erschienen. Helena war erst dreiundzwanzig und gebührend beeindruckt. Ein Führer in Krieg und Frieden gehörte zum Bestand der alten Sagen. Da gab es jene Römer, die angeblich nur zwei oder drei Stunden schliefen und ihre ganze übrige Zeit dem Volk opferten. Sie waren Geweihte. Der Gedanke, daß ein Geweihter sie so wie Cicero angesehen hatte, gefiel ihr. Noch bevor sie die Tür geschlossen hatte, forderte Cicero sie mit einer Kopfbewegung auf, am Fußende des Bettes Platz zu nehmen, und fuhr dann fort zu arbeiten. Sie machte die Tür zu und setzte sich. Was nun? Es gehörte zu den Unbegreiflichkeiten in Helenas jungem Leben, daß keine zwei Männer sich einer Frau in genau der gleichen Weise näherten. Cicero jedoch tat überhaupt nichts Derartiges. Nachdem sie etwa eine Viertelstunde so gesessen hatte, fragte sie: »Was schreibst du da?« Er sah sie forschend an. Die Frage war nicht ernst gemeint, sondern sollte nur das Gespräch eröffnen. Aber Cicero wollte reden. Wie viele junge Männer seiner Art wartete er ständig auf die Frau, die ihn verstehen konnte – das heißt, die seiner Eitelkeit schmeichelte, und so erwiderte er: »Warum fragst du?« »Weil ich es wissen möchte.« »Ich schreibe über die Sklavenkriege«, erklärte er bescheiden. »Du meinst eine Geschichte der Sklavenkriege?« Damals wurde es unter den vornehmen Müßiggängern der oberen Schichten gerade Mode, historische Abhandlungen zu schreiben. Mancher neue Aristokrat war eifrig damit beschäftigt, die frühe Geschichte der Republik so darzustellen, daß seine Vorfahren bei den großen Ereignissen ins rechte Licht gerückt wurden. 153
»Keine Geschichte«, erwiderte Cicero ernst und sah sie dabei ruhig und fest an. Mit dieser Angewohnheit konnte er den Eindruck absoluter Aufrichtigkeit erwecken. Er benutzte sie jedoch bewußt als Täuschungsmittel. »Eine Geschichte würde eine chronologische Darstellung bedingen. Ich bin mehr an dem Phänomen an sich, an dem ganzen Ablauf interessiert. Wenn man die Kreuze betrachtet, diese Strafmale an der Appischen Straße, könnte man nur die Leichen von sechstausend Männern sehen. Man könnte sogar daraus folgern, daß wir Römer rachsüchtig sind. Es genügt nicht zu sagen, daß wir ein gerechtes Volk sind, und sich dabei auf die Notwendigkeit der Gerechtigkeit zu berufen. Wir müssen die Logik dieser Gerechtigkeit erklären, und zwar sogar uns selbst. Wir müssen verstehen. Es genügte nicht, wenn der alte Mann sagte ›delenda est Carthago‹. Das ist Demagogie. Ich meinerseits hätte verstehen wollen, warum Karthago zerstört werden mußte und warum sechstausend Sklaven auf diese Weise umkommen mußten.« »Manche sagen, wenn man sie alle auf einmal auf den Markt geworfen hätte, wären einige stattliche Vermögen vor die Hunde gegangen.« »Darin steckt ein Körnchen Wahrheit und ein Scheffel Unwahrheit«, erwiderte Cicero. »Ich möchte tieferen Einblick gewinnen und den Sinn des Sklavenaufstandes erkennen. Selbsttäuschung ist in Rom sehr beliebt geworden. Ich will mir aber nichts vormachen. Wir reden von diesem und jenem Krieg, von großen Feldzügen und großen Generälen. Doch keiner von uns ist gewillt, auch nur ein Wort über den ständigen Krieg unserer Zeit zu sprechen, der alle anderen überschattet, nämlich vom Sklavenaufstand. Selbst die beteiligten Feldherren gehen darüber hinweg. Im Sklavenkrieg gibt es keinen Ruhm. Es bringt keine Ehre, Sklaven zu besiegen.« 154
»Aber es ist doch zweifellos auch nicht so wichtig.« »Nein? Waren denn die Kreuze für dich unwichtig, als du die Via Appia herunterkamst?« »Mir wurde einigermaßen übel davon. Es macht mir keine Freude, dergleichen zu sehen. Für meine Freundin Claudia ist es etwas anderes.« Er lächelte. »Mit anderen Worten, ihr ist es wichtig.« »Aber es weiß doch jeder von Spartacus und seinem Krieg.« »Wirklich? Ich bin nicht so sicher. Ich bin nicht einmal gewiß, ob selbst Crassus viel davon weiß. Spartacus ist für uns ein Geheimnis. Nach den offiziellen Berichten war er ein thrakischer Söldner und Straßenräuber. Laut Crassus war er ein in den Goldminen Nubiens geborener Sklave. Wem sollen wir glauben? Batiatus, das Schwein, das die Schule in Capua unterhielt, ist tot – ein griechischer Sklave, der bei ihm Buchhalter war, hat ihm die Kehle durchgeschnitten – und so sind alle Verbindungen zu Spartacus zerrissen. Und wer soll über ihn schreiben? Menschen wie ich?« »Und warum nicht?« »Danke, meine Liebe. Aber ich weiß doch nichts über Spartacus. Ich hasse ihn nur.« »Warum? Mein Bruder haßt ihn auch.« »Und du nicht?« »Ich habe keinerlei besondere Gefühle«, erwiderte Helena. »Er war eben Sklave.« »War er denn das? Wie wird aber ein Sklave zu dem, was Spartacus wurde? Das ist das Rätsel, das ich lösen muß. Herausfinden, wann es begann und aus welchem Grunde. Doch ich fürchte, ich langweile dich?« Cicero hatte etwas Aufrichtiges an sich, das die Menschen gefangennahm und dem sie glaubten. Infolgedes155
sen verteidigten sie ihn gegen sämtliche Vorwürfe, die in späteren Jahren gegen ihn erhoben wurden. »Bitte sprich weiter«, bat Helena. Die jungen Männer in Ciceros Alter, die sie in Rom kannte, redeten über Parfüms, über den Gladiator, auf den sie wetteten, das Pferd, auf das sie setzten, oder über ihre letzte Geliebte. »Bitte, sprich weiter«, wiederholte sie. »Ich traue der Rhetorik nicht ganz«, sagte Cicero. »Ich schreibe die Dinge gern nieder. Ich fürchte, die meisten Menschen sind deiner Meinung, daß der Sklavenaufstand keine große Bedeutung hat. Aber unser ganzes Leben hängt mit Sklaven zusammen, und ihr Aufstand brachte mehr Kämpfe mit sich als unsere sämtlichen Eroberungen. Kannst du das verstehen?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es beweisen. Es begann vor etwa hundertzwanzig Jahren – mit dem Aufstand der karthagischen Sklaven, die wir gefangengenommen hatten. Dann kam zwei Generationen später der große Sklavenaufstand in den Bergwerken von Laurium in Griechenland. Darauf folgte der gewaltige Aufstand der Bergleute in Spanien und einige Jahre später die Revolte der sizilianischen Sklaven, welche die Republik in ihren Grundfesten erschütterte. Danach kam zwanzig Jahre später der Sklavenkrieg, den der Sklave Salvius anführte. Das sind nur die großen Kriege, aber dazwischen liegen tausend kleinere Aufstände. Und das Ganze ist ein einziger, endloser Krieg zwischen uns und unseren Sklaven, ein stummer, beschämender Krieg, von dem niemand spricht und von dem die Historiker nicht berichten wollen. Wir haben Angst, darüber zu schreiben, daran zu denken. Denn er ist etwas Neues auf der Erde. Es gab Kriege zwischen Völkern, Städten, Parteien, sogar Bruderkriege – dies hier jedoch ist ein neues Ungeheuer, das in uns sitzt und 156
sich gegen alle Parteien, alle Nationen, alle Städte erhebt.« »Du erschreckst mich«, sagte Helena. »Weißt du überhaupt, was für ein Bild du malst?« Cicero nickte und sah sie prüfend an. Sie legte ihre Hand auf die seine und empfand dabei ein überströmendes Gefühl der Wärme für ihn. Hier saß ein junger Mann, nicht viel älter als sie, und zerbrach sich den Kopf über die Geschicke der Nation und ihre Zukunft. Es erinnerte sie an Geschichten aus alten Zeiten, die sie in ihrer Kindheit gehört hatte. Cicero legte sein Manuskript beiseite und begann sanft ihre Hand zu streicheln. Dann beugte er sich zu ihr und küßte sie. Jetzt fielen ihr plötzlich mit aller Deutlichkeit die Strafmale ein, das verwesende, von Vögeln zerfledderte, von der Sonne verbrannte Fleisch der Männer, die an der Via Appia gekreuzigt waren. Doch es hatte seinen Schrecken verloren. Cicero hatte alles auf die Verstandesebene gebracht, den Sinn seiner Deutung aber hatte sie völlig vergessen. Wir sind ein wahrhaft einzigartiges Volk mit einer großen Fähigkeit zur Liebe und Gerechtigkeit, dachte Cicero. Als er Helena zu liebkosen begann, empfand er, daß hier endlich eine Frau war, die ihn verstand. Doch das minderte nicht das Gefühl der Macht, das ihm ihre Eroberung verlieh. Er spürte im Gegenteil, wie seine Macht wuchs – und eben darin lag der Sinn dessen, was er schrieb. In einem Augenblick mystischer Offenbarung sah er die Kraft seiner Lenden mit derjenigen vereint, die Spartacus vernichtet hatte und ihn immer wieder vernichten würde. Helena sah ihn an und erkannte plötzlich voller Schrecken, daß Haß und Grausamkeit in seinem Gesicht standen. Wie immer gab sie sich mit Angst und Abscheu vor sich selbst hin.
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II Schließlich schlief Helena aus Müdigkeit und seelischer Erschöpfung ein. Der Alpdruck, der ihre Beziehungen zu einem Mann stets belastete, ging in einen seltsamen, verwirrenden Traum über. Wirklichkeit und Unwirklichkeit verbanden sich darin so eng, daß sie nur schwer zu trennen waren. Sie träumte von jenem Augenblick, da ihr Bruder Gajus ihr Lentulus Batiatus, den lanista, in den Straßen Roms gezeigt hatte. Das lag nur etwa sieben Monate zurück, und wenige Tage später hatte sein griechischer Buchhalter dem Batiatus die Kehle durchgeschnitten – gerüchtweise wurde behauptet, das sei beim Streit um eine Frau geschehen, die der Grieche gekauft und das Geld dafür dem lanista gestohlen habe. Batiatus war durch seine Verbindung mit Spartacus zu einer Berühmtheit geworden. Er hielt sich damals in Rom auf, um sich in einem Prozeß wegen eines seiner Mietshäuser zu verantworten. Es war eingestürzt, und die überlebenden Angehörigen der sechs umgekommenen Mieter hatten ihn verklagt. Helena sah ihn im Traum ganz deutlich und natürlich vor sich: ein watschelnder Koloß aus Völlerei und Ausschweifung. Er nahm keine Sänfte, sondern ging, in eine große Toga gehüllt, zu Fuß. Er hustete und spuckte unentwegt und jagte die Straßenjungen, die um ein Almosen bettelten, mit einem Rohrstock davon. Am gleichen Tag kam sie später mit Gajus zum Forum und geriet zufällig in die Gerichtsverhandlung gegen Batiatus. Der Traum entsprach in diesem Punkt weitgehend der Wirklichkeit. Die Verhandlung wurde im Freien abgehalten. Es wimmelte von Zuschauern – Müßiggänger, Frauen, die unbegrenzt Zeit hatten, junge Lebemänner, Kinder, Ausländer, welche die urbs nicht verlassen konnten, ohne 158
die berühmte römische Rechtsprechung erlebt zu haben. Sklaven, die irgendwelche Gänge zu erledigen hatten. Es erschien unglaublich, daß bei einem solchen Durcheinander Vernunft, geschweige denn Gerechtigkeit walten sollten. Aber die Gerichtsverhandlungen verliefen Woche um Woche auf diese Weise. Batiatus wurde vernommen und beantwortete die Fragen brüllend wie ein Stier. Alles war genauso wie in Wirklichkeit. Doch dann stand sie plötzlich, wie es in Träumen häufig geschieht, im Schlafzimmer des lanista und sah den griechischen Buchhalter mit gezücktem Messer heranschleichen. Es war die gebogene sica, mit der die Thraker kämpften, und der Boden des Schlafzimmers war der Sand der Arena. Der Grieche bewegte sich mit der behutsamen Gelassenheit eines Thrakers, und der lanista, der wach im Bett saß, blickte ihm schreckerfüllt entgegen. Es war keinerlei Wort oder Geräusch zu hören. Dann tauchte neben dem Griechen eine riesige Gestalt auf, ein wuchtiger Mann mit bronzefarbener Haut in voller Rüstung. Helena wußte sofort, daß es Spartacus war. Er umspannte das Handgelenk des Buchhalters mit leichtem Druck, und das Messer fiel in den Sand. Nun nickte der schöne, bronzefarbene Riese Helena zu, sie nahm das Messer auf und durchschnitt dem lanista die Kehle. Der Grieche und der lanista verschwanden, und sie blieb mit dem Gladiator allein. Als sie ihm jedoch die Arme entgegenstreckte, spie er ihr ins Gesicht, drehte sich um und ging. Sie rannte ihm nach, wimmerte und flehte ihn an, auf sie zu warten, aber er war fort, und sie stand allein in einer endlosen Sandwüste.
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III Von seinem eigenen Buchhalter ermordet zu werden wie Batiatus, der lanista, war ein häßlicher, gemeiner Tod. Vielleicht wäre ihm dies und manches andere erspart geblieben, wenn er nach der mißglückten Vorstellung für Bracus die beiden überlebenden Gladiatoren hätte töten lassen. Er wäre damit durchaus im Recht gewesen, denn es war ein anerkannter Brauch, Gladiatoren, die Zwietracht säten, zu töten. Es ist allerdings fraglich, ob die Geschichte wesentlich anders verlaufen wäre, wenn er Spartacus hätte umbringen lassen. Die Kräfte, die ihn trieben, wären lediglich anderswo zum Durchbruch gekommen. Der Traum Helenas, der ihren schuldbeladenen Schlaf in der Villa Salaria so viel später quälte, galt nicht eigentlich ihm, sondern dem Sklaven, der zum Schwert greift. Und ebenso waren seine eigenen Träume weniger sein persönlicher Besitz als vielmehr die blutigen Erinnerungen und Hoffnungen, die er mit vielen seiner Gefährten, den Männern des Schwertes, teilte. Darin liegt auch die Antwort auf die Frage, wieso das Unternehmen des Spartacus Zustandekommen konnte. Es war nicht von einem, sondern von vielen ausgelöst worden. Varinia, das germanische Mädchen, seine Frau, saß neben ihm, während er schlief. Sein Stöhnen und Phantasieren hielten sie wach. Er sprach unentwegt. Jetzt war er ein Kind, gleich darauf in den Goldminen und dann wieder in der Arena. Nun drang ihm die sica ins Fleisch, und er schrie vor Schmerz. Da weckte sie ihn. Es war ihr unmöglich, diesen Alptraum noch länger zu ertragen. Sie liebkoste ihn, streichelte seine Stirn und küßte die feuchte Haut. Als kleines Mädchen hatte Varinia erlebt, wie es den Männern und 160
Frauen ihres Stammes erging, wenn sie einander liebten. Man nannte es den Sieg über die Angst. Selbst die bösen Geister der großen Wälder, in denen ihr Volk lebte, wußten, daß Liebende gegen Furcht gefeit waren. Man erkannte es in den Augen der Menschen, die liebten, an ihrem Gang und den zärtlich verschlungenen Fingern. Doch nach ihrer Gefangennahme waren diese Erinnerungen verblaßt, und der Haß war zum beherrschenden Gefühl ihres Daseins geworden. Jetzt bestand ihr ganzes Leben, ihr Tun und Trachten nur noch in der Liebe zu diesem thrakischen Sklaven. Sie wußte nun, daß all die Erfahrungen der Männer und Frauen ihres Stammes auf uralter Wahrheit beruhten. Sie fürchtete sich vor nichts mehr. Sie glaubte an Wunder, und das Wunder ihrer Liebe war handgreifliche Wirklichkeit. Gleichzeitig erkannte sie, daß man ihren Mann einfach lieben mußte. Er gehörte zu jenen seltenen Menschen, die aus einem Stück geschnitzt waren. Diese Geschlossenheit fiel zuerst an Spartacus auf. Er war einmalig. Er war zufrieden, wenn auch nicht damit, wo er war, so doch damit, ein Mensch zu sein. Selbst an diesem Ort des Schreckens, der Verzweifelten und Verdammten – in dieser Schule von verurteilten Mördern, Deserteuren, Verlorenen und Bergleuten, die in den Minen nicht zugrunde gerichtet worden waren, wurde Spartacus geliebt, geehrt und geachtet. Ihre Liebe jedoch war etwas anderes. Sie hatte geglaubt, das Verlangen in ihrem Schoß sei für immer gestorben, aber sie brauchte ihn nur zu berühren, um ihn zu begehren. Alles an ihm war genauso, wie ein Mann sein sollte, wenn sie ihn hätte formen sollen. Die gebrochene Nase, die großen braunen Augen und der volle, bewegliche Mund unterschieden ihn völlig von den Gesichtern der Männer, die sie in ihrer Kindheit kennengelernt hatte, doch sie konnte sich nicht 161
vorstellen, einen Mann zu haben oder zu lieben, der nicht wie Spartacus gewesen wäre. Sie wußte nicht, warum er so war. Lange genug hatte sie zu dem gepflegten, vornehmen Leben der römischen Aristokratie gehört, um deren Männer zu kennen: weshalb aber ein Sklave so war wie Spartacus, diese Frage konnte sie nicht beantworten. Jetzt streichelte sie ihn beruhigend und fragte: »Was hast du geträumt?« Er schüttelte den Kopf. »Nimm mich fest in die Arme, dann wirst du nicht mehr träumen.« Er zog sie an sich und flüsterte: »Denkst du je daran, daß wir nicht Zusammensein könnten?« »Ja.« »Und was würdest du dann tun, Liebste?« »Dann werde ich sterben«, erwiderte sie einfach. »Ich möchte mit dir darüber reden«, sagte er. Er war jetzt völlig aus seinem Traum erwacht und wieder ruhig. »Warum sollen wir daran denken oder davon sprechen?« »Weil du dir nicht den Tod wünschen würdest, falls ich sterben oder von dir getrennt werden sollte, wenn deine Liebe zu mir groß genug wäre.« »Meinst du das wirklich?« »Ja.« »Würdest du nicht auch sterben wollen, wenn ich tot wäre?« »Ich würde leben wollen.« »Warum?« »Weil es nichts außer dem Leben gibt.« »Ohne dich ist kein Leben«, erwiderte sie. »Ich möchte, daß du mir etwas versprichst und es auch hältst.« 162
»Wenn ich etwas verspreche, werde ich es halten. Sonst würde ich es nicht tun.« »Ich möchte, daß du mir versprichst, dir niemals das Leben zu nehmen.« Sie schwieg. »Willst du das versprechen?« Endlich sagte sie: »Gut, ich verspreche es.« Kurz darauf war er wieder eingeschlafen. Er lag ruhig und friedlich in ihren Armen. IV Das morgendliche Trommelschlagen rief sie zur Übung. Vor dem Frühstück mußten sie vierzig Minuten im Laufschritt durch den Hof erledigen. Jeder erhielt beim Erwachen ein Glas kaltes Wasser. Seine Zellentür wurde geöffnet. Falls er eine Frau hatte, durfte sie die Zelle saubermachen, bevor sie zur Arbeit ging. In der Schule des Lentulus Batiatus gab es keinen Leerlauf. Die Frauen der Gladiatoren scheuerten, wuschen, kochten, bestellten den Küchengarten, arbeiteten in den Bädern und hüteten die Ziegen. Er war ihnen gegenüber ebenso hart wie irgendein Plantagenbesitzer. Sie wurden häufig ausgepeitscht und schlecht ernährt. Vor Spartacus und Varinia empfand er jedoch eine merkwürdige Angst, ohne den Grund erklären zu können. An diesem Morgen war die Schule von Ungeduld und Haß erfüllt. Es zeigte sich im Lärm der Wecktrommeln, in der Art, wie die Ausbilder die Männer aus ihren Zellen auf den Hof trieben und vor dem eisernen Zaun aufstellen ließen. Mit dem gleichen nervösen Haß wurden die Frauen zur Arbeit gepeitscht. An diesem Morgen gab es keine Scheu vor Varinia, und die Peitsche traf sie nicht weniger schwer als die anderen. Der Aufseher bezeichnete sie 163
sogar mehrfach als die Hure des großen Kämpfers. Und sie erhielt die Peitsche noch häufiger als die übrigen. Sie arbeitete in der Küche. Die Wut des Batiatus war überall spürbar. Eine tiefe, zitternde Wut, die dem einzigen für den lanista gültigen Anlaß entsprang: einem finanziellen Verlust. Bracus hatte die Hälfte des vereinbarten Preises zurückbehalten. Zwar wollte er einen Prozeß darum führen, aber Batiatus war sich durchaus im klaren über seine Aussichten, eine Klage gegen eine führende römische Familie vor einem römischen Gericht zu gewinnen. Seine Wut griff auf alle über. In der Küche fluchte der Koch auf die Frauen und trieb sie mit Stockschlägen an die Arbeit. Die Ausbilder waren von ihrem Herrn ausgepeitscht worden und peitschten nun wiederum die Gladiatoren. Den Leichnam des Schwarzen hatte man an den Zaun genagelt, um die Gladiatoren bei der Morgenübung zu erschrecken. Spartacus nahm seinen Platz ein. Er stand zwischen Gannicus und einem Gallier namens Crixus. Sie bildeten zwei Reihen gegenüber dem Zellenblock. Die Ausbilder waren an jenem Morgen schwer bewaffnet mit Messer und Schwert. Die Tore des Hofes standen offen. Dahinter waren vier Abteilungen regulärer Truppen angetreten, vierzig Mann mit den großen Wurfspießen in der Hand. Die Morgensonne überflutete den gelben Sand und durchwärmte die Männer. Spartacus jedoch empfand nichts davon. Als Gannicus ihn flüsternd fragte, ob er wisse, was das bedeute, schüttelte er schweigend den Kopf. »Hast du gekämpft?« fragte der Gallier. »Nein.« »Aber er hat keinen von ihnen getötet. Wenn ein Mann schon sterben muß, gäbe es einen besseren Tod als diesen.« 164
»Wirst du denn besser sterben?« »Er wird wie ein Hund krepieren, und du genauso«, sagte Crixus, der Gallier. »Er wird mit aufgeschlitztem Bauch im Sand verrecken, genau wie du.« In diesem Augenblick begann Spartacus zu erkennen, was er zu tun hatte, besser gesagt, die Vorstellung, die er so lange in sich getragen hatte, verdichtete sich zur Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit war nur ein Anfang, sie würde für ihn nie mehr sein als das, ein ungewisser Weg in die Zukunft. Dennoch war sie aufs engste mit allem verbunden, was ihm und den anderen hier widerfahren war und noch widerfahren würde. Er starrte auf den riesigen Leichnam des Schwarzen, der in der Sonne hing. Wie diese Römer das Leben verachten! dachte Spartacus. Wie leicht sie töten, und mit welch lüsterner Begeisterung! Doch warum nicht, überlegte er, da doch ihr ganzes Dasein auf dem Blut und den Knochen von seinesgleichen beruhte? Das Kreuzigen übte einen besonderen Reiz auf sie aus. Es war aus Karthago gekommen, wo es als die einzige Todesart galt, die einem Sklaven gemäß war. So weit Roms Arme reichten, war es zur Leidenschaft geworden. Batiatus kam jetzt in den Hof. »Und wie wirst du sterben?« fragte Spartacus den neben ihm stehenden Gallier, ohne dabei die Lippen zu bewegen. »Ebenso wie du, Thraker.« »Er war mein Freund, und er liebte mich«, sagte Spartacus von dem toten Schwarzen. »Das ist dein Fluch.« Batiatus trat vor die lange Reihe der Gladiatoren, und die Soldaten stellten sich hinter ihm auf. »Ich füttere euch«, begann der lanista. »Ich gebe euch das beste Essen, Braten, Huhn und frischen Fisch. Ich füttere euch, bis eure Bäuche feist werden. Ich lasse euch baden und 165
massieren. Ich habe die meisten von euch aus den Bergwerken und vom Galgen geholt, und ihr lebt hier wie die Könige. Es gab nichts Armseligeres als euch, bevor ihr hierherkamt, und jetzt habt ihr alles und eßt nur vom Besten.« »Bist du mein Freund?« flüsterte Spartacus, und der Gallier antwortete, wobei er die Lippen kaum merklich bewegte: »Gladiator, sei keines anderen Gladiators Freund!« »Ich nenne dich Freund«, sagte Spartacus. »In dem schwarzen Herzen dieses schwarzen Hundes gab es weder Dankbarkeit noch Einsicht. Wie viele von euch sind wie er?« fragte Batiatus. Die Gladiatoren schwiegen. »Bringt mir einen Schwarzen!« sagte Batiatus zu den Ausbildern. Sie gingen zu den Afrikanern und zerrten einen zur Mitte des Hofes. Es war vorbereitet. Die Trommeln begannen zu dröhnen, zwei Soldaten lösten sich aus der Reihe und hoben die schweren Wurfspieße. Der Trommelwirbel hörte nicht auf. Der Schwarze wehrte sich verzweifelt, während die Soldaten ihm die Speere durch die Brust stießen. Er lag auf dem Rücken im Sand. Batiatus wandte sich zu dem Offizier, der neben ihm stand: »Jetzt wird es keinen Ärger mehr geben. Die Hunde werden nicht einmal mehr knurren.« »Ich nenne dich Freund«, sagte Gannicus zu Spartacus. Der Gallier an der anderen Seite schwieg. Er atmete schwer. Dann begannen die Morgenübungen.
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V Später erklärte Batiatus vor einem Untersuchungsausschuß des Senats wahrheitsgemäß, er habe nicht nur keine Ahnung von einer geplanten Verschwörung gehabt, sondern es auch nicht für möglich gehalten, daß eine geplant worden sei. Zum Beweis dafür führte er an, daß mindestens zwei Gladiatoren von ihm bezahlt würden, denen er zur Belohnung die Freilassung versprochen hätte. Er betonte, daß ihm dank dieser Spitzel ein derartiges Vorhaben unbedingt bekannt geworden wäre. So war es immer. Wie oft auch ein Aufstand unter den Sklaven ausbrach, nie ließ sich der Ursprung feststellen, nie die unsichtbare Wurzel aufdecken, die zweifellos vorhanden sein mußte. Ob es nun der große Aufstand in Sizilien war oder ein fehlgeschlagener Versuch auf einer Plantage, der mit der Kreuzigung von ein paar hundert armseligen Geschöpfen endete, stets mißglückte es dem Senat, die Wurzeln freizulegen. Doch das mußte geschehen. Hier hatten Menschen Wohlleben, Luxus und Überfluß geschaffen, wie sie die Welt nie zuvor gekannt hatte. Die Kriege zwischen den Völkern hatten mit dem römischen Frieden geendet, ihre Trennung mit den römischen Straßen. Und in dem gewaltigen städtischen Mittelpunkt der Welt fehlte es keinem an Nahrung oder Vergnügen. So sollte es auch sein, so wollten es die Götter. Diese Hochblüte hatte jedoch eine Krankheit mit sich gebracht, die sich nicht ausrotten ließ. Der Senator fragte den Batiatus: »Gab es keinerlei Anzeichen von Verschwörung, Unzufriedenheit, Unruhe?« »Es gab keine«, erklärte Batiatus beharrlich. »Und als du den Afrikaner hinrichten ließest, was wir wohlgemerkt durchaus billigen, erhob sich da kein Protest?« 167
»Nein.« »Uns interessiert besonders, ob irgendeine Hilfe von außen, irgendeine ausländische Provokation beteiligt sein könnte?« »Das ist ausgeschlossen«, erwiderte Batiatus. »Es gab also keinerlei Hilfe von außen, auch finanzieller Art, für das Triumvirat Spartacus, Gannicus und Crixus?« »Ich kann bei allen Göttern schwören, daß das nicht der Fall war«, erklärte Batiatus. VI Das traf jedoch nicht ganz zu. Kein Mensch ist allein. Die unwahrscheinliche Stärke des Spartacus beruhte darauf, daß er sich nie allein sah und auch nie in sich selbst zurückzog. Nicht allzu lange vor dem mißglückten Kampf der beiden Paare vor dem reichen jungen Römer Marius Bracus hatte es auf drei großen Plantagen in Sizilien einen Sklavenaufstand gegeben. Neunhundert Sklaven waren daran beteiligt, die sämtlich bis auf wenige hingerichtet wurden. Erst am Ende des Blutbades erkannten die Eigentümer, wieviel bares Geld ihnen dabei verlorenging. Und so wurden die etwa hundert Überlebenden spottbillig an die Galeeren verkauft. Auf der Galeere hatte dann einer der Unterhändler des Batiatus den riesigen, breitschultrigen, rothaarigen Gallier namens Crixus entdeckt. Da die Galeerensklaven als unverbesserlich galten, waren der Preis ebenso wie die Bestechungsgelder niedrig. Die Sklavenhändler im Hafen von Ostia wollten Ärger vermeiden und verschwiegen deshalb die Herkunft des Crixus. Dadurch war Spartacus einmal nicht allein und gewann 168
zum anderen gewisse Verbindungen. Crixus war in der Nachbarzelle untergebracht. An manchen Abenden lag Spartacus auf dem Boden seiner Zelle, mit dem Kopf in der Nähe der Tür und lauschte, wie Crixus von dem endlosen Krieg der sizilianischen Sklaven erzählte, der vor mehr als einem halben Jahrhundert begonnen hatte. Er, Spartacus, war ein Sklave und stammte von Sklaven ab. Aber es gab unter seinesgleichen sagenhafte Helden, ebenso strahlend wie Achill, Hektor und der listenreiche Odysseus, sogar noch großartiger, wenn auch keine Gedichte von ihnen kündeten. Und ebensowenig wurden sie in Götter verwandelt. Das war nur gut so, denn die Götter waren wie die reichen Römer und kümmerten sich nicht um das Leben der Sklaven. Diese zählten geringer als Menschen, sie waren nackte Sklaven, die auf dem Markt billiger als Esel gehandelt wurden und ihre Schultern ins Geschirr legten, um die Pflüge über die Äcker der Latifundien zu ziehen. Doch was waren sie für Riesen! Eunus, der alle Sklaven auf der Insel befreite und drei römische Heere vernichtete, ehe man ihn niederwarf, der Grieche Athenion, der Thraker Salvius, der Germane Undart und der seltsame Jude Ben Joasch, der in einem Boot aus Karthago geflohen war und sich mit seiner ganzen Mannschaft dem Athenion anschloß. Spartacus lauschte, und sein Herz schwoll vor Stolz und Freude. Er wurde von einem mächtigen, befreienden Gefühl der brüderlichen Gemeinschaft mit diesen toten Helden erfaßt. Er verstand sie, er wußte, was sie fühlten, wovon sie träumten, wonach sie sich sehnten. Rasse, Stadt oder Land waren bedeutungslos. Ihre Bindung kannte keine Grenzen. Und dennoch waren ihre Aufstände stets gescheitert. Jedesmal schlugen die Römer sie ans Kreuz, damit jeder sehen sollte, was einem Sklaven widerfuhr, der kein Sklave sein wollte. »Am Ende war 169
immer dasselbe«, sagte Crixus. Je länger er Gladiator war, desto weniger sprach Crixus von der Vergangenheit. Weder sie noch die Zukunft kann dem Gladiator helfen. Für ihn gibt es nur die Gegenwart. Crixus errichtete eine Mauer von Zynismus um sich, und nur Spartacus wagte es, an die harte Schale des riesigen Galliers zu rühren. Einmal hatte Crixus zu ihm gesagt: »Du gewinnst zu viele Freunde, Spartacus. Es ist schwer, einen Freund zu töten. Laß mich allein.« An diesem Morgen standen sie nach den Übungen noch eine Weile im Hof zusammen, bevor sie zum Essen gingen. Sie waren erhitzt und schwitzten und sprachen gedämpft angesichts der beiden Afrikaner, die am Zaun hingen. Sie waren gedrückt und niedergeschlagen. Das war nur der Anfang. Batiatus würde sie jetzt so schnell wie möglich in den Kampf schicken. Es war eine schlechte Zeit. Die Soldaten hatten sich in einen kleinen Hain jenseits des Baches zurückgezogen, um dort zu essen. Spartacus konnte vom Hof aus beobachten, wie sie auf dem Boden lagerten, die Helme abnahmen und die schweren Waffen zusammenstellten. Er wandte den Blick nicht von ihnen. »Was siehst du?« fragte Gannicus. Sie hatten eine lange Spanne ihres Sklavenlebens miteinander verbracht, in den Bergwerken und schon in der Kindheit. »Ich weiß es nicht.« Crixus war gereizt. Er hatte seinen leidenschaftlichen Haß zu lange unterdrückt. »Was siehst du, Spartacus?« fragte auch er. »Ich weiß es nicht.« »Aber du weißt doch alles, und deshalb nennen dich die Thraker ›Vater‹.« »Wen haßt du, Crixus?« »Hat dich der Schwarze auch ›Vater‹ genannt, Sparta170
cus? Warum hast du nicht gegen ihn gekämpft? Wirst du gegen mich kämpfen, wenn wir an der Reihe sind, Spartacus?« »Ich werde nicht mehr gegen Gladiatoren kämpfen«, erwiderte Spartacus ruhig. »Das weiß ich. Bis vor kurzem wußte ich es noch nicht, aber jetzt weiß ich es.« Einige hatten seine Worte gehört. Sie scharten sich jetzt um ihn. Er sah nicht mehr zu den Soldaten hinüber, sondern zu den Gladiatoren. Er blickte einem nach dem anderen ins Gesicht. Es kamen immer mehr hinzu, acht, zehn, zwölf, und er sagte noch nichts. Ihre Gedrücktheit wich, und flackernde Erregung trat in ihre Augen. Er sah in diese Augen. »Was sollen wir tun, Vater?« fragte Gannicus. »Das werden wir wissen, wenn die Zeit gekommen ist. Geht jetzt auseinander.« Mit einem Male lagen tausend Jahre auf den Schultern des thrakischen Sklaven. Alles, was in einem Jahrtausend nicht geschehen war, würde in den nächsten paar Stunden sein. Jetzt, für den Augenblick, waren sie wieder Sklaven – der Abschaum des Sklaventums und seine Schlächter. Sie gingen zu den Toren und dann zum Eßraum. Da begegneten sie Batiatus. Er saß in seiner großen, von acht Sklaven getragenen Sänfte mit seinem schmächtigen, gebildeten Buchhalter und wollte auf den Markt in Capua, um Lebensmittel einzukaufen. Als sie an den Reihen der Gladiatoren vorbeikamen, stellte Batiatus fest, mit welch gleichmäßiger Disziplin sie marschierten. Den Afrikaner zu opfern, war zwar eine ungewöhnliche, aber doch gerechtfertigte Ausgabe, dachte er. Jedenfalls lebte Batiatus, und sein Buchhalter desgleichen, um seinem Herrn später die Kehle durchzuschneiden.
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VII Was im Eßraum geschah, wo sich die Gladiatoren versammelten, würde wohl nie genau bekanntwerden. Denn es gab keine Geschichtsschreiber, welche die Taten von Sklaven aufzeichneten oder über ihr Leben berichteten. Wenn aber ein Sklave etwas tat, das Geschichte machte, so wurde es von einem festgehalten, der selber Sklaven besaß, der sie fürchtete und haßte. Varinia jedoch arbeitete in der Küche und sah alles mit eigenen Augen. Viel später erzählte sie es einem anderen – wie man noch erfahren wird – und mag auch der mächtige Widerhall eines solchen Ereignisses im Laufe der Zeit zum Flüstern ersterben, so geht er doch nie ganz verloren. Die Küche lag an einem Ende des Eßraumes, die Tür am anderen. Der Eßraum selbst war eine Improvisation des Batiatus. Viele römische Bauten waren im traditionellen Stil gehalten, die Ausbildung und Vermietung von Gladiatoren in großem Maßstab hatte sich jedoch erst in jüngster Zeit eingebürgert, und somit stellte die Frage der Unterbringung auch in baulicher Hinsicht neue Probleme. Batiatus ließ an eine alte Mauer drei Seiten ansetzen. Das so entstandene Viereck wurde wie üblich überdacht, und zwar überall etwa acht Fuß breit nach innen. Der Mittelteil lag demnach unter freiem Himmel. Innen war eine gepflasterte Abzugsrinne, damit das Regenwasser abfließen konnte. Diese Bauweise war ein Jahrhundert zuvor noch gebräuchlicher gewesen, aber in dem milden Klima Capuas genügte sie, wenn es auch im Winter häufig kalt und feucht in dem Raum war. Die Gladiatoren saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Boden unter dem Dach und aßen. Die Ausbilder schritten in dem offenen Mittelteil auf und ab, von wo aus sie alles leicht überblicken konn172
ten. Die Küche bestand aus einem langen Herd und einem Arbeitstisch. Sie lag an einem Ende des Vierecks, ohne besondere Abgrenzung. Am anderen Ende waren zwei schwere Holztüren, die von außen verriegelt wurden, sobald die Gladiatoren drinnen waren. So geschah es auch an diesem Tag. Die Gladiatoren nahmen ihre Plätze ein und wurden von den Küchensklaven, zumeist Frauen, bedient. Vier Ausbilder gingen im Mittelhof auf und ab. Sie trugen Messer und kurze Peitschen aus geflochtenem Leder. Zwei Soldaten hatten die Türen ordnungsgemäß von außen verriegelt. Die übrigen Soldaten aßen in dem etwa hundert Meter entfernten Hain. All dies sah Spartacus. Er aß wenig. Sein Mund war ausgedörrt, und sein Herz hämmerte. Es war in seinen Augen nichts Großes, was er hier begann, und die Zukunft lag für ihn genauso im Dunkel wie für alle anderen. Aber manche Menschen kommen einmal an einen Punkt, wo sie sich sagen: Wenn ich jetzt nicht dies oder jenes tue, dann ist es für mich sinn- und zwecklos, weiterzuleben. Und sobald viele dahin gelangen, erbebt die Erde. Sie sollte ein wenig aus den Fugen geraten, noch ehe der Morgen dem Mittag oder der Nacht wich. Doch Spartacus wußte das nicht. Er kannte nur den nächsten Schritt, nämlich mit den Gladiatoren zu sprechen. Als er das Crixus, dem Gallier, sagte, sah er seine Frau Varinia, die ihn vom Herd aus beobachtete. Auch andere Gladiatoren hatten die Blicke auf ihn gerichtet. Der Jude David las die Worte von seinen Lippen ab. Gannicus neigte lauschend das Ohr, und ein Afrikaner namens Phraxus beugte sich näher zu ihm. »Ich möchte aufstehen und reden«, sagte Spartacus. »Ich möchte mein Herz erleichtern. Aber wenn ich spreche, gibt es kein Zurück, und die Ausbilder werden versuchen, mich zum Schweigen zu bringen.« 173
»Das werden sie nicht tun«, erwiderte Crixus. Auch auf der anderen Seite des Vierecks war die Spannung spürbar. Zwei Ausbilder drehten sich zu Spartacus und der um ihn hockenden Gruppe um. Sie knallten mit den Peitschen und zogen die Messer. »Sprich jetzt!« rief Gannicus. »Sind wir denn Hunde, daß ihr mit der Peitsche nach uns schlagt?« fragte der Afrikaner. Spartacus sprang auf, und Dutzende von Gladiatoren folgten seinem Beispiel. Die Ausbilder wehrten sich mit Peitsche und Messer, doch die Gladiatoren warfen sich auf sie und töteten sie rasch. Die Frauen brachten den Koch um. Das alles ging fast schweigend vor sich. Dann gab Spartacus seinen ersten Befehl, ruhig, leise, gelassen. »Geht zur Tür und sichert sie, damit ich sprechen kann«, sagte er zu Crixus, Gannicus, David und Phraxus. Einen kurzen Augenblick schwankten sie, aber dann gehorchten sie. Als er sie später führte, taten sie zumeist alles, was er sie hieß. Sie liebten ihn. Crixus wußte, daß sie sterben würden, doch es kam nicht darauf an. Der Jude David, in dem jedes Gefühl seit langem erkaltet war, empfand plötzlich eine heftige, warme Zuneigung für diesen seltsamen, ruhigen, häßlichen Thraker mit der gebrochenen Nase und dem Schafgesicht. VIII »Schart euch um mich«, sagte er. Das war schnell getan. Von den draußen lagernden Soldaten war immer noch nichts zu hören. Die Gladiatoren und die Sklaven aus der Küche – dreißig Frauen und zwei Männer – drängten sich um ihn. Varinia sah ihn voller Angst, Hoffnung und Ehrfurcht an. Sie wollte zu 174
ihm, und man machte ihr Platz. Er legte den Arm um sie und zog sie fest an sich. Ich bin frei, dachte er. Für meinen Vater und Großvater hat es keinen einzigen Augenblick der Freiheit gegeben. Aber ich stehe jetzt hier als freier Mann. Der Gedanke machte ihn trunken und rann wie Wein durch seine Adern. Doch zugleich kam die Angst. Es ist nicht einfach, frei zu sein. Es ist keine Kleinigkeit, wenn man Sklave gewesen ist, solange man zurückdenken kann. Außerdem erwachte in Spartacus die Furcht eines Menschen, der einen unabänderlichen Entschluß gefaßt hat und weiß, daß an jedem Schritt seines künftigen Weges der Tod lauert. Und schließlich quälten ihn Zweifel an sich selbst. Denn diese Männer, deren Handwerk das Töten war, hatten ihre Herren umgebracht. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet. Er war der gute Thraker aus den Bergwerken, der wußte, was sie auf dem Herzen hatten. Und weil sie, wie die meisten Menschen jener Zeit, abergläubisch und unwissend waren, glaubten sie, irgendein fremder, mitleidiger Gott habe ihn berührt. Daher mußte er die Zukunft kennen und in ihr lesen wie in einem Buch und sie hineinführen. Und falls es keine Straßen gab, auf denen sie marschieren konnten, so mußte er sie eben bahnen. All das sah er in ihren Augen. »Gehört ihr zu mir?« fragte er sie, als sie sich dicht um ihn geschart hatten. »Ich will nie wieder Gladiator sein. Eher will ich sterben. Haltet ihr zu mir?« Einigen traten Tränen in die Augen, und sie drängten sich noch näher an ihn. Manche empfanden mehr, manche weniger Angst, doch er hatte wunderbarerweise einen Funken von Ehrgefühl in ihnen entfacht. »Wir müssen jetzt zusammenhalten«, sagte er, »und alle wie ein Mann füreinander einstehen. Wenn mein Volk in alten Zeiten in den Kampf zog, so ging es aus 175
freien Stücken, nicht wie die Römer, sondern freiwillig. Wollte einer nicht kämpfen, so machte er sich einfach davon, und niemand kümmerte sich um ihn.« »Was sollen wir tun?« schrie einer. »Wir wollen hinausziehen und kämpfen. Wir werden einen guten Kampf liefern, denn wir sind die besten Kämpfer der Welt.« Plötzlich wurde seine Stimme laut und schallend, und der Gegensatz zu seinem sonstigen ruhigen Ton riß sie mit. Jetzt mußten ihn auch die Soldaten draußen hören. »Wir werden ihnen Gladiatorenkämpfe zeigen, so daß Rom die Gladiatoren von Capua niemals vergessen wird!« rief er. Es kommt eine Zeit, da Menschen das tun müssen, wozu es sie treibt. Varinia wußte das, und sie empfand dabei einen nie gekannten glücklichen Stolz. Hatte sie doch einen Mann, wie es keinen zweiten auf der Welt gab. Sie kannte Spartacus, den bald die ganze Welt kennen würde. Sie ahnte, daß hier etwas Gewaltiges, Endloses begann, und ihr Mann war gut und rein. IX »Zuerst die Soldaten«, sagte Spartacus. »Wir sind fünf gegen einen. Vielleicht laufen sie davon?« »Sie werden nicht davonrennen«, erwiderte er ungehalten. »Ihr dürft nicht vergessen, daß Soldaten nicht davonlaufen. Entweder werden sie uns töten oder wir sie. Und wenn wir sie töten, so werden andere dasein. Römische Soldaten gibt es wie Sand am Meer!« Als sie ihn zweifelnd ansahen, fügte er hinzu: »Aber Sklaven gibt es ebenfalls wie Sand am Meer.« 176
Sie trafen ihre Vorbereitungen sehr schnell. Den toten Ausbildern nahmen sie die Messer ab, und aus der Küche holten sie alles, was als Waffe zu verwenden war: Messer, Fleischbeile, Bratspieße, Röstgabeln und vor allem die Mörserkeulen, mit denen das Getreide für den Brei zerstoßen wurde und wovon es mindestens zwanzig gab, ferner Holzstangen mit schwerem Griff, die man als Schlag- oder Wurfwaffe benutzen konnte. Sie griffen auch zu den Holzscheiten und zu einem großen Knochen sowie zu den Topfdeckeln, die ihnen als Schild dienten. Jedenfalls hatten sie Waffen. Die Frauen standen hinter ihnen, als sie die großen Türen sprengten und in den Kampf gingen. Sie waren doch nicht schnell genug, um die Soldaten überraschen zu können. Die beiden Wachtposten hatten die übrigen gewarnt, denen genügend Zeit blieb, um die Waffen zu ergreifen und sich in vier Gruppen von je zehn Mann zu formieren. Jetzt standen sie geordnet auf der anderen Seite des Baches, vierzig Soldaten, zwei Offiziere und ein Dutzend Ausbilder, die ebenso schwer bewaffnet waren wie die Soldaten. Vierundfünfzig gegenüber zweihundert nackten, unzureichend ausgerüsteten Sklaven! Die Chancen waren ungleich verteilt, die Soldaten befanden sich jedoch im Vorteil. Zudem waren es römische Soldaten, denen nichts auf der Welt widerstehen konnte. Sie hoben die Speere und näherten sich gruppenweise im Laufschritt. Der Morgenwind trug die Befehle ihrer Offiziere klar herüber. Das Wasser spritzte unter ihren Stiefeln auf. Die Wiesenblumen wurden niedergetrampelt, als die Soldaten die Böschung emporklommen. Von überall her rannten die übrigen Sklaven herbei, um das unglaubliche Schauspiel zu sehen. Die furchtbaren pila schwankten in drohend erhobenen Armen, die Eisenspitzen blitzten im Sonnenschein. Selbst 177
bei diesem bescheidenen Ausdruck der römischen Macht, den die vier Gruppen repräsentierten, hätten die Sklaven aufgeben und davonrennen müssen. Doch in diesem Augenblick erhielt die römische Macht einen ebenbürtigen Gegner, und Spartacus wurde zum Befehlshaber. Man kann nicht genau sagen, wie es kommt, daß ein Mann zum Führer der anderen wird. Führertum ist selten und unfaßbar, besonders dann, wenn weder Macht noch Ruhm dahinterstehen. Jeder Mensch kann Befehle erteilen, aber es so zu tun, daß die anderen sie befolgen, ist eine Kunst, und Spartacus beherrschte diese Kunst. Er befahl den Gladiatoren, auszuschwärmen, und sie taten es. Er befahl ihnen, einen weiten Kreis um die Soldaten zu bilden, und so geschah es. Jetzt verlangsamten die vier angreifenden Gruppen ihren Schritt. Sie wurden unsicher, und sie blieben stehen. Kein Soldat der Welt kann es an Schnelligkeit mit einem Gladiator aufnehmen, für den Schnelligkeit Leben und Leben Schnelligkeit bedeutet. Zudem waren die Gladiatoren nur mit einem Lendenschurz bekleidet, während die römischen Fußsoldaten die schwere Last von Schwert, Speer, Schild, Helm und Rüstung zu tragen hatten. Die Gladiatoren bildeten nun einen weiten Kreis, etwa hundertfünfzig Meter im Durchmesser, in dessen Mitte die Soldaten nach allen Richtungen liefen, die pila schwangen – bei einer Reichweite von höchstens vierzig Metern ein sinnloses Unterfangen. Der römische Speer konnte nur einmal geschleudert werden: ein Wurf und dann Nahkampf. Hier aber gab es kein Ziel. In diesem Augenblick erkannte Spartacus mit überwältigender Klarheit seine Taktik in ihrem ganzen Umfang, wie er sie in den kommenden Jahren anwenden sollte. Plötzlich sah er, warum sämtliche Heere, die sich den eisernen Spitzen Roms entgegengeworfen hatten, unter 178
der Wucht des römischen Wurfspießes zerbrechen mußten und dann von den kurzen, haarscharfen Klingen des römischen Schwertes niedergegemetzelt wurden. Hier jedoch, in diesem Kreis schreiender, fluchender, aufsässiger, nackter Gladiatoren, wurden die Disziplin und die Macht Roms hilflos. »Steine!« schrie Spartacus. »Steine werden für uns kämpfen!« Leichtfüßig lief er um den Kreis. »Werft Steine!« Der Steinhagel warf die Soldaten nieder. Die Luft war erfüllt von fliegenden Steinen. Die Frauen und die Haussklaven schlossen sich dem Kreis an, und die Feldsklaven kamen ebenfalls aus den Gärten angelaufen. Die Soldaten schützten sich mit ihren großen Schilden, doch das gab den Gladiatoren die Möglichkeit, vorzustoßen, zuzuschlagen und sich wieder zurückzuziehen. Eine Gruppe rückte gegen den Kreis vor und warf die Speere. Nur ein Gladiator wurde von der furchtbaren Waffe getroffen, während die übrigen sich auf die Soldaten stürzten und sie fast mit bloßen Händen erschlugen. Die Soldaten setzten sich zur Wehr. Zwei Gruppen bildeten einen Kreis, doch selbst als nur noch wenige in dem Steinhagel aufrecht standen und als die Gladiatoren wie ein Rudel Wölfe auf sie eindrangen, kämpften sie weiter bis zum Tode. Die vierte Gruppe versuchte sich durchzuschlagen und zu fliehen, aber zehn Mann waren für ein solches Unternehmen zu wenig. Sie wurden erdrückt und erschlagen. Ebenso erging es den Ausbildern, und zwei von ihnen, die um Gnade flehten, wurden von den Frauen mit Steinen totgeschlagen. Die ungleiche, erbitterte kleine Schlacht, die beim Eßraum entbrannt war, hatte sich über das ganze Schulgebäude bis zur Straße nach Capua fortgesetzt, wo der letzte Soldat niedergeschlagen und getötet wurde. Überall lagen Tote und Verwundete, vierundfünfzig tote Römer 179
und Ausbilder und noch mehr Gladiatoren. Doch das war erst der Anfang. Siegreich, blutgetränkt, frohlockend – aber immerhin nur ein Anfang. Spartacus stand jetzt auf der Heerstraße und sah in der Ferne die Mauern von Capua, die schimmernde Stadt im goldenen Dunst des Vormittags. Er hörte die Trommeln der Garnison. Nun gab es kein Halten mehr, die Ereignisse waren im Fluß, die Kunde hatte sich mit Windeseile verbreitet, und in Capua lagen viele Soldaten. Die ganze Welt war aus den Fugen geraten. Er wurde von einem mächtigen, wirbelnden Strom fortgerissen, als er dort keuchend auf der Heerstraße stand, umgeben von Blut und Tod. Er sah, wie der rothaarige Gallier Crixus lachte, wie Gannicus jubelte, wie in den Augen Davids des Juden plötzlich Leben erwacht war, und er hörte den dumpfen Schlachtgesang der bedächtigen afrikanischen Riesen. Er nahm Varinia in die Arme. Andere Gladiatoren küßten ihre Frauen, schwenkten sie durch die Luft und lachten mit ihnen. Haussklaven eilten mit Weinschläuchen aus den Vorräten des Batiatus herbei. Selbst die Verwundeten unterdrückten ihren Schmerz und ihr Stöhnen. Und das germanische Mädchen blickte auf Spartacus, lachte und weinte in einem Atem, befühlte sein Gesicht, die Arme und die Hand, in der er das Messer hielt. Sie machten sich bereits an die Weinschläuche, als Spartacus sie wieder zu sich brachte. Andernfalls wären sie damals trunken und jubelnd untergegangen, denn die Soldaten marschierten schon aus den Toren Capuas. Spartacus befahl dem Gannicus, den toten Soldaten ihre Waffen zu nehmen, und schickte Nordo, einen Afrikaner, aus, um zu erkunden, ob man in die Waffenkammer eindringen könne. Seine Sanftmut war jetzt verschwunden. Der unbedingte Wille zur Flucht loderte wie eine Flamme in ihm und verwandelte ihn. Sein ganzes Leben hatte die180
sem Augenblick gegolten, und seine ganze Geduld war auf dessen Vorbereitung gerichtet gewesen. Seit Jahrhunderten hatte er gewartet, seitdem man den ersten Sklaven in Ketten gelegt und zum Holzschlagen und Wasserschleppen gepeitscht hatte. Nun konnte ihn nichts mehr zurückhalten. Vorher hatte er sie gefragt, jetzt befahl er. Wer konnte mit römischen Waffen umgehen? Wer hatte mit dem pilum gekämpft? Er bildete vier Gruppen. »Ich möchte die Frauen im Hause haben«, sagte er. »Sie sollen keiner Gefahr ausgesetzt werden. Sie sollen nicht kämpfen.« Die Raserei der Frauen hatte ihn überrascht. Sie war maßloser, ungezügelter als die der Männer. Die Frauen wollten kämpfen. Sie weinten, weil er sie zurückhalten wollte. Sie flehten um einige der kostbaren Messer, und als er sie ihnen abschlug, füllten sie ihre Tuniken mit Steinen. In der Nähe der Schule zogen sich einige Plantagenfelder hügelaufwärts. Die Feldsklaven hatten gemerkt, daß sich etwas Neues, Schreckliches, Wildes abspielte, und liefen herbei. Sie standen auf der Steinmauer in kleinen Gruppen zusammen, und bei ihrem Anblick wurde ihm seine Zukunft in all ihrer Einfachheit klar. Er rief den Juden David, gab ihm einen Befehl, woraufhin dieser zu den Feldsklaven eilte. Spartacus hatte sich nicht geirrt: drei Viertel der Feldsklaven kehrten mit David zurück. Sie grüßten die Gladiatoren und küßten ihnen die Hände. Sie trugen ihre Hacken bei sich, die plötzlich aus Werkzeugen zu Waffen wurden. Jetzt kamen die Afrikaner wieder. Sie waren nicht in die Waffenkammer eingedrungen. Das hätte mindestens eine halbe Stunde gedauert. Aber sie hatten eine frisch eingetroffene Kiste mit Dreizacken aufgebrochen und dreißig dreizackige Speere 181
erbeutet. Spartacus verteilte sie unter die retiarii. Die Afrikaner küßten die Waffen und schworen in ihrer Sprache den Eid darauf. All das hatte nur sehr kurze Zeit gedauert, doch das Gebot der Eile lastete immer schwerer auf Spartacus. Er wollte fort von hier, von der Schule, von Capua. »Folgt mir!« rief er. »Folgt mir!« Varinia blieb an seiner Seite. Sie verließen die Straße, überquerten die Felder und stiegen hügelaufwärts. »Laß mich nie zurück, laß mich nie zurück«, bat Varinia. »Ich kann kämpfen wie ein Mann.« Jetzt sahen sie die Soldaten die Straße von Capua heraufkommen. Es waren zweihundert. Sie nahten im Laufschritt, bis sie merkten, daß sich die Gladiatoren zu den Hügeln wandten. Da ließen die Offiziere sie abschwenken, um den Gladiatoren den Weg abzuschneiden, und die Soldaten liefen querfeldein. Hinter ihnen strömten die Bürger von Capua durch die Tore, um der Niederwerfung des Sklavenaufstandes zuzusehen und dabei einen Gladiatorenkampf zu erleben, der nichts kostete und ohne Gnade war. Es hätte hier oder vor einer Stunde oder auch einen Monat später enden können. Schon früher waren Sklaven davongelaufen. Sie hatten sich dann in die Felder und Wälder geflüchtet und von dem gelebt, was sie stehlen konnten. Sie waren dabei einer nach dem andern eingefangen und gekreuzigt worden. Für einen Sklaven gab es keine Freistatt. Das war nun einmal der Lauf der Welt. Diese einfache Tatsache wurde Spartacus klar, als er die vorwärtsstürmenden Soldaten beobachtete. Kein Platz, wo man sich verstecken, kein Loch, in das man sich verkriechen konnte. Die Welt mußte verlängert werden. Er hielt im Laufen inne und sagte: »Wir werden gegen die Soldaten kämpfen.« 182
X Viel später fragte Spartacus sich: Wer wird über unsere Schlachten schreiben, über das, was wir verloren, und das, was wir gewonnen haben? Und wer wird die Wahrheit berichten? Die Wahrheit der Sklaven stand in Widerspruch zu jeder Wahrheit der Zeit, in der sie lebten. Die Soldaten waren in der Überzahl und zudem schwer bewaffnet. Aber sie erwarteten nicht, daß die Sklaven kämpfen würden, während diese es von den Soldaten erwarteten. Die Sklaven schwärmten von den Hügeln herab, und die Soldaten konnten diesem Ansturm nicht standhalten. Sie warfen ziellos ihre Speere und duckten sich unter dem Steinhagel, den die Frauen auf sie niederprasseln ließen. Die Wahrheit war also, daß die Soldaten von den Sklaven geschlagen wurden und vor ihnen davonliefen. Die Sklaven verfolgten sie bis kurz vor Capua und machten sie nieder. In der ersten Schlacht hatten sie schwere Verluste erlitten, in der zweiten jedoch fielen nur noch ein paar Mann, und die römischen Soldaten flohen vor ihnen. Das war der Tatbestand, der später auf hunderterlei Weise dargestellt wurde. Der erste Bericht stammte von dem Garnisonskommandanten in Capua. »In der Gladiatorenschule des Lentulus Batiatus kam es zu einem Sklavenaufstand«, schrieb er, »wobei einige auf der Via Appia nach Süden entflohen. Eine halbe Kohorte der Garnison wurde gegen sie eingesetzt, doch gelang es ein paar Sklaven, durchzubrechen und zu flüchten. Es ist unbekannt, wer ihre Führer sind und was sie beabsichtigen, sie haben jedoch bereits Unruhe unter den Sklaven der Gegend entfacht. Die hiesigen Bürger sind der Meinung, daß der hochedle Senat keine Mühe scheuen sollte, die Garnison in Capua zu verstärken, damit der Aufstand 183
schnellstens niedergeschlagen werden kann. Es ist bereits zu einer Anzahl von Übergriffen gekommen. Daher steht zu befürchten, daß das Gebiet unter Plünderung und Raub zu leiden haben wird.« Natürlich erzählte auch Batiatus seine Geschichte zahlreichen Bürgern von Capua, die begierig zuhörten. Keiner war ernstlich beunruhigt, bis auf Batiatus selbst, der jahrelange Arbeit vernichtet sah. Doch jedem war klar, daß die Umgebung der Stadt so lange unsicher sein würde, bis der letzte dieser schrecklichen Männer ergriffen und entweder erschlagen oder ans Kreuz genagelt wäre, als warnendes Beispiel für alle anderen. Die Geschichte wurde von Hunderten wieder und wieder erzählt, deren ganzes Leben auf dem unsicheren Gebäude der Sklaverei beruhte, und ihre Schilderungen trugen den Stempel ihrer Sorgen und Befürchtungen. Jahre später würde es dann heißen: »Ja, ich war zufällig zur Kur in Capua, als Spartacus ausbrach. Ich habe ihn gesehen. Ein Riese von einem Mann. Ich war Zeuge, wie er ein kleines Kind auf seinen Speer spießte. Ein schauerlicher Anblick!« Von der eigentlichen Wahrheit aber hatte selbst Spartacus damals nur eine schwache Ahnung. Seine ganzen Vorstellungen hatten sich aus den Ketten seiner Zeit gelöst. Die Sklaven, die er führte, hatten in zwei kleinen Gefechten römische Soldaten geschlagen. Zwar handelte es sich nur um ein paar zweitklassige Garnisonssoldaten, die durch das leichte Leben in einem Kurort verweichlicht waren und denen die besten Berufsfechter des ganzen Landes gegenüberstanden. Dennoch blieb es eine welterschütternde Tatsache, daß Sklaven zweimal an einem Tag ihre Herren niedergeschlagen hatten. Sie ließen sich auch durch die Flucht der Soldaten nicht hinreißen, sondern kamen zurück, als Spartacus sie rief. 184
Sie waren diszipliniert, und Spartacus wurde für sie bereits nach wenigen Stunden zum Gott. Sie waren stolzerfüllt und kannten keine Angst mehr. Sie hielten fest zusammen. Es war fast wie eine Liebkosung, als habe der unerbittliche Grundsatz »Gladiator, sei keines Gladiators Freund« sich plötzlich ins Gegenteil verkehrt. Sie dachten nicht weiter darüber nach. Sie waren größtenteils einfache, unwissende Menschen, die mit einem Male größer und reicher geworden waren. Sie sahen einander mit anderen, neuen Augen an. Zuvor hatten sie nicht gewagt, sich überhaupt gegenseitig zu betrachten. Kann denn der Henker sein Opfer anblicken? Jetzt aber waren sie keine Zwangsgemeinschaft von Henkern und Opfern mehr, sondern siegreiche Brüder. Spartacus begriff nun, wie es in Sizilien und so vielen anderen Orten geschehen war. Er spürte ihre Stärke, weil ein Teil davon in ihm selbst aufbrach, und dieser Strom schwemmte alle Leiden der Vergangenheit, alle Ängste, Scham und Entwürdigung mit sich fort. Er hatte sich an das Leben geklammert und die Erhaltung dieses Lebens zu einer förmlichen Wissenschaft gemacht, so daß man mit Recht annehmen könnte, es sei für ihn zu einem sorgfältig gehüteten Schatz geworden. Plötzlich aber fürchtete er den Tod nicht mehr, und auch nicht den Gedanken daran, denn er hatte jegliche Bedeutung verloren … Etwa fünf Meilen südlich von Capua, nicht weit von der Appischen Straße, sammelten sich die Gladiatoren, ihre Frauen und die Sklaven, die sich ihnen angeschlossen hatten, an einem Hügelhang. Ein großes Landhaus lag in Sichtweite. Es ging mittlerweile auf Mittag zu. Im Verlauf der beiden Kämpfe und des folgenden Marsches nach Süden war die Schar der Gladiatoren zu einem kleinen Heer angewachsen. Von weitem hätte man sie für eine Abteilung römischer Soldaten halten können. Die 185
erbeuteten Waffen waren unter sie verteilt worden. Mit den Haus- und Feldsklaven waren es nun zweihundertfünfzig Mann, die Frauen nicht eingerechnet. Jede der drei großen Gruppen, die Gallier, die Afrikaner und die Thraker, marschierte als gesonderte Abteilung und hatte ihre eigenen Unterführer. Sie zerfielen ganz von selbst in Zehnereinheiten, wie sie es bei den Römern kennengelernt hatten. Spartacus war ihr Führer, dem sie unbedingt bis in den Tod folgen würden. Er marschierte an der Spitze, das germanische Mädchen Varinia an seiner Seite. Sie hatte den Arm um seine Hüfte gelegt. Mitunter sah sie ihn an. Dies alles überraschte sie nicht. Vor langer Zeit hatte sie sich diesem Mann vermählt, dem besten, tapfersten aller Männer, und sie wußte es bereits damals ebenso wie heute. Wenn ihre Blicke sich trafen, lächelte sie ihm zu. Sie hatte gegen die Soldaten gekämpft, ohne zu ahnen, ob ihm das recht war oder nicht. Aber er sagte nichts gegen das Messer, das sie in der Hand trug. Sie waren sich gleich. Die Welt war voll von alten Sagen über die Amazonen, die vor langer, langer Zeit wie Männer aufs Schlachtfeld gezogen waren. Und viele andere kündeten von einer Vergangenheit, in der Männer und Frauen gleich waren, in der es weder Herren noch Sklaven gab und in der keiner mehr besaß als der andere. Dieses Goldene Zeitalter war längst versunken, aber es würde wiederkommen. Jetzt brach es wieder an, als die Sonne die liebliche Landschaft und die wilden Männer der Arena mit ihrem Schimmer übergoß. Das Gras der Wiese, auf der sie sich versammelten, war weich und grün, mit buttergelben Blumen übersät, und Schmetterlinge und Bienen erfüllten die Luft mit ihrem Summen. »Was werden wir jetzt tun, und wohin gehen wir?« fragten ihn die Männer. 186
Sie hatten sich im Kreis um ihn geschart. Varinia saß im Gras, die Wange an sein Knie geschmiegt. Spartacus stand aufrecht in der Mitte. »Wir sind ein Stamm«, sagte er. »Seid ihr damit einverstanden?« Sie nickten. In einem Stamm gab es keine Sklaven, und jeder hatte das gleiche Recht. »Wer will sprechen?« fragte er. »Wer will Führer sein? Wer uns führen will, der stehe auf. Wir sind jetzt freie Menschen.« Keiner stand auf. Die Thraker schlugen mit den Messergriffen auf ihre Schilde, und das Trommeln scheuchte einen Schwarm Drosseln von der Wiese auf. Die Schwarzen grüßten Spartacus, indem sie die Hände vors Gesicht legten. Sie waren alle eigenartig zufrieden und wie in einem Traum befangen. »Sei gegrüßt, Gladiator!« rief Gannicus. Ein Sterbender stand mühsam auf. Er hatte auf dem Gras gelegen, ein Arm war bis auf den Knochen aufgerissen, und sein Blut verströmte. Er war Gallier und wollte nicht zurückgelassen werden. So hatte er die Freiheit noch ein wenig zu kosten bekommen. Er wankte zu Spartacus, der ihn stützte. »Ich habe keine Angst zu sterben«, sagte er zu den Gladiatoren. »Es ist besser als der Tod in der Arena. Lieber aber würde ich diesem Mann folgen, um so zu sehen wohin er uns führt. Wenn ich jedoch sterbe, so denkt an mich und tut ihm nichts Böses. Hört auf ihn. Die Thraker nennen ihn Vater. Wir sind auch wie kleine Kinder, doch er wird uns das Böse austreiben. In mir ist nichts Böses mehr. Ich habe etwas Großes vollbracht. Nun bin ich geläutert und habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich werde ruhig schlafen. Wenn ich tot bin, werde ich keine Träume haben.« Einige Gladiatoren weinten. Der Gallier küßte Sparta187
cus, der den Kuß erwiderte. »Bleib an meiner Seite«, sagte Spartacus, und der Mann sank neben ihm ins Gras. Die Feldsklaven, die sich ihnen angeschlossen hatten, starrten mit offenem Mund auf diese Gladiatoren, denen der Tod so vertraut war. »Du stirbst, aber wir werden leben«, sagte Spartacus zu ihm. »Wir werden deinen Namen nicht vergessen und ihn laut verkünden. Im ganzen Land werden wir ihn verbreiten.« »Ihr werdet niemals aufgeben?« bat der Gallier. »Haben wir etwa aufgegeben, als die Soldaten uns entgegentraten? Wir haben zweimal gegen sie gekämpft und gewonnen. Wißt ihr, was wir jetzt tun müssen?« fragte er die Gladiatoren. Sie blickten ihn an. »Können wir weglaufen?« »Wohin sollen wir laufen?« fragte Crixus. »Es ist überall das gleiche wie hier. Überall gibt es Herren und Sklaven.« »Wir werden nicht davonrennen«, erklärte Spartacus. Er wußte das jetzt mit so untrüglicher Gewißheit, als habe er nie daran gezweifelt. »Wir werden von Plantage zu Plantage, von Haus zu Haus ziehen, überall die Sklaven befreien und sie unseren Reihen eingliedern. Wenn sie wieder Soldaten gegen uns entsenden, werden wir kämpfen. Dann mögen die Götter entscheiden, ob sie mit den Römern oder mit uns sind.« »Und wo werden wir Waffen finden?« fragte einer. »Wir werden sie den Soldaten abnehmen. Und wir werden sie uns selber machen. Was ist denn Rom anderes als die Summe aus Blut, Schweiß und Tränen der Sklaven? Gibt es etwas, das wir nicht vollbringen können?« »Dann wird Rom gegen uns Krieg führen.« »So werden wir gegen Rom zu Felde ziehen«, erwider188
te Spartacus ruhig. »Wir werden ein Ende machen mit Rom und eine Welt gründen, in der es keine Sklaven und keine Herren gibt.« Das war ein Traum, aber sie wollten träumen. Sie hatten nach den Sternen gegriffen, und wenn dieser seltsame Thraker mit den schwarzen Augen und der gebrochenen Nase ihnen erzählt hätte, er wolle sie gegen die Götter selber führen, so hätten sie ihm in diesem Augenblick geglaubt und wären ihm gefolgt. »Wir wollen uns nicht entehren«, sagte Spartacus. Er sprach verhalten und eindringlich, als rede er jeden einzelnen unmittelbar an. »Wir wollen nicht so handeln wie die Römer. Wir wollen nicht dem römischen Gesetz gehorchen. Wir werden unser eigenes Gesetz scharfen.« »Was ist unser Gesetz?« »Unser Gesetz ist einfach. Was wir erbeuten, gehört allen gemeinsam. Keiner soll etwas außer seinen Waffen und Kleidern besitzen. Es soll wieder so sein wie in den alten Zeiten.« »Es ist genug da, daß alle reich sein können«, meinte ein Thraker. »Ihr macht das Gesetz. Ich will es nicht tun«, sagte Spartacus. Es gab Habgierige unter ihnen, die davon träumten, große Herren zu sein wie die Römer. Andere wieder wollten Römer als Sklaven halten. Und so redeten sie lange hin und her, aber schließlich nahmen sie den Vorschlag des Spartacus an. »Wir werden keine Frau nehmen, es sei denn zur Ehe«, sagte Spartacus. »Und kein Mann soll mehr als eine Frau haben. Sie sollen das gleiche Recht haben, und wenn sie nicht in Frieden miteinander leben können, müssen sie sich trennen. Doch kein Mann soll mit einer Frau schlafen, ob Römerin oder nicht, die nicht seine rechtmäßige 189
ist.« Sie hatten wenige Gesetze und bestätigten sie. Dann griffen sie zu den Waffen und zogen zum Herrenhaus. Es waren nur Sklaven dort, denn die Römer waren nach Capua geflüchtet … Und die Sklaven schlossen sich den Gladiatoren an. XI In Capua sah man den Rauch des ersten brennenden Herrenhauses, und damit waren die Sklaven als rachgierig und grausam abgestempelt. Man hätte sie gern sanft und verständnisvoll gesehen, das heißt, sie hätten in die wilden Berge fliehen, sich einzeln oder in Gruppen in Höhlen verstecken und wie Tiere leben sollen, bis auch der letzte zur Strecke gebracht worden wäre. Selbst als die Bürger von Capua den Rauch des ersten brennenden Hauses bemerkten, waren sie nicht übermäßig unruhig. Man mußte damit rechnen, daß die Gladiatoren ihre Verbitterung an allem, was ihnen in den Weg kam, auslassen würden. Ein Eilbote jagte bereits über die Appische Straße, um den Senat von dem Aufstand in Capua zu unterrichten, was bedeutete, daß in wenigen Tagen die Ruhe wiederhergestellt sein würde. Dann sollten die Sklaven eine Lehre bekommen, die sie so bald nicht wieder vergessen würden. Ein Großgrundbesitzer namens Marius Acanus war gewarnt worden und hatte seine siebenhundert Sklaven zusammengetrieben, um sie hinter den Mauern Capuas in Sicherheit zu bringen. Doch die Gladiatoren trafen ihn unterwegs und sahen finster schweigend zu, wie seine eigenen Sklaven ihn und seine Frau, deren Schwester, seine Tochter und ihren Mann erschlugen. Es war grau190
sam und scheußlich, aber Spartacus wußte, daß er es nicht aufhalten konnte, und hatte auch kein Verlangen danach. Sie ernteten nur, was sie gesät hatten. Die Sänftensklaven selbst vollbrachten die Tat, sobald sie erkannt hatten, daß ihnen keine römischen Soldaten, sondern die Gladiatoren entgegenkamen, deren Ruhm bereits in aller Munde war. Aus den paar hundert Männern waren jetzt, am Spätnachmittag, mehr als tausend geworden, und auf ihrem Weg nach Süden schlossen sich ihnen immer neue Sklaven an. Die Feldsklaven kamen mit ihren Arbeitsgeräten, die Ziegenhirten trieben ihre Ziegen- und Schafherden mit sich. Wenn sich diese riesige, formlose Masse – nur die Gladiatoren wahrten noch eine gewisse militärische Ordnung – auf ein Haus zuwälzte, war die Kunde ihnen bereits vorausgeeilt. Die Küchensklaven liefen herbei, um sie mit ihren Messern und Beilen zu begrüßen, und die Haussklaven brachten ihnen Seide und feines Linnen zum Geschenk. Die Römer waren meist geflohen, wo sie und die Aufseher jedoch Widerstand leisteten, wurde ganze Arbeit verrichtet. Sie kamen nur langsam voran, da sie eine so große Menge lachender, singender Männer, Frauen und Kinder geworden waren und alle berauscht vom Wein der Freiheit. Sie waren keine zwanzig Meilen von Capua entfernt, als die Dunkelheit hereinbrach, und sie lagerten in einem Tal an einem rauschenden Fluß, zündeten Feuer an und aßen sich an frischem Fleisch satt. Ganze Ziegen und Schafe und mitunter sogar ein Ochse brieten am Spieß, und die Luft war erfüllt von dem würzigen Duft röstenden Fleisches. Es war ein Festmahl für Menschen, die jahrein, jahraus von Lauch, Rüben und Gerstenbrei gelebt hatten. Sie spülten das Fleisch mit Wein hinunter. Die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft bestand aus Galliern, Juden, Griechen, Ägyptern, 191
Thrakern, Nubiern, Sudanesen, Libyern, Persern, Assyrern, Samaritern, Germanen, Slawen, Bulgaren, Mazedoniern, Spaniern und auch aus vielen Italern, die aus diesem oder jenem Grund bereits vor Generationen in die Sklaverei verkauft worden waren, aus Sabinern und Umbrern, Tuskern, Siziliern und Angehörigen zahlreicher anderer Stämme, deren Namen längst in Vergessenheit geraten sind – ein einzigartiges Völkergemisch, das bisher in der Sklaverei und nun in der Freiheit vereint war. Etwas völlig Neues war hier entstanden – die Gemeinschaft der Unterdrückten, und in jener Nacht erhob sich unter all den verschiedenartigen Nationalitäten und Völkern keine einzige Stimme des Zorns oder der Unzufriedenheit. Ein Hauch von Liebe und Ruhm umwehte sie. Viele hatten Spartacus kaum gesehen, oder man hatte ihn ihnen nur von weitem gezeigt, dennoch waren sie erfüllt von ihm. Er war ihr Führer und ihr Gott. Hatte nicht auch Prometheus einst das heilige Feuer vom Himmel gestohlen und diese kostbarste aller Gaben der Menschheit geschenkt? Was einmal geschehen war, konnte sich wiederholen. Schon erzählte man an den Feuern alle möglichen Geschichten, aus denen ein Heldenlied für Spartacus entstand. Es gab nicht einen unter ihnen, nicht einmal unter den Kindern, der nicht von einer Welt ohne Sklaven geträumt hätte … Spartacus saß bei den Gladiatoren, und sie erörterten die Ereignisse. Der kleine Bach war bereits zum Fluß geworden und wuchs nun zum Strom. Gannicus sprach es aus. Seine Augen leuchteten, als er Spartacus ansah. »Wir können über die Erde marschieren und sie Stein um Stein umgestalten!« Doch Spartacus wußte es besser. Er hatte den Kopf in Varinias Schoß gelegt, und sie ließ die Finger durch seine dichten braunen Locken gleiten, strich 192
über die Bartstoppeln und fühlte sich reich und zufrieden. Sie war jetzt glücklich, doch in ihm brannte ein Feuer. In der Sklaverei war er ruhig gewesen. Er betrachtete die funkelnden Sterne. Sein Inneres war aufgewühlt von Gedanken, Hoffnungen, Ängsten und Zweifeln, und das Gewicht dessen, was er tun mußte, lastete schwer auf ihm. Er mußte Rom zerstören. Dieser ungeheuerliche Gedanke ließ ihn lächeln. Varinia fuhr zärtlich mit dem Finger über seine Lippen und sang ihm ein Lied in ihrer Sprache vor. Die Musik beflügelte seine Träume, die in den Sternenhimmel eilten: Du mußt Rom zerstören – du, Spartacus. Du mußt diese Menschen wegführen und sie fest und streng behandeln. Du mußt sie lehren, zu kämpfen und zu töten. Es gibt kein Zurück mehr – um keinen einzigen Schritt. Die ganze Welt gehört Rom, also muß Rom zerstört werden, so daß nur noch eine böse Erinnerung daran bleibt. Wir werden dort, wo einst Rom stand, ein neues Leben aufbauen. Alle Menschen werden dann in Frieden, Brüderlichkeit und Liebe vereint leben, es wird keine Sklaven und Sklavenhalter, keine Gladiatoren und keine Arena mehr geben. Alles wird wieder sein wie im Goldenen Zeitalter. Wir werden neue Städte der Brüderlichkeit errichten, ohne Mauern und Schutzwälle. Varinia hielt inne und fragte ihn: »Wovon träumst du, mein Mann, mein Thraker? Sprechen die Götter in den Sternen zu dir? Was erzählen sie dir, mein Geliebter? Sagen sie dir geheime Dinge, die niemand wissen darf?« Sie glaubte beinahe daran. Wer wußte, was wahr und was unwahr an den Göttern war? Spartacus haßte die Götter und verehrte sie nicht. »Gibt es denn Götter für Sklaven?« hatte er sie einmal gefragt. »In meinem ganzen Leben wird es nichts geben, was ich dir nicht sagen würde, Geliebte«, erwiderte er. 193
»Wovon träumst du?« »Ich träume davon, daß wir eine neue Welt erschaffen werden.« Da erschrak sie vor ihm, aber er sagte sanft zu ihr: »Diese Welt wurde von Menschen erschaffen. Gibt es irgend etwas, das wir nicht gebaut haben, die Städte, die Türme, die Mauern, die Straßen und die Schiffe? Warum können wir also keine neue Welt errichten?« »Rom«, erwiderte sie nur, und in diesem einen Wort war die Macht enthalten, welche die Welt beherrschte. »Dann werden wir eben Rom zerstören«, entgegnete Spartacus. »Die Welt ist Rom überdrüssig. Wir werden es zerstören und mit ihm alles, woran Rom glaubt.« »Wer? Wer denn?« Ihre Stimme klang flehend. »Die Sklaven. Es hat schon früher Sklavenaufstände gegeben, doch jetzt wird es anders sein. Unser Ruf wird von allen Sklaven in der ganzen Welt gehört werden …« So schwanden Friede und Hoffnung. Viel später erinnerte sich Varinia jener Nacht, da der Kopf ihres Mannes in ihrem Schoß geruht hatte und seine Augen zu den Sternen schweiften. Doch es war auch eine Nacht der Liebe. Nur wenigen Menschen sind solche Nächte geschenkt, und dann sind sie glücklich zu preisen. Sie lagen inmitten der Gladiatoren am Feuer, und die Zeit stand still. Sie berührten einander, fanden sich wieder im anderen und wurden eins.
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FÜNFTER TEIL Eine Schilderung des Lentelus Gracchus, einige seiner Erinnerungen sowie Einzelheiten über seinen Aufenthalt in der Villa Salaria. I Lentelus Gracchus pflegte gern von sich zu sagen, daß mit seinem Gewicht auch seine Fähigkeit, auf dem Seil zu tanzen, wachse. Die Tatsache, daß sich der Sechsundfünfzigjährige seit siebenunddreißig Jahren erfolgreich in der römischen Politik betätigte, bestätigte diese Behauptung. Die Politik erfordere drei unveränderliche Gaben und keine Tugenden, erklärte er. Und es seien mehr Politiker an ihrer Tugend als an irgendwelchen anderen Ursachen gescheitert. Die drei Talente bezeichnete er folgendermaßen: die Fähigkeit, stets die siegreiche Seite zu wählen. Schlage dies fehl, müsse man sich von der Seite des Verlierers lösen können. Und drittens dürfe man sich nie einen Feind machen. Diese drei Gaben waren natürlich Idealfälle, und da Menschen nun einmal Menschen sind, gab es keine restlose Erfüllung. Er zumindest hatte Erfolg gehabt. Als Sohn eines einfachen, aber fleißigen Flickschusters begann er mit neunzehn Jahren, Wählerstimmen zu kaufen und zu verkaufen. Mit fünfundzwanzig kaufte und verkaufte er Ämter, inszenierte gelegentlich auch einen Mord und leitete als Achtundzwanzigjähriger eine mächtige politische Bande. Mit dreißig war er der unbestrittene Führer des berühmten Caelischen Bezirks. Fünf Jahre später war er Quästor, und mit vierzig kam er in den Senat. Er kannte zehntausend Menschen in der Stadt mit 195
Namen und zwanzigtausend vom Sehen. Die Liste seiner Günstlinge schloß selbst seine ärgsten Feinde mit ein. Er beging nie den Fehler, einen seiner Verbündeten für aufrichtig zu halten, und verfiel ebensowenig dem schwerwiegenden Irrtum, die Unehrlichkeit von ihnen als erwiesen anzunehmen. Sein Gewicht und sein Wesen entsprachen seiner Stellung. Er hatte den Frauen nie getraut und auch nicht festgestellt, daß sie für seine Kollegen besonders nützlich waren. Seine Leidenschaft galt dem Essen, und die gewaltigen Fettschichten, die er im Laufe erfolgreicher Jahre angesetzt hatte, machten ihn nicht nur zu einer imposanten Erscheinung, sondern auch zu einem der wenigen Römer, die man in der Öffentlichkeit nie anders als in die weiten Falten einer Toga gehüllt sah. In einer Tunika wirkte Lentelus Gracchus nicht recht, mit der Toga jedoch wurde er zum Wahrzeichen römischen Wesens und römischer Tugend. Auf seinen dreihundert Pfund saß ein kahler, massiger Schädel, der fest in mehrere Fettwülste eingebettet war. Er hatte eine tiefe, heisere Stimme, ein gewinnendes Lächeln, und aus den Fleischbergen blickten kleine, lustige blaue Augen. Seine Haut war rosig wie die eines Säuglings. Gracchus war weniger zynisch als erfahren. Das Rezept der römischen Macht war für ihn nie ein Geheimnis gewesen. Ciceros umständliches Ringen um das, was er für die letzte, bedeutsamste Wahrheit hielt, belustigte ihn. Als Antonius Gajus ihn nach seiner Meinung über Cicero fragte, erwiderte Gracchus kurz: »Ein jugendlicher Greis.« Mit Antonius Gajus stand Gracchus auf bestem Fuße, wie mit vielen Patriziern. Er liebte die Patrizier und beneidete sie. In einer Hinsicht verachtete er sie auch, denn er hielt sie alle für ziemlich dumm und kam nie 196
darüber hinweg, daß sie aus Geburt und Stand offensichtlich so wenig zu machen verstanden. Trotzdem pflegte er die Beziehung zu ihnen. Es gab ihm ein Gefühl des Stolzes und der Freude, auf eine ihrer prächtigen Besitzungen eingeladen zu werden, zum Beispiel in die Villa Salaria. Er tat sich nicht groß und versuchte auch nicht, als Patrizier zu erscheinen. Sein Latein war nicht vornehm und gepflegt wie das ihre, sondern eher die Sprache der Plebejer. Obwohl er es sich durchaus leisten konnte, unternahm er nichts, um eine eigene Plantage zu erwerben. Seine Freunde schätzten seine Erfahrung und seine große Informiertheit. Außerdem wirkte sein gewaltiger Umfang zuverlässig und beruhigend. Antonius Gajus hatte ihn gern, weil er sich in keiner Weise von moralischen Urteilen beeinflussen ließ. Er sprach oft von Gracchus als dem einzigen völlig aufrichtigen Mann, den er je kennengelernt habe. An diesem Abend entging Gracchus wenig von dem, was sich abspielte. Er wog und prüfte alles, ohne jedoch zu urteilen. Für Gajus empfand er lediglich Verachtung. Der große, reiche General Crassus belustigte ihn, und über Cicero sagte er zu seinem Gastgeber: »Er hat alles, nur kein Format. Ich glaube, er würde seiner Mutter die Kehle durchschneiden, wenn es ihm nützlich wäre.« »Aber der Fall Cicero ist doch gar nicht so wichtig.« »Genau. Deshalb wird er auch stets versagen. Man braucht ihn nicht zu fürchten, denn man kann ihn nicht bewundern.« Das war eine äußerst treffende Bemerkung Antonius Gajus gegenüber, den man durchaus bewundern konnte, obwohl seine sexuellen Neigungen und Gewohnheiten die eines Zwölfjährigen waren. Gracchus gestand sich selbst ein, daß der Boden, auf dem er stand, nachgab. Seine Welt löste sich auf. Da dies jedoch außerordentlich 197
langsam vor sich ging, und da er selbst ja keineswegs unsterblich war, sah er keine Veranlassung zur Selbsttäuschung. Er konnte den Ablauf verfolgen, ohne Partei zu ergreifen, denn das hatte er nicht nötig. An jenem Abend blieb er wach, nachdem alle anderen zu Bett gegangen waren. Er schlief wenig und schlecht. So begab er sich jetzt ins Freie. Die Frage, wer mit wem heute nacht das Bett teilen würde, hätte er ziemlich genau beantworten können. Doch das berührte ihn nicht weiter. Das war eben Rom. Nur ein Narr täuschte sich darüber. Unterwegs sah er Julia auf einer steinernen Bank sitzen. Sie war traurig und erschrocken über ihre eigene Unzulänglichkeit sowie über die Art, wie man sie zurückgewiesen hatte. Er wandte sich zu ihr. »Wir lieben beide die Nacht«, sagte er. »Ist es nicht wunderbar heute?« »Wenn man in Stimmung ist.« »Bist du es nicht, Julia?« Er strich über die Falten seiner Toga. »Darf ich mich ein wenig zu dir setzen?« »Bitte.« Eine Weile schwieg er. Die vom Mondschein übergossene Schönheit der Anlagen, des großen weißen Hauses, das sich so harmonisch in die Büsche und Sträucher einfügte, der Terrasse, der Springbrunnen, der matt schimmernden Statuen, der Arkaden mit ihren Bänken aus blaßrotem und tiefschwarzem Marmor entzückte ihn. Schließlich sagte er: »Das alles sollte uns doch zufrieden machen, Julia.« »Ja, es scheint so.« Er war der Freund und Gast ihres Mannes. »Es ist ein Vorzug, Römer zu sein«, bemerkte er. »Du sagst nur in meiner Gegenwart solch dumme Plattheiten«, erwiderte Julia ruhig. »Tatsächlich?« 198
»Ich glaube schon. Hast du je von Varinia gehört?« »Varinia?« »Kannst du dich eigentlich auch einmal äußern, ohne es dir mindestens fünfmal überlegt zu haben? Ich will gar nicht besonders schlau sein, mein Lieber.« Sie legte die Hand auf seine große Pranke. »Ich kann es gar nicht. Varinia war die Frau des Spartacus.« »Ja, ich habe von ihr gehört. Ihr seid hier wirklich von Spartacus besessen. Ich habe heute abend kaum etwas anderes zu Ohren bekommen.« »Er hat die Villa Salaria verschont. Ich weiß nicht, ob ich dafür dankbar sein soll oder nicht? Vermutlich sind es die Strafmale. Ich war noch nicht auf der Straße. Sind sie sehr schrecklich?« »Schrecklich? Ich habe nicht sonderlich darauf geachtet. Sie sind nun einmal da. Das Leben ist billig, und Sklaven sind heutzutage so gut wie nichts wert. Warum hast du mich nach Varinia gefragt?« »Ich habe versucht, an jemanden zu denken, den ich beneide. Sie beneide ich, glaube ich.« »Wirklich, Julia? Ein kleines barbarisches Sklavenmädchen? Soll ich morgen auf dem Markt ein Dutzend ihresgleichen kaufen und hierher schicken lassen?« »Du kannst wohl gar nichts ernst nehmen, Gracchus?« »Es gibt kaum etwas, das es wert wäre. Warum beneidest du sie?« »Weil ich mich selbst hasse.« »Das ist mir zu kompliziert«, brummte Gracchus. »Stelle sie dir doch einmal vor – schmutzig, hustend, spuckend, abgebrochene, dreckige Nägel, das Gesicht mit Pickeln übersät! Das ist deine Sklavenprinzessin. Beneidest du sie noch?« »War sie wirklich so?« Gracchus lachte. »Wer weiß! Politik ist eine Lüge, Ju199
lia. Und die Geschichte ist die Aufzeichnung einer Lüge. Wenn du morgen zur Straße hinuntergehst und dir die Kreuze ansiehst, wirst du die einzige, gültige Wahrheit über Spartacus erfahren. Tod. Weiter nichts. Alles andere ist reine Erfindung. Ich weiß es.« »Ich sehe meine Sklaven an …« »Und du erkennst Spartacus nicht? Natürlich. Mach dir das Herz nicht länger schwer, Julia. Ich bin älter als du. Ich nehme mir das Recht, dir zu raten. Sogar auf die Gefahr hin, mich in etwas einzumischen, das mich nichts angeht. Nimm dir einen jungen Bock aus deinem Sklavenstall …« »Hör auf, Gracchus!« »… und bilde dir ein, es sei Spartacus!« Sie weinte jetzt. Gracchus sah nicht viele Frauen seines Standes in Tränen und kam sich plötzlich ungeschickt und dumm vor. Er fragte vorsichtig, ob er daran schuld sei. Er habe sie doch nicht kränken wollen. »Nein, nein, ich bitte dich, Gracchus. Du bist einer meiner wenigen Freunde. Bleibe es auch weiterhin, obwohl ich eine solche Närrin bin!« Sie trocknete die Augen, entschuldigte sich und ging. »Ich bin sehr müde«, sagte sie. »Bitte, laß mich allein gehen.« II Wie Cicero hatte Gracchus einen Sinn für Geschichte. Der wesentliche Unterschied bestand jedoch darin, daß Gracchus sich nie etwas vormachte im Hinblick auf seine Stellung und seine Rolle. Daher sah er vieles weit, klarer als Cicero. Er saß jetzt allein in der lauen Nacht und dachte über den merkwürdigen Fall nach, daß eine römische Matrone und Patrizierin eine barbarische Sklavin 200
beneidete. Zunächst überlegte er, ob Julia die Wahrheit gesagt hatte. Das nahm er an. Aus irgendeinem Grund wurde der Kern von Julias Tragödie erst durch Varinia sichtbar. Er fragte sich, ob nicht der Sinn ihrer aller Leben ebenfalls in den endlosen Strafmalen an der Appischen Straße zum Ausdruck käme. Gracchus ließ sich nicht durch die Frage der Moral beunruhigen. Er kannte sein Volk und machte sich nichts vor über die sagenumwobene römische Matrone und die römische Familie. Eigenartigerweise war er zutiefst aufgewühlt durch Julias Worte, die ihm nicht aus dem Kopf gingen. Blitzartig erkannte er die Antwort. Er erstarrte und war erschüttert wie kaum je zuvor. Angst vor dem Tode, vor der grauenhaften, undurchdringlichen Finsternis und dem Nichts erfüllte ihn. Denn die Antwort nahm einen großen Teil der zynischen Sicherheit hinweg, die ihn trug, und ließ ihn einsam auf der steinernen Bank zurück, ein fetter, dickbauchiger alter Mann, dessen persönliches Schicksal plötzlich mit einer gewaltigen geschichtlichen Strömung verbunden war. Er sah es ganz klar. Eine Gesellschaft, die sich auf den Rücken von Sklaven aufgebaut hatte, war neuerdings in die Welt gekommen. Ihre Sprache war das Knallen der Peitsche. Was bedeutete es für diejenigen, welche die Peitsche schwangen? Was meinte Julia? Er hatte nie geheiratet. Ein Keim der jetzigen Erkenntnis hatte ihn davon abgehalten, sich eine Frau zu nehmen. So kaufte er Frauen, und die Konkubinen in seinem Haus waren immer da, wenn er sie brauchte. Wie jeder vornehme Mann, den er kannte, besaß auch er eine Reihe von Frauen, und die Ehefrauen wußten das, nahmen es hin und suchten bei den männlichen Sklaven Ausgleich. Es war nicht nur einfache Verderbtheit, sondern ein Ungeheuer, das die Welt umgestürzt hatte. Und die Menschen, die 201
sich für eine Nacht in der Villa Salaria zusammengefunden hatten, waren so besessen von Spartacus, weil er all das verkörperte, was ihnen fehlte. Cicero würde nie begreifen, woher die ethische Kraft dieses geheimnisvollen Sklaven kam, doch er, Gracchus, verstand es. Heim, Familie, Ehre und Tugend, alles Gute und Edle wurde von den Sklaven verteidigt und gehörte ihnen – nicht weil sie gut und edel waren, sondern weil ihre Herren ihnen alles, was heilig war, überantwortet hatten. Wie Spartacus hatte auch Gracchus eine Vision dessen, was sein könnte, und was er in der Zukunft sah, verursachte ihm Kälte, Übelkeit und Angst. Er stand auf, zog die Toga fest um sich und schleppte sich schweren Schrittes in sein Zimmer. Aber er konnte nicht schlafen. Er beschäftigte sich wieder mit Julias Wunsch, weinte wie ein kleiner Junge stumm und tränenlos nach einem Gefährten seiner Einsamkeit und bildete sich schließlich ein, das Sklavenmädchen Varinia teile sein Lager. Die Angst verlieh seinem qualvollen Verlangen nach Tugend Kraft. Seine fetten, beringten Hände streichelten einen Geist auf seinem Laken. Die Stunden verrannen, und er lag wach mit seinen Erinnerungen. Sie alle haßten Spartacus. Das ganze Haus war erfüllt von ihm. Keiner kannte sein Aussehen, seine Gedanken oder sein Wesen, und trotzdem war er hier ebenso gegenwärtig wie in Rom. Es war schiere Einbildung, daß er, Gracchus, von diesem Haß frei sei. Ganz im Gegenteil, sein Haß, den er stets so sorgsam verheimlicht hatte, war leidenschaftlicher, bitterer, giftiger. Während er mit seinen Erinnerungen rang, nahmen diese Gestalt, Form und Farbe an. Er sah sich wieder im Senat sitzen, als Eilboten die Nachricht aus Capua. überbrachten, unter den Gladiatoren in der Schule des Lentu202
lus Batiatus sei es zu einem Aufstand gekommen, der auf die Umgebung übergreife. Er erinnerte sich der Welle von Furcht, die sich im Senat verbreitete, als sie alle auf einmal zu schnattern begannen wie die Gänse, nur weil eine Handvoll Gladiatoren ihre Ausbilder umgebracht hatten. Er erinnerte sich seines Abscheus und wie er aufgestanden war, die Toga um sich schlang, mit einer für ihn typisch gewordenen Handbewegung über die Schulter warf und seine Kollegen andonnerte: »Senatoren! Senatoren! Ihr vergeßt euch!« Sie hielten in ihrem Geschnatter inne und wandten sich ihm zu. »Senatoren, wir haben es mit dem Verbrechen einer Handvoll elender, dreckiger Schlächtersklaven zu tun und nicht mit einem Einfall von Barbaren. Doch selbst wenn es so wäre, dürfte man vom Senat wohl ein anderes Verhalten erwarten. Mir scheint, wir sind uns eine gewisse Würde schuldig!« Sie waren aufgebracht über ihn, und er über sie. Er setzte seinen Stolz darein, nie die Nerven zu verlieren, aber diesmal war es geschehen, und er, ein Mensch niedriger Herkunft und Erziehung, ein Gemeiner, hatte die erhabenste Körperschaft der Welt gedemütigt und beleidigt. »Zum Hades damit!« sagte er bei sich, verließ die Sitzung und ging nach Hause. Jede Minute dieses Tages war in ihm lebendig. Zuerst war er entsetzt. Er hatte gegen seine eigenen geheiligten Verhaltensregeln verstoßen. Er hatte sich gehenlassen und sich Feinde gemacht. Er wandelte durch die Straßen seines geliebten Rom, von Angst gepeinigt vor dem, was er getan hatte. In diese Furcht mischte sich Verachtung für seine Gefährten und ebenso für sich selbst, weil er nicht einmal in diesem Augenblick seine Scheu vor dem Senat und die tiefverwurzelte Verehrung für die Narren, 203
die dort saßen, überwinden konnte. Er erinnerte sich, wie er nach Hause gekommen, sofort in sein Arbeitszimmer gegangen war und seinen Sklaven die einigermaßen ungewöhnliche Anweisung erteilt hatte, ihn allein zu lassen. Seine Sklaven waren durchweg Frauen. Im Gegensatz zu seinen Freunden übertrieb er es jedoch nicht – vierzehn Frauen genügten seinen sämtlichen Bedürfnissen. Er hielt keinen besonderen Harem, wie es Junggesellen häufig taten. Wenn er eine Bettgenossin wünschte, nahm er sich diejenige, die ihm gerade am besten gefiel. Sobald eine seiner Frauen schwanger wurde, verkaufte er sie an einen Plantagenbesitzer, da er keine Störungen in seinem Hause haben wollte. Das erschien ihm weder unmoralisch noch grausam. Er hatte keine Favoritinnen und pflegte gern zu sagen, daß sein Haushalt besser geordnet und friedlicher sei als die meisten anderen. Doch als er jetzt in der Villa Salaria lag und an jenen Tag dachte, bereitete ihm die Erinnerung an seinen Haushalt weder Freude noch Behagen. Ein moralischer Wertmaßstab hatte von ihm Besitz ergriffen, und der Gedanke daran, wie er lebte, verursachte ihm Übelkeit. Dennoch spann er die damaligen Ereignisse weiter aus. Er sah sich deutlich vor sich: ein fetter, großer Mann in einer Toga, der einsam in einem kahlen Raum saß. Es mußte über eine Stunde verstrichen sein, als ein Klopfen an der Tür die Stille unterbrach. »Was gibt es?« fragte er. »Es sind einige Herren da«, erwiderte die Sklavin. »Ich will niemanden sehen.« Wie kindisch er war! »Es sind ›Väter‹ und ehrenwerte Senatoren.« Sie waren also zu ihm gekommen. Er war nicht verloren und aus ihrem Kreis ausgestoßen. Wie war er nur auf diesen Gedanken verfallen? Er lebte wieder. Er sprang auf, riß die Tür auf, ganz der alte Gracchus, sicher, lä204
chelnd, selbstbewußt. »Ich heiße euch willkommen, ihr Herren.« Die Abordnung bestand aus fünf Senatoren. Ihr Erscheinen galt weniger dem augenblicklichen Notstand als vielmehr der Absicht, eine mögliche politische Schwenkung des Gracchus zu verhindern. Ihr Benehmen war daher schroff und tadelnd. »Nun, Gracchus? Hast du das ganze Jahr dagesessen und auf eine Gelegenheit gewartet, uns zu beschimpfen?« »Mir fehlt sowohl der Geist als auch der Anstand, euch in gebührender Form um Verzeihung zu bitten«, entschuldigte sich Gracchus. »Du besitzt beides. Aber das gehört nicht zur Sache.« Er rief nach Stühlen, und sie setzten sich im Kreis um ihn, fünf alte, würdige Männer, eingehüllt in die schneeweißen Togen, die in der ganzen Welt zum Symbol der römischen Herrschaft geworden waren. Er ließ Wein und eine Platte mit Süßigkeiten bringen. Der consularis Caspius machte sich zum Sprecher. Seine Schmeicheleien verwirrten Gracchus, da er in dem ganzen Fall keinen Anlaß zu einer schwerwiegenden Krise zu entdecken vermochte. »Du siehst doch, daß der Aufstand in Capua gewaltige Gefahrenmomente in sich birgt«, sagte Caspius. »Keineswegs«, erwiderte Gracchus geradeheraus. »Wenn man bedenkt, was wir bereits unter Sklavenaufständen gelitten haben …« »Was wißt ihr von diesem Aufstand?« fragte Gracchus jetzt etwas höflicher. »Wie viele Sklaven sind daran beteiligt? Wer sind sie? Wohin sind sie gegangen? Inwieweit gründet sich eure Besorgnis auf Tatsachen?« Caspius beantwortete die Fragen nacheinander. »Wir haben eine ständige Verbindung aufrechterhalten. Anfangs waren nur die Gladiatoren beteiligt. In einem Be205
richt heißt es, daß siebzig entkommen seien. Ein späterer spricht von mehr als zweihundert, Thrakern, Galliern und Schwarzen aus Afrika. Die folgenden Berichte nennen immer höhere Zahlen. Das könnte auf eine Panik zurückzuführen sein. Andererseits dürfte es auf den Latifundien Unruhen gegeben haben. Sie scheinen beträchtlichen Schaden angerichtet zu haben, Einzelheiten liegen jedoch nicht vor. Offenbar gehen sie in Richtung auf den Vesuv vor.« »Nichts weiter als ›es scheint‹«, brummte Gracchus ungeduldig. »Sitzen in Capua denn lauter Idioten, daß sie nicht feststellen können, was in ihrem eigenen Gebiet geschieht? Sie haben doch eine Garnison. Warum hat sie nicht der ganzen Sache ein schnelles, nachdrückliches Ende bereitet?« Caspius sah ihn kühl an. »Sie hatten nur eine Kohorte in Capua.« »Eine Kohorte! Wieviel Truppen braucht ihr denn, um ein paar verwahrloste Gladiatoren zu erledigen?« »Du weißt so gut wie ich, was in Capua vor sich gegangen sein muß.« »Ich habe keine Ahnung, aber ich kann es mir vorstellen. Der Garnisonskommandant dürfte wohl von jenem dreckigen lanista, der dort sein Gewerbe betreibt, bezahlt werden. Zwanzig Soldaten hier, ein Dutzend dort. Wie viele waren überhaupt in der Stadt?« »Zweihundertfünfzig. Es besteht aber kein Grund, aufzutrumpfen, Gracchus. Die Truppen wurden von den Gladiatoren geschlagen. Und das ist eben das Beunruhigende. Wir sind der Meinung, die Stadtkohorten sollten sofort in Marsch gesetzt werden.« »Wieviel?« »Mindestens sechs Kohorten, das heißt dreitausend Mann.« 206
»Wann?« »Unverzüglich.« Gracchus schüttelte den Kopf. Genau das hatte er erwartet. Er überlegte sehr genau, was er sagen sollte. Alles, was er von Sklavenmentalität wußte oder gehört hatte, fiel ihm ein. »Tut es nicht!« Er hatte die Gewohnheit, ihnen zu widersprechen. Alle erkundigten sich nach seinen Gründen. »Weil ich kein Vertrauen zu den Stadtkohorten habe. Überlaßt die Sklaven vorerst ruhig sich selbst. Sie sollen ein bißchen Schimmel ansetzen. Schickt keine Stadtkohorten.« »Wen denn?« »Ruft eine der Legionen zurück.« »Aus Spanien? Und Pompejus?« »Zum Hades mit Pompejus! Gut, laßt Spanien aus dem Spiel. Holt die Dritte aus Gallia Cisalpina. Aber ohne Überstürzung. Es geht hier nur um Sklaven, um eine Handvoll Sklaven. Das ist gar nichts, wenn ihr es nicht dazu macht …« So stritten sie hin und her. Gracchus durchlebte die Auseinandersetzung in Gedanken von neuem und sah sie vor sich, wie sie in ihrer unglaublichen Angst vor dem Sklavenaufstand beschlossen, sechs Stadtkohorten zu entsenden. Er schlief nur wenig und erwachte bei Tagesanbruch. Dann nahm er sein Morgenwasser und Früchte mit auf die Terrasse, um dort zu frühstücken.
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III Das Tageslicht lindert die Ängste und Nöte des Menschen und wirkt vielfach wie Balsam. Als Gracchus nun auf der Terrasse saß, in eine frische, schneeweiße Toga gehüllt, das dicke, fleischige Gesicht heiter und zuversichtlich, bot er das Bild eines römischen Senators, wie er sein soll. Man hat damals und auch später oft behauptet, es sei nie eine erlesenere, vornehmere und weisere Gruppe von Männern zu gesetzgeberischen Debatten versammelt gewesen als der Senat der Republik Rom. Wenn man Gracchus betrachtete, war man geneigt, das zu glauben. Zwar war er von niederer Herkunft, und in seinen Adern floß das Blut höchst zweifelhafter Vorfahren, aber er war sehr reich. Es gehörte zu den Vorzügen der Republik, daß sie den Menschen selbst genauso wertete wie seine Familie. Allein die Tatsache, daß die Götter ihm Reichtum geschenkt hatten, war ein Beweis für seine angeborenen Fähigkeiten. Die anderen gesellten sich bald zu Gracchus. Es war eine außergewöhnliche Gruppe von Menschen, die sich in der Villa Salaria versammelt hatte und das Bewußtsein ihrer einmaligen Bedeutung genoß. Das sicherte die Ungezwungenheit und bestätigte ihr Vertrauen zu Antonius Gajus, der nie den Fehler beging, Menschen zusammenzubringen, die nicht zueinander paßten. Für die Verhältnisse auf dem Lande waren sie indessen gar nicht so ungewöhnlich. Zwar befanden sich zwei der reichsten Menschen der Welt darunter, ferner eine junge Frau, die später eine bekannte Hure der Geschichte wurde, ein junger Mann, dessen wohlberechnete, kalte Intrigen und Verschwörungen ihn auf Jahrhunderte berühmt machten, sowie ein anderer, dem seine Entartung zu einer zweifelhaften Berühmtheit verhalf. Sonst aber hätte man fast jederzeit 208
ähnliche Leute in der Villa Salaria antreffen können. Sie gruppierten sich um Gracchus, der als einziger eine Toga trug. Es wurde über dies und jenes geredet, wobei sie stets auf Wirkung bedacht waren. Als sie über Bildhauerei sprachen, vertrat Cicero, wie nicht anders zu erwarten, einen offiziellen Standpunkt. »Ich habe genug von diesem ganzen Geschwätz über die Griechen. Haben sie denn irgend etwas geleistet, was die Ägypter nicht bereits tausend Jahre vorher vollbracht hätten? In beiden Fällen handelt es sich um eine besondere Art von Degeneration, um Völker, die unfähig sind, zu wachsen oder zu herrschen. In ihrer Bildhauerei zeigt sich das deutlich. Ein römischer Künstler stellt zumindest die Wirklichkeit dar.« »Die kann aber sehr langweilig sein«, widersprach Helena. Von Gracchus erwartete man, daß er für sich jegliches Kunstverständnis ableugnen würde. Er erklärte jedoch: »Ich weiß, was mir gefällt.« Tatsächlich war er recht beschlagen in Kunstdingen. Crassus hatte keine ausgespochene Meinung, wie in so vielen anderen Fragen auch. Aber er war ein guter General. Dennoch ärgerte er sich über Ciceros selbstsichere Behauptung. Es war höchst einfach, über Degeneration zu reden, wenn man nicht gegen die sogenannten Degenerierten zu kämpfen hatte. »Ich muß gestehen, daß ich die griechischen Bildwerke sehr gern mag«, bemerkte Antonius Gajus. »Sie sind preiswert und sehr hübsch, sobald die Farbe abgegangen ist. Natürlich findet man diese alten Stücke ohne jede Farbe überall, aber in einem Garten machen sie sich gut, und da gefallen sie mir am besten.« »Dann hättest du die Monumente des Spartacus kaufen sollen, bevor unser Freund Crassus sie zertrümmerte«, erwiderte Cicero lächelnd. 209
»Monumente?« fragte Helena. »Sie mußten zerstört werden«, entgegnete Crassus kühl. »Was denn für Monumente?« »Wenn ich mich nicht irre, hat Gracchus diesen Befehl unterzeichnet«, sagte Cicero. »Du irrst dich doch nie, junger Mann«, brummte Gracchus. »Du hast völlig recht. Es waren zwei große Monumente aus Vulkangestein, die Spartacus am östlichen Abhang des Vesuvs errichten ließ. Ich habe sie zwar nie gesehen, aber den Befehl zu ihrer Zerstörung unterzeichnet.« »Wie konntest du das nur?« fragte Helena. »Weshalb denn nicht? Wenn der schmutzige Abschaum sich ein Denkmal errichtet, muß man es beseitigen!« »Wie sahen sie aus?« erkundigte sich Claudia. Gracchus schüttelte den Kopf. Daß sich die Geister der Sklaven und ihres Führers in jedes Gespräch drängten, entlockte ihm ein mitleidiges Lächeln. »Ich habe sie nie gesehen. Crassus jedoch sehr wohl. Frage ihn.« »Ich kann kein künstlerisches Urteil darüber abgeben«, sagte Crassus. »Aber die beiden Standbilder machten einen ganz ordentlichen Eindruck. Das eine stellte einen Sklaven da, etwa fünfzig Fuß hoch. Er hatte die Beine gespreizt und seine Ketten gesprengt, so daß sie lose herunterhingen. Mit einem Arm drückte er ein Kind an die Brust, und in der anderen Hand hielt er ein spanisches Schwert. Man könnte das Ganze etwa als einen Koloß bezeichnen. Soweit ich es beurteilen kann, war es eine sehr gute Arbeit, aber ich bin, wie gesagt, kein Kunstkenner. Das zweite Monument war nicht so groß, die Figuren nur etwa zwanzig Fuß hoch, jedoch ebenfalls gut ausgeführt. Es stellte drei Gladiatoren dar, einen Thraker, 210
einen Gallier und einen Afrikaner, der interessanterweise aus schwarzem Stein gemeißelt war. Die beiden anderen waren weiß. Der Afrikaner stand in der Mitte, etwas größer als die übrigen, und hielt seinen Dreizack mit beiden Händen umklammert. Der Thraker an seiner einen Seite hatte das Messer gepackt, der Gallier an der anderen das Schwert. Eine wirklich schöne Arbeit, man konnte deutlich erkennen, daß sie gekämpft hatten, denn sie waren an Armen und Beinen schwer verwundet. Hinter ihnen stand eine Frau, stolz aufgerichtet, und es heißt, daß sie Varinia darstellen sollte. In der einen Hand hielt sie eine Maurerkelle, in der anderen eine Hacke. Ich muß gestehen, daß ich nie ganz verstanden habe, was das bedeuten sollte.« »Varinia?« fragte Gracchus leise. »Warum mußtest du sie zerstören?« erkundigte sich Helena. »Hätte man ihre Monumente stehenlassen können?« entgegnete Gracchus. »Hätte man sie dort lassen sollen, damit jeder daraufweist und sagt: ›Das haben die Sklaven geschaffen.‹?« »Rom ist stark genug, um sich das leisten zu können und sogar auf sie zu zeigen«, erklärte Helena. »Hübsch gesagt!« bemerkte Cicero. Aber Crassus dachte daran, wie es damals gewesen war, als zehntausend seiner besten Soldaten auf dem blutigen Schlachtfeld lagen und die Sklaven abzogen wie ein wütender Löwe, der nur gereizt, jedoch kaum verwundet ist. »Wie sah das Standbild der Varinia aus?« fragte Gracchus und bemühte sich, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. »Ich kann mich nicht mehr recht erinnern. Sie sah wie eine Germanin oder Gallierin aus, langes Haar, loses Gewand und all das. Das Haar geflochten und aufgebun211
den. Ein schöner Busen, überhaupt eine gut gewachsene, kräftige Frau wie alle diese Germaninnen, die heutzutage auf dem Markt so begehrt sind. Natürlich weiß man nicht, ob es wirklich Varinia war oder nicht. Wie bei dem ganzen Fall Spartacus haben wir so gut wie keine Ahnung. Es sei denn, man nimmt das Gerede ernst. Ich weiß nur das über Varinia, was mir der dreckige alte lanista Batiatus erzählt hat, und das war recht wenig. Nur einmal ist ihm der Mund übergelaufen. Sie muß demnach sehr reizvoll gewesen sein …« »Und das hast du auch zerstört!« sagte Helena vorwurfsvoll. Crassus nickte. Er ließ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen. »Ich war Soldat, meine Liebe, und führte die Anweisungen des Senats aus. Du wirst hören, der Sklavenkrieg sei eine geringfügige Sache gewesen. Das ist nur natürlich, denn Rom hätte wenig davon, wenn es in aller Welt verbreitet würde, wieviel Arbeit uns die paar Sklaven gemacht haben. Aber hier, unter uns, können wir offen reden. Noch nie war jemand so nahe daran, Rom zu zerstören, wie Spartacus. Niemand hat es je so schwer getroffen. Ich möchte mich nicht hervortun. Mag Pompejus als der Held gelten – Sklaven niederzuwerfen, ist nicht besonders ruhmreich. Dennoch bleibt die Wahrheit bestehen. Die Strafmale sind zweifellos abstoßend, aber denke dabei daran, wie mir zumute war, als ich die besten Truppen Roms überall fallen sah. So schreckte ich nicht davor zurück, ein Monument zu zerstören, das Sklaven geschaffen hatten. Es bereitete mir im Gegenteil eine gewisse Genugtuung. Wir haben die Bildwerke gründlich vernichtet und in Schutt verwandelt, so daß keine Spur davon zurückblieb. Und genauso haben wir Spartacus und sein Heer zerstört. Desgleichen müssen wir unbedingt die Erinnerung an das, was er getan hat, 212
auslöschen. Ich bin ein einfacher Mensch und nicht besonders klug, das aber weiß ich. Die Weltordnung will es, daß einige herrschen und einige dienen. So haben es die Götter bestimmt, und so soll es auch sein.« Crassus besaß die Gabe, Leidenschaft zu erwecken, ohne auch nur im mindesten selber beteiligt zu sein. Seine schönen, starken, soldatischen Züge verliehen seinen Worten Nachdruck. Er verkörperte in jeder Beziehung den ehernen Falken der Republik! Gracchus beobachtete ihn aus halb geschlossenen Augen. Er saß ruhig da und musterte jeden einzelnen eingehend – den schmalgesichtigen, beutegierigen Cicero, den jungen Gecken Gajus, Helena, die schweigsame, leidende und ein wenig lächerliche Julia, die glatte, befriedigte Claudia, Antonius Gajus und Crassus. Er beobachtete sie alle, hörte zu und dachte wieder daran, wie ihm die Abordnung der Senatoren nach Hause gefolgt war. Damals hatte es angefangen, als die sechs Kohorten entsandt wurden. Und dieser Anfang würde ebenso in Vergessenheit geraten wie das Ende. Sofern das Ende nicht noch bevorstand … IV Anfangs hatte der Senat entschieden, sechs Stadtkohorten nach Capua zu entsenden, um den Sklavenaufstand niederzuwerfen. Gracchus hatte sich dem Beschluß widersetzt, und bis zu einem gewissen Grade wurde er nur durchgeführt, um ihm etwas Bescheidenheit beizubringen. Im Licht der folgenden Ereignisse erinnerte sich Gracchus dieser Absicht mit ein wenig bitterer Genugtuung. Jede Stadtkohorte bestand aus fünfhundertsechzig Sol213
daten, die wie der durchschnittliche Legionär bewaffnet waren, nur besser und teurer. Sie trugen schöne Uniformen und waren keineswegs schlecht ausgebildet. Allerdings waren sie keine Legionen, und es ist durchaus zweierlei, ob man eine Menge verzweifelter, hungriger Arbeitsloser niederschlägt, einen politischen Streit in den engen Straßen der Stadt austrägt oder ob man gegen Spanier, Gallier, Germanen, Thraker, Juden und Afrikaner kämpft. Hier handelte es sich jedoch nur um eine Handvoll rebellischer Sklaven, und sechs Stadtkohorten umfaßten immerhin mehr als dreieinhalbtausend Soldaten. Selbst Gracchus pflichtete dem teilweise bei. Aus prinzipiellen Erwägungen heraus sah er es allerdings nicht gern, wenn sich die Kohorten weiter als einen Tagesmarsch von den Stadtmauern entfernten. Aber es gab insgesamt siebenundzwanzig Kohorten, und auch Gracchus gestand zu, daß sie ihre Aufgabe erfüllen könnten. Die sechs Kohorten rückten am Tag nach dem Senatsbeschluß bei Morgengrauen aus. Den Befehl führte ein junger Senator, Varinius Glabrus, dem das Insignium eines Legaten als unmittelbarem Bevollmächtigten des Senats übertragen worden war. Rom hatte zwar keinen Mangel an älteren Männern mit jahrelanger militärischer Erfahrung. Aber es wurde seit Jahren von einem inneren Machtkampf zerrissen, so daß sich der Senat sehr wohl hütete, einem Außenstehenden militärische Befugnisse in die Hand zu geben. Varinius Glabrus war eitel, ziemlich dumm und politisch zuverlässig. Er war damals neununddreißig und hatte durch seine Mutter ausgezeichnete Familienbeziehungen. Er war nicht sonderlich ehrgeizig, und sowohl er als auch seine Familie begrüßten diese Ernennung, weil sie Gelegenheit bot, ohne Risiko beträchtlichen Ruhm zu ernten. Mit 214
seiner Wahl bestärkte die Senatsmehrheit ihre Position durch einen großen Teil der patrizischen Bevölkerung. Die ihm unterstellten Offiziere würden schon das militärisch Notwendige tun. Hinsichtlich der wenigen Entscheidungen, die er selbst zu treffen hatte, waren ihm sorgfältige, ausführliche Anweisungen erteilt worden. Er sollte seine Leute in ruhigem Marschtempo, das heißt in Tagesabschnitten von jeweils zwanzig Meilen, nach Capua führen. Die ganze Strecke verlief über die Appische Straße, so daß Lebensmittel und Wasser, die der gewöhnliche Legionär auf dem Rücken tragen mußte, in Wagen mitgeführt werden konnten. Die Männer sollten außerhalb der Stadtmauern von Capua lagern, während er selbst höchstens einen Tag in der Stadt bleiben sollte, um Informationen über den Fortgang des Sklavenaufstandes zu sammeln und Pläne zu dessen Unterdrückung auszuarbeiten. Diese Pläne sollte er dann dem Senat unterbreiten, jedoch bereits an die Ausführung gehen, ohne die Bestätigung aus Rom abzuwarten. Er sollte mit den Sklaven verfahren, wie er es für notwendig hielt, aber alles daransetzen, die Führer des Aufstandes gefangenzunehmen und sie nebst den anderen zur öffentlichen Aburteilung und Bestrafung nach Rom zu bringen. Falls die Behörden von Capua Strafmale verlangten, erhielten sie das Recht, zehn Sklaven außerhalb der Stadt zu kreuzigen, jedoch nur, wenn diese Zahl weniger als die Hälfte der Gefangenen ausmachte. Auf ausdrücklichen Befehl des Senats verfielen diesem sämtliche Eigentumsrechte an den Sklaven, und Varinius war angewiesen, keine derartigen Ansprüche zu berücksichtigen. Allerdings konnten entsprechende Anträge entgegengenommen und dem zuständigen Ausschuß übermittelt werden. Damals hatte man in Rom noch nicht die leiseste Ahnung, wer den Aufstand führte. Der Name Spartacus war 215
völlig unbekannt. Ebensowenig wußte man, wie es überhaupt zur Revolte in der Schule des Batiatus gekommen war. Die Stadtkohorten traten bei Tagesanbruch an, ihr Abmarsch verzögerte sich jedoch, da sich die Offiziere nicht über die Reihenfolge einigen konnten. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sie endlich ausrückten. Der aufreizende Klang ihrer Trommeln und Pfeifen schallte durch die Stadt, und an den Toren erwartete sie eine große Menschenmenge. Gracchus erinnerte sich sehr genau daran. Er stand mit zwei anderen Senatoren an den Stadttoren. Es war ein herrlicher Anblick – die Kapelle spielte, die Fahnen flatterten, die Standarten wehten, die Federbüsche auf den Helmen der Soldaten wippten, und Varinius ritt auf einem Schimmel an der Spitze und winkte der Menge zu, die ihm zujubelte. Es gibt nichts Erregenderes auf der Welt als den Aufmarsch gut gedrillter Soldaten. V So erfuhr der Senat den Namen des Spartacus, und Gracchus konnte sich daran erinnern, wie er ihn zum erstenmal aussprechen hörte. Varinius hatte ihn ganz nebenbei in dem Bericht erwähnt, den er durch Eilboten aus Capua an den Senat sandte. Es handelte sich dabei um kein sonderlich aufregendes Dokument. Nach den üblichen Eingangsfloskeln schilderte er die wenigen Ereignisse des Marsches über die Appische Straße sowie die Informationen, die er in Capua gesammelt hatte. Der wichtigste Zwischenfall bestand darin, daß die Soldaten, die bronzene Beinschienen trugen, schmerzende Wunden auf dem Spann bekommen hatten. Varinius hatte entschieden, sie sollten die Beinschienen abnehmen, die auf 216
einem Wagen nach Rom zurückgeschickt wurden. Die Offiziere der betroffenen Kohorten erblickten darin einen Angriff auf ihre Ehre und eine Beleidigung ihrer Leute. Sie meinten, das Ganze ließe sich mit ein wenig Fußsalbe heilen. Varinius gab nach, und so mußten über hundert Mann als dienstuntauglich in Capua bleiben. Einige hundert andere humpelten, wurden jedoch für fähig befunden, am Feldzug gegen die Sklaven teilzunehmen. Bei dem Wort »Feldzug« zuckte Gracchus zusammen. Hinsichtlich des Aufstandes schwankte Varinius offenbar zwischen dem Wunsch, die Tatsachen zu berichten, und der Gelegenheit, sich selbst ins rechte Licht zu setzen, was bedeutete, daß er sie aufbauschen mußte. Er flocht eine Erklärung des Batiatus über die Hintergründe des Aufstandes ein und bemerkte dazu: »Es hat den Anschein, daß er von einem Thraker namens Spartacus und einem Gallier, Crixus, geführt wird.« Beide waren Gladiatoren, man konnte dem Bericht jedoch unmöglich entnehmen, wie viele Gladiatoren beteiligt waren. Varinius verbreitete sich dann in Einzelheiten über drei Plantagen, die in Brand gesteckt worden waren. Die dortigen Sklaven seien ihren Herren zweifellos treu ergeben, jedoch unter Todesandrohung gezwungen worden, sich den aufständischen Sklaven anzuschließen. Wer sich geweigert habe, sei sofort getötet worden. Gracchus nickte. Das war die einzige Art, es darzustellen. Zwei Plantagenbesitzer hatten in Capua Zuflucht gesucht, waren jedoch von den Gladiatoren abgefangen und erschlagen worden. Ihre Sklaven wurden gezwungen, sich dem Aufstand anzuschließen. Außerdem waren zahlreiche unzufriedene Sklaven der Gegend zu den Rebellen übergelaufen. Varinius zählte dann eine lange Reihe von Gewalttaten auf, die angeblich von den Skla217
ven begangen worden waren, und fügte drei Protokolle bei, in denen weitere Greueltaten der Sklaven aufgeführt wurden. Er schloß mit der Mitteilung, seines Wissens hätten die Sklaven ihr Hauptquartier an den Felshängen des Vesuvs aufgeschlagen. Er wollte sofort dorthin marschieren und sie dem Willen des Senats unterwerfen. Der Senat erhielt und bestätigte seinen Bericht. Ferner wurde eine Entschließung eingebracht und verabschiedet, daß etwa achtzig Sklaven, die eigentlich für die Bergwerke bestimmt waren, öffentlich bestraft werden sollten, damit »ihr Schicksal allen Sklaven in der urbs als Lehre und Warnung dienen möge«. Die Bedauernswerten wurden noch am gleichen Tag im Circus Maximus während einer Pause gekreuzigt. In den nächsten sechs Tagen hörte man nichts mehr von Varinius und den Stadtkohorten. Dann traf ein kurzer Bericht ein. Die Stadtkohorten waren von den Sklaven geschlagen worden. Nähere Angaben fehlten. Der Senat und die ganze Stadt warteten vierundzwanzig Stunden voller Spannung. Alles sprach über den neuen Sklavenaufstand, doch niemand wußte etwas. Furcht und Grauen hingen über der Stadt. VI Der Senat tagte vollzählig hinter verschlossenen Türen. Draußen sammelte sich die Menge und wuchs ständig an, bis der Platz überfüllt und die Zugangsstraßen verstopft waren. Überall schwirrten Gerüchte umher, denn der Senat kannte jetzt das Schicksal der Stadtkohorten. Nur einer oder zwei Sitze waren leer. In der Erinnerung stellte Gracchus fest, daß der Senat in solchen Augen218
blicken der Krise und der bitteren Erkenntnis sich von seiner besten Seite zeigte. In den Augen der alten Männer, die schweigsam dasaßen, spiegelten sich Entschlossenheit und Furchtlosigkeit, und die Gesichter der jüngeren waren hart und zornig. Alle jedoch waren sich zutiefst der Würde des römischen Senats bewußt. Gracchus kannte diese Männer. Er wußte, mit welch billigen, verworfenen Mitteln sie ihre Sitze gekauft hatten und was für ein schmutziges politisches Spiel sie trieben. Trotz alledem war er stolz und froh, in ihren« Reihen zu sitzen. Er war außerstande, jetzt Schadenfreude über seinen persönlichen Sieg zu empfinden, der sich nicht von der augenblicklichen Situation trennen ließ. So wählten sie ihn zum senator inquaesitor, und er machte sich frei von seinem eigenen kleinen Triumph, um ihr Leid auf sich zu nehmen. Er stand vor ihnen und sah den römischen Soldaten an, der zurückgekehrt war. Ein schmalgesichtiger, dunkeläugiger Mann, geduckt und verängstigt. Das eine Auge zuckte, und die Zunge fuhr immer wieder unruhig über die Lippen. Er trug noch den Harnisch, aber keine Waffen, wie es sich vor dem Senat gehört, war rasiert und zumindest teilweise gewaschen. Der eine Arm war mit einem blutgetränkten Verband umwickelt. Gracchus tat etwas Ungewöhnliches. Bevor er mit dem Verhör begann, ließ er Wein bringen und dem Soldaten hinstellen. Der Mann war sehr müde und schwach, und Gracchus wollte verhüten, daß er ohnmächtig würde. Der Soldat hielt den kleinen Elfenbeinstab des Legaten in den Händen, der – wie es hieß – mehr Macht verkörperte als eine eindringende Armee, der Symbol für die Würde und Stärke des Senats war. »Gib ihn mir«, begann Gracchus. Der Soldat verstand ihn zunächst nicht. Gracchus nahm ihm nun den Stab aus der Hand und legte ihn auf den 219
Altar. Es schnürte ihm die Kehle zu, und sein Herz schmerzte. Jetzt fragte er den Soldaten: »Wie heißt du?« »Aralus Porthus.« »Porthus?« »Aralus Porthus«, wiederholte der Soldat. Ein Senator legte die Hand ans Ohr und sagte: »Lauter. Er soll lauter sprechen, ich kann nichts verstehen.« »Sprich lauter«, befahl Gracchus. »Hier hast du nichts zu fürchten. Du bist in der geweihten Kammer des Senats, um bei den unsterblichen Göttern die volle Wahrheit zu berichten. Sprich laut!« Der Soldat nickte. »Trink ein wenig Wein«, sagte Gracchus. Der Soldat sah von einem zum anderen, die Reihen der unbewegten, weißgekleideten Männer entlang, die wie Standbilder auf ihren steinernen Sitzen thronten. Dann füllte er mit zitternder Hand den Becher, bis er überlief, stürzte ihn hinunter und fuhr sich wieder mit der Zunge über die Lippen. »Wie alt bist du?« fragte Gracchus. »Fünfundzwanzig.« »Und wo bist du geboren?« »Hier, in der urbs.« »Hast du einen Beruf?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Bitte antworte auf jede Frage. Ich bitte dich, mindestens ja oder nein zu sagen. Wenn du mehr zu berichten hast, tue es.« »Nein – ich habe außer dem Krieg keinen Beruf.« »Bei welcher Truppe warst du?« »Bei der Dritten Kohorte.« »Und wie lange hast du dort gedient?« »Zwei Jahre und zwei Monate.« 220
»Und davor?« »Habe ich von der Unterstützung gelebt.« »Wer war dein Befehlshaber bei der Dritten?« »Silvius Gajus Salvarius.« »Und dein Centurio?« »Marius Gracchus Alvio.« »Sehr gut, Aralus Porthus. Nun bitte ich dich, mir und den hier versammelten edlen Senatoren genau zu erzählen, was geschah, nachdem deine und die übrigen fünf Kohorten von Capua nach Süden marschiert waren. Du sollst es mir offen und klar berichten. Nichts, was du hier sagst, wird gegen dich verwendet werden. In dieser geweihten Kammer kann dir nichts Böses widerfahren.« Dem Soldaten fiel es immer noch schwer, zusammenhängend zu sprechen. Jahre später erinnerte sich Gracchus deutlicher an die scharfen, beklemmenden Bilder, die der Soldat heraufbeschwor, als an die Worte selbst. Es war keine sehr zufriedene, fröhliche Truppe, die unter der Führung des Varinius Glabrus von Capua nach Süden marschiert war. Es war für die Jahreszeit sehr heiß geworden, und die Stadtkohorten, die an lange Märsche nicht gewöhnt waren, litten furchtbar. Zwar trugen sie zwanzig Pfund weniger Marschgepäck als die Legionäre, hatten jedoch immerhin den Helm, die Rüstung, den Schild, den Speer und das Schwert zu schleppen. Das heiße Metall scheuerte sie wund, und sie mußten feststellen, daß die weichen, schönen Paradestiefel auf der Straße und im Gelände wenig zweckmäßig waren. Nachmittags wurden sie von Regenschauern durchweicht, und abends waren sie mürrisch und verdrossen. Gracchus konnte sich sehr gut vorstellen, wie die lange Marschkolonne sich jetzt auf einem sandigen Feldweg mühsam dahinschleppte. Dort ergriffen sie vier Feldsklaven und töteten sie – drei Männer und eine Frau. 221
»Warum habt ihr sie getötet?« unterbrach Gracchus. »Weil wir das Gefühl hatten, daß jeder Sklave in der Gegend gegen uns war.« »Wenn sie gegen euch waren, warum kamen sie dann von den Hügeln herunter zur Straße, um die Kolonnen vorbeimarschieren zu sehen?« »Ich weiß es nicht. Es ist in der Zweiten Kohorte gewesen. Sie verließen die Reihen und ergriffen die Frau. Die Männer versuchten sie zu schützen, und wurden dabei von den Speeren durchbohrt. Es dauerte nur eine Minute bis sie tot waren. Als ich hinkam …« »Du willst damit sagen, daß deine Kohorte ebenfalls die Marschordnung durchbrach?« fragte Gracchus. »Ja. Die ganze Truppe. Wir standen herum und sahen zu. Sie rissen ihr die Kleider herunter und hielten sie nackt mit gespreizten Armen und Beinen am Boden fest. Dann, einer nach dem anderen …« »Du brauchst das nicht in Einzelheiten zu schildern«, unterbrach Gracchus. »Haben eure Offiziere eingegriffen?« »Nein.« »Du meinst, sie ließen das zu, ohne einzuschreiten?« Der Soldat stand einen Augenblick schweigend da. »Ich möchte, daß du die Wahrheit sagst. Ich bitte dich, keine Angst davor zu haben.« »Die Offiziere haben nicht eingegriffen.« »Wie wurde die Frau getötet?« »Sie starb an dem, was sie ihr antaten«, erwiderte der Soldat leise. Er wurde wieder gebeten, lauter zu sprechen, denn seine Stimme war fast unhörbar geworden. Er erzählte, wie sie in jener Nacht ihr Lager aufschlugen. Zwei Kohorten hatten nicht einmal die Zelte aufgestellt. Es war warm, und die Soldaten schliefen auf freiem Feld. Hier wurde er abermals unterbrochen. 222
»Hat dein Kommandant den Versuch unternommen, ein befestigtes Lager zu errichten? Weißt du, ob er das getan hat oder nicht?« »Ich weiß nur, was die Leute gesagt haben.« »Erzähle uns das.« »Sie sagten, Varinius Glabrus habe es gewollt, aber die Kohortenführer seien dagegen gewesen. Doch selbst wenn sie sich geeinigt hätten, wären ja keine Bautruppen dagewesen. Das Ganze sei ohne Sinn und Verstand geplant worden. Sie sagten – bitte, der hohe …« »Erzähle uns ohne Furcht, was sie sagten!« »Ja, sie sagten, das Unternehmen sei ohne Sinn und Verstand geplant worden. Die Offiziere hielten dem entgegen, daß eine Handvoll Sklaven keine Gefahr darstelle. Es wurde bereits dunkel. Wie ich hörte, sollen die Offiziere erklärt haben, warum Varinius Glabrus uns denn bis in die Nacht hinein marschieren lasse, wenn er ein befestigtes Lager errichten wollte. Die Männer sagten dasselbe. Es war der schlimmste Marsch, den wir in der ganzen Zeit gehabt hatten. Zuerst auf den staubigen Wegen, auf denen wir nicht atmen konnten, und dann im strömenden Regen. Für die Offiziere auf ihren Pferden spiele es ja keine Rolle, hieß es, wir aber müßten zu Fuß gehen. Dagegen wurde eingewandt, solange wir die Wagen mit unserem Gepäck bei uns hätten, müßten wir so weit marschieren, wie wir könnten.« »Wo wart ihr zu diesem Zeitpunkt?« »In der Nähe des Berges …« Dort schlugen sie ihr Lager auf, und Varinius gab den Offizieren in der Frage der Befestigung nach. Die Kohortenführer wiesen darauf hin, daß sie über dreitausend schwerbewaffnete römische Soldaten bei sich hätten. Bestand da die Gefahr eines Angriffs? Selbst bei Beginn des Aufstandes waren es doch nur zweihundert Gladiato223
ren gewesen, von denen viele getötet wurden. Und die Männer waren müde. Einige legten sich ins Gras und schliefen sofort ein. Ein paar Kohorten schlugen Zelte auf und versuchten, geordnete Lagerstraßen anzulegen. Die meisten entfachten Feuer zum Abkochen, aber da reichlich Brot in den Gepäckwagen vorhanden war, verzichteten manche auch darauf. So sah das Lager aus, das im Schatten des Berges errichtet wurde. Varinius hatte sein Zelt in der Mitte aufstellen lassen. Die Bevölkerung Capuas hatte ihnen große Körbe mit erlesenen Leckerbissen mitgegeben. Er setzte sich mit den höheren Offizieren zum Essen. Vielleicht war er ganz zufrieden darüber, daß ihm die mühevolle Aufgabe, Befestigungen anzulegen, erspart blieb. Schließlich war dieser Feldzug gar nicht so schlecht – Ehre, möglicherweise ein wenig Ruhm, und alles nur ein paar Tagesmärsche von der großen Stadt entfernt … So stiegen in der Erinnerung des Gracchus die Bilder auf, die den Anfang vom Ende darstellten. Er hörte die ferne Stimme des armseligen Soldaten, der mit dem Elfenbeinstab des Legaten zurückgekehrt war. Wie war denen wohl zumute, die dem Tod so nahe sind, ohne es zu wissen? Hatte Varinius Glabrus je den Namen Spartacus vernommen? Vermutlich nicht. »Ich erinnere mich, wie die Nacht hereinbrach und alle Sterne am Himmel standen«, sagte der Soldat zu den Senatoren mit den steinernen Gesichtern. »Du hast geschlafen?« fragte Gracchus. »Ich schlief«, erwiderte der verstörte Soldat. »Und was hat dich aufgeweckt?« Der Soldat suchte nach Worten. Er wurde sehr blaß, so daß Gracchus befürchtete, er würde ohnmächtig werden. Doch er hielt sich aufrecht und berichtete jetzt ausführlich und klar, aber unbeteiligt. 224
»Ich legte mich schlafen, und dann wachte ich auf, weil jemand schrie. Zumindest dachte ich, es sei ein Mann, aber als ich erwachte, merkte ich, daß die Luft erfüllt war von dem Schreien vieler Menschen. Ich wurde hellwach und drehte mich um. Ich schlafe nämlich immer auf dem Bauch. Neben mir lag Callius, eine Waise von der Straße, aber mein bester Freund. Er war mein rechter Nebenmann, deshalb schliefen wir auch immer nebeneinander. Als ich mich umdrehte, kam ich mit dem rechten Handgelenk in etwas Warmes, Feuchtes, Weiches. Ich sah, daß es der Hals des Callius war, den man durchgeschnitten hatte. Und immer noch gellten die Schreie. Ich setzte mich auf in einer Blutlache und wußte nicht, ob es mein Blut war. Überall um mich lagen die Toten im Mondlicht. Das ganze Lager war voll von Sklaven. Ihre haarscharfen Messer blitzten auf, und so wurde die Hälfte von uns im Schlaf getötet. Wenn einer aufsprang, brachten sie ihn auch um. Hier und da bildeten ein paar Soldaten eine kleine Gruppe, aber sie kämpften nicht lange. Es war das Furchtbarste, was ich je gesehen habe, und die Sklaven hörten nicht auf zu töten. Da habe ich den Kopf verloren und begann ebenfalls zu schreien. Ich schäme mich nicht, es auszusprechen. Ich zog mein Schwert und jagte durch das Lager, schlug nach einem Sklaven und tötete ihn auch, glaube ich wenigstens. Aber als ich zum Rand der Wiese kam, starrte mir eine Mauer von Speeren entgegen. Die meisten wurden von Frauen gehalten. Es waren keine Frauen, wie ich sie bisher gekannt hatte, sondern furchtbare, wilde Wesen. Ihr Haar flatterte im Nachtwind, und aus ihren Mündern drangen haßerfüllte, grauenhafte Schreie. Ein Soldat rannte hinter mir her auf die Speere zu. Er glaubte nicht, daß die Frauen ihn durchbohren würden. Aber sie taten es. Keiner entkam, und wenn die Verwundeten ankrochen, jagten sie auch 225
ihnen die Speere durch den Leib. Ich lief auf die Linie zu, und sie stießen mir einen Speer in den Arm. Da riß ich mich los und rannte ins Lager zurück. Dort fiel ich in das Blut und blieb liegen. In meinen Ohren dröhnten die Schreie. Ich weiß nicht, wie lange ich dalag. Ich sagte zu mir, du mußt aufstehen, kämpfen und sterben, aber ich wartete. Dann ließ das Schreien nach. Hände griffen nach mir und zerrten mich hoch. Ich wollte mit dem Schwert auf sie losgehen, aber sie schlugen es mir aus der Hand, die kraftlos durch die Wunde war. Die Sklaven hielten mich fest. Ein Messer hob sich, um mir die Kehle durchzuschneiden. Da wußte ich – alles war aus, und ich mußte sterben. Aber einer rief: ›Halt!‹ Und das Messer blieb dicht vor meiner Kehle stehen. Ein Sklave tauchte auf. Er hatte ebenfalls ein thrakisches Messer in der Rechten und sagte zu ihnen: ›Wartet. Ich glaube, er ist der einzige.‹ Nun standen sie da und warteten. Ein rothaariger Sklave erschien, und sie redeten hin und her. Ich war der einzige. Deshalb haben sie mich nicht getötet. Ich war der einzige, und alle anderen waren tot. Sie führten mich durch das Lager, und die Kohorten waren tot. Die meisten lagen dort verendet, wo sie geschlafen hatten. Sie sind nie mehr erwacht. Sie brachten mich zum Zelt des Varinius Glabrus, und der Legat war tot. Er lag auf seinem Feldbett, tot. Einige Offiziere waren ebenfalls im Zelt umgebracht worden. Alle tot. Dann verbanden sie meine Armwunde und ließen mich unter Bewachung einiger Sklaven zurück. Der Himmel wurde jetzt grau. Es begann zu dämmern. Aber alle Kohorten waren tot.« Er sagte es völlig unbeteiligt, nüchtern, sachlich, doch seine Lider zuckten unablässig, und er sah nicht einmal zu den Senatoren hinüber, die mit versteinerten Gesichtern dasaßen. »Woher weißt du, daß alle tot waren?« fragte Gracchus. 226
»Sie ließen mich bis Tagesanbruch in dem Zelt. Die Seitenbahnen waren aufgerollt, so daß ich das ganze Lager überblicken konnte. Das Schreien war jetzt verstummt, aber es dröhnte noch immer in meinem Kopf. Ich sah überall die Toten auf der Erde liegen. Der Geruch von Blut und Tod hing in der Luft. Die Frauen mit den Speeren waren zumeist weggegangen. Ich weiß nicht, wohin. Aber in den Blutgeruch mischte sich jetzt der Duft nach gebratenem Fleisch. Vielleicht kochten die Frauen das Frühstück. Der Gedanke, daß Menschen in einem solchen Augenblick essen konnten, machte mich krank. Ich erbrach mich. Die Sklaven zerrten mich aus dem Zelt, bis ich aufhörte. Ich fühlte mich jetzt besser. Gruppen von Sklaven gingen durch das Lager. Sie entkleideten die Toten. Hier und dort breiteten sie unsere Zelte aus. Sie nahmen den Toten alles ab, Harnisch, Kleider und Stiefel, und warfen es auf die Zeltbahnen. Die Schwerter, Speere und Harnische wuschen sie im Bach. Er lief hinter dem Zelt vorbei und wurde von den blutigen Waffen rostrot. Dann nahmen sie unsere Fettbüchsen, trockneten das Metall ab und fetteten es ein. Eine Zeltbahn war wenige Schritte vom Feldherrnzelt ausgebreitet. Dorthin warfen sie die Schwerter, Tausende von Schwertern …« »Wie viele Sklaven waren es?« fragte Gracchus. »Sieben- oder achthundert, vielleicht auch tausend. Ich weiß es nicht. Sie arbeiteten in Zehnergruppen. Einige spannten Pferde vor unsere Gepäckwagen, die sie mit allem beluden, was sie den Toten abgenommen hatten, und fuhren davon. Frauen brachten ihnen Körbe mit gebratenem Fleisch. Eine Gruppe machte dann jeweils Pause und aß. Sie verzehrten auch unsere Brotrationen.« »Was haben sie mit den Toten gemacht?« »Nichts. Sie ließen sie, wo sie lagen. Nachdem sie ih227
nen erst einmal alles abgenommen hatten, gingen sie umher, als ob die Toten überhaupt nicht da wären. Der Boden war mit Toten bedeckt und blutgetränkt. Jetzt war die Sonne aufgegangen. Es war das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Ich entdeckte eine Gruppe von Sklaven, die an einer Seite des Feldes stand und beobachtete, was geschah. Es waren sechs. Einer davon ein Schwarzer, ein Afrikaner. Es waren Gladiatoren.« »Woher wußtest du das?« »Als sie zu dem Zelt, in dem ich war, herüberkamen, konnte ich sehen, daß es Gladiatoren waren. Ihr Haar war kurzgeschoren, und sie hatten überall Narben. Es ist nicht schwer, einen Gladiator zu erkennen. Einem fehlte ein Ohr. Ein anderer hatte rotes Haar. Der Führer der Gruppe war ein Thraker. Er hatte eine gebrochene Nase und schwarze Augen, die einen unbewegt und starr ansahen …« Unter den Senatoren war jetzt eine kaum merkbare Bewegung entstanden. Sie hörten anders, voller Haß, Spannung und mit erhöhter Aufmerksamkeit zu. Gracchus erinnerte sich sehr wohl an diesen Augenblick, da Spartacus aus dem Nichts ins Leben trat, um die ganze Welt zu erschüttern. Andere haben einen Ursprung, einen Ort, ein Land, eine Heimat – Spartacus besaß jedoch nichts dergleichen. Er wurde durch die Lippen eines Soldaten geboren, den Spartacus zu eben dem Zweck am Leben gelassen hatte, daß er zum Senat zurückkehren und diesem sagen möge, was Spartacus für ein Mann war. Kein Riese, kein wilder, furchteinflößender Mann, sondern einfach ein Sklave. Doch manches von dem, was der Soldat gesehen hatte, mußte ausführlich erzählt werden. »… und das Gesicht erinnerte mich an ein Schaf. Er trug eine Tunika, einen schweren Messinggürtel und hohe Stiefel, aber weder Harnisch noch Helm. Er hatte ein Messer im Gürtel und sonst keine Waffen. Seine 228
Tunika war blutbespritzt. Er hatte ein Gesicht, das man nicht wieder vergißt. Ich bekam Angst vor ihm. Vor den anderen hatte ich keine Angst, nur vor ihm.« »Woher weißt du, daß er ein Thraker ist?« »Ich konnte es an seinem Akzent erkennen. Er sprach ein schlechtes Latein, und ich habe schon Thraker reden gehört. Ein anderer war ebenfalls Thraker, die übrigen waren wahrscheinlich Gallier. Sie sahen mich nur an, ganz flüchtig. Ich hatte dabei das Gefühl, als sei ich tot wie die anderen. Sie warfen mir einen Blick zu und gingen dann an mir vorbei in den anderen Teil des Zeltes. Die Leichen waren hinausgebracht und zu denen der Soldaten geworfen worden. Vorher hatten sie jedoch Varinius Glabrus nackt ausgezogen und seine Rüstung sowie alles übrige auf das Feldbett getan. Die Sklaven kamen zurück, drängten sich um das Bett und betrachteten die Sachen des Befehlshabers. Sie nahmen das Schwert auf, untersuchten es und reichten es herum. Es hatte eine reichgeschnitzte Scheide aus Elfenbein. Sie sahen es an und warfen es dann wieder auf das Bett. Dann kam der Stab an die Reihe. Der Mann mit der gebrochenen Nase – er heißt Spartacus – wandte sich zu mir, hielt den Stab hoch und fragte mich: ›Weißt du, Römer, was das ist?‹ – ›Es ist der Arm des hohen Senats‹, erwiderte ich. Doch das verstanden sie nicht. Ich mußte es ihnen erklären. Spartacus und der rothaarige Gallier setzten sich auf das Feldbett. Die anderen blieben stehen. Spartacus legte das Kinn auf die Hände, stützte die Ellbogen auf die Knie und musterte mich unverwandt. Sie sagten kein Wort, als ich geendet hatte, und Spartacus starrte mich weiter an. Ich fühlte, wie mir der Schweiß aus allen Poren brach. Ich dachte, sie würden mich töten. Dann sagte er: ›Mein Name ist Spartacus. Merke dir meinen Namen, Römer!‹ Und dann sahen sie 229
mich wieder starr an. ›Warum habt ihr gestern die drei Sklaven getötet, Römer?‹ fuhr er fort. ›Sie haben euch nichts zuleide getan. Sie sind nur heruntergekommen, um die Soldaten vorbeimarschieren zu sehen. Sind die römischen Frauen so tugendhaft, daß eine ganze Legion eine arme Sklavin vergewaltigen muß? Warum habt ihr das getan, Römer?‹ Ich versuchte, ihm zu erklären, was geschehen war. Ich erzählte ihm, daß die Zweite Kohorte sie vergewaltigt und die Sklaven getötet hatte. Ich hätte nichts damit zu tun gehabt und auch die Frau nicht vergewaltigt. Ich weiß nicht, wie sie das herausbekommen haben, denn als die drei Sklaven getötet wurden, schien kein Fremder dabeizusein. Doch sie wußten alles, was wir getan hatten. Wann wir nach Capua gekommen waren und wann wir es wieder verlassen hatten. Es lag alles in seinen schwarzen Schlangenaugen, die nie blinzelten, und in seiner Stimme. Sie blieb immer leise und gleichmäßig. Er sprach zu mir wie zu einem Kind, aber damit konnte er mich nicht täuschen. Er war ein Totschläger. Es war in seinen Augen zu lesen, in aller Augen. Lauter Totschläger. Ich kenne Gladiatoren dieser Sorte. Gladiatoren werden zu Totschlägern. Nur sie konnten so schlachten, wie es in jener Nacht geschah. Ich kenne Gladiatoren, die …« Gracchus unterbrach ihn. Der Mann redete unaufhörlich, wie von seinen eigenen Worten berauscht, so daß Gracchus ziemlich scharf sagte: »Uns interessiert nicht, was du kennst, Soldat. Wir wollen wissen, was sich zwischen dir und den Sklaven abspielte.« »Es geschah folgendes«, begann der Soldat und hielt dann inne. Er kam zu sich. Sein Blick wanderte über die Gesichter des hohen Senats der mächtigen Stadt Rom. Er schauderte. »Dann wartete ich, daß sie mir sagten, was sie mit mir vorhatten. Spartacus saß da, den Stab in der 230
Hand. Er streichelte ihn und warf ihn dann plötzlich mir zu. Zuerst wußte ich nicht, was er damit meinte oder wollte. ›Nimm ihn, Soldat‹, sagte er. ›Nimm ihn, Römer. Nimm ihn.‹ Ich nahm ihn. ›Jetzt bist du der Arm des hohen Senats‹, sagte er. Er wirkte nicht böse. Er sprach nie laut. Er stellte nur eine Tatsache fest – ich meine, für ihn war es eine. Das also wollte er. Ich konnte nichts tun. Ich wäre sonst lieber gestorben, bevor ich den geheiligten Stab angerührt hätte. Ich hätte ihn nicht angerührt. Ich bin ein Römer. Ich bin ein Bürger …« »Du wirst dafür nicht bestraft werden«, sagte Gracchus. »Fahr fort.« »›Jetzt bist du der Arm des hohen Senats‹, wiederholte Spartacus. ›Der hohe Senat hat einen langen Arm, und jetzt bist nur du davon übrig.‹ So nahm ich den Stab – ich hielt ihn, und er saß immer noch da, den Blick unverwandt auf mich gerichtet. Dann fragte er mich: ›Bist du ein Bürger, Römer?‹ Ich erwiderte, daß ich einer sei. Er nickte und lächelte ein wenig. ›Jetzt bist du ein Legat‹, sagte er. ›Ich werde dir eine Botschaft auftragen. Überbringe sie dem hohen Senat. Wort für Wort – genau, wie ich es dir sage.‹« Dann hielt er inne. Der Senat wartete und ebenso Gracchus. Er wollte nicht nach der Botschaft eines Sklaven fragen. Doch sie mußte ausgesprochen werden. Spartacus war aus dem Nichts aufgetaucht – jetzt aber stand er mitten im Raum, und Gracchus sah ihn wie so oft danach, obwohl er ihn nie in Wirklichkeit zu Gesicht bekommen hatte. Schließlich forderte er den Soldaten auf zu reden. »Ich kann nicht.« »Der Senat befiehlt es dir.« »Es waren die Worte eines Sklaven. Meine Zunge soll verdorren …« 231
»Genug damit!« sagte Gracchus. »Berichte uns, was dir dieser Sklave aufgetragen hat.« »Geh zum Senat«, hatte Spartacus gesagt, »und bringe ihm den Elfenbeinstab. Ich mache dich zum Legaten. Geh hin und erzähle ihm, was du hier gesehen hast. Sage ihm, daß er seine Kohorten gegen uns entsandt hat und daß wir sie vernichtet haben. Sage ihm, daß wir Sklaven sind – das instrumentum vocale – wie sie es nennen! Das Werkzeug mit einer Stimme. Sage ihm, was unsere Stimme spricht. Wir erklären, daß die Welt genug von ihm hat, genug von eurem verfaulten Senat und eurem verfaulten Rom. Sie hat genug von dem Glanz und Reichtum, den ihr aus unserem Blut und unseren Knochen herausgesogen habt. Sie hat genug vom Knallen der Peitsche. Es ist das einzige Lied, das die edlen Römer kennen. Doch wir wollen es nicht mehr hören. Am Anfang waren alle Menschen gleich. Sie lebten in Frieden miteinander und teilten alles, was sie besaßen. Heute aber gibt es zwei Arten von Menschen – die Herren und die Sklaven. Doch wir sind bei weitem in der Mehrzahl. Uns gehört alles, was gut an der Menschheit ist. Wir sind stärker und besser als ihr. Wir achten unsere Frauen, wir stehen zu ihnen und kämpfen an ihrer Seite. Ihr aber macht eure Frauen zu Huren und unsere zu Vieh. Wir weinen, wenn uns unsere Kinder entrissen werden, und wir verstecken sie zwischen den Schafen, damit wir sie etwas länger behalten können. Ihr jedoch züchtet eure Kinder, wie ihr es mit dem Vieh tut. Ihr zieht die Kinder unserer Frauen auf und verkauft sie auf dem Sklavenmarkt an den Meistbietenden. Ihr macht Menschen zu Hunden und schickt sie in die Arena, damit sie sich zu eurem Vergnügen gegenseitig in Stücke reißen. Während eure edlen römischen Damen zusehen, wie wir einander umbringen, streicheln sie ihre Schoßhündchen und füt232
tern sie mit kostbaren Leckerbissen. Was seid ihr für eine verdorbene Rotte, und was für einen stinkenden Unrat habt ihr aus dem Leben gemacht! Ihr habt alles, wovon die Menschen träumen, in den Schmutz gezogen, die Arbeit aus des Menschen Hand und den Schweiß auf seiner Stirn. Eure eigenen Bürger leben von Unterstützung und verbringen ihre Tage im Zirkus und in der Arena. Ihr habt das menschliche Leben zum Zerrbild erniedrigt und ihm jeden Wert genommen. Ihr tötet um des Tötens willen. Blut fließen zu sehen, ist eure größte Freude. Ihr treibt kleine Kinder in eure Bergwerke und schindet sie in wenigen Monaten zu Tode. Ihr habt eure Pracht auf dem Diebstahl an der ganzen Welt aufgebaut. Nun, das ist vorbei. Sage deinem Senat, daß damit ein für allemal Schluß ist. Das ist die Stimme des Werkzeugs. Sage deinem Senat, er soll seine Heere gegen uns entsenden. Wir werden sie vernichten, wie wir dieses eine vernichtet haben. Und wir werden uns die Waffen der Heere nehmen, die ihr gegen uns ausschickt. Die ganze Welt wird die Stimme des Werkzeugs hören, und den Sklaven der Welt werden wir zurufen: ›Erhebt euch und werft eure Ketten ab!‹ Wir werden durch ganz Italien ziehen, und überall werden sich die Sklaven uns anschließen. Eines Tages werden wir vor eurer Ewigen Stadt stehen. Dann wird es mit ihrer Ewigkeit zu Ende sein. Sage das deinem Senat. Sage ihm, daß wir ihn von unserem Kommen unterrichten werden. Wir werden die Mauern Roms niederreißen und zu dem Haus ziehen, in dem euer Senat sitzt. Wir werden die Senatoren von ihren hohen, mächtigen Sitzen herunterholen und ihnen die Kleider ausziehen, so daß sie nackt dastehen und gerichtet werden, wie es mit uns von jeher geschehen ist. Doch wir werden ehrlich vorgehen und ihnen volle Gerechtigkeit zuteil werden lassen. Jedes ihrer Verbrechen wird 233
ihnen vorgehalten werden, und sie müssen es büßen. Sage ihnen das, damit sie Zeit haben, sich darauf vorzubereiten und zu prüfen. Sie werden zur Rechenschaft gezogen werden, und wir haben ein gutes Gedächtnis. Und wenn dann der Gerechtigkeit Genüge getan ist, werden wir bessere, saubere, schönere Städte ohne Mauern bauen – in denen die Menschheit in Frieden und Glück miteinander leben kann. Das ist die ganze Botschaft für den Senat. Überbringe sie ihm. Sage ihm, daß sie von einem Sklaven namens Spartacus kommt …« So oder ähnlich berichtete es der Soldat, und die Senatoren hörten mit versteinerten Gesichtern zu. Doch das war lange her, dachte Gracchus, und meistenteils bereits vergessen. Die Worte des Spartacus waren nicht aufgezeichnet und lebten nur noch im Gedächtnis einiger Männer. Man hatte sie selbst aus den Protokollen des Senats getilgt. Das war richtig. Natürlich war es das – genauso richtig, wie die Monumente zu zerstören, welche die Sklaven errichtet hatten. Crassus verstand das, obwohl er ein wenig närrisch war. Das mußte er wohl sein, denn sonst wäre er kein großer General gewesen. Bei Spartacus war es anders: er war kein Narr und trotzdem ein großer General. Oder war er auch ein Narr gewesen? Waren das die Worte eines Narren? Wie konnte dann aber ein Narr vier Jahre lang der Macht Roms trotzen, ein römisches Heer nach dem anderen vernichten und das ganze Land in einen Friedhof der Legionen verwandeln? Wie konnte das geschehen? Es heißt, er sei tot, andere wiederum sagen, daß die Toten leben. Ist das sein lebendiges Abbild, das auf Gracchus zukommt – ein Riese von einem Mann, und ihm doch so ähnlich mit der gebrochenen Nase, den schwarzen Augen, den kurzen Locken. Können die Toten gehen?
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VII »Seht euch den alten Gracchus an«, sagte Antonius Gajus lächelnd. Der mächtige Kopf des Politikers war nach vorn gesunken, doch er hielt seinen Becher ganz gerade, so daß kein Tropfen verschüttet wurde. »Mach dich nicht über ihn lustig!« sagte Julia. »Wer wollte über Gracchus lachen? Niemand, sage ich dir, meine liebe Julia«, erwiderte Cicero. »Ich werde mein ganzes Leben nach solcher Würde streben.« Und sie nie erreichen, dachte Helena. Gracchus erwachte und blinzelte. »Habe ich geschlafen?« Es war bezeichnend für ihn, daß er sich an Julia wandte. »Ich bitte um Verzeihung, meine Liebe. Ich habe geträumt.« »Etwas Gutes?« »Von alten Dingen. Ich halte die Erinnerung nicht für einen Segen, sondern häufiger für einen Fluch. Ich habe zu viele Erinnerungen.« »Nicht mehr als andere«, meinte Crassus. »Wir alle haben unsere Erinnerungen, und sie sind ebenso unerfreulich.« »Niemals angenehme?« fragte Claudia. »Meine Erinnerung an dich, meine Liebe, wird wie der Sonnenschein sein, bis zu meinem Ende«, brummte Gracchus. »Gestatte einem alten Mann, das zu sagen.« »Sie würde das auch einem jungen Mann erlauben«, lachte Antonius Gajus. »Während du schliefst, hat uns Crassus erzählt …« »Müssen wir denn immerzu von Spartacus reden?« rief Julia. »Gibt es nichts anderes als Politik und Krieg? Ich verabscheue dieses Geschwätz …« »Julia«, unterbrach Antonius Gajus. 235
Sie schwieg, schluckte hastig und sah ihn dann an. Er sprach zu ihr wie zu einem ungezogenen Kind. »Crassus ist unser Gast, Julia. Es macht der Gesellschaft Freude, von ihm Dinge zu hören, die wir sonst nicht erfahren könnten. Ich glaube, du hättest auch Spaß daran, Julia, wenn du nur zuhören würdest.« Sie kniff den Mund zusammen, ihre Augen wurden rot und tränenfeucht. Sie senkte den Kopf, doch Crassus entschuldigte sich liebenswürdig: »Es langweilt mich genauso wie dich, meine liebe Julia. Verzeih mir.« »Ich glaube, Julia würde gern zuhören, nicht wahr?« sagte Antonius Gajus. »Stimmt es nicht, Julia?« »Ja«, flüsterte sie. »Bitte erzähle weiter, Crassus.« »Nein, nein keineswegs …« »Ich war töricht und habe mich schlecht benommen.« Es klang, als ob sie etwas Auswendiggelerntes aufsage. »Bitte erzähle weiter.« Gracchus griff ein und rettete die Situation, die äußerst peinlich zu werden drohte. »Ich kann sicher die Ansicht des Generals erraten«, sagte er. »Er hat euch erzählt, daß die Sklaven ihre Schlachten gewannen, weil sie Menschenleben nicht achteten. Ihre Horden fielen über uns her und überwältigten uns. Habe ich recht, Crassus?« »Du könntest kaum weniger recht haben«, lachte Helena. Gracchus ließ sich den Spott gefallen und blieb sogar geduldig, als Cicero sagte: »Ich hatte stets den Verdacht, Gracchus, daß ein Mensch, der so gut die öffentliche Meinung zu lenken versteht wie du, am Ende selber daran glaubt.« »Zumindest einiges«, räumte Gracchus entgegenkommend ein. »Rom ist groß, weil es existiert. Spartacus ist verächtlich, weil er nichts weiter ist als jene Strafmale. Das muß man in Betracht ziehen. Bist du nicht auch der 236
Meinung, Crassus?« Der General nickte. »Und dennoch hat Spartacus fünf große Schlachten gewonnen«, sagte Cicero. »Nicht die, in denen er die Legionen zurücktrieb, nicht einmal jene, in denen er sie in die Flucht schlug. Ich spreche von jenen fünf Schlachten, in denen er Heere vernichtete, sie vom Erdboden wegfegte und ihre Waffen nahm. Crassus wies darauf hin, daß Spartacus weniger ein glänzender Meister der Taktik war als vielmehr der glückliche oder auch unglückliche – das hängt von der Betrachtungsweise ab – Führer einer besonderen Menschengruppe. Sie waren unbesiegbar, weil sie sich den Luxus einer Niederlage nicht leisten konnten. Darauf wolltest du doch hinaus, Crassus?« »Bis zu einem gewissen Grade«, gab der General zu. Er lächelte Julia zu. »Ich möchte das mit einer Geschichte erläutern, die dir besser gefallen wird, Julia. Ein wenig Politik, ein wenig Krieg und ein wenig von Varinia. Das war die Frau des Spartacus.« »Ich weiß«, erwiderte Julia leise. Sie sah Gracchus dankbar und erleichtert an. Ich weiß, sagte Gracchus bei sich. Ich weiß, meine liebe Julia. Wir sind beide etwas tragisch und etwas komisch. Der Hauptunterschied besteht darin, daß ich ein Mann bin und du eine Frau. Du könntest nicht großartig werden. Im wesentlichen aber sind wir gleich, unser beider Leben ist von der gleichen leeren Tragik erfüllt. Wir sind beide in Geister verliebt, weil wir nie gelernt haben, wie man liebt oder sich von Menschen lieben läßt. »Ich habe immer geglaubt, sie sei von jemandem erfunden worden«, erklärte Claudia unerwartet. »Weshalb denn, meine Liebe?« »Solche Frauen gibt es nicht«, erwiderte Claudia unumwunden. 237
»Nein? Nun, vielleicht. Es ist schwer zu entscheiden, was wahr ist und was nicht. Ich las von einem Gefecht, in dem ich selbst mitgekämpft habe, und das hatte nur noch sehr wenig mit der Wirklichkeit zu tun. So ist es nun einmal. Ich verbürge mich nicht für die Wahrheit meiner Erzählung, aber ich habe allen Grund, daran zu glauben. Ja, ich glaube wohl daran.« Es schwang ein seltsamer Unterton in seiner Stimme. Helena sah ihn scharf an und erkannte plötzlich, wie schön er war. Wie er da auf der Terrasse in der Morgensonne saß, erinnerte sein edles, markantes Gesicht an die sagenhafte Vergangenheit der jungen Republik. Der Gedanke war ihr aus irgendeinem Grund nicht angenehm, und sie warf ihrem Bruder einen Seitenblick zu. Gajus’ Augen hingen mit hingerissener Bewunderung an dem Feldherrn. Die anderen merkten es nicht. Crassus erregte unbedingt Aufsehen. Seine tiefe, warme Stimme packte und fesselte sie, sogar Cicero, der ihn mit neu erwachter Aufmerksamkeit betrachtete. Und Gracchus stellte, wie bereits früher, fest, wie Crassus Leidenschaft zu erwecken vermochte, ohne selbst im mindesten beteiligt zu sein. »Zunächst ein paar allgemeine Worte als Einleitung«, begann Crassus. »Als ich den Oberbefehl übernahm, war der Krieg schon einige Jahre im Gang, wie ihr wißt. Es ist immer schwierig, in eine verlorene Sache einzusteigen, und wenn es sich dabei um einen Sklavenkrieg handelt, bringt ein Sieg kaum Ruhm und eine Niederlage unsagbare Schande. Cicero hat völlig recht. Fünf Heere waren restlos von Spartacus vernichtet worden.« Er nickte Gracchus zu. »Deine Propaganda ist verführerisch, aber du wirst zugeben, daß ich die Lage so betrachten mußte, wie sie war?« »Natürlich.« 238
»Ich stellte fest, daß es keine Sklavenhorden gab. Sie waren uns in keinem Augenblick zahlenmäßig überlegen. Weder zu Anfang noch am Ende. Hätte Spartacus jemals auch nur annähernd die dreihunderttausend Mann unter seinem Befehl gehabt, die es angeblich sein sollten, säßen wir nicht hier an diesem herrlichen Morgen im schönsten Landhaus Italiens. Spartacus hätte dann Rom erobert und die übrige Welt dazu. Andere mögen das bezweifeln. Ich aber habe oft genug gegen Spartacus gekämpft, und ich weiß es. Die ganze Wahrheit ist, daß sich die Masse der Sklaven des Landes niemals dem Spartacus angeschlossen hat. Glaubt ihr denn, daß wir hier so ruhig sitzen würden, wo auf einen von uns hundert Sklaven kommen, wenn sie aus solchem Holz geschnitzt wären? Natürlich gingen viele mit ihm, aber er hat nie mehr als fünfundvierzigtausend Kämpfer geführt, und auch das erst auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er hatte nie eine Reitertruppe wie Hannibal, und doch zwang er Rom mehr in die Knie, als dieser es je vermocht hätte, das mächtige Rom, das Hannibal in einem einzigen Feldzug hätte zerschmettern können. Nein, nur die Besten, Wildesten, Verzweifeltsten schlossen sich dem Spartacus an. Das mußte ich selbst erst feststellen. Ich schämte mich für Rom, als ich sah, welche Angst und Illusion diese Sklaven hervorgerufen hatten. Ich wollte die Wahrheit. Ich wollte genau wissen, wogegen ich kämpfte, gegen was für einen Menschen, gegen was für ein Heer. Ich wollte wissen, warum die besten Truppen der Welt, die Germanen, Spanier und Juden bekämpft und vernichtet hatten, beim Anblick dieser Sklaven ihre Schilde wegwarfen und davonrannten. Ich hatte damals mein Lager in Gallia Cisalpina aufgeschlagen, das anzugreifen sich Spartacus zweimal überlegen würde, und ging der Frage 239
nach. Ich habe wenige Tugenden, aber eine davon ist Gründlichkeit. Ich muß hundert Leute ausgefragt und an die tausend Dokumente gelesen haben. Darunter war auch Batiatus, der lanista. Desgleichen zahlreiche Soldaten und Offiziere, die gegen Spartacus gekämpft hatten. Die folgende Geschichte hat mir einer von ihnen erzählt. Und ich glaube sie.« »Wenn die Geschichte ebenso lang ist wie die Einleitung, werden wir noch zum Mittagessen hier sitzen«, bemerkte Antonius Gajus. Die Sklaven brachten bereits ägyptische Melonen, Weintrauben und einen leichten Wein. Es war kühl und angenehm auf der Terrasse. Selbst die Gäste, die am gleichen Tage Weiterreisen wollten, hatten keine Eile. »Länger. Aber einem reichen Mann hört man zu …« »Erzähle weiter!« sagte Gracchus erbost. »Ich habe es vor. Die Geschichte ist für Julia bestimmt. Wenn du erlaubst, Julia.« Sie nickte. Ihm möchte man nicht zutrauen, daß er Bescheid weiß, dachte Gracchus. Worauf will er eigentlich hinaus? »Es geschah, als zum zweitenmal ein römisches Heer von Spartacus vernichtet wurde. An den ersten Fall der Stadtkohorten dürfte sich mein Freund Gracchus nur allzugut erinnern – wie wir alle natürlich«, sagte Crassus mit boshaftem Unterton. »Danach entsandte der Senat den Publius gegen ihn. Eine ganze Legion, und noch dazu eine sehr gute, glaube ich. Es war die Dritte, nicht wahr, Gracchus?« »Gründlichkeit ist deine Tugend, nicht die meine.« »Ich glaube, ich habe recht. Und wenn ich mich nicht irre, rückte mit der Legion auch die Stadtreiterei aus – insgesamt etwa siebentausend Mann. Glaube mir bitte, Julia, das Kriegshandwerk hat nichts besonders Geheim240
nisvolles an sich. Es erfordert mehr Verstand, Geld zu verdienen oder ein Stück Leinen zu weben, als ein guter General zu sein. Die meisten Menschen, deren Beruf der Krieg ist, sind nicht sonderlich klug – aus naheliegenden Gründen. Spartacus war durchaus intelligent. Er beherrschte ein paar einfache Regeln der Kriegführung und hatte begriffen, worin die Stärke sowie die Schwäche der römischen Waffen lag. Das gilt nur für wenige außer ihm. Höchstens noch für Hannibal. Ich fürchte, unser geschätzter Zeitgenosse Pompejus hat keine Ahnung davon.« »Werden wir diese erhabenen Geheimnisse erfahren?« fragte Cicero. »Sie sind weder erhaben noch sonderlich geheimnisvoll. Ich wiederhole sie für Julia. Anscheinend lassen sie sich nicht erlernen. Die erste Regel ist, niemals die vorhandenen Kräfte aufzusplittern, sofern es nicht lebensnotwendig ist. Die zweite ist, nur anzugreifen, wenn man den Kampf sucht, sonst aber eine Schlacht zu vermeiden. Als drittes soll man selber Zeit und Ort der Schlacht wählen und dies niemals dem Gegner überlassen. Die vierte Regel lautet, man soll um jeden Preis eine Einkreisung verhindern. Und die letzte, den Feind da anzugreifen, wo er am schwächsten ist.« »Diese Art von allgemeinen Regeln kann man in jedem Handbuch der Waffenkunst finden, Crassus«, bemerkte Cicero. »Es mangelt ihnen an Tiefe, wenn ich so sagen darf. Das alles ist zu einfach.« »Vielleicht. Aber etwas so Einfachem fehlt es nicht an Tiefe, das versichere ich dir!« »Abschließend möchte ich fragen, worin denn nun eigentlich diese Stärke und Schwäche der römischen Waffen besteht?« sagte Gracchus. »Die Antwort ist ebenso einfach. Cicero wird sicher 241
wieder anderer Ansicht sein.« »Ich bin ein williger Schüler zu Füßen eines großen Generals«, erwiderte Cicero leichthin. Crassus schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich. Es gibt zwei Dinge, für die alle Menschen Talent zu haben glauben, ohne einer Vorbereitung oder eines Studiums zu bedürfen: ein Buch zu schreiben und ein Heer zu führen. Und das mit gutem Grund, da es ja eine erstaunliche Anzahl von Idioten schafft, beides zu tun. Ich meine damit natürlich mich«, fügte er entwaffnend hinzu. »Sehr klug von dir«, sagte Helena. Crassus nickte ihr zu. In ihren Augen interessierte er sich wohl für Frauen, ohne jedoch wirkliche Anteilnahme aufzubringen. »Was nun unser eigenes Heer angeht, so läßt sich seine Stärke wie seine Schwäche in einem Wort zusammenfassen, nämlich Disziplin. Wir haben das disziplinierteste Heer der Welt, vielleicht sogar das einzige. Eine gute Legion drillt ihre Soldaten fünf Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche. Mit Hilfe dieser Ausbildung kann man einer Reihe von Zwischenfällen in der Schlacht begegnen, jedoch nicht allein. Die Disziplin ist bis zu einem gewissen Grade mechanisch, so daß jedes unvorhergesehene Ereignis eine Prüfung für sie darstellt. Unser Heer ist zudem im Angriff ausgezeichnet. Darin liegt seine ganze Stärke, und seine Waffen sind Angriffswaffen. Die Achillesferse der Legion ist der Nachtangriff. Unser oberstes taktisches Gesetz besteht darin, daß wir uns den Ort der Schlacht selbst wählen können. Das hat uns Spartacus jedoch nur selten ermöglicht. Als Publius die Dritte Legion nach Süden führte, verstieß er gegen alle diese äußerst einfachen Regeln. Begreiflicherweise. Er empfand nichts als Verachtung für Spartacus.« Die beiden Töchter des Antonius Gajus waren jetzt 242
auch auf die Terrasse gekommen. Lachend und freudestrahlend stürzten sie sich in Julias Arme und konnten gerade noch die letzten Worte des Crassus hören. »Hast du Spartacus gekannt?« fragte die Ältere. »Hast du ihn gesehen?« »Ich habe ihn nie gesehen«, erwiderte Crassus lächelnd. »Aber ich achtete ihn, mein Kind.« Gracchus schälte ernsthaft einen Apfel und beobachtete Crassus aus halb geschlossenen Augen. Er mochte ihn nicht und überlegte, daß er noch nie einem Militär begegnet war, für den er Wärme oder Zuneigung empfunden hätte. Er hielt die Apfelschale, ein einziges langes Stück, hoch, und die beiden kleinen Mädchen klatschten entzückt in die Hände. Sie griffen danach, aber er verlangte, sie sollten sich zuerst etwas wünschen. »Danach müßt ihr die Schale um euren Wunsch wickeln. Der Apfel enthält alle Arten von Erkenntnis.« »Und mitunter einen Wurm«, bemerkte Julia. »Du wolltest doch von Varinia erzählen, Crassus.« »Wir werden ihr gleich begegnen. Ich wollte euch nur erst die Hintergründe der Geschichte zeigen. Spartacus befand sich zu jener Zeit noch in der Gegend des Vesuvs. Töricht wie er war, teilte Publius seine Leute in drei Gruppen auf, jede etwas über zweitausend Mann, und begann dieses schwierige Gelände nach Spartacus zu durchkämmen. In drei verschiedenen Gefechten fegte Spartacus sein Heer vom Erdboden weg. Es war jedesmal dasselbe: er fing sie in einem engen Hohlweg, wo die Manipel nicht ausschwärmen konnten, und vernichtete sie. In einem Fall jedoch konnte eine ganze Reiterabteilung sowie der größte Teil einer Kohorte durchbrechen, wobei sich die Fußtruppen an die Pferdeschwänze hingen und die Pferde durchgingen. Wenn man weiß, wie die Sklaven kämpften, kann man sich vorstellen, daß sie sich 243
dadurch nicht ablenken ließen. Sie konzentrierten sich stets auf das Greifbare. Und das taten sie auch hier. So konnten die acht- bis neunhundert Fußsoldaten und Reiter durch die Wälder entkommen und bis zum Lager der Sklaven vorstoßen, wo die Frauen und Kinder lebten. Es war eigentlich kein Lager, sondern eher ein kleines Dorf, das ein Graben und ein Erdwall mit Schanzpfählen umzogen. Es mußte eine große Anzahl von Legionären zu Spartacus übergelaufen sein, denn das Ganze war nach dem Muster unserer Lager angelegt, und die Hütten standen an richtigen Straßen. Die Tore waren geöffnet, und davor spielten die Kinder unter der Obhut einiger Frauen. Ihr dürft nicht vergessen, daß Soldaten, die geschlagen worden und weggelaufen sind, ihre Selbstbeherrschung fast völlig verlieren. Ich sitze auch nicht zu Gericht über diejenigen, die Sklaven töten, gleich ob Kinder, Frauen oder Männer. Wir haben Grund genug, den Schmutz zu hassen, und diese Soldaten waren voller Haß. Sie stürmten heran, und die Reiter spießten die Kinder auf wie Kaninchen. Im ersten Rausch töteten sie auch einige Frauen, andere jedoch setzten sich zur Wehr. Und dann stürzten die Frauen aus dem Dorf herbei. Sie waren mit Messern, Schwertern und Speeren bewaffnet. Ich weiß nicht, was die Soldaten im Sinn hatten, außer Haß und Rache. Sie hätten vermutlich einige der Frauen getötet und die anderen vergewaltigt. Ihr erinnert euch, daß damals im ganzen Land eine sehr feindselige Stimmung gegen die Sklaven herrschte. Vor der Zeit des Spartacus konnte ein Mann, der eine seiner Sklavinnen getötet hatte, nicht erhobenen Hauptes durch die Straßen gehen. Man sah das als eine mehr oder minder entehrende Tat an, und wenn man beweisen konnte, daß er sie ohne Grund begangen hatte, konnte ihm eine schwere Geldstrafe auferlegt werden. Dieses Gesetz wurde vor 244
drei Jahren abgeändert, nicht wahr, Gracchus?« »Allerdings«, erwiderte Gracchus mißmutig. »Aber fahre fort. Du wolltest von Varinia erzählen.« »Ja?« Crassus schien das vorübergehend vergessen zu haben. Julia sah an ihm vorbei auf die Wiesen. »Lauft wieder hinaus und spielt!« sagte sie zu den Kindern. »Du glaubst also, daß die Frauen gegen die Soldaten kämpften?« wollte Claudia wissen. »Ganz recht. Am Tor entbrannte eine furchtbare Schlacht. Ja, die Frauen kämpften gegen die Soldaten. Und die Soldaten verloren den Verstand und vergaßen, daß sie gegen Frauen kämpften. Die Schlacht dauerte fast eine Stunde, nehme ich an. Man erzählte sich, daß die Frauen von dieser wilden blondhaarigen Berserkerin angeführt wurden, die angeblich Varinia gewesen sein soll. Sie war überall. Ihre Kleider waren heruntergerissen, so daß sie nackt mit einem Speer kämpfte. Sie war wie eine Furie …« »Ich glaube kein Wort davon«, unterbrach Gracchus. »Du brauchst nicht, wenn du nicht willst.« Crassus merkte, daß seine Geschichte völlig versagt hatte. »Ich habe es nur für Julia erzählt.« »Warum für mich?« fragte Julia. Helena starrte Crassus gebannt an. »Erzähle bitte zu Ende, ob sie nun wahr ist oder nicht. Sie hat doch ein Ende, nicht wahr?« »Ein sehr gewöhnliches. Alle Schlachten enden im wesentlichen gleich. Man gewinnt oder verliert sie. Diese haben wir verloren. Einige Sklaven kehrten zurück, und es konnte sich nur eine Handvoll Reiter vor ihnen und den Sklaven retten. Sie haben den Bericht erstattet.« »Aber Varinia wurde nicht getötet?« »Wenn es Varinia war, so ist sie bestimmt nicht umge245
kommen. Sie taucht immer wieder auf.« »Lebt sie jetzt noch?« fragte Claudia. »Lebt sie jetzt noch?« wiederholte Crassus. »Was liegt daran?« Da erhob sich Gracchus, warf seine Toga zurück und schritt davon. Es entstand ein kurzes Schweigen, dann fragte Cicero: »Was hat denn der alte Mann?« »Das wissen die Götter.« »Warum sagst du, es liege nichts daran, ob Varinia noch lebt?« wollte Helena wissen. »Der Fall ist erledigt, oder?« sagte Crassus kurz. »Spartacus ist tot. Varinia ist eine Sklavin. Der Markt in Rom ist damit überschwemmt. Varinia und zehntausend ihresgleichen.« Seine Stimme war plötzlich wuterfüllt … Antonius Gajus entschuldigte sich und folgte Gracchus. Es beunruhigte ihn, daß zwei Männer wie Gracchus und Crassus, die der gleichen politischen Richtung angehörten, sich über ein Nichts entzweien sollten. Er hatte es noch nie erlebt, daß Gracchus sich so verhielt. Ob es sich um Julia handelte, überlegte er. Nein, nicht bei dem alten Gracchus, diesem fetten Junggesellen. Bei all seiner Vielseitigkeit konnte Antonius Gajus in ihm, was Frauen anging, nur einen Kapaun sehen. Und weshalb sollte Crassus, der jede Frau in Rom haben konnte, Freie sowie Sklavin, sich ausgerechnet für die arme, tragische Julia interessieren? Falls einer von beiden Julia begehrte, war er ihr bestimmt willkommen, und Antonius Gajus würde ihm Haus und Bett gern überlassen! Nichts könnte ihn glücklicher machen. Er fand Gracchus schlechtgelaunt im Gewächshaus sitzen. Als er zu ihm kam, versetzte er ihm einen freundschaftlichen Stoß. »Wie geht es dir, mein Alter?« »Eines Tages wird die Welt für Crassus und mich zu klein geworden sein«, sagte Gracchus. 246
SECHSTER TEIL Wie ein Teil der Gäste aus der Villa Salaria nach Capua reiste und dort die Kreuzigung des letzten Gladiators mit ansah, sowie einige Einzelheiten über die Stadt. I Am gleichen Tage verabschiedeten sich Cicero und Gracchus und reisten nach Rom weiter. Antonius hatte Crassus und den jungen Gajus mit seinen Begleiterinnen überredet, noch einen Tag zu bleiben. Sie wollten früh am nächsten Morgen aufbrechen, um ein gutes Stück voranzukommen. Crassus hatte Gajus bereits vorgeschlagen, gemeinsam zu reisen. Helena und Claudia freuten sich auf die Gesellschaft des berühmten Generals. Sie verließen die Plantage kurz nach Sonnenaufgang. Die vier Sänften, die zahlreichen Diener und Gepäckträger bildeten einen stattlichen Zug, und auf der Appischen Straße nahm Crassus noch eine Ehrengarde von zehn Legionären mit. Er war eingeladen worden, in Capua an den Feierlichkeiten zur endgültigen Niederschlagung des Sklavenaufstandes teilzunehmen. Unter den Sklaven, die nach der Niederlage und dem Tod des Spartacus gefangengenommen worden waren, hatte man hundert Gladiatoren ausgewählt, und die Spiele gingen seit Wochen. Sie wurden als eine Art Ausscheidungsturnier ausgetragen, bei dem es nur einen einzigen Überlebenden geben konnte. Bei jedem Kampfpaar wurde der Überlebende dem des nächsten gegenübergestellt – ein schier endloser Totentanz. »Ich dachte, du würdest das gern sehen«, sagte Gajus. Die vier Sänften befanden sich nebeneinander, so daß 247
die Reisenden sich unterhalten konnten. Die Legionäre lenkten den Gegenverkehr an den Straßenrand. Beim Anblick des großen, prachtvollen Zuges gestand ihm jeder das Vorrecht zu. Gajus und Crassus bildeten die Mitte, Claudia war neben Crassus und Helena neben ihrem Bruder. Dank seines Alters und seiner freundschaftlichen Gefühle für sie hatte Crassus die Rolle des Gastgebers übernommen. Seine Sklaven waren gut geschult. Auf dem Weg über die Prachtstraße kam er jedem Wunsch oder Bedürfnis seiner Begleiter zuvor, bot ihnen duftenden, eisgekühlten Wein aus Judäa, saftige ägyptische Trauben an oder ließ Parfüm zerstäuben. »Nein, Gajus«, erwiderte er auf dessen Frage. »Es mag dich überraschen, aber ich finde jetzt fast gar keinen Geschmack mehr an Spielen. Ja, hin und wieder schon, wenn es ein sehr gutes, ausgesuchtes Paar ist. Ich fürchte, dies hier würde mich nur langweilen. Wenn ich jedoch gewußt hätte, daß du es gern gesehen …« »Das hat nichts zu sagen.« »Aber einer überlebt doch dabei«, sagte Claudia. »Nicht unbedingt. Beim letzten Paar können ja beide schwer getroffen werden. Sollte einer am Leben bleiben, wird er höchstwahrscheinlich zur Abschreckung vor den Toren gekreuzigt werden. Es gibt sieben Tore, und als die Strafmale errichtet wurden, schlug man vor jedem ein Kreuz auf. Den Überlebenden bei den Spielen wird man einfach am Appischen Tor kreuzigen. Bist du schon einmal in Capua gewesen?« fragte er Claudia. »Nein.« »Dann steht dir ein Genuß bevor. Es ist eine herrliche Stadt, die schönste der Welt, denke ich manchmal. An klaren Tagen kann man von den Mauern aus die Bucht sehen und in der Ferne den weißen Gipfel des Vesuvs. 248
Ich kenne nichts Ähnliches. Ich habe dort eine kleine Villa und würde mich sehr freuen, wenn ihr alle meine Gäste sein wolltet.« Gajus erwiderte, sein Onkel, ein Flavier, erwarte sie, so daß sie jetzt ihre Pläne kaum mehr ändern könnten. »Jedenfalls können wir uns öfter treffen. Die ersten Tage werden zwar eine Qual sein. Doch wenn erst einmal der offizielle Empfang, die Reden und alles übrige vorüber sind, können wir ein paar Stunden in der Bucht segeln und unbedingt einen Nachmittag bei den unguentarii verbringen. Capua und sein Parfüm lassen sich nicht voneinander trennen. Ich bin an einer dortigen Fabrik beteiligt und verstehe auch etwas von der Essenzenkunde. Es wird mir ein Vergnügen sein, euch jedes Parfüm, das euer Herz begehrt, zu schenken«, erklärte er großzügig. »Das ist sehr nett von dir«, erwiderte Helena. »Diese Freundlichkeit kostet mich so wenig und bringt mir reichen Lohn. Jedenfalls liebe ich Capua und bin immer stolz darauf gewesen. Es ist eine alte Stadt. Wie ihr wißt, berichtet die Sage, daß die Etrusker vor tausend Jahren in diesem Teil des Landes zwölf Städte erbauten – man nannte sie die zwölf Edelsteine in dem goldenen Halsband. Eine hieß Volturnum und soll das heutige Capua sein. Natürlich ist das nur eine Sage. Als die Samniten vor etwa dreihundertfünfzig Jahren die Stadt von den Etruskern eroberten, errichteten sie größtenteils Neubauten. Dann nahmen wir sie, bauten neue Mauern und legten überall neue Straßen an. Capua ist viel schöner als Rom.« So zogen sie die Appische Straße hinunter. Diesmal schenkten sie den Strafmalen wenig oder gar keine Beachtung. Wenn der Wind den Geruch verwesenden Fleisches zu ihnen trug, wurde Parfüm zerstäubt. Zumeist 249
blickten sie jedoch überhaupt nicht zu den Kreuzen. Sie verbrachten zwei Nächte in Landhäusern und eine in einem sehr luxuriösen Rasthaus. In bequemen Abschnitten erreichten sie schließlich Capua. II In Capua herrschte Feststimmung. Die Stadt hatte den Höhepunkt ihres Ruhmes, ihrer Pracht und ihres Wohlstandes erreicht. Der Makel des Sklavenkrieges war getilgt. Zwölfhundert Fahnen wehten von den weißen Stadtmauern. Die berühmten sieben Tore waren weit geöffnet, denn der Frieden des Landes wurde durch nichts gestört. Die Nachricht von ihrem Kommen war ihnen vorausgeeilt, und zahlreiche Würdenträger erschienen zu ihrer Begrüßung. Die Stadtkapelle mit insgesamt hundertzehn Trompetern, Pfeifern und Trommlern schmetterte ihren Willkommensgruß, und die Stadtkohorte in silberbeschlagenen Rüstungen geleitete sie durch das Appische Tor. Die Mädchen waren sehr aufgeregt, und selbst Gajus, der sich zwar nichts anmerken ließ, wurde durch den außergewöhnlichen, farbenprächtigen Empfang, den sie mit ihrem Reisegefährten teilten, beeindruckt. In der Stadt trennten sie sich von Crassus und begaben sich zu dem Haus ihrer Verwandten. Wenige Stunden später jedoch traf bereits eine Einladung des Generals ein, der Gajus, Helena, Claudia sowie die Familienangehörigen bat, bei dem Festmahl am gleichen Abend seine Gäste zu sein. Gajus war stolz auf diese Auszeichnung. Während des langen, ziemlich ermüdenden Festmahls erwies Crassus ihnen ständig kleine Aufmerksamkeiten. Gajus, Claudia und Helena kosteten nur wenige der fünfundfünfzig Gerichte, die zu Ehren des 250
Generals aufgetragen wurden. In Capua pflegte man den alten etruskischen Brauch, Insekten besonders schmackhaft zuzubereiten. Gajus jedoch konnte sich nicht überwinden, sie zu essen, selbst wenn sie in Honig eingelegt oder mit gehacktem Hummer vermischt wurden. Das Ereignis des Abends war ein neuer Tanz, der zu Ehren des Crassus einstudiert worden war. Er stellte die Vergewaltigung römischer Jungfrauen durch die blutdürstigen Sklaven dar und wurde äußerst wirklichkeitsgetreu gespielt. Nachdem die Sklaven endlich erschlagen worden waren, ergoß sich ein weißer Blütenschauer wie Schnee von der Decke des großen Saales. Helena bemerkte, daß Crassus immer weniger trank, je weiter der Abend fortschritt und je betrunkener die vielen hundert Gäste wurden. Er kostete lediglich den Wein und nippte nicht einmal an dem schweren Pflaumenschnaps, für den Capua so berühmt war und den man auf die gleiche Art destillierte wie das weltbekannte Parfüm. Crassus war eine seltsame Mischung aus Enthaltsamkeit und Sinnlichkeit. Beides stand in seinen Augen, als ihre Blicke sich jetzt öfter trafen. Gajus und Claudia dagegen waren völlig betrunken. Das Festmahl ging sehr spät zu Ende. Trotzdem empfand Helena ein unwiderstehliches Verlangen, die Schule des Lentulus Batiatus zu besichtigen, wo der Sklavenaufstand begonnen hatte. Sie bat Crassus, ob er sie nicht hinführen und ihnen alles erklären wolle. Es war eine herrliche Nacht, kühl, mild und erfüllt vom Duft der Frühlingsblüten. Ein großer gelber Mond ging gerade auf und wies ihnen den Weg. Sie standen auf dem Forum. Der General war von einer Menschenmenge umgeben. Es erhob sich die Frage, wie man die beiden Mädchen taktvoll von Helenas Verwandten trennen sollte. Helena überredete Gajus, sie zu begleiten. Er war so betrunken, daß er bereitwillig zustimmte. 251
Er schwankte ein wenig und sah Crassus mit anbetenden Blicken an. Der General erledigte die Formalitäten, und kurz darauf wurden ihre Sänften zum Appischen Tor getragen. Die Wachen grüßten den General, der mit ihnen scherzte und eine Handvoll Silbermünzen unter sie verteilte. Außerdem fragte er sie nach dem Weg. »Du bist also noch nie dagewesen?« fragte Helena. »Nein.« »Merkwürdig. An deiner Stelle hätte ich die Schule bestimmt sehen wollen. An diesem Ort haben sich doch dein Leben und das Leben des Spartacus gekreuzt.« »Mein Leben und der Tod des Spartacus«, erwiderte Crassus ruhig. »Heute ist dort nicht mehr viel los«, erzählte der Wachhabende. »Der alte lanista hat Unsummen hineingesteckt und war offensichtlich auf dem besten Wege, Millionär zu werden. Nach dem Aufstand schien sich jedoch das Pech an seine Fersen geheftet zu haben, und nach seiner Ermordung wurde die Schule stillgelegt. Die anderen großen Schulen sind in die Stadt gezogen. Zwei davon haben Mietshäuser übernommen.« Claudia gähnte. Gajus schlief in seiner Sänfte. »In der Geschichte des Aufstandes, die Flacius Monaaia verfaßt hat, heißt es, die Schule sei im Herzen der Stadt gelegen«, fuhr der Wachhabende fort. »Jetzt führen wir die Besucher hin. Mein Wort wiegt zwar nichts gegenüber dem eines Geschichtsschreibers, aber glaubt mir, die Schule des Batiatus ist ganz leicht zu finden. Ihr braucht nur dem kleinen Pfad am Bach entlang zu folgen. Es ist ja beinahe taghell. Ihr könnt die Arena nicht verfehlen.« Mittlerweile kam eine Gruppe Sklaven durch das Tor. Sie trugen Spaten, Hacken, eine Leiter und einen Weidenkorb. Sie gingen zu dem großen Kreuz, dem ersten 252
und symbolhaftesten aller Strafmale und lehnten die Leiter an das Kreuz. »Was tun sie da?« fragte Claudia plötzlich. »Sie schneiden einen Hund ab, damit wir einen anderen dafür aufhängen können«, erwiderte der Wachhabende gleichgültig. »Morgen früh wird der Überlebende der Spiele den Lohn erhalten, der ihm gebührt. Der letzte Sklave, der bei Spartacus war, wird dort sterben.« Claudia schauderte. »Ich glaube, ich möchte nicht mitkommen«, sagte sie zu Crassus. »Du kannst gern nach Hause gehen, wenn du möchtest. Würdest du ihr bitte zwei deiner Leute mitgeben?« fragte er den Wachhabenden. Gajus, der laut schnarchte, kam mit. Helena wollte zu Fuß gehen. Crassus begleitete sie. Die Sänften wurden vorangetragen. Der große Finanzmann und General und die junge Frau folgten im Mondschein. Als sie an dem Kreuz anlangten, ließen die Sklaven gerade die von der Sonne geschwärzten, von den Vögeln zerfleischten, stinkenden Überreste des Mannes herunter, der dort gestorben war. Andere schaufelten am Fuß des Kreuzes, trieben Holzpflöcke in den Boden, um es aufzurichten und zu stützen. »Kann dich eigentlich überhaupt etwas aus der Fassung bringen?« fragte Crassus. »Weshalb sollte ich mich durch so etwas stören lassen?« Crassus zuckte die Achseln. »Ich wollte dir damit keinen Vorwurf machen, verstehst du. Ich finde es bewundernswert.« »Daß eine Frau keine richtige Frau ist?« »Ich nehme die Welt so, wie sie ist«, erwiderte Crassus unverbindlich. »Ich kenne keine andere. Du etwa?« 253
Helena schüttelte stumm den Kopf. Es war nicht weit bis zur Schule. Der Mondschein verwandelte die Landschaft in ein wahres Zauberreich. Jetzt sahen sie die Mauer der Arena. Crassus befahl den Trägern, die Sänften abzusetzen und seine Rückkehr abzuwarten. Die leere Stätte wirkte klein und dürftig. Der Eisenzaun rund um den Übungshof war größtenteils gestohlen worden. Die hölzernen Schuppen verfielen bereits und die Mauer der Arena war zur Hälfte eingestürzt. Crassus führte Helena auf den Sand, und sie sahen zur Tribüne empor. »Mein Bruder hat davon erzählt. Er machte so viel davon her, und es scheint doch so wenig.« Crassus bemühte sich, die Felder des Todes, die blutigen Schlachten und die endlosen, aufreibenden Feldzüge mit dieser schäbigen kleinen Schule in Verbindung zu bringen, doch es gelang ihm nicht. Sie bedeutete nichts für ihn. »Ich möchte zur Tribüne hinaufgehen«, sagte Helena. »Wenn du willst. Sei aber vorsichtig. Das Holz könnte morsch sein.« Sie stiegen zu der Loge hinauf, die der Stolz und die Freude des Batiatus gewesen war. Das gestreifte Sonnendach hing zerfetzt in der Luft, und aus den Resten der Kissen huschten Mäuse. Helena setzte sich auf eines der Sofas, und Crassus ließ sich neben ihr nieder. »Empfindest du gar nichts für mich?« fragte sie. »Ich habe das Gefühl, daß du eine sehr hübsche, kluge junge Dame bist«, entgegnete Crassus. »Und ich habe das Gefühl, daß du ein Schwein bist, mein großer General«, erklärte Helena ruhig. Er beugte sich zu ihr, und sie spie ihm ins Gesicht. Selbst in dem spärlichen Licht konnte sie seine Augen vor Wut funkeln sehen. Das also war der General. Das also war die Lei254
denschaft, die nie in seinen Worten zum Ausdruck kam. Er schlug sie, so daß sie vom Sofa gegen die morsche Brüstung taumelte, die unter ihrem Gewicht splitterte. Sie hing mit dem Oberkörper zwanzig Fuß über der Arena, konnte jedoch das Gleichgewicht halten und langsam zurückkriechen – und der General rührte sich nicht. Dann ging sie wie eine Wildkatze auf ihn los, kratzte und biß, aber er packte sie an beiden Handgelenken und hielt sie fest. Er lächelte spöttisch und sagte: »Das Echte ist anders, meine Liebe. Ich weiß.« Ihre Wut und Energie verrauchten, und sie begann zu weinen, haltlos wie ein kleines verzogenes Mädchen. Sie sträubte sich nicht, als er zärtlich wurde, sondern ließ es gleichgültig geschehen. Nachdem alles, ohne eine Spur von Leidenschaft oder Hingabe, vorbei war, fragte er sie: »War es das, was du wolltest, meine Liebe?« Sie antwortete nicht, sondern ordnete ihre Kleider und ihr Haar, wischte sich das verschmierte Lippenrot und die Wimperntusche von Gesicht und Wangen. Sie ging voran zu den Sänften und stieg schweigend ein. Crassus folgte zu Fuß. Gajus schlief noch immer. Die Nacht war jetzt fast vorüber, und das Mondlicht verblaßte. Crassus fühlte sich voll neuen Lebens und neuer Kraft. Es überkam ihn mit solcher Macht, daß er beinahe an die alten Mythen glaubte, die behaupteten, einige wenige auserwählte Menschen stammten von den Göttern ab. War es nicht möglich, daß er dazu gehörte? Er schritt jetzt neben Helenas Sänfte. Sie sah ihn seltsam an und fragte: »Was meintest du damit, als du vorhin sagtest, das Echte sei anders? Bin ich nicht echt? Warum sagst du etwas so Furchtbares?« »War es denn so furchtbar?« »Das weißt du genau. Was ist das Echte?« »Eine Frau.« 255
»Was für eine Frau?« Seine Stirn umwölkte sich, und er schüttelte den Kopf. Er kämpfte verbissen darum, das Gefühl seiner Größe zu bewahren, was ihm auch weitgehend gelang. Am Appischen Tor verließ er ihre Sänfte und ging zu dem Wachhabenden, dem er erklärte: »Schicke ein paar deiner Leute mit, die sie sicher nach Hause bringen.« Der Offizier gehorchte, und Helena wurde grußlos in die Stadt geleitet. Crassus stand gedankenverloren im tiefen Schatten des Tores. Der Wachhabende und die Soldaten beobachteten ihn neugierig. »Wie spät ist es?« fragte er. »Die letzte Stunde ist fast vorüber. Bist du nicht müde?« »Nein. Nicht ein bißchen.« Seine Stimme wurde etwas milder. »Es ist lange her, daß ich so auf Wache stand.« »Die Nächte sind sehr lang«, erwiderte der Offizier. »In einer halben Stunde wird es hier völlig anders aussehen. Dann kommen die Gemüsehändler, die Milchmänner mit ihren Kühen, die Lastträger und die Fischer. An diesem Tor herrscht immer Leben und Treiben. Heute vormittag geht der Gladiator dort hoch.« Er wies zu dem Kreuz, dessen Umrisse sich grau und verschwommen in der Morgendämmerung abzeichneten. »Werden viele Menschen herkommen?« fragte Crassus. »Nun, zu Anfang wohl nicht, aber im Lauf des Tages schon. Ich muß gestehen, es ist ein erregendes Schauspiel, einer Kreuzigung zuzusehen. Man sollte meinen, daß einmal genügt, aber das stimmt nicht.« »Wer ist der Mann?« »Das weiß ich nicht. Nur ein Gladiator, soweit mir bekannt ist. Vermutlich ein sehr guter. Der arme Kerl könnte mir fast leid tun.« 256
»Spare dir dein Mitleid, Hauptmann«, sagte Crassus. »So habe ich es nicht gemeint. Aber für den letzten der Spiele hat man immer etwas übrig.« »Ihre Spiele haben vor langem begonnen. Einer mußte der letzte sein.« »Allerdings.« Die letzte Stunde war vorüber. Mit Tagesanbruch begann die erste. Der Mond war untergegangen, und der Himmel hatte die Farbe schmutziger Milch. Alles war in Morgennebel gehüllt, nur die dunkle Linie der Straße erstreckte sich endlos nach Norden. Das Kreuz hob sich starr und unheimlich von dem heller werdenden Himmel ab. Im Osten kündigte ein fahler rosiger Schimmer den Sonnenaufgang an. Crassus war froh, aufgeblieben zu sein. Die quälend bittere Süße der Dämmerung entsprach seiner Stimmung. Jetzt tauchte ein etwa elfjähriger Junge auf mit einem Krug in der Hand. Der Wachhabende begrüßte ihn und nahm ihm den Krug ab. »Mein Sohn«, erklärte er. »Er bringt mir jeden Morgen heißen Wein. Würdest du ihn wohl begrüßen? Das wäre eine große Sache für ihn, an die er später immer zurückdenken wird. Er heißt Marius Lichtus. Ich weiß, es ist vermessen von mir, dich darum zu bitten, aber es wäre für ihn und für mich eine hohe Ehre.« »Salve, Marius Lichtus«, sagte Crassus. »Ich kenne dich«, erzählte der kleine Junge. »Du bist der General. Ich habe dich gestern gesehen. Wo hast du denn deinen goldenen Harnisch?« »Das war Messing, kein Gold. Ich habe ihn ausgezogen, weil er sehr unbequem war.« »Wenn ich erst mal einen habe, ziehe ich ihn nie mehr aus.« So ist Rom. Sein Glanz und seine Größe werden ewig 257
leben, dachte Crassus. Die Szene hatte ihn sehr gerührt. Der Hauptmann bot ihm den Krug an. »Möchtest du etwas trinken?« Crassus schüttelte den Kopf. Jetzt erklang in der Ferne Trommelwirbel. Der Hauptmann gab dem Jungen den Krug und rief den Wachsoldaten einen Befehl zu. Sie traten zu beiden Seiten des geöffneten Tores an, die Schilde bei Fuß und die schweren Speere in Präsentierstellung. Crassus war peinlich berührt, denn er vermutete, daß dieses Schauspiel ihm zu Ehren aufgeführt wurde. Der Trommelwirbel wurde stärker, und die ersten Reihen der Militärkapelle tauchten auf der breiten Straße zum Forum auf. Die Sonne ging über den Dächern auf, die ersten Menschen erschienen und zogen der Musik nach zum Tor. Es waren sechs Trommeln und vier Pfeifen, dahinter sechs Soldaten. Dann kam der Gladiator. Er war nackt. Man hatte ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt. Hinter ihm marschierten zwölf weitere Soldaten. Ein beträchtliches Aufgebot für einen einzigen Mann, der weder sehr gefährlich noch sonderlich stark wirkte. Bei näherem Zusehen änderte Crassus seine Meinung. Solche Männer sind doch gefährlich. Sein Gesicht hatte nichts von der Wärme und der Offenheit, die dem Römer eigen sind. Es erinnerte vielmehr an einen Habicht mit der vorspringenden Nase, den hohen Backenknochen, den schmalen Lippen und den grünen, haßerfüllten Augen. Dieser Haß war jedoch ausdruckslos wie der eines Tieres, und sein Gesicht war wie eine Maske. Er war nicht groß, aber muskulös. Er hatte nur zwei frische Wunden; eine verlief quer über der Brust, die andere an der Seite. Beide waren nicht sehr tief. Aber sonst war er über und über mit Narben bedeckt. An der einen Hand fehlte ein Finger, und das eine Ohr war abgeschnitten. 258
Als der Offizier, der die Abteilung führte, Crassus sah, gebot er seinen Leuten mit erhobenem Arm Halt, kam dann herüber und grüßte den General. Er war sich offenbar der Bedeutung des Augenblicks voll bewußt. »Ich hätte es mir nie träumen lassen, die Ehre und den Vorzug deiner Gegenwart zu genießen«, sagte er. »Es ist ein glücklicher Zufall.« Crassus nickte. Auch er konnte sich der Symbolik dieses Zusammentreffens mit dem letzten der Sklavenarmee nicht entziehen. »Schlägst du ihn jetzt ans Kreuz?« »Ich habe den Befehl.« »Wer ist er? Der Gladiator, meine ich. Offenbar ist er ein alter Fuchs in der Arena. Aber weißt du, wer er ist?« »Wir wissen ein wenig. Er war Offizier und befehligte eine Kohorte, vielleicht sogar mehr. Außerdem scheint er Jude zu sein. Batiatus hatte eine Reihe von Juden, die mitunter besser als die Thraker mit der sica kämpfen. Batiatus hat auch eine Aussage über einen Juden namens David gemacht, der neben Spartacus zu den ursprünglichen Anführern des Aufstandes gehörte. Das könnte er sein oder auch nicht. Jedenfalls hat er, nachdem er hierher zu den Spielen gebracht wurde, kein Wort mehr gesprochen. Er hat sehr gut gekämpft – ich habe wahrhaftig noch nie eine solche Arbeit mit dem Messer gesehen. Er ist fünfmal angetreten und hat nur die beiden Wunden davongetragen. Er wußte, daß er danach gekreuzigt würde, trotzdem hat er gekämpft, als ob sein Sieg mit der Freiheit belohnt werden sollte. Ich kann das nicht verstehen.« »Das Leben ist eine sonderbare Angelegenheit, junger Mann.« »Ja, da hast du recht.« »Wenn es der Jude David ist, dann läge darin immerhin eine gewisse ironische Gerechtigkeit. Kann ich mit ihm 259
sprechen?« »Aber natürlich. Allerdings glaube ich nicht, daß du eine befriedigende Antwort bekommen wirst. Er ist ein verstocktes, schweigsames Tier.« »Ich will es versuchen.« Sie gingen auf den Gladiator zu. Er wurde jetzt von einer großen Menschenmenge umringt, die von den Soldaten zurückgedrängt werden mußte. »Dir widerfährt eine einzigartige Ehre, Gladiator«, verkündete der Offizier großspurig. »Das ist der praetor Marcus Licinius Crassus. Er läßt sich herab, mit dir zu sprechen.« Bei Nennung des Namens brach die Menge in Hochrufe aus, der Sklave jedoch schien taub zu sein. Unbewegt starrte er geradeaus. Seine grünen Augen funkelten katzenhaft, aber sonst spiegelte sich in seinem Gesicht keinerlei Empfindung. »Du kennst mich, Gladiator«, sagte Crassus. »Sieh mich an!« Der nackte Gladiator rührte sich nicht. Der befehlhabende Offizier trat vor und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Wer spricht zu dir, du Schwein?« brüllte er. Er schlug ihn abermals. Der Gladiator machte keinen Versuch, auszuweichen. Crassus sah ein, daß auf diese Weise wenig herauskommen würde. »Genug Offizier!« sagte er. »Laß ihn in Ruhe und führe deinen Befehl weiter aus.« »Es tut mir außerordentlich leid. Aber er hat nicht gesprochen. Vielleicht kann er es gar nicht. Man hat ihn nicht einmal mit seinen Gefährten reden sehen.« »Das macht weiter nichts«, erwiderte Crassus. Er blickte ihnen nach, als sie durch das Tor zum Kreuz marschierten. Ein nicht abreißender Menschenstrom drängte nach. Sie stellten sich an der Straße auf, von wo 260
sie eine gute Aussicht hatten. Crassus ging bis zum Fuß des Kreuzes. Er war wider seinen Willen neugierig, wie der Sklave sich verhalten würde. Seine steinerne Unbewegtheit wirkte gleichsam wie eine Herausforderung. Crassus hatte noch nie erlebt, daß ein Mann, und mochte er noch so hart sein, schweigend zum Kreuz ging. Er malte sich aus, wie es bei diesem hier sein würde. Die Soldaten verstanden sich auf Kreuzigungen und machten sich schnell und fachkundig an die Arbeit. Unter den Armen des Sklaven, der immer noch gefesselt war, wurde ein Seil durchgezogen, bis es an beiden Enden gleich lang war. Sie stellten die Leiter an die Rückseite des Kreuzes. Die beiden Seilenden wurden über die Querbalken des Kreuzes geworfen und von zwei Soldaten gehalten. Dann zogen sie den Gladiator rasch bis zum Querbalken hinauf. Nun kletterte ein anderer Soldat auf die Leiter und rückte ihn zurecht. Seine Schultern hingen jetzt unmittelbar unter dem Schnittpunkt der beiden Balken. Der Soldat stieg von der Leiter auf den Querbalken, ein anderer kam mit Hammer und mehreren langen Nägeln herauf und setzte sich auf die andere Seite des Querbalkens. Inzwischen beobachtete Crassus gespannt den Gladiator. Sein nackter Körper zuckte zwar zusammen, als er an dem rauhen Holz hinaufgezogen wurde und das Seil in die Haut schnitt, aber seine Miene blieb unbewegt. Er hing regungslos und schlaff da, während der erste Soldat von vorn ein Tauende unter seinen Armen durchzog und es auf dem Querbalken verknotete. Dann wurde das erste Seil nach unten weggezogen. Nun schnitten sie die Fesseln um seine Handgelenke auf. Jeder Soldat nahm einen Arm und band die Hände am Querbalken fest. Erst als der zweite Soldat ihm gewaltsam die Faust öffnete und den Nagel mit einem wuchtigen Schlag durch die Hand261
fläche ins Holz trieb, zeigte der Gladiator den Schmerz. Aber selbst jetzt sprach oder schrie er nicht, sondern verzerrte nur das Gesicht und zuckte krampfhaft zusammen. Nach drei weiteren Schlägen war der Nagel sechs Finger breit ins Holz eingedrungen, und ein letzter bog den Kopf um, damit die Hand nicht abgleiten konnte. Dann wiederholte sich das gleiche bei der anderen Hand, und abermals zuckte der Gladiator vor Qual zusammen, und sein Gesicht verzerrte sich, als der Nagel die Muskeln und Sehnen durchbohrte. Doch er schrie immer noch nicht, obwohl ihm die Tränen aus den Augen rannen und der Speichel aus dem aufgerissenen Mund troff. Nun wurde der Strick über der Brust durchgeschnitten, so daß er nur noch an den Händen hing. Das Gewicht, das an den Nägeln zerrte, wurde lediglich durch die angebundenen Handgelenke etwas verringert. Die Soldaten kletterten die Leiter hinunter, die dann weggebracht wurde. Die Menge, die inzwischen nach Hunderten zählte, spendete der Geschicklichkeit Beifall, mit der ein Mensch in wenigen Minuten gekreuzigt worden war … Dann wurde der Gladiator ohnmächtig. »Das geschieht immer«, erklärte der Offizier. »Daran ist der Schreck über die Nägel schuld. Aber sie kommen jedesmal wieder zu sich, und dann vergehen mitunter zwanzig bis dreißig Stunden, ehe sie abermals ohnmächtig werden. Wir hatten einen Gallier, der vier Tage bei Bewußtsein blieb. Er konnte zwar nicht mehr schreien, aber er war bei sich. Wir hatten so etwas wie den noch nicht erlebt, doch sogar er brüllte los, als sie die Nägel durch seine Hände schlugen. Was bin ich durstig!« Er öffnete eine Flasche, nahm einen tiefen Schluck und bot sie Crassus an. »Rosenwasser?« »Danke«, sagte Crassus. Er war plötzlich müde und wie ausgedörrt. Er trank den Rest aus der Flasche. Die 262
Menge wuchs immer noch an. »Bleiben sie den ganzen Tag hier?« fragte er. »Die meisten nur, bis er wieder zum Bewußtsein kommt. Sie wollen sehen, was er dann tut. Sie benehmen sich komisch. Viele schreien nach ihrer Mutter. Das hätte man von Sklaven nie erwartet, nicht wahr?« Crassus zuckte die Achseln. »Ich werde die Straße freimachen müssen«, fuhr der Offizier fort. »Sie sperren den Verkehr. Man sollte wirklich meinen, daß sie genügend Verstand besitzen, um einen Teil der Straße freizulassen – aber nein, nie. Sie sind alle gleich. Die Masse hat keinen Funken von Vernunft.« Er gab zwei Soldaten den Befehl, soviel Platz zu schaffen, daß der Verkehr ungehindert weitergehen konnte. »Ich überlege, ob ich dich mit etwas behelligen darf. Es mag nicht meine Sache sein, aber ich wüßte zu gern, warum du vorhin gesagt hast, es läge eine ironische Gerechtigkeit darin, wenn das der Jude David wäre.« »Habe ich das gesagt?« fragte Crassus. »Ich weiß nicht, was ich damit gemeint habe oder worauf ich hinauswollte.« Es war vollbracht. Vieles aus der Vergangenheit mußte ruhen bleiben, und in einem Sklavenkrieg gab es wenig Ruhm zu ernten. Die Triumphzüge und Huldigungen waren für andere bestimmt; für ihn gab es nur die kleine Schlachthausbefriedigung der Kreuzigung. Wie satt er das Töten, den Tod und das Foltern hatte! Doch wo konnte man dem entfliehen? In dieser Gesellschaft, die sie schufen, beruhte das Leben immer mehr auf dem Tode. In der gesamten Geschichte war das Schlachten noch nie mit solcher Exaktheit und in einem derartigen Ausmaß betrieben worden. Wo und wann würde das enden? Er erinnerte sich jetzt eines Zwischenfalls, der sich, kurz nachdem er den Oberbefehl über die geschlagenen, demoralisierten Streitkräfte Roms übernommen 263
hatte, ereignete. Er hatte seinem Jugendfreund Pilico Mummius drei Legionen unterstellt. Dieser hatte bereits an zwei großen Feldzügen teilgenommen und von Crassus den Befehl erhalten, Störangriffe gegen Spartacus zu führen und zu versuchen, ob er nicht einen Teil seiner Truppen abschneiden könne. Statt dessen ging Mummius in eine Falle, und als seine drei Legionen sich plötzlich den Sklaven gegenübersahen, wurden sie kopflos und ergriffen schmählich die Flucht. Er erinnerte sich, daß er Mummius unbeschreiblich beschimpft hatte. Aber weiter ging man nicht bei einem solchen Mann. Bei den Legionen war es etwas anderes. Fünftausend Mann der Siebenten Legion waren angetreten, von denen jeder zehnte wegen Feigheit hingerichtet wurde. »Du hättest mich töten sollen«, sagte Mummius später zu ihm. All das stand klar und deutlich vor ihm, denn in Mummius und dem ehemaligen Konsul Marcus Servius verkörperte sich für ihn sein Haß gegen die Sklaven am stärksten. Marcus Servius war bis zu einem gewissen Grade verantwortlich für den Tod des geliebten Freundes von Spartacus, eines Galliers namens Crixus. Er war mit seinem Heer abgeschnitten, umzingelt und geschlagen worden. Als Servius und Mummius viel später von Spartacus gefangengenommen und vor das Sklaventribunal gestellt wurden, soll sich ein Jude namens David für die Todesart eingesetzt haben. Vielleicht war er aber auch dagegen gewesen, Crassus wußte es nicht genau. Sie waren als Gladiatorenpaar gestorben. Man hatte diese nicht mehr jungen römischen Heerführer nackt ausgezogen, jedem ein Messer gegeben und sie in eine behelfsmäßige Arena gestellt, wo sie bis zum Tode gegeneinander kämpfen mußten. Es war das einzige Mal, daß Spartacus etwas Derartiges getan hatte, aber Crassus vergaß und verzieh es nie. 264
Das alles konnte er jedoch dem Offizier nicht erzählen, mit dem er hier im Schatten des Kreuzes stand. »Ich weiß nicht, was ich damit gemeint haben könnte«, sagte er. »Es war nicht weiter wichtig.« Er war müde und beschloß, in seine Villa zurückzukehren und zu schlafen. III Im Grunde genommen war es Crassus ziemlich gleichgültig, ob die Kreuzigung des letzten Gladiators Gerechtigkeit darstellte oder nicht. Sein Sinn für Gerechtigkeit und Rache war abgestumpft, und der Tod bedeutete ihm nichts mehr. Einst hatte er fest und unerschütterlich geglaubt, daß der Staat und das Gesetz allen Menschen dienten und daß das Gesetz gerecht war. Er vermochte nicht genau zu sagen, wann er diesen Glauben verloren hatte, wenn auch nicht ganz. Irgendwo in seinem Innern lebte noch ein Rest der Illusion. Aber er, der früher den Begriff Gerechtigkeit eindeutig definieren konnte, war heute dazu außerstande. Vor zehn Jahren hatte er mitangesehen, wie sein Vater und sein Bruder von Führern der gegnerischen Partei kaltlächelnd zum Tode verurteilt wurden. Die Gerechtigkeit hatte sie nie gerächt. Die Unsicherheit, was gerecht war und was nicht, nahm eher zu als ab. Er konnte nur noch im Reichtum und in der Macht einen Maßstab finden. Es ließ sich mit Recht behaupten, daß die Gerechtigkeit nur noch der Erhaltung von Macht und Reichtum diente. Ethische Erwägungen verloren immer mehr an Bedeutung. So empfand er auch beim Anblick des letzten Gladiators am Kreuz keinerlei Genugtuung. Er fühlte eigentlich gar nichts. Er war einfach gleichgültig. 265
Der Gladiator jedoch fragte nach Recht und Unrecht. Irgendwo hatte sich in seinem Gedächtnis die Erinnerung an jenen Vorfall, der Crassus zuvor durch den Kopf gegangen war, fest und unauslöschlich eingegraben. Für die Gladiatoren war es ebenso wie für Crassus eine Frage der Gerechtigkeit. Als später die Taten der Sklaven von denen, die sie am heftigsten haßten und die am wenigsten von ihnen wußten, niedergeschrieben wurden, hieß es, sie hätten ihre römischen Gefangenen einander in einem wahnwitzigen Gladiatorenkampf umbringen lassen. Damit galt als erwiesen, daß die Unterdrückten die Macht, sobald sie ihnen zufällt, nicht anders gebrauchen als zuvor ihre Unterdrücker. Der Mann am Kreuz wußte, daß es nie ein solches Gladiatorenschlachten gegeben hatte – bis auf das eine Mal, als Spartacus in einem Anfall von kalter Wut und Haß auf die zwei römischen Patrizier gewiesen und gesagt hatte: »Ihr werdet jetzt dasselbe tun wie wir! Ihr geht nackt auf den Sand der Arena, damit ihr lernt, wie wir für die Erbauung Roms und zur Belustigung seiner Bürger starben!« Der Jude hatte damals schweigend zugehört. Als die beiden Römer weggeführt wurden, hatte sich Spartacus ihm zugewandt, aber er sagte immer noch kein Wort. Es hatte sich eine starke Verbundenheit zwischen ihnen entwickelt. Im Laufe der Jahre und der vielen Schlachten war die kleine Schar der Gladiatoren, die damals in Capua entkommen konnte, sehr zusammengeschmolzen. Die wenigen überlebenden Führer des riesigen Sklavenheeres standen einander näher als Brüder. Spartacus hatte den Juden angesehen und gefragt: »Habe ich recht oder unrecht?« »Was für sie recht ist, kann es nie für uns sein.« »Laß sie kämpfen.« 266
»Laß sie kämpfen, wenn du es willst. Sollen sie nur einander totschlagen. Uns aber wird es mehr schaden. Es wird an unseren Eingeweiden nagen wie ein Wurm. Du und ich sind Gladiatoren. Wie lange ist es her, daß wir sagten, wir wollten selbst die Erinnerung an den Paarkampf vom Erdboden tilgen?« »Das werden wir auch. Aber diese beiden müssen kämpfen …« So war es damals gewesen, und so stand es im Gedächtnis des Mannes am Kreuz eingegraben. Crassus hatte ihm in die Augen geblickt und zugesehen, wie er gekreuzigt wurde. Ein großer Kreis hatte sich geschlossen. Crassus ging nach Hause, um zu schlafen, denn er war die ganze Nacht wach gewesen und begreiflicherweise müde. Und der Gladiator hing bewußtlos am Kreuz. IV Es dauerte fast eine Stunde, ehe der Gladiator das Bewußtsein wiedererlangte. Er erwachte nicht mit einem Schlag, sondern in Wellen. Das Fahrzeug, das er am besten kannte, war der Wagen. Auf einem holpernden, schwankenden Wagen kehrte er ins Bewußtsein zurück. Er war ein kleiner Junge in den Bergen, und die Großen, die Herren, die Vornehmen und Sauberen fuhren mitunter in Wagen. Da lief er den steinigen Gebirgsweg hinunter und bat, mitgenommen zu werden. Keiner verstand seine Sprache, aber manchmal ließen sie ihn und seine Freunde auf dem Rückbrett sitzen. Sie lachten, wenn sich die sonnenverbrannten, schwarzhaarigen Kinder hinten festklammerten. Oft genug aber peitschten sie auch die Pferde an, so daß die Kleinen hinunterfielen. Ja, die 267
großen Herren aus dem Abendland waren eben unberechenbar, und man mußte das Gute wie das Schlechte hinnehmen. Doch wenn man vom Wagen fiel, tat es weh! Dann erkannte er, daß er kein Kind in den Bergen Galiläas war, sondern ein Mann, der am Kreuz hing. Und die Menschenmenge, die ihn betrachtete, verschwamm vor ihm wie ein Wellenmeer. Die Leute wiederum sahen, daß der Gladiator bei Bewußtsein war, und beobachteten ihn gespannt. Eine Kreuzigung war für Rom etwas Alltägliches. Als Karthago vier Generationen zuvor besiegt wurde, übernahm Rom für sich das Beste; darunter das Plantagensystem und das Kreuz. Heute hatte die Welt bereits vergessen, daß das Kreuz karthagischen Ursprungs war, sondern betrachtete es als Symbol der Zivilisation. Die Kreuzigung eines anderen hätte die Menge nicht aus den Häusern gelockt. Hier aber handelte es sich um den Tod eines Helden, eines großen Gladiators, eines Gefährten des Spartacus. So kamen sie, um den Gladiator sterben zu sehen, um zu sehen, wie er sich verhielt, wenn die Nägel seine Hände durchbohrten. Unbegreiflicherweise hatte er sich in Schweigen gehüllt. Nun warteten sie, was geschehen würde, wenn er die Augen wieder öffnete. Und da brach er das Schweigen. Als er sie schließlich erkannte, als die Bilder nicht mehr vor seinen Augen verschwammen, stieß er einen furchtbaren Schrei voll Qual und Todesangst aus. Offenbar verstand niemand seine Worte. Man erging sich in Vermutungen, was er gesagt haben mochte. Einige hatten Wetten abgeschlossen, ob er reden würde oder nicht, und jetzt stritten sie erregt, ob er lateinisch oder in einer fremden Sprache aufgeschrien habe oder ob es vielleicht nur ein Stöhnen gewesen sei. Manche behaup268
teten, er habe die Götter angerufen, andere wieder, er habe nach seiner Mutter gejammert. Tatsächlich stimmte keines von beiden. Er hatte geschrien: »Spartacus, Spartacus, warum sind wir gescheitert?« V Lange danach wurde einmal ein römischer Sklave gekreuzigt. Nachdem er dort vierundzwanzig Stunden gehangen hatte, begnadigte ihn der Kaiser selbst, und er lebte weiter. Er schrieb nieder, was er am Kreuz empfunden hatte. Am erschütterndsten waren seine Bemerkungen über die Frage der Zeit. »Am Kreuz gibt es nur zwei Dinge, Qual und Ewigkeit«, schrieb er. »Man sagt mir, ich habe nur vierundzwanzig Stunden am Kreuz gehangen, aber es war länger als die Welt besteht. Wenn die Zeit ausgelöscht ist, währt jeder Augenblick eine Ewigkeit.« An diesem furchtbaren, qualerfüllten »ewig« rieb sich der Geist des Gladiators auf. Seine Fähigkeit, geordnet zu denken, schwand immer mehr dahin. Die Erinnerung wurde zur Sinnestäuschung. Er durchlebte einen großen Teil seines Lebens zum zweitenmal. Aus den ausgebrannten Trümmern seines sinnlosen Sklavenlebens möchte er das retten, sich an das klammern, woran ihm am meisten liegt. Er spricht zum erstenmal mit Spartacus, sieht ihn an, beobachtet ihn. Ihm selbst ist es unerklärlich, wieso Spartacus seine Aufmerksamkeit in diesem Maße erregt. Dabei ist es gar kein großes Geheimnis: er ist ganz Spannung, und Spartacus ist ganz Gelöstheit. Er spricht zu niemandem, Spartacus zu allen. Alle kommen mit ihren 269
Sorgen zu Spartacus. Spartacus bringt etwas Neues in die Gladiatorenschule, er zerstört sie. Alle kommen sie zu Spartacus, nur dieser Jude nicht. Eines Tages geht er in der Ruhepause zu ihm. »Sprichst du griechisch, Mann?« fragt er ihn. Die grünen Augen starren ihn unbewegt an. Plötzlich erkennt Spartacus, daß er ein sehr junger Mann, fast noch ein Jüngling ist. Das verbirgt sich hinter einer Maske. Spreche ich griechisch? sagt der Jude bei sich. Ich spreche wohl alle Sprachen. Hebräisch, aramäisch, griechisch, lateinisch und viele andere aus vielen Teilen der Welt. Doch weshalb sollte ich in irgendeiner Sprache sprechen? Warum? Behutsam dringt Spartacus in ihn: »Ein Wort von mir, und dann eines von dir. Wir sind Menschen. Wir sind nicht allein. Es ist sehr schlimm, wenn man allein ist. Aber wir hier sind nicht allein. Warum sollten wir uns dessen schämen, was wir sind? Haben wir etwas Furchtbares begangen, so daß wir hier sind? Ich glaube es nicht. Die uns Messer in die Hand geben und uns befehlen, einander zum Vergnügen der Römer zu töten, tun Ärgeres. Deshalb sollten wir uns nicht schämen und einander nicht hassen. Der Mensch hat ein wenig Kraft, ein wenig Hoffnung, ein wenig Liebe. Diese Saatkörner sind in alle Menschen gelegt. Aber wenn er sie für sich behält, verdorren sie rasch. Dann mögen die Götter diesem armen Menschen helfen, weil er nichts mehr hat und das Leben ohne Sinn geworden ist. Gibt er aber seine Kraft, seine Hoffnung und seine Liebe anderen, werden sie unerschöpflich sein. Dann ist das Leben lebenswert. Glaube mir, Gladiator, das Leben ist das Beste in der Welt. Wir wissen es, denn wir sind Sklaven. Wir haben nichts weiter. Deshalb kennen wir seinen Wert. Die Römer besitzen so viele andere Dinge, daß es ihnen nicht viel 270
bedeutet. Sie spielen damit. Wir aber nehmen das Leben ernst, und darum dürfen wir nicht allein sein. Du bist zu viel allein, Gladiator. Sprich ein wenig mit mir!« Doch der Jude sagt nichts. Sein Gesicht und seine Augen bleiben unverändert. Immerhin hört er zu, schweigend und aufmerksam. Dann dreht er sich um und geht davon. Nach ein paar Schritten jedoch bleibt er stehen und beobachtet Spartacus aus den Augenwinkeln. Und es scheint Spartacus, als sei jetzt etwas in seinem Ausdruck, das zuvor nicht zu sehen war, ein Funke, eine Bitte, ein Hoffnungsstrahl. Vielleicht … Damit begann der dritte der vier Abschnitte, in die man das Leben des Gladiators einteilen könnte. Man könnte ihn die Zeit der Hoffnung nennen. Der Haß schwand dahin, und der Gladiator erfuhr das Gefühl großer Liebe und Gemeinschaft zu seinesgleichen. Das geschah weder plötzlich noch schnell. Allmählich lernte er, einem Menschen zu vertrauen und dadurch das Leben zu lieben. Das hatte ihn vom ersten Augenblick an Spartacus gebunden: die mächtige Liebe dieses Thrakers zum Leben. Nie zog er es in Zweifel, nie kritisierte er es. Fast schien es, als bestünde ein geheimer Pakt zwischen Spartacus und allen Kräften des Lebens. Der Gladiator David begann nun, dem Spartacus zu folgen. Wo es nur einigermaßen unauffällig möglich war, setzte er sich neben ihn. Sein Gehör war scharf wie das eines Luchses. Er lauschte den Worten des Spartacus, nahm sie in sich auf und wiederholte sie im stillen. Er bemühte sich, zu begreifen, was darin lag. Dabei ging etwas in seinem Innern vor. Er veränderte sich, er wuchs. Das gleiche vollzog sich in jedem Gladiator der Schule. Aber für David war es ungewöhnlich. Er stammte aus einem Volk, das von Gott erfüllt war. Als er Gott verlor, entstand eine Lücke in seinem Leben. Diese Lücke füllte 271
er jetzt mit dem Menschen aus. Er lernte, den Menschen zu lieben. Er erkannte die Größe des Menschen. Das alles konnten weder Batiatus noch die Senatoren in Rom begreifen. Für sie brach der Aufstand plötzlich und unvermittelt aus. In ihren Augen gab es keine Vorbereitungen und kein Vorspiel, und so mußten sie es berichten. Doch das Vorspiel war vorhanden, leise, eigenartig, ständig wachsend. Nie vergaß David, wie er Spartacus zum erstenmal Verse aus der Odyssee sprechen hörte. Es war eine neue, bezaubernde Musik, die Geschichte eines tapferen Mannes, der viel erduldete, jedoch nie besiegt wurde. Viele dieser Verse waren ihm aus dem Herzen gesprochen. Er hatte das Leid durchgemacht, von der geliebten Heimat ferngehalten zu werden, und die launischen Wechselfälle des Lebens erfahren. Aber wie herrlich war es, daß ein Sklave, der als Sohn eines Sklaven geboren und niemals ein freier Mann gewesen war, all die Verse dieser schönen Geschichte auswendig kannte! Im Geist war Spartacus für ihn gleichbedeutend mit Odysseus, dem weisen Dulder. Der Knabe, der er damals trotz allem noch war, fand seinen Helden und sein Vorbild in Spartacus. Zuerst mißtraute er dieser Neigung. Vertraue keinem Menschen, dann wird dich auch niemand enttäuschen, hatte er sich oft genug gesagt. Und so beobachtete und wartete er, daß Spartacus an Wert und Bedeutung verlieren würde. Allmählich erkannte er, daß Spartacus stets er selbst bleiben würde. Und so erwuchs in ihm eine Ahnung dessen, wieviel Reichtum und Größe in jedem einzelnen menschlichen Wesen verborgen liegen. Als er damals zu einem jener vier Gladiatoren bestimmt wurde, die in zwei Paaren bis zum Tode kämpfen sollten, um die Laune der beiden parfümierten Homose272
xuellen aus Rom zu befriedigen, wurde er von Zweifeln und Widersprüchen zerrissen. Mit der siegreichen Überwindung dieses Zwiespaltes schlug er die erste Bresche in den Schutzwall, den er um sich errichtet hatte. Auch diesen Augenblick durchlebte er jetzt am Kreuz noch einmal. Ich bin der verfluchteste Mensch auf der ganzen Welt, hatte er damals, vor vier Jahren zu sich gesägt. Ich bin ausersehen, den Mann zu töten, den ich mehr als jeden anderen liebe. Aber ich werde sie diesmal nicht zufriedenstellen. Sie werden nicht das Vergnügen haben, Paare kämpfen zu sehen, diese Elenden und Verkommenen. Sie werden erleben, wie ich getötet werde, doch das wird sie nicht befriedigen, weil sie es jederzeit haben können. Aber ich will nicht gegen Spartacus kämpfen. Eher würde ich meinen eigenen Bruder töten. Was hat Spartacus mir gegeben? Ich muß mir diese Frage vorlegen und sie beantworten. Er hat mir etwas sehr Bedeutsames geschenkt, nämlich das Geheimnis des Lebens. Das Leben selbst ist das Geheimnis des Lebens. Jeder muß sich entscheiden, entweder für die Seite des Lebens oder für die des Todes. Spartacus steht auf der Seite des Lebens, deshalb wird er gegen mich kämpfen, wenn er muß. Er will nicht einfach sterben. Also muß ich gegen Spartacus kämpfen, und das Leben wird zwischen uns entscheiden. Aber es muß so sein. Während er das alles noch einmal durchlebte, vergaß er, daß er am Kreuz starb und daß das Schicksal es ihm erspart hatte, gegen Spartacus zu kämpfen. Stück um Stück tauchte die Vergangenheit in seinem schmerzgepeinigten Geist auf. Wieder töteten die Gladiatoren ihre Ausbilder im Eßraum. Wieder kämpften sie mit Messern und bloßen Fäusten gegen die Truppen. Wieder marschierten sie durch das Land, und die Sklaven strömten 273
von den Plantagen herbei, um sich ihnen anzuschließen. Und wieder überfielen sie die Stadtkohorten bei Nacht, vernichteten sie und nahmen ihre Waffen. Ihre zweite große Schlacht liegt jetzt hinter ihnen. Die Sklaven sind ein Heer. Sie haben die Waffen und Rüstungen von zehntausend Römern. Der Ruhm des Spartacus, der die Welt in Brand gesteckt hat, ist in jede Sklavenhütte gedrungen. Bald wird er gegen Rom marschieren und dessen Mauern einreißen. Wohin er geht, setzt er die Sklaven in Freiheit. Was er erbeutet, gehört allen gemeinsam. Seine Soldaten besitzen nur die Waffen, die Kleider und die Schuhe an ihren Füßen. Das ist Spartacus jetzt. Nach und nach hat der Jude David die Sprache wiedergefunden. Er redet langsam und stockend. »Bin ich ein guter Kämpfer oder nicht, Spartacus?« fragt er den Führer der Sklaven. »Ein sehr guter. Der beste. Du kämpfst gut.« »Und ich bin kein Feigling, das weißt du?« »Ich wußte das schon seit langem«, erwiderte Spartacus. »Wo gibt es einen Gladiator, der ein Feigling ist?« »Und ich bin nie einem Kampf ausgewichen.« »Niemals.« »Als mir das Ohr abgeschlagen wurde, habe ich die Zähne zusammengebissen und kein einziges Mal vor Schmerz geschrien.« »Es ist keine Schande, vor Schmerz zu schreien«, sagt Spartacus. »Ich habe starke Männer gekannt, die das taten und die weinten, wenn sie voller Bitterkeit waren. Das ist keine Schande.« »Aber du und ich weinen nicht. Eines Tages werde ich sein wie du, Spartacus.« »Du wirst ein besserer Mensch sein als ich. Du bist ein besserer Kämpfer.« 274
»Nein, ich werde nie auch nur halb so sein wie du. Aber ich glaube, ich kämpfte gut. Ich bin sehr schnell. Wie eine Katze. Eine Katze kann einen Schlag kommen sehen. Fast immer tue ich es auch. Deshalb möchte ich dich um etwas bitten. Ich möchte, daß du mich an deine Seite stellst. Wenn wir kämpfen, möchte ich jedesmal neben dir sein. Wir kämpfen ja nicht für uns, sondern für die ganze Welt.« »Es gibt Wichtigeres für dich, als an meiner Seite zu stehen. Ich brauche Männer, die ein Heer führen können.« »Die Menschen brauchen dich. Bitte ich dich um so viel?« »Um sehr wenig, David. Du bittest mich um meinetwillen, nicht um deinetwillen.« »Dann sage mir, daß du einverstanden bist.« Spartacus nickt. »Dir wird kein Leid geschehen, niemals. Ich werde über dich wachen, Tag und Nacht.« So wurde er der rechte Arm des Sklavenführers. Er, der während seines jungen Lebens nichts als Blutvergießen, Mühsal und Gewalt kennengelernt hatte, sah ein goldenes Ziel in der Ferne winken. Da die meisten Menschen Sklaven waren, würden sie bald eine Kraft sein, der nichts widerstehen könnte. Völker und Städte würden verschwinden, um dem neuen Goldenen Zeitalter Platz zu machen. Sobald Spartacus und seine Sklaven die ganze Welt erobert hätten, würde das Goldene Zeitalter mit Zymbeln, Trompeten und dem Lobgesang aller Menschen wieder anbrechen. Jetzt ist er allein mit Varinia. Wenn er sie ansieht, versinkt alles um ihn, und es bleibt nur diese Frau, die Frau des Spartacus. Für David ist sie die schönste und begehrenswerteste der Welt. Wie oft hat er sich gesagt: Was 275
bist du doch für eine verächtliche Kreatur, die Frau des Spartacus zu lieben! Alles, was du hast, verdankst du Spartacus, und wie lohnst du es ihm? Du liebst seine Frau. Selbst wenn du nicht darüber sprichst und es nicht zeigst, ist es dennoch furchtbar. Und überdies ist es sinnlos. Sieh dich an, betrachte dich im Spiegel. Hat es je solch ein scharfes, wildes Habichtsgesicht gegeben? Jetzt sagt Varinia zu ihm: »Was für ein seltsamer Jüngling du bist, David? Woher kommst du? Sind deine Leute alle wie du? Du bist noch ein Knabe, aber du lächelst oder lachst nie.« »Nenne mich nicht einen Knaben, Varinia. Ich habe bewiesen, daß ich manchmal mehr als das bin.« »Wirklich? Mich täuschst du nicht. Du bist noch ein Knabe. Du solltest ein Mädchen haben, den Arm um sie legen und mit ihr abends Spazierengehen. Du solltest sie küssen und mit ihr lachen. Gibt es nicht genug Mädchen?« »Ich habe meine Arbeit. Für so etwas habe ich keine Zeit.« »Keine Zeit für Liebe? Was sagst du da, David? Wie kann man so etwas sagen!« »Wo wären wir, wenn sich niemand um seine Pflichten kümmerte?« fragt er ungestüm. »Meinst du, es sei ein Kinderspiel, ein Heer zu führen, täglich für Tausende Nahrung zu finden, Männer auszubilden? Wir haben die wichtigste Arbeit der Welt, und du verlangst, ich solle den Mädchen schöne Augen machen!« »Du sollst ihnen keine schönen Augen machen, David, sondern sie umarmen.« »Ich habe keine Zeit dafür.« »Keine Zeit! Wie wäre mir wohl zumute, wenn Spartacus sagte, er habe keine Zeit für mich? Ich glaube, ich würde sterben. Es gibt nichts Wichtigeres, als ein einfa276
cher, gewöhnlicher Mensch zu sein. Ich weiß, daß du Spartacus für mehr hältst. Das stimmt nicht. Und es wäre auch gar nicht gut. Es ist gar kein großes Geheimnis an Spartacus. Ich weiß das. Wenn eine Frau einen Mann liebt, weiß sie eine Menge von ihm.« Er rafft seinen ganzen Mut zusammen und fragt: »Du liebst ihn sehr, nicht wahr?« »Was sagst du da, Knabe? Ich liebe ihn mehr als das Leben. Ich würde für ihn sterben, wenn er es verlangte.« »Ich würde auch für ihn sterben«, erwidert David. »Das ist etwas anderes. Ich beobachte dich manchmal, wenn du ihn ansiehst. Ich liebe ihn, weil er ein Mensch ist. Es gibt nichts Schwieriges in ihm. Er ist einfach und freundlich und hat nie die Stimme oder Hand gegen mich erhoben. Es gibt Menschen, die sich selbst ständig bedauern. Spartacus aber kennt kein Bedauern oder Mitleid mit sich, er hat es nur für andere. Wie kannst du fragen, ob ich ihn liebe? Weiß nicht jeder hier, wie sehr ich ihn liebe?« So erinnerte sich der letzte Gladiator während all seiner Qual zuweilen mit großer Klarheit und Genauigkeit. Dann wieder wurden die Bilder wild und grauenvoll. Eine Schlacht wurde zum Alptraum aus Lärm, Blut, Pein und tobenden Menschenmassen. Irgendwann hatten sie in den ersten zwei Jahren des Aufstandes erkennen müssen, daß sich die zahllosen Sklaven im römischen Machtbereich nicht erheben und ihnen anschließen konnten oder wollten. Sie hatten damals ihre größte Stärke erreicht, doch die Macht Roms schien ohne Ende zu sein. Er erinnerte sich an eine Schlacht aus jener Zeit. Sie war furchtbar und so gewaltig in ihren Ausmaßen, daß Spartacus und seine Männer während eines Tages und einer Nacht den Verlauf nur vermuten konnten. Während der gekreuzigte Gladiator sich daran erinner277
te, sah die zuschauende Menge aus Capua, wie sich sein Körper wand und drehte, wie weißer Schaum auf seine Lippen trat und seine Glieder krampfhaft zuckten. Sie hörten unartikulierte Laute aus seinem Munde dringen, und viele sagten: »Jetzt hält er nicht mehr lange durch. Er ist ziemlich fertig.« Sie haben auf einem langgestreckten Hügelkamm Aufstellung genommen, auf dessen Rücken ihre schweren Fußtruppen eine halbe Meile in beiden Richtungen auseinandergezogen sind. Unten ist ein hübsches Tal, durch das sich ein kleiner Bach schlängelt. Auf dem gegenüberliegenden Kamm stehen die römischen Legionen. Spartacus hat seinen Befehlsstand inmitten seines Heeres errichtet, ein weißes Zelt, von dem aus man die ganze Umgebung überblickt. Ein Schreiber sitzt hier vor seinen Papieren. Fünfzig Melder stehen bereit. Neben einem Mast wartet der Winker mit seinen verschiedenen leuchtend bunten Flaggen. Auf einem langen Tisch in der Mitte des großen Zeltes wird eine genaue Karte des Schlachtfeldes ausgebreitet. Die Heerführer sind um den Tisch versammelt, betrachten die Karte und sichten die eingelaufenen Meldungen. Es sind acht Männer. An einem Ende steht Spartacus, neben ihm David. Ein Fremder würde Spartacus auf den ersten Blick mindestens vierzig Jahre geben. Sein krauses Haar ist ergraut. Er ist schlanker geworden. Dunkle Schatten unter seinen Augen verraten den Mangel an Schlaf. Sein Herz ist schwer von Furcht, wie immer vor einer Schlacht. Er blickt rund um den Tisch auf seine Gefährten. Warum sind ihre Gesichter so ruhig? Teilen sie seine Furcht nicht? Da ist Crixus, der rothaarige Gallier. Er hat tiefliegende blaue Augen, eine rote, sommersprossige Haut und einen langen gelben Kinnbart. Und dort steht 278
Gannicus, sein Freund und Bruder aus der Gemeinschaft des Stammes und der Sklaverei. Dann Castus und Phraxus und Nordo, der breitschultrige schwarze Afrikaner, Mosar, der schmale, zarte, scharfsinnige Ägypter und der Jude David – und keiner von ihnen scheint Furcht zu haben. Warum dann er? »Nun, Freunde, wollen wir den ganzen Tag hier herumstehen und an dem Heer dort drüben herumrätseln?« fragt er jetzt scharf. »Es ist ein sehr großes Heer«, erwidert Gannicus. »Größer als alle, die wir bisher gesehen oder bekämpft haben. Man kann sie nicht zählen, aber wir haben bereits die Feldzeichen von zehn Legionen festgestellt. Sie haben die Siebente und Achte aus Gallien herangeholt. Dazu drei Legionen aus Afrika und zwei aus Spanien. Ein solches Heer habe ich noch nie erlebt. Es dürften siebzigtausend Mann drüben stehen.« Crixus ist immer derjenige, der sich gegen Furcht und Zagen wendet. Wenn es nach ihm ginge, hätten sie bereits die ganze Welt erobert. Er kennt nur eine Losung – gegen Rom marschieren. »Du langweilst mich, Gannicus«, sagt er jetzt. »Stets ist es das größte Heer oder die ungünstigste Zeit zur Schlacht. Ich gebe gar nichts auf ihr Heer. Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich sie angreifen, und zwar auf der Stelle.« Gannicus möchte es hinausschieben. Vielleicht würden die Römer auch diesmal ihre Kräfte aufsplittern. »Das werden sie nicht tun«, erklärt Spartacus. »Ich gebe dir mein Wort. Warum sollten sie auch? Sie wissen, daß wir alle hier sind. Weshalb also?« Dann sagt Mosar, der Ägypter: »Diesmal bin ich einer Meinung mit Crixus. Das kommt nicht oft vor, aber hier hat er recht. Das Heer dort drüben ist sehr groß. Wir werden früher oder später mit ihm kämpfen müssen, 279
weshalb also nicht gleich? Sie können uns aushungern. Und wenn wir abziehen, hätten sie die Gelegenheit, auf die sie warten.« »Wie viele sind es nach deiner Ansicht?« fragt Spartacus. »Eine Menge – mindestens siebzigtausend.« Spartacus schüttelt niedergeschlagen den Kopf. »Das ist wirklich verdammt viel. Aber ich glaube, du hast recht. Wir werden hier den Kampf aufnehmen müssen.« Es soll leicht klingen, doch sein Herz ist schwer. Sie beschließen, in drei Stunden die römische Flanke anzugreifen, aber die Schlacht ist schon vorher im Gange. Die Befehlshaber sind kaum zu ihren Einheiten zurückgekehrt, als die Römer ihren Angriff auf das Zentrum des Sklavenheeres eröffnen. Es gibt dabei keine komplizierte Taktik – eine Legion stößt vor, und das ganze gewaltige römische Heer rollt hinterher. David bleibt bei Spartacus. Kaum eine Stunde können sie vom Befehlsstand aus eine geordnete Verteidigung lenken. Dann ist es an ihnen, zu kämpfen, und der Alptraum beginnt. Das Befehlszelt wird zerstört. Die Schlacht brandet um sie wie ein Ozean. Das ist Kampf. David weiß nun, daß alles andere nur ein Geplänkel war. Spartacus ist jetzt nicht mehr der Befehlshaber eines großen Heeres, sondern lediglich ein Mann mit einem Schwert und dem viereckigen Schild des Soldaten. Er kämpft wie ein Löwe, und der Jude desgleichen. Die beiden sind ein Fels, gegen den die Wogen der Schlacht prallen. Plötzlich sind sie allein und kämpfen um ihr Leben. Dann eilt ihnen eine Hundertschaft zu Hilfe. David sieht Spartacus an. Der Thraker lacht unter Blut und Schweiß. »Was für ein Kampf!« schreit er. »Was ist das für ein Kampf, David!« 280
»Werden wir je noch einen Sonnenaufgang erleben? Wer weiß?« Welch seltsamer Mann, denkt David. Wie er die Schlacht liebt! Wie er kämpft! Wie ein Berserker, wie einer der Helden aus der Odyssee! Er weiß nicht daß er genauso kämpft. Er müßte getötet werden, ehe ein Speer Spartacus treffen könnte. Er weicht keinen Augenblick von seiner Seite, er scheint an Spartacus gefesselt zu sein. Von der Schlacht sieht er wenig, nur das, was unmittelbar vor Spartacus und ihm geschieht, doch das reicht. Die Römer wissen, daß Spartacus hier ist, und sie vergessen darüber alle Regeln der Schlacht. Angetrieben von ihren Offizieren drängen sie vor, kämpfen und schlagen um sich, um Spartacus zu erreichen, ihn niederzuwerfen, ihn zu töten, das Ungeheuer zu enthaupten. Sie sind so nahe, daß David ihre gemeinen Flüche hören kann. Aber auch die Sklaven wissen, daß Spartacus hier ist. Sie brechen von der anderen Seite her durch und tragen den Namen Spartacus wie eine Fahne vor sich. Er schallt meilenweit über das Schlachtfeld. Davids Kräfte lassen nach, seine Lippen werden trokken, und die Schlacht wird immer grauenvoller. Er weiß nicht, daß sie sich über zwei Meilen hinzieht, daß Crixus zwei Legionen vernichtet hat und sie verfolgt. Er kennt nur noch seinen Arm, sein Schwert und Spartacus an seiner Seite. Erst als er knöcheltief in den weichen Grasboden einsinkt, merkt er, daß sie sich hügelabwärts bis ins Tal vorgekämpft haben. Dann stehen sie im Bach, und der Kampf geht weiter. Das Wasser ist blutig rot und reicht ihnen bis an die Knie. Die Sonne sinkt, und der ganze Himmel ist rot. In der Dunkelheit ebbt die Schlacht ein wenig ab, ohne ganz aufzuhören. Die Sklaven tauchen die Köpfe in das blutige Wasser und trinken, um 281
den tödlichen Durst zu löschen. Bei Morgengrauen zerbricht der römische Angriff. Wie viele von diesen Sklaven man auch tötet, sofort treten andere laut schreiend und brüllend an ihre Stelle! Sie kämpfen wie die Tiere, nicht wie Menschen. Hat man ihnen das Schwert in den Leib gejagt, beißen sie sich noch im Fallen im Fuß des Gegners fest, und man muß ihnen den Kopf abschlagen, um sich freizumachen. Andere kriechen davon, wenn sie verwundet sind, die Sklaven aber kämpfen weiter bis zum Tode. Andere brechen die Schlacht bei Sonnenuntergang ab, die Sklaven jedoch kämpfen wie die Katzen in der Dunkelheit, ohne zu ermüden. Da werden die Römer von Angst erfaßt. Eine alte Saat geht in ihnen auf – die Furcht vor den Sklaven. Man lebt mit ihnen, doch man kann ihnen nie trauen. Sie lächeln ständig, aber hinter diesem Lächeln lauert der Haß. Sie denken an nichts anderes, als ihre Herren zu töten. Sie erstarken in ihrem Haß. Sie warten, warten, warten. Sie vergessen nichts, und ihre Geduld ist grenzenlos. Jeder Römer weiß das seit frühester Jugend. Und diese Saat trägt jetzt Früchte. Sie sind müde. Sie sind kaum noch imstande, ihre Schilde zu halten und die Schwerter zu heben. Die Sklaven jedoch sind nicht müde. Die Römer verlieren den Kopf. Hier weichen zehn, dort hundert. Aus den hundert werden tausend, zehntausend, und plötzlich ist das ganze Heer von Panik erfaßt. Die Römer werfen ihre Waffen fort und laufen davon. Die Offiziere versuchen sie aufzuhalten, aber sie töten ihre Offiziere und fliehen laut schreiend vor den Sklaven. Die Sklaven nehmen die Verfolgung auf und begleichen eine alte Rechnung. Meilenweit ist der Boden mit den Leichen gefallener Römer bedeckt. 282
Als Crixus und die anderen Spartacus finden, ist der Jude immer noch neben ihm. Spartacus liegt auf der Erde und schläft inmitten der Toten. Der Jude steht über ihn gebeugt, das Schwert in der Hand. »Laßt ihn schlafen«, sagt er. »Das ist ein großer Sieg. Laßt ihn schlafen!« Doch zehntausend Sklaven haben diesen großen Sieg mit ihrem Leben bezahlt. Und es werden neue römische Heere kommen – größere Heere. VI Als bekannt wurde, daß der Gladiator im Sterben sei, schwand das Interesse an ihm. Am Nachmittag waren nur noch ein paar Unentwegte sowie etliche Bettler und Landstreicher übriggeblieben. So ging der Gladiator einsam und verlassen seinem qualvollen Tode entgegen. Er bot weder den Soldaten noch den Zuschauern Ablenkung. Eine alte, zerlumpte Frau starrte ihn unentwegt an. Aus reiner Langeweile begannen die Soldaten sie zu necken. »Nun, meine Schöne, wovon träumst du bei diesem Anblick?« sagte einer. »Sollen wir ihn für dich herunterholen?« fragte ein anderer. »Wie lange ist es her, daß du einen stattlichen jungen Burschen wie den da im Bett hattest?« »Sehr lange«, murmelte sie. »Das wäre ein Bulle im Bett. Der würde dich reiten wie ein Hengst die Stute. Wie wär’s damit, Alte?« »Wie könnt ihr nur so reden«, erwiderte sie. »Was seid ihr für Menschen! Wie sprecht ihr denn mit mir!« »Ich bitte um Entschuldigung, edle Dame.« Die Soldaten verbeugten sich tief vor ihr. Die wenigen Zuschauer wurden aufmerksam und scharten sich um sie. 283
»Ich pfeife auf eure Entschuldigungen«, sagte die Alte. »Dreck! Ich bin schmutzig. Ihr seid dreckig. Ich kann meinen Schmutz in den Bädern abwaschen. Ihr nicht.« Daß die Frau sich zur Wehr setzte, paßte ihnen nicht, und so kehrten sie ihre Autorität hervor. Sie wurden grob, und ihre Augen funkelten. »Immer sachte, Alte. Hüte deine Zunge.« »Ich rede, wie es mir paßt.« »Dann nimm ein Bad und komm wieder. Dein Anblick hier am Stadttor ist wahrhaftig eine Sehenswürdigkeit.« »Gewiß ist er das«, lachte sie. »Ein schöner Anblick, nicht wahr? Was seid ihr Römer für Menschen! Die saubersten Menschen der Welt. Kein Römer, der nicht täglich badet, selbst wenn er ein Halunke ist wie die meisten von euch und seine Vormittage beim Glücksspiel und die Nachmittage in der Arena verbringt. Er ist so verdammt sauber …« »Jetzt reicht’s aber, Alte. Halt sofort den Mund.« »Es reicht noch lange nicht. Ich kann nicht baden. Ich bin eine Sklavin. Sklaven gehen nicht in die Bäder. Ich bin alt und verbraucht. Mir könnt ihr gar nichts tun. Nicht das mindeste. Ich sitze in der Sonne und belästige niemanden, aber das paßt euch wohl nicht? Zweimal täglich gehe ich ins Haus meines Herrn, und er gibt mir eine Handvoll Brot. Das gute Brot. Das Brot von Rom, dessen Korn von Sklaven gepflanzt, gemäht, gemahlen und gebacken wird. Ich gehe durch die Straßen und sehe nichts, was nicht von Sklavenhänden gemacht worden wäre. Glaubt ihr etwa, ihr könntet mir Angst einjagen? Ich spucke auf euch!« Crassus kehrte inzwischen zum Appischen Tor zurück. Er hatte schlecht geschlafen. Die Frage, weshalb er wieder zum Schauplatz der Kreuzigung komme, hätte er vermutlich mit einem Achselzucken beantwortet. Tat284
sächlich wußte er es jedoch sehr genau. Ein ganzer Lebensabschnitt des Crassus ging mit dem Tod dieses letzten Gladiators zu Ende. Solange er lebte, würde Crassus sich nicht mehr von den Erinnerungen des Sklavenkrieges freimachen können. Sie würden ihn von morgens bis abends begleiten. Bis zu seinem Tode würde er nie mehr von Spartacus loskommen. Am Tor hatte ein neuer Wachoffizier Dienst, aber er kannte den General und tat alles, um sich angenehm und hilfreich zu zeigen. Er entschuldigte sich sogar dafür, daß so wenig Leute dageblieben seien, um den Tod des Gladiators mitanzusehen. »Er stirbt sehr rasch«, sagte er. »Das ist erstaunlich. Er schien eine kräftige, zähe Natur zu sein. Eigentlich hätte er es drei Tage aushalten müssen. Doch er wird noch vor dem Morgen tot sein.« »Woher weißt du das?« fragte Crassus. »Man sieht es. Ich war bei vielen Kreuzigungen dabei. Sie verlaufen alle gleich. Wenn die Nägel allerdings eine größere Ader durchbohren, dann verbluten sie sehr schnell. Der hier blutet nicht besonders stark. Er will einfach nicht mehr leben, und wenn das geschieht, sterben sie rasch. Das sollte man kaum für möglich halten, nicht wahr?« »Mich überrascht gar nichts«, erwiderte Crassus. »Das kann ich mir denken. Nach allem, was du mitangesehen hast …« In diesem Augenblick legten die Soldaten Hand an die alte Frau. Sie wehrte sich, und ihr lautes Zetern erregte die Aufmerksamkeit des Generals und des Wachhabenden. Crassus ging hinüber, durchschaute die Situation mit einem Blick und herrschte die Soldaten an: »Ihr seid mir feine Helden! Laßt die alte Frau in Ruhe!« 285
Beim Klang seiner Stimme gehorchten sie. Einer von ihnen erkannte Crassus und flüsterte es den anderen zu. Dann tauchte der Wachhabende auf und fragte, was eigentlich los sei und ob sie nichts Besseres zu tun hätten. »Sie war unverschämt und führte gemeine Reden.« Einer der Herumstehenden lachte schallend. »Macht, daß ihr fortkommt«, befahl der Wachhabende den Müßiggängern. Sie wichen ein paar Schritte zurück, und die Alte musterte Crassus prüfend. »Der große General also ist mein Beschützer«, sagte sie. »Wer bist du, Alte?« fragte Crassus. »Soll ich vor dir niederknien, großer Herr, oder soll ich dir ins Gesicht spucken?« »Siehst du? Habe ich dir’s nicht gesagt?« rief der Soldat. »Schon gut. Was willst du eigentlich, Alte?« fragte Crassus. »Ich will nur in Ruhe gelassen werden. Ich bin hierher gekommen, um einen guten Menschen sterben zu sehen. Er sollte nicht ganz allein sterben. Ich sitze hier und sehe ihn an, während er stirbt. Ich bringe ihm ein Opfer der Liebe. Ich sage ihm, daß er niemals sterben wird. Spartacus ist niemals gestorben. Spartacus lebt.« »Um alles in der Welt, wovon sprichst du eigentlich?« »Weißt du wirklich nicht, wovon ich spreche, Marcus Licinius Crassus? Ich spreche von Spartacus. Ja, ich weiß, warum du hergekommen bist. Das weiß sonst niemand. Sie wissen es alle nicht. Aber du und ich, wir wissen es, nicht wahr?« Der Wachhabende befahl den Soldaten, sie festzunehmen und wegzuschleppen, doch Crassus scheuchte sie mit einer zornigen Bewegung fort. »Laßt sie in Ruhe, habe ich euch gesagt. Hört endlich 286
auf, mir zu zeigen, wie tapfer ihr seid! Vielleicht wärt ihr alle lieber in einer Legion als in einem Sommerkurort! Ich kann schon selbst für mich sorgen. Ich bin durchaus imstande, mich gegen eine alte Frau zu wehren!« »Du hast Angst«, erklärte die Alte lächelnd. »Wovor sollte ich Angst haben?« »Vor uns, stimmt’s? Ihr habt ja alle solche Angst! Deshalb bist du hergekommen. Um ihn sterben zu sehen. Um dich zu vergewissern, daß auch der letzte tot ist. Was haben euch doch ein paar Sklaven angetan! Und ihr habt immer noch Angst. Selbst wenn der letzte tot ist, wird es dann zu Ende sein? Wird es jemals zu Ende sein, Marcus Licinius Crassus?« »Wer bist du, Alte?« »Ich bin eine Sklavin«, erwiderte sie. Mit einemmal schien sie einfältig, kindisch und greisenhaft zu werden. »Ich bin hergekommen, um bei einem meiner Leute zu sein und ihm ein wenig Trost zu geben. Ich bin hier, um ihn zu beweinen. Alle anderen haben Angst bekommen. Capua ist voll von meinesgleichen, aber sie fürchten sich. Spartacus hat uns gesagt: ›Erhebt euch und seid frei!‹ Aber wir hatten Angst. Wir sind so stark, und doch dukken wir uns, winseln und laufen davon.« Jetzt rannen Tränen aus ihren wässerigen alten Augen. »Was wirst du mir tun?« fragte sie. »Nichts, Alte. Setz dich und weine, wenn du willst.« Er warf ihr eine Münze zu und ging nachdenklich davon. Dann stand er vor dem Kreuz, sah hinauf zu dem sterbenden Gladiator und grübelte über die Worte der Alten nach.
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VII Im Leben des Gladiators hatte es vier Zeiten gegeben. Die Kindheit war eine glückliche Zeit des Nichtwissens, die Jugend dagegen voll von Wissen, Kummer und Haß. Die Zeit der Hoffnung war die seines Kampfes an der Seite des Spartacus, und die der Verzweiflung begann, als er erkannte, daß ihre Sache verloren war. Die Zeit der Verzweiflung war zu Ende. Jetzt starb er. Kampf war sein tägliches Brot gewesen, doch nun kämpfte er nicht mehr. Das Leben in ihm war eine Flamme des Zorns und des Widerstandes gewesen, ein Aufschrei, in der Beziehung der Menschen zueinander einen Sinn zu entdecken. Die einen können hinnehmen, die anderen nicht. Es gab nichts, was er anerkennen konnte, bis er Spartacus traf. Da gewann er die Erkenntnis, daß ein Menschenleben wertvoll ist. Das Leben des Spartacus besaß Wert. Es war etwas Edles, und die Menschen in seiner Umgebung lebten edel. Aber noch jetzt, da er sterbend am Kreuz hing, fragte er sich, warum sie gescheitert waren. Seine wirren Gedanken suchten die Antwort auf diese Frage, ohne sie zu finden. Er ist bei Spartacus, als die Nachricht eintrifft, daß Crixus tot ist. Sein Tod war die logische Folge seines Lebens. Crixus hing einem Traum nach. Spartacus wußte, daß sie niemals imstande waren, Rom zu zerstören, sondern daß Rom nur sie zerstören konnte. Damit begann es, und es endete damit, daß zwanzigtausend Sklaven unter der Führung des Crixus losmarschierten. Und jetzt ist Crixus tot und sein Heer vernichtet. Crixus und seine Männer sind tot. Der große, heftige, rothaarige Gallier wird nie mehr lachen und schreien. Er ist tot. Ein Bote bringt die Nachricht. Spartacus hört zu und wendet sich dann an David. »Hast du es gehört?« fragt 288
er. »Ja.« »Hast du gehört, daß Crixus tot ist und daß sein ganzes Heer tot ist?« »Ja. Die Welt ist voll von Tod. Bevor ich dich kannte, gab es nur Tod in der Welt.« »Jetzt gibt es nur noch Tod in der Welt«, erwidert Spartacus. Er ist verändert. Er wird nie mehr sein, wie er vorher war. Seine unbedingte Lebensbejahung ist dahin, die ihn selbst in den Goldminen Nubiens, selbst in der Arena, wenn er nackt mit dem Messer in der Hand dastand, nicht verlassen hatte. Für ihn hat jetzt der Tod über das Leben gesiegt. Sein Gesicht und seine Augen sind leer, und dann quellen aus der Leere die Tränen und rollen über seine breiten braunen Wangen. Für David ist es furchtbar, herzzerreißend, zusehen zu müssen, wie er weint. »Warum weinst du?« fragt er. »Wir werden es jetzt sehr schwer haben – warum weinst du? Sie werden uns keine Ruhe mehr lassen, bis wir alle tot sind.« »Weinst du nie?« fragt Spartacus. »Als sie meinen Vater ans Kreuz schlugen, habe ich geweint. Seitdem nicht mehr.« »Du hast nicht um deinen Vater geweint, und ich weine nicht um Crixus«, erwidert Spartacus. »Ich weine um uns. Warum mußte das geschehen? Wo liegt unser Fehler? Zu Anfang habe ich nie gezweifelt. Mein ganzes Leben galt dem Augenblick, da die Sklaven Waffen in den Händen hätten. Und damals kam mir nie der geringste Zweifel. Die Zeit der Peitsche war vorbei. Die Glokken der Freiheit läuteten in der ganzen Welt. Warum mußten wir scheitern, warum? Warum starbst du, mein Freund Crixus? Warum warst du so halsstarrig? Jetzt bist du tot und mit dir all deine Männer.« 289
»Die Toten sind dahin«, sagt der Jude. »Hör auf zu weinen!« Doch Spartacus wirft sich zu Boden, vergräbt das Gesicht im Staub und schreit: »Schicke Varinia zu mir. Schicke sie zu mir! Sage ihr, ich habe Angst, weil überall der Tod lauert!« VIII Ehe der Gladiator starb, lichtete sich sein Geist noch einmal zu völliger Klarheit. Er öffnete die Augen, sah alles wieder deutlich und empfand kurze Zeit keinerlei Schmerz. Er nahm seine Umgebung mit voller Schärfe auf. Da war die Appische Straße, in der sich Roms Größe und Macht verkörperte. Auf der anderen Seite lag die Stadtmauer mit dem Appischen Tor, an dem ein Dutzend Soldaten gelangweilt herumstand. Dort scherzte der Wachhabende mit einem hübschen Mädchen. Am Straßenrand drüben saßen einige Müßiggänger. Jenseits der Straße meinte der Gladiator das Meer in der schönsten aller Buchten schimmern zu sehen. Eine kühle Brise wehte herüber und streichelte zärtlich sein Gesicht wie die Hände einer geliebten Frau. Er blickte auf die grünen Hecken, die den Straßenrand säumten, auf die dunklen Zypressen dahinter und im Norden auf die welligen Hügel und den Grat, wo sich die entlaufenen Sklaven versteckten. Er betrachtete den blauen Nachmittagshimmel, der schmerzlich schön war wie eine unerfüllte Sehnsucht. Als er die Augen senkte, sah er eine einsame alte Frau, die wenige Schritte vom Kreuz entfernt hockte, ihn unverwandt anstarrte und dabei weinte. Sie weint wahrhaftig um mich, sagte der Gladiator zu 290
sich. Wer bist du, Alte, daß du hier sitzt und um mich weinst? Er wußte, daß er starb, und war dankbar, daß es bald keine Erinnerung und keine Qual mehr geben würde, sondern nur noch den Schlaf, der alle Menschen mit Sicherheit erwartet. Er hatte keinerlei Verlangen, weiterhin zu kämpfen oder dem Tod Widerstand zu leisten. Wenn er jetzt die Augen schlösse, würde das Leben leicht und schnell entweichen. Er sah Crassus und erkannte ihn sofort. Ihre Blicke trafen sich. Der römische General stand aufrecht und regungslos wie eine Statue. Seine weiße Toga hüllte ihn von Kopf bis Fuß ein. Sein schöner, gutgeformter sonnverbrannter Kopf war wie ein Symbol für Roms Macht, Stärke und Ruhm. Du bist also hier, um mich sterben zu sehen, Crassus! dachte der Gladiator. Du bist gekommen, um den letzten Sklaven am Kreuz sterben zu sehen. So stirbt ein Sklave, und sein letzter Blick gilt dem reichsten Mann der Welt. Dann erinnerte sich der Gladiator seiner anderen Begegnung mit Crassus. Dabei dachte er wieder an Spartacus. Sie wußten, es war vorbei. Sie wußten, es war vollbracht. Sie wußten, es war die letzte Schlacht. Spartacus hatte sich von Varinia verabschiedet. Trotz all ihrer flehentlichen Bitten, bei ihm bleiben zu dürfen, hatte er ihr Lebewohl gesagt und sie gezwungen zu gehen. Sie trug damals ein Kind unter dem Herzen. Spartacus hatte gehofft, die Geburt noch zu erleben, ehe die Römer sie stellten. Nun sagte er zu David: »Ich werde das Kind nie sehen, mein alter Freund und Gefährte. Das ist das einzige, was ich bedauere. Sonst bedauere ich nichts, gar nichts.« Sie waren bereits zur Schlacht aufmarschiert, als man Spartacus den Schimmel brachte. Ein herrliches, schnee291
weißes, stolzes, feuriges Schlachtroß! Es war gerade das rechte für Spartacus. Er hatte seine Sorgen abgeschüttelt. Es war keine Maske. Er war tatsächlich jung und glücklich, voller Leben, Schwung und Feuer. Sein Haar war in den vergangenen sechs Monaten grau geworden, doch das sah man in diesem Augenblick nicht. Sein strahlend jugendliches Gesicht ließ alles vergessen und wirkte trotz seiner Häßlichkeit jetzt schön. Die Männer blickten ihn sprachlos an. Dann führten sie den prachtvollen Schimmel zu ihm. »Zunächst danke ich euch für das herrliche Geschenk, meine lieben Freunde«, sagte er. »Zunächst danke ich euch. Ich danke euch von ganzem Herzen.« Dann zog er sein Schwert und stieß es blitzschnell bis zum Heft in die Brust des Pferdes, hing daran, während das Tier sich aufbäumte und schrie, und riß es heraus, als das Pferd in die Knie brach, umfiel und verendete. Er blickte sie an, das bluttriefende Schwert in der Hand, und sie sahen ihn voller Bestürzung und Entsetzen an. Er jedoch blieb unverändert. »Ein Pferd ist tot«, sagte er. »Wollt ihr deshalb weinen? Wir kämpfen für das Leben von Menschen, nicht von Tieren. Die Römer lieben Pferde, doch für Menschen haben sie nur Verachtung. Jetzt werden wir sehen, wer dieses Schlachtfeld lebend verläßt, die Römer oder wir. Ich habe euch für euer Geschenk gedankt. Es war sehr schön. Ich erkannte daran, wie ihr mich liebt, aber es bedurfte keiner solchen Gabe. Ich weiß, was in meinem Herzen ist. Mein Herz ist erfüllt von Liebe zu euch. Es gibt in der ganzen Welt keine Worte, die diese Liebe ausdrücken könnten. Wir gehören zusammen. Selbst wenn wir heute unterliegen, haben wir doch etwas getan, dessen sich die Menschen stets erinnern werden. Vier Jahre haben wir gegen Rom gekämpft – vier lange Jahre. 292
Nie haben wir einem römischen Heer den Rücken zugewandt, nie sind wir davongelaufen. Auch heute werden wir nicht vom Schlachtfeld laufen. Wolltet ihr, daß ich auf einem Pferd kämpfe? Laßt die Pferde den Römern! Ich kämpfe zu Fuß, neben meinen Brüdern. Wenn wir diese Schlacht heute gewinnen, werden wir Pferde genug haben und sie vor die Pflüge spannen, nicht vor Streitwagen. Und sollten wir verlieren – nun, dann brauchen wir keine Pferde mehr.« Danach umarmte er sie. Jeden einzelnen seiner alten Gefährten, die noch am Leben waren, umarmte er und küßte ihn auf den Mund. Als er zu David kam, sagte er: »Mein Freund, großer Gladiator, wirst du auch heute neben mir bleiben?« »Immer.« Als er am Kreuz hing und Crassus ansah, dachte der Gladiator: Was vermag ein Mensch auszurichten? Er empfand jetzt kein Bedauern. Er hatte an der Seite des Spartacus gekämpft. Er war neben ihm, als dieser große General, der da unten stand, sein Pferd steigen ließ und die Reihen der Sklaven zu durchbrechen suchte. Mit Spartacus hatte er geschrien: »Komm doch her, Crassus! Komm und nimm unseren Gruß entgegen!« Er hatte gekämpft, bis der Stein einer Schleuder ihn zu Boden warf. Er hatte gut gekämpft. Er war froh, daß er nicht mit ansehen mußte, wie Spartacus starb. Er war froh, daß er und nicht Spartacus die letzte Scham und Erniedrigung des Kreuzes zu tragen hatte. Er empfand kein Bedauern, keine Sorgen und im Augenblick auch keinen Schmerz mehr. Er begriff jetzt diese letzte jugendliche Begeisterung des Spartacus. Es gab keine Niederlage. Er war nun dem Spartacus gleich geworden, weil er mit ihm das tiefe Geheimnis des Lebens teilte. Das wollte er Crassus sagen und bemühte sich verzweifelt zu spre293
chen. Er bewegte die Lippen, und Crassus trat ans Kreuz. Er stand da und blickte zu dem sterbenden Mann empor, doch es kam kein Laut von dessen Lippen. Dann fiel der Kopf des Gladiators vornüber. Seine Glieder wurden schlaff. Er war tot. Crassus verharrte regungslos, bis die alte Frau sich zu ihm gesellte. »Jetzt ist er tot«, sagte sie. »Ich weiß«, erwiderte Crassus. Dann ging er zurück zum Tor und durch die Straßen Capuas. IX An jenem Abend speiste Crassus allein. Er war für keinen Besucher zu sprechen. Seine Sklaven kannten diese immer wiederkehrende düstere Stimmung und schlichen leise und behutsam umher. Vor dem Essen hatte er bereits einen Krug Wein geleert, einen weiteren trank er während der Mahlzeit, und danach setzte er sich mit einem starken Dattelbranntwein nieder, dem sogenannten servius, der aus Ägypten eingeführt wurde. Eine Trunkenheit, die der Verzweiflung und Selbstverachtung entsprang, übermannte ihn, und als er kaum noch gehen konnte, torkelte er in sein Schlafzimmer und ließ sich von seinen Sklaven zu Bett bringen. Er schlief jedoch gut und tief. Am Morgen fühlte er sich ausgeruht. Er hatte weder Kopfschmerzen noch die Erinnerung an schlechte Träume. Es war seine Gewohnheit, zweimal täglich zu baden, unmittelbar nach dem Erwachen und am Spätnachmittag vor dem Abendessen. Nach dem Bad rasierte ihn sein Barbier. Er liebte diesen Teil des Tages, das kindliche Gefühl, der scharfen Klinge auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein, 294
danach die heißen Tücher, die Salben und die Kopfhautmassage. Er war sehr stolz auf sein Haar und bekümmert, daß es allmählich ausfiel. Er zog eine einfache dunkelblaue Tunika an, die mit Silberfäden gesäumt war, und dazu, wie üblich, kniehohe Stiefel aus weichem weißen Wildleder. Da diese Stiefel nicht richtig gesäubert werden konnten und innerhalb von zwei bis drei Tagen schmutzig wurden, unterhielt Crassus eine eigene Schuhmacherei, in der vier Sklaven unter der Leitung eines Schusters beschäftigt waren. Die Ausgabe lohnte sich, denn er sah in der blauen Tunika und den weißen Stiefeln wirklich gut aus. Da es wärmer wurde, beschloß er, auf die Toga zu verzichten, und begab sich nach dem Frühstück zu dem Haus, in dem die jungen Leute wohnten. Er war ein wenig beschämt, wenn er daran dachte, wie er Helena behandelt hatte, aber schließlich hatte er versprochen, die drei in Capua auszuführen. Er war bereits ein paarmal im Haus von Helenas Onkel gewesen, den er flüchtig kannte. Daher begrüßte ihn der oberste Türsklave zuvorkommend und führte ihn sofort in den Raum, wo die Familie mit ihren Gästen noch beim Frühstück saß. Helena wurde blutrot, als sie ihn sah. Gajus schien aufrichtig erfreut über seinen Besuch zu sein. Onkel und Tante fühlten sich zutiefst geehrt und überboten sich in Gastfreundlichkeit. Nur Claudia musterte ihn kalt und zynisch. Ihre Augen funkelten boshaft. »Wenn ihr noch keine Pläne für heute gemacht habt, würde ich euch gern in eine Parfümfabrik einladen«, sagte Crassus. »Es wäre eine Schande, nach Capua zu kommen und das zu versäumen, zumal unsere arme Stadt in erster Linie für ihre Gladiatoren und ihr Parfüm bekannt ist.« »Eine recht merkwürdige Zusammenstellung«, meinte 295
Claudia lächelnd. »Wir haben noch nichts vor«, erklärte Helena hastig. Gajus warf seiner Schwester einen scharfen, fast zornigen Blick zu. Crassus sagte, die älteren Herrschaften seien natürlich ebenfalls eingeladen, doch diese lehnten ab. Parfümfabriken waren ihnen nichts Neues, außerdem verursachte der starke Duft der Herrin des Hauses Kopfschmerzen. Kurz darauf brachen sie auf. Die Sänften trugen sie in den älteren Teil Capuas. Dort waren die Straßen enger und die Häuser höher. Trotz des klaren blauen Morgenhimmels herrschte ein trübes Zwielicht. Der faulige Geruch der Abfälle, die überall auf den Straßen herumlagen, vermischte sich immer mehr mit dem süßen, Übelkeit erregenden Duft der Essenzen. »Ihr seht, weshalb unsere Fabriken hier sind«, sagte Crassus. »Der Duft erfüllt bereits einen nützlichen Zweck.« »Eine gräßliche Gegend«, meinte Helena. »Meinst du wirklich, daß aus diesen Kloaken Parfüm kommt?« »Allerdings, meine Liebe. Und zwar mehr und besseres als aus jeder anderen Stadt in der Welt. Die meisten dieser Leute sind Syrer, Ägypter, Griechen und Juden. Wir haben versucht, unsere Fabriken mit Sklaven zu betreiben – aber das geht nicht. Sie verderben die Arbeit, und es hat gar keinen Zweck, sie auszupeitschen. Für unsere Proletarier wiederum besteht nicht der geringste Anreiz zu arbeiten. Für jede Stelle gäbe es zehn. Warum sollte also einer arbeiten, während die übrigen neun besser von der öffentlichen Unterstützung leben und ihre Tage beim Spiel, in der Arena oder in den Bädern verbringen? Sie treten höchstens noch ins Heer ein, weil da die Möglichkeit zum Reichwerden besteht, wenn man etwas Glück hat, aber auch als Soldaten müssen wir 296
immer mehr Barbaren verwenden. Deshalb stellen wir jetzt Syrer, Ägypter, Juden und Griechen ein, und selbst die arbeiten nur so lange, bis sie genug erspart haben, um sich die Staatsbürgerschaft zu kaufen. Ich weiß nicht, wo das enden soll.« Sie waren jetzt an der Werkstätte angelangt. Der niedrige, häßliche Holzbau war verwahrlost und morsch. Auf dem Dach rauchten zahlreiche Schornsteine. An einer Seite befand sich eine Verladerampe, auf der mehrere Wagen standen. Sie waren hoch beladen mit Baumrinde, Obstkörben und irdenen Krügen. Crassus ließ die Sänften zur Vorderfront tragen. Die breiten Holztore waren zurückgeschoben, so daß Gajus, Helena und Claudia den ersten Eindruck vom Innern einer Parfümerie bekamen. Das Dach des großen Schuppens wurde durch Balken gestützt und war großenteils ausgespart, um Luft und Licht hereinzulassen. Überall brannten offene Herdfeuer. Auf langen Tischen standen Hunderte von Näpfen und Tiegeln, und über allem lag der starke, Übelkeit erregende Duft der Essenzen. Die zahlreichen Arbeiter, kleine, braunhäutige, bärtige Männer, trugen nur einen Lendenschurz. Sie beobachteten die Retorten, schürten die Öfen, hackten an den Schneidetischen Rinde und Obstschalen oder füllten die Essenzen in kleine Silberröhrchen, die sie dann mit heißem Wachs versiegelten. Andere schälten Früchte und schnitten Schweinefett in Streifen. Der Verwalter – Crassus stellte ihn lediglich als Avalus vor – begrüßte den General und seine Gäste salbungsvoll und zugleich gierig und vorsichtig. Ein paar Münzen von Crassus machten ihn noch diensteifriger, und er führte sie durch sämtliche Reihen. Die Arbeiter ließen sich nicht beirren. Ihre Gesichter waren hart, verschlossen und bitter. Gajus, Helena und Claudia hatten noch nie solche 297
Männer gesehen. Sie wirkten fremdartig und beängstigend. Es waren weder Sklaven noch Römer. »Es handelt sich hier um das Destillationsverfahren«, erklärte Crassus. »Wir haben es den Ägyptern zu verdanken, die es jedoch nie im Großen betreiben konnten. So etwas zu organisieren, ist stets Roms Sache.« »Hat man es denn je anders gehandhabt?« fragte Gajus. »O ja. Früher mußten die Menschen auf die natürlichen Duftstoffe zurückgreifen – hauptsächlich Weihrauchharz, Myrrhe und natürlich Kampfer, das heißt also Gummiharze, die aus Baumrinde gewonnen werden. Wie ich gehört habe, soll es im Morgenland Plantagen solcher Bäume geben. Die Rinden werden eingeschnitten, und man zapft den Gummi regelrecht ab. Dann erfanden die Ägypter die Destillation, die uns nicht nur den Branntwein, sondern auch das Parfüm beschert hat.« Er führte sie zu einem der Tische, an dem ein Arbeiter Zitronenschalen in hauchdünne Scheiben schnitt. Crassus nahm eine und hielt sie gegen das Licht. Wenn ihr genau hinseht, könnt ihr die Ölkammern erkennen. Ihr wißt ja, wie stark und angenehm die Schale duftet. Sie bildet die Grundlage für den kostbaren Stoff; natürlich nicht nur Zitronenschalen, sondern hunderterlei andere Früchte und Rinden. Würdet ihr mir jetzt folgen …« Er zeigte ihnen einen der Herde, auf dem ein großer Kessel mit Schalenstückchen zum Kochen angesetzt wurde. Aus dem Metalldeckel führte eine Kupferröhre in vielen Windungen unter einem Wasserstrahl hindurch in einen anderen Kessel. »Das ist die Destillation«, erklärte Crassus. »Wir kochen den Grundstoff, seien es Rinde, Blätter oder Obstschalen, bis sich die Ölkammern öffnen. Dann verdampft das Öl, und wir kondensieren den Dampf mit Hilfe des 298
Wasserstrahls.« Er zeigte auf einen anderen Herd. »Hier seht ihr, wie das Wasser herüberkommt. Wenn ein Kessel voll ist, kühlen wir ihn ab, damit das Öl sich auf der Oberfläche sammelt. Es wird dann sorgfältig abgeschöpft und in den Silberröhrchen versiegelt. Der Rest ergibt das wohlriechende Wasser, das man jetzt so gern morgens trinkt.« »Willst du damit sagen, daß wir dieses Zeug trinken?« rief Claudia. »Mehr oder weniger. Es wird mit destilliertem Wasser versetzt, aber ich kann euch versichern, daß es sehr gesund ist. Durch Vermischen erzielt man verschiedene Geschmacksrichtungen.« Er sah, daß Helena ihm zulächelte, und fragte: »Glaubst du, ich erzähle euch nicht die Wahrheit?« »Nein, nein. Ich bin nur voller Bewunderung für ein solches Wissen. Bisher dachte ich immer, kein Mensch hätte eine Ahnung davon, wie so etwas gemacht wird.« »Es ist mein Beruf, das zu wissen«, erwiderte Crassus gleichmütig. »Ich bin ein sehr reicher Mann und schäme mich dessen nicht, wie viele andere. Eine Menge Leute sehen auf mich herab, weil ich mich dem Geldverdienen widme. Das kümmert mich nicht. Mir macht es Freude, reicher zu werden. Aber im Gegensatz zu meinen Kollegen betrachte ich eine Plantage nicht als Quelle des Reichtums, und als man mir die Führung eines Krieges übertrug, bekam ich keine Städte zur Eroberung wie Pompejus. Sie gaben mir den Sklavenkrieg, bei dem wirklich nicht viel zu gewinnen war. Deshalb habe ich meine kleinen Geheimnisse, zu denen auch diese Werkstatt zählt. Jedes dieser Silberröhrchen mit Duftstoff ist das Zehnfache seines Gewichtes in purem Gold wert. Ein Sklave ißt, was du ihm gibst, und stirbt. Diese Arbeiter jedoch verwandeln sich in Gold. Und außerdem brauche 299
ich mich nicht um ihre Ernährung und Unterbringung zu kümmern.« »Immerhin könnten sie dasselbe tun wie Spartacus«, gab Gajus zu bedenken. »Ein Arbeiteraufstand?« Crassus schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, das wird es nie geben. Es sind ja keine Sklaven, sondern freie Menschen. Sie können kommen und gehen, wie es ihnen beliebt. Warum sollten sie sich empören?« Er sah sich in dem großen Schuppen um. »Nein. Während des ganzen Sklavenkrieges sind unsere Öfen nie ausgegangen. Es gibt kein Band zwischen diesen Männern und Sklaven.« Dennoch fühlte sich Gajus höchst unbehaglich, nachdem sie die Werkstatt verlassen hatten. Diese seltsamen, schweigenden, bärtigen Männer, die so schnell und geschickt arbeiteten, verursachten ihm Furcht und böse Vorahnungen. Die Ursache kannte er jedoch nicht.
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SIEBENTER TEIL Von der Rückreise des Cicero und Gracchus nach Rom, von ihren Gesprächen, vom Traum des Spartacus und wie er Gracchus berichtet wurde. I Als Gajus, Crassus und die beiden Mädchen die Appische Straße hinunter nach Süden in Richtung Capua reisten, waren Cicero und Gracchus bereits nördlich nach Rom unterwegs. Die Villa Salaria lag nur eine kurze Tagesreise von der Stadt entfernt. So zogen Cicero und Gracchus in ihren Sänften gemächlich dahin. Cicero, der dazu neigte, gönnerhaft und überheblich zu sein, zwang sich zur Ehrerbietung diesem Mann gegenüber, der eine solche Machtstellung in Rom einnahm. Wenn ein Mann sein Leben dem Ziel widmet, die Gunst der Menschen zu gewinnen und ihre Feindschaft zu vermeiden, muß er bestimmte Umgangsformen und gewinnende Eigenschaften entwickeln. Gracchus war kaum jemandem begegnet, dessen Zuneigung er nicht zu erringen vermochte. Cicero hingegen war nicht gerade liebenswert. Er gehörte zu jenen gescheiten jungen Leuten, die den Erfolg niemals durch Grundsätze gefährden lassen. Gracchus war zwar genauso opportunistisch, unterschied sich jedoch von Cicero dadurch, daß er Grundsätze achtete; sie waren für ihn etwas Unbequemes, das er tunlichst vermied. Cicero, der sich gern als Materialisten bezeichnete, leugnete jegliches Anstandsgefühl bei allen Menschen. In dieser Hinsicht war er weniger realistisch als Gracchus, dessen sanfte Bosheit ihn mitunter empörte. Tatsächlich war Gracchus aller301
dings keineswegs gemeiner als andere. Er hatte sich lediglich stärker gegen die Selbsttäuschung zur Wehr gesetzt, da er sie als hinderlich für seine Ziele erkannte. Andererseits empfand er weniger Verachtung für Cicero, als es eigentlich der Fall sein müßte. Er wurde bis zu einem gewissen Grade nicht klug aus ihm. Die Welt veränderte sich, und Cicero gehörte zu den Vorboten dieser Wandlung. Er war der Vertreter einer ganzen Generation intelligenter, rücksichtsloser junger Männer. Gracchus war ebenfalls rücksichtslos, ohne dabei ein Gefühl des Bedauerns oder des Mitleids zu verlieren, das jedoch auf seine Handlungen ohne Einfluß blieb. Diese jungen Leute aber waren weder zu Mitleid noch zu Bedauern fähig. In gewisser Beziehung beneidete Gracchus Cicero, weil er da stark war, wo er selbst Schwäche zeigte. Um diesen Punkt kreisten seine Gedanken unaufhörlich. »Schläfst du?« fragte Cicero leise. Auf ihn wirkte das Schaukeln der Sänfte beruhigend und einschläfernd. »Nein, ich denke nur nach.« »Über wichtige Staatsgeschäfte?« fragte Cicero leichthin. Er war davon überzeugt, daß der Alte einen Plan zum Sturz irgendeines unschuldigen Senators schmiedete. »Nichts Besonderes. Ich habe an eine sehr alte Geschichte gedacht. Sie ist wie viele ihresgleichen ein wenig töricht.« »Würdest du sie mir erzählen?« »Sie würde dich bestimmt langweilen.« »Den Reisenden langweilt nur die Landschaft.« »Auf jeden Fall ist es eine moralische Geschichte, und es gibt bekanntlich nichts Langweiligeres als das. Meinst du, in unserem Leben wäre noch Platz für dergleichen?« 302
»Für kleine Kinder eignen sie sich gut. Meine Lieblingsgeschichte handelte von der Mutter der Gracchen, also möglicherweise einer entfernten Verwandten von dir.« »Ich bin nicht mit ihr verwandt.« »Damals war ich sechs Jahre alt. Mit sieben glaubte ich schon nicht mehr daran.« »In dem Alter konntest du doch noch gar nicht so böswillig gewesen sein?« entgegnete Gracchus lächelnd. »Aber sicher. Am besten gefällt mir an dir, Gracchus, daß du dir nie einen Stammbaum gekauft hast.« »Das war Sparsamkeit, keine Tugend.« »Und die Geschichte?« »Ich fürchte, du bist zu alt dafür.« »Versuch’s doch! Deine Geschichten haben mich noch nie enttäuscht.« »Selbst wenn sie keine Pointe haben?« »Sie haben immer eine. Man muß nur intelligent genug sein, sie zu erkennen.« »Dann erzähle ich dir meine Geschichte«, lachte Gracchus. »Sie handelt von einer Mutter, die nur einen Sohn hatte. Er war groß, gut gewachsen und schön, und sie liebte ihn sehr.« »Ich glaube, meine Mutter hat in mir immer nur ein Hindernis für ihren Ehrgeiz gesehen.« »Meine Geschichte spielt vor langer Zeit, als Tugend immerhin noch möglich war. Diese Mutter also liebte ihren Sohn über alles. Dann verliebte er sich. Er verlor sein Herz an eine Frau, die ebenso schön wie schlecht war. Sie aber hatte für ihn überhaupt nichts übrig, keinen Blick, kein Kopfnicken, kein freundliches Wort.« »Solche Frauen kenne ich«, pflichtete Cicero bei. »Er sehnte sich also nach ihr. Einmal bot sich die Gelegenheit, ihr zu erzählen, was er alles für sie tun würde, 303
was für Schlösser er bauen, welche Reichtümer er ihr bieten wolle. Sie erwiderte, daß ihr daran nicht das geringste läge. Statt dessen bat sie ihn um ein Geschenk, das er ihr ohne weiteres machen könne.« »Ein einfaches Geschenk?« fragte Cicero. Gracchus genoß es, wenn er eine Geschichte erzählte. Er erwog die Frage und nickte schließlich. »Ein ganz einfaches Geschenk. Sie bat den jungen Mann, ihr das Herz seiner Mutter zu bringen. Und er tat es. Er nahm ein Messer, stieß es seiner Mutter in die Brust und riß das Herz heraus. Dann packte ihn das Entsetzen über seine Tat, und er lief durch den Wald, in dem die schlechte, aber schöne junge Frau lebte. Dabei stolperte er über eine Wurzel und stürzte. Das Herz fiel ihm aus der Hand. Er eilte, das kostbare Herz aufzuheben, das ihm die Liebe einer Frau erkaufen sollte, und als er sich herabbeugte, hörte er das Herz sagen: ›Hast du dir weh getan, mein Kind?‹« Gracchus lehnte sich in seiner Sänfte zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete sie nachdenklich. »Und?« fragte Cicero. »Das ist alles. Ich habe dir doch gesagt, es sei eine moralische Geschichte ohne Pointe.« »Verzeihen? Das ist keine römische Geschichte. Verzeihen liegt uns Römern nicht. Jedenfalls handelt es sich nicht um die Mutter der Gracchen.« »Nicht Verzeihen. Liebe.« »Ach!« »Du glaubst nicht an Liebe?« »Die alles übersteigt? Keineswegs. Auch das ist nicht römisch.« »Aber, Cicero, du kannst doch nicht alles in römisch oder nicht-römisch einordnen!« »Das meiste schon«, erwiderte Cicero selbstgefällig. 304
»Und du glaubst daran?« »Ehrlich gesagt, nicht unbedingt«, erwiderte Cicero lachend. Er hat keinen Humor, dachte Gracchus. Er lacht, weil er es für angebracht hält. »Ich wollte dir gerade raten, die Politik aufzugeben«, sagte er. »Ja?« »Ich glaube allerdings nicht, daß du dich durch meinen Rat beeinflussen läßt.« »Du bist aber immerhin der Meinung, daß ich in der Politik nie Erfolg haben würde, nicht wahr?« »Nein, das möchte ich nicht sagen. Hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, was Politik eigentlich ist?« »Sie besteht aus einer Reihe von Dingen, vermute ich. Und keines ist sonderlich sauber.« »Nicht sauberer oder schmutziger als anderes. Ich habe mein ganzes Leben als Politiker verbracht«, sagte Gracchus. Er mag mich nicht, dachte er. Ich treffe ihn, und er schlägt zurück. Warum fällt es mir so schwer, mich damit abzufinden, daß mich jemand nicht leiden kann? »Ich habe gehört, deine große Stärke sei dein Namengedächtnis«, sagte Cicero zu dem fetten Alten. »Stimmt es, daß du hunderttausend Leute mit Namen kennst?« »Wieder eine Illusion über die Politik. Ich kenne nur ein paar Menschen mit Namen. Und nicht etwa hunderttausend.« »Ich habe mir sagen lassen, daß Hannibal jeden Mann seines Heeres mit Namen kannte.« »Stimmt. Und Spartacus werden wir demnächst ein ähnliches Gedächtnis andichten. Wir können nicht zugeben, daß jemand siegt, weil er besser ist als wir. Warum habt ihr eine solche Vorliebe für die großen und kleinen Lügen der Geschichte?« 305
»Sind es denn alles Lügen?« »Meist schon«, brummte Gracchus. »Die Geschichte ist eine Begründung für List und Gier. Aber diese Begründung ist niemals ehrlich. Deshalb habe ich dich nach deiner Ansicht über Politik gefragt. In der Villa Salaria hat irgend jemand behauptet, im Heer des Spartacus habe es keine Politik gegeben. Das konnte auch gar nicht sein.« »Du als Politiker kannst mir ja wohl erklären, was eigentlich ein Politiker ist«, sagte Cicero lächelnd. »Ein Schwindler«, erwiderte Gracchus kurz. »Zumindest bist du ehrlich.« »Meine einzige Tugend, aber sie ist außerordentlich wertvoll. Bei einem Politiker verwechselt man das mit Aufrichtigkeit. Wir leben ja in einer Republik. Das bedeutet, daß es sehr viele Menschen gibt, die nichts besitzen, und einige wenige, die alles haben. Diese Reichen nun müssen von denen verteidigt und beschützt werden, die nichts haben. Überdies müssen die Reichen ihr Eigentum bewahren, und deshalb haben diejenigen, die nichts besitzen, bereit zu sein, für das Eigentum von Menschen wie du und ich und Antonius zu sterben. Ferner haben Menschen unserer Art viele Sklaven. Sie lieben uns nicht. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, daß Sklaven ihre Herren lieben. Und somit werden sie uns auch nicht gegen ihresgleichen verteidigen. Das bedeutet, daß die zahllosen Menschen, die gar keine Sklaven haben, bereit sein müssen, zu sterben, damit wir die unseren behalten. Rom hat eine Viertelmillion Männer unter Waffen. Diese Soldaten müssen bereit sein, in fremde Länder zu ziehen, sich die Füße wundzulaufen, im Dreck zu hausen, in Blut zu waten – und das alles nur, damit wir sicher und behaglich leben und unseren persönlichen Reichtum vermehren können. Als diese Truppen gegen 306
Spartacus zogen, hatten sie weniger zu verteidigen als die Sklaven. Und dennoch starben sie zu Tausenden in diesem Kampf. Man könnte noch weiter gehen. Die Bauern, die im Sklavenkrieg fielen, waren vor allem deshalb zum Heer gegangen, weil die Latifundien sie von ihrem Grund und Boden vertrieben hatten. Die Sklavenplantage hat ihnen ihr Land genommen, und dann sterben sie, um eben diese Plantage zu erhalten. Überlege doch einmal, mein lieber Cicero, was hat der tapfere römische Soldat zu verlieren, wenn die Sklaven siegen? Im Gegenteil, sie würden ihn dringendst brauchen. Denn es gibt nicht genügend Sklaven, um den Boden richtig zu bearbeiten. Es wäre ausreichend Land für alle vorhanden, und der Wunschtraum unseres Legionärs ginge in Erfüllung: ein eigenes Stück Land und ein kleines Haus. Doch er marschiert, um diese seine Träume zu zerstören, damit sechzehn Sklaven ein fettes altes Schwein wie mich in einer gepolsterten Sänfte tragen. Bezweifelst du meine Worte?« »Ich meine, wenn ein gewöhnlicher Sterblicher, das, was du eben gesagt hast, laut auf dem Forum äußerte, würden wir ihn kreuzigen.« Gracchus lachte. »Aber Cicero, ist das eine Drohung? Ich bin viel zu fett, zu schwer und zu alt, um gekreuzigt zu werden. Weshalb fürchtet ihr euch so vor der Wahrheit? Man muß wohl die anderen belügen. Müssen wir aber auch uns selbst belügen?« »Du läßt dabei nur die entscheidende Frage außer acht – ist ein Mensch wie der andere oder nicht? Da steckt der Fehler. Du setzt voraus, daß die Menschen einander gleichen wie die Erbsen in einem Topf. Ich tue das nicht. Es gibt eine Elite – eine Gruppe von Höherstehenden. Es spielt keine Rolle, ob sie durch die Götter oder durch die Verhältnisse dazu gemacht wurden. Es sind jedoch Men307
schen, die zum Herrschen geeignet sind, und eben deshalb herrschen sie. Und weil die übrigen wie das liebe Vieh sind, benehmen sie sich auch so. Du stellst eine Behauptung auf. Die Schwierigkeit aber liegt darin, sie zu beweisen. Du zeichnest ein Bild der Gesellschaft. Wenn jedoch die Wirklichkeit ebenso unlogisch wäre wie dieses Bild, würde das ganze Gebäude in einem Tag zusammenstürzen. Du erklärst nicht, was diesen unsinnigen Bau zusammenhält.« »Ich«, erwiderte Gracchus kopfnickend. »Ich halte ihn zusammen.« »Du? Ganz allein?« »Glaubst du wirklich, Cicero, ich sei ein Idiot? Ich habe ein langes, gefährliches Leben hinter mir und bin immer noch oben. Vorhin hast du mich gefragt, was ein Politiker ist. Er ist der Mörtel in diesem Irrenhaus. Der Patrizier kann es nicht sein. Zunächst denkt er genau so wie du, und die römischen Bürger lieben es nicht, wenn man ihnen erzählt, sie seien Vieh. Sie sind es auch nicht – das wirst du eines Tages noch lernen. Zweitens weiß er nichts von diesem Bürger. Ginge es nach ihm, würde das Gebäude in einem Tag zusammenstürzen. So kommt er zu Leuten wie ich. Er könnte nicht ohne uns leben. Wir überzeugen das Volk, daß die größte Erfüllung des Lebens darin liegt, für den Reichen zu sterben. Und wir überzeugen die Reichen, daß sie etwas von ihrem Besitz abgeben müssen, um den Rest behalten zu können. Wir sind Zauberer. Wir erzeugen eine Illusion, die narrensicher ist. Wir, sagen dem Volk: ›Du bist die Macht. Deine Stimme ist es, die Rom Stärke und Größe verleiht. Du bist das einzige freie Volk der Welt. Es gibt nichts Kostbareres als deine Freiheit, nichts Bewundernswerteres als deine Zivilisation. Und du herrschst darüber. Du bist die Macht!‹ Dann stimmen sie für unsere Kandidaten. Sie 308
weinen über unsere Niederlagen und jubeln über unsere Siege. Und sie fühlen sich stolz und überlegen, weil sie keine Sklaven sind. Sie sind schmutzig, aber jedesmal, wenn sie einen Sklaven sehen, hebt sich ihr Selbstbewußtsein, und sie sind erfüllt von Stolz und Macht. Dann wissen sie, daß sie römische Bürger sind, und daß alle Welt sie beneidet. Und das ist meine Kunst, Cicero. Verachte mir die Politik nicht!« II All dies machte Gracchus für Cicero keineswegs liebenswerter. Als sie schließlich zu dem ersten großen Kreuz kamen, das nur wenige Meilen außerhalb der Stadtmauern Roms stand, wies Cicero auf den fetten Mann, der dösend unter seinem Sonnenschutz saß, und sagte zu Gracchus: »Offensichtlich ein Politiker nach Aussehen und Bildung.« »Offensichtlich. Ein alter Freund von mir.« Gracchus ließ die Sänfte halten und kletterte mühsam hinaus. Cicero folgte seinem Beispiel. Er war froh, die Beine ausstrecken zu können. Es ging auf den Abend zu, und dunkle Regenwolken zogen von Norden herauf. Cicero deutete darauf hin. »Wenn du willst, geh weiter!« sagte Gracchus. Er hatte nicht mehr den Wunsch, Cicero zu gefallen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die paar Tage in der Villa Salaria hatten einen üblen Nachgeschmack hinterlassen. Was war das nur, fragte er sich. Wurde er alt und unsicher? »Ich warte«, erklärte Cicero. Er stand neben seiner Sänfte und beobachtete Gracchus, der zu dem Mann unter dem Sonnenschutz hinüberging. Sie kannten einan309
der. Eine merkwürdige Demokratie herrschte unter den Beamten und Politikern. Das war eine Welt für sich! »Heute nacht«, hörte Cicero den Gracchus sagen. Der andere schüttelte den Kopf. »Sextus!« schrie Gracchus. »Ich habe dir mein Angebot gemacht. Ich gebe nicht ein bißchen für Sextus. Entweder tust du, was ich sage, oder ich rede mein Leben lang kein Wort mehr mit dir.« »Tut mir leid, Gracchus.« »Erzähl mir nur das nicht. Tu, was ich dir sage.« Damit schritt Gracchus zurück zur Sänfte und kletterte hinein. Cicero stellte keinerlei Fragen, aber als sie sich den Stadttoren näherten, erinnerte er Gracchus an die Geschichte, die dieser morgens erzählt hatte. »Sie war wirklich nett, aber du hast sie irgendwie nicht richtig gebracht.« »Meinst du? Hast du jemals geliebt, Cicero?« »Nicht so, wie die Dichter singen. Aber die Geschichte …« »Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, warum ich sie eigentlich erzählt habe. Ich muß einen Grund gehabt haben, aber ich habe ihn vergessen.« In der Stadt trennten sie sich, und Gracchus begab sich nach Hause. Es war mittlerweile fast dunkel geworden, so daß er sein Bad bei Lampenlicht nehmen mußte. Dann sagte er seiner Haushälterin, daß er später essen wolle, da er Besuch erwarte. Er ging in sein Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Mißgestimmt starrte er vor sich hin, bis eine Sklavin an die Tür klopfte und meldete, daß sein Tischgast eingetroffen sei. »Ich komme sofort. Macht es ihm gemütlich, Er ist schmutzig und zerlumpt, aber ich lasse jeden auspeitschen, der ihn von oben herab behandelt. Gebt ihm Wasser, damit er sich Gesicht und Hände waschen kann, und 310
dann eine leichte Toga. Er heißt Flavius Marcus. Redet ihn beim Namen an und seid höflich zu ihm!« Dieser Befehl war offensichtlich befolgt worden, denn als Gracchus in den Speiseraum kam, lehnte der dicke Mann, der beim ersten Kreuz gesessen hatte, auf einem Sofa. Er sah sauber und gepflegt aus und war lediglich unrasiert. Schuldbewußt rieb er seine Bartstoppeln. »Könntest du wohl noch einen Barbier bestellen?« sagte er zu Gracchus. »Ich habe Hunger und finde, wir sollten essen, Flavius. Du kannst die Nacht über hierbleiben und wirst dann morgen früh rasiert. Nach einer guten Nachtruhe und einem Bad wird es besser gehen. Ich gebe noch eine saubere Tunika und ein Paar anständige Schuhe dazu. Wir haben ungefähr die gleiche Figur, so daß dir meine Sachen passen werden.« Sie sahen einander tatsächlich sehr ähnlich. Man hätte sie für Brüder halten können. »Das heißt – wenn du keine Angst hast, daß Sextus dir böse ist, weil du seinen billigen Posten aufgibst und eine Kleinigkeit von mir annimmst.« »Du hast gut reden«, erwiderte Flavius weinerlich. »Du hast Glück gehabt, Gracchus. Reichtum, Luxus, Ansehen, Ehre, Macht. Für dich ist das Leben ein Genuß gewesen, aber für mich keineswegs, sei versichert. Es ist wirklich nicht gerade angenehm, unter einer verwesenden Leiche zu sitzen und Lügen zu erfinden, damit die Reisenden dir etwas in die Hand drücken. Ein Bettler zu sein ist bitter und häßlich. Immerhin hat mir Sextus geholfen, als ich nicht mehr weiter wußte. Wenn ich jetzt wieder zu ihm käme, würde er sagen: ›Du brauchst mich nicht. Geh doch zu deinem großen Freund und Gönner Gracchus.‹ Er haßt dich und würde dann auch mich hassen.« »Laß ihn ruhig!« entgegnete Gracchus. »Sextus ist ein 311
Frosch, ein billiger kleiner Beamter! Soll er dich doch hassen! Tue, worum ich dich bitte, und ich werde dir hier in der Stadt eine Stelle als Schreiber oder Aufseher verschaffen, damit du ein wenig beiseite legen und gut leben kannst. Du brauchst nicht wieder zu Sextus zu kriechen.« »Früher, als sie mich brauchten, hatte ich viele Freunde. Heute könnte ich in der Gosse krepieren …« »Ich kann dich brauchen«, unterbrach ihn Gracchus. »Laß uns die Dinge beim Namen nennen. Und jetzt iß und höre auf zu greinen. Das Glück läuft dir über den Weg, und du hast Angst davor. Ich verstehe gar nicht, warum.« Das Essen und der Wein stimmten Flavius freundlich. Als sie fertig waren, legte er sich lächelnd zurück, atmete tief und sagte: »Seit fünf Jahren hatte ich keine solche Mahlzeit mehr, Gracchus. Gutes Essen ist der beste Trost der Welt. Und so etwas hast du alle Tage! Du bist wahrhaft ein großer Mann, Gracchus, und ich bin nichts als ein alter Narr. Du verdienst es wohl, und ich habe kein Recht, es dir übelzunehmen. Jetzt bin ich bereit zu hören, was ich für dich tun soll. Ich kenne immer noch ein paar Leute, Banditen, Totschläger, Zuhälter und Kuppelmütter. Ich habe keine Ahnung, was ich machen könnte, wozu nicht du oder ein anderer besser geeignet wäre, aber wie du willst!« »Wir werden einen Branntwein dabei trinken«, sagte Gracchus und schenkte ein. »Ich glaube, du hast Vorzüge, Flavius. Ich hätte einen anderen finden können, der alle Welt in Rom kennt, doch ich wollte hierfür niemanden nehmen, der irgendwie mit mir zu tun hat. Ich möchte nämlich die Sache rasch und in aller Stille erledigt haben.« »Ich kann den Mund halten«, versicherte Flavius. »Das weiß ich. Deshalb habe ich dich ja gebeten. Du 312
sollst eine Frau für mich suchen. Eine Sklavin. Du sollst sie ausfindig machen und kaufen, um jeden Preis. Jede Summe steht dir zur Verfügung.« »Was für eine Frau? Es gibt doch wirklich genug Sklavinnen auf dem Markt. Seit dem Ende des Sklavenkrieges ist das Angebot mehr als reichlich. Ich könnte dir jede Frau suchen, die du haben willst, schwarz, weiß, gelb oder braun, Jungfrau oder Hure, alt oder jung, schön oder häßlich, blond, braun, rothaarig – alles. Was also willst du?« »Eine ganz bestimmte«, sagte Gracchus langsam. »Eine Sklavin?« »Ja.« »Wer ist sie?« »Sie heißt Varinia, und sie war die Frau des Spartacus.« »Ach …« Flavius sah Gracchus scharf an. Dann nippte er an seinem Branntwein, musterte Gracchus abermals und fragte: »Wo ist sie?« »Ich weiß es nicht.« »Aber du kennst sie?« »Ja und nein. Ich habe sie nie gesehen.« »Ach …« »Hör auf mit deinem orakelhaften Ach!« »Mir fällt nichts Gescheiteres ein.« »Ich brauche dich als Mittelsmann und nicht als Unterhalter«, erwiderte Gracchus brummend. »Du weißt genau, was du tun sollst.« »Ich soll für dich eine Frau finden, aber du hast keine Ahnung wo sie ist, und du hast sie nie gesehen. Weißt du denn, wie sie aussieht?« »Ja. Sie ist ziemlich groß, schön gewachsen, aber schlank. Hochbusig mit vollen Brüsten. Sie ist Germanin, hat strohblondes Haar und blaue Augen. Kleine Ohren, 313
eine hohe Stirn, eine gerade, jedoch nicht kleine Nase, tiefliegende Augen und einen vollen Mund, dessen Unterlippe vielleicht etwas schwer ist. Sie dürfte schlecht lateinisch sprechen, möglicherweise auch gar nicht. Ihr Griechisch ist besser, allerdings auf thrakische Art. In den letzten zwei Monaten hat sie ein Kind geboren, das tot sein könnte. Doch selbst dann hätte sie noch Milch in den Brüsten, nicht wahr?« »Nicht unbedingt. Wie alt ist sie?« »Ich weiß es nicht genau. Mindestens dreiundzwanzig, vielleicht sogar schon siebenundzwanzig. Ich bin nicht sicher.« »Möglicherweise ist sie tot.« »Das könnte sein. In dem Fall müßtest du es feststellen. Du hättest mir dann zu beweisen, daß sie tot ist. Aber ich glaube es nicht. Sie gehört nicht zu den Menschen, die sich das Leben nehmen, und eine Frau wie sie stirbt nicht so schnell.« »Woher weißt du, daß sie nicht Selbstmord begehen würde?« »Ich weiß es eben. Das läßt sich nicht erklären.« »Wurde nicht das Lager des Spartacus nach seiner Niederlage genommen? Ungefähr zehntausend Frauen und Kinder sollen darin gewesen sein.« »Es waren zweiundzwanzigtausend Frauen und Kinder. Zwölftausend bekamen die Truppen als Beute. Das Übelste, was ich je gehört habe, aber Crassus stand dahinter. Seinen eigenen Beuteanteil hat er zwar der Staatskasse gegeben, um das Ganze zu vertuschen. Das war keine Großzügigkeit seinerseits, denn sein Anteil besaß keinen großen Wert. Er brüstete sich sehr damit, daß er selbst keine Sklaven nahm. Er wußte ja auch, wie der Markt aussehen würde.« »War Varinia unter diesen Frauen?« 314
»Möglich. Vielleicht auch nicht. Sie war die Frau des Anführers. Sie könnten Sondermaßnahmen zu ihrem Schutz getroffen haben.« »Keine Ahnung. Den Sklaven ging doch nichts über Gleichheit.« Gracchus trank den Branntwein aus und zeigte mit dem dicken Finger auf sein Gegenüber. »Willst du es nun tun oder nicht? Mit Reden kannst du den Fall nicht lösen, Flavius. Das gibt schwere Arbeit.« »Ich weiß. Und wieviel Zeit läßt du mir?« »Drei Wochen.« »Was!« Flavius warf entgeistert die Hände hoch. »Das ist doch gar nichts. Vielleicht ist sie überhaupt nicht in Rom. Ich werde Leute nach Capua, nach Syrakus, nach Sizilien schicken müssen. Möglicherweise sogar nach Spanien und Afrika. Sei doch vernünftig.« »Ich bin so vernünftig, wie es mir paßt. Verdammt noch mal, geh zu Sextus und nimm seine Almosen an.« »Also gut, Gracchus. Du brauchst nicht so wütend zu sein. Aber wenn ich nun mehrere Frauen kaufen muß? Weißt du, auf wie viele Germaninnen diese Beschreibung zutrifft?« »Bestimmt auf sehr viele. Ich will nicht irgendeine, auf die diese Beschreibung paßt, sondern Varinia.« »Und was soll ich für sie bezahlen, wenn ich sie finde?« »Was verlangt wird. Ich stehe dafür gerade.« »Einverstanden, Gracchus. Würdest du mir bitte noch einmal von diesem ausgezeichneten Branntwein einschenken?« Flavius streckte sich auf dem Sofa aus, schlürfte das Getränk und betrachtete den Mann, der ihn angestellt hatte. »Ich habe gewisse Fähigkeiten, nicht wahr, Gracchus?« »Das stimmt.« 315
»Aber ich bleibe arm dabei. Ich bin und bleibe ein Versager. Darf ich dich noch etwas fragen, Gracchus? Antworte nicht, wenn du nicht willst. Aber sei nicht zornig.« »Frage!« »Warum willst du diese Frau haben, Gracchus?« »Ich bin nicht zornig. Aber ich glaube, es wird für uns beide Zeit, zu Bett zu gehen. Wir sind auch nicht mehr die Jüngsten.« III Es vergingen keine drei Wochen, als Flavius bei Gracchus erschien und ihm mitteilte, er habe seine Aufgabe erfolgreich beendet. Er hatte sich verändert, war gut gekleidet, sauber rasiert und selbstsicher. Gracchus vermochte seine Ungeduld kaum zu zügeln, während Flavius ihm bei einem Becher Wein berichtete. »Ich begann mit der sehr schwierigen Arbeit, die Offiziere ausfindig zu machen, die an der Beute beteiligt waren. Denn ich überlegte mir, daß sie sich Varinia ausgesucht haben müßten, da sie schön war. Aber wenn du bedenkst, daß die ganze Geschichte ungesetzlich war, daß ferner fünf- bis sechshundert Offiziere in Frage kamen und daß nur sehr wenige darüber zu reden wünschten, wirst du verstehen, wie schwierig es war. Nun, wir hatten Glück. Die Leute erinnerten sich. Varinia kam gerade in die Wehen, als man die Nachricht erhielt, daß die Sklaven besiegt worden waren. Die Leute wußten nicht, daß es die Frau des Spartacus war, die sich nicht von dem Neugeborenen trennen wollte, und ebensowenig kannten sie ihren Namen. Du mußt wissen, daß Crassus sofort nach der Schlacht eine Abteilung Reiterei gegen die Sklavenstadt oder das Lager oder das Dorf, wie im316
mer du es nennen willst, einsetzte. Darauf folgten die Fußtruppen. Die Sklavinnen und die Kinder – darunter Knaben von dreizehn und vierzehn Jahren – leisteten keinen großen Widerstand. Sie waren wie betäubt, nachdem sie gerade gehört hatten, daß die Sklavenarmee vernichtet worden war. Aber du weißt, wie Soldaten nach einer Schlacht sind, und es dürfte wohl auch keine Kleinigkeit gewesen sein, gegen Sklaven zu kämpfen. Sie …« »Du brauchst mir nicht die Verfassung der Legionäre zu schildern«, unterbrach Gracchus. »Halte dich lieber an die Tatsachen.« »Ich versuche nur, die Situation zu beschreiben. Meiner Meinung nach gab es zunächst viel sinnloses Blutvergießen, weil unsere Soldaten wütend und erbittert waren. Varinia hatte gerade geboren. Ein Sklavenkind ist heutzutage kaum sein Gewicht in Gold wert. Auf die richtige Spur brachte mich die Geschichte von einem Soldaten, der das Neugeborene am Bein packte und es gegen einen Zeltpfosten schleudern wollte. Crassus selbst hinderte ihn daran. Er rettete das Kind und schlug den Soldaten mit seinen eigenen Fäusten halb tot. Das hätte man nie von ihm erwartet, nicht wahr?« »Mich interessiert nicht, was man Crassus zutrauen würde und was nicht. Du bist doch ein alter Schwätzer, Flavius! Hast du Varinia gefunden? Gehört sie mir? Hast du sie gekauft?« »Ich konnte sie nicht kaufen.« »Warum nicht?« Gracchus brüllte plötzlich los und sprang wütend auf. Flavius duckte sich auf seinem Stuhl, als er auf ihn zukam, ihn beim Halsausschnitt packte und schüttelte: »Warum nicht? Warum nicht, du fetter, nichtsnutziger Tagedieb? Ist sie tot? Wenn du das verpfuscht hast, landest du wieder in der Gosse, und dieses 317
Mal auf immer!« »Sie ist nicht tot …« »Warum hast du sie dann nicht gekauft?« Er ließ Flavius los, beugte sich aber immer noch drohend über ihn. »Beruhige dich doch endlich!« sagte Flavius plötzlich laut. »Du hast mir einen Auftrag gegeben, und ich habe ihn erfüllt. Ich mag nicht so reich sein wie du, Gracchus. Vielleicht gehöre ich auch wieder in die Gosse. Doch das gibt dir kein Recht, so mit mir zu reden. Ich bin nicht dein Sklave. Es ist schon schlimm genug, wenn es einem Menschen so ergeht wie mir. Du brauchst es nicht noch schlimmer zu machen!« »Es tut mir leid.« »Ich habe sie nicht gekauft weil sie nicht verkäuflich ist. Das ist alles.« »Der Preis?« »Daran liegt es nicht. Es gibt gar keinen Preis. Sie gehört Crassus und lebt in seinem Hause. Und sie ist nicht verkäuflich. Meinst du, ich hätte es nicht versucht? Crassus war in Capua, und währenddessen habe ich mit seinen Leuten verhandelt. Es war nicht das geringste zu machen. Sie wollten nicht einmal darüber reden. Sobald das Gespräch auf eben diese Sklavin kam, verstummten sie völlig. Sie wüßten nichts von einer solchen Sklavin und wollten auch nicht vom Preis sprechen. Sie wollten auch nicht handeln. Ich steckte ihnen Geld zu, doch das änderte nichts. Wenn ich den Barbier, den Koch oder die Haushälterin haben wolle, das ließe sich durchaus machen. Alles wollten sie für mich tun, nur nicht Varinia.« »Woher weißt du dann, daß es Varinia ist und daß sie sich dort befindet?« »Diese Information habe ich von einer Sklavin gekauft. Glaube nur nicht, daß der Haushalt des Crassus eine glückliche kleine Familie ist. Er hat einen Sohn, der ihn 318
zutiefst haßt, und seine Frau lebt getrennt von ihm und würde ihm am liebsten die Kehle durchschneiden. Das Haus ist voller Intrigen. Wie auch immer, die Information konnte ich kaufen, jedoch Varinia nicht.« »Hast du ausfindig gemacht, warum er sie gekauft hat? Und weshalb er sie behält?« Flavius kicherte. »Allerdings. Crassus liebt sie.« »Was?« »Ja. Der große Crassus hat sich verliebt.« Da sagte Gracchus langsam und fest: »Die Götter seien dir gnädig, Flavius, wenn du je ein Wort über die Sache verlierst. Sollte mir jemals etwas davon zu Ohren kommen, werde ich dafür sorgen, daß du ans Kreuz geschlagen wirst.« »Was sind das für Redensarten? Du bist nicht Jupiter, Gracchus!« »Nein. Ich bin nicht einmal entfernt mit einem der Götter verwandt, wie einige unserer vornehmen Halbidioten von sich behaupten. Durchaus nicht. Aber ich stehe den Göttern so nahe wie nur je ein römischer Politiker, und das genügt, um dich ans Kreuz zu bringen, Flavius. Sollte etwas von der Sache herauskommen, tue ich das auch. Verlaß dich darauf!« IV Am folgenden Nachmittag begab sich Gracchus zu den Bädern, deren Besuch sich aus politischen Zweckmäßigkeitsgründen durchaus lohnte. Die öffentlichen Bäder wurden mehr und mehr zu politischen und gesellschaftlichen Mittelpunkten. Hier machte man Senatoren und Beamte und setzte sie ebenso ab; Millionen von Sesterzen wechselten die Besitzer. Sie waren zugleich Börse 319
und politischer Klub, und es war fast eine Pflicht, sich von Zeit zu Zeit dort sehen zu lassen. Gracchus hatte alles genau überlegt. Die Aussichten, daß Crassus heute dort sein würde, standen eins zu drei. Und tatsächlich war er bereits da, als Gracchus die Umkleideräume betrat. Er stand ausgezogen vor dem hohen Spiegel und bewunderte seinen langen, schlanken Körper. Die Räume füllten sich: einige patrizische Müßiggänger, die jedoch genügend politische Macht besaßen, um die Stadt in ihren Grundfesten zu erschüttern, Bankiers, mächtige Kaufleute, Beamte, Sklavenhändler, eine Auswahl von kleinen Gaunern und Bandenführern, ein paar wichtige Senatoren, sogar ein lanista, drei ehemalige Konsuln, ein Quästor, ein oder zwei Schauspieler und ein Dutzend arroganter Militärs. Dazwischen waren genügend Männer ohne besondere Bedeutung, um die Demokratie der Bäder zu bestätigen, mit der sich Rom so brüstete. Gracchus setzte sich auf eine Bank und ließ sich von einem Sklaven die Schuhe ausziehen, wobei er ab und zu einen Blick auf Crassus warf. Dazwischen empfing er Grüße, nickte, lächelte und ließ hier und dort ein Wort einfließen. Auf Befragen gab er kurz und bestimmt seinen Rat, und ebenso äußerte er seine Meinung über die Unruhen in Spanien, die Lage in Afrika, die Notwendigkeit der Neutralität Ägyptens oder über das Problem, was man gegen die ständigen jüdischen Provokationen in Palästina unternehmen solle. Doch die ganze Zeit über beobachtete er Crassus, bis dieser schließlich, noch immer nackt und im Bewußtsein seiner kräftigen Schlankheit, herüberkam und ihn begrüßte. Crassus konnte nicht widerstehen, dabeizubleiben, als Gracchus sich auszog, und somit alle zu einem Vergleich herauszufordern. Die Sklaven nahmen dem Politiker die Toga ab, wodurch sich seine massige Wuchtigkeit enthüllte, ohne jedoch an 320
Wirkung zu verlieren. Dann folgte die Tunika, und die Nacktheit des fetten Mannes bekam etwas Ergreifendes. Merkwürdigerweise hatte Gracchus sich zuvor noch nie seines Körpers geschämt. Gemeinsam gingen sie ins tepidarium, den Aufenthaltsraum der Bäder. Hier gab es Bänke und Matten, auf denen man sich ausstrecken und entspannen konnte, doch für gewöhnlich wandelte man auf und ab und sprang dazwischen kurz ins Wasser. Der weite, schöne Raum war mit Marmor ausgelegt und enthielt Mosaikarbeiten sowie Statuen. Er führte ins Freie zum, Kaltwasserbekken, zum Warmwasserbecken, den heißen Bädern, den Dampfräumen, von denen aus man wiederum in die verschiedenen Turnhallen und Massageräume gelangte. Im allgemeinen begnügte sich Gracchus mit einem kurzen kalten Bad, einer halben Stunde im Dampfraum und einer Massage. Heute jedoch richtete er sich nach Crassus. Die harten Worte, die zwischen ihnen gefallen waren, schienen vergessen zu sein. Nackt und fett wandelte er neben dem General her, den er mit der ihm eigenen liebenswürdigen Aufmerksamkeit behandelte. »Sie bauen Brücken«, hieß es, als man sie beobachtete und überlegte, was für neue politische Bündnisse hier wohl entstehen mochten. Crassus wartete gelassen ab. Er wird schon damit herausrücken, was er eigentlich will, sagte er sich. »Seit wann bist du eigentlich auch in der ägyptischen Frage eine Autorität?« fragte er den Politiker brüsk. »Du meinst, was ich vorhin geäußert habe? Das waren doch nur ein paar allgemeine Redensarten, die ich meinem Ruf schuldig bin.« Eine für Gracchus wahrhaft überraschende Feststellung! »Deinem Ruf, alles zu wissen?« 321
Gracchus lachte. »Du bist in Ägypten gewesen, nicht wahr?« »Nein. Und ich tue auch nicht so.« »Nun ja, ich weiß nicht recht, Crassus. Wir knurren einander ständig an und könnten doch Freunde sein. Es wäre für beide Teile lohnend.« »Das finde ich auch. Ich bin gleichfalls ein Zyniker. Freundschaft hat ihren Preis.« Ja?« »Allerdings. Was habe ich denn, das meine Freundschaft so wertvoll macht? Geld … Geld? Du besitzt beinahe ebensoviel.« »Geld kümmert mich nicht.« »Mich schon. Was ist es also?« »Ich möchte einen Sklaven von dir kaufen.« Jetzt war es heraus. »Zweifellos meinen Koch. Oder ein paar Sänftenträger? Oder eine Frau? Wie ich höre, hast du nur Frauen in deinem Haushalt.« »Verdammt noch mal, du weißt genau, wen ich will!« rief Gracchus. »Ich möchte Varinia.« »Wen?« »Varinia. Wir wollen uns gegenseitig nichts vormachen.« »Mein lieber Gracchus, du irrst dich. Woher hast du deine Informationen?« »Ich halte mich auf dem laufenden.« Der Dicke unterbrach sich und sah den anderen an. »Hör zu, Crassus, laß uns mit offenen Karten spielen. Kein Feilschen. Ich erkläre dir klipp und klar, daß ich dir den höchsten Preis zahlen werde, der jemals für eine Sklavin in Rom geboten wurde. Ich gebe dir eine Million Sesterzen in Gold. Und zwar sofort, wenn du mir Varinia überläßt.« Crassus verschränkte die Arme und pfiff leise vor sich 322
hin. »Das ist wahrhaftig ein Preis, auf den man Gedichte schreiben könnte. Man kann heute auf dem Markt eine reife, hochbusige Schönheit für tausend Sesterzen kaufen, und da willst du für ein mageres germanisches Mädchen das Tausendfache geben! Aber wie könnte ich eine solche Summe annehmen? Was würden die Leute dazu sagen? Crassus ist ein übler Halsabschneider, würde es heißen.« »Mach dich nicht über mich lustig!« »Ich? Du machst dich über mich lustig, mein lieber Gracchus. Ich habe nichts, was du kaufen kannst.« »Ich habe dir ein ernsthaftes Angebot gemacht.« »Und ich habe dir ernsthaft darauf geantwortet.« »Ich verdopple den Preis. Zwei Millionen.« »Ich habe nie gewußt, daß man in der Politik so viel Geld machen kann.« »Zwei Millionen. Mein letztes Wort.« »Du langweilst mich«, sagte Crassus und ging. V »Du mußt dich anziehen, Varinia. Wir müssen dich jetzt ankleiden, Varinia. Der Herr kommt nach Hause, und du mußt mit ihm speisen. Warum machst du es uns so schwer, Varinia?« »Ich will es euch nicht schwer machen.« »Du tust es aber. Du siehst doch, wie schwer du es uns machst, Varinia. Du erzählst uns, du seist eine Sklavin wie wir und wolltest keine vier Sklavinnen zu deiner Bedienung. Du erzählst uns, wie unglücklich du seist. Du kenntest das Sklavenleben. Aber vielleicht hast du es vergessen, während du bei Spartacus warst, der die ganze Welt eroberte? Damals warst du eine Königin, nicht 323
wahr, Varinia? So …« »Sagt das nicht noch einmal! Warum tut ihr das? Habe ich mich jemals von euch abgesondert?« »Das brauchst du gar nicht, Varinia. Der Herr sondert dich von uns ab. Wir sind etwas fürs Bett, wenn er Langeweile hat. Dich aber liebt er, Varinia. Deshalb machst du es uns schwer. Wir werden ausgepeitscht, wenn du nicht richtig angekleidet bist. Du bekommst die Peitsche nicht, nur wir.« »So soll er mich doch auspeitschen!« »Soll er! Wir sehen ja, wie er dich peitscht!« »Schon gut. Ich stille jetzt das Kind. Wartet so lange. In einer halben Stunde bin ich bereit. Dann könnt ihr mich ankleiden, wie ihr wollt. Ich werde es euch nicht schwer machen. Laßt mich nur erst mein Kind stillen.« »Wie lange?« »In einer halben Stunde werde ich fertig sein. Dann schläft er. Ich verspreche euch, alles zu tun, was ihr wollt.« Sie ließen sie nun in Ruhe. Drei der Sklavinnen waren Spanierinnen, die vierte eine Sabinerin, die sich nicht damit abfinden konnte, daß ihre Mutter sie verkauft hatte, um Schulden zu bezahlen. Varinia verstand das. Es war hart, von den eigenen Leuten verkauft zu werden. Neid, Eifersucht, Bitterkeit – all das schwärte in diesem Haus. Sie stillte den Jungen und legte ihn dann zu Bett. Wie schön er ist, dachte sie, als sie sich über ihn beugte. Dick, rund und kräftig, das Haar wie schwarze Seide und die Augen tiefblau. Später würden sie dunkel werden wie die seines Vaters. Er schlief rasch ein. Seine Welt war richtig und in Ordnung. Es war die Welt des Lebens, in der die einfachen Gesetze des Lebens herrschten, ungestört und unkompliziert. Seine Welt überdauerte alle anderen … Sie ließ ihn allein und ging zu den Wartenden. Vier 324
Sklavinnen, die sie für das Mahl mit dem Mann, dem sie gehörte, ankleiden sollten! Widerspruchslos duldete sie, daß man sie auszog und ihren nackten Körper wusch. Er war immer noch sehr schön, langbeinig und reizvoll durch die üppigen Brüste. Dann wurde sie in ein Laken gehüllt und auf ein Sofa gelegt, damit die ornatrix ihr Gesicht und Arme schminken konnte. Nachdem das geschehen war, setzte sie sich auf und ließ sich das weiche, glatte, blonde Haar ordnen. Es wurde sorgfältig zu einem festen Lockenaufbau hochfrisiert, der durch Pomade und kleine Bänder zusammenhielt. Dann kamen die Juwelen. Sie stand nackt da, während das Diadem im Haar befestigt wurde. Es folgten goldene Ohrringe und eine goldene, mit Saphiren besetzte Halskette. Kleine dazu passende Kettchen wurden um Knöchel und Handgelenke gelegt und Diamantringe an die beiden kleinen Finger gesteckt. Sie wurde schön und prächtig gekleidet, wie der reichste Mann von Rom seine Geliebte, nicht aber seine Sklavin anzog. Es war kein Wunder, daß die armseligen Frauen, die zu ihrer Bedienung bestimmt waren, kein Mitleid mit ihr haben konnten. Jetzt zogen sie ihr eine baumwollene stola über den Kopf, ein langes, einfach geschnittenes Gewand, das um die Taille durch einen gebundenen Gürtel zusammengehalten wurde. Der einzige Schmuck bestand aus einer Goldborte am Saum, und es brauchte auch nicht mehr dank seiner schlichten, schönen Linie. Aber Varinia konnte nie den Gedanken loswerden, daß jede Einzelheit ihres Körpers durchschien. Und eben diese Nacktheit bedeutete Schrecken und Erniedrigung. Sie war glücklich, daß die Milch aus ihren Brüsten das Kleid vorn befeuchtete und seine Schönheit verdarb. 325
Über dem Ganzen wurde ein großer hellgelber Schal getragen, den Varinia als Mantel benutzte. Bei jeder Mahlzeit sagte Crassus: »Warum versteckst du deinen schönen Körper so, meine Liebe? Laß doch den Schal frei fallen. Das Kleid darunter kostet zehntausend Sesterzen. Zumindest ich sollte das Vergnügen haben, es zu betrachten, wenn es schon kein anderer sieht.« Er sagte es auch an diesem Abend, als sie den Speiseraum betrat, und gehorsam ließ sie den Schal auseinanderfallen. »Du bringst mich sehr in Verwirrung, Varinia«, erklärte Crassus. »Ich glaube, ich habe dir einmal erzählt, daß ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, in meinem Lager in Gallia Cisalpina eine Nacht mit jenem gräßlichen lanista Batiatus zu verbringen. Er hat dich mir beschrieben und dich eine Wildkatze genannt. Eine äußerst treffende Bezeichnung für eine Frau, die sich nicht zähmen läßt. Aber ich bemerke nicht das mindeste davon. Du bist ungewöhnlich gehorsam und gefügig.« »Ja.« »Ich frage mich, wieso du dich so verändert hast. Sicher willst du es mir nicht sagen?« »Ich weiß nicht. Ich kann es dir nicht erzählen.« »Vermutlich weißt du es doch, aber lassen wir das. Du siehst heute sehr schön aus. Gepflegt, gut angezogen – wie lange soll das so weitergehen, Varinia? Ich habe mich doch sehr anständig dir gegenüber benommen, oder nicht? Kummer ist Kummer, aber denke dabei nur einmal an die Salzbergwerke. Ich könnte dir dein Kind wegnehmen, um es für dreihundert Sesterzen auf dem Markt zu verkaufen, und dich dann in die Salzbergwerke schicken. Wäre dir das recht?« »Nein.« »Ich rede höchst ungern so«, sagte Crassus. »Schon gut. Du kannst alles sagen, was du willst. Ich 326
bin ja dein Eigentum.« »Ich will nicht dein Eigentümer sein. Tatsächlich gehöre ich dir umgekehrt genauso wie du mir. Ich möchte dich so besitzen wie ein Mann eine Frau.« »Ich könnte dich nicht daran hindern, ebensowenig wie jede andere Sklavin hier im Hause.« »Wie kannst du so etwas sagen!« »Warum ist das so schrecklich? Spricht nicht jeder in Rom von diesen Dingen?« »Ich will dich nicht vergewaltigen, Varinia. Und ich will dich nicht auf dieselbe Weise besitzen wie eine Sklavin. Ja, ich habe die Sklavinnen gehabt. Ich weiß nicht, mit wieviel Frauen ich geschlafen habe. Mit Frauen und mit Männern. Ich will keine Geheimnisse vor dir haben. Du sollst mich so kennen, wie ich bin. Denn wenn du mich liebst, werde ich anders sein. Ein neuer, guter Mensch. Weißt du, daß man mich den reichsten Mann der Welt nennt? Vielleicht bin ich es nicht, aber wir beide gemeinsam könnten die Welt beherrschen.« »Ich will die Welt nicht beherrschen«, erwiderte Varinia. Ihre Stimme war gleichförmig, tonlos, tot wie immer, wenn sie mit ihm sprach. »Glaubst du denn nicht, daß ich anders wäre, wenn du mich liebtest?« »Ich weiß es nicht. Es ist mir auch gleichgültig.« »Aber es wäre dir nicht gleichgültig, wenn es um dein Kind ginge? Warum kannst du keine Amme nehmen? Du sitzt da, und die Milch tropft aus deinen Brüsten …« »Warum drohst du mir immer mit dem Kind? Das Kind ist dein Eigentum und ich auch. Glaubst du, wenn du mir drohst, mein Kind zu töten, würdest du mich dazu bringen, daß ich dich liebe?« »Ich drohe nicht, dein Kind zu töten.« »Du …« 327
»Es tut mir leid, Varinia. Wir reden immer im gleichen Kreis herum. Bitte iß. Ich tue, was ich kann. Ich lasse dir ein Mahl wie dieses auftischen. Sage mir nicht, daß es dir gleichgültig ist. Für den Preis dieses Essens würde man eine Villa bekommen. Iß es doch wenigstens! Koste davon. Ich werde dir etwas Erheiterndes erzählen, das heute passiert ist. Zumindest könntest du es erheiternd finden. Und iß ein bißchen!« »Ich esse soviel, wie ich brauche«, erwiderte Varinia. Ein Sklave kam herein und brachte eine Ente auf einer Silberplatte, die ein anderer zerlegte. Crassus hatte einen runden Tisch, der zu zwei Dritteln von einem Sofa umgeben war. Die Gäste zogen beim Essen die Füße hoch und stützten sie auf die Seidenkissen. »Nimm zum Beispiel die Ente. Sie ist geräuchert, mit Trüffeln gefüllt und mit in Branntwein eingelegten Pfirsichen gekocht.« »Sie ist sehr gut«, sagte Varinia. »Ja, ich wollte dir eine erheiternde Geschichte erzählen, die heute passiert ist. Gracchus erschien in den Bädern. Er haßt mich so heftig, daß er es nicht mehr verbergen kann. Merkwürdigerweise hasse ich ihn gar nicht. Ich vergaß – du kennst ihn ja nicht. Er ist Senator und eine große politsche Macht in Rom – zumindest war er es. Heute ist seine Macht sehr erschüttert. Er gehört zu jener neuen Schicht, die aus der Gosse stammt und durch die Schiebung mit Wählerstimmen ein Vermögen gescheffelt hat. Ein fettes Schwein, ohne jeden Stolz. Er hat keinerlei Feingefühl und wird deshalb so lange auf seinem Thron sitzen, bis er unter ihm weggerissen wird. Ich habe sofort gemerkt, daß er etwas von mir will. Schließlich rückte er damit heraus. Er möchte dich kaufen und hat einen ansehnlichen Preis geboten. Als ich ablehnte, verdoppelte er sein Angebot. Ich habe ihn beleidigt, aber 328
das trifft ihn überhaupt nicht.« »Warum hast du mich nicht verkauft?« fragte Varinia. »An ihn? Du solltest ihn nur einmal sehen, meine Liebe, wenn sich dieser Fleischkoloß dahinwälzt. Oder würde dir das nichts ausmachen?« »Es wäre mir gleich«, erwiderte Varinia. Crassus schob seinen Teller zurück und starrte sie an. Er trank seinen Wein aus, goß den Becher voll und schleuderte ihn dann in einem plötzlichen Wutanfall durch den Raum. Er sprach jetzt nur mühsam beherrscht weiter. »Warum haßt du mich so?« »Sollte ich dich lieben, Crassus?« »Ja. Denn ich habe dir mehr gegeben, als du je von Spartacus bekommen hast.« »Das hast du nicht.« »Wieso? Weshalb nicht? Was war er denn? Ein Gott?« »Er war kein Gott«, erwiderte Varinia. »Er war ein einfacher Mann. Er war ein Sklave. Weißt du nicht, was das bedeutet? Du hast doch dein Leben unter Sklaven verbracht.« »Wenn ich dich nun in ein anderes Land schickte und dich irgendeinem Bauern gäbe, könntest du mit ihm leben und ihn lieben?« »Ich könnte nur Spartacus lieben. Ich habe nie einen anderen Mann geliebt. Aber ich könnte mit einem Feldsklaven leben. Er wäre ein wenig wie Spartacus, obwohl Spartacus ein Bergwerksklave und kein Feldsklave war. Das war alles. Du hältst mich für sehr einfach, und das stimmt. Ich bin auch dumm. Manchmal verstehe ich überhaupt nicht, was du sagst. Spartacus aber war noch einfacher als ich. Im Vergleich zu dir war er wie ein Kind. Er war rein.« »Was meinst du damit?« fragte Crassus beherrscht. 329
»Ich habe mir genug von deinem Unsinn mitangehört! Spartacus war der Feind der Gesellschaft, der außerhalb des Gesetzes war. Er war ein berufsmäßiger Schlächter, der zum geächteten Mörder wurde, zum Feind alles Schönen, Anständigen und Guten, das Rom geschaffen hat. Rom hat der ganzen Welt Frieden und Zivilisation gebracht, aber diese schmutzige Sklavenbrut kannte nur Brandstiftung und Zerstörung. Wieviel Villen liegen in Trümmern, weil die Sklaven keinerlei Ahnung von Zivilisation hatten! Was haben sie denn getan? Was haben sie in den vier Jahren, in denen sie gegen Rom kämpften, geleistet? Wieviel Tausende mußten sterben, weil die Sklaven sich empörten? Wieviel Elend und Leid ist in die Welt gekommen, weil dieser Abschaum von Freiheit träumte – von einer Freiheit, die Zerstörung meint!« Sie saß schweigend da, den Kopf gesenkt, die Augen niedergeschlagen. »Warum antwortest du mir nicht?« »Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll«, entgegnete sie ruhig. »Ich weiß nicht, was diese Fragen bedeuten.« »Ich habe mir von dir Dinge angehört, die ich mir von keinem anderen sagen lassen würde. Warum antwortest du mir nicht? Was hast du damit gemeint – Spartacus war rein? Bin ich weniger rein?« »Ich kenne dich nicht«, erwiderte Varinia. »Ich verstehe dich nicht – ich verstehe die Römer nicht. Ich kenne nur Spartacus.« »Und warum war er rein?« »Das weiß ich nicht. Glaubst du nicht, daß ich mir selber diese Frage gestellt habe? Vielleicht, weil er ein Sklave war. Vielleicht, weil er so viel gelitten hat. Wie kannst du begreifen, was ein Sklave leidet? Du bist nie ein Sklave gewesen.« 330
»Aber was heißt rein? Du sprachst von rein!« »Für mich war er rein. Er konnte nichts Böses tun.« »Hältst du es für gut, diesen Aufstand zu entfesseln und die halbe Welt in Brand zu setzen?« »Wir haben die Welt nicht in Brand gesteckt. Wir wollten nichts als unsere Freiheit. Wir wollten nichts als in Frieden leben. Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Ich bin nicht gebildet. Ich kannte nicht einmal deine Sprache besonders gut. Ich werde verwirrt, wenn du mit mir sprichst. Als ich bei Spartacus war, kannte ich keine Verwirrung. Ich wußte, was wir wollten. Wir wollten frei sein.« »Aber ihr wart Sklaven.« »Ja. Und warum muß es sein, daß die einen Sklaven und die anderen frei sind?« Crassus erwiderte etwas gelassener: »Du hast jetzt in Rom gelebt, Varinia. Ich habe dich in meiner Sänfte durch die Stadt geführt. Du hast die unendliche, grenzenlose Macht Roms gesehen. Die römischen Straßen erstrecken sich über die ganze Welt. Die römischen Legionen stehen an den Grenzen der Zivilisation und halten die Mächte der Finsternis zurück. Völker zittern beim Anblick des Legatenstabes, und die römische Flotte beherrscht alle Gewässer. Du hast gesehen, wie die Sklaven einige unserer Legionen vernichteten, aber hier in der Stadt merkt man nicht das geringste davon. Kannst du dir vorstellen, daß ein paar aufständische Sklaven die stärkste Macht der Welt hatten stürzen können? Begreifst du denn nicht? Rom ist ewig. Die römische Lebensweise ist die beste, die jemals von der Menschheit ersonnen wurde, und sie wird nie enden. Ich möchte, daß du das einsiehst. Weine nicht um Spartacus. Die Geschichte hat ihn gerichtet. Du mußt dein eigenes Leben leben.« »Ich weine nicht um Spartacus. Niemand wird um 331
Spartacus weinen, aber man wird ihn auch nie vergessen.« »Ach Varinia, wie töricht du bist! Spartacus ist bereits nur noch ein Gespenst, das morgen verschwunden sein wird. In zehn Jahren wird niemand mehr seinen Namen kennen. Weshalb auch? Gibt es eine Geschichte des Sklavenkrieges? Spartacus hat nicht aufgebaut, sondern zerstört. Die Welt aber erinnert sich nur derjenigen, die aufbauen.« »Er hat Hoffnung aufgebaut.« »Du wiederholst Dinge wie ein kleines Mädchen, Varinia. Er hat Hoffnung aufgebaut. Hoffnung für wen? Und wo sind diese Hoffnungen heute? Verweht, wie Asche, wie Staub. Siehst du denn nicht ein, daß es keine andere Möglichkeit gibt und auch nie geben wird? Die Starken werden immer die Schwachen beherrschen. Ich liebe dich, Varinia. Nicht weil du eine Sklavin bist, sondern trotzdem.« »Ja …« »Aber Spartacus war rein«, sagte er bitter. »Ja, Spartacus war rein.« »Erzähle mir, wie er war.« »Das kann ich nicht. Ich kann dir keine Dinge erzählen, die du nicht verstehst.« »Ich möchte ihn verstehen, ich will ihn bekämpfen. Ich habe gegen ihn gekämpft, als er lebte, und ich werde es auch jetzt tun, da er tot ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Warum stellst du mir so nach? Warum verkaufst du mich nicht? Warum tust du nicht mit mir, was du willst? Warum läßt du mich nicht in Ruhe?« »Ich bitte dich, mir eine ganz einfache Frage zu beantworten, Varinia. Hat es überhaupt einen Mann wie Spartacus gegeben? Warum kann mir niemand von ihm er332
zählen?« »Ich habe dir doch oft erzählt …« Sie schwieg, und er fuhr jetzt sanft fort: »Sprich weiter, Varinia. Ich möchte dein Freund sein. Du brauchst dich nicht davor zu fürchten, mit mir zu reden.« »Ich fürchte mich nicht. Seitdem ich Spartacus kennengelernt hatte, habe ich nie mehr Angst gehabt. Aber es ist schwer, von ihm zu sprechen. Du nennst ihn einen Mörder und Schlächter. Er war jedoch der beste, edelste Mensch, der je gelebt hat.« »Sage mir wieso. Ich will, daß du es mir erzählst. Ich will verstehen, was er getan hat, daß du so denkst. Vielleicht kann ich wie Spartacus sein, wenn ich es verstehe.« Er hatte immer weiter getrunken, ohne einen Bissen zu essen. Seine Ironie war jetzt verschwunden. »Vielleicht kann ich wie Spartacus sein.« »Du zwingst mich darüber zu sprechen, aber wie kann ich es erklären? Bei den Sklaven sind Männer und Frauen etwas anderes als bei euch. Bei den Sklaven sind Männer und Frauen gleich. Wir arbeiten gleich, wir werden in gleicher Weise gepeitscht, wir sterben gleich und haben die gleichen namenlosen Gräber. Zu Anfang nahmen wir Speere und Schwerter und kämpften an der Seite unserer Männer. Spartacus war mein Gefährte. Wir waren eins. Wir waren aneinander gebunden. Wenn er eine Wunde hatte, brauchte ich sie nur zu berühren, und dann schmerzte sie mich und war meine Wunde. Immer waren wir gleich. Als sein bester Freund, Crixus, starb, legte er den Kopf in meinen Schoß und weinte und jammerte wie ein kleiner Junge. Und als mein erstes Kind nach sechs Monaten tot zur Welt kam, schrie ich genauso, und er kümmerte sich um mich. Er hatte in seinem ganzen Leben keine andere Frau als mich. Und ich habe keinen anderen Mann, was immer auch geschieht. Als ich das 333
erstemal in seinen Armen lag, hatte ich Angst. Dann überkam mich ein wunderbares Gefühl. Ich wußte, ich würde niemals sterben. Meine Liebe war unsterblich. Nichts konnte mich mehr verletzen. Ich wurde wie er, und ich glaube, er wurde ein wenig wie ich. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Zuerst hatte ich stets Angst, daß er die Makel an meinem Körper sehen könnte. Dann erkannte ich, daß ein Makel dasselbe war wie reine Haut. Er liebte mich so, wie ich war. Doch was kann ich dir von ihm erzählen? Sie möchten aus ihm einen Riesen machen, aber das war er nicht. Er war ein ganz gewöhnlicher Mann. Er war freundlich, gut und voller Liebe. Er liebte seine Gefährten. Sie umarmten und küßten sich auf den Mund, wenn sie sich sahen. Bei euch Römern habe ich nie erlebt, daß Männer sich umarmen und küssen, aber dafür schlafen sie genauso selbstverständlich miteinander wie mit Frauen. Wenn Spartacus etwas zu mir sagte, wußte ich, was er meinte. Aber ich weiß nicht, was du meinst. Ich weiß nicht, was die Römer meinen, wenn sie reden. Wenn die Sklaven stritten, rief Spartacus sie zusammen. Dann sprachen alle, und nachher sprach er zu ihnen, und sie hörten zu. Sie haben Böses getan, aber sie wollten stets besser sein. Wir waren nicht allein. Sie waren Teil eines Ganzen, und jeder war wiederum Teil des anderen. Anfangs haben sie von der Beute gestohlen. Spartacus zeigte mir, weshalb sie nicht anders konnten. Sie kamen von Orten, wo sie es gesehen hatten, daß man stahl. Aber die gemeinsamen Vorräte wurden nie verschlossen oder bewacht, und als sie sahen, daß sie alles haben konnten, was sie brauchten, ohne zu stehlen, und daß sie keine Verwendung für das Gestohlene hatten, hörten sie auf zu stehlen. Sie verloren die Angst davor, hungrig und arm zu sein. Spartacus hat mich gelehrt, daß die Menschen alles Schlechte nur aus Angst tun. Er 334
zeigte mir, wie sich die Menschen verändern und gut und edel werden können, wenn sie nur brüderlich zusammenleben und alles miteinander teilen. Ich habe das gesehen und erlebt. Aber auf eine Art war der Mann, dem ich gehörte, immer so. Deshalb konnte er auch all die anderen führen. Deshalb hörten sie auf ihn. Sie waren nicht nur Mörder und Schlächter. Sie waren etwas, das die Welt nie zuvor erlebt hatte. Sie waren so, wie Menschen sein können. Und deshalb kannst du mir nicht wehtun. Deshalb kann ich dich nicht lieben.« »Hinaus mit dir«, sagte Crassus. »Geh mir aus den Augen und sei verflucht!« VI Gracchus ließ Flavius abermals kommen. Die beiden Männer waren Schicksalsgefährten. Sie sahen mehr denn je wie Brüder aus, zwei fette, alternde Männer. Verständnisvoll betrachteten sie einander. Gracchus war sich der Tragödie des Flavius wohl bewußt. Flavius hatte stets versucht, wie andere erfolgreiche Männer zu sein, es war ihm jedoch nie gelungen. Er ahmte jede ihrer Gesten nach und war letztlich doch nur eine Imitation. Nicht einmal ein Betrüger war er, sondern lediglich die Imitation eines Betrügers. Und Flavius beobachtete Gracchus und erkannte, daß der alte Gracchus auf immer dahin war. Er konnte zwar nur ahnen, was Gracchus Furchtbares widerfahren war, aber das genügte bereits. Nachdem er endlich einen Beschützer gefunden hatte, konnte ihn dieser nicht mehr beschützen. »Was willst du?« fragte Flavius. »Fang nicht wieder mit mir an. Es ist Varinia. Ich habe den Beweis dafür, 335
wenn du ihn haben willst. Die Frau des Spartacus. Was willst du jetzt von mir?« »Wovor fürchtest du dich?« erwiderte Gracchus. »Ich lasse keinen fallen, der mir geholfen hat. Wovor um alles in der Welt hast du also Angst?« »Vor dir«, sagte Flavius kläglich. »Ich habe Angst vor dem, was du jetzt von mir verlangen wirst. Du könntest die Stadtkohorten aufbieten, wenn du wolltest. Du hast deine eigenen Banden und Helfershelfer. In ganzen Bezirken würde jeder einzelne Bürger alles für dich tun. Warum kommst du ausgerechnet zu einem alten Wrack wie mir? Ich bin nie etwas anderes gewesen als ein billiger, politischer Glücksritter. Warum gehst du nicht zu deinen Freunden?« »Ich kann nicht«, erwiderte Gracchus. »In diesem Falle nicht.« »Warum?« »Das weißt du nicht? Ich will diese Frau, ich will Varinia haben. Ich habe versucht, sie zu kaufen. Ich habe Crassus eine Million Sesterzen geboten und dann das Doppelte. Er hat mich beleidigt und mir ins Gesicht gelacht!« »Aber nein – zwei Millionen! Zwei Millionen!« Bei dem bloßen Gedanken begann Flavius zu zittern. Er leckte sich die wulstigen Lippen und ballte die Hände zu Fäusten. »Zwei Millionen. Das ist ja die ganze Welt. In einem kleinen Beutel. Man trägt ihn bei sich und hat damit die ganze Welt. Und das hast du für eine Frau geboten. Warum willst du sie haben, Gracchus? Ich frage nicht, um in deine privaten Geheimnisse einzudringen. Ich soll etwas für dich tun, aber ich gehe auf der Stelle, wenn du es mir nicht sagst. Ich muß wissen, warum du sie haben willst.« »Ich liebe sie«, erwiderte Gracchus dumpf. 336
»Was!« Gracchus nickte. Er war jetzt bar jeglicher Würde. Er nickte, und seine Augen wurden rot und tränenfeucht. »Ich verstehe nicht. Liebe? Was ist Liebe, verdammt noch mal? Du hast nie geheiratet. Keine Frau hat dir je Kopfzerbrechen gemacht. Und jetzt erklärst du, daß du ein Sklavenmädchen so liebst, um zwei Millionen Sesterzen für sie zu bezahlen. Ich verstehe das nicht.« »Mußt du es denn verstehen?« fragte Gracchus gereizt. »Du könntest es gar nicht. Du siehst mich an, und ich bin für dich ein alter, fetter Mann, der vermutlich stets ein Kapaun war. Mach daraus, was du willst. Ich habe nie eine Frau gekannt, die ein menschliches Wesen war. Wie viele unserer Frauen sind es? Ich hatte Angst vor ihnen und haßte sie. Vielleicht haben wir sie dazu gemacht – ich weiß es nicht. Jetzt möchte ich auf den Knien zu dieser Frau kriechen. Ich möchte, daß sie mich nur einmal ansieht und mir sagt, daß ich ihr etwas bedeute. Ich habe keine Ahnung, was Crassus für sie ist, aber ich kann verstehen, was sie ihm bedeutet. Das kann ich verstehen. Aber was kann er ihr bedeuten? Er ist der Mann, der ihren Gatten vernichtete – der Mann, der Spartacus zerschmetterte. Wie kann sie ihn ohne Abscheu und Haß ansehen?« »Frauen können das«, erklärte Flavius. »Crassus kann den Preis ins Unermeßliche steigern. Du würdest dich wundern.« »Da irrst du dich gewaltig, du fetter Narr! Du unverbesserlicher fetter Narr!« »Fang nicht wieder damit an, Gracchus.« »Dann rede nicht wie ein Idiot. Ich will die Frau haben. Du kennst den Preis.« »Du meinst, du bezahlst …« »Ja.« 337
»Du kennst die Folgen?« fragte Flavius vorsichtig. »Nicht für mich. Wenn ich es schaffe, nehme ich das Geld, gehe nach Ägypten, kaufe mir in Alexandria eine Villa und ein paar Sklavenmädchen und verbringe dort den Rest meines Lebens wie ein Satrap. Ich kann das, aber du nicht, Gracchus. Du bist Gracchus, der Senator, und im Augenblick die stärkste politische Macht in Rom. Du kannst nicht davonlaufen. Was willst du mit ihr anfangen?« »Das kümmert mich jetzt nicht.« »Nein? Du weißt, was Crassus tun wird. Noch niemand hat Crassus besiegt. Crassus hat noch niemand etwas weggenommen. Kannst du gegen Crassus kämpfen? Kannst du gegen diesen Reichtum an? Er wird dich vernichten, Gracchus. Bis zum Tode. Er wird dich ruinieren und töten.« »Meinst du, daß er dazu imstande ist?« fragte Gracchus leise. »Willst du die Wahrheit hören? Zwei Millionen sind mehr, als ich mir je habe träumen lassen, aber die Wahrheit lautet: ja. Er kann es, und er wird es tun.« »Ich lasse es darauf ankommen«, sagte Gracchus. »Und was wirst du dann haben? Zwei Millionen sind eine Menge Geld. Ich kann dafür bezahlen, daß sie aus seinem Haus zu dir gebracht wird. Das ist nicht schwer. Aber woher weißt du, daß sie dir nicht ins Gesicht speit? Und warum auch nicht? Crassus hat Spartacus vernichtet. Aber wer hat Crassus den Auftrag erteilt? Wer hat ihm die Möglichkeit dazu verschafft? Wer gab ihm das Heer und den Oberbefehl?« »Ich«, nickte Gracchus. »Genau. Was willst du also davon haben?« »Ich kann sie haben …« »Und was kannst du ihr geben? Was? Es gibt nur eines, 338
was sich jeder Sklave wünscht. Kannst du ihr das geben?« »Was?« »Du weißt, was ich meine. Warum machst du dir das nicht klar?« »Du meinst ihre Freiheit«, sagte Gracchus ruhig. »Nicht mit dir. Ihre Freiheit ohne dich. Das bedeutet, ihre Freiheit fern von Rom. Das bedeutet, ihre Freiheit außerhalb der Reichweite des Crassus.« »Glaubst du, sie würde mir für ihre Freiheit eine Nacht schenken?« »Eine Nacht – womit?« »Liebe – nein, nicht Liebe. Ehre, Achtung, Fürsorge. Nein, auch das nicht. Dankbarkeit. Laß es mich so ausdrücken. Eine Nacht der Dankbarkeit.« »Was bist du doch für ein Narr!« sagte Flavius. »Und das um so mehr, als ich dasitze und dich das sagen lasse«, erwiderte Gracchus kopfnickend. »Vielleicht bin ich es – vielleicht nicht. Ich werde es mit Crassus aufnehmen. Du mußt sie davon überzeugen, daß ich nie mein Wort breche. Ich habe davon gelebt, daß man meinem Wort vertraute. Rom weiß das, aber könntest du sie davon überzeugen?« Flavius nickte. »Du müßtest alles vorbereiten, daß sie danach Rom verlassen kann. Könntest du das tun?« Flavius nickte abermals. »Wohin?« »Zumindest nach Gallia Cisalpina. Dort wäre sie in Sicherheit. Die Häfen und die Straßen nach Süden würde man bewachen. Wenn sie nach Norden ginge, wär sie meiner Meinung nach sicher. Sie ist Germanin. Ich nehme an, sie könnte nach Germanien kommen, falls sie es will.« 339
»Und wie könntest du sie aus dem Haus des Crassus herausbringen?« »Das ist kein Problem. Er geht jede Woche drei Tage aufs Land. Wenn man ein bißchen Geld richtig verteilt, läßt sich das schon machen.« »Nur, wenn sie will.« »Ich verstehe.« »Sie wird das Kind mitbringen wollen, vermute ich. Einverstanden. Ich kann dafür sorgen, daß sich das Kind hier wohlfühlt.« »Ja.« »Du möchtest die zwei Millionen sicher im voraus?« »Ich glaube, das wird nötig sein«, erwiderte Flavius etwas betrübt. »Du kannst sie jetzt bekommen. Das Geld ist hier. Du kannst alles in bar haben oder es dir durch meine Bankiers in Alexandria auszahlen lassen.« »Ich ziehe Bargeld vor.« »Ja, da hast du wohl recht. Haue mich nicht übers Ohr, Flavius. Ich werde dich in jedem Fall finden!« »Mein Wort ist ebenso gut wie das deine, Gracchus!« »Um so besser.« »Ich weiß nur nicht, warum du das tust! Bei allen Göttern, ich weiß es einfach nicht! Du kennst Crassus nicht, wenn du meinst, er würde das ruhig hinnehmen.« »Ich kenne Crassus.« »Dann mögen dir die Götter helfen, Gracchus. Ich wünschte, mir wäre anders zumute dabei!«
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VII Varinia hatte einen Traum. Sie träumte, daß sie vor dem hohen Senat zum Verhör erscheinen mußte. Dort saßen sie, die Männer, welche die Welt regierten. Auf ihren großen Stühlen, in ihren weißen Togen, und jeder hatte dasselbe Gesicht wie Crassus, lang, schön und hart. Wie sie sich vorbeugten, das Kinn in die Hand gestützt, ihre finsteren, drohenden Mienen, ihr Selbstbewußtsein, ihre Sicherheit – alles an ihnen war eine Verkörperung der Macht. Sie waren Macht und Stärke, und nichts in der Welt vermochte vor ihnen zu bestehen. Sie saßen auf ihren weißen steinernen Sitzen im hohen Senatssaal, und allein ihr Anblick war furchteinflößend. Varinia träumte, sie stünde vor ihnen und hätte Zeugnis gegen Spartacus abzulegen. Sie trug ein dünnes Baumwollkleid und merkte deutlich, wie ihre Milch es befleckte. Man begann ihr Fragen zu stellen. »Wer war Spartacus?« Noch bevor sie antworten konnte, kam die nächste Frage. »Warum suchte er Rom zu zerstören?« Abermals wollte sie antworten, und abermals kam bereits die nächste Frage. »Warum ermordete er alle, die in seine Hände fielen? Wußte er nicht, daß unser Gesetz Mord verbietet?« Sie versuchte das entrüstet zurückzuweisen, doch noch ehe zwei Worte über ihre Lippen gekommen waren, wurde die nächste Frage gestellt. »Warum haßte er alles Gute und liebte das Böse?« Wieder wollte sie sprechen, aber einer der Senatoren erhob sich und zeigte auf ihre Brust. »Was ist das?« fragte er. »Milch.« 341
In allen Gesichtern malte sich jetzt furchtbarer Zorn, und sie ängstigte sich mehr denn je. Und auf einmal, ohne daß sie den Grund verstehen konnte, schwand ihre Furcht. Sie sagte sich im Traum: »Das kann nur sein, weil Spartacus bei mir ist.« Sie wandte den Kopf, und er stand tatsächlich neben ihr. Er war gekleidet wie in der Zeit ihres Kampfes. Er trug hohe Lederstiefel, eine einfache graue Tunika und eine kleine Filzkappe auf den schwarzen Locken. Waffen hatte er nicht; die pflegte er nur vor einer Schlacht zu ergreifen. Er trug keinen Schmuck, keine Ringe, keine Armspangen. Sein Gesicht war glatt rasiert und das krause Haar kurzgeschnitten. Wieviel Ruhe und Sicherheit lag in seiner Haltung! Sie erinnerte sich im Traum, daß es immer so gewesen war. Spartacus brauchte nur zu erscheinen, und dieses Gefühl der Ruhe übertrug sich auf jeden. Bei ihr war es jedoch anders. Sobald sie ihn sah, empfand sie Freude. Etwas von diesem überströmenden Glück erlebte sie jetzt im Traum. »Was tust du hier, mein Liebes?« fragte er sie. »Sie verhören mich.« »Wer?« »Sie.« Dabei zeigte sie auf die Senatoren. »Sie ängstigen mich.« Und jetzt merkte sie, daß die Senatoren völlig regungslos und erstarrt waren. »Sieh doch nur, sie haben ja noch mehr Angst«, sagte Spartacus. Das war so bezeichnend für ihn! Er erkannte etwas und stellte es einfach und geradeheraus fest. Sie fragte sich dann jedesmal, warum sie es nicht ebenfalls bemerkt hatte. Natürlich hatten sie Angst. »Laß uns gehen, Varinia«, meinte Spartacus lächelnd. Er legte den Arm um sie, und sie umschlang ihn. Sie verließen den Senatssaal und gingen hinaus in die Stra342
ßen Roms. Sie waren Liebende. Immer weiter und weiter wanderten sie, und niemand beachtete sie oder hielt sie an. »Es ist jedesmal dasselbe, wenn ich bei dir bin«, sagte Spartacus. »Sobald ich mit dir zusammen bin, verlange ich nach dir. Ich verlange so sehr nach dir.« »Du kannst mich jedesmal haben, wenn du nach mir verlangst.« »Ich weiß, ich weiß. Ich meinte, man sollte aufhören, nach etwas zu verlangen, das man haben kann. Aber ich höre nie auf, nach dir zu verlangen. Ich verlange immer mehr nach dir. Verlangst du auch so nach mir?« »Genauso.« »Jedesmal, wenn du mich siehst?« »Ja.« »Mir geht es so, wenn ich dich nur sehe.« Sie gingen ein Stück weiter, dann sagte Spartacus: »Wir müssen irgendwohin, wo wir einander gehören können.« »Ich weiß einen solchen Platz«, erwiderte Varinia. »Wo?« »Das Haus eines Mannes namens Crassus. Ich lebe dort.« Er blieb stehen und nahm den Arm weg, drehte sie zu sich herum und suchte ihren Blick. Dann bemerkte er die Milchflecken auf ihrem Kleid. »Was ist das?« fragte er. Offenbar hatte er ihre Bemerkung über Crassus vergessen. »Die Milch, mit der ich mein Kind nähre.« »Ich habe kein Kind«, sagte er. Plötzlich erschrak er, wich von ihr zurück – und war verschwunden. Der Traum war zu Ende. Varinia erwachte, und nichts als Dunkelheit war um sie.
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VIII Am nächsten Tag ging Crassus aufs Land. Bei Anbruch des Abends brachte Flavius Varinia zu Gracchus, wie er es versprochen hatte. Gracchus saß gerade allein bei Tisch. Eine Sklavin meldete ihm, daß draußen Flavius und eine Frau seien. Die Frau trage ein Kind auf dem Arm. »Ja, ich weiß«, erwiderte Gracchus. »Es ist alles für das Kind bereit. Führe sie herein. Ach nein, ich tue es lieber selbst.« Er lief beinahe vom Speiseraum zur Vordertür und ließ sie ein. Er war sehr höflich, sehr liebenswürdig und begrüßte sie wie geehrte Gäste. Die Frau war in einen langen Mantel gehüllt. In dem dunklen Torweg konnte er ihr Gesicht nicht erkennen. Er führte sie hinein und sagte der Frau, sie könne ihm das Kind überlassen oder es auch selbst ins Kinderzimmer bringen. Es lag in ihren Armen, und er befürchtete, er könne etwas sagen oder tun, das sie als Bedrohung des Kleinen auffassen würde. »Ich habe ein richtiges Kinderzimmer für ihn, eine kleine Wiege und alles, was man sich wünschen kann«, sagte er. »Er wird sich wohlfühlen und ganz sicher sein. Es kann ihm nicht das geringste geschehen.« »Er braucht nicht viel«, erwiderte Varinia. Gracchus hörte zum erstenmal ihre Stimme. Sie war leise, aber voll und dunkel und klang angenehm. Jetzt schlug sie die Kapuze ihres Mantels zurück, und er sah ihr Gesicht. Das lange gelbe Haar war im Nacken zusammengebunden. Sie war ungeschminkt, was die schönen Flächen und Konturen ihres Gesichts mehr hervorhob. Während Gracchus sie betrachtete, beobachtete Flavius ihn. Flavius stand ein wenig abseits, interessiert, mürrisch und zugleich verwirrt. Ihm war nicht sonderlich 344
wohl zumute, und so bald als möglich sagte er: »Ich muß jetzt die anderen Vorbereitungen treffen, Gracchus. Gegen Morgen werde ich zurück sein. Hoffentlich seid ihr dann bereit.« »Ich werde bereit sein«, erwiderte Gracchus. Flavius ging nun, und Gracchus führte sie in das Zimmer, das er für das Kind eingerichtet hatte. Eine Sklavin saß da. Gracchus nickte ihr zu und erklärte: »Sie wird die ganze Nacht hierbleiben und das Kind nicht aus den Augen lassen. Du brauchst also keine Angst zu haben, daß deinem Kind etwas geschehen könnte. Wenn es schreit, wird sie dich sofort holen. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.« »Das Kind wird schlafen«, erwiderte Varinia. »Du bist sehr freundlich.« »Aber du mußt nicht auf das Schreien des Kindes lauschen. Sobald es aufwacht, wird sie dich holen. Bist du hungrig? Hast du schon gegessen?« »Ich habe nichts gegessen, aber ich bin auch nicht hungrig«, antwortete Varinia, nachdem sie das Kind in die Wiege gebettet hatte. »Ich bin zu aufgeregt, um Appetit zu haben. Mir ist, als ob ich träume. Zuerst hatte ich Angst, dem Mann zu vertrauen, aber jetzt glaube ich ihm. Ich weiß nicht, warum du das für mich tust. Ich fürchte, ich träume und werde jeden Augenblick aufwachen.« »Du leistest mir doch Gesellschaft, während ich mein Mahl beende, vielleicht willst du dann doch etwas essen.« »Ja.« Sie gingen zurück in den Speiseraum. Varinia setzte sich auf das Sofa, das im rechten Winkel zu dem des Gracchus stand. Er konnte sich nicht zurücklehnen. Er saß steif da und vermochte den Blick nicht von Varinia zu wenden. Es überraschte ihn einigermaßen, daß er 345
keineswegs verstört oder ängstlich war, sondern vielmehr von einem so starken Glücksgefühl erfüllt, wie er es nie zuvor kennengelernt hatte. Er war einfach zufrieden, was ihm auf diese Weise in seinem ganzen Leben noch nie widerfahren war. Die Welt erschien ihm schön und friedlich, es gab keinerlei Ungerechtigkeit, keinen Schmerz mehr. Er war daheim in seinem Haus, in seiner wunderbaren Stadt, und eine überströmende Liebe zu dieser Frau, die ihm gegenübersaß, erfüllte ihn. Er versuchte jetzt nicht zu ergründen, warum die einzige Tat der Liebe in seinem ganzen Leben der Frau des Spartacus galt. Er glaubte es zu verstehen, wollte es jedoch nicht näher erforschen und klar durchdenken. Er begann vom Essen zu reden. »Ich fürchte, du wirst es ziemlich einfach finden nach der Tafel des Crassus. Ich esse meist Obst, Fleisch und Fisch und nur mitunter etwas Besonderes. Heute abend gibt es gefüllten Hummer, der sehr gut ist. Dazu einen ausgezeichneten Weißwein, den ich mit Wasser trinke …« Sie hörte nicht zu. Mit einem bei ihm ungewöhnlichen Einfühlungsvermögen sagte er: »Du verstehst wohl gar nicht, wenn wir Römer vom Essen sprechen?« »Nein«, gab sie zu. »Ich kann dir den Grund nennen. Wir reden nie darüber, wie leer unser Leben ist. Und zwar, weil wir soviel Zeit darauf verwenden, es auszufüllen. Sämtliche natürlichen Lebensäußerungen der Barbaren wie Essen, Trinken, Lieben, Lachen, haben wir zum Ritual erhoben. Wir kennen keinen Hunger mehr. Wir reden davon, ohne ihn jedoch zu erleben. Wir sprechen von Durst, ohne durstig zu sein. Wir reden von Liebe, aber wir lieben nicht. In unseren unendlichen Perversionen versuchen wir einen Ersatz zu finden. Das Vergnügen hat bei uns die Stelle des Glücks eingenommen, und da jedes Vergnügen mit 346
der Zeit schal wird, muß etwas noch Amüsanteres, noch Erregenderes her – mehr und immer mehr. Wir haben uns in einem Maße abgestumpft, daß wir gar nicht mehr empfinden, was wir tun, und diese Empfindungslosigkeit nimmt ständig zu. Verstehst du, was ich sage?« »Einiges davon«, erwiderte Varinia. »Und ich muß dich verstehen, Varinia. Ich muß verstehen, weshalb du befürchtest, dies sei nur ein Traum. Crassus hat dich sehr gern. Ich glaube, er würde dich sogar heiraten, wenn du es ernstlich wolltest. Crassus ist ein großer Mann. Er ist einer der bedeutendsten Männer in Rom. Seine Macht und sein Einfluß sind unglaublich. Weißt du, was ein Pharao ist?« »Ja.« »Nun, Crassus ist mächtiger als ein ägyptischer Pharao. Und du könntest größer sein als eine Königin von Ägypten. Würde dich das nicht glücklich machen?« »Mit dem Mann, der Spartacus getötet hat?« »Überlege doch. Er hat es nicht selbst getan. Er kannte Spartacus gar nicht und empfand auch keinen persönlichen Haß gegen ihn. Ich bin ebenso schuldig. Rom hat Spartacus vernichtet. Doch Spartacus ist tot, und du lebst. Möchtest du nicht das haben, was Crassus dir geben kann?« »Ich will es nicht«, erwiderte Varinia. »Was möchtest du denn, meine liebe Varinia?« »Ich möchte frei sein«, sagte sie. »Ich möchte von Rom weggehen und es während meines ganzen Lebens nie wiedersehen. Ich möchte meinen Sohn in Freiheit heranwachsen lassen.« »Ist es denn so viel wert, frei zu sein?« fragte Gracchus ehrlich bestürzt. »Frei wofür? Frei zu verhungern, erschlagen zu werden, obdachlos zu sein – frei, um auf dem Feld zu arbeiten wie ein Bauer?« 347
»Ich kann dir das nicht erklären. Ich habe versucht, es Crassus begreiflich zu machen, aber ich wußte nicht, wie. Und ich weiß auch nicht, wie ich es dir erklären soll.« »Und du haßt Rom. Ich liebe Rom, Varinia. Rom ist mein Blut und mein Leben, meine Mutter und mein Vater. Rom ist eine Hure, aber ich würde sterben, wenn ich es verlassen müßte. Das ist mir jetzt klar. Weil du hier sitzt, bin ich voller Liebe zu meiner Stadt. Doch du haßt sie. Ich frage mich, warum. Hat Spartacus Rom gehaßt?« »Er war gegen Rom, und Rom war gegen ihn. Du weißt das.« »Aber was hätte er an Stelle von Rom aufbauen wollen, wenn er es niedergerissen hätte?« »Er wollte eine Welt, in der es keine Sklaven und Herren geben sollte, sondern nur Menschen, die in Frieden und Brüderlichkeit miteinander leben. Er sagte, daß er das, was gut und schön war, von Rom übernehmen wollte. Er wollte Städte ohne Mauern bauen, und alle Menschen würden in Frieden und Brüderlichkeit leben, und es würde keinen Krieg, kein Elend und kein Leid mehr geben.« Gracchus schwieg lange, und Varinia beobachtete ihn voller Neugier und ohne Furcht. Trotz seiner massigen Erscheinung, trotz seines verfetteten riesigen Körpers war er ein Mann, dem sie vertrauen wollte und der sich von jedem anderen unterschied, den sie bisher kennengelernt hatte. In seinem Wesen lag eine besondere, eigenartige Aufrichtigkeit. Es war etwas in ihm, das sie in gewisser Weise an Spartacus erinnerte. Sie hätte es nicht näher bezeichnen können. Es war nichts Körperliches – nicht einmal eine bestimmte Angewohnheit. Vielmehr war es seine Art zu denken, und manchmal – allerdings nur manchmal – sagte er etwas genauso, wie Spartacus es 348
gesagt haben würde. Er schwieg eine ganze Weile, ehe er wieder zu reden begann, und dann äußerte er sich zu ihren Worten, als sei seitdem keine Minute verstrichen. »Das war also der Traum des Spartacus«, sagte er. »Er wollte eine Welt aufbauen, in der es keine Peitschen und keine Gepeitschten gab – keine Paläste und keine Lehmhütten. Wer weiß? Wie hast du deinen Sohn genannt, Varinia?« »Spartacus. Welchen Namen hätte ich ihm sonst geben sollen?« »Spartacus also. Ja, natürlich Spartacus. Und er wird groß, stolz und stark werden. Und du wirst ihm von seinem Vater erzählen?« »Allerdings.« »Wie wirst du es ihm erzählen? Wie willst du es erklären? Er wird in einer Welt aufwachsen, in der es keine Männer wie Spartacus gibt. Wie willst du ihm erklären, was seinen Vater rein und gut machte?« »Woher weißt du, daß Spartacus rein und gut war?« »Ist das so schwer?« »Für manche Menschen schon. Weißt du, was ich meinem Sohn erzählen werde? Ich glaube, du wirst mich verstehen. Ich werde ihm etwas sehr Einfaches erzählen. Ich werde ihm erklären, daß Spartacus rein und gut war, weil er sich gegen das Schlechte zur Wehr setzte, ihm entgegentrat und es bekämpfte – und weil er sich in seinem Leben nie mit dem Unrecht abfand.« »Und das machte ihn rein?« »Ich bin nicht sehr klug, aber ich glaube, das macht jeden Mann rein«, erwiderte Varinia. »Und woher wußte Spartacus, was recht und was unrecht war?« »Was gut war für seine Leute, war auch recht. Und was 349
ihnen schadete, war unrecht.« »Ich verstehe den Traum des Spartacus und seine Art«, sagte Gracchus. »Ich bin zu alt für Träume, Varinia. Sonst würde ich zuviel davon träumen, was ich aus dem einen Leben gemacht hätte, das uns Menschen gegeben ist. Ein Leben – und es erscheint so kurz, so ziel- und zwecklos. Es ist wie ein Augenblick. Der Mensch wird geboren und stirbt, ohne Sinn und Verstand. Und hier sitze ich nun mit meinem dicken, fetten, häßlichen Körper. War Spartacus ein sehr schöner Mann?« Sie lächelte zum erstenmal, seitdem sie das Haus betreten hatte. Dann begann sie zu lachen, brach gleich darauf in Tränen aus und legte den Kopf auf den Tisch. »Aber Varinia, was habe ich denn gesagt?« »Nichts …« Sie richtete sich auf und wischte das Gesicht mit dem Mundtuch ab. »Du hast nichts gesagt. Ich habe Spartacus so sehr geliebt. Er war nicht wie ihr Römer. Und auch nicht wie die Männer meines Stammes. Er war ein Thraker mit einem breiten, flachen Gesicht. Seine Nase war gebrochen, weil ihn ein Aufseher geschlagen hatte. Die Leute behaupteten, er sähe deshalb wie ein Schaf aus, aber für mich war er gerade so, wie er sein sollte. Das ist eigentlich alles.« Die Schranken zwischen ihnen waren gefallen. Gracchus ergriff ihre Hand. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch keiner Frau so nahe, so vertraut gefühlt. »Meine Liebe, weißt du, was ich mir vorgestellt hatte? Zuerst sagte ich mir, daß ich eine Liebesnacht mit dir verbringen wollte. Dann lehnte ich diesen Gedanken selber ab. Später wollte ich eine Nacht voller Ehre und Achtung. Auch das verwarf ich. Schließlich verlangte ich nichts als Dankbarkeit. Aber es ist mehr als das, nicht wahr, Varinia?« »Ja«, erwiderte sie offen. Er erkannte, daß sie weder 350
falsch noch berechnend war. Sie sagte stets genau das, was sie dachte. Er nahm ihre Hand und küßte sie, und sie zog sie nicht weg. »Ich habe Zeit bis zum Morgengrauen«, sagte er. »Möchtest du bei mir sitzen, dich mit mir unterhalten und dabei ein wenig Wein trinken und eine Kleinigkeit essen? Ich habe dir so viel zu sagen und muß so viel von dir hören. Willst du bis Tagesanbruch bei mir sitzen bleiben – dann kommt Flavius mit den Pferden, und du verläßt Rom für immer. Willst du das für mich tun, Varinia?« »Ich möchte es auch für mich tun.« »Ich versuche erst gar nicht dir zu danken, weil ich nicht wüßte, wie.« »Es gibt nichts, wofür du mir danken müßtest«, erwiderte sie. »Du machst mich glücklicher, als ich je wieder sein zu können glaubte. Ich hätte nie gedacht, daß ich noch einmal lächeln könnte, nachdem Spartacus tot war. Ich meinte, das Leben würde nun eine ewige Wüste sein. Aber er hat mir immer gesagt, das Leben sei wichtiger als alles andere. Mir war es nie so klar wie jetzt, was er damit meinte. Ich möchte lachen. Ich kann es nicht verstehen, doch ich möchte wirklich lachen.« IX Flavius kehrte in der Stunde vor Tagesanbruch zurück, jener grauen, einsamen Stunde, in der das Leben fast zum Stillstand gelangt, ehe es wieder beginnt. Wortlos geleitete ihn die Haushälterin zu Gracchus und Varinia. Gracchus hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht. Er war müde, sein Gesicht blaß, aber nicht unglücklich. Varinia saß auf einem Sofa und stillte ihr Kind. Auch sie wirkte müde, sah jedoch sehr schön aus, als sie dem 351
runden, rosigen Säugling die Brust gab. Als Gracchus Flavius erblickte, legte er den Finger an die Lippen, und Flavius wartete ruhig. Er konnte nicht umhin, die Schönheit der Frau zu bewundern. Wie sie dort im Lampenschein saß und ihr Kind nährte, erschien sie wie ein Bild aus Roms längst vergangenen Zeiten. Als sie fertig war, bedeckte sie die Brust und wickelte das schlafende Kind in eine Decke. Gracchus stand auf, und lange Zeit blickten sie einander an. »Ich habe mich für Wagen entschieden«, erklärte Flavius. »Damit geht es am schnellsten. Ob wir es schaffen oder nicht, hängt ja davon ab, wieviel Meilen wir hinter uns bringen. Ich habe einen Wagen mit Kissen und Dekken auslegen lassen, du wirst es also bequem haben – aber wir müssen sofort aufbrechen. Es geht um jede Sekunde.« Sie schienen ihn nicht zu hören, sondern sahen einander an, die schöne Frau des Spartacus und der fette, alternde römische Politiker. Dann wandte sich Varinia zu der Haushälterin und sagte: »Würdest du bitte das Kind einen Augenblick halten?« Die Haushälterin nahm es, und Varinia ging zu Gracchus. Sie streichelte seine Arme und dann sein Gesicht. Er beugte sich zu ihr, und sie küßte ihn. »Ich muß dir jetzt etwas sagen. Ich danke dir, weil du so gut zu mir bist. Wenn du mit mir kommst, werde ich versuchen, auch dir gut zu sein – so gut, wie ich es einem Mann sein kann.« »Ich danke dir, meine Liebe.« »Wirst du mit mir kommen, Gracchus?« »Ich danke dir, meine Liebe. Ich liebe dich sehr. Aber fern von Rom würde ich mich nicht wohlfühlen. Rom ist meine Mutter, und meine Mutter ist eine Hure. Doch außer dir ist sie die einzige Frau, die ich je geliebt habe. 352
Ich bin nicht treulos. Und ich bin ein fetter, alter Mann. Flavius müßte die ganze Stadt absuchen, um einen Wagen für mich zu finden. Geh, meine Liebe.« »Ich habe euch gesagt, daß unsere Zeit knapp ist«, erklärte Flavius ungeduldig. »Bis jetzt wissen fünfzig Leute von der Sache. Meinst du, daß jeder den Mund halten wird?« »Paß gut auf sie auf«, erwiderte Gracchus. »Jetzt wirst du ein reicher Mann sein, Flavius. Du wirst im Luxus leben. Tu mir deshalb diesen letzten Gefallen. Sorge gut für sie und das Kind. Begleite sie den ganzen Weg nach Norden, bis ihr die Voralpen erreicht. Die gallischen Bauern, die dort in den kleinen Tälern leben, sind gute, einfache, schwerarbeitende Menschen. Sie wird bei ihnen Unterschlupf finden. Aber verlasse sie nicht, ehe du die Alpen deutlich am Himmel siehst. Und beeile dich. Peitsche die Pferde. Wenn nötig, töte sie, und kaufe neue, aber halte nie an. Willst du das für mich tun, Flavius?« »Bisher habe ich dir mein Wort noch nicht gebrochen.« »Nein, das stimmt. Lebe wohl!« Er ging mit ihnen bis zur Tür. Sie nahm das Kind auf den Arm. Er stand im Torweg, im heller werdenden Grau der Dämmerung und sah zu, wie sie in die Wagen kletterten. Die Pferde waren ungeduldig. Sie stampften auf dem Pflaster und zerrten an der Kandare. »Lebe wohl, Varinia!« rief Gracchus. Sie winkte ihm zu. Dann fuhren die Wagen davon, ratterten durch die engen, verlassenen Straßen und weckten die ganze Nachbarschaft mit ihrem Lärm … Gracchus ging nun in sein Arbeitszimmer. Er setzte sich in seinen großen Sessel und schloß erschöpft die Augen. Aber er schlief nicht. Die Zufriedenheit war nicht gewichen. Er ließ seine Gedanken wandern und dachte über vieles nach. Über seinen Vater, einen armen 353
Schuhmacher in jener Zeit, die offenbar für immer dahin war, als die Römer noch arbeiteten und stolz darauf waren. Er erinnerte sich seiner politischen Lehrjahre, der blutigen Bandenkriege, der Ausbildung im schamlosen Handel mit Wählerstimmen, der Ausnutzung des Pöbels, seines Emporklimmens auf der Leiter zur Macht. Nie war es genug Macht, nie genug Geld. In jener Zeit gab es noch aufrechte Römer, die gegen die Enteignung der Bauern und die Errichtung der großen Sklavenplantagen eintraten. Sie warnten und wetterten! Sie boten der Tyrannei die Stirn. Gracchus hatte sie verstanden. Das war seine große Begabung – daß er sie verstehen und die Gerechtigkeit ihrer Sache erkennen konnte. Aber er wußte auch, daß diese Sache verloren war. Die Zeiger der Geschichte lassen sich nicht zurückdrehen; sie rücken unerbittlich vorwärts, und er hatte sich mit denen verbündet, die an das Römische Reich glaubten. Er hatte seine Banden ausgeschickt, um die zu vernichten, die noch von den alten Freiheiten sprachen. Er hatte die Gerechten und Charakterstarken erschlagen. Daran dachte er jetzt. Nicht mit Bedauern oder Mitleid, sondern mit dem Wunsch zu begreifen. Sie kämpften für die alten Freiheiten, aber gab es sie überhaupt? Soeben hatte eine Frau sein Haus verlassen, und die Freiheit brannte wie Feuer in ihr. Sie hatte ihren Sohn Spartacus genannt, der seinem Sohn wiederum den Namen Spartacus geben würde – und wann würden Sklaven sich wohl damit abfinden, Sklaven zu bleiben? Er fand keine Antwort, keine Lösung, und auch das betrübte ihn nicht. Er hatte sein Leben voll, und ganz gelebt, und er bereute es nicht. In diesem Augenblick hatte er ein Geschichtsbewußtsein, ein Gefühl für den endlosen Strom der Zeit, in dem er nur ein winziger Tropfen war – und das tröstete ihn. Seine geliebte Stadt würde überdauern, sie würde 354
ewig bestehen. Sollte Spartacus jemals wiederkehren und die Mauern niederreißen, damit die Menschen ohne Furcht leben könnten, würden sie begreifen, daß es einst Menschen wie Gracchus gegeben hatte, welche die Stadt trotz ihrer Schlechtigkeiten liebten. Er dachte jetzt an den Traum des Spartacus. Würde er weiterleben? Waren die merkwürdigen Worte Varinias wahr – daß die Menschen rein und selbstlos werden konnten, wenn sie das Böse bekämpften? Er hatte solche Menschen nie gekannt, aber er hatte auch Spartacus nicht kennengelernt. Nur Varinia. Jetzt war Spartacus gegangen und ebenso Varinia. Alles war wie ein Traum. Er hatte nur einen Hauch von Varinias seltsamem Wissen verspürt. Doch für ihn existierte es nicht, konnte gar nicht existieren. Seine Haushälterin kam herein. Er sah sie geistesabwesend an. »Was willst du, Alte?« fragte er sanft. »Dein Bad ist bereit, Herr.« »Ich bade heute nicht«, erklärte er und wunderte sich, wie überrascht und bestürzt sie war. »Heute ist alles anders, Alte. Dort drüben auf dem Tisch sind mehrere Beutel. In jedem liegt die Freilassungsurkunde für meine Sklavinnen und dazu zwanzigtausend Sesterzen. Ich bitte dich, den Sklavinnen die Beutel zu geben und ihnen zu sagen, sie sollen mein Haus verlassen. Ich bitte dich, das sofort zu tun, Alte.« »Ich verstehe dich nicht«, erwiderte sie. »Nein? Warum verstehst du mich nicht? Ich habe mich völlig klar ausgedrückt. Ich möchte, daß ihr alle geht. Ihr seid frei und habt etwas Geld. Habe ich je zugelassen, daß ihr meinen Befehlen nicht gehorcht?« »Aber wer wird denn für dich kochen? Wer wird für dich sorgen?« »Frage nicht soviel, Alte. Tu, was ich dir sage.« 355
Es erschien Gracchus eine Ewigkeit, bis sie alle weg waren, und dann war das Haus merkwürdig, ungewohnt still. Die Morgensonne stieg höher. Die Straßen waren voller Leben und Lärm, doch das Haus des Gracchus war still. Er kehrte in sein Arbeitszimmer zurück, schloß einen Schrank auf und nahm ein kurzes spanisches Schwert heraus, wie es die Soldaten trugen. Es war schön gearbeitet und hatte eine kunstvoll verzierte Scheide. Vor Jahren hatte er es bei einer feierlichen Gelegenheit bekommen, er konnte sich jedoch nicht um alles erinnern, aus welchem Anlaß. Merkwürdig, daß er solche Verachtung für Waffen empfand. Allerdings weniger erstaunlich, wenn er bedachte, daß die einzige Waffe, auf die er sich je verlassen hatte, sein Verstand gewesen war. Er zog das Schwert aus der Scheide und prüfte die Schneide und Spitze. Es war scharf genug. Dann ging er zurück zu seinem Sessel, setzte sich und betrachtete seinen gewaltigen Bauch. Der Gedanke, sich selbst umzubringen, ließ ihn lächeln. Er hatte nichts von Würde an sich, sondern war höchst lächerlich. Er bezweifelte ernstlich, ob er die Kraft hätte, es hineinzustoßen, auf altehrwürdige römische Art. Wie konnte er wissen, ob er nicht nur ins Fett stechen, dann die Nerven verlieren, in seinem eigenen Blut und Speck liegen bleiben und um Hilfe schreien würde? In seinem ganzen Leben hatte er nichts getötet, nicht einmal ein Huhn. Dann erkannte er, daß es gar keine Frage der Nerven war. Er hatte sich nur mitunter vor dem Tod gefürchtet. Seit seiner Kindheit hatte er sich über die lächerlichen Geschichten von den Göttern lustig gemacht. Als Mann vertrat er dann den Standpunkt der gebildeten Menschen seiner Gesellschaftsschicht, daß es keine Götter und kein Leben nach dem Tode gibt. Er hatte seinen Entschluß 356
gefaßt und befürchtete nur, daß er ihn nicht mit Würde ausführen könnte. Während ihm all das durch den Kopf ging, mußte er eingenickt sein. Er wachte davon auf, daß jemand draußen an die Pforte hämmerte. Er schüttelte die Schlaftrunkenheit ab und lauschte. Welch ein Ungestüm, dachte er. Wie ungestüm du doch bist, Crassus. Was für eine berechtigte Wut du hast! Daß dieser fette alte Narr dich um die Finger gewickelt und dir deine große Kriegsbeute abgejagt hat! Aber du hast sie ja nicht geliebt, Crassus. Du wolltest Spartacus an ein Kreuz nageln, und als du ihn nicht haben konntest, wolltest du sie. Du wolltest, daß sie dich liebt, daß sie vor dir im Staub kriecht. Oh, Crassus, du bist solch ein Narr, solch ein alberner, plumper Narr! Aber Männer wie du sind die Helden des Tages. Kein Zweifel. Er suchte nach dem Schwert, konnte es jedoch nicht finden. Dann kniete er nieder und entdeckte es unter dem Sessel. Er lag auf den Knien, das Schwert in den Händen, und stieß es sich mit aller Kraft in die Brust. Der Schmerz war so unerträglich, daß er in Todesangst aufschrie, doch es drang ein, immer tiefer, bis zum Heft. So fand ihn Crassus, nachdem er das Tor aufgebrochen hatte und hereinkam. Der General brauchte seine ganze Kraft, um ihn herumzudrehen. Dann sah er, daß das Gesicht des Gracchus zu einer grinsenden Grimasse erstarrt war … Voller Wut und Haß kehrte Crassus nach Hause zurück. In seinem ganzen Leben hatte er nichts und niemanden so gehaßt wie den toten Gracchus. Doch Gracchus war tot, und daran vermochte er nichts zu ändern. Als Crassus sein Haus betrat, stellte er fest, daß er einen Gast hatte. Der junge Gajus wartete auf ihn. Gajus hatte keine Ahnung von dem, was geschehen war. Er sei 357
soeben aus Capua zurückgekommen und habe seinen geliebten Crassus sofort besuchen wollen. Er ging zu Crassus und begann über dessen Brust zu streicheln. Da schlug Crassus ihn nieder. Er stürmte ins Nebenzimmer und kam mit einer Peitsche zurück. Gajus wollte sich gerade mühsam erheben. Aus seiner Nase rann Blut, in seinem Gesicht spiegelten sich Erstaunen, Schmerz und Entrüstung. Nun begann Crassus ihn zu peitschen. Gajus schrie. Er schrie unaufhörlich, aber Crassus peitschte ihn weiter. Schließlich mußten seine eigenen Sklaven ihn zurückhalten, und Gajus wankte davon. Er weinte wie ein kleiner Junge.
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ACHTER TEIL Varinia findet die Freiheit I Flavius erfüllte sein Abkommen mit Gracchus. Sie waren mit den besten Urkunden ausgestattet, die Gracchus persönlich unterzeichnet hatte, und jagten in ihren Wagen nach Norden und dann nach Osten. Varinia erinnerte sich wenig an die Reise. Den größten Teil des ersten Tages schlief sie, das Kind an die Brust gedrückt. Die Kassische Straße war ausgezeichnet, glatt und fest. Die Wagen rollten rasch und gleichmäßig dahin. In den ersten Stunden trieb der Fahrer die Pferde erbarmungslos an. Mittags wurde gewechselt, und den Rest des Tages fuhren sie in schnellem Trab dahin. Bei Anbruch der Nacht waren sie mehr als hundert Meilen nördlich von Rom. In der Dunkelheit fand abermals ein Pferdewechsel statt, und die Wagen eilten bei Mondschein unaufhörlich weiter. Sie wurden mehrfach von Militärpatrouillen angehalten, doch mit dem Senatsausweis des Gracchus kamen sie überall durch. In jener Nacht stand Varinia stundenlang in dem schwankenden Wagen, während das Kind friedlich schlief. Sie sah die mondbeglänzte Landschaft vorübergleiten und die Ströme unten dahinfließen, als sie über die großartigen römischen Brücken fuhren. Die Welt schlief, aber sie zogen weiter. Einige Stunden vor Sonnenaufgang verließen sie die Straße und bogen auf eine kleine Wiese ein, spannten die Pferde aus und banden sie fest, nahmen etwas Brot und Wein zu sich und legten sich dann auf Decken zur Ruhe. Varinia war noch lange wach, während die erschöpften 359
Fahrer sofort einschliefen. Als Flavius sie weckte, meinte sie, kein Auge geschlossen zu haben. Sie stillte das Kind, während die Männer die Pferde anschirrten. Im schwachen Licht der Dämmerung fuhren sie zurück auf die Straße und weiter nach Norden. Bei Sonnenaufgang hielten sie an einer Raststelle, um abermals die Pferde zu wechseln. Ein wenig später umfuhren sie eine befestigte Stadt. Den ganzen Vormittag peitschten die Fahrer die Pferde und rasten weiter. Das ständige Rütteln begann jetzt Varinia Beschwerden zu verursachen. Sie erbrach sich mehrmals und befürchtete ständig, daß ihre Milch wegbleiben würde. Abends kaufte Flavius frische Milch und Ziegenkäse bei einem Bauern, und das konnte sie bei sich behalten. Da der Himmel bewölkt war, rasteten sie den größten Teil der Nacht. Noch vor Tagesanbruch waren sie wieder unterwegs, und gegen Mittag gelangten sie an eine große Kreuzung. Sie fuhren jetzt nordwestlich, und bei Sonnenuntergang sah Varinia zum erstenmal in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Alpen. In dieser Nacht schien der Mond, so daß sie Weiterreisen konnten, ohne jedoch die Pferde zu sehr anzutreiben. Einmal hielten sie zum letzten Pferdewechsel und verließen noch vor dem Morgen die große Straße, um in einen Feldweg einzubiegen, der ostwärts führte. Er wand sich in ein kleines Tal hinab, das Varinia bei Sonnenaufgang in seiner ganzen Länge überblicken konnte. Die Alpen waren jetzt näher. Sie kamen nur langsam voran, da die Wagen auf dem ausgefahrenen Weg hin und her schwankten. Varinia saß zwischen den Kissen und hielt das Kind in den Armen. Sie überquerten den Fluß, der sich durch das Tal zog, auf einer Holzbrücke. Danach ging es langsam bergauf. Die gallischen Bauern hielten in der Arbeit inne, um den beiden Wagen und den schönen Pferden nachzublicken. 360
Am Spätnachmittag waren sie oben angelangt und sahen ein weites Tal vor sich liegen. Hier und dort erkannte Varinia eine kleine Stadt, ein paar Häuser oder Bauernhütten. Dazwischen ausgedehnte Wälder, zahlreiche kleine Bäche und in der Ferne die Umrisse einer großen befestigten Stadt. Sie schlugen jetzt einen Pfad ein, der bergab nach Norden führte auf die Alpen zu, die immer noch weit entfernt schienen. Der Abstieg war ebenso schwierig wie der Aufstieg. Es war bereits dunkel, als sie den Talgrund erreichten. Sie rasteten und warteten auf den Mondaufgang. In jener Nacht fuhren sie eine Zeitlang bei Mondschein weiter, hielten wiederum an und brachen beim ersten Tageslicht abermals auf. Alle Wege waren in schlechtem Zustand. Sie zogen weiter und weiter und erreichten schließlich die Ausläufer der Alpen. Hier trennte sich Flavius von Varinia. Er verließ sie am frühen Morgen auf einer Wegstrecke, wo außer Feldern und Wäldern nichts zu sehen war. »Lebe wohl, Varinia«, sagte er. »Ich habe getan, was ich Gracchus versprach. Ich glaube wohl, einen Teil des Geldes, das er mir gab, verdient zu haben. Hoffentlich sehen weder du noch ich Rom jemals wieder. Es wäre für uns beide unangenehm. Ich wünsche dir alles Gute und viel Glück und das gleiche für deinen kleinen Jungen. Etwa eine Meile weiter bergauf liegt ein kleines Bauerndorf. Es ist besser, wenn man dich nicht in einem Wagen ankommen sieht. Hier hast du einen Beutel mit tausend Sesterzen. Damit kannst du in dieser Gegend notfalls ein Jahr Essen und Unterkunft finden. Die Bauern sind einfache Menschen. Sie werden dir behilflich sein, wenn du über die Berge in deine Heimat gehen willst. Aber ich würde dir raten, das nicht zu versuchen. In den Bergen leben wilde Stämme, die alle Fremden hassen. Außerdem 361
würdest du dein eigenes Volk niemals wiederfinden, Varinia. Die germanischen Stämme wandern durch die Wälder von Ort zu Ort, so daß niemand weiß, wo sie sich gerade aufhalten. Wie ich gehört habe, sind die Wälder jenseits der Alpen feucht und ungesund und somit für dein Kind ungeeignet. An deiner Stelle würde ich mich entschließen, hier in der Gegend zu bleiben, Varinia. Ich muß zwar gestehen, daß es mich nicht sonderlich reizen würde, aber du hast doch etwas Derartiges gesucht, nicht wahr?« Sie nickte. »Ja. Ich bin dir sehr dankbar, Flavius.« Und dann machten die Wagen kehrt. Varinia stand mit dem Kind im Arm auf dem Weg und sah ihnen nach, bis sie um eine Biegung verschwanden. Sie setzte sich an den Wegrand und stillte das Kind. Danach ging sie weiter. Es war ein schöner, kühler Sommermorgen. Die Sonne wanderte über den klaren blauen Himmel, die Vögel sangen, und die Bienen summten. Varinia war glücklich. Es war nicht dasselbe Glück, das sie bei Spartacus kennengelernt hatte, aber er hatte ihr sein starkes, reiches Lebensgefühl hinterlassen. Sie lebte und war frei, und ebenso ihr Kind. Das machte sie zufrieden, und sie sah der Zukunft voll Hoffnung und Zuversicht entgegen. II Und so verlief Varinias Schicksal. Eine Frau kann nicht allein leben. In dem einfachen gallischen Bauerndorf, in das sie kam, fand sie Unterkunft bei einem Mann, dessen Frau im Kindbett gestorben war. Vielleicht wußten die Menschen, daß sie eine entflohene Sklavin war. Es tat 362
jedoch nichts. Sie hatte volle Brüste, und sie rettete einem ihrer Kinder damit das Leben. Sie war eine gute Frau, und die Leute liebten sie um ihrer Stärke und Einfachheit willen. Der Mann, zu dem sie kam, war ein schlichter Bauer. Er konnte weder lesen noch schreiben und kannte nur die Arbeit. Er war nicht Spartacus und dennoch diesem ähnlich. Er hatte die gleiche Geduld mit dem Leben. Er wurde selten zornig und liebte seine Kinder sehr – sein eigenes sowie das Varinias. Varinia betete er an. Sie war von draußen zu ihm gekommen und hatte Leben mit sich gebracht. Mit der Zeit lernte sie ihn besser kennen und erwiderte seine Gefühle in gewissen Grenzen. Sie erlernte die Sprache leicht, Latein mit vielen gallischen Worten vermischt. Sie machte sich auch ihre Sitten zu eigen, die sich wenig von denen ihres Stammes unterschieden. Sie bestellten das Land und ernteten. Ein Teil dieser Ernte wurde den Dorfgöttern geopfert, einen weiteren erhielten der Steuereintreiber und Rom. Sie lebten und starben. Sie tanzten, sangen, weinten, heirateten, und ihr Leben verlief im Rhythmus der Jahreszeiten. Draußen in der Welt gab es große Veränderungen, aber bei ihnen blieb eigentlich alles wie es war. Varinia war fruchtbar. Jedes Jahr brachte sie ein Kind zur Welt. Sie bekam sieben Kinder von dem Mann, den sie geheiratet hatte. Der junge Spartacus wuchs mit ihnen auf, wurde groß und stark, und als er sieben Jahre alt war, erzählte sie ihm zum erstenmal, wer sein Vater war und was er getan hatte. Es erstaunte sie, daß er das so gut begriff. Niemand in diesem Dorf hatte je den Namen Spartacus gehört. Größere Ereignisse hatten die Welt erschüttert und waren hier spurlos vorübergegangen. Als die anderen Kinder, drei Mädchen und vier Jungen, 363
heranwuchsen, erzählte Varinia die Geschichte noch viele Male – wie ein einfacher Sklave sich gegen Tyrannei und Unterdrückung empört und wie das mächtige Rom vier Jahre lang gezittert hatte, wenn nur sein Name genannt wurde. Sie erzählte ihnen von dem grauenhaften Bergwerk, in dem Spartacus gearbeitet hatte, und von seinen Kämpfen in der römischen Arena mit dem Messer in der Hand. Sie erzählte ihnen, wie sanft, gut und freundlich er gewesen war, und stellte ihn dabei nie über die einfachen Menschen, unter denen sie jetzt lebte. Ihr Mann lauschte diesen Geschichten stets voller Bewunderung und Neid. Varinia hatte kein leichtes Leben. Sie arbeitete von morgens bis spät abends, jätete, hackte, wusch, spann und webte. Ihre helle Haut wurde von der Sonne gebräunt, und ihre Schönheit schwand dahin. Wenn sie über die Vergangenheit nachdachte, war sie dankbar für das, was ihr das Leben gegeben hatte. Sie trauerte nicht mehr um Spartacus. Das Leben mit ihm war jetzt wie ein Traum. Als ihr ältester Sohn zwanzig Jahre alt war, bekam sie Fieber und starb nach drei Tagen. Der Tod trat rasch und ohne starke Schmerzen ein. Nachdem ihr Mann, ihre Söhne und Töchter sie beweint hatten, hüllten sie sie in eine Decke und bestatteten sie. Nach ihrem Tode machten sich die Veränderungen in der Welt auch in diesem Dorf bemerkbar. Die Steuern wurden erhöht. Die Dürre vernichtete den größten Teil der Ernte, und dann kamen die römischen Soldaten. Die Familien, die ihre Steuern nicht bezahlen konnten, wurden von Haus und Hof vertrieben, aneinandergekettet und nach Rom gebracht, wo man sie verkaufte. Doch nicht alle, deren Ernten vernichtet worden waren, nahmen das widerspruchslos hin. Spartacus, seine Brü364
der, Schwestern und andere Dorfbewohner flüchteten nach Norden in die Wälder. Dort fristeten sie kümmerlich ihr Leben, ernährten sich von Eicheln, Nüssen und dem wenigen Wild, das sie erlegen konnten. Aber wenn auf ihrem einstigen Grund und Boden eine große Villa erbaut wurde, gingen sie hinunter, brannten sie nieder und nahmen alles mit, was darin war. Dann kamen Soldaten in die Wälder, und die Bauern vereinten sich mit den Bergstämmen zum Kampf. Entflohene Sklaven stießen zu ihnen, und der Krieg der Enteigneten tobte Jahre hindurch. Manchmal wurden sie von den Soldaten geschlagen, dann wiederum waren die Aufständischen so stark, daß sie in die Ebene vordringen und brennen und plündern konnten. So lebte der Sohn des Spartacus, und so starb er – im Kampf, wie sein Vater. Die Geschichten, die er seinen eigenen Söhnen erzählte, waren weniger klar, weniger der Wirklichkeit entsprechend. Aus diesen Geschichten wurden Sagen und aus den Sagen wiederum Symbole. Doch der Krieg der Unterdrückten gegen ihre Unterdrükker ging weiter. Er war wie eine Flamme, die manchmal hoch, manchmal niedrig brannte, aber nie erlosch. Und der Name des Spartacus lebte weiter.
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INHALT
ERSTER TEIL .................................................................6 Wie Gajus Crassus im Monat Mai auf der Heerstraße von Rom nach Capua zog
ZWEITER TEIL.............................................................64 Crassus, der große General, erzählt dem Gajus Crassus, wie Lentulus Batiatus, der eine Gladiatorenschule in Capua unterhielt, ihn in seinem Feldlager besuchte
DRITTER TEIL ...........................................................107 Die Geschichte der ersten Reise nach Capua, die Marius Bracus und Gajus Crassus etwa vier Jahre vor dem Abend in der Villa Salaria unternommen haben, und des Kampfes von zwei Gladiatorenpaaren
VIERTER TEIL ...........................................................149 Marcus Tullius Cicero interessiert sich für den Ursprung des großen Sklavenkrieges
FÜNFTER TEIL ..........................................................195 Eine Schilderung des Lentelus Gracchus, einige seiner Erinnerungen sowie Einzelheiten über seinen Aufenthalt in der Villa Salaria
SECHSTER TEIL ........................................................247 Wie ein Teil der Gäste aus der Villa Salaria nach Capua reiste und dort die Kreuzigung des letzten Gladiators mit ansah, sowie einige Einzelheiten über die Stadt
SIEBENTER TEIL.......................................................301 Von der Rückreise des Cicero und Gracchus nach Rom, von ihren Gesprächen, vom Traum des Spartacus und wie er Gracchus berichtet wurde
ACHTER TEIL ............................................................359 Varinia findet die Freiheit
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