Hansgeorg Stengel Karl Schrader
Wenn die Kinder artig sind, wenn sie fröhlich und geschwind morgens aus den Bettchen s...
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Hansgeorg Stengel Karl Schrader
Wenn die Kinder artig sind, wenn sie fröhlich und geschwind morgens aus den Bettchen springen, ihren Eltern Freude bringen, sich schön kämmen, bürsten, waschen, Marzipan nicht heimlich naschen und nicht quengeln dann und wann, kommt bestimmt der Weihnachtsmann im Dezember zu Besuch und beschert ein Bilderbuch.
Seht mal her, hier steht er, so ein Struwwelpeter! Haarschopf wüst und speckig, Hemd und Hose fleckig. Finger, Ohren und Gesicht wusch er sich seit Wochen nicht. Socken trägt er keine, putzte niemals seine schiefgelatschten Treter. Schäm dich, Struwwelpeter!
So ein Struwwelpeter Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3 bis 6 Jahren von Hansgeorg Stengel und Karl Schrader
Die Geschichte vom bockigen Martin Da war ein schöner Ziegenbock mit spitzem Horn und braunem Rock, fraß Gras und Kräutlein auf dem Feld und hat nie Böses angestellt. Wenn nun der Martin bockig war, dann wurde plötzlich allen klar, den kleinen Leuten wie den großen: Den Martin hat der Bock gestoßen! Die Wirklichkeit ist aber die: Der Ziegenbock stieß Martin nie. Er krümmte Martin nie ein Härchen. Was man erzählte, war ein Märchen. Der Martin war ein Kerl, ein schlimmer. Er nörgelte und trotzte immer, fing an zu quengeln, kratzte, schmollte, wenn was geschah, was er nicht wollte.
Weil er so viel Theater machte, so kam es denn, daß jeder dachte: Na, diesen rüpelhaften Knaben wird wohl der Bock gestoßen haben. Das ging dem Ziegenbock verquer. Er meckerte und schimpfte sehr: „Ich bin nicht schuld, daß Martin sich so schlecht benimmt und fürchterlich!“ Der Ziegenbock, von Wut entfacht, hat nun das Märchen wahr gemacht und stieß mit ärgerlichem Fluch den Martin aus dem Bilderbuch.
Die Geschichte vom Tierquäler Matthias Matthias war ein Tunichtgut, ein Bursche voller Übermut, ein Rauhbein, grob wie Sandpapier, und bös zu jedem guten Tier. Im Tierpark stöhnten Marabu, Gorilla, Hirsch und Känguruh, der Löwe brüllte wie am Spieß, wenn sich Matthias sehen ließ. Der schlimme Junge weckte die Bären auf und neckte das Zebra und erschreckte ein Nashorn sehr, indem er sich von hinten ins Gehege schlich und boshaft das Rhinozeros mit einem Katapult beschoß. Als Adalbert, der Elefant, der ziemlich in der Nähe stand, den unerhörten Vorfall sah, was glaubt ihr, Kinder, was geschah?
Der Adalbert, ganz rot vor Zorn, nahm diesen Bösewicht aufs Korn und packte ihn und zwackte ihn und puffte ihn und knuffte ihn. Matthias hat gar laut geplärrt: „Laß mich in Ruhe, Adalbert!“ und zitterte wie Espenlaub, der Elefant war dafür taub. Er schleuderte mit seinem Zahn hoch in die Luft den Grobian, bis der auf einem Haufen Mist vorm Pferdestall gelandet ist. Wie stank Matthias ekelhaft nach Mist, und nicht nach Himbeersaft. Sogar die Schlangen kreischten: „Puh!“ und hielten sich die Nase zu. Allein das Stinktier freute sich: „Matthias riecht so gut wie ich!“
Die Geschichte von der faulen Angelika Angelika war dick und rund und wog schon mehr als achtzig Pfund. „Du wirst zu dick“, sprach Onkel Paul. „Angelika, du bist zu faul!“ „Nein“, hat Angelika gesprochen, „ich habe nur zu schwere Knochen!“ Das war natürlich Flunkerei. In Wahrheit aß das Kind für drei.
Sechs Brötchen, wenn es keiner sah, verputzte früh Angelika. Und mittags aß sie fünf Portionen Kartoffeln, Fleisch und weiße Bohnen. Beim Abendessen stopfte sie sich voll mit Wurst und Flammeri. Und wenn sie grade mal nicht aß, dann lag sie faul im grünen Gras. Nie sah man sie mit ihren vielen Geschwistern auf dem Sportplatz spielen. Sie war zu faul. Sie sprang und lief nur, wenn man sie zum Essen rief. Angelika, nun sieh dir an, was bald mit dir passieren kann! Tagtäglich wirst du rund und runder, und dann geschieht ein böses Wunder! Es kommt zu einem Zwischenfall: Du platzt, mein Kind, mit lautem Knall!
Die Geschichte von der eigensinnigen Ulrike Alle Kinder, auch ganz kleine, leben nicht für sich alleine, dürfen irgendwelche Gaben nicht nur für sich selber haben. Wer viel hat, soll viel verschenken, darf nicht eigensinnig denken, daß man alles auf der Welt lieber für sich selbst behält. Andern Kindern Freude machen, wegzugeben schöne Sachen, hübsch zu teilen, oft und gern – so was lag Ulrike fern. Konnte sie Konfekt erhaschen, tat sie’s in die Schürzentaschen, hielt die Hände drauf geschwind, gab nichts ab dem Nachbarkind. Wollte alles nur für sich, sagte immer: „Ich, ich, ich!“ Nicht mal bei Geburtstagsfesten gönnte sie den kleinen Gästen Pudding und Geburtstagstorte, rief schon an der Gartenpforte: „Kinder, kommt mich nur besuchen, aber eßt nicht meinen Kuchen!“
Nein, Ulrike, muß man sagen, war als Kind kaum zu ertragen. Immer mußte sie nur raffen und sich was beiseite schaffen. Unter Teddys blauem Kissen lagen manche Leckerbissen, die Ulrike, die gern schleckte, heimlich wie ein Dieb versteckte. Zuckereier, Haselnüsse, Liebesperlen, Negerküsse, Nugat, Pfefferminz, Rosinen, Katzenzungen, Keks, Pralinen und auch Spielzeug jeder Art hatte sie dort aufbewahrt.
Neulich ging Ulrikchen sehr brav im Garten hin und her. Plötzlich sah sie wie im Traum einen großen Apfelbaum. Und Ulrikchen jauchzte: „Fein! Alle Äpfel, sie sind mein! Alle sind für mich bestimmt, wehe, wer sich einen nimmt!“ Hui! Ein Sturmwind, frisch und munter, schüttelte die Äpfel runter! Tausend Äpfel, klopfklopfklopf, sausten auf Ulrikes Kopf. Oh, da wimmerte das Mädel! Schrecklich weh tat ihr der Schädel. Doch da half ihr kein Gequieke – wie begraben lag Ulrike. Wenn ihr nicht die vielen netten Kinder rausgeholfen hätten, würde sie noch jetzt erschrocken unterm Apfelhaufen hocken!
Die Geschichte vom fernsehverrückten Frank Schon als Wickelkind war Frank unbeschreiblich fernsehkrank. Nach dem Frühstück, um halb zehn, schrie er: „Ich will Fernsehn sehn!“ Und noch mitternächtlich spät hockte Frank vorm Bildgerät. Frank saß wie von einer Fessel festgeschnürt auf einem Sessel, wollte nicht zum Spielplatz springen und nicht basteln und nicht singen, wollte nicht spazierengehn, wollte nichts als Fernsehn sehn. Niemand, nicht mal Doktor Sieber, heilte Frank vom Fernsehfieber. Pillen kriegte Frank und Spritzen, doch er blieb vorm Bildschirm sitzen, war zu träge, aufzustehn, schrie nur: „Ich will Fernsehn sehn!“
Augen groß wie Birnenstiele, starrte Frank der Jahre viele auf das Fernsehfunkgeflimmer, doch dann schlich er aus dem Zimmer, seufzte: „Ich will schlafen gehn, möchte nicht mehr Fernsehn sehn!“ Und vom Sitzen steif und schief, ging der Frank zu Bett und schlief, als der Fernsehapparat hops! ins Kinderzimmer trat und befahl in barschem Ton: „Aufstehn, Frank! Hier bin ich schon!“ Müde nach des Tages Last, glotzte Frank auf seinen Gast. Die verflixte Fernsehröhre sprach: „Verzeihung, wenn ich störe! Aber einen Freund wie dich laß ich nimmermehr im Stich!“
Und sie hat den Frank zur Nacht völlig um den Schlaf gebracht, hängte sich wie eine Klette fest und rücksichtslos ans Bette, wenn der Frank auch noch so schrie: „Fernsehn will ich nie mehr, nie!“ Ganz vergeblich flennte Frank, war nun doppelt fernsehkrank. Niemand konnte ihn vom bösen Fernsehapparat erlösen. Jedem kann es so ergehn, der nicht aufhört fernzusehn.
Die Geschichte vom Kaputtmacher Siegfried Siegfried war ein Satansbraten, tat nur immer böse Taten, bog die Kleiderhaken krumm, kippte Tintenfässer um, schlug mit Beil und Schraubenschlüssel Glas kaputt und Suppenschüssel, stutzte Omas Wäscheleine, riß dem Kasper aus die Beine, schwärzte Muttis Puderdose, schnitt sich Löcher in die Hose. Nichts ließ Siegfried ungeschoren, immer mußte er nur bohren, klecksen, sägen, zerren, zupfen und zerreißen und zerrupfen.
„Was soll werden?“ sprach der Vater. Doch da fand sich ein Berater! „Siegfried“, sagte Kaufmann Pelle, „ist ein ruppiger Geselle. Da ist nur noch eins zu machen: Kauft dem Bub kaputte Sachen, dann vergeht ihm bald das Scherzen, und er nimmt es sich zu Herzen!“ Siegfrieds Vater war sehr froh, und er sprach: „Das mach ich so!“ Und die Eltern, hübsch zu zwein, kauften Murks für Siegfried ein. Ging nun Siegfried aus dem Haus, sah er ganz erbärmlich aus! Ganz kaputt und ganz verbogen war der Knabe angezogen. Was er trug und mit sich nahm, war kaputter Trödelkram, und es ging von Mund zu Mund: Siegfried ist ein Vagabund. Benno, Eberhard, Irene und sogar die Magdalene, die nur selten Spaße macht, haben sich kaputtgelacht.
Die Geschichte vom verbrannten Spielzeug Roderich und Rosalinde stand wie selten einem Kinde reichlich Spielzeug zwecks Vergnügung früh bis abends zur Verfügung: Dreirad, Teddy, Puppenbett, Schwarzer Peter und Quartett, Abziehbilder, Federbälle, Omnibus mit Haltestelle, Schreibzeug, Kreide, Pinsel, Pasten, Schaukelpferd, Metallbaukasten, Kaufmannsladen, Autos, Eisenbahn, elektrisch und mit Gleisen, Brücken, Tunnels, Bahnstation und ein Kindertelefon. Jeder glaubt nun, diese beiden Kinder wären zu beneiden. Doch die zwei, du lieber Himmel, hatten einen Streichholzfimmel.
Ganz besonders Roderich war ein schlimmer Loderich, dem es sehr das Herz erfrischte, wenn was loderte und zischte. Rosalinde war zwar braver, trotzdem stach auch sie der Hafer, und sie gab, das kleine Luder, oft ein Streichholz ihrem Bruder. Und dann kam, was kommen mußte: Eines Tages im Auguste zündete der böse Bube mitten in der Kinderstube Klettermax und Hampelmann flink mit einem Streichholz an!
Pfuff ! Im Handumdrehn entstand ein gar schlimmer Feuerbrand, der wie ein Gewitter grollte und durchaus nicht enden wollte, bis er polterte und pfiff und nach beiden Kindern griff. Und die Mutti goß geschwinde Wasser über Rosalinde, Vati zielte auf den Bauch Roderichs mit einem Schlauch. Oh, die Kinder waren naß und vom Feuerschrecken blaß (wenn ihr das gesehen hättet!), aber wenigstens gerettet. Nur die schönen Spielzeugsachen waren nicht mehr heil zu machen. Mutti sprach mit strengem Ton: „Kinder, das ist euer Lohn. Nichts als dieses Aschenhäufel hinterließ der Feuerteufel!“ Alles, was noch übrigblieb, war die kleine Blechmaus Piep.
Die Geschichte vom Mäkelfritzen Fritze Lehmann war ein kleiner Plagegeist – und was für einer! Fritze saß verstockt am Tische, wollte weder Mus noch Fische, nicht mal Pudding und Lakritze, Fritze war ein Mäkelfritze. Was man auch dem Fritze kochte, Fritze mäkelte und mochte gar nichts naschen und verzehren außer schönen Stachelbeeren. Stachelbeeren jeder Sorte, auch als Stachelbeerentorte oder Stachelbeerenbrei oder Stachelbeern mit Ei. Stachelbeerenmarmelade, Stachelbeerenlimonade oder Stachelbeerengrütze – so was schmeckte Mäkelfritze.
Gab es mittags Kraut und Mohren, schrie er: „Ich will Stachelbeeren, denn sie sind mein Leibgericht. Etwas andres eß ich nicht!“ Es vergingen ein paar Jahre. Plötzlich sprossen schauderbare Stacheln, solche langen, spitzen, aus dem Leib des Mäkelfritzen, und er sah bald wie, o Graus, eine Stachelbeere aus. Ach, da war der Fritze traurig, sah zum Fürchten aus und schaurig. Schlimmer als das Stachelhaar Mäkelfritzchens aber war, daß dem Bub, den alle neckten, Stachelbeeren nicht mehr schmeckten.
Und so rief der Fritze laut: „Gebt mir Klops und Sauerkraut, Erbsen, Bratkartoffeln, Käse, Blutwurst, Quark und Mayonnaise!“ Mutti jauchzte: „Gott sei Dank!“ und servierte Speis und Trank, doch, o weh, der Knabe spuckte! Alles, was er runterschluckte, um sich davon zu ernähren, schmeckte nun nach Stachelbeeren! Ist es nicht ein wahrer Jammer, wenn die ganze Speisekammer, alles, was man kocht und bäckt, nur nach Stachelbeeren schmeckt? Ja, da wird sich jeder ekeln. Deshalb Vorsicht! Niemals mäkeln!
Die Geschichte von der Daumenlutscherin Sibylle Wenn es dunkel war und stille, lutschte heimlich die Sibylle immerfort an ihren Daumen, so als wärens süße Pflaumen. „Rechtes Däumchen, linkes Däumchen, schüttle dich, mein Pflaumenbäumchen!“ flüsterte Sibylle – und schwupp! die Daumen in den Mund. Sandmann stieg durchs Fenster ein, sprach: „Sibylle, laß das sein! Daumenlutschen ist nichts Gutes“, doch Sibylle sprach: „Was tut es? Rechtes Däumchen, linkes Däumchen, schüttle dich, mein Pflaumenbäumchen!“ drehte sich im Bett um – und schwupp! die Daumen in den Mund.
Einmal nun nach langer Nacht ist Sibylle aufgewacht und bemerkte, ach, du Schreck: Beide Daumen waren weg, hatten sich zu zweit verdrossen nachts zur Wanderschaft entschlossen! Wie nun soll Sibylle trinken oder essen Wurst und Schinken oder pflücken süße Pflaumen ohne Hilfe beider Daumen? Und die Daumen wandern, wandern flink von einem Ort zum andern. Ob sie einst in aller Stille heimwärts wandern zu Sibylle? Niemand weiß, was beide machen. Wer nie daumenlutscht, kann lachen!
Die Geschichte vom Faxenmacher Franz Wenn einer immer grient und lacht und immerzu Grimassen macht und nur noch frotzeln kann und flachsen, dann heißt es: „Seht den Faxenmaxen!“ Ein Faxenmax, der Firlefanz und arge Possen trieb, war Franz, den alle, die ihn näher kannten, meist „Firlefranz“ und „Affe“ nannten. Das waren Namen unerhört, doch hat sich Franz nicht dran gestört. Er zog erst recht die Stirne kraus und sah wie ein Schimpanse aus, dann nahm er eine Blumenvase und setzte sie sich auf die Nase und balancierte oder schob die Unterlippe vor und hob die Augenbrauen hoch und sprach: „Jetzt mache ich ein Walroß nach!“ Oft wackelte er mit den Ohren und ließ die Finger darin bohren, bestrich die Stirn mit grünem Lack und jauchzte: „Feiner Schabernack!“
Da fuhr mit fröhlichem Gerumpel durchs Dorf der Zirkus „Schrumpelpumpel“, dem war, das konnte Franz nicht wissen, der Affe Bimbo ausgerissen. Als nun der Clown Traritrara den Franz beim Faxenmachen sah, da hat er ihn flink eingefangen und hinter Eisenkäfigstangen so einquartiert wie einen Affen. Die Leute stehn davor und gaffen.
Die Geschichte von der ungezogenen Luise Dicht vorm Haus die grüne Wiese war kein Spielplatz für Luise. Auch den Garten und den Hof fand Luise öd und doof. Um zu spielen und zu spaßen, hopste sie auf Autostraßen selbst im dichtesten Verkehr wie ein Dackel hin und her. Nicht einmal auf Bernhard Schütze, Polizist mit weißer Mütze, hörte brav und folgsam diese ungezogene Luise. Und sie trieb es toll und toller, gab nicht acht auf Motorroller, Feuerwehr mit Feuerleiter, Mopeds, Autos und so weiter. Taxifahrer Edmund Flor schimpfte: „Mädel, sieh dich vor!“ Und der Gasmann hat gedroht: „Kind, du rennst noch in den Tod!“
Nun geschah’s vor ein paar Tagen, daß ein großer Lastkraftwagen von der städt’schen Müllabfuhr nachmittags um fünfzehn Uhr just in jener Straße hielt, wo Luise immer spielt. Und die Männer, fix und fleißig, kippten in das Fahrzeug dreißig vollgefüllte Abfallkübel, und Luise wurde übel, denn die Männer, welch ein Graus, kippten auch Luise aus, die beim Spiel am Straßenrand dicht an einer Tonne stand! Bromm! Schon gab der Fahrer Gas, und Luise, zwischen Glas, Knüllpapier und Kaffeesatz, fuhr zum Schuttabladeplatz. Dort, schon ganz und gar zerrüttet, hat man sie dann ausgeschüttet, und aus Asche, Blech und Knochen ist Luise rausgekrochen. Schmutzig sieht Luise aus, heult und traut sich nicht nach Haus.
Die Geschichte vom Stromer Johannes Johannes wollte nicht mehr klein und auch nicht mehr behütet sein. Am frühen Morgen lief er fort von Elternhaus und Kinderhort.
So laut man auch „Johannes!“ rief, Johannes lief und lief und lief. Er lief mal schräg, mal gradeaus und jammerte: „Ich will nach Haus!“
Kein Weg, kein Steg, kein Mensch, kein Licht. Johannes fand den Heimweg nicht. Johannes irrte ruhelos durch Dickicht, Sumpf, Gestrüpp und Moos. Er hatte Hunger, Durst und fror und kam sich ganz verlassen vor.
Der Winter kam ins Land – o weh! Schon fiel vom Himmel kalter Schnee. Mit Hirsch und Reh am Futterplatz hockt nun zerknirscht der Hosenmatz.
Sein Frühstück: Eicheln, Klee und Heu. Sein Bettchen: Reisig, Laub und Spreu. Ist das ein Leben, Kinder? Nein! Da seht ihr: Stromern bringt nichts ein!
Die Geschichte von der alten Oma Enzenbach Die Oma Hedwig Enzenbach war schon ein bißchen altersschwach. Behäbig schlurfte sie und matt an einem Krückstock durch die Stadt. Wer sie erblickte, jedermann, bot gern der Alten Hilfe an. Die Mädchen und die Jungen, sie sind herbeigesprungen und trugen ihr die Taschen und halfen Wäschewaschen und räumten auf die Truhe und putzten blank die Schuhe und kehrten Schmutz vor Omas Tür, und niemand wollte Lohn dafür.
Nur die zwei Buben Tom und Tim, die waren ganz gemein und schlimm. Sie ärgerten mit frechem Lachen die alte Oma Enzenbachen und sangen ihr im Zweierchor den schauderhaften Spottvers vor: „Buckelkrumme Hexenmuhme, ausgedörrte Butterblume, Schleiereule, Haubenwachtel, gute Nacht, du alte Schachtel!“ Das klang nicht gut in Omas Ohr, doch trug sie alles mit Humor, sie schimpfte nie, war immer froh und dachte: Jungens sind halt so. Wie ärgerten sich Tim und Tom, sie riefen vor der Haustür: „Komm heraus zu uns und hör dir dann das Lied noch mal von vorne an: Buckelkrumme Hexenmuhme, ausgedörrte Butterblume, Schleiereule, Haubenwachtel, gute Nacht, du alte Schachtel!“
Der Winter kam, es wurde kalt, der Schnee bedeckte Feld und Wald und machte Tal und Hügel weiß, da gingen Tim und Tom aufs Eis. O weh! Das Eis war noch zu schwach. Sie brachen ein mit lautem Krach. Das hörte Oma Enzenbach. Schnell sprang die Alte aus dem Bett und lief zum Teich mit einem Brett und hat sich mit dem Brett ganz sacht an beide Buben rangemacht und kriegte sie, die pitschenassen, am Haarschopf und am Rumpf zu fassen und brachte so nach kurzer Zeit das Brüderpaar in Sicherheit.
Nun sitzen, triefend naß und schwach, am Herd der Oma Enzenbach die Buben, denn ihr Bauch tut weh, und schlürfen heißen Fliedertee und futtern zehn mit Wurst und Speck belegte Butterstullen weg. Die Oma, die’s mit Freude sieht, sagt: „Kinder, guten Appetit!“
Kindern, sind sie brav gewesen, wird was Schönes vorgelesen, und die Kinder betteln dann: „Jetzt noch mal von Anfang an!“ Kann ein Kind schon buchstabieren, darf es selber kontrollieren, wieviel Bilderbuchgeschichten von verflixten Bösewichten Opa ihm noch nicht erzählte. Sieh mal nach, ob eine fehlte:
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