Gruselspannung pur!
Skandal im Cafe Frankenstein
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Laut trommelte der Regen a...
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Gruselspannung pur!
Skandal im Cafe Frankenstein
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Laut trommelte der Regen auf das Schieferdach der Friedhofskapelle. Matthias Kreuzer stand auf dem nachtdunklen Kreuzweg und wartete. Über ihm rauschte das Laub in den Trauerweiden. Ein Käuzchen schrie. In der Ferne rollte Donner. Kreuzer war nervös. Immer wieder schob er den Ärmel seiner Lederjacke hoch und leuchtete mit dem Feuerzeug auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr. Als es Mitternacht schlug, schrieb er einige Beschwörungsformeln in den nassen Sand des Weges. Dann schaute er erwartungsvoll zum wolkengepanzerten Himmel. »Ich rufe dich, o Mephisto, Fürst der Finsternis und Verkünder des Bösen. Erscheine, o Satan, denn dein Jünger braucht deinen dämonischen Beistand.« Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! 2
Nichts passierte. Kreuzer zündete sich eine Zigarette an. Ein wenig würde er wohl noch ausharren müssen, bis ihm Mephisto die Ehre eines Besuches zuteil werden ließ. Hastig saugte der Mann am Filter des Glimmstengels. Kreuzer, ein stämmiger Koch, arbeitete für knapp zweitausend Mark im Monat in einem drittklassigen Hotel. Seit dem Fall der Mauer hatte der Fünfunddreißigjährige eine Vision, die ihn bis in den Schlaf verfolgte: ein eigenes Restaurant. Gediegen bis ins letzte Detail sollte es sein. Keine Schnellfeuerküche wie die Bulettenschmiede, in der er momentan seine Brötchen verdiente. Diese Wunschvorstellung hatte sich wie ein Krebsgeschwulst in ihm festgefressen. Bald dachte er an nichts anderes mehr. Und deswegen war er heute nacht auch hier, auf dem Friedhof. Kreuzer hatte noch immer Angst. Und das nicht zu knapp. Bevor er den Gottesacker betreten hatte, war er in der Pommernstube gewesen, ein paar Bier zwitschern. Dort war sein Entschluß endgültig gereift. Mit jedem getrunkenen Gerstensaft wuchs sein Selbstvertrauen. Nüchtern hätte er sich lieber unter dem eigenen Bett verkrochen, als sich des Nachts auf dem Friedhof herumzutreiben. Mathias Kreuzer spähte angestrengt in die Dunkelheit. Nichts zu sehen. Nur Bäume, Sträucher, halbzerfallene Beinhäuser, Grabsteine und Abfallcontainer aus Draht. Plötzlich hatte Kreuzer Bedenken. Möglicherweise stand er auf verlorenem Posten. War Mephisto doch nur Fantasiegestalt? Von übereifrigen Männern der Kirche erdacht? Der unglückliche Koch zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen. Insgeheim jedoch machte sich Erleichterung in ihm breit. Die unheimliche Begegnung fand nicht statt. Als der Regen nachließ, schob sich die silbrige Sichel des Mondes durch das Wolkengebirge. Sein geheimnisvolles Licht ließ die Butzenscheiben der Kapelle glitzern. Abermals schaute Kreuzer auf die Uhr. Gleich halb eins. Er war umsonst gekommen. Der Antichrist schien anderweitig beschäftigt. Auch gut. Kreuzer atmete auf. 3
Im Begriff, den Ort des ewigen Schweigens zu verlassen, schleuderte er seine Zigarette weit von sich. Funkensprühend überflog die Kippe die Buchsbaumhecke eines Grabes und verschwand hinter einem Gedenkstein aus Granit. Plötzlich erstarrte Mathias Kreuzer zur Salzsäule. Sein Herz machte einen Satz, als wolle es seine Brust verlassen. Eine Stimme, dumpf wie der tiefste Ton aus einer Tuba: »Was für eine wunderbare Nacht. Finden Sie nicht auch, mein Herr?« Kreuzer fuhr der Schreck durch Mark und Bein. Er hatte weder nahende Schritte noch ein anderes Geräusch gehört. Dabei waren all seine Sinne so geschärft, daß ihm sein eigener Pulsschlag als Lärm vorkam. Demnach mußte ER es sein, der da hinter ihm stand. ER – Kreuzers Hände flatterten. Eine unerklärliche Kühle benetzte die Haut seiner glühenden Wangen. Langsam drehte er den Kopf. Mit einer Mischung aus Furcht und Neugierde stierte er auf die gespenstische Gestalt, die buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht war. ER erschien als ein Mann mittleren Alters, gertenschlank, fast dürr, bekleidet mit einem schwarzen, zweireihigen Anzug, als käme er geradewegs von einer Beerdigung. Unter seinem breitkrempigen Schlapphut quollen lange, schwarze Haare hervor. Die Schuhe, die er trug, waren schwarz und klobig, so wie die orthopädischen Treter, die in den Schaufenstern von Sanitätshäusern ausgestellt waren. Sein hohlwangiges Gesicht wurde von einem aufgesetzten, freudlosen Lächeln beherrscht. Im Nu verlor Kreuzer seine gesunde Gesichtsfarbe. »Sie sind ja leichenblaß«, stellte der dünne Mann fest. »Offenbar rauchen Sie zuviel.« »Ich? Nein, ich…« Kreuzer verhaspelte sich. Fassungslos starrte er auf den Schwarzgekleideten, dessen Lächeln wie festgefroren war. »Wer sind – Sie?« hauchte Kreuzer überflüssigerweise. Er schnupperte unauffällig. Der Schlapphut-Mann stank penetrant nach Verwesung! Kreuzer wich instinktiv zurück, als ihm der andere väterlich eine Hand auf die Schulter legte. – Die Hand war so kalt, als hätte sie 4
stundenlang im Gefrierfach eines Kühlschrankes gelegen. »Beruhigen Sie sich.« Der dünne Mann sah ihn an. »Haben Sie keine Furcht. Alles hat seine Richtigkeit.« Kreuzer fröstelte. »Sind Sie…?« »Ja«, antwortete der andere voreilig. »Ich bin’s. Und mit wem hab ich die Ehre?« »Mathias Kreuzer. Ich bin Koch.« »Oho!« Der Schwarzgekleidete schien überrascht und fixierte sein Gegenüber. »Ein Koch also. Was ist dein Begehr, Mathias Kreuzer? Was hast du auf dem Herzen? Wenn es in meiner Macht steht, könnte ich versuchen, dir einen Dienst zu erweisen. Deswegen bist du doch hier. Oder?« Der Koch nickte hastig. Die Gedanken knatterten wie eine Maschinengewehrsalve durch seinen Schädel. Alles war so unwirklich. Er hatte das Empfinden, einen höchst realistischen Traum zu haben. Kreuzer unterdrückte das alberne Verlangen, sich selbst in die Wange zu kneifen. »Sprich!« ermunterte ihn der dünne Mann. »Hab keine Scheu.« Der Koch riß sich zusammen. »Ich will, das heißt, ich möchte gern ein eigenes Restaurant. Können Sie es mir beschaffen?« Schweigen. In den Augen den Schwarzgekleideten erschienen zwei gelb rote, züngelnde Flämmchen. Seine Miene blieb ausdruckslos. Dann lächelte er. Es war ein eisiges, hintergründiges Lächeln. »Ich bin kein Bankier, Mathias Kreuzer. Ich kann dir kein Geld geben. Und dir ein Restaurant aus dem Boden stampfen, das kann auch ich nicht.« Kreuzer blickte traurig zu Boden. »Sie können mir also nicht helfen?« »Das habe ich nicht gesagt.« Der Koch schöpfte neue Hoffnung. »Ich tu alles, was Sie von mir verlangen«, stieß er verzweifelt hervor. »Das Leben, das ich führe, ist die Hölle auf Erden. Von morgens bis abends stehe ich an einem uralten Kohleherd und muß aus Abfällen Delikatessen zaubern. Für einen Koch mit Leib und Seele, wie ich einer bin, gibt es nichts Scheußlicheres. Und mein Chef speist mich mit einem Trinkgeld ab. Selber kutschiert er mit einem Mercedes durch die Gegend. Ich habe eine schöne Frau. Sie hat 5
Wünsche…« Der Schwarzgekleidete nickte zu Kreuzers leidenschaftlichen Worten. »Du gefällst mir, Mathias Kreuzer«, sagte er. »Darum gebe ich dir eine Chance. Nutze Sie, und du wirst dir eines Tages deinen Herzenswunsch erfüllen können.« »Was ist das für eine Chance?« fragte der Koch. Gebannt hing er an den grinsenden Lippen des dünnen Mannes. Der hob die Stimme. »Es gibt da jemanden, der mich bedrängt, der meine Kreise stört. Er ist sehr hartnäckig und hochgradig gefährlich, sogar für mich. Du könntest ihm einen Besuch abstatten.« »Ich soll jemanden besuchen?« fragte Kreuzer dümmlich. Jäh verschwand das Lächeln auf dem Gesicht des Schwarzgekleideten. Er preßte die Lippen aufeinander, daß die Backenknochen die Haut spannten. Seine schmale, langfingrige Hand krallte sich wie eine riesige Wäscheklammer in den Stoff von Kreuzers Jacke. »Nein, du Narr!« fuhr er den erschrockenen Koch an. »Du sollst ihn nicht besuchen, du sollst ihn mir vom Hals schaffen. Ihn ein für allemal auslöschen. Das wäre deine Aufgabe. Hast du das verstanden?« Kreuzer schluckte. »Wer, wer ist dieser Mann?« »Er heißt Mark Hellmann und wohnt in Weimar. Manchmal arbeitet er für eine Zeitung. Doch immer öfter kommt er mir in die Quere und mischt sich in Dinge ein, die ihn nichts angehen. Ich will, daß du ihn tötest!« »Töten?« echote Kreuzer. »Genau. Erledige ihn, und wir bleiben Freunde.« »Wie soll ich das anstellen?« hauchte Kreuzer. »Ich hab’ noch nie jemandem ein Haar gekrümmt, geschweige denn getötet.« »Meinetwegen erschlage ihn, schieß ihm ein paar Kugeln in den Leib, ersäuf ihn im Fluß oder schneid ihn in Scheiben. Laß dir etwas einfallen. – Das ist jedenfalls der Preis, den du zahlen mußt.« »Und wenn es schiefgeht?« Kreuzers Augen flirrten vor Angst. »Kann doch passieren, oder?« »In einem Monat hast du dein Restaurant. Du wirst eine Küche besitzen, um die dich alle anderen Möchtegern-Gastronomen beneiden werden. Es darf nichts schiefgehen. Eine Hand wäscht 6
die andere.« »Ich kann’s kaum glauben.« Kreuzer schwebte im siebten Himmel. »Eine Küche, mit Konvektomaten, riesiger Bain-Marie, Doppeldecker-Rechauds, Töpfen aus Edelstahl…« Der Schwarzgekleidete schnippte mit Daumen und Zeigefinger. »Töte Mark Hellmann!« raunte er. »Dann wird dein Wunsch Wirklichkeit.« Der ehrgeizige Koch zögerte keine Sekunde mehr. Er biß die Zähne zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und schaute den schwarzen Mann in die funkelnden Augen. »So sei es! Ich werde es tun, so wahr mir…« Der Schwarzgekleidete hob abwehrend beide Arme, »…der Fürst der Finsternis helfe!« vollendete er und reichte Kreuzer die Hand. Begeistert schlug der Koch ein. Der Pakt war besiegelt. Und das Unheil nahm seinen Lauf. * Leise betrat Mathias Kreuzer das Haus. Es war ein Uhr nachts. Heike, seine Frau, würde im Bett liegen und schlafen. Bevor er fortging, hatte er ihr gesagt, er würde wahrscheinlich erst gegen drei Uhr morgens nach Hause kommen. Er hatte ihr vorgeschwindelt, im Greifenhaus, wo er arbeitete, sei eine Sonderveranstaltung. Geräuschlos öffnete er die Wohnungstür. Im Korridor hängte er seine klamme Jacke an die Garderobe und zog die Schuhe aus. Dann ging er in die Küche. Er machte Licht und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Geräuschlos entkorkte er die Flasche und nahm einen langen Zug. Allmählich wurde ihm die Tragweite seines nächtlichen Friedhofsbesuches bewußt. Ich habe mich mit dem Teufel eingelassen, kreiste es ihm durch den Kopf. Auf Gedeih und Verderb! Ich muß einen Menschen umbringen, um meinen Kontrakt zu erfüllen. Aber dann werde ich groß herauskommen! Ich werde ein Restaurant eröffnen, das Furore machen wird. Die Aussicht, bald einer der angesehensten Männer der Stadt zu sein, ließ ihn innerlich jubeln. In seiner Fantasie sah er Scharen 7
von blitzsauber gekleideten Köchen durch eine aufs Modernste eingerichtete Küche wieseln… Ein Geräusch irritierte ihn. Es kam aus der Wohnung und klang, als ob jemand heftig atmete. Mathias Kreuzer neigte den Kopf zur Seite. Er horchte angespannt in die nächtliche Stille. Eine Weile stand er reglos, das Bier in der Hand, vor dem schwarzen Rechteck des Küchenfensters. Die Kreuzers waren seit fünf Jahren verheiratet. Sie lebten allein in der kleinen, rekonstruierten Plattenbauwohnung im Greifswalder Ostseeviertel. Das heftige Atmen wurde zum Japsen. Es kam aus dem Schlafzimmer. Wieso japste seine Frau im Schlaf? Kreuzer stellte das Bier auf das Fensterbrett. Sie schlief doch sonst wie ein Murmeltier. Da stimmte doch was nicht! Eine böse Vorahnung beschlich ihn. Auf Zehenspitzen tappte er durch die Diele. Flauschige Auslegeware dämpfte seine Schritte. Er bemerkte, daß die Tür zum Schlafzimmer nur angelehnt war. Das Japsen war jetzt ganz deutlich zu vernehmen. Solche Geräusche machte keiner, der schlief. Ging seine Heike fremd, weil sie dachte, er käme erst gegen Morgen? Hatte sie die Gunst der Stunde ausgenützt, sich einen Kerl geangelt und ihn mit ins Bett genommen? Zögernd warf Kreuzer einen Blick durch den Türspalt. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Mit offenem Mund glotzte er in das Zimmer. Als erstes sah er seine Frau. Heike hockte im Schneidersitz auf dem zerwühlten Bett. Für gewöhnlich trug sie ihr kastanienbraunes Haar sorgfältig hochgesteckt. Jetzt klebte es schweißnaß an ihrem Kopf. Heike war splitternackt. Sie saß auch nicht still, sondern federte rhythmisch auf und ab. Kreuzer sah, wie ihre Brüste hüpften. Die Augen hatte sie fest zugepreßt. Ihre Schminke war zerlaufen, der Mund rotverschmiert, als wäre sie zu einem blutsaugenden Vampir mutiert. Unter ihr lag ein Kerl! Seine nackten Füße ragten über die Bettkante. Er wackelte 8
genußvoll mit den Zehen, während er Heikes Pobacken fest umklammert hielt. Der Gehörnte stand wie angewurzelt. Sekundenlang konnte er nicht klar denken. Er wußte einfach nicht, wie er sich verhalten sollte. Etwa sich wie ein entfesselter Racheengel auf die beiden stürzen? Sie von der Liebeswiese hochreißen? Dem Kerl die Zähne einschlagen? Nein, so ein Mensch war Mathias Kreuzer nicht. Aber etwas tun mußte er. Er beschloß, zurück in die Küche zu gehen. Irgendwie fürchtete er sich vor der Auseinandersetzung. Was, wenn der andere Kerl stärker war als er und ihn obendrein noch im eigenen Schlafzimmer verdrosch? Zur Eifersucht und Wut kamen dann noch die Schmerzen… Auf Zehenspitzen schlich Kreuzer in die Küche zurück. Er schnappte sich das angetrunkene Bier und goß es sich mit einem einzigen Zug hinter die Binde. Dann, von einem Augenblick zum anderen, sah er Heikes Seitensprung aus völlig gegensätzlicher Sicht. Weiber, dachte er. Wozu ärgere ich mich eigentlich? Jetzt, wo ich einen so mächtigen Verbündeten habe. Er wird mir, wenn ich’s will, die schärfsten Puppen beschaffen. Was Heike sich herausnimmt, kann ich auch. Soll sie doch schlafen, mit wem sie will. Mir steht die ganze Welt offen! Adieu, Heike! Er nahm den Autoschlüssel vom Haken, warf sich die Jacke über und schlüpfte in seine Schuhe. Dann ging er. Der Opel Corsa stand auf dem Parkplatz neben dem Wohnblock. Das grasgrüne Auto glänzte im fahlen Schein des Mondes. Aus der Ferne erklang die Sirene eines Krankenwagens. Sonst war Stille. Alles schien zu schlafen. Kreuzer stieg ins Auto, legte den Gang ein und fuhr los. Wohin wußte er nicht. Noch nicht. Aber es sollte nicht lange dauern, und Mathias Kreuzer würde eine weitere, haarsträubende Überraschung erleben. Eine, die sein weiteres Leben stark beeinflussen sollte. In einer halben Stunde…
9
* »Gib mir mal ‘ne Lulle«, bat Reding. Plottke grabbelte in der Brusttasche seines knautschigen Shirts. »Seit wann paffste denn wieder, Alter?« »Geht dich ‘n Scheißdreck an!« fauchte Reding. »Gib mir lieber Feuer, du Nase!« Er riß Plottke die Zigarette aus der Hand und schob sie zwischen seine Lippen. Unterwürfig gab Plottke ihm Feuer. Reding war der Anführer. Die beiden Männer saßen in einem Ford Sierra und fuhren die Loitzer Landstraße in Richtung Greifswald. Die Strecke war sehr kurvenreich. Es war zwei Uhr nachts. Die Tachonadel näherte sich der 130. »Wieso biste denn so bärbeißig, Rolf?« fragte Plottke den Fahrer. »Wir haben doch allen Grund, uns zu freuen. Zwei Millionen haben wir eingesackt! Das ist kein Pappenstiel. Wir sollten irgendwo hingehen und uns einen ansaufen.« Reding bedachte seinen Komplizen mit einem raschen Blick. »Du bist der größte Idiot, der in MeckPom umherkreucht!« schimpfte Reding. »Morgen steht es in allen Käseblättern: Lottomillionär in Klein Zastrow erschossen! Die Bullen werden hinter uns her sein wie der Teufel hinter den Seelen. Und du? Willst mit drei Achten im Turm, die Tasche mit den Kröten unterm Arm, in der Gegend herumtorkeln?« Rüdiger Plottke sagte nichts. Er saß da und umkrampfte die dicke Aktentasche, die bis zum Rand mit gebündelten Banknoten vollgestopft war. Plottke war dreiundzwanzig, knapp einsachtzig groß und wog gut und gern seine zwei Zentner. Er trug ein weites Shirt mit der Aufschrift Led Zeppelin. Seine langen, braunen Haare waren struppig und stachen weit über seine massigen Schultern. »Musik«, raunte Reding. »Such mal ‘nen vernünftigen Sender. Aber keinen mit diesem verdammten Teenie-Schnickschnack.« Plottke freute sich, dem Kumpel einen Gefallen tun zu können. »Mach’ ich, Alter. Ich such’ nen Sender, wo sie megageilen Hardrock spielen. Black Sabbath, AC/DC oder Deep Purple.« Der Dicke nestelte am Autoradio. Rolf Reding beobachtete, wie die wulstigen Finger des anderen 10
auf den Knöpfen herumdrückten. Dieses Schwein, dachte er. Dieses gottverdammte Schwein hat Kuddel Retschlag kaltgemacht. Wie konnte ich mich bloß mit solch einem Schwachkopf einlassen? Er rief sich die Geschehnisse der letzten Stunde ins Gedächtnis zurück. In der Kneipe hatten sie spitzgekriegt, daß ein Ex-Kumpel unlängst den Jackpot beim Lotto geknackt hatte. Kuddel Retschlag. Laut hatte es der Hirnie vor allen Leuten ausposaunt. Ebenso, daß er das ganze Geld von der Bank geholt hatte, um sich mal so richtig reich zu fühlen. Kuddel war ein spleeniger Typ. Er war fast dreißig, las noch immer >Dagobert DuckHerzogin-Anna-AmalieFloh!< durch die Wohnung brüllte. Kurz darauf polterte etwas zu Boden. Jemand schrie entsetzt. Dann war Floh am anderen Ende der Leitung. »Onkel Mark? Bist du’s?« Ich räusperte mich unwohl. »Ja, Kleines. – Sag mal, wo stecken deine Eltern? Kommen Sie bald wieder?« Das Mädchen schien etwas aus der Puste zu sein. »Paps mußte vorhin noch mal los«, keuchte sie. »Eine Tankstelle ist überfallen worden. Ich weiß nicht, wann er wieder da ist.« »Und deine Mutter?« »Mutti ist zur Kosmetik.« Kichernd verstellte der Frechdachs seine Stimme. »Eine Frau ab dreißig ist ein kostbares Juwel. Man muß ihn hin und wieder aufpolieren.« Ich mußte ein Lachen unterdrücken und sagte: »Ich hatte vor, auf einen Sprung zu euch zu kommen. Mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf.« »Tante Tessa ist wohl verreist, wie?« Flohs Stimme klang lauernd. Tessa Hayden war meine Freundin. Ich verbrachte einen Großteil meiner Freizeit mit ihr. »Tessa besucht ihre Schwester Annette in Bansin«, sagte ich. »Sie kommt erst nächste Woche zurück. Naja, nichts zu machen. Dann grüß mal schön, okay?« »Tschüs, Onkel Mark.« Gerade hatte ich das Handy eingesteckt, als mich eine nette alte Bekannte anklingelte. Eigentlich gurrte sie mich an, und so alt war sie auch noch nicht. Erst fünfundzwanzig. Ich meldete mich also. »Mark Hellmann?« kam es säuselnd zurück. 19
Ein Schauder überlief mich, diese Stimme ging mir durch und durch. Sofort hatte ich die Vorzüge dieses Vollblutweibes vor Augen. »Du liegst goldrichtig«, sagte ich. »Debbie, was gibt’s? Warum wählst du einen glücklich verliebten Mann an? Ist kein Solist mehr frei?« »Tu nicht so brav. Ich kenne dich ganz anders. Laß mich noch mal an deiner Seite von früher träumen…« »Debbie, ich bin in festen Händen.« Sie bettelte und bettelte, und da wollte ich ihr halt den Gefallen tun. Eine Stunde später saßen wir an einem Zweiertisch in der neu eröffneten Gaststätte an der Weimarer Kulturmeile. Durchs Fenster sah man die Leuchtreklamen von gegenüber funkeln. Das Lokal war gut besucht. Es duftete appetitlich nach knusprig gegrilltem Fleisch. Debbie trug ein mintgrünes Kleid, Pumps und hatte ihre naturblonden Haare im Nacken zum Knoten geformt. Sie hatte das hübsche Köpfchen voller erotischer Fantasien. Bei unserer ersten gemeinsamen Nacht waren wir heftig zur Sache gegangen. Debbie blieb mir nichts schuldig. Heiß wie ein Vulkan, dauerte es schier unendlich, bis ihre Lava abgekühlt war… Der weißbeschürzte Kellner hatte bereits den Rotwein serviert. Debbie und ich plauderten. Wir warteten auf unsere bestellten Poularden. Plötzlich stieß Debbie einen spitzen Schrei aus. Um ein Haar wäre ihr das Weinglas aus der Hand gefallen. Ich grinste sie an. »Seit wann bist du so schreckhaft, Debbie?« Sie lüftete das Tischtuch, sah auf den Fußboden und verfiel in die Kindersprache. »Ei, was bist denn du für ein niedliches Wollknäuel!« Drei Sekunden später hatte sie ein schmutzigweißes behaartes Etwas auf dem Schoß, das nur entfernt an einen Hund erinnerte. Erleichtert streichelte sie das verfilzte Fell des Tieres. »Was ist das?« fragte ich. »Hat jemand seinen Muff liegenlassen?« »Schuft!« In Debbie schien der Mutterinstinkt zu erwachen. »Das ist ein putziger, kleiner Bologneser. Schau nur, Mark, was er für ausdrucksvolle Knopfaugen hat.« Während Debbie dem Hund das Köpfchen kraulte, blickte ich 20
kopfschüttelnd in die Runde. Zu DDR-Zeiten war es strikt untersagt gewesen, Hunde mit ins Restaurant zu nehmen. Heute gehörte es zum guten Ton, ein Mitglied des hauseigenen Zoos mit in die Kneipe zu schleppen. Ansichtssache. Sollte ich aber ein Fellbüschel aus meinem Essen fischen, würde es einen Aufstand geben. Am Tresen stand ein Mann und wechselte Geld. Er war groß und drahtig, um die dreißig, trug eine dunkle Brille und wirkte hochgradig nervös. Ich nippte am Wein, beobachtete ihn unauffällig. Ich merkte, daß mich der Typ bisweilen durch seine schwarzen Gläser fixierte. Auf was wartete er? Der Kellner kam. Er jonglierte zwei riesige Teller auf seinem Unterarm und setzte sie auf dem Tisch ab. »Zweimal Poulardenkeule mit Madeirasoße.« Der Ober warf einen prüfenden Blick auf die Teller, schenkte noch einmal Rotwein nach und empfahl sich, nachdem er uns unten Appetit gewünscht hatte. Ich ergriff mein Besteck. »Jetzt mußt du aber wieder zu deinem Herrchen, du süßer Fratz.« Debbie setzte den Hund auf den Boden und gab ihm einen Klaps auf den Hintern. Doch das Tier hatte Morgenluft gewittert. Es beleckte sein Maul, stellte sich auf die Hinterläufe und jaulte, als hätte man ihn wochenlang fasten lassen. »Du hast Hunger, nicht wahr?« Debbie tätschelte den Bologneser. Gutmütig riß sie einen Fetzen Fleisch von dem Masthähnchen und hielt es dem kleinen Bettler vor die Schnauze. »Na?« kicherte sie. »Was sagst du dazu?« Das Stück Fell sagte gar nichts, sondern schnappte sich das Stück Fleisch und rannte davon. Ich breitete die Serviette auf meinem Schoß aus. »Was findest du bloß an diesen Bonsai-Kötern?« fragte ich. »Das Exemplar, das du da eben auf dem Schoß hattest, kann man wohl kaum als Hund bezeichnen.« Debbie lächelte kokett. »Eifersüchtig?« »Fast«, flachste ich. »Süßer Fratz hast du früher nie zu mir gesagt.« »Vielleicht in Zukunft.« Debbie gab mir einen Kuß. 21
»Unsere Beziehung ist Vergangenheit, Debbie. Meine Zukunft gehört Tessa.« Ich staunte, daß mir diese Worte so locker über die Lippen kamen. »Hellmann – und wie lange dauert eure glückliche Zukunft? Drei Wochen? Vier? Dann klingelst du wieder bei mir…« »Debbie, bitte, halte dich zurück.« Sie tat es nicht, provozierte weiter. Während sie sich in die Brust warf, daß ich glaubte, mir würde jeden Augenblick ihr BH um die Ohren fliegen, blickte sie mich schmachtend an. »Guten Appetit«, wünschte ich mit neutraler Stimme, doch ich konnte nur mühsam mit der Serviette verbergen, wie heftig dieses Vollblutweib auf mich wirkte. Aus diesem Grund vergaß ich den Mann am Tresen. Wir widmeten uns den Masthähnchen, als im Lokal das Chaos ausbrach. Es begann mit einem abgehackten, schmerzerfüllten Jaulen. Es klang, als ob ein Hund in Todesangst war. Einige Gäste sprangen auf, blickten starräugig auf den Fußboden und wichen erschüttert zurück. Eine Dame, die eine schneeweiße Spitzenbluse trug, fuhr von ihrem Stuhl in die Höhe und schrie gellend auf. Dann griff sie sich an den Hals und übergab sich auf dem Nachbartisch. Alles ging rasend schnell. Was war passiert? Ich ließ Messer und Gabel fallen, schraubte mich hoch und flitzte los. Als ich sah, was der Grund für die allgemeine Hysterie war, verstand ich die Leute plötzlich. Es war der kleine Hund, den Debbie eben noch zärtlich liebkost hatte! Das arme Tier lag rücklings auf dem Gang. Mausetot. Es bot einen beängstigenden Anblick. Seine Baudecke war aufgerissen, als hätte es eine Sprengpatrone gefressen. Das Maul aufgesperrt, die Läufe in die Höhe gestreckt, durchlief ein letztes Zittern seinen mageren Körper. Ich wirbelte herum. Ein schrecklicher Verdacht stieg in mir auf. »Debbie!« schrie ich. »Rühr das Essen nicht an! Es ist vergiftet!« 22
Schockiert ließ Debbie das Besteck fallen. »Machst du Witze?« fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, denn die Sache ist verdammt ernst.« Ein Mann, der einen sorgfältig gebügelten Stresemann-Anzug trug, tauchte auf. Ich kannte ihn. Gerfried Kiesewetter, der Chef des Hauses. In der Redaktion der Weimarer Rundschau hatte ich ihn schon ein paarmal getroffen. Stets beschwerte er sich darüber, daß seinem Etablissement seitens der Presse nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Daß er auch Anzeigen schalten konnte, schien er nicht zu wissen. »Was geht hier vor?« näselte Kiesewetter arrogant. »Warum dieser unerklärliche Aufruhr? Ich muß doch wohl sehr bitten, meine Herrschaften.« Die Leute schrien durcheinander und gestikulierten wild. Ich zwang mich zur Ruhe. Am Ärmel zog ich Kiesewetter zu der Stelle, wo der schrecklich zugerichtete Hundeleichnam lag. »Aufruhr ist stark untertrieben!« zischte ich. »Überzeugen Sie sich selbst, was hier vorgeht! Der Hund hat von einem Ihrer Gerichte probiert. Und es sieht beileibe nicht so aus, als hätte er nur eine kleine Magenverstimmung! Das Tier ist regelrecht explodiert.« Kiesewetter wurde erst puterrot, dann leichenblaß. »Ich – verstehe das nicht«, stammelte er. »Ich werde… den Küchenchef – die Polizei, äh…« Indessen war Debbie aufgesprungen und hatte sich bei mir schutzsuchend untergehakt. Über das Rouge auf ihren Wangen kullerten Tränen und tropften auf ihr Mintfarbenes. »Mark! Der arme, süße Fratz«, schluchzte sie herzzerreißend. »Wie kann ein Mensch nur zu so etwas fähig sein?!« Ich hob Debbies Kinn und sah ihr in die Augen. »Das Gift war nicht für den kleinen Kläffer, Süße«, klärte ich sie auf. »Das Mistzeug war für uns bestimmt. Für dich und für mich. Das ist Fakt! Du hast dem Hund einen Happen zukommen lassen. Das hat ihn das Leben gekostet – und unseres gerettet!« Jetzt weinte Debbie hemmungslos. Mit einemmal fiel mir dieser geheimnisvolle Mann mit der schwarzen Sonnenbrille ein. Ich spähte zur Theke. Der Typ war über alle Berge. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß der Kerl bei diesem Giftanschlag seine dreckigen Finger im Spiel hatte. 23
Aber wieso wollte mich die Brillenschlange um die Ecke bringen? Mechanisch betrachtete ich meinen Siegelring, den ich am Finger trug. Ich war zehn, als ich, ohne Gedächtnis und völlig verstört, auf dem Weimarer Marktplatz aufgegriffen wurde. Es war am 1. Mai 1980 gewesen, nach der Walpurgisnacht. Ich besaß nichts weiter als meinen Siegelring, dessen Geheimnisse ich irgendwann zu knacken hoffte. Einiges hatte ich ja schon herausbekommen. Daß der Ring auf dämonische Aktivitäten reagierte, daß er Hitze abgab, prickelte und Licht aussandte – und weshalb und wann er das tat… Ich wurde zum Kämpfer gegen das Böse, zum Träger des Ringes. (Siehe MH 1; >Der Tod in WeimarBoß daß es in manchen Firstclass-Hotels spezielle Mineralwasserkarten gibt? Und daß die kleinen Portionsflaschen von berühmten Designern entworfen werden?« »Das ist echt toll«, gab ich zu und ging hinaus. »Schone deinen verletzten Arm!« rief er mir hinterher. »Klar doch.« Dieser Reimers konnte einen mit seinem Wissen ganz schön auf die Nerven gehen. In der Küche angekommen, fiel mir plötzlich ein, daß ich mich noch nicht mal bei Lydia bedankt hatte. Das schlechte Gewissen nagte an mir. Was war ich bloß für ein Sohn? Ich nahm einen rotwangigen Apfel aus dem Obstkorb und biß wütend hinein. Gleich morgen früh würde ich sie anrufen. Aber möglicherweise erwartete sie noch jetzt den entwarnenden Anruf. Ich machte erst einmal Kaffee. Ein kleiner Kreislaufbeschleuniger würde Hans Reimers und mir jetzt guttun. Anschließend würde ich Lydia anklingeln. Ich legte den Apfel beiseite. Die Kaffeemaschine begann leise zu knattern. Ich stellte zwei große Kaffeepötte bereit, dazu Löffel, Zucker und Immergut aus Stavenhagen. Als ich die Kaffeesahne aus dem Kühlschrank holte, kam ich ungeschickterweise gegen eine der Tassen. Krachend zerschellte das gute Stück auf dem Fußboden. »Scherben bringen Glück«, sagte ich laut in Richtung meines Wohnzimmers. Gleich würde mein Kindermädchen mit der Knarre in der Faust 51
hereinstürmen. Ich nahm Handfeger und Müllschaufel aus dem Unterschrank der Spüle – und erstarrte in der Bewegung. Wo blieb Reimers? Hatte der Polizist den Krach nicht gehört? Vorhin, als das Telefon bimmelte, war er zwei Sekunden später zur Stelle. Und jetzt? »Hans?« rief ich empört. »Hans? Hast du Feierabend gemacht?« Keine Antwort. Dafür eine andere Erklärung. Mein Siegelring erwärmte sich und fing an zu glimmen. Ich ließ alles fallen und stürzte besorgt nach nebenan. »Hans! Du darfst jetzt nicht schlafen!« Mein Leibgardist rührte sich nicht! Er saß genauso da, wie ich ihn verlassen hatte, den Blick auf den Vorhang gerichtet. Eine Hand umklammerte seine Dienstwaffe. Doch jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Haut wirkte transparent, fast wie Pergament. Er schlief mit offenen Augen. »Hans! Verdammt, was ist mit dir?« Ich rüttelte ihn. Hans Reimers sackte zur Seite, hing nun schlaff und völlig willenlos über der Lehne den Sessels. Sein Atem ging flach. Das Stilleben um mich herum wirkte vollkommen friedlich und unverdächtig. Aus der Küche erklang lediglich das Getöse der knatternden Kaffeemaschine. Und hier, im Wohnzimmer, rührte sich auch nichts – bis auf ein paar Fliegen, die scheinbar harmlos an den Fenstervorhängen herumkrochen. * Ich ging hinüber zum Tisch, nahm einen Flakon Weihwasser und entfernte den Stöpsel. Dabei fragte ich mich, mit welch miesem Trick Mephisto meinen Aufpasser eingeschläfert hatte. Langsam ging ich zum Fenster. Ein wütendes Summen erklang. Die Fliegen, die noch eben die Vorhänge hoch- und hinuntergekrochen waren, surrten jetzt durch das Zimmer. Und das mit einem Affenzahn. Die Vorhänge raschelten – und wölbten sich plötzlich unnatürlich aus, obgleich das Fenster dahinter geschlossen war. Etwas war im Busch. Ich fragte mich, was das sein konnte. 52
Drei Atemzüge später wußte ich es. Ein Insektenkopf, groß wie ein Fußball, schob sich durch den Gardinenspalt. Die Fühler pendelten leicht. Die Facettenaugen glitzerten im Licht der Stehlampe. Überrascht prallte ich zurück. Doch im Handumdrehen hatte ich mich wieder in der Gewalt. Mit einem Griff riß ich meine geladene Pistole vom Tisch und entsicherte sie. Das dauerte nicht länger als zwei Sekunden. Das Insektenwesen glotzte mich stur an. Jäh breitete sich bleierne Müdigkeit in mir aus. Meine Knie schienen von einem Moment zum anderen aus Weichgummi zu sein. Mein Herz schlug langsamer. Meine Augenlider wurden schwer, als hingen Gewichte daran. Verdammt! Das Biest hypnotisierte mich! Wenn ich erst einmal bewußtlos war, wäre ich ein gefundenes Fressen für jeden, der mir ans Leder wollte. An erster Stelle dieser Kerl mit der Sonnenbrille. Vielleicht wartete er draußen schon, bis ich Hans Reimers’ Schicksal teilte, unschuldig wie ein Neugeborenes dalag, um mich massakrieren zu lassen. Ohne mich, Mephisto! Um mich kleinzukriegen, mußt du früher aufstehen, Höllenfürst! spornte ich mich in Gedanken an. Mit aller Kraft kämpfte ich gegen die Schwere in Körper und Geist an. Mark, du darfst dich nicht einlullen lassen! Ich pochte mit der Faust gegen meine Schläfe. Der Schmerz überdeckte mein Schlafbedürfnis. Das Weihwasser! Ich hob den Flakon. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis ich den Arm in der Waagerechten hatte. Ein dünner, zirpender Ton ließ mich erschaudern. Ich sah, wie das Rieseninsekt seinen Unterkiefer bewegte, als wolle es zu mir sprechen. Ahnte es, was ich in der Hand hielt? Ich zog den Stöpsel ab, holte aus und schleuderte dem Mistvieh das geweihte Wasser in die Fratze. »Da, nimm, du Satansbrut!« Es gab einen lauten Puff. Stinkender Dampf zischte aus dem Insektenkopf. Das Zirpen wurde schriller, steigerte sich zu einem durch Mark und Bein gehendes Pfeifen, bis es verklang. 53
Ich konnte zusehen, wie sich der niederträchtige Höllenbote in einem Häuflein Asche auflöste. Gleichzeitig erlosch das Glimmen meines Ringes. Diese Attacke hatte ich überstanden. Doch todsicher war das noch nicht alles. Ich täuschte mich nicht. Hans Reimers’ Bewußtsein kehrte zurück, als ich zwei Tassen frisch gebrühten Kaffee auf den Tisch stellte. Er reckte seine Nase und schnupperte. Dann schlug er die Augen auf. »Bin ich eingepennt?« Erschrocken richtete er sich auf. Ich nickte. »Bist ‘n toller Bodyguard. Legst dich hin und machst ‘n kleines Nickerchen. Jeder x-beliebige Ganove hätte hereinkommen und dich hinaustragen können.« Aufgeregt packte er meinen Arm. »Es ist doch nichts passiert, oder?« »Ach wo, alles bestens. Möchtest du den Kaffee mit Sahne?« Reimers sprang aus dem Sessel. Verdattert lief er im Zimmer auf und ab. »Ich kapiere das nicht.« Er rieb sich die Stirn. »Eigentlich schlafe ich sehr schlecht ein, ich muß deswegen sogar oft Pillen schlucken.« »Sahne?« fragte ich ungerührt. »Nein. Ich trinke ihn schwarz.« Er sah mich forschend an. »Ah, habe ich im Schlaf gesprochen?« »Nein. Und was wäre wenn?« Keine Antwort. Wir nippten an dem heißen Getränk. Hans setzte, sich wieder und schwieg verbissen. Ich beschloß, ihm nichts von meinem unheimlichen Besucher zu sagen. Das Insektenwesen hatte nicht mal Spuren hinterlassen. Sogar seine Asche war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Es war fast drei, als jemand leise an der Wohnungstür fummelte. Hans Reimers reagierte, als ob er ein direkter Nachkomme von Doc Holliday wäre. Blitzschnell riß er seine Pistole aus dem Schulterholster, schnellte vom Sessel hoch und glitt aus dem Zimmer. Ich folgte ihm. Reimers horchte von innen an der Tür. Als ich in den kleinen Flur trat, drehte er sich um, legte einen Finger auf die Lippen und verzog beschwörend sein Gesicht. Dann trat er einen Schritt zur 54
Seite. Jeden Augenblick konnte die Tür aufgehen. Die Klinke bewegte sich bereits. Dann war es soweit. Als sich die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte, zog Hans Reimers sie mit einem gewaltigen Ruck auf. Die Tür schwang nach innen, und ein Mann stolperte herein. Die Brillenschlange aus dem Restaurant! Er mußte es gewesen ein, der Debbie und mir das Gift unterjubeln wollte. Reimers fiel über ihn her wie ein Berserker, hatte den Eindringling in Sekundenschnelle zu Boden geschleudert und die Arme auf den Rücken gebogen. Die schwarze Sonnenbrille fiel auf den Boden. Der Unbekannte stieß einen Fluch aus. Er war völlig konsterniert und wehrte sich nur sporadisch. Widerstand hätte auch wenig Sinn gehabt. Wen Hans Reimers erst einmal in den Fängen hatte, ließ er so leicht nicht wieder los. Im Liegen legte Hans dem Auftragskiller Handschellen an. Dann stand er auf. »Je später der Abend, desto häßlicher die Gäste. – Nun, Freundchen, laß hören, was uns die Ehre deines unverhofften Besuchs verschafft hat!« Der Kerl wand sich auf dem Boden und stöhnte. Jetzt hatte ich Muße, ihn mir genau anzuschauen. Er war ein schmalgliedriger Mann, Ende Dreißig, mit langen, dünnen Fingern, hoher Stirn und sorgfältig frisierten Haaren. Wie ein berufsmäßiger Killer sah er nicht aus, man sollte aber nie vom Äußeren eines Menschen auf sein Inneres schließen. »Ihr werdet euch noch wundern!« keuchte er rauhhalsig. »Glaubt nicht, ihr hättet bereits gewonnen.« »Die Nummer, die du hier abziehen wolltest, ist schiefgelaufen«, erläuterte ich ihm seine Lage. »Wenn einer Grund hat, sich zu wundern, dann du, Sportsfreund. Du wirst in den Knast wandern…« »Ihr werdet nichts aus mir herauskriegen.« Trotzig starrte er mich an. »Ich werde schweigen wie ein Grab. Lieber beiße ich mir die Zunge ab, als daß ich eine Silbe verrate. – Und außerdem will ich einen Anwalt. Auf der Stelle.« Das Bürschchen tat geradeso, als würden wir ihm bitteres Unrecht zufügen! Ich entschied, dem Selbstbewußtsein dieses Schlaubergers 55
einen gehörigen Dämpfer zu verpassen. »Einen Anwalt willst du?« »Der steht mir zu!« Ich nickte unbeeindruckt. »Ich wüßte da einen für dich. Sein Name ist Dr. Frankenstein.« Sein Unterkiefer klappte mindestens zwei Etagen tiefer. * »Schatz?« Dr. Peter Schulz blickte genervt auf. »Was gibt’s denn, Monika?« Die Brille auf der Nase, kauerte der Physiker an seinem Biedermeier-Sekretär und brütete über einer Fachzeitschrift. Seine Frau wuselte geschäftig durch die stilvoll eingerichtete Wohnung. »Ich suche deinen grauen Anzug.« Sie spähte von der Diele ins Zimmer. »Im Kleiderschrank hängt er nicht. Wo hast du ihn wieder versteckt?« Dr. Schulz blinzelte. »Nicht versteckt. Er hängt fein säuberlich auf dem Bügel im Wirtschaftsraum. Wie es sich gehört. Wozu brauchst du ihn?« »Ich will das gute Stück reinigen lassen.« Monikas Schritte entfernten sich. Der Mann senkte seinen Blick auf die Zeitschrift. Sekunden später sprang er vom Stuhl, als hätte er die Bekanntschaft mit einem Skorpion gemacht. So schnell er konnte, lief er seiner Frau hinterher. »Monika!« rief er. »Warte mal!« Verblüfft drehte sie sich um. »Was ist los, Peter? Du benimmst dich so seltsam.« »Äh, wieso seltsam?« Da klingelte es an der Tür. Monika warf ihrem Mann einen prüfenden Blick zu und öffnete dann die Tür. Dr. Schulz hörte, wie sie mit Wilma Krüger, ihrer Nachbarin aus der Parterrewohnung, sprach. Offenbar hatten sich die beiden Frauen zum Einkaufsbummel verabredet. Rasch griff Dr. Schulz in die Hosentasche des aufgehängten 56
Anzuges. Er beförderte einen eigenartigen, kleinen Knochen ans Tageslicht. Das Knöchelchen aus dem Cafe Frankenstein. Fast hätte er es vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dr. Schulz beabsichtigte, das rätselhafte Gebein im Labor des anatomischen Instituts der Universität klassifizieren zu lassen. Natürlich sollte Monika nichts davon erfahren. Sonst müßte er sich wieder anhören, daß er ein unverbesserlicher, phlegmatischer Stimmungskiller sei. »Peter?« rief Monika von der Wohnungstür. »Wilma fragt, ob wir heute abend Lust haben, auf ein Fläschchen Silvaner zu ihr zu kommen? Was sagst du dazu?« Dr. Schulz bemühte sich um ein freundliches Gesicht, als er zur Tür ging, um die Nachbarin zu begrüßen. »Gern, Frau Krüger«, log er. »Aber nur, wenn’s Ihnen nichts ausmacht.« Die dickliche Fleischverkäuferin mit der aufgebürsteten Dauerwelle lächelte großmütig. Seit drei Wochen fuhren sie einen Mercedes. Das gab Selbstvertrauen. Ein Akademiker im Bekanntenkreis machte sich immer gut. »Aber, Herr Doktor«, schmeichelte sie. »Ich bitte Sie. Es ist mir ein Vergnügen.« Mir leider nicht, dachte er und empfahl sich. Wieder im Arbeitszimmer, setzte er sich an den Schreibtisch und versuchte, seine Lektüre fortzusetzen. Doch die Buchstaben flimmerten vor seinen Augen. Es war, als würde er durch das Papier hindurchsehen. Frankenstein, dachte er, irgendwas stimmt mit der Kneipe nicht. Aber ich kriege noch heraus, was es ist. So wahr ich Dr. Peter Schulz heiße. Seine Augen schweiften zu dem Gemälde, das über dem Schreibtisch an der Wand hing. Casper David Friedrich: Zwei Männer betrachten den Mond. Das schaurig-romantische Bildmotiv erinnerte ihn an die Entstehungsgeschichte des Romans Frankenstein. Sein Blick verschwamm. Er sah die Eheleute Percy und Mary Shelley. Marys Stiefschwester Claire Cläirmont, die Geliebte Lord Byrons. Den Lord selbst, den Leibarzt und Hanswurst Dr. Polidori. Alle in einem Schloß am Genfer See. Wegen des schlechten Wetters vertrieben sie sich die Langeweile mit Geschichten aus dem 57
Gespensterbuch von Laun und Apel. Plötzlich reifte der Entschluß, selber eine Spukgeschichte zu schreiben. Byron schrieb über einen Vampir, Polidori wählte eine Frau mit einem Totenkopf als Hauptperson. Dann unterhielten sie sich über die Experimente des Dr. Erasmus Darwin, der angeblich zerhackte Würmer in einem Glas wiederbelebt haben soll. Der Grundgedanke für das Meisterwerk der Horror-Literatur war gelegt… »Tschüs, Hans!« Die Wohnungstür schnappte ins Schloß. Dr. Schulz warf einen Blick auf die Uhr. Halb vier nachmittags. Wenn er sich sputete, würde er es vor Feierabend noch schaffen, seinen Fund ins Labor zu bringen. Also los! Der Physiker flitzte aus der Wohnung, stieg ins Auto und brauste zum Institut. Im gestreckten Galopp hastete er die Treppe zum Labor hinauf. Vor der weißgestrichenen Tür verpustete er eine Weile und brachte seine Frisur in Ordnung, ehe er energisch klopfte. »Herein.« Dr. Schulz betrat einen bis zur Decke gefliesten Raum, in dem eine Handvoll Laboranten in schneeweißen Kitteln an medizinischen Apparaturen hockten. Ein undefinierbarer Geruch hing in der Luft. Im Hintergrund plärrte leise ein Radio. »Dr. Schulz, wie ich mich freue«, begrüßte ihn Luise Bohnsack, die Cheflaborantin. »Kann ich Ihnen helfen, Herr Kollege?« »Ich denke schon.« Der Physiker drückte der rundlichen Frau mit dem blondsträhnigen Bubikopf flüchtig die Hand und reichte ihr dann ein winziges Plastiktütchen. »Was bringen Sie mir denn da?« fragte Luise Bohnsack und rückte ihre Brille zurecht. Mit gespreizten Fingern zog sie das weiße Stück Knochen aus der Tüte und hielt es gegen das Licht. »Es ist nur ein Splitter«, erklärte Dr. Schulz. »Nichts Besonderes, aber ich würde gern wissen, von welchem Tier es stammt.« Die Cheflaborantin sagte nichts. Sie sah aus wie ein Denkmal, wie sie dastand und den daumennagelgroßen Knochen anstarrte. Ihre Augen hinter den Brillengläsern begannen unruhig zu funkeln. Dr. Schulz fragte sich, was sie dermaßen beeindruckte. »Ist 58
etwas mit diesem Ding nicht in Ordnung?« »Doch, doch, alles in bester Ordnung.« Ihre Stimme klang dumpf. Luise Bohnsack wandte sich ab und eilte zu einem vollbärtigen Kollegen, der über einem Mikroskop hockte. Leise tuschelte sie mit ihm. Dann griff er in eine Schablade, holte ein Buch hervor, tippte immer wieder auf dieselbe Stelle und starrte die Frau entgeistert an. Dr. Schulz spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Immer, wenn etwas Unangenehmes bevorstand, schlug es ihm auf den Magen. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis die Cheflaborantin zurückkehrte. Der Mann mit dem Vollbart begleitete sie. »Wo haben Sie diesen Knochen her, Herr Kollege?« »Gefunden.« Dr. Schulz gab sich harmlos. »In der Nähe den Bahnhofs. Ich hatte ihn aufgehoben, weil er mich an etwas erinnerte.« »Und an was?« forschte der Vollbärtige. Dr. Schulz lächelte schwach. »Ich weiß es nicht. Ich habe mich noch nicht intensiv damit befaßt. Außerdem bin ich nun mal kein Mediziner.« »Kommen Sie!« Luise Bohnsack ergriff seinen Ärmel. »Ich werde Ihnen was zeigen.« Sie gingen in den hinteren Teil den Labors. Die diensttuenden Laboranten sahen ihnen neugierig hinterher. In einer Ecke den Raumes baumelte ein menschliches Gerippe von der Decke. Dr. Schulz hielt den Atem an. Sein Herz schlug ein paar Takte schneller. Die Cheflaborantin ging in die Hocke. Hielt das Knöchelchen an die kleine, rechte Zehe den Skelettes. »Phalanx distalis«, sagte sie zu ihm aufschauend. »Man erkennt den obersten, fünften Zehenknochen an seinem Kopf. An den proximalen Phalangen findet man kleine Furchen. Genau wie bei dem Exemplar, das Sie mitgebracht haben. Jetzt wissen Sie, woher der Knochen stammt, Herr Kollege!« Dr. Schulz wurde schwarz vor Augen. Er hätte es wissen müssen. Doch er hatte es wohl nicht wahrhaben wollen. Er hatte inständig gehofft, daß es eine andere, normalere Erklärung geben würde. 59
»Möchten Sie ein Glas Wasser?« fragte ihn der Vollbärtige mitfühlend. »Ja, sehr gern.« Dr. Peter Schulz spürte, wie ihm eine Perle kalten Schweißes über den Rücken lief. Ich hob das Ding in der Suppe gehabt. Seine Hände zitterten plötzlich. Ich hatte diese gottverdammte Phalanx distalis sogar zwischen den Zähnen… * Wie ein zerwühltes Bettlaken lag das graue Wolkengewirr über Greifswald. Pit Langenbach und ich hatten uns schnurstracks in meinen BMW gesetzt und waren in die Stadt am Bodden gebraust. Mit meinem verletzten Arm ging es wieder besser. Ein paar Telefongespräche, und Pit hatte erfahren, wo wir dieses Cafe Frankenstein finden konnten. Beziehungen sind das halbe Leben. Wir spazierten am Museumshafen entlang. Von dort aus war es nur ein Katzensprung in die City. Das Lokal lag am Markt. Pit und ich dachten nach, wie wir an den teuflischen Gastwirt herankommen könnten. Und dann wunderte ich mich in Gedanken. Greifswald schien zu einem Zentrum des Bösen zu werden. Das Gebäude einer lokalen Zeitung kam in Sicht. »Wie wär’s«, fragte ich, »wenn wir mal in die Redaktion hineinschneien? Die Jungs dort wissen bestimmt ‘ne Menge über den Laden.« Pit nickte. »Keine schlechte Idee.« Vier Minuten später betraten wir das Gebäude. In der hellen Vorhalle stand eine Informationstheke, an der zwei hübsche blonde Mitarbeiterinnen vor Computern saßen. Pit erläuterte der einen unser Anliegen. Seine Dienstmarke ließ er stecken. Er wollte keinen Staub aufwirbeln. Blondi I klimperte mit den Wimpern, kicherte kurz und schnappte sich das Telefon. »Timmy? Scher dich mal runter. Ja. Zwei nette Herren wollen dich interviewen. Okay. Ja, du mich auch.« Vergnügt knallte sie den Hörer auf und sagte zu Blondi II: 60
»Schon wieder dicke Luft da oben. Möchte wissen, warum sich die Typen schon wieder in den Haaren liegen.« Dann wandte sie sich an uns. »Moment bitte. Der Lokalredakteur ist gleich unten. Nehmen Sie doch Platz. Dort hinten, in der Ecke, stehen zwei Sessel.« Wir nickten und befolgten ihren Rat. Schweigend plumpsten wir in die Sessel und hörten ungewollt zu, worüber sich Blondi I und II unterhielten. Unsere Gesichter wurden immer länger. Der Mann, der Timmy genannt wurde, erlöste uns. »Thomas Torsten«, stellte er sich vor. »Ich hab’ nur ‘n paar Minütchen. Worum geht’s?« Unauffällig zuckte Pit seine Marke. »Wir hätten gern ein paar Informationen über das neueröffnete Cafe Frankenstein.« Torsten stülpte die Unterlippe vor und nickte stumm. Er war ein drahtiger Typ mit Igelschnitt und Designerbrille. Höflich führte er uns in einen kleinen Raum, der anscheinend als Raucherzimmer genutzt wurde. Es stank nach kaltem Qualm, daß man die Luft buchstäblich in Scheiben schneiden konnte. Pit stellte Torsten einige Routinefragen, bevor er auf die Person des Lokalinhabers zu sprechen kam. »Ob ich Mathias Kreuzer persönlich kenne?« wiederholte Torsten Pits letzte Frage. »Wie darf ich das verstehen, Hauptkommissar?« Mit unbewegter Miene zupfte Pit Langenbach an einem Ende seines prächtigen Schnauzbartes, während ich den Redakteur aufmerksam im Auge behielt. Torsten war die Frage unangenehm. Es war ihm anzusehen, daß er nach Ausflüchten suchte. »Ob Sie ihn privat kontaktieren. Das meine ich.« »Nein. Ich kenne ihn lediglich als Chef den Restaurants. Zur Eröffnung interviewte ich ihn. Was er privat treibt, entzieht sich meiner Kenntnis.« Eine Lüge, ging es mir durch den Kopf. Doch warum log dieser Torsten? Stand er womöglich auf der Gehaltsliste unseres Mannes? Auf die Frage, ob Torsten wisse, woher Kreuzer das Geld hatte, das er in das Lokal investiert hatte, zuckte der Redakteur mit den Achseln. »Bedaure«, versetzte er. »Darüber kann ich keine Auskunft 61
geben. Die Banken sind sehr vorsichtig mit der Vergabe von Krediten an einheimische Gastronomen. Die Kapitaldecke ist zu dünn. Möglicherweise ist Herr Kreuzer Strohmann für einen begüterten Anleger in den alten Bundesländern. So was ist bei uns gang und gäbe.« »Hat Herr Kreuzer Angehörige?« warf ich ein. »Eine Ehefrau zum Beispiel. Wenn ja, kennen Sie sie?« Pit streifte mich mit einem verärgerten Blick. Wir hatten ausgemacht, daß ich bei Befragungen die Klappe halte und nur zuhörte. Torsten rückte seine Brille zurecht. »Ja, wie ich weiß, hat Herr Kreuzer sogar eine sehr attraktive Frau. Leider habe ich sie erst einmal gesehen.« Ich sah dem Mann an, daß er nicht die Wahrheit sagte. Bei den meisten Menschen erkennt man das an den Augen. Die Pupillen verändern sich, wie bei einer Katze, zudem beginnt der Blick unstet zu flackern. Torsten nestelte am laufenden Band an seiner Brille, obwohl seine Sehhilfe blendend saß. Pit Langenbach stellte noch ein paar belanglose Fragen. Dann bedankte er sich bei Torsten. Wir schüttelten uns die Hände und marschierten zum Ausgang. Der Redakteur rannte die Treppe hinauf. Als wir das Gebäude verließen, winkte ich Blondi I und Blondi II zum Abschied. Lächelnd winkten sie zurück. Draußen angekommen, nahm ich Pit beiseite. »Warum hat der Kerl nicht zugegeben; daß er Kreuzer besser kennt, als er uns Glauben machen wollte?« Meine grauen Zellen arbeiteten fieberhaft. »Da stinkt doch was zum Himmel!« Pit nickte bedächtig. »Ja, da ist was faul im Staate Dänemark.« Mein Handy fiepte. »Ja, hallo?« »Unruh am Apparat«, brummte es in mein sensibles Ohr. »Mark, hattest du mir nicht fest versprochen, für die Wochenendbeilage den nächsten Artikel zu liefern?« Heiliger Bimbam! Die Stimme des Chefredakteurs der Weimarer Rundschau, klang, als stünde Max unmittelbar hinter mir. Die Fortschritte der Telekom wurden langsam beängstigend. »Keine Panik, Chef!« Ich sah, wie Pit grinste. »Ich laß Sie doch nicht im Stich. Spätestens morgen ist der Text fertig. Ich brauche ihm bloß noch den letzten Pep zu geben. Dann jage ich das 62
Manuskript durch das nächste Faxgerät.« Max Unruh grunzte argwöhnisch. »Dein Wort in Gottes Ohr. Gnade dir Gott, wenn du mich versetzt.« »Das würde ich mich nie trauen.« »Eben«, sagte Unruh. »Übrigens, ich habe von Lydia gehört, auf dich wäre ein Anschlag verübt worden. Sie wollte nicht so recht raus mit der Sprache. Was ist dran, Mark?« Der Chef witterte eine Story. Ich mußte jetzt auf der Hut sein, sonst fand ich mich als Schlagzeile auf der erste Seite wieder. »Kleine Fische«, wiegelte ich ab. »War mehr ‘ne Balgerei ohne Folgen. Nichts Erwähnenswertes.« »Und was ist mit dieser Frau, Deborah Martens?« Max gab sich nicht geschlagen. »Ein Vöglein hat mir gezwitschert, sie wäre um ein Haar über die Klinge gesprungen. Zufällig kenne ich Dr. Lakenmacher, den Oberarzt der Chirurgischen Klinik.« »Ich muß jetzt Schluß machen«, bremste ich ihn. »Ich habe ein ziemlich wichtiges Rendezvous.« »Wie ich dich kenne, mit einer Frau. Manometer, deine Nerven möchte ich haben. Du läßt wirklich nie etwas anbrennen, wie?« »Ich hab’ doch meine Tessa…« »Ja stimmt, die auch noch«, sagte Unruh und legte auf. * Die schwere Eisentür, die vom Wirtschaftsgang auf den Hinterhof des Restaurants führte, fiel scheppernd ins Schloß. Ein schmuddeliger Mann trat auf den Hof. Er trug zwei blaue Plastiksäcke mit Abfällen aus der Küche. Vor der hohen Mauer, die das Grundstück vor neugierigen Blicken schützte, standen verschiedenfarbige Metallcontainer für alle Sorten Müll. Der Mann hieß Jupp Haarmann. Er trug Pepitahosen, eine bespritzte Kochjacke, Vorstecker und ein Schweißtuch um den Hals. Haarmann arbeitete im Cafe Frankenstein als Koch. ER hatte darauf bestanden, daß Mathias Kreuzer Haarmann einstellte. Kreuzer hatte widerstrebend gehorcht. Schließlich war er in Zugzwang. Die Attentate auf Mark Hellmann hatten nichts gebracht. ER hatte fürchterlich getobt. Nur mit großer Mühe und 63
Zugeständnissen gelang es Kreuzer, seinen allmächtigen Gönner zu besänftigen. Der Teufelskoch klappte nacheinander die Deckel der Container hoch und warf die Plastiksäcke hinein. »Hallo, entschuldigen Sie bitte!« rief eine Stimme. »Ich hätte da eine Frage.« Der schmuddelige Koch fuhr herum. Ein großer, dicker Mann mit einem Camcorder in der Hand erschien in der schmalen Auffahrt, die zum Marktplatz führte. Als er Haarmann von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, blieb er schockiert stehen. Haarmanns Anblick überwältigte ihn. Der Koch schien geradewegs einem Horrorlesebuch entstiegen zu sein. Er war fast quadratisch, Meter mal Meter. Er hatte ein Kreuz wie ein Kleiderschrank, dazu kurze, dicke Beine und riesige Füße. Das Gesicht, voller schlecht vernähter Narben, wurde von einer bombastischen, platten Nase beherrscht, aus der schwarze Haare wuchsen. Der breite Mund zog sich, im wahrsten Sinne den Wortes, von einem Ohr zum anderen. Die undefinierbaren, dunklen Augen lagen tief in den Höhlen und funkelten gefährlich. »Was haben Sie hier zu suchen, Herr?« schnarrte Haarmann. »Hier ist Betriebsgelände. Betreten verboten.« Dem Dicken hatte Haarmanns Anblick die Sprache verschlagen. Noch immer blickte er den zwei Köpfe kleineren Koch starräugig an. Der Teufelskoch watschelte ein paar Schritte auf ihn zu. Er rieb seine behaarten Pranken aneinander und schielte voller Argwohn auf die Videokamera des anderen. »Gefilmt wird hier nicht. Nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Chefs. Verstanden?« Der Tourist riß sich zusammen. »Mein Name ist Höfel«, sagte der Dicke. »Richard Höfel. Ich habe vor Jahren einmal hier gewohnt, im Hinterhaus. Back to the roots, verstehen Sie?« »Nein.« Haarmann schüttelte mißtrauisch den Kopf. »Back tu was?« »Zurück zu den Wurzeln«, erklärte Höfel. »Eine aus England stammende Redensart. Ich befinde mich auf einem Nostalgietrip in meine Jugend. Jetzt lebe ich in Kassel. Seit fast zwanzig Jahren war ich nicht mehr am Bodden. Äh, übrigens ein tolles 64
Restaurant, das Frankenstein. Ich habe mir für heute abend schon einen Platz reservieren lassen. Das Geschäft brummt wohl ganz anständig, wie?« »Wir können nicht klagen«, raunzte Haarmann, während seine stechenden Blicke abschätzend über den korpulenten Körper des Kasselers schweiften. »Viele Leute haben ein Faible für das Absonderliche. Sie wollen Action und Nervenkitzel. Sogar bei den Mahlzeiten. Wir kommen ihnen auf diesem Weg entgegen.« Der Tourist fingerte am Camcorder. »Können Sie nicht mal ‘ne Ausnahme machen und mich filmen lassen? Nur ein paar Sekunden.« Jupp Haarmann legte seine Narbenstirn in Falten. »Sind Sie allein?« forschte er. Allmählich gewöhnte sich Höfel an Haarmanns grotesken Anblick. Nicht jeder konnte aussehen wie Til Schweiger oder Götz George. »Leider«, seufzte er. »Elisabeth und die Kinder machen Urlaub auf Mallorca. Sie lieben Sonne, Strand und Meer. Wohl oder übel mußte ich allein hierherfahren.« In Haarmanns zerhacktem Gesicht zuckte es verräterisch, was dem ahnungslosen Camcorder-Mann jedoch entging. Zu sehr war er mit den Empfindungen und Erinnerungen der Vergangenheit beschäftigt. Da öffnete sich ein Fenster aus Milchglas, aus dem nebliger Wasserdampf quoll. Im Spalt tauchte der hochrote Kopf einer bemützten Frau auf. »Jupp? Wo bleibst du denn? Deine Brühe muß entfettet werden. Soll ich mich um alles kümmern?« »Besorg du das, Lori«, versetzte der Teufelskoch, Höfel unverwandt anstarrend. »Ich komme später. Muß was Wichtiges erledigen.« Der Kopf verschwand. Das Fenster knallte zu. Die nebligen Schwaden wurden vom Wind zerrissen und davongetragen. Höfel reckte den Hals und schnupperte. »Riecht nicht schlecht«, meinte er anerkennend. »Alles noch hausgemacht bei uns. Nicht solch tiefgefrorenes >Convenience-Futter