Inhalt: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - Marx der Anarchisten?
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Inhalt: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - Marx der Anarchisten?
[ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ] Karin Kramer Verlag Berlin; 1. Auflage 1989; ISBN 3-87956-165-6 (Es wurden einige Tippfehler korrigiert und einige Anmerkungen durch Klaus Schmitt für diese Internet- Seiten verändert. W.Roehrig, 14.12.97)
Klaus Schmitt (Hg.):
Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten? VORWORT 9
Text 1: Günter Bartsch SILVIO GESELL, DIE PHYSIOKRATEN UND DIE ANARCHISTEN 11 Marktwirtschaft oder Kapitalismus? 11 Biographische Vorgeschichte 2 Ein Faschist? 5 Die Physiokraten - Neo-Anarchisten? 17 Der Volksbeauftragte 21 Der Akrat 24 Kehrt aus dem Untergrund zurück 31 Anmerkungen 31
Text 2: Klaus Schmitt GELDANARCHIE UND ANARCHAFEMINISMUS Zur Aktualität der Gesellschen Geld-, Zins- und Bodenlehre I. Teil: Marktwirtschaft ohne Kapitalismus - ein anarchistisches Konzept 33 1. Gibt es eine anarchistische Wirtschaftstheorie? 33 2. Der Zins ein soziales, ökonomisches und ökologisches Problem 45 3. Währungsspekulation und die Macht des "Mammons" 70 4. Wenn Geld doch "stinkt"! - "Rostende" Tauschmittel in Theorie und Praxis 83 5. Die "absolute Währung" des "Schwundgeldes" 95 6. J. M. Keynes' Gesell-Kritik und seine Erklärung des Zinses 101 file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/index.html (1 von 3) [15.02.2002 19:39:06]
Inhalt: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - Marx der Anarchisten?
7. Weiterentwicklung der Freigeld-Lehre 111 II. Teil: Kindergeld aus der Bodenrente - ein matristisches Konzept 115 8. Gegen das Privateigentum an Grund und Boden... 115 9. ...für die Umverteilung der Grundrente an alle Kinder und Mütter! 122 III. Teil: Anarcho-physiokratische Antworten auf einige wichtige Fragen 139 10. Wer ist Kapitalist? 139 11. Welchen Gebrauchswert hat die Mehrwert Theorie? 148 12. Vergesellschaftung und Selbstverwaltung der Produktionsmittel - ein Weg zur Emanzipation oder zur Selbstausbeutung? 163 13. Welche Bedeutung hat das Geld für den Klassenkampf? - Wo verläuft die "Hauptkampflinie"? 176 14. Wie hieb- und stichfest ist linke Gesell-Kritik? 192 15. Vom Kapitalismus befreite Marktwirtschaft - eine anarcho-physiokratische Grundlage kommunistischer Gemeinschaften und freier Vereinigungen? 210 Randbemerkungen und Literaturhinweise 223
Text 3: Silvio Gesell EIN ZINSLOSER KREDIT Robinsonade als Prüfstein für die Freigeld-Zinstheorie 259 [ Dieser Link führt direkt zum Orginaltext aus Gesell's Werk: Die Natürliche Wirtschaftsordnung und nicht zum Zitat aus Schmitt's Buch. (W.R.) ]
Text 4: Gustav Landauer "SEHR WERTVOLLE VORSCHLÄGE" 267
Text 5: Arthur Mülberger VOLKSWIRTSCHAFTLICHES Frühe Gesell-Rezension eines Proudhonisten 269
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Inhalt: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - Marx der Anarchisten?
Text 6: Alex von Muralt DER WÖRGLER VERSUCH MIT SCHWUNDGELD 275 Äußere Gestalt und Rechtsgestalt des Schwundgeldes 275 Deckung 276 Kreislauf 276 Ergebnisse 278 Die produktive Arbeitslosenfürsorge 281 Begleichung der Gemeindeschulden 282 Äußere Widerstände und Kritik der Landesregierung 282 Weitere Erfolge 284 Schlußfolgerungen 285 Anmerkungen 288
Text 7: Silvio Gesell "PHYSIOKRATISCHE MUTTERSCHAFT" Reisebericht über das sittenlose Leben in einer akratischen Frauengemeinschaft 289
Text 8: Erich Mühsam EIN WEGBAHNER Nachruf zum Tode Gesells 1930 297 KONTAKTADRESSEN 299 PERSONENREGISTER 299
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Vorwort zu: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
VORWORT Wenn nicht an der Machtfrage, dann ist noch jede sozialrevolutionäre Bewegung an ihrem Unvermögen gescheitert, ökonomische Probleme zu lösen und eine blühende Volkswirtschaft zu entfalten. In diesem Buch soll eine Alternative sowohl zum Privatkapitalismus der Liberalen, wie zum Staatskapitalismus der Marxisten vorgestellt werden: das anarchistische Konzept einer Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. Es kommt von dem Zins- und Kredittheoretiker Pierre Joseph Proudhon her und führt über die Geld- und Bodenlehre Silvio Gesells geradewegs zu einem weitgehend totgeschwiegenen Ansatz einer nicht-kapitalistischen Vollbetriebswirtschaft mit begrenztem Wachstum und einem alternativen IWF-Konzept bei John Maynard Keynes. In diesem Buch steht die Lehre Gesells im Mittelpunkt. Sie ist, wie wir sehen werden, von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Lösung der aktuellen Probleme Konjunkturkrise und Arbeitslosigkeit, exponetielles Wachsstum und Kapitalkonzentration, Verschuldung und Ausbeutung. Mit seiner Geld- und Zinstheorie hat Gesell das geleistet, wozu Marx nicht im Stande war: die Ursachen für Ausbeutung und Krisen in der Zirkulationssphäre aufzudecken, in jenem Bereich also, den Marx für sekundär hielt, der jedoch die Produktionssphäre der modernen Volkswirtschaft immer mehr durchdringt, überwuchert und beherrscht. Hier klafft eine gewaltige Lücke im Ökonomieverständnis der Alternativen und der Neuen Linken - eine fatale Erbschaft aus der Tradition der produktionsfixierten alten Linken. Über ihr libertär-antikapitalistisches Volkswirtschaftskonzept hinaus, hatten Gesell und seine Genossinnen und Genossen die Idee eines matristischen Bodenrechts entwickelt. Es ermöglicht einerseits die Überwindung feudaler und halbfeudaler Bodenrechtsverhältnisse, was besonders wichtig ist für die Lösung der Bodenprobleme in der Dritten Welt, aber auch in den Industrieländern und der Agrarprobleme im "realen Sozialismus"; andererseits ermöglicht es eine Entlastung der Mütter von der materiellen Abhängigkeit von den Vätern ihrer Kinder und den Almosen des Staates - ein Beitrag im Kampf gegen das Patriarchat. Gesell ist oft als naiver, "kleinbürgerlicher" Reformer mißverstanden orden, eine Fehleinschätzung, zu der viele seiner eigenen Anhänger mit beigetragen haben. In diesem Buch wird es auch darum gehen, Gesell als das zu rehabilitieren, was er wirklich war: ein militanterAnarchist. "Silvio Gesell - der Marx der Anarchisten?", wie 1983 die agit 883 fragte? In vielerlei Hinsicht gewiß nicht, vor allem hat Gesell nie, wie file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/vorwort.htm (1 von 2) [15.02.2002 19:39:07]
Vorwort zu: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?
Marx, das Privileg der Unfehlbarkeit und Führerschaft in der linken Bewegung für sich beansprucht. Die Autoren der 883 meinen offenbar und darin stimme ich mit ihnen überein -, daß dieser "Anarcho-Physiokrat" - ebenso wie sein Vorgänger, der Anarchist und Föderalist Proudhon - mehr Aufmerksamkeit gerade in der libertären Linken verdient hat, als der zentralistisch-staatssozialistische Proudhon-Gegner und ökonomische Versager Marx, an dem sich (bewußt oder unbewußt) immer noch viele Alternative und Linke - auch Anarchos! - orientieren. Warum auch nicht? Wenn wir ein Haus bauen, orientieren wir uns ja auch an den Plänen eines Architekten, von dem wir wissen, das seine Häuser zusammenkrachen. Oder? Für die vielen Informationen und Anregungen, für das Zurverfügungstelen von Materialien - vor allem für die ausgezeichneten Grafiken von Helmut Creutz - für die Durchsicht von Manuskripten und für die ungezählten anderen (auch finanziellen) Hilfen, die ich von vielen heutigen Gesell-Anhängern, wie auch von Genossinnen und Genossen aus der linken Szene erhielt, möchte ich mich herzlich bedanken! Besonders erwähnen möchte ich Herrn Dr. Willem P. Roelofs aus Soest in den Niederlanden. Er hat mich durch eine Richtigstellung dazu veranlaßt, die Keynssche Zinsformel, die für das Verständnis des Kapitalismus außerordentlich aufschlußreich ist, in dieses Buch mit aufzunehmen. Die Abbildungen, Zitate etc. auf den Seiten 19, 30, 68, 105, 114, 127, 137, 147, 165, 198, 205, 218, 224, 235, 257, 261, 263, 268, 270, 272, 280, 283, 286, 293, 296 und 298 sind mit freundlicher Erlaubnis von Werner Onken seinen Katalogen 'Freiwirtschaftliche Bibliothek' und 'Silvio-Gesell-Ausstellung' entnommen; die Grafiken von Creutz sind so oder ähnlich auch in seinem Buch 'Bauen, Mieten, Wohnen', in der Aufsatzsammlung Creutz/ Suhr/Onken, 'Wachstum bis zur Krise?', in der Zeitschrift für Sozialökonomie / mtg 61/1984 und in Broschüren von Creutz erschienen. Klaus Schmitt (Hg.) Berlin, 2. Juni 1988
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file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/vorwort.htm (2 von 2) [15.02.2002 19:39:07]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Günter Bartsch
SILVIO GESELL, DIE PHYSIOKRATEN UND DIE ANARCHISTEN Über Silvio Gesell sind die wildesten Gerüchte in Umlauf. Für die einen war er Kommunist, für die anderen ein Neo-Liberaler. Manchen dünkt er sogar als Faschist (1) und Hurra-Patriot. Hielten ihn viele seiner Zeitgenossen für einen Revolutionär, so erscheint er heute auch als zahnloser Reformer, dem es lediglich um eine feste Währung ging. Wer war er, und was wollte er wirklich? Marktwirtschaft oder Kapitalismus? Gesell wollte zunächst Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. Aber sogar die meisten Anarchisten fürchten sich vor dem "anarchistischen" Charakter des Marktes wie kleine Kinder vor dem Schwarzen Mann, den Onkel Marx an die Wand gemalt hat. Bei den Kommunisten ist die Ablehnung der Marktwirtschaft völlig verständlich. Solange sie existiert, können Produktion und Handel von ihnen nicht kontrolliert, geschweige dirigiert werden. Aber die Anarchisten sind für Spontaneität und Initiative. Wer für eine freie Gesellschaft ist, kann keine Planwirtschaft wünschen, die jeden einzelnen in den Schraubstock spannt. Die Anarcho-Syndikalisten sind seit jeher für Arbeiterselbstverwaltung. Marktwirtschaft ist eine Art kybernetisches System, das auf Selbststeuerung und Rückkoppelung beruht. Diese beiden Mechanismen sind jedoch schon lange von den Schlingpflanzen kapitalistischer Konzerne, Trusts und Preiskartelle umwuchert und gehemmt. Das Marxsche Kapital war ein Großangriff auf die Marktwirtschaft, der den Kapitalismus intakt ließ (Lenin begrüßte die Monopole sogar als Vorstufe einer kommunistischen Gesellschaft). Gesells Natürliche Wirtschaftsordnung war ein Großangriff auf den Kapitalismus, der die Marktwirtschaft intakt ließ und sie aus den monopolistischen Schlingen wieder befreien wollte. Darin unterschied er sich als Ökonom von allen anderen. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (1 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
Der Kapitalismus beruht aus seiner Sicht nicht auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln und auf Lohnarbeit, wie Marx behauptete, sondern auf Zins und Grundrente, welche arbeitslose Einkommen ermöglichen. Die Abschaffung des arbeitslosen Einkommens war Gesells Grundbestreben. Darauf zielte auch die ursprüngliche Arbeiterbewegung, bis sie in die Hände der Doktoren und Ideologen fiel. Diese orientierten sie auf die Eroberung der politischen Macht um. Gesell warnte davor, den Markt als Freiraum der Initiativen und Spontaneität aller Produzenten abzuschaffen. In der UdSSR und anderen Ländern wurde gerade die Unterdrückung der Marktwirtschaft zur Grundlage des Staatskapitalismus. Biographische Vorgeschichte Silvio Gesell wurde 1862 in St. Vith an der deutsch-belgischen Grenze geboren. Die Eltern, ein Rentmeister und eine Lehrerin, reichen den ungewöhnlich strammen Jungen bei Essen im Bekanntenkreis scherzend als "Dessert" herum. Silvio ist von den sieben Geschwistern am unternehmungslustigsten. Er streift durch die umliegenden Wälder und Täler. Aus einem Hohlweg bringt er zuweilen Ringelnattern mit, die sich um seine Arme winden. Mit seinem Lieblingsbruder Hermann schmuggelt er auch Waren über die Grenze, die eigentlich verzollt werden müßten. Im Elternhaus wird bei jeder Mahlzeit und vor dem Schlafengehen gebetet. Silvio wächst in diesen Ritus hinein. Aber als die Großmutter in ihrer Strenge sagt, der Vater werde wegen seiner Nachlässigkeiten im Fegefeuer schmachten müssen, da empört er sich zum erstenmal. Zwei seiner Schwestern treten katholischen Orden bei; sie gehen ins Kloster. Er und sein Bruder Ernst bilden in ihrer Lebensfroheit das weltliche Gegengewicht. Mit 16 Jahren, nachdem er das Gymnasium besucht hat, tritt Silvio in den Postdienst. Alsbald schlägt er Verbesserungen vor. Sie stoßen bei den Vorgesetzten auf taube Ohren. Da hält er sich nicht länger auf und quittiert den Dienst, der fast allabendlich durch eifrige Selbststudien ergänzt worden ist. Silvio geht als Korrespondent in die spanische Hafenstadt Malaga: Auf seinen Wanderungen findet er ein Chamäleon, das seine Neugier reizt. Er schickt es an den Hamburger Zoo, der an weiteren Sendungen interessiert ist und sie auch honorieren will. Aber die Post durchkreuzt das Tierfangunternehmen; sie will nichts Lebendiges mehr transportieren. Silvio reist nach Berlin und macht dort ein Examen, durch das er seine Militärdienstzeit auf ein Jahr reduzieren kann. Die Kaserne ist ihm ein Greul, die Uniform ein Zwangskorsett. Nach Beendigung seiner Dienstzeit geht er nach Braunschweig, wo er auch seine spätere Frau Anna Boettgen kennenlernt. Er arbeitet dort als Korrespondent bei einer Maschinenfabrik, aber sie drängt ihn, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Zu diesem Zweck schifft er sich 1886 nach Argentinien ein, mit einer file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (2 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
Kiste voll zahnärztlicher Instrumente aus dem Berliner Geschäft seines Bruders Paul. Ein Zimmer in Buenos Aires ist bald gefunden. Aber Silvio muß zunächst auf dem Tisch schlafen, da kein Bett darin steht. Tagsüber klappert er als eine Art Hausierer die Zahnärzte ab. Schneller als erwartet sind die Instrumente verkauft. Silvio eröffnet eine Geschäftsfiliale. Sein Handel blüht. Anna Boettgen kann nachkommen. Um eine kirchliche Trauung zu umgehen, reist das Brautpaar ins benachbarte Uruguay. Als Trauzeugen für das Standesamt holt es sich zwei völlig Unbekannte von der Straße. Die Ehe ist fruchtbar und die Hauptnahrung Fleisch. Bis Silvio bei einem Kunden eine Broschüre des Pfarrers Kneipp entdeckt, die auf der Stelle gelesen wird. Als er nach Hause kommt, steht wieder ein Braten auf dem Mittagstisch. Silvio packt ihn und wirft ihn kurzerhand zum Fenster hinaus. "Fort mit dem Gift!" Von da ab gibt es bei Gesells meist vegetarische Gericht. Aber zuweilen braucht Silvio doch eine saftige Rinderoder Hammelkeule. Alles Dogmatische und Sektiererische erscheint ihm kleinlich. Er möchte Farmer, Naturforscher, Kaufmann und Philosoph zugleich sein; Handel und Industrie dienen mehr der eigenen Daseinslust als dem Gewinnstreben. Gesell baut eine Kartonagefabrik auf, ist jedoch zu keiner Zeit ein Großindustrieller. Mit einem Teil des Vermögens, das er erwirbt, kauft er ein 2.000 qm großes Grundstück am La Plata und dazu eine Insel. Mit einem anderen Teil des Geldes finanziert er seine eigenen Schriften. Der dritte Teil fließt zu Freunden und Verwandten, die großzügig unterstützt werden. Gesell ist eigennützig, aber nicht selbstsüchtig. Diese Unterscheidung geht in seine Lehre ein. Der Eigennützige folgt dem Selbsterhaltungsund Selbsterweiterungsdrang, der Selbstsüchtige dem Ausbeutungs- und Profittrieb. So stehen sich auch Eigenwirtschaft und Kapitalismus gegenüber. Gesell schreibt: "Der Kurzsichtige ist selbstsüchtig, der Weitsichtige wird in der Regel bald einsehen, daß im Gedeihen des Ganzen der eigene Nutzen am besten verankert ist." Eigennutz erscheint ihm als berechtigt und unausrottbar, als dynamische Grundlage der künftigen Eigenwirtschaft, in der allen die gleiche Ausrüstung für den Wettstreit beschafft werden muß. Die Eigen- oder Freiwirtschaft ist mit Privilegien unvereinbar. Durch deren Abschaffung wird der Eigennutz in die gleichen Startbedingungen aller eingebunden und auf diese Weise demokratisiert. (2) Ein Faschist? Faschismus ist Staatsvergottung - Gesell ist für den Abbau des Staates. Er bedeutet Führerherrschaft, während Gesell die Volksherrschaft will. Er zerschlägt die Organisationen der Arbeiter, denen Gesell den Weg zur Befreiung der Arbeiter zeigen möchte. Gesell ist zwar für die "Fortzucht des Menschengeschlechts", aber keifile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (3 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
neswegs im Sinne einer Rassentheorie, welche die Völker in höherwertige und minderwertige einteilt, wie das später beim Nationalsozialismus der Fall sein wird. Auf dem Freiland eines jeden Landes können sich Menschen aller Hautfarben - "ob gelb, weiß, rot oder schwarz" - gleichberechtigt ansiedeln. Natürlich auch Juden, die nach Wegfall jeglicher Beschneidung ihrer Rechte von ihrem Ghettodasein erlöst sein werden. Die künftigen Freilandfrauen sollen sich aus sämtlichen Rassen jene Partner auswählen, mit denen gesunde, lebensfrohe und schöne Kinder am wahrscheinlichsten sind, wozu im voraus empfohlen wird, ihren Männerwahlkreis auf die ganze Welt auszudehnen. (3) Gesells Hochzucht-Idee hat sicher etwas Befremdendes. In ihr zeichnet sich eine Spur des Sozialdarwinismus ab. Jedoch richtet sie sich vor allem gegen Ehen mit Alkoholikern, von denen es heißt, sie könnten ihre Zerrüttung auf ihre Kinder übertragen. Die Frauen sollten immer höhere Ansprüche an die Qualitäten des Mannes stellen. Dann werden - wie Gesell glaubt - auch die Kinder laufend "einen Grad fröhlicher, natürlicher..., ausdauernder und konzentrationsfähiger". Noch ist die Partnerwahl durch die patriarchalische Ehe in die Hände des Mannes gelegt. Diese Macht muß gebrochen werden. Im Freilandgebiet soll niemand mehr verheiratet sein. Alkoholiker werden "keine Frauen mehr finden, die ihre ekelhafte Gesellschaft dulden, darum in der Regel auch keine Nachkommen hinterlassen". Entscheidend für die natürliche Auslese ist die freie Liebeswahl der Frauen. Hochzucht hängt bei Gesell nicht von Rassenhygiene oder gar von der Ausmerzung artfremder Elemente ab, sondern hauptsächlich von der freien Frau. Er ist kein Faschist, eher ein Feminist. Das physiokratische Freiland hat einen matriarchalen Zug. (4) Zur freien Liebeswahl der Frauen soll der freie Wettbewerb unter den Männern und darüberhinaus aller treten. Wenn sich diese beiden Kraftpole der natürlichen Auslese innerhalb der menschlichen Gesellschaft aufeinander einschwingen, platzen die Eiterbeulen, die größten Probleme - Staat, Klerus, Überbevölkerung, Krieg. Gesell erhoffte sogar die Abschaffung der Gefängnisse, Irrenanstalten und Krankenhäuser. Sie sind ebenso "Wahrzeichen unserer Schande" und Symptome der Degeneration wie Ärzte, Apotheker, Quacksalber aller Art. Indes denkt er auf weite Sicht: "Was eine tausendjährige Fehlzucht verpfuschte, das mag ein weiteres Jahrtausend wieder gut machen." Eine physiokratische Eugenik, begründet auf freie Liebeswahl und freien Wettbewerb, wird jedoch die Ursachen der Degeneration beseitigen. Sie soll sich dabei aller künstlichen Eingriffe - wie Sterilisierung und Empfängnisverhütung - bewußt enthalten. Gesell möchte der natürlichen Auslese freie Bahn schaffen. Nicht auf der Tierstufe, sondern als Ansporn zu immer besseren und höheren Leistungen, die den Tüchtigen nach oben bringen und seine stärkere Fortpflanzung begünstigen. "Arbeit ist die einzige Waffe des gesitteten Menschen." Die Physiokraten - Neo-Anarchisten? file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (4 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
Daß Gesell ein Anarchist gewesen sein könnte, darauf ist bisher kaum jemand gekommen. (5) Mir selbst erscheint diese Bezeichnung am berechtigsten. Sie stimmt nicht absolut, dies ebensowenig wie etwa für Leo Tolstoi, hat jedoch die meisten Tatsachen und Belege hinter sich. Gesell nennt sich freilich lieber Physiokrat. Dieser Begriff klingt zunächst etwas "bürgerlich". Die klassischen Physiokraten waren eine Denkschule des 18. Jahrhunderts, der es um eine natürliche Wirtschaftsund Völkerordnung ging. Sie wandten sich gegen den staatsdirigistischen Merkantilismus, welcher als erste Form einer zentralen Verwaltungswirtschaft in Erscheinung trat. Ihre wichtigsten Köpfe - Quesnay, Turgot, Mirabeau - und drei andere fielen in der Französischen Revolution unter der jakobinischen Guillotine. (6) Gesells Denken ist eigenständig, braucht die Rückbindung an die ursprünglichen Physiokraten nicht. Doch wird er sich mit Georg Blumenthal darüber einig, daß seine Anschauung am ehesten als Neo-Physiokratie bezeichnet werden könnte. Dieser Begriff ist schon in Benedikt Friedländers Werk über 'Die vier Hauptrichtungen der modernen sozialen Bewegung' aufgetaucht und liegt gleichsam in der Luft. Tradition kann nicht schaden. Außerdem gehört die Freiwirtschaftslehre zur modernen sozialen Bewegung. Bildet sie darin eine fünfte Richtung aus? Gesell wendet sich allerdings mit seiner ersten Zeitschrift 'Die Geldreform' (7) vor allem an wirtschaftliche Fachkreise. Martin Hoffmann schreibt später, ein wenig nachtragend, Gesell habe anfangs die revolutionäre Rolle des Proletariats völlig übersehen. (8) Georg Blumenthal übersieht sie gewiß nicht. Er will Gesells Lehre, von der er fasziniert ist, in das industrielle und intellektuelle Proletariat hineintragen. Schon durch ihren ersten Anhänger kommt sie in Verbindung zum Anarchismus. Blumenthal steht diesem nahe. Bereits als Handwerksbursche hat er anarchistische Flugblätter und unabhängige sozialistische Zeitungen verteilt. Durch Friedländer lernt er Landauer und Mackay kennen. Zunächst spricht er im Kreis der Berliner Indiviudalanarchisten, um den Samen der Gesellschen Lehre auszustreuen. Kurz darauf fällt diese Vereinigung auseinander, und ein Teil ihrer Mitglieder, sogar der Begründer Bernhard Zack, wird zu Physiokraten. Wenig später hält Blumenthal einen Vortrag bei den Anarcho-Syndikalisten. Hier stößt er vereinzelt auf entschiedenen Widerspruch, aber im allgemeinen auf so lebhaftes Interesse, daß sich die Diskussion über drei bis vier Abende hinzieht. Wieder gibt es Übertritte, anscheinend noch mehr als im ersten Fall. Maria Rapp, die Tochter Blumenthals, schreibt darüber: "Aus diesem Kreis stammen die Kameraden Hanisch, Krause, Funke, Sanke, Otto Stolz und andere." Nach Hans-Joachim Führer, einem Sohn Silvio Gesells, sind auch Hans Timm, Richard Batz und Martin Hoffmann, welche sämtlich eine große Rolle in der Bewegung für Freiland, Freigeld und Festwährung (FFF) (9) spielen werden, vom Anarchisfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (5 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
mus gekommen. Aus meiner eigenen Kenntnis sind noch Rolf Engert (Stirner-Individualist) und M. I. Bonn (Syndikalist) benennbar. Aus diesen beiden Kerngruppen und einigen anderen Personen bildet sich der Grundstock einer neuen sozialen Sonderbewegung. 1909 gründet Blumenthal zunächst den Verein für physiokratische Politik. Gesell tritt ihm von Argentinien aus bei und schickt 200 Mark für den Anfang. Am liebsten möchte er den Verein auf "eine kleine, auserwählte Schar" beschränken. Er soll nicht aus Mitgliedern aller Parteien, sondern aus bissigen Kämpfern bestehen, die sich "entschlossen gegen alle Parteien wenden". Doch die Entwicklung nimmt einen etwas anderen Lauf. Blumenthal baut 1909/10 einen physiokratischen Verlag auf, der als erstes Gesells Hauptwerk 'Die natürliche Wirtschaftsordnung' herausgibt. Die Presse will es totschweigen, aber dennoch springen Zündfunken von ihm ab, welche die FFF-Bewegung in Gang bringen. Im Mai 1912 erscheint 'Der Physiokrat.' (10) Durch diese Zeitung werden Dr. Christen, Otto Maaß und andere gewonnen. Die erste Nummer ist durch ein langes Gedicht von Georg Blumenthal über Mammons Sturz eingeleitet. Das Geld soll nicht mehr herrschen, sondern künftig dienen. 1913 wird der gewachsene Verein in die Physiokratische Vereinigung umgebildet. Sie setzt sich die "Umbildung der kapitalistischen Wirtschaft in eine ausbeutungslose, freie Volkswirtschaft" zum Ziel. Die Mitgliedschaft ist auf freie Vereinbarung gegründet. Das Statut könnte von einer anarchistischen Gruppierung sein. Über die organisatorische Form heißt es: ●
- Gruppen und Einzelmitglieder bilden die Physiokratische Vereinigung.
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- Die Gruppen haben Beauftragte als Willensvollstrecker der Mitglieder.
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- Zugehörigkeit zu einer anderen Organisation Schaffender ist kein Hinderungsgrund (für die Mitgliedschaft). - Höhe der Beiträge ist Sache der Gruppe. Jede Gruppe ist selbständig und gestaltet sich das Flußbett der Bewegung nach eigenem Ermessen. - Nicht nur Mehrheiten, auch Minderheiten können Beauftragte bestellen; deren etwaige Beschlüsse gelten nur als Vorschläge. - Der freie Wettbewerb unter den Gruppen sowie zwischen Mehrheiten und Minderheiten sichert auch hier den Erfolg. - Zur Förderung gleicher Bedürfnisse empfehlen sich gemeinsame Ortsgruppentagungen. (11)
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Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
Anarchistischer geht es nicht mehr. Die Gruppen sind autonom; sie haben keine Vorstände, sondern Beauftragte. Es gibt auch keinen Zentralvorstand, nur einen Beauftragten, der als Geschäftsführer lediglich koordiniert und Informationen vermittelt. Disziplinarstrafen liegen fern. Dafür soll ein Wechselspiel von Mehrheiten und Minderheiten laufend neue Ideen bringen. Jeglichem Zentralismus ist vorgebeugt. Die Mitglieder werden nicht auf eine bestimmte Ideologie oder Weltanschauung festgelegt. Das Statut ist ausdrücklich als "Flugschrift" abgefaßt, da das Ziel "nicht durch starre Dogmen und Einseitigkeit" erreicht werden könne. Nach verschiedenen Zwischenstufen entsteht 1924 der Physiokratische Kampfbund, welcher erklärt, daß zugleich mit der Zinsknechtschaft die "allgemeine öffentliche Staatsknechtschaft" beseitigt werden muß. Gesell schreibt eigenhändig das 11-Punkte-Programm. Darin steht: ●
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- Für den Abbau des Staates überall dort, wo er durch Privatinitiative ersetzt werden kann. Für die freie, selbstverantwortliche Persönlichkeit... - Wider Aufoktroyierung staatlicher Wohltaten, staatlichen Schutzes, staatlicher Fürsorge... - Wider alle und jede Einmischung von Bürokraten in das Geschlechtsund Familienleben. Wider die Standesämter. Wider die Registrierung des Menschen. Wider die Ehegesetze ... - Wider Staatsschulen, Staatskirchen, Staatsuniversitäten, Staatsakademien für Kunst und Wissenschaft ... - Für die Abschaffung des Schulzwangs, des Impfzwangs, jedes von Staatsdienern geforderten Zwanges ... - Wider den Krieg, wider das Waffenmonopol des Staates, der Diktatoren, der Usurpatoren. Wider Klassenwirtschaft und Klassenstaat, wider alle Bevormundung, wider den Kommunismus. - Wider alle staatliche Justiz. Wider alle moralische Bewertung von Verbrechen von Seiten des Staates... Für privates Vertragsrecht und private Schiedsgerichte. Für die bürgerliche Ächtung und Verfehmung aller Vertragsbrüchigen an Stelle der exekutorischen, staatlichen Zwangsmittel ... - Für die Lebensfreude des einzelnen Menschen. Wider die "Lebensfreude" des Staates. (12)
Das ist ein anarchistisches Programm, bis auf den Satz von der "Abbaufile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (7 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
diktatur, die auf ihre eigene Überflüssigmachung mit Tempo hinarbeitet". Bakunin hätte ihn allerdings billigen können. Er dachte in dieser Hinsicht ähnlich wie Gesell, der ihm in manchen Zügen glich. Beide legten einen weiten Weg zum Anarchismus zurück. Zunächst Bejaher des Staates, rangen sie sich nur allmählich zu dessen grundsätzlicher Verneinung und zum positiven Streben nach einer herrschaftslosen Ordnung durch. Diese beiden Seiten ergeben zusammen das Hauptmerkmal des Anarchisten. Der Physiokratische Kampfbund hebt Gesell auf seinen Schild. Während der Weltwirtschaftskrise führt er im Ruhrgebiet, in Hamburg und in anderen Großstädten Massenversammlungen zur Schaffung einer antikapitalistischen Front durch. Hierbei soll Gesell mehrfach durch jeweils Tausende von Arbeitern zum Währungsdiktator ausgerufen worden sein. Seit seiner Beteiligung an der Bayrischen Räterepublik als Volksbeauftragter für Finanzen ist er weithin bekannt, sowohl berühmt als auch berüchtigt. Auch eigene Anhänger haben diese Beteiligung mehr oder weniger scharf kritisiert. So schrieb Dr. Ernst Hunkel in Deutsche Freiwirtschaft (Mai 1919): "Wir bedauern Gesells Schritt aufs tiefste. Deutschland ist nicht Rußland, und ob hier der Bolschewismus unabwendbares Verhängnis ist, ist doch sehr die Frage." Schlimmer konnte Gesell kaum mißverstanden werden. Der Volksbeauftragte Georg Blumenthal wünscht mit Gesell vor allem die Gewinnung sozialdemokratischer Arbeitermassen. Im Februar 1918 gelingt es ihm, Ernst Niekisch von den Vorzügen der Eigen- und Freiwirtschaft zu überzeugen. Darauf verspricht dieser - in einem handschriftlichen Brief vom 26. Februar 1918 - "innerhalb der Partei für sie zu werben". Er meint die SPD, in der er einen guten Ruf hat und zu deren einflußreichen Mitgliedern er noch gehört. Ernst Niekisch ist eine repräsentative Gestalt der deutschen Revolution. Anfang 1919 wird er zum Präsidenten des Zentralrats der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte Bayerns gewählt. (13) Die Bildung dieser revolutionären Körperschaft geht der Bayrischen Räterepublik von 1919 voraus, welche einen anarcho-sozialistischen Charakter hat, bevor sie von den Kommunisten übernommen und usurpiert wird. Ihre erste Phase ist durch Kurt Eisner (USPD), Gustav Landauer (Anarchist) und Ernst Niekisch geprägt. Auf Vorschlag der beiden letzteren wird Silvio Gesell am 7. April 1919 zum Volksbeauftragten für Finanzen gewählt oder bestimmt. Schon am nächsten Tag tritt er sein Amt an, unterstützt von den freiwirtschaftlichen Beiräten Th. Christen und Professor Polenske (USPD). Dieses Kollegium bereitet für Bayern sogleich umstürzende Reformen vor. Aber sie haben nur fünf Tage Zeit. Als erstes will Gesell mit durchgreifenden Mitteln die Währung sanieren. Aus einem Telegramm an die Berliner Reichsbank geht seine geheime Hoffnung hervor, dies für ganz Deutschland tun zu können. Doch Berfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (8 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
lin schweigt. Gesell erläßt eine Verordnung, wonach für die Räterepublik nur das Freigeld in Betracht kommt, "durch das der Zinsfuß automatisch sinkt und die Löhne entsprechend steigen". Eine nähere Begründung erspart er sich, verweist nur auf die "reichhaltige Literatur des FreilandFreigeld-Bundes" - ein verhängnisvoller Fehler. Die Bamberger Zeitung veröffentlicht eine kleine Notiz, wonach Gesell die Beschlagnahme aller Sparkassen- und Bankguthaben beabsichtigt. Diese Notiz bringt nach Ernst Niekisch die Bevölkerung Bayerns "bis zum kleinsten Sparer hinunter gegen die Räterepublik auf". Dabei will Gesell das Sparen ermutigen. Der Volksbeauftragte für Finanzen kündigt zweitens eine 75%ige Vermögensenteignung an sowie die 100%ige Einziehung aller Restvermögen über 300.000 Mark zugunsten der Räterepublik. Die allgemeine Enteignung, wie sie Blumenthal in Berlin vorschlägt, lehnt Gesell ab, weil sie, seines Erachtens nach, von dem freiwirtschaftlichen Hauptziel wegführen würde, den Zins in einem Kapitalmeer zu ersäufen. In München sieht er eine seiner Aufgaben darin, "den kapitalistischen Betrieb zunächst von den Wunden des Krieges zu kurieren, um ihm sodann den Kopf abzuschlagen." (14) Eine dritte Erklärung zeigt, daß Gesell und seine Mitarbeiter nur gegen den Zwangskommunismus, aber nicht gegen den Gemeinschaftskommunismus sind. Keineswegs. "In einem sozialisierten Staate wird Raum genug für kommunistische Gemeinschaften sein. Noch selten ist die Zeit für den Kommunismus so reif gewesen wie jetzt. Der Kapitalismus hat die Kommunisten erdrosselt, die Freiwirtschaft wird ihnen Raum und Arbeit schaffen... Jeder wird die freie Wahl haben, Kommunist oder Individualist zu sein." Im Rahmen der Eigen- oder Freiwirtschaft sind nicht nur private, sondern auch kollektive Unternehmen möglich. (15) Am 13. April wird das freiwirtschaftliche Arbeitskollegium verhaftet und eingesperrt, aber in der Nacht durch einen Trupp der Roten Garde wieder befreit. Nun sind die bayrischen Kommunisten zur Herrschaft gekommen. Sie lösen sogleich den Zentralrat der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte auf und ersetzen ihn durch einen 15-köpfigen Aktionsausschuß. Damit ist im Grunde auch die Räterepublik abgeschafft. Gesell und seine Beiräte gehen am 14. April gleichwohl wieder an die Arbeit. Sie wollen ihre Posten erst verlassen, wenn "das große Werk der Neuordnung unseres zerfahrenen Geldwesens und der Neuaufbau des bayrischen Wirtschaftslebens gesichert ist" (gemeinsame öffentliche Erklärung). Deshalb sind sie bereit, ihre Tätigkeit sowohl unter dem kommunistisch orientierten Aktionsausschuß als auch im Rahmen der sozialdemokratischen Regierung Hoffmann fortzusetzen. Aber der erste setzt den Volksbeauftragten ab, die zweite ignoriert das Angebot und schickt Truppen auf München. Gesell und Christen werden nach dem Einmarsch abermals verhaftet (wie Polenske schon in Bamberg). Ein Trupp Soldaten führt sie die Sendlinger Straße durch eine grölende und drohende Menge ab, irgendjemand file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (9 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
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tritt vor und speiht Christen ins Gesicht. Ein anderer schlägt Gesell mit seinem Stock den Hut vom Kopf. Der Leutnant traktiert beide von hinten mit Gewehrstößen und befiehlt den Soldaten: "Wenn einer ausreißen will, dann sofort mit dem Kolben drauf, aber gleich mitten auf den Schädel!" Steht den Verhafteten dasselbe Schicksal wie Landauer bevor? Sie schweben in großer Lebensgefahr. Jede Bewegung kann als Fluchtversuch ausgelegt werden. Das Gericht spricht Gesell aber frei, weil er kein Spartakist ist (wie der Leutnant angenommen hatte) und überzeugend erklärt: "Ich wollte die Wirtschaft wieder aufbauen. Die Regierungsform, ob Räterepublik oder parlamentarische Demokratie, war mir weniger wichtig." (16) Das klingt pragmatisch, wenn nicht gar zynisch. Dennoch hat Gesell ein Ideal. Der Akrat In gewisser Hinsicht war die Bayrische Räterepublik ein anarchistisches Großexperiment - das bisher einzige in Deutschland -, und Gesell hat es vor Gericht indirekt verteidigt. Er ist gegen den Parlamentarismus. In der FFF-Bewegung empfiehlt er direkte Aktionen wie Gebärstreik der Frauen und Generalstreik. Die Parteien lehnt er grundsätzlich ab. Indem er auch die staatlichen Schulen und Akademien aufheben will, geht er noch weiter als traditionelle Anarchisten. Der Physiokrat dünkt ihm konsequenter und lebendiger als diese. In einem Artikel aus dem Jahre 1913 (in 'Der Physiokrat') umschreibt er ihn als "linken Flügelmann" der sozialen Bewegung. (17) Indes stößt Gesell auch in der FFF-Bewegung und selbst im Physiokratischen Kampfbund auf Leute, die durchaus nicht so progressiv sind. Ihn enttäuscht schon ihre bürgerliche Kleidung. Schließlich tritt er sogar aus dem Psysiokratischen Kampfund aus, um seine Enttäuschung kundzutun. Aber er selbst hat, obwohl er schon Anfang 1919 den Abbau des Staates vorschlug, noch im gleichen Jahr die Schaffung eines Reichswährungsamtes empfohlen. Das wäre womöglich ein Ersatzstaat und eine bürokratische Institution geworden. Manche Leute halten diesen Vorschlag für das letzte Wort Gesells und als bezeichnend für einen verschämten Etatismus der FFF-Bewegung. Gesells letzte große Schrift (1927) - Der abgebaute Staat - ist jedoch zwei "Pionieren einer herrschaftslosen, menschlichen Gesellschaft" gewidmet (Paul und Ilse Klemm). Und im Vorwort schreibt er: 1919 "mußte ich noch einen Rest oder Schatten des Staates bestehen lassen, weil ich für die akratische Lösung des Geldproblems noch keine befriedigende Lösung gefunden hatte. Ich mußte die Währung einem Währungsamt übergeben... Diesen Mangel (eigentlich war es nur ein Schönheitsfehler) glaube ich jetzt... behoben zu haben!" (18) Gesell illustriert die physiokratische Ordnung an einem real-utopischen Freilandmodell. Zum Leitstern dieser Ordnung ist ihm nun der Akrat geworden. Dieser wird als "Vollmensch" bezeichnet und dem "Teilfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (10 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
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menschen" gegenübergestellt. Der Akrat ist für Gesell das höchste Produkt der geschichtlichen Entwicklung und das potenzreichste Resultat der menschlichen Evolution. Er charakterisiert ihn als einen Empörer, der "jede Beherrschung durch andere ablehnt". Ihm ist nicht nur eine freiheitliche Überzeugung, sondern auch ein freiheitlicher Lebensstil eigen; zu einem anderen wäre er gar nicht mehr imstande. Gesell spricht sogar von einer "akratischen Gesellschaft". Seines Erachtens ist sie nur auf eigenwirtschaftlicher Grundlage entwicklungsfähig. Sie soll den restlosen Abbau des Staates vollbringen und bedarf keiner Zentrale. In der Freiland-Utopie gibt es lediglich einen Mütterbund. Gesell wendet sich gegen den destruktiven Anarchismus, der eine neue Gesellschaft mit Gewalt herbeizwingen will und selbst vor terroristischen Akten nicht zurückscheut. Gerade deshalb, weil ihm dieser zu seiner Lebenszeit noch vorzuherrschen scheint, spricht er lieber von Akratie. (19) Sie ist jedoch gleichbedeutend mit einer herrschaftlosen Ordnung. Akratie und Anarchie sind synonyme Begriffe. Ihre Regulatoren heißen bei Gesell Eigennutz, natürliche Auslese und freier Wettstreit, gegenseitige Hilfe, freie Vereinbarung und freie Liebe. Die ersten drei Punkte sind für die Ohren der traditionellen Anarchisten und selbst der neuen Anarchos Alarmsignale. Aber haben nicht schon Stirner den Eigennutz und Kropotkin den freien Wettstreit empfohlen? Allerdings fällt das Verständnis für Gesell schwer, wenn er von Faustrecht und Richter Lynch spricht. Wie ist das gemeint? Wo der Staat mit all seinen Beschützern und Justizanstalten wegfällt, muß der einzelne sein Recht auf eigene Faust suchen. Wer ihn schädigt, wird von seiner Nachbarschaft festgenommen und verurteilt. Die Ausführung des Urteils, im gegebenen Fall auch eine Hinrichtung, übernimmt der Geschädigte. Doch da er dem Schädiger direkt gegenübertreten muß und ihn folglich auch als Menschen wahrnehmen kann, läßt er ihn vielleicht laufen, söhnt sich gar mit ihm aus. Nicht "Auge um Auge", wie im alten Recht der Blutrache, sondern Auge in Auge soll entscheiden. So verstehe ich Gesell. Seine Humanität ist zuweilen in begriffliche Brutalitäten verpackt, die sehr anstößig wirken, seine Terminologie struppig und offenherzig zugleich. Sentimentalitäten liegen ihm fern. Schwächlinge und Feiglinge verachtet er. Auch Kropotkin forderte die Aufhebung der Gesetze staatlicher Gerichte. Doch sehr wenige Anarchisten sind sich über die Folgen klar. Mir scheint, nur Gesell stellt sich den Konsequenzen. Er allein bejaht sie und arbeitet sie in sein Gesellschaftsmodell ein, wobei er trotz erschreckender Begriffe nach sozialen Formen (wie den Nachbarschaftsgerichten) sucht. So verfährt er in vielen Bereichen mit Wechselbädern von warm und kalt. Jede Gemeinde und Stadt soll ihr eigenes Strafrecht haben: "Es kann nichts schaden, wenn der Einbrecher in Berlin zu seiner Besserung eine Rente bekommt, während Hamburg dafür die Prügelstrafe einführt." (20) Anscheinend möchte Gesell viele Rechtsformen und -praktiken nebenfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (11 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
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einander stellen, damit sie sich wechselseitig erproben und abschleifen können. (21) Er ist ein leidenschaftlicher Liebhaber des vielströmigen Lebens, das sich hinter keinen Zaun bringen läßt. Auch Nestor Machno und Emma Goldman verstanden unter Anarchie einfach freies Leben, für das der Anarchismus alle Hindernisse aus dem Weg räumen sollte. Manche Methoden Machnos behagen Gesell nicht. Er spricht daher bewußt vom Abbau des Staates, nicht von seiner Zerstörung. Abbau ist kein "Niederreißen ohne Winkel und Lot", sondern ein "bedachtsamer, planmäßiger Vorgang", der dort beginnen soll, "wo die Volkspsyche die geringsten Widerstände bietet", denn manche Staatsdomänen haben tiefe Wurzeln im Volk. Gesells Begriff des Akraten ist an den Abbau gebunden und an den Aufbau der wahrhaft freien Gesellschaft. Ein Revolutionär, der nur zerstört, erscheint ihm als halber Mensch, der im Negativen steckenbleibt. Sein Staatsbegriff von 1927 hat klassische anarchistische Züge: "Der Weg zur Akratie führt selbstverständlich über die Leiche des Kapitalismus, denn Kapitalismus heißt Ausbeutung, und der Ausbeutungsapparat bedarf zu seinem Schutze einer zentralisierten Macht; diese Macht heißt Staat." (22) Fast ebenso hat Bakunin vor den Delegierten der I. Internationale gesprochen. Die anderen drei Regulatoren der akratischen Gesellschaft sind jedem Anarchisten so vertraut, daß er sich mit ihnen identifizieren kann. Indes verwechselt er in der Regel freien Wettstreit mit rücksichtsloser Konkurrenz, die gegenseitige Hilfe ausschließt. Gesell ist der Ansicht, daß gerade "die Abwesenheit jeder öffentlichen Fürsorge den sozialen Trieb steigern muß". (23) In einer akratischen Gesellschaft wird sich die gegenseitige Hilfe am kräftigsten regen. Der freie Wettstreit ermöglicht es den Tüchtigen, ein kleines Vermögen zu erwerben, mit dem sie großzügig und sozial umgehen werden. Vielleicht ist das eine Illusion, aber so denkt und hofft Gesell nun einmal. Er glaubt auch daran, daß die Tüchtigsten zugleich die Edelsten sind. Freie Liebe birgt eine sexuelle Revolution, wie sie den Anarchisten immer vorgeschwebt hat. Gesell, der außerhalb seiner Ehe noch intime Beziehungen zu drei anderen Frauen unterhält, lebt sie vor. Auch die Ehe selbst stellt er radikal in Frage. In seiner Freiland-Utopie spricht er von einer Frau, die sieben Kinder von sieben verschiedenen Männern hat. Sobald sie sich von einem schwanger gefühlt, zog sie sich zurück. (24) Die reine Natur soll wieder zum Zuge kommen und zugleich die menschlichen Qualitäten steigern - alle Abhängigkeit hindert ihre Entfaltung. Gesell ist Anarchist in neuen Formen, die Physiokratie und Akratie heißen. Schon der ursprünglich noch weitgehend staatskonformen Physiokratie Quesnays haucht er anarchistischen Geist ein, indem er die Neophyten auf den Abbau des Staates umorientiert. Mit dem Modell der akratischen Gesellschaft, das er freilich erst in den 20er Jahren entwirft, gibt Gesell der Anarchie eine positivere Gestalt. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (12 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
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Und in ihren Mittelpunkt stellt er das Weibliche: freie Liebeswahl der Frau, deren emotionale Unabhängigkeit durch eine Mutterrente materiell gestützt werden soll. So nimmt er den heutigen Anarcho-Feminismus auf eigenartige Weise voraus und ist der erste männliche Anarcho-Feminist. Wenn man bedenkt, wie patriarchalisch insbesondere der klassische romanische Anarchismus (in Spanien, Italien und Frankreich) war, so ist auch dies eine Umorientierung. Sogar eine, deren Bedeutung weit in die Zukunft hineinreicht. Hat sich doch eine Achsenverlagerung vom Männlichen zum Weiblichen angebahnt, die keinen Bereich des Lebens verschonen wird. Sie überprüft auch das zwischengeschlechtliche Verhältnis in allen sozialen Bewegungen. (25) Selbst Gesells physiokratische Eugenik hat eine anarchistische Note. Die "Hochzucht" des Menschengeschlechts läuft auf die "Züchtung" möglichst vieler Akraten hinaus, für welche die Freiheit Grundeigenschaft ist, keine Phrase oder Forderung mehr. Mit seiner Eigen- oder Freiwirtschaft legt Gesell der positiven Anarchie ein ökonomisches Fundament, auf dem sie wachsen und Kropotkins Losung "Wohlstand für alle" realisieren könnte. Falls sie klug genug ist, die Marktwirtschaft nicht zu zerstören, sondern in ihren Dienst zu stellen. Aus der Planwirtschaft gehen neues Elend und weitere Proletarisierung hervor. Außerdem hat Gesell für den gesamten Anarchismus dasselbe vollbracht wie Marx für den Kommunismus - eine scharfsinnige Analyse des Kapitals und der menschlichen Ausbeutung. Wo Marx stehenblieb - vor Zins und Grundrente -, ging er weiter. Insofern könnte seine Lehre auch als Ergänzung und Fortführung des Marxismus angesehen werden. Allerdings kommt sie zu anderen Resultaten und Folgerungen. Durch Gesells Kapitalanalyse ist der Anarchismus unabhängig von der marxistischen geworden. Genauer gesagt: er könnte unabhängig von ihr sein, wenn er diese Lehre annehmen würde. Indes gibt es Anarcho-Marxisten. Ich bin kein Anhänger Gesells, weil ich niemandes Anhänger sein kann. Aber seine Lebensleistung nötigt mir Hochachtung ab. Er wollte auch keine Jünger, sondern freie Menschen, die selbständig denken und leben. Seit Anbeginn ist das ein Ziel des Anarchismus, wenn man ihn aus allen Fremdbestimmungen und ideologischen Floskeln herausschält. Gesell hat ihn auf seine Art erneuert, was freilich durch den darwinistischen Zug in seiner Lehre für die meisten Augen noch verdeckt ist. Dieser Zug war indes von allen Ideen Gesells am meisten dem damaligen Zeitgeist verhaftet. Der Zeitgeist drückte auch Karl Kautsky seinen Stempel auf, als dieser versuchte, den historischen Materialismus von Marx mit dem Darwinismus zu verknüpfen. (26) Bei Gesell erwies sich der akratische Grundzug seines Denkens als entscheidend. Er trat im Laufe der Zeit immer deutlicher hervor. Schließlich gerann er in der Real-Utopie des abgebauten Staates. Jedoch fand Gesell keine Zeit mehr, sein Hauptwerk unter diesem Gesichtspunkt zu überarbeiten. Darin ist noch immer vom Reichswährungsamt die Rede, und viefile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (13 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
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le Freiwirtschaftler halten daran fest. Gesell trug auch an den Anarchismus "umstürzende Reformen" heran. Er warf um, was in ihm nicht auf festem Boden stand oder in eine Sackgasse führen mußte. Aber ungeachtet dieser rücksichtslosen Kritik am bestehenden Anarchismus gehörte er zu seinen großen Außenseitern, ohne sich dessen ganz bewußt zu werden. Kehrt aus dem Untergrund zurück Gesell soll am 11. März 1930 an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben sein. Aber vielleicht war sein Sarg leer - wie der des legendären Grafen Saint Germain. Womöglich hat er sich aus der aktiven Politik in die Pfahlhütte auf seiner kleinen Insel am La Plata zurückgezogen, um endlich seinem Forscherdrang nachzugehen. "Die Hähne krähen, wohlan, es ist Zeit zum Aufbruch!" sagte er am Morgen des 11. März. Er ging in den Untergrund, und nun kehrt er daraus zurück.
Anmerkungen 1 Siehe Text 2, Kapitel 14 in diesem Buch. 2 Definition Eigennutz u. Selbstsucht s. Gesell, Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld (NWO), Rudolf Zitzmann Verlag, Lauf bei Nürnberg 1949, S. 13f.; s. a. Text 2, Kap.15. 3 Gesell, Der abgebaute Staat - Leben und Treiben in einem gesetz- und sittenlosen hochstrebenden Kulturvolk, A. Burmeister Verlag, Berlin-Friedenau 1927, S. 76 4 S. Text 2, Kap. 9 5 Bartsch hat bereits 1972 in 'Anarchismus in Deutschland', Bd. I, Fackelträger Verlag, Hannover, S. 18ff., die Freiwirte "Anarcho-Liberale" genannt und geschrieben: "Mit seiner Zinstheorie trat Gesell (..) eher als Marx des Anarchismus auf." In der Schweiz nennt sich eine Partei heutiger Gesell-Anhänger Liberalsozialistische Partei. 6 Physiokratie (aus dem Griechischen) = Naturherrschaft - Die Physiokraten Quesnay und Turgot begründeten im 18. Jaharhundert das erste geschlossene volkswirtschaftliche System. Ihre Lehre, die im Gegensatz zum Merkantilismus steht, hebt die Bedeutung des Bodens hervor und vertritt die von Karl Marx begrüßte Ansicht, "daß nur die Arbeit produktiv ist" (Marx), primär die der Bauern. Sie vertritt die Auffassung, daß das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben von Naturgesetzen beherrscht wird. Daß auch die Volkswirtschaft von Naturgesetzen beherrscht wird, bestreitet Gesell zwar, er will jedoch eine von Menschen bewußt geschaffene Wirtschaftsordnung, die "der Natur des Menschen angepaßt ist" (NWO, file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (14 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
S.12). Marx hat die klassischen Physiokraten - entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten - recht wohlwollend dargestellt in 'Die Physiokraten', Marx-Engels-Werke (MEW) 26.1, S.l2ff. 7 'Die Geldreform' erschien unregelmäßig von März 1902 bis zum Dezember 1904. 8 Otto Martin Hoffman gehörte zeitlebens der Arbeiterbewegung an. Unter dem Pseudonym Diogenes (ein altgriechischer Anarchist!) schrieb er aus freiwirtschaftlicher Sicht und mit fundierten Kenntnissen der marxistischen Wirtschaftstheorie Artikel über Gesell und Marx in der zeitweilig von ihm redigierten proletarisch-freiwirtschaftlichen Zeitschrift 'Der Ring - Monatshefte für Jugendbewegung und Politik'. In den Heften Nr.1 bis 6/1925 bzw. '26 führte er eine intensive Diskussion mit dem Linksmarxisten Karl Korsch über Gesells Preisund Marxens Werttheorie. Später ging Hoffmann zur SPD, 1983 starb er in West-Berlin. 9 In 'Der abgebaute Staat', S. 4, benutzt Gesell "FFF" für Freiland, Freigeld und Freihandel. Eine FFF-Gruppe nannte sich Verein für Freiwirtschaft durch Freiland und Freigeld. 10 'Der Physiokrat' war (zunächst) das Organ der Physiokratischen Vereinigung und erschien monatlich von Mai 1912 bis Juli 1914 und dann mit Unterbrechungen bis November 1920 in Berlin (verantw.: Georg Blumenthal) und 14tägig von Juli bis Dez.1922 in Hamburg (verantw.: Ernst Schmalfeld). 11 Ziele und Satzung der physiokratischen Vereinigung, Physiokratischer Verlag, BerlinLichterfelde 1919 11a Sehr informativ ist das noch unveröffentlichte Manuskript 'Die Geschichte der Freiwirtschaftsbewegung' von Hans-Joachim Werner, Warendorf (Tel.: 02581-3539). 12 Das 11-Punkte-Programm des Physiokratischen Kampfbundes erschien als Flugblatt; in freiwirtschaftlichen Zeitschriften war es unauffindbar. 13 Ernst Niekisch (1889 -1967), zunächst SPD-Mitglied, gründete 1923 die Altsozialistische Partei und gab die nationalrevolutionäre Zeitschrift Widerstand heraus. Er wurde 1937 von den Nationalsozialisten zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Von 1945 bis '54 war er Professor in Ost-Berlin. Am Tage des Arbeiteraufstandes in der DDR, am 17. Juni 1953, trat er aus der SED aus. In einem Brief an den Physiokraten Georg Blumenthal vom 15. 2. 1918 schreibt Niekisch: "Es ist meine feste Absicht, innerhalb der Partei (SPD; K. S.) für sie (Gesells Physiokratie; K. S.) zu werben. Nicht bloß in der Presse (Niekisch war Mitarbeiter des Vorwärts; K. S.), sondern auch in Vorträgen" (Bartsch, Sozialisierung oder Personalisierung? (1), in der freiwirtschaftlichen zeitschrift für sozialökonomie/mtg 76/März 1988, Verlag Gauke GmbH, Lütjenburg bei Kiel, S. 32, Sp. 2; die handschriftlichen Briefe befinden sich im Archiv von Günter Bartsch.) 14 Die allgemeine Enteignung im Lichte physiokratischer Ziele, Potsdam, Selbstverlag, ca. 1926, S.14 file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text1.htm (15 von 16) [15.02.2002 19:39:12]
Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiograten und die Anarchisten
15 S. Text 2, Kap.15. 16 Gesells dem Gericht eingereichte Verteidigungsrede im Anhang bei Rolf Enger, Silvio Gesell in München 1919, Fachverlag für Sozialökonomie, Hannover-Münden 1986, erschien zuvor als Sonderdruck in anderen Schriften, z. B. in Die Freiwirtschaft vor Gericht, Erfurt 1920. 17 Gesell, Der Physiokrat als linker Flügelmann der politischen Parteien, in 'Der Physiokrat' 1/Mai 1913 18 Der abgebaute Staat, S. 5 19 Daß der Kriegsgegner Gesell jedoch kein naiver Pazifist war, zeigt eine Auseinandersetzung mit der anarchistischen Zeitung 'Der freie Arbeiter' 1913, in der ihm, allerdings zu Recht, seine Einschätzung einer "Volksarmee", einer Armee von Wehrpflichtigen, als volksfreundlich und relativ harmlos vorgeworfen wird. In seiner Erwiederung in: Der Physiokrat 12/1913 fordert Gesell die Bewaffnung aller Bürger männlichen und weiblichen Geschlechts, um sich allen Unterdrückungsversuchen widersetzen zu können (s. Text 2, Kap. 13). 20 Der Abbau des Staates, S. 22f. 21 Der abgebaute Staat, S. 87ff. 22 Der abgebaute Staat, S.4 23 Der abgebaute Staat, S. 53 24 Der abgebaute Staat, S. 77f., u. Text 7; s. a. NWO, S. 109 25 S. Text 2, Kap. 9 26 S. Text 2, Anm. 117
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Klaus Schmitt
GELDANARCHIE UND ANARCHAFEMINISMUS Zur Aktualität der Geld-, Zins- und Bodenlehre Silvio Gesells
I. Teil: Marktwirtschaft ohne Kapitalismus - ein anarchistisches Konzept
1. Gibt es eine anarchistische Wirtschaftstheorie? "Worauf beruht die Zirkulation in der Ökonomie der Gesellschaft? - Auf dem baren Gelde. Was ist ihr bewegendes Prinzip? - das Geld. Was öffnet und verschließt den Erzeugnissen die Tür des Marktes? - das Geld." P. J. Proudhon Ich war vielleicht ein Dutzend Lenze jung, als ich - ahnungslos und trotz guter sozialdemokratischer Kinderstube - mit einer anarchistischen Wirtschaftstheorie infiziert wurde. Schuld daran war ein freundlicher Herr mittleren Alters, dessen Namen ich vergessen habe und der in einer alten Bauernkate in Schleswig-Holstein Meerschweinchen und weiße Mäuse züchtete. Während er mir Nachwuchs für meinen Zoo verkaufte, traktierte er mich mit den anarchischen Ideen eines gewissen Silvio Gesell, insbesondere mit dessen "Schwundgeld"-Erfindung. Dieses "Geld unter Umlaufzwang" würde, so versicherte er mir, für einen geschlossenen Wirtfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (1 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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schaftskreislauf sorgen und dadurch bewirken, daß alle Menschen immer "Arbeit" hätten. Um ein Urteil bemüht, berichtete ich umgehend meiner Mutter von diesem merkwürdigen Arbeitsbeschaffungsprogramm. Statt jedoch auf diese "Freigeld" Theorie einzugehen, erzählte mir diese ehemalige "Falken"-Aktivistin begeistert von der sozialistischen "Arbeiterjugend". Können die Alten denn nur von Arbeit reden, dachte ich, und hatte erst einmal die Schnauze voll von "Politik". Doch trotz meiner frustrierenden Arbeitserfahrungen beim Geschirrabtrocknen und Erbsenpellen ließ mich die ausgefallene Geld-, Zins- und Zirkulationstheorie dieses seltsamen "Akraten" und "Physiokraten" nie mehr ganz los. Selbst dann nicht, als ich während der Jugendrevolte in den 60er Jahren von den faszinierenden Theorien und Aktionen Rudi Dutschkes, Fritz Teufels, Herbert Marcuses und Wilhelm Reichs bewegt und geprägt worden war. Immer, wenn das Problem der Ausbeutung und der Arbeitslosigkeit auftauchte und wenn bei Überlegungen zu alternativen Wirtschaftskonzepten das Zins-, Währungs- und Bodenproblem relevant wurde, tauchte auch Gesells Freiland-Freigeld Theorie aus meinem schlechten Gedächtnis wieder auf. So zum Beispiel während der Berliner Häuserkämpfe 1981 im Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Informationen über die ökonomischen Hintergründe der Sanierungs- und Bodenspekulationen. Gesells Zinstheorie lenkt uns zwangsläufig auf die Tatsache, daß der Geld-, Kapital- und Bodenzins - im wesentlichen ein arbeitsfreies Einkommen für die Kreditgeber und Kapitaleigentümer - 50 bis 80% des Mietpreises für Wohnungen und Gewerberäume ausmacht (s. Grafik 1). Viele Gesell-Anhänger bezeichnen seine Lehre als "Dritten Weg" zur Lösung der "sozialen Frage", jenseits von Privatkapitalismus und Staatssozialismus, was wir beides auch Staatskapitalismus nennen können. Der Altgesellianer Will Noebe grenzt Gesell zusammen mit dem Föderalisten und Zinsgegner P J. Proudhon als "Tauschsozialisten" ab von den Zentralisten und Kommunisten Marx und Engels als "Produktionssozialisten" einerseits und von den staatsbejahenden und pro-kapitalistischen Sozialdemokraten und von dem bürgerlichen Ökonomen John Maynard Keynes als "Interventionssozialisten" andererseits. (1) Tatsächlich läßt sich Gesells Zins- und Zirkulationsanalyse und Freiland-Freigeld-Lehre jenseits der kapitalistisch-liberalistischen wie auch jenseits der marxistisch-zentralistischen und sozialdemokratisch-staatsinterventionistischen Ökonomie einordnen, allerdings auch jenseits demokratisch-kollektivistischer Planwirtschafts-Vorstellungen, wie sie zum Teil in der heutigen Alternativszene und von Anarcho-Kommunisten und Anarcho-Syndikalisten vertreten werden. (2) Mit den Marxisten hat Gesell lediglich die Gegnerschaft gegen den "Mehrwert", die Zinsen, mit den Liberalen lediglich die·Forderung nach ökonomischer Freizügigkeit, nach Marktwirtschft, gemeinsam. Von seiner Stellung zu Keynes wird noch (u. a. in Kap. 6) zu sprechen sein.
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Gesell, der 1862 im deutsch-belgischen Grenzgebiet, in St. Vith, geboren wurde und bis 1930 in Deutschland, Argentinien und in der Schweiz als Unternehmer, Bauer und Agitator seiner Lehre lebte, steht in der Tradition individual- und sozialanarchistischer Ideen und Versuche, die Arbeiter, Bauern und Kleinbürger durch die Brechung des Geld- und Bodenmonopols und aller Produktions- und Handelsbeschränkungen von Armut, Ausbeutung und Wirtschaftkrisen zu befreien. Wie die Proudhonisten, wollte er die Abschaffung der Zinsen und der Konkunkturkrisen durch die Herstellung von ungehindertem Wettbewerb auf der Grundlage autonomer Eigeninitiative und durch die Herstellung von Tausch- und Kreditgerechtigkeit in einem ungestörten, weltweiten Handelsverkehr. Er war, wie sie, gegen Kapital- und Machtkonzentration, für die Beseitigung aller Zollschranken und für internationale Freizügigkeit in der Wahl des Wohn- und Arbeitsortes für alle Menschen dieser Erde an allen Orten unseres Planeten. Und nicht zuletzt war er für die Überwindung der repressiven Sexualmoral und der Erziehung und für die Befreiung der Mütter und Kinder von den materiellen und sozialen Abhängigkeiten im Patriarchat. Zu diesem Zweck wollte er den Boden vergesellschaften und die Bodenrente an die Mütter und Kinder verteilen - eine in dieser Radikalität in der anarchistischen wie in allen anderen sozialen Bewegungen wohl einmalige feministische Forderung (s. Kap. 9). Und er war, wie alle Anarchisten, eingeschworener Staatsfeind. 1881, in der ersten Nummer seiner Zeitschrift Liberty, schrieb der USamerikaische Anarchist Benjamin R. Tucker in dem Artikel 'Unsere Ziele': "Der Staat ist von jemand als 'notwendiges Übel' bezeichnet worden; er muß unnötig gemacht werden. Denn der Kampf dieses Jahrhunderts ist der Kampf mit dem Staat: dem Staat, der den Menschen erniedrigt; dem Staat, der die Frauen prostituiert; dem Staat, der die Kinder verdirbt; dem Staat, der die Liebe einzwängt; dem Staat, der die Gedanken erstickt; dem Staat, der das Land monopolisiert; dem Staat, der den Kredit beschränkt; dem Staat, der den Austausch einengt; dem Staat, der müßigem Kapital die Macht des Wachstums verleiht und vermittels Zins, Rente, Profit und Steuern die tätige Arbeit ihrer Erzeugnisse beraubt." (3) Auch der "Akrat" Gesell sah im Staat den verlängerten Arm des Kapitals und des Grundeigentums, die mit seiner Hilfe die Befreiung von Ausbeutung und Knechtschaft verhindern, und auch er wollte ihn aktiv "abbauen". Fast ein halbes Jahrhundert nach Tucker, 1927, schrieb er im Vorwort zu seiner Utopie 'Der abgebaute Staat': "Der Weg zur Akratie führt selbstverständlich über die Leiche des Kapitalismus, denn der Kapitalismus ist Ausbeutung, und der Ausbeutungsapparat bedarf zu seinem Schutz einer zentralistischen Macht, und diese Macht heißt Staat." (4) Wie bei Tucker, hat auch Gesells Staatsfeindlichkeit ihre Begründung nicht nur in dem Ziel, Herrschaft und Unterdrückung abzuschaffen, sondern ebenso auch darin, durch die Befreiung vom Herrschaftsinstrument Staat die machtpolitischen Voraussetzungen zur Veränderung der ökonofile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (3 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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mischen Verhältnisse zu schaffen. Die wirtschaftlichen Hauptursachen für die sozialen Ungerechtigkeiten sah Tucker - ähnlich wie Gesell - in den "drei Arten von Wucher: Geldzins, Bodenrente und Wohnungsmiete und (im monopolistischen; K. S.) Tauschgewinn". Die Analyse dieser drei Ausbeutungsmittel (im "Mietzins" stecken vor allem Geld- und Bodenzins; s. Grafik 1) beantwortet nach Tucker die Frage, wer jenen Überschuß (Marx: "Mehrwert") erhält, den die Arbeiter produzieren, aber nicht konsumieren: die Geldverleiher, die Grundeigentümer und die Handelsmonopolisten. (5) Von Proudhon... Bei ihrer Argumentation im Kampf gegen Zins, Renten und Monopolgewinne beriefen sich Tucker, William B. Greene, Lyssander Spooner, Arthur Mülberger und andere Individual- und Sozialanarchisten auf den bereits erwähnten französischen Anarchisten und Föderalisten Pierre Joseph Proudhon (1809-1865). Proudhon ist der Begründer einer eigenständigen anarchistischen Wirtschaftstheorie, die Gesell auf den Begriff gebracht hat und deren zentralen Einsichten auch die Grundlagen der Keynesschen Geld-, Zins- und Konjunkturtheorie bilden (wie wir noch sehen werden). (6) Das ist eine bedeutende Tatsache, die von den heutigen Anarchisten völlig übersehen wird. Diese immer noch aktuelle wirtschaftstheoretische Tradition ist mit der Ausbreitung der autoritären, staatssozialistisch-marxistischen Arbeiterbewegung fast völlig verdrängt worden und in Vergessenheit geraten. (7) Proudhons Anliegen war es, die "Gegenseitigkeit" im Verkehr der Menschen wiederherzustellen. In 'Organisation des Kredits und der Zirkulation' schreibt er: "Die Gegenseitigkeit ist in der Schöpfung das Prinzip alles Daseins und in der sozialen Ordnung das Prinzip der sozialen Wirklichkeit, die Formel der Gerechtigkeit." (8) Die Voraussetzung zur Gegenseitigkeit ist seiner Meinung nach die Herstellung der "Tauschgerechtigkeit" im ökonomischen Bereich: der "Mutualismus". Im Gegensatz zum "Produktionssozialisten" Karl Marx (1818-1883), der die Ursachen der sozialen Ungerechtigkeiten und der Wirtschaftskrisen primär in der Produktionssphäre der Volkswirtschaft suchte, führt der "Tauschsozialist" Proudhon Ausbeutung und Krisen ursächlich auf die monopolartige Vormachtstellung des Goldgeldes im Waren- und Kreditverkehr und auf das damit verbundene Ungleichgewicht in der Zirkulationssphäre der Wirtschaft zurück. Nach Meinung Proudhons erfüllt dieser "König des Marktes" seine Tauschfunktion nur unvollkommen: dieses Geld ist nicht nur ein "Schlüssel" zum Markt, sondern ebenso auch ein "Riegel", der sich immer wieder zwischen die Produzenten schiebt und den Austausch ihrer Produkte blockiert. (9) Weil dieses Edelmetallgeld willkürlich aus dem Wirtschaftskreislauf herausgezogen werden kann, entstehen periodisch Nachfragefile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (4 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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lücken. Das hätte zur Folge, daß die Produktion eingeschränkt, Arbeiter entlassen und Unternehmer pleite gehen würden. Außerdem würde das Geld auf Grund seiner monopolartigen Schlüsselstellung in der Zirkulation es seinen Besitzern ermöglichen, einen Zins von jenen zu erpressen, die auf angesammeltes Geld als Kredit angewiesen sind. Diesen Zins muß das Sachkapital erwirtschaften, was bewirkt, daß auch dieses einen Zins abwirft: die Rendite. Da der Boden ein unvermehrbares, monopolartiges, aber außerordentlich wichtiges Produktionsmittel und Gebrauchsgut ist, wirft auch er einen Zins ab: die Rente. Sie fließt den Grundeigentümern zu, gleichgültig, ob sie ihren Boden verpachten bzw. (zusammen mit einer Wohnung oder Gewerberäumen) vermieten oder selbst bewirtschaften. Geldzins, Kapitalrendite und Bodenrente reduzieren einerseits die Arbeitseinkommen und erscheinen andererseits in den Preisen der Produkte und belasten so die Kaufkraft aller Verbraucher. Diesen "Mehrwert" erhalten die Finanzkapitalisten und Eigentümer von Realkapital und Boden als arbeitsfreies Einkommen. Das ist der Kern der proudhonistischen Kapitalismusanalyse. Um die Ausbeutung der Produzenten durch Zins und Rente zu beseitigen und die periodisch wiederkehrenden Wirtschaftskrisen zu verhindern, forderte Proudhon die Sozialisierung der privaten Grundrente, (10) einen auf Dauer geschlossenen Wirtschaftskreislauf und - als zentrales Anliegen seiner Wirtschaftstheorie - die Gleichstellung der Waren einschließlich der Ware Arbeitskraft mit dem Geld. In seinem Hauptwerk 'Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld', dessen erste Auflagen er Proudhon widmete, zitiert Gesell einen entsprechenden Kernsatz Proudhons: "Verschafft der Volkswirtschaft einen geschlossenen Kreislauf, d. h. einen vollkommenen und regelmäßigen Güteraustausch, erhebt Ware und Arbeit auf die Rangstufe des baren Geldes, und die menschliche Gemeinschaft ist gesichert, die Arbeit vernunftgemäß geordnet." (11) Um das Ziel eines geschlossenen Wirtschaftskreislaufs und die Abschaffung des Geldzinses zu erreichen, wollte Proudhon das damalige Goldgeld überflüssig machen. Zu diesem Zweck wollte er den Austausch der Produkte direkt und bargeldlos über eine "Tauschbank" als Clearingstelle und damit gleichzeitig den "zinslosen Kredits" organisieren, was er wegen seiner damaligen Verhaftung jedoch nicht verwirklichen konnte. (Ein Konzept, aus dem die Ökobanker lernen könnten! Doch ihre Ökobank wird wohl eine ebenso kapitalistische werden, wie die Raiffeisenbanken file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (5 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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oder die Bank für Gemeinwirtschaft...) (12) Daß und wie Tauschbanken funktionieren und daß sie Proudhons Ziel, die Zirkulation in Gang zu bringen und den Kreditzins zu reduzieren, tatsächlich erfüllen können, zeigen die Tauschbörsen, die heute wieder in den USA und vereinzelt auch in Europa erfolgreich praktiziert werden. Siegfried Fröhlich berichtet in Capital darüber: "Alle arbeiten nach dem gleichen Konzept: Die Mitglieder - möglichst viele, möglichst unterschiedlicher Branchen - bieten Waren und Dienstleistungen an, ohne dafür Bezahlung in Geld zu verlangen. Für jede Lieferung oder Leistung an ein Mitglied erhalten sie statt dessen eine Gutschrift auf ihrem Konto bei der Tauschhandelsfirma. Im Gegenzug können sie Waren oder Dienstleistungen jedes beliebigen anderen Mitglieds in Anspruch nehmen, ohne dafür bar bezahlen zu müssen. Lediglich ihr Tauschkonto wird entsprechend belastet. Doch auch, wenn das Konto noch keine Gutschrift aufweist, können Mitglieder kaufen: Je nach Bonität erhalten sie auf ihrem Konto einen Kredit in Tauscheinheiten eingeräumt, den sie über eine spätere Leistung ausgleichen können. Das Tauschsystem verbindet für die Mitglieder zwei Vorteile miteinander: Benötigte Waren oder Dienstleistungen können statt mit knappem Bargeld oder teuren Bankkrediten mit eigenen Waren oder Dienstleistungen bezahlt werden. Dies wiederum bringt zusätzlichen Umsatz, der sonst - wenn überhaupt - nur über kostspielige Werbung zu erreichen wäre. Leistungsfähige Computer besorgen die Kontoführung und speichern vor allem Angebote und Bedarf aller Mitgliedsfirmen, so daß potentielle Geschäftspartner in Sekundenschnelle zusammengebracht werden können." (13) Hugo Godschalk und die Zeitschrift 'Impulse' berichten, daß heute mehr als 100.000 Unternehmen mit einem geschätzten Umsatz von 12 bis 200 Milliarden Dollar bzw. von 30 Milliarden Dollar Umsatz in den USA in Barter-Clubs organisiert sind. In der Bundesrepublik gibt es vier Tauschbörsen: in Witten, Köln, Herford und Hamburg. In der Schweiz besteht seit 1934 die von dem Gesell-Anhänger Werner Zimmermann und dem Reformhaus-Kaufmann Paul Enz gegründete Wirtschaftsring-Genossenschaft (WIR). (14) Ihre realen Tausch- und Krediterfolge widerlegen die auch von Gesell erhobene Behauptung, die Proudhonsche Tauschbanken Theorie sei nicht funktionsfähig und in der Praxis gescheitert. (15) ... zu Gesell Vom gleichen zins- und zirkulationstheoretischen Ansatz wie Proudhon, aber von einer genaueren Begründung der Vormachtstellung des Geldes
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ausgehend, hat Gesell eine weniger umständliche und kostspielige Lösungsmöglichkeit des Zins- und Zirkulationsproblems aufgezeigt. Er hat Proudhons Forderung, Produkte und Arbeitskraft auf die Rangstufe des Geldes hinaufzuheben (weil kaum möglich), umgekehrt, sein Konzept gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt: er fordert (weil technisch leichter realisierbar) die Herabsetzung des Geldes auf die Rangstufe der Ware und Arbeit. Er will das mit einem Geld erreichen, das ebenso wie die Waren einem "Schwund" und damit ebenfalls einem Angebotszwang unterliegt wie alle übrigen im Tauschverkehr relevanten Waren einschließlich der Ware Arbeitskraft. Die Kaufkraft seines Nominalwertes soll jedoch stabil bleiben. Er glaubt, auf diese Weise das Geld, das heute auch Spar- und zinserpressendes·Kreditmittel ist, auf seine Funktion als Wertmaßstab und Tauschmittel beschränken, mit der Ware gleichstellen und den kontinuierlichen Warenverkehr herstellen zu können. Gesell leitet seine Forderung nach einem "Schwundgeld", einem Geld mit Durchhaltekosten, aus seiner über Proudhons Einsichten hinaus entwickelten Geld- und Warenanalyse ab. Wie Proudhon ist auch er der Meinung, daß das Geld gegenüber den übrigen Waren eine Vormachtstellung einnimmt. Nach Proudhon liegt diese "königliche" Stellung in seiner Funktion als "Schlüssel" zum Markt, aber auch als "Riegel" der Zirkulation. Nach Gesell liegt diese Vormachtstellung außerdem in der Tatsache begründet, daß sich Geld und als Geld fungierendes Edelmetall - anders als die durch Gold- und Papiergeld auszutauschenden Waren - wegen fehlenden (Wert-)"Schwundes", wegen, wie der bürgerliche Ökonom John Maynard Keynes sagt: fehlender "Durchhaltekosten", "horten" (verschatzen) läßt und deshalb als "Riegel" in der Zirkulation fungiert. Ein simpler Vergleich von Geld und Ware macht diesen außerordentlich wichtigen Unterschied deutlich: Der Bauer muß seine Produkte möglichst schnell auf den Markt bringen, weil sonst die Verluste durch Mäusefraß, Fäulnis usw., also durch den Warenschwund, zu hoch werden. Der Händler muß seine Konserven, Kleider usw. möglichst schnell verkaufen, um die Lagerungskosten niedrig zu halten, um wegen des Modewandels nicht auf seinen Waren sitzenzubleiben usw Der Fabrikant muß seine Maschinen produzieren lassen, um ihre Stand- und Wartungskosten etc. durch den Verkauf ihrer Produkte abdecken zu können und um mit dem Zeitdruck der technischen Entwicklung neuer, wirtschaftlicherer Produktionsmittel durch rechtzeitige Abschreibung der vorhandenen Anlagen schrittzuhalten. Insbesondere der Lohnarbeiter muß als Eigentümer seiner Arbeitskraft diese auf dem Arbeitsmarkt anbieten, wenn er und seine Familienangehörigen nicht materielle Not leiden oder gar verhungern sollen. Selbst der Hauseigentümer hat Instandhaltungskosten etc. Außer dem Boden ist nur noch eine Ware, und dazu noch jene, die als Tauschvermittler aller übrigen Waren fungieren soll, diesem Angebotsdruck auf file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (7 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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dem Markt (von einer Inflation abgesehen) nicht (oder vergleichsweise geringfügig) unterworfen: das heutige Geld Gold- und Silbergeld rostet nicht; es kann ohne nennenswerte Kosten in Truhen verschatzt, in Matratzen versteckt und unter alten Bäumen vergraben und bei Bedarf wieder hervorgeholt werden. Heute kann auch Papiergeld in Kassen und Tresoren "vergraben" werden; die Kosten dieser Spar-, Hortungs- und Kassenhaltungsmethode sind nicht höher als die der primitiven Schatzgräberei. Sie erfordern schlimmstenfalls eine einmalige Ausgabe für die Installation eines Tresors. Sie stehen jedenfalls in keinem angemessenen Verhältnis zu den Durchhaltekosten, die die allermeisten Waren verursachen, die mit diesem Geld untereinander ausgetauscht werden sollen und für die Zirkulation relevant sind. Das gilt insbesondere für die Ware Arbeitskraft. Alle beutigen Geldformen (Bar und Buchgeld) einerseits und alle übrigen Waren andererseits unterscheiden sich also auf Grund ihrer unterschiedlichen physischen Natur folgendermaßen: Die Werterhaltung der Waren erfordert (der Lagerungzeit und Warenart entsprechende) Durchhaltekosten, die Werterhaltung des Geldes erfordert keine. (16) Dieser qualitative Vorteil der fehlenden Durchhaltekosten bei Geld verschafft diesem Wirtschaftsfaktor einen ganz eintscheidenden "Bonus" (Keynes) auf dem Markt: Er führt über den Kreditmarkt quantitativ zu einer leistungsungerechten Einkommensverteilung in der Volkswirtschaft zu Gunsten der Besitzer von angehäuften Tauschmitteln. Nach Gesell deshalb, weil die fehltenden Durchhaltekosten es den Geldbesitzern ermöglicht, dieses so lange zurückzuhalten, bis ihnen ein arbeitsfreies Einkommen in Form des Zinses von jenen produktiven Kreditnehmern angeboten wird, die auf diese Geldhorte angewiesen sind, um Investitionen und Handel tätigen, um arbeiten und leben zu können. Die Höhe des Zinssatzes wird durch die Höhe jener Kosten begrenzt, die andere Tausch- und Kreditformen erfordern, auf die die Wirtschaftssubjekte ausweichen können. Dazu gehören die Proudhonschen Tauschbanken ebenso, wie das Gesellsche "Freigeld". Der Geldverleih durch oligopolistische Großbanken, mehr noch das Geldschöpfungsmonopol einer Zentralbank, die (Diskont-)Zinsen verlangt, und - was kaum beachtet wird - das gegenwürtige Geld ohne Durchhaltekosten treiben den Zinsfuß nach oben. Keine moralische Empörung altgriechischer Philosophen, kein christliches, jüdisches oder moslemisches Zinsverbot, keine "Volkserziehung, wie sie der NS-Möchtegern-Zinsbrecher Feder gefordert hat, kann die privaten Geldbesitzer zwingen, den Kreditnehmern "seine", in Wirklichkeit gesellschaftlichen, durch einen Hoheitsakt des Staates bzw. der Notenbank ins Leben gerufenen Tauschmittel ohne einen Tribut zur Verfüfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (8 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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gung zu stellen. Nicht einmal der Hunger kann große Geldschätze in die Zirkulation zurücktreiben, denn die Superreichen brauchen nicht an die Substanz ihrer Millionenvermögen zu gehen, um ihren Hunger zu stillen. Diejenigen jedoch, die auf dieses öffentliche Zirkulationsmittel angewiesen sind, müssen die privaten Geldbesitzer mit Konsumanreizen - was bei Millionenvermögen irrelevant ist - oder mit diesem Tribut namens Zins - ködern, damit die Geldbesitzer dieses öffentliche Zirkulationsmittel herausrückt und der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung stellen. Die Möglichkeit der straflosen Hortung dieses gesellschaftlichen Zirkulationsmittels durch Private ist nach Gesell die Ursache für die Möglichkeit, ein arbeitsfreies Einkommen in Form des Zinses zu erpressen, und die Ursache für die periodischen Unterbrechungen der Zirkulation und den damit verbundenen Möglichkeiten der Anhäufung müheloser Einkommen mittels Währungsspekulationen. Aber auch der Zins selbst, so hat Gesell herausgefunden, führt zu Konjunkturschwankungen und Wirtschaftskrisen. Geld und Geldzins, lehrt die anarchistische Zirkulationstheorie, sind wesentliche Ursachen für Ausbeutung, Krisen und Kapital- und Machtkonzentration (s. Kap. 2 u. 3). Und heute wissen wir, daß der Zins auch ganz wesentlich zum Wirtschaftswachstum und damit indirekt zur Umweltzerstörung beiträgt. Selbstverständlich ist nur der Anteil am Kreditzins arbeitsfreies Einkommen, der übrig bleibt, wenn die Kreditverwaltungskosten, die Risikoprämie und (gegebenenfalls) die Inflationsrate abgezogen worden sind. (82) Gesell nennt diesen Zinsanteil, dessen Höhe er mit 3 bis 4% angibt, den "Urzins". (17) Den logischen Beweis für seine Zins- und Kapitaltheorie hat Gesell in der Natürlichen Wirtschaftsordnung mit seiner Robinsonade geliefert (18) (s. Text 3). Ganz im Sinne Proudhons zeigt er dort auf, daß in einer geldlosen Tauschwirtschaft der Gläubiger beim Verleihen von Produkten vom Schuldner keinen (Ur-)Zins erpressen kann und daß es dort somit auch keinen Kapitalismus und ("Freiland" vorausgesetzt; s. Kap. 8 u. 9) keine Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft durch andere geben kann. Wenn jemand sparen muß, um später notwendige Investitionen tätigen zu können (z. B. im Falle Robinsons, der für drei Jahre Lebensmittel zur Verfügung haben muß, weil er in dieser Zeit einen Kanal bauen will und so lange keine Zeit hat für die Jagd und den Ackerbau), dann ist es bereits zum Vorteil für den Kreditgeber, wenn er vom Schuldner lediglich die Menge und Qualität an Gütern zum vereinbarten Zeitpunkt zurückerhält, die er diesem geliehen hatte: der Gläubiger spart dann die Durchhaltekosten für seine Ersparnisse, die auftreten würden, wenn er diese Güter aufbewahren müßte. Der Schuldner andererseits braucht keine Mehrarbeit für Zinsen zu leisten; er zahlt lediglich das zurück, was er erhalten hat. Da er den Kredit umgehend verbraucht, wird auch der Schuldner kaum mit Durchhaltekosten belastet. Beide ziehen also einen Vorteil aus file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (9 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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dem Kreditgeschäft, aber keiner beutet die Arbeitskraft des anderen aus: Arbeitswert wird gegen gleichen Arbeitswert ausgetauscht. In diesem "tauschgerechten" Wirtschaftskreislauf gibt es nicht nur keinen "Riegel", der den Güteraustausch blockiert und Arbeitslosigkeit erzeugt, sondern auch keinen den Produzenten vorenthaltenen "Mehrwert". Um Tauschgerechtigkeit und einen ungestörten Güteraustausch sicherzustellen, bedarf es jedoch nicht der Abschaffung des Tauschmittels Geld. Mit seiner qualitativen Unterscheidung von Geld einerseits und allen übrigen (für den Tauschverkehr relevanten) Waren andererseits gibt Gesell eine Begründung für die Riegel- und Ausbeutungsfunktion des Geldes, die eine andere sozialökonomische Therapie ermöglicht, als sie Proudhon mit seinem Tauschbank-Konzept vorgeschlagen hat: das Schwundgeldund Festwährungs-Konzept. Das werde ich später (Kap. 4, 5 u. 6) darstellen. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmesituationen, in denen der Eigentümer von Produkten und Produktionsmitteln aus ihnen einen Sondergewinn, wie z. B. in Kriegs- und Krisenzeiten, bei Naturkatastrophen, schlechten Ernten oder in der besonderen Notlage von einzelnen Menschen (19), herausschlagen kann. Doch dort, wo Freizügigkeit und unbeschränkter Wettbewerb herrschen, wo keine künstlichen (heutiges Geld, Zölle, Steuern, Subventionen, zeitlich unbeschränkter Schutz von Erfindungen usw. ) und keine natürlichen (beschränktes Angebot des Produktions- und Gebrauchsmittels Boden und seiner Schätze und Naturkräfte) Monopole bestehen bzw. unvermeidliche Monopolgewinne (Bodenrente) sozialisiert werden und wo es keine Konjunkturkrisen gibt, verschwindet die Ausbeutung der Arbeitskraft durch Zinsen, Renten, Spekulationsgewinne und andere Extraprofite. Auf einem geldlosen Waren- und Kreditmarkt werfen Produkte und Dienstleistungen und von Menschenhand geschaffene Produktionsmittel langfristig und im Durchschnitt keine Rendite ab und sind daher (unter diesen Bedingungen) kein Kapital. Erst mit der Einführung des Privateigentums an Grund und Boden (s. Kap. 8) und des hortbaren Geldes - eines Tauschmittels, das gleichzeitig Spar- und Kreditmittel sein kann - entstanden der Geld-, Kapitalund Bodenzins, die wesentlichen Ursachen für die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft durch einige wenige Schmarotzer und für Konjunkturkrisen. Gesell verurteilt also nicht das Geld in seiner nützlichen Funktion als Tauschmittel (und Wertmaßstab), sondern jenes Geld, das als Riegel der Zirkulation und als Mittel der Ausbeutung durch den Zins fungieren kann. Er will das Geld ebensowenig abschaffen wie den Boden; er will den Boden und die Bodenrente vergesellschaften und das Geld unter Umlauf zwingen, es entprivatisieren und entkapitalisieren: ein "Geld ohne Mehrwert" (Dieter Suhr (67)) schaffen. Das glaubt er mit Durchhaltekosten für Geld, mit einer Hortungsgebühr, einer Art "Geldsteuer", die als "negativer Zins" die Geldhortung und Zinserpressung verhindert, erreifile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_1.htm (10 von 11) [15.02.2002 19:39:15]
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chen zu können (dazu Näheres in den Kap. 4, 6 u. 7). Gesells Geld-, Zins-, Zirkulations- und Bodentheorie sind der vorläufige Endpunkt einer eigenständigen anarchistischen Wirtschaftstheorie. Weiterentwickelt, könnte sie vielleicht die gleiche Bedeutung für den libertären Sozialismus gewinnen, wie sie Marxens unvollständige Kapitalismusanalyse bedauerlicherweise für den gescheiterten autoritären Staatssozialismus gehabt hat, der nichts anderes bewirkt hat, als den Kapitalismus als Staatskapitalismus zu reproduzieren. Voraussetzung ist allerdings, daß wir begreifen, daß das Geld- und Zinsproblem und das Privateigentum an Grund und Boden keine Lappeleien sind, die wir beim Aufbau alternativer Wirtschaftsformen und im Kampf für eine neue Gesellschaft folgenlos vernachlässigen könnten.
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
2. Der Zins - ein soziales, ökonomisches und ökologisches Problem "Der Doktor Price hat berechnet, daß eine Dezime vom Anfang der christlichen Zeitrechnung bis zum Jahre 1772 auf Zinseszins angelegt mehr Gold machen würde, als 150 Millionen Kugeln von der Größe der Erde enthalten könnten." "Als der Doktor Price und sein Schüler Pitt ihre Berechnungen über den Zins auf Zins aufstellten, bemerkten sie nicht, daß sie den Widerspruch des Kredits mathematisch bewiesen." P. J. Proudhon Obwohl der Zins im Mittelpunkt der anarchistischen Kapitalismuskritik steht, und obwohl Geld-, Kapital- und Bodenzins auch in der marxistischen Wirtschaftstheorie unter dem Begriff Mehrwert eine zentrale Stellung einnehmen, (20) wird der Zins von heutigen Linken, einschließlich Anarchos, weitestgehend ignoriert. Doch ohne die "Brechung der Zinsknechtschaft" (einst zündende NS-Parole; s. Kap.13) läßt sich keine soziale Revolution machen, keine ökologische Gesellschaft aufbauen, noch nicht einmal ein krisenfester und ausbeutungsfreier Selbstverwaltungsbetrieb eröffnen (wie in Kap. 12 gezeigt wird). Zinsbelastung der Mieten Ich habe bereits im vorhergehenden Kapitel auf die Bedeutung des Zinses für die Belastung der Mietpreise hingewiesen. Dieser vorsichtig gerechnete 50 - bis 80%ige Geld-, Kapital- und Bodenzins-Anteil belastet eine monatliche unsubventionierte "Kosten"miete von 1.000 DM mit 500 bis 800 DM. Bei einem Nettoeinkommen des Mieters von 2.000 DM im Monat bedeutet allein der Zinsanteil an der Miete eine Belastung von 25 bis 40% seines verfügbaren Einkommens.
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Dieser hohe Zinsanteil am Mietpreis ist allerdings, im Verhältnis zu anderen Preisbelastungen, besonders hoch und er bezieht sich auf den Brutto- oder Kreditzins (eigentlicher, ursprünglicher Zins plus Kreditverwaltungskosten, Risikoprämie und gegebenenfalls Inflationsausgleichsanteil (82)). Aber selbst wenn wir diesen Bruttozinsanteil halbieren, müssen die Mieter für eine eher kleine Wohnung mit einer Miete zum "Kosten"preis von 1.000 DM immer noch 250 bis 400 DM Monat für Monat zu viel an einen parasitären Geldgeber und Grundeigentümer abdrücken. Denn dieser Nettozins ist ein arbeitsfreies Einkommen für den Finanzier des Hauses bzw. den Kapital-(Haus-) und Grundeigentümer (soweit dieser nicht verschuldet ist und Zinsen an den Geldgeber zahlen muß; die verschuldeten Eigenheimbesitzer leiden selbst unter der Zinsknechtschaft, werden allerdings durch Steuervergünstigungen auf Kosten anderer subventioniert (20a)). Der Einwand von Ökonomen und Politikern, die Zinsen wären notwendige Liquiditätskosten und kein Problem für die Mieter, da die "sozial Schwachen" Mietbeihilfen erhalten, dient der Verschleierung dieses Sachverhalts im Interesse des Kapitals. Denn erstens sind Geldzinsen nur Kosten im kapitalistischen Geldsystem und können durch ein anderes Tauschmittel (und/oder Kreditsystem (21)) auf Null bebracht werden (s. Kap. 4 u. 6), und die Bodenrente läßt sich umverteilen (s. Kap. 9). Zweitens bedeutet eine Subventionierung der Mietzahlungen durch Staatszuschüsse nichts anderes, als daß die Mieter als Steuerzahler diese hohen Mieten zu einem großen Teil aus eigener Tasche bezahlen und es so den Geldanlegern und Kapitaleigentümern außerdem ermöglichen, ihre zu teuren Wohnungen ohne Preisnachlaß vermieten zu können. Mietzuschüsse stabilisieren die hohen Mieten und Zinsen, sind also letztendlich keine mieter-, sondern eine kapitalistenfreundliche Politik. Daß der Zinsanteil am Mietpreis besonders hoch ist, liegt am hohen Kapitalwert einer Wohnung und den entsprechenden Kapitalkosten: den hohen Kreditzinsen, im Verhältnis zu den niedrigen Unterhalts- und Abschreibungskosten dieses Kapitals. Wenn wir einmal davon ausgehen, daß die Bau- und Grundstückskosten einer 3-Zimmer Wohnung eine Geldanlage von 200.000 DM erfordern, die - niedrig gerechnet - mit 6% verzinst werden muß, dann betragen die Zinskosten für diese Wohnung 12.000 DM im Jahr oder 1.000 DM im Monat. Bewirtschaftungskosten (Kosten für Verwaltung, Instandhaltung und Betrieb), Mietausfallwagnis und Tilgung des Kredits (auf 80 Jahre verteilt) machen, wie Helmut Creutz' Grafik 1 zeigt, rund ein Drittel der gesamten Miete aus, also 500 DM. Ohne Zinsen könnte der Mieter in dieser Wohnung statt für 1.500 für 500 DM wohnen. Bei einer zinsbelasteten 200.000 DM teuren Wohnung würde jedoch jede Zinserhöhung um 1 Prozent eine Mieterhöhung von 166, 67 DM im Monat bedeutet.
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All jenen "Kämpfern" an der Mieterfront, die diese Zinsausbeutung der Mieter ignorieren, sollten wir mit äußerstem Mißtrauen begegnen! Diese "Genossen" sind objektiv die Bundesgenossen des Kapitals, auch dann, wenn sie Mietzuschüsse oder Mietpreisbindungen fordern. Zuschüsse ändern nichts und Preisbindungen ändern kaum etwas an den Kosten der Wohnungen, solange nicht der größte Kostenfaktor: der Zins, verschwindet. Durch Mietpreisbindungen werden allenfalls die Renditen von Altbauten und die Bodenrenten reduziert. Doch der Kreditzins für den Bau neuer Wohnungen sinkt deshalb noch lange nicht, und solange es Zinsen gibt und Zinsen gezahlt werden müssen, wird irgend jemand die Zinskosten tragen müssen: der Mieter direkt im hohen Mietpreis oder er und andere indirekt über Steuerbelastungen zwecks Subventionierung der Mietzahlungen. (21a) Zinsbelastung der Preise Zur Zinsbelastung des Mietpreises kommt die Zinsbelastung aller übrigen Preise hinzu. Nach Creutz betrug der durchschnittliche Zinsanteil an den Preisen aller Waren, von der Mietwohnung bis zum Hosenknopf, 1982 26 bis 28%, also mehr als ein Viertel (s. Grafik 2). (22) Das heißt, daß der Leser für jeden halben Liter Bier, den er in seiner Kneipe trinkt, eine runde Mark Geld-, Boden- und Kapitalzins an den Haus- und Grundbesitzer bzw. an dessen Bank und an die Bank seines Gastwirts bezahlen muß. Bei jedem Schluck dran denken! Wohl bekomms! Wie gesagt, müssen wir beim Kreditzins zwar die ein bis zwei Prozent Kreditverwaltungskosten und Risikoprämie vom Brutto-Zins abziehen; (82) die ebenfalls in den Warenpreisen enthalten sind; sie machen jedoch nur einen Bruchteil der gesamten Zinsbelastung aus. Die Frage ist allerdings, ob wir auch die im Bruttozins enthaltene Inflationsrate von der nominellen Zinsbelastung abziehen müssen. Der Sparer hat sicherlich ein Recht darauf, am Ende der Kredithergabe die volle Kaufkraft seiner Ersparnis zurückzuerhalten: Die Inflationsrate hat jedoch - unabhängig vom Sparer - etwas mit einer Geldschöpfung zu tun, die über das Wachstum des Warenangebots hinausgeht und nicht nur von der staatlichen Notenbank, sondern auch von Privatbanken betrieben wird und etwa das vierfache ihrer Einlagen ausmacht. Die Buchgeldschöpfung mittels Kreditschöpfung bereichert die Banken um selbstgeschaffenes Geld, mit dem sie zusätzlich Profit machen, indem sie dieses ebenfalls gegen hohe Zinsen ausleihen. (23) Diese von den Banken verursachte und auf die Kreditkosten draufgeschlagene Inflationsrate und die Zinsen für das selbstgemachte Buchgeld muß der Kreditnehmer mit dem entsprechend erhöhten Zinsfuß und den zusätzlichen Buchgeldzinsen und der Verbraucher und Mieter mit einer Waren- und Mietpreisbelastung bezahlen, deren Zuwachs ein Vielfaches der gestiegenen Zinsrate ausmacht.
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In unserem obigen Mietpreis-Beispiel würde eine Zinssatzerhöhung von 1% wegen einer Inflationsrate in gleicher Höhe eine Mietpreiserhöhung von über 11 % bedeuten, also weit mehr als das Zehnfache! Bei vollem Ausgleich der in vergangenen Jahren existierenden Inflationsrate von etwa 5% durch eine 5prozentige Zinsfußerhöhung betrüge der entsprechende Mietaufschlag auf den oben genannten Mietpreis von 1.500 DM 833 Mark im Monat. Das ist eine Mietpreiserhöhung von 55,5%! Zinsbelastung der Produzenten durch Verschuldung Der Zinsanteil bleibt nicht bei einem Viertel des Warenpreises stehen. Der Zins ist, wie Creutz in seinen ausgezeichneten Zinsanalysen zeigt, eine gewaltig wachsender Profitquelle in der Wirtschaft. Zum einen wegen der zunehmende Verschuldung der Unternehmer, des Staates und der Verbraucher. In der BRD stieg sie (ohne Auslandsverschuldung, direkte Kreditgewährungen, Kredite zwischen Unternehmern und Privathaushalten, Kundenkredite und gewerblich vermittelte und privat aufgenommene Kredite) von 1950 bis 1982 von 66 Milliarden auf rund 2.760 Milliarden DM (produktive Unternehmer: 1.976 Mrd., Staat: 630 Mrd. DM, private Haushalte: 157 Mrd. DM). Dadurch stieg die jährliche durchschnittliche Schuldenzinslast der privaten ,Haushalte von 1950 bis 1982 von 2.600 (bei einem Durchschnitts-Zinsfuß von 6%) auf 41.360 DM (Zinsfuß: 8,6%) und damit von 6 auf 23% des verfügbaren Haushaltseinkommens. Nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes betrugen die von Unternehmern, Staat und Privathaushalten 1982 allein an das inländische Finanzkapital (Banken, Versicherungen, private Darlehensgeber, Aktionäre usw. ) geleisteten Zinsen (bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 7,7%) 148,6 plus 43,9 plus 19,5, insgesamt 212 Milliarden DM. Wenn wir die Zinslasten statt nach Wirtschaftssektoren nach Schuldenarten (Bankkredite, Darlehen der Bausparkassen und Versicherungen, festverzinsliche Wertpapiere, Aktien usw. ) berechnen (und dabei auch noch "die unteren Grenzsätze" aus Bundesbankveröffentlichungen und anderen statistischen Unterlagen heranziehen), dann kommen wir sogar auf einen Zinsfuß von durchschnittlich 8,8% und eine Geldzins-Belastung von 243 Milliarden DM in einem Jahr. (24) Auch die Zinsbelastungen der Steuerzahler durch die wachsende Staatsverschuldung nimmt ständig zu (s. Grafik 3). Diese Entwicklung zum Nutzen des Finanzkapitals ändern linke Regierungen ebensowenig wie konservative. In der Zeitschrift 'Kommune' lesen wir, daß z. B. "die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung der öffentlichen Verschuldung den weitaus größten Einzelposten des Bremer Haushalts bilden (mehr als Bildung, Wissenschaft, Kunst und soziale Sicherung zusammen)". (25) - In Bremen regieren seit Jahrzehnten die Sozialdemokraten, und eine Koali-
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tion mit den Grünen würde daran sicherlich auch nichts ändern... Zu fragen wäre, ob nicht auch die kleinen Sparer vom Zins profitieren und ob nicht ein Ausgleich zwischen Kapitalisten und arbeitenden Menschen stattfindet. In der Bundesrepublik deckten die 3 bis 4% Habenzinsen p. a. jahrzehntelang noch nicht einmal den Kaufkraftverlust der Ersparnisse von 4 bis 7% im Jahr durch die schleichende Inflation ab (26) (vom Inflationsverlust von mehr als 90% der Ersparnisse während des Zweiten Weltkriegs ganz zu schweigen). Selbst jene, die ein reales Zinseinkommen beziehen, zahlen durch die Zinsbelastung der Güter, die sie kaufen oder mieten, wie z. B. ihre Wohnung (s. oben), meist weitaus mehr Zinsen als sie erhalten. Nur eine kleine Minderheit profitiert vom Zins. Die Armen in der Dritten Welt können sich gerade wegen der Zinsbelastungen ihrer Länder noch nicht einmal sattessen, geschwiege denn auf Zinsen sparen. Zinsbelastung im "realen Sozialismus" und in der "Dritten Welt" In der Zweiten und Dritten Welt sind die Schulden und die entsprechenden Zinslasten bereits zum Problem des Staatsbankrotts geworden und führen, oft im Zusammenhang mit Bodenrechtsproblemen, zu sozialrevolutionären Bewegungen und blutigen Rebellionen. Als das "realsozialistische" Polen noch mit 26 Milliarden Dollar im kapitalistischen Ausland verschuldet war, mußten die Polen monatlich 200 Millionen Dollar Zinsen für das Finanzkapital aufbringen. Das, berichtet Creutz, machtnach dem offiziellen Wechselkurs - ein Siebtel des dürftigen Einkommens eines polnischen Arbeiters aus. (27) Viele Länder konnten ihren Zinsverpflichtungen nur noch durch die Aufnahme neuer Kredite nachkommen, was verniedlichend "Umschuldung" genannt wird, in Wirklichkeit aber Aufschuldungen ist - wiederum gegen Zinsen, versteht sich! Von einer Rückzahlung der Kredite ist gar nicht mehr die Rede, was den Banken nur recht ist, solange die Zinsen gezahlt werden. Doch im Februar '87 stellte Brasilien auch seine Zinszahlungen ein - faktisch eine Staatsbankrotterklärung. (28a) In neun Jahren, von 1977 bis 1986, sind die Auslandsschulden der sogenannten Entwicklungsländer um fast das dreifache, von 334 auf 967 Milliarden und die Zinslasten auf das 4,6fache, von 15,3 auf 70,3 Milliarden US-Dollar angestiegen - und steigen weiter: Anfang '87 betrugen die Schulden bereits 1.000 Milliarden, 1988 1.200 Milliarden Dollar, und seit 1980 übersteigen die Zins- die Tilgungsraten. (28) Die jährliche Zinslast ist auf rund 100 Milliarden Dollar geklettert, für die leistungsschwachen "Entwicklungsländer" eine beachtliche Summe... 1987 forderten nicht nur Linke Schuldenerlaß. Gut so! Doch was ge-
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schieht, wenn die Länder sich erneut verschulden, der Zins aber nicht überwunden worden ist? - Erneute Zinsknechtschaft! Belastung der Produzenten durch den gesamten "Mehrwert" Zum Geldzins kommt die Belastung durch die Kapitalrendite und Bodenrente hinzu. Ohne das privat genutzte Eigenkapital (wie z. B. der Oma ihr klein Häuschen mit Gemüsegarten) forderte 1982 das schuldenfreie Realkapital einschließlich Boden im Werte von 3.800 Milliarden DM (bei einer Realverzinsung plus Risikoprämie von durchschnittlich 4,5% und ohne Bodenwertzuwachs; s. Kap. 8) 170 Milliarden DM an Kapital- und Bodenzinsen. Zusammen mit dem Geldzins ergab das ein gesamte Zinsbelastung von mindestens 410 Milliarden DM und einen Anstieg der Zinsbelastung des Bruttosozialprodukts (BSP) von 1950 bis 1982 von 13 auf 26% (s. Grafik 4). Mit den Auslands-Zinsschulden ergibt das sogar eine Zinssumme von 460 Milliaren DM und eine Zinsbelastung von 29% des Bruttosozialprodukts (1.600 Mrd.), 38% des Volkseinkommens (1.226 Mrd.) und von 44% der verfügbaren Haushaltseinkommen (1.048 Mrd.). (29) Auf die Inland-Zinserträge bezogen, haben - als bereits 2 Millionen Menschen arbeitslos waren und Sozialhilfen gekürzt wurden - wenige Finanzkapitalisten 180 Milliarden und eine handvoll Sachkapitaleigentümer 170 Milliarden, zusammen 350 Milliarden DM in einem Jahr an arbeits- und leistungslosen Gewinnen abgezockt (160) (vergl. Bankzinserträge und Arbeitslosigkeit, Grafik 5). Wie sich der Zinsanteil am Sozialprodukt bei unterschiedlichem Zinsfuß verändert, zeigt Creutz, wenn er vorrechnet, daß ein Zinssatz von 2,5% das Bruttosozialprodukt der BRD von 1982 nur mit 10 statt 26%, ein Zinssatz von 10% jedoch mit 42,5% belastet hätte (s. Grafik 11). Er zeigt, daß "ein Prozent Kapitalzinssenkung (den Lohnempfängern) fast den gleichen Vorteil (bringt) wie 8 1/2 Prozent Lohnerhöhung"! (30) Hier wird deutlich, daß der Streit zwischen Oskar Lafontaine und einigen Gewerkschaftsführern über die Frage: Arbeitszeitverkürzung mit oder ohne Lohnausgleich? Schaumschlägerei ist: er bewegt sich auf der Grundlage des Kapitalismus - denn keiner der Kontrahenten tastet den "Mehrwert" an. Folglich wird es nur dort Lohnausgleich geben, wo es der Produktivitätszuwachs und die kapitalistischen Marktverhältnisse zulassen, und dort keinen Lohnausgleich geben, wo die Arbeitszeit über diesen Produktivitätszuwachs hinaus gekürzt wird. Wie leicht ließen sich jedoch Arbeitszeitverkürzung ohne Kaufkrafteinbußen für die Lohnempfänger verwirklichen, wenn der Zinsfuß auf Null reduziert werden würde!
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Exponentiell wachsende Kapitalkonzentration durch Zinseszins-Akkumulation Besonders gravierende Probleme ergeben sich aus der sogenannten Zinseszins-Akkumulation. Sie sorgt mit ihrem Beschleunigungseffekt für eine noch extremere, weil zunehmende Einkommensumverteilung zu Gunsten der Zinsparasiten mit einem zunehmendem Wachstum ihrer Geldund Kapitalvermögen und damit für eine immer schneller wachsende, gewaltige Kapital- und Machtkonzentration in den Händen einiger weniger Plutokratenfamilien. Dieses exponentielle Wachstum können wir mit der Zinseszins-Rechnung selbst nachvollziehen: Wenn ein Kapitalist heute 10 Millionen DM in Wertpapiere anlegt, 5% reale Zinsen (Nominalzins minus Inflationsrate) im Jahr erhält und diese ebenfalls auf 5% Realzinsen anlegt, dann hat sich die reale Kaufkraft seines Geldvermögens in 14 Jahren auf 19.799.500 DM erhöht, also knapp verdoppelt. Das Grundkapital und die Zinsen immer wieder auf 5% Realzins angelegt, verdoppelt sich seine Kaufkraft in weiteren 14 Jahren auf 40 Millionen und so fort. In einem knappen Menschenalter - in 70 Jahren - ist dieses Vermögen von 10 Millionen DM - ohne Arbeitsleistung - auf die stolze Summe von fast 320 Millionen angewachsen. Aus einem Zinseinkommen von ursprünglich einer halben Million im Jahr ist in 70 Jahren ein Zinseinkommen von 16 Millionen im Jahr oder 1,3 Millionen DM im Monat geworden. Bei 7% würde sich dieses Vermögen und sein Zinsertrag bereits in 10, bei 10% Zinseszins in 7 Jahren verdoppeln! Davon können Malocher und Sozialhilfeempfänger nur träumen... In unserem theoretischen Beispiel geht es um vergleichsweise "kleine" Summen, die Wirklichkeit bringts greller. Der Spiegel (31) berichtet, daß das Vermögen des ehemaligen Kaufhaus-Königs Helmut Horten von 1969 bis 1984, also in 15 Jahren, auf das fast dreifache - von 1,2 auf 3,5 Milliarden DM - anwuchs und durch Zinsen, Renten und Spekulationsgewinne jährlich um weitere 300 Millionen DM wächst. Damit erhält eine Person aus der Arbeit anderer ein leistungsloses Monatseinkommen von 25 Millionen DM! Davon wird Horten jedoch beileibe nicht mindestens die Hälfte weggesteuert, wie es das Einkommenssteuergesetz vorschreibt. Von diesem 300 Millionen Kapitalgewinn zahlt Horten ganze 8 Millionen DM im Jahr Steuern an die Schweizer öffentliche Hand. Das ist eine Einkommenssteuerbelastung von knapp 2,7% ! Menschen, die für einem winzigen Bruchteil dieser Summe arbeiten müssen, zahlen das Vielfache dieses Steuersatzes, während die Steuerprogression vor den arbeitsfreien Supereinkommen der Zinsschmarotzer umkippt in eine extrem regressive Besteurung. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_2.htm (7 von 18) [15.02.2002 19:39:20]
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12 Millionen im Jahr, schätzt der Spiegel, gibt Horten für seinen privaten Konsum aus. Den "Rest" legt er wieder rentabel an. Dadurch bleibt sein jährliches Einkommen nicht bei 300 Millionen DM stehen, wie nach dem Spiegel-Bericht vermutet werden könnte, sondern wächst - entsprechend der oben beschriebenen Zinseszinsrechnung - exponentiell weiter an (s. Grafik 6.2). Nun gibt es Wirtschaftswissenschaftler, die allen Ernstes behaupten, der Zins sei moralisch zu rechtfertigen, weil er die Entlohnung für Konsumverzicht sei! Eine These, die kaum als wissenschaftlich bezeichnet werden kann, denn wer kann und will täglich 820.000 DM für Konsumzwecke ausgeben? Für den Lebensunterhalt, für Kaviar und Campagner, für Nerze und Seereisen, Villen und Jachten, Reitpferde und Sportflugzeuge? Der alte Horten jedenfalls nicht (er hat ganze popelige drei Millionen, also 1 % seines Jahreseinkommen für seine Grabstätte angelegt). Wer ein so hohes Einkommen bezieht, ist geradezu gezwungen, einen Teil davon für Kapitalanlagen, also für Wertpapiere, Grundstücke usw, auszugeben, die wiederum Zinsen, Renten und Renditen bringen, die ebenfalls nach Anlagemöglichkeiten statt nach Konsumgütern verlangen. Die These vom Konsumverzicht ist Teil einer wissenschaftlich verbrämten Ideologie zur Rechtfertigung der Ausbeutung durch den Zins, ein Handlangerdienst der "Wissenschaft" für das Kapital. Was diese Experten der Nationalökonomie statt dessen bei ihren Konjunkturempfehlungen unterschlagen, ist die Tatsache, daß eine Umverteilung des Volkseinkommens in die Hände jener, die relativ wenig konsumieren, zu einer Verschärfung von Konjunkturkrisen führt - denn Konsum ist die Grundvoraussetzung für Absatz und Investitionen und damit für Konjunktur und Vollbeschäftigung. (32) Exponentiell wachsende Verschuldung bei Zahlungsunfähigkeit Eine wenig beachtete Tatsache ist die, daß die Schuldenlasten von Kreditnehmern, die Zahlungsunfähig werden, in der gleichen Weise wachsen, wie die Vermögen der Kreditgeber, nämlich ebenfalls exponentiell. In dieser Lage befinden sich gegenwärtig die meisten Länder der Dritten Welt und auch einige Ostblockstaaten, z. B. Polen. Da die marode Staatswirtschaft in Polen nicht fähig ist, aus ihrem mit ausländischen Krediten finanziertem Produktivkapital Renditen zu erwirtschaften, um die Kreditzinsen zahlen und die Kredite tilgen zu können, liquidierte der Kommunist Jaruzilski die Vertretung der polnischen Arbeiter, die 10 Millionen Mitglieder zählende freie Gewerkschaft Solidarnosc, um ungehindert durch Lohndrückerei die fehlenden, zur Befriedigung des westlichen Finanzkapitals notwendigen Überschüsse aus den Arfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_2.htm (8 von 18) [15.02.2002 19:39:20]
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beitern der "volkseigenen" Betrieben herausquetschen zu können (eine Methode, wie sie in Krisenzeiten auch die Unternehmer in den privatkapitalistischen Ländern praktizieren und wie sie den Entwicklungsländern von der IWF aufgenötigt wird). Doch auch dieser Handlangerdienst für das Finanzkapital half nichts: seit der Zerschlagung der Solidarnosc 1981 haben sich bis 1986 - also in nur fünf Jahren - die Auslandsschulden von 15 Milliarden auf 30 Milliarden Dollar verdoppelt! Knapp zwei Jahre später, Anfang 1988, betrug die Schuldensumme bereits 37 Milliarden Dollar. (32a) Das bedeutet, daß derzeit jeder der 37 Millionen Polen mit 1.000 Dollar (rund 1.700 DM), jede vierköpfige Familie mit 4.000 Dollar (rund 6.800 DM) verschuldet war. Die hieraus resultierenden Zinslasten müßten, wenn sie könnten, jene bezahlen, die produktiv arbeiten, also nicht die herrschenden Parteifunktionäre und Staatsbürokraten, die dieses Situation zu vertreten haben, sondern die polnischen Arbeiter/innen, deren Arbeiterorganisation eben diese Versager liquidiert haben. Wenn der/die Leser/in diese Zeilen liest, dürften sich diese 37 Milliarden bereits um einige Milliarden Dollar vermehrt haben. Denn diese Schuldensumme wächst mit zunehmender Geschwindigkeit, und zwar nicht deshalb, weil neue Geldkredite für zusätzliche Investitionen in Realkapital aufgenommen werden, sondern vor allem, weil die unbezahlbaren Zinsen ebenfalls zu Schulden werden, die ebenfalls verzinst werden müssen! Während mit den ursprünglichen Geldkrediten Produktivkapital angeschafft worden ist, das dazu hätte dienen sollen, die Kreditzinsen und die Tilgung der Kredite zu erwirtschaften, sind die Zinsschulden Schuldenlasten ohne die Basis produktiven Realkapitals! Folglich sind diese Zinsschulden ökonomisch untilgbar! An diesem Punkt setzt nun der Teufelskreis der Zinseszinsakkumulation ein, jener Mechanismus, der ganz wesentlich zu dem geführt hat, was vom Zinsproblem ablenkend "Verschuldungskrise" genannt wird. Unter diesen Bedingungen der real existierenden Zinsknechtschaft in der "sozialistischen" "Plan"wirtschaft werden sich die untilgbaren Schulden von 37 Milliarden Dollar bei einem niedrig geschätzten Aufzinsungsfaktor von 5% p. a. in 30 Jahren auf rund 160 Milliarden mehr als vervierfacht haben. Davon werden rund 140 Milliarden reine Zinsschulden sein: mehr als das Siebenfache der gegenwärtigen Zinsschulden und des ursprünglich investierten Realkapitals! Theoretisch, versteht sich. Denn bevor es dazu kommt, wird der "volkseigene" Staatssozialismus (der angeblich so viel besser als private Unternehmer planenden Marxisten) pleite oder vom westlichen Finanzkapital entschädigunglos enteignet sein. Oder aber die Arbeiter und Bauern der "Volks"republik werden auf Druck der Staatsgewalt ihre Riemen noch weitaus enger schnallen müssen als bisher, damit die unfähigen und vom Volke nicht beauftragten kommunistischen Handlanger des Finanzkapitals die arbeitsfreien Zinsfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_2.htm (9 von 18) [15.02.2002 19:39:20]
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tribute an die schmarotzenden Plutokraten abliefern können - ein Fall von echter Lohnsklaverei! Die Zinseszinsakkumulation beweist, daß nicht der Kredit als solcher das eigentliche Problem ist, sondern sein Zins. - In der exponentiellen Wachstumsfunktion des Zinseszins verbirgt sich möglicherweise ein systemsprengender Zündsatz! Exponentielles Wirtschaftswachstum und Ökologie Die Zinseszinsrechnung gilt natürlich nicht nur für das exponentielle Wachstum der Vermögen und Schulden. Sie gilt ebenso z. B. für das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, wie auch für die Ausbreitung der AIDS-Seuche. Beschränken wir uns auf das Wirtschaftswachstum. Nach der Logik der herrschenden Politiker und Ökonomen würde das von ihnen so hartnäckig geforderte Wachstum von mindestens 5% im Jahr ebenfalls eine Verdoppelung des materiellen gesellschaftlichen Reichtums alle 14 Jahre bedeuten. Denn auch hier wächst der absolute Zuwachs mit der jährlich anwachsenen Basis, auf die sich die 5% Zuwachs alljährlich beziehen: heute 5% von 1.000 Werteinheiten, in einem Jahr 5% von 1.050 Werteinheiten und so fort. In der Praxis würde das bedeuten, daß ein Mensch, der in ein Land mit 100 Atomkraftwerken geboren wird und dem ein Kühlschrank, eine Waschmaschine, eine Glotze und ein Auto "in die Wiege gelegt" werden, mit 14 Jahren zwei Glotzen, zwei Kühlschränke, zwei Waschmaschinen und (wie schön!) zwei Autos besitzt. Auch die Atomkraftwerke haben sich bis zu seiner Konfirmation auf das Doppelte vermehrt. An seinem Hochzeitstag im Alter von 28 Jahren wird er mit vier Waschmaschinen, vier Kühlschränken, vier Glotzen und vier Autos und mit einer mit 400 AKWs bestückten Umwelt gesegnet sein. Wenn er mit 84 Jahren in die (verseuchte) Erde sinkt, hinterläßt er seinen Erben 64 Glotzen, 64 Kühlschränke, 64 Waschmaschinen und 64 Autos (bzw. adäquaten Konsumschrott) - wenn er nicht vorher durch die Explosion eines jener 6.400 AKWs, von denen er am Ende seines Lebens umstellt sein wird, verstrahlt worden ist, was dann sehr wahrscheinlich ist! Denn angeblich gibt es bei einem AKW im Schnitt "nur" alle 33.000 Jahre einen GAU. Wie oft dann bei 6.400 AKWs? Alle fünf Jahre einen! Creutz verweist darauf, daß es drei grundlegend verschiedene Formen des Wachstums gibt: das eben dargestellt exponentielle, das lineare und das natürliche. (33) Das natürliche Wachstum finden wir überall in der Natur zum Beispiel beim Wachstum des menschlichen Körpers: in den ersten Lebensjahren wächst der Mensch sehr schnell, in der Jugend verlangsamt sich sein Wachstum und in der langen Zeit des Erwachsenen(!)stadiums bleiben Größe und Gewicht bis zu seinem Tode etwa konstant. Schon beim linearen, beim gleichmäßig fortschreitenden Wachstum würden die Menschen am Lebensende Riesen sein. Beim exponentiellen Wachstum, file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_2.htm (10 von 18) [15.02.2002 19:39:20]
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wie es die Wachstumsfetischisten fordern, nimmt die Geschwindigkeit des Wachstums ständig und schließlich explosionsartig zu. Auf diese Weise würden Ratten größer werden als Dinosaurier, Menschen buchstäblich in den Himmel wachsen (s. Grafik 6.1). Ist den herrschenden "Real"politikern Bangemann & Co. und den etablierten Wirtschafts"wissenschaftlern" die Exponentialfunktion unbekannt? Was sie fordern ist jedenfalls irrationaler Unfug, schlechte Wirtschaftsutopie, führt zu kollektivem Selbstmord und scheint nur zu bestätigen, was der alte Professor Hummel von der Hamburger Akademie für Wirtschaft und Politik immer wieder seinen staunenden Studenten versicherte: "Sie glauben gar nicht, mit welcher Dummheit die Welt regiert wird!" Zinseszinsbedingtes Wirtschaftswachstum Was auch immer die Wachstumsideologen bewegen mag, grenzenloses Wachstum zu propagieren, Unwissenheit, Dummheit, Opportunismus oder Selbstsucht, eines ist jedenfalls "menschlich" verständlich: daß jene, deren Kapitalvermögen riesige finanzielle Gewinne abwerfen, die sie nur zu einem Bruchteil für den privaten Konsum verbrauchen können und wollen, daß sie diese Gewinne wieder rentabel, d. h. gegen Zins, oder spekulativ, d. h. gegen Extraprofite, anlegen wollen. Bei den Profiten, die da locken, lassen sich ökologische Skrupel leicht verdrängen, insbesondere, wenn ihren Nutznießern mit diesen auch die Mittel zur Verfügung stehen, den Umweltkatastrophen geographisch (noch) ausweichen zu können. Mit dem exponentiellen Wachstum der Vermögen durch Spekulationen mit Wertpapieren, Devisen, Währungsschwankungen, Boden und Bodenschätzen, insbesondere aber durch die Zinseszinsautomatik, wachsen auch die Gewinne exponentiell - vorausgesetzt, sie finden jenseits des bereits vorhandenen Kapitals noch gewinnbringende Anlagemöglichkeiten. Diese zusätzlichen Anlagemöglichkeiten garantiert jedoch nur eine wachsende Volkswirtschaft. Die "normale" Voraussetzung für Wirtschaftswachstum ist die Ausweitung des Konsums. Was soll jedoch geschehen, wenn der Konsument streikt, wenn der Verbrauch der breiten Massen nicht mehr in dem gewünschten Maße weiterwächst? Wenn sich die meisten Menschen mit dem Stand der gegenwärtigen Bedürfnisstruktur, mit einem Kühlschrank, einer Waschmaschine, einer Farbglotze, einem Auto, einer Stereoanlage und vielleicht noch mit einem Videorecorder oder einem Heimcomputer, zufrieden geben, wenn also keine zusätzlichen Investitionen in gewinnbringende Produktionsanlagen mehr notwendig sind? Wenn der Konsum auch durch geschickteste Werbung nicht mehr anzuheitzen ist? Wenn die Massen sich vom Konsumfetischismus abwenden und lieber ihren bisher ergatterten bescheidenen Reichtum in
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mehr Freizeit genießen wollen, in Bereichen, die wenig oder gar keinen Kapitaleinsatz erfordern, wie z. B. Wind und Sonne, gesunde Wälder, saubere Flüsse, Seen und Meere, Geschenke der Natur? Wenn die Konsummärkte in den hochentwickelten Industriegesellschaften weitgehend gesättigt sind und Neuinvestitionen in kapitalintensive Produktionsstätten überflüssig werden? Vielleicht lautet die Antwort so: Die Lohnabhängigen werden trotz Produktivitätssteigerung der Wirtschaft durch Tarifverträge gezwungen, weiterhin mindestens 37 Stunden in der Woche zu schuften, um einen Einkommensüberschuß zu erarbeiten, den sie dann - ohne besonderen Bedarf - für überflüssigen Konsumkrempel auszugeben, der der Industrie und ihren Finanziers wiederum wachsende Investitionsmöglichkeiten und Renditen garantiert. Außerdem wird der Staat, z. T. auf Kosten der Steuerzahler, veranlaßt, durch Milliarden verschlingende Großprojekte wie Atomkraftwerke und Weltraumrüstung dem Finanzkapital neue Anlagemöglichkeiten zu verschaffen. Dabei kommt dem Anlegern zugute, daß die AKWs kurzlebig sind und daß die moderne Rüstung sich auch ohne Krieg, allein durch technische Veralterung, selbst vernichtet. So entsteht immer neue Nachfrage nach AKWs und immer moderneren und teureren Rüstungsgütern. Die damit verbundene Steuerbelastung der Bürger und Nachfrage des Staates nach Krediten vermindern den Überschuß an angehäuftem Geld und damit seinen Druck auf die Zinsrate des Finanzkapitals. (33a) Das alles funktioniert natürlich nur dann im Sinne der Finanzkapital-Interessen, wenn Geldkapital und Volkswirtschaft im Gleichschritt, das heißt, wenn beide exponentiell wachsen! Exponentiell fortschreitende Einkommensumverteilung zu Gunsten der "Roboterrendite" Eine besonders fatale Rolle bei der Umverteilung des Volkseinkommens und der Vermögen spielt der Zins im Zusammenhang mit der zunehmenden Automatisierung und Roboterisierung der Wirtschaft. Dieter Suhr spricht hier von einer Umverteilung derArbeitseinkommen zugunsten einer "Roboterrendite". (34) Das heißt, durch die Ablösung des Faktors menschliche Arbeitskraft durch Automaten und Roboter verschwinden immer mehr die Lohnarbeit und die menschliche Arbeit überhaupt aus dem industriellen Produktionsprozeß. Damit verschwindet auch ein großer Teil der Lohnkosten aus den Produktionskosten und der Anteil der Kapitalkosten der teuren Automaten und Roboter - der Zinsanteil an den Gesamtkosten - wird gewaltig zunehmen. Das bedeutet, daß am Ende dieser Entwicklung der Erlös aus den verkauften Automaten- und Roboterprodukten fast ausschließlich dem Kapitaleigentümer, dem Kapitalisten, zufließen, während die (in diesem Wirtschaftsbereich) arbeitende Klasse fast kein Einkommen mehr bezieht. Ihr Lohnanteil wird aus den Preisen dieser Produkte weitgehend verschwunden sein, während die Zinskosten einen Anteil an ihren Preisen ausmachen werden, der den Zinsfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_2.htm (12 von 18) [15.02.2002 19:39:20]
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anteil an den Mietpreisen noch weit übersteigen wird: Die Preise vieler Roboterprodukte bestehen dann fast nur noch aus den Zinsen, die der Eigentümer ihrer Produktionsmittel bzw. ihr Finanzier erhält. Voraussetzung ist allerdings, der Kapitalist findet noch zahlungskräftige Abnehmer für die Produkte seines Kapitals, wenn die Lohnarbeit und damit die Kaufkraft der Lohnarbeiter aus diesem gewichtigen Produktionsbereich weitgehend verschwunden sind. Bei diesem Prozeß wirken die exponentielle Zinseszins-Vermögensakkumulation und die exponentielle Entwicklung der Technik zusammen und beschleunigen dadurch die Konzentration der Produktionsmittel, des Geldes und des Volkseinkommens in den Händen einiger weniger ganz erheblich. Wäre ein "garantiertes Mindesteinkommen" für alle Bürger bzw. für jene, die kein Einkommen mehr beziehen, wie es von Leuten aus den verschiedensten politischen Lagern gefordert wird, (35) ein Ausweg aus diesem Dilemma - und für wen? Da die Linken, Alternativen und Öko"libertären" nicht die Absicht haben, dieses Einkommen aus den arbeitsfreien Zins- und Renteneinkommen der Kapitalisten und Grundeigentümer zu finanzieren, müssen sie die Arbeitseinkommen der noch in Arbeit stehenden Produzenten anzapfen. Eine Finanzierung aus der geschrumpften und wegen der fortschreitenden Roboterisierung möglicherweise weiterhin schrumpfenden Summe aller Arbeitseinkommen würde diese jedoch zunehmend und unerträglich belasten. Läuft die ganze Chose darauf hinaus, daß die Kapitalisten - ähnlich den Verhältnissen in feudalistischen und Sklavenhaltergesellschaftendiese Roboter jenseits eines breiten Konsumentenmarktes für ihren eigenen Bedarf produzieren lassen: statt viele Fahrräder und Mittelklassewagen, Mietskasernen und Einfamilienhäuser für die Verbrauchermassen wenige Rolls-Royces und Privatjets, Villen und Schlösser für einige wenige superreiche Produktionsmittel-Eigentümer (Aktionäre etc.)? Das ist jedenfalls die innere Logik der Zinswirtschaft im Zeitalter der Roboterisierung. Durch diese Art der technischen Entwicklung scheinen wir zwar dem Traum der "Abschaffung der Arbeit" einen großen Schritt näher zu kommen, aber unter den Bedingungen einer extremen Umverteilung des Volkseinkommens und damit des Sozialprodukts von den Millionen arbeitslosen Ex-Produzenten zu einer handvoll superreicher Kapitalrentner mit unvorstellbar hohen Zinsinkommen (s. Einkommensverschiebung, Grafik 7). Es ist die Frage, ob der real existierende Kapitalismus diesen, dem Zinssystem innewohnenden Widerspruch mit systemimmanenten Mitteln zu lösen in der Lage sein wird. Liegt in diesem Antagonismus möglicherweise die Chance für radikale gesellschaftliche Veränderungen? (36)
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Die Krisen-Funktion des Geldzinses Der Zins ist nicht nur ein Problem der Einkommensverteilung, der Kapitalkonzentration und der Ökologie, er ist auch ein Problem der Konjunktur und Beschäftigung. Bereits Gesell hatte einen Krisen-Mechanismus aufgezeigt, der später in John Maynard Keyns' Konjunktur- und Beschäftigungstheorie eine zentrale Stellung einnehmen sollte. Er läßt sich folgendermaßen beschreiben: Bei einem konjunkturellen Aufschwung ist die Nachfrage nach Produkten (Konsum- und Investitionsgütern) größer als das Angebot, folglich sind die Gewinne relativ hoch. Das ermöglicht es den Unternehmern, Zinsen zu zahlen. Sie können also Kredite aufnehmen für Investitionen in zusätzliche Produktionsanlagen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Arbeitskräften groß und die Realeinkommen der Lohnabhängigen steigen. Durch die Zunahme der Produktionsmittel und durch den daraus folgenden Anstieg des Güterangebots wächst die Konkurrenz auf den Investitions- und Verbrausgütermärkten; infolgedessen fallen im Laufe der Zeit die Gewinne der Unternehmer. Da die Zinsen langsamer fallen als die Gewinne und außerdem nur bis zu einem Satz von minimal etwa 2,5%, ist irgendwann die Gewinnspanne nicht höher als der Unternehmerlohn, also jenes Einkommens, das der selbständige Unternehmer erhalten würde, wenn er seine Arbeitskraft als Direktor oder Manager verkaufen würde. Das, was über diesen Unternehmerlohn hinausgeht, nennen wir Kapitalzins oder Rendite. Ist die zu erwartende Rendite für jede zusätzlich erzeugte Kapitaleinheit - die "Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals" (Keynes) - gleich groß oder geringer als der Zins für jenen Kredit, der in dieses Kapital investiert werden müßte, stellt der kluge Unternehmer weitere Investitionen ein. Denn jede zusätzliche Investition würde - bei unveränderter Arbeitsmarktlage - dazu führen, daß der Unternehmer auf einen Teil seines Arbeitseinkommens zu Gunsten des Kreditgebers (des Finanzkapitalisten und der Bank) verzichten müßte. Doch dazu ist er in der Regel nicht bereit. Kurz gesagt: erreicht der Kapitalzinsfuß den Geldzinsfuß, dann wird nicht mehr investiert. Es kommt zu einem Rückgang in der Nachfrage nach Investitionsgütern, zu Entlassungen von Arbeitern in diesem Industriebereich und damit zu Einkommensminderungen vieler Verbraucher und zum Rückgang der Konsumgüternachfrage, folglich zu Einschränkungen in der Konsumgüterproduktion, zu Entlassungen in diesem Wirtschaftsbereich und so fort. Der Konjunkturzyklus weist nach unten, die Krise ist da. (37) Da außerdem in der Rezession viele Firmen pleite gehen, steigt das Investitionsrisiko und damit auch der Anteil der Risikoprämie im Kreditzins. Das bewirkt, daß dann der Zinsfuß in die Höhe geht, was die Krise noch verschärft und schließlich zum Zusammenbruch der gesamten Volkswirtschaft führen kann.
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Die Hauptursache für Konjunkturkrisen (nicht zu verwechseln mit Strukturkrisen, die in einer Konjunktur leicht zu überwinden sind) ist die, daß der Geldzinsfuß eben nicht, wie die Klassiker einschließlich Marx glaubten, "zu jeder beliebigen Tiefe fallen" kann. (38) Genauer gesagt: die Besitzer von Geldschätzen (Keynes: "Ersparnissen") rücken diese nicht heraus, wenn ihnen dafür nicht mindestens real 2,5 bis 3% Zinsen im Jahr (untere Grenze des Gesellschen "Urzinses") gezahlt werden. Unter den Bedinungen des "hortbaren" Geldes ist es für die Besitzer dieser Kaufmittels vorteilhafter, es für Gelegenheitskäufe, zu Spekulationszwecken usw. "flüssig" zu halten, als es für einen geringeren Zins zu verleihen. Diese "Liquiditätsvorliebe" (Keynes) der Geldbesitzer bewirkt, daß angehäuftes Geld dann nicht mehr als Kredit zur Verfügung gestellt wird, wenn das Zinsangebot der Unternehmer die vom Geldbesitzer geforderte "Liquiditätsverzichtsprämie" (Keynes) unterschreitet und unterschreiten muß weil die Rentabilität des zusätzlich zu investierenden Produktivkapitals, seine "Grenzleistungsfähigkeit", nicht ausreicht, die Zinsforderungen des Sparers bzw. des Finanzkapitals zu erfüllen. Dann fließt ein Teil der volkswirtschaftlich relevanten Geld-Ersparnisse nicht mehr zurück in den Wirtschaftskreislauf und es entstehen Nachfragelücken in der Zirkulation ("Riegel"-Funktion des Geldes). Unter den Bedingungen der Gold(deckungs)währung fallen außerdem die Preise, mit ihnen die eh schon niedrigen Gewinne. Die Investitionen gehen zurück usf. (siehe oben u. Kap. 3). Der Geldzins bewirkt den Kapitalzins Darüber hinaus bewirkt dieser Mechanismus, daß langfristig und im Durchschnitt immer etwas weniger in Produktionsmittel investiert wird, als Bedarf an Produkten vorhanden ist. Das bedeutet jedoch, daß das Realkapital langfristig und im Durchschnitt so knapp bleibt, daß es ebenfalls einen Zins abwirft: die Rendite! Der Geldzins verhindert also die Entwicklung der Volkswirtschaft bis zu einem Gleichgewicht von Güterbedarf und Produktionsmittelangebot - bis zur "Vollinvestition" (Keynes) - und verewigt so den Kapitalzins. Der Geldzins ist also auch die Ursache für das, was bei Marx den wesentlichen "Profit" -Anteil, den Unternehmergewinn ohne Unternehmerlohn, ausmacht und den wir Rendite nennen (s. Kap. 10). Umgekehrt heißt das, daß bei Vergabe zinsloser Kredite bzw. bei Einführung eines zinsfreien Geldes langfristig auch der Profit-Anteil Kapitalzins verschwinden und damit der Kapitalrentner, wie Keynes sagt, "eines sanften Todes sterben" würde (s. Kap. 4). (38a) In der Zinswirtschaft - das ist Kapitalismus! (39) - ist die Konjunktur
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und Vollbeschäftigung also abhängig von der Höhe der Zinsen: Sinkt die Rendite oder steigt der Zinsfuß des Geldes - was auch durch Diskonterhöhung der Notenbank geschehen kann (s. Kap. 5)! -, dann geht die Investitionstätigkeit zurück und es steigen die Zahlen der Konkurse und der Arbeitslosen. Die Richtigkeit dieser von Gesell wie Keynes aus dem Geldzins und der Zirkulationssphäre abgeleiteten Krisentheorie wird durch die von Creutz gesammelten und grafisch dargestellten empirischen Daten bestätigt (s. Grafiken 8, 9 u.10). (40) Zins und Rüstung Dieser Zinsmechanismus steht in engem Zusammenhang mit Rüstungsinteressen. Denn die "Rüstungsproduktion ist für die Bewahrung der Rentabilität des Kapitals besonders interessant. Die entsprechenden 'Güter' erscheinen nicht auf dem zivilen volkswirtschaftlichen Markt, sie vermehren nicht das Sachkapitalangebot mit der Wirkung, daß das Zinsniveau schneller sinken würde. Ständige Vermehrung von Rüstungskapital wirkt nicht zinsdrückend. Mit den staatlichen Kreditaufnahmen und der willkürlichen Festsetzung des Zinses durch die Zentralbanken sind Rendite und Zins für das Kapital gesichert. Außerdem wird durch den entsprechenden Verzicht ziviler Produktion (53 Millionen arbeiten [weltweit; K. S.] für die Rüstung!) der Bedarf im zivilen Sektor nur unzureichend befriedigt, was ein langsameres Sinken des Zinsniveaus zur Folge hat" (Josef Hüwe (40a)). So gesehen, wird Ronald Reagans erotisches Verhältnis zu seinem SDIProjekt verständlich. Der Geldzins beschränkt Öko-Investitionen Als umweltschonende Wachstumsbremse, wie wir nun meinen könnten, eignet sich der Zins jedoch nicht. Wie wir oben gesehen haben, verlangt das mächtige, zinseszins-akkumulierte Kapital immer wieder nach Neuinvestitionen und treibt damit das Wirtschaftswachstum exponentiell voran. Als erheblicher Kostenfaktor verhindert er sogar gerade die Realisierung solcher Projekte, die dem Umweltschutz dienen sollen. Das kann jeder selbst feststellen, wenn er z. B. die Kreditkosten für eine Investition in Solartechnik oder Wärmedämmung errechnet und die Zinslast mit den durch diese Investition ersparten Energiekosten vergleicht. Nehmen wir einmal an, eine Solaranlage oder eine verbesserte Wärmeisolierung eines Hauses würde eine Investition von 100.000 DM erfordern und gleichzeitig die jährlichen Heizkosten um 5.000 DM verringern. Bei einem Kreditzins von 8 % würden jährlich zusätzlich 8.000 DM Kosten allein an Zinsen entstehen. Das bedeutet, daß es billiger ist, 5.000 DM für
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zusätzliche Heizkosten ausszugeben, als 8.000 für Solartechnik oder Wärmedämmung! (41) Welcher umweltbewußte, aber auch ökonomisch denkende Hausbesitzer oder Mieter, der durch ökologiefreundliche Techniken mit zusätzlichen Mietzinsen belastet wird, wird da noch entsprechende Investitionen vornehmen wollen! (41) Eine Rechnung, die auch den Ökobankern zu denken geben sollte, die zwar Ökoprojekte finanzieren wollen, aber mit der Zinsproblematik nichts anzufangen wissen. (41a) "Der Zins ist der Angelpunkt der ganzen sozialen Frage." (41b) Wenn Proudhons, Gesells und Keynes' Zinstheorien behaupten, der Geldzins bedingt den Kapitalzins, so besagt das allerdings nur, daß der Geldzins die wichtigste Voraussetzung für die Entstehung und für die Verewigung der Rendite (des "Profits") ist. Das bedeutet jedoch nicht, daß es ohne den Geldzins keinen Kapitalzins oder keine anderen leistungslosen, arbeitsfreien oder mühelosen Einkommen geben könnte. Ein wichtige Rente resultiert (wie bereits angedeutet) aus der Unvermehrbarkeit und aus der unterschiedlichen Lage und Qualität des Bodens und aus der natürlichen Begrenztheit vieler Bodenschätze und Naturkräfte (ausführliche Erörterung, Kap. 8). Daher fordert Gesell für den Boden - im Unterschied zu den anderen Produktionsmitteln - und für die Bodenschätze und knappen Naturkräfte ihre Vergesellschaftung und die Umverteilung der Bodenrente an die "Produzenten" der folgenden Generationen (s. Kap. 9). Auch langfristig geschützte Erfindermonopole z. B., eine immer wieder vorgebrachte Sache, können jenen Unternehmern Extraprofite einbringen, die den damit verbundenen Marktvorteil allein, d. h. konkurrenzlos, nutzen können. Das Gleiche gilt für Kartelle, die durch Preisabsprachen oder Verknappung der Produkte die Preise in die Höhe treiben. Daher forderten die Anarchisten in den USA, wie wir (Kap.1) gesehen haben, bereits im vorigen Jahrhundert statt Einführung staatlicher Monopole die Abschaffung aller Monopole und statt Abschaffung des Marktes den ungehinderten Wettbewerb. Auch gibt es die Monopole und Oligopole persönlicher (z. B. künstlerischer) Talente und Fähigkeiten, deren knappe Leistungen einen hohen Gebrauchswert haben und daher sehr gut entlohnt werden. Doch hier werden immerhin Leistungen erbracht, und außerdem stehen diese Einkommensanteile in keinem sozial relevanten Verhältnis zum Volkseinkommen. Relevant sind, wie hier wohl bewiesen sein dürfte, vor allem die Geld-, Kapital- und Bodenzinseinkommen der Kapitalisten und Grundrentner. Wichtig ist lediglich, daß aus den Ersparnissen dieser hohen Lei-
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stungseinkommen nicht wieder Zinsen entspringen können. Marxisten, Gegner der anarchistischen Geld-, Zins- und Zirkulationstheorie, betonen immer wieder, daß der "Profit" und damit die Produktion die (materiellen) Voraussetzungen des Geldzinses sind: ohne den in der Produktion erwirtschafteten "Profit" (genauer: Kapitalzins) kann die Geldzinsforderung des Geldbesitzers nicht erfüllt werden: gibt es keinen "Profit" (Kapitalzins), dann gibt es auch keinen Geldzins. Das ist richtig, jedoch nicht die ganze Wahrheit. Ebenso richtig ist, was von ihnen nicht begriffen wird und, hinzugefügt, die halbe Wahrheit erst zu einer ganzen macht: daß der Geldzins darüber entscheidet, ob produziert wird und wie die Produkte verteilt werden, und daß er den "Profit" verewigt.
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
3. Währungsspekulation und die Macht des "Mammons" "In der Tat, der Kredit ist die im größsten Maße stattfindende Organisation der Herrschaft des Geldes und der Produktivität des Kapitals; zwei Fiktionen, die miteinander kämpfen und sich vereinigen, um die Unterjochung des Arbeiters vollständig zu machen." "Der Kredit ist die Heiligsprechung des Geldes, die Erklärung seiner Herrschaft über alle anderen Produkte." P. J. Proudhon Neben dem Zins kann die Währung eine wesentliche Ursache für Konjunkturkrisen und ein Instrument der Ausbeutung und Bereicherung sein. In der Vergangenheit führte die Bindung der von Privatbanken oder von der Notenbank in die Zirkulation gegebenen Geldmenge an die in den Tresoren dieser Banken gelagerten Goldmengen, statt an die produzierten Warenmengen, häufig zu allgemeinen Preisschwankungen - zu Inflation und Deflation - und damit zu Störungen im Wirtschaftskreislauf: zu Konjunkturschwankungen mit der Folge von Arbeitslosigkeit und Konkursen. Oft waren diese monetär bedingten Wirtschaftskrisen sogar die Ursache für Staatskrisen. Die Weimarer Republik ist vor allem an ihren Währungskrisen, einer Inflations- und einer Deflationskrise, zugrundegegangen (s. Kap.13). Voraussetzung für einen kontinuierlichen Konjunkturverlauf ist also neben der Herabsetzung des Zinsfußes auf durchschnittlich null Prozent - auch eine stabile Währung, eine Währung, die diesen Begriff "Währung" - d. h. währen der Kaufkraftbeständigkeit - verdient. Da das Währen der durchschnittlichen Geldpreis-Stabilität bzw. des allgemeinen Warenpreisniveaus - auf dieses und nicht auf das Schwanken einzelner Warenpreise kommt es an - durch die zu Gesells Zeit praktizierte Gold- bzw Golddeckungs"währung" nicht gewährleistet war, forderte Gesell - ebenso wie die klassischen Anarchisten von Proudhon bis Tuk-
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ker (s. Kap.1) - ihre Abschaffung. Denn die Stabilität der Goldwährung und der auf Golddeckung basierenden Papierwährung (Goldkernwährung) ist von den Schwankungen der zufälligen Goldfunde, von der Goldproduktion und den schwankenden Goldpreisen und von Spekulationen mit Gold und Goldgeld abhängig. Bei einer Goldvermehrung steigt in der Regel die Menge der umlaufenden Tauschmittel. Wenn nicht in gleichem Maße wie die Geldvermehrung die Warenproduktion wächst, verändert sich die Relation zwischen angebotener Warenmenge und nachfragender Geldmenge und es kommt zu einer allgemeinen Preissteigerung: zur Inflation (s. Quantitätsformel des Geldes und des Preisniveaus, Kap. 5). Diese Inflation heizt zwar die Konjunktur (zumindest in der Anfangsphase) an, sowie jedoch der zusätzliche Goldzufluß und damit die steigende Nachfrage nach Gütern nachläßt, kommt es zu einer Absatzkrise mit Arbeitslosigkeit. Das kommt daher, weil sich die Relation Geldzufluß zur Warenproduktion umkehrt: es wird mehr zusätzliche Ware produziert, als Gold gefördert und Geld in den Umlauf gebracht wird. Es kommt zur Tauschmittelverknappung und zu einem allgemeinen Preisrückgang: zur Deflation. Jeder, der es sich leisten kann, hält - in Erwartung weiteren Preisverfalls - mit Einkäufen zurück: die "Liquiditätsvorliebe", wie Keynes die Neigung zur Geldhortung nennt, steigt. Die dadurch sinkenden Umsätze und Gewinne führen zur Einschränkung der Produktion und Investition, zu Entlassungen, Einkommensminderungen und weiterem Nachfragerückgang. Zusätzlich zur relativen Geldknappheit, wird also außerdem noch ein Teil der vorhandenen Geldmenge aus der Zirkulation herausgenommen und gehortet, was die Krise verschärft. Diese Deflationskrise hält an, bis sich der Preisstandard auf einem niedrigen Nieveau entsprechend der neuen Relation von nachfragender Geldmenge und angebotener Warenmenge eingependelt hat oder bis durch erneuten Goldzufluß die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wieder ausgeweitet wird - vorausgesetzt, daß diese zusätzlichen Tauschmittel, wegen ihrer deflationistischen Wertsteigerung, wegen fehlender Durchhaltekosten und wegen Mangels an gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten, nicht ebenfalls in Horten (Keynes: in der "Liquiditätsfalle") verschwinden. Ansonsten kommt es wieder zur Belebung der Wirtschaft - bis alles wieder von vorn anfängt... Die Veränderung der umlaufenden Geldmenge kann also ebenso Krisen verursachen wie der Geldzins. Wenn die Notenbank z. B. die von ihr ausgegebene Geldmenge zu einem Drittel durch Einlagerungen von Gold in ihren Kellern "gedeckt" halten muß, dann bedeutet die Veränderung dieser Goldmenge um 10 Milliarden eine Veränderung der ausgegebenen Geldmenge um 30 Milliarden Mark. Die Bindung der Geldmenge an einen Goldstandard führt also durchaus nicht zu einer stabilen Währung. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_3.htm (2 von 11) [15.02.2002 19:39:23]
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Sie bewirkt das Gegenteil von "Währung" der Kaufkraft des Geldes mit den geschilderten konjunkturellen Folgen. Eine sinnvolle Währungspolitik besteht also darin, die Geldmenge an die produzierte und in den Handel gebrachte Warenmenge anzupassen, also mit Waren statt mit Gold zu decken - und dafür zu sorgen, daß das ausgegebene Geld auch umläuft. Morgan Diesen Gold"währungs"-Mechanismus haben schlaue Spekulanten weidlich auszunutzten gewußt und so mühelos und ohne produktive Gegenleistungen an die Gesellschaft riesige Vermögen zusammenraffen können. Finanzspekulanten, die über ausreichende Geldmengen verfügten und einsetzen konnten, haben diese Krisen sogar gezielt und eigenmächtig herbeigeführt! Die Grundzüge derartige Manöver beschrieben US-amerikanischen Anarchisten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, so z. B. der libertäre Geldtheoretiker William B. Greene in Equality: Die Banken "machen große Noten-Ausgaben und Geld ist im Überfluß vorhanden; (...) alle anderen Waren werden dadurch teuer. Dann verkauft der Kapitalist, was er zu verkaufen hat, solange die Preise hoch sind. Die Banken ziehen ihre Noten-Ausgaben ein und Geld wird rar, (...) alle anderen Waren werden billig. Die Gemeinschaft gerät in Not wegen des Geldes, die einzelnen sind gezwungen, Eigentum zu verkaufen, um Geld aufzubringen - und zwar mit Verlust zu verkaufen, wegen der Marktlage: dann kauft der Kapitalist, was er zu kaufen wünscht, solange alles billig ist (...)." (42) "Diejenigen, die das Geld und den Kredit hervorbringen und verteilen, dirigieren die Maßnahmen der Regierung und halten das Schicksal der Bevölkerung in ihren Händen", bestätigt McKenna diese "Funktionsweise der Bankensystems". - Er muß es wissen: er war einst der Präsident der Midland-Bank von England. (43) Der Schweizer (vormalige) Sozialdemokrat und (spätere) Freiwirtschaftler Fritz Schwarz liefert für diese Machenschaften des Finanzkapitals einen historischen Beweis. In dieser Weise wurde die Wirtschaftskrise von 1907/08 von Morgan im Bündnis mit Rockefeller inszeniert. Morgan wollte zwei Konkurrenten ausschalten, die Eisenerze und andere Bodenschätze förderten und verarbeiteten. Rockefeller wollte den Staat unter Druck setzen, um einer Geldstrafe wegen des Verstoßes seiner Standard Oil Company gegen das Antitrust-Gesetz in Höhe von fast 30 Millionen Dollar zu entgehen. Um die Macht Morgans und Rockefellers nicht zu unterschätzen, sollten wir beachten, daß des damalige Geld das vielfache seiner heutigen Kaufkraft besaß und daß das damalige US-Sozialprodukt
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nur einen Bruchteil des heutigenen ausmachte. Im Juni 1906 beschlossen die beiden "Monarchen" Morgan und Rockefeller, die Konkurrenz und die Regierung durch eine Deflationskrise in die Knie zu zwingen. Um möglichst wenig aufzufallen, schreibt Schwarz, begannen sie "den Rückzug des Geldes und damit die Einschnürung des Kredites für alle Unternehmungen in London, indem sie dort 125 Millionen Dollars in Gold abhoben und nach New-York verbrachten. (...) " Welche Folgen hatte das für die englische Volkswirtschaft? Auf jede Verminderung des Goldbestandes der Notenbanken müssen diese zwangsläufig den zweieinhalbfachen Betrag in Noten einziehen, sofern die Notenausgabe das zweieinhalbfache des Edelmetallbestandes betragen darf und betragen hat. So hatte der Rückzug der Morgan'schen Millionen aus der Bank von England zur Folge, daß das englische Kreditgebäude zum Einsturz gebracht wurde, weil Kredite schroff gekündigt und neue verweigert werden mußten. Der Angstzins (die Risikoprämie; K. S.) der englischen Unternehmer stieg auf nie gesehene Höhe. Kaufleute wurden zu Tausenden ruiniert und Zehntausende von Arbeitern wurden arbeitslos. Nachdem England die Geldklemme hatte, galt die dortige Krediteinschränkung als genügende Entschuldigung für eine solche in den Vereinigten Staaten und die Kreditgeber schritten hier sofort dazu, ihre Darlehen zurückzuziehen und alle weiteren Kredite einzustellen. (...) Wie führte Morgan in den Vereinigten Staaten jetzt den Geldrückzug durch? Darüber machte Senator La Follette folgende Angaben: Morgan und die Standard-Oil-Company beherrschten die City-Banks of New York. Vor der Kreditsperre in London hatten die amerikanischen Notenbanken sehr viel Noten ausgegeben, bis zum 22. August 1907 täglich durchschnittlich 1.300.000 Dollar, und die Morgan-Banken lieferten hier zu einen größeren Betrag als irgend eine andere Bankgruppe. Vor dem 22. August 1907 hatten die Morgan-Banken auch immer einen außergewöhnlich hohen Zinsfuß bezahlt und es war ihnen dadurch gelungen, Geldmittel der übrigen Banken anzulocken. Morgans Banken hatten am 22. August 1907 800 Millionen Dollar Depositen in Verwahrung und von dieser Summe gehörten nicht weniger als 200 Millionen Dollar zu den "unantastbaren" Reserven anderer Banken. Morgan besaß also sogar die letzten Bargeldmittel der andern Banken! Wahrscheinlich gab er ihnen dafür Schuldscheine (Wechsel), die alle erst nach dem 22. August fällig waren. Bis zu diesem Datum hatte er also freie Verfügung über dieses Geld. Er setzte es wieder in Umlauf, aber
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diesmal so, daß dessen Hauptmasse vor dem zum Krache bestimmten 22. August 1907 wieder bei Morgan zur Rückzahlung fällig wurde. Sobald dieses Geld eingelaufen war, wurde es dem amerikanischen Schatzamt zurückgegeben. Es waren 260 Millionen Dollar. Arglos, wie staatliche Ämter ja sind, wurden die Noten zurückgenommen und konnten nicht wieder in den Verkehr gebracht werden, denn auch der amerikanische Staat hat, so wenig wie ein europäischer, das Recht, das Volk mit dem wichtigsten Verkehrsmittel, dem Geld, zu versorgen. Um diese Noten seinerzeit ausgeben zu können, hatten Morgans Banken Staatspapiere hinterlegen müssen. Diese bekamen sie wieder, als sie die Noten zurückbrachten. Selbstredend wurden sie auch noch gegen bar an der Börse verkauft und der Erlös dafür somit ebenfalls dem Verkehr entzogen! So hatte man 260 Millionen Dollar dem Schatzamt zurückgegeben, für 260 Millionen Dollar Staatspapiere erhalten, diese verkauft und den Erlös von ebenfalls 260 Millionen Dollar behielt man ebenfalls zurück. Das machte eine Verminderung des umlaufenden Geldes von zusammen 520 Millionen. Außerdem hatten Morgans Banken noch 40 Millionen Dollar ausgeliehen, die auch unmittelbar vor dem 22. August fällig wurden. So hatte die City-Banks of New York auf den 22. August 1907 800 plus 520 plus 40 Millionen Dollar aus dem Verkehr verschwinden lassen, das sind insgesamt 1.360 Millionen Dollar oder 7.044,8 Millionen Franken. Der gesamte Geldbestand der Vereinigten Staaten wird für 1907 von Stucki (Nationalökonomie, A. Franke, Bern) auf 9.998 Millionen Franken berechnet. So vorbereitet konnte Morgan ruhig mit der Uhr in der Hand die Stunde des Kraches erwarten. Natürlich hatte er alles, was er an Aktien besaß, vor dem 22. August ebenfalls zu hohen Preisen gegen Bargeld verkauft. Diese hohen Preise hatte er durch die vorhergehende, oben geschilderte große Geldausgabe selber herbeigeführt und gerade diese große Geldausgabe hatte die Spekulation begünstigt und die Preise gesteigert. Morgan hatte die Klugheit besessen, auch noch die Preise zu seinen Zwecken zu benutzen. Er hat die Krise vorausgesagt und als dann an jenem 22. August wirklich Zahlungseinstellungen von Gesellschaften, die wohl eigens gegründet wurden, um Bankerott und Eindruck zu machen, eintraten, da halfen ihm Presse und Publikum getreulich! Der übliche Bankensturm setzte ein. Die andern Banken wollten jetzt ihre Gelder aus Morgans Banken zurückbekommen. Doch die Morgan-Banken weigerten sich, diese Gelder zurückzugeben - solange die Panik anhalte - dieselbe Panik, die sie gerade durch das Zurückhalten des Geldes verursachten! Eine Bank in Indiana hatte z. B. eine große Summe in Schecks an eine Morgan-Bank zum Einzug geschickt. Die Bank erhob auch das Geld, weigerte sich aber, es der Bank in Indiana auszuzahlen! Eine ganze Reihe solcher Geschichten wurden erzählt. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_3.htm (5 von 11) [15.02.2002 19:39:24]
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Unter diesen Umständen war das Schicksal der Konkurrenzfirmen von Morgan besiegelt. Der gegnerische Trust, der, wie wir anfänglich gehört haben, Kredit erlangt hatte gegen Hinterlage seiner Aktien, erhielt natürlich die Kündigung für diese Kredite, sobald die Aktien im Kurs zu sinken begannen und anderer Kredit war nirgends erhältlich. Seine Aktien gingen zu einem so geringen Kurs an Morgan über, daß Morgan bei der später einsetzenden Hochkonjunktur daran 670 Millionen Dollar gewann! Ebenso ging es allen andern Unternehmungen; worauf man früher eine Million Vorschuß bereitwillig bekommen hatte, war bald nur noch 900, dann 800 und endlich nur noch 700.000 Dollar zu erhalten. Die Folge waren Nachschußforderungen der selbst bedrängten Banken gegenüber den Kreditnehmern, die Unmöglichkeit, diese Nachschüsse zu leisten, Zwangsverkäufe über Zwangsverkäufe und noch rascher sinkende Kurse. Am schlimmsten ging es der Heinze-Morse-Thomas-Gruppe. Nicht bloß wurde ihr Eigentum sozusagen konfisziert: der Bezirksanwalt der Vereinigten Staaten wurde gegen sie gehetzt. Er zeigte plötzlich auffallend amtlichen Eifer. Morse wurde vor Gericht gebracht und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. (13 wurden ihm später durch Taft geschenkt.) Und nun fand man es an der Zeit, auf die Landesregierung selbst loszugehen. Morgan hatte im Jahre 1904 150.000 Dollar an die Wahlkosten von Roosevelt beigetragen. Man erzählt sich, daß Morgan Roosevelt mit einer weitern Reihe Bankerotte gedroht hätte und daß dieser seine Einwilligung zu einer Abschwächung des Antitrust-Gesetzes gab. Ja, noch mehr! Die Gerichtshöfe gaben dem Antitrust-Gesetz eine Auslegung, die sich niemand hatte träumen lassen, als das Gesetz gemacht wurde. Die hochwürdigen Richter fanden nämlich heraus, die Arbeiterverbände seien Trusts, und sie erließen Vorladungen gegen sie mit der Begründung, daß sie Verschwörungen gegen das Antitrust-Gesetz darstellten! Dadurch wurde nun das ganze amerikanische Volk gegen seinen Präsidenten gehetzt. Morgan sandte ihm zwei seiner Direktoren nach Washington und drohte ihm mit einer Panik. Es werde keine Bank in ganz Amerika geben, die sie nicht zwingen würden, ihre Zahlungen einzustellen. Der Präsident mußte gehorchen und 'die Majestät des Staates und der Gesetze wurde in den Kot gestampft unter dem goldgepanzerten Fuß eines meineidigen Zuchthäuslers'. Jetzt konnten die Finanzleute daran gehen, die bis auf den untersten Punkt gesunkenen Aktien und Anteilscheine der Unternehmungen zusammenzukaufen. Morgans Agenten mögen damals arbeitsreiche Tage erlebt haben! Morgan kaufte nachweisbar an einem Tag 100.000 Stück Aktien, die er zum dreifach höheren Kurs vor 8 Monaten verkauft hatte!
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Als er sich so verschafft hatte, was ihm begehrenswert schien, trat er als 'Retter des Vaterlandes' hervor und verkündigte großartig den Wunsch 'die Spannung zu lösen'. Der Finanzminister mußte jedoch den MorganBanken das Recht zu einer Ausgabe von 30 Millionen Dollar erteilen. So wurden die Mittel bereitgestellt, um die neue Preissteigerung durchzuführen. Am 24. Oktober 1907 wurden die ersten Darlehen ausgegeben, und zwar zu einem Zinsfuße von 20 und mehr Prozent. Für diese 'Tat' wurde Morgan gepriesen, wie man seinerzeit selbst Washington nicht gerühmt hatte. (...) Der Erfolg der Wirtschaftskrise von 1907 wird für Morgans Kasse auf 3.000 Millionen Dollar berechnet. Als 'Nebenerscheinung' ging in den Jahren 1907 und 1908 infolge der gewaltigen Arbeitslosigkeit der Reichtum der Vereinigten Staaten um 30 Milliarden Dollar zurück, das ist das Achtfache des damaligen schweizerischen Volksvermögens. Gegen Juni 1908 waren nach vorsichtiger Schätzung vielleicht 5 Millionen Arbeiter in den Vereinigten Staaten ohne Arbeit und konnten keine bekommen." (44) Es ist also nicht nur die Zinseszins-Akkumulation, die den Geldbesitzern riesige Einkommen und Vermögen verschafft, sondern auch diese durch Zinseszins-Akkumulation und - nicht zu vergessen! - durch die Ausbeutung von Bodenschätzen, insbesondere Erdöl, erworbenen Geldvermögen selbst, die es ihnen ermöglichten, riesige Krisengewinne zu machen und diese Krisen selbst zu inszenieren! Die damaligen Gold- bzw. Golddeckungs"währung" (die heute wieder von dem sozialdemokratischen Professor Wilhelm Hankel gefordert wird! (45)) war dazu besonders prädestiniert. Rockefeller Wir sehen, daß die Hochfinanz auf Grund der Zusammenballung von Geld- und Kapitalvermögen durch die Zinseszinsakkumulation und durch die allgemeinen Preisschwankungen in der Zeit des Goldautomatismus gewaltige wirtschaftliche und politische Macht ausüben konnte. Ist das heute anders? Der Zinseszins-Automatismus besteht fort und damit auch die exponentiell wachsende Kapitalkonzentration in den Händen einiger weniger Plutokraten. Durch die faktische Abschaffung der Goldwährung fallen lediglich die Spekulationsmöglichkeiten und -gewinne durch Deflationskrisen fort. Da aber das in der Vergangenheit angesammelte Geld- und geldähnliche Vermögen (Aktienkapital etc.) weiterhin in den Händen einiger Finanzkapitalisten vorhanden ist, steht ihnen auch dieses Vermögen als
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wirtschaftliches und politisches Machtmittel weiterhin zur Verfügung. Wie setzten sie diese nun heute ein? Das hat Ferdinand Lundberg einleuchtend in seinem Buch "The Rockefeller Syndrom" (46), also am Beispiel der Rockefeller-Familie, dargestellt. Er zeigt, daß die Großkapitalisten keine passiven Geldanleger sind, die allein vom Zinsertrag des Geldes profitieren. Diese "Finanzkapitalisten" (Lundberg) setzen ihre finanziellen Mittel - Bargeld und Wertpapiere, insbesondere Aktien - aktiv ein, um sich Vorteile auf dem Markt zu verschaffen, die über die Sonderstellung des Geldes als zinspressendes Mittel hinausgehen. Ihre ökonomischen Machtmittel nutzen sie sowohl direkt durch ihren Einsatz auf dem Markt als auch indirekt über finanzielle Zuwendungen an Personen aus Parteien, Parlamente, Behörden, Regierungen und Stiftungen. Lundberg hat dargestellt, wie "Kontrolle" in der Wirtschaft durch Beteiligung ausgeübt wird, daß, wenn die Aktien breit genug gestreut sind, bereits der Besitz von 10% der Aktien in einem wichtigen Unternehmen ausreicht, um damit einen "bestimmenden" Einfluß auf dieses Unternehmen ausüben zu können, und daß 25% diesen Einfluß "garantieren". (47) Von besonderer Bedeutung ist die Herrschaft über Banken, die den Finanzkapitalisten wiederum als Instrument zur Beherrschung der nationalen und der Weltwirtschaft dienen. Durch entsprechende Beteiligung an Banken, wie der Chase National Bank und der Bank of Manhatten (Chase Manhatten Corporation) und an der First National City Bank of New York, kontrolliert das aus dem Ölgeschäft (Grundrentner) hervorgegangene Rockefeller-Syndikat als, wie Lundberg feststellt, "Finanzkapitalist" das "Industriekapital": Macht und Einfluß des gegenwärtig erfolgreichsten Familienmitglieds der reichsten und mächtigsten Familie im reichsten und mächtigsten Land der Erde und seiner Chase Manhatten Bank beschreibt Lundberg so: "Wie schon Archimedes sagte: Wenn ein Mann einen genügend langen Hebel hat, kann er die Welt aus den Angeln heben. David Rockefeller verfügt über einen Machtapparat, der dem schon sehr nahe kommt: Politiker aller Welt achten sorgsam darauf, was die Chase sagt und tut. - Der Nettogewinn der Bank lag 1973 bei 163.095.000 Dollar." Und 1973 ist lange her... Außerdem ist die Chase "nur die drittgrößte Bank der USA nach der Bank of America (Kalifornien) und der First National City Bank of New York". Zusammen mit der First National City Bank stehen diese beiden Rockefeller-Banken jedoch "einsam an der Spitze". Banken sind also nicht nur "ehrliche Makler" zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern (wie Helmut Creutz meint), sondern auch Machtinstrumente der Finanzkapitalisten. Das zeigt schon die finanzielle Potenz, über die allein die Chase Manhatten Bank verfügt. "Wenn man Treuhandfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_3.htm (8 von 11) [15.02.2002 19:39:24]
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fonds, den indirekten Einfluß und die Mittel alliierter Banken hinzurechnet, (lag vor mehr als zehn Jahren; K. S.) die finanzielle Größenordnung der Chase und ihrer affiliierten Mitglieder des Rockefeller-Syndikats bei mindestens 200 Milliarden Dollar". (48) - Damit kann schon einiges mehr bewirkt werden, als mit dem, was der Ökobank je zur Verfügung stehen wird! Besonders trickreich wird von den Rockefellern das, das Image des Rockefeller-Clans fördernde, Stiftungswesen in den USA gehandhabt. Die meisten Universitäten sind dort private Stiftungen reicher Gönner. Die Rockefeller haben zahllose Universitäten gestiftet, und David II. selbst ist nicht nur Chef der Chase Manhatten Bank (bei der Mexiko, Brasilien, Argentinien und Venezuela Mitte der 80er Jahre mit 6,1 Mrd. Dollar verschuldet waren (49)), sondern auch Treuhänder einer dieser vielen Hochschulen. Diese Universitäten existieren von den Dividenden der Aktien, die ihnen "geschenkt" worden sind. Diese "Schenkungen" haben ihren Sinn: sie machen die Existenz dieser Tempel der Wissenschaft in hohem Grade von Dividenden und damit vom kapitalistischen Zinssystem abhängig, und sie machen sie den spendablen Finanzkapitalisten der Rokkefeller-Familie besonders ergeben! Dem Rockefeller-Syndikat ist es somit ein leichtes, meint Lundberg, die Hochschulen der Vereinigten Staaten für ihre Zwecke zu mobilisieren. Das gelte sowohl für Kampfabstimmungen in Aktionärsversammlungen und für die Berufung von Aufsichtsratsmitgliedern und -vorsitzenden, als auch bei der Erstellung von Gutachten, beim Schreiben von Aufsätzen und Büchern und bei der Verbreitung kapitalfreundlicher Ideologie, versehen mit dem Stempel der "Wissenschaftlichkeit". (50) Hinzu kommen der Einfluß auf Journalisten durch Beteiligungen an Zeitungskonzernen und die finanziellen Möglichkeiten der Bestechung von Politikern, Beamten, Wissenschaftlern und anderen "nützlichen" Personen. Letzteres geschieht über sogenannte "Kredite" an "Freunde" der Familie, netterweise zinslos oder zinsbillig. Diese Kredite verwandeln sich nach Ablauf der Amtsperiode und bei guter Führung, versteht sich, in "Schenkungen". So erhielt z. B. der von Rockefeller geförderte Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry A. Kissinger 50.000 Dollar als "Darlehens-Schenkung". "Die größte Summe (625.000 Dollar) ging an Dr. William J. Ronan, einen Professor der New York Universität." In diesem Zusammenhang gesehen, wird verständlich, warum der reaktionäre und drittrangige Western-Schauspieler Ronald Reagan zum Präsidenten des mächtigsten Landes der Erde gekürt wurde. Er ist als Westernheld gut und als Schauspieler schlecht genug, um im Staatstheater Weißes Haus in Washington die Rolle des starken Macho-Präsidenten vor dem Volk spielen zu können, und er ist gleichzeitig einfältig genug, sich für die Interessen seiner reichen Freunde aus der oberen Oberschicht einfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_3.htm (9 von 11) [15.02.2002 19:39:24]
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spannen zu lassen. Sie hat sich ihn als idealen "Präsidenten-Darsteller" (Spiegel-Formulierung) engagiert! Selbstverständlich ist das US-amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nicht völlig identisch mit dem bundesrepublikanischen. Doch ohne Zweifel leben auch wir in einer massen-"demokratischen" Parteien-Oligarchie, in der die Parteien bestimmte gesellschaftliche Klassen und Interessengruppen repräsentieren, und in einem kapitalistischen Marktsystem. Auch hier gibt es Superreiche mit ihren opportunisstischen Hofschranzen, und auch hier sind diese Reichen und Mächtigen wie ihre Lakaien in Redaktionen, Hochschulen, oberen Verbands- und Konzernetagen, in Parteien, Parlamenten, Staats- und Gemeindeverwaltungen siehe die "kriminelle Vereinigung" (Dieter Kunzelmann) Berliner CDUPolitiker mit ihrem hervorragenden Mitglied Baustadtrat Antes, z. Z. Tegel - nur Menschen. Die den US-amerikanischen Verhältnissen entsprechende Machtausübung der Deutschen Bank hat der Spiegel in einer Titelgeschichte beschrieben, Vergleiche sind also erlaubt. Daher werden wir z. B. die finanziellen Zuwendungen des alten Flick an namhafte Politiker der Weimarer Republik und Flick junior an die heutigen "Volksparteien" CDU/CSU, FDP und SPD ähnlich beurteilen dürfen, wie die adäquaten Vorgänge in den USA. (52) Auch in der BRD möchte schließlich Horten (großherziger Förderer der FDP) seinen Kapitalgewinn von 300 Millionen DM im Jahr wieder gewinnbringend anlegen können. Und Parteienspenden sind nun mal, wie Lundberg sagt, das "Schmierfett" der kapitalistischen Marktwirtschaft. Mit dem exponentiell wachsenden Finanzkapital (s. Kap. 2) wächst auch die ökonomische und politische Macht und damit auch der wachstumsfördernde und umweltzerstörende Einfluß der Plutokraten exponentiell. Es sind also nicht so sehr die unersättlichen Konsumenten, die für das tödliche Wachstum sorgen, sondern vor allem die anlagesüchtigen Finanzkapitalisten und ihre Hilfstruppen in der Politik, in den Zeitungsredaktionen und Universitäten, im Unternehmertum und nicht zuletzt in den Gewerkschaften. Natürlich liegt hier keine gigantische, zentralgesteuerte Verschwörung geheimnisvoller Mächte vor, wie manche glauben. (53) Und es sind auch nicht, wie z. B. Raoul Wallenberg und Philipp Reemtsma beweisen, alle Kapitalisten böse Buben. (53a) Es geht hier um die Manipulation verschiedener kollektiver Finanzmächte und Oligopole, die miteinander, gegeneinander und unabhängig voneinander operieren. Aber vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Kapitalkonzentration so weit fortgeschritten ist, daß eine einzige Plutokratenfraktion die Macht in der Weltwirtschaft und damit auch in der Weltpolitik ergreifen kann... In linken Kreisen wird das Problem der Macht des Finanzkapitals erst file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_3.htm (10 von 11) [15.02.2002 19:39:24]
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in jüngerer Zeit beachtet, bei einigen Autoren eher mystifiziert. (54) Aber auch die heutigen Anhänger Gesells beschäftigen sich kaum noch mit diesem von der naturwüchsigen Krisen-, Ausbeutungs- und Kapitalkonzentrationsfunktion des kapitalistischen Geldes relativ unabhängigen Problem der bewußt und gezielt organisierten ökonomischen und politischen Machtausübung mittels der nun einmal zinseszinsakkumulierten Geldund Kapitalvermögen durch ihre Eigentümer. Doch beides ist gleich wichtig, denn das Geld ist nicht nur ein Schlüsel zum Markt, sondern - angehäuft - auch ein Hebel zur Machtausübung in der Gesellschaft. Werden lediglich das Finanz- und Großkapital und die Großbanken enteignet und verstaatlicht oder dezentralisiert, dann sorgt der Hydra-Effekt der Zinseszinsakkumulation immer wieder für die Anhäufung und Konzentration von Kapital, und auch Staats-, "Volks"- oder Ökobanken kommen nicht ohne eine Liquiditätsverzichtsprämie, ohne den Zinstribut, an das Geld der Sparer und Finanzkapitalisten ran (s. China, Kap. 12!). Wird jedoch lediglich das heutige Geld durch ein zinsfreies ersetzt, dann bleibt immer noch das nun einmal akkumulierte Finanzkapital als geballte wirtschaftliche und politische Macht erhalten und aktionsfähig. Ich meine, es muß sowohl die naturwüchsige Zinsknechtschaft des Geldes (und des Bodens), als auch die Macht des konzentrierten Finanzkapitals gebrochen werden. - Allein schon, um ein neues Geldsystem durchsetzen zu können!
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
4. Wenn Geld doch "stinkt"! - "Rostende" Tauschmittel in Theorie und Praxis "Wenn alle Produkte einen gleich leicht auszutauschenden Wert hätten wie das Geld, so würden alle Arbeiter dieselben Vorteile genießen, wie die Inhaber der baren Münze; jeder besäße in seiner Produktionsfähigkeit eine unerschöpfliche Quelle des Reichtums." "Den Tauschverkehr organisieren, heißt die Herabsetzung des Kapitalzinses bis ins Unendliche, bis zur Vernichtung organisieren, es heißt den Sieg der Arbeit über das Kapital sichern... P. J. Proudhon Obwohl sich Gesell gegen das Wachstum des Finanzkapitals wendete, begrüßte er seiner Zeit das Wachstum des Realkapitals. Das können wir so heute nicht mehr akzeptieren; wir dürfen aber auch nicht übersehen, daß materieller Reichtum ein hohes Maß an Produktionsmitteln voraussetzt. Von besonderer Bedeutung ist jedoch, daß ein hohes Angebot an Sachkapital auf den Kapitalzins drückt und ihn schließlich zum verschwinden bringt! Voraussetzung ist allerdings, daß ein Zustand der "Vollinvestition" (Keynes) erreicht wird, womit dann auch das Wirtschaftswachstum im Wesentlichen abgeschlossen wäre. Vollinvestition markiert die Grenze des "natürlichen" Wachstums einer Volkswirtschaft. Vollinvestition ist das Gegenstück zur Unter- und Überinvestition. (55) Sie verkörpert die für die Befriedigung der Nachfrage der Konsumenten nach Gütern und Dienstleistung ausreichende Bereitstellung von Produktionsmitteln in der Wirtschaft: das makroökonomische Gleichgewicht zwischen der Nachfrage nach Produkten und dem Angebot an Produktionsmitteln. Vollinvestition bedeutet, daß weder das Realkapital durch den Geldzins künstlich verknappt wird (was Unterinvestition bedeutet), noch daß über den Verbraucherbedarf hinausgehende Investitionen zum Zweck der Zinseszinsakkumulation getätigt werden (Überinvestition).
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Vollinvestition ist der Zustand des wirtschaftlichen Gleichgewichts bei Vollbeschäftigung und Null-Zins. Über Produktion und Neuinvestitionen (was Wirtschaftswachstum bedeutet) entscheiden dann die Besitzer ihres "vollen Arbeitsertrages" (56) und nicht die Besitzer akkumulierter Zinsen. Genauer gesagt: Die Produzenten (???) entscheiden entsprechend ihren Bedürfnissen "basisdemokratisch" durch ihre individuelle Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen auf dem Markt, ob zusätzlich investiert wird und die Wirtschaft wachsen soll, und nicht die Finanzkapitalisten entsprechend ihren Zinsinteressen mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht. Mit Vollinvestition ist jener Zustand erreicht, den, wie Keynes, auch Proudhon und Gesell anstrebten und den Keynes so beschreibt: "Ich bin überzeugt, daß die Nachfrage nach Kapital streng begrenzt ist, in dem Sinne, daß es nicht schwierig wäre, den Bestand an Kapital (außer Boden, wie Keynes wohl wußte) bis auf einen Punkt zu vermehren, auf dem seine Grenzleistungsfähigkeit auf einem sehr niedrigen Stand gefallen wäre. Dies würde nicht bedeuten, daß die Benützung von Kapitalgütern sozusagen nichts kosten würde, sondern nur, daß der Ertrag aus ihnen nicht viel mehr als ihre Erschöpfung durch Wertverminderung und Veraltung, zusammen mit einer gewissen Spanne für das Risiko und die Ausübung von Geschicklichkeit und Urteilsvermögen, zu decken haben würde. Kurz gesagt, der Gesamtertrag von dauerhaften Gütern während ihrer Lebensdauer würde, wie im Falle von Gütern von kurzer Dauer, gerade ihre Arbeitskosten der Erzeugung plus einer Entschädigung für Risiko und die Kosten der Geschicklichkeit und Aufsicht decken. Obschon dieser Zustand nun sehr wohl mit einem gewissen Maß von Individualismus vereinbar wäre, würde er doch den sanften Tod des Rentners bedeuten, und folglich den sanften Tod der sich steigernden Unterdrückungsmacht des Kapitalisten, den Knappheitswert des Kapitals auszubeuten. Hier entpuppt sich Keynes als Antikapitalist (was von Sozialdemokraten, die ihn lediglich als Staatsinterventionisten schätzen, ignoriert wird). Denn: Vollinvestition ist ein Zustand, in dem Produktionsmittel und Waren des Zinses entledigt und somit kein Kapital mehr sind! (58) Um diese Entkapitalisierung zu erreichen, ist die Gleichstellung der Ware mit dem Geld (Proudhon) bzw. des Geldes mit der Ware (Gesell) unumgänglich. Die Idee der "rostenden Banknoten" Anders als durch Tauschbanken, wie sie Proudhon und andere vor ihm geplant hatten, wollten Gesell und zur gleichen Zeit und unabhängig von ihm Nicolas A. L. J. Johannsen die Gleichstellung von Ware und Geld durch die Schaffung eines Tauschmittels erreichen, das sich, wie es Rudolf
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Steiner formuliert, ebenso "abnutzt" wie die übrigen Waren. Sie wollen das durch die Belastung des Geldes mit einer "Geldsteuer" (Johannsen (59)), mit einer Nutzungs- oder Rückhaltegebühr erreichen, ähnlich, wie es Bibliotheken machen, die jene Leser mit Säumnisgebühren belasten, die ausgeliehene Bücher nicht termingerecht zurückbringen und sie dadurch anderen vorenthalten, oder die Bundesbahn, die für nicht entladene Güterwagen Standgebühren von ihren Kunden verlangt. Ein Geld mit "Standgebühren", das auch der US-amerikanische Ökonom und Fürsprecher Gesells, Irving Fisher, die Anarchisten Gustav Landauer und Erich Mühsam (s. Text 4 u. 8) und der Anthroposoph Steiner für "sehr wertvoll" und "außerordentlich wichtig" halten. (60) Diese Idee von einem Geld, das sich wegen seiner ganz konkreten Abnutzung nicht kostenlos horten läßt, ist 2.300 Jahren alt! Bereits der grichische Aussteiger und Anarchophysiokrat Diogenes, Sohn eines reichen Bankiers, forderte, daß das Geld mit metallischem Eigenwert abgeschafft und durch Münzen aus wertlosem Stoff ersetzt wird. Seine Münzen sollten aus Knochen bestehen. Aus diesem Stoff hergestellt, würden sie durch Gebrauch verschleißen und auf diese Weise vergänglich werden. Ihr Tauschwert würde allein von ihrer merklich schwindenden Kaufkraft und nicht von einem unvergänglichen stofflichen Eigenwert bestimmt werden. Bei Verschatzung würden sie sich zwar nicht abnutzen, jedoch verwesen und unangenehm stinken. Das alles würde ihre Besitzer zwingen, dieses Geld in den Umlauf zu bringen. Die Knochenmünzen würden ausschließlich und alleiniges Tauschmittel sein, während das unvergängliche und geruchlose Gold und Silber allein als Sparmittel verwendet wer den würde. (61) Lykurg ließ in Sparta, wie Cristel Neusüß und Marlene Kück berichten, die Goldmünzen gegen Eisenmünzen austauschen. Bei Eisenmünzen mit ihrem geringen metallischen Eigenwert "müsse der Schatzbildner ganze Wagenladungen in sein Haus transportieren und lagern, und so was würde auffallen". Auf diese Weise könne die Geldhortung, die auch Lykurg für schädlich hielt, leicht kontrolliert und unterbunden werden. (61) Bemerkenswert erscheint mir, daß gehortetes Eisengeld rostet, dadurch an metallischem Eigenwert und somit auch an Kaufkraft verlieren könnte ("Schwundgeld" bei unveränderlichem Preisniveau!). Voraussetzung ist allerdings, daß (wie Marx angenommen hat) der Metallwert tatsächlich den Tauschwert der Münzen bestimmt, was bekanntlich - siehe Papiergeld (189) - nicht der Fall sein muß. Gesell entwickelte die Technik "rostender Banknoten". Es sollten Geldscheine unterschiedlicher Stückelung ausgegeben werden, die wöchentlich oder monatlich mit einer Marke im Wert von 0,1 bzw. 1/2 Prozent ihres Nennwertes beklebt werden und nur mit diesen Marken ihren aufgedruckten Nennwert behalten. Das entspricht einer Gebührenbelafile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_4.htm (3 von 10) [15.02.2002 19:39:26]
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stung des einzelnen Geldscheins von 5,2 bzw. 6% im Jahr, etwa soviel, wie nach Gesells Meinung auch der jährliche "Schwund" aller Waren im Durchschnitt beträgt. Ohne Gebührenmarken würde sich die Kaufkraft der Geldscheine also exponentiell entwerten und der Angebotsdruck um so spürbarer werden, je länger sie der Zirkulation entzogen blieben. Die Klebemarken könnten bei Banken, Sparkassen, Postämtern und ähnlichen Institutionen gekauft werden. Sind die Geldscheine vollgeklebt, können sie bei diesen Institutionen zu ihrem Nennwert gegen neue eingetauscht werden. (62) Da die Geldbesitzer sich vor dieser "Steuer" drücken wollen, werden sie ihr Geld so schnell wie möglich wieder ausgeben, es also nicht horten. Damit wäre die Doppelfunktion des Geldes als Tausch- und Sparmittel beseitigt: es hat mit der Sparfunktion auch seine "Riegel"-Funktion in der Zirkulation verloren und ist nur noch "Schlüssel" zum Markt. Dieses "Schwundgeld" (Gesell) kann dann von seinem Besitzer auf zwei Wegen ausgegeben werden: Er kann dafür Produkte kaufen, oder - wenn er geleistete Arbeit sparen will - seine in Geld "geronnene" Arbeitsleistung an andere Käufer verleihen; in beiden Fällen bleibt die Kauf- und Tauschfunktion des Geldes erhalten. Will er beides nicht, dann kann er sein Arbeitseinkommen entsprechend seiner Ersparnis durch Arbeitszeitverkürzung einschränken! Schließlich ist Freizeit auch ein wertvolles, der Bedürfnisbefriedigung dienendes Gut. Wer jetzt sparen will, muß es in Sachgütern tun, auf Sparkonten oder er muß sein Geld als Kredit anlegen: Darlehen geben, Wertpapiere kaufen etc. Das führt zu einem Angebotsdruck von Geld auch auf dem Kreditmarkt und damit zum Sinken des Kreditzinses. Ist der Angebotsdruck des Geldes in der Volkswirtschaft quantitativ gleich dem aller relevanten Waren und der Kreditnachfrage, dann erhält der Geldverleiher nicht mehr die qualitative Überlegenheit des hortbaren Geldes vor den nicht-hortbaren Waren in Form des "Urzinses" (Gesell). Der Schwundgeld-Geber wird sich im Durchschnitt und im allgemeinen - wie bei einem Warenkredit in einer geldlosen Wirtschaft (s. Gesells Robinsonade, Text 3) - mit der Vereinbarung zufrieden geben müssen, nach Ablauf der Kreditfrist die Kaufkraft in Form von Geld zurückzuerhalten, die er selbst erarbeitet und verliehen hat. Er bekommt also nach Ablauf dieser Frist keinen größeren Anteil am Sozialprodukt zu Lasten des Kreditnehmers, als er selbst produziert hat. Außerdem kann er nicht ohne eigenen materiellen Schaden Tauschmittel periodisch aus dem Wirtschaftskreislauf herausziehen und dadurch Absatzstockungen hervorrufen. Auf Grund der Gebührenlast für Geldhortung kann er diesen gesellschaftlichen "Schlüssel" zum Markt nicht mehr ungestraft durch Hortung in ein privates Sparmittel und damit in einen "Riegel" des Marktes (Proudhon) verwandelt. Dadurch werden auch file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_4.htm (4 von 10) [15.02.2002 19:39:26]
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Währungsspekulationen erschwert, die, wie wir in Kap. 3 gesehen haben, auf Geldhortung basieren. Auch Keynes ist der Ansicht, daß "Durchhaltekosten" für Geld ein Mittel sein könnte, um Konjunkturkrisen und Arbeitslosigkeit zu überwinden. "Jene Reformatoren", schreibt er, "die in der Erzeugung künstlicher Durchhaltekosten des Geldes ein Heilmittel gesucht haben, zum Beispiel durch das Erfordernis periodischer Abstempelungen der gesetzlichen Zahlungsmittel zu vorgeschriebenen Gebühren, sind somit auf der richtigen Spur gewesen; und der praktische Wert ihrer Vorschläge verdient, erwogen zu werden." (63) Schwundgeld-Experimente Diese Tauschmittel-Umlaufsicherung ist keine blasse Theorie; sie ist nicht nur erwogen, sie ist auch praktiziert worden. Und selbst in beschränktem Rahmen kleiner, autonomer Selbsthilfe-Initiativen von Bürgern und Gemeinden und in Form des primitiven Klebegeld-Verfahrens hat es sich bewährt: das Geschäftsleben kam wieder in Gang und die Arbeitslosigkeit wurde erheblich reduziert. Diese Schwundgeld-Experimente hat es, wie Werner Onken berichtet, u. a. in Deutschland, Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, Spanien, in den USA und in Brasilien gegeben. (64) Der erste "Freigeld"-Versuch wurde 1926 von Hans Timm und Helmut Rödiger vorbereitet. 1929 gründeten sie die Wära-Tauschgesellschaft. "Nach zwei Jahren gehörten der Tauschgesellschaft bereits mehr als eintausend Firmen aus allen Teilen des damaligen Deutschen Reiches als Mitglieder an. Unter ihnen waren Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, Molkereien, Restaurants, Reformhäuser, Schlachtereien, Blumenläden, Friseursalons, Handarbeitsläden, Möbelgeschäfte, Elektrohändler, Fahrradgeschäfte, verschiedene Handwerksbetriebe, Druckereien, Buchhandlungen und Kohlenhandlungen." Im Herbst 1930, mitten in der großen Weltwirtschaftskrise, wurde mit Hilfe eines Wära-Kredits ein 1927 in Konkurs gegangenes Braunkohlebergwerk in Schwanenkirchen im Bayrischen Wald wieder in Betrieb genommen. "Während die Massen von Arbeitslosen anderenorts große Not zu leiden hatten, kam die lokale Wirtschaft in Schwanenkirchen, Hengersberg und Schöllnach wieder in Gang. Alsbald war die Rede von der 'Wära-Insel im Bayrischen Wald', wo die Arbeitslosigkeit gebannt war und wo die umlaufenden Wära-Scheine einen steigenden Absatz der Waren vermittelten", schildert Onken dieses "Wunder von Schwanenkirchen". Im Oktober 1931 verbot Finanzminister H. Dietrich im Zuge der Notverordnungen (!) diese sich netzartig ausbreitende Bürgerinitiative. Diet-
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rich war Minister jener Regierung, die durch die berüchtigte Brünningsche Deflationspoilitik Hitler den Weg zur Macht ebnete. Ein weitere Schwundgeld-Initiative wurde weltberühmt: die der Tiroler Landgemeinde Wörgl (s. Bericht, Text 6). Dort beschloß der Wohlfahrtsausschuß der 4.200-Seelen-Gemeinde auf Vorschlag ihres sozialdemokratischen Bürgermeisters Michael Unterguggenberger am 5. Juli 1932 mit den Stimmen aller Parteien die Durchführung seines Schwundgeld-Notprogramms. Auch hier wurde der Umlauf der kurz darauf ausgegebenen "Arbeitsbestätigungen" mit einer allmonatlich fälligen einprozentigen Strafgebühr für Hortung gesichert. Auch hier kam das Geschäftsleben wieder in Gang, und während die Arbeitslosigkeit im übrigen Österreich um 10% anstieg, ging sie in Wörgl im selben Zeitraum um 25% zurück. Auch hier begann das Experiment Kreise zu ziehen: "Die Tiroler Gemeinden Hopfengarten, Brixen und Westendorf mit insgesamt 16.000 Einwohnern beschlossen (ebenfalls) die Ausgabe von Arbeitsbestätigungsscheinen." Doch auch hier wurde die Entwicklung gestoppt. Auch hier schaltete sich die Staatsgewalt ein und ließ diese erfolgreiche Bürgerinitiative gegen Absatz- und Beschäftigungskrise durch ein Gerichtsurteil verbieten. "Am 15. 9.1933 mußten die Arbeitsbestätigungsscheine wieder aus dem Verkehr gezogen werden", mit den entsprechenden wirtschaftlichen und letztendlich auch politischen Folgen (s. Kap.13). - Auch hier bestätigte sich Tuckers wie Gesells Kritik an der kapitalverbundenen, destruktiven Gewalt des Staates (s. Kap.1). Obwohl die gesamte Weltwirtschaft in Agonie lag, trotz des umständlichen Klebemarken-Verfahrens und trotz Einführung des "Freigeldes" in kleinen, von der Gesamtwirtschaft abhängigen Gemeinden, war dieses anarchistische Geld, wo immer es im Sinne Gesells praktiziert worden ist, erfolgreich. Neuerdings versucht Margrit Kennedy in einer norwegischen Gemeinde ein weiteres Schwundgeldexperiment anzutörnen. Heute sind praktikablere Methoden der Umlaufsicherung entwickelt worden. Zur Bargeldbesteuerung könnten z. B. drei verschieden gekennzeichnete Serien aller Banknoten-Stückelungen herauszugeben werden. An einem vorher nicht bekannten Tage X wird eine der drei Serien, die vorher ebenfalls unbekannt ist, zum Umtausch aufgerufen. Innerhalb einer ausreichenden Frist können die Noten dieser Serie bei Banken, Sparkassen, Postämtern usw. gegen neue eingetauscht werden, anderenfalls werden sie ungültig. In gleicher Weise kann auch mit den Münzen verfahren werden, wenn es notwendig sein sollte. Beim Umtausch wird eine Gebühr erhoben, die in einem Jahr insgesamt etwa 5% des gesamten Bar-
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geldumlaufs ausmacht. Von dieser Gebühr werden die Kosten des Umtauschverfahrens finanziert, Überschüsse wie Steuermittel verwendet. (65) Wenn einmal im Jahr eine Serie aufgerufen wird und der einzelne Bürger mit 200 DM betroffen ist, weil er so viele aufgerufene Scheine zufällig in der Tasche hat, dann erhält er beim Umtausch dieser Summe 170 DM zurück. Für 200 DM Kassenhaltung zahlt er also maximal 30 DM Geldsteuer im Jahr, im Durchschnitt jedoch lediglich 10 DM - keine große Summen für kleine Geldbesitzer. Ganz anders sieht es jedoch für jene aus, die große Summen zu Spekulationszwecken liquide halten. Jede Million würde seinem Besitzer im Durchschnitt 50.000, maximal 150.000 DM im Jahr kosten. Und wenn das nicht reichen sollte, diese Geldvermögen zinslos in den Verkehr zu bringen, könnte die Geldsteuer noch ganz erheblich heraufgesetzt werden. Die Einnahmen könnten für gemeinnützige Zwecke verwendet werden und würden so allen Bürgern zugute kommen. - Warum den Hund der Oma besteuern, aber nicht den Geldsack des schmarotzenden, superreichen Finanzkapitalisten? Dieter Suhr hat den Vorschlag gemacht, das Giralgeld zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu erheben und eine Liquiditätsgebühr als Durchhaltekosten von den Guthaben der Girokonten abzubuchen. Nach dem Greshamschen Gesetz (66) würde dieses "schlechte" Buchgeld das "gute" Bargeld weitgehend aus der Zirkulation verdrängen und sich so als allgemeines Tauschmittel ausbreiten. (67) Schwundgeld in der Geschichte Nicht nur die Theorie der "stinkenden" und sich "abnutzenden" Münzen, auch die Praxis des umtausch- und gebührenpflichtigen Papiergeldes ist nichts neues. Wie Hans Weitkamp berichtet, brachte die Ming-Dynastie in China 1375 Geldscheine in den Verkehr, die nur zwei Jahre gültig waren und dann gegen einen Abzug von 2 bzw 3% ihres Nennwertes umgetauscht werden mußten. Auch diese geringe Besteuerung, die bis ins 15. Jahrhundert praktiziert wurde, verhinderte laut Pirenne die Geld-"Hortung". (68) Aber auch im europäischen Mittelalter ist eine ähnlich Technik der Geld-"Verrufung" praktiziert worden, und zwar in Deutschland, Polen und Österreich. Es war die Zeit der Brakteaten, jener Münzen, die ebenfalls regelmäßig umgetauscht werden mußten, zunächst beim Regierungsantritt eines Fürsten, später nach Jahresfrist und schließlich zwei bis vier Mal im Jahr. Für ihre Neuprägung wurde ein erheblicher "Abschlag" (20 - 25%) für den "Schlagschatz" des Prägemeisters und des
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Fürsten erhoben. Wie das Schwundgeld Gesells und der Mings, konnte auch der Brakteat nicht ungestraft dem Wirtschaftskreislauf entzogen und verschatzt werden: die "Riegel"-Funktion des Geldes war gebrochen, und trotz der zu hohen Abgaben und des lästigen, weil zu häufigen Umtausches entfaltete sich eine erstaunliche Wirtschaftsblüte. Initiator war der Magdeburger Erzbischof Wichmann. (Er war von Barbarossa eingesetzt worden, jenem Kaiser, dem die Deutschen in der Kyffhäuser-Sage nachtrauerten.) Um sich Einnahmen zu verschaffen und ohne zu ahnen was er damit bewirkt, hat er die damalige Münzverrufung ab 1152 zur vollen Entfaltung gebracht. Erst 200 Jahre später wurde sie wieder eingeschränkt, und Mitte des 15. Jahrhunderts wurde der lästige "Dünnpfennig" endgültig durch den "ewigen Pfennig" ersetzt. Über genau diesen Zeitraum schreibt Adolf Damaschke: "Die Zeit etwa vom Jahre 1150 bis zum Jahre 1450 ist eine Zeit außerordentlichen Aufschwungs, eine Zeit der Blüte der Volkswirtschaft, wie wir sie uns heute kaum mehr vorzustellen vermögen." In der Tat war das die Zeit, in der in Städten, die, wie Köln, noch nicht einmal 30.000 Einwohner zählten, die gewaltigen gotischen Dome gebaut wurden, mit primitiven technischen Mitteln und nicht finanziert von reichen Mäzenen, sondern vom Volke selbst. Zu dieser Periode gehört die Zeit von Ende des 13. bis Ende des 15. Jahrhunderts, als in Nord-, Mittel- und Osteuropa mit der Deutschen Hanse der Handel aufblühte und Lübeck und Wisby, Hamburg und Nürnberg, Bremen und Reval, Danzig und Augsburg große, reiche und politisch selbständige Städte wurden. Ein Zeitalter, in der die "Stadtluft frei machte" und "die Bauern silberne Knöpfe trugen", wie es in Chroniken heißt. Wo, wie der Anarchist Rocker schreibt, der Staat noch unentwickelt war und das autonome Leben der Gemeinden und Gemeinschaften in voller Blüte stand. - Und es war "die lange Epoche des Mittelalters, (die) von Geldkrisen verschont geblieben" ist, wie der Ökonom Geattens feststellt! (69) Sinnlich eindrucksvoll vermittelt uns Damaschke das damalige Leben und Treiben in dieser für das heutige Verständnis "unterentwickelten" Agrargesellschaft: "Die Arbeitszeit war günstig. Die Schicht für Bergbauer und Schmelzer betrug bis Mitte des 15. Jahrhunderts allgemein sechs Stunden." "Vielfach wurde von den Handwerksgesellen mit Erfolg auch noch die Freigabe des Montags ("blauer Montag"; K. S.) mit der Begründung gefordert, die Gesellen brauchten den freien Tag, um Zeit für Beratung ihrer Angelegenheiten, für Übungen in Waffen und zum Baden zu haben!" "Da die Zahl der streng innegehaltenen Sonn- und Feiertage mindestens 90 (im Jahr; K. S.) betrug, so brauchten die Handwerksgesellen, wenn sie auch noch die Freiheit des Montags erkämpft hatten, in der Woche durchfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_4.htm (8 von 10) [15.02.2002 19:39:26]
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schnittlich nur vier volle Tage zu arbeiten, und auch an diesen Tagen war für geregelte Arbeitszeit gesorgt." "In Bremen verdiente ein Maurer um 1400 täglich 3 Groot, während ein fettes Schwein mit 24 Groot bezahlt wurde." "Mehrfach durchbrachen die Handwerksknechte sogar das einfache Lohnsystem und arbeiteten mit dem Meister 'auf den dritten oder halben Pfennig', d. h. sie erhielten vom Ertrag der gemeinsamen Arbeit ein Drittel oder die Hälfte als ihren Anteil." Die Frauen standen gleichberechtigt mit den Männern im Berufs- und Zunftleben: "Mehr als der vierte Teil aller Steuerpflichtigen wurde (..) zeitweise von selbständigen Frauen gebildet, wobei natürlich alle Frauen, die in Klöstern, Spitälern, Anstalten lebten, nicht mitgerechnet sind." Auch die wissenschaftlichen Berufe waren den Frauen nicht verschlossen. Hier kam in erster Reihe die Heilkunde in Betracht." "Von 1389 1497 sind aus Frankfurt a. M. 15 Ärztinnen bekannt geworden, darunter 3 Augenärztinnen und 4 Judenärztinnen." Der Lebensstandard des "gemeinen" Volkes war auffällig hoch. Um das üppige Leben der Lohnabhängigen zu zügeln, verordneten die Herzöge Ernst und Albrecht von Sachsen: "Den Werkleuten sollten zu ihrem Mittag- und Abendmahle nur vier Essen, an einem Fleischtage eine Suppe, zwei Fleisch und ein Gemüse, auf einen Freitag und einen anderen Tag, da man nicht Fleisch isset, eine Suppe, ein Essen grün und dörre Fische, zwei Zugemüse; so man fasten müsse, fünf Essen, eine Suppe, zweierlei Fisch und zwei Zugemüse und hierüber 18 Groschen, den gemeinen Werkleuten aber 14 Groschen wöchentlicher Lohn gegeben werden (...)." (70) Damaschke führt diese dreihundertjährige Wohlstandsperiode allerdings nicht auf die fehlenden Geldkrisen, sondern auf das in vielen Gemeinden vorherrschende Gemeineigentum am Grund und Boden, auf die Möglichkeit der Landbevölkerung, in die aufblühenden Städte abwandern zu können, und vor allem auf die Besiedlung des nord- und ostelbischen Raums seit 1230 durch deutsche und niederländische Bauern mit Hilfe des Deutschritterordens zurück. Vor allem dadurch, aber auch durch die große Teile der Bevölkerung dahinraffenden Pestepidemien, sei der Boden, das wichtigste Produktionsmittel der damaligen Agrargesellschaft und gleichzeitig auch der Feudalherren, entvölkert worden. Auf Grund dieser günstigen ökonomischen Situation für die Leibeigenen, Hörigen und Zinsbauern gegenüber dem aufkommenden Feudaladel konnten die Bauern Teile ihres alten germanischen Bodenrechts erhalten oder gar zurückgewinnen und bessere Pacht-, Lohn- und Arbeitsbedingungen aushandeln. Das hätte zu dem für damalige Verhältnisse hohen Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten geführt.
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Diese Bodensituation bleibt von den Freiland-Freigeld-Anhängern Fritz Schwarz und Karl Walker, die diese Zeit als Schwundgeld-Epoche beschreiben, (71) erstaunlicherweise unbeachtet, während der Bodenreformer Damaschke die Eigenartigkeit des damaligen Geldsystems übersieht. Es dürfte wohl kein Zweifel sein, daß sowohl das "Freigeld des Mittelalters" (Schwarz), wie auch die fallende Grundrente durch das "Freiland"-Angebot des Ostens zur Blüte der Gotik und zum Volkswohlstand geführt haben. Diese positive historische Geld- und Bodenerfahrung verleiht der Forderung Gesells und anderer Anarchisten nach einer Reform sowohl des Geldwesens wie des Bodenrechts ihre besondere Legitimität. Als die Ostlandbesiedlung nach 1410 zu Ende ging und der letzte Brakteat Mitte des 15. Jahrhunderts wieder abgeschafft und durch den "ewigen Pfennig", der jetzt im Strumpf und in der Schatztruhe verschwand, ersetzt worden war, ging auch der Volkswohlstand zurück und die sozialen Konflikte nahmen erheblich zu. 1489, kaum 40 Jahre nach der Abschaffung des mittelalterlichen Schwundgeldes, wurde das Buch "Der Hexenhammer", die berüchtigte Anleitung zur Folter, von der katholischen Kirche in Rom herausgegeben, und mit ihm nahmen die Hexenverfolgungen unglaubliche Ausmaße an. Zur gleichen Zeit begann der Aufstieg der mächtigen Finanzkapitalisten Fugger und Welser, die ihre Geldschätze gegen hohe Zinsen den Fürsten und Kaisern für ihre blutigen Machtkämpfe liehen. 1525 entbrannte die Bauernrevolution, 1533 scheiterte die Kommune der Wiedertäufer in Münster mit ihrer militanten Frauenbewegung (71a) und so fort. - Auf das "finstere" Mittelalter folgte die Zeit der Renaissance: die Zeit der Wiederbelebung des antiken Geistes des römischen patriarchalischen Sklavenhalterstaates.
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
5. Die "absolute Währung" des "Schwundgeldes" " .. wir leben von der Zirkulation! Wie die Zirkulation des Blutes die ursächliche und bewegende Funktion des menschlichen Körpers ist, so ist die Zirkulation der Produkte die ursächliche und bewegende Kraft des sozialen Körpers." P. J. Proudhon Mit einem Tauschmittel unter Umlaufzwang allein lassen sich die geldbedingten Probleme, wie ich sie in den Kapiteln 2 und 3 geschildert habe, allerdings nicht lösen. Es muß noch das hinzukommen, was es - eher zufällig - im Mittelalter gab und die Ming-Dynastie bewußt herbeizuführen versuchte: ein stabiles Preisniveau. Um die dazu notwendige und von Gesell geforderte "absolute Währung" der Kaufkraftstabilität der "rostenden Banknoten herzustellen, sind zwei Voraussetzungen erforderlich: 1. Die von der Notenbank (Zentralbank) oder einem Währungsamt ausgegebene Geldmenge muß der angebotenen Warenmenge entsprechen (Geldmenge = Handelsvolumen). 2. Es muß sichergesellt werden, daß die in den Verkehr gebrachten Tauschmittel auch kontinuierlich umlaufen (also präzisiert: umlaufende Geldmenge = Handelsvolumen). Die Umlaufsicherung garantiert der "Rost" des Schwundgeldes; die Anpassung der Geldmenge besorgt die Technik der "Indexwährung". Der Zusammenhang von Geldmenge, Geldumlauf und Preisniveau läßt sich durch die Quantitätssformel des Geldes verdeutlichen: P = (GM x GU) : H "P" steht für Preisniveau. Mit Preisniveau ist nicht die Stabilität der einzelnen Warenpreise, sondern die Stabilität des Durchschnittspreises aller produzierten und angebotenen Waren gemeint. Zur Regulierung der Menge und der Art der Produkte müssen die Einzelpreise elastisch, zur Vermeidung von Konjunkturschwankungen muß des Preisniveau stabil sein. "GM" steht für die Geldmenge, die durch die Aktivitäten der zentralen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_5.htm (1 von 6) [15.02.2002 19:39:28]
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Notenbank in den Verkehr gebracht wird. Hierbei orientiert sie sich ganz im Sinne Gesells und anderer Anarchisten - nicht mehr an einem Goldstandard und an ihren Goldhorten ("Goldreserven") in ihren Notenbankkellern (eine archaische Methode der Geldmengenregulierung!), sondern an den Bedürfnissen der Volkswirtschaft. Wichtigster Maßstab für die richtige Geldmenge ist das in der Volkswirtschaft gegebene Handelsvolumen. Das heißt, das ausgegebene Geld wird durch die produzierten und angebotenen Waren gedeckt. "GU" bezeichnet die Umlaufsgeschwindigkeit der ausgegebenen Geldmenge. Streng genommen handelt es sich hierbei um die zeitlich und mengenmäßig schwankende Hortung (Kassenhaltung) eines Teils der ausgegebenen Geldmenge. Im Ergebnis ist es jedoch gleichgültig, ob wir Geldmenge minus Kassenhaltung oder Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit rechnen, übrig bleibt immer die "wirksame Nachfrage" (Keynes). "H" bedeutet Handelsvolumen. Das ist die gesamte Warenmenge, bestehend aus Produkten wie Dienstleistungen, die in einem bestimmten Zeitraum auf dem Markt angeboten wird. Interessanterweise fehlt in der Quantitätsformel der Faktor Umlaufsgeschwindigkeit der Warenmenge. Er erübrigt sich jedoch, und zwar nicht deswegen, weil Waren nicht "umlaufen" (zirkulieren) wie das Geld (sie gehen nur einmal ihren Weg vom Produzenten zum Verbraucher), sondern weil sie - anders als das Geld - wegen ihrer natürlichen Durchhaltekosten einem Angebotsdruck unterworfen sind (s. Kap.1). Außerdem produzieren und lagern die Warenbesitzer Waren nicht, um sie zu horten, sondern weil sie sie verkaufen, gegen Geld eintauschen wollen. Denn sie haben, wie Keynes sagt, ein Vorliebe für liquide Mittel, und das ist Geld! Von speziellen Situationen abgesehen (Krieg, Katastrophen, schlechte Ernten etc.), ist Warenhortung also kein Problem; die Durchhaltekosten der Waren und der Wunsch nach Liquidität sichern ihr kontinuierliches Angebot auf dem Markt, von ihnen gehen keine Störungen der Zirkulation aus. Im Unterschied zur geschöpften (GM) und zur nachfragenden (GU) Geldmenge, kann die produzierte und die angebotene Warenmenge also unter dem Begriff Handelsvolumen zusammengefaßt werden. - In dieser unterschiedlichen Behandlung von Ware und Geld in der Quantitätsformel drückt sie deutlich die qualitative Differenz von Ware und Geld aus! (72) Die Geldmenge (GM) reguliert die Notenbank heute durch den Anund Verkauf von Wertpapieren, Gold und Devisen. Bei ihrem Ankauf fließt notwendiges Geld in die Volkswirtschaft hinein, bei ihrem Verkauf wird überschüssiges Geld aus der Zirkulation herausgezogen. Vom Devisenankauf und -verkauf abgesehen, eine akzeptable Methode der Geldmengenregulierung. Außerdem versucht die Zentralbank die Geldmenge (GM) durch die file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_5.htm (2 von 6) [15.02.2002 19:39:28]
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Manipulation der Rediskontsätze zu regulieren. Das sind jene Zinsen, die die Geschäftsbanken an die Notenbank für Gelder zu zahlen haben, die sie dort ausleihen, um ihre Liquidität (zusätzlich zu den Kundeneinlagen) auszuweiten. Da die Geschäftsbanken diese Gelder an ihre Kunden weiterverleihen und die Diskontzinsen auf diese abwälzen, sind in der Regel auch die Kreditzinsen hoch (bzw. niedrig), wenn die Diskontzinsen hoch (bzw. niedrig) sind. Das wirkt sich im oben (Kap. 2) beschriebenen Zusammenhang mit der Grenzleistungsfähigkeit des Realkapitals bremsend (bzw. stimulierend) auf die Kreditnachfrage aus und bewirkt dadurch eine Verminderung (bzw. Vermehrung) des Buch- und Bargeldumlaufs und eine Einschränkung (bzw. Belebung) der Wirtschaftsaktivitäten. Das Fatale ist nur, daß die Diskontpolitik der Notenbank nur mangelhaft funktioniert und außerdem das allgemeine Zinsniveau noch über den Urzins- und Haussezinssatz hinaus in die Höhe treibt. Die durch LeitzinsErhöhungen steigenden Kreditzinsen belasten vor allem das Kleingewerbe, den Kleinhandel, die mittelständische Industrie, die Landwirtschaft und die verschuldeten Eigenheimbesitzer und treffen diese oft am Lebensnerv. Denn anders als die Großindustrie, die großen Kapitalgesellschaften, die Konzerne und Multis, sind die kleinen und mittleren Unternehmer besonders stark auf Fremdfinanzierung durch Banken und Sparkassen angewiesen. Da in der Regel auch die Zinsen für einmal in der Vergangenheit gewährte Kredite mit Diskonterhöhungen steigen und da gleichzeitig die Konjunktur zurückgeht, führt das zu unvorhergesehenen Ertragsminderungen und treibt viele kleine Kreditnehmer in den Ruin (s. Grafik 9). (73) Das sind Situationen, von denen auch die Alternativbetriebe nicht verschont bleiben! Neben dem Diskont ist der "wunde Punkt" (Ortlieb (74)) der Währungspolitik die von Gesell, Johannsen einigen anderen Außenseitern der Nationalökonomie hervorgehobene Schwierigkeit, den Umlauf des ausgegebenen Geldes (GU) zu garantieren und zu regulieren, ein Problem, das Keynes unter dem Begriff "Liquiditätsfalle" behandelt. (75) Hier klafft, von Keynes und wenigen anderen abgesehen, ein großes schwarzes Loch in den Theorien der etablierten Ökonomen. Wie könnte eine alternative Geld- und Währungspolitik nun aussehen? Etwa so: Die Geldmenge (GM) wird von einem von Staat, Wirtschaft, Parlamenten etc. unabhängigen Währungsamt, das allein der "absoluten Währung" verpflichtet ist, das aber auch kein Geldemissionsmonopol besitzt, durch An- und Verkauf von Wertpapieren, Gold etc. (ausgenommen Devisen, da sie selbst Geld sind) am Preisindex eines ausgewählten, repräsentativen Warenkorbes reguliert. Das Geld - Bargeld und/oder Buchgeld - wird mit Durchhaltekosten belastet, so daß ihr konstanter
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Umlauf (GU) gesichert ist. Die Durchhaltekosten des Geldes sollten etwas größer sein, als die durchschnittlichen Durchhaltekosten aller relevanten Waren. Da diese 5% im Jahr ausmachen, sollte die Geldsteuer vielleicht 6 bis 7% betragen (das richtige Maß müßte sich aus der Praxis ergeben). Das könnte bewirken, daß die privaten Ersparnisse nur gegen eine "Aufbewahrungsgebühr", einen negativen Zins von vielleicht 1 bis 2% bei privaten Kreditnehmern oder Banken und Sparkassen unterzubringen wären. Im Zustand der Vollinvestition würden sie dann dieses Geld mit einem Aufschlag, der ihren Kreditverwaltungskosten und der Risikoprämie von zusammen vielleicht 1 bis 2 % entspricht, für etwa 0% im Durchschnitt verleihen. Dann wäre der Kredit, wie es Proudhon gefordert hat, für den Kreditnehmer kostenlos! Will die Gesellschaft nicht alles dem Gesetzt von Angebot und Nachfrage auf dem Waren- und Kreditmarkt überlassen, dann kann sie die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (GU) und damit die Konjunktur durch Veränderung der Höhe der Geldsteuer stimulieren oder bremsen. Wenn im Zustand der Vollinvestition (wie Keynes lehrt; s. entspr. Zit., Kap. 4) auch der Kapitalzins auf durchschnittlich 0% gesunken sein wird, würden nur dann Kredite für Investitionen verlangt werden, die noch eine Rendite erwarten lassen oder die die Lust an bestimmten Projekten befriedigen. Im Zustand der Vollinvestition, d. h., wenn bei gegebener Produktionsmittelkapazität in der Volkswirtschaft die Nachfrage nach Produkten nicht steigt, entsteht im volkswirtschaftlichen Durchschnitt auch keine Kapitalrendite. Unter diesen Umständen wird kaum zusätzlich investiert, was bedeutet, daß dann auch die Wirtschaft nicht mehr wächst. Wenn desweiteren Arbeitszeit und Arbeitslöhne wirklich frei vereinbart werden können, dann herrscht wirtschaftliches Gleichgewicht und Vollbeschäftigung: die Produzenten produzieren nicht mehr, als sie konsumieren und gegebenenfalls investieren, die Sparrate ist so gering wie die niedrige Investitionsrate. Da der Geld- und Kapitalzins aus den Warenpreisen verschwunden sein wird, wird das Realeinkommen aller Produzenten - das der Lohnarbeiter wie der Unternehmer - dementssprechend höher sein; das der Kapitalisten, der Geldbesitzer und Kapitaleigentümer, wird auf durchschnittlich Null zurückgegangen sein. Mit Gesells "Freigeld" (Schwundgeld plus "absolute Währung") wäre also - entsprechend den Zielsetzungen Proudhons, Gesells und Keynes - der Rentner sanft verschieden. Was bleibt, ist die Bodenrente, die umverteilt werden muß, als Rente an die Kinder bzw. als Mutterlohn an die Betreuer der Kinder, wie Gesell fordert (s. Kap. 9). Selbstverständlich ist dieser Zustand der "Freiwirtschaft, das heißt: der vom Kapitalismus befreiten Marktwirtschaft, nicht schlagartig mit der Einführung des Freigeldes hergestellt, doch die ungestörte Entwicklung zur Vollinvestition und damit zur Überwindung des Kapitalismus wäre eingeleitet. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_5.htm (4 von 6) [15.02.2002 19:39:28]
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Allerdings muß auch das Problem des bereits akkumulierten Geldes und der nun einmal vorhandenen Kapitalkonzentration gelöst werden. Zwar sind diese Vermögen entkapitalisiert und wachsen nicht mehr durch Zinseszinsakkumulation, doch sie "vermögen" noch einiges in Wirtschaft und Politik. Ihre monopolistische und oligopolistische Macht kann m. E. nur durch Enteignung, Dezentralisierung und Umverteilung gebrochen werden Während Keynes die Notwendigkeit zentraler und staatlicher Interventionen in die Wirtschaft nicht auszuschließen vermochte, wollte Gesell den Staat vollkommen aus der Wirtschaft heraushalten - mit einer Ausnahme: er forderte als unverzichtbares Relikt staatlichen Zentralismus ein zentrales Währungsamt. Dieses Konzept haben Anarchisten seiner Zeit heftig kritisiert. Während Gesell unter "Freigeld" Schwundgeld im Rahmen einer nationalen bzw. internationalen Festwährung versteht, begreifen seine anarchistischen Kritiker unter Freigeld im allgemeinen die freie und autonome Geld- und Kreditschöpfung durch jedermann, unabhängig von Großbanken und von jeder Reglementierung durch den Staat oder eine zentrale Notenbank. Von der Gegenseite wird die autonome und private Geldemission und staatlich unkontrollierte Kreditschöpfung mit dem Argument kritisiert, sie würde zur Inflation und außerdem zu einer lästigen Umrechnerei beim Umlauf verschiedener Geldsorten führen. Doch in jüngerer Zeit hat der liberale Nobelpreisträger für Ökonomie, Friedrich A. von Hayek, fundiert und überzeugend dargelegt, daß die anarchistische Forderung nach (wortwörtlich:) "Freigeld" im Sinne autonomer Geldschöpfung und "konkurrierender Umlaufmittel" nicht so absurd, antiquiert und für die Preisstabilität gefährlich ist, wie es zunächst erscheinen mag (76) (er verweist in diesem Zusammenhang auf Gesell, C. H. Douglas, H. Meulen und H. Rittershausen (77)). Der Anarchist Urjo Rey hat darauf hingewiesen, daß Gesell im Laufe seines Lebens sein Konzept eines staatlichen Währungsamts aufgegeben hat, sein früher Tod habe ihn jedoch daran gehinderte, seine neuen Überlegungen in sein Hauptwerk, "Die natürliche Wirtschaftsordnung" aufzunehmen. (78) Tatsächlich heißt es an einer Stelle in Gesells 1927 erschienenem Spätwerk "Der abgebaute Staat": "In meinem ersten Versuch (der Akratie wenigstens theoretisch die Bahn freizugeben; K. S.) ('Der Abbau des Staates', Berlin 1919) mußte ich noch einen·Rest oder Schatten eines Staates bestehen lassen, weil ich für die akratische Lösung des Geldproblems noch keine befriedigende Form gefunden hatte", was ihm "manchen Tadel aus den Kreisen der Anarchisten" eingebracht habe. Jetzt glaubte Gesell die Lösung darin gefunden zu haben, daß er die Herausgabe und Verwaltung des Freigeldes ("Muwa") einer vom "Bund der Mütter" kontrolfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_5.htm (5 von 6) [15.02.2002 19:39:28]
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lierten "Mutterrentenkasse" überträgt. Da dieser "Mütterbund" die Bodenrente zwecks Finanzierung des Kindergeldes verwaltet, würde er "kein Interesse daran haben können, daß durch Inflation die für die Mutterrente bestimmten Pachtgelder verwässert werden oder daß durch Deflation die Pachtgelder gedrückt werden". Er wäre vielmehr an einem stabilen Preisniveau interessiert und daher der beste Garant einer festen Währung. (79) Mit diesem, vielleicht räteartig organisierten Bund wäre eine staatsfreie und auf die Mütter beschränkte demokratische Kontrolle der Währung denkbar, allerdings noch nicht das Problem des Zentralismus gelöst. In der Praxis sind die vielen in aller Welt praktizierten Gesellschen Schwundgeld-Experimente jedoch immer dezentrale und autonome Unternehmungen von privaten Bürgerinitiativen und/oder von Gemeinden gewesen. Es läßt sich die Existenz vieler und unterschiedlichster Freigeldund Tauschbanken-Projekte neben einer allgemein gültigen, von einer Zentralbank oder einer Zentrale des Mütterbundes kontrollierten Währung vorstellen. Das freie Geld könnte zum Zentralbankgeld in Konkurrenz stehen und durch diesen Wettbewerb, wie Hayek meint, die Notenbank bezüglich der Versorgung des Marktes mit einem zinsbilligen und wertbeständigen Geld zu größerer Verantwortung und höherer Leistung zwingen. Das wäre ganz im Sinne Gesells, und die Gesellschen Schwundgeld-Experimente empfanden die Herren der staatlichen Notenbanken durchaus als Konkurrenz. Mit einer (vielleicht weltweiten) Zentralbankwährung stände den autonomen Freigeldinitiativen ein allgemeiner und stabiler Wertmaßstab als Bemessungsgrundlage für ihre eigenen Geldemissionen, den Produzenten eine gemeinsame Berechnungsgrundlage für ihre Kalkulationen und den Händlern und Konsumenten für Preisvergleiche zur Verfügung. Diese Funktion als unveränderlicher Wertmaßstab und somit als zuverlässige Verrechnungseinheit im Tauschverkehr ist, neben der Tauschvermittlungsfunktion, die andere wichtige Geldfunktion. Nicht jeder Zentralismus muß nur von Übel sein!
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
6. J. M. Keynes' Gesell-Kritik und seine Erklärung des Zinses "Das Übergewicht, welches Gold und Silber über die anderen Waren erlangten, das Privileg, welches ihnen unter allgemeiner Zustimmung zuteil wurde, den Reichtum zu repräsentieren und als allgemeines Wertschätzungsmittel aller Produkte zu dienen, lieferten die Gelegenheit. Sobald das Gold der König des Tausches, das Symbol der Macht, das Werkzeug alles Glücks geworden war, wollte jedermann Gold haben; und da es unmöglich für jedermann Gold geben konnte, so war es nur noch gegen eine Prämie zu erhalten; seine Benutzung bekam einen Preis." P. J. Proudhon Da keine Theorie vollkommen ist, müßte nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit auch in der Geld- und Zinslehre Gesells ein Fehler stecken. In der Tat weist sie immerhin eine Unvollständigkeit auf, auf die John Maynard Keynes in seiner 'Allgemeinen Theorie' hingewiesen hat. (80) Dort bescheinigt er Gesell zwar, daß dieser - wie er selbst und anders als die Klassiker einschließlich Marx - "deutlich zwischen dem Zinsfuß und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals", also zwischen Geldzins und Kapitalzins, unterscheide, und daß er erkannt habe, "daß es der Zinsfuß (des Geldes; K. S.) ist, welcher der Wachstumsrate des Realkapitals (und damit auch einem Absinken des Kapitzinses; K. S.) eine Grenze setzt", und "daß der Zinsfuß eine reine geldliche Erscheinung ist". Das beweise Gesell mit der Beobachtung, daß der reale Zinsfuß des Geldes (Nominalzins minus Inflations- bzw. plus Deflationsrate) - anders als die Grenzleistungsfähigkeit des Produktivkapitals (der Kapitalzins) - durch alle Zeitalter hindurch (relativ) beständig geblieben ist. (81) Gesell "zeigt, daß es nur das Bestehen eines Geldzinsfußes ist, der es möglich macht, aus dem Ausleihen von Warenvorräten ein Erträgnis (den Kapitalzins; K. S.) zu erzielen" - eine außerordentlich wichtige Einsicht! Gesells Robinsonade in der Natürlichen Wirtschaftsordnung (18) sei "eine ganz ausgezeichnete wirtschaftliche Parabel - so gut wie nur irgend etwas dieser Art, was geschrieben wurde -, um diesen Punkt darzulegen" (s. Text 3). file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_6.htm (1 von 10) [15.02.2002 19:39:31]
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Gesells Zinstheorie habe jedoch "einen großen Fehler", meint Keynes. Gesell erkläre zwar, "warum der Geldzinsfuß im Gegensatz zu den meisten Warenzinssätzen nicht negativ sein kann, übersehe aber vollständig die Notwendigkeit einer Erklärung, warum der Geldzinsfuß positiv ist, und er unterläßt es, zu erklären, warum der Geldzinsfuß nicht durch den Standard beherrscht wird (wie dies von der klassischen Schule behauptet wird), der vom Erträgnis produktiven Kapitals gesetzt wird." Gesell erklärt den Zins und seine Positivität durchaus, und zwar damit, daß das Geld - anders als die übrigen Waren - wegen seiner fehlenden Durchhaltekosten eine Vormachtstellung besitzt, die ihm einen "Bonus" (Keynes) auf dem Markt verschafft. Da das eine Vorzug vor den anderen Waren ist, muß der daraus resultierende "Urzins" positiv sein. Gesell hat allerdings nicht eingehend erklärt, warum "gehortet" und warum lieber das Tauschmittel Geld verschatzt wird, als z. B. Edelmetalle und Edelsteine. Keynes kritisiert daher, daß ihm ein anderer, besonders wichtiger Faktor zur Erklärung des Zinses, "daß ihm die Vorstellung der Vorliebe für Liquidität entgangen" sei und er daher - trotz "Einfälle tiefer Einsicht" - "nur gerade eben verfehlte, bis zum Kern der Sache vorzudringen". Nach Keynes haben die Menschen eine "natürliche" Sparneigung und eine "Liquiditätsvorliebe", ein Interesse daran, ihre Ersparnisse jederzeit und an jedem Ort verfügbar zu haben (z. B., um preisgünstige Angebote wahrnehmen zu können, zu Spekulationszwecken auf dem Waren-, Devisen-, Wertpapier- und Grundstücksmarkt usw. ). Die liquideste ("flüssigste") Sparform ist 1. die Bargeldhortung (Kassenhaltung) und 2. die Giralgeldhortung. Den Verzicht auf diese Liquiditätsformen läßt sich der Geldbesitzer durch eine Prämie vom Geldleiher - von jenem, dem er diese Liquidität überträgt - bezahlen: mit der "Liquiditäts(verzichts)prämie". Die untere Grenze - das, was der Sparer für die Aufgabe der Liquidität mindestens verlangt - entspricht der unteren Grenze des Gesellschen "Urzinses": 3% Netto- oder Realzins. Die obere Grenze entspricht dem Kreditzins, dem Zins, den der Kreditnehmer seiner Bank zahlt. Dieser Bruttozins setzt sich zusammen aus dem Urzins, der Hausseprämie (bzw. der Inflationsausgleichsrate), der Risikoprämie, den Kreditverwaltungskosten und aus einem Teil des Diskontzinses. (82) Die Höhe dieser Liquiditätsprämie ergibt sich aus der Art des Kredits und aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach Liquidität auf dem Geld- und Kreditmarkt. Sie kann jedoch nicht wesentlich unter den unteren Urzinsfuß von 3% fallen - solange keine Durchhaltekosten das Liquiditätsangebot auf dem Kreditmarkt verstärken.
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Dieter Suhr belegt, daß Gesell diesen Liquiditätsvorteil des Geldes durchaus nicht völlig übersehen hat. Gesell zeigt am Beispiel des Wechsels, daß dieser eine geringere Liquidität besitzt, als das bare Geld, und zwar, weil er weniger beweglich ist als Geld, da er "nur von einer Vertrauenshand in die andere" kommt, "nicht teilbar genug" und "an bestimmte Gesetze" und "bestimmte Zeiten und Orte gebunden" ist. (83) Nicht von Geld gedeckt, würde er einen geringeren Zinsfuß haben als Bargeld, was Proudhon offenbar auf die Idee brachte, den Warenaustausch mit durch Waren gedeckten Wechseln und eine Tauschzentrale zu organisieren. Suhr hat außerdem darauf hingewiesen, daß Gesell einen anderen wichtigen Vorzug des Geldes behandelt hat, den wiederum Keynes vernachlässigt hat: daß im Tauschverkehr Ware - Geld - Ware Kosten gespart werden. Denn es ist billiger, Geld als Tauschvermitter zu nutzen, als Ware gegen Ware direkt oder über eine Tauschbank auszutauschen. Diesen Vorteil lassen sich diejenigen mit Zinsen bezahlen, die den Fabrikanten, Händlern, Lohnempfängern und Verbrauchern ihr angesammeltes Geld als Tauschmittel zur Verfügung stellen. (84) Das Geld hat also drei Vorzüge, die zum positiven Zins führen: 1. Es eignet sich vorzüglich als Sparmittel, da es keine Durchhaltekosten verursacht (Gesell); 2. es besitzt einen höheren Liquiditätswert als andere Sparmittel (Gesell/Keynes); 3. es hat einen erheblichen Transaktionskostenvorteil vor anderen Tauschmitteln und -verfahren (Gesell/Suhr). Diese Vorzüge machen das Geld zum "König des Tausches" (Proudhon), verleihen ihm seine "Joker"-Stellung auf dem Markt (Suhr). Durchhaltekosten für Geld Obwohl Gesells Theorie unvollständig ist, schreibt Keynes, habe er sie "weit genug entwickelt, um zu einem praktischen Schluß zu kommen, der den Kern dessen in sich tragen mag, was notwendig ist", um diesen Beherrscher der Volkswirtschaft vom Thron zu stoßen. Mit diesem "praktischen Schluß" meint Keynes die von Gesell vorgeschlagene Belastung des Geldes mit "Durchhaltekosten". Die vorgeschlagene "Form", mit der Keynes offenbar das von Gesell entwickelte Klebemarken-Verfahren bzw. das von seinem Fachkollegen Irving Fisher in USA propagierte "Stempelgeld"-Verfahren (85) meint, hielt er allerdings für "nicht durchführbar". Die Praxis hat diese Einschätzung jedoch widerlegt. Außerdem sind heute längst praktikablere Techniken entwickelt worden, die sich auch im nationalen und Weltmaßstab praktizieren ließen. (65) Desweiteren war Keynes nicht mit der Höhe der Durchhaltekosten einverstanden. Seiner Meinung nach würden die von Gesell anvisierten 5,2% p. a. "unter den bestehenden Verhältnissen zu hoch sein, aber die
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richtige Zahl, die von Zeit zu Zeit geändert werden müßte, könnte nur durch Versuch und Irrtum erreicht werden". Nach Keynes Meinung sollte der Preis der Marken "ungefähr gleich dem Überschuß des Geldzinsfußes (...) über diejenige Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals sein, die einer Rate der Neuinvestitionen entspricht, die mit Vollbeschäftigung vereinbar ist". Schließlich bestünde eine besondere Schwierigkeit, auf die Gesell nicht gefaßt gewesen sei: "daß das Geld nicht einzigartig darin ist, daß ihm eine Liquititätsprämie anhaftet, sondern in dieser Beziehung nur im Grad von vielen anderen Waren abweicht". Ersatzmittel für Liquidität wären z. B. "Bankgeld, täglich abrufbare Darlehen, ausländisches Geld, Juwelen und die Edelmetalle im allgemeinen" und der Boden. Ganz abgesehen davon, daß Gesell durchaus die unterschiedlichen Liquiditätswerte einzelner Güter bewußt waren (s. Wechsel-Beispiel, oben), ist dazu folgendes zu sagen: "Bankgeld" (Buchgeld) kann oder soll ebenfalls mit Liquiditätsgebühren belastet werden; sie können direkt vom Bankkonto abgebucht werden. "Ausländisches Geld" (Devisen) - vorausgesetzt, es unterliegt keinen Durchhaltekosten·, z. B. inflationistischen - würde nach dem Greshamschen Gesetz (66) als "gutes" (wertbeständiges) Geld vom "schlechten" (mit Durchhaltekosten versehenem und nur als Tauschmittel fungierendem) Schwundgeld aus der Zirkulation weitgehend verschwinden und dort kein Störfaktor mehr sein. Es fungiert nur noch als harmloses Sparmittel. Juwelen, Edelmetalle etc. unterliegen ebenfalls dem Greshamschen Gesetz. Auf Grund ihrer geringen Durchhaltekosten werden gerade sie bei Einführung von Durchhaltekosten für Geld als Sparmittel Verwendung finden und somit nicht im Wirtschaftskreislauf zirkulieren. Benötigt der Besitzer seine "gesparten" Wertgegenstände als Investitions- und Kaufmittel, dann wird er kaum mit diesen Edelsteinen, Goldbarren oder Bildern von Picasso einen Espresso, eine Hose, eine Fahrkarte, eine Nekkermann-Reise, eine Drehbank oder seine Miete bezahlen können. Wer kann und will jedesmal das Gewicht und den Feingehalt des Goldes, den Wert der Juwelen und Gemälde feststellen? Er wird seine Wertsachen gegen das liquidere Geld eintauschen müssen. Das aber ist mit Kosten verbunden: entweder muß er sich als Händler betätigen, was einen Arbeitsaufwand erfordert, oder er muß seine Wertsachen einem Händler verkaufen, der von ihrem Marktpreis eine Handelsspanne abzieht. Außerdem unterliegen sie z. T erheblichen Preisschwankungen. Das mindert ihren Liquiditätswert, damit auch ihren Wert als Kreditmittel und folglich auch ihre Liquidiätsprämie: den Zins.
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Juwelen und ungeprägte Edelmetalle eignen sich unter Umständen als Sparmittel, schon weniger gut als Kreditmittel, kaum als Tauschmittel. Daran ändert auch die Belastung des Bar- und Giralgeldes mit Durchhaltekosten nichts. Erst wenn auch Sparkonten mit höheren Durchhaltekosten belastet werden würden, als ihr Liquiditätsvorteil vor den Sachwerten ausmacht, würden die Wirtschaftssubjekte es vorziehen, in Form von Gold und Juwelen zu sparen. In jedem Falle wäre jedoch die Trennung der Tauschfunktion (die dann ausschließlich dem Geld vorbehalten bliebe) und der Sparfunktion des Geldes (die dann Sparguthaben und/oder Sachwerte übernehmen würden) vollzogen und damit "der Zweck der Geldreform erreicht" (Winkler (86)). Der mögliche Einwand, unregelmäßiges Anlegen und Auflösen von Gold- und Juwelenschätzen könnte dann zu Konjunkturschwankungen führen, ist unbegründet. Denn mit entsprechenden Veränderungen der Geldmenge und eventuell auch des Gelddurchhaltekosten-Satzes ließe sich dem, falls dieses Problem überhaupt auftaucht, leicht entgegenwirken. Für die Höhe des Zinsfußes eines Edelmetall- oder Juwelenhortes ist gewiß nicht ohne Bedeutung, daß - wie Keynes sagt - das Geld "eine größere Liquiditätsprämie als irgend eine andere Ware hat" (Hervorhebung von Keynes!) und daß dieses für Geld "fundamental" ist. (87) Die Liquiditätsprämie von Edelsteinen und -metallen muß demnach also niedriger sein, als zumindest jene des heutigen Geldes. Gilt das auch für den Zinsfuß von Juwelen und Edelmetallen, wenn diese mit dem Schwundgeld konkurrieren müssen? Diese Frage beantwortet die Keynessche Zinsformel. (88) Da sie für die Erklärung der Ursprünge der unterschiedlichen Zinsarten und auch für die Zinstheorien Gesells und Proudhons außerordentlich aufschlußreich ist, will ich sie näher erläutern. Keynes' Zinsformel Nach Keynes kommt der Zins durch die Summe von drei einem Wirtschaftsgut anhaftende Faktoren zustande: den "Ertrag" aus der Nutzung des Gutes minus den "Durchhaltekosten" dieses Gutes plus seinen "Liquiditätswert". Diese drei Faktoren q, c und l, bezogen auf 100 Werteinheiten und auf eine Nutzungsdauer von einem Jahr, ergeben z, den Zinssatz oder Zinsfuß eines Gutes: z=q-c+l Der Ertrag (q) ist der Gewinn aus der wirtschaftlichen Nutzung eines file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_6.htm (5 von 10) [15.02.2002 19:39:31]
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Gutes, ein Ergebnis seiner besonderen Produktivitätssteigerung der menschlichen Arbeitskraft und/oder seiner günstigen Marktlage. Produktiv im Sinne Keynes' ist z. B. Werkzeug, also Kapital (k), ebenso Boden (b), nicht aber Geld (g). Das Geld hat jedoch einen außerordentlich hohen Liquiditätswert (l); bei Kapital und Boden ist er etwa gleich Null. Kapitalien - Produktionsmittel, Gebrauchsgüter (z. B. Wohnhäuser) und Waren - verursachen jedoch unterschiedlich hohe Durchhaltekosten (c). Geld unterliegt Durchhaltekosten nur bei Inflation; bei Deflation sind sie sogar negativ: bei Hortung eines Geldschatzes steigt seine Kaufkraft im Laufe der Zeit! Bei Festwährung - von ihr gehen wir aus - sind sie gleich Null. Auch der Boden verursacht keine Durchhaltekosten; bei Bodenwertsteigerung sind auch sie negativ. Die Werte von q (yield/output), c (wastage/carrying cost) und l (liquidity-premium) beziehen sich, wie gesagt, immer auf den einjährigen Einsatz eines Gutes im Wert von 100 einer Währungseinheit. Wenn wir in die folgenden Formeln für den Geldzinsfuß (gz), den Kapitalzinsfuß (kz) und den Bodenzinsfuß (bz) die der Realität in etwa entsprechenden Werte des Ertrags (q), der Durchhaltekosten (c) und der Liquidität (l) einsetzen, die sich bei den drei Güter-(Kapital-)arten Geld, Kapital (im engeren Sinne) und Boden in Prozenten und in einem Jahr ergeben, und sie miteinander vergleichen, dann erkennen wir die Eigentümlichkeiten und qualitativen Unterschiede dieser drei Kapitalarten und das jeweils spezifische Zustandekommen ihrer Zinsarten: des Geldzinses, der Kapitalrendite und der Bodenrente: gz = 0 - 0 + 5 = 5 kz = 10 - 5 + 0 = 5 bz = 3 + 2 + 0 = 5 Wir sehen: Geld ist Liquidität schlechthin (in unserem Zahlenbeispiel l= 5; wir sollten hier jedoch seinen Transaktionswert als mit einbezogen betrachten (88a)). Kapital bedeutet Kosten (c = 5) und Ertrag (q = 10), Boden Ertrag (q = 3) plus Wertzuwachs (c = - 2). Können wir auch für den vierten Wirtschaftsfaktor, die menschliche Arbeit, einen Zinsfuß errechnen? Für den "freien" Arbeiter nicht. Zwar hat auch er einen hohen Produktivitätswert und hohe Durchhaltekosten in Form seiner Reproduktionskosten, er hat jedoch nicht nur keinen Liquiditätswert, sondern auch keinen Preis, der auf ihn als Träger der Arbeitskraft selbst bezogen wäre: nicht der ganze Mensch, sondern nur seine Leistung ist käuflich. Statt eines Zinses bezieht er aus dieser Leistung einen Arbeitsertrag.
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Anders beim Sklaven. Er ist, wie eine Maschine, käuflich. In ihn kann also Zins forderndes Geld investiert werden, und wie bei einer Maschine, muß der Ertrag des Sklaven mindestens seine Durchhaltekosten und diesen Zinsfuß abdecken. Der Sklave erhält für seinen Lebensunterhalt nur diese Durchhaltekosten. Der Überschuß fällt seinem Besitzer als Rendite zu. Hier wird der Unterschied zwischen jeder Form eines freien Arbeiters - auch eines Lohnarbeiters - gegenüber der eines Sklaven deutlich. Wenn wir festzustellen versuchen, welchen Zinsfuß die spezifische Liquiditätsform Juwelen (j) hat, dann können wir bei ihr (ähnlich wie bei der Edelmetall-Liquidität) mit etwa den folgenden Werten rechnen: jz = 0 - 0 + 2 = 2 Stellen wir nun dieser Liquidität die spezifische Liquidität von Schwundgeld in Form von Bar- und Giralgeld (s) mit Durchhaltekosten (c) in Form einer Geldsteuer in Höhe von 5%: sz = 0 - 5 + 5 = 0 und die etwas weniger liquide Ersparnis (e) in Form eines SchwundgeldSparguthabens (es) mit Durchhaltekosten von 3% : sez = 0 - 3 + 4 = 1 gegenüber. Wie ein Vergleich der Formeln nahelegt, wird die Neigung, Ersparnisse in Form von Juwelen anzulegen (Preisstabilität vorausgesetzt), geringfügig größer sein als die, Sparkonten anzulegen - vorausgesetzt, es besteht die Absicht, langfristig zu sparen. Wer mittelfristig sparen will, wird es vorziehen, ein leicht auflösbares und 1:1 gegen Bar- oder Giralgeld eintauschbares Sparkonto anzulegen, dessen Guthaben die Bank als Kredit in die Zirkulation bringt. Bei obigem Geldsteuersatz können die Kreditgeber jedoch allenfalls eine Liquiditätsverzichtsprämie von 1% (plus Kreditverwaltungskosten) im Jahr fordern. Juwelenbesitzer werden für ihre Darlehn auf 1% Nettozins heruntergehen müssen, um mit den Schwundgeld-Sparkonten konkurrieren zu können. Da auch Schwundgelder aus Kassenhaltungen und Girokonten auf dem kurzfristigen Kreditmarkt angeboten werden, deren Liquiditätsverzichtsprämien um (netto) 0% herum osziellieren, werden die kurzfristigen Kredite für die Kreditverwaltungskosten, die langfristigen für vielleicht 1% (Netto-)Zins zu haben. Damit sind jene Anlagen zu finanzieren, die einen Netto-Kapitalertrag (Kapitalzins) ab plus 1 bis 2% abwerfen. Wie sich aus Keynes' monetärer Zinsformel ableiten läßt, kann eine Erfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_6.htm (7 von 10) [15.02.2002 19:39:31]
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höhung der Geldsteuer (c), z. B. auf 7%, den Zinsfuß sogar ins Minus bringen ! : sz = 0 - 7 + 5 = -2 In diesem Falle wird auch der Kontensparer eine Gebühr von vielleicht 2% für die "Aufbewahrung" seines Geldes bezahlen müssen! (Wer seine Kartoffeln oder Möbel einlagert oder sein Auto in einer Garage unterstellt, muß schließlich auch dafür bezahlen, daß sein Eigentum nicht zu schnell verrottet, warum nicht auch derjenige, der seine in Geld umgewandelten Produkte und Dienstleistungen gut aufbewahren lassen will?) Durch diese "Lagergebühr" für Geld wird sich zwar die Neigung, in Juwelen etc. statt auf Schwundgeld-Sparkonten zu sparen, erhöhen, die Trennung der Tausch- und Sparfunktion und die Negativzinsen bleiben jedoch erhalten. Was geschieht nun unter den Bedingungen eines zinsfreien Kreditsystems? Langfristig verschwindet ein großer Teil des aus der Kapitalknappheit resultierenden Ertrages (q) aus dem Produktiv-, Gebrauchs- und Warenkapital. Wenn Vollinvestition erreicht ist, sehen die volkswirtschaftlichen Durchschnittswerte in der Kapital-Zinsformel dann so aus: kz = 5 - 5 + 0 = 0 Mit der Überwindung des Geldzinses und dem Absterben der Kapitalrendite ist auch der Kapitalist dahingeschieden - nicht aber der Bodenrentner! Da Boden nicht vermehrbar ist, wird er auch ohne Geldzins eine Rente abwerfen: für ihn gibt es keine Vollinvestition. Da die Bodenpreise langfristig steigen, sind seine Durchhaltekosten negativ (s. Boden-Zinsformel). Folglich ist der Boden ein vorzügliches Sparmittel! Keynes sagt, es habe Zeiten gegeben, wo "ohne Rücksicht auf sein Erträgnis" die "Begierde nach dem Besitz von Land" so groß war, daß sie "dazu beigetragen hat, den Zinsfuß (des Geldes wegen der hohen Geldnachfrage zwecks Bodenkaufs; K. S.) hoch zu halten". "Freilich", meint Keynes, "wäre nach Gesells System diese Möglichkeit durch Verstaatlichung des Landes (muß heißen: Vergesellschaftung in den Händen der Mütter; s. Kap. 9) ausgeschaltet worden". Bodenrente und Bodenwertzuwachs würden zwar weiterbestehen, jedoch abgeschöpft und an die Produzenten der folgenden Generationen - an die Mütter - und an ihre Kinder umverteilt werden. Kauf und Spekulation mit Boden wären dadurch unmöglich gemacht. Zugang zum Boden ist nur noch möglich über Pachtverträge mit dem "Mütterbund".
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Keynes' IWF Konzept Den "hinter dem gestempelten Geld liegenden Gedanken" hält Keynes für "gesund". Er meint, es sei "in der Tat möglich, daß Mittel gefunden werden könnten, um ihn in bescheidenem Rahmen in der Wirklichkeit anzuwenden". Diesen ganz und gar nicht bescheidenen Rahmen glaubte Keynes mit seinem Plan einer internationalen Clearing-Union gefunden zu haben, die in weltweitem Rahmen ähnlich funktionieren würde, wie in kleinem Rahmen die freiwirtschaftliche Wirtschaftsring-Genossenschaft (WIR) in Basel oder Suhrs Idee seiner "Oeconomia Augustana" (88b), mehr oder weniger Synthesen von Proudhons Tauschbank- und Gesells SchwundgeldKonzept. Der notwendige Fonds sollte aus Regierungsmitteln aufgefüllt werden und die Besitzer von Bancor-Guthaben sollten ebenso "Strafzinsen" zahlen, wie die Schuldner Kreditzinsen! Dadurch würden die Besitzer von Guthaben ein Interesse daran haben, ihre Zahlungsbilanz-Überschüsse durch Importe abzubauen, was den Export der Schuldnerländer ankurbeln, zum schnellen Abbau auflaufender Schulden und zu ausgeglichenen Handelsbilanzen führen würde. (89) Dieser als amtliches Dokument von der britischen Regierung auf der Weltwährungskonferenz in Bretton Woods 1944 vorgelegte "revolutionäre" (Hankel) Vorschlag von Keynes wurde auf Betreiben der US-Großbanken torpediert. Statt dessen sind aus der Konferenz die heute bestehenden Organisationsformen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) hervorgegangen, offensichtlich kapitalfreundliche Institutionen, die den Menschen in der Dritten Welt mehr schaden als nützen. (89a) Auch wenn Gesell seine Analyse nicht bis in die letzten Winkel vorgetrieben hat, dürfen wir Keynes sicherlich zustimmen, wenn er Gesells theoretische Leistung auf ökonomischem Gebiet höher einschätzt als die von Marx. In der Tat hat Gesell, der die Geld- und Zinstheorie Proudhons wesentlich weiterentwickelt hat, (6) mit seiner zins- und zirkulationsorientierten Kapitalismusanalyse mehr für die Erklärung und die Überwindungsmöglichkeiten von Ausbeutung, Konjunkturkrisen und Arbeitslosigkeit geleistet, als der Proudhon-Verächter Marx mit seiner, die Funktionen des Geldes und des Zinses ignorierenden und auf die historische Entwicklung der Produktivkräfte fixierten, Kapitalanalyse. Für Marx ist zwar auch "klar, daß der Besitz (von) 100 Pfd. St. ihrem Eigner die Macht gibt, den Zins, einen gewissen Teil des durch sein Kapital produzierten Profits, an sich zu ziehen". (90) Wieso das aber "klar" ist, hat er nirgens klargestellt. Denn der Besitz allein garantiert noch keinen
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Zins! Statt dessen polemisiert Marx gegen die Vorstellung, nach der dem Geld eine "eingeborene geheime Qualität" (90a) innewohnen soll, die den "Zinsfetischisten" zur Rechtfertigung der Zinseszinsakkumulation diene. Er hat diese "eingeborene geheime Qualität" des Geldes bedauerlicherweise nicht erkannt. So konnte er sie noch nicht einmal mit der Vormachtstellung des Geldes auf Grund seiner Schlüsselstellung auf dem Markt (wie Proudhon) und auf Grund seiner fehlenden Durchhaltekosten (wie Gesell), geschwiege denn mit seiner hervorragenden Liquidität und der Liquiditätsvorliebe der Menschen (wie Keynes) erklären. Damit begab er sich der Möglichkeit, die schwachen Argumente der "Zinsfetischisten" zur Rechtfertigung des Zinses und der Zinseszinsakkumulation zu entkräften, jener Zinsanbeter, die so tun, als würden die Zinsen am Geld wachsen, wie die Äpfel am Baum. Statt dessen behauptet Marx ganz in der Tradition der klassischen Wirtschaftstheorie - das Geld sei ein neutrales, allen Waren gleichgestelltes "Äquivalent" (90b) und "die Mindestgrenze des Zinses (sei) ganz und gar unbestimmbar. Er kann zu jeder beliebigen Tiefe fallen". (90c) Das jedoch kann der Zins eben wegen der Vorzugsstellung des Geldes gerade nicht. Proudhons Geld- und Zinstheorie, vor allem aber Gesells Geld- und Warenanalyse und ein Vergleich der aus der Keynesschen Zinsformel abgeleiteten Geld-, Kapital- und Bodenzinsformel belegen eindeutig die Überlegenheit des Geldes über alle anderen wichtigen Wirtschaftsfaktoren (außer Boden), und sie zeigen, worin diese Vormachtstellung besteht: in der hervorragenden Liquidität des Geldes, in seinem Transaktionskostenvorteil und im Fehlen von Durchhaltekosten. An dieser Stelle wird der entscheidende Gegensatz von Proudhon, Gesell und Keynes zu Marx und Engels und der fatale Grundirrtum der aus der klassischen Zinstheorie abgeleiteten marxistischen Wirtschaftstheorie deutlich. Die Folgen können wir an der Praxis des "real existierenden Sozialismus" ablesen.
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7. Weiterentwicklung der Freigeld-Lehre "Zwischen dem Gemeinschaftsbesitz und dem Eigentum werde ich eine Welt aufbauen." P. J. Proudhon Es ist nicht nur Keynes' Verdienst, daß er Gesells Erkenntnisse zu würdigen wußte, sondern auch, daß er dessen "halbe Theorie des Zinses" durch seine fundierte Liquiditätstheorie ergänzt hat. Das ist wichtig, weil das Problem der Geldhortung im Zeitalter der "schleichenden Inflation" keine große Rolle mehr spielt, wohl aber die "Joker"-Stellung des Geldes auf dem Markt und sein daraus resultierender Liquiditätswert. Bis in die 70er Jahre war die Inflation die "Peitsche" (Suhr), die das Geld in Umlauf zwang (wobei allerdings zu bedenken ist, daß eine direkte, bewußt und sinnlich wahr genommene Geldbesteuerung von 5% psychologisch stärker auf den kleinen Geldbesitzer wirkt, als ein durch eine inflationistische Geldentwertung verschleierter Kaufkraftverlust von 5%). Vorübergehend hat diese "Peitsche" nicht nur zu einer erheblichen Reduzierung der Realzinsen, sondern sogar zu Negativ-Zinsen in einigen Industrienationen geführt (s. Spiegel-Grafik, Anm. 231). Doch der konjunkturbelebende und unter Umständen zinsdrückende Effekt des inflationistischen "Schwundgeldes" wurde durch eine, die Interessen des Finanzkapitals fördernde und fälschlicherweise als "Keynesianismus" deklarierte Wirtschaftspolitik des Staates und der Zentralbank untergraben. In den 70er Jahren entwickelte sich eine "Stagflation": Inflation bei gleichzeitig hohen Zinsen und Rückgang der Konjunktur mit Firmenpleiten und mittlerweilen rund 2,5 Millionen Dauerarbeitslosen. (91) In der BRD hatten wir 1986/87 sogar eine stabile Währung, was allerdings ohne ein Geld unter "Umlaufzwang" der Konjunktur erst recht keinen Auftrieb gibt, da unter diesen Umständen das Hortungsproblem wieder relevant wird. Um die heutigen Probleme auf den Begriff zu bringen, hat insbesondere Suhr scharfsinnige aktuelle Analysen geliefert und unter Einbeziehung der Keynesschen Liquditätstheorie und des Transaktionswertes des Geldes die Freiwirtschaftslehre korrigiert und weiterentwickelt. (92) In einer file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_7.htm (1 von 4) [15.02.2002 19:39:32]
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Rezension von Suhrs Buches Geld ohne Mehrwert (67) in der freiwirtschaftlichen Zeitschrift für Sozialökonomie (93) macht Werner Onken das deutlich: "Zunächst relativiert Suhr die in der freiwirtschaftlichen Theorie eine zentrale Rolle spielende Hypothese, daß ein Teil der Geldmenge gehortet werde und auf dem Markt als wirksame Nachfrage fehle. Geld werde in verhängnisvollem Umfang nur (wie z. B. in der Weltwirtschaftskrise) bei niedrigem Zins und stabiler oder deflationärer Währung gehortet. Heutzutage sorgen 'die Peitsche der Inflation und das Zuckerbrot der Zinsen dafür, daß kein Geldschein zu lange in der Tasche, daß kein Sichtguthaben unnötig groß gehalten wird'." Folglich stützt Suhr "seine Argumentation nichf auf die Hortbarkeit des Geldes, sondern auf die Sonderstellung des Geldes als 'generalisiertes Tauschmedium', die bereits Proudhon mit der Charakterisierung des Geldes als 'König des Marktes' thematisiert hatte: 'Das Geld spielt unter den Waren und Diensten eine gleiche Rolle wie der Joker im Kartenspiel.' Während die Waren und Dienste nur an bestimmten Orten des Marktes und auch nur zu bestimmten Zeiten auf dem Markt begehrt sind, ist das Geld an jedem Ort und zu jeder Zeit begehrt. Der Besitzer des Geldes ist deshalb gegenüber dem Besitzer von Waren und Diensten im Vorteil. Im Gegensatz zur Auffassung der orthodoxen Neoklassik, für die das Geld ein harmloses neutrales Tauschmittel ist, hebt Suhr die 'kapitalistische Parteilichkeit des Geldes' hervor. Aufgrund seiner Sonderstellung hat das Geld, .. einen nach Märkten gespaltenen Wert': Auf den Warenmärkten hat es den üblichen 'KaufkraftNennwert' - auf dem Kapitalmarkt dagegen kraft seiner Jokereigenschaft noch den besonderen 'Liquiditätswert', der es dem Geldbesitzer gestattet, für die Herleihe seines Geldkapitals eine besondere 'Liquiditätsverzichtsprämie' in Form des Zinses zu verlangen. Suhr erklärt den Zins also nicht wie Gesell als eine Prämie für den Verzicht des Geldkapitaleigners auf eine Hortung seines Geldkapitals, sondern mehr im Sinne von Keynes als eine Prämie für den Verzicht auf die Ausnutzung der Jokervorteile und als Preis für den Genuß dieser Vorteile. Dieser Erklärungsansatz verdient es, weitergedacht zu werden." Als zinserpressender "Joker" bewirkt das Geld eine Verzerrung der Märkte und eine Zusammenballung des Geldes in den Kassen jener, die keinen Bedarf an Waren, sondern ein Interesse am Kassieren von Zinsen (= "Interesse") haben, die wiederum ihre Kassen ohne Bedarf füllen: Das Geld übt nach Suhr einen 'unwiderstehlichen monetären Magnetismus' aus: Indem es sich ohne eigene Leistung immer mehr durch Zins und Zinseszins vermehrt, bewirkt es eine monetäre Asymmetrie der
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Märkte'. Es führt einerseits zur monetären Überschwemmung der Kapitalmärkte, auf denen 'Kassen mit Geld ohne Bedarf' anschwellen, und andererseits zur monetären Austrocknung der Märkte für Waren und Dienste, auf denen 'Kassen mit Bedarf ohne Geld' entstehen. Außerdem verhindert es ein reibungsloses 'Recycling der Gelder' zwischen den verschiedenen Kassen, weil die Zinsen als 'dysfunktionale monetäre Transaktionskosten' dieses Recycling erschweren. Und nicht zuletzt vermindert seine permanente 'Fehlallokation' (225) die für einen intakten Markt unerläßliche Fähigkeit des Geldes, bedarfsgerechte Preisinformationen zu vermitteln. Es 'bringt die transtemporalen Preisgefüge aus dem Gleichgewicht'. Wegen dieser geldordnungsbedingten falschen Strukturen der kapitalistischen Marktwirtschaft fordert Suhr, das bestehende 'Geld mit Mehrwert' durch ein 'Geld ohne Mehrwert', d. h. durch ein Geld zu ersetzen, das seine Liquidität zwar behält, dessen Liquiditätsvorteil aber mit Hilfe von Durchhaltekosten abgeschöpft wird und das geeignet ist, '..etwas mehr strukturelle Gerechtigkeit in die Ordnung der Marktwirtschaft hineinzubringen'. Anders als bei Gesell soll dem Geld also nicht in erster Linie seine Hortbarkeit genommen werden, sondern Suhr geht es darum, den Jokervorteil des Geldes zu neutralisieren und so den 'König des Marktes' (Proudhon) zum Diener der Wirtschaft zu machen. Die Verhinderung des Hortens sieht er dabei eher als 'willkommenen Nebeneffekt' dieser Änderung des Geldes an. Auch in der praktischen Ausgestaltung der Durchhaltekosten des Geldes geht Suhr andere Wege als Gesell. Während letzterer die Haltung von Bargeld kostenpflichtig machen wollte, schlägt Suhr vor, neben dem Bargeld auch das Giralgeld in den Rang eines gesetzlichen Zahlungsmittels zu erheben und dann nur dieses mit den Durchhaltekosten zu belasten, indem sie wie andere Bankgebühren einfach vom Konto abgebucht werden. Suhr erwartet, daß sich dann nach dem Greshamschen Gesetz das Giralgeld als Zahlungsmittel durchsetzt und das Bargeld weitgehend verdrängt." Onken bleiben zwar Zweifel, ob sich der Kapitalismus "so einfach 'vom Konto abbuchen' läßt", empfiehlt aber allen Anhängern Gesells Suhrs Buch zur Pflichtlektüre. Ich meine, dieses wie noch einige andere Schriften Suhrs (92) sollte jeder lesen, der nach fundierten Kapitalismusanalysen und nach den Ufern eifile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/2_7.htm (3 von 4) [15.02.2002 19:39:32]
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ner wirklich alternativen Ökonomie Ausschau hält. Daß Suhr kein Anarchist ist, eher ein Hegelianer und ein Ordoliberaler wie Ludwig Ehrhard (der der Freiwirtschaftslehre positiv gegenübergestanden haben soll), sollte Anarchos nicht stören. Doch Silvio Gesell, der Erbe Proudhons und konsequenter Gegner des Kapitalismus und des Staates, hat auf jeden Fall die gleiche Beachtung in der anarchistischen Bewegung verdient, wie sie Marx in der kommunistischen und sozialistischen (bedauerlicherweise) entgegengebracht worden ist. (93a)
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
II. Teil: Kindergeld aus der Bodenrente - ein matristisches Konzept 8. Gegen das Privateigentum an Grund und Boden... " ..wenn ein Mensch bei seinen Lebzeiten das Recht seines Grundbesitzes in ein Eigentumsrecht verwandeln will, so erkläre ich ihm den Krieg auf Leben und Tod." P. J. Proudhon
Das Geld ist nicht das einzige Mittel zur Zinserpressung. Wie uns u. a. die Keynessche Zinsformel zeigt (s. Kap. 6), hat auch der Boden eine Vormachtstellung auf dem Markt. Während jedoch das Geld eine mehrfache Sonderstellung einnimmt - als "Joker" (Suhr) im Tauschverkehr, wegen seines Liquiditäts- und Transaktionskostenvorteils und als nicht beliebig vermehrbares und dazu oft noch hortbares Tausch-, Sparund Kreditmittel - treffen für den Boden nur die beiden letztgenannten Eigenschaften (adäquat) zu: Die Bodenfläche und viele Bodenschätze und Naturkräfte sind 1. von Natur aus knapp und faktisch unvermehrbar und können 2. ohne Durchhaltekosten ungenutzt gelassen werden. Mit Ausnahme des Bodens in den Agrarländen der Dritten Welt und des Erdöls, haben die Bodenflächen, die Bodenschätze und die Naturkräfte in den Industriegesellschaften jedoch keine nennenswerte "Riegel"-Funktion in der Zirkulation. Sie haben jedoch eine erhebliche Ausbeutungsfunktion, wenn nicht alle Menschen in gleicher Weise über sie verfügen können: wenn sie sich in der Verfügungsgewalt einiger weniger befinden, also Privateigentum sind: der Vorteil ihre tendentiell monopolistische Stellung auf dem Markt, der ihnen dort einen "Bonus" (Keynes) in Form der Bodenrente verschafft, kommt dann nur diesen wenigen Eigentümern zugute. Da alle Nichteigentümer auf Naturkräfte, Bodenschätze und insbesondere auf Bodenflächen angewiesen sind, um arbeiten und leben zu können, müssen sie - direkt als eigentumslose Bauern, Mieter, Fabrikanten, Kaufleute usw. oder indirekt als Arbeiter in den Produktionsstätten, Läden, Büros etc. - diese bei jenen nachfragen, die über diese Naturpro-
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dukte verfügen. Ist die Nachfrage nach Boden etc. größer als ihr Angebot (Ungleichgewicht auf dem Markt), so entsteht (ähnlich wie beim ungleichen Geld-Ware-Verhältnis) eine Differenz auf dem Markt, die zu dem Sondergewinn Bodenzins oder Bodenrente führt. Die Nutznießer dieser Rente sind die Eigentümer des Bodens und der Naturschätze, wobei es völlig gleichgültig ist, ob sie die Nutzung dieser Naturgeschenke verpachten oder ob sie diese selbst bewirtschaften und ausbeuten (vorausgesetzt, sie müssen die erzielte Bodenrente nicht als Zins an einen Geldgeber abführen, weil diese Naturprodukte verschuldet sind). Die Bodenrente ist um so höher, je dichter ein Land besiedelt ist, je reicher seine Bürger sind, je mehr sie also für die Nutzung des Bodens etc. an Pacht und Mieten zahlen können, und je schwieriger die Auswanderungsmöglichkeiten in Länder mit "Freiland, mit kostenlos oder billig zur Verfügung stehendem Boden sind. Die Grundrentner profitieren an jedem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, der die Bürger von der Grundrente entlastet. Bauen sie z. B. Hochhäuser, um den Boden intensiver nutzen und die Bodenrente auf viele Bodenbenutzer verteilen zu können, dann steigt dort automatisch die Rente pro Quadratmeter Bodenfläche und mit ihr der Grundstücksspreis. Die Grundeigentümer profitieren also unverdient an den wissenschaftlichen, technischen, architektonischen, handwerklichen Leistungen dieser Menschen ebenso, wie am Bevölkerungswachstum und den entsprechenden Leistungen der Kinderaufzucht, oder was für Leistungen die Bürger auch immer erbringen mögen. Sogar die von den Bürgern selbst geschaffene Lebensqualität eines Landes, einer Region oder eines Stadtteils - das Vorhandensein von Kinos, Theatern, Sportplätzen, Konzertveranstaltungen, Festlichkeiten, Schulen, Kindergärten, Jugend- und Bürgerzentren, Bibliotheken, Verkehrsverbindungen, Elektrifizierung usw. - lassen sich die Grundeigentümer von diesen Bürgern bezahlen. Wenn z. B. Kreuzberg durch teure "Schicki-Micki-Läden" aufgemotzt wird, dann steigen dort die Miet- und Bodenpreise und die dortige zahlungsunfähige Bevölkerung wird aus ihrem Kiez verdrängt (wofür die selbst betroffenen Mieter der Läden allerdings nichts können). Wollen die Menschen nicht auf freiem Land in der Wildnis leben, im "Idiotismus des Landlebens" (Marx) dann müssen sie auch für die Teilnahme an den Errungenschaften ihrer Kultur einen Tribut in Form einer um diese Lebensqualität entsprechend erhöhten Rente an die Grundeigentümer entrichten. (94) Die Grundrentner profitieren also von Leistungen, die andere erbracht haben, und sie werden reicher und reicher, ohne einen Finger krumm zu machen. Beim Verkauf des Bodens hängt sein Preis von der Höhe der Rente ab, die jeder Quadratmeter abwirft, und von der Verzinsung, die das in diesen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/8.htm (2 von 8) [15.02.2002 19:39:35]
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Boden angelegte Geld einbringen würde, wenn es in anderes Kapital investiert werden würde. Die Rentenhöhe jedes Quadratmeters hängt von seiner Lage (Verkehrsverbindungen, Laufkundschaft etc.) und Qualität (Fruchtbarkeit, Vorhandensein von Naturschätzen wie Metalle, Kohle, Öl usw., und Naturkräften wie z. B. Wasserkraft) ab. Diesen Unterschieden entsprechend erscheint der Bodenzins als Differentialrente. (95) Diese Differenz drückt sich in der unterschiedlichen Preis- bzw. Rentenhöhe der einzelnen Grundstücke pro Quadratmeter aus, je nach dem, wie weit sie z. B. von den Arbeits-, Lebens- und Verbraucherzentren entfernt sind. So kostet ein Quadratmeter Grund und Boden in der Wildnis nichts (Gesell: "Freiland ersten Grades"), auf dem Lande etwa drei, im Zentrum einer Großstadt bis zu 30.000 DM, also das zehntausendfache eines entfernten Ackers. (96) In den letzten drei Jahrzehnten sind die Bodenrenten und Bodenpreise in der BRD in fast astronomische Höhen geklettert. Helmut Creutz schreibt: "(...) der Wert der Baugrundstücke (ist) seit 1950 in jedem Jahr nominell um ca. 12% und real (nach Abzug der Inflationsrate, K. S.) um 8% angestiegen (qm-Preis 1950: 2,80 DM; 1983: 117 DM). Ein Grundstück von 10.000 DM aus dem Jahr 1950 hat heute demnach einen Nominalwert von etwa 420.000 DM und einen Realwert von 127.000 DM." (97) Die potentielle Kaufkraft eines Grundstücks aus dem Jahre 1950 hat sich also um mehr als das 12fache vermehrt - ohne produktive Leistung des Eigentümers. Ein Geschenk der an Boden eigentumslosen Bürger an die Grundeigentümer. Nur durch die Rezession seit Mitte der 70er Jahre ist der Bodenpreisanstieg - vorübergehend - ins Stocken geraten.
Privates Grundeigentum verstößt gegen das Naturrecht... Boden, Bodenschätze und Naturkräfte sind ein Geschenk der Natur, und zwar an alle Menschen der Erde. Das Eigentumsprivileg einiger weniger an diesen Naturgeschenken widerspricht also dem natürlichen Recht aller Menschen "unseres" (!) Planeten an diesen Naturprodukten - also dem Naturrecht. a Als Exemplar der Gattung Mensch ist jedem Menschen - gewissermaßen als "Landtier" - der Boden als Lebensgrundlage ebenso angeboren, wie jedem Fisch als Wassertier das Wasser. Als Gattungswesen Mensch hat also jedes einzelne Exemplar des Homo sapiens Anspruch auf diese Naturprodukte. Die Aneignung und der Verkauf bzw. die Zurverfügungstellung der "Mutter Erde" und anderer unvermehrbarer und monopolistischer Naturprodukte gegen eine Nutzungsgebühr, den Pacht- oder Mietzins, durch eine kleine, juristisch legalisierte Minderheit von Privateigentümern ist die gleiche Absurdität, als wollten sich einige Schlauköpfe die Luft aneignen und kubikmeterweise verkaufen oder gegen einen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/8.htm (3 von 8) [15.02.2002 19:39:35]
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Luftzins verpachten. Nur weil die überall und unbegrenzt vorhandene Luft nicht einzuzäunen ist, bleiben wir wohl von der Privatisierung der Atemluft verschont. (98) In der Praxis kann sich in einem so dicht besiedelten Land wie die Bundesrepublik selbstverständlich nicht jeder nach Belieben Boden und Naturschätze aneignen; allgemein anerkannte Regelungen zur Bodennutzung und Ausbeutung von Bodenschätzen und Naturkräften und zur Verteilung der Bodenrente sind daher unerläßlich. Das heutige Bodenrecht ist jedoch nicht aus praktischen Erwägungen und durch die freie Übereinkunft aller Betroffenen zustandegekommen. Es ist historisch teils aus dem germanischen Lehnsrecht und den Gewaltverhältnissen des Feudalismus, teils aus dem Unrecht der römischen Sklavenhaltergesellschaft hervorgegangen. Dieses patriarchalische Bodenrecht hat das vorhergehende matristische Bodenrecht verdrängt, wo der Boden das kollektive Eigentum der Garten- und Ackerbau betreibenden Frauen einer Sippe war. (99)
... und ist ein Gewaltverhältnis In den sogenannten Entwicklungsländern ist das private Grundeigentum und die Bodenrente ein besonders gravierendes soziales Unrecht und führte dort bereits vor der gegenwärtigen Verschuldungs- und Zinsknechtschaft immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Pächtern und Landarbeitern einerseits und den Großgrundbesitzern und dem Staat andererseits. In vielen dieser Länder müssen die Pachtbauern mehr als die Hälfte ihrer Ernte an die Grundeigentümer abführen - und das unter den Bedingungen primitiver Anbaumethoden und daher auch geringer Erträge, so daß ihnen kaum etwas zum Leben übrigbleibt. Auf den Philipinen, wo eine Großgrundbesitzerin, Corazon Aquino, Präsidentin ist, müssen die Pächter sogar bis zu 80% ihrer Ernten an die Landeigentümer abliefern. (100) Wegen ihrer Armut sind viele Pächter bei den Großgrundbesitzern hoch verschuldet und müssen, außer den hohen Pachtzinsen, hohe Kreditzinsen zahlen. Das macht die Tilgung der Schulden unmöglich, so daß sie ihr Leben lang in Schuldknechtschaft verbleiben. Häufig lassen die Großgrundeigentümer riesige Ländereien brachliegen. Dadurch verlieren die Menschen in diesen Regionen ihre Erwerbsmöglichkeiten, das dortige Wirtschaftsleben kommt zum Erliegen und viele Menschen verhungern. So wirkt die Macht des privaten und monopolistischen Großgrundbesitzes sogar als "Riegel" des Wirtschaftsprozeses, obwohl der Boden kein Zirkulationsmittel ist.
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In Mittelamerika ist die United Fruit Companiy ein berüchtigter ausländischer Großgrundbesitzer. Diese US-amerikanische Kapitalgesellschaft pflegt ihre Bodenprivilegien mit Hilfe der vom US-Steuerzahler finanzierten "Ledernacken", einer US-Marine-Spezialtruppe, durchzusetzen und zu verteidigen. Ihrem finanziellen und militärischen Einfluß in Zentralamerika haben die dortigen Nationen die Bezeichnung "Bananenrepubliken" zu verdanken. Sie kauft dort Politiker und sorgt dort für den Sturz demokratisch gewählte bürgerlich-liberaler Reformregierungen. So hat sie sich z. B. 1954 in Guatemala als Drahtzieher bei der gewaltsamen Beseitigung einer frei gewählten Bodenreform-Regierung und der Installierung einer völkermordenden Militärdiktatur hervorgetan. Diese Kapitalgesellschaft ist auch Beispielhaft für die Verquickung des US-Staatsapparats mit dem Kapital, was wiederum die Handlangerdienste des Staates für Kapital und Grundrentner verständlich macht. So war zur Zeit der US-Intervention in Guatemals John Forster Dulles, ehemaliger leitender Angestellter des Anwaltbüros Sullivan & Croomwell, New York, welches 1930 und 1936 an den Verträgen zwischen der United Fruit Company und der guatemaltekischen Regierung mitwirkte, Außenminister der Vereinigten Staaten. Henry Cabott Loige, Teilhaber am (damals) 5.779-Millionen-Dollar-Kapital der United Fruit, war derzeit US-Chefdelegierter bei der UNO und Gegner einer Einberufung des Sicherheitsrats wegen der Intervention in Guatemala. Spruille Brude, ebenfalls Aktionär der "Frutera", war der Wortführer der Propaganda gegen Guatemala, das als angeblich kommunistisch in der Weltöffentlichkeit madig gemacht wurde. Der Bruder des US-Außenministers, Allen Dulles, früherer Präsident der Unites Fruit, war der derzeitige Chef des CIA, der die militärischen Operationen der Intervention gegen die frei gewählte guatemaltkische Regierung vorbereitete und in Gang setzte. Der Grund der Intervention: Die mit drei Viertel aller abgegebenen Stimmen gewählte links-liberale Regierung unter Arbenz Guzman wollte eine Bodenreform durchführen, von der nicht nur der einheimische Großgrundbesitz betroffen gewesen wäre, sondern auch das brachliegende Land der Unitet Fruit - und nur dieses, was eigentlich sehr bescheiden war. Er nahm sich jedoch die Frechheit heraus, die zu enteignenden Ländereien nach dem von den Grundeigentümern selbst festgelegten und sehr stark unterbewerteten Buchwert des Bodens zu entschädigen und nicht nach seinem sehr viel höheren Marktwert, für den die Grundeigentümer jedoch nie Steuern bezahlt hatten! (101) Guatemala ist ein ganz gewöhnliches Beispiel für viele andere. Auch Aquino hat verkündet, nicht "soziale und wirtschaftliche Reformen, sondern Polizei- und Militäraktionen" seien die Antwort auf den "Terrorismus von links und rechts". (102) Soll heißen: die Antwort auf die Reformforderungen der landlosen philippinischen Bauern und Pächter gegenüber file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/8.htm (5 von 8) [15.02.2002 19:39:35]
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dem Großgundeigentum und dessen Staat. Sollte Aquino jedoch wider Erwarten versuchen, den Staatsapparat für die Durchführung einer Bodenreform einzusetzen, dann werden sich die Großgrundeigentümer mit ihren (aus der Bodenrente finanzierten) Privatarmeen schon dagegen zur Wehr zu setzen wissen. (103) Auch in der Bundesrepublik sind die Gewaltverhältnisse nicht grundsätzlich anders. Das beweist z. B. das brutale Vorgehen bürgerlicher Politiker gegen jugendliche Hausbesetzer und die straffreie Erschießung Benno Ohnesorgs duch einen Polizeibeamten am 2. Juni 1967. Das Ausmaß des legalen Bodenunrechts in den Agrarländern derDritten Welt, aus dem legale Gewalt und legitime Gegengewalt hervorgehen, machen - neben Elend und Hunger - nüchterne Zahlen deutlich. In Nicaragua z. B. besaßen vor der Revolution der Sandinistas "zwei Prozent der Grundbesitzer fünfzig Prozent des anbaufähigen Landes, siebzig Prozent der Bauern aber nur zwei Prozent des Bodens"; zwölfmal in den letzten hundert Jahren haben dort die USA militärisch interveniert... (104) Gesell: "Die Zweiteilung des Volkes in Rentner und Lasttiere ist widernatürlich und kann darum nur durch Gewalt, körperliche (Polizei, Militär, Folter; K. S.) und seelische (Religion; Ideologie, Erziehung; K. S.) aufrecht erhalten werden; sie ist Krieg." (105)
Vom Grundeigentum zum Finanzkapital Häufig legt die Grundrente, insbesondere die aus Bodenschätzen, den Grundstein für das Finanzkapital. So wurden z. B. die Rockefeller durch ihren Erdöl-Reichtum zu mächtigen Finanzkapitalisten. In ihre Fußstapfen treten heute die Öl-Scheichs, die sich mit ihren angehäuften riesigen Grundrentenerträgen als Großaktionäre in Industrie und Banken Europas und der USA einkaufen. Wohin auch mit dem vielen Geld! In dem winzigen Öl-Staat Brunei, einem Relikt aus der Kolonialzeit, sprudeln dem Sultan Muda Hassan al-Bolkiah aus seinen Ölquellen rund 56,6 Milliarden Dollar jährlich aufs Konto (von denen er einige an die antisandinistischen Contras abzweigte). (106) Das entspricht der Hälfte des Schwedischen Bruttosozialprodukts von 114 Milliarden Dollar 1980.
Grundrente und Wertzuwächse in der BRD Auch in der Bundesrepublik ist die Ausbeutung der Produzenten und Konsumenten durch die Grundeigentümer nicht unerheblich. (106a) Nach den Angaben von Helmut Creutz betrug 1986 der gesamte Bodenwert der BRD etwa 2.600 Milliarden DM. (107) Ungefähr ein Drittel dieses Bodenwerts entfällt auf Boden in öffentlicher und gemeinnütziger Hand, verfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/8.htm (6 von 8) [15.02.2002 19:39:35]
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bleibt also ein Bodenwert von mehr als 1.700 Milliarden in privaten Händen. Da wegen der längerfristigen Miet- und Pachtverträge die Bodenrente zeitlich hinter der Bodenwertsteigerung herhinkt, rechnet Creutz mit einer Rente von 3,5% des aktuellen Bodenwerts im Jahr. Demnach entfiel damals (heute sind es schon wieder wesentlich mehr; siehe unten) allein aus der Bodenrente ein jährliches arbeitsfreies (und nur sehr geringfügig besteuertes (107a)) Einkommen an den privaten Grundeigentümer von rund 60 Milliarden DM. Das sind fast 10 Milliarden mehr, als der damalige Verteidigungshaushalt der BRD ausmachte. Hinzu kommt der Werzuwachs des Bodens, der den Eigentümern ebenfalls als leistungsloser Gewinn zufließt. Diesen realisieren sie als arbeitsfreies Einkommen, wenn sie bei Verkauf des Bodens die Gewinnspanne der Preissteigerungssrate kassieren (Spekulationsgewinn), oder wenn sie beim Abschluß neuer Miet- und Pachtverträge den Zuwachs der erhöhten Bodenrente einstreichen (Rentabilitätsgewinn). Diesen Gewinn kassieren auch jene, die Altbauten mit amtlich festgesetzten Mietepreisen für den niedrigen Preis entsprechend der derzeitigen Rentabilität gekauft haben und diese Häuser vermieten oder verkaufen, wenn die Preisbindung aufgehoben worden ist. - Diese Gewinnspanne ist ein Geschenk des Staates an Grund- und Hauseigentümer und Spekulanten. Und ausgerechnet diese leistungslosen Gewinne werden so gut wie gar nicht besteuert! Der Wertzuwachs des privaten Bodens beträgt nach Creutz (unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Rückgangs der Bodenpreissteigerung) 120 Milliarden im Jahr. Für jene 60% aller Haushalte in der BRD, die keinen Boden besitzen, bedeutet das, daß sie den Wertzuwachs des Eigentums der anderen 40% Haushalte in den letzten 32 Jahren mit etwa 95.000 DM je Haushalt bezahlen mußten. Dabei hat die große Mehrheit der 40% Grundeigentümer mehr draufgezahlt, als sie an der Wertsteigerung ihres kleinen Grundstücks gewonnen hat. Diese mehrstelligen und unversteuerten Millionengewinne machen, oft über Nacht, einige wenige Glückspilze und vor allem staatlich geförderte Spekulanten. (108) Das macht einen mühe- und leistungslosen Gewinn der privaten Grundeigentümer aus Renten (60 Mrd.) und Wertsteigerungen (120 Mrd.) von rund 180 Milliarden DM im Jahr. Er stammt aus dem Arbeitseinkommen der Produzenten, das diese vor allem als Käufer und Mieter über die Preise ihrer eigenen Produkte, insbesondere im Mietpreis, bezahlen. Dieses arbeitsfreie Einkommen der Grundeigentümer ist zwölfmal so hoch wie die 15 Milliarden DM, die der Staat den Müttern und Vätern für ihre produktive Leistung der Aufzucht ihrer Kinder jährlich als Zuschüsse und Steuervergünstigungen aus der Tasche der Steuerzahler - zum Teil also aus ihren eigenen - zukommen läßt. (109) file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/8.htm (7 von 8) [15.02.2002 19:39:35]
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
9. ...für die Umverteilung der Grundrente an alle Kinder und Mütter! "Wem ist man den Pachtzins für die Erde schuldig? Dem Erschaffer der Erde. Wer hat die Erde erschaffen? Gott. Nun also, Eigentümer, ziehe Dich zurück." P. J. Proudhon
Da Land und viele Naturschätze und -kräfte nicht wachsen und auch nicht - wie andere Güter - durch Arbeit beliebig vermehrt werden können, können auch ihre Renten und Tauschwert-Steigerungen nicht durch ein beliebiges zusätzliches Angebot, insbesondere nicht durch zusätzliche Bodenflächen, und somit auch nicht durch Wettbewerb zumn Verschwinden gebracht werden. (109a) Da sich unser Globus nicht wie ein Luftballon aufblasen läßt, bleibt uns nur eine Lösung, wenn wir eine Synthese von Tausch-, Leistungs- und Sozialgerechtigkeit herstellen wollen: Bodenrente und Bodenwertzuwachs müssen umverteilt werden. Das könnte auf unterschiedliche Weise erfolgen. Wie der US-amerikanische Bodenreformer Henry George, hat auch der (berühmte, aber heute beschämenderweise auch unter Linken und Alternativen kaum noch bekannte) deutsche Bodenreformer Adolf Damaschke vorgeschlagen, durch eine Belastung des Bodeneigentums mit einer "Grundwertsteuer" in Höhe der Bodenrente und einer "Zuwachssteuer" in Höhe der Bodenwertsteigerung die leistungslosen Gewinne der Grundeigentümer abzuschöpfen (ein Verfahren, wie es auch Adam Smith befürwortet hat!). (110) Ähnlich, wie eine ausreichend hohe Geldsteuer das Geld in den Wirtschaftskreislauf treibt und den Zinsfuß auf Null drückt, so würde eine auf das Grundstück bezogene und der Bodenrente entsprechende Grundsteuer den Boden ins Angebot zwingen, die private Aneignung der Rente verhindern und außerdem die Bodenpreise senken und so der Bodenspekulation einen Riegel vorschieben. Ebenso, wie der Gläubiger keine Zinsen mehr erhält und der Schuldner die Geldsteuer zu tragen hat, solange er über den Liquiditätsvorteil des Geldes verfügt, so erhält der Grundei-
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gentümer keine Rente mehr; der Mieter und Pächter zahlt die Grundrente an die Gesellschaft. Diese "kalte Enteignung" des privaten Grundeigentums ohne Entschädigung und ohne den juristischen Eigentumstitel des geheiligten Privateigentums anzutasten, könnte ein Konzept sein für Länder, die kein Geld haben, um die Eigentümer zu enschädigen, und/oder in denen die Eigentumsideologie so fest verankert ist, daß kaum Mehrheiten für eine Enteignung des Bodens zu finden sind. Ein Problem bei diesem Verfahren ist allerdings die Ermittlung der Höhe der Bodenrenten und der Wertsteigerungen und damit die lückenlose Durchsetzung der Grundwert- und Zuwachssteuer. Die konsequentere Lösung wäre die Enteignung und Sozialisierung des Bodens und seine (zweckgebunde) Verpachtung an Meistbietende. Die radikale Enteignung und die Sozialisierung des Bodens wird zwar nicht von den Grünen gefordert (von den Sozialdemokraten und anderen Parteien ganz zu schweigen), wohl aber von so unterschiedlichen Leuten wie z. B. Marx, Franz Oppenheimer, Michael Flürscheim, J. G. Fichte, Hans Bernoulli, Herbert Spencer, Yohito Otani, John Henry Mackay, Silvio Gesell, Otto Strasser und neuerdings von dem Berliner DGB-Landesvorsitzenden Michael Pagels. (111) Die Einnahmen der öffentlichen Hand aus der Bodenrente und dem Bodenwertzuwachs könnte für die verschiedensten gemeinnützigen Zwecke verwendet werden, z. B. im Sinne Damaschkes für die Finanzierung von Sozialhilfen, Ausbildungsstätten, Kindergärten, Jugendzentren oder auch - wenns denn sein muß - für ein "garantiertes Mindesteinkommen". Im Sinne Georges könnten die Einnahmen auch dazu verwendet werden, andere Steuern abzuschaffen, z. B. Mehrwertsteuern, die kleine Einkommensbezieher besonders stark belasten. Der Geldund Bodenreformer Otani (dessen Geldtheorie mit der Gesells weitgehend übereinstimmt (112)) und die Mackay-Anhänger wollen die Bodenrente auf alle Einwohner eines Landes zu gleichen Teilen umverteilen. (113) Wie groß wäre dann der Anteil, den jeder Einwohner der Bundesrepublik aus der privaten Bodenrente und Bodenwertsteigerung erhalten würde? Wenn wir berücksichtigen, daß unter den Bedingungen eines neuen Bodenrechts die Bodenpreise nicht mehr durch Bodenspekulation in schwindelnde Höhen getrieben werden, dann müssen wir den Wertzuwachs, wie Creutz meint, mindestens halbieren, also von dem reduzierten Satz einer jährlichen Bodenwertsteigerung des heute privaten Bodens von gegenwärtig rund 60 Milliarden DM ausgehen. Mit der privaten Bodenrente von 60 Milliarden würden dann etwa 120 Milliarden DM zur Verteilung zur Verfügung stehen. Umverteilt, bekäme jeder der 61,3 Millionen Einwohner der BRD - jede Frau, jeder Mann und jedes Kind - voraussichtlich rund 160 DM im Monat oder 1.900 DM im Jahr, eine vierköpfige Familie also file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (2 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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640 DM im Monat oder 7. 700 DM im Jahr aus der Bodenrente und -wertsteigerung des heutigen Privatbodens zugeteilt. Dieses Geld fließt heute als arbeitsfreier Gewinn privaten Grundeigentümern zu, direkt als Rente oder indirekt als Zinsersparnis für Kredite, die durch Grundbesitz abgesichert sind.
Die "Mutterrente" Gesell und seine Anhänger haben eine besonders originelle und, wie Urjo Rey als einer der wenigen Anarchisten männlichen Geschlechts begreift, sympathische frauen- und kinderfreundliche Idee entwickelt: Sie wollen den gesamten Boden den Müttern zueignen und ihnen bzw. ihren Kindern die Bodenrente bis zum 18. Lebensjahr der Kinder als "Mutter-" bzw. "Kinderrente" zukommen lassen. Ein "Bund der Mütter" soll den gesamten nationalen und in ferner Zukunft den gesamten Boden unseres Planeten verwalten und - entsprechend dem von der gesamten Gesellschaft beabsichtigten Verwendungszweck - an den oder die Meistbietenden verpachten. Nach diesem Verfahren hätte jeder einzelne Mensch und jede einzelne Gruppe (z. B. eine Genossenschaft) die gleichen Chancen wie alle anderen, Boden nutzen zu können, ohne von privaten oder staatlichen Parasiten ausgebeutet zu werden. Der Boden würde optimal genutzt werden und brachliegendes Land käme in den Verkehr. Die Pachteinnahmen würden an die Mütter als Entgelt für ihre gesellschaftlich nützliche Arbeit der Kinderaufzucht und -betreuung bzw. an die Kinder und Jugendlichen als Lebensunterhalt gehen. Durch letzteres würde jeder Bürger und jede Bürgerin einmal im Leben mit dem gleichen Anteil wie jede/r andere an der Verteilung der Bodenrente teilgenommen haben, und zwar in einem Lebenszeitraum, in dem diese Menschen noch nicht durch Arbeit für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können und in dem die Wahrscheinlichkeit geringt ist, durch einen frühen Tod auf diese Rente verzichten zu müssen. (114) Creutz rechnet lediglich die Rente und Wertsteigerung aus dem heute noch in privater Hand befindlichen Boden den Müttern und Kindern zu. Bei 13,6 Mill. Kindern in der BRD bis zum 18. Lebensjahr bekäme dann jedes eine Kinderrente von gut 730 DM bzw. jede Mutter mit zwei Kindern ein Betreuungsgeld von mehr als 1.400 DM im Monat. Da Gesell jedoch den Müttern den gesamten Boden, also auch den heute schon in öffentlichen und gemeinnützigen Händen befindlichen, zueignen will, würde den Müttern und Kindern eine Bodenrente von rund 91 Milliarden DM, aber - da der Boden dann kollektives Eigentum der Mütter und Kinder und unverkäuflich ist - nicht der Bodenwertzuwachs, zur Verfügung stehen. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (3 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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1986 hätte dann jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr nur rund 560 DM im Monat erhalten. Der Wertzuwachs ist jedoch gleichbedeutend mit einer Steigerung der Bodenrente. Die Rente des Zuwachses hätte das Betreuungsgeld im folgenden Jahr um rund 20 DM im Monat angehoben. Bei gleichbleibendem (nur liniarem) Wertzuwachs des Bodens würde das Kindergeld dann 1996 immerhin 760 DM im Monat für jedes Kind, für zwei Kinder also mehr als 1.500 DM betragen. Und wegen der Zahlungen aus der Bodenrente müßten jene, die heute bereits aus Steuermitteln geleistet werden, keineswegs gestrichen werden! (114a) Demgegenüber nehmen sich die entsprechenden Forderungen der Grünen eher dürftig aus. In ihrem Programmentwurf zu den Bundestagswahlen 1987 versprechen sie den Müttern und Vätern lediglich, je nach Alter des Kindes und unbegrenzt über sein 18. Lebensjahr hinaus, zwischen 166 und 447 DM im Monat "Kindergeld" plus 1.250 DM für die Dauer von 24 Monate bzw 2.000 DM für die Dauer von 15 Monate "Betreuungsgeld" im Monat. Finanziert werden soll das - wie sollte es auch anders sein! nicht aus den Taschen der parasitären Grundeigentümer, die vorrangig vom Bevölkerungsnachwuchs profitieren, sondern aus einer Umverteilung von Steuermitteln, also zu einem guten Teil aus den Taschen der Eltern selbst." (115) Wie notwendig jedoch ein existenzsicherndes Betreuungsgeld bis ins Jugendalter der Kinder hinein gerade für Mütter ist, zeigt der taz-Bericht von Klaus Wolschner über die Vaterrolle eines Linken. (116) Er schreibt, daß Joscha Schmierer nach seinen eigenen Aussagen die Betreuung seiner Kinder als Mann "mehr als Belastung" empfinden würde als eine Frau! Damit kann doch nur - ganz im Sinne konservativer Ideologie - gemeint sein, daß das weibliche Geschlecht von Natur aus besser für die Kinderaufzucht geeignet ist als das männliche, und daß das somit die Aufgabe der Frau zu bleiben habe! Und das auch noch ohne ausreichende Finanzierung und Entlohnung? Laut Wolschner fordert Schmierer, daß die Frauen täglich eine (!) vom Betrieb (!) bezahlte Freistunde erhalten sollen. Er will also, daß das, was der gesamten Gesellschaft und insbesondere den Grundeigentümern nützt, allein von den Unternehmern finanziert wird. Langfristig bedeutet das, daß diese Betriebskosten größtenteils auf die Löhne und Preise übergewälzt werden. Außerdem bedenkt Schmierer nicht, daß damit die Frauen und insbesondere die Mütter noch stärker im Wirtschafts- und Berufsleben benachteiligt werden als bisher: Die Unternehmer werden noch weniger geneigt sein, Frauen statt Männer einzustellen und ihnen gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu zahlen.
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Und glaubt Schmierer denn, daß eine Stunde pro Tag für die Betreuung von Kindern ausreicht? Auf die Idee, ein saftiges Kinderbetreuungsgeld und seine Finanzierung aus dem "Mehrwertanteil" (!) Bodenrente zu fordern, um damit die Mütter von der Notwendigkeit zu befreien, getrennt von ihren Kindern und um ihrer Versorgung willen entfremdete Büro- oder Fabrikarbeit bei niedrigem Lohn leisten zu müssen, und mit diesem Betreuungsgeld vielleicht auch Väter zur Übernahme der Mutterrolle zu bewegen, kommt der Marxist und Kommunist Schmierer nicht. Ist auch nicht sein Bier. Anzumerken wäre vielleicht noch, daß bei einer Enteignung des Bodens alle Eigentümer bis zu einer bestimmten Höhe entschädigt werden müßten und daß sichergestellt werden muß, daß alle jene, die seinen Preis aus eigener Arbeitsleistung und nicht aus Spekulationsgewinnen, Bodenwertsteigerungen, Zinsen und ähnlichem bezahlt haben, ihren in den Bodenerwerb investierten Arbeitsertrag voll zurückerstattet bekommen. Alles, was darüber hinausgeht, sollte jedoch angesichts der Tatsache, daß z. B. der Großgrundbesitzer Thurn und Taxis ein durch Erbschaft, Zins und Zinseszins und Bodenspekulation erworbenes Vermögen von drei Milliarden DM besitzt, (116a) entschädigungslos enteignet werden. Die Höhe der Kinderrente aus der Grundrente des vergesellschafteten Bodens macht jedem kleinen Eigenheimbesitzer mit Kindern klar, daß er bei einer Enteignung des gesamten Bodens weitaus mehr an Betreuungsgeld erhält, als er durch die Enteignung seines Bodens an Bodenrente einbüßt - sofern sein Grundstück überhaupt schuldenfrei ist und er die Bodenrente nicht ohnehin als Geldzins an einen Kreditgeber abführen muß. Das gleiche gilt für die Bauern, deren landwirtschaftlich genutzter Boden meist nur geringe Renten abwirft und (von Ausnahmen abgesehen) verhältnismäßig geringfügig im Wert steigt. Die Gebäude sollen als produziertes und vermehrbares Gut ohnehin Privateigentum bleiben. Außerdem brauchen sich Häuslebauer nicht mehr wegen eines Baugrundstücks zu verschulden: sie können es langfristig, z. B. auf Erbpacht, erwerben. Sie zahlen dann weniger Pacht, als sie heute Kreditzinsen für den Preis des Grundstücks zahlen müssen.
Materielle Unabhängigkeit und Evolution Mit diesem Entgelt für die Kosten und den Arbeitsaufwand der Kinder aufzucht und -betreuung wollten der Anarcho-Feminist Gesell und seine physiokratischen Freunde die Frauen von der ökonomischen und sozialen Abhängigkeit von den Vätern ihrer Kinder und von den Almosen des (von Männern beherrschten) Staates befreien. Materiell abgesichert durch dieses nicht unbedeutende Kindergeld, könnte die biologisch bedingte Mutterschaft - die im gesellschaftlichen Bereich zu materieller und (wegen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (5 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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der emotionalen Bindung der Mutter an ihre Kinder) zu psychischer Abhängigkeit und zu großen zeitlichen und physischen Arbeitsbelastungen führt - nicht mehr in gleichem Maße wie bisher von den Männern zur Unterdrückung und Ausbeutung der Mütter in Familie und Betrieb ausgenutzt werden. Statt Männer aus materiellen Gründen heiraten zu müssen, weil diese auf Grund der Tradition und der ökonomischen Bedingungen die Rolle der "Ernährer" und "Beschützer" spielen, wird es den Müttern durch diese (von ihnen selbst verwaltete) Mutterrente ermöglicht - unabhängig von den leiblichen Vätern ihrer Kinder, von einer Lohnarbeit und von staatlichen Beihilfen - nach ihren eigenen Vorstellungen und entsprechend den Bedürfnissen ihrer Kinder ihr Leben selbsttätig zu gestalten. Darüber hinaus glaubt Gesell, sie würden unter den Bedingungen der materiellen Befreiung auch einen wesentlichen Beitrag zur biologischen und kulturellen Fortentwicklung der Menschheit leisten. Er meint, durch das für die Versorgung von Mutter und Kinder ausreichende Betreuungsgeld würde zunächst einmal sichergestellt werden, daß das Geld der Väter aus dem Evolutionsprozeß der menschlichen Gattung ausgeschlossen wird. Nicht mehr die finanzielle Potenz des männlichen Geschlechtspartners ist dann für die Auswahl der biologischen Vaterschaft und damit für den natürlichen Evolutionsprozeß der menschlichen Gattung ausschlaggebend, sondern allein die die Zuneigung und persönliche Wertschätzung des potentiellen Vaters. Darüber hinaus erwartet Gesell, daß die Frauen unter den Bedingungen eines matristischen Bodenrechts sogar bewußt und gezielt durch die Wahl der Väter ihrer Kinder Eugenik betreiben würden. Eine Rechnung, die wohl nicht ganz aufgeht; denn was tun die Männer und Frauen, die aus einem selektiven Fortpflanzungprozeß herausfallen sollen? Pflanzen sie sich nicht fort? Vielleicht. Es gibt, wie in Schweden, Beispiele für eugenische Disziplin. Wie dem auch sei, immerhin ist dieser Gedanke einer für die Gesunderhaltung des Erbguts und für die Evolution der menschliche Art vorteilhaften und von den betroffenen Individuen selbstbestimmten Eugenik eine diskutable Alternative zu den auf uns zukommenden, von Staat und Kapital fremdbestimmten Genmanipulationen und "Hochzucht"-Programmen, wie letztere bereits in Rotchina in Angriff genommen werden. (117) Gesell bestand ausdrücklich darauf, daß die "Wahlzucht", fern von jeglicher gesellschaftlicher und staatlicher Einflußnahme, von den Individuen nach eigenen Neigungen und Bedürfnissen selbst betrieben wird: "Jede Zucht, die nicht in völliger Freiheit erfolgt, bei der die natürlichen Triebe nicht die führende Rolle spielen, ist widernatürliche Zucht, ist Unzucht, Sodomie." (117a)
Utopie einer Frauenkommune file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (6 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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In seinem Spätwerk "Der abgebaute Staat" mit dem provozierenden, aber auch als optimistische Antwort auf Oswald Spenglers Prophezeiung des Unterganges des Abendlandes gedachten Untertitel "Leben und Treiben in einem gesetz- und sittenlosen hochstrebenden Kulturvolk", schildert Gesell die Utopie einer Frauengemeinschaft, in der er eine alte Forderung der ersten uns bekannten Anarchisten und "Physiokraten" wieder aufleben läßt: Diogenes von Sinope (der in der Tonne), der, ebenso wie seine kynischen Gesinnungsgenossen Antisthenes (Begründer der asketisch orientierten kynischen Lehre und Lehrer Sokrates') und Aristippos (hedonistischer Kyniker und Schüler Sokrates), ein Leben in Einklang mit der Natur (daher der Begriff Kyniker oder Zyniker) und ohne Moral, Sitte, Religion, Staat und Gesetze anstrebte, forderte Frauengemeinschaften, in denen die Mütter mit ihren Kindern außerhalb ehelicher Bindungen zusammenleben. (118) Auch in Gesells akratisch-physiokratischer Utopie leben Frauen mit ihren Kindern in autonomen, von Männern unabhängigen "Kolonien" zusammen. Sie leben in polygamen Sexualbeziehungen, und zwar in der spezifischen Form der Polyandrie, also in Beziehungen zu mehreren Männern. (Bezeichnend ist die Werbung der Gesell-Physiokraten für eine Schrift mit dem Titel "Das Fiasko der Monogamie" in: "Die Freiwirtschaft"; s. Abb. Bücher über Sexualfragen). Die Kinder dieser Frauen stammen von verschiedenen Vätern hoher "physischer und psychischer Qualität" ab, und zwar von Männern aus den verschiedensten Völker und Rassen der Erde! Es geht hier also nicht um die "Aufnordung" einer bestimmten Rasse, wie es die NS-Rassisten vorhatten, sondern um die Fortentwicklung der gesamten Gattung Mensch. Die Frauen gehen meist frei gewählten Berufen nach, auch klassischen "Männerberufen". Das Entgelt für ihre gesellschaftliche Leistung der Bevölkerungsreproduktion erhalten sie vom "Mütterbund". Er verwaltet allen Boden und verteilt die Bodenrenten m Selbstverwaltung der Mütter (s. Text 7). Damit ist das Kinderbetreuungsgeld jeglicher gesamtgesellschaftlicher oder gar staatlicher Verfügungsgewalt entzogen, kann somit z. B. nicht durch Gemeinde-, Regierungs- oder Parlamentsbeschlüsse gekürzt werden. Aus dieser Rente können die Mütter ohne patristische und bürokratische Bevormundungen und nach eigenem Gutdünken selbstverwaltete Kinderkrippen, Kinderläden, Spielplätze, Kinder und Jugendheime, Freie Schulen und Frauen- und Kinderkommunen, aber auch Betreuer finanzieren, die ihnen Betreuungsarbeit abnehmen und es ihnen so ermöglichen, einem Beruf nachzugehen. Durch die Selbstfinanzierung werden diese Einrichtungen außerdem ökonomischer arbeiten als die heutigen staatlichen. Auch durch die gemeinschaftliche Kinderbetreuung in Gesells Frauen-
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kommunen sparen die Mütter Arbeit und Zeit, da es keinen großen Unterschied ausmacht, ob eine Mutter ein, zwei oder ein halbes Dutzend Kinder gleichzeitig betreut. Die anderen Mütter gewinnen derweil Zeit für andere Aktivitäten. Das schließt einerseits die für Kinder notwendige Primärbeziehung nicht aus und isoliert andererseits die Kinder nicht in der Kleinfamilie, die heute oft auf einen Erwachsenen und ein Kind zusammengeschrumpft ist. Mit seiner Utopie der Frauengemeinschaften nahm Gesell bereits in den 20er Jahren das vorweg, was in der Kommunen- und Kinderladenbewegung der 60er Jahre recht erfolgreich praktiziert worden ist. (119) Dieses Kinderbetreungsgeld ist allerdings nicht als Beitrag zur "neuen Mütterlichkeit" im Sinne konservativer CDU/CSU-Patriarchen gedacht, ebensowenig wie für kinderlose Feministinnen, sondern als Beitrag zur Befreiung der "Rabenmütter" von ungerechtfertigter ökonomischer Abhängigkeit in einer von Männern dominierten Gesellschaft. Außerdem haben auch Männer Anspruch auf dieses Geld, wenn sie die Mutterrolle übernehmen. Der "Mutterlohn" könnte ihnen diese Übernahme vielleicht erleichtern. Und schließlich darf das Kinderbetreuungsgeld nicht mit einem generellen Haushaltslohn aus der Staatskasse, wie er von manchen Frauen gefordert wird, verwechselt werden. Die privaten Dienste für den Pascha soll sich die Haussklavin gefälligst von ihm als Nutznießer bezahlen lassen und nicht aus der Tasche jener Steuerzahler, die diese Dienste nicht in Anspruch nehmen, weil sie ihren Abwasch etc. selbst besorgen, und die keinen Haushaltslohn bekommen, weil sie unverheiratet sind. Sie entlohnen sich angemessen mit den Resultaten ihrer Haushaltsarbeit!
Kinderrente als Beitrag zur Befreiung der Kinder und Jugendlichen! Da dieses Geld nicht nur als Entgelt für den Betreuungsaufwand der Mütter gedacht, sondern ebenso für das Wohlergehen und die Entwicklung der Kinder bestimmt ist, soll diese "Rente" gegebenenfalls von den Kindern und Jugendlichen als Kindenente eingefordert werden können. Dann sind auch die Kinder und Jugendlichen materiell weniger abhängig von der Elterngeneration, und sie können sich von dieser ebenso emanzipieren, wie die Mütter von den Vätern. Angesichts der Tatsache, daß jährlich mehrere hundert Kinder in der Bundesrepublik von ihren nächsten Angehörigen totgeprügelt werden und daß jugendliche Emanzipationsversuche, z. B. der Auszug aus dem Elternhaus oder die Verwirklichung von Selbstverwaltungsprojekten, nicht nur an der elterlichen und staatlichen Gewalt, sondern auch an fehlenden Finanzen scheitern, ist eine Kinderrente, über die die Kinder und Jugendlichen frei verfügen können, keifile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (8 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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ne Nebensache. (120) Wenn sie also mit ihren Eltern, mit Heimerziehern oder wem auch immer nicht zusammenleben wollen, dann können sie sich (Beseitigung der gesetzlich legalisierten elterlichen Gewaltherrschaft vorausgesetzt) ohne materielle Probleme Betreuern ihrer eigenen Wahl zuwenden und ihnen diese Rente in treuhänderischer Verwaltung überlassen. Oder sie können in Kinder- und Jugendwohngemeinschaften, wie z. B. in der Nürnberger "Indianerkommune", dieses Geld ohne Bevormundung "Erziehungsberechtigter" zur Gestaltung ihrer eigenen Lebensvorstellungen verwenden. Gesell traute ihnen das durchaus zu, sind sie seiner Meinung nach doch meist klüger als Erwachsene. Durch diese finanzielle Absicherung der Kinder und Jugendlichen würde es den Erwachsenen nicht mehr möglich sein, sie materiell zu erpressen und ihnen so ihren Willen aufzuzwingen. Bei Überwindung dieses materiellen (und des juristischen) Abhängigkeitsverhältnisses besteht dann - wie zwischen den Geschlechtern - auch zwischen den Generationen eine größere Chance zur Entwicklung gleichgestellter und somit auch freundschaftlicher Beziehungen - eine pädophile Utopie! Die Mutterrente muß nicht ausschließen, daß auch die leiblichen Väter (oder gegebenenfalls Mütter) einen finanziellen Beitrag für den Fortbestand ihres Erbguts leisten. Doch heute, wo immer mehr Kinder mit einem Elternteil aufwachsen, ist es dem anderen, der kaum Kontakt mit seinen Kindern hat, nicht zuzumuten, daß er bis an die Grenze seines Existenzminimums für eine allen Mitgliedern der Gesellschaft nützliche und notwendige Leistung herangezogen wird. Die biologische Elternschaft kann nicht das vorrangige Kriterium für die Verpflichtung zur Finanzierung des Fortbestandes eines Volkes oder der Menschheit sein.
Anarcho-Physiokratie - eine matristische Utopie! Mit seiner Forderung nach Übertragung des Bodens in das kollektive Eigentum der Mütter will Gesell ein Rechtsverhältnis in die heutige Industriegesellschaft wieder einführen, das es in der frühen Menschheitsgeschichte, in der Anfangsphase der Ackerbaugesellschaften, schon einmal gegeben hat und wovon wir heute noch Reste in einigen Stammeskulturen vorfinden: das Mutterrecht. Aus ihrer Sammlertätigkeit heraus entwickelten die Frauen im Laufe der Geschichte den Gartenbau (Hackbau). Der herrenlose Boden wurde kollektives Eigentum der Muttersippe, über die mütterliche Linie an die Töchter vererbt (Matriliniarität) und kollektiv von den Frauen bewirtschaftet (femininer Kollektivismus). Bei den Hopi und den Irokesen, zwei extrem mutterrechtlich organisierten Kulturen, wird bzw. wurde dieses feministische Bodenrecht noch in jüngster Zeit befile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (9 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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obachtet. (121) Auf Grund dieser Eigentums- und Produktionsverhältnisse lebten die Ehemänner in der Sippe ihrer Frauen (Matrilokalität). Die Ehen waren locker, formlos und leicht zu lösen; Polygynie wie Polyandrie waren nicht ungewöhnlich. Bei den Irokesen vermittelten die Mütter der heiratsfähigen Kinder die Ehen, und zwar nach "Wahlzucht"-Kriterien. (122) Statt Moral und Tabus herrschte weitgehend "sexuelle Freiheit" (geschlechtliche Freizügigkeit). Bei·Trennung der Ehepartner blieben die Kinder bei der Mutter (Mutter Kind-Familie). Die Versorgung der Kinder war leicht, da die Mütter durch den Garten- und Ackerbau und durch das Sammeln von Naturprodukten sich selbst und ihre Kinder und darüber hinaus sogar die auf ihr unsicheres Jagdglück angewiesenen Männer leicht ernähren konnten (hohe ökonomische Leistungsfähigkeit). (123) Die durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bedingten Frauenkollektive sicherten den Frauen einen von den Männern und ihrer Welt unabhängigen Lebensraum (soziale Autonomie) mit gegenseitiger Hilfe (Kooperation und Solidarität). Über die Produkte ihrer Arbeit konnten die Frauen frei verfügen (materielle Unabhängigkeit). Darüber hinaus genossen sie als "Quelle des Lebens" besondere Wertschätzung (hohes Sozialprestige). Ihr hohes Ansehen drückt sich z. B. darin aus, daß die Irokesen als Entschädigung für einen ermordeten Krieger 30, für eine getötete Frau jedoch 40 Geschenke fordern .(124) Im übrigen waren bzw. sind diese Stammeskulturen staats- und herrschaftsfreie Gesellschaften (Anarchien), jedoch keine Matriarchate im Sinne von Frauenherrschaft; die Frauen haben jedoch eine dominierende Stellung in der Sippe und auch ein starkes Mitbestimmungsrecht bei der Regelung von Stammesangeleenheiten (gesellschaftliches Mitspracherecht). (125) Von besonderer Bedeutung ist die Beobachtung, daß sich in den heute noch existierenden matristischen Kulturen auf Grund der starken ökonomischen und sozialen Stellung der Frauen und ihrer wichtigen, lebenspendenden und -fördernden und damit auch die Sozietät erhaltenden Funktion als Mütter·der für diese Funktion notwendige Eros durchsetzt und Liebe eine starke, die zwischenmenschlichen Beziehungen prägende Rolle spielt. Die Mütter prägen die Sippe und den Clan und mehr oder weniger auch die gesamte Stammeskultur als matristische, d. h. mütterliche und damit "lebensbejahende" (Erich Fromm) und "libidinöse" (Herbert Marcuse) Gemeinschaft. (126) Die Frauen sind, wie der Physiokrat Hans Weitkamp in Bezug auf die frühgeschichtlichen Hackbaugesellschaften feststellt, als Gebärende die "Leben-Gebenden" ("Generatrix"), als Säugende und Gärtnerinnen und Bäuerinnen die allen Menschen der Sippe "Nahrung-Gebenden" und damit die Leben-Erhaltenden ("Nutrix"), als liebend-fürsorgliche Mütter die die Sozietät Konstituierenden und Bindenden ("Soziatrix") und darüber hinaus - auf Grund aller ihrer mütterlichen, sozialen und ökonomischen Funktionen - die den frühen Stammeskulturen das "Maß-Gebenden", die Kultur-Prägenden ("Matrix"). (127)
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Eros, Liebe ist abstammesgeschichtlich aus den Brutpflegetrieben und -instinkten der Säugetiere und Primaten hervorgegangen (128) und somit ein wesentlicher Teil des "biologischen Kerns" (Wilhelm Reich) der menschlichen - der weiblichen und männlichen (129) - Psyche, aber ebenso auch ein ausgeprägtes Merkmal der ganzen matristischen Sozietät. In diesen erotischen Kulturen gibt es keine nennenswerte Entfremdung von den Sippen- und Stammesangehörigen (keine "Entfremdung von der Gattung", wie Marx sagen würde) und damit auch keine Entfremdung der Individuen von ihrer eigenen erotisch-sozialen Natur (Marx: keine "Entfremdung vom Gattungswesen"), also auch keine "Selbstentfremdung". Als Produkt der Natur äußert sich Liebe spontan, ohne Zwang und christliche Moral, nach dem Freudschen Lust-Unlust-Prinzip, vorausgesetzt, sie findet das notwendigen soziale Milieu für ihre Entwicklung und Entfaltung vor. Eros garantiert den Zusammenhalt und die "gegenseitige Hilfe" (Peter Kropotkin (130)) in den Sozietäten der frühen Menscheitsgeschichte und damit ihr Überleben in der freien Natur, im Biotop des Homo sapiens. Als notwendige Voraussetzung für das Überleben des Einzelnen, der Gruppe und der Art prägte die Jahrmillionen existierende solidarische und kooperatiae Kleingruppe mit extrem hilfsbedürftigen Kindern, die eine für Primaten besonders lange Betreuungsphase benötigen, auch die entsprechenden sozialen Anlagen des menschlichen Individuums. Freud hat recht, wenn er feststellt, Eros würde sich zwischen den Angehörigen jeder Arbeitsgruppe einstellen. Eros hat eine gruppenbindende und nicht nur eine das heterosexuelle Paar und die Kleinfamilie bindende Funktion. So gesehen bekommt auch Homosexualität eine andere Dimension: sie ist auch Homoerotik! (131) Diese sozio-biologische Eigenart des Eros hat bereits Ludwig Feuerbach, wenn auch auf die Mann-Frau-Beziehung beschränkt, treffend beschrieben. Er definiert Liebe als Identifikation mit dem anderen Ich, dem "Du": In der Leidenschaft der Liebe gehört "das Objekt (des Liebenden) selbst zum innersten Wesen des Ich, in der Liebe wird "der Wunsch des anderen (...) mein eigener Wunsch". Das habe "die Natur selbst" so eingerichtet. (132) Die daraus resultierende soziale Funktion des Eros beschreibt ebenso treffend Max Stirner: Meinem Freund "schmerzt der Zahn, mich aber schmerzt sein Schmerz. Weil ich aber die kummervollen Falten auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, also um meinetwillen, küsse ich sie weg". (133) In der Liebe also fallen Egoismus und Altruismus zusammen, heben sich gegenseitig auf. In der erotisch verbundenen Kleingruppe ist soziales Handeln Selbstbefriedigung und führt nicht nur zur "Glückseligkeit" (Feuerbach) des Objekts der Liebe, sondern ebenso auch zur Glückseligkeit des aktiv handelnden Subjekts. In diesem Sinne beschreibt Erich Fromm die Liebe als "die aktive Fürsorge für das Leben und Wachsen dessen, was wir lieben"; sie sei "in erster file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (11 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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Linie ein Geben und kein Empfangen". (134) Als die wichtigste, naturgeschichtlich vermittelte soziale Anlage motiviert sie das Individuum aus innerem Bedürfnis, und das nicht nur in der Paarbeziehung, sondern auch in der sozialen Gruppe, zu solidarischem und kooperativem Verhalten. In dieser Weise prägte der Eros die Horden und Sippen der frühen Menschheitsgeschichte naturwüchsig - dem hedonistischen Prinzip der Natur folgend (wie es auch der Verhaltensforscher Konrad Lorenz bevorzugt) und unabhängig von Moral und Pflicht (im Sinn der Kirche, des Staates und des "kategorischen Imperativs" Kants, über den sich Lorenz mit einem Schiller-Zitat lustig macht (134a)) - zu urkommunistischen und herrschaftsfreien (anarchistischen) Gemeinschaften. In diesen erotisch-matristischen Gemeinschaften bildeten Natur und Kultur eine funktionale Einheit; sie standen nicht in einem unlösbaren Widerspruch zueinander wie heute in den kapitalistisch-patriarchalischen Industriegesellschaften. Dieses natur- und kulturgeschichtliche,"anarcho-physiokratische" Erbe gilt es neu zu beleben; Voraussetzung ist die Überwindung des Kapitalismus und des Patriarchats. Gegen die destruktiven Tendenzen des Patriarchats konnte und kann sich das matristische Prinzip: der mütterliche Eros (nicht zu verwechseln mit der masochistischen "Mütterlichkeit" in heutigen "Hoch"kulturen (135)), in diesen "Primitiv"kulturen nur deshalb durchsetzen, weil die wichtigsten der oben genannten Faktoren wesentlicher Bestandteil dieser Gesellschaften waren und z. T. noch sind: das feministische und in mütterlicher Linie vererbbare kollektive Grundeigentum, die freie Erwerbstätigkeit und ungeschmälerte Verfügungsgewalt der Frauen über ihre Arbeitsprodukte, die genossenschaftliche Produktionsweise in solidarischen und von Männern unabhängigen Frauengemeinschaften und der Wohnorte der institutionell locker verbundenen Ehepartner in der matristischen Sippe der Frau. Das alles im gesellschaftlichen Rahmen der Anarchie. Die materielle und soziale Autonomie und die sexuelle Freiheit der Frauen sind Folgen dieser Faktoren. Obwohl Gesell diese Zusammenhänge kaum alle gekannt haben dürfte, wollte er erstaunlicherweise diese matristischen Verhältnisse und ihre ökonomischen und rechtlichen Voraussetzungen in ähnlicher Weise wieder in die Industriegesellschaft einführen: das kollektive Eigentum aller Mütter am gesamten Boden eines Landes bzw. der Erde; die Verfügungsgewalt der Mütter und Kinder über die Bodenrente; die Bildung freier, von Männern unabhängiger weiblicher Arbeits- und Lebensgemeinschaften ("Kolonien"), wie die ungehinderte und mit den Männern gleichgestellte und gleich entlohnte Berufstätigkeit in allen Sparten; freie Verfügung der Frauen über ihre Arbeitseinkommen; Auflösung der Moral und der bürgerlichen Zwangsehe und Kleinfamilie zu Gunsten zeitlich beschränkter bzw. polyandriener Gattenwahl der Frauen nach von den Frauen selbstbestimmten eugenischen Gesichtspunkten. Das alles im Rahmen einer "akratifile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/9.htm (12 von 13) [15.02.2002 19:39:38]
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schen", einer staats- und herrschaftsfreien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung (s. Auszug aus "Der abgebaute Staat", Text 7). Vielleicht könnte dieses Programm einer "erotischen Kulturrevolution" förderlich sein, die weit über die beschränkten Ziele einer "sexuellen Revolution" hinausweist in die Utopie einer erotischen Kultur im Sinne Herbert Marcuses. Den Charakter einer derartigen Kultur versucht Marcuse am Beispiel des Lebens der Berg-Arapesh in Neu Guinea aufzuzeigen, indem er Margaret Meads Beobachtungen dieses armen, aber freundlichen und lebensbejahenden Volkes zitiert: "Für die Arapesh ist die Welt ein Garten, der bestellt werden muß, nicht für einem selbst, nicht in Stolz und Eitelkeit, nicht um zu horten und zu nutzen, sondern damit die Kartoffeln und die Hunde und die Schweine und vor allen Dingen die Kinder wachsen. Aus dieser ganzen Haltung entspringen viele der anderen Wesenszüge der Arapesh. Es gibt keine Konflikte zwischen Alt und Jung, jede Voraussetzung für Eifersucht oder Neid fehlt, die Zusammenarbeit spielt die größte Rolle." (136)
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
III. Teil: Anarcho-physiokratische Antworten auf einige wichtige Fragen 10. Wer ist Kapitalist? "Die Gesellschaft ist in zwei Kasten geschieden, von denen die eine fortwährend Kredit gibt und die andere fortwährend Kredit erhält." P. J. Proudhon Wie Marx, begreift auch Gesell die kapitalistische Gesellschaft als eine Klassengesellschaft, und auch er hält den Klassenkampf für unerläßlich. Dieser Klassenkampf muß jedoch an der richtigen Front ausgetragen werden. Gesells Sympathien galten, obwohl selbst Unternehmer und kein Freund der Gewerkschaften, dem Proletariat seiner Zeit; das beweisen seine enge Freundschaft mit dem Tischlergesellen Georg Blumenthal und seine Mitgliedschaft im "Fysiokratischen Kampfbund", dem radikalen proletarischen Flügel der damaligen Freiwirtschaftsbewegung (s. Text 1). Gesell propagiert jedoch nicht den Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer, sondern den Kampf aller Produzenten gegen die (nicht produzierenden) Kapitalisten. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Position vieler Marxisten, Sozialisten und Gewerkschaftler, die ihren Hauptfeind im Unternehmer sehen bzw. diesen mit dem Kapitalisten gleichsetzen. Gesells Differenzierung in Arbeiter und Unternehmer ("Schaffer") einerseits und Kapitalisten ("Raffer") andererseits ist von außerordentlich großer sozialer und politischer Bedeutung (s. dazu auch Kap. 13). Sie läßt sich sowohl mit der "bürgerlichen" als auch mit der marxistischen Definition von Kapital, Arbeit und Unternehmer begründen. "Bürgerliche" Definition In der allgemeinen, liberalistischen Volkswirtschaftslehre (Makro-Ökonomie) ist "Unternehmer (..), wer für eine Unternehmung die unternehmerischen Funktionen erfüllt, nämlich die letztgültigen Entscheidungen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_10.htm (1 von 8) [15.02.2002 19:39:41]
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über den Wirtschaftsplan und seine Durchführung trifft (...)". (137) "Ein selbständiger Unternehmer ist Inhaber eines Unternehmens", was nicht Eigentümer heißt! Daher kann auch ein Nicht-Eigentümer, ein eigentumsloser, "lohnabhängiger" Angestellter, Unternehmer sein, z. B. ein Betriebsleiter, ein Direktor. "Ein angestellter Unternehmer wird als Manager bezeichnet." (138) A. Paulsen betont ausdrücklich: "Die Bereitstellung von Geld- und Sachkapital ist nicht spezifische Unternehmerleistung; diese ist also auch nicht mit dem Eigentum an Produktionsmitteln verbunden." (139) Eine betriebswirtschaftliche (mikro-ökonomische) Definition von K. Mellerowicz stellt diesen Tatbestand noch besonders heraus: "Als Unternehmer bezeichnen wir diejenigen Leiter von Betrieben, die unter Einsatz privaten Kapitals - und damit unter Eingehen von Risiken und Wahrnehmung von Chancen - diejenige Kombination der Produktionsfaktoren (nach Paulsen Arbeit, Boden und Kapital; K. S.) und deren Verwertung im Absatzmarkt planmäßig erstreben, die ihnen auf kürzere oder längere Sicht eine möglichst große Rentabilität des im Betriebe arbeitenden Eigenkapitals (das nicht ihr Kapital zu sein braucht) gewährt. (...) Wenn von dem Einsatz privaten Kapitals gesprochen wird, so ist damit nicht gesagt, daß es sich um Eigenkapital handeln muß. Selbst der Unternehmer einer Einzelfirma, der mit seinem Eigenkapital und darüber hinaus mit seinem Privatvermögen haftet, verwendet in größerem Maße Fremdkapital. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft besitzt häufig keine oder nur wenig Aktien des Unternehmens, die Aktionäre sind dagegen meist reine Geldgeber." (140) Unternehmer ist also ein Betriebsleiter. Und wer ist nun der Kapitalist? Könnte es der genannte Eigentümer jener Kapitalien sein, mit denen der Unternehmer (zusammen mit seinen Angestellten) arbeitet? Darauf gibt die sogenannten bürgerliche Wirtschaftswissenschaft (verständlicherweise) keine klare Antwort; der Kapitalist taucht dort lediglich in der verschämten Verkleidung des freundlichen (fast selbstlosen) Geldgebers, als Aktionär usw, auf - aber klar erkennbar als Kapitalist, wie wir gesehen haben, weil deutlich getrennt vom produktiv arbeitenden Unternehmer. (140a) Marxistische Definition Wie definiert nun Karl Marx den Kapitalisten? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas weiter ausholen. Beginnen wir mit Marxens Antipoden des Kapitalisten, dem "Lohnabeiter". Wie Quesnays Physiokraten und die Gesellschen Neophysiokraten, geht auch Marx von der menschlichen Arbeitskraft als dem einzigen (Arbeits-) "Werte" schaffenden Faktor in der Volkswirtschaft aus. Doch dazu sind naturgegebene (Boden, Wasserkraft etc.) und kulturhistorisch geschaffe-
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ne (Maschinen etc.) Hilfsmittel notwendig. Wer lediglich Eigentümer seiner Arbeitskraft ist, ist gezwungen, sie an den Besitzer oder Eigentümer dieser Produktionsmitteln gegen einen Lohn zu verkaufen. Das macht ihn zum abhängigen Lohnarbeiter. In der Lohnhöhe drückt sich der Preis der Ware Arbeitskraft aus. Er kommt nach Marx entsprechend den Gesetzen der Mehrwert-Theorie zustande (s. Kap.11). Jederzeit durch Einstellungen und Entlassungen mengenmäßig veränderbar, erscheinen die Ware Arbeitskraft bzw. die Lohnkosten als "variables Kapital" im Produktionsprozeß. Im Gegensatz dazu nennt Marx die ("fixen") Produktionsmittel, wie Maschinen, Boden etc., und die ("zirkulierenden") Rohstoffe, "konstantes Kapital". (Das "Handels-" oder "Kaufmannskapital" ist heute "Teil des im Zirkulationsprozeß fungierenden industriellen Kapitals". (141)) Ihr Besitzer, jener also, der über dieses Produktivkapital und die menschliche Arbeitsskraft verfügt, verwendet dieses, um "Profit" zu machen. Ist er Eigentümer des Kapitals und gleichzeitig "Nichtarbeiter", (142) dann ist er Kapitalist. Er erhält dann den gesamten Profits ("Gewinn" plus "Zinsen"), aber nicht den "Unternehmerlohn". Legt er selbst Hand an im Arbeitsprozeß - als selbständiger Unternehmer, als "kleiner Meister" - dann ist er "ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter". (143) Genauer gesagt: er ist beides. Folglich sackt er dann, neben dem gesamten Profit (Gewinn plus Zinsen), auch den Unternehmerlohn ein. Ist er außerdem auch Eigentümer des Bodens, dann ist er auch Grundrentner und kassiert auch noch die ."Grundrente", also den Unternehmerlohn plus den gesamten Mehrwert" (Gewinn, Zins und Rente). Den Unternehmer nennt Marx den "fungierenden Kapitalisten", weil er die Aufgabe hat, "Mehrwert, d. h. unbezahlte Arbeit, zu produzieren". Als "Nichteigentümer" ist er "Arbeiter", wie Marx ausdrücklich (kursiv) hervorhebt. Für seine Tätigkeit als Organisator des Produktions- und Zirkulationspsrozesses und der "Profitmaximierung" erhält er einen Unternehmer-"Lohn". Das gilt für den selbständigen Unternehmer ebenso, wie für den angestellten Unternehmer den Manager. Als "Arbeitslohn" existiert er nach Marx allerdings nur im "Hirnkasten" des Unternehmers (144) wenn der Unternehmer primär als Handlanger des Kapitalisten (und Grundrentner) fungiert. "Vom Kapital getrennt, ist aber der Produktionsprozeß Arbeitsprozeß überhaupt. Der industrielle Kapitalist, als unterschieden vom Kapitaleigentümer, erscheint daher nicht als fungierendes Kapital, sondern als Funktionär auch abgesehen vom Kapital, als einfacher Träger des Arbeitsprozeses überhaupt, als Arbeiter, und zwar als Lohnarbeiter." (145) Aha! In einer nicht-kapitalistischen Wirtschaft würde der Unternehmer also einen wohlverdienten Lohn für produktive und gesellschaftlich nützliche Arbeit erhalten. - Auch in einer vom Kapitalismus freien Marktfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_10.htm (3 von 8) [15.02.2002 19:39:41]
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wirtschaft? Als letzter Darsteller in Marxens Drama 'Das Kapital' betritt nun eine Figur die Bühne, die jene Krankheit verkörpert, die mit ihrem Virus Zins die gesamte Marktwirtschaft vergiftet: der "Geldkapitalist". Doch die Rolle, die Marx diesem eigentlichen Hauptdarsteller in diesem Drama zugedacht hat, ist schwach und unbestimmt. Als Kreditgeber liefert er zwar mit der in seien Geldschätzen "geronnenen" Arbeitskraft die notwendige Voraussetzung für die Entwicklung des Industriekapitalismus; Marx meint jedoch, er würde als "Wucherkapitalist" nur so ganz nebenbei "einen Teil des Profits in Zins verwandeln" (146) (immerhin die "naturwidrigste" Einkommensquelle, wie Marx Aristoteles zitiert (147). Denn ganz im Sinne seiner klassischen Lehrmeister glaubt Marx, daß der Zins keine eigenständige Kategorie ist, sondern erst durch den Profit konstituiert wird: daß erst "die Trennung der Kapitalisten in Geldkapitalisten und industriellen Kapitalisten (...) überhaupt die Kategorie des Zinses schafft: und es (..) nur die Konkurrenz zwischen diesen beiden Sorten Kapitalisten (ist), die den Zinsfuß schafft". (148) Und ganz dicke kommts, wenn er behauptet, die Entwicklung des heutigen Kreditwesens sei nichts anderes als eine "Reaktion gegen den Wucher" und "bedeutet nichts mehr und nichts weniger als die Unterordnung des zinstragenden Kapitals unter die Bedingungen und Bedürfnisse der kapitalistischen Produktionsweise". (149) Die heutigen Finanziers sind also den Produzenten in Brasilien Mexiko, Polen etc. untergeordnet! Eine fatale Unterschätzung der Rolle, die das (heutige) Geld, der Zins und das Finanzkapital auf den Bühnen aller Volkswirtschaften spielen! Daß hier ein kapitaler Irrtum in der marxistischen Wirtschaftstheorie vorliegt, beweist die marxistische Verschuldungspraxis im "real existierenden Sozialismus". Dort hat sich aus Unkenntnis der wahren monetären Zusammenhänge und nach Marxens eigener Definition z. B. die "Avantgarde des Proletariats", die "revolutionäre" kommunistische "Arbeiter"-Partei der "Volks"-Republik Polen mit ihrer Verschuldungspraxis zum "fungierenden Kapitalisten" für die Zinsinteressen des westlichen Finanzkapitals gemacht. Diese Tatsache entlarvt die marxistische Wirtschaftstheorie als zahnlosen Papiertiger und machr ihre Verfechter objektive zu Bundesgenossen des Kapitals. Nun gab und gibt es allerdings Banken, die die Produzenten vom "Zinswucher" zu befreien suchten und suchen (s. Kap.1). Doch das sind Projekte, die mit der geplanten Tauschbank von Marxens Erzfeind Proudhon verwandt sind und die durchaus nicht beabsichtigen, der "kapitalistischen Produktionsweise" zu dienen. Statt dessen versuchen sie, den Kern des Kapitalismus: den Zins, zu überwinden und die Zirkulation sicherzustellen. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_10.htm (4 von 8) [15.02.2002 19:39:41]
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Anarcho-physiokratische Definition Unabhängig von seinem mangelhaften Geld- und Zinsverständnis, unter scheidet Marx, wie auch Gesell und wie die wert-orientierten klassischen und - weniger konsequent - die preis-orientierten modernen Ökonomen, zwischen dem unselbständigen Lohnarbeiter, dem selbständigen "Arbeiter" Unternehmer, dem lohnabhängigen Unternehmer Manager, dem Grundrentner als Eigentümer des unvermehrbaren Naturprodukts Boden und den Kapitalisten, unterteilt in den Eigentümer von vermehrbarem Realkapital und den Eigentümer von Finanzkapital. Der Aktionär nimmt eine Zwitterstellung ein: er ist sowohl Geldgeber wie auch Eigentümer von Sachkapital. Als Großaktionär eignet sich der Finanzkapitalist Produktionsstätten, Vertriebsmittel und Kreditinstitute in marktbeherrschender Menge an (s. Kap. 3). Diesen Begriffen entsprechend, von dieser Gliederung jedoch abweichend und das Kapitalverhältnis verschleiernd, unterscheidet die liberalistische Theorie die Einkommen dieser Klassen in den Lohn der "Arbeitnehmer" einschließlich Manager, in den Gewinn des Unternehmens und in den Zins für das eingesetzte Fremdkapital. Der Gewinn setzt sich zusammen aus dem Unternehmerlohn des "selbständigen" Unternehmers, dem Kapitalzins des Eigenkapitals (Rendite für Eigentümer und Unternehmensteilhaber, Dividenden für Aktionäre etc.) und aus eventuellen Monopolgewinnen (Spekulationsgewinne werden als gesonderte Kategorie geführt). Der Zins an das Fremdkapital wird unterteilt in Geldzins (Zins an unternehmensfremde Geldgeber) und Bodenzins (Rente an unternehmensfremde Grundeigentümer). (150) Marx unterscheidet in klarer Abgrenzung zum Kapital den Lohn des Lohnarbeiters und Unternehmers vom Profit des Unternehmers und von der Grundrente des Grundeigentümers. Der Profit setzt sich zusammen aus dem Gewinn des Unternehmers und dem Zins des Geldkapitalisten, wobei zum Gewinn Monopol- wie Spekulationsgewinne, aber auch bestimmte Entgelte für spezifisch kapitalistische Unternehmerleistungen gehören. Profit und Rente ergeben zusammen den Mehrwert. Marx: "Profit (Unternehmergewinn plus Zins) und Rente sind nichts als eigentümliche Formen, welche besondere Teile des Mehrwerts der Ware annehmen. (...) Durchschnittsprofit plus Rente sind (..) gleich dem Mehrwert." (151) Bei dem "Klassiker" Marx fällt allerdings auch der Geldzins unter den Oberbegriff Profit. Der Begriff Rendite, der Zins des vermehrbaren Realkapitals, taucht jedoch bezeichnenderweise bei ihm nicht auf, obwohl der Kapitalzins ein Teil des Profits ist. Er ist ein Begriff der Zinstheorie und
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dort gewissermaßen das "Äquivalent" des Geldzinses. Da jedoch in Marxens Ausbeutungstheorie (verkürzt gesagt) der Profit den Zins und nicht der Zins den Profit bewirkt und der Profit entsprechend der Mehrwerttheorie entsteht (s. Kap.11), hat der Begriff Kapitalzins dort keine Funktion. Trotz gewisser Gemeinsamkeiten liegt der Unterschied zwischen marxistischer und liberalistischer Klassen- und Einkommensanalyse darin, daß die bürgerlichen Ökonomen neben dem privaten Unternehmer und dem Unternehmerlohn auch den Zins, die Rendite und die Rente nicht in Frage stellen, während Marx den "Mehrwert" durch die Beseitigung des privaten Unternehmers überwinden will. Den Mehrwert haben seine Apologeten jedoch in den Zinstributen an das Finanzkapital und in den Privilegien und Gehältern einer aufgeblasenen Bürokratie von Staatsbeamten und -managern im "realen Sozialismus" mit Hilfe der Staatsgewalt fest verankert. Gesell wie Proudhon bezeichnen, ähnlich wie Marx, den Unternehmer als Produzenten, akzeptieren aber nicht nur den Unternehmerlohn ebenso als Arbeitseinkommen wie den Lohn des Lohnarbeiters, sondern auch den privaten Unternehmer. Anders als Marx und ähnlich wie Keynes unterscheiden sie klar zwischen Arbeiter und Unternehmerlohn einerseits und Zins aus vermehrbarem und unvermehrbarem Realkapital und aus Geldkapital andererseits. Sie wenden sich primär gegen den Kapitalisten . (151a) Trotz dieser Differenzen zwischen liberalistischer, marxistischer und libertärerer Kapitalismusanalyse läßt sich der Kapitalist jedoch leicht aus diesen Analysen ableiten: Kapitalist ist jeder, der als Eigentümer von Geldund/oder Realkapital aus diesem Zinsen bezieht. Der Eigentümer des unvermehrbaren Realkapitals, des Bodens, wird auch Grundrentner genannt. Dann nennen wir nur den Eigentümer von vermehrbarem Realkapital und von Geldkapital Kapitalist, letzteren auch Finanzkapitalist. Monopolisten und Spekulanten sind eine besondere Spezies von Parasiten, werden jedoch von Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten in der Regel ebenfalls der Kapitalistenklasse zugeordnet. Das ist in soweit richtig, als die Zinseszinsakkumulation ganz wesentlich zur Kapitalkonzentration beiträgt (s. Kap. 2) und damit gerade den großen Finanzkapitalisten und Realkapitaleigentümern die Mittel zur Oligopol- und Monopolbildung und für Spekulationen in die Hand gibt (s. Kap. 3). Es gibt aber auch Monopole und Spekulationsmöglichkeiten, die sich z. B. aus bestimmten Gesetzen des Staates ergeben. Dazu gehören Handelsbeschränkungen für ausländische Unternehmen durch Zollschranken, Bevorzugungen durch Steuervergünstigungen und Subventionen, gewerbliche Zulassungsbeschränkungen, Bodenrechtsbestimmungen, öffentliche Stadtsafile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_10.htm (6 von 8) [15.02.2002 19:39:41]
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nierungsprogramme usw. So können z. B. Gutverdienende (Ärzte, Rechtsanwälte usw.) durch die Vergünstigungen durch Abschreibungsgesetze ohne einen einzigen Pfennig Eigenkapital und allein auf Kosten anderer Steuerzahler Mietshäuser erwerben, für die die minderbemittelten Steuerzahler als Mieter auch noch Zinsen zahlen müssen und die in Berlin zur Stadtzerstörung beigetragen haben. (108) Jene, die derartige Staatsinterventionen in die Marktkwirtschaft ausnutzen können, müssen also nicht notwendigerweise Eigentümer von Kapitalien sein. Auch Bezieher von Arbeitseinkommen, eigentumslose und/oder verschuldeter Unternehmer und oft auch ihre Lohnarbeiter können von staatlichen Eingriffen in den Wettbewerb profitieren; sie gehen jedoch immer zu Lasten anderer Wirtschaftssubjekte. So geht der Protektionismus in der westeuropäischen Landwirtschaft zu Gunsten europäischer Bauern (in der BRD zu Gunsten kapitalkräftiger Großbauern) und zu Lasten der Bauern der Dritten Welt und der europäischen Steuerzahler und Verbraucher, die Subventionierung der französischen Stahlindustrie zu Gunsten der französischen Stahlaktionäre und Stahlarbeiter und zu Lasten der französischen Steuerzahler und der dadurch arbeitslos werdenden bundesrepublikanischen Stahlarbeiter, ist aber gleichzeitig ein Geschenk der französischen Steuerzahler an die deutschen Stahlverbraucher (z. B. Autokäufer), wenn dadurch die Stahlpreise gedrückt werden. Das alles geschieht aus wahltaktischen Überlegungen und Klasseninteressen der Politiker und zerstört die Regulative der Marktwirtschaft. Das sind zwar wichtige, aber Randprobleme der staatskapitalistisch-monopolistischen Marktwirtschaft, der Kern der kapitalistischen Wirtschaft ist jedoch der Zins. Seine Quelle ist das Kapital, sein Nutznießer, der Eigentümer, ist der Kapitalist. Eine Gesellschaft, die wesentlich auf der ökonomischen Basis des zinserpressenden Kapitals existiert, nennen wir Kapitalismus. Da der Zins ein arbeitsfreies Einkommen für die Kapitalisten einschließlich Grundeigentümer ist, den die lohnabhängigen Arbeiter und selbständigen Unternehmer als Produzenten ("Arbeiter") gemeinsam erarbeiten müssen, und da er einen ganz wesentlichen Anteil am Volkseinkommen bzw. Sozialprodukt ausmacht (s. Kap. 2), sind vor allem die Kapitalisten und weniger die Unternehmer (als solche) die Parasiten der Marktwirtschaft. Das schließt selbstredend nicht aus, daß ein Unternehmer gleichzeitig Kapitalist (und/oder Spekulant) sein kann, wie auch ein Arbeiter mit einer popeligen Volksaktie (ohne Einflußmöglichkeiten auf die Geschäftsführung und die ihm nur einen winzigen Teil seiner Mehrarbeit zurückgibt und lediglich die Funktion hat, ihm sein renitentes antikapitalististisches Maul zu stopfen (151b)), neben seiner Eigenschaft als Arbeiter, auch ein ganz winziges Kapitalistchen ist. In diesem Sinne ist selbstverständlich auch der Genossenschaftler und Wirtschaftskommunard ein Unternehmer, wenn er in seinem Kollektiv Unternehmerfunktionen ausübt, und - wenn er Miteigentümer des genossenschaftlichen Kapitals ist (des schuldenfreien, versteht sich) - auch ein Kapitalist. (Letzteres kann file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_10.htm (7 von 8) [15.02.2002 19:39:41]
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von politischer Bedeutung sein, wenn dieses "Sein" bei ihm zu pro-kapitalistischem "Bewußtsein" führt!). Und auch ein Manager ist nicht nur Lohnarbeiter und Unternehmer, sondern als unternehmerischer Lohnarbeiter einer Kapitalgesellschaft auch ein Funktionär und damit "Handlanger" des (Finanz-)Kapitals. Aber ein Handlanger des Kapitals ist im Kapitalismus und in seiner Weise schließlich auch der Bauarbeiter an der Startbahn West oder an der WAA Wackersdorf... Wie wir gesehen haben, trifft jedoch Marx - ebenso wie die bürgerlichen Ökonomen und die Anarchophysiokraten - eine klare Unterscheidung zwischen Arbeiter (Lohnarbeiter im weitesten Sinne), Unternehmer (leitende Arbeiter), Kapitalisten (Eigentümer des "künstlichen" Kapitals: Maschinen, Gebäude, Waren etc.) und Grundrentner (Eigentümer des "natürlichen" Kapitals: Boden, Bodenschätze, Naturkräfte). Wenn er allerdings die Auffassung vertritt, daß "der Unternehmergewinn kein Gegensatz zur Lohnarbeit (bildet), sondern nur zum Zins", (152) dann bestätigt er damit zwar den von Gesell postulierten Gegensatz von Unternehmer und Kapitalisten ; wenn er jedoch behauptet, "der Zins ist ein Verhältnis zwischen zwei Kapitalisten (Marx meint Unternehmer und Eigentümer), nicht zwischen Kapitalist und Arbeiter", (153) dann leugnet er damit den Gegensatz von "Kapital und Arbeit"! Wer beutet dann aber die Arbeitskraft des Lohnarbeiters aus und wie kommt diese Ausbeutung zustand, wenn nicht durch die Zinsen? Diese Fragen versucht Marx mit seiner Mehrwert-Theorie zu beantworten.
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
11. Welchen Gebrauchswert hat die MehrwertTheorie? "Von der Arbeit leben ist ein Prinzip, welches unter der Herrschaft des Zinses einen Widerspruch enthält." P. J. Proudhon Marx hat seine von Linken viel bemühte, aber oft mangelhaft verstandene Mehrwert-Theorie 1865 ausführlich in seiner Schrift "Lohn, Preis, Profit" dargestellt. (154) Er schreibt dort: "Der Wert der Arbeitskraft wird aus zwei Elementen gebildet - einem rein physischen und einem historischen oder gesellschaftlichen." Das physische Element, das den (Tausch-)Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt, sind, wie bei allen Waren, die (Re-)Produktionskosten: "Wie bei jeder anderen Ware ist der Wert bestimmt durch das zu ihrer Produktion notwendige Arbeitsquantum." Er behauptet also, "daß der Wert der Arbeitskraft bestimmt ist durch den Wert der Lebensmittel, die zur Produktion, Entwicklung, Erhaltung und Verewigung der Arbeitskraft erheischt wird", also durch den Wert der Nahrung, Wohnung, Heizung, Kinderaufzucht, Krankenpflege, Berufsausbildung usw., den der Arbeiter für die Erhaltung der Arbeitskraft mindestens verausgaben muß. Mit anderen Worten: Der Lohn wird 1. bestimmt durch den Gegenwert bzw. Preis jener Güter, die zum Erhalt des physischen Existenzminimums der Ware Arbeitskraft notwendig sind und auf dem Markt gekauft werden müssen. Als naturgegebener Fakt sind diese Reproduktionskosten relativ konstant. Der Preis der Ware Arbeitskraft liegt in der Regel jedoch mehr oder weniger über diesen Kosten. Das erklärt Marx aus dem 2. der beiden "eigentümlichen Merkmale, die den Wert der Arbeitskraft (...) vor dem Wert aller anderen Waren auszeichnet": "Außer durch dies rein physische Element ist der Wert der Arbeit in jedem Land bestimmt durch seinen traditionellen Lebensstandard." Das physische Element bestimmt also lediglich die untere Grenze des Lohnes, die der Unternehmer als Preis für die Arbeitskraft langfristig und im Durchschnitt auf dem Markt zu zahlen genötigt ist, wenn sie nicht durch Hungertod etc. verlorengehen soll. Das kulturgeschichtlich vermit-
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telte gesellschaftliche Element treibt jedoch den Lohn über den Preis hinaus, den der Arbeiter für das Äquivalent seines physischen Existenzminimums auf dem Markt zu zahlen hat; "der Wert der Arbeit selbst (ist also) keine fixe, sondern eine variable Größe." Zu diesem physisch und historisch-gesellschaftlich bedingten Preis kauft der Unternehmer die Ware Arbeitskraft auf dem Markt ein. Marx behauptet nun weiter, daß der Unternehmer beliebig über diese so eingekaufte Arbeitskraft verfügen kann, sie also auch länger am Tage bzw. in der Woche arbeiten lassen kann, als zu ihrer täglichen bzw. wöchentlichen Reproduktion an "Arbeitsquanten" notwendig ist - ein für Marx typisches Charakteristikum der Lohnarbeit. Da der Lohn als Preis der Ware Arbeitskraft wie der Preis jeder anderen Ware auf dem Markt zu ihren (Re-)Produktionskosten tendiert und davon nur durch gesellschaftliche Gewohnheiten nach oben abweicht, erhält der Arbeiter einen Tagesbzw. Wochenlohn, der nicht weit über diesen täglichen bzw. wöchentlichen Reproduktionskosten seiner Arbeitskraft, über ihrem "natürchen" Wert liegt. Den Gegenwert seiner täglichen Reproduktionskosten könnte der Arbeiter vielleicht in sechs Stunden am Tag produzieren, der Unternehmer läßt ihn jedoch - als Käufer dieser Arbeitskraft für einen Tag - mehr als sechs Stunden am Tag arbeiten, wobei die obere Grenze bei der physischen Erschöpfung des Arbeiters liegt. Außerdem nutzt er die Technologie, Maschinen usw. ("fixes Kapital") zur intensiveren Ausnutzung der Arbeitskraft, ein Fakt, der heute für die Umverteilung der Arbeitseinkommen zugunsten der "Roboterrendite" (Suhr) besonders wichtig ist (s. Kap. 2). Die Differenz zwischen dem Lohn in Höhe der Reproduktionskosten plus der Lohnzulage auf Grund des "traditionellen Lebensstandards" einerseits und dem vom Arbeiter tatsächlich erzeugten und auf dem Markt vom Unternehmer in Geld realisierten Wert (abzüglich Kosten für Rohmaterial, Abschreibung, Steuern etc.) andererseits ergibt den Profit (= Unternehmergewinn) bzw. den Mehrwert (= Profit plus Bodenrente). Den Profit teilt sich der Unternehmer gegebenenfalls mit dem Geldgeber (Zins-Abzug), den Rentenanteil mit dem Grundrentner (Renten-Abzug). (155) Marx geht also davon aus, daß, wenn die menschliche Arbeit zur Ware wird, sie dann ebenfalls ganz wesentlich von ihren Produktionskosten, also von ihrem "Arbeitswert", bestimmt wird, wie das von ihr selbst erzeugte Produkt. Er unterwirft sie dem Arbeitswertgesetz, obwohl er sie als eine mit "eigentümlichen Merkmalen" behaftete und daher als eine vor allen anderen ausgezeichnete Ware begreift. Der Faktor der Reproduktionskosten der Arbeitskraft gilt sicherlich für den vom Sklavenhändler eingefangenen Arbeiter Sklave und für das vom Pferdezüchter erzeugten Arbeitstier Pferd: Weil dort die Einkommensverteilung unter den Bedingungen reiner physischer Gewaltverhältnisse stattfindet, weil hier Tier und Mensch Objekte eines anderen sind, kann der "Lohn" file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (2 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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des Pferdes oder des Sklaven auf die Höhe der Unterhalts- oder "Betriebskosten" (Nahrung, Unterkunft etc.) hinuntergedrückt werden (wobei das Entgelt für die "Herstellungs-" und "Vertriebskosten" dem Pferdezüchter, dem Sklavenfänger und dem Pferde- und Sklavenhändler zufällt). Unter den Bedingungen einer liberalen Marktwirtschaft - auch einer kapitalistischen! - und der "freien" Lohnarbeit, also da, wo der Arbeiter weitgehend Subjekt bleibt, richtet sich der Preis für die menschliche Arbeitskraft vor allem nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage auf dem Markt. Hier aber gilt nicht der erste Teil der Mehrwerttheorie: die Orientierung des Lohnes am Existenzminimum, sondern die Arbeitsleistung der Arbeitskraft, reduziert allerdings um den Zins Tribut, den er im Preis seiner Arbeitskraft und anderer Waren zu zahlen hat. Das allein rechtfertigt es m. E. jedoch nicht die Lohnarbeit als "Lohnsklaverei" zu bezeichnen. Der Unterschied zwischen Lohnarbeit und Sklaverei wird deutlich, wenn wir die Lage eines "Fremdarbeiters" und KZ-Häftlings mit der eines Lohnarbeiters bei Krupp, Siemens usw. während der NSZeit vergleichen (s. a. Anm. zu Lohnarbeiter und Sklave bei den Zinsformeln, Kap. 6, S.107). (156) Außerdem wird bei uns heute die Entlohnung auf Stunden bezogen und tariflich festgelegt und die über eine vereinbarte Tages- und Wochenarbeitsszeit hinausgehende Arbeitszeit sogar mit Überstundenaufschlag bezahlt. Mittels unbezahlter zeitlicher Mehrarbeit kann der Unternehmer also keinen Mehrwert kassieren. Aber auch Marxens zusätzliche Hilfskonstruktion, die Einführun des historisch-gesellschaftlich bedingten Faktors der Gewohnheiten zur Bestimmung der Lohnhöhe, reicht nicht aus, um den empirischen Widerspruch zu erklären, warum sich die Lohnhöhen-Wirklichkeit nicht die Bohne um das Existenzminimum der Lohnempfänger kümmert. Diese historischen und gesellschaftlichen Faktoren sind nur leichte Gewichte in der Waagschale des Gesetzes von Angebot und Nachfrage, ganz abgesehen davon, daß mit ihrer Einführung das Wertgesetz zur Begründung der Ausbeutung kaum noch erforderlich ist. Zwar hat die Unterbezahlung der Frauenarbeit gegenüber der Männerarbeit bei gleicher Leistung und die Nichtentlohnung der Haushaltsarbeit und Kinderaufzucht der Frauen durch den Ehegatten in der Kleinfamilie (deren Wert mit 2.700 bis 9.000 DM im Monat berechnet wird (157)) in der heutigen Industriegesellschaft sicherlich auch etwas mit den aus der patriarchalisch-feudalistischen Gesellschaft überlieferten Traditionen zu tun, z. B. mit der Erziehung der Frauen zum Dienen, aber auch mit dem Gewaltverhältnis in Ehe und Familie. Überlieferte gesellschaftliche Gewohnheiten können jedoch nicht als besonders gewichtig für die Einkommensverteilung in der Volkswirtschaft angesehen werden, schon gar nicht in allen ihren Bereichen. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (3 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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Außerdem spielen im Zuge ökonomischer Veränderungen Traditionen, Moral, Gewohnheiten und selbst Gesetze in der Regel allenfalls eine kurzfristige Rolle und werden meist schnell durch das ökonomische Gewicht überwunden, das die Ware Arbeitskraft auf dem Markt einnimmt. So hat z. B. die Klasse der Landlords in England im 14. Jahrhundert trotz strenger Gesetze und harter Strafandrohungen - auch gegen ihre eigenen Klassenangehörigen - nicht durchsetzen können, daß die einzelnen Grundherren keine höheren Löhne (aus "Gewinnsucht", wie es damals hieß!) zahlten als erlaubt war. Um produzieren zu können, brauchten sie Arbeitskräfte, und die waren damals knapp: wegen der Entvölkerung Englands durch eine große Pestseuche. (158) Das ökonomische Gesetz von Angebot und Nachfrage (verringertes Arbeitskräfteangebot gegenüber gleichbleibender fruchtbarer Bodenfläche) hat sich hier flink durchgesetzt - sogar gegen die physische Gewalt des Staates und der Grundeigentümer als Klasse. Die gleiche materielle Gewalt des Gesetzes von Angebot und Nachfrage gegenüber allen psychisch und ideologisch verankerten Traditionen und Gewohnheiten zeigt - ganz im Sinne materialistischer Weltanschauung! - auch die Gegenwart. So haben sich z. B. Lebensgewohnheiten und Lebensstandard der Arbeiter in der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren sehr schnell und ganz erheblich verändert - aber als Folge der steigenden Reallöhne auf Grund einer anhaltenden Wirtschaftsblüte, und nicht verursacht durch einen "traditionellen Lebensstandard", wie Marx wörtlich schreibt und kursiv hervorhebt. Die Wirklichkeit beweist also, daß nicht die sich verändernden Gewohnheiten oder gar der steigende "Lebensstandard" die Ursache für die steigenden Löhne sind, sondern die steigenden Löhne die Voraussetzung und Bedingung für die Veränderung der Gewohnheiten und den steigenden Lebensstandard. Woher sollte letzterer auch kommen, wenn nicht aus dem Einkommen? Jeder weiß aus eigener Erfahrung, daß sein Lebensstandard von seinem Einkommen bestimmt wird und nicht umgekehrt sein Einkommen vom Lebensstandard. Wenn aber der vom Einkommen bestimmte Lebensstandard den Lohn bestimmen soll, dann liegt hier ein Zirkelschluß vor. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn wir von einem gesellschaftlichen Lebensstandard ausgehen. Er ist die Summe aller individuellen Lebensstandards, und die werden nun mal von der Höhe der Einkommen, also auch von der Höhe der Einkommen aus Löhnen bestimmt. Marx verwechselt Ursache und Wirkung. Nach seinem Verständnis verursacht, konsequent zu Ende gedacht, das Bewohnen einer teuren Villa im Grunewald, also dieser hohe "Lebensstandard" - und nichts anderes ist Lebensstandard! - ein Monatsgehalt von 20.000 DM. Ebenso wird file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (4 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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der Lohn eines türkischen Arbeiters, vielleicht 2.000 DM im Monat, durch sein Vegetieren in einem billigen Loch in einem Kreuzberger Hinterhaus, also vom niedrigen Lebensstandard, bewirkt. Wenn der Manager aus dem Grunewald mit dem Arbeiter aus Kreuzberg seinen Wohnsitzalso seinen Lebensstandard - tauscht, dann zahlt der Arbeitgeber dem ungelernten Türken fortan einen Lohn von 20.000 und seinem hochqualifizierten Angestellten nur noch ein Gehalt von 2.000 DM! Nein? Dann wird der ungelernte Arbeiter so schlecht und der hochqualifizierte Angestellt so viel besser entlohnt, weil das "Tradition" ist? Das jedenfalls ist die Logik der Mehrwerttheorie. Der spinnt, der Charly! Von der trinitarischen Formel... Offenbar trägt die Mehrwerttheorie zur Erklärung der Ausbeutung nicht viel bei, eher stiftet sie Verwirrung. Mehr Klarheit gewinnen wir, wenn wir uns der sogenannten trinitarischen Formel bedienen, von der Marx behauptet, daß diese Formel "Kapital - Profit (Unternehmergewinn plus Zins), Boden - Grundrente, Arbeit - Arbeitslohn (...) alle Geheimnisse des gesellschaftlichen Produktionsprozesses einbegreift". (159) Immerhin läßt sich mit ihrer Hilfe die Verteilung des Volkseinkommens bzw. des Sozialprodukts auf die einzelnen Klassen transparent machen: auf die Klasse der Kapitalisten (Eigentümer von vermehrbarem Sachkapital und von Finanzkapital), der Grundrentner (Eigentümer von nicht vermehrbarem Sachkapital) und der Produzenten (Arbeiter und Unternehmer). Da uns jedoch die Statistiker für diesen speziellen Zweck (bezeichnenderweise) keine Daten zur Verfügung stellen, müssen wir die verwenden, die Helmut Creutz für seine Einkommensanalyse aus ihnen mühsam herausgearbeitet hat. Seine Zahlen können wir ebenfalls in eine trinitarische Formel einsetzen. Dabei sind aber die Einkommen aus dem vermehrbaren und unvermehrbaren Realkapital zusammengefaßt und nur das Zinseinkommen aus dem Finanzkapital erscheint gesondert. Dieser Einkommensverteilung zufolge erhielten 1982 die Eigentümer des Sachkapitals einschließlich des Bodens rund 170 Milliarden DM als Renditen und Renten und die Finanzkapitalisten (nach Abzug der ca. 60 Mrd. Bankkosten) etwa 180 Milliarden DM als Geldzinsen. (160) Fassen wir Creutz' dreiteilige Formel zu einer dualistischen zusammen, dann betrugen die gesamten Zinserträge (Geld-, Kapital- und Bodenzins) 350 Milliarden DM. Die restlichen rund 850 Milliarden des Volkseinkommens teilten sich die Lohnarbeiter (im weitesten Sinne) mit den Unternehmern (als solche), also die selbständigen und unselbständigen Produzenten. Der Zinsanteil am Volkseinkommen betrug 1982 also 29 %. Daß die Zinsbezieher z. T. gleichzeitig auch Produzenten sind, ist für unsere Analyse irrelevant und fällt auch nicht ins Gewicht. Unsere Formel file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (5 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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zeigt die Verteilung des Volkseinkommens auf zwischen dem arbeitsfreien Einkommen der Kapitalisten als solche, das diesen als "Mehrwert" aus der Arbeit der Produzenten zufließ, und dem Arbeitseinkommen der Arbeiter und der Unternehmern als solche, das diesen als "Lohn" verbleibt. Wenn wir also die trinitarische Formel von Marx mit den Zahlen von Creutz zu einer dualistischen zusammenfassen; dann zeigt uns diese die Einkommensverteilung zwischen allen Zinsbeziehern (Geld-, Sachgutkapitalisten und Grundrentnern) einerseits und allen Produzenten (selbständigen und unselbständigen "Arbeitern") andererseits, also zwischen "Kapital und Arbeit". Daß viele Kapitalisten auch arbeiten, ist nicht von Bedeutung, weil es hier um die Einkommensverteilung aus Arbeitsleistung und Kapitalgewinn geht. Auf das Sozialprodukt bezogen, drückt diese Verteilung die Grafik 11 aus. Der "Zinsanteil" für die Kapitalisten und Grundrentner ist dort identisch mit dem gesamte Mehrwert-Anteil am Bruttosozialprodukt; die Produzenten erhalten (nach Abzug von Erhaltungsinvestitionen etc.) den Rest der von ihnen erzeugten Produkte über die Kaufkraft ihres Lohnanteils. Den Zinstheorien von Proudhon und Gesell zufolge, wird die Größe dieses Lohnanteils bestimmt durch die Menge der eingesetzten Kapitalien Geld (Liquidität), Realkapital und Boden und die Höhe ihrer "Zinssätze" . (160a) Anders bei Marx. Bei ihm wird die in seiner trinitarischen Formel schematisch dargestellbare Einkommensverteilung bestimmt durch die auf den Lohnarbeiter bezogenen "Elemente" der Mehrwerttheorie: durch die physischen Reproduktionskosten des Lohnarbeiters und durch seine traditionellen Lebensgewohnheiten. Das heißt jedoch, daß jede Produktivitätssteigerung durch zusätzlich eingesetztes Realkapital und durch Produktivitätssteigerung dieses Realkapitals dem Profit- und Rentensektor unserer Formeln, also den Kapitaleigentümern und Unternehmern als "Profit" und/oder den Finanzkapitalisten als Zins und den Grundeigentümern als Rente zufließen muß, während die Größe des Lohnsektors abhängig ist von der Menge des eingesetzten "variablen Kapitals" Lohnarbeiter bzw. Lohn. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Geldzins, der nach Marx "zu jeder beliebigen Tiefe fallen" kann, (38) auf Null sinkt. In diesem Falle würde der Unternehmer mit Sachkapital, gleichgültig, ob dieses verschuldet ist oder nicht, den gesamten Profit bzw. Mehrwert einstreichen. Folglich ist der Zins laut Marx allein "ein Verhältnis zwischen zwei Kapitalisten (Unternehmer und Geldgeber; K. S.), nicht zwischen Kapitalist und Arbeiter". (153) Denn die Lohnarbeiter erhalten ja nur jenen Anteil am Einkommen, der von den beiden oben geschilderten "Elementen" der Mehrwerttheorie bestimmt wird. Obwohl, wie Marx in Lohnarbeit und Kapital sagt, "das rasche Wachsen des Kapitals die günstigste Bedingung für die Lohnarbeit ist", bedeutet das, daß die individuellen Löhfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (6 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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ne - trotz einer gewissen Variabilität - unter allen marktwirtschaftlichen Bedingungen und unabhängig von der Größe des Sozialprodukt und des eingesetzten Kapitals relativ konstant bleiben. Infolgedessen kassieren der schuldenfreie Eigentümer der Produktionsmittel wie auch der Unternehmer mit zinsfreiem Kredit alles, was über das hinausgeht, was seine Lohnarbeiter auf Grund der "Elemente" des Mehrwertgesetzes erhalten - eben den "Mehrwert". Es mag also noch so viel Realkapital bereitgestellt werden, langfristig (und nur von Krisen unterbrochen) wirft es einen "Profit" ab, der ausschließlich (Finanz-)Kapitalisten und Unternehmern zügute kommt und den diese unter sich aufteilen. Das bedeutet, daß Zinserhöhungen zwar den Unternehmergewinn schmälern und Zinssenkungen ihn erhöhen, daß jedoch die Löhne und die Kaufkraft der Löhne davon unbeeinflußt bleiben. Nun ist nicht zu leugnen, das bisweilen die Einkommen der Unternehmer zurückgehen, wenn die Geldzins-Belastungen steigen, während die Stundenlöhne kontinuierlich mit dem Sozialprodukt wachsen (s. Grafik 12). Aus diesem Sachverhalt dürfen wir jedoch keine falschen Schlüsse ziehen. Dieser Rückgang der Unternehmereinkommen hängt vor allem damit zusammen, daß diese weitaus flexibler auf Zinskosten-Veränderungen reagieren, als die im entwickelten Kapitalismus tariflich langfristig festgelegten Stundenlöhne der Arbeiter und Angestellten (daher das Gejammer der Unternehmer in der Krise um die angeblich zu hohen Löhne). Doch Tarifverträge laufen aus und dann entsteht auch ein Geraufe zwischen den Unternehmern und Lohnarbeitern (Tarifverhandlungen, Streiks etc.) um jenen Anteil am Volkseinkommen, der nicht den Finanzkapitalisten zufällt. Dieser verbleibende Anteil am Volkseinkommen ist die gemeinsame "Lohn"summe der Arbeiter und Unternehmer plus die Summe der Renditen des schuldenfreie Eigenkapitals der Unternehmer. Der Kampf der Unternehmer und Lohnarbeiter um ihren jeweiligen Anteil am (in der trinitarischen Formel als "Arbeit - Lohn" dargestellten) Lohnsektor ist jedoch kein Verhältnis zwischen Unternehmern und Kapitalisten, sondern ein Verhältnis zwischen unternehmerischen "Arbeitern" (Marx) und Lohn-Arbeitern! Dieser Anteil aller Arbeitseinkommen am Volkseinkommen (identisch mit der Kaufkraft der Produzenten in Bezug auf das Sozialprodukt) ist festgelegt durch den "Bonus", den der Boden, das Geld und in Folge des Geld(Kredit)zinses die vermehrbaren Produktionsmittel auf dem Markt erzwingen: er, der Zins, reduziert die Arbeitseinkommen und belastet die Warenpreise. Von beidem sind die Löhne der Lohnarbeiter ebenso betroffen, wie die Arbeitseinkommen der Unternehmer. Denn beide "Lohn"arten sind sowohl von Kürzungen wie von Kaufkraftminderungen der Löhne betroffen. Beides reduziert den Zugriff aller Produzenten auf ihr gemeinsames Sozialprodukt. Sinken jedoch die Zinsen, dann (das macht die Grafik 11 deutlich) steigen auch die Arbeitseinkommen und die Kaufkraft dieser Einkommen. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (7 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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Dieses Problem der Kaufkraftminderung der Löhne durch die Zinsbelastungen der Preise, ein Problem in der Zirkulationssphäre, wird von der auf die Produktionssphäre beschränken Mehrwerttheorie überhaupt nicht erfaßt. Diese Zinsbelastungen reduzieren jedoch die Zugriffsmöglichkeiten der Arbeiter auf des Sozialprodukt ganz erheblich. Wenn ein Arbeiter 2.000 DM Nettolohn erhält, dann ist es für ihn nicht bedeutungslos, ob jeder halbe Liter Bier mit 1 DM Zins belastet ist, oder ob seine Wohnung 300 oder 1.000 DM kostet (s. Grafiken 1 u. 2). Und auch nicht, daß die Kaufkraft der Arbeitseinkommen aller Produzenten relativ zum Sozialprodukt (s. Grafik 4) oder gar absolut (s. Grafik 7) mit zunehmender Geschwindigkeit geringer wird. Der von Marx postulierte Gegensatz Unternehmer/Kapitalist ist allein ein Gegensatz von Sachgut-Kapitalist und Finanz-Kapitalist, und zwar dann, wenn die unternehmerischen Eigentümer von Realkapital einschließlich Boden ihr Eigentum beleihen, wenn sie als Sachgut-Kapitalisten zu Schuldnern bei den Geld-Kapitalisten werden und an den Finanzkapitalisten Kreditzinsen aus ihren Renditen und Renten abführen müssen. Das ist aber kein Gegensatz zwischen einem Unternehmer als solchen und einem wirklichen Kapitalisten (s. Kap.10), sondern tatsächlich zwischen zwei Kapitalisten. Als Eigentümer unverschuldeter Produktionsmittel kann der Unternehmer dem Lohnarbeiter allerdings einen Teil der Rendite abgeben (was er oft auch tut, z. B. per Gewinnbeteiligung oder in der Weise, wie es der Sozialreformer Owen gemacht hat), doch in der Regel zieht er es vor, seine gleichzeitige Position als Kapitalist zu nutzen: er wird die spezifische Bonität seines Eigentums auf dem Markt ausschöpfen und die daraus resultiernde Rendite in die eigene Tasche stecken. Der eigentumslose Unternehmer erhält keine Rendite und hat daher auch keine zu verschenken. Er zweigt Kreditzinsen von seinem mit Krediten finanzierten Produktivkapital ab und ist als Kapital-Besitzer und Nur-Unternehmer (Marx: "Arbeiter") ebenso vom Zins betroffen, wie der verschuldete Sachkapital"Eigentümer", der dann eigentlich auch nur Kapitalbesitzer ist. Schließlich widerlegt auch die (in Grafik 12 dargestellte) Parallelentwicklung von Stundenlöhnen und Sozialprodukt schlagend die These der Mehrwerttheorie,die Löhne wären an des physische Existenzminimum der Lohnarbeiter und an ihre gesellschaftlichen Traditionen gebunden, würden also nicht am wachsenden Reichtum einer Volkswirtschaft teilhaben. Andererseits beweist die kontinuierliche Aufwärtsentwicklung der Stundenlöhne trotz steiler Aufwärtsentwicklung der Bankzinserträge (ebenfalls in Grafik 12 dargestellt) noch lange nicht, daß die Einkommen der Arbeiter von Zinsen nicht beeinfußt würden. Lediglich die Stundenlöhne der durch gute gewerkschaftliche Organisation (im Kapitalismus file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (8 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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berechtigterweise) tendentiell monopolisierten Arbeitskraft sind von Bankzinsbelastungen (vorrübergehend) nicht (direkt) betroffen, wohl aber die Einkommenssumme aller Arbeiter! Denn die hohen Zinserträge gehen vor allem aus hohen Zinsraten hervor, und diese beeinflussen die Beschäftigungslage. Das hatte zur Folge, daß mehr als 2 Millionen Arbeiter in der BRD keine Löhne mehr erhalten, weil sie arbeitslos sind. Nichtdestoweniger gehören sie immer noch der Arbeiterklasse an. Also wird der Lohnanteil der gesamten Lohnarbeiterklasse am "Kuchen" der Volkseinkommens auf jeden Fall kleiner bzw. wächst geringfügiger als das Volkseinkommen und Sozialprodukt. Den Einfluß der Zinsen auf das gesamte Einkommen der Arbeitnehmer macht die Grafik 13 deutlich: bei wachsender Wirtschaft geht·der Anstieg des gesamten "Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit" zurück, wenn die "Zinserträge der privaten Haushalte" (in Prozenten des BSPs) ansteigen, und umgekehrt, umgekehrt. Damit ist Marxens Behauptung, die Zinsen hätten für die Einkommen der unselbständigen Arbeiter keine Bedeutung, empirisch widerlegt. Da der Zinsfuß relativ unelastisch ist und nicht unter die (reale) 3%Marke sinkt (schon gar nicht bei Festwährung oder Deflation), ist der Zinsanteil am gesamten Kuchen des Volkseinkommens nicht durch Lohnkämpfe oder durch Kollektivierung oder Verstaatlichung der Produktionsmittel (s. Kap.12) und/oder durch zentrale "Planwirtschaft" (s. Zinsknechtschaft im "realen Sozialismus") zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Wird das Zinseinkommen, diese Liquiditätsverzichtsprämie, belastet, z. B. durch Lohnerhöhungen und/oder Steuern (Quellensteuer), dann zieht sich die Liquidität, das Geld, aus der Zirkulation zurück oder fließt in rentable Anlagen im Ausland ab. Durchhaltekosten für Liquidität hingegen könnten dem Zins entgegenwirken und gleichzeitig ein Abwandern von Tauschmitteln aus der nationalen Volkswirtschaft verhindern. Alles andere ist mehr oder weniger ein Herumdoktern an Symptomen. . . . zur quartanischen Formel Mit meiner Kritik an Marxens Mehrwert Theorie will ich keineswegs seine Wert-Theorie in Frage stellen. Sie hat durchaus ihren Erkenntniswert. Ein Beispiel: Der Arbeitswert einer Summe,von 100 DM ist identisch mit dem Arbeitswert eines Produktes im Werte von 100 DM (Arbeitswert-Äquivalenz). Der Arbeitswert einer einjährigen Kreditierung dieser Summe von 100 DM ist 1, allenfalls 2, nicht aber 5, 6 oder 7 DM wert (keine Arbeitswert-Äquivalenz). Was über 1 bis 2 DM hinausgeht, entspricht dem "Bonus" für den Liquiditätsvorteil des Geldes vor der Ware: ist der Tauschwert oder Preis dieses Vorteils, ist "Urzins". Eine Abweichung des Tauschwerts bzw. Preises eines Produkts oder einer Dienstleistung von ihrem Arbeitsfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (9 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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wert macht den Widerspruch zwischen dem ideologischen Leistungsanspruch und der Leistungswirklichkeit in der kapitalistischen Marktwirtschaft deutlich: die Tauschungerechtigkeit. Auf die menschliche Arbeitskraft und - wie Marx das ebenfalls macht - auf das (Papier-)Geld (s. Marx-Zit., Kap.13 (189)) kann das Arbeitswertgesetz nicht angewendet werden. Die Mehrwert Theorie ist unhaltbar und somit eine Theorie ohne Gebrauchswert. Sie legt nichts anderes nahe als das, was Marx im Kommunistischen Manifest auch ausdrücklich fordert: "alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren" - mit den uns sattsam bekannten Folgen des entmündigten Proletariats und des Staatskapitalismus. In Widerspruch zu anderen Gesellianern, vertritt der Physiokrat Diogenes/Hoffmann (in einer Auseinandersetzung über die Mehrwerttheorie mit Karl Korsch (161)) die Auffassung, daß die Arbeitswerttheorie, auf die Produkte der Menschen bezogen, "generell richtig" ist, nicht aber die auf die menschliche Arbeitskraft bezogene Mehrwerttheorie. Er verweist darauf, daß Marx selbst das "eherne Lohngesetz" kritisiert hat, welches nicht anderes behauptet, als daß der Lohn des Lohnarbeiters von den Reproduktionskosten seiner Arbeitskraft abhängt. Wenn Diogenes jedoch meint, der Fehler der Mehrwerttheorie läge darin, daß Marx nicht erklärt, was denn nun die für die Lohnhöhe maßgebenden "historischen und moralischen Momente bestimmt", so halte ich das für irrelevant, da die gesellschaftlichen Traditionen (wie wir gesehen haben) ebenfalls keinen nennenswerten Einfluß auf die Lohnhöhe ausüben. Für entscheidend halte ich die Tatsache, daß die Menschen als Subjekte - anders als ihre Objekte: die von ihnen produzierten Waren - grundsätzlich den vollen Gegenwert ihrer Produkte, also ihren vollen Arbeitswert fordern, wenn sie diese gegen andere austauschen. Das gilt auch für den Lohnarbeiter, denn auch er verkauft letztendlich eine Leistung, die sich in Produkten realisiert, und das ist es, was den Unternehmer interessiert und was er "entlohnt". Die Kernfrage also, warum die Produzenten diesen vollen Arbeitswert nicht erhalten, warum sie auf dem Markt für ihre Produkte ein Produkt geringeren Wertes eintauschen müssen, wird von der Mehrwerttheorie falsch beantwortet. Der kardinale Schwachpunkt in Marxens Kapitalismusanalyse liegt offenbar darin, daß er nicht den qualitativen Unterschied zwischen Geldzins und Kapitalzins und den Ursprung des Profits (der Rendite) im Geldzins erkannt hat. Indem er den Geldzins aus dem Profit und nicht den Profit aus dem Geldzins ableitete, bleibt er auf der Erkenntnisstufe seiner (nicht-proudhonistischen) Zeitgenossen stehen. Wie für alle Klassiker, ist auch für Marx das Geld ein neutrales "Äquivalent" aller übrigen Waren. Anders als Proudhon, haben sie nicht begriffen, daß es gerade deswegen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (10 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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eben nicht ein wirkliches Äquivalent, sondern der "König" (Proudhon), der "Joker" (Suhr) aller Waren ist. Daraus folgt, daß der Besitzer von Geldersparnis (Liquidität), die nicht mit Durchhaltekosten belastet ist, vom liquiditätsbedürftigen Produzenten (einschließlich Händler, Konsumenten etc.) einen Zins (eine Liquiditätsverzichtssprämie) für dieses Geld erpressen kann. Wegen dieser Geldzinsen müssen jedoch die kreditierten Produktionsmittel einen Kapitalzins, "abwerfen": sich "rentieren". Diese Rendite, die von den Produzenten und Konsumenten erarbeitet werden muß, macht im wesentlichen den "Profit" aus. Wie wir u. a. aus der "Verschuldungskrise" vieler Länder der Dritten Welt und des "realen Sozialismus" wissen, kann der Geldzins zwar nicht bezahlt werden, wenn kein "Profit", keine Rendite erwirtschaftet wird - eine Binsenweißheit -, andererseits erhalten die Kreditbedürftigen aber auch keine Darlehn, wenn sie nicht bereit sind, einen Zins zu zahlen. Der Geldzins ist also - ganz im Sinne Proudhons! - die funktionale Ursache des Mehrwertanteils "Profit". (161a) In Ermangelung dieser Proudhonschen Erkenntnis konnte der "Klassiker" Marx den Geldzins nicht aus der "königlichen" "Joker"-Stellung des Geldes ableiten und daher den "Profit" (soweit er Kapitalzins ist) auch nicht als Folge des Geldzinses begreifen. Dieser theoretische Mangel der klassischen, kapitalistischen Ökonomie ist wiederum die Ursache für die verkorkste Wirtschaftspraxis aller marxistischen Fraktionen. Weil für Marx der Geldzins nicht als ökonomisch eigenständiger, dem Profit vorausgehender Faktor existiert, fallen bei ihm Zins und Rendite auch im "Profit"-Sektor seiner erleuchtenden trinitarischen Formel zusammen, bleibt sie eben eine dreiarmige Funzel. Von dieser erwartet er dann, daß sich mit ihr das "Geheimnis" des Kapitalismus ans Licht bringen läßt. Doch erst, wenn wir die trinitarische Formel mit Hilfe der Zinstheorie Proudhons, Gesells oder Keynes zu einer quartanischen erweitern, können wir das Geheimnis des Produktionsprozesses, besser gesagt: der gesamten kapitalistischen Marktwirtschaft ans Licht bringen. Unsere Formel muß sich also aus den vier Faktoren Arbeit - Lohn, BodenRente, Kapital - Rendite und Geld - Zins zusammensetzen. Mit dieser Formel läßt sich dann, im Zusammenhang mit den Zinstheorien von Proudhon, Gesell und Keynes, unser kleines "Geheimnis", kurzgefaßt, folgendermaßen lüften: In einer geldlosen Wirtschaft auf Freiland erhält die menschliche Arbeitskraft ihren Lohn als vollen Arbeitsertrag, auch dann, wenn ihre Produkte gegeneinander ausgetauscht werden und die Arbeitskraft selbst eine Ware ist: es herrscht "Tauschgerechtigkeit" (Ware gegen gleichwertige Waren). Mit der Spaltung des Volkes in Eigentümer an dem unvermehrbaren Produktions- und Gebrauchsmittel Boden und in landlose Produzenten entsteht über Gewalt, Pachtverträge usw. die Bodenrente und damit die erste Form der Ausbeutung menschlicher Arbeit: Arbeitsleistung gegen die Null-Leistung der Bodennutzungserlaubnis. Mit der Einführung eines Tauschmittels (Ware - Geld - Ware), das file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (11 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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eine Sonderstellung in einer auf Kredit angewiesenen Volkswirtschaft einnimmt, entsteht das zweite Mittel der Ausbeutung: der Geldzins als Leistungsanspruch für die Null-Leistung des Liquiditästsverzichts. Gleichzeitig mit diesem als Spar- und Kreditmittel verwendbaren und keinem Angebotsdruck unterworfenen Tauschmittel entsteht aber - da Produktionsmittel und Waren einen Überschuß abwerfen müssen, damit der Zinsanspruch des Kreditgebers erfüllt werden kann - ein dritter Ausbeutungsfaktor: die Rendite; sie macht auch die vermehrbaren Produktionsmittel und Waren zu Kapital und realisiert damit das angehäufte Geld, genauer: seinen Liquiditätswert, als Kapital: Geld - Kapital - mehr Geld. Von allen drei Ausbeutungsfaktoren, von Rente, Rendite und Zins, sind der vierte Einkommensfaktor unserer Formel, der Lohn, also das Arbeitseinkommen der selbständigen (unternehmerischen) und unselbständigen (Lohn-)Arbeiter, in gleicher Weise betroffen (s. Grafik 11). Aus dieser Theorie läßt sich ein ökonomisches Konzept ableiten, das auf der Grundlage einer Marktwirtschaft die Ausbeutung jeglicher menschlicher Arbeit durch den Mehrwert - auch die der Lohnarbeitüberwindet. Wenn das "ehernes Lohngesetzes" (Lassalle), die Bindung des Lohnes an das Existenzminimum des Lohnarbeites, eine Schimäre ist und es auch keine nennenswerte Bindung des Lohnes an gesellschaftliche Traditionen gibt, dann kann der Eigentümer von vermehrbarem und dem Wettbewerb unterworfenem Realkapital auch nicht die Zinsersparnis seines Sachkapitals auf Dauer für sich allein einstreichen. Das kann nur der Eigentümer des unvermehrbaren, gewissermaßen konkurrenzlosen Bodens. Wenn also der Geldzins auf Null und damit der Kreditzins gegen Null gebracht und die Zirkulation und der Wettbewerb dauerhaft gesichert sind, dann wird das produzierbare Realkapital so weit vermehrt, daß der Faktor "Profit" (Geldzins, Kapitalrendite und Monopolgewinne) aus der quartanischen Formel verschwindet. Da der Profitanteil am Volkseinkommen nicht aus der Welt verschwinden kann und neben den Grundrentnern nur noch die Lohnarbeiter und die angestellten und selbständigen Unternehmer vorhanden sind, geht er in die Grundrenten und in die Kaufkraft der Arbeitseinkommen der Unternehmer und Lohnarbeiter ein. Wird die Bodenrente mittels Enteignung zu Gunsten jener Produzenten umverteilt, die für die Reproduktion der Bevölkerung arbeiten, dann verschwindet auch die Grundrente und damit der gesamte "Mehrwert"Geld-, Kapital- und Bodenzins - aus unserer Formel: der Mehrwert geht restlos in die Löhne ein. Ist die Zirkulation auf Dauer gesichert, dann gibt es auch keine wirtschaftlichen Zusammenbrüche mehr, die zu einer erneuten Belebung des Profits führen könnten. Unter diesen Bedingungen verschwinden die Kassierer der Zinsen, Renten und Renditen auf Nimmerwiedersehen aus unserer quartanischen Formel, sie "sterben" eines "sanften (ökonomischen) Todes" (Keynes) und übrig bleiben allein file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_11.htm (12 von 13) [15.02.2002 19:39:45]
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die Produzenten: die quartanische Formel hat sich in "Arbeit - Arbeitslohn" aufgelöst! Die selbständigen und die Lohnarbeiter verfügen jetzt gemeinsam über den gesamten Einkommens"kuchen" unserer aufgelösten Formel; d. h., sie verfügen über das gesamte Sozialprodukt der Volkswirtschaft und damit über ihren "vollen Arbeitsertrag" (56). Der gesamte Mehrwert ist im Lohn der Arbeiter und Unternehmer "aufgehoben"! Und wie teilen sich nun die selbständigen und unselbständigen Arbeiter diesen nur noch aus "Lohn" bestehenden Einkommenskuchen? Die Verteilung des gemeinsamen Lohnfonds auf die einzelnen Lohnarbeiter und Unternehmer geschieht ziemlich leistungsgerecht nach den Gesetzen der Lohnbildung auf dem Arbeitsmarkt. Denn der Unternehmerlohn ist, wie Marx richtig sagt, nichts anderes als "das Gehalt des Dirigenten (des Produktions- und Verteilungsprozesses; K. S.), oder sollte sein, bloßer Arbeitslohn einer gewissen Art geschickter Arbeit, deren Preis im Arbeitsmarkt reguliert wird, wie der jeder andren Arbeit". (162) Das Gleiche gilt für die Einkommen von Genossenschaftlern, Wirtschaftskommunarden usw. Wenn es also den vereinten Kräften aller Produzenten gelingen würde, das Geld und das vermehrbare und unvermehrbare Sachkapital zu entkapitalisieren, d. h. vom Zins zu befreien, dann verschwinden aus Marxens trinitarischer Formel die Faktoren Profit und Grundrente, aus unserer quartanischen Formel Geldzins, Rendite und Grundrente, aus beiden Formeln also der gesamte Mehrwert. Dann fungieren auch in einer Marktwirtschaft die Wirtschaftsfaktoren Geld, Produktionsmittel und ihre Produkte nicht mehr als Kapital: sie verlieren (wie bereits ein Rechtsextremist in der Weimarer Republik befürchtete (58)) ihren Kapitalwert für ihre Eigentümer und fungieren nur noch als Tausch- und Gebrauchsmittel für Produzenten und Konsumenten: sie haben nur noch Tausch- und Gebrauchswert. Damit wäre die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen weitgehend überwunden.
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
12. Vergesellschaftung und Selbstverwaltung der Produktionsmittel ein Weg zur Emanzipation oder zur Selbstausbeutung? " .. was ich für das Eigentum verlange, ist die Waage." P. J. Proudhon Welchen Sinn macht nun die von vielen Linken immer noch geforderte Vergesellschaftung der Produktionsmittel, wenn wir von der oben entwikkelten Zinstheorie und Definition von Arbeiter, Unternehmer, Kapitalisten und Grundeigentümer ausgehen? Wenn von "Vergesellschaftung" die Rede ist, wird meist nichts konkretes oder all das darunter verstanden, was eher unter den Sammelbegriff Sozialisierung fällt. Dazu gehört die Verstaatlichung und Staatsverwaltung der Produktionsmittel in einer Zentralverwaltungswirtschaft auf der rechten Seite ebenso, wie die eigentlichen Formen der Vergesellschaftung auf der linken Seite: Selbstverwaltung des kollektiven Eigentums der Produzenten oder Selbstverwaltung öffentlichen Eigentums durch die dort arbeitenden Produzenten, beides in einer Marktwirtschaft. Welche Form die für unsere Ziele und Bedürfnisse angemessenste ist, könnte sich aus der Beantwortung folgender Fragen ergeben: Ist der Zweck der Sozialisierung die soziale Emanzipation, also der Abbau von Hierarchie in den Unternehmungen, Gleichstellung der Produzenten und Selbstverwaltung, oder geht es allein um gerechte Einkommensverteilung in der Wirtschaft, also um ein sozialökonomisches Ziel? Oder geht es um die Beseitigung von Kapitalkonzentration, also um die Zerschlagung wirtschaftlicher und politischer Macht in der Gesellschaft? Wir dürften uns darüber einig sein, daß ein Unternehmen von Kapitaleigentümern, die sich, anders als z. B. der Unternehmer (und GesellSymphatisant (163)) Heinz Nixdorf, allein für die Dividenden und Aktienkurse und nicht für die Belegschaft und die Produkte des Unternehmens interessieren, befreit werden sollte und dort die Arbeiter ihre "Betriebsminister" (wie Lundberg die Manager nennt) selbst wählen oder ihr Unterfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_12.htm (1 von 12) [15.02.2002 19:39:50]
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nehmen selbst verwalten sollten. Damit wäre jedoch lediglich die Herrschaftsfrage im Einzelunternehmen, nicht aber die Ausbeutungsfrage in der gesamten Volkswirtschaft gelöst, vom Krisenproblem ganz zu schweigen. Es ist ebenfalls klar, daß marktbeherrschende und politisch mächtige Konzerne und Großbanken entflochten und entmonopolisiert werden müssen. Aber dazu bedarf es keiner Vergesellschaftung. Außerdem wäre damit eine wesentliche Ursache für Kapital- und Machtkonzentration nicht beseitigt: die Zinseszinsakkumulation. Konzentrieren wir uns auf eine Frage, die sowohl für die Alternativbewegung aktuell, wie auch für Anarchisten relevant ist: Trägt die für gesellschaftliche Emanzipation wichtige Kollektivierung und Selbstverwaltung der Produktionsmittel darüber hinaus auch etwas zur Beseitigung der ungerechten Einkommensverteilung im Kapitalismus bei? Versuchen wir, diese Frage am Beispiel von zwei sehr unterschiedlichen Unternehmensmodellen zu beantworten. Das erste Modell soll auf sehr wertvollem Grund und Boden (unvermehrbarem Produktivkapital) mit vier Lohnabhängigen, das zweite mit extrem großem Kapitaleinsatz (vermehrbarem Produktivkapital) und drei Lohnabhängigen arbeiten. Hoher Kapitaleinsatz gegenüber geringem Einsatz menschlicher Arbeitskraft wird im Zuge der Automatisierung und Roboterisierung an Bedeutung gewinnen; vier bzw. drei Angestellte sollen es deshalb sein, weil die an Marxens Mehrwerttheorie orientierte "Sozialistische Studiengruppe" (SOST) in Hamburg behauptet, ein wichtiges Kriterium für die Bestimmung, ob ein Unternehmer auch Kapitalist ist, sei die Anzahl der Arbeiter, die er beschäftigt: Er sei dann Kapitalist, wenn er - zwar je nach Branche und Kapitalumfang in unterschiedlicher Anzahl, aber im bundesrepublikanischen Durchschnitt - mehr als drei Lohnarbeiter für sich arbeiten läßt. (164) Somit können wir ganz nebenbei überprüfen, welche Relevanz die Anzahl der "Lohnsklaven" (Marx) und die Lohnarbeit überhaupt für die Ausbeutung haben. Grundrenten-Beispiel Nehmen wir als erstes Beispiel ein Grundrenten-Modell und setzen in dieses geschätzte, aber gewiß nicht unrealistische Zahlen ein. Denken wir uns einen Laden am stark belebten Kurfürstendamm in Berlin, wo ein Unternehmer mit vier Verkäuferinnen irgendwelche Waren feilbietet. Entsprechend der Arbeitsmarktlage zahlt er jeder Angestellten im Durchschnitt ein Monatsgehalt von 1.800 DM. Für den 100 qm großen Laden zahlt er 10.000 DM Miete im Monat. Dann verbleibt ihm ein Unternehmerlohn und eine Risikoprämie von druchschnittlich 6.000 DM im Monat. Für sein investiertes Eigenkapital von 100:000 DM erhält er bei einem Zinsfuß von 5% außerdem eine Kapitalrendite von 417 DM im Monat, macht zusamfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_12.htm (2 von 12) [15.02.2002 19:39:50]
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men einen Gewinn von 6.417 DM. Da wir für die Erhaltungs- und Verwaltungskosten des Gebäude- und Bodenanteils des Ladens höchstens 200 DM im Monat zu veranschlagen brauchen, erhält der Haus- und Grundeigentümer einen Zins von 9.800 DM im Monat. In dieser extrem günstigen Geschäftslage besteht er im wesentlichen aus der Bodenrente, schätzungsweise 9.400 DM. 400 DM verbleiben dann als Kapitalzins für den Gebäudeteil Laden. Die gesamte Kapitalrendite von 817 DM ist also vergleichsweise gering gegenüber der Bodenrente von 9.400 DM. Die Lohnabhängigen erhalten also ein Arbeitseinkommen von durchschnittlich 1.800 DM, der Unternehmer einen Unternehmerlohn von sagen wir 5.000 DM plus einen durchschnittlichen Gewinn von 1.000 DM als Risikoprämie, die wir auch als eine Art "Akkordzuschlag" für besondere Unternehmerleistung betrachten können, und außerdem 417 DM Kapitalzinsen im Monat als arbeitsfreies Einkommen. Den Bodenzins von 9.400 und den Kapitalzins von 400 DM aus dem Haus- und Grundeigentum erhält ihr Eigentümer als arbeitsfreies Einkommen oder, wenn "seine" Immobilie verschuldet ist, der Kreditgeber als Geldzins. Diese Zinsen haben die Lohnabhängigen, der "freie" Unternehmer, vor allem aber die vielen Kunden des Ladens erarbeitet und in entsprechenden Preisbelastungen bezahlt. Den vergleichsweise geringen Zinsanteil aus seinem Eigenkapital kassiert der Unternehmer, den Fremdkapitalzins und den gewaltigen Batzen Bodenrente jedoch allein der Eigentümer des Gebäudes und des naturgegebenen oder - wenn wir so wollen - von Gott geschaffenen Bodens: der Grundeigentümer (bzw. seine Bank). Der Kaufmann am Kurfürstendamm ist vor allem Unternehmer, obwohl er mehr als drei Lohnarbeiter beschäftigt. Er ist allerdings - wie viele Unternehmer - auch ein wenig Kapitalist, dessen 417 DM Habenzins allerdings durch Sollzinsen (vor allem Bodenzins!) 23fach überkompensiert wird! Hätte er seine Ladeneinrichtung auf Kredit gekauft Verschuldung ist die Regel bei Kleinunternehmern - und müßte er dafür 8% Kreditzinsen zahlen, dann würde er nicht nur keine Rendite erhalten sondern 667 DM im Monat zusätzlich an Zinsen zahlen müssen. Er wäre dann - gleichgültig, ob und wie viele Lohnarbeiter er beschäftigt kein Kapitalist. Und wie steht es mit der Zahl der "Lohnsklaven"? Würde er unter der gegebenen mikroökonomischen Situation eine fünfte Verkäuferin einstellen, dann würde er kaum eine Umsatzsteigerung erzielen, wohl aber, wegen der zusätzlichen Lohnkosten (Lohn plus Versicherungsbeitrag etc.), mehr als die Hälfte seines "Profits" bzw dreifünftel bis dreiviertel seines Unternehmerlohns draufzahlen müssen. Würde er eine Verkäufe-
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rin weniger beschäftigen, dann würde das den Umsatz soweit verringern, daß die Lohneinsparung geringer wäre als die Gewinneinbuße, die durch den Umsatzrückgang wegen der fehlenden Arbeitskraft bewirkt werden würde. Vier Verkäuferinnen sind also für diesen Laden optimal. Für die Definition eines Unternehmers als Kapitalisten ist die Anzahl der Lohnarbeiterinnen offensichtlich irrelevant. Wie verändert sich nun die Lage der vier Frauen, wenn sie diesen Laden unter den gegebenen mikro- und makroökonomischen Bedingungen kollektivieren, ihren ehemaligen Chef als gleichberechtigten Genossen ins Kollektiv aufnehmen und ihre Arbeitseinkommen aus diesem Unternehmen gleichmäßig verteilen? Jeder Genossenschaftler würde dann 2.640 DM im Monat erhalten, für die geschlechtsbedingt niedrigeren Löhne der Frauen entspräche das immerhin einer Gehaltserhöhung von durchschnittlich 840 DM oder 46,8%. Dafür müßten sie dann allerdings anteilig Unternehmerarbeit leisten und das Geschäftsrisiko mit übernehmen. Würden sie auch das Eigenkapital des ehemaligen Chefs anteilig geschenkt erhalten, dann bekäme jede noch eine Rendite von 83 DM monatlich dazu. Dann wären sie also auch kleine Kapitalisten. Müßten die Genossen sich jedoch die Ladeneinrichtung und die Waren mit Hilfe eines Bankkredits bei günstigstenfalls 8% Zinsen anschaffen, dann würde sich das Monatseinkommen jeder Genossenschaftlerin um 133 DM Kreditzinsen verringern und sie wären ausschließlich ausgebeutete Produzenten. Gewaltig ins Gewicht fällt - kollektiv oder nicht kollektiv - die Belastung durch die Bodenrente. Doch dieser Kostenanteil wird exakt kompensiert durch die günstige Lage des Geschäfts, d. h., sie wird getragen von den vielen hier einkaufenden Kunden - von den Konsumenten! Der Bodenzins wird also nicht den Lohnabhängigen im Betrieb durch den Unternehmer oder Grundeigentümer per Mehrwert-Gesetzen vorenthalten, sondern den Verbrauchern über die Preise der Waren und Dienstleistungen, die durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage in der Zirkulationssphäre zustandekommen, abgeknöpft. Sinnvoll erscheint hier die Sozialisierung des Bodens. Doch wer soll ihn verwalten und wer die Rente erhalten? Das oben beschriebene Kollektiv? Dann bekäme jede/r Genossenschaftler/in - jetzt auch Grundrentner/ in - monatlich 1.880 DM Bodenzins dazu: so viel, wie der ursprüngliche Lohn ausmachte! Das läßt sich hören! Doch jene, die nicht auf so einem Arbeitsplatz arbeiten, also nicht von einer hohen Bodenrente profitieren können, wären benachteiligt und müßten als Konsumenten das Renteneinkommen unseres Kollektivs finanzieren.
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Notwendig ist daher die Umverteilung der Bodenrente an alle Bürger einer Stadt oder eines Landes - oder an alle Mütter und Kinder einer Region oder gar der ganzen Erde, so, wie es Gesell und seine Anhänger vorschlagen (s. Kap. 9). Da die Bodenrente ein Ergebnis der monopolartigen Marktstellung des unvermehrbaren Bodens ist (s. Kap. 8), kann die Frage der gerechten Verteilung des Mehrwertanteils Bodenrente nicht durch die Zueignung des Bodens an einzelne Kollektive gelöst werden. Desweiteren zeigt unser Zins-Beispiel, daß Kollektivierung und Zueignung von Kapital an das Kollektiv keine wesentlich gerechtere Einkommensverteilung garantiert, wenn kaum Kapital vorhanden oder dieses verschuldet ist. In diesem Falle wird nur Lohn und Risiko umverteilt, was zwar etwas für die unterbezahlten weiblichen, schon weniger für die besser bezahlten männlichen Lohnarbeiter bringt, und auch nur dann, wenn ein Unternehmer wenige Arbeiter/innen beschäftigt. Für ihre Ausbeutung durch den Unternehmer oder durch die drei Mehrwert-Anteile Geldzins, Kapitalrendite und Bodenrente, wie auch für die Definition eines Kapitalisten ist die Anzahl der Lohnarbeiter, die ein Unternehmer beschäftigt, völlig belanglos. In unserem Beispiel dient die Kollektivierung immerhin der Lösung des sozialen Problems der Fremdbestimmung, nicht jedoch des ökonomischen Problems der Ausbeutung, wenn nicht gleichzeitig das Bodenproblem gelöst wird: sie dient ausschließlich der Mitbestimmung aller Teilnehmer an der unternehmerischen Leitung des Unternehmens. Aber auch von unternehmerischer Selbstbestimmung des einzelnen Genossen kann hier kaum die Rede sein. Die Selbstentfaltungsmöglichkeiten waren vor der Kollektivierung nur für den Unternehmer, den Chef, relativ groß, für seine Angestellten sehr gering; jetzt liegen sie für alle quantitativ etwa in der Mitte. Denn: alle können mitbestimmen, aber keiner selbstbestimmen, d. h., seinen eigenen Willen gegen den Willen der übrigen Genossen durchsetzen. Nur nach außen hin genießt das Kollektiv als Ganzes die gleichen Freiräume, die vordem allein der Unternehmer ausschöpfen konnte doch das ist die Freiheit des Kollektivs und nicht die des einzelnen Individuums. Erst wenn das Kollektiv eine "Vereinigung" im Sinne Max Stirners ist, in der das Individuum nicht das "gebundene Exemplar" einer "Gemeinschaft" oder "Glied" einer "Gesellschaft" ist, sondern ihm als "einzigen", als "Eigner" seiner selbst - in freier "Übereinkunft" und "Verständigung" mit den übrigen "Eigenen" -, als Instrument seiner eigenen auch kommunistischen! - Bedürnisse dient, dann bestimmt das Individuum selbst (165) - ein erstrebenswertes anarchistisches Ideal. Zins-Beispiel Sehen wir uns nun das Beispiel eines Unternehmens mit einem außerordentlich großen "Umfang" von vermehrbarem Produktivkapital und mit file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_12.htm (5 von 12) [15.02.2002 19:39:50]
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nur drei Lohnarbeitern an: das Zukunftsmodell eines kapitalintensiven Roboterbetriebes. Eine Person erbt 10 Millionen DM. Statt sie in Wertpapiere oder langfristig auf einem Bankkonto anzulegen, was ihr 5% Zinsen im Jahr bringen könnte, kauft sie sich dafür einen Roboter einschließlich den relativ wertlosen Boden am Rande einer Stadt, auf dem er steht. Da die geringe Bodenrente für dieses Kapital-Beispiel irrelevant ist, schlagen wir sie der Einfachheit halber der Kapitalrendite zu. Dieses Unternehmen wirft dann einen Gewinn einschließlich Risikoprämie und Unternehmerlohn von 600.000 DM im Jahr ab. Das deckt den Zinsanspruch (Rendite) von jährlich 500.000 DM oder monatlich 41.667 DM ab, den unser Erbe für sein angelegtes Geld erwarten kann, und ermöglicht ihm außerdem einen zusätzlichen Gewinn von 100.000 DM im Jahr oder 8.333 DM im Monat, wenn er den Betrieb selbst führt. Da er seinen Roboter von nur drei Lohnarbeiter im Schichtwechsel rund um die Uhr bedienen läßt, ist er - wenn wir der Argumentation der SOST folgen - kein Kapitalist. In Wirklichkeit ist er Unternehmer und Kapitalist! Für den Jahresgewinn von 100.000 DM könnte er einen Betriebsleiter oder Direktor, einen Manager einstellen und ihn, wenn er keine Risikoprämie für sich beansprucht, mit bis zu 8.333 DM im Monat entlohnen. Er gäbe dann seine Unternehmertätigkeit auf und bräuchte selbst nicht mehr zu arbeiten; das täten dann vier Lohnabhängige für ihn: ein lohnabhängiger Manager und drei lohnabhängige Arbeiter. - Wenn wir der Argumentation der SOST folgen, dann ist er deswegen Kapitalist. So meinen wir das natürlich nicht, werden die Genossen der SOST sagen. Auch der "Umfang" des Kapitaleinsatzes spielt eine Rolle! In der Tat, das haben sie gesagt. In den Köpfen der SOST-Theoretiker spukt jedoch auch die obskure Mehrwerttheorie herum, die besagt, daß der Unternehmer dem Arbeiter im Wesentlichen nur seine Reproduktionskosten bezahlt, ihn aber länger arbeiten läßt, als zu ihrer Deckung notwendig ist (s. Kap. 11). Das interpretiert die SOST merkwürdigerweise so: Beutet der Unternehmer auf diese Weise viele "Lohnsklaven" aus, dann ist er Kapitalist, beutet er wenige aus, dann nicht. Unser Kapitaleigner kann jedoch seinen Profit gar nicht steigern, wenn er mehr Arbeiter oder mehr Arbeitsstunden an seinem Roboter einsetzt: Will er weitere 24 Arbeitsstunden "ausbeuten", dann muß er weitere 24 Arbeitsstunden bezahlen und außerdem einen weiteren Roboter für 10 Millionen Mark aufstellen. Diese 10 Millionen fordern wiederum Zinsen, die über den Verkauf der Roboterprodukte vorwiegend von ihren Käufern bezahlt werden. Die Wirklichkeit zeigt also, daß es für die Frage, ob ein Unternehmer auch Kapitalist ist, völlig egal ist, wieviele Arbeiter er beschäftigt und wie
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groß der "Umfang" des Kapitals ist. Es geht hier nicht um Quantitäten von eingesetzten Lohnarbeitern und Kapitalien, sondern allein um Qualitäten: Ohne Eigenkapital ist der Unternehmer auch mit 100 oder 100.000 Arbeitern kein Kapitalist, und mit Eigenkapital - gleichgültig, ob viel oder wenig - ist er es auch ohne einen einzigen Lohnarbeiter - auch dann, wenn er seinen teuren Roboter selbst bedient. In diesem Falle ist er nämlich - ganz im Sinne Marxscher Definition - Kapitalist und gleichzeitig Unternehmer und Arbeiter. Und wenn er die Automaten nicht selbst bedient, dann ist er Kapitalist und Unternehmer und als letzterer auch "Arbeiter" (Marx). Stellt er außerdem einen Manger ein, der ihm die Unternehmertätigkeit abnimmt, dann ist der nur Kapitalist (s. Kap. 10). Wie die SOST-Genossen, blicken auch unsere drei Arbeiter da nicht ganz durch. Sie sehen das alles überhaupt etwas anders, und zwar im Sinne des gesunden Volksempfindens: Sie wollen nicht länger für ihren Chef einen "Profit" von 50.000 DM im Monat erarbeiten, während sie selbst lediglich 3.000 DM bekommen. Um diesen Profit von mehr als 41.600 DM Zinsen und 8.300 DM Unternehmergewinn selbst zu kassieren, wollen sie sich "selbständig" machen. Da sie jedoch als junge Leute mit geringem Arbeitseinkommen keine nennenswerten Ersparnisse zurücklegen konnten, gehen sie zu einer Bank, um sich 10 Millionen DM für die Gründung eines gleichen Unternehmens zu leihen. Doch dort müssen sie erfahren, daß diese 10 Millionen 8% Zinsen p. a. kosten, was bereits ohne die Kosten der Kredittilgung eine Belastung von 66.667 DM im Monat bedeuten würde. Das ist nicht nur mehr, als (in unserem Beispiel) dieses Unternehmen auf Grund der (angenommenen) Marktlage an Rendite, sondern auch an "Profit" (Rendite plus Unternehmergewinn/-lohn) und Arbeiterlöhnen insgesamt einzunehmen vermag: Die zu zahlenden Kreditzinsen würden nicht nur die Rentabilität, die Grenzleistungsfähigkeit des geplanten Produktivkapitals von 41.667 DM i. M. übersteigen, sondern auch den kalkulierten Unternehmerlohn/gewinn und darüber hinaus auch noch das kalkulierte Arbeitseinkommen der drei Arbeiter von insgesamt 17.333 DM i. M. , zusammen 59.000 DM, aufzehren und ihre Schuldenlast um 7.667 DM i. M. - die wiederum verzinst werden muß! - vergrößern. Würden sie dennoch diesen Kredit in dieses Unternehmen investieren, dann kämen sie in genau die gleiche Lage, in der sich heute viele verschuldete Länder der Dritten Welt und des "realen Sozialismus" befinden: ihnen bliebe nichts zum Leben und nichts für die Schuldentilgung übrig und ihre Schuldenlast würde exponentiell wachsen (s. Kap. 2). Sie wären - wie so viele Privat- und Staatsunternehmer - in die Zinsfalle getappt! Nun werden unsere drei Proletarier "klassenbewußt". Sie gehen zu ihren linksintellektuellen Lehrmeistern in die Kapital-Arbeitskreise (auch "Bibelstunden" genannt) und studieren die Mehrwerttheorie, um sich auf den Klassenkampf vorzubereiten. Auf Grund ihres neuen ökonomischen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_12.htm (7 von 12) [15.02.2002 19:39:50]
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Verständnisses fordern sie die Enteignung der Produktionsmittel. Für unsere drei "Revolutionäre" würde die Zukunft dann allerdings glänzend aussehen, vorausgesetzt, diese geht entschädigungslos vonstatten und dieses Kapital wird ihnen zugeeignet! Dann sind sie schuldenfreie Eigentümer von sehr wertvollen (teuren), sehr produktiven und von wenig Menschen zu bedienenden Produktionsmitteln. Sie nehmen ihren ehemaligen Chef als Genossenschafter in ihr Kollektiv auf und teilen den "Profit" des ehemaligen Unternehmers und Kapitalisten und ihren eigenen Lohn zu gleichen Teilen untereinander auf. Dann würde jeder 14.750 DM im Monat erhalten. Solange das Zinssystem und die Marktwirtschaft weiterbestehen, könnten unsere vier Genossen jedoch auch drei Arbeiter und einen Manager für zusammen 17.333 DM im Monat auf dem Arbeitsmarkt anheuern, die jetzt ihre Arbeiten ausführen würden. Zu fragen wäre dann: Würden unsere drei "Systemveränderer", vielleicht aus ideologischen Gründen, auf diese Chance verzichten, um für ein zusätzliches Arbeitseinkommen von jeweils 4.333 DM im Monat weiterhin einen wesentlichen Teil ihrer Lebenszeit in der Fabrik zu verbringen, wenn sie die Möglichkeit hätten, zusammen mit ihrem ehemaligen Chef pro Person von 10.417 DM Rendite im Monat ohne Arbeit leben zu können? Selbst wenn ihnen die Hälfte als Einkommenssteuer abgezogen werden würde, verblieben jedem einzelnen unseres vierköpfigen Kollektivs immer noch gut 5.200 DM im Monat arbeitsfreies Einkommen. - Mir jedenfalls würde das reichen, um aus dem finsteren Fabriksystem aus- und in die sonnige Karibik einzusteigen! Wie wir sehen, kann nicht nur ein Unternehmer, sondern auch ein Arbeiter, Genossenschaftler, Kommunard etc. Kapitalist sein, wenn er Miteigentümer seiner Produktionsmittel ist und unter kapitlistischen Marktbedingungen produziert. Aber auch die Abschaffung des Marktes und die Einführung der Zentralverwaltungswirtschaft würden daran nichts ändern, solange das Zinssysten fortbesteht, also monetäre Ersparnisse nicht ohne Liquiditätsverzichtsprämie für Investitionen zur Verfügung gestellt werden. Zumindest neuinvestierte Produktionsmittel werden weiterhin eine Rendite abwerfen müssen, die dann ihre Eigentümer oder die Geldgeber erhalten (von der Bodenrente ganz abgesehen). Also das Geld abschaffen? Den naive Glauben, das Geld ließe sich abschaffen und durch eine zentrale "Plan"wirtschaft ersetzen, wie es die Roten Khmer in Kabodscha versucht haben, brauchen wir wohl nicht mehr zu diskutieren, nachdem selbst die etablierten Kommunisten zur dezentralen Markt- und Geldwirtschaft zurückfinden.
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Ein Ausweg scheint dann eher die Überführung der Produktionsmittel in das Eigentum der Gesamtgesellschaft in marktwirtschaftlichem Rahmen zu sein, um sie (ähnlich, wie das mit dem Boden geschehen sollte) an Meistbietende - an private Einzelunternehmer wie an Kollektive - zu verpachten, um die so eingenommene Rendite an alle Bürger gleichmäßig verteilen zu können. Damit könnten jedoch nicht jene Renditen erfaßt werden, die als Zinsen an den Sparer als Kreditgeber abgeführt werden müßten; die Ausbeutung durch den Geldzins bliebe bestehen. Die bessere Lösung dürfte immer noch die Reduzierung des Geldzinses auf durchschnittlich null Prozent sein. Damit würde, auf Grund zusätzlicher Investitionen und größeren Warenangebots im Rahmen des Wettbewerbs, auch der Kapitalzins weitgehend verschwinden (s. Keynes, Kap. 4 u. 6). Dann wäre es irrelevant, ob aus Gründen einer gerechten Verteilung des Einkommens und der Produkte die (vermehrbaren) Produktionsmittel Eigentum eines privaten Unternehmers, eines Kollektivs, der Gesellschaft oder des Staates sind: Sie würden so oder so keine nennenswerte Rendite abwerfen, sie wären entkapitalisiert, (58) ihre Eigentümer kein Kapitalist mehr. Lediglich der (unvermehrbare) Boden, die Bodenschätze und die knappen Naturkräfte müßten Vergesellschaftet werden. Außerdem hätten es einzelne Personen wie Kollektive leicht, bei den dann existierenden geringen Kreditkosten ein eigenes Unternehmen zu gründen. Desweiteren sollte nicht übersehen werden, daß Kollektivierung nicht das Problem monetär bedingter Wirtschaftskrisen löst. Solange das kapitalistische Geld- und Zinssystem nicht beseitigt ist, werden auch Kollektive unter periodisch wiederkehrenden Absatzkrisen zu leiden haben. Schließlich sollte Kollektivierung niemandem aufgezwungen werden. Es gibt Individualisten, die gerne einen kleinen Laden oder einen Handwerksbetrieb in eigener Regie betreiben möchten. Oder Leute, die "null Bock" haben, sich in einem selbstverwalteten Unternehmen mit Betriebsorganisation, Absatzproblemen, Bilanzen usw herumzuschlagen und in Betriebsversammlungen herumzustreiten, und sich statt dessen lieber als gut bezahlte Lohnarbeiter bei einem tüchtigen Unternehmer verdingen und im übrigen sorglos ihrem Feierabendhobby widmen wollen. (166) Eine neue Gesellschaft muß - neben Vollbeschäftigung und gerechter Einkommensverteilung - ihren Mitgliedern jede nur erdenkliche Entfaltungsmöglichkeit zur Verfügung stellen, die eine Hochkultur beim Stand ihrer gegenwärtigen Entwicklung zu erbringen in der Lage ist. Dazu gehören private Unternehmungen ebenso wie kollektive.
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Friedrich Engels zu Geld und Kommunen Trotz dieser Relativierung des in der Alternativszene weit verbreiteten Kollektivierungsmythos will ich Joscha Schmierers in der Kommune (167) dargelegten These keineswegs widersprechen, daß Genossenschaften und Wirtschaftskommunen einen wesentlichen Beitrag leisten könnten zur Umgestaltung der gegenwärtigen Industriegesellschaft, vor allem zum Abbau hierarchischer Strukturen. Der ehemalige SDS- und KBW Genosse Schmierer, der fälschlicherweise Industriegesellschaft und Kapitalismus gleichsetzt, übersieht jedoch jene Tatsache, auf die Friedrich Engels bereits vor hundert Jahren hingewiesen hat und die heute noch existent ist: daß ohne Abschaffung des kapitalistischen Geld- und Kreditsystems auch in einer genossenschaftlich organisierten Wirtschaft immer wieder die alte Abhängigkeit der Produzenten von Geldgebern und die Jahrtausende bestehende Ausbeutung durch den "Zinswucher" wiederhergestellt werden. Der Marxist Schmierer fällt mit seinem vermeintlich systemüberwindenden Konzept der Kollektivierung hinter die schon fast verstaubten, aber immer noch goldrichtigen Erkenntnisse des Mitbegründers der marxistischen Wirtschaftstheorie zurück. Der Marxist Schmierer bewegt sich damit auf der gleichen unreflektierten, kapitalismus-erhaltenden Ebene vieler utopischer Sozialisten, wie die ganze kleinbürgerlich-reformistische "Alternativ"bewegung heute, die deshalb auch keine Alternativbewegung zum herrschenden kapitalistischen Gesellschaftssystem ist, daher für dieses auch keine Gefahr bedeutet und nicht zuletzt auch deshalb von diesem toleriert und z. T. sogar subventioniert wird. In seiner Kritik an Dührings Kommunen-Sozialismus (168) schreibt Engels sarkastisch, Dühring "ist stolz darauf, daß in seiner Welt jeder mit seinem Geld machen kann, was er will. Er kann also nicht verhindern, daß die einen sich einen kleinen Geldschatz zurücklegen, während die anderen mit dem ihnen gezahlten Lohn nicht auskommen". (Hier spricht Engels bereits ein von Dieter Suhr beklagtes, heute ins Gigantische gewachsenes Mißverhältnis zwischen "Geld ohne Bedarf" beim Finanzkapital und "Bedarf ohne Geld" bei den Produzenten und Konsumenten an. (169)) "Andererseits aber läßt die Kommune, indem sie Geld ohne weiteres in Zahlung nimmt, die Möglichkeit offen, daß dies Geld anders als durch eigene Arbeit erworben sei. (...) Hiermit sind aber alle Bedingungen gegeben, um das Metallgeld (...) in wirkliche Geldfunktion treten zu lassen. Es liegen vor die Gelegenheit und das Motiv, einerseits zur Schatzbildung, andererseits zur Verschuldung (beides von K. S. hervorgehoben). Der Bedürftige borgt beim Schatzbildner. Das geborgte Geld, von der Kommune in Zahlung genommen für Lebensmittel, wird damit wieder, was es in der heutigen Gesellschaft ist, gesellschaftliche Inkarnation der menschlichen Arbeit, wirkliches Maß der Arbeit, allgemeines Zahlungsmittel." (Nicht das ist das eigentliche Problem, sondern daß es zur "Schatzbildung" verwendet, daß es Sparmittel wird!) "Alle 'Gesetze und Verwaltungsnormen' der file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_12.htm (10 von 12) [15.02.2002 19:39:50]
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Welt sind ebenso ohnmächtig dagegen, wie gegen das Einmaleins oder gegen die chemische Zusammensetzung des Wassers." (Gegen die Sparmittel-Funktiondes Geldes ließe sich allerdings etwas unternehmen; s. Kap. 4 u. 6.) "Und da der Schatzbildner in der Lage ist, vom Bedürftigen Zinsen zu erzwingen (wieso, erklärt Engels leider nicht), ist mit dem als Geld (Sparmittel; K. S.) fungierenden Metallgeld auch der Zinswucher wieder hergestellt." (Jenosse Proudhon, ick hör dir trapsen! Und dann tönt es fast wie beim Volksgenossen Feder; s. Kap. 13:) "Die Wucherer verwandeln sich in Händler mit dem Zahlungsmittel, in Bankiers, in Beherrscher des Zirkulationsmittels und des Weltgeldes, damit in Beherrscher der Produktionsmittel, mögen diese auch noch jahrelang dem Namen nach als Eigentum der Wirtschafts- und Handelskommunen fungiern. Damit sind aber die in Bankiers übergegangenen Schatzbildner und Wucherer auch die Herren der Wirtschafts- und Handelskommunen selbst." (Es ist also nicht weit her mit der "Selbständigkeit" der "freien" Unternehmer und der "Selbstbestimmung" der Kommunarden!) Engels ein Präfaschist? (Er ist doch gegen den Zins!) Oder gar ein verkappter Proudhonist? Bis zu diesem Punkt stimmt Engels gewiß mit Proudhon überein. Ja, er geht sogar noch einen kleinen Schritt weiter auf Gesells Position zu: Er empfiehlt zwar (als Übergangslösung zum "Kommunismus") die Owenschen Arbeitsmarken als Kaufmittel, fragt aber gleichzeitig, ob diese nicht zu ähnlichem Mißbrauch führen könnten wie das Goldgeld. (170) Diese der Gesellschen Geldhortungstheorie entsprechende Skepsis ist berechtigt: die Owenschen Arbeitsbons unterliegen m. W. keinem Angebotszwang und keinen den Zins kompensierenden Durchhaltekosten. Wäre Engels nicht von Marxens Produktions- und Mehrwertideologie geblendet gewesen, dann hätte er vielleicht gesehen, daß dem Geldkapital tatsächlich Zins "eingeboren" ist (171) und warum das Geldkapital einen "Profit", eine Rendite, am Sachkapital hervorruft einen Teil davon den Kreditzins, die Dividende etc. - für sich erheischt und warum der Profit im allgemeinen und im Durchschnitt nicht auf Null sinken kann. Dann wäre er vielleicht auf diesem monetären Weg der Erkennntnis weiter voranmarschiert und zu den gleichen praktischen Schlußfolgerungen gelangt, wie bereits der altgriechische Punk Diogenes, der Geld, das eben doch stinkt, oder der Akrat Gesell, der "rostende Banknoten", oder der Bankier N. A. L. J. Johannsen, der eine "Geldsteuer", oder der Anthroposoph Rudolf Steiner, der ein Geld, das sich "abnutzt", einführen wollte, oder der erfolgreiche Nationalökonom John M. Keynes, der ein Geld mit "Durchhaltekosten" befürwortete. Statt dessen schwenkt Engels nach seinem kurzen Abstecher in die Gefilde Proudhonscher Geld- und Zinstheorie wieder in die produktionstheoretische Sackgasse seines Freundes Karl Heinrich ein und fordert die Verstaatlichung aller Produktionsmittel file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_12.htm (11 von 12) [15.02.2002 19:39:50]
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und die geldlose Zentralverwaltungswirtschaft. Das ganze Elend der marxistischen Wirtschaftstheorie offenbart ein Beispiel aus der Geld- und Kreditpolitik der kommunistischen Wirtschaftsreformer in Rotchina. Durch die Wiedereinführung von Marktmechanismen und individueller Gewinnchancen hat es dort ein kleines Wirtschaftswunder gegeben. Die Käuferschlangen vor den Läden sind verschwunden und nicht nur viele Kleinbürger, sogar die Bauern sind zu einem bescheidenen Wohlstand gelangt und haben Ersparnisse ansammeln können. Diese benötigt der Staat für Investitionen. Da jedoch am Geldsystem nicht geändert worden ist, und da niemand durch gutes Zureden allein seine Liquidität aufgibt, verfielen die schlauen Marxisten auf eine sehr originelle Idee: um an diese Ersparnisse ranzukommen, bietet der Staat den Sparern eine Liquiditätsverzichtsprämie an: Er verkauft ihnen Aktien und verspricht ihnen Dividenden! (172) Rotchina auf dem Weg zum Kommunismus? Da lachen die Kolchoshühner! Auch im China der Kommunen kehrt der von Engels prophezeite "Zinswucher" wieder ein! Was wird das Resultat sein? Realer Kapitalismus im Sozialismus. Kommunenkapitalismus. Engels hat klar erkannt, wer in der gegebenen Geld- und Kreditwirtschaft "Herr im Hause" ist: der "Schatzbildner", der Geldverleiher, der Finanzkapitalist. Er hatte bereits vor hundert Jahren begriffen, daß kollektive Selbstorganisation und Selbstverwaltung im Rahmen des kapitalistischen Geldsystems nicht anderes bedeutet, als die von den Produzenten selbst organisierte und selbst verwaltete Ausbeutung durch Zinsparasiten: Selbstausbeutungskommunismus. Engels Worte in die Ohren der Selbstverwaltungsidealisten, Vergesellschaftungssfetischisten und Geldignoranten!
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
13. Welche Bedeutung hat das Geld für den Klassenkampf? Wo verläuft die "Hauptkampflinie"? "Die Gewalt, mein Herr, ist das erste und das letzte Wort einer auf das Zinsprinzip gegründeten Gesellschaft, die sich seit 3.000 Jahren gegen den Zins abmüht." P. J. Proudhon Soziale Emanzipation ist ohne die Befreiung der Volkswirtschaft vom Kapitalismus nicht möglich. Da Kapitalismus identisch ist mit Zins- und nicht mit Marktwirtschaft, kann eine wirkliche, an die Wurzeln des Kapitalismus gehende Befreiung nur durch die Brechung der Zinsknechtschaft erfolgen. Da es zwischen "Kapital und Arbeit", zwischen den Klassen der Unterdrückten und Ausgebeuteten und den Klassen ihrer Unterdrükker und Schmarotzer weder Gleichberechtigung gibt noch einen friedlichen Ausgleich geben kann, ist, wenn die soziale Frage gelöst werden soll, der Klassenkampf unausweichlich. Das Verhältnis von Produzenten und Parasiten läßt sich weder durch Appelle an die Menschlichkeit der Sklavenhalter noch durch das Pochen der Sklaven auf ihre besseren Argumente überwinden. Und die Plutokraten werden die Zitadellen ihrer Macht nicht kampflos räumen auf Grund demokratischer Mehrheitsbeschlüsse. Sie werden - das lehren Geschichte und Gegenwart - alle die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel einsetzen, um ihre Pfründen zu verteidigen: Polizei, Justiz, Militär, Folter - und damit Gegengewalt herausfordern. Unsere Zinsanalyse zeigt klar und deutlich, daß die Produzenten mit ihren Schmarotzern eben nicht, wie uns letztere weiszumachen versuchen, "in einem Boot sitzen"; allenfalls befinden wir uns mit ihnen gemeinsam an Bord der Titanic. Selbstverständlich ist der Gegensatz von Kapital und Arbeit nicht der einzige Widerspruch in den gegenwärtigen Gesellschaften, und er ist auch nicht der vielbeschworene "Hauptwiderspruch". Ebenso wichtig sind der Gegensatz der Geschlechter und Generationen im Patriarchat, der file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (1 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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Kampf der Bürger gegen den Staat, der polnischen Arbeiter gegen die Parteiherrschaft, die Rebellion der schwarzen Kinder und Jugendlichen gegen die weißen Rassisten in Südafrika usw. Viele Fronten verlaufen quer durch Klassen, Schichten und Gruppen. Eine emanzipatorische, sozial- und kulturrevolutionäre Bewegung muß also innere Widersprüche bewältigen und gleichzeitig auf breiter Front kämpfen - doch der jeweilige "Trennungsstrich" muß klar erkannt und konsequent gezogen werden. Auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit bezogen, heißt das, daß hier (im Jargon der guten alten 883 (172a) gesagt) die "Hauptkampflinie" nicht grundsätzlich zwischen Arbeitern und Unternehmern verläuft, also zwischen "selbständigen" und "unselbständigen" Produzenten (die Marx, wie wir in Kap.10 gesehen haben, unter bestimmten Bedingungen beide "Arbeiter" nennt), sondern vorrangig zwischen allen Produzenten einerseits und den Kapitalisten im weitesten Sinne, also jenen, die mittels Zinsen, Renten, Renditen, Monopol- und Spekulationsgewinnen etc. die Arbeit aller Produzenten ausbeuten, andererseits. Zu den Produzenten gehören selbständige Handwerksmeister, Händler, Bauern, kleine und mittlere Fabrikanten, Genossenschaftler, Wirtschaftskommunarden, Wissenschaftler, Künstler usw ebenso wie alle Lohnarbeiter. (151a) Jene Sozialisten und Anarchististen, die den Trennungstrich nicht zwischen Lohnarbeitern und Unternehmern, sondern zwischen Produzenten und Kapitalisten ziehen, sind von Marx als Sozialisten des Kleinbürgertums diffamiert worden. Doch ihre Position entspricht, wie wir gesehen haben, objektiv den ökonomischen Tatbeständen. Diese Fakten müssen zwar wegen der Handlangerdienste vieler Unternehmer, oft als Manager im Lohne großer Kapitalgesellschaften, relativiert werden; sie werden aber auch durch die subjektiv erlebte Konfrontation der Lohnarbeiter mit dem Unternehmer im Betrieb übersehen und darüber hinaus durch die Mehrwerttheorie ideologisch verschleiert. Wir sollten uns weder durch Marxens Vorwurf des Kleinbürgertums, noch durch diesen Widerspruch subjektiver Erfahrung und objektiver Analyse, durch "Nebenwidersprüche" zwischen selbständigem und unselbständigem Arbeiter, beirren lassen und versuchen, die vorrangige Abgrenzung im Klassenkampf und damit auch die richtigen und notwendigen Bundesgenossen in diesem Kampf zu finden. Denn bei der geballten Macht des Kapitals können wir auf Bundesgenossen nicht verzichten, und zu diesen gehören potentiell auch die Kleinbürger und Kleinbauern; sie sind ebenso von der "Knechtschaft der Zinsen" (Proudhon) betroffen wie die Lohnarbeiter. Hiermit soll keineswegs geleugnet werden, daß es auch konkrete und gravierende Gegensätze zwischen selbständigen und unselbständigen Produzenten gibt. Zu diesen Gegensätzen gehören z. B. jene, die sich aus der hierarchischen Unternehmensstruktur und aus dem Streit um die Verfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (2 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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teilung des gemeinsam erwirtschafteten Arbeitseinkommens ergeben. Doch hier wird an Nebenkriegsschauplätzen gefochten, was vom wichtigeren und gemeinsamen Gegener ablenkt. Von den Kämpfen um Mitund Selbstbestimmung und um die Lohnanteile des Arbeiters und Unternehmers bleiben die Zins- und Renteneinkommen der Kapitalisten ungeschoren. Diesen Tatbestand sollten beide, die Arbeiter und die Unternehmer, insbesondere die kleinbürgerlichen, zur Kenntnis nehmen und daraus entsprechende Schlußfolgerungen ziehen. Wenn beide sich jedoch die Ideologie des Kapitals zu eigen machen und den Gegensatz Produzenten /Kapitalisten bagatellisieren oder gar leugnen und von der "Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit" schwafeln, dann verbünden sie sich immer wieder mit den falschen Freunden. Zu Recht spottet z. B. ein Stern-Journalist über eine Betriebsvereinbarung bei einem Elektrizitätswerk, der "Dreckschleuder" Buschhaus in Niedersachsen, in der sich die Arbeiter und ihre Gewerkschaftsführer nicht nur mit den Managern (den lohnabhängigen Unternehmern), sondern ebenso mit den Aktionären (den Kapitalisten) des Kraftwerks - und das auch noch gegen die Umweltschützer! - verbündeten: Ihr illigitimes Verhältnis legalisierten sie mit der Vereinbarung, daß die Zahlung eines Weihnachtsgeldes an die Arbeiter von der Dividendenausschüttung an die Eigentümer des Unternehmens, also vom Zins, abhängig sein soll! - Arbeiter und Kapitalisten, vereinigt Euch! (173a) Diese Fehlverhalten sind zahllos. In Chile führte ein falsches Klassenbündnis im Zusammenhang mit ungelösten sozialökonomischen Problemen zum Sturz der sozialistischen Allende-Regierung und zu einer konservativen Militärdiktatur. Dort hatten sich die Lastwagenfahrer (Lohnarbeiter) mit den Fuhrunternehmern (mittelständische Unternehmer) und beide mit US-amerikanischen Kapitalgesellschaften und Großbanken (Finananz- und Großkapitalisten) gegen andere Arbeiter, gegen Kleinbauern (ebenfalls Unternehmer) und - wie vielen inzwischen klar geworden sein dürfte - gegen ihre eigenen langfristigen Interessen verbündet. - Die Allende-Regierung hatte es offenbar nicht verstanden, sich die Mittelschichten Chiles zu Bundesgenossen gegen die wirklichen Kapitalisten zu machen. Die Sandinisten in Nicaragua scheinen heute vor ähnlichen Problemen zu stehen. Das ist u. a. darauf zurückzuführen, daß das gerade in Lateinamerika so außerordentlich wichtige Bodenproblem trotz der Machtübernahme der Sandinistas auch in Nicaragua bis heute nicht gelöst worden ist. Das Programm der FSLN von 1969, das Großgrundeigentum abzuschaffen, wurde aufgegeben: "Der Großgrundbesitz wurde mit Samthandschuhen angefaßt", schreibt Eva von Hase-Mihalik in der Frankfurter Rundschau (174). Ein Dekret von 1980, das die Großgrundeigentümer verpflichtet, Boden an landlose Bauern und Landarbeiter mit der lächerlichen Auflage, einen Nachlaß von einem Drittel der marktüblichen Bofile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (3 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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denrente zu gewähren, was kaum funktionieren dürfte, zu verpachten, verewigt die Ausbeutung der Produzenten durch die schmarotzenden Grundrentner. Da bis heute erst ein Viertel aller landlosen Bauern und Landarbeiter zu freiem Boden gekommen sind, treibt diese Politik einen Keil zwischen diese landlosen Arbeiter und Bauern und die "revolutionäre" Regierung. Das zeigen die zunehmenden Demonstrationen und Landbesetzungen der Bauern und das Anwachsen ihrer ATC von 35.000 Mitgliedern kurz nach der Revolution auf über 80.000 bis 1981 in diesem Land von nur 2,5 Millionen Menschen. Statt gegen ein paar Großgrundbesitzer eine radikale Bodenreform durchzuführen und sich damit der treuen Bundesgenossenschaft der Landarbeiter und Bauernmassen zu versichern, legten sich die Sandinisten, intellektuelle Kleinbürger marxistischer Couleur und Abkömmlinge der spanischen Kolonialherren, mit den Indianern an und trieben viele von ihnen in die Arme der Contras. Darüber hinaus gerieten sie - offenbar auf Grund ihrer kollektivistischen und zentralistisch-planwirtschaftlichen Ideologie, ihrer irrwitzigen Währungspolitik mit einer Inflationsrate von 1.200% (174a) und ihres mangelhaften Verständnisses für die wirklichen Klasseninteressen in ihrem Lande - immer mehr in Gegensatz zu ihrer eigenen Klasse und zur Unternehmerschaft. Was ihnen blieb, waren die Proletarier, doch im Mai/ April 1988 streikten 3.000 Bauarbeiter und 37 traten in den Hungerstreik, um Lohnerhöhungen zu erzwingen. Der Grund: "Nach der Währungsreform haben die meisten Arbeiter schwere Kaufkrafteinbußen hinnehmen müssen. Während die Preise seither wieder explodiert sind, bleiben die Löhne eingefroren." (174b) Das ist eine Politik, wie sie gemeinhin von besonders dummen und reaktionären bürgerlichen Regierungen betrieben wird! Mangelhafter ökonomischer Durchblick und Orientierung an marxistischer Geldideologie veranlaßt "unsere" Sandinistas zu wirtschaftlichen Maßnahmen, die die Konterrevolution geradezu herausfordern. Ohne eine sozialgerechte und funktionierende Wirtschafts- und Währungspolitik ist jedoch eine soziale Revolution nicht zu entfalten und auf Dauer zu stellen. Immer wieder verspielt die Linke ihre Chancen... Das Scheitern der Weimarer Republik Welch katastrophalen Folgen eine Fehleinschätzung der Klasseninteressen und -gegensätze im Zusammenhang mit falschen Vorstellungen über Geld, Zins und Währung in Europa gehabt haben, zeigt die Geschichte der Weimarer Republik. Während ihrer vierzehnjährigen Existenz lebten dort die Menschen etwa vier Jahre in einer Inflations- und ebenfalls rund vier Jahre in einer Deflationskrise, also nur sechs von vierzehn Jahren in einigermaßen geordneten Währungs- und Wirtschaftsverhältnissen. Durch die totale Geldentwertung in der Inflationsphase - am Schluß waren 4,2 Billionen Mark einen US-Dollar wert! - wurden die Arbeiter file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (4 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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und Kleinbürger restlos ihrer Ersparnisse beraubt, die sie durch schwere Arbeit in einer Sechstage-Woche bei einem Zehn- bis VierzehnstundenTag erworben und sich von einem Bruchteil des heutigen Realeinkommens abgespart hatten. Die Deflation bescherte über 6 Millionen Menschen, die meisten Lohnarbeiter, zum Teil jahrelange Arbeitslosigkeit und zahllosen Gewerbetreibenden und Landwirten existentiellen Ruin. - Es waren also die Arbeiter und Kleinbürger und Bauern, die in den "goldenen Zwanzigern" und Anfang der 30er Jahre unter der Währungspfuscherei, der Währungsspekulation und der Ausbeutung durch den Zins zu leiden hatten. Die Betroffenheit aller Produzenten von der Ausbeutung durch die Finanzkapitalisten schildert treffend ein Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe aus dem Jahr 1925, der heute im Zusammenhang mit der Verschuldungskrise und Zinsknechtschaft in der Dritten Welt und der fragwürdigen Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder außerordentlich aktuell geworden ist. An einer Stelle heißt es: Das Kredit-, Banken- und Börsenwesen "dient den Finanzmächten, die Völker zu bewuchern und auszurauben, dem Fleiß fast alle Erzeugnisse wegzustehlen und immer weitere Kreise durch Verarmung in gänzliche Abhängigkeit und in wahre Sklaverei zu bringen. Diesen Geldmächten ist nicht bloß die Arbeiterschaft unterworfen, sondern es sind dies auch sehr viele Unternehmer, Klein- und Großfabrikanten, besonders aber die Gewerbetreibenden und der Mittelstand. Die Bankenwelt ist die herrschende Macht in den Staaten geworden." (175) Während die bürgerlichen Parteien die damaligen Geld- und Währungskrisen voll durchzogen und die SPD und KPD - wie der Historiker Arthur Rosenberg meint -, wie 1923 (Inflation), so auch 1929-33 (Deflation), "eine große historische Stunde" "einer großen Volksrevolution gegen das herrschende System" versäumten, (176) haben die Nationalsozialisten die Gunst der Stunde genutzt. Ihr linker Flügel um die Brüder Strasser und der NS-Zinstheoretiker Gottfried Feder polemisierten in gleicher Weise gegen die "Plutokratie" und "Hochfinanz" wie die katholischen Bischöfe in dem zitierten Hirtenbrief und wie zuvor Tucker und andere Anarchisten der proudhonistischen Richtung (s. Kap. 1). Die linken Nazis vertraten zwar eine staatssozialistische und - ähnlich wie der faschistische, konservative und rassistische Flügel der NSDAP - eine antisemitische Position, wendeten sich jedoch entschieden gegen das Finanz- und Bodenkapital und versprachen dem Proletariat "Arbeit und Brot" und den Kleinbürgern und Bauern die "Brechung der Zinsknechtschaft". (177) Nicht zuletzt wegen ihres zinsorientierten Antikapitalismus konnten sie recht überzeugend und mit Erfolg ein Bündnis von Kleinbürgern, Arbeitern und bestimmten Randschichten propagieren. So forderte Feder "eine geschlossene Front der ganzen werktätigen Bevölkerung (...) von besitzlosen Arbeitern (...) über die gesamte bürgerliche Schicht der Beamfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (5 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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ten und Angestellten, des bäuerlichen und kleingewerblichen Mittelstandes hinweg, die in Gestalt von Wohnungselend, Bodenzinsen, Bankzinsen usw die unbarmherzige Gewaltherrschaft des Geldes zu spüren bekommen, bis weit hinauf zu den führenden Köpfen, Erfindern und Direktoren unserer Großindustrie, die alle samt und sonders mehr oder weniger in den Krallen des Großleihkapitals stecken, für die es als erste Lebensaufgabe immer heißt: Renten, Zinsen, Dividenden erarbeiten für die hinter den Kulissen spielenden Geldmächte. Nicht minder gehören auch alle Kreise der Intelligenz, Künstler, Schriftsteller, Schauspieler, Wissenschaftler sowie die übrigen Angehörigen der freien Berufe hinzu." (178) So unausgegoren viele Vorstellungen der National"sozialisten" über Geld, Zins und Währung auch waren (der von der SA zum Krüppel geprügelte Gesellianer Benedict Uhlemayr hat das gründlich am Beispiel von Feders Zinstheorie belegt (179)), so hatten ihre Parolen gegen das Finanzkapital im Zusammenhang mit den Folgen der monetären Krisen - Enteignung der Mittelschichten durch die Inflation und verheerende Arbeitslosigkeit in der Deflation - erheblich dazu beigetragen, kleinbürgerliche und proletarische Massen für sich zu mobilisieren und zusammenzuführen. Der Kommunist Rosenberg hat diesen Vorgang aus eigenen Erfahrungen beschrieben: "Die radikalisierten Volksmassen, die weder von der KPD noch von der SPD erfaßt werden konnten, strömten seit 1929 den Nationalsozialisten zu. (... ) Das Programm der NSDAP von 1920 verlangte die Verstaatlichung aller Trusts, die Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens, die Brechung der Zinsknechtschaft, die sofortige Kommunalisierung der Großwarenhäuser usw (Otto Strasser und seine norddeutschen Anhänger später auch die Verstaatlichung allen Bodens; K. S.). Als die Partei sich seit 1929 in allen Teilen Deutschlands verbreitete, erneuerte sie (genauer gesagt die faschistische und konservative Clique Göring, Goebbels, Himmler etc. um Hitler; K. S.) auf der einen Seite ihre alten Beziehungen zur Schwerindustrie und zu den Großbanken, und auf der anderen (sozialistischen; K. S.) Seite strömten ihr viele Tausende von ehrlichen Sozialisten zu, die da hofften, Hitler werde das verwirklichen, woran die marxistischen Parteien gescheitert waren. (...) In der SA trafen sich stellungslose Akademiker und arbeitslose Proletarier, darunter viele frühere utopisch-radikale Kommunisten, mit den alten Freikorpsführern." (180) Die Bedeutung des zunehmenden materiellen Elends für das Wachsen der nationalsozialistischen Bewegung belegt der Gesellianer Schumann/ Leuchtenberg mit einer grafischen Darstellung. Sie zeigt die erstaunlich präzise Parallelentwicklung von Arbeitslosenzahlen und Stimmen für die NSDAP bei den Reichstagswahlen (s. Grafik 14). - Was beweist den Zusammenhang von Ökonomie und Politik deutlicher? Trotz vieler theoretischer Mängel und politischer Differenzen in der file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (6 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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NSDAP hat sie Anfang der 30er Jahre ein - wie sich zeigen sollte durchaus brauchbares Wirtschaftsprogramm zur Überwindung der Deflationskrise vorgelegt, das Ähnlichkeiten hatte mit Keynes' Vorschlägen einer monetären Konjunkturpolitik, wie Heinz Höhne in einer Spiegel-Serie über die Machtergreifung Hitlers schreibt. (181) Daß jedoch die NSDAP, wie Höhne behauptet, die einzige Kraft gewesen sei, die einen Ausweg aus der Krise wies, ist falsch. Es gab damals - neben Gewerkschaftern mit ähnlichen finanzpolitischen und etatistischen Vorstellungen zur Über windung der Deflationskrise - noch die Gesellsche Freiland-FreigeldBewegung, die ein realistisches monetäres Instrumentarium zur Krisenüberwindung vorzuweisen hatte. Darauf hat Gerhard Ziemer in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel "Inflation und Deflation zerstören die Demokratie" ausdrücklich hingewiesen. (182) Und das beweisen auch die vielen erfolgreichen Schwundgeld-Experimente in allen Teilen der Welt (s. Kap. 4 u. Text 6). Diese Möglichkeit, von der der amerikanische Ökonom Irving Fisher glaubte, sie hätte "die Vereinigten Staaten in drei Wochen aus der Krise herausbringen" können, (183) wurde von den "demokratischen" Machthabern nicht genutzt, entsprechende Selbsthilfeinitiativen sogar (s. Kap. 4) gewaltsam unterdrückt. Die bürgerlichen Parteien, die Sozialdemokraten und die Kommunisten lehnten monetäre Maßnahmen zur Überwindung der Deflationskrise strikt ab. Der ehemalige SPD-Funktionär, zwischenzeitliche (und unfreiwillige, wie er sagt) NS-Parteigenosse und heutige Freisoziale Hans Schumann hat das in seiner Broschüre "Woran Weimar scheiterte" (unter dem Pseudonym Max Leuchtenberg) ausführlich dokumentiert. Wenn wir seiner Zitatensammlung vertrauen wollen (was mir meine Erfahrung mit Sozialdemokraten erlaubt), verstieg sich der Währungs- und Finanzexperte der SPD, Professor Nölting, korrekt auf der Linie seines Meisters Marx (s. Kap. 11), zu der Behauptung: "Die Geldkrisen sind im wesentlichen interne Vorgänge im Bereich des Kapitals, häuslicher Hader der Bourgeoisie, ein sich in einer höheren Region vollziehendes und sich selbst aufhebendes Kampfspiel." (184) Der SPD-Genosse Ernst Heilman, Mitglied des Reichstags, stellte im Freien Wort die heute absurd erscheinende, damals jedoch weit verbreitete Behauptung auf: "Zur Wiederankurbelung der Wirtschaft führt kein anderer Weg als die systematische Preissenkung." (185) Mit diesen schwachsinnigen und selbstmörderischen Vorstellungen unterstützten sie ideologisch die katastrophale Deflationspolitik des bürgerlichen "Hungerkanzlers" Brünning (Mitglied der Zentrums-Partei, Vorläuferin der CDU/CSU). Das war eine Geldpolitik, die den Faschisten, Konservativen und Rassisten um Hitler und mit ihnen dem Finanzkapital und der Schwerindustrie (gegen Otto und Gregor Strassers Widerstand!) den Weg zur Staatsmacht ebnete. (186) Für diese sozialdemokratischen Marx-Apologeten war das Geld eben nur ein bedeutungsloser "Schleier" über jenen Produktionsmitteln, die sie verstaatlichen wollten. "Wenn wir uns auf den Standpunkt stellen wollen, file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (7 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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die Krise sei ein Zirkulationsproblem", tönte damals Siegfried Aufhäuser, ebenfalls Mitglied der SPD und des Reichtstags und Gewerkschaftsführer, "so können wir uns als Sozialisten begraben lassen." (187) Viele seiner Genossen (wie z. B. mein Vater, ebenfalls Anhänger dieser schleierhaften Theorie) haben sich dann, unfähig, die Geld-, Währungs- und Zirkulationskrise zu meistern und damit die Weimarer Republik zu retten, tatsächlich in den KZs der NS-Faschisten "begraben" lassen. Erstaunlich ist, daß es heute noch Linke gibt, die dieser obskuren Geldschleier-Ideologie anhängen. Zu ihnen gehört Rudi Ratlos, ebenso emsiger wie unqualifizierter Ökobank-Kritiker. Auch er begreift das Geld lediglich als einen "Schleier", der problem- und ziemlich funktionslos über der Produktionssphäre wabert wie der Morgennebel über einer Waldwiese. Wenn jedoch die rote Sonne der marxistischen Kapitalanalyse über ihr aufgeht und der Nebel sich verflüchtigt hat, dann blickt Rudi durch: er sieht die "Wirklichkeit": Kraut und Rüben. (188) So, wie die marxistischen Mehrwert Theoretiker glauben, der Wert der Ware Arbeitskraft und damit auch ihr Preis: der Lohn, hänge im Wesentlichen von ihren Reproduktionskosten ab (s. Kap.11), ebenso glauben diese Arbeitswert-Theoretiker, auch der Wert des Geldes werde allein von seinem Arbeitswert bestimmt. So, wie der Wert der Goldmünze (oft, aber nicht immer!) von den Produktionskosten ihres Goldgehalts bestimmt wird, so der Geldschein von den Produktionskosten des Papiers, aus dem er besteht, von den Druckkosten seiner Beschriftung, von drei Minuten Arbeitslohn für seine Herstellung etc. , macht vielleicht 1,50 Mark, also ist ein Tausendmarkschein 1,50 Mark wert! Schon zu Marxens Zeit war bekannt, daß ein Tausendmarkschein nicht für 1,50 Mark und auch nicht unbedingt für 900 Goldmark zu haben ist. Doch mit fast religiöser Inbrunst glauben Genossen wie Rudi Ratlos ebenso wie die Weimarer SPD-Genossen - entgegen aller empirischen Erfahrung - immer noch an die Geldschleier-Theorie der verstaubten Klassiker, von denen Marx einer ihrer letzten und hervorragensten ist. Zum Beleg seines phänomenalen Geldund Währungsverständnisses eine kleine Kostprobe aus einer berühmten Schrift des großen Meisters: "Das Gesetz, daß die Quantität der Zirkulationsmittel bestimmt ist durch die Preissumme der zirkulierenden Waren und die Durchschnittsgeschwindigkeit der Geldumlaufs, kann auch so ausgedrückt werden, daß bei gegebener Wertsumme der Waren und gegebener Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Metamorphosen, die Quantität des umlaufenden Geldes oder Geldmaterials von seinem eigenen Wert (Edelmetallwert; K. S. ) abhängt. Die Illusion, daß umgekehrt die Warenpreise durch die Masse der Zirkulationsmittel und letztere ihrerseits durch die Masse des in einem Lande befindlichen Geldmaterials bestimmt werden, wurzelt bei ihren ursprünglichen Vertretern in der abgeschmackten Hypothese, daß Waren ohne Preis (er bildet sich im Zirkulationsprozeß! K. S.) und Geld ohne Wert (Papiergeld! K. S) in den Zirkulafile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (8 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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tionsprozeß eingehen, wo sich dann ein aliquoter Teil des Warenbreis mit einem aliquoten Teil des Metallbergs (und den Banknoten etc. ! K. S.) austauscht." (189) Kein Wunder, daß die Inflationsrate in der VR Vietnam 1.000% beträgt! (189a) (Siehe Quantitätstheorie, Kap. 5.) Mit derartigem geistigen Rüstzeug ausgestattet, mußten die Sozialdemokraten in der Weimarer Republik währungspolitisch versagen und muß Rudi Ratlos geldtheoretisch seinem Pseudonym (?) alle Ehre machen. Er ist der Auffassung, das Geld diene allenfalls als "Schmiermittel" der Wirschaft. Da er gewiß nicht meint, als Schmiermittel in Form von Parteienbestechungsgeld, sondern, um den reibungslosen Zirkulationsprozeß zu garantieren, ist zu fragen, was er den machen will, wenn dieses Schmiermittel versagt, die Zirkulation heiß läuft und schließlich - wie 1932/33 - zum Stillstand kommt. Da weiß auch Ratlos keinen Rat. Außer Spott und Nörgelei hat er den "Geldfetischisten" - zu denen er auch den marxistischen Finanztheoretiker Hilferding zählt! - nichts anzubieten. Ein Ritter von der traurigen Gestalt eines Sancho Pansa in den Hufstapfen des klapprigen Gauls eines Don Quichotte namens Karl Heinrich Marx. Acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb die Gewerkschaftszeitung Metall: "Zweimal wurde das soziale Gefüge des deutschen Volkes in den Grundfesten erschüttert; während der großen Inflation des Jahres 1923 und nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929. Ohne diese Katastrophen wäre der Nationalsozialismus niemals eine Macht geworden." (190) - Eine späte, zu späte Erkenntnis, die 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, und die zu vielen Linken bis heute nicht durchgedrungen ist. Chancen eines "Dritten Weges" Es hat den Anscheint, als würde gegenwärtig eine ähnliche weltweite Finanzkrise heranreifen wie 1929, (191) die noch verschärft wird durch die Ökologiekrise, das (hoffentlich gestoppte) gigantische Wettrüsten und durch die Bodenrechtsprobleme und die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt. Dem könnten wir eine positive Perspektive abgewinnen, wenn wir wirklich an die Wurzeln der Probleme gehende gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen wollten. Denn wenn tatsächlich ein großer Kladderadatsch am Horizont heraufzieht, dann würde sich damit ein ähnliches Vakuum jenseits der etablierten Machthaber in Ost und West und in der Dritten Welt für eine neue sozialrevolutionäre Bewegung auftun, wie in den 20er Jahren und Anfang der 30er Jahre, für einen "Dritten Weg" oder - wie es der damalige, wahrscheinlich von Stalins Henkern ermordete
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kommunistische Verleger Willi Münzenberg formulierte - für eine "dritte Front". Damals haben die Faschisten und Nationalsozialisten diesen Freiraum ausgefüllt - und für die Zwecke des Kapitals mißbraucht. Heute kommt es darauf an, daß eine wirkliche Alternativbewegung zum herrschenden System diese sich möglicherweise eröffnende historische Chance nutzt und diesen Leerraum zwischen allen Parteien ausfüllt: als dritte Kraft jenseits von Kapitalismus und Staatssozialismus, im Bündnis mit allen vom Privat- und Staatskapitalismus, Feudalismus, Rassismus und Patriarchat betroffenen Menschen. (192) Mit Schrecken hat offenbar Heiner Geißler, Generalsekretär einer "christlichen" Partei, die z. B. den NS-Blutrichter Dr. Erwin Albrecht zu einem ihrer Mitglieder zählt, (193) in der Partei der Grünen diese "dritte Front" vermutet, als er sie als Nachfolgerin der NS-Faschisten diffamierte. ("Es zittern die morschen Knochen", gell, Heinerle?) Wenn er jedoch die Wirtschaftsprogramme der Grünen gelesen hat, wird er sicherlich wieder ruhig schlafen können. Mit grünen Politikern, die den Kapitalismus und das gegenwärtige Bodenunrecht akzeptieren und in Hessen unseren Genossen Günter Sarre dem Bündnis mit dem "stinkenden Leichnam" SPD (Rosa Luxemburg) opfern, und von denen heute viele mit den Konservativen liebäugeln, ist nur noch Staat zu machen. Rudolf Bahro, der den weltweiten Trend auf der Suche nach einem "dritten Weg" als eine historische Chance, die die Grünen bereits vertan zu haben scheinen, begriffen hat, hat diesen reformbewegten, jedoch prokapitalistischen Bildungsbürgern und beamteten Lehrern konsequenterweise den Rücken gekehrt. Anders als die zentralistische, hierarchische und ineffektive marxistische Staats- und "Plan"wirtschaft, deren Vertreter sich primär auf die Arbeiterklasse, die ihnen längst davongelaufen ist, stützen wollen; anders auch als die liberale Ausbeutungs- und Krisenwirtschaft, deren soziale Basis - auf Grund des Scheiterns der marxistisch orientierten Linken nicht nur die Kapitisten und Grundrentner, sondern auch die Kleinbürger, Bauern, und Arbeiter sind; und anders als das ökonomische Flickwerk der Grünen, das gewiß nicht die "Massen" vom Hocker reißen wird, hat Gesells libertäre Geld-, Zins- und Bodenlehre der großen Mehrheit der Bevölkerung - zumindest objektiv - ein Programm anzubieten, das an die wichtigsten Wurzeln ökonomischer, sozialer und ökologischer Probleme geht. Wenn es auch die heutigen Anhänger und Schüler Gesells - von Helmut Creutz, Dieter Suhr und einigen wenigen anderen abgesehen - kaum schaffen, aus ihrem Sektendasein herauszukommen, so konnten sie nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Gemeinden Westdeutschlands immerhin ebensoviele Stimmen bei Wahlen ergattern wie heute die Grünen. (194) Vor allem aber hat die Schwundgeldtheorie in der Praxis nicht nur bewiesen, daß sie einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung von Absatzkrisen und Arbeitslosigkeit leisten kann, sondern file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (10 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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auch, daß sie in bestimmten Situationen alle produktiven Klassen vereinigen kann. So hat in Schwanenkirchen das Schwundgeld im Interesse der Arbeiter und des Unternehmers eines stillgelegten Bergwerks dieses wieder in Betrieb gesetzt. In Wörgl hat der Gemeinderat und sein Wohlfahrtsausschuß einstimmig die Ausgabe der "Arbeitsbestätigungsscheine" beschlossen. Die Gemeindemitglieder - Arbeiter, Händler, Bauern - hahaben diese Projekte einhellig befürwortet. Und Nachbargemeinden begannen, dieses Geldexperiment zu kopieren. (195) In Frankreich wurden 1956 die "Freie Gemeinde von Lignieres und Berry" und 1958 die "Freie Gemeinde von Marans" ins Leben gerufen, die ebenfalls ein Tauschmittel unter Umlaufzwang herausgaben. In der "Commune Libre de Marans" gründeten die Einwohner zu diesem Zweck eine "Vereinigung der Geschäftsleute, Handwerker, Landwirte und Lohnempfänger". Aus der Hortungs- und Einlösungsgebühr ihres autonomen Geldsystems, die satzungsgemäß verteilt werden mußte, konnte die Gemeinde sogar "den Lohnempfängern 10% Treueprämie (für die Benutzung des Tauschmittels; K.S.) zahlen". (196) Und ähnlich wie in Deutschland, Österreich und Frankreich, hat Gesells "Freigeld"-Idee auch in den Gemeinden vieler anderer Länder die Produzenten unter ein gemeinsames Wirtschaftsexperiment vereint (s. Kap. 4). (64) Gesell zur Gegengewalt Gesell war sich allerdings im Klaren darüber, daß der Kampf der Produzenten gegen das Finanz- und Bodenkapital letztendlich kein Pulloverstricken sein würde. In der Erwartung, daß bei radikalen ökonomischen und gesellschaftlichen Umwälzungen "die letzten hundert Meter geschossen" werden würde (wie er einmal gesagt haben soll), und in der Überzeugung, daß eine "kleine Gruppe entschlossener Männer genügt (...), um ein unbewaffnetes Volk zu beherrschen", wie das z. B. die Leninisten in der Sowjetunion (u. a. mit der blutigen Liquidierung der nicht ausreichend bewaffneten Kommune von Kronstadt und der anarchistischen Bauernrätebewegung in der Ukraine 1921 (197)) vorgeführt haben, und wie das konservative Militärs heute immer noch praktizieren, forderte Gesell bereits 1913 die Volksbewaffnung. Er war zwar grundsätzlich für den Kampf der Argumente, vertraute aber nicht darauf, daß die besseren Argumente und Mehrheitsbeschlüsse die herrschenden "Kleptokraten" veranlassen könnten, kampflos ihre Machtpositionen und Wirtschaftsprivilegien aufzugeben. Seine Erfahrungen als Volksbeauftragter für Finanzen in der Münchener Räterepublik, die von der Reichswehr im Verein mit Freikorps und präfaschistischen Gruppen und unter der Regie des sozialdemokratischen "Bluthundes" Noske mit Gewalt und 499 standrechtlich erschossenen Arbeitern zerschlagen worden ist, (198) haben ihn in seiner militanten Einschätzung bestätigt: "Vor einem einfachen Beschluß einer parlamentarischen Mehrheit file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_13.htm (11 von 12) [15.02.2002 19:39:54]
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werden die, deren Lebensinteressen wir angreifen, niemals die Waffen strekken. " (198a) Als Individualanarchist und Anarchofeminist versteht Gesell unter Volksbewaffnung nicht die Bewaffnung ferngesteuerter Massen männlichen Geschlechts (SA etc.), sondern die Bewaffnung jedes einzelnen Bürgers ohne Ausnahme - nicht nur die Bewaffnung der Männer, sondern auch die der Frauen. In einer Auseinandersetzung mit der anarchistischen Zeitschrift "Der freie Arbeiter" schrieb er bereits 1913: "Das Volk muß bewaffnet sein! In jedes Haus gehört ein Gewehr mit Munition. In jedes Dorf gehört neben die Feuerspritze ein Geschütz. Als Korrelat dazu an Stelle des Geistes der Demut und Unterwürfigkeit, der in Kirchen und Schulen der Jugend eingeflößt wird, der unbändige Geist der Freiheit, Selbständigkeit, Selbstverantwortung, der alle Ketten zerbricht. (...) Sorgen wir dafür, daß jeder Bürger, jede Bürgerfrau, jeder Knabe, jedes Mädchen bewaffnet sei - bis an die Zähne. Auf die Waffen allein ist wirklich Verlaß." (199) Denn, so schreibt er zehn Jahre später: "Es muß etwas Neues geschehen, und gegen dieses Neue wird sich der Kapaitalismus stemmen. Wenn das Kommando 'Vorwärts auf der ganzen Linie' des durch die Not neu geeinten Proletariats ertönen wird, dann folgt unausbleiblich das Massengemetzel" (200)
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
14. Wie hieb- und stichfest ist linke Gesell-Kritik? "Wer wird wagen zu klagen, wenn die bedeutensten Häupter der Staatsökonomie, der Finanzen, des Unterrichts und der Magistratur, gestützt auf die öffentliche Gunst, im Namen der Wissenschaft und der Interessen redend, nachdem sie ihre Ideen von den großen Mächtigen des Staates haben annehmen lassen und dem Gesetzgeber seine Lektion vorgesagt haben, zu unserem alten Plunder von Demokratie, Aristokratie und Monarchie noch die Bankokratie, die Herrschaft des Bankrotts hinzufügen werden?" P J. Proudhon Gesell und seine Lehre sind extrem gegensätzlich beurteilt worden; das Spektrum reicht von gehässiger Diffamierung bis zu "Schwärmerei" und "halbreligiöser Verehrung", wie Keynes es formuliert. Der Keynes-Interpret George Garvy hält seine Lehre für die "Theorie eines typischen monetären Kautzes (..), dessen Name in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten" sei. Eine Denkschrift des SPD-Vorstandes nannte sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg "Profitanarchie" und eine "Ichsucht-Theorie", ein bemerkenswertes Urteil aus dem Lager währungspolitischer Versager in der Weimarer Republik (s. Kap.13). Ganz anders sieht das Gerhard Ziemer: "Der Name von Gesell muß im Zusammenhang mit der Bekämpfung der großen Deflationskrise lobend erwähnt werden, weil es weitgehend die zuerst von Gesell entwickelten Grundansichten waren, die von den Reformern (des Geldwesens; K. S.) vertreten wurden und in ihrer Weiterentwicklung der heutigen modernen Konjunkturbetrachtung zugrunde liegen." Der Erlanger Ökononomieprofessor Oswald Hahn hält Gesll (neben John Law) sogar für "genialer als den alten Physiokraten Francois Quesnay und den im Urteil Wilhelm Hankels "größten Ökonom des Jahrhunderts", John Maynard Keynes (s. Anm. Text 8). Ähnlicher Auffassung ist der brasilianische Exekutivdirektor des Internationalen Währungsfonds, Alexander Kafka, wenn er meint, "Gesells Rezeptur" des Schwundgeldes sei "ein besserer Weg" zur Wirtschaftsbelebung, als die schleichende Inflation des von ihm verehrten Keynes. Dieser "größte Ökonom des Jahrhunderts" wiederum schätzt Gesells von "leidenschaftlicher" und "erregter Hingabe für gesellschaftliche Gerechtigkeit durch-
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strömtes" Werk höher ein als das von Karl Marx; er glaubt, "daß die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird". Der erklärte Nicht-Marxist Prof. Josef A. Schumpeter jedoch empfindet diesen Vergleich der "Größe von Marx" mit C. H. Douglas und diesem "skurilen Experten (...) der Zinsknechtschaft", wie der Bankier Jürgen Pronto ihn nennt, geradezu als persönliche Beleidigung. (201) Auch unter den Anarchisten ist Gesell umstritten, doch die namhaften deutschen Libertären äußern sich durchweg positiv zu seiner Lehre. Der Proudhonist Arthur Mülberger (einer der deutschen Herausgeber der interessanten Kontroverse Bastiat/Proudhon über den Zins (202)), der bereits Ende des vorigen Jahrhunderts eine der ersten Schriften Gesells rezensierte, glaubt zwar, daß das Schwundgeld nicht angenommen werden würde (was die Praxis widerlegt hat), er lobt jedoch Gesells "Stellungsnahme zur ganzen Währungsfrage, die berghoch über den Ergüssen der Metallenthusiasten (den damaligen Goldwährungsanhängern; K. S.) steht", und befürwortet nachdrücklich Gesells Anliegen, "die Parität zwischen Ware und Geld herstellen" zu wollen: Das sei "nichts anderes (als) das Losungswort der sozialen Revolution, die wahre Formel des Sozialismus, der sich selbst begreift und alle gouvernementalen und kommunistischen Utopien abschüttelt" (203) (s. Text 5). Der Sozialanarchist Gustav Landauer nennt Gesell einen "der ganz wenigen, die von Proudhon gelernt haben, seine Größe anerkennen und im Anschluß an ihn zu selbständigem Weiterdenken gekommen sind" (204) (s. Text 4). Landauer, der Gesells Schwundgeld-Vorschläge für "sehr wertvoll" hält, war maßgeblich daran beteiligt, daß Gesell von dem "Nationalbolschewisten" Ernst Niekisch 1919 als Volksbeauftragter für Finanzen in die Münchener Räterepublik berufen wurde, um dort seine "FreigeldTheorie in die Praxis umzusetzen. Dazu ist es leider nicht gekommen, weil die Räterepublik von den Kommunisten okkupiert und von der Reichswehr unter Führung der Berliner SPD-Regierung blutig liquidiert worden ist. Landauer war eines ihrer Opfer. Der Anarchokommunist Erich Mühsam hielt Gesells Geldtheorie immerhin für eine Methode, die die Inflation von 1919 bis '23 hätte verhindern können, und für brauchbar, als "Übergangsverfahren vom kapitalistischen Währungssystem zum geldlosen Kommunismus" dienen zu können (205) (s. Text 8). Soweit mir bekannt ist, hat nur der Anarchosyndikalist Fritz Dettmer ernsthaft versucht, 1931, während der großen Deflationsskrise, Gesells Geld-, Zins- und Bodentheorie zu widerlegen, allerdings vergeblich, wie ich meine. Der Freiwirtschaftler J. Glemmer hat das in seiner auf alle Kritikpunkte Dettmers gründlich eingehenden Entgegnung in "Die Internationale" bewiesen. (206) file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_14.htm (2 von 17) [15.02.2002 19:39:58]
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Wie den meisten bürgerlichen Ökonomen, paßt auch den Marxisten Gesells Freiwirtschaftslehre nicht ins Konzept. Karl Korsch führte 1926/ 27 immerhin eine ausführliche Diskussion mit dem damaligen Physiokraten und späteren Sozialdemokraten Otto Martin Hoffmann (Pseudonym: Diogenes) über die Preis- und Werttheorie in der proletarisch-freiwirtschaftlichen Jugendzeitschrift "Der Ring"; auf die Inhalte von Gesells Geldund Zinstheorie ist Korsch jedoch nicht eingegangen. (161) Paul Mattick referiert Gesells Geldtheorie kurz und sachlieh, aber ohne Stellungnahme, in seiner Keynes-Kritik "Marx und Keynes". (207) Ernst Bloch - der sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg über die "Neunmalklugen" und "Halbdenker" mokierte, die sich in ihrer Abneigung "gegen den sogenannten (!) Stalinismus", den sie nicht vom Faschismus unterscheiden könnten, (208) vor dem "drohenden Staatskapitalismus" und der "totalen Verapparatlichung entsetzten" - hält die Freiwirtschaftslehre für ein "zwerghaft-komisches Gebilde", das sich "an den bedenklichsten Utopisten anschließt an Proudhon. Er meint, "das Kapital wird in Silvio Gesells Freigeld Träumen durch eine Art gemäßigte Inflation 'abgeschafft' ". (209) In der bekannten Art eines alles und alles besser wissenden Marxisten kritisiert Bloch etwas, was er gar nicht verstanden hat. Er ist nicht einmal in der Lage, das "Schwundgeld" einer Inflation von Gesells Schwundgeld mittels einer Hortungsstrafgebühr, mit dem Gesell gerade Inflation (und Deflation) verhindern will, zu unterscheiden. Ein Unterschied, den der "bürgerlichen" Ökonomen Kafka in seiner Keynes-Würdigung gerade als Vorzug vor Keynes' inflationistischer Konjunkturtheorie hervorhebt (siehe oben)! . . an der Person Gesells Gesell jedoch als einen "dahergelaufenen faschistoiden Demagogen" und massenfeindlichen Antisemiten vorzuführen, blieb bislang dem verantwortlichen Redakteur der anarchistischen Zeitschrift "Schwarzer Faden" (SF), Horst Blume, vorbehalten. Anlaß für sein dort veröffentlichtes Pamphlet Silvio Gesell - "der Marx der Anarchisten" - ein Faschist! (210) gab die alle paar Jahre wieder aus der Versenkung auftauchende Berliner Anarchozeitung "agit 883" mit ihrer Sondernummer 2Silvio Gesell - der Marx der Anarchisten? (211). Als Grundlage für sein sieben Seiten langes Machwerk diente Blume offenbar die Diplomfleißarbeit eines gewissen Elger aus Marburg, (212) Sekundärliteratur also. Um zu beweisen, daß Gesell ein Faschist ist, der die Rechte der Massen beschränken will, wie das "faschistische Diktaturen" und "konservativ-reaktionäre Regierungen" täten, wendet Blume die bekannte Methode an Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen. So zitiert er z. B. lediglich den
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folgenden Satz von Gesell: "Die Rechte der Massen können niemals eng genug begrenzt werden." Den sich hieran anschließenden wichtigen, den Sinn erklärenden Satz unterschlägt er: "Dafür müssen aber die Rechte der Menschheit (von Gesell hervorgehoben!) um so mehr erweitert werden". (213) Vier Zeilen weiter lesen wir bei Gesell den ebenfalls von Blume unterschlagenen Kernsatz: "Völkerrecht ist Krieg - Menschenrecht ist Frieden." Wie wir sehen, vertritt Gesell (der sich selbst "Akrat" nennt und als Physiokrat bereits 1913 als "linker Flügelmann der Parteien" ins politische Spektrum einordnete (214)) hier also nachdrücklich und für jedermann verständlich, nur nicht für Blume, den Vorrang der Individual- und Menschenrechte vor den kollektiven Rechten der Völker, Rassen, Klassen, Massen, Religionsgemeinschaften und des Staates. Er betont ausdrücklich (und hebt auch das kursiv hervor), daß "der Fortschritt (...) vom Massenrecht zum Recht des Einzelmenschen" geht - ein individualanarchistisches Verständnis von Fortschritt. Ebenso wie Max Stirner, (215) gibt auch Gesell dem "Einzigen", sich selbst gehörigen Individuum den Vorrang vor der Gesellschaft (dem Staat etc.), wie auch vor der Gemeinschaft, in der das Individuum, laut Stirner, als "Glied" des Staates oder "Exemplar" der Gemeinschaft ideologisch (durch "fixe Ideen"; Marx: "falsches Bewußtsein") bzw naturwüchsig und tiefenpsychologisch (durch "Triebe") an die übrigen Glieder der Gesellschaft und Exemplare der Gemeinschaft "gebunden" ist und in der gegebenenfalls (wie während der Währungskatastrophen in der Weimarer Republik) die von Wilhelm Reich beschriebene "emotionale Pest" (216) gedeiht. Gesell gibt dem autonomen und von seinem "Willen" selbstbestimmten Individuum den Vorzug vor der konservativ-faschistoiden Massen, wie wir sie gegenwärtig im Khomeini-Regime agieren sehen, und die Dr. Goebbels, auf seine eigenen, seinem "Führer" verfallenen Volksgenossen bezogen, "30 Millionen Trottel" nannte. Gesell zitiert Swift, der sinngemäß gesagt hat: "Ich habe immer die Staaten und Gemeinden gehaßt - meine Liebe geht auf den Einzelmenschen", z. B. auf jene Frauen, die von sadistischen Religionsfanatikern im Massenwahn zu Tode gesteinigt, oder auf jene Juden und Palästinenser, die, wie Gustav Landauer und palästinensische Kinder, von Rassistenund Chauvinistenhorden zu Tode geprügelt und abgeknallt werden. Dieser "Staatsverneiner", wie Mühsam Gesell nennt, vertritt also eindeutig eine individual-anarchistische Position, während Blume offenbar unbekannt ist, daß der staatsverherrlichende Faschismus eine Massenbewegung ist und insofern einen demokratischen Faktor in sich birgt, der rechts der Anarchie einzuordnen ist. (216a) Blumes Methode, Tatsachen in ihr Gegenteil zu verkehren, läßt sich hervorragend mit folgendem Beispiel belegen. Um dem extremen Kosfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_14.htm (4 von 17) [15.02.2002 19:39:58]
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mopoliten Gesell, der mit den Juden Landauer und Mühsam freundschaftlich verkehrte, (217) Antisemitismus anzuhängen, zitiert Blume aus dem genannten "wissenschaftlichen" Machwerk Elgers: "Als ich (Elger) in freiwirtschaftlichen Zeitungen von unserem semitischen Geldwesen las, begriff ich die Bedeutung dieser Stelle. Gesell hat seine Bezüge zur rechtsradikalen Ideologie streckenweise sehr gut getarnt. Er drückt diese in gehobenem Niveau aus. So taucht das Wort Jude kaum in der 'Natürlichen Wirtschaftsordnung' auf. Er spricht vornehm vom - Zinsnehmer!!" "Die Absurdität ist schreiend" (Schopenhauer): Weil das Wort "Jude" bei Gesell "kaum" auftaucht, ist er Antisemit! Eine Dialektik, die eines stalinistischen Staatsanwalts würdig ist! So argumentierten die kranken Hirne der Inquisition: Die "Hexe" gesteht (unter der Folter, versteht sich), also ist sie schuldig; die "Hexe" gesteht nicht, also ist sie ebenfalls schuldig. Begründung: Sie widersteht der Folter, weil sie mit dem Teufel im Bunde ist! (Immerhin liegt in dieser Argumentation mehr Logik, als in der Blumes.) Hier ist wohl die Frage erlaubt, worin sich eigentlich Stil und Methoden Elgers und Blumes unterscheiden von dem Stil und den Methoden des antisemitischen NS-Hetzblattes "Der Stürmer" oder des konservativen Politikers F J. Strauß, der Linke in der BRD ungestraft "Ratten" und "Schmeißfliegen" nennen durfte, oder die BZ und Bild-Zeitung, deren Pogromhetze zum Tode Benno Ohnesorgs und Rudi Dutschkes beitrug. Ich werde hier nachholen, was Blume bei seiner "Kritik" an Gesell versäumt hat: aus einer Schrift von Gesell selbst zu zitieren, um damit zu zeigen, was dieser tatsächlich über Juden und darüber hinaus über "Judenhetzerei" im Zusammenhang mit dem Geldwesen bereits 1891 geschrieben hat. "Bei dem heutigen Geldwesen hat der Geldinhaber dem Wareninhaber, d. h. dem Produzenten, gegenüber große Vorrechte und wenn er aus diesen Vorrechten Nutzen zu ziehen sucht, so tut er nicht mehr, als jeder andere an seiner Stelle auch tun würde. Die Juden beschäftigen sich nun mit Vorliebe mit Geldgeschäften (weil ihnen fast alles anderes verboten war; K. S. ) und es ist klar, daß diese Vorrechte des Geldinhabers darum auch vorzugsweise den Juden zugute kommen. Hat aber darum Herr Stöcker (Gründer der antisemitischen ChristlichSozialen Arbeiterpartei und Hofprediger Kaiser Wilhelm II. ; K. S. ) ein Recht, die Juden zu verfolgen?
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Ist nicht das Geld eine öffentliche Einrichtung, kann nicht jeder, wenn er dazu befähigt ist, den Juden Konkurrenz machen, hat nicht jeder, selbst Herr Stöcker, den geheimen Wunsch gehegt, selber Bankier zu sein? Die Judenhetzerei ist eine kolossale Ungerechtigkeit und eine Folge einer ungerechten Einrichtung, eine Folge des heutigen Münzwesens. " (218) Im Gegensatz zu Gesell und in merkwürdiger Übereinstimmung mit den NS-Rassisten (die z. B. Gesells Freilandlehre als "internationalistisch" ablehnten (218a)), setzen Elger und Blume Jude und "Zinsnehmer" gleich! Das ist allerdings keine exklusive Erscheinung bei ihnen und den Nazis, was die zahlreichen Äußerungen Fouriers, Bakunins, Marxens, Proudhons und anderer Sozialisten über die "Zinsjuden" bezeugen. (219) Doch ihre Gleichsetzung von Zins und Jude wird heute von Linken verschämt totgeschwiegen... Nun gab es allerdings völkisch und antisemisch orientierte Figuren in der Freiwirtschaftsbewegung und auch entsprechende Druckerzeugnisse. Die einzige relevante völkische Zeitschrift in dieser Bewegung, die "Deutsche Freiwirtschaft - Monatsschrift zur Überwindung der kapitalistischen und sozialistischen Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld", haben Gesell und seine Freunde W. Beckmann (Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes der Angestellten in Berlin), Dr. Ch. Christen (Mitarbeiter Gesells in der Münchener Räterepublik), O. Maaß (Vorsitzender des Kartells Erfurt des Deutschen Beamtenbundes), Prof. K. Polenske (Mitglied der USPD, der linken Abspaltung von der SPD) und O. Weißleder (Bergwerksdirektor) noch im ersten Jahr ihres Erscheinens 1919 übernommen und zu einem Blatt umfunktioniert, das Gesells radikalen kosmopolitischen Vorstellungen entsprach. Der Untertitel und die völkischen Anzeigen flogen mit samt ihren (damals noch als relativ harmlos empfundenen) Hakenkreuzen raus und im Oktober 1920 wurde die Zeitschrift in "Die Freiwirtschaft durch Freiland und Freigeld" umbenannt. Der Kurswechsel ist also schon äußerlich für jedermann deutlich erkennbar, auch für Elger und Blume. (Siehe Diagramm S.19!) An wenigen Stellen seiner tiefschürfenden Analyse wird Blume allerdings sachlich. So behauptet er tatsächlich, der Zins sei eine Bagatelle. Um diese These zu untermauern, bemüht der "Anarchist" Blume den Marxisten (!) Ernest Mandel. Nach Mandel sei der Zins, den der Unternehmer dem Kreditgeber zahlt, "nur ein sehr unbedeutendes Element der Produktionskosten (..): 0,4% des Selbstkostenpreises von Fertigwaren; 0,8% des Selbstkostenpreises von Bergbauprodukten und 0,2% der Distrubtionskosten". Wie wir Kapitel 2 gesehen haben, macht der Zinsanteil an den Waren-
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preisen nicht 0,2 bis 0,8 %, sondern durchschnittlich 26 bis 28 % aus. Das gilt selbstverständlich für die Produkte, die der Unternehmer zur Weiterverarbeitung einkauft, ebenso, wie für die Produkte, die er verkauft; auch in den Halbfertigprodukten stecken eigene Zinsen wie fremde Kreditkosten, Renditen und Bodenrenten. In der Miete - dem größten Ausgabenposten für den Lebensunterhalt der Lohnabhängigen - beträgt der Zinsanteil sogar 50 bis 80%, also mehr als das 100- bis 400fache von dem, was Blume aus Mandels Marxistischer Wirtschaftstheorie herausgepult hat. Um sich mit der Wirklichkeit vertraut zu machen, hätte Blume besser ein CDU-Mitglied statt einen Marxisten konsultieren sollen; diese bürgerlichen Herren kennen sich da besser aus. So schätzte ein CDU-Politiker auf einer Berliner Mieterveranstaltung 1987 den Zinsanteil am Mietpreis auf runde 95%! Ich will durchaus nicht behaupten, daß es an Gesells Ideen, insbesondere an manchen durchaus fragwürdigen Stellen seiner Sozialphilosophie, nichts auszusetzen gäbe; ihn jedoch als Rassisten, "Faschisten" und "geschwätzigen" (220) "Demagogen" darzustellen, ist unredlich, peinlich und destruktiv, entspricht Umgangsformen und psychologischen Abwehrmechanismen, wie sie allerdings in Patriarchaten üblich sind, (221) die in linken Kreisen jedoch überwunden sein sollten. ... an der Freigeld-Lehre Ohne denunziatorische Umschweife, geht der alternative Keynes-Experte Hanjörk Herr auf Gesells zentrales Anliegen ein, er versucht mit sachbezogenen Argumenten dessen Freigeld-Lehre zu widerlegen - allerdings ohne Erfolg, wie ich meine. Ich will das an Hand eines Beitrags zu belegen versuchen, den er für den 1986 erschienenen Sammelband "Perspektiven ökologischer Wirtschaftspolitik" geliefert hat und in dem viele Argumente auftauchen, die er auch in anderen Schriften gegen Gesells und ebenso gegen Dieter Suhrs Geldanalysen vorbringt. (222) Sie sind beispielhaft für den Tiefgang linker Freigeld-Kritik. 1. Zunächst beklagt Herr ganz allgemein: "In schillernden Schattierungen werden innerhalb von Teilen der Alternativbewegung Reformvorschläge des Geldwesens unterbreitet, die mit einem Schlag die Übel des Kapitalismus beseitigen wollen. Die Vorschläge gehen im deutschen Sprachgebrauch mehr oder weniger auf Ideen Silvio Gesells zurück." Dazu war bereits 1983 bei Suhr, der der Freigeldlehre nahesteht, ohne sie zu kopieren, in "Geld ohne Mehrwert" zu lesen: "Sicher bringt die Entthronung Mammons nicht das Paradies auf Erden. Jede Vision, die eine
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bestimmte Sache betrifft, schießt über die mögliche Wirklichkeit hinaus, denn sie wird noch nicht gebremst durch die in der Zukunft schlummernden Probleme, die sich erst noch zeigen müssen. Mit dem 'Geld ohne Mehrwert' verschwände nur das 'Geld mit Mehrwert' vom Markt, nicht aber alle anderen Monopole oder monopolartigen Güter, die entsprechende Marktpositionen vermitteln" (223) (wie z. B. der Boden und das akkumulierte Finanzkapital). 2. Herr wirft den Gesellianern vor, daß nach ihrer Meinung "das Problem der Krise (..) allein bei der Zinsrate und fehlenden Nachfrage liegen" soll. Dem habe bereits Keynes widersprochen: "Aber ich (Keynes) behaupte, daß eine typische und oft die vorherrschende Erklärung der Krise primär nicht eine Erhöhung des Zinsfußes, sondern ein plötzlicher Zusammenbruch der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist." Genau das aber ist auch die Aussage der Gesellschen Krisentheorie. Nur ziehen die Gesellianer andere Schlußfolgerungen aus diesem Zusammenhang als die Anhänger der "Zinsknechtschaft". Während die Zinsfetischisten die Wiederherstellung einer für das Lockermachen des Geldkapitals ausreichende Kapitalrendite ("Profitrate") fordern und z. B. (im Sinne der angebotsorientierten Wirtschaftstheorie Friedmans) durch Lohndrückerei (wozu auch die Liquidierung der Gewerkschaft Solidarnosc durch die Kommunisten diente) herzustellen versuchen, fordert Gesell die Reduzierung des Geldzinses auf durchschnittlich null Prozent mittels Durchhaltekosten für das Geld und somit auch für das Finanzkapital. Bis auf null Prozent kann dann auch jener Mehrwertanteil sinken, den Marx Profit und wir Kapitalzins oder Rendite nennen, ohne daß es durch den Riegel Liquiditätsverzichtsprämie, also durch den Kreditzinses, durch die "Zinsrate" über Null, vor erreichter "Vollinvstition" (Keynes; s. Kap. 4) zum Abbruch der Investitionstätigkeit und zur Krise kommt (s. Kap. 2). Nichtsdestoweniger ist auch der Umkehrschluß richtig. Herr will doch nicht behaupten, daß es bei willkürlicher Erhöhung der Kreditzinsen durch die Banken über die begrenzte Rendite des Produktivkapitals hinaus nicht ebenfalls zu einer Krise kommt. Die Verschuldungskrise in den Dritte-Welt-Ländern ist ein katastrophales Beispiel hierfür: viele dieser Länder hatten sich vor allem zur Zeit eines niedrigen Zinsniveaus verschuldet und sind durch die späteren Zinserhöhungen der Banken in die Krise geraten! Mit Keynes ist Gesell nicht zu widerlegen (s. Keynes' Gesell-Kritik Kap. 6). 3. Herr behauptet, daß Suhrs "Aussage, daß die Existenz des Zinses den Wachstumszwang kapitalistischer Ökonomie ausmacht", falsch sei:
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"Ein hoher Zinssatz bildet vielmehr eine Wachstumsbremse." Suhr weiß sehr wohl, daß der Zins als solcher (wegen der Grenzleistungsfähigkeit des Realkapitals, Kreditzinsen für Neuinvestitionen zahlen zu können) Wachstum bremst. Herr übersieht jedoch, daß der Geldzins Kapitalzins voraussetzt und daß letzterer Wirtschaftswachstum zwingend erfordert! Suhr hat klargemacht, daß das viele Geld der Reichen und Superreichen, dieses "Geld ohne Bedarf" an Konsumgütern, nur ein Interesse hat: ihre durch Zinseszinsakkumulation exponentiell anschwellenden Geldvermögen (ihre wachsenden Liqiditäten) erneut gegen Zins (gegen Liquiditätsverzichtsprämien) in Investitionen anzulegen, damit sie weiterwachsen usf. (224) Das ist jedoch nur möglich, wenn die Volkswirtschaft und/oder der Staat in steigendem Maße rentable Anlagemöglichkeiten zur Verfügung stellen. Diese Voraussetzung bietet jedoch nur eine wachsende, und zwar eine exponentiell wachsende Wirtschaft! Für Wachstum und Anlagemöglichkeiten hat nicht zuletzt der Staat zu sorgen, z. B. durch Stadtsanierungen, Förderung Milliarden verschlingender Atomkraftwerke, durch Subventionierung der Autoindustrie mittels staatlich finanzierten Straßenbaus, dessen Finanzierung durch Benzin- und Autosteuern nicht gedeckt ist, durch Ingangsetzung des SDI-Programms usw. Wir können diesen Zusammenhang Staatskapitalismus nennen, über den - wenn er konjunkturbelebend funktionierte - viele Arbeitslose entzückt sein würden. Und schließlich: ohne Zins- und Zinseszinsakkumulation gäbe es kaum diese mächtige Plutokratie, die mit ihrem Geld und mit Hilfe der von ihnen finanzierten Parteien und der Staatsgewalt (siehe Häuserkämpfe und die Schlachten bei Whyl, Brokdorf, Wackersdorf und anderenortes) trotz z. B. einer Stromerzeugungs-Überkapazität von 50 Prozent - ihre Investitiones- und Wachstumsprogramme durchsetzen können. Herr vermag nicht zwischen Zinsfuß und akkumuliertem Zinsvermögen zu unterscheiden. Er begreift nicht die Doppelfunktion des Zinses, wenn er einmal als Zinsfuß im Zusammenhang mit der Grenzleistungsfähigkeit des Realkapitals als Bremse der wirtschaftlichen Entwicklung fungiert und zum anderen als akkumuliertes Zinseszinsvermögen als Motor des Wirtschaftswachstums fungiert. Diese widersprüchliche Doppelrolle des Zinses ist jedoch - neben der Absurdität der Zinseszinsakkumulation selbst - der antagonistische Widerspruch des Kapitalismus: die Ursache für den im Rahmen dieses Systes unüberwindbaren Widerspruch von Wachstumszwang und Absatzkrise. 4. Herr ist der Meinung, daß das Wachstum und damit die Umweltzerstörung allein ein "Resultat der allokativen (225) Wirkung rein über die
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Marktpreise vermittelter Produktion und Konsumtion" sei. Ist der Zins kein Preis? Der Zins ist der Preis für die Überlassung von Liquidität, der Preis für Kredit. Ausgerechnet der Kredit-, der Liquiditätsverzichtspreis soll keine Wirkung auf das Wachstum haben? Als Zins hat der Kreditpreis nicht nur, wie Herr ja selbst sagt, eine investitions- und damit wachstumsbremsende, sondern auch eine investitionsstimulierende und -motivierende Wirkung. Auch das hat Suhr einleuchtend in "Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus" erklärt: Die Rentabilität bestimmt die Investitionstätigkeit der Unternehmer und damit das Wirtschaftswachstum. Rentabel wirtschaftet ein Unternehmer jedoch nur, wenn er über seinen Unternehmerlohn hinaus einen Gewinn erwirtschaftet: wenn sein Unternehmen eine Rendite abwirft. Dabei ist es gleichgültig, ob er sie (als Kreditzins) an den Kreditgeber abführen muß, oder ob er sie (als Eigenkapitalzins) in die eigene Tasche stecken kann. "Denn er muß bedenken", schreibt Suhr; "daß seine Bestände einen Vermögenswert (Kapital! K. S.) darstellen, der, anderweitig angelegt, Renditen erbringt, also (durch Zins- und Zinseszinsakkumulation! K. S.) wachsen würde. Und an diesem möglichen Wachstum seines Vermögens muß er messen, ob auch sein unternehmerisches Kapital wächst. " (226) Erwirtschaftet er nur einen Unternehmerlohn für sich, dann "schießt (er) ständig etwas zu": die entgangenen Zinserträge bzw die entgangene Zinseszinsakkumulation. Diesem Scheinverlust kann er nur entgehen, wenn er dafür Sorge trägt, daß sein Unternehmen in gleichem Maße wächst, wie die Zinseszinsakkumulation in der gesamten Volkswirtschaft. 5. Herr schreibt: "Der Charakter der Zinsen als leistungsloses Einkommen und deren destruktive Wirkung werden (von dem "Gesellianer" Suhr; K. S.) klar erkannt". Zwei Seiten vorher heißt es ohne nähere Erklärung: "Die Ungerechtigkeit der Existenz des Zinses ist nicht das eigentliche Problem." Ein merkwürdiger Widerspruch! Die "Ungerechtigkeit" der Zinsen durch die Belastung der Preise, insbesondere der Mietpreise, und bei der Einkommens- und Vermögensverteilung zu Ungunsten der Produzenten und Konsumenten, und die "destruktive Wirkung" der Zinsen für die Konjunktur und die Arbeitslosen, bezüglich der Kapitalkonzentration und für die Umwelt, und ihre unsoziale und destruktive Wirkung für die Menschen in Polen, Rumänien (227) und in der Dritten Welt (s. Kap. 2) für den Alternativo Herr ist das alles "nicht das eigentliche Problem"! Aber was ist dann sein Problem? Das er mit mit Gesells und Suhrs Geld- und Zinsanalysen nicht zu Rande kommt?
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6. Herr behauptet, "eine Kreditexpansion kann (..) nicht durch Durchhaltekosten (für Geld, K. S.) erzwungen werden, (wenn) die Geschäftsbanken erst gar kein Geld bei der Zentralbank entstehen lassen"; Durchhaltekosten würden also nichts zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise beitragen. Herr hat nicht geschnallt, daß es den Schwundgeld Theoretikern gar nicht darauf ankommt, "Kreditexpansion" und damit Wirtschaftswachstum anzuleiern. Ganz im Gegenteil: es geht ihnen um wirtschaftliches Gleichgewicht in einer (quantitativ) möglichst nicht wachsenden Volkswirtschaft. Das heißt, es soll mit einem Geld unter Umlaufzwang sichergestellt werden, daß die Menschen nur so viel produzieren, wie sie auch konsumieren wollen. Diejenigen, die mehr produzieren als sie verbrauchen und somit Ersparnisse anlegen, mit denen sie keine Nachfrage halten und damit wiederum jenseits ihres Arbeitsplatzes Arbeitslosigkeit produzieren, sollen durch eine entsprechend hohe Geldsteuer gezwungen werden, entweder zu konsumieren oder anderen ihre Ersparnisse zinsfrei zum Zwecke des Konsums oder der Nachfrage nach Investitionsgütern zur Verfügung zu stellen oder - falls sie, z. B. aus Mangel an Investitionsmöglichkeiten, ihr erspartes Geld nicht loswerden - ihre Produktion durch Arbeitszeitverkürzung auf ein gesellschaftlich erwünschtes Maß zu reduzieren. Der durch die Sonderstellung des Geldes und die Zinseszinsakkumulation bedingte Widerspruch zwischen "Geld ohne Bedarf" und "Bedarf ohne Geld" (Suhr (228)) soll überwunden werden. Das dürfte nachhaltig zu einer bedarfgerechteren Produktion und Arbeitszeit- und Arbeitsplatzverteilung in der Volkswirtschaft beitragen. Es wäre konstruktiv gewesen, wenn Herr diesen Zusammenhang, zu dem es sicherlich vieles zu sagen gibt, diskutiert hätte. 7. Herr schreibt: "Geldreformer stellen die Geldnachfrage für Hortungszwecke in den Mittelpunkt der Analyse zur Ableitung der NichtNeutralität des Geldes, während das Geldangebot über Kreditexpansion das Primäre ist." Herrs Vorwurf trifft nur orthodoxe Gesell-Anhänger. Für die Krisen zu Gesells Lebzeit (Deflationskrisen in Argentinien im vorigen Jahrhundert, Weltwirtschaftskrise 1929 bis '33) war diese Analyse durchaus zutreffend. Suhr Theorie bezieht sich jedoch auf die heutigen Geld-, Zins- und Krisenprobleme. Suhr schreibt in dem oben genannten Sammelband ausdrücklich: "Es verdient hervorgehoben zu werden, daß bislang an keiner einzigen Stelle davon die Rede war, daß die derzeitigen Krisenerscheinungen mit der Hortung von Geld zusammenhingen. Ebensowenig ist behauptet worden, es bedürfe zur Vermeidung solcher Hortung eines 'Umlaufzwanges' für das Tauschmittel 'Geld'. Im Gegenteil, ich bin überzeugt davon, daß 'Geldhortung' heute kein Problem ist und daß man mit der dogmatischen Litanei vieler Jünger von Gesell den monetären Strukturen unserer file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_14.htm (11 von 17) [15.02.2002 19:39:58]
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Wirtschaft in entscheidenden Punkten nicht beikommt. Deshalb ist es geradezu absurd und zeugt wiederum von Unkenntnis, wenn dem Konzept 'Geld ohne Mehrwert' (wie es Suhr in dem gleichnamigen Buch entwickelt hat, K. S.) immer wieder unterstellt und vorgehalten wird, es arbeite mit den unzulänglichen oder unzutreffenden Kategorien der 'Hortung' und des 'Umlaufzwanges'." Herr kann die unterschiedlichen Ansätzen von Gesell und Suhr nicht auseinanderhalten. Gesells Analyse beruht vorrangig auf der während der Gold(kern)währungen hochaktuellen Hortbarkeit des Geldes: sie verursacht die Krise und den (Ur-)Zins. Suhrs Analyse beruht - was immer noch aktuell ist - auf dem Liquiditäts- und Transaktionskostenvorteil und der "Joker"-Stellung des Geldes: sie versuchen - auch heute noch -, den Zins und damit die Krise. Diese Vorteile des Geldes vor allen anderen Waren sollen heute - immer noch - mittels Durchhaltekosten für Geld kompensiert werden, um die gegenwärtigen Währungs-, Liquiditäts- und Zinsprobleme zu lösen. Ich meine, das ist eine zeitgemäße, an Keynes anknüpfende Weiterentwicklung der Gesellschen Geld- und Zinstheorie durch Suhr (s. Kap. 7). 8. Herr befürchtet, daß die Wirtschaftssubjekte auf andere Tauschmittel zurückgreifen würden, wenn ein "Stempelgeld" eingeführt werden würde: auf Bankgeld, Devisen, Gold, "Juwelen" usw. An anderer Stelle behauptet er, das Schwundgeld würde "wie eine heiße Kartoffel von einem zum anderen gereicht" werden, "um Abwertungsverluste zu vermeiden". Aber was denn nun: verschwindet das "schlechte" Schwundgeld aus der Zirkulation und in Horten und übernehmen das "gute" Bankgeld, die "Juwelen" usw. die Tausch- und Zahlungsfunktion, oder wird das Schwundgeld "wie eine heiße Kartoffel" in der Zirkulationssphäre vom Lohnempfänger zum Kaufmann, vom Kaufmann zum Großhändler, vom Großhändler zum Fabrikanten, vom Fabrikanten zum Lohnempfänger gereicht, wo es doch nach Meinung von Herr für "maßlose Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes"' sorgt? Hat der Geldexperte Herr denn nie von dem in jedem Lexikon der Volkswirtschaftsslehre nachlesbarem Gesetz gehört, das der engliche Kaufmann Gresham bereits vor 400 Jahren formuliert hat: "schlechtes" Geld (hier Schwundgeld) verdrängt "gutes" Geld (hier Gold, "Juwelen" usw.) aus der Zirkulation und verbleibt allein im Umlauf? (66) Aber vielleicht weiß Herr es besser. Wahrscheinlich hat er festgestellt, daß die Leute von Wörgl lieber auf ihren Produkten sitzen blieben, statt Schwundgeld anzunehmen. Sicherlich wird er beobachtet haben, wie die Arbeiter, Bauern und Kleinbürger von Wörgl ihre Juwelen hervorkramten, um mit ihnen beim Bäcker ihre Frühstücksschrippen zu bezahlen (s. dazu Keynes' diesbezügliche GesellKritik, Kap. 6). file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_14.htm (12 von 17) [15.02.2002 19:39:58]
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Wenn Herr von "maßloser Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit" des Schwundgeldes spricht, so darf man das nicht so wörtlich nehmen. Es gibt keine maßlose Geschwindigkeit: die Höchstgeschwindigkeit im Kosmos beträgt 299.793 km in der Sekunde. Im Gegensatz zum Licht ist sie beim Geld extrem mickrig: kein für die Warenzirkulation relevantes Geld kann schneller umlaufen, als Menschen vom Empfang ihrer Lohntüte zum Kaufmann laufen können, nach meiner unsportlichen Einschätzung vielleicht 5 km in der Stunde. Wichtig ist, daß das Geld mit dieser Geschwindigkeit Schritt hält, d. h., daß nicht periodisch große Geldmengen aus dem Wirtschaftkreislauf herausgezogen werden können und damit der Weg des Käufers zum Kaufmann usw verhindert wird. Um den Geldbesitzern den "Geldstreik" zu vergällen und sie zu zwingen, entweder zu konsumieren oder ihr angehäuftes Geld anderen zinsfrei zur Verfügung zu stellen oder ihren Gelderwerb durch Arbeitszeitverkürzung zu reduzieren, haben Gesell und Johannsen die Hortungsgebühr bzw. die Geldsteuer erfunden. Auf Lichtgeschwindigkeit kann man seinen Umlauf jedoch nicht bringen. Auch an Herrs apokalyptischer Prophezeiung, eine "maßlose Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes" würde zum "Zusammenbruch der offiziellen Währung" führen, ist also nichts dran. 9. Doch unverdrossen bohrt Herr weiter. Er meint, daß gerade in diesem Geldangebotszwang und im Reduzieren des Zinses ein "weiterer zentraler Kritikpunkt" läge: "Zusätzliche Nachfrage durch die Verminderung oder Auflösung von Horten und selbst radikale Zinssenkung können zu eskalierender Inflation führen." Dazu ist folgendes zu sagen: a) Gesell wollte gerade durch die dauerhafte Auflösung der Geldhorte verhindern, daß Währungs- und Wertpapierspekulanten durch periodische Hortung von Geld und Auflösung dieser Horte das allgemeine Preisniveau verändern, damit die Währungsstabilität untergraben und so Krisen erzeugen und leistungslose Inflations- und Deflationsgewinne machen können (s. Kap. 3). Das Spekulationshorte auflösende und gleichmäßig umlaufende Schwundgeld wäre durch Geldmengenpolitik (z. B. der Notenbank) am Maßstab eines Preisindex mengenmäßig problemlos steuerbar und die Währungsstabilität garantiert (s. Kap. 5). Wenn Herr behauptet, durch die Auflösung der Geldhorte (vorausgesetzt, es gibt sie heute noch; s. Punkt 12!) käme es zu einer "eskalierenden Inflation", so widerspricht das der Logik: Sind die Geldhorte erst einmal aufgelöst, dann können keine Geldhorte mehr aufgelöst werden, die zu einer zusätzlichen Geldmenge in der Zirkulation und zu weiteren Preis-
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steigerungen führen könnten. Was soll da also "eskalieren"'? Hier eskaliert Herrs Phantasie. b) Statt die Konjunktur durch die Veränderung des positiven Zinses zu steuern (Diskontzins-Politik der Notenbank) und damit die Zinsknechtschaft zu verschärfen, will Gesell den positiven Zins durch den negativen "Zins" Durchhaltekosten auf durchschnittlich null Prozent drücken (Geldsteuer-Politik) und damit ein wirtschaftliches Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Güter- und Arbeitsmarkt herstellen. Wenn Herr möchte, kann er auf dieser Basis immer noch die Konjunktur regulieren: statt durch Veränderung der Zentralbankzinsen (Diskont- und Lombardsätze) durch die Veränderung der Durchhaltekosten (Geldsteuersätze). 10. Herr behauptet, Suhr wäre "mit keinem Wort auf die Inflationsproblematik" eingegangen. Herr sollte Suhrs Darlegungen genauer zur Kenntnis nehmen, bevor er sich über sie hermacht. In demselben Sammelband, in dem er Suhr kritisiert, schreibt dieser: "Wird der ökonomische Vorteil von Liquidität (Kassenhaltung) abgeschöpft, so wirkt das allerdings als ganz sanfter Druck auf Kassenhalter dahin, bei der Optimierung ihrer Vorhaltung von Liquidität noch schärfer zu kalkulieren. Wo sie bisher bei zu großzügiger Kassenhaltung Opportunitätskosten hatten in Gestalt entgangener Zinsen, dort treten dann echte Kosten ein. Das bewirkt einen leichten Angebotsdruck für Liquidität. Dieser sanfte Druck auf Kassenhalter ist dem vergleichbar, der von einer schleichenden Inflation ausgeht; aber im Gegensatz zur herkömmlichen Inflation wirkt sich die Abschöpfung des Liquiditätsvorteils nur auf die Kasse aus, während die Währung davon verschont bleibt. - Aus dem leichten Angebotsdruck für Liquidität resultiert ein etwas größerer Wirkungsgrad der volkswirtschaftlichen Gesamtliquidität ('Zunahme der mittleren Umlaufgeschwindigkeit des Geldmenge'). Diese Zunahme der 'Umlaufgeschwindigkeit' ist also ein Nebeneffekt der geldund ordnungspolitisch gebotenen Abschöpfung des Liquiditätsvorteils. Sie würde während der Zeit des Übergangs vom herkömmlichen Geld zu 'Geld ohne Mehrwert' inflationierend wirken können, wenn und soweit ihr nicht mit den herkömmlichen, bekannten und hinreichend bewährten Mitteln der Geldmengensteuerung entgegengewirkt wird." (229) Fundierte Kenntnisse über den Gegenstandes ihrer Kritik sind nicht die Stärke der Freigeld-Kritiker. 11. Herr vermutet, "daß Horten von Geld während einer Inflation ein absolut vernachlässigbarer Faktor ist".
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Endlich mal eine absolut richtige Aussage - in völliger Übereinstimmung mit Suhr! Doch weder Gesell noch Suhr wollen eine Inflation, und es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen inflationistischem "Schwundgeld" und dem Schwundgeld der Festwährung Gesells. Suhr hat das im Zusammenhang mit Keynes' ursprünglicher Idee von einem Geld mit Durchhaltekosten (s. Kap. 6) folgendermaßen erklärt: "Auch bei der Inflation entwertet sich das bereitgehaltene ("gehortete", K. S.) Geld in der Kasse. Es verursacht Durchhaltekosten (Kaufkraftverlust, K. S.), und man weiß, daß gerade dieser Effekt der Inflation einen kurzfristigen nützlichen, langfristig jedoch schädlichen Effekt für die Konjunktur hat; denn unsere heutige Inflation ergreift nicht nur das Geld in der Kasse, sondern auch die Währung als solche, insbesondere die Währungseinheit als den Maßstab für Kaufkraftschulden: Nicht nur die 'DM' in der Kasse, sondern auch die 'DM' an sich verliert an Kaufkraft. Und in diesem Punkt unterscheiden sich die von Keynes erwogenen Durchhaltekosten grundlegend von der landläufigen Inflation: Die Keynesschen Durchhaltekosten belasten nur das Geld in der Kasse (also die Geldhorte! K. S.), lassen jedoch gerade die Währung als solche von dem Schwund unberührt, der das Geld in der Kasse ergreift. Die Inflation jedoch erfaßt beides, weil das Geld in der Kasse sich absolut entwertet und nicht nur durch den Kostenfaktor 'Durchhaltekosten' relativ zur Währungseinheit. Wegen dieses grundlegenden Unterschiedes bleiben die langfristig nachteiligen Folgen der kurzfristig nützlichen Inflation beim 'Geld mit Durchhaltekosten' gerade aus. Beim 'Geld mit Durchhaltekosten' lassen sich also die segensreichen Wirkungen der Inflation mit denen einer stabilen Währung verbinden: 5% wohldosierte Inflation der Zahlungsmittel mit 0% Inflation bei der Währungseinheit: eine keynesianische Alternative zum Keynesianismus! " (230) 12. Immerhin gibt Herr zu, daß Schwundgeld - auch inflationistisches - zum "sanften Tod des Kapitalrentners" (Keynes) führt: "Die (inflationistischen, K. S.) Durchhaltekosten auf Geld waren so hoch, daß die Realzinssätze (in den 70er Jahren zeitweilig; K. S.) unter Null fielen." (231) Na, toll! Was Sozialismus und Kommunismus nicht geschafft haben, hat die Inflation (wenn auch nicht in der BRD, so doch in den USA und Japan) erreicht, und das auch noch im Rahmen der Marktwirtschaft: die Absenkung des Mehrwertanteils Geld- und Kapitalzins! Doch das paßt dem alternativen Herr nicht in den Kram, denn: "Das Lehrstück USA zeigt vielmehr, daß es zu einer Flucht aus dem Dollar in Sachwerte, in andere Währungen und ins Gold kam. Die Folge war nicht eine Mengenkonjunktur, sondern ein Hochschnellen der Inflationsrate. Die US-Zentralbank war dann ab 1985 auch gezwungen (!), eine radikale Hochzinspolitik zu betreiben und den Zerfall des Geldsystems zu stoppen." file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_14.htm (15 von 17) [15.02.2002 19:39:58]
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Die "Flucht aus dem (gehorteten?, K. S.) Dollar in Sachwerte" etc. (in Juwelen?), bester Herr, ist für Gesell ja gerade der Sinn der Veranstaltung Durchhaltekosten für Geld! Daß dann auch die Geldmenge im Sinne einer Festwährung reguliert werden kann, ist immer wieder ausgiebig durchgekaut worden. Dazu ist aber keine Hochzinspolitik notwendig. Sie verhindert auch keine Inflation, wenn trotz der Hochzinspolitik der Geldumlauf ausgeweitet wird, z. B. durch die Auflösung von Geldhorten, durch die Betätigung der Notenpresse, durch die Schöpfung billigen Geldes durch Privatbanken, durch den Zufluß fremden Geldes (Devisen) in die nationale Volkswirtschaft gerade wegen der hoher Zinsen!, oder weil wegen hoher Profite in einigen Wirtschaftssektoren trotz hoher Kreditzinsen durch Kreditaufnahme Leihgelder in den Wirtschaftsskreislauf fließen. Dagegen hilft nur Geldmengenpolitik, wie sie Gesell als Teil seiner Währungspolitik fordert. "Ein systemsprengendes Element der Keynesschen Vision ist die Beseitigung des Zinses und des Profits", schreibt Herr in einer Gesell-Kritik in der "Prokla". (231a) Doch Herrs Anliegen ist das offenbar nicht. Sein Kleben am Fetisch Zins dürfen wir wohl bestenfalls als schizophren bezeichnen, wenn er einerseits Suhr bescheinigt, den "Charakter der Zinsen als leistungsloses Einkommen und der destruktiven Wirkung auf die ökonomische Entwicklung (...) klar erkannt" zu haben, drei Zeilen zuvor jedoch eine "radikale Hochzinspolitik" für Währungspolitisch unabdingbar erklärt. Derartige ideologische Hilfsdienste für das Finanzkapital sollten ihm die Couponschneider mit einem Posten in einer Kapitalgesellschaft honorieren. 13. Kommen wir zum Schluß auf einen nicht unwichtigen Kritikpunkt zu sprechen, den Herr zwar nicht in seinem Beitrag zu den "Perspektiven", wohl aber in dem genannten Beitrag in der "Prokla" und in einem Artikel in der "zeitschrift für sozialökonomie" (231b) gegen Gesells Zinstheorie erhebt. Er betrifft die Stelle in der NWO (9. Auflage: S. 315f.), wo Gesell den Urzins aus der Vormachtstellung des Geldes des "Kaufmannes" über die Ware des Verkäufers ableitet. Ersterer, schreibt Gesell, kann mit dem Kauf der Ware warten, weil Geld keine Durchhaltekosten hat, so daß der Verkäufer der Ware mit Durchhaltekosten (fehlende Tauschgerechtigkeit!) einen Preisnachlaß gewähren muß. Das gelte jedoch nicht für jene Käufer, die nicht warten können, weil sie die Waren unmittelbar zum Leben benötigen. Herr meint nun, daß dieser Preisnachlaß "unweigerlich" zur Deflation führen müsse! Herr hat nicht begriffen, daß der finanzkräftige Käufer sein Geld nicht nur als Tauschmittel verwendet, also nicht nur, um andere Ware gegen Geld einzutauschen, sondern daß er es (Doppelfunktion der Geldes!) auch als Liquididtät anbietet! Für das Tauschmittel Geld erhält er den Tauschfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_14.htm (16 von 17) [15.02.2002 19:39:58]
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wert des Geldes in Form einer anderen, gleichwertigen Ware; für den spezifischen Wert des Geldes als Mittel der "Tauschfreiheit" (E. Knöller (232)): für seinen Liquiditätswert erhält er außerdem die Liquiditätsverzichtsprämie - vorausgesetzt, er vergibt Liquidität, zahlt also unverzüglich und in bar. Diese Art der Prämie nennen wir Skonto. Dieses Skonto läßt sich der Käufer - in der Regel ein Großhändler, der mit größeren Summen Eigen- und/oder Fremdkapital arbeitet - als Zwischenhändler vom Kleinhändler und dieser vom Endverbraucher bezahlen - andernfalls hätte er ja keinen Vorteil davon! Folglich wirkt dieser Preisnachlaß für den schnell und bar zahlenden Großeinkäufer auch nicht deflationistisch: die kleinen finanzschwachen und bedürftigen Käufer zahlen diese Prämie im Preis der Ware; sie wird also durch das Skonto für den Zwischenhändler nicht billiger für den Endverbraucher. Im Unterschied zum Kreditgeber, der seine Liquidität verleiht und daher für die Dauer des Darlehns ein "Skonto" erhält, tritt der Käufer einer Ware sein Eigentum an der Liquidität im Zusammenhang mit dem Tausch des Geldes als Tauschmittel gegen diese Ware an den Verkäufer ab. Folglich kann er diese Liquiditätsverzichtsprämie - anders als der Geldverleiher - nur einmal kassieren: bei Übereignung der Liquidität im Zusammenhang mit dem Tauschgeschäft: Das Skonto ist also lediglich eine andere Form des Urzinses als der Nettozins; beide sind keine Deflationsfaktoren. Mag sein, daß die "geldreformerischen Vorschläge" Gesells und Suhrs eine "Illusion" sind - wer weiß, wer weiß! -, doch worin sie besteht, hat Herr nicht aufzuzeigen vermocht (und etwas besseres ist ihm auch nicht eingefallen). Obwohl Herr sich gerne auf Keynes beruft (auf den staatsinterventionistischen selbstverständlich), bleibt er letztendlich bei seinem marxistischen Leisten: "Die Instabilität einer Geldökonomie liegt (..) in der Instabilität der Vermittlung der gesellschaftlichen Reproduktion über den Markt" - nicht also in der Instabilität der Geldzirkulation und des Zinssystems, Genossen!
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
15. Vom Kapitalismus befreite Marktwirtschaft eine anarcho-physiokratische Grundlage für kommunistische Gemeinschaften und freie Vereinigungen? "Nehmt die Konkurrenz weg... und die ihrer Triebkraft beraubte Gesellschaft wird wie eine Uhr stehenbleiben, deren Feder abgelaufen ist." "Die Natur hat den Menschen gesellig gemacht. " P. J. Proudhon Selbstverständlich lassen sich auch mit Gesells "natürlicher Wirtschaftsordnung" nicht alle ökonomischen und sozialen Probleme der Welt lösen. Es dürfte jedoch, nachdem wir Gesells Freiland-Freigeld-Lehre kennengelernt haben, kaum noch zu bezweifeln sein, daß sein Konzept einer Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und ohne feudale Relikte dem kapitalistisch-feudalistisch-patriarchalischem System an seine Wurzeln geht, daß es zwei zentralen Institutionen des Sytems den Garaus machen könnte: dem zinserpressenden Geld und dem Privateigentum an Grund und Boden. Mit ihrer Geld-, Zins- und Konjunkturtheorie und ihrem Schwundgeld-Konzept könnte Gesells Freigeld-Lehre offenbar einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung von Ausbeutung, Absatzkrisen und Arbeitslosigkeit und zur Minderung der Kapitalkonzentration und des Wachstumsdrucks leisten. Und mit ihrem matristischen Bodenrechtskonzept kann seine Freiland-Lehre zweifelsohne wesentlich zur Befreiung der Mütter und Kinder von materieller Abhängigkeit und somit auch von patriarchalischen Sozialstrukturen beitragen. Viele andere Probleme, wie das der Hierarchie und Herrschaft im Betrieb oder das der Macht und Gewalt des Staates in der Gesellschaft, müssen mit anderen Mitteln gelöst werden. Wir dürfen uns jedoch nicht auf den einseitigen Standpunkt stellen, den manche Autonome vertreten, daß es in erster Line darauf ankäme, das herrschende System zu bekämpfen und nicht, Utopien für eine neue Gesellschaft zu entwickeln. (233) Ich meine, daß beides gleich wichtig ist. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was die Geschichte lehrt: daß ohne die Lösung zentraler sozialökonomischer Probleme jede emanzipatorische und file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (1 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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sozialrevolutionäre Bewegung zum Scheitern verurteilt ist. Wir müssen begreifen, daß Ökonomie, Gesellschaft und Politik nicht zu trennen sind. Die Lösung zentraler sozialökonomischer Probleme ist die notwendige Voraussetzung für die Lösung vieler anderer sozialer, politischer und ökonomischer Probleme. So ist z. B. die Überwindung des feudalistischen Bodenrechts eine wichtige Voraussetzung zur Überwindung sozialer und politischer Probleme in der Dritten Welt oder die Überwindung von Konjunkturkrisen die Voraussetzung zur Überwindung von Strukturkrisen und Arbeitslosigkeit in den Industriegesellschaften. Um sozialökonomische Probleme lösen zu können, sind nicht nur revolutionäre Machtkämpfe, sondern ebenso fundierte Wirtschaftsanalysen und hieb- und stichfeste alternative Wirtschaftskonzepte notwendig. Denn ohne einen tragfähigen Boden und ohne einen klar durchdachten Entwurf kann der beste Baumeister kein standfestes und bewohnbares Haus errichten. Doch dazu liefert uns weder der Griff in die Mottenkiste der marxistischen, noch die Kapitulation vor der liberalistischen Wirtschaftsideologie, weder André Gorz' "Plan"-Wirtschaft noch die Marktwirschaft der Öko"libertären", das nötige Rüstzeug. Dort plattert der Regen durchs Dach, hier wackeln die Wände. Wir wollen nicht das alte, verrottete Haus renovieren, den "Kapitalismus modernisieren", wie es eine Berliner AL-Fraktion fordert. (Wie etwa in Thatchers England oder Reagens USA? Das soll wohl ein Witz sein!). (233a) Die Öko"libertären" wollen nur die Fassade neu streichen. Sie akzeptieren Zins und Rente, stehen folglich nicht in der zins- und rentenfeindlichen Tradition der Anarchisten, betreiben also Etikettenschwindel mit dem anarchistischen Begriff libertär. Sie sind nichts anderes als Liberale vom Schlage linker FDPler. (234) Wir wollen dieses Zuchthaus sprengen. Doch der Marxismus ist nicht das Dynamit, das seine Mauern zum Einsturz bringt, er ist selbst eine Ideologie des Zuchthauses. Während der Kapitalismus immerhin das Elend der Zinsknechtschaft mit dem materiellen Reichtum und der Liberalität der Marktwirtschaft verbindet, vereinigt seine marxistische Alternative, der "real existierende Sozialismus", das Elend der Zinsknechtschaft mit dem Chaos, der Armseligkeit und der Diktatur der Staatswirtschaft. Die liberalistisch-privatkapitalistische wie ihr Pendant; die marxistischstaatskapitalistische Wirtschaftsideologie haben historisch ausgedient, sie gehören beide auf den Misthaufen der Geschichte. Auch das von Anhängern beider Ideologien propagierte "garantierte Mindesteinkommen" für alle bzw für alle Arbeitslosen ist keine sehr ori-
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ginelle Idee, die "Wege ins Paradies" (Gorz) weisen könnte. Bereits die Machthaber im alten Rom hatten den von ihrem Grund und Boden vertriebenen und seit Generationen arbeitslosen Proletariern Brot und Spiele als "garantiertes Mindesteinkommen" aus dem Reservoir der unterdrückten, ausgeplünderten und zum Ergötzen des Pöbels in den Arenen abgeschlachteten Völker des Imperiums verpaßt, um es bei Laune und an der Seite des imperialistisch-patriarchalischen Sklavenhalterstaates zu halten. (235) Das garantierte Mindesteinkommen ist lediglich die Verlegenheitslösung von vermeintlich linken Politaktivisten, die nicht in der Lage sind, mit der gegenwärtigen Krise fertig zu werden. Die Öko"libertären" Gerhardt und Weber geben das auch ungeniert zu, wenn sie in einer Abhandlung über das Mindesteinkommen in einer Kapitelüberschrift programmatisch fordern: wir müssen "die Krise verstehen und mit ihr leben". (236) Dieser Zynismus führt, wie die "Karlsruher Stadtzeitung" (237) richtig bemerkt, zu einem "Indianerreservat" für lebenslänglich zur Arbeitslosigkeit verurteilter Menschen und zur Spaltung der Arbeiterklasse in privilegierte Inhaber eines Arbeitsplatzes und ein Heer von Erwerbslosen, das von den durch die Automation immer weniger werdenden Produzenten ausgehalten werden müßte. Letztere haben dann nicht nur Zinsparasiten, Subventionsempfänger, die Rüstungskosten usw, sondern auch noch eine wachsende Subkultur zu finanzieren. Anders als der CDU(!)-Mann Wolfram Engels (238) und C. H. Douglas (238a) kommen die Öko"libertären" noch nicht einmal auf die Idee, wenigstens den Versuch zu unternehmen, das garantierte Mindesteinkommen aus Zinsen zu finanzieren. Gorz können wir immerhin zugute halten, daß er ein Programm entwickelt hat, das nicht einen Teil der Bürger total aus dem Produktionsprozeß ausschließt: einen Anspruch auf das "Sozialeinkommen" erhalten nur diejenigen, die eine bestimmte Anzahl geleisteter Arbeitsstunden nachweisen können. (239) Dadurch würde die Gesellschaft nicht in priviligierte Inhaber eines Arbeitsplatzes und Dauerarbeitslose gespalten werden. Nicht nur Konservative wie der Anthropologe Arnold Gehlen, sondern auch Marx und Engels haben den Menschen vor allem als ein arbeitendes Wesen definiert. Bei aller Problematik entfremdeter Arbeit und ohne dem konservativen und sozialistischen Arbeitsethos das Wort reden zu wollen, muß gesehen werden, daß der Sinn menschlicher Arbeit vor allem der ist, es dem Individuum zu ermöglichen, seinen Lebensunterhalt mittels eigener produktiver Leistung selbst zu erzeugen. Ein System, das junge Menschen dazu verurteilt, jemals im Leben in die Lage zu kommen, ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeitsleistung zu erwerben, und sie statt dessen von Staatsalmosen abhängig hält, ist folglich ein unmenschliches System. Die Forderung nach dem garantierten Mindesteinkommen ist die Bankrotterklärung der linken und Alternafile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (3 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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tivszene. Ich meine, daß sich mit Hilfe der Gesellschen Freiwirtschaftslehre menschlichere, emanzipatorischen Ansprüchen genügende Perspektiven entwickeln lassen: Eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die jedem und jeder Arbeitsfähigen überall und jederzeit produktive Erwerbsmöglichkeiten bereithält mit Arbeitszeiten, die er und sie selbst bestimmen (dauerhaft krisenfreie Vollbetriebswirtschaft mit größtmöglicher Freizügigkeit); das Einkommen entspricht den individuellen bzw. kollektiven Leistungen und wird nicht durch Ausbeutungsmechanismen in Wirtschaft und Gesellschaft verkürzt ("voller Arbeitsertrag", (56) "Tauschgerechtigkeit"); alle jene, die arbeitsunfähig und ohne eigenes Verschulden einkommenslos sind (wie Kinder, Jugendliche, Alte, Kranke) erhalten eine dem Durchschnitt aller Einkommen entsprechende Rente aus Sozialversicherungsbeiträgen bzw. aus der Bodenrente (Synthese von leistungsund sozialgerechter Einkommensverteilung auf der Basis einer leistungsfähigen und materiell reichen Volkswirtschaft). In diesem System könnten die Arbeitsunfähigen menschenwürdig leben und die Arbeitsfähigen über die Selbstbestimmung der Arbeitszeit und durch eigene Arbeitsleistung ihre Einkommenshöhe entsprechend ihren persönlichen Bedürfnissen gestalten, allenfalls beschränkt durch ökologisch bedingte Auflagen. Damit wäre das von den Marxisten und Kommunisten angestrebte Ideal "jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen", verknüpft mit dem sozialistischen Prinzip ·"jeder nach seinen Leistungen", auf realistische Weise optimal verwirklicht. Zur Dialektik von Konkurrenz und Kooperation Ein Problem, das der Situationist Raoul Vaneigen ebenso geistreich wie zu Recht aufs Korn nimmt, (240) wird allerdings durch Gesells kapitalismusfreie Marktwirtschaft nicht aus der Welt geschafft: das Warenverhältnis als zwischenmenschliche Beziehung im ökonomischen Bereich. Ebenso nicht das Wettbewerbsverhältnis der Produzenten auf dem Markt. Da sich jedoch die Marktwirtschaft (auch wenn das der "Plan"-Fetischist Gorz für "Quatsch" hält (241)) bis jetzt als das relativ zwangloseste und die Bedürfnisse des einzelnen am besten befriedigende Steuerungssystem der Volkswirtschaft erwiesen hat, werden wir uns wohl noch ein Weilchen mit ihr abfinden müssen. Die einzige bisher praktizierte Alternative zur Marktwirtschaft, die staatlich gelenkte Zentralverwaltungswirtschaft, ist gescheitert und damit empirisch widerlegt. Es ist schon richtig, was manche behaupten: Marx ist Murks. Emanzipieren wir uns endlich von seiner Staats- und Planwirtschaftsideologie! Wenn wir uns ein Haus bauen, dann suchen wir uns ja auch keinen Architekten, von dem wir wissen, daß er Häuser entwirft, die kalte, teure, einstürzende Bruchbuden sind. Holen wir uns Anregungen von anderen "Architekfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (4 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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ten", machen wir unsere eigenen Entwürfe! Da sich das "Reich der Freiheit" (Marx), in dem sich spontaner Austausch statt rationales Tauschgeschäft entwickeln könnte, nicht ohne das "Reich der Notwendigkeit" realisieren läßt, und da sich das "Reich der Freiheit" - Spontaneität, Selbstverwaltung usw - auch nur in beschränktem Maße im "Reich der Notwendigkeit" verwirklichen läßt, sollten wir vernünftigerweise (im Sinne des späten Marx (242) und Herbert Marcuses) das "Reich der Notwendigkeit" auf ein Mindestmaß an Zeit beschränken: also Arbeitszeitverkürzung. Das ist jedoch nur in einer leistungsfähigen, krisenfesten und einkommensgerechten Marktwirtschaft ohne Wachstumszwänge möglich. Dort würden sich auch die Probleme des Warenverhältnisses, der Konkurrenz und sogar das der Unternehmenshierarchie relativieren und leichter bewältigen lassen. Die Marktwirtschaft ist zwar in jedem Fall ein Wettbewerbssystem, doch ohne Wettbewerb verkommen die Einzelunternehmen wie die gesamte Volkswirtschaft in Schlendrian, Inkompetenz, Unfähigkeit, Unwirtschaftlichkeit und Korruption. Auch viele Marxisten scheinen sich allmählich von ihrem kommunistischen Idealismus zu emanzipieren. Zum Beispiel Ying Roucheng, stellvertretender chinesischer Kulturminister: "Ich fürchte, es liegt nun mal in der menschlichen Natur, daß die Leute ohne Wettbewerb mit anderen dazu neigen, faul zu werden. Ungeachtet all der schönen Dinge, über die wir reden: Vaterland, Sozialismus, Nächstenliebe usw " (243) Außerdem schließen Marktwirtschaft und Wettbewerb Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe nicht aus; dafür liefern teamwork, Genossenschaften und Berufsverbände zahllose Beispiele. Desweiteren sollten wir bedenken, daß es auch in der Natur ein Wechselspiel von Konkurrenz und Kooperation gibt und daß dieses wesentlich zur Evolution beigetragen hat. Dieser Gegensatz von Wettbewerb im Sinne Tuckers und "gegenseitiger Hilfe" im Sinne Kropotkins ist offenbar eine nützliche, Entwicklungs- und Lebensprozesse vorantreibende Naturgesetzlichkeit, die wir in der Physik, Chemie und Biologie des gesamten Kosmos vorfinden. Die Naturwissenschaftler Carsten Bresch und Hermann Haken haben das in ihren Werken eindrucksvoll belegt. (244) Schließlich besteht der natürliche Wettbewerb nicht in gegenseitiger Halsabschneiderei, wie viele zu glauben scheinen; dieses Verhalten ist eher ein spezifisches Produkt entfremdeter menschlicher "Hoch" kulturen, insbesondere des krisengeschüttelten Kapitalismus. Der naturwüchsige Wettbewerb geht vielmehr so vonstatten, daß Individuen, Gruppen und Arten, die besonders intelligent, kooperativ und solidarisch sind, er-
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folgreicher in der Natur überleben und sich daher stärker vermehren und ausbreiten als andere Individuen und Populationen. Der natürliche Wettbewerb ist also kein blutiger Konkurrenzkampf, wie Vulgärdarwinisten behaupten, sondern ein milder Wettbewerb. Und er hat - so absurd das klingen mag - ganz wesentlich dazu beigetragen, daß der Homo sapiens sich zu einem Wesen mit sozialen Anlagen und Bedürfnissen entwickelt hat, die biologisch-psychologischen Voraussetzungen für Kooperation und Solidarität und damit für die Bildung von Gemeinschaften. (245) In ähnlicher Weise könnte auch eine Wettbewerbswirtschaft zur Weiterentwicklung der menschlichen Kultur beitragen - sicherlich auch in Richtung auf mehr Kooperation und Solidarität. Voraussetzung ist allerdings, daß die gegenwärtige Ökonomie, die eben nicht Leistung, sondern wirtschaftliche Privilegien honoriert, beseitigt und durch ein wirklich leistungsgerechtes Wirtschaftssystem ersetzt wird. In einer wirklich leistungsgerechten Volkswirtschäft würden, wie in der Natur, gerade diejenigen im Wettbewerb "überleben", die auch in sozialer Hinsicht "Leistung" erbringen: die sich solidarisch und kooperativ verhalten! Der Kampf bis aufs Messer ist eine Erscheiung der kapitalistischen Krisenwirtschaft. Marktwirtschaft als System der Selbstorganisation Der Markt hat lange vor dem Kapitalismus bestanden und ohne Markt geht es auch im Sozialismus nicht, meinte 1988 der ehemalige DDRWirtschaftsfunktionär Prof. Harry Mayer in einer Fernsehsendung zu den Reformen in der Sowjetunion. Diese Einsicht in die Unverzichtbarkeit auf Marktmechanismen scheint sich nicht nur bei hohen Funktionären im "real existierenden Sozialismus", (246) sondern auch in linken Kreisen hier zulande immer mehr durchzusetzen. (246a) Nur hier wie dort wird eine kapitalistische Marktwirtschaft propagiert und praktiziert. Der DividendenKommunismus in Rotchina (s. Kap.12) und die hohe Zinsverschuldung der Volksrepublik Polen bei westlichen Banken (s. Kap. 2) sind nur zwei Beispiele für den Kapitalismus im Sozialismus. Auf einer Veranstaltung der Öko"libertären" in Berlin 1984 erklärte der "Realo" Daniel Cohn-Bendit, daß wir unbedingt eine - Marktwirtschaft bräuchten, in der sich Kollektive etablieren und miteinander in Konkurrenz treten müßten; die Mitglieder der Kollektive sollten jedoch alle den gleichen Lohn erhalten. Erstaunlich ist nur, daß auch dieser Anführer der antikapitalistischen Pariser Mairevolte von 1968 das Problem des Zinses in der Marktwirtschaft völlig übergeht. Auch die marktwirtschaftlichen Vorstellungen der Öko"libertären" sind ein Beispiel für kapitalismusfreundliche Ideologie in der Alternativszene. Selbst marktbejahende Neoanarchisten kommen über ein allgemei-
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nes Bekenntnis zur Marktwirtschaft nicht hinaus. So wird z. B. in einem Artikel der respektablen Ökonomie-Sondernummer der Graswurzelrevolution der Markt akzeptiert, das Zinsproblem jedoch völlig ignoriert. Den wichtigsten Klassiker anarchistischer Ökonomie, Proudhon, haben ihre Herausgeber offenbar vergessen, Gesells Bedeutung für eine anarchistische Alternative zur liberalen und marxistischen Ökonomie nicht erkannt. (247) Der Anarchist Gustav Landauer war da bereits vor einem dreiviertel Jahrhundert einen entscheidenden Schritt weitergegangen, als er (unter Hinweis auf Gesells Freigeldlehre in seinem Aufruf zum Sozialismus; s. Text 4) für seine "Republik der Republiken" eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus forderte. Damit versuchte Landauer, vermutlich, ohne sich dessen bewußt zu sein, die "Naturdialektik" (Engels) von Kooperation und Wettbewerb in seine Vorstellungen von Sozialismus einzufügen, um diese für den Sozialismus nutzbar zu machen - eine physiokratische Position! Wenn Landauer sich diesen Sozialismus als eine Republik autonomer, selbstbestimmter und miteinander kooperierender Gemeinschaften denkt, dann baut er ihn darüber hinaus auf der Grundlage eines anderen "anarchistischen" Naturgesetzes auf: auf dem Prinzip der Selbstorganisation und Selbststeurung autonomer physikalischer, chemischer und biologischer Einheiten und komplexer Gebilde. Auch diese in Atomen, Molekülen, Zellen, Tieren, Pflanzen, Biotopen, Sozietäten, Galaxien in Erscheinung tretende Naturgesetzlichkeit wird von Bresch und Haken ausführlich beschrieben. (248) Der Naturwissenschaftler Carl Sagan bezeichnet die einzelne Zelle unseres Körpers als "eine Art Kommune", die autonom mit anderen autonomen Zellen dieses Körpers kooperiert und auf diese Weise diesen hochkomplexen und hochdifferenzierten menschliche Körper organisiert und funktionsfähig hält - und zwar ohne ein hierarchisches Steuerungssystem mit einer alles beherrschenden Zentrale. (249) Die Aktionen und Interaktionen der hundert Tausende Individuen eines Ameisen-, Termiten- oder Bienenstammes werden nicht durch die Herrschaft einer "Königin", sondern durch die Kooperation der einzelnen Exemplare gesteuert. Herrschaft und zentrale Steuerung sind in der Natur relativ seltene Erscheinungen. Ebenso wie die Dialektik von Wettbewerb und Kooperation, ist also auch die Selbstorganisation und Selbststeuerung ein Prinzip der Natur, das maßgeblich zur Evolution des Kosmos und des Lebens und der komplexen tierischen und menschlichen Sozietäten beigetragen hat. Hermann Haken nennt diese anarchistischen Naturgesetzlichkeiten die "Erfolgsgeheimnisse der Natur". Auf ähnlicher naturalistischer oder, wenn wir so wollen, "anarcho-phyfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (7 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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siokratischer" Ebene ("physiokratisch" im Sinne von naturgemäß) argumentieren im Grunde genommen auch Proudhon, Tucker und viele andere Anarchisten, wenn sie den Selbststeurungsmechanismus der Marktwirtschaft für eine libertäre Ökonomie nutzbar machen wollen. Auch die Marktwirtschaft ist eines jener kybernetischen Systeme, wie sie überall in der Natur, in den Interaktionen der Tiersozietäten und in den herrschaftsfreien Kulturen der Naturvölker zu finden sind: Kybernetik im Sinne von Selbstorganisation der Natur und der Gesellschaft durch Selbststeuerung ihrer kooperierenden und konkurrierenden autonomen Teile. Nur im hierarchischen Patriarchat, in der monopolistisch-kapitalistischen Wirtschaft und im zentralistischen Staat und Staatskommunismus wird die Selbststeuerung der Wirtschaft und die Selbstorganisation "assoziierter" Individuen unterdrückt und durch Bevormundung und gewalttätige Eingriffe und Lenkungsmaßnahmen von "oben" ersetzt. (249a) Ohne Einsicht in diese modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse haben Anarchisten immer wieder in ihren Forderungen nach dezentralen und herrschaftsfreien Gesellschaftsstrukturen, nach Autonomie, Selbstorganisation, Wettbewerb und Kooperation der einzelnen Individuen wie ihrer freien Vereinigungen und nach hierarchiefreier Selbststeurung der Wirtschaft und Gesellschaft spontan diese Naturgesetzlichkeiten wiederherstellen wollen - Landauer in Form seiner Republik autonomer Gemeinschaften im Zusammenhang mit Gesells Freiwirtschaft. Eine "natürliche" Wirtschaftsordnung? Da die Wirtschaftsform ganz wesentlich Reichtum und Charakter einer Gesellschaft und die Entfaltungsmöglichkeiten ihrer Individuen bestimmt, ist die Frage zu stellen, welche Wirtschaftsform allgemeinem Volkswohlstand, sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit am besten dient: Die privatkapitalistische Marktwirtschaft der Liberalen? Die staatlich-zentralistische und letztendlich ebenfalls kapitalistische "Plan"wirtschaft der marxistischen Kommunisten? Eine Mixtur aus beiden Übeln? Die von demokratischen Sozialisten propagierte demokratischzentralistische "Plan"wirtschaft auf staatskapitalistischer Grundlage? Die entstaatlichte dezentral-kollektivistische Planwirtschaft im Sinne der Anarchokommunisten und Anarchosyndikalisten? Eine vom Staat und Kapital befreite Marktwirtschaft mit individuell und kollektiv organisierten Unternehmungen im Sinne der Individual- und Sozialanarchisten? Oder welche sonst? Gesell lehnt die zentral gelenkte Staatswirtschaft ebenso entschieden ab wie die kapitalistisch-monopolistische Privatwirtschaft. Er ist allerdings auch skeptisch gegenüber allen anderen Formen der Gemeinwirtschaft, insbesondere denen kommunistischer Gütergemeinschaft mit glei-
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cher Entlohnung. Er meint: "Je größer die Gemeinschaft (Kommune), um so größer die Verwässerung, um so schwächer der Trieb, zur Erhaltung der Gemeinschaft durch Arbeit beizutragen. Wer mit einem Genossen arbeitet, ist schon weniger ausdauernd als derjenige, der die Frucht der Arbeit allein genießt. Sind es 10-100-1000 Genossen, so kann man den Arbeitstrieb auch durch 10-100-1000 teilen; soll sich gar die ganze Menschheit in das Ergebnis teilen, dann sagt sich jeder: auf meine Arbeit kommt es überhaupt nicht mehr an, sie ist, was ein Tropfen für das Meer ist. Dann geht die Arbeit nicht mehr triebmäßig vonstatten; äußerer Zwang wird nötig!" (250) Gesells Einschätzung mag übertrieben pessimistisch sein. Kollektive Zusammenarbeit kann ökonomisch durchaus vorteilhaft sein. Sie kann stimulierend wirken, zumindest in der Kleingruppe, und viele Arbeiten sind nur kollektiv zu bewältigen. Außerdem kann Gemeinschaftsarbeit Freude machen, was allerdings oft auch mit geringerem wirtschaftlichen Erfolg bezahlt werden muß. Andererseits zeigen die geringe wirtschaftliche Effizienz und der staatliche Zwang im "real existierenden Sozialismus", daß Gesells Einschätzung in Bezug auf anonyme und fremdbestimmte Großkollektive durchaus begründet ist. Auf Grund realistischer Einschätzung der menschlichen Natur gibt er der durch keinerlei Einschränkungen behinderten Eigenwirtschaft mit Eigeninitiative und individueller Entlohnung für individuelle Leistung den Vorrang vor der kommunistischen oder gar staatlich-zentralistischen Wirtschaftsform. Das heißt jedoch nicht, daß er den Menschen ausschließlich als eigennützigen oder gar eigensüchtigen "Homo oeconomicus" sieht. Er begreift den Menschen durchaus als soziales Wesen, was er u. a. mit seiner Utopie akratisch-physiokratischer Frauengemeinschaften in seinem Abgebauten Staat belegt (s. Kap. 9 u. Text 7). Er trennt jedoch (gewiß nicht unproblematisch (250a)) den ökonomischen von allen übrigen gesellschaftlichen Bereichen ab. Damit sich die Individuen als "totale Menschen" (Marx) in all ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten, also auch in ihren sozialen, entfalten können, sei eine funktionierende, krisenfreie Volkswirtschaft ohne Ausbeutung unerläßliche Voraussetzung; sie dürfe jedoch nicht mit christlichen oder kommunistischen Moralansprüchen und Ideologien belastet werden. Da war Gesell - im Gegensatz zu den christlichen und kommunistischen Idealisten mit ihrem überzogen negativen bzw. positiven Menschenbild - ein konsequenter Materialist und Realist und ein Gegner jeglicher Manipulation der Individuen durch Erziehung, Moral und physischen Zwang. Seiner Meinung nach funktioniert ein gesamtgesellschaftliches Wirtschaftssystem nur, wenn es auf den "natürlichen Egoismus" der einzelnen Individuen als Motor der Produktion baut. Eine Wirtschaftsordnung, die dieses eigennützige Streben der Menschen nutzt und die tüchtigen Produzenten belohnt und nicht die unproduktiven Geldverleiher, Grundeigentümer und andere Parasiten bereichert, ist - weil sie file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (9 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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nach Meinung Gesells der Natur des Menschen entspricht - eine "natürliche Wirtschaftsordnung". Ein Wettbewerbssystem ohne Zinsen, Zölle, Monopole, Subventionen und andere Privilegien sei optimal produktiv und gäbe den Menschen auch die materiellen Mittel zur Befriedigung gemeinnütziger und altruistischer Bedürfnisse in die Hände. (251) "Natürlich" (physiokratisch) ist eine Wirtschaftsordnung, die (durch bewußtes menschliches Handeln) "der Natur des Menschen angepaßt ist". (252) Ihr wichtigster Maßstab ist die Wohlfahrt der Menschen. In diesem Sinne und als hätte Gesell bereits vor 70 Jahren unsere heutigen Mensch und Natur zerstörenden Industrie- und Wachstumsprobleme erahnt, schrieb er 1918 im Vorwort der 3. Auflage der Natürlichen Wirtschaftsordnung: "Dort, wo der Mensch am besten gedeiht, wird auch die Wirtschaftsordnung die natürlichste sein. Ob eine in diesem Sinne sich bewährende Wirtschaftsordnung zugleich die technisch leistungsfähigste ist und dem Ermittlungsamt Höchstzahlen liefert, ist eine Frage minderer Ordnung. Man kann sich ja heute eine Wirtschaftsordnung vorstellen, die technisch hohe Leistungen aufweist, bei der aber Raubbau am Menschen getrieben wird. Immer darf man wohl blindlings annehmen, daß eine Ordnung, in der der Mensch gedeiht, sich auch in Bezug auf Leistungsfähigkeit als die bessere bewähren muß. (...) 'Der Mensch ist das Maß aller Dinge', darum auch Maß seiner Wirtschaft." (253) Diese Aussage hebt sich wohltuend ab vom Wachstums- und Industrialisierungsfetischismus der Leninisten im "realen Sozialismus", der Kapitalvertreter hierzulande und der "Entwicklungs"politiker in der Dritten Welt. Heute würde der Physiokrat Gesell gewiß auch die Natur mit einbeziehen als Maßstab für eine richtige Wirtschaftspolitik. Nicht-kapitalistische Marktwirtschaft und Kleingruppen-Kommunismus Trotz seiner Skepsis gegenüber Kollektiven und Kommunen und gerade wegen seines ausgeprägten Individualismus, wollte Gesell niemanden daran hindern, kommunistische Experimente durchzuführen. Für Robert Anton Wilson ist Gesell vor allem deshalb "der einzige utopische Ökonom, den ich je mochte", weil er auch den Wettbewerb der Ideen und Experimente gefordert hat und seine eigenen diesem Wettbewerb aussetzen wollte. (254) Das schließt kommunistische Produktions- und Konsumtionsgemeinschaften in diesen Wettbewerb mit ein. Gesell ist jedoch der Meinung, daß die Einführung von Gütergemeinschaften und kollektivem Wirtschaften ein Rückfall in den Urkommunismus prähistorischer Zeit sei, den die vom Eigennutzen und von individueller Initiative motivierte und gesteuerte Geld- und "Eigenwirtschaft" überwunden habe. Diese sei ein geschichtlicher Fortschritt, wer ihn vertrete, sei ein Linker; wer hingegen den Kommunismus reproduzieren wolle, sei rückständig und politisch ganz rechts einzuordnen. (255) file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (10 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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Diese These ist gewiß soweit richtig, als daß die Markt- und Geldwirtschaft die einzelnen Individuen von den Abhängigkeiten und Bindungen der urkommunistischen Kollektive befreit hat. Geld- und Eigenwirtschaft kann für alle Menschen individuelle Befreiung und Autonomie bedeuten - vorausgesetzt, bestimmte Monopole in der Geld- und Marktwirtschaft bewirken nicht andere gesellschaftliche und ökonomische Abhängigkeiten. Doch diese will Gesell mit seinem Freiland- und Freigeld-Programm ja überwinden. Der Individualist Gesell bedenkt jedoch zu wenig unsere prähistorische, naturgeschichtliche Erbschaft aus den urkommunistischen Horden und Sippen. Diese Gemeinschaften haben unsere sozialen Anlagen in Jahrmillionen geprägten: wir sind gewissermaßen genetisch auf Urkommunismus programmiert. Der Mensch ist, wie Engels richtig sagt, nicht nur ein "gesellschaftliches", ein kulturgeschichtlich gewordenes rationales Kulturwesen, sondern ebenso ein naturgeschichtlich gewordenes emotional "geselliges" Naturwesen. (256) "Geselligkeit" ist jedoch ein vitales Bedürfnis, dessen soziobiologischer Zweck u. a. die lustvolle Zusammenarbeit ist. Diese kann sich in egalitären, kommunistischen Gemeinschaften eher lustvoll entfalten, als in den eigenwirtschaftlichen Arbeitsorganisationen, die in der modernen Industrie- und Marktgesellschaft zweckrational und hierarchisch organisiert und verhältnismäßig ungesellig sind. Wir bringen jedoch nicht nur urkommunistische Prägungen und Bedürfnisse, sondern auch viele primäre, höcht individuelle Bedürfnisse und darüber hinaus zahllose senkundäre und tertiäre, gesellschaftlich geprägte Bedürfnisse und Interessen mit, die sich nur jenseits von notwendigen Anpassungen und Unterordnungen in Kollektiven entfalten und verwirklichen können. Marxens Anspruch, das menschliche Individuum als nicht-entfremdetes, "totales Wesen" zu entfalten, schließt Kollektive ebenso ein wie aus, kann nur als eine dialektisches Wechselspiel in der Gesellschaft verstanden werden. Die vorrangige Aufgabe einer neuen Ökonomie muß es also sein, die materielle Grundlage für die Entfaltung aller (legitimen) menschlichen Bedürfnisse und Interessen in der Gesellschaft bereitzustellen, und dazu gehören auch urkommunistische. Die Entfaltung und Befriedigung natürlicher sozialer Anlagen und Bedürfnisse entspricht durchaus Gesells physiokratischen Ansprüchen, auch dann, wenn sie sich im ökonomischen Bereich verwirklichen wollen. Doch andere individuelle Bedürfnisse und Interessen müssen ebenso zum Zuge kommen können. Max Stirner, auf den Gesell sich gerne beruft, geht dementsprechend über den Anspruch nach Gemeinschaft im Sinne naturwüchsiger Bindung, wie wir sie in den urkommunistischen Stammeskulturen und ähnlich noch heute im Familienleben vorfinden, hinaus. Er setzt sich von ihr ebenso ab, wie von der durch Ideologie, Glaube, "fixe Idee" gebundenen Gesellschaft. Er setzt beiden als Alternative die Vereinigung bewußter, autonomer, sich selbst gehöriger und daher selbstbestimmter Individuen in freier Übereinfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (11 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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kunft und Vereinbarung zum Zweck der Verwirklichung ihrer eigenen, also "eigennützigen" (Gesell) Interessen und Bedürfnisse gegenüber. (257) Diese "egoistischen" Interessen und Bedürfnisse können jedoch durchaus vitaler und sozialer Natur sein, z. B., wenn es um die Befriedigung des erotischen Bedürfnisses nach liebevoller Hinwendung an andere Menschen geht (s. Kap. 9). Der Eros (im Sinne von Liebe), Jahrmillionen auf Kleingruppen von ein bis zwei Dutzend Menschen geprägt, funktioniert sicherlich einigermaßen reibungslos in Kollektiven dieser Größe, für die Verwirklichung eines anonymen, zentralistischen und fremdbestimmten Groß- und Massenkommunismus dürfte die soziale, erotische und urkommunistische Natur der Menschen auf Dauer jedoch kaum hinreichen. Allenfalls läßt sie sich von Nationalisten, Rassisten, Faschisten und religiösen Fanatikern für ihre unmenschlichen Zwecke massenpsychologisch mißbrauchen. Gesells Freiwirtschaft hingegen könnte durchaus als ökonomische Grundlage dienen für Landauers Sozialismus der kleinen, autonomen Gemeinschaften, für überschaubare Kommunen und für Vereinigungen im Sinne Stirners. Denn nicht die hierarchisch-autoritäre, bürokratisch-zentralistische "Plan"- und Staatswirtschaft, die auch noch dem Privatkapital dient, sondern die dezentral und selbstorganisierte, zinsund monopolfreie Marktwirtschaft macht kleine, selbstinitiierte und selbstverwaltete Wirtschaftskollektive erst möglich und schließt gleichzeitig (s. Kap.12) selbstverwaltete Ausbeutung aus. Eine derartige, vom Kapitalismus befreite Marktwirtschaft würde heutigen Produktions- und Konsumtionsgemeinschaften einen ähnlichen Aktionsraum bereitstellen, den in prä- und frühhistorischer Zeit die natürliche Umwelt den urkommunistisch-anarchistischen Horden und Sippen zur Verfügung gestellt hat, und in dem die Menschen auch ähnlich handeln würden: innerhalb der Kleingruppen ("Urhorde") herrscht Kooperation vor, innerhab des großen Rahmens der Volks- und Weltwirtschaft (Ersatz für den natürlichen Biotop des Menschen) herrscht milder, Produktion und Verteilung steuernder Wettbewerb zwischen eingenwirtschaftlichen wie kollektiven Unternehmungen vor. Das schließt (wie in den Stammeskulturen) Kooperation auch zwischen den einzelnen, autonomen Unternehmungen (wie bei den Sippen, Clans und Stämmen) nicht von vornherein aus. Der Markt und ein zinsfreies und wertbeständiges Tauschmittelliefern jedoch (an Stelle der Naturgesetze des Biotops) die unverzichtbaren ökonomischen Maßstäbe für wirtschaftliche Aktivitäten - einschließlich Kooperation. (258) "Der Markt", bemerkt der Ökonomieprofessor Aleksander Bajk zur Situation in Jugoslawien, "ist das wesentliche Element des Selbstverwaltungssystems, aber das hat man völlig vergessen." (258a) Ebenso wenig dürfen Herr Bajk und seine Genossen allerdings vergessen, daß es ein Markt ohne "Mehrwert", ohne Zins, sein muß! Sicherlich reguliert auch eine nicht-kapitalistische Marktwirtschaft nicht file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (12 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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alles selbsttätig und perfekt zum Nutzen aller und der Natur. So läßt sich z. B. nicht ohne Eingriffe in den Markt der Gegensatz zwischen dem Interesse an unbeschränkter Nutzung des Autos und an dem Fortbestand der Wälder lösen. Auf den freiwilligen Verzicht aller Einzelnen auf den Individualverkehr können wir nicht hoffen. Marktmechanismen können jedoch zur Konfliktlösung genutzt werden, z. B., in dem die Preise jener Produkte, die die Umwelt schädigen, erheblich mit Steuern belastet werden. So würde bereits eine Belastung der Benzinpreise mit den gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs diese auf 4 bis 5 DM pro Liter hochtreiben. (259) Das würde - auch im Sinne marktwirtschaftlicher Intentionen - zu einer erheblichen Einschränkung des umweltschädlichen und unökonomischen Individualverkehrs und zu größerer Tauschgerechtigkeit führen: die Autofahrer würden nicht mehr auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer subventioniert werden. (259a) Aber auch Gebote und Verbote können, insbesondere als ökologische Steuerungsinstrumente, nicht völlig ausgeschlossen werden. Völlig ohne gesellschaftliche Interventionen in den Markt, da mag Keynes in seiner Kritik an den radikalen Liberalen richtig liege, kann es heute vielleicht nicht mehr gehen, aber das ist eine drittrangige Frage. (Tausch- und Inter ventionssozialismus stehen auch nicht, wie Noebe meint, unbedingt in Widerspruch zueinander, beide wohl aber in Widerspruch zum Produktionssozialismus). Mit der Nutzung von Marktmechanismen läßt sich jedenfalls mehr erreichen, als mit staatlicher oder "demokratischer" Planung, womöglich bis hin zur Produktion und Verteilung jedes Hosenknopfes. Wann wo welche und wieviele Hosenknöpfe benötigt werden, das kann niemand und nichts besser herausfinden, als der Markt, als sein Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die Marktmechanismen machen zentralistische und administrative Eingriffe weitgehend, wenn nicht überhaupt, überflüssig. 70 Jahre staatliche und zentralgelenkte "Plan"wirtschaft sind genug. Sie verkörpert mit ihrer bürokratischen Fehlplanung, Schlamperei, Unwirtschaftlichkeit und ihrem GAU in Tschernobyl 1986 genau das, was Marx der Marktwirtschaft mit dem Vorwurf der Wirtschaftsanarchie anhängen will: Chaos. Darüber hinaus hat sie sich - wegen der Zinsknechtschaft beim westlichen Finanzkapital - noch nicht einmal vom Mehrwert befreit. Und schließlich ist sie gewiß nicht "anarchisch", also herrschaftsfrei. Der Staat ist nicht "abgestorben", er ist mächtiger als in jeder anderen Gesellschaft und hat in der Sowjetunion als Werkzeug Lenins, Trotzkis und Stalins, ebenso wie in Deutschland in der Hand Hitlers, viele Millionen Menschen ermordet. Staat wie Staatswirtschaft bewirken den höchsten Grad der Entfremdung. Aber auch eine "demokratische" Gesamtplanung ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern eben auch demokratisch: sie ist Volksherrschaft. Mehrfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/3_15.htm (13 von 15) [15.02.2002 19:40:03]
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heitsbeschlüsse in der Makroökonomie führen leicht zu Benachteiligungen spezieller Bedürfnisse von Minderheiten. Die beste "basisdemokratische", genauer: individual-anarchistische Planung ist die marktwirtschaftliche über den "Stimmzettel" Geld - vorausgesetzt, nicht die Finanzkapitalisten, Grundeigentümer, Wirtschaftsmonopolisten, Spekulanten usw, sondern die Produzenten verfügen über diesen Stimmzettel. Dann entscheidet als Konsument jeder einzelne Produzent über die Lenkung der Produktion, Investition und Verteilung in der Volkswirtschaft, viel besser als jeder beamtete Bürokrat oder gewählte Funktionär. Die Planung im Betrieb besorgen die einzelnen Unternehmer und Wirtschaftskollektive in autonomer individueller oder kollektiver Selbstbestimmung, ebenfalls besser als Staatsbürokraten oder Funktionäre. Angesichts des weltweiten Versagens sowohl der liberalistischen wie der marxistischen Wirtschaftstheorie, werden wir uns nach neuen Ideen umsehen müssen. Sie sind vorhanden."Johannsen, Foster und Catchings, Hobson und Gesell haben alle brilliante, heute durchführbare Vorschläge gemacht, aber sie stießen auf taube Ohren", schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Lawrence R. Klein in "The Keynesian Revolution". "Es ist zu hoffen, daß die Ökonomen in Zukunft denen mit Sympathie begegnen, die eine große ökonomische Intention besitzen." (260) Ich würde sagen, wir sollten das nicht den etablierten Ökonomen überlassen. Wir selbst sollten ihnen und den vielen anderen, von denen ich bereits einige wie Douglas und Damaschke genannt habe, (261) in Zukunft mit Sympathie begegnen und ihre Intentionen für unsere Zwecke nutzen. Dabei dürfte Gesell, von dem Keynes sagt, daß die Zukunft mehr von ihm als von Marx lernen würde, besondere Beachtung verdienen - vor allem in anarchistischen Kreisen. Gesell hat den Versuch Proudhons fortgeführt, das Modell einer "akratischen" (herrschaftsfreien) und "mutualistischen" (tauschgerechten) Wirtschaftssordnung zu entwickeln, und seine Geldtheorie hatte in der Praxis sogar Erfolge aufzuweisen. Er hat außerdem ein mütter- und kinderfreundliches Bodenreformprogramm entwickelt, das über die Ansprüche aller anderen Bodenreformer weit hinausreicht. Das sind Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialutopie, die sich ausbauen ließen. Ich bin überzeugt davon, daß mich jener namenlose Mäusezüchter aus Pinneberg gerade mit Gesells Freiland-Freigeld-Lehre mit einer ebenso "pfiffigen" (Suhr) wie aktuellen Theorie bekannt gemacht hat, die nur dank einer kleinen unverdrossenen Minderheit, zu der auch mein Mäusehändler gehört, nicht in Vergessenheit geraten ist. Daß er mich mit diesem
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unausrottbaren Bazillus der "Anarcho-Physiokratie" infiziert hat, möchte ich ihm an dieser Stelle meinen späten, aber um so nachdrücklicheren Dank aussprechen! (262)
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Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag ; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Randbemerkungen und Literaturhinweise 1 Will Noebe, Um die Güter der Erde, Rudolf Zitzmann Verlag, Lauf bei Nürnberg 1960, S. 100ff. 2 Fritz Dettmer, Regelung der künftigen Wirtschaft, in: Die Internationale - Z. f. d. revolutionäre Arbeiterbewegung (DI) 10/Aug. 1931; H. Drews, Idee und Organisation im Lichte konstruktiver Planung des Sozialismus, in: ID 12 u. 13/1931; Santillan Peiró, Ökonomie und Revolution, Verlag Monte Verita, Wien 1986 3 In Benjamin R. Tucker, Was ist Sozialismus?, Berlin 1912, S. 5 4 Silvio Gesell, Der abgebaute Staat - Leben und Treiben in einem gesetz- und sittenlosen hochstrebenden Kulturvolk, A. Burmeister Verlag, Berlin-Friedenau 1927, S. 4 5 Who is the Somebody?, erschienen in Liberty vom 6. 8. 1881; zit. u. von Ricarda Buch übersetzt aus: Benjamin R. Tucker, Instead of A Book, S. 178 6 S. a. D. Dillard; Proudhon, Gesell and Keynes - An Investigation of some "Anti-Marxian Sozialist" Antecedents of Keynes' General Theorie of Employment Interest and Money,1940; ders., Keynes and Proudhon, in: Journal of Economic History, Vol. II, 1942, p. 63 7 In Deutschland versuchte der ehemalige Berliner Redakteur der FAUD-Zeitschrift Syndikalist, Sekretär der Internationalen Arbeiterassoziation in Barcelona während des spanischen Bürgerkrieges und Freund Rudolf Rockers, Helmut Rüdiger, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg diese klassische anarchistischen Tradition durch Anpassung an die neuen Gegebenheiten fortzuführen. Seine (allgemein gefaßten) wirtschaftspolitischen Ziele: "Brechung des Bodenmonopols - Überführung der Schlüsselindustrie in offene Genossenschaften - Abschaffung der Macht des Finanzkapitals - Allgemeine Zugänglichkeit des Kredits". Er wollte eine Mischung von kollektiver und privater Wirtschaft auf der (Grundlage von Markt und Wettbewerb. Außerdem forderte er den Wettbewerb der Ideen, eine Allianz demokratischer, liberaler und anarchistischer Kräfte und eine gesamteuropäische Föderation gegen das Hegemonialstreben der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten. Den Klassenkampf hielt er für eine unleugbare Tatsache, Marxens Schema hier Bourgeosie, dort Proletariat, jedoch für zu simpel (aus: Günter Bartsch, Anarchismus in Deutschland, Bd. I, 1945 -1965, Fackelträger-Verlag, Hannover 1972, S. 68ff.).
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8 Pierre Joseph Proudhon, Organisation des Kredits und der Cirkulation und Lösung der sozialen Frage, in: Ausgewählte Schriften, Hg.: Arnold Ruge u. Alfred Darimon, Faksimile der Ausgabe Leipzig 1851, Scienta Verlag, Aalen 1973, S. 68 9 Organisation der Kredits, S. 100 10 Proudhon, Was ist das Eigentum?, Verlag von B. Zack, Berlin 1896, S. 67ff. 11 Zit. bei Gesell, Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld (NWO), R. Zitzmann Verlag, Lauf 1949, S. 235 12 Proudhon, Organisation des Kredits; ders., Die Tauschbank, Verlag Monte Verita, Wien 1985; William B. Green, Mutual Banking, Bosten/New York 1870. - In einer Werbung für Proudhons Schrift Die Volksbank in Befreiung heißt es: "Die Diskussion um die Ökobank ist in aller Munde, jedoch ist die Ökobank nichts anderes als ein Miniaturverschnitt aller herkömlichen Banken, von den Strukturen und Zielen dem Schicksal einer Raiffeisenbzw. Gewerkschaftsbank zugedacht. (...) Wer von Ökobank redet, aber die 'Volksbank' nicht kennt, lebt noch im ökonomischen Mittelalter." So urteilte bereits Proudhon über entsprechende Arbeiterbanken: "Die Arbeiter mögen sich darüber klar sein. Ihre Bank, die in Kontokorrent mit der Bank von Frankreich stehen und ihre Kapitalien teuer bezahlen, so daß es ihnen um so weniger möglich ist, sie billig auszuleihen, sind nicht in der Lage, gegen den Kapitalismus Krieg zu führen" (Kapital und Zins - Die Polemik zwischen Bastiat und Proudhon, Hg.: Arthur Mülberger, G. Fischer Verlag, Jena 1896, S. 41 ). 13 Siegfried Fröhlich, Geschäftsidee, in: Capital 10/1983, S. 29 14 Hugo Godschalk, Die geldlose Wirtschaft - vom Tempeltausch bis zum BarterClub, Basis Verlag, Berlin 1986, S. 43; ders., Pilotprojekte zur neutralen Liquidität - WIR-Wirtschaftsring-Genossenschaft, in: zeitschrift für sozialökonomie/mtg (z. f. soz.ök.) 68/März 1986, S. 19ff.; Handel wie in alten Zeiten, in: Impulse 7/1984, S. 92ff.; J. Mayer-List, Neue deutsche Welle, in: Die Zeit 37/ 9. 9. 1983, S. 22. 15 NWO, S. 281 u. 37; im übrigen würdigt Gesell die Geldanalyse Proudhons meist zustimmend in der NWO, S. 33 - 38, 227, 237, 281- 287 u. 314 und widmete Proudhon die ersten Auflagen seines Hauptwerkes. 16 NWO, S. 186 - 188 - Oft wird der Einwand erhoben, es gäbe, neben dem Geld und Gold, noch andere Güter, die keine Durchhaltekosten verursachen würden, z. B. Juwelen, und sogar Güter, deren Werte im Laufe der Zeit zunähmen, deren Durchhaltekosten also negativ seien, z. B. Boden und Wein. Für den Boden trifft das uneingeschränkt zu, ein wichtiger Grund, ihn zu sozialisieren (s. Kap. 8 u. 9). Güter wie Juwelen, Edelmetalle usw., die nicht als Geld fungieren, werfen jedoch keine Probleme für die Zirkulation auf und können keinen Zins erpressen (vergl. die Zinsformeln von Geld und Juwelen in Kap. 6). Die Ware Wein bestätigt die Richtigkeit der Gesellschen Warenanalyse; das könnte der Leser selbst herausfinden, was ihm ein tiefgehendes Verständnis dieses Zusammenhangs vermitfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (2 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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teln würde: Vom Naturprodukt Boden und einigen wenigen anderen Gütern abgesehen, gehen in alle Produkte, die zu ihrer Herstellung, Lagerung und Verteilung unumgänglichen Durchhaltekosten in ihren Arbeitswert und damit auch in ihren Preis ein. Diese Durchhaltekosten trägt also ihr Käufer. Nur die darüber hinausgehenden Durchhaltekosten, wenn die Produkte also länger als zu ihrer Herstellung und zu ihrem Vertrieb notwendige Zeit zurückgehalten werden, kann ihr Produzent und Verkäufer (von außerordentlichen Marktsituationen abgesehen) nicht auf ihren Preis draufschlagen: diese trägt allein der Hersteller und Händler. Wenn nun die Qualität eines Gutes durch Lagerung steigt (ein negativer Wertschwund eintritt), dann steigt auch sein Gebrauchswert, seine Nachfrage und im Zusammenhang mit den notwenigen Lagerungskosten auch sein Preis. Da dieses bei Wein oft der Fall ist, werden viele Winzer und Weinhändler diese Produktionsweise der Lagerhaltung zur Herstellung von Qualitätsweinen anwenden. Dann aber sind die hieraus resultierenden Lagerungskosten Produktionskosten! Ihre Höhe entspricht der Produktionskostendifferenz zwischen einem jungen, jedoch weniger gut schmeckendem Wein und seiner abgelagerten, besseren Variante. Auch diese Kostendifferenz zahlt der anspruchsvolle Weinkenner und -konsument im entsprechend höheren Preis. - Was aber geschieht nun, wenn ein Wein über jenen Zeitpunkt hinaus gelagert wird, in dem seine Qualität nicht mehr zunimmt und er schließlich sogar zu Essig wird, ein Produkt, das überall billig zu haben ist? Jetzt entstehen die Durchhaltekosten, die wiederum allein der Produzent und Händler des Weines trägt und diese nachhaltig zwingt, ihn auf dem Markt anzubieten! Das sind jene Durchhaltekosten, auf die es Gesell ankommt. Zu diesen Durchhaltekosten gehören in unserem Wein-Beispiel 1. jene Lagerungskosten, die vom Konsumenten nicht mehr bezahlt werden, weil auch bei diesem Produkt durch längere Lagerzeit kein Qualitätszuwachs mehr zu verzeichnen ist, und 2. der Preisverfall dieser Ware, bedingst durch ihren natürlichen Qualitäts-"Schwund". Das, was Gesell unter "Warenschwund" versteht, setzt also dann ein, wenn ein Produkt länger im Produktions- und Verteilungsprozß verbleibt, als nach dem Stand der Entwicklung einer Volkswirtschaft für die Erzeugung einer bestimmten Qualität und für ihren Vertrieb im allgemeinen und im Durchschnitt notwendig ist. Das gilt für unbeschränkt produzierbaren alten wie jungen Wein, für Kartoffeln wie Kühlschränke. Das gilt nicht mehr in gleicher Weise für seltene und daher schwer beschaffbare und daher auch oft monopolisierte UraltWeine (Briefmarken, Münzen etc.), die einen hohen Gebrauchswert für Sammler haben und die dafür - unabhängig von ihren Produktions- und Vertriebskosten - auch hohe Liebhaberpreise bezahlen. Und das gilt erst recht nicht für den unvermehrbaren Boden (s. Kap. 8) und für das gegenwärtige Geld bei Festwährung und Deflation (s. Kap. 5). Hundertjährige Weine und seltene Briefmarken sind jedoch konjunkturell und sozialpolitisch irrelevant, nicht aber knapper und unvermehrbarer Boden und knappes und nicht beliebig vermehrbares Geld. 17 NWO, S. 313ff. u. 399 18 NWO, S. 308ff. 19 In seiner Auseinandersetzung mit Bastiat über den Zins schildert Proudhon folgende Parabel: Ein Kapitalist ist ins Wasser gefallen und droht zu ertrinken. Ein potentieller Lebensretter am Ufer will ihm aber nicht um sonst einen Rettungsring zuwerfen. Der Ertrinkende will jedoch aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit nur die Arbeitsleistung für das file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (3 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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Zuwerfen des Ringes entgelten (Tauschwert = Arbeitswert = Tauschgerechtigkeit). Die Person am Ufer kann jedoch die Zwangslage und gleichzeitig den Reichtum des Ertrinkenden ausnutzen, weil er allein am Ufer steht, also eine Monopolstellung im Tauschverhältnis einnimmt. Er fordert vom Kapitalisten daher jenen Tauschwert (= Preis), den der Ertrinkende auf Grund seiner finanziellen und physischen Lage zahlen kann und muß: einen Wucherpreis, der weit über den Wert der geleisteten Arbeit hinausgeht und in seiner Höhe nur vom Lebenswillen und der Zahlungsfähigkeit des Ertrinkenden begrenzt wird (Kapital und Zins, S.123 -128). 20 Siehe Proudhons Briefwechsel mit Bastiat in Kapital und Zins u. Marx' Definition des Mehrwerts in Das Kapital, Bd. III. Dietz Verlag, Berlin-Ost 1968, S. 840f. 20a Helmut Creutz, Bauen, Wohnen, Mieten - Welche Rolle spielt das Geld?, 1987, Gauke Verlag, Lütjenburg 21 In den Aufsätzen Wohnungswirtschaftliche Selbstverwaltung und Selbstfinanzierung - eine ideengeschichtliche Montage (Leviathan - Z. f. Soz. wiss.1/1982, S. 41- 67) u. Anmerkungen zum Verhältnis von Trägerformen und Finanzierungsalternativen (Arch plus, Febr.1982; faksimiliert in agit 883 90/1983) hat Klaus Novy gezeigt, wie z. B. der Wohnungsmarkt durch ein nicht-kapitalistisches Finanzierungssystem aus der Zinsknechtschaft herausgenommen werden kann. 21a Am 16.12. 1987 berichtete die Tagesschau, daß das Wohngeld die Steuerzahler mit 4 Mrd. DM im Jahr belastet. 22 Helmut Creutz. Die fatale Rolle des Zinses im gegenwärtigen Wirtschaftssystem, in: z. f. soz.ök. 61/Mai 1984, S. 9 u.12 23 Auf Grund des bargeldlosen Zahlungsverkehrs können die Privatbanken Buchgeld (Konten-Geld) schöpfen, indem sie auf der Basis von Kundeneinlagen mehr neues Buchgeld verleihen, als sie von ihren Kunden an Bar- und Buchgeld erhalten. Das ist möglich, weil die Kunden sich nur einen Bruchteil ihrer Kredite in Bargeld auszahlen lassen, weil sie nur einen Bruchteil ihres Zahlungsverkehrs in Bargeld abwickeln und weil durch diesen bargeldlosen Zahlungsverkehr andere Banken Buchgeld-Guthaben erhalten, die sie wiederum als Grundlage für Kreditvergaben in Buchgeld verwenden können. Begrenzt wird dieser Geldschöpfungsmultiplikator durch notwendige und gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsrücklagen (s. H. C. Recktenwald, Wörterbuch der Wirtschaft, Körner Verlag, Stuttgart 1981; S.192f.). Anders als Proudhon und die meisten heutigen Ökonomen, bestreitet Creutz allerdings die Möglichkeit der Geldschöpfung durch Privatbanken (Creutz,· Buchgeldschöpfung und Bankenwirklichkeit, in: Fragen der Freiheit 178/Jan.1986). 24 Die folgenden Zahlen sind aus: Creutz, Die Zinsbelastung in der Bundesrepublik Deutschland - Zinsen und ihre Behandlung in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, in: z. f. soz.ök. 64/April 1985, S. 25 - 31
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25 Ralf Flücks, Zwischen Sachzwängen und Utopie - Haushaltspolitik am Beispiel Bremen, in: Kommune 6/1984, S.12, Sp. 3 26 Felix G. Binn, Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit, in: z. f. soz.ök., Sonderdruck: Sozialökonomische Beiträge, S. 8f. 27 Die fatale Rolle des Zinses... , S. 23, Sp. 2 28 Manfred Holthus, Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer - Fakten, Probleme, Lösungen, HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburg 1987, in: Entwicklungspolitik - Materialien Nr. 76, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bonn, S.10 (Tabelle); s. a. Alexander Schubert, Die internationale Verschuldung, ed. suhrkamp, NF 347/1985, S. 116 u. 134 28a "Zwischen 1970 und 1986 haben die Brasilianer über 153 Milliarden Dollar für ihren Schuldendienst aufbringen müssen. Nur knapp 64 Milliarden davon dienten der Rückzahlung des geborgten Kapitals. Über 89 Milliarden Dollar gingen für Zinsen drauf. - Die Schulden sind in dieser Zeit auf 108 Milliarden Dollar geklettert, die Zinslast wuchs auf 9 Milliarden jährlich." (Walter Knips, Aus der Zinsknechtschaft, Wirtschaftskommentar im Spiegel 9/1987, S.150). Knips meint nun, die Banken "sollten nun endlich Einsicht zeigen". Bezeichnend seine Begründung: "Die Kuh, die sie (die Finanzkapitalisten; K. S.) so kräftig gemolken haben, braucht ein wenig Ruhe." Was da so nett gesagt wird, kann wohl nichts anderes heißen, als daß die Menschen in Brasilien - um solche handelt es sich bei dieser "Kuh" - nur deshalb etwas "Ruhe" haben sollen, damit sie bald bei frischen Kräften weiterhin "gemolken" werden kann. Gegen die "Zinsknechtschaft" selbst haben die liberalen Opportunisten der Ökonomenzunft mit Wissenschaftlichkeitsanspruch noch nie etwas einzuwenden gehabt... 29 Die Zinsbelastung... , S. 30, Sp.1 30 Die fatale Rolle des Zinses..., S.17, Sp.1 31 Der Spiegel 48/1984, S. 84 (s. a.: Der Spiegel 49/1986, S. 77 -100, zur Konzentration) - Das Startkapital hat sich Horten bei der "Arisierung" jüdischer Vermögen in der NS-Zeit unter den Nagel gerissen. 32 Folglich ist es Unsinn, wenn behauptet wird, daß die 1987 von der Mehrheit der "Volksvertreter" in Bonn beschlossene Steuererleichterung für die Reichen und Superreichen zu höheren Investitionen und damit zur Reduzierung der Arbeitsslosigkeit führen würde. Bei steigenden Einkommen sinkt die Konsumquote und steigt die Sparquote, wie Keynes lehrt und das Beispiel Horten zeigt; ein immer größer werdender Anteil am Einkommen wird nicht für den die Wirtschaft belebenden Konsum ausgegeben. Da außerdem die dem Staat nun fehlenden Finanzmittel bei den unteren Einkommensschichten und durch Ausgabenkürzungen bei den Gemeinden wieder reingeholt werden müssen, werden jetzt gerade jene Einkommen und Einnahmen reduziert, die fast vollkommen für den Konsum file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (5 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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und vollkommen für Nachfrage ausgegeben werden. Die Folge: die volkswirtschaftliche Gesamtersparnis steigt, und weil der "Bedarf ohne Geld" (Dieter Suhr) dasteht, sinkt die Gesamtnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Bei der Steuererleichterung für die Reichen geht es nicht um Vollbeschäftigung, sondern um Klasseninteressen. Was notwendig ist, um die Wirtschaft zu beleben, ist gerade eine hohe Besteuerung der Reichen, und zwar nicht nur ihrer Einkommen, sondern auch ihres Grundeigentums und vor allem ihrer Geldvermögen. Bei einer Besteurung ihrer Liquidität wird "Geld ohne Bedarf" (Suhr) reduziert, dieser Steueranteil tritt dann als öffentliche Nachfrage auf, und außerdem treibt die Geldsteuer die Ersparnisse der Reichen teils in den Konsum, teils als zinsfreie Kredite auf den Investitionsgütermarkt. Das alles steigert die Nachfrage nach Gütern und Arbeitskräften, die Arbeitslosigkeit sinkt. - In dem (von Creutz empfohlenen und in einem Papier kritisch kommentierten) Buch Die große Rezession von 1990 (Heyne-Verlag, 1988) vertritt der US-Ökonom Prof. Ravi Batra ebenfalls die Auffassung, daß die riesigen Einkommen und Vermögen einiger weniger Kapitalisten die "Katastrophen" der "Depressionen" bewirken. 32a Der Spiegel 12/1988, S.194, Sp. 3 33 Creutz, Wachstum bis zur Selbstzerstörung?, in: Creutz/Suhr/Onken, Wachstum bis zur Krise? - Drei Aufsätze, Reihe: Ökonomie Alternativ, Basis Verlag, Berlin 1986, S. 7f.; s. a. Werner Braunbek, Die unheimliche Wachstumsformel, Paul List Verlag, München 1973 33a Eine ähnliche Einschätzung hat der ehemalige Bundesvorstandssprecher der Grünen in Bonn, Dieter Burgmann: "Jeder Kapitalanleger erwartet für seinen Kapitaleinsatz Gewinn bzw. Zinsen, die meist weit über das hinausgehen, was er selbst zum Leben braucht und die deshalb wieder investiert werden und wieder Gewinne bringen müssen, so daß das Kapital nach dem Zinseszins-System ständig wachsen muß. - Dieser Kapitalsteigerung (soll sie nicht zur reinen Inflation werden) muß eine entsprechende Steigerung der Warenproduktion gegenüberstehen, was wiederum nur bei wachsendem Markt oder durch Verdrängung Schwächerer möglich ist. - So entsteht die Kapital-Akkumulation, die zur Monopolbildung führt. Spätestens dann kann Wachstum nur noch durch Ausdehnung des Marktes gewährleistet werden. Im Zins-System liegt also ein unabdingbarer Zwang zum Wachstum." (Zit. aus: Anders leben - anders wirtschaften, Dez. 1987, S. 13) 34 So in dem von den Grünen aus dem Bundestag veranstalteten Seminar "Geldordnung und Wirtschaftsprozesse" am 28 u. 29.1.1984 in Hannover und in: Dieter Suhr, Auf Arbeitslosigkeit programmierte Wirtschaft - Diagnose und rechtstechnische Behandlung des Mehrwertsyndroms, in: Creutz/Onken/Suhr, Wachstum bis zur Krise?, S. 59 (Nachtrag) 35 Von dem Marxisten Andre Gorz, dem Öko"libertären" Thomas Schmid, dem Liberalen Ralf Dahrendorf, dem Christdemokraten Wolfgang Engels, dem Konservativen Milton Friedman u. v. a. 36 Auch Gorz sieht in der Automatisierung und Roboterisierung der Produktion die Chance für radikale gesellschaftliche Veränderungen. Allerdings leitet er diese Einschät-
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zung aus der marxistischen Wirtschaftstheorie ab. Er meint, die "mikroelektronische Revolution" würde "das Ende der Arbeitsgesellschaft" bedeuten, weil sie zu so geringen Kosten der Produktion führt, daß das Wertgesetz verschwinden und damit der Markt überflüssig werden würde; "die Masse des Mehrwerts sowie seine Rate (ließe) sich nicht mehr rekapitalisieren: die Möglichkeit, ihn rentabel neuzuinvestieren, verschwindet" (A. Gorz, Wege ins Paradies, Rotbuch Verlag, Berlin 1983, S. 52). Nun hat sich jedoch gezeigt, daß das Finanzkapital immer wieder Wege gefunden hat, akkumuliertes Geld anzulegen und dafür Voraussetzungen zu schaffen, z. B. mit dem von Reagen projektierten, Hunderte von Milliarden Dollar verschlingenden SDI-Programm. Außerdem ist die Vorstellung, Roboterprodukte könnten fast kosten- und damit preislos produziert und ihre Produkte per "Plan" verteilt werden, marxistische Ideologie, die kommunistischem Wunschdenken entspringt. Auch Roboterprodukte verursachen Kosten und haben somit einen "Wert": die Roboter selbst verursachen Kosten bei ihrer Herstellung, die Herstellung ihre Produkte wiederum erfordert Material, Energie, Verwaltungs- und Vertriebskosten usw., und da Gorz den Zins nicht abschaffen will, werden Roboter-Investitionen mit hohen Kreditkosten belastet sein. Desweiteren ist auch die These, wir könnten irgend wann einmal von jeglicher Arbeit befreit sein, höchst fragwürdig. Tendentiell wird die Arbeit seit den ersten Tagen der Vertreibung aus dem (arbeitslosen) Paradies "abgeschafft", und trotzdem ist sie seit dem Drei- bis Vier-Stunden Tag der Sammler und Jäger um das Doppelte angestiegen, ausgerechnet zu Anfang des Industriezeitalters sogar auf das drei- bis vierfache. Warum? Weil erstens mit der Produktivitätssteigerung der menschlichen Arbeitskraft pro Zeiteinheit durch die Technik in gleichem Maße auch die Bedürfnisse der Menschen und ihr Verbrauch angestiegen sind: gestern fuhren sie allenfalls ein eigenes Fahrrad und verlebten ihre Freizeit in der Kneipe nebenan, heute rasen sie in einem eigenem Auto in den Süden oder buchen eine Reise zu den Bermudas, morgen fliegen sie vielleicht in einem eigen Flugzeug und machen Ferien auf dem Mars. Der zweite Grund: weil heute das Vielfache an Menschen als zu prähistorischen Zeiten auf dem gleichen beschränkten Raum der Erde versorgt werden muß, wird ein Teil der Produktivitätssteigerung durch teure Intensivwirtschaft aufgehoben: statt sammeln mit den nackten Händen, Ackerbau mit der Hacke, dann mit dem Pflug; statt in der alten Schmiede, am Hochofen stehen (wo die Krise die Arbeit "abschafft"!); statt auf dem eigenen Buckel und mit den eigenen Füßen, mit dem Esel, dem Karren, der Postkutsche, der Eisenbahn, dem Auto, dem Jet Güter transportieren; statt den eigenen Kopf anzustrengen, mit dem Computer rechnen usf. Die Roboter nun endlich das Licht am Ende des schweißgeträngten Tunnels der Arbeit? Man denke nur einmal an die außerordentlich hohen Kosten einer Weltraumbesiedlung, wie sie zur Milderung einer Übervölkerung der Erde bereits von einigen Forschern geplant wird (R. Breuer, Kontakte mit den Sternen - Leben auf anderen Planeten?, Ullstein, Frankfurt 1981, S. 328ff.), um zu begreifen, daß des Menschen Arbeit kein Ende nimmt. Und schließlich sagt Gorz selbst, daß es neben der roboterisierten Industrie noch den großen Bereich der Dienstleistungen und des Kleingewerbes geben wird, der durch Roboterisierung und Großindustrie nicht zu ersetzen ist. Wird auch hier das Wertgesetz aufgehoben und der Markt überflüssig werden? Und was ist mit der Dritten Welt? Wird es auch in diesen angeblich unterentwickelten Ländern in Kürze kein Wertgesetz und keine Arbeit mehr geben? Selbstverständlich kann und muß die Arbeitszeit verkürzt werden. Erheblich reduziert werden kann sie jedoch nur, wenn der Konsum und die Weltbevölkerung nicht wesentlich zunehmen. Doch damit können wir gegenwärtig nicht rechnen. Die Weltbevölkerung auf den gegenwärtigen Stand zu begrenzen, bedeutet außerdem, potentielles Lefile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (7 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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ben an der Realisierung seiner Existenz zu hindern - ein lebensfeindliches Konzept. 37 John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (Allg. Theorie), Dunker & Humbolt, Berlin 1955, S. 191-195; Gesell: "Also, je mehr Ware erzeugt wird, desto mehr wachsen die Anlagen zur Erzeugung von mehr Ware, vermehren sich die Sachgüter (das sogenannte Realkapaital). - Aber von diesen Anlagen, vom Realkapital, erwartet man Zins, und Zins fällt in dem Maße, wie das Realkapital im Verhältnis zur Bevölkerung wächst. Viele Wohnungen (und wenig Mieter; K. S.) - niedriger Hauszins. Viele Fabriken und wenig Arbeiter - niedriger Fabrikzins. - Fällt also der Zins des Realkapitalien infolge der neuen Anlagen unter das herkömmliche Maß, so wird kein Geld mehr für solche Anlagen hergegeben. Kein Zins, kein Geld! - (... ) - Und weil das Geld sich zurückzieht, weil die Nachfrage fehlt, gehen die Preise herunter und der Krach (die Krise) ist da. - Gesetzmäßig muß also der Krach ausbrechen, wenn als Folge vermehrter Realkapitalien der Fabrik- und Hauszins (die Rendite; K. S.) heruntergeht. (NWO, S.198f.) - Diese Theorie bestätigt, daß Arbeitslosigkeit nichts mit "Ausländerschwemme" zu tun hat - im Gegenteil: ein großes Angebot an bedürftigen Arbeitern ist gleichbedeutend mit einem großen Potential an Nachfrage nach Produkten, die durch eben diese Arbeiter - direkt oder indirekt - selbst erarbeitet werden müssen. 38 Kap. III, S. 370 38a S. entsprechendes Proudhon-Zit. in NWO, S. 33, u. Gesell, aa0., S. 352 39 Der Zins des Geldes und der vermehrbaren Produktionsmittel und Waren (die Rendite) sind die Kriterien, durch die der Kapitalismus als solcher zu definieren ist. Obwohl es Kapitalismus seit Einführung des zinserpressenden Geldes gibt, haben die technische Entwicklung und die gigantische Vermehrung der Produktionsmittel in der jüngeren Geschichte erst dem Geld- und Kapitalzins die gewaltigen Akkumulationsmöglichkeiten eröffnet, die zu einer Gesellschaft geführt haben, die wir die kapitalistische nennen. Die private Aneignung des Zinses aus dem unvermehrbaren Produktionsmittel Boden (die Rente) ist ein Relikt aus der feudalistischen Agrargesellschaft und kein eigentliches Kriterium des Kapitalismus. Für Marx steht jedoch nicht der Zins, sondern die Ware im Mittelpunkt seiner Kapitalismusanalyse. Hans-Jürgen Krahl bringt Marxens Kapitalismusverständnis auf den Punkt, wenn er schreibt: "(...) die Ware bildet die Zellform der bürgerlichen Gesellschaft, und der Zins, die fetischistische Gestalt des Kapitals, führt eine prähistorische Existenz" (Konstitution und Klassenkampf, Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1977, S. 85). In Folge dieser Betrachtungsweise läßt sich in Marxens 2.500 Seiten langer Fleißarbeit Das Kapital auch keine klare und für eine sozialistische Praxis nützliche Definition des Kapitalismus finden. So verwundert es nicht, daß das Mitglied einer dreiköpfigen Kapital-Arbeitsgruppe am Ende eines elfjährigen Studiums der drei berühmtesten der blauen Bände gesteht: "Wenn es uns wirklich auf den Nägeln gebrannt hätte, den Kapitalismus zu verstehen, dann hätten wir schon lange aufgehört, das Kapital zu lesen" (taz vom 24.12.1986, S. 5). Offenbar kann dieses gigantische Werk Linken nur zur intellektuellen Onanie dienen. Eine Konkurserklärung der marxistischen Kapitalanalyse (s. a. Simone Weil, Über die Widersprüche des Marxismus in Unterdrückung und Freiheit - Politische Schriften, Tausendundeins, 1987, S. 265ff.).
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40 Einen Zusammenhang von hoher Verzinsung von Wertpapieren ("Rendite") und niedriger Beschäftigung hat Adolf Weber bereits für den Zeitraum von 1899 bis 1913 ausgemacht. In diesem Zeitabschnitt ging der Zinsanstieg der Arbeitslosigkeit immer voraus (s. Grafik), was empirisch belegt, daß steigender Zinsfuß Arbeitslosigkeit bewirken kann. Da es sich in Webers Beispiel um festverzinsliche Wertpapiere und nicht um Aktien mit schwankenden Dividenden handelt, haben wir es hier primär mit dem Geldzins und nicht mit der eigentlichen Rendite des Produktivkapitals zu tun. 40a Joseph Hüwe, Zwingt die traditionelle Geldordnung zur Rüstungsexpansion?, Berlin 1987 (eine kleine Broschüre) 41 Nach einem Rechenexempel von L. Stadelmann, Nicht ausweglos!, Verlag Neues Leben, Bad Goisern 1987, S. 41. 41a Die Anthroposophen haben diesen Zusammenhang begriffen und erwarten Zinsverzicht von den Einlegern bei ihrer Bank (Rundbrief 39/1987, Org. d. Netzwerk Selbsthilfe e. V, S. 20, Sp.1). Dem Vorschlag ihres Meisters Rudolf Steiner ein Geld zu fordern, das sich "abnutzt", um so auf die Geldbesitzer einen Angebotsdruck auszuüben, folgen sie jedoch nicht. 41b Freiherr Karl von Vogelsang, zit. bei Adolf Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie, Bd. I, S. 144 42 Equality, S. 37; zit. bei: J. Martin, Männer gegen den Staat - Die Vertreter des Individualanarchismus in Amerika 1827 - 1908, Bd. I, Verlag der Mackay-Gesellschaft, Hamburg/ Freiburg i. Br.1980, S. 213 43 Diese Entwicklung eines die gesamte Volks- und Weltwirtschaft beherrschenden Finanzkapitals hat der Marxist Rudolf Hilferding in den 10er Jahren in Das Finanzkapaital beschrieben. Dieses Werk ist von manchen Interpreten als der "vierte Band" des Kapitals bezeichnet worden. Entsprechend der marxistischen Theorie erwartet Hilferding die Überwindung der Bankenherrschaft von einer naturwüchsigen kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung über die Konzentration des Kapitals bis hin zur zentralgelenkten und geldlosen "Planwirtschaft". Die marxistisch orientierten Ökosozialisten Thomas Ebermann und Rainer Trampert behandeln die Bankenmacht im Zusammenhang mit der Verschuldung und Zinsausbeutung in der Dritten Welt in Die Zukunft der Grünen - Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1985, S. 84 -115. Ein realistisches Konzept zur Brechung der finanzkapitalistischen Macht haben sie allerdings nicht entwikkelt. 44 Fritz Schwarz, Morgan, der ungekrönte König der Welt, Verlag des Pestalozzi-Fellenberg-Hauses, Bern 1927, S. 47ff.; Kurzfassung in: ders., Segen und Fluch des Geldes in der Geschichte der Völker Bd. I, Genossenschaft Verlag für freiwirtschaftliche Schriften, Bern 1945, S. 225ff.
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45 So in einem Vortrag in dem erwähnten Seminar der Wirtschafts-AG der Grünen in Hannover 1984. 46 Die folgenden Zahlen und Zitate sind dem deutschen Titel Die Mächtigen und die Supermächtigen, rororo, Reinbek 1978, entnommen. 47 Die Mächtigen... , S. 35 48 Die Mächtigen..., S. 214 49 Der Spiegel 42/1985, S.178 50 Selbstverständlich lassen sich nicht alle Wissenschaftler korrumpieren. Das zeigt ein Beispiel, über das mir der Freiwirt Heinz-Peter Neumann aus Berlin berichtete. Zur Zeit der Weimarer Republik wurde der Ökonom Dr. Franz Hochstätter von einem Wirtschaftsverband beauftragt, ein negatives Gutachten über Gesells Freiwirtschaftslehre zu erstellen. Beim Studium dieser Lehre kam er jedoch zu dem Schluß, daß sie richtig ist, trat von seinem Auftrag zurück, wurde Anhänger dieser Lehre und schrieb das interessante Buch Geld und Kredit als Störer der monetäre Tauschwirtschaft, erschienen zunächts (1933) merkwürdigerweise im Militär-Verlag in Berlin, dann (1936) im R. Zitzmann Verlag in Lauf. 51 Über die Macht des westdeutschen Finanzkapitals berichtet der Spiegel 7/1985 in der Titelgeschichte Weltmacht Deutsche Bank. 52 Daß das in der BRD nicht viel anders aussieht, zeigt z. B. der Flick-Skandal (Der Spiegel 4/1983, 44/1984 u. 50/1985) 53 Die Verschwörungstheorie vertreten z. B. Gary Allen, Die Insider - Wohltäter oder Diktatoren?, VAP, Wiesbaden 1980, und Eustace Mullins, Die Bankenverschwörung, Verlag für ganzheitliche Forschung, Wobbenbüll 1980. Allen will die Bankenmacht durch die "Anarchie" überwinden, die er ganz rechts außen im politischen Spektrum ansiedelt (s. Grafik aaO. , S. 38). Das Interesse der Linken an der IWF und Weltbank begnügt sich mit einer Kritik an den Handlangerdiensten dieser Institutionen für das Finanzkapital, analysiert aber nicht das Finanzkapital selbst, schon gar nicht seine Basis: das zinserpressende Geld. Völlig realistisch begreift Kurt Zausel (in einem Kommentar in der tageszeitung vom 27. 8. 1988) immerhin Politik als "Geisel der Ökonomie" und Zinserhöhungen als Katastrophe für die verschuldeten Länder der Dritten Welt und des "realen Sozialismus". 53a Raoul Wallenberg stammt aus der reichsten, einer finanzkapitalistischen, Familie Schwedens; er rettete während des Krieges zehntausende ungarische Juden vor der Vergasung durch die NS-Rassisten. Beim Einmarsch der Sowjetarmee in Ungarn wurde er von Stalins Schergen in die GULags verschleppt und ist dort verschollen. - Der Millionär Jan Philipp Reemtsma unterhält ein linkes Forschungsinstitut in Hamburg und setzte sich 1987 für die Hausbesetzer in der Hafenstraße ein. - Es geht auch gar nicht darum, ob schlaue Leute die ihnen durch die ökonomischen Verhältnisse gegebenen Chancen nutzen, sondern file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (10 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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darum, ob wir dumm genug sind, ihnen diese einzuräumen, z. B. indem wir das zinserpressende Geld akzeptieren oder das Privateigentum am Naturprodukt Boden anerkennen. 54 S. z. B. Ebermann/Trampert, Die Zukunft der Grünen, S. 84ff., u. den interessanten Aufsatz von Karl Georg Zinn, Pecunia quo Vadis? in: Sozialismus, 2/1987, abgedruckt in: z. f. soz.ök. 76/März 1988, S. 19ff., der sich mit der Zinseszinsakkumulation im Zusammenhang mit der Dritten Welt beschäftigt. - Diagnosen - Das Zeitkritische Magazin, das (in Heft 1 u. 2/1984) auch über die Freiwirtschaftslehre berichtet, neigt zur Irrationalität. 55 Allg. Theorie, S. 271ff. 56 Das Recht des Einzelnen auf den vollen Arbeitsertrag hält Gesell allerdings für ein "Hirngespinst"; es bezieht sich auf das Recht aller Produzenten als Klasse, auf ihren "gemeinsamen" vollen Arbeitsertrag (NWO, S. 40f.). 57 Allg. Theorie, S. 316 f. 58 Es ist höchst bemerkenswert, wie der Rechtsextremist Heinz Quester 1930 seine Kritik an dem "Sozialismus der Nationalsozialisten" begründete: Eine Abschaffung bzw. Abschöpfung des Geld-, Kapital- und Bodenzinses werde "das Eigentum in einem Maße aushöhlen (..), wie es ähnlich bei der Bodenreformbewegung (Damaschkes; K. S.) der Fall ist. Es bleibt die Schale des Eigentums, während man den Kern (Grundrente, Leihzins, Pachtzins usw ) wegnimmt" (Standarte 1/Mai 1930, S. 492). Quester, intelligenter Vertreter des Kapitals, hat vorzüglich erkannt, was den meisten Sozialisten und Kommunisten schwerfällt, nämlich, was passiert, wenn Kredit- und Produktionsmittel keinen Zins mehr abwerfen: sie sind dann kein Kapital mehr! Doch vor den Methoden, die Gottfried Feder zur "Brechung der Zinsknechtschaft" anwenden wollte, wie z. B. die "Volkserziehung", brauchten sich Quester und seine kapitalistischen Freunde nicht zu fürchten (s. Uhlemayrs Kritik des NSWirtschaftsprogramms; Anm. 179), ganz abgesehen davon, daß Feders geliebter Führer Adolf Hitler sowieso nie die Absicht hatte, die Zinsknechtschaft zu brechen, und seinen Anhängern verbot er die Beschäftigung mit der Freiwirtschaftslehre. (Werner Zimmermann: "Kapital ist zinstragendes Eigentum, (...) nicht einfach eine Sache, sondern (..) bedingt durch einen Zustand, den Mangel" an "Geld", "Häusern, Fabriken" usw.; Sozialismus in Freiheit, R. Zitzmann Verlag, Lauf 1946, S.16.) 59 Nocolas A.L. J.Johannsen, DieSteuer der Zukunft und ihre Einwirkung auf geschäftliche Depressionen und volkswirtschaftliche Verhältnisse, Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin 1913. - Das Prinzip der Noteneinziehung vertrat auch Arthur Ph. D. Dahlberg, When Capital goes an strike, New York 1938. 60 Irving Fisher, Mastering the Crisis - With Additional Chapters on Stamp Scrip, Georg Allen & Unwin LTD, London 1934; Gustav Landauer, Aufruf zum Sozialismus, MarconBlock-Verlag, Köln 1923, S.121; Erich Mühsam, Ein Wegbahner, in: Fanal 7/Apr. 1930; Rudolf Steiner, Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft, Verlag der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Dornach/Schweiz 1961, S. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (11 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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130 -133; ders., Nationalökonomischer Kurs - Vierzehn Vorträge (von 1922), ebd.1965, S. 165f., 174 u. 202, faksimiliert in: agit 883 90/1983, S.14. S. a. Santiago Fernandes, Die Dialektik des Gleichgewichts bei BOISGUILLEBERT, bestätigt durch Karl Marx und die von ihm abgeleiteten ökonomischen Gesetze, in: z. f. soz.ök. 64/April 1985, S. 16ff. 61 Nach einer Mitteilung von Werner Onken und Hans Weitkamp wurde dieses Knochengeld-Konzept von Archille Dauphin-Meunier in "Danque a travers les ages" dargestellt. Dieses Buch hatte jedoch nur eine Auflage von 275 Exemplaren und ist kaum noch aufzutreiben. 61a Christel Neusüß u. Marlene Kück, Die Geldgeburten sind prekär geworden, in: taz, 10. 2.1984 62 NWO, S. 235 - 256 63 Allg. Theorie, s. 196 64 Werner Onken, Ein vergessenes Kapitel der Wirtschaftsgeschichte - Die Selbsthilfeaktionen mit Freigeld, in: Creutz/Onken/Suhr, Wachstum bis zur Krise?, Basis Verlag, Berlin 1986, S. 63ff (Nachdruck aus: z. f. soz.ök. 57-58/Mai 1983). S. a. Fritz Schwarz, Das Experiment von Wörgl, Genossenschaft Verlag, Bern 1951; Alex von Muralt, Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld, in: Ständisches Leben 6/1933, 306ff., s. Text 6; Artikelserie über Wörgl mit einem Interview mit einem Assistenten von Irving Fischer über Schwundgeld-Experimente in USA in der Berner Zeitschrift Geld und Arbeit - Illustriertes Monats-Magazin 1/ Jan. bis 6/Juni 1933; Claude Bourdet, Das "Wunder von Wörgl", in: agit 883 90/1983, S. 5f., eine Übersetzung aus der Pariser Illustrierten L'Illustration vom 9. Sept. 1933; Alfred Hornung, Das Ergebnis des Wörgler Schwundgeldversuchs, in: Tiroler Studien 2/1934 (eine kritische, 70 Seiten lange Analyse mit reichem Zahlenmaterial); F Schwarz, Das Wära-Wunder von Schwanenkirchen, in: ders., Vorwärts zur festen Kaufkraft des Geldes und zur zinsfreien Wirtschaft!, Genossenschaft Verlag, Bern 1931, S. 57 - 64; Rolf Spier, un solustion - ein ausweg, Eigenverlag,1961 (über Experimente in Frankreich u. Brasilien). 65 Karl Walker, Die Umlaufsicherung des Geldes, Vita-Verlag, Heidelberg-Ziegelhausen 1952 66 Der englische Kaufmann und Schatzkanzler Sir Thomas Gresham (1519 -1579) hat festgestellt, daß "schlechtes" Geld "gutes" aus der Zirkulation verdrängt. "Gutes" Geld ist jenes, das eine feste oder gar steigende Kaufkraft besitzt. Dieses Geld verschwindet aus der Zirkulation und wird als Spar- und Spekulationsmittel gehortet, während jenes Tauschmittel umläuft, dessen Kaufkraft sinkt, also "schlechtes" Geld ist. Dieser Vorgang konnte bei Doppelwährungen beobachten werden, also dort, wo Edelmetallgeld existiert und wo sich der metallische Eigenwert z. B. der Silbermünzen gegenüber den Goldmünzen verändert. Steigt z. B. der Preis für Silber oder fällt der Goldpreis, dann werden die Wirtschaftssubjekte geneigt sein, nur mit Goldmünzen zu zahlen und Silbermünzen zurückzuhalten, solange diese Veränderung der Preisrelation anhält. Denn der Preisanstieg für Silber bedeutet, daß die Besitzer von Silbermünzen mit diesen in der Zukunft mehr kaufen können als mit Gold-
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münzen. Entsprechendes gilt, wenn sich die Legierung der Edelmetallmünzen verändert. Daß das "schlechte" Geld angenommen wird, liegt daran, daß die Produzenten und Händler produzieren und verkaufen, um zu leben, und weil ihre Produkte und Waren ebenso "schlecht" oder "schlechter" sind als dieses Geld: sie unterliegen ebenfalls einem Wertschwund. 67 Dieter Suhr, Geld ohne Mehrwert - Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten, Fritz Knapp Verlag, Frankfurt 1983, S. 41f. u. 77f. 68 Hans Weitkamp, Das Hochmittelalter - ein Geschenk des Geldwesens, HMZ-Verlag, Hilterfingen 1983/85, S. 73 69 Richard Geattens, Inflation - Das Drama der Geldentwertung vom Altertum bis zur Gegenwart, Richard Pflaum Verlag, München 1955, S. 40. Für Rocker reicht diese Periode vom 9. bis zum 15. Jahrhundert; er berichtet über sie in: Die Entscheidung des Abendlandes, Bd. I, Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1949, S. 109ff. 70 Adolf Damaschke, Geschichte der Nationalökonomie - eine erste Einführung, Bd. I, G. Fischer-Verlag, Jena 1922, S. 85 - 109 71 Fritz Schwarz, Die Brakteaten, das Freigeld des Mittelalters, in: ders., Vorwärts zur festen Kaufkraft... , S. 46 - 56, faksimiliert in: agit 883 90/1983, S. 10f.; Karl Walker, Das Geld in der Geschichte, Zitzmann Verlag, 1959. S. a. P. Nagel, Schwundgeld im Mittelalter, in: Die Freiwirtschaft 9/1926, u. Schwarz, Segen und Fluch des Geldes·in der Geschichte der Völker, 2. Bd. 71a Horst Karasek, Die Kommune der Wiedertäufer (1534), Wagenbach Taschenbücher 16, Berlin 1983, S. 101-105 72 Die Quantitätsformel macht noch etwas anderes deutlich. Sie beweist, daß die Ideologie von der Lohn-Preis-Spirale - soll heißen: Lohnerhöhungen haben Preissteigerungen zur Folge - leeres Geschwätz ist, das lediglich die Funktion hat, Stimmung gegen Lohnforderungen zu machen und die Arbeiter in ihren Lohnkämpfen zu entmutigen. Solange die Lohnabhängigen ihre Einkommen nicht durch das Drucken von Falschgeld aufbessern, bedeuten Lohnerhöhungen nichts anderes, als daß das gesamte Einkommen von Arbeitern und Unternehmern umverteilt wird zu Gunsten der Lohnempfänger und zum Nachteil der Gewinnmacher. Erst wenn durch Geldschöpfung der Notenbank und/oder der Geschäftsbanken oder durch den Zufluß von ausländischem Geld der Geldumlauf ausgeweitet wird, steigen die Preise - und verwässern die Kaufkraft der Lohnsteigerungen. Die Wirklichkeit hat immer wieder gezeigt, daß in der Regel zuerst das allgemeine Preisniveau steigt und daß dann Lohnerhöhungen folgen: sie hinkten der realen Kaufkraftminderung der Löhne durch die schleichende Inflation hinterher. Wir hatten es also mit Preis-Lohn-Spiralen zu tun! 73 Über Mord, Selbsttötung und bewaffneten Widerstand US-amerikanischer Farmer berichtet Der Spiegel 4/1986, S. 116f., denn: "Mit über 200 Milliarden Dollar stehen die 2,4 Milfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (13 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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lionen US-Farmer bei ihren Banken in der Kreide (...). Wenigstens 350.000 Farmer, vermutet das US-Landwirtschaftsministerium, befinden sich in akuten Finanzschwierigkeiten, mindestens 5.000 seien 'praktisch insolvent' " (aaO.). "Die Gesamtschulden aller US-Bürger betragen bereits heute mehr als sieben Billionen Dollar - fast das doppelte dessen, was das Land in einem Jahr als Sozialprodukt erwirtschaftet" (Der Spiegel 42/1986, S. 196). 74 Prof. Ortlieb in einer Vorlesung an der Akademie für Wirtschaft und Politik in Hamburg Anfang der 60er Jahre. 75 "Liquiditätsfalle (liquidity trap) entsteht im Keynes-Modell, in welchem die Nachfrage nach Geld nicht nur vom Einkommen (Umsatzmotiv), sondern auch vom Zins (Spekulationsmotiv) abhängig ist, dann, wenn eine erhöhte Geldmenge vollständig in inaktive Spekulationskassen (Gesell: "Horte"; K. S.) fließt, weil man bei sehr niedrigem Zins für die Zukunft mit steigenden Zinssätzen rechnet und daher nicht bereit ist, Liquidität gegen Wertpapiere einzutauschen. (...)" (Horst C. Recktenwald Wörterbuch der Wirtschaft, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1981, S. 353). 76 Friedrich A. von Hayek, Entnationalisierung des Geldes - Eine Analyse der Theorie und Praxis konkurrierender Umlaufmittel, Verlag J. C. Mohr, Tübingen 1977 77 Clifford Hugh Douglas, Sozial Credit, London 1924 (s. dazu Willem P. Roelofs, A Critical and Economical Study in "Sozial Credit", 'S-Gravenhage 1951); Douglas, Economic Democracy with The Delusion of Super-Production (mit vollst. Liste seiner Schriften), England 1974; Heinrich Rittershausen, Der Neubau des deutschen Kreditsystems, Berlin 1932; Henry Meulen, Free Banking - An Outline of a Policy of Individualism, London 1934 78 Urjo Ray, Geldanarchie, Effiziens-Verlag, Leipzig 1931, S.14 -19, Kap.: Monopolgeld oder Freies Geld? 79 Der abgebaute Staat, S. 5, 58 u. 60 80 Allg. Theorie, S. 298 - 302. Lawrence R. Klein bringt eine allgemeine Kritik an Gesell an, die auf Keynes Theorie hinweist: "Was Gesell zu sagen hatte, war durchaus gut und enthält viel Wahres, aber er ging nicht weit genug. Er hätte die Wirkung des Freigeldes auf Konsum, Sparen, Investition und Einkommen analysieren sollen. Er war mehr in Gedanken an Preise und Zinsen als an Beschäftigung und Einkommen vertieft. Es stimmt wahrscheinlich, daß Freigeld sich vorteilhaft sowohl auf den Konsum als auch auf die Investitionen auswirken wird und auf diesem Weg ein höheres Einkommen erzeugt (s. dazu N. Johannsen, Die Steuer der Zukunft, S. 227 - 231; K. S.). Aber Gesell überging dieses Problem zum großen Teil" (Zit. aus der z. f. soz.ök. 72/1987, S. 2). 81 NWO, s. 365 - 359 82 Folgende Grafik zeigt die einzelnen Anteile auf, aus denen sich der Preis für Liquidität - der "Kredit-" oder "Bruttozins" (Bankenzins) - zusammensetzt: file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (14 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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XXXXXXXXXXXXXXXXXX Die "Kreditverwaltungskosten" der Kreditinstitute (Banken, Sparkassen etc.) werden durch die relativ unveränderlichen Kosten bestimmt, die das Kreditgeschäft verursacht. Dazu gehören in der Zinswirtschaft auch die Zinsen des Eigenkapitals der Bank, die jedoch nur einen geringen Anteil am Kreditpreis ausmachen. Die "Risikoprämie" kompensiert Verluste, die z. B. durch Zahlungsunfähigkeit der Kreditnehmer eintreten; deren Höhe ist vor allem vom störungsfreien Funktionieren der Volkswirtschaft abhängig. Der inflationistische Kaufkraftschwund des Geldes kann sich der Kreditgeber in der Regel vom Schuldner bezahlen lassen, da die durch die Inflation angeheizte Kunjunktur zu entsprechendem Anstieg der Kreditnachfrage und damit zu steigenden Zinsen führt. Heute trägt auch die Staatsnachfrage nach Krediten (Staatsverschuldung) erheblich zu Zinssteigerungen bei. Gesell nennt diesen konjunkturell bedingten Zinsanteil die "Hausseprämie" (NWO, S. 353ff.). In Ausnahmefällen können die inflationistischen Durchhaltekosten aber auch bewirken, daß die Inflationsrate den "Nominalzins" übersteigt, so daß die Kreditgeber auch dann draufzahlen, wenn sie gegen Zins verleihen. Diesen realen Negativ-Zins hat es kurzfristig in den 70er Jahren zweimal beim Yen und zweimal beim US-Dollar gegeben (s. Spiegel-Grafik, Anm. 231). Den als Leitzins für Kreditzinsen gedachte "Diskontzins" erhebt die staatliche Zentralnotenbank für Geldmittel, die die Geschäftsbanken bei ihr anfordern, um sie an ihre Kunden weiterzuverleihen. Der Diskontsatz betrug Anfang 1982 7,5 % und wurde bis Ende 1987 stufenweise auf 2,5 % gesenkt. Der "Urzins" ist der eigentliche Zins: das arbeitsfreie Einkommen aus dem "Bonus" (Keynes), den Geld auf dem Markt besitzt. Würde der Diskontsatz wesentlich unterhalb der drei- bis vierprozentigen Urzinsrate liegen und hätten alle Kreditnehmer unbeschränkten Zugang zu diesem billigen Notenbankkredit, dann würde er die Urzinsrate entssprechend der Rate des Diskontzinses hinabdrücken. Das gleiche gilt, wenn Geschäftsbanken, genossenschaftliche Kreditinitiativen, Ökobank oder private Anleger ausreichend zinsbillige oder zinsfreie Kredite zur Verfügung stellen könnten und wollten. Das ist in der Regel jedoch nicht der Fall, weil die Sparer und insbesondere die Finanzkapitisten ihre Liquidität nicht ohne eine "Liquiditäts(verzichts)prämie" zur Verfügung stellen. Eine zum Zwecke der Zinssenkung über die volkswirtschaftliche Sparsumme hinausgehende Kreditschöpfung führt jedoch zur Inflation und bewirkt (s. oben) die zinstreibende Hausseprämie. Ansonsten ist die untere Grenze der Urzinsrate von 2,5 bis 3% auch die untere Grenze, für die angesammelte Gelder zu Kreditzwecken locker gemacht werden, also die untere Grenze der Liquiditätsprämie - wenn diese Liquidität nicht mit einer negativen Liquiditätsprämie: mit Durchhaltekosten im Sinne Gesells und Johannsens, belastet wird. Vorübergehend können zwar auch diese Kosten die Hausseprämie und damit den Kreditzins hochtreiben, doch nach erreichtem Gleichgewicht von Angebot an Investitonsmitteln und Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen, bei erreichter "Vollinvestition" (Keynes), verschwindet auch die Hausseprämie aus dem Bruttozins. Ein Knappheitszins entsteht auch durch Bankenmonopole, doch das ist ein besonderes Thema und bleibt hier unberücksichtigt. Ein "Deflationsgewinn" ist selbstverständlich nur bei Deflation möglich, was Inflation und damit einen "Inflationsausgleich" ausschließt. Während die Inflation unter bestimmten Umständen (keine Kompensation der Inftationsrate durch die Hausseprämie) den Kreditnehmer auf Kosten des Kreditgebers bereichert: weil der Schuldner Zinsen und Schuldentilgung mit entwertetem Geld bezahlt, macht bei Deflation der Geldgeber auf Kosten des Geldnehmers einen arbeits- und leistungslosen Gewinn entsprechend der Deflationsrate: einmal wegen des realen Kaufkraftgewinns des nominell stabilen Zinssatzes ("Defile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (15 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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flationsgewinn" = "Brutto-" minus "Nominalzins"), zum anderen bei Rückzahlung der nominell gleichen, aber in der Kaufkraft gestiegenen Kreditsumme. Die Belastungen bzw Gewinne aus der Instabilität einer Währung plus ein Teil des Diskontsatzes plus ein Teil der Risikopränie sind der "systemdedingte Zinsanteil" des heutigen Geld- und Währungssystems; die Kreditverwaltungskosten und ein Teil der Risikoprämie sind in keinem Geld- und Währungssystem zu vermeiden. Sie lassen sich allerdings durch entsprechend hohe Durchhaltekosten für Liquidität u. U. auf den Geldgeber abwälzen. Laut Bundesbank betrug der Realzins (Creutz: "Grundzins") in der BRD 1986 etwa 6%, der durchschnittliche Realzins von 1968 bis 1986 3,8%, der niedrigste Satz betrug 2,6 % und zwar 1971 und '73. 83 So zit. Suhr Gesell in seinem Aufsatz Silvio Gesell als Liquiditäts- und Transaktionskostentheoretiker, in: z. f. soz.ök. 74/Sept.1987, S. 26, Sp.1 (NWO, S. 317). 84 AaO., S. 25f. (NWO, S. 321) 85 Fisher, Stamp scrip, in: Mastering the crisis, S. 147 -168 86 Ernst Winkler, Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung - Die drei Gesetze des wirtschaftlichen Gleichgewichts und die natürliche Wirtschaftsentwicklung, Vita·Verlag, Heidelberg-Ziegelhausen 1952, S. 139f. 87 Allg. Theorie, S. 302 u. 195 88 Allg. Theorie S. 188f. 88a Auf Grund der Transaktionskostenersparnis, die der volkswirtschaftliche Einsatz des Geldes bewirkt, können wir auch das Geld als produktiv betrachten. Dann erscheint die Ersparnis als positiver Wert bei q. Wir betrachten dann das Geld ebenso wie Realkapital einschl. Boden und menschliche Arbeitskraft als Produktionsfaktor. Daraus müssen wir jedoch nicht die Schlußfolgerung ziehen, den Eigentümern von Kapital, Boden und Geld stünden die Produktivität dieser Güter, die als Zins erscheint, moralisch zu. Hier wird - ganz willkürlich! - davon ausgegangen und dafür gekämpft, daß auch diese Produktivität allein dem menschlichen Produktionsfaktor, also dem Lohnarbeiter, dem Unternehmer und jedem anderen Arbeiter, zusteht und zufließt. Darauf stellen wir unsere Wirtschaftspolitik ab. 88b Dieter Suhr Durch Selbsthilfe zu Wirtschaftsbelebung und Arbeitsplätzen, in: ders., Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus, Basis Verlag, Berlin 1986, S. 61- 76 89 Keynes, Proposals for an International Clearing Union, in The Collectes Writings of John Maynard Keynes, Vol. XXV (1940 - '44), Macimillian, Cambridge, S.168 -195; übersetzt ins Deutsche von H. Harborth und Kommentiert von D. Archibugi u. J. A. Kregel in: Letre International 2/1988. S. a. den übersetzten Auszug Die Lösung der internationalen Währungsprobleme auf der Basis des KEYNES-Plans aus Ouro, a Reliquia Borbara von dem Währungsexperten der Brasilianischen Notenbank, Santo Fernandes, in: Z. f. Soz.ök. 40 -41/1979, S. 24ff., u. Wilhelm Hankel, John Maynard Keynes, Pieper, München/Zürich file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (16 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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1986, S. 70. 89a Auszug aus der Rücktrittserklärung des IWF- u. WB-Funktionärs Davison L. Budhoo in der taz vom 20., 21., 22. u. 23. 9.1988, S. 8 bzw. 6. - S. a. R. Tetzlaff, Die Weltbank, München 1980; P Sandner u. M. Sommer, IWF - Weltbank, Stuttgart 1988; E. Altvater u. a., Die Armut der Nationen, Berlin 1987 90 Kap. III, S. 351 90a Kap. III, S. 412 90b NWO, S. 314, Fußn. 2 90c Kap. III, S. 370 91 Der Freiwirt Karl Walker ist der Ansicht, daß einerseits die Dollarkäufe der Zentralbank zur Inflation in der BRD und andererseits die staatlichen Steuersubventionen für unternehmerische Investitionen zu hohen Zinsen, zu radikaler Einkommensumverteilung zu Gunsten der Reichen, damit zu mangelnder Konsumgüternachfrage durch die Kaufkraftschwäche der Bedürftigen und folglich zu kunjunktureller Stagnation geführt haben (s. Walkers 1972 vor dem Parteitag der Liberalsozialistischen Partei Schweiz gehaltenen und immer noch aktuellen Vortrag Zur Krisenlage unserer Wirtschaftsordnung, Hg.: Sozialwissenschaftliche Gesellschaft 1950 e. V, Sekretariat: Gelsenkirchen-Horst, Postfach 3). 92 Dieter Suhr, Geld ohne Mehrwert (s. Anm. 67), Auf Arbeitslosigkeit prorammierte Wirtschaft (s. Anm. 169), Plädoyer für eine neue Geldordnung - Eine keynesianische Alternative zum Keynesianismus (s. Anm. 222), Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus, Basis Verlag, Berlin 1986; ders. u. Hugo Godschalk, Optimale Liquidität - eine liquiditätstheoretische Analyse und ein kredittheoretisches Wettbewerbskonzept, Fritz Knapp Verlag, Frankfurt 1986. (Schriften von Suhr werden bereits in Jugoslawien und Polen veröffentlicht!) 93 z. f. soz.ök. 61/Mai 1984, S. 44ff. 93a Eine glasklare, in einzelne Begriffe und Theoreme aufgegliederte, auch für Laien verständliche Analyse der Gesellschen Freiwirtschaftslehre lieferte Anfang der 50er Jahre Ernst Winkler mit seinem Werk Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung (s. Anm. 86). 94 NWO, S. 49 95 Das hat Marx sehr penibel in Kap. III, S. 659ff., dargestellt. Eine leicht verständliche und flott geschriebene Boden- und Renten-Analyse bringt Adam Smith in dem Kapitel Die Grundrente in Eine Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstandes 96 Der Spiegel 45/1986, S. 127; Der Tagesspiegel (Tsp), 13. 7.1985 file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (17 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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97 Wachstum bis zur Selbstzerstörung, S. 13 98 Auch Proudhon vergleicht die Absurdität des Privateigentums an Grund und Boden mit dem Gedanken einer Privatisierung der Luft (und des Wassers; Was ist das Eigentum?, Berlin 1896, S. 68). In der agit 883 90/1983 erschien dazu eine Satire unter dem Titel Privatisiert die Luft! Die Comic-Figur Dagobert Duck, so wurde mir erzählt, habe allerdings einen Weg gefunden, anderen die Nutzung der Atemluft in Rechnung zu stellen: er verpaßt den anderen Figuren Gasmasken mit einem Gaszähler, der die eingeatmete Luft registriert. 99 Hans Weitkamp, Wider die Geschichtslosigkeit der Ökonomie - Eine Erinnerung an Alexander Rüstow, in: z. f. soz.ök. 65/Juni 1985, S. 9ff. 100 40 - 80% nach einem Bericht des Senders Freies Berlin II vom 26.1.1987 101 Informationsquellen zu den drei vorhergehenden Abschnitten: Boris Goldberg, Lateinamerika und die kubanische Revolution, S. 475ff.; Marcel Niedergang, 20 mal Lateinaamerika -'Von Mexiko bis Feuerland, Pieper, München 1966, S. 365f.; Der Spiegel vom 4.8. 1954; Süddeutsche Zeitung vom 28. 5. 1965. - In diesem Zusammenhang ist auch die Präsidentschaft der Großgrundbesitzerin Corazon Aquino auf den Philipinen zu sehen. Zur Verquickung von Erdöl und Politik s. Der Spiegel 48/1987, S. 156ff. 102 Tsp., 24. 3. 1987, S. 9,. Sp. 4 103 taz, 22. 3. 1988, S. 7 104 Norbert Greinacher, Theologe, in: Der Spiegel 52/1985, S. 54 105 NWO, S. 77 106 Der Spiegel 34/1986, S. 183 106a In der Frankfurter Innenstadt sind die Bodenrenten so stark gestiegen, daß die Caféhaus-Besitzer dichtmachen müssen; das Grundlach muß für seine Hinterhoflage in der Zeil 8.100 DM Kaltmiete im Monat bezahlen. Um das "urbane Leben in der Innenstadt" zu erhalten, werden von den Politikern u. a. "Hilfen bei hohen Mieten", also Rentensubventionen, gefordert (Frankfurter Rundschau (FR), 5. 6.1987, S.18). 107 Die folgenden Zahlen sind dem Aufsatz von Creutz, Leistungslose Einkünfte aus Bodenbesitz und ihre Verwendung als Lohn für Erziehungsarbeit, in: z. f. soz.ök. 69/Juni 1986, S. 30ff., entnommen. 107a "(.. ) vor allem die Betreuung der Kinder wird im Steuerrecht grob vernachlässigt" beklagt der ehem. Bundesverfassungsgerichtspräsident Wolfgang Ziedler in einem Gespräch im Spiegel (50/1984, S. 58); der Staat habe jedoch "in den letzten Jahrzehnten einige
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hundert Milliarden dadurch verschenkt, daß er darauf verzichtet hat, die ungeheuren Vermögen, die im Grundeigentum stecken, in keiner auch nur annähernd angemessenen Weise zu besteuern. (...) In den letzten Jahrzehnten sind in den deutschen Ballungsgebieten (...) große neue Verkehrsverbindungen im öffentlichen Nahverkehr geschaffen worden, mit der Folge, daß die Grundstücke, die günstig lagen, enorm im Wert gestiegen sind. Kein Mensch ist je ernsthaft darum bemüht gewesen, diese gewaltigen Wertzuwächse steuerlich anzuzapfen." 108 S. z. B. Micha Ulsen u. Susanne Claasen, Das Abschreibungs-Dschungelbuch, LitPoll, Berlin 1982 109 Der Spiegel 52/1985, S. 72; Sp. 3 109a Da Boden nicht produziert werden kann, hat er keinen (Arbeits-)"Wert", wohl aber einen Preis! Letzteres bestreitet Marx: Er "hat keinen Wert, weil er keine in ihn vergegenständlichte Arbeit darstellt und daher auch keinen Preis (...)" (Kap. III, S. 660). Wie wir aus Erfahrungen wissen, hat der Boden sehr wohl einen Preis; die Werttheorie läßt sich offensichtlich nicht auf jedes Wirtschaftsgut anwenden, z. B. nicht auf den Boden, aber auch nicht auf das Geld (s. Anm. 189) und die menschliche Arbeitskraft (s. Kap. 11). Der Boden verliert erst dann seinen Preis, wenn Rente und Wertzuwachs restlos abgeschöpft werden. Denn der Tauschwert oder Preis des Naturprodukts Boden wird allein von seiner Rente und seinem Wertzuwachs bestimmt, der des "künstlichen" Produkts vor allem von seinem Arbeitswert und seinen Zinsbelastungen, der des Geldes von seiner Kaufkraft und der der menschl. Arbeitskraft von seiner Leistung minus Zinsen. 110 Adolf Damaschke, Die Bodenreform - Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not, Verlag von Gustav Fischer, Jena 1923 (20. Auflage!), S. 92ff. - Der gelernte Schriftsetzer Henry George, dessen Werk Fortschritt urd Armut ,;in Millionenauflage verkauft wurden" hat 1886 nur knapp die Wahl zum Oberbürgermeister von New York verfehlt (Paul A. Samuelson, Volkswirtschaftslehre, Bd. II, 1972, S. 245f.; ausführlich über George bei Damaschke, aaO., S. 304 - 333). - Gesell kritisiert die Bodenreformer, weil sie glauben, mit der Lösung der Bodenfrage auch das Geldzins- und Krisenproblem lösen zu können (NWO, S. 122f.). Er empfiehlt die Lektüre seines Mitarbeiters Ernst Frankturth, Das arbeitslose Einkommen, Verlag Junginger, Arosa. 111 Proudhon, Was ist das Eigentum?, Berlin 1896, S. 67ff.; Marx in Das kommunistische Manifest; Yoshito Otani, Ausweg 3 - Die Bodenfrage und ihre Lösung, Arrow Verlag, Neu Ulm 1981, S. 30; Otto u. Gregor Strasser in Punkt IV A 1 ihres Programmentwurfs Der nationale Soziaismus von 1925 ("Bamberger Programm"): "Grund und Boden sind Eigentum der Nation! (Baulichskeiten gehören zum Inventar. Inventar bleibt Privateigentum.)", in Otto Strasser, Mein Kampf - Eine politische Autobiografie (mit einem Vorwort von Gerhard Zwerenz und einem Interview von Planète mit O. Strasser über neofaschistische Tendenzen in der BRD, verkörpert in der Kanzlerschaft Kiesingers (aus: Beate Klarsfeld, Die Wahrheit über Kurt Georg Kiesinger), Streit-Zeit-Bücher, Hg.: Horst Bingel, Heinrich Heine Verlag, Frankfurt 1969, S. 213; zu Pagels: taz,16. 4. 1987, S. 28 - Manche Anarchisten, wie z. B.
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Blankerts (s. dazu K. H. Z. Solneman, Endlich!, in: Zur Sache 5/1983, S. 29ff. , lehnen eine Vergesellschaftung des Bodens ab, weil sie zu Recht eine mächtige Zentralverwaltung befürchten. Ein dogmatischer Antizentralismus darf uns jedoch nicht dazu verführen, die Ausbeutung der Produzenten durch die Bodenrentner - ein gravierendes soziales Problem der Dritten Welt - zu ignorieren. Die Bodenfläche könnte (wie im Mittelalter) in das Eigentum und die Verwaltung der Gemeinden oder regionaler Müttervereinigungen übergehen, so daß lediglich die Bodenschätze und monopolistischen Naturkräfte und die Bodenrente zwecks gleichmäßiger Verteilung an alle Bürger oder - besser - an alle Kinder und ihre Mütter zentral verwaltet werden müßten. Diese Zentralverwaltung muß dann verfassungsmäßig abgesicherten Kontrollmöglichkeiten unterworfen werden. 112 Otani, Ausweg 4 - Ursprung und Lösung des Geldproblems, Arrow Verlag 113 Ausweg 3, S. 30 114 NWO, S. 110; Der abgebaute Staat, S. 75ff. (s. Text 7) 114a Das Betreuungsgeld kann selbstverständlich auch gestaffelt nach dem Alter des Kindes und/oder nach der Anzahl der zu betreuenden Kinder gezahlt werden: für das erste mehr, für die folgenden weniger. Der konstruktiven Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. 115 Umbau der Industriegesellschaft - Programm zur Überwindung der Erwerbslosigkeit, Armut und Umweltzerstörung (Entwurf), Bundesvorstand der Grünen, Bonn, Febr. 1986, S. 88f. - Ein wesentlich imteressanteres Verfahren zur Befreiung der Mütter von materieller Abhängigkeit - wenn auch ebenfals nicht aus der Bodenrente finanziert - hat Hannelore Schröder entwickelt. Sie will eine "Kindheitsversicherung" einführen, die (ähnlich der Altersversorgung) aus allgemeinen Beiträgen finanziert wird. Aus diesen Beiträgen sollen die Kindesbetreuer eine Leistung erhalten, die dem Durchschnittseinkommen aller Bürger entspricht (Zur Empirie und Theorie ökonomischer Verelendung der Mütter, Teil II, in: z. f. soz.ök. 71/Dez.1986, S. 12 -19 116 Klaus Wolschner, Hat der Feminismus die Männer verändert?, in taz, 12. 12. 1986 116a Der Spiegel 11/1988, S. 105 117 Retorten-Kommunismus - VR China will mit Hilfe von Samenbanken "wissenschaftlichen" Nachwuchs züchten, in: taz, 11. 3. 1986, S. 6 - Gesell hat seine ausdrücklich staatsfreien und naturverbundenen Eugenik- und "Wahlzucht"-Vorstellungen in der NWO, S. 16f. u. 110 u. im Abgebauten Staat, S. 11ff. (s. Text 7) propagiert, wegen ihres darwinistischen Hintergrundes, wegen des späteren verbrecherischen Mißbrauchs durch die nazistisch-rassistische Menschenzucht-Ideologen und aus durchaus berechtigten aktuellen Befürchtungen (s. Interview mit dem US-amerikanischen Gentechnik-Kritiker Jeremy Rifkin im Spiegel 26/1987, S. 168ff.) sind sie heute in linken Kreisen jedoch äußerst verpönt. Evolutionistische Theorien sind jedoch nicht von Haus aus nazistisch und rassistisch. Darfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (20 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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wins Evolutionstheorie und sogar die Eugenik sind ursprünglich von vielen Liberalen, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten begrüßt und gegen den Widerstand konservativer Kreise verteidigt worden (s. Engels in Dialektik der Natur, MEW 20, Marx bei Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, EVA, Frankfurt 1974, u. Bruno Wille, Darwinismus und soziale Frage, Abdruck aus dem Freidenker in: Der Sozialist - Organ für Anarchismus-Sozialismus 1/7. Jan. u. 3/21 Jan.1899. ) Am Grabe von Marx sagt Engels: "Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte." Laut Otto Martin Hoffmann war Karl Kautsky der bedeutenste Vertreter des Darwinismus. Bereits 1847 gründete der chistliche Kommunist John Humphrey Noyes im Staate New York die jahrzehnte existierende, ökonomisch und eugenisch erfolgreich Kommune Oneida. Er war "für ein vernünftiges und geregeltes Fortpflanzungssystem" jenseits der Familie und auf freiwilliger Basis, um "die menschliche Rasse (..) vor dem (erbbiologischen) Untergang (zu) retten". In einer Untersuchung z.Z. um 1895 bestätigt Anita MacGee die Erfolge ihres Zuchtwahl-Experiments: die Jungen waren meist groß und breitschultrig und hatten einen schönen Körper, die Mädchen sahen besonders gut aus und "einige der Mädchen waren sehr gebildet" (Shalom Wurm, Das Leben in den historischen Kommunen, Bund-Verlag, Köln 1977, S. 155f. u. 158f. ) Anders als bei Gesell, der seine "Hochzucht"-Vorstellungen oft rüde und provozierend zum Besten gab, wird die Eugenik von der schwedischen Frauenrechtlerin Ellen Key einfühlsam und gut begründet in ihrem Aufsatz Das Recht des Kindes, eigene Eltern zu wählen (in: E. Kay, Das Jahrhundert des Kindes - Studien, S. Fischer Verlag, Berlin 1926, 36. Auflage!) propagiert. Diese Frau, deren Schrift Die Frauenbewegung von dem jüdischen Libertären Martin Buber in Die Gesellschaft herausgegeben wurde, grenzt sich von einer lust- und lebensfeindlichen, aus christlich-masochistischer Moral gespeisten Ideologie, wie sie z. B. von Theresia Degener auf der Antigena im September '86 in Berlin vertreten wurde (taz, 23. 9. 1986, S. 5), im Sinne einer dem "Glück" aller Menschen dieser Erde verpflichteten Eugenik ab. In Die Frauenbewegung (S. 46f) fordert Ellen Key außerdem Lohn für die Betreuung der Kinder, zu finanzieren allerdings aus der Staatskasse. Zu kritisieren ist, daß Kay die damals verbreitete Vorstellung, die Betreuung der Kinder sei eine selbstverständliche, naturgegebene Aufgabe der Frauen, auch dann, wenn sie am politichen und Berufsleben teilnehmen, nicht kritisch reflektiert hat. - Wir sollten - ob es uns gefällt oder nicht - zur Kenntnis nehmen, daß es der naturwüchsige Evolutionsprozeß von Mutation und Selektion war, der den Menschen geschaffen hat und daß dieser Prozeß nicht abgeschlossen, sondern nur unterbrochen ist. Durch den Schutzraum der Kultur ist der Ausleseprozeß ausgeschaltet, die weiterwirkenden Mutationen führen jedoch zu überwiegend negativen Veränderung der menschlichen Natur: zu Domestikationserscheinungen. (Proudhon: das Elend des Proletariats "habe sonnenklar bewiesen, daß dieses Elend die Abnahme der öffentlichen Moralität und die Verschlechterung der Rasse zur Folge hat", Kapital und Zins, S. 5). Der Gedanke, das Erbgut gesund zu erhalten und eventuell den Selektionsprozeß durch bewußtes menschlichen Handeln fortzuführen, ist also nicht notwendigerweise menschenfeindlich, wie es nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zunächst erscheinen mag, ist im Grunde genommen eher eine höchst humane Kulturaufgabe. Denn wir kommen kaum um die Erkenntnis von Konrad Lorenz herum: "Das langgesuchte Zwischenglied zwischen dem Tier und dem wahrhaft humanen Menschen - sind wir!" (Das sogenannte Böse - Zur Naturgeschichte der Aggression, Dr. G. Borotha-Schoeller Verlag, Wien 1963, S. 323). Die Verwirklichung dieses Ziels auf eugenischem Wege könnte also gleichbedeutend sein mit einem neuen qualitativen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (21 von 43) [15.02.2002 19:40:14]
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Sprung in der Evolution: eine Art führt den zufälligen und fremdbestimmten naturgeschichtlichen Prozeß seiner eigenen biologischen Entwicklung kulturgeschichtlich, also bewußt selbstbestimmt und -gesteuert, fort. Angesichts der Tatsache, daß das Sozialverhalten der menschliche Gattung genetisch in Jahrmillionen auf die Kleingruppe geprägt worden ist und diese Erbschaft, wie die letzten wenigen tausend Jahre Sklaverei, Krieg, Folter und Massaker zeigen, in den Großgesellschaften nicht in humanem Sinne funktioniert (Lorenz: "Der Mensch ist gar nicht so böse von Jugend auf, er ist nur nicht ganz gut genug für die Anforderungen des modernen Gesellschaftsleben."; aaO., S. 349) und wir auch nicht allein auf dauerhafte humane Sozialisationsprozesse vertrauen können, ist es weniger eine Frage, ob vielleicht eines Tages "Hochzucht" betrieben wird, sondern wer sie betreibt und nach welchen Gesichtspunkten sie (dann) betrieben werden sollte. Eine Wahlzucht mit dem Ziel, die natürlichen, auf die Kleingruppe geprägten Gefühle und Instinkte wie Mitempfinden und die Neigung zu sponstaner Hilfsbereitschaft (die z. B. bei Delphinen offenbar stärker ausgeprägt ist) und das Bedürfnis nach solidarischer Zusammenarbeit so zu stärken, daß die zwischenmenschlichen Beziehungen verbessert werden, daß diese sozialen Anlagen über die Kleingruppe hinausreichen und daß sie gegenüber der unbeständigen Kulturgeschichte gestärkt und stabilisiert werden, kann wohl kaum als verdammenswert bezeichnet werden. Für verwerflich halte ich jedoch Absicht, wie z. B. die der chinesischen Kommunisten, intelligente Menschen züchten zu wollen, um dem Staat wissenschaftlichen Nachwuchs zu verschaffen. Falls wir uns für Eugenik entscheiden sollten, darf ihr Ziel jedoch nur sein, das Glück aller Individuen zu fördern; doch was das ist, können nicht Machteliten, wie z. B. profitorientierte Konzernherren oder die chinesische Parteiführung, die den Machtkampf des Massenmörders Pol Pott mit Waffen unterstützt, entscheiden, sondern nur jedes einzelne Individuum selbst; allein seine persönliche Entscheidung muß den Fortpflanzungs- und Entwicklungsprozeß bestimmen. (Welches Unheil eine staatlich betriebene Eugenik auch in einer (sozial-)demokratischen Gesellschaft anrichten kann, zeigen einige Beispiele aus Schweden; s. Der Spiegel 3/1987, S. 126ff.) Gesells Anliegen war es, das Bewußtsein über die Verantwortung zu schärfen, die die Menschen dieser Generation gegenüber den folgenden haben - auch in Bezug auf die Erhaltung und Förderung menschlichen Erbgutes, das höchste Gut, das die Menschheit besitzt. Das ist eine ökologische Angelegenheit ersten Ranges! Gesell hat seine Eugenik-Gedanken ausführlich differenziert in: Die Auslese durch das Christentum, den Krieg und den physiokratischen Frieden, in: Der Physiokrat 6 u. 10/1913, oder S. Gesell, Gesammelte Werke Bd. 16 (1995), S. 199ff u. 216ff 117a Der abgebaute Staat, S. 15. Eine klare Absage an eine staatlich verordnete Eugenik finden wir in den Polemiken der Physiokratin Hanna Blumenthal: Soll Ludendorf sterilisiert werden? (in: Die Freiwirtschaft 6/1925, S. 132 -136) u. Gesells: Im Rachen des Staates (in: Die Freiwirtschaft 15/1925, S. 297 - 301). In dem Aufsatz Vom Sinn und Ziel der Freiwirtschaft. (in: Die Freie Frau, Beilage zu: Der Freiwirt, 1/1933, S. 1f.) erwartet Gesell von dieser, daß sie die Frauen materiell in die Lage versetzt, daß sie ihren eigenen Neigungen und "Trieben" ungehindert nachgeben können und auf diese Weise - gegen und jenseits von Staat, Kirche, Gesetzen, Moral und "fixen Ideen" (Stirner) - naturwüchsig und selbstbestimmt Eugenik betreiben. In der NWO, S. 16, schreibt er: "Wir stehen vor der Frage, wem die Fortzucht des Menschensgeschlechts anvertraut werden soll; ob die mit unerbittlicher Folgerichtigkeit arbeitende Natur die Auslese vollziehen soll, oder ob die irrende Vernunft file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (22 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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des Menschen, und dazu noch des heutigen, heruntergekommenen Menschen, der Natur diese Aufgabe abnehmen soll. Das ist es, worüber wir zu entscheiden haben." 118 Daniel Ferraro, Anarchismus in der griechischen Philosophie in: Nur die Phantasielosen fürchten die Realität, Karin Kramer Verlag, Berlin 1983, S. 35ff.; Walter Theimer, Geschichte der politischen Ideen Franke Verlag, Bern/München 1959, S. S. 40 - 44. (Gesell hatte neben vier ehelichen sechs uneheliche Kinder.) 119 Autoren-Kollektiv Kommune 2 - versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums, Edition Ceuta-Press, Luxemburg 1975; s. a. Erfahrungsberichte ehem. Kinderladen- und WG-Kinder in: taz, 4.1.1988, S. 18, Tsp.10.1.1988, S. VIII, u. Der Spiegel 5/1988, S. 206ff. (Abdr. aus Otto R. Gaier, Manchmal mein' ich, ich hätt' auf der Welt nix verloren, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1988). 120 "Jährlich werden in der Bundesrepublik etwa 280.000 Mädchen und rund 20.000 Jungen von den Vätern oder männlichen Verwandten sexuell mißbraucht. (...) 'Tatort ist meist die Familie' " (Tsp., 29. 5. 1986), eine, wie Kooper sagt, "Schweineproduktionsfarm" (Der Tod der Familie; s. a. Zahlenangaben von Silvia Nietschke, Wildwasser, in: taz, 3. 3. 1988, S. 24). - "Mindestens 100 Kinder sind 1984 in der Bundesrepublik zu Tode geprügelt worden. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr etwa 30.000 Kindesmißhandlungen registriert" (Tsp., 19. 3. 1985). Ein deutscher Arzt schätzt die von ihren Eltern getöteten Kinder auf 600 im Jahr, täglich also fast zwei Kinder (Rainer Wolff, Gewalt gegen Kinder - Kindesmißhandlung und ihre Ursachen, Hg.: Arbeitsgruppe Kinderschutz, rororo, 1975, S. 13). - Innerhalb eines Jahres (1985) ließen allein in Westberlin ein Ehepaar und eine Mutter zwei kleine Kinder verhungern; sie kamen mit einer Haftstrafe von jeweils acht, acht und neun Jahren davon (Tsp., 27. 8. u. 26. 9. 1985 u. 21.1., 30.1., 4. 2. u. 3. 5. 1986). Der andere Vater wurde offenbar gar nicht belangt. Ein Jahr später (1986) folterte ein 25jähriger Mann den vierjährigen Sohn seiner Geschlechtspartnerin zu Tode: "Ich hatte richtig Lust, dieses Kind zu quälen. Ich freute mich auf den Mord. Michael sollte langsam sterben, und er sollte wissen, daß er umgebracht wird." Der sadistische Mörder erhielt lediglich 15 Jahre Knast, die Mutter neun Monate auf Bewährung (Der Stern 9/1987, s. 202ff.)! Ich erinnere mich an einen Zeitungsartikel aus den 70er Jahren, in dem berichtet wurde, daß ein Vater seinen 16jährigen Sohn im Schlaf tötete, weil dieser lange Haare trug. Der Vater wurde von zwei US-amerikanischen Schwurgerichten freigesprochen! - In Italien ist die "Sklavenhaltung" von schätzungsweise 3- bis 10.000 Kindern aufgedeckt worden (taz, 28.10.1986, S. 7; Philippinen s. Tsp. ,1. 1. 1988, S. 24). Für Organverpflanzungen werden Kinder der 3. Welt ausgeschlachtet und getötet (taz,16. 2. u. Tsp. , 9. 8. 1988, S. 7 bzw. 16)! Im Fall des verhungerten Parick versagte die Westberliner Aufsichtsbehörde (Tsp, 21. u. 22. 1. 1986). Gegen Mitarbeiter des Kinderschutzbundes in Wiesbaden hingegen wurde "Umgangsverbot" mit ihren Schützlingen verhängt (taz, 27. 2. 1986, S.11). Interessant ist auch der Bericht des ehem. WG-Kindes Florian über sein Verhältnis zu seiner arrivierte Mutter im Spiegel 5/1988, S. 206ff. Die taz veröffentlichte erst unter Druck die interessante Selbstdarstellung der Nürnberger Indianerkommune Gegen die neuen Kampagnen zur Förderung der Kindesmißhandlung, der Gewalt, der Rechtlosigkeit und der Sexualitäts-Tabus!! - Über Pädofilie, Wunsch und Wirklichkeit (taz, 26. 2. 1986, S. 9; damaliges Spendenkonto der Kommune: Postgiroamt Nürnberg 203372-854 BLZ 760 100 85). file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (23 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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121 Alice Schlegel, Male Dominance and Female Autonomy, 1972, S. 22 u. 192; Irene Schumacher, Gesellschaftsstruktur und Rolle der Frau - Das Beispiel der Irokesen, Dunker & Humbolt, Berlin 1972, S. 44 - 46 u. 53f. - In Galicien (Nordwest-Spanien) sind die (ökonomisch bedingten) matristischen Verhältnisse mit denen bei den Irokesen erstaunlich identisch (GEO - Das Bild der Erde 11/1987, S. 100ff.)! 122 Bemerkenswert ist, daß die irokesischen Mütter der heiratswilligen Kinder - gewollt oder ungewollt - so was wie Wahlzucht betreiben, indem sie Einfluß nehmen auf die Gattenwahl, orientiert an bestimmten Kriterien. Schumacher: "Die Mütter und Matronen arrangieren die Ehe. Sie wählen für Söhne und Töchter Ehepartner, deren Fähigkeiten und Begabungen sie schätzen oder die sie in Temperament und Charakter für passend halten" (Gesellschaftsstruktur..., S. 125). Bei Gesell betreiben die mutterschaftswilligen Frauen selbst die Wahl der Vaterschaft ihrer Kinder (NWO, S. 110; Abgeb. Staat, s. Text 7). 123 Gesellschaftsstruktur..., S. 73f.; siehe auch Wolfgang Schmidbauer, Jäger und Sammler, Selecta-Verlag, Planegg/München 1972, S. 19ff. u. 32ff. 124 Gesellschaftsstruktur..., S. 47 125 Gesellschaftsstruktur... , S. 47; Ruth Benedict, Urformen der Kultur, rororo 7, S. 48 103; Uwe Wesel, Der Mythos vom Matriarchat - Über Bachofens Mutterrecht und die Stellung von Frauen in frühen Gesellschaften, Suhrkamp, Frankfurt 1980, S. 107ff u. 101ff. 126 In Anatomie der menschlichen Destruktivität, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1974, S. 150f., stellt Erich Fromm die Charakteristika der "lebensbejahenden Gesellschaften" denen der "nicht-destruktiven" und "destruktiven" Gesellschaften gegenüber; in Triebstruktur und Gesellschaft - Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Suhrkamp, Frankfurt 1955, entwickelt Herbert Marcuse die Utopie einer "libisinösen" (erotischen) Kultur. 127 Hans Weitkamp, Der Weg der Emanzipation der Frau, in: z. f. soz. ök. 36 - 37/1978, 4 S. Die Kategorie Soziatrix führte Dr. Weitkamp in einem Gespräch ein. - Doris F Jonas führt die dominante Stellung der Frauen in den Frühkulturen auf ihre biologische Funktion als Mütter zurück (Aufstieg und Niedergang weiblicher Macht - Biologische Faktoren, in: Fester/Jonas/Jonas/König, Weib und Macht - Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau, Fischer-Tb., Frankfurt 1983, S. 1983, S.159 - 202). Irenäus Eibl-Eibesfeld hat den Zusammenhang von Brutpflegetrieben und -instinkten, Eros und Gruppenbildung in Liebe und Haß - Zur Naturgeschichte elemantarer Verhaltensweisen (Pieper Verlag, München 1976) beschrieben. 128 Liebe und Haß, S. 147ff. 129 Earl W. Count, Das Biogramm - Anthropologische Studien, Fischer Verlag, Stuttgart 1970, S. 22f. u. 105f., einschl. Anm. 81! file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (24 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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130 Peter Kropotkin hat in Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (von Landauer besorgte Ausgabe von 1908, wiederaufgelegt als Faksimile im Karin Kramer Verlag, Berlin 1975) das vorweggenommen, was später Konrad Lorenz gemacht hat: die sozialen Antriebe des Menschen mit Hilfe der Tierverhaltensforschung aus seiner biologischen Abstammungsgeschichte als naturgegeben abgeleitet. Das ist ebenfalls ein physiokratisches Verfahren und eine physiokratisch begründete Kritik am individualistischen Ellenbogenliberalismus: das menschliche Individuum ist kein von anderen Individuen isoliertes, sonder ein von Natur aus soziales und daher nicht nur konkurrierendes, sondern ebenso auch ein solidarisches und kooperatives Wesen. 131 Siehe dazu Sandor Ferenczi, Zur Nosologie der männlichen Homosexualität (Homoerotik), in: ders., Bausteine der Psychoanalyse, Bd. I: Theorie, Ullstein Materialien, Nachdruck von 1927, insbes. S. 167ff. 132 Ludwig Feuerbach, Der Eudämonismus, S. W. X, S. 288 bzw. A. M. II, S. 283 133 Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, Zenith-Verlag, Leipzig 1928, S. 246f. 134 Fromm, Die Kunst des Liebens, Ullstein Buch, Frankfurt/Berlin/Wien 1974, S. 46 134a Schiller, "den Herder 'den geistvollsten aller Kantianer' nannte, lehnt sich gegen die Entwertung aller natürlichen Neigungen durch die Morallehre Kants auf und verspottet diese in der herrichen Xenie: 'Gerne dien' ich dem Freund, doch leider tu ich's aus Neigung, darum wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin!' (Das sogenannte Böse, S. 353). 135 Bei sexuellem Mißbrauch der Töchter durch ihre Väter und Stiefväter würden die Mütter häufig zu den Vätern halten, "eine schlimme Erfahrung für das Kind", wie die Berliner FDP-Senatorin Cornelia Schmalz-Jakobsen sagt (Tsp., 29. 5. 1986). Und immer wieder passiert es, daß Mütter ihre Kinder von Sexualpartnern prügeln lassen, um diese Sadisten nicht zu verlieren. In Berlin hat eine Mutter ihre vierjährige Tochter Nadine von ihrem Freier nach "altdeutscher Methode" mißhandeln und schließlich zu Tode foltern lassen (Tsp. 3. 6. 1986). "Zur Frage (des Richters), warum sie der Quälerei zugeguckt und nichts unternommen habe, sagte sie: Liebe zum Freund und Angst vorm Alleinsein hatte sie davon abgehalten" (taz, s.19); der Täter kan mit sieben Jahren davon (Tsp.,13. 6. 1986)! Diese Art pervertierter "Liebe" und "Freundschaft" seelisch verkrüppelter (und vielleicht auch genetisch defekter?) Mütter ist in unserer Gesellschaft nur die Spitze des berüchtigten Eisberges. Die Mütter sind nicht alle wie Marianne Bachmeier, die den Mörder ihrer kleinen Tochter im Gerichtsaal erschoß. Auch Marianne hatte darunter zu leiden, daß ihre Mutter zum sadistischen Stiefvater hielt. (S. a. Der Stern 9/1985, S.107ff., u. taz, 26. 2. 1986, S. 9). 136 Margaret Mead, Die Bergarapesh, in Jugend und Sexualität in primitiven Gesellschaften, Bd. III, dtv München 1974, S. 131f.; zit. bei Marcuse, Triebstruktur..., S. 213. Maeds Untersuchungen, speziell ihre erste, die über Samoa, sind vor Jahren durch Derk Freeman (Liebe ohne Aggression - Margaret Meads Legende von der Friedfertigkeit der Na-
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turvölker, Kindler Verlag, München 1983) ins Zwielicht geraten (s. dazu auch die Entgegnung von einem Einwohner von Samoa, dem Film- und Fernsehautoren John Kneubuhl, in: Der Spiegel 47/1985, S. 216f.). Ihre späteren Beobachtungen und ihre Schilderung des Lebens der Arapesh müssen deswegen nicht notwendigerweise falsch sein (die den Arapesh benachbarten Mundudgumor hat sie durchaus nicht als aggressionsfrei und friedliebend geschildert, was auch nicht ihr Anliegen war). Außerdem steht das Bergarapesh-Beispiel stellvertretend für viele ähnliche Beobachtungen anderer Ethnologen. Und wenn Freeman, im Gegensatz zu Mead, die Samoaner als streitsüchtig und grausam darstellt und gleichzeitig schildert, daß sie bei ihren Kindern als Erziehungsmittel die Prügelstrafe anwenden, dann bestätigt er eher das, was er an Meat kritisiert: ihre einseitige These vom Kulturdeterminismus sozialen Verhaltens: daß z. B. die Sitte, Kinder zu prügeln, diese konditioniert, später selbst zu prügeln (s. dazu Alice Miller, Am Anfang war Erziehung, Suhrkamp-Tb., 1983). Zur matristisch-lebensbejahenden Haltung der Bergarapesh wäre allerdings anzumerken, daß ihre Kultur nicht von den Frauen dominiert wird, daß sie jedoch von einer stark entwikkelten "Mütterlichkeit" auch der Männer geprägt ist. 137 Andreas Paulsen, Allgemeine Volkswirtschaftsslehre III, Produktionsfaktoren, Sammlung Göschen Bd. 1171, Berlin 1959, S. 155 138 Hans J. Escherle u. Klaus Kaplaner, Wirtschaft zum Nachschlagen, Compact Verlag, München 1982, S. 348f. 139 Allg. Volkswirtschaftslehre, S. 157 140 Konrad Mellerowicz, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. IV Göschen 1186/ 1186a, 1959, S. 192 141 Kap. III, S. 309 142 Kap. III, S. 51 143 Kap: I, S. 326 144 Kap. III, S. 393 145 Kap. III, S. 395 146 Kap. III, S. 383 147 Kap. I, S.179 148 Kap. III, S. 383 149 Kap. III, S. 613
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150 Allg. Volkswirtschaftslehre III, S. 160; Recktenwald, Wörterbuch..., S. 208f. 151 Kap. III, S. 840 151a Nach Proudhon teilt sich die "Nation (...) bezüglich ihrer Interessen in drei Hauptkategorien": In die "Bourgeoisis. Unter dieser Klasse begreift sich alles, was vom Kapitaleinkommen, von der Grundrente, vom Privilegium des Amtes, von hohen Pfründen und Sinekuren mehr als von dem tatsächlichen Ertrag der Arbeit lebt. (...) - Die Mittelklasse. Sie besteht aus Unternehmern, Meistern, Kleinhändlern, Fabrikanten, Landwirten, Gelehrten, Künstlern u. s. w.; diese leben, wie das Proletariat und zum Unterschied vom Bourgeois weit mehr vom persönlichen Erwerb, als vom Ertrag der Kapitalien, Pfründe und Güter (...). - Endlich die Arbeiterklasse oder das Proletariat. Diese Klasse lebt mehr von ihrer Arbeit und ihren Dienstleistungen, als von Kapitalien, besitzt keine industrielle Initiative und verdient in jeder Beziehung die Bezeichnung Lohnarbeiter. (...) (Kapital und Zins, S. 4f.) - Allerdings besteht für Proudhon auch zwischen dem "Eigentümer, Kapitalisten und Unternehmer auf der einen, und (den) bezahlte(n) Arbeiter(n) auf der anderen Seite" ein "flagranter Antagonismus", und zwar, weil sie alle Arbeiter dingen, um mit dem in Kapital angelegten Geld Waren zu produzieren, die beim Verkauf einen "Ertrag oder Gewinn (Agio, Zins u. s. w.)" erzielen, "weil nach der Hypothese und Theorie des Zinses Ländereien, Häuser und Kapitalien sich nicht umsonst aussleihen, die Garantie und das Ansehen des Unternehmers sich nicht umsonst hergibt" (aaO., S. 182). Wie bei Marx, erscheint hier der Unternehmer als Handlanger des "Eigentümers - Kapitalisten". Proudhon ist jedoch (wie Gesell und Keynes) der Auffassung, daß der Kapitalzins aus den Warenpreisen "verschwindet", wenn der Zins aus dem Geld verschwindet: "Wenn den Unternehmern das Geldkapital zur Hälfte des jetzigen Zinses Angeboten würde, so müßte auch bald der Zinsertrag aller übrigen Kapitalien um die Hälfte heruntergehen..." (zit. in der NWO, S. 33). Daraus ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß nicht der Unternehmer als solcher und nicht die Marktwirtschaft, sondern der Geldzins abzuschaffen ist, um die Ausbeutung der Lohnarbeit durch den Kapitalzins (Marx: "Profit") zu überwinden. Zur Umverteilung des Unternehmergewinns aus "Garantie und Ansehen des Unternehmers" empfiehlt sich, den Arbeitern die Chance zu geben, selbst Unternehmer zu werden und/oder Genossenschaften zu gründen. Der Boden muß sozialisiert werden. 151b Mit welchen Tricks die Arbeiter und Kleinbürger an die Fahnenstange des Kapitalismus gefesselt werden, hat Gesell in seiner Polemik Die parlamentarische Majorität der Sozialisten = ein Traum in: Die Freiwirtschaft 13/1924, S. 349ff., geschildert. 152 Kap. III, S. 392f. 153 Kap. III,·S. 396 154 Marx, Lohn, Preis, Profit, in: Marx - Engels II, Studienausgabe Politische Ökonomie, Fischer Bücherei, Frankfurt 1966, S. 167 - 221 155 Bei Gesell wird der Lohn nicht bestimmt von physischen und historischen Elemenfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (27 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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ten, sondern primär von ökonomischen: Die untere Lohngrenze pendelt sich in jener Höhe ein, wo es den am niedrigsten bezahlten Lohnarbeitern, den Landarbeitern, lohnend erscheint, statt für den von ihren Grundherren angebotenen Lohn plus den zivilisatorischen Vorteilen ihrer Heimat "Freiland", Land ohne Preis und Rente und ohne diese kulturellen Vorteile, z. B. in Übersee - vorausgesetzt, sie werden nicht (wie in der DDR) gewaltsam an einer Auswanderung gehindert - in Besitz zu nehmen, urbar zu machen, zu bebauen und vom Verkaufserlös ihrer Produkte und beim dortigen kulturellen Angebot mindestens ebenso recht und schlecht leben zu können, wie als Lohnarbeiter bei ihren Grundherren in der Heimat. Alle anderen Löhne, wie z. B. die in der Industrie, liegen über diesem Mindestlohn. Das Lohnniveau der Lohnarbeiter wird also nicht bestimmt von ihrem Existenzminimum (was langfristig den Mindestlohn ergibt) plus ihrem "traditionellen Lebensstandard" (der den Lohnzuschlag bewirkt), sondern von der Möglichkeit, auf frei zur Verfügung stehenden Boden ausweichen zu können (was den Mindestlohn bewirkt) oder industrielle und andere günstigere Angebote wahrnehmen zu können (was den Lohnzuschlag bewirkt) (NWO, S. 66 - 71). 156 Zweifelsohne gibt es Zwischenformen von Lohnarbeit und Sklaverei, in diesen Fällen können wir durchaus von Lohnsklaverei sprechen. Sie finden wir in Länder, in denen gegen Lohnarbeiter physische Gewalt ausgeübt wird, um die Löhne zu drücken. Das gilt für staatsterroristische Länder wie z. B. Chile, Südafrikanische Republik, Rumänien (s. Anm. 227) und Nord- und Südkorea. Bezüglich Südkorea sind die erfolgreichen Anschläge der Amazonen und Schwestern der Roten Zora gegen die in Südkorea tätige Bekleidungssfirma Adler, um die Situation der dortigen Lohnarbeiterinnen zu verbessern (s. taz vom 12. 9. 1987, S.1), also adäquate Mittel gegen die dortigen sklavenhalterähnlichen Gewaltverhältnisse. 157 Weitkamp, Entlohnung der Mütterleistung - eine bleibende Utopie oder eine mögliche Realität?, in: z. f. soz.ök. 67/Dez. 1985, S. 34f. 158 Josef Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Bd. I: Das Mittelalter, R. Oldenbourg, München 1958, S. 135 u. 143 159 Kap III, S. 822 160 Creutz, Die Zinserträge in der Bundesrepublik, in: z. f. soz. ök. 70/Sept. 1986, S. 25f. 160a . Eine Tatsache, die Adam Smith bereits vor mehr als 200 Jahren erkannt hatte: sinkt der Geldzinsfuß und der "Kapitalprofit", dann steigen die Löhne der Arbeiter. Allerdings war er der Auffassung, daß Geld- und Kapitalzinsfuß gemeinsam und in gleicher Weise steigen oder fallen würden - der entscheidende Irrtum der Klassiker, wie Proudhon, Gesell und Keynes erkannt haben und was Marx übersehen hat (s. Adam Smith, Eine Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstandes Kap. 9: Die Kapitalprofite)! 161 Diogenes (Otto Martin Hofmann), Marx - Gesell, in: Der Ring - Monatshefte für Jugendbewegung und Politik 1 u. 2/1925 u. 4/1926; ders., Randbemerkungen zu den Glossen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (28 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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des Gen. Korsch, aaO., 6/1926. Karl Korsch, Der geschichtliche Charakter der marxistischen Wissenschaft, aaO., 3/1925; ders., Die gesellschaftliche Wirklichkeit des Werts, aaO., 5/1926. (Diogenes/Hoffmann setzt seine Serie mit dem Titel Marx - Lenin - Gesell in den Heften 8 u. 10/1926 fort.) 161a S. dazu Dieter Suhr über die unterschiedliche Begründung der Ursache des Profits bei Marx und Proudhon in Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus, S. 14ff. 162 Kap. III, S. 452 163 In ihrem Artikel über Nixdorf, Der knorrige Patriarch der Elektronik, in: Die Zeit vom 10. 8. 1984, ordnet Nina Grunenberg die Freiwirtschaft "ideologisch zwischen der sozialen Markwirtschaft und dem liberalen Sozialismus" ein und erwähnt, daß Nixdorf (offenbar in Anlehnung an Gesells Mutterrenten-Idee) den ehelichen Müttern seines Unternehmens für jedes eheliche Neugeborene eine einmaige Beihilfe zahlt - den unehelichen das Doppelte! In einem Brief an Tristian Abromeit bestätigt Nixdorf, "wie sehr mich Silvio Gesell in meinen jungen Jahren beeindruckt hat". Später befürwortete Nixdorf die "soziale Marktwirtschaft" des erfolgreichen, ordoliberalen Wirtschaftsministers Ludwig Ehrhard (CDU). Nach erneutem Studium freiwirtschaftlicher Schriften schrieb Nixdorf an Abromeit: "Die Ratlosigkeit der Politiker von heute macht die Arbeiten von Silvio Gesell immer moderner." (Aus einem Leserbrief an die z. f. soz.ök. 69/Juni 1986, S. 38f.) 164 Joachim Bischoff (Hg.), Die Klassenstruktur der Bundessrepublik Deutschland Ein Handbuch zum sozialen System der BRD, VSA-Verlag, Hamburg 1980, S. 87 165 Hans Sveistrup, Stirners drei Egoismen - Wider Karl Marx, Otmar Spann und die Fysiokraten, Verlag der Mackay-Gesellschaft, Hambugt 1983 166 S. Hans-Martin Tillacks Berichte über Kollektive in Berlin in der taz vom 14., 18. u. 19. 2. 1986, jeweils S. 18. 167 Schmierer, Radikal und Rational - Seiteneinstieg in die grüne Strategiedebatte, in: Kommune 6/Juni 1984 168 Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft ("Anti-Dühring"), MEW 20 S. 282 - 285 169 Suhr, Auf Arbeitslosigkeit programmierte Wirtschaft, in: Creutz/Onken/Suhr, Wachstum bis zur Krise?, Basis Verlag, Berlin 1986, S. 45 - 47 170 "Anti-Dühring", S. 284. Dann würde nach Engels Meinung die Gesellschaft diese Marken abschaffen und damit "in eine vollkommnere Entwicklungsstufe" eintreten: in den geldlosen Zustand. Wie der aussehen könnte, beschreibt Engels jedoch nicht (s. dazu Godschalk, Die geldlose Wirtschaft).
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171 Kap III, S. 412 172 Darüber berichtet Jürgen Kremp kommentarlos in seinem Artikel Chinas Wirtschaft meldet Erfolge in der taz vom 29. 3. 1986, S. 8. - Auch im sozialistischen Angola werden die Geldbesitzer mit einer Liquiditätsverzichtsprämie geködert, ihre Geldhorte auf Sparund Bankkonten anzulegen; diese Prämie besteht aus Motorräder aus der DDR (westdeutscher TV Film, im 1. Programm der DDR am 16. 12. 1987 ausgestrahlt). Die schiitischen "Zinsgegner" im Iran vergeben Preise für die Eröffnung eines Sparkontos; 1. Preis: eine kostenlose Pilgerreise nach Mekka - auch eine Liquiditätsverzichtsprämie (Der Spiegel 52/ 1987, S. 98)! 172a 883 oder agit 883 war eine antiautoritär-pluralistische und militante, in Westberlin erscheinende sog. Untergrundzeitung, die aus der Studentenrevolte der 60er Jahre hervorgegangen war. Sie existierte von 1969 bis '71 und erschien mit witzigen Kleinanzeigen (s. Contraste 45/1988), provozierenden Sprüchen ("Macht kaputt was Euch kaputt macht") und vielen Karrikaturen, Kneipenanzeigen und Artikeln im Schreibmaschinenflattersatz, anfänglich wöchentlich, später monatlich, in einer Auflage von etwa 3.000 bis 6.000 Exemplaren. In Westdeutschland erschienen Ableger, in Berlin (nicht mehr ganz autentisch, aber in antiautoritärer Tradition) noch einmal 1981 eine Kronstadt- und 1984 eine Gesell-Nummer. Peter Paul Zahl und Bommi Baumann berichten als ehem. Mitarbeiter in Die Glücklichen und Wie alles Anfing und Tilman Müller in Einst kommt der Tag der Rache in: Trans Atlantik 2/1985 über dieses vier bis 24-Seiten-Blatt im BZ-Format. 173 Stern 32/1984, im Buschhaus-Art. 174 Eva von Hase-Mihalik, Bauern verschaffen sich in Nicaragua Gehör - Stockende Agrarreform kommt wieder in Schwung - Gratwanderung der Sandinisten zwischen Großgrundbesitzern rund Campesinos (FR, 8.10.1986) 174a Der Spiegel 19/1988. S. 50, Sp. 3: s. a. taz 16. 2. 1988, S. 1 u. 7, über die "Währungsreform" in Nicaragua, die lediglich darin bestand, ein paar Nullen vor dem Komma zu streichen, ohne - wie sich bald herausstellen sollte - die Inflation zu stoppen. 174b Ralf Leonhard, taz 4. 5. 1988, S. 7; s. a. seinen Kommentar, aaO., S. 4. 175 ln einem Interview über die Verschuldungskrise sagt Fidel Castro, der IWF "verdiene es, gerettet zu werden", aber nicht, weil er außerordentlich zinsbillige Kredite vergibt, sondern weil er ein "Entscheidungsszentrum von Regierungen" - der Staatsorgane! - ist. Von Keynes' IWF-Konzept ist nirgens die Rede (Leviathan 4/1985, S. 547). 176 Arthur Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt 1961, S. 199 177 S. die Aufsätze von Gottfried Feder in Kampf gegen die Hochfinanz, Verlag Franz Eher Nachfolger, München 1933 u. Anm. 58. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (30 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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178 Feder, Das Radikalmittel, in: Kampf... , S. 38 179 Benedict Uhlemayr, Das Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, u. a. in: Die Freiwirtschaft 6 u. 7/Juni u. Juli 1923. - Nach einer Auskunft von Werner Onken war der Katholik Uhlemayr wegen seiner Schriften bei den Nazis zum Ärgernis geworden. Als er sich nach Hitlers Machtübernahme weigerte, als Schulleiter seine Schule mit der Hakenkreuzfahne zu beflaggen, wurde er in Haft genommen und von Julius Streicher und seiner SA-Horde zum Krüppel geschlagen. An den Folgen dieser Mißhandlung sei er 1942 gestorben. - S. a. Feders Kritik an Gesell in Der Deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage, 1923, S. 171-173 180 Rosenberg, Geschichte..., S. 203f. - "Wenn der Nationalsozialismus ein Aufstand war, so einer der Jugend gegen die Alten, der verdrossenen, autoritätssüchtigen Bürger gegen Arroganz und Unfähigkeit der herkömmlichen Parteien, ein diffuser Aufbruch derer, die durch Revolutionsangst und Massenverelendung verunsichert waren" (Heinz Höhne, Warten auf Hitler, in: Der Spiegel 3/1983, S. 134, Sp. 3; auch als Buch erschienen). Was die Revolutionsangst anbelangt, waren die Nazis neben den Kommunisten aber auch die einzigen, die - anders als die Sozialdemokraten - weiterhin die (nationale und soziale) "Revolution" versprachen). (S. a. Hans-Jürgen Degen, Nationalismus, Antifaschismus, in: Schwarzer Faden (SF) 15/3/1984, S. 44 - 49.) 181 Höhne schreibt: Strasser "hatte das Wirtschaftsprogramm entworfen, das mit seinen Forderungen nach staatlicher Arbeitsbeschaffung und produktiver Kreditschöpfung (!) offenbarte, daß die NSDAP die einzige Partei war, die einen Weg zur Krisenbewältigung wußte" (Der Spiegel 4/1983, S. 144). - Mit seinen Mefo-Wechseln hat Djalmar Schacht, der der Weimarer Republik bereits bei der Inflationsbewältigung zu Diensten war, das Hitler-Regime wesentlich bei der Überwindung der Arbeitlosigkeit geholfen, weswegen er von den Sozis als Steigbügelhalter Hitlers bezeichnet wurde. In der Berliner Stimme vom 6. 8. 1977 berichtet O. M. Hoffmann allerdings, daß Hilferding bereits 1929 eine Anleihe als "produktive Erwerbslosenfürsorge" auflegen wollte, die jedoch vom Finanzkapital und Schacht abgelehnt wurde. 182 Gerhard Ziemer, Inflation und Deflation zerstören die Demokratie - Lehren aus dem Schicksal der Weimarer Republik, Seewald-Verlag, Stuttgart 1971 183 Zit. bei Schwarz, Das Experiment von Wörgl, S.14 184 In Einführung in die Theorie der Wirtschaft, zit. bei Max Leuchtenberg, Pseudonym für Johannes (Hans) Schumann, Woran Weimar scheiterte - Schicksal oder Schuld?, Hg.: Freisoziale Union (FSU), Hamburg, S. 12 185 Das freie Wort 24/1930; zit. aus Woran Weimar scheiterte, S. 12 186 General Schleicher versuchte noch im Januar 1933 (nicht ganz ohne Erfolg) ein file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (31 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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Bündnis (eine "dritte Front", eine soziale "Querfront") von Konservativen über Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern, dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (dem militanten und bewaffneten Gegenstück der Sozialdemokraten und vieler Liberaler zur SA der Nazis und zum Rotfrontkämpferbund der Kommunisten) bis hin zu den linken Nazis um die Gebrüder Strasser zusammenzubringen, um den "Faschisten" Hitler (Otto Strasser) und seine rechtsextremen, plutokratischen Hintermänner um Papen und Hugenberg (dem damaligen "Springer") an der Machtergreifung zu hindern. Dieses Bündnis wurde von der SPD-Führung torpediert (Höhne, Der Spiegel 5/1983, S. 133f.). Otto Strasser bekämpfte Hitler bereits seit Mitte der 20er Jahre, trat 1930 unter der Parole "Die Sozialisten verlassen die NSDAP" demonstrativ aus der NS-Partei aus und gründete die Schwarze Front und die Anti-Hitler-Kampfblätter Die deutsche Revolution und Hüttenbriefe. - In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß Ende 1930 in Berlin zwei außerordentlich gut besuchte Diskussionsveranstaltungen mit Rudolf Rocker, Erich Mühsam und Otto Strasser stattfanden, auf denen sich die libertären, internationalistischen und staatsfeindlichen und die nationalen und staatsfreundlichen Sozialisten - trotz sachlicher Auseinandersetzung und gemeinsamer, gegen die kapitalistische Weimarer Republik, den bolschewistischen Kommunismus und den Faschismus gerichteter Interessen - nicht einigen konnten. Die anarchistische Zeitschrift Fanal berichtere in Nr. 3/Dez.1930 ("Ein wertvoller Versuch") und 4/Jan. 1931 ("Freunde oder Gegner?") über diese "auf ungewöhnlich hohem Niveau" verlaufenen Veranstaltungen. - Auch der "Nationalbolschewist", Kampfgefährte Mühsams in der Münchener Räterepublik und NS-Verfolgte Ernst Niekisch (s. Text 1, Anm. 13), "versuchte eine Annäherung an Otto Strasser", berichtet Wulf C. Schwarzwäller in Hitlers Geld - Bilanz einer persönlichen Bereicherung, Verlag Arthur Moevig, Rastatt 1986, S. 258. Otto Strasser, dessen Bruder beim sog. Röhm-Putsch auf Hitlers Befehl ermordet worden ist, schrieb (nach Auskunft von Hans-Peter Neumann aus Berlin) noch nach dem Zweiten Weltkrieg Artikel in der freiwirtschaftlichen Wochenzeitung Der freie Mensch. 187 Zit. aus Woran Weimar scheiterte, S. 12 188 Rudi Ratlos, Wie mächtig sind die Öko-Bankiers? (Manuskript), Frankfurt, Juni 1984 189 Kap. I, S. S. 136 -138. Wie der Boden (s. Anm. 109a), hat auch das Papiergeld keinen (nennenswerten) Arbeitswert, wohl aber einen Preis. Lediglich beim Edelmetallgeld kann u. U. der Preis der Gold-, Silber- oder Kupfermünze und der auf Edelmetall lautenden Banknote von den Herstellungskosten des Edelmetalls bestimmt sein. Der Preis dieses Geldes kann zwar nicht unter seinem Edelmetallwert, wohl aber über diesem liegen. Beweis dafür ist der in seiner Kaufkraft weit über den Herstellungskosten liegende Wert des Papiergeldes. Nicht sein Arbeitswert, sondern seine Kaufkraft, sein Tauschwert, ist der Preis des Geldes. Z. B.: 1 DM hat den Preis von 8 Zigaretten - gleichgültig, ob diese DM aus Metall, Muschelkalk, Knochen oder Papier besteht. Der Preis einer DM ändert sich nicht durch veränderte Herstellungskosten für diese DM (der Aufdruck von "1.000 DM" ist nicht teurer als der von "1 DM"), sondern (wie es die Quantitätsformel des Geldes zeigt) durch die Veränderung der nominell ausgewiesenen und umlaufenden (Nachfrage haltenden) Summe von DM gegenüber der angebotenen Warenmenge - für den illusionistischen Werttheoretiker Marx, der nichts von Geld und Währung verstand, eine "abgeschmackte Hypothese". file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (32 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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189a Der Spiegel 11/1988, S. 195 190 Gewerkschaftszeitung Metall vom 21. 2. 1953; zit. aus Woran Weimar scheiterte, S. 3. S. a. die sehr informative Analyse von Michael Greissinger, Die deutsche Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise, in: z. f. soz.ök. 76/März 1988, S. 7 -18. 191 Angst vor dem großen Crach, in: Der Spiegel 42/1986, S. 193ff. 192 S. dazu Rudolf Schwendter, Theorie der Subkultur, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1973, u. Michael Vester, Solidarisierung als historischer Lernprozeß - Zukunftsperspektiven systemverändernder Praxis im neueren Kapitalismus, in Diethart Kerbs, Die hedonistische Linke - Beiträge zur Subkultur-Debatte, S. 143 -198 193 taz, 29. 11. 1986, S. 17, Sp. 6 194 "Bei den Gemeindewahlen in Nordrhein-Westfalen im Oktober 1948 erhielt die RSF (diese damalige, freiwirtschaftlich orientierte Partei; K. S.) in 23 Gemeinden, in denen sie Kandidaten aufstellte, 69 613 Stimmen = 7,22 % der abgegebenen Stimmen mit 38 Kandidaten in 12 Gemeinden (...). Von 0,8 % der Stimmen in Düsseldorf schwankte der Stimmenanteil bis 29,98 % in Wermelskirchen. (...) - Ihre Stimmenstärke in Niedersachsen war meßbar in den Gemeindeparlamenten Kreis Osterode mit 13 Sitzen (in Sebexen als einzige Gegenpartei gegen SPD 920 Stimmen und 6 Vertreter gegen 870 Stimmen und 5 Vertreter SPD, also RSF absolute Mehrheit." (RSF - Radikalsoziale Freiheitspartei, Denkschrift des Vorstandes der SPD, S. 3) 195 Geld und Arbeit 5/Mai 1933, Bern, S. 133 -135; Nachdruck in F. Schwarz, Das Experiment von Wörgl, S. 54 - 61 196 R. Spier, un solution - ein ausweg, S. 24 - 27 197 Fritz Kool u. Erwin Oberländer (Hg.), Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur, Bd. II: Kronstadt, dtv 1972; Johannes Agnoli, Cajo Brendel, Ida Mett, Die revolutionären Aktionen der russsischen Arbeiter und Bauern - Die Kommune von Kronstadt, Karin Kramer Verlag, Berlin 1974; Der Aufstand der Kronstädter Matrosen - Eine Dokumentation, Broschüre mit einem Vorwort von Fritz Teufel, an-archia verlag, Wetzlar; Alexander Berkman, Der Aufstand von Kronstadt, in: agit 883 89/1981; P. Arschinoff, Geschichte der Machno-Bewegung (1918 -1921), Karin Kramer Verlag, Berlin 1969/74 198 S. a. Gerhard Schmolze (Hg.), Revolution und Räterepublik in München 1918/19 in Augenzeugenberichten, dtv, München 1969: Hansjörk Viesel (Hg.), Literaten an der Wand Die Münchener Räterepublik und die Schriftsteller, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt 1980 (mit einem Interview mit Gesell, S. 69 - 74). 198a Die Freiwirtschaft 11/1924, S. 23 file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (33 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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199 Gesell, Erwiderung! - Die anarchistische Zeitung: "Der freie Arbeiter", in: Der Physiokrat 12/Apr. 1913 200 Gesell, Die Bewaffnung des Proletariats, Kampfverlag, Essen (1923), S. 16 (abgesetzt wie im Original) 201 George Garvy, Keynesianer vor Keynes, in Der Keynesianismus, Bd. II, Hg.: Bombach, Ramser, Timmermann u. Wittmann, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1976, S. 22; Ziemer, Inflation und Deflation..., S. 150, Fußn.; Keynes, Allg. Theorie, S. 300; Josef A. Schumpeter, 1936, zit. bei Garvy, Keynesianer..., S. 22, Fußn.; Berwald Hahn, In Memoriam - Silvio Gesell, in: Z. f. d. gesamte Kreditwesen 6/1980, S. 211f. (er empfiehlt dort Otto Veit, Grundriß der Währungspolitik); Alexandre Kafka, John Maynard Keynes, in: Finanzierung & Entwicklung, Dez. 1983, S. 37f. 202 Arthur Mülberger (Hg.), Kapital und Zins, Jena 1896 203 Mülberger, Volkswirtschaftliches, in: Versöhnung 19/Jan. 1898, S. 250ff. (s. Text 5); Gesell, Die Anpassung des Geldes und seiner Verwaltung an die Bedürfnisse des modernen Verkehrs, Verlag Herpig & Stoeveken, Boenos Aires 1897, 208 S. (die 5. Schrift Gesells) 204 Gustav Landauer, Aufruf zum Sozialismus, Marcan-Block-Verlag, Köln 1923, S. 121ff. ; Auszug: Text 4 205 Erich Mühsam, Ein Wegbahner, Nachruf in Fanal 7/Apr. 1930; Nachdruck: Text 8. - Zur "Abschaffung" des Geldes s. Godschalk, Die geldlose Wirtschaft, Basis Verlag, Berlin 206 Die Internationale 15 u. folgende, 1931 - Bartsch erwähnt eine Kritik von Huppertz an den "Radikalsozialen" der RSF in der Befreiung 10/1948 in: ders., Anarchismus in Deutschland, Bd. I, S. 139. 207 Paul Mattick, Marx und Keynes - Die Grenzen des "gemischten Wirtschaftssystems", Raubdruck, S. 13f. 208 Der Linksmarxist und Rätekommunist Otto Rühle hat in seiner Schrift Brauner und roter Faschismus die Gemeinsamkeiten von Faschismus und Stalinismus gegenübergestellt (in: ders., Schriften - Perspektiven einer Revolution in hochentwickelten Ländern, Texte des Sozialismus und Anarchismus, Rowohlt Tb., Reinbek 1971, S. 7 - 71) 209 Ernst Bloch, Freiheit und Ordnung - Abriss der Sozial-Utopie, Aufbau-Verlag, Berlin 1947, S. 181 210 Silvio Gesell - der Marx der Anarchisten - ein Faschist!, im SF 13/1/1984, S. 29 35; s. a. die Leserbriefe, die Anmerkungen der SF-Redaktion u. die Entgegnungen v. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (34 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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Bernd Siegel u. Günter Bartsch im SF 14/2/1984, S. 58 - 61, u. von Werner Onken im SF 15/3/ 1984, S. 50 - 52, zum Blume-Art. Weitere Gesell-Kritik in: Direkte Aktion - Organ der Freien Arbeiter-Union 41/1983, S. 18; eine positive Gesell-Darstellung in: Alpenanzeiger 131 - 133/1984. 211 Silvio Gesell - der Marx der Anarchisten?, in: agit 883 90/1983, 24. S. - Auf Grund dieser Gesell-Nummer haben drei Genossen in Genf eine Gesell-Zeitung (mit einem Text zu C. H. Dougles) in französischer Sprache und eine Straßen-Aktion gemacht, über die die dortigen Tageszeitungen Le courriere (S.15), Le Martin (S. 8) u. Tribune de Geneve (S. 29), alle vom 1. 5. 1984, berichteten (Kontaktadresse: Nicolas Wirz, 3, rue Vermont, 1202 Genève, Schweiz; Tel.: 0041-22-330877). 212 Peter Elger, Die Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung Silvio Gesells bis Ende der Weimarer Republik (Dipl.-Arb.), Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der PhilippsUniversität Marburg, 1978, rund 270 S. 213 NWO, S. 83 214 Gesell, Der Physiokrat als linker Flügelmann der Parteien, in: Der Physiokrat l/Mai 1913 215 Hans Sveistrup, Stirners drei Egoismen - Wider Karl Marx, Othmar Spann und die Physiokraten, Verlag der Mackay-Gesellschaft, Freiburg/Hamburg 1983, S. 21ff. u. 35ff. 216 Wilhelm Reich, Massenpsychologie des Faschismus, Raubdruck; Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, Fischer-Tb. 1972, Gustav LeBon, Psychologie der Massen (ein Werk, das Hitler fleißig gelesen haben soll); Herrmann Broch, Massenwahntheorie, Werksausgabe Bd. 12, Suhrkamp 1979; ders., Menschenrecht und Demokratie, Kröner-Verlag, Stuttgart 1982. (Giacomo Leopardi: "Die Masse, welch anmutiges, modernes Wort.") 217 Theophil Christen, Aus den Münchener Revolutionstagen, Verlag des Schweizer Freiland-Freigeld-Bundes, Bern 1919, S. 14ff. 218 Gesell, Nervus rerum, Fortsetzung zur Reformation im Münzwesen, Selbstverlag, 1891, S. 72 218a Rudolf Jung, Der nationale Sozialismus, 3. Auflage, Deutscher Volksverlag, München 1922, S. 118 - In der Ablehnung Gesells sind sich Kommunisten, Sozialdemokraten und viele andere "Linke" mit den Nazis einig... 219 Edmund Silberner, Sozialisten zur Judenfrage - Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialismus vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1914, Colloquium Verlag, Berlin 1962 Der "Antisemitismus" der damaligen Sozialisten war allerdings nicht rassistisch motiviert; schließlich war z. B. Marx selbst Semit.
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220 Elger zitiert (S. 10) den berühmten Physiker Albert Einstein, der in einer (vielleicht englischsprachigen?) Ausgabe von Mein Weltbild geschrieben haben soll: "Ich freute mich an dem glänzenden Stil von Silvio Gesell." Nach Keynes Ansicht "ist Gesells Hauptwerk in kühler, wissenschaflicher Sprache geschrieben, obschon es durchweg von einer leidenschaftlicheren, einer erregenderen Hingabe für gesellschaftliche Gerechtigkeit durchströmt ist, als manche für einen Gelehrten schicklich finden" (Allg. Theorie, S. 300). Der Erlanger Ökonom Prof. Oswald Hahn bewertet Gesells Stil in der Z. f. d. gesamte Kreditwesen 6/ 1980, S. 212, ähnlich: "Silvio Gesell hat es verstanden, klar und verständlich zu schreiben eine Gabe, die sowohl den reinen Theoretikern und Reformern wie auch manchen Praktikern unserer heutigen Zeit weitgehend abgeht." (Vergl. die rund 390 Seiten starke NWO mit Marxens auf über 2.500 Seiten ausgewalztes Hauptwerk Das Kapital!) 221 In den 70er Jahren galten die freundlichen, lebensbejahenden und aufgeschlossenen Verhaltensweisen der matristischen Naturvölker in der Neuen Linken als vorbildlich. In einer Tabelle stellt der Soziologe Gordon Rattray Taylor bezeichnenderweise die Eigenschaften "progressive Haltung" und "kein Mißtrauen gegen die Forschung" als Charakteristika matristischer Kulturen den Eigenschaften "konservative Haltung" und "Mißtrauen gegen alle Forschung" der Charakteristika patristischer Kulturen gegenüber (zit. bei Joseph Gabel, Ideologie und Schizophrenie - Formen der Entfremdung, Fischer-Verlag, Frankfurt 1967, S. 56, u. Robert A. Wilson, Der neue Prometheus - Die Evolution der Intelligenz, S. 59). - Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es viele Kritiker auf nichts anderes absehen, als neues und befremdliches runterzumachen, um die eitlen und nekrophilen Bedürfnisse ihrers patriarchalischen Egos zu befriedigen, und nicht, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen und sie für menschenwürdiges Leben nutzbar zu machen (s. dazu Erich Fromms Analyse der Charakterstrukturen von Heinrich Himmler und Adolf Hitler in Anatomie der menschlichen Destruktivität, S. 271- 291 u. 335 - 393). 222 Hansjörk Herr, Zentralbank und Spielräume alternativer Geldpolitik, in Perspektiven ökologischer Wirtschaftspolitik - Ansätze zur Kultivierung von ökonomischem Neuland, Hg.: Projektgruppe Grüner Morgentau, Campus Verlag, Frankfurt/New York 1986, S. 462 - 483. Im selben Band: Dieter Suhr, Plädoyer für eine neue Geldordnung - Eine keynesianische Alternative zum Keynesianismus, S. 431 - 461. 223 Geld ohne Mehrwert, S. 132f. 224 Auf Arbeitslosigkeit..., S. 50 - Das weiß auch der Spiegel (51/1987, S. 22): "Geld, das selbst bei aufwendigstem Lebensstil nicht aufzubrauchen ist, sucht nach rentierlichen Anlagen." Die Folgen beschreibt der ehemalige Bundesvorstandssprecher der Grünen, Dieter Burgmann: "Zwang zum Wachstum" (vollst. Zit.: Anm. 33a). 225 Allokation bedeutet optimale Verteilung von Waren, Produktionsfaktoren und Einkommen in der Volkswirtschaft. 226 Befreiung der Markwirtschaft..., S. 43
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227 Der Aufstand von Kronstadt, in: Der Spiegel 49/1987, S. 151ff.; taz, 23.11.1987, S. 1, 6 u. 4; taz, 28.11.1987, S. 7; Rumänien macht Westen für seine Misere (Verschuldung; K. S.) verantwortlich, in: Tsp., 8.12.1987, S. 3 228 Auf Arbeitslosigkeit..., S. 45ff. 229 Plädoyer... , S. 457; s. auch Geld ohne Mehrwert, S. 35 - 37 230 Auf Arbeitslosigkeit..., S. 55 231 Der folgenden Spiegel-Grafik entnehmen wir, daß die realen Zinsen (Bruttozins minus Inflationsrate) in der BRD immer positiv waren, in den USA von 1973 bis '75 und 1978 bis '80 unter 0%, kurzfristig auf etwa -2%, und in Japan von 1973 bis '78 unter 0%, tiefste Spitze: rund -12%, sackten: XXX 231a Prokla - Z. f. politische Ökonomie und sozialistische Politik 63/Juni 1986, Rotbuch Verlag Berlin, S. 108 -131 231b Herr, Einige kritische Thesen zu Silvio Gesells Freiwirtschaftslehre aus Keynesscher Sicht, in: z. f. soz.ök. 73/1987, S. 10ff. 232 Eberhard Kröller, Der zweite Wert des Geldes, in: Evolution (Organ der Liberalsozialistischen Partei Schweiz) 1/1988, S. 10f. 232a NWO, S. 315f. 232b H. C. Reckenwald, Wörterbuch..., S. 508 232c Diese Forderung nach einem "positiven Zins" erhebt Herr auch in seinem ProklaAufsatz, S. 125. Der (offenbar marxistisch beeinflußte) "keynesianische" Zinsfreund Herr hat weder Keynes' noch Gesells einleuchtende Geld- und Zinstheorie verstanden, doch das hindert ihn keineswegs, Gesell von ganz oben herab ganz unten ans Bein zu pinkeln. Und das hindert auch den Netzwerker Kurt Hübner nicht, in einer Polemik gegen die Schriften von Creutz, Godschalk, Onken und Suhr in der Berliner Stadtillustrierten zitty (24/1986, S. 62f.) Herrs Glanzstück wissenschaftlicher Analyse und Kritik wärmstens zu empfehlen und Gesells Schwundgeld - in Ermangelung sachlich begründeter Einwände - lächerlich zu machen. Als unterhaltsame Lektüre zum Erkenntniswert moderner - auch "linker"Wissenschaft und zur "Ignoranz" und "Selbstgefälligkeit" ihrer Vertreter empfehle ich Paul Feyerabend, Unterwegs zu einer dadaistischen Erkenntnistheorie, in: Unter dem Pflaster liegt der Strand, Bd. IV, K. Kramer Verlag, Berlin 1977, S. 9 - 88, ebenso den Essay Wissenschaft und Sicherheit von Ulrich Beck im Spiegel 9/1988, S. 200f., u. speziell zur Psychologie kommunistischen Denkens den marxistischen Psychoanalytiker Joseph Gabel, Formen der Entfremdung - Aufsätze zum falschen Bewußtsein, Fischer Verlag, Frankfurt 1964, S. 53 87; zur intellektuellen Leistungsfähigkeit des "Primaten" Homo sapiens sapiens Robert file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (37 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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Ananton Wilsons (trotz allem optimistisches) Buch Der neue Prometheus - die Evolution unserer Intelligenz. 233 taz vom 28.10.1987 233a Laut taz von Ende 1987 234 In Die Entscheidung des Abendlandes warnt der Anarchist Rudolf Rocker davor, den ursprünglichen "Liberalismus mit den wirtschaftlichen Anschauungen des sogenannten Manchestertums in einen Topf zu werfen": die klassischen Liberalen seien ideologisch mit den Anarchisten verwandt und z. T. Vorläufer der Anarchisten; er grenzt sie nach Links von den Demokraten ab (Bd. I, S. 185 - 239). - Adam Smith erwartete vom "Menchesterliberalismus", daß durch den freien Wettbewerb die "Kapitalprofite" und der Geldzins zu Gunsten der Arbeiterlöhne weitgehend verschwinden würden (s. Anm. 160a), was bekanntlich (aus den von Gesell genannten Gründen; NWO, S. 14ff.) nicht eingetroffen ist. Bezüglich der Bodenrente befürwortet Smith in Natur und Ursachen des Reichtums (s. Damaschke, Die Bodenreform, 1923, S. 95) eine Bodensteuer, um die Rente abzuschöpfen. 235 Werner Raith, Das verlassene Imperium - Über den Ausstieg des römischen Volkes aus der Geschichte, Wagenbach Tb., Berlin 1982, s. 77 u. 103 236 In ihrem Beitrag Garantiertes Mindesteinkommen - Für einen libertären Umgang mit der Krise in Th. Schmid (Hg.), Befreiung von falscher Arbeit, S. 22 237 Karlsruher Stadtzeitung 32/März 1984, S. 32 238 S. bei Gerhardt u. Weber in Befreiung von falscher Arbeit, S. 39. 238a. Douglas wollte seine "Sozialdividende" für jedermann aus den Renditen aus dem von vorhergehenden Generationen geschaffenen und allen als gemeinsames Erbe zustehenden Kapital und aus der Bodenrente finanzieren. Eine Abschöpfung der Zinsen und Renten funktioniert allerdings nur, wenn sie direkt vom Geldbesitz und Grundeigentum erhoben werden und nicht - wie bei der Quellensteuer - vom realisierten Zins- und Renten-Einkommen. Denn dann werden "hortbares" Geld und "hortbarer" Boden aus dem Verkehr gezogen und Zinsen und Renten nach oben getrieben. Nur die Rendite des vermehrbaren und Durchhaltekosten verursachenden Realkapitals läßt sich durch eine Einkommenssteuer abschöpfen. In diesem Falle würde es den Unternehmern aber erschwert oder gar unmöglich gemacht werden, zinsfordernde Geldkredite für Investitionen aufzunehmen. 239 Wege ins Paradies, S. 66ff. 240 Raoul Vaneigem, Das Buch der Lüste, Edition Nautilus, Verlag L. Schulenburg, Hamburg 1984 241 Im Pflasterstrand 211/1. - 14. 6. 1985, S. 34, Sp. 2. Gorz behauptet dort, daß der Markt, ebenso wie der Staat, "Negation gesellschaftlicher Selbstorganisierung und Selbstbefile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (38 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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stimmung" ist. 1. sollte es uns nicht um die "Selbstorganisierung" der Gesellschaft, sondern um die Selbstorganisierung autonomer Individuen gehen, und 2. ist zu fragen, was denn die "Gesellschaft" so sehr vom Staat unterscheidet. Wird nicht die "Gesellschaft" ebenso über die Köpfe - auch assoziierter - Individuen hinweg entscheiden, per Mehrheitsbeschlüsse und gesellschaftliche, den Menschen entfremdete Institutionen? - Nirgens sagt Gorz, warum ein funktionierender Markt oder eine funktionierende Marktwirtschaft die individuellen Bedürfnisse nicht zufrieden stellen würde. Er geht von einer nicht funktionierenden Marktwirtschaft aus, die wegen Subventionen, Staatsinterventionen und (was er zu sagen vergißt) wegen privater Monopole, Zinswirtschaft etc. tatsächlich keine wirkliche Marktwirtschaft ist. Statt nun die Forderung aufzustellen, marktwirtschafttiche Verhältnisse herzustellen, fordert er den "Plan" - eine merkwürdige Logik. Auf welcher Grundlage, nach welchen Maßstäben oder was auch immer soll eigentlich gesamtgesellschaftlich (im mikroökonomischen Bereich tut das bekanntlich der Einzel- und Kollektivunternehmer) geplant werden? Diese Antwort bleibt uns Gorz schuldig. Offenbar, weil er sich trotz aller anarchistischer Tendenzen nicht von marxistisch-kommunistischer Wirtschaftsideologie befreien kann. 242 Kap. III, S. 828 243 Der Spiegel 6/1987, s. 15 244 Carsten Bresch, Zwischenstufe Leben - Evolution ohne Ziel?, Fischer-Tb., Frankfurt 1979; Hermann Haken, Erfolgsgeheimnisse der Natur, Synergetik: Die Lehre vom Zusammenwirken, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1981. S. a. Manfred Eigen, Stufen des Lebens, Piper Verlag, 1988 245 Diese Position vertritt u. a. der Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Er befürchtet jedoch, daß in der gegenwärtigen Konkurrenzgesellschaft "keine selektiven Vorteile" mehr am Werk seien, "die heute etwa einen Menschen aus der Stärke seines VerantwortlichkeitsGefühls oder aus der besonderen Güte seiner natürlichen Neigungen erwachsen könnten. Es steht vielmehr ernsthaft zu befürchten, daß die heutige, kommerzielle Gesellschaftsordnung unter dem wahrhaft teuflischen Einfluß des zwischenmenschlichen Wettbewerbes Zuchtwahl in genau umgekehrter Richtung treibt", so daß die natürlichen sozialen Anlagen also abgezüchtet werden (Das sogenannte Böse, S. 351). 246 S. Gorbatschow zur Umgestaltung der Wirtschaft in: Der Spiegel 46/1987, S. 208f.; das Interview mit dem Moskauer Ökonomen Leonid Abalkin in: Der Spiegel 28/1987, S. 98ff. u. die Artikel Chinas Wirtschaft meldet Erfolge, in: taz, 29. 3. 1986, s. 8, Hundert Blumen blühen in der Reformdebatte, in: FR, 23. 6. 1986, S. 13, Helmut Opletal, Chinas Wirtschaft soll Reformwege gehen - Neue Marktmechanismen bauen auf den ungarischen Erfahrungen auf, in: FR, 24.10.1984, S. 9, Kapitalismus in China, Titelgeschichte in: Der Spiegel 42/1984, S. 142 -155. - Allerdings gibt es außer Gorz noch andere Marxisten, die sich immer noch nicht von der marktfeindlichen Ideologie des objektiv kapitalfreundlichen Marxismus emanzipieren können. So sagt z. B. Ebermann in einem Interview im Stern (49/ 1986, s. 82): "Ich bin davon überzeugt, daß zur Marktwirtschaft Arbeitslosigkeit, Ungleich-
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heit, Elend, Armut gehören. Diese Wirtschaftsordnung kann weder soziale Gerechtigkeit noch ökologische Vernunft garantieren. Deswegen will ich sie ändern." - Nicht abschaffen? Und wie ändern, bitte? Mit jenen "plan"wirtschaftlichen Methoden, die in den u. a. durch diese Methoden ruinierten Volkswirtschaften gerade aufgegeben werden? Volkswirtschaften, die nicht nur unter der Zinsknechtschaft leiden (gegen die Ebermann als guter Marxist offenbar nichts einzuwenden hat, da er sie nirgens kritisiert), sondern außerdem noch unter der "Planung" bornierter Ideologen und fauler und unfähiger Bürokraten! 247 Günter Saathoff behauptet: "Nicht die Analyse des Kapitalismus und seiner Dynamik war es, was traditionelle Marxisten und Libertärsozialisten trennte, sondern die Strategie zur Überwindung derselben" (graßwurzelrevolution - Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, Sonderheft Alternative Ökonomie 90-91 (ohne Angabe des Erscheinungsjahres), S. 10. Das trifft jedoch nur für bestimmte anarchistische Flügel zu. Der wichtigste anarchistische Wirtschaftstheoretiker, Proudhon, lag gerade wegen seines völlig anderen Ansatzes seiner Kapitalismusanalyse im Clinch mit Marx, wie ich in der vorliegenden Arbeit aufzuzeigen versuche. 248 Selbstorganisation in der Natur bei Bresch: in der Materie, S. 78; in der Biologie, S. 140ff.; bei Haken: beim Laser, S. 66ff.; durch Außensteuerung des Chaos, S. 66ff. Im "'anarchistischen' Verhalten von Teilchen auf subatomarer Ebene" sieht die Feministin Marielouise Janssen-Jurreit "ein Vorbild für eine machtfreie Gesellschaftsorganisation", schreibt Marilyn French im Spiegel 3/1986, S. 150, bei der Rezension ihres Buches Jenseits der Macht - Frauen, Männer und Moral, Rowohlt Verlag, Reinbek 1986. 249 Carl Sagan, Unser Kosmos - Eine Reise durch das Weltall, Dromedar Knaur Verlag, München 1982, S. 43 249a S. a. Elimar Rosenbohm, Kybernetisch-anarchische Ordnung, in: z. f. soz.ök./mtg 15/1968, S. 21ff. 250 NWO, S. 20 250a Das fördert sicherlich die Entfremdungserscheinungen im ökonomischen Bereich. Andererseits läßt sich durch Rationalisierung der Ökonomie die Arbeitszeit erheblich reduzieren. In der "disponiblen" Zeit, wie Marx die "Freizeit" nennt, können sich dann alle Antriebe und Anlagen (sozialer, sportlicher, künstlerischer, intellektueller Art) der Individuen zweckfrei, d.h. losgelöst von ihren ursprünglichen Zwecke der Selbst-, Gruppen- und Arterhaltung, spielerisch und lustvoll in frei gewählten und bewußt nach Individuellen Bedürfnissen und Interessen zusamengesetzten und nicht von äußeren Notwendigkeiten und Zufälligkeiten bestimmten Gruppen entfalten. Manche Not wendende Arbeit wird dann sicherlich auch als Hobby, also als nicht entfremdete Arbeit, getan werden. Aber das ist nur möglich unter der Voraussetzung, daß die frustrierende, aber gesellschaftlich notwendige Arbeit durch den Einsatz menschliche Arbeitskraft sparender, also hochentwickelter technischer Arbeitsmitteln auf einen möglichst geringen Zeitsraum individuellen Lebens beschränkt wird - und daß diese Arbeitsersparnis den Produzenten und nicht der "Roboterrendite" (s.
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Kap. 2) zugute kommt. 251 "Solche auf dem Eigennutz errichtete Wirtschaftsordnung stellt sich dabei in keiner Weise den höheren, arterhaltenden Trieben in den Weg. Im Gegenteil, sie liefert dem Menschen nicht nur die Gelegenheit zu uneigennützigen Taten, sondern auch die Mittel dazu. Sie stärkt diese Triebe durch die Möglichkeit, sie zu üben. Hingegen in einer Wirtschaft, wo jeder seinen in Not geratenen Freund an die Versicherungsgesellschaft verweist, wo man die kranken Familienangehörigen ins Siechenhaus schiebt, wo der Staat jede persönliche Hilfeleistung überflüsssig macht, da müssen, scheint mir, zarte und wertvolle Triebe verkommen" (NWO, S.13; s. a. Sveistrup, Stirners drei Egoismen, S. 77f.). Der Gesell- und Stirner-Interpret Sveistrup hebt diese Position Gesells, der sich oft auf Stirner beruft, ausdrücklich hervor, zeigt aber auch den Unterschied zwischen Stirners und Gesells Begriff Egoismus auf, der bei Gesell eher in der Nähe "einer volkstümlichen biologischen Weltanschauung" und Kropotkins läge: "Ganz richtig bemerkt (der Freiwirt; K. S.) Rolf Engert, daß Gesell ganzes Wesen und Denken getragen sei von einem großen, starken Naturgefühl, während Stirner durchaus anders als Gesell irgendwie weniger naturhaft, geistiger gewesen sei" (aaO., S. 79 u. 80). Mit seinem naturalistischen Anarchismus (= Physiokratie plus Akratie) hat Gesell (wie ich bereits in Kap. 9 angedeutet habe) die klassischen Anarchisten, die Kyniker des alten Griechenlands, in modernem Gewande wieder aufleben lassen. Was Gesells Anarchophysiokratie jedoch von den asketischen Kynikern (Zynikern) unterscheidet, ist seine hedonistische Position. Auf soziales Verhalten bezogen heißt das, daß dieses durch den sozialen Anteil des naturgegebenen Freudschen "Es" nach dem Lustprinzip aktiviert wird und nicht unter dem Druck einer gesellschaftlich vermittelte Zwangsmoral, dem Freudsche "ÜberIch", zu fustrierenden Pflichtübungen wird. Die aus dem Es-Anteil kommenden Antriebe und Bedürfnisse können das Individuum dazu motivieren, mit Hilfe seines Verstandes, des Freudschen "Ich", kultur-unabhängige, also eigenständige, selbstbestimmte und per Vernunft reflektierte Werte, nämlich Ethik, zu entwickeln, was dann zu bewußtem sozialen Handeln führen könnte. Dem obigen Gesell-Zitat entsprechend, sind in Not Geratene jedoch auf jeden Fall von den sozialen Neigungen und dem guten Willen der Freunde und Familienangehörigen abhängig. Eine soziale Sicherstellung durch die gesamte Gesellschaft oder vielleicht besser noch - durch eine freiwillige Versicherung (im Sinne der Stirnerschen "Vereinigung") könnte hingegen das einzelne Individuum von dieser naturwüchsigen (physiokratischen) Abhängigkeit von Freunden und Familienangehörigen (Stirner: von den "Exemplaren" einer "Gemeinschaft") befreien. 252 Im Vorwort zur 3. Auflage der NWO, S. 12, heißt es: "Die Wirtschaftsordnung, von der hier die Rede ist, kann nur insofern eine natürliche genannt werden, als sie der Natur des Menschen angepaßt ist. Es handelt sich also nicht um eine Ordnung, die sich etwa von selbst, als Naturprodukt einstellt. Eine solche Ordnung gibt es überhaupt nicht, denn immer ist die Ordnung, die wir uns geben, eine Tat, und zwar eine bewußte und gewollte Tat." 253 NWO, S. 12 254 "Ich weiss nicht, ob diese Utopie in der Praxis genauso reibungslos wie in der Theorie funktionieren würde, aber meine Bewunderung für Gesell hat einen anderen Grund. Er setzt auch voraus, dass die Regierung interne Kolonien oder utopische Gemeinschaften zufile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (41 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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lassen und unterstützen sollte, wo Menschen mit rivalisierenden wirtschaftlichen Vorstellungen sich zusammenschliessen könnten, um die Tragfähigkeit ihrer eigenen Idealvorstellungen zu beweisen. - Er sagt sogar, dass wenn eine dieser Kolonien sich als besonders erfolgreich herausstellen sollte, deren Ideen anstelle seiner eigenen eingesetzt werden sollten" (R. A. Willson, Ist Gott eine Droge oder haben wir sie nur falsch verstanden?, Spinx Verlag, Basel 1984, u. rororo 5854, S. 158f.). 255 Der Physiokrat als linker Flügelmann der politischen Pateien, in: Der Physiokrat 1/ Mai 1913. S. a. Diogenes (Hoffmann), Das Wesen des Urkommunismus, in: Die Freiwirtschaft 7/1925, S. 137 -146. 256 "das geselligste aller Tiere" (Anteil der Arbeit bei der Menschwerdung, in Dialektik der Natur, MEW 20, S. 446) 257 Stirners drei Egoismen, S. 22, Tabelle 258 Eine Interpretation von Gesells Position zu Stirner und zum Kommunismus (und zur Abschaffung des Geldes) bringt Rolf Engert in der Broschüre Die Freiwirtschaft - Ein praktischer Ausdruck der Stirnerschen Philosophie, Freiland-Freigeld-Verlag, Bern 1921, S. 18ff., einschl. Fußn.! 258a Der Spiegel 12/1988, S. 171, Sp.1 259 Wolfgang Kaden über Winfried Wolfs Buch Eisenbahn und Autowahn, in: Der Spiegel 28/1987, S. 72 u. 74 259a S. dazu den ausgezeichneten Artikel über eine umweltgerechte Steuerpolitik in: Natur 4/April 1988, S. 16ff. 260 Lawrence R. Klein, The Keynesian Revolution, S.152 261 Neben Gesell, Proudhon, Suhr (Anm. 67, 92, 169, u. 222), Johannsen (Anm. 59), Dahlberg (Anm. 59), Douglas (Anm. 77), Otani (Anm. 112) und anderen bereits genannten Außenseitern der Geld- und Kredittheorie wären vielleicht noch die folgenden zu erwähnen: Waddill Catchings und William Frutant Forster, Mony, Bosten/New York 1924; Charles F. Roos (u. Chatchings), Money, men, and machines, New York 1953; Ludwig Gall, Was könnte helfen?, referiert u. kommentiert von Karl Georg Zinn in dem Manuskript Zur Frühgeschichte des "theoretischen Interventionismus", Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen; der linksliberale Unterkonsumtionstheoretiker und Antiimperialist John Atkinson Hobson, Der Imperialismus (1902), Kiepenhauer & Witsch, Köln/Berlin 1968; Edgar Milhaud, ref. u. komm. v. Ulrich von Beckerath in Die Durchführung der Vorschläge von Milhaud, Berlin 1934, und Frederick Soddy, Wealth, virtuel wealth and debet, Alleri & Merwin, London 1926. - Die Bodenreformer Damaschke, George u. den von Gesell empfohlenen Frankfurth, Anm. 110, Otani u. a., Anm. 111. Nicht vergessen werden sollte auch Franz Oppenheimer, der die Freilandlehre mit der Genossenschaftsidee verknüpfte. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/bemerk.htm (42 von 43) [15.02.2002 19:40:15]
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Ein vollständiger Katalog der Freiwirtschaftsliteratur (mit Leseproben und Abbildungen) ist bei Werner Onken, Freiwirtschaftliche Bibliothek, Friedrich-Wegener-Str. 11, 293 Varel 1 zu haben. (Im Gauke-Verlag erscheint eine Gesell-Gesamtausgabe.) 262 Wahrscheinlich war sein Nachname Martin.
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Gustav Landauer: Sehr wertvolle Vorschläge
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Gustav Landauer "SEHR WERTVOLLE VORSCHLÄGE" Auszug aus Aufruf zum Sozialismus * Die meisten Güter verlieren auch materiell an Wert durchs Liegenlassen oder durch Gebrauch und gehen schnell in den Konsum ein. Sie werden zum Zweck des Tausches produziert, um Verbrauchsgegenstände einzutauschen, um welche es ebenso bestellt war. Das Geld hat dadurch seine verhängnisvolle Ausnahmestellung, daß es nur in den Tausch, aber gar nicht in Wahrheit in den Verbrauch eingeht. Aus den entgegenstehenden Behauptungen der Geldtheoretiker spricht das böse Gewissen. Wird darum in der rechten Tauschwirtschaft, wo sich Produkt nur gegen gleichwertiges Produkt tauschen soll, allerdings ein Zirkulationsmittel nötig sein, das unserm Geld entspricht und wohl auch Geld heißen wird, so wird es doch eine entscheidende Eigenschaft unsres Geldes nicht haben können: die Eigenschaft, absoluten Wert zu haben und auch dem zum Schaden anderer dienen zu können, der es nicht durch Arbeit erworben hat. Nicht die Möglichkeit des Diebstahls soll hier ausgeschlossen werden; Diebstahl kann es an jeglichem Gelde wie an allen andern Gütern geben; und über dies ist Diebstahl auch eine Art Arbeit und dazu eine recht aufreibende und im ganzen wenig ergiebige und in guter Gesellschaft unerfreuliche. Es soll hier vielmehr darauf hingewiesen werden, daß die Schädlichkeit des heutigen Geldes nicht bloß in seiner Verzinslichkeit, also seinem Wachstum, sondern schon in seiner Unverbrauchbarkeit, also in seinem Bleiben, seinem Nichtgeringerwerden und seinem nicht im Konsum Verschwinden liegt. Die Idee, das Geld werde dadurch harmlos gemacht, daß es ein bloßer Arbeitszettel werde, also keine Ware mehr sei, ist ganz falsch und könnte nur für eine Staatssklaverei Sinn haben, wo an die Stelle des freien Verkehrs die Abhängigkeit von der Behörde träte, die bestimmte, wie viel jeder zu arbeiten und zu verbrauchen hat. In der freien Tauschwirtschaft muß im Gegenteil das Geld allen andern Waren, von denen es sich heute im Wesen unterscheidet, gleich werden und doch allgemeines Tauschmittel sein: es muß, wie jede Ware, den Doppelcharakter des Tausches und des Verbrauches tragen. Die Möglichkeit, auch in einer Gesellschaft des gerechten Tausches, wenn das Tauschmittel unverbrauchbar ist und mit der Zeit seinen Wert nicht einbüßt, zu schädigendem Besitz großen Umfangs und dadurch zur Erlangung eines Tributrechts irgendfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text4.htm (1 von 2) [15.02.2002 19:40:16]
Gustav Landauer: Sehr wertvolle Vorschläge
welcher Gestalt zu kommen, ist nicht von der Hand zu weisen, wenn auch in der uns bekannten Geschichte bei der Entstehung des Großgrundeigentums und damit jeder Art Ausbeutung Ersparnisse, Erbschaften und dergleichen im Vergleich mit der Gewalt und dem Gewaltschutz des Staates nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sehr wertvoll sind darum die Vorschläge, die Silvio Gesell gemacht hat, um ein Geld zu finden, das nicht, wie heute, mit den Jahren an Wert gewinnt, sondern umgekehrt von Anfang an progressiv an Wert verliert, so daß der, der durch Hingabe eines Produktes in den Besitz des Tauschmittels gelangt ist, kein angelegentlicheres Interesse haben wird, als es so schnell wie möglich wieder gegen ein Produkt einzutauschen und so immer weiter. Silvio Gesell ist einer der ganz wenigen, die von Proudhon gelernt haben, seine Größe anerkennen und im Anschluß an ihn zu selbständigem Weiterdenken gekommen sind. Seine Beschreibung, wie dieses neue Geld den Fluß der Zirkulation in lebhafte Bewegung bringt, wie jeder kein andres Interesse bei der Produktion und beim Erlangen des Tauschmittels mehr haben kann, als das des Konsums, ist ganz aus Proudhons Geist entsprungen, der uns zuerst gelehrt hat, wie der schnelle Umlauf Heiterkeit und Lebendigkeit ins private und öffentliche Leben bringt, während die Stockung auf dem Markte und die Verstocktheit des beharrenden Geldes auch unsere Säfte ins Stokken bringt und Starrsinn und stockige Fäulnis über unsere Seelen legt. Anmerkung des Herausgebers * Marcan-Block-Verlag, Köln 1923, S.121 ff.
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Arthur Mülberger: Volkswirtschaftliches
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Arthur Mülberger VOLKSWIRTSCHAFTLICHES Frühe Gesell-Rezension eines Proudhonisten (1) Vor mir liegt eine kleine Schrift über Geldwesen mit dem Titel: 'Die Anpassung des Geldes und seiner Verwaltung an die Bedürfnisse des modernen Verkehrs' von Silvio Gesell, Buenos Aires, Verlag von Gesell und Nagel, Weimar, M. 2,40. Ich habe nicht oft eine volkswirtschaftliche Schrift mit größerem Interesse gelesen. Die Klarheit der Grundanschauung enthebt den Verfasser der Notwendigkeit, sich in den breitgetretenen Geleisen des öden Streits zwischen Gold- und Silberleuten herumzutreiben und gestattet ihm eine Stellungnahme zur ganzen Währungsfrage, die berghoch über den Ergüssen der Metallenthusiasten steht. Trotzdem ich die praktischen Schlüsse, zu denen der Autor kommt - sofortige ausschließliche Papierwährung mit Staatsmonopol; allerdings unter gewissen Einschränkungen - nicht für richtig halte, nehme ich keinen Anstand, seine Schrift für das Bedeutendste zu halten, was die Fach- und Broschürenliteratur des letzten Jahrzehnts über das Geldwesen zu Tage gefördert hat. Der Verfasser ist ein hervorragender Kaufmann, also in erster Linie Praktiker, und hat, wie er dies selbst in einfacher, kerniger Weise erzählt, seine volkswirtschaftlichen Studien gewissermaßen umgekehrt gemacht: das heißt, sich zuerst einen Fonds praktischer Erfahrungen gesammelt, hieraus seine Schlüsse gezogen und dann die Schriften der Theoretiker von Adam Smith bis zu Marx, Loria und Bamberger zur Hand genommen. Köstlich ist die Bemerkung, er habe von den theoretischen Schwierigkeiten der Währung- und Geldfrage erst nachträglich Kenntnis erhalten, nachdem er mit sich selbst längst ins Klare gekommen war. Der Gedankengang des Verfassers ist kurz folgender: Unter Beiseitelassung aller weitläufigen Analysen wird zunächst festgestellt, daß für den Praktiker das Geld nur eine Ware sei, und demzufolge nur eine einzige, den Käufer und Verkäufer interessierende, Eigenschaft habe - den Preis. Alle übrigen Eigenschaften dieser Ware seien Ballast. Außerdem sei das Geld ein Verkehrsmittel, oder mit anderen Worten: da es den Stempel des Staates trägt, eine staatliche Verkehrseinrichtung. Jede Ware, also auch das Geld, entstamme ausnahmslos der modernen Arbeits- und Besitzteilung und habe somit in diesen beiden sozialen Grundtatsachen ihre einzige und file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text5.htm (1 von 5) [15.02.2002 19:40:17]
Arthur Mülberger: Volkswirtschaftliches
eigentliche Quelle. Geldwesen, sowie Besitz- und Arbeitsteilung bedingen sich also gegenseitig in ihrer Existenz. Infolge der Benutzung des Geldes als Tauschmittel müssen schon geringe Schwankungen des Geldpreises die gewaltigsten Verschiebungen in den Vermögensverhältnissen hervorbringen; ja, es sei zweifellos, daß "ein großer Teil der Übelstände, welche man heute in dem allgemeinen Begriff: soziale Frage zusammenfaßt, nur Wirkungen von Preisschwankungen des Geldes sind". Forscht man nach den Ursachen der Preisschwankungen oder der materiellen Unterlage des Angebots und der Nachfrage, so gelte es zunächst, die Begriffe "Bedarf an Geld" und "Angebot an Geld" von allen ideellen phantastischen und spekulativen Nebenbegriffen zu säubern. Es läßt sich dann eine Art schematischer Tabelle konstruieren, welche die die Preisbewegung der Waren und des Geldes bestimmenden Faktoren in zahlenmäßige, kontrollierbare Form zu bringen gestattet. Da ergeben sich sofort sehr merkwürdige Dinge. Erstens, daß ein Geld mit sogenanntem "inneren Wert" nur Fiktion, eine Selbstlüge ist, daß vielmehr der Preis des Geldes, unabhängig von seinem Material, einzig durch den Bedarf an Tauschmitteln bestimmt wird, oder, was dasselbe ist, daß die eigentliche Garantie des Geldes in seiner Unersetzbarkeit als Tauschmittel, in dem ungeheuren Nutzen besteht, den seine Verwendung im Verkehr bietet. Kurz, der Verfasser erkennt mit seinem freien, bohrenden Blick jene wirtschaftliche Grundwahrheit, daß die Einbildung dem Metalle zuschreibt, was nur die Wirkung des Kollektivgedankens ist, der sich in dem Metalle ausspricht. Zweitens, daß der Mißkredit, in den das Papiergeld bei der öffentlichen Meinung geraten ist, in keinerlei Beziehung zum Material des Geldes steht, sondern höchstens die Frucht unehrlicher, zielloser, unkaufmännischer Verwaltung ist. Drittens, daß bei der unbegrenzten Vermehrungsund Verminderungsfähigkert des Papiergeldes das Angebot an Geld aufgrund der Papierwährung dem Bedarf an Geld sich anpassen läßt. Damit ist die Möglichkeit eines festen Geldpreises gegeben, der, wenn er in allen Ländern, oder auch nur in den wirtschaftlich entwickeltsten zum Duchbruch kommt, unbedingt auch einen festen Wechselkurs nach sich ziehen muß. Der Verfasser stellt weiterhin fest, daß die theoretischen Volkswirtschaftslehrer in der Beurteilung der Ware überhaupt irren. Und zwar ist dieser Irrtum ein zweifacher. Erstens wird die Besitzteilung als Quelle der Ware fast immer ganz übersehen oder tritt wenigstens gegenüber der Arbeitsteilung viel zu sehr in den Hintergrund. Zweitens wird der der Ware innewohnende absolute Verkaufszwang verkannt. Aus diesen Unklarheiten heraus werden dann an ein sogenanntes "gutes Geld" teils Forderungen gestellt, die es gar nicht zu haben braucht, teils Forderungen unterlassen, die für ein brauchbares Tauschmittel durchaus notwendig sind. Überall, wo Waren erzeugt werden, stellt sich das Bedürfnis nach Tauschmitteln, daß heißt die Nachfrage nach Geld von selbst ein. Das Geld wird nur als Tauschmittel gewertet, aber in dieser Eigenschaft ist es die weitaus file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text5.htm (2 von 5) [15.02.2002 19:40:17]
Arthur Mülberger: Volkswirtschaftliches
nützlichste aller Waren, ist es diejenige Ware, deren Nachfrage am solidesten, am meisten garantiert ist. Diese Grundtatsache ist es, welche von den Theoretikern der Währungsfrage stets verhüllt wird. Mit klassischer Einfachheit wirft der Verfasser den modernen Humbug des sogenannten "guten Geldes" beiseite. Er sagt: "Den Bedarf an Geld führen diese Herren auf den Bedarf an Gold und Silber zurück: die Garantie für den Wert des Geldes suchen sie nicht in der Unersetzlichkeit des Geldes als Tauschmittel, in dem dauernden Geldbedarf der Warenproduktion, sondern in dem Werte, den der Bedarf an güldenem Flitter dem Golde und Silber erteilt. Nicht der Bauer und der Industrielle garantieren mit ihren Produkten die Verkäuflichkeit des Geldes, sondern die geputzten Dämchen und Einfaltspinsel, die auf unseren Promenaden spazieren." Die nie versagende, unzerstörbare Garantie des Geldes liegt, wie gesagt, in seinem Nutzen, in seiner Unentbehrlichkeit als Tauschmittel. "Seine materiellen Eigenschaften haben für seinen Wert nicht mehr Bedeutung, wie die Fische im Suez-Kanal für die Aktien dieses Unternehmens." Dieser eine Satz des Verfassers wirft neun Zehntel der modernen Währungsliteratur zum alten Eisen. Bei der sogenannten "Währungsfrage" handelt es sich überhaupt nicht um irgend eine Sicherstellung oder Garantie des Geldes - diese Garantie liegt ganz und gar in seiner Notwendigkeit - sondern um die Regulierung der Beziehungen zwischen Ware und Geld oder, um mit dem Verfasser zu sprechen, "um die Herstellung völliger Parität zwischen beiden". Dies sind im wesentlichen die Grundgedanken der "Einleitung" der Schrift, die dann weiterhin an einer Fülle trefflicher, stets dem Wirtschaftsleben unmittelbar entnommener Beobachtungen näher ausgeführt werden, ohne daß ich hier darauf eingehen kann. Ich verweise die Leser auf die prächtige Arbeit selbst. Auch dem minder Eingeweihten wird leicht verständlich sein, daß hier endlich einmal ein Mann der Praxis das Wort in der Geld- und Währungsfrage ergreift, der wirklich zur Sache spricht, der nicht bloß, wie üblich, über die landläufigen Phänomene des Geldwesens kannegießert und vor dem Golde, im Verein mit Herrn Bamberger und Herrn Bebel, auf den Knieen liegt. "Die Parität zwischen Ware und Geld herstellen", mit anderen Worten: jedes Produkt auf die Rangstufe des Geldes erheben - das und nichts anderes ist das Losungswort der sozialen Reform, die wahre Formel des Sozialismus, der sich selbst begreift und alle gouvernementalen und kommunistischen Utopien abschüttelt. Aber der Weg zu diesem Ziele ist nicht ganz einfach, und hier ist der Punkt, wo meines Erachtens auch der Verfasser der vorliegenden Schrift Schiffbruch leidet. Ausgehend von jener oben erwähnten Grund-Eigenschaft der Ware, dem ihr innewohnenden absoluten Verkaufszwang, strebt er ein Reformgeld an, dessen Preis fortgesetzt, und zwar auf Kosten des Inhabers, einbüßt, und sucht auf diese Weise mittels der staatlichen file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text5.htm (3 von 5) [15.02.2002 19:40:17]
Arthur Mülberger: Volkswirtschaftliches
Zwangszirkulation das Geld der Ware zu assimilieren. Ich glaube zunächst, daß der moderne Verkehr diese unzweifelhafte, lästige Erschwerung des Austausches nicht duldet. Die bloße Tatsache, daß ich den neuen "Geldbrief" genau untersuchen und seinen reellen Wert erst dem Datum entnehmen muß, genügt schon, ihn als kursierendes Geld unmöglich zu machen. (2) Doch das sind nur formelle Bedenken, über die sich zur Not reden ließe. Der wirkliche, der materielle Grund seiner Unmöglichkeit liegt tiefer; er liegt in dem Verhältnis der Staatsgewalt zum öffentlichen Geldwesen überhaupt. Die Oberherrschaft der politischen Gewalt über die Zirkulationsmittel in der Gesellschaft kann nur eine bedingte, eine Art Oberaufsichtsrecht sein. Selbst Gold und Silber haben trotz ihres Wertes ursprünglich keinen Zwangskurs gehabt. Sie haben sich im Handel allmählich und mit voller Übereinstimmung aller Beteiligten festgesetzt und erst dann hat der Staat seinen Stempel daraufgedrückt. Alle Veränderungen, die das Geldwesen seitdem durchgemacht hat und noch durchmacht, haben im wesentlichen denselben Weg genommen. Die Gesellschaft in ihrer spontanen Initiative geht voraus, der Staat folgt. Auch das neue Zirkulationssystem, dem wir mit Riesenschritten entgegengehen, wird diesen Weg einschlagen. Die Ansätze dazu sind schon heute in reichem Maße vorhanden. "Die Disparität zwischen Geld und Ware", wie Gesell sagt, wird verschwinden, sobald die Gesellschaft durch Entwicklung von Genossenschaften und Gegenseitigkeitsinstitutionen ein ungeheures Ganzes von Öffentlichkeit, Gleichgewicht und Kontrolle schafft, in welchem jedes Produkt den ihm gebührenden Rang einnimmt und eben damit zum Gelde wird. Ich hoffe, daß die zuletzt ausgesprochene Einwendung nur dazu beitragen wird, das Interesse der Leser an der schönen Arbeit unseres Landsmanns in der Ferne zu steigern.
Anmerkungen des Herausgebers (1) Nachdruck der von Werner Onken wiederentdeckten Gesell-Rezension 'Volkswirtschaftliches', erschienen in der kleinen Berliner Zeitschrift 'Versöhnung' 19/Januar 1898, S. 25ff. Das von dem seinerzeit sehr bekannten Proudhonisten Arthur Mülberger besprochene, 1897 erschienenes rund 200 Seiten starkes Buch 'Die Anpassung des Geldes' war eine sehr frühe, die fünfte Schrift des damals noch unbekannten Autors Gesell. Mühlberger war offenbar nicht nur ein kritischer, sondern auch ein aufmerksamer und unvoreingenommener Leser, der andere und ungewöhnliche Auffassungen zu würdigen wußte. (2) Mülbergers Vermutung, das Schwundgeld würde von den Wirtschaftsteilnehmern nicht angenommen werden, ist durch die Praxis widerlegt worden (s. Text 2, Kap. 4, u. Text 6). Zu Recht kritisiert er jedoch Gesells anfängliches Konzept einer staatlichen Notenbankfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text5.htm (4 von 5) [15.02.2002 19:40:17]
Arthur Mülberger: Volkswirtschaftliches
zentrale, dieses hat Gesell jedoch später aufgegeben (s. Vorwort zu: 'Der abgebaute Staat', 1927, S. 5). Proudhons aufwendiges Konzept, die Waren durch eine - übrigens zentrale! Tauschbank auf die Stufe des Geldes hinaufzuheben und so als "König des Marktes" (Proudhon) vom Thron zu stoßen, wird durch Gesells praktisch einfacher zu handhabende und wirkungsvollere Schwundgeld-Technik, die das Geld auf die Stufe der Ware herunterstuft, überflüssig gemacht.
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Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld (geschrieben 1933)
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ] (geschrieben 1933)
Alex von Muralt
DER WÖRGLER VERSUCH MIT SCHWUNDGELD * "Und meinen Leuten gilt's als gutes Gold? Dem Heer, dem Hofe genügt's zu vollem Sold? So sehr mich's wundert, muß ich's gelten lassen!" (Faust 2. Teil)
Die Tiroler Gemeinde Wörgl; die bis dahin ein recht stilles und bescheidenes Dasein führte, macht seit einigen Monaten viel von sich reden, selbst im Ausland, in der Schweiz und vor allem in Amerika, wo der Name Wörgls, wie man mir sagte, bald bekannter sein wird, wie derjenige Spenglers, und wo der Begriff Wörgl ein währungspolitisches Programm umschließt. Diesen Ruhm verdankt Wörgl seinem tüchtigen Bürgermeister Michael Unterguggenberger, einem langjährigen Anhänger der Silvio Gesellschen Freigeldlehre. Im Dezember 1931 war Unterguggenberger durch das Los das Amt des Bürgermeisters zugefallen und er damit in die Lage versetzt, längst gehegte und gut durchdachte währungspolitische Pläne im Rahmen seines kleinen Machtbereiches durchzuführen. Wörgl ist eine der wenigen Tiroler Gemeinden, die früher zu einem guten Teil von industriellen Betrieben gelebt hat. (Zement- und ZelluloseFabriken, die heute stillstehen.) Die Zahl der Arbeitslosen der über 4.000 Menschen umfassenden Gemeinde war im Frühjahr 1932 auf etwa 350 (mit Einbeziehung der näheren Umgebung auf 1.500) gestiegen. Die Steuereingänge waren erheblich zurückgegangen, z. B. der Ertragsanteil an Bundessteuern von 63.000 Schilling im Jahre 1928 auf 43.800 Schilling im Jahre 1932, und der Anteil an den Landessteuern von 47.700 Schilling im Jahre 1928 auf 17.100 Schilling im Jahre 1932. Die Sparkasse der Stadt Innsbruck, welcher die Gemeinde den enormen Betrag von 1.290.000 Schilling schuldet, hatte im Juli 1931 den Zinsfuß von 7 Prozent auf 10 Prozent erhöht, die Gemeindekasse war im Frühjahr 1932 leer, und die Raiffeisenkasse von Wörgl war fast immobil geworden, da fast alle ihre Guthaben, auch solche der Gemeinde, eingefroren waren. Dringende Arbeiten, Straßenverbesserungen usw, duldeten keinen längeren Aufschub. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (1 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld (geschrieben 1933)
In dieser Notlage entschloß sich der Gemeinderat auf Antrag seines Bürgermeisters zu einem Versuch mit der Ausgabe von Schwundgeld. Äußere Gestalt und Rechtsgestalt des Schwundgeldes Die Gemeinde ließ Anfang Juli 1932 im Nennwert von 32.000 Schilling Papiernoten drucken, die Arbeitsscheine genannt werden. Die Noten sind numeriert, es gibt Scheine zu einem, zu fünf und zu zehn Schilling. Sie erhalten erst Gültigkeit, wenn sie mit einem Kontrollprägestempel des Bürgermeisteramtes versehen sind: Diese Noten entwerten sich pro Monat um den Betrag von 1 Prozent ihres Nennwertes. (Notabgabe) Um diese Entwertung zu verhindern, muß der jeweilige Besitzer des Papierscheines am letzten des Monats eine Marke in der Höhe des Schwundes auf die Note, in ein vorgedrucktes Feld, aufkleben. Diese Marken sind bei der Gemeindekasse käuflich zu erwerben. Der Schwund - die Notabgabe beträgt also jährlich 12 Prozent, mehr als das Doppelte von dem, was Silvio Gesell seinerzeit vorgeschlagen hat. Zu Ende jedes Jahres müssen die Scheine gegen neue umgetauscht werden. Der Umtausch erfolgt ohne Abzug, sofern der alte Schein durch die erforderliche Anzahl von Marken voll aufgewertet ist. Die Gemeinde wechselt auch jederzeit die Arbeitsscheine in normale Schillinge um, jedoch gegen einen Abzug von 2 Prozent. (1) Deckung Um zu dieser Umwechslung jederzeit befähigt zu sein, um also eine Art Deckung für dieses Notgeld zu schaffen, sind die Treuhänder der Nothilfeaktion (zu ihnen gehört der Ortspfarrer der Gemeinde) dafür besorgt, daß, entsprechend der Ausgabe von Schwundgeld, der gleiche Betrag in Noten der Nationalbank auf ein Separatkonto bei der Raiffeisenkasse überwiesen wird. Wie mir vom Direktor dieser Kasse mitgeteilt wurde, ist dieses Geld in der Form von Sichtwechseln an solide Grossisten zum Zinsfuß von 6 Prozent weiterverliehen worden. Diese 6 Prozent fließen in toto der Gemeindekasse zu, da die Ortssparkasse für alle ihre Arbeit keinen Entgelt verlangt, weil es sich um ein Unternehmen gemeinnütziger Art handelt. Kreislauf Das Schwundgeld wurde dadurch in Umlauf gebracht, daß die Gemeinde ihren Angestellten und Arbeitern die Gehälter und Löhne, anfangs zu 50 Prozent, später zu 75 Prozent in Notgeld ausbezahlte. Die Empfänger hatten sich mit dieser Zahlungsweise freiwillig einverstanden erklärt. Die erste Ausschüttung im Betrag von 1.800 Schilling erfolgte Mitte Juli 1932, die monatliche Lohnsumme, soweit sie in Schwundgeld bezahlt wurde,
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stieg später auf gegen 3.000 Schilling. Da die Scheine immer sehr rasch zur Gemeindekasse zurückkehrten, war es nicht nötig, mehr als 12.000 Schilling Notgeld im ganzen auszugeben und dementsprechend brauchte man auch nur 12.000 normale Schillinge der Raiffeisenkasse zu überweisen. Sämtliche Geschäfte in Wörgl nehmen das Notgeld als Zahlungsmittel zum Nennwert entgegen und die Papierscheine kehren in Form von Abgaben und Steuern an die Gemeindekasse zurück. Von den zur Ausgabe gelangten 12.000 Schilling Notgeld sind allerdings schätzungsweise heute nur noch ungefähr 2 Drittel im Umlauf; der Rest ist verschwunden, als Andenken und Sammlungsobjekt von Liebhabern mitgenommen worden. Daß sich solche großen Beträge von Schwundgeld auf diesem Weg verflüchtigen, widerspricht zwar ganz der theoretischen Absicht, die auf beschleunigten Umlauf und nicht auf Hortung ausgeht; dennoch sieht die Gemeinde diesen Schwund nicht ungern, weil er ja natürlich - da diese mitgenommenen Noten nie mehr zur Umwechslung vorgelegt werdeneinen Reingewinn für sie darstellt. (Siehe Grafik.) Ergebnisse Über die praktischen Ergebnisse des Versuches konnte ich Anfang April dieses Jahres folgendes in Erfahrung bringen: Das Notgeld wird in Wörgl, wie gesagt, in allen Geschäften gleicher Weise wie gutes Geld angenommen. Die Kaufleute sind allerdings nicht sehr erbaut, daß ihnen ein kleiner Verlust von 1 Prozent am Ende des Monats, wenn sie das Geld nicht weitergeben können, droht, oder von 2 Prozent, wenn sie es umwechseln müssen. Sie nehmen das gewöhnliche Geld lieber, aber die meisten sind doch Anhänger des Experiments, weil sie eine leichte Steigerung der Umsätze - oder einen geringeren Rückgang, als zu erwarten war, festzustellen glauben. Ein Lebensmittelhändler klagte, daß der Engros-Händler, von dem er seine Waren bezieht, sich nur zu 50 Prozent in Schwundgeld zahlen läßt. Dies wurde mir von dem betreffenden Herrn, Kommerzialrat St. , bestätigt, der mir auch erklärte, daß er Ende des Monats das Notgeld nur unter Abzug von 1 Prozent annehme, da das Engros-Geschäft solche Verluste nicht tragen könne. Obschon das Notgeld für seine Firma keinen nennenswerten Vorteil bringe, ist Kommerzialrat St. ein Ahänger des Systems, das die Gemeinde vor einer Katastrophe gerettet habe, und das man auf einem größeren Wirtschaftsgebiet, z. B. im Land Tirol, durchführen sollte, weil erst dann die Befruchtung der Wirtschaft durch die erhöhte Umlaufsgeschwindigkeit des Schwundgeldes voll in Erscheinung treten könnte. Ähnlich günstig äußerte sich ein Bürstenladenbesitzer H., Mitglied der Tiroler Gewerbe- und Handelskammer. Auch er ist überzeugt, daß die Übertragung des Versuches auf das ganze Land einen Aufschwung der Wirtschaft bringen würde. Es ist ja auch zu sagen, daß diese Schwundgeldsache es fertig gebracht hat, in dem über und über politisierten Österreich dem Schicksal zu entgehen, ein Pofile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (3 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
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litikum zu werden. Alle, das Notgeld betreffenden Beschlüsse wurden im Gemeinderat jeweils einstimmig, mit Unterstützung aller Parteien, beschlossen. Von einer Steigerung der Warenpreise war nichts festzustellen, es sei denn, daß der Milchpreis in einem kleinen Weiler südlich Wörgls um 2 Groschen niedriger angegeben wurde, was vermutlich mit rein lokalen Verhältnissen zusammenhängt. In Innsbruck und Kitzbühel fand ich dieselben Preise für die wichtigsten Lebensmittel. Eine inflationistische Wirkung im Sinn der Preiserhöhung hat nicht stattgefunden. Die eigentliche Gewinnträgerin des Versuches ist die Gemeinde. Als unmittelbare Mehreinnahme aus dem Schwundgeldsystem ist vor allem zu erwähnen der Ertrag der 12prozentigen Notabgabe von dem zirkulierenden Schwundgeld, die allerdings nicht in Gänze eingeht, weil ein beträchtlicher Teil der Scheine jeweils Ende des Monats bei der Gemeinde liegt, so daß diese selbst auch kleben muß, was sie allerdings nichts kostet. Der Monatsertrag aus der Notabgabe beträgt etwa 50 Schilling. Laut Angabe des Direktors der Raiffeisenkasse wurde bis Ende März der Betrag von 34.500 Schilling Notgeld bei der Kasse zur Umwechslung eingereicht, wobei sich aus dem Abzug von 2 Prozent ein Gewinn von 690 Schilling ergibt. (In neun Monaten.) Dazu kommt das Zinserträgnis der auf der Raiffeisenkasse liegenden Deckung, d. h. 6 Prozent von 12.000 Schilling gleich 720 Schilling pro anno. Zählt man diese drei Posten zusammen, so kömmt man auf eine jährliche Mehreinnahme von über 2.000 Schilling, einen Betrag, der in dem bescheidenen Haushalt der Gemeinde, wo der Bürgermeister ein Jahresgehalt von 1.800 Schilling bezieht, schon einigermaßen mitzählt. Der wesentliche, mehr ins Gewicht fallende mittelbare Vorteil des Systems liegt nun aber nach den Angaben des Bürgermeisters darin, daß schon im ersten halben Jahre sehr beträchtliche Steuerrückstände, und zwar zu etwa 90 Prozent in Schwundgeld, an die Gemeinde abgeliefert wurden. Die jährlichen Einnahmerückstände, die vom Jahre 1926 bis Ende 1931 von 26.000 Schilling auf 118.000 Schilling gestiegen seien, hätten sich im Jahre 1932 erheblich vermindert, indem 79.000 Schilling davon eingingen. Für diese natürlich sehr wichtige Aufgabe, die auch in einer kürzlich von Hans Burgstaller, dem Redakteur des Wörgler Anzeigers herausgegebenen Schrift: "Die Rettung Österreichs, das Wörgler Beispiel" Erwähnung findet, konnte ich allerdings bei der Tiroler Landesregierung, wo mir der zuständige Referent, Hofrat Dr. B., liebenswürdigste Auskunft erteilte, keine volle Bestätigung erlangen. Der betreffende Beamte kommt auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Akten zum Schlusse, daß in Wörgl die Eingänge aus den selbständigen Gemeindesteuern vom Jahre 1931 auf 1932 eine auffällige Steigerung erfahren haben. So stieg der Ertrag aus der Vergnügungs-, Ankündigungs- und Hundesteuer von 5.300 auf 5.900 Schilling, derjenige aus den Zuschlägen zur Grundsteuer von 16.500 auf 28.570 Schilling, der Zuschläge zur Gebäudesteuer von 14.170 auf 23.560 Schilling, dies sind Mehrleistungen, die sich nur aus dem Eingang von Rückständen erklären lassen, file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (4 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
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im Ausmaß aber hinter den Angaben des Bürgermeisters zurückbleiben. Im gleichen Zeitraum sanken die Ertragsanteile der Bundessteuern von 57.000 auf 43.800 und diejenigen aus den Landessteuern von 31.900 auf 17.100 Schilling. Eine Steigerung der Steuerleistungen zugunsten der Gemeinde hat demnach unzweifelhaft stattgefunden, über das strittige Ausmaß derselben könnte meines Erachtens nur dadurch entschieden werden, daß ein unparteiischer Buchsachverständiger die gesamte Rechnungsführung der Gemeinde einer kritischen Nachprüfung unterzöge. Unterguggenberger gibt an, daß nicht nur die rückständigen Steuern eingingen, sondern daß auch die neu fällig werdenden Steuerbeträge rasch bezahlt würden, ja, daß es vorkomme, daß Steuern im voraus entrichtet würden. Die Steuerfreudigkeit der Wörgler Bürger erklärt sich meines Erachtens sehr einfach daraus, daß der Kaufmann, der eine größere Summe von Schwundgeld am Ende des Monats in seiner Kasse liegen hat, dieses Geld am leichtesten, und ohne Verlust, los wird, wenn er seine Verpflichtungen an die Gemeinde erfüllt. Es hat eine Umstellung in der Bewertung dieser Verpflichtungen stattgefunden. Kam die Zahlung der Steuer sonst an letzter Stelle, so rückte sie nun in den ersten Rang. Es wäre deshalb wichtig, zu untersuchen, ob nicht den gesteigerten Steuerleistungen eine zunehmende, anderweitige Verschuldung der Gewerbetreibenden parallel ging, z. B. eine Verschuldung bei den Lieferanten in Innsbruck und Wien. Hierüber fehlen mir Angaben. Ich konnte lediglich auf der Raiffeisenkasse vernehmen, daß die Spareinlagen nach einem vorübergehenden Zuwachs im August 1932 sich ungefähr gleichgehalten haben wie früher, was bei dem allgemeinen Rückgang der Wirtschaftslage wohl schon ein Aktivum darstellt. Wichtig ist, daß die Raiffeisenkasse Notgeld ohne Abzug auf Sparbüchlein entgegenimmt, wenn der Einleger sich bereit erklärt, mit einer späteren Rückzahlung in Schwundgeld einverstanden zu sein. Die produktive Arbeitslosenfürsorge Dank dieser erwähnten, aus verschiedenen Quellen der Gemeinde zufließenden Geldmittel, dank auch von Zuschüssen aus der produktiven Arbeitslosenfürsorge und eines Notstandskredites des Landes Tirol von 12.000 Schilling, war es nun der Gemeinde möglich, ein recht großzügiges Arbeitsbeschaffungsprogramm zur Ausführung zu bringen. Es wurden in den wichtigsten Straßen der Gemeinde Kanalisationsarbeiten durchgeführt, die Straßen selbst wurden verbessert und größtenteils asphaltiert. Die Bahnhofstraße erhielt eine moderne Beleuchtung. In günstigstem Gelände, im Süden der Gemeinde, wurde eine Skisprungschanze errichtet, auf der bereits im Januar 1933 ein gut besuchtes Wettspringen stattfand, wobei Sprünge bis gegen 60 Meter erzielt wurden. Die Gemeindemühle erhielt ein neues Waschhaus und ein Holzhaus, auch wurde eine neue Notstandsküche eingerichtet. Die Gesamtausgaben für all diese Notstandsarbeiten sollen sich auf etwa 100.000 Schilling belaufen. Die file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (5 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
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Lohnzahlungen für diese Arbeiten erfolgten ausschließlich in Arbeitswertscheinen. Daß all diese Arbeiten, abgesehen von der Beschäftigung der Arbeitslosen, für die Gemeinde dauernde Werte schufen, ist nicht zu bestreiten. Besondere Bedeutung hat die Asphaltierung der Hauptstraße, die früher wegen ihres unzulänglichen Zustandes allgemein bekannt und gefürchtet gewesen sei. Eine Inschrift an einem Haus in Wörgl erinnert noch heute drastisch an diese früheren Verhältnisse, sie lautet: "Das größte aller Laster, ist, Wörgl, dein Straßenpflaster!" Durch die Beseitigung dieses "Lasters" soll der Zustrom von Fremden merklich gestiegen sein. (2) Nach der Meinung des Bürgermeisters hat aber nicht nur die Gemeindekasse von dem Schwundgeld profitiert, sondern das raschere Kreisen des Wörgler Geldes habe die gesamte Wirtschaft belebt, und habe wie ein Lösungsmittel auf alle möglichen eingefrorenen Schuldverhältnisse gewirkt, überall Brot und Arbeit schaffend. Diese Überzeugung scheint in Wörgl weit verbreitet zu sein. Begleichung der Gemeindeschulden Etwas weniger glanzvoll freilich steht Wörgl da, wenn man fragt, wie die Gemeinde ihren Schuldverpflichtungen gegenüber der Sparkasse in Innsbruck nachkomme, von der sie, wie erwähnt, in früheren Perioden Darlehen in ungeheurem Ausmaß von 1.290.000 Schilling erhielt, die heute mit 9 Prozent verzinst werden sollten. Obschon die Sparkasse einen gewissen Nachlaß auf die schon Ende 1931 50.000 Schilling betragenden Zinsrückstände gewährte, war Wörgl nicht in der Lage, die Zinsleistungen in bar abzuführen. Der gewandte Bürgermeister inaugurierte eine etwas eigentümliche Art der Bezahlung. Er trat nämlich an die Sparkasse diverse Forderungen der Gemeinde ab, vor allem eine Forderung von 50.000 Schilling an das Land Tirol aus dem Jahre 1927, die die Gemeinde aus einer Leistung von Straßenbauten vom Lande und einigen Nachbargemeinden zugute habe und die mit Einrechnung der Verzugszinsen heute einen Wert von 70.000 Schilling darstelle. Ferner wurde ein der Gemeinde gehörendes Einlagebuch der Wörgler Raiffeisenkasse im Betrag von 37.000 Schilling, ein praktisch fest eingefrorenes Guthaben, der Sparkasse überwiesen. Ob diese von diesem Zahlungsmodus sehr erbaut ist, weiß ich nicht; erscheint fraglich. Unterguggenberger ist allerdings der Meinung (in Konsequenz seiner Freigeldüberzeugung), daß diese "Zinsknechtschaft" von 9 und 10 Prozent eine Ungeheuerlichkeit darstelle; die auf die Länge in keiner Weise aufrechtgehalten werden könne, ja sogar rückwirkend herabgesetzt werden müsse. Ein Zinsfuß von 5 Prozent wäre tragbar. Er glaubt es deshalb verantworten zu können, die vorhandenen Mittel für Neuinvestitionen auszugeben. Äußere Widerstände und Kritik der Landesregierung Trotz der Beliebtheit des Notgeldes in Wörgl selbst sind dem Versuch erfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (6 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld (geschrieben 1933)
hebliche Schwierigkeiten erwachsen. Einerseits von seiten der Leitung der sozialdemokratischen Partei in Tirol, der Unterguggenberger seit Jahren angehört, obgleich er, wie er immer betonte, kein Marxist ist. Die sozialistischen Parteiführer wollen in Tirol, wie überall, von der Freigeldlehre nichts wissen, und haben den Bürgermeister oft gedrängt, von dieser fragwürdigen, im Parteiprogramm nicht vorgesehenen Schwundgeldsache abzustehen. Unterguggenberger läßt sich aber nichts vorschreiben. Sehr viel ernsthafter ist der Widerstand, den die österreichische Nationalbank dem Notgeld von allem Anfang an entgegensetzte. Sie sieht in der Herausgabe dieses Papiergeldes durch die Gemeinde eine Verletzung ihres Notenprivilegs, und hat sogleich auf ein Verbot des Wörgler Geldes gedrängt. Dank verschiedener Eingaben und Rekurse an die Tiroler Landesregierung ist es dem Gemeinderat geglückt, die Durchführung des Verbotes aufzuhalten. (3) Juristisch gesehen ist die Nationalbank wohl im Recht, sofern man die Wörgler Scheine als Geld betrachtet, obschon kein Gläubiger sich durch Zahlung in Schwundgeld als befriedigt erklären muß. Ob es freilich notwendig und klug ist, dieses Experiment zu unterbinden, ist eine andere Frage. Sie wird vom zuständigen Referenten in der Landesregierung in Innsbruck, Hofrat Dr. B., einem theoretischen Gegner der Freigeldlehre, eher verneint. Er kennzeichnet die Schwundscheine als eine Art unverzinsliche Schuldverschreibungen der Gemeinde, die einer verkappten 12prozentigen Umsatzsteuer unterworfen sind. Er sieht, wie er das auch in einem Gutachten zu Händen der Regierung näher ausführte, in dem Versuch der Wörgler Selbsthilfe ein schönes Zeichen des wiedererwachsenden Gemeinsinns und anerkennt die günstigen Wirkungen. Seine Kritik richtet sich gegen die Deckung, die ungenügend sei. Das Depot der 12.000 Schilling sollte nach seiner Meinung der schon zu drei Vierteln eingefrorenen Raiffeisenkasse entzogen werden, da es Gefahr laufe, dort immobil zu werden, womit dann die Deckung dahinfiele. Diese sollte bei einer Bank in Insbruck, oder bei der Nationalbank selbst angelegt werden, und zwar auf ein Sperrkonto, wo es nicht wieder ausgeliehen werden dürfte, und somit auch keine Zinsen einbrächte, so daß keine Vermehrung der Zahlungsmittel stattfände und jede Inflationswirkung ausgeschlossen wäre. Falls Wörgl mit dieser Änderung einverstanden wäre, könnte er keinen zwingenden Grund für die Aufrechterhaltung des Verbotes sehen. Jedenfalls sei das Wörgler Notgeld eine ungleich harmlosere Sache als die Kreditexpansion zahlreicher anderer Institute, die keineswegs eine so rigorose Behandlung durch die Behörden gefunden hätten, wie man sie der Aktion der Gemeinde Wörgl unter Hinweis auf den Buchstaben des Notenbankstatutes zuteil werden ließ. (4) Weitere Erfolge Ein Umstand, der vermutlich die Nationalbank zu schärferem Vorgehen veranlaßt, ist das Umsichgreifen des Experiments. Am 1. Januar hat die Nachbargemeinde Kirchbichel, eine ebenfalls stark industrielle Gemeinfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (7 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
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de von 3.000 Einwohnern, ihrerseits Schwundgeld ganz nach dem Wörgler Muster im Betrag von vorläufig 3.000 Schilling in Umlauf gebracht. Die Scheine der beiden Gemeinden gelten beiderorts. Vier weitere Tiroler Gemeinden, Hopfengarten-Markt und -Land, Brixen und Westendorf, Ortschaften mit zusammen etwa 16.000 Einwohnern, haben ebenfalls grundsätzlich die Ausgabe von Schwundgeld beschlossen, wollen aber noch abwarten, wie sich der Konflikt zwischen Wörgl und der Nationalbank erledigt. Wörgl ist inzwischen zu einem Mekka aller Freigeldler geworden, aus den andern Teilen Österreichs und vor allem aus der Schweiz pilgern sie hin, um die erste, wenigstens teilweise, Verwirklichung ihrer Doktrin sich anzusehen. ** Ein Riesenbriefwechsel, Anfragen aus aller Welt, sammelt sich auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters, der weder französisch noch englisch versteht, und einen besonderen Übersetzungsdienst einrichten mußte. Besonders starkes Interesse zeigt der bekannte amerikanische Nationalökonom, Irving Fisher, der einen in Genf weilenden Mitarbeiter in spezieller Mission nach Wörgl sandte. Als ich Anfang April dort war, traf ich ebenfalls auf eine Dozentin der Nationalökonomie der Yale University, mit der ich zusammen von Geschäft zu Geschäft zog. Aber auch die Vertreter der okkulten Wissenschaften, die Astrologen, interessieren sich für Wörgl; sie erkundigten sich nach dem genauen Geburtsdatum des Bürgermeisters, das auf den 15. August 1884 fällt, und stellten ihm ein Horoskop, das dem - natürlich - im Zeichen des Löwen Geborenen sehr viel, durch zähe Energie zu erkämpfenden Erfolg verspreche, und infolge einer besonderen Konstellation des Neptuns auf eine Berufung zur Überwindung des Metallismus (Goldwährung) hinweise. - Unterguggenberger steht diesen Eröffnungen recht skeptisch gegenüber. Schlußfolgerungen Daß dieser Zustrom von Wißbegierigen sich für Wörgl auch wirtschaftlich günstig auswirkt, ist selbstverständlich. Ebenso wichtig aber scheint mir ein rein psychologisches Moment: Der Wörgler Bürger ist sich bewußt, daß in seiner Gemeinde etwas gegen die Krise geschieht, daß man nicht einfach resigniert oder Hilfe vom Staat erwartet, (der Staat erscheint hier eher in Gestalt der Nationalbank als der Störenfried), ja daß der Wörgler Versuch in der Welt Beachtung gefunden hat, und daß sehr ernsthafte Gelehrte ihm grundsätzlich zustimmen. Dies alles gibt dem Wörgler Bürger ein moralisches Plus. Es ist dies ein irrationales Moment, das in einer Wirtschaftsrechnung unmittelbar nicht aufscheint, daß zu übersehen auch vom Standpunkt der Ökonomie dennoch ein Fehler wäre. Ein objektives Urteil muß also zugeben, daß der Versuch für die Gemeinde Wörgl von Vorteil gewesen ist. Wer sind die Leidtragenden? Es liegt nahe zu sagen, es komme einfach darauf hinaus, daß die Arbeiter und Angestellten und vor allem die Gewerbetreibenden, eine Summe von kleinen Verlusten freiwillig trügen, die dann als Gewinn bei der Gemeindefile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (8 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
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kasse aufscheinen. Diese Betrachtung wäre aber einseitig. Sie übersieht, daß die Gemeinde nicht bloß aus einigen Funktionären besteht, sondern aus der Gesamheit aller Bürger, und daß ein Zusammenbruch der Gemeinde alle mitreißt. Es ist deshalb sehr wohl möglich, daß sich die kleinen Opfer, die da gebracht werden müssen, auch rein wirtschaftlich durchaus rechtfertigen. Man denke an die früher besprochenen fruchtbaren Anlagen, besonders daran, daß die Asphaltierung der Hauptstraße ohne das Schwundgeld nicht möglich gewesen sein soll, und setze dann die mannigfachen Vorteile ein, die aus diesen Verbesserungen für alle Bürger, vor allem aber für die an der Hauptstraße gelegenen Geschäfte sich ergeben. Daß die allerdings recht bedrückenden Schulden an die Sparkasse in Innsbruck rascher oder einwandfreier ohne das Schwundgeld abbezahlt worden wären, erscheint als äußerst unwahrscheinlich. Eine wenigstens teilweise Verwertung der dank des Schwundgeldes einfließenden Mehreinnahmen der Gemeinde, besonders der Steuerrückstände, zur Begleichung der Sparkassenschulden - wofür gewiß manches spräche - sei unmöglich gewesen, weil dies dem ganzen Sinn der Nothilfeaktion widersprochen hätte. Was an Notgeld einging, mußte wiederum unmittelbar in den Dienst der Fürsorge und der Arbeitsbeschaffung gestellt werden. Andererseits konnten die Gewerbetreibenden ihre Steuerschulden vermutlich vor allem deshalb entrichten, weil dank der 100.000 Schilling, die für Neuinvestitionen ausgegeben wurden, sich ihre wirtschaftliche Lage gebessert hatte. Zu beanstanden ist natürlich die enorme Verschuldung der Gemeinde an sich, die auf Sünden frührer Zeiten zurückgeht und sich leider bei österreichischen Gemeinden vielfach findet. Neben Wörgl sollen auch andere industrielle Tiroler Gemeinden, die unter der Wirtschaftskrise noch mehr leiden, wie die auf Landwirtschaft eingestellten Gemeinwesen, mit der Verzinsung ihrer Darlehen in Rückstand stehen. Eine Vermehrung der Zahlungsmittel hat zweifellos stattgefunden. Nach der herrschenden Geldlehre müßte sich daraus eine inflationistische Wirkung ergeben, unabhängig davon, ob die zusätzlichen Kredite für wirtschaftlich zweckmäßige oder unzweckmäßige Unternehmungen ver wendet wurden, eine Auffassung, die bekanntlich sehr umstritten ist. Eine Steigerung der Preise in Wörgl ist nun aber nicht festzustellen. Daß die gemachten Neuinvestitionen wirtschaftlich zweckmäßig waren, wird man geneigt sein zu bejahen, wenn auch ein endgültiges Urteil hierüber erst in einem Zeitpunkt möglich sein wird, wo sich rückblickend die Rentabilität der Anlagen wird errechnen oder wenigstens schätzen lassen. Und den Theoretikern, die jede Vermehrung der Zahlungsmittel verwerfen, wäre zu sagen, daß der Wörgler Versuch weitergehen könnte, auch wenn den Vorschlägen des Innsbrucker Referenten auf Stillegung der Deckung Folge geleistet würde. Es wäre deshalb durchaus möglich, daß auch eine genaueste Analyse (die besonders noch die Frage der auswärtigen Verschuldung der Geschäftsleute zu prüfen hätte) zum Schlusse käme, daß es Leidtragende in Wörgl nicht gibt. Es wäre dann das Wunder geschehen, daß wirtschaftliche Werte aus Nichts entstanden wären. Das file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (9 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld (geschrieben 1933)
scheint unmöglich, allerdings nur, sofern man einen guten Gedanken, eine gute Organisation und tätigen Gemeinschaftssinn als ein wirtschaftliches Nichts betrachtet, eine Auffassung, die vielleicht doch nicht als der Weisheit letzter Schluß zu gelten hat. Mit Schlußfolgerungen aus dem Verlauf des Wörgler Versuchs auf den Wert der Freigeldlehre in ihrer Gesamtheit ist freilich Vorsicht am Platz. Wörgl arbeitet heute mit zwei Geldsystemen, von denen das eine, das Schwundgeld, durch den amtlichen Schilling und somit letzten Endes durch den freilich ebenfalls schwindenden Goldschatz der Nationalbank gedeckt ist. Wie sich die Dinge gestalten würden, wenn eine Gemeinschaft ausschließlich Schwundgeld zirkulieren ließe, darüber kann meines Erachtens der Wörgler Versuch keine bindende Auskunft geben. Nach der universalistischen Lehre ist das Geld nach seinem Stufenwert zu unterscheiden. Der höchsten Stufe entsprächen die Banknoten der Nationalbanken, der volkswirtschaftlichen Stufe die Wechsel, Schecks, Buchungen großer Bankhäuser und Firmen. Die Wörgler Arbeitsscheine stellen dagegen eine Geldschöpfung auf der Stufe der Gemeinde dar, welche unter der Bürgschaft des Geldes höherer und höchster Stufe (Banknoten) stehen, und der ganze Versuch leistet den Nachweis, daß eine solche Geldschöpfung für den rein lokalen Umkreis in außerordentlichen Verhältnissen nennenswerte Vorteile haben kann. (Abgeschlossen Anfang Mai 1933) Anmerkungen des Verfassers (1) Die Rückseite der Noten ist mit folgender Inschrift versehen: An Alle! Langsam umlaufendes Geld hat die Welt in eine unerhörte Wirtschaftskrise und Millionen schaffender Menschen in unsägliche Not gestürzt. Der Untergang der Welt hat (rein wirtschaftlich gesehen) seinen furchtbaren Anfang genommen. - Es ist Zeit durch klares Erkennen und entschlossenes Handeln die abwärtsrollende Wirtschaftsmaschine zu retten, damit die Menschheit nicht in Bruderkriege, Wirrnisse und Auflösung getrieben werde. Die Menschen leben vom Austausch ihrer Leistungen. Der langsame Geldumlauf hat den Leistunsaustausch zum großen Teil unterbunden und Millionen arbeitsbereiter Menschen haben dadurch bereits ihren Lebensraum im Wirtschaftsgetriebe verloren. - Der Leistungsaustausch muß daher wieder gehoben und der Lebensraum für alle bereits ausgestoßenen wieder zurückgewonnen werden. Diesem Ziel dient der Arbeitsbestätigungsschein der Marktgemeinde Wörgl: Er lindert die Not, gibt Arbeit und Brot! (2) Anfang Januar übergab mir Unterguggenberger folgende Aufzählung der geleisteten produktiven Arbeiten: 1. Straßenbau: Bahnhofstraße, Brixentalerstraße, 2 Nebenstraßen = 6.404 qm Ausbau und Asphaltierung; Kirchenplatz, Hauptschuleingang = 702 qm Ausbau und Asphaltierung. 2. Kanalisation: Jahnstraße, Brixentaler Straße, Volksschule, Gemeinde, Mühle = 250 Meter in 4 Meter Tiefe verlegt, 350 Meter in 3 Meter Tiefe verlegt. 3. Wegbauten, Neubeschotterung von Wegen und Straßen, Walzung: Alte Straße im Lahntal: 1.200 qm; Wege zu Egerndorf: 2.200 qm; Wege in Winkl: 1.300 qm; Diverse Straßen: 8.000 qm; file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text6.htm (10 von 11) [15.02.2002 19:40:21]
Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld (geschrieben 1933)
Fußweg, Sebastianquelle, Badl Neuanlage: 800 qm. 4. Gewinnung und Herstellung von Schotter: Grundbaustein, weiße Kalksteine, Müllnertal: 541 m³; rote Kalksteine, Winkl: 600 m³; Walzschotter, rote Kalksteine, Winkl: 400 m³; weiße Kalksteine: 353 m³, Asphaltriesel: 294 m³, Schotter und Sandgrube von Badl-Bachl: 200 m³. 5. Herstellung von Betonrandsteinen: Müllnertal: 1.600 laufende Meter. 6. Herstellung von Kanalisationsrohren: Müllnertal: 1.600 laufende Meter. 7. Bau der Skisprungschanze: Schanze 3-25 Meter breite Fahrbahn, Waldrodung, 36 Meter lange Anlaufbahn, Sprungweite bis 60 Meter, Sprungtisch und Preisrichterbühne: 300 Arbeiterschichten. 8. Rodung der alten Alleebäume zur Verbreiterung der Bahnhofzufahrt: 32 Kastanienbäume ausgegraben: 150 Arbeiterschichten; 32 Kastanienbäume in breitem Abstand neu versetzt: 50 Arbeiterschichten. 9. Neuanlage eines Wasserbeckens im Winkl. 10. Herstellung neuer Einfriedungen. 11. Ausbau der Gemeindekanzleien: Aufwand für Material und Arbeit: 7.500 Schilling. 12. Ausbau der Notstandsküche: 800 Schilling. 13. Waschhaus und Hölzlage z. Mühle: 600 Schilling. 14. Eine Reihe kleinerer Arbeiten: Kircheneingang, Ausgestaltung der Räume für Elektrizitätswerk usw.: 200 Schilling. (3) Seit Anfang Mai mußte die weitere Auszahlung von Schwundgeld auf Befehl der Bezirkshauptmannschaft eingestellt werden. Es läuft nun noch ein Rekurs an den Verwaltungsgerichtshof, ohne aufschiebende Wirkung, auf den die Gemeinde ihre letzte Hoffnung setzt. (4) Vergleiche auch einen Artikel "Die Wörgler Arbeitsscheine" in den Innsbrucker Nachrichten vom 27. April 1932 von "fachmännischer Seite". Anmerkungen des Herausgebers Klaus Schmitt * Dieser ungekürzte Nachdruck aus der konservativen Zeitschreift 'Ständisches Leben' 6/ 1933 (Hg.: Othmar Spann), S. 306ff., ist der unvoreingenommene Bericht eines neutralen Beobachters des Wörgler Schwundgeld-Experiments. ** Wie u. a. der ehemalige französische Ministerpräsident Daladier. In einer Rede vor seinen Parteigenossen von der Radikalsozialistischen Partei wendet er sich gegen die staatliche "Planwirtschaft", die er während einer Reise in die Sowjetunion studiert hatte, und propagiert statt dessen das Wörgler Schwundgeld. In dieser Rede beruft er sich auf Turgot, zitiert Proudhon und forderte die Wiederbelebung der Tradition der "Bewegung von 1789 in wirtschaftlicher Hinsicht" - offenbar die der klassischen Physiokraten (Eduard Daladier... über Wirtschaftsreform und Freigeld, Sonderdruck zu 'Die Freiwirtschaft', Kitzbühl, Tirol.).
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"Physiokratische Mutterschaft"
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Silvio Gesell
"PHYSIOKRATISCHE MUTTERSCHAFT" Reisebericht über das sittenlose Leben in einer akratischen Frauengemeinschaft (1) "Die Frau muß wirtschaftlich unabhängig vom Mann sein. Dann erst kann sie wählen statt zu zählen. Dann kann sie der Stimme der Liebe gehorchen und ihren geheimsten Wünschen, ihren Trieben folgen. Dann kann sich die Natur im Menschen auswirken und das schaffen, was ihr entspricht. Der Kern des Menschen kann so zum Vorschein kommen. Dann werden wir zum ersten Mal wirkliche Menschen sehen." S. Gesell (2)
A: Also, Herr Postillion, auf! Nach Frauenberg! B: Ach, das ist ja hier eine der vielbesprochenen Wochenendkolonien, wo die Frauen mit den Kindern allein hausen, und wo die Männer aus der Stadt meistens nur zum Wochenend erscheinen. Hier werden wir erfahren, wie sich der Abbau der Ehegesetzgebung, des Zivilstandsregisters und anderer schöner Dinge bewährt. Da kommt uns auch schon eine junge Frau entgegen. Wie frei sie sich bewegt! Junge Frau: Ich sehe, Sie sind fremd hier, und sehe Ihnen auch an, was Sie wünschen. Kommen Sie! Ich habe gerade meine Freundinnen zum Kaffeekränzchen eingeladen, da werden Sie alles erfahren, was Sie zu erfahren wünschen. B: Prächtige Kinder. Sind das alles Ihre Kinder? Junge Frau: Ich habe es leider noch zu keinem Kinde gebracht. Ich habe noch keinen Mann gefunden, der meinem Ideal entspricht, und so lange das nicht der Fall ist, suche ich weiter und will auch keine Kinder. Und file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text7.htm (1 von 7) [15.02.2002 19:40:23]
"Physiokratische Mutterschaft"
wenn ich ihn finde, wer weiß, ob er mich dann mag. B: Ja, wenn Sie sich in diesem kleinen Tal einschließen, da mögen Sie bei solch kleinem Wahlkreis und vielleicht hochgespannten Ansprüchen lange suchen. Junge Frau: Ich habe erst vor kurzem, um meinen Wahlkreis zu erweitern, eine Weltreise zurückgelegt, und trotzdem mir nur an den persönlichen Eigenschaften des Mannes liegt, kehrte ich unverliebt heim. Wie klein erschien mir plötzlich mein Wahlkreis, als ich in Asien, Afrika, Australien mich umsah! Wie groß erscheint er mir jetzt plötzlich. Der Wahlkreis der Frau ist kein geographischer Begriff. A: Wir sind schon verheiratet. Junge Frau: Hier ist niemand verheiratet, weder Mann noch Frau. A: Das mag sehr schön sein für die, die noch keine Frauen haben. Junge Frau: Hier hat man die Frauen nicht. Und man hat auch keine Männer. A: Nun, dann will ich mich etwas gewählter und Ihrem Sinn entsprechender ausdrücken. Ich habe bereits gefunden, was ich suchte. Und suche nicht weiter. Junge Frau: Was heißt hier suchen? Wenn der Zufall Ihnen nun, was doch möglich ist, eine Frau in den Weg stellt, deren Anblick, deren Wesen bei Ihnen die Frage auslöst, ob Sie wirklich schon gefunden hatten, was Sie suchten, was dann? Werden Sie dann die Augen zu Boden schlagen? B: Dann werden die Rücksichten auf das Familienleben hoffentlich den Ausschlag geben. Ich gehe den Tragödien aus dem Wege. Junge Frau: Sie können nur darum der Tragödie aus dem Wege gehen, weil Sie dem Sinne meiner Frage aus dem Wege gehen. Wenn ich wirklich den finden sollte, den ich suche, dann werde ich hoffentlich keinerlei Rücksichten, welcher Art sie auch seien, auch solche tragödienhafter Natur, walten lassen. Das ganze Leben ist und soll wohl nach den Intentionen der Natur nichts anderes als eine Kette von Tragödien sein, die bei manchen allerdings den Charakter einer Komödie annehmen mögen. Mein fruchtloses Suchen in allen vier Erdteilen ist auch schon eine Tragödie. Und was für eine! Diese erschütternden Enttäuschungen, die ich erlebte in Marokko, Abessinien, Kongo, Tibet, Alaska. B: Der, den Sie suchen, den hat gewiß der Krieg erschlagen. Ich verlor drei Söhne, und der einzig überlebende kam erblindet heim. Der Krieg, der Krieg! Junge Frau: Ja der Krieg! - Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich Sie so unvermittelt in ein Gespräch verwickelte, das ich hier mit meinen Freundinnen begonnen hatte. Aber wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über. Darf ich vorstellen. Zwei schon gut bekannte, unbekannte Reisende, die unsere physiokratische Welt studieren wollen. Frau Berta, Ida, Rosa. Ich selbst heiße Lise. Die Herren sind schon in unser heutiges, unser ewiges Gesprächsthema eingeweiht. Ich glaube aber, es liegt ihnen mehr daran, Tatsachen kennenzulernen, als zu philosophieren. Vielleicht erzählt jede von uns etwas aus ihren Verhältnissen. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text7.htm (2 von 7) [15.02.2002 19:40:23]
"Physiokratische Mutterschaft"
Berta: Wenn von Verhältnissen gesprochen werden soll, dann dürfte ich mit meinen sieben Kindern von sieben verschiedenen Männern wohl berechtigt sein, den Anfang zu machen. Ich gehöre zu den Frauen der Landmann'schen Richtung, die den zur Gewohnheit entarteten Geschlechtsverkehr ablehnen und sich vom Manne nicht als Objekt seiner Lüste mißbrauchen lassen wollen, weil sie darin den einzigen Weg zur Aufartung der Menschheit erblicken. Unser Ziel heißt: Kraft, Gesundheit, Geist, Schönheit; alles übrige, auch die Liebesfreuden, werden diesem Ziele untergeordnet. Ich suche mir also einen Mann, lebe und liebe mit ihm, bis ich mich schwanger fühle. Dann ziehe ich mich von ihm zurück und breche vollkommen mit ihm in erotischer Beziehung. Landmann nennt solches Verhalten, das übrigens auch meinen Empfindungen entspricht, "reine Mutterschaft" *, wobei er aber meines Wissens den Ausdruck "rein" nicht im Sinne von "befleckter" bzw "unbefleckter" Empfängnis, sondern lediglich als die reine Natur, als das ursprüngliche physiologische Verhalten bei der Zeugung in der menschlichen Urzeit verstanden wissen will. Aus Rücksicht auf meine Freundinnen, die anders empfinden oder ihren Instinkten nicht so blindlings gehorchen, wie ich, nenne ich es "physiokratische Mutterschaft". Dieser Ausdruck trifft das Wesen, die Natur der Sache besser und kann nicht so leicht im moralischen Sinne mißverstanden werden. Da ich nun eine möglichst gesunde und vollkommene Nachkommenschaft zu hinterlassen wünsche und dementsprechend den Vater meiner Kinder wähle, so habe ich es bereits zu sieben Gatten gebracht; denn in dem Maße, wie die Erfahrung mir die Augen öffnete, wuchsen auch meine Ansprüche an die Qualitäten des Mannes höher und höher. In diesem Streben konnte ich mich daher an keinen meiner bisherigen Gatten dauernd binden. Immerhin, - ich glaube, und meine Freundinnen werden es Ihnen ohne Zweifel gern bestätigen, daß ich mit meinen hohen Ansprüchen an die Väter meiner Kinder bereits einen großen Fortschritt in der Aufartung meiner Nachkommenschaft erzielt habe. Freilich, das Resultat wäre möglicherweise ein noch viel besseres gewesen, wenn meine Mittel es erlaubt hätten, meinen Männerwahlkreis durch eine Weltreise, wie sie unsere Freundin Lise, allerdings fruchtlos, unternommen hat, zu einem Weltwahlkreis erweitern zu können. Ich habe mit dem fürlieb genommen, was ich in dem engen Kreise finden konnte. Ich bin derberer Natur als Lise. Aber mir scheint, wenn ich meine Kinder mit anderen vergleiche, daß hier etwas von dem eingetreten ist, was Landmann als Frucht solchen physiokratischen Verhaltens prophezeit. Obschon von sieben Vätern abstammend, läuft durch alle derselbe harmonische Zug. Sie sind alle einen Grad fröhlicher, natürlicher, weniger mit senilen Tönen behaftet und bei ihren Studien entschieden ausdauernder und konzentrationsfähiger. Es mag ja sein, daß meine Mutteraugen, meine Wünsche das alles in meine Kinder hineinprojizieren, und daß die Nachbarinnen, die mir meine Beobachtungen zu bestätigen belieben, mir nur eine Freude bereiten wollen. Wahrheit über diese Dinge wird allein die im Großen und im Laufe der Generationen gesammelte Erfahrung bringen können. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text7.htm (3 von 7) [15.02.2002 19:40:23]
"Physiokratische Mutterschaft"
A: Das Landmann'sche Buch ist mir nicht unbekannt. Seine Beweise entnimmt er dem Tierleben. Die vollkommene Harmonie beim Tier und die so oft bis zur Karrikatur verzerrte Menschengestalt zeigen, daß irgendwo etwas nicht in Ordnung ist. Aber wollen wir nicht lieber von den wirtschaftlichen Dingen reden? Sie wissen doch, wie die Wirtschaft das menschliche Leben richttunggebend beeinflußt. Wieviel Schönes haben wir hier bereits beobachten können, was wir auf die hier herrschenden wirtschaftlichen Einrichtungen zurückführen. Auch Ihr Verhalten, Frau Berta, wäre in unserem Lande aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Sie sagten, daß Sie mit ihren sieben Männern jedesmal vollkommen gebrochen hätten. Sind diese sieben Männer denn damit einverstanden gewesen, und kümmern die sich gar nicht weiter um ihre Kinder? Es existiert doch sicher so etwas wie Vaterliebe. Und kommen Sie aus mit der Mutterrente, oder haben Sie noch andere Einnahmen? Berta: Ich habe mit den Männern nur in erotischer Beziehung gebrochen. Es ginge auch gar nicht anders, wenn ich Katastrophen, Mord und Totschlag vermeiden will. Ich muß mich gegen alle gleichmäßig ablehnend verhalten. Dann gehts. Sie alle lieben ihre Kinder, einige vergöttern sie. Sie bringen ihnen Geschenke, Bücher, Kleider, sie bezahlen die Lehrer. Einige tun das summarisch für alle, andere haben nur Augen für das eigene Kind. Meine Einnahmen mehre ich mit einer kleinen Industrie, die ich mit meinen Kindern betreibe. Korbwaren. Dann habe ich hier einen Acker, den die sieben Väter meiner sieben Kinder nach Feierabend bestellen, und die es dabei, von Eifersucht getrieben, zu staunenswerten Leistungen bringen. (3) Ich mit meinen sieben Kindern und sieben Männern trage auf der jährlichen Ausstellung gärtnerischer Produkte immer die besten Preise weg. Mir geht es auch wirtschaftlich nicht schlecht, und empfehle ich immer mein Verhalten als mustergültig in jeder Hinsicht. B: Sie werden sich gewiß mit dem demographischen Problem befaßt haben, das dann unweigerlich sein düsteres Haupt zeigen würde, wenn alle Frauen so mit sieben Kindern aufmarschierten. Wieviele Generationen gehören denn dazu, um bei solcher Fertilität das ganze Land 3 Meter hoch mit Menschen zu bedecken? Dabei sucht die Werbeschrift des Mutterbundes obendrein, noch die Einwanderung zu fördern. Ida: Das Übervölkerungsproblem bildet ein ständiges Gesprächsthema in unseren Kreisen. Wir streben allerdings danach, die Bevölkerung so weit zu vermehren, wie die Rationalisierung der Arbeit Nutzen daraus ziehen kann, weil dadurch die Grundrenten und rückwirkend die Mutterrenten gehoben werden. Daß solche Entwicklung irgendwo eine Grenze haben muß, ist uns klar. Zunächst scheint sie ja noch in weiter Ferne zu liegen, und so benutzen wir diesen glücklichen Umstand dazu, um für die allgemeine Freizügigkeit zu werben, in der Hoffnung, daß die guten Wirkungen, die wir bei uns beobachten, alle Völker veranlassen werden, die Grenzen niederzureißen, sodaß unseren Ansprüchen auf den ganzen Erdball Erfüllung zuteil wird. Daß die Auswanderung das Übervölkerungsproblem nicht lösen kann, wissen wir, denn wohin sollen wir noch auswanfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text7.htm (4 von 7) [15.02.2002 19:40:23]
"Physiokratische Mutterschaft"
dern, wenn die Übervölkerung zu einer universellen Erscheinung wird. Doch wir hier in diesem kleinen Kreise glauben, eine Lösung gefunden zu haben, eine eugenistische Lösung. Das malthusianische System der Empfängnisverhütung und das daraus sich entwickelnde Ein- und Zweikindersystem führt mit mathematischer Notwendigkeit zur Degeneration und zum Untergang, weil hier der wichtigste Faktor der Arterhaltung, die Auslese, wegen Mangel an Auslesematerial ausgeschaltet wird. Wir hier glauben nun, daß die Frauen der Zukunft immer wählerischer werden, daß sie sich nicht, wie heute noch vielfach, dem ersten besten in die Arme werfen werden, und daß sie auf der Suche, die sich auf die ganze Welt erstrecken wird, Zeit, sehr viel Zeit verlieren werden. Je höhere Ansprüche sie stellen werden, um so mehr Zeit verlieren sie, und Zeitverlust heißt in diesem Fall Einschränkung der Geburten. Da sehen Sie Frau Lise. Sie wird demnächst 30 Jahre alt und hat immer noch nicht das gefunden, was sie sucht. Vielleicht läuft sie einem Phantom nach. Aber von einem Phantom wird sie nicht schwanger werden. Sollte sie aber noch Glück haben und ihre hochgespannten Ansprüche noch befriedigt sehen, so können wir von ihr zwar Kinder besonderer Art erwarten, aber so viele wie Frau Berta wird sie nicht mehr haben. Wir können aber schon beobachten, daß Frau Lises Vorgehen Nachahmung findet, daß es zum guten Ton in der Gesellschaft unserer physiokratischen Frauen zu werden verspricht, die Ansprüche an die physische und psychische Qualität der Väter unserer Kinder immer höher und höher zu schrauben, in dem Maße wie sich unser Blick für solche Dinge schärft und erweitert. Es ist auch bereits zur Redensart geworden, daß die Qualität der Kinder den Maßstab für die Moral der Frau gibt. Glauben Sie, daß, wenn solches Verhalten zu einer allgemeinen Sitte wird, daß dann noch das Gespenst der Übervölkerung unsere Träume stören kann? Wir werden Moloch, das Kloster, Malthus und die Kriege durch Eugenik überwinden. Es ist das eine Sie überraschende Entwicklung, und ich verstehe diese Überraschung. Hatte man doch immer die Mutterrenten mit der Behauptung bekämpft, daß sie die Zucht der Minderwertigen begünstigen würde, daß viele Frauen auf die Mutterrenten, ähnlich wie andere Frauen auf das Ammengeld, spekulieren würden, wobei man bei so niedrigen Beweggründen allerdings annehmen müßte, daß solche Frauen sich von irgendeinem Manne schwängern lassen und Minderwertiges gebären werden. Es ist ganz anders gekommen. Die Mutterrente ist zwar ausreichend, um die Frau vor Not zu schützen. Aber auch nicht mehr. Sie reicht nicht an den Arbeitslohn heran, den eine Frau in der Industrie verdient, denn Sie wissen, daß hier, im Lande des vollen Arbeitsertrages, die Löhne hoch sind. So kommt es, daß alle diese rechnenden und spekulierenden Frauen sich lieber mit den neuen, verbesserten Verhütungsmitteln versehen und gegebenenfalls zur Abtreibung ihre Zuflucht nehmen. So bleiben gerade diese Elemente unfruchtbar und überlassen den Eugenikern das Feld. Berta hat sieben Kinder, Rosa fünf und ich vier. Wir haben aber noch nicht Schluß gemacht, und Lise wird sich wohl auch noch beteiligen. Das ist ja etwas viel für vier Frauen, aber dafür sind in unfile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text7.htm (5 von 7) [15.02.2002 19:40:23]
"Physiokratische Mutterschaft"
serer allernächsten Nähe mehr als 20 Frauen, die die Sterilität vorziehen, und die so den Durchschnitt der Fruchtbarkeit sehr stark herabsetzen. Nein, das Übervölkerungsproblem ist gelöst, und erlöst sind wir für immer vom Moloch. B: Für solche Lösung könnte ich mich begeistern, wenn mir nicht noch starke Zweifel blieben, daß sich immer genügend Frauen für die Eugenik und die Sicherung des Menschengeschlechtes interessieren werden. Sie hier in diesem Klub sind nur vier Frauen, und Sie sprechen von 20 anderen in der Nähe, die die Unfruchtbarkeit, das persönliche Aussterben vorziehen. Das sieht doch sehr bedenklich aus. Allerdings wird durch solches Aussterben die kommende Generation nur noch aus Menschen bestehen, die von starken, das Leben bejahenden Müttern abstammen, also auch diese Eigenschaften erben werden, wodurch das genannte Verhältnis von 4 zu 20 vielleicht wieder ins Gegenteil umkippen wird, und das Übervölkerungsproblem wird dadurch wieder eine Auferstehung feiern, wenn die eugenistischen Hemmungen, von denen Frau Lise sprach, nicht kompensatorisch wirken. Aber worauf es zunächst ankommt, der Weg, den dieser Klub betreten hat, der führt mit Bestimmtheit aufwärts. Wahlzucht und Erweiterung des Wahlkreises zum Weltwahlkreis. Das muß zur Hochzucht führen, und ich glaube dann, daß die aus solcher Zucht hervorgehenden Menschen den Problemen, die sich ihnen zeigen, gewiß eine ihrer Natur würdige Lösung geben werden, und daß wir uns darüber keine Sorge mehr zu machen brauchen. Und darum möchte ich Frau Lise sehr empfehlen, kein Haar von ihren hohen Ansprüchen fallen zu lassen und weiter zu suchen, bis sie findet, was ihr vorschwebt. (4) A: Es ist nun spät geworden. Wir müssen noch ein Hotel suchen. Rosa: Warum in die Ferne schweifen? Bleiben Sie die Nacht bei Frau Berta, so knapp sind die Mutterrenten nicht bemessen, daß Frau Berta nicht einen Gast beherbergen könnte. Ein Gastzimmer ist hier in jedem Hause, und nur völlig Unbekannte suchen Obdach im Hotel. Uns seid Ihr aber bereits recht gute Bekannte. Und Lise, willst Du nicht den anderen lieben Gast bei Dir beherbergen? Lise: Ja, warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nahe, lerne nur das Glück ergreifen .... B: Den Schlußsatz lassen Sie wohl mit Bedacht fort? Lise: Dinge, die immer "da sind, können nicht Gegenstand eines Glücksfalles ausmachen. Heute habe ich das seit zehn Jahren gesuchte Glück gehabt, und ich gedenke es beim Schopfe zu fassen. Ida: Wir entwickeln uns nach und nach zu einem Klub für Kuppelei. Rosa: Gibt es etwas Schöneres als Kuppelei für Frauen, die mit geschärftem Blick und erweitertem Gesichtskreis Eugenik betreiben wollen? Eugenik ist nichts anderes als Kuppelei, physiokratische Kuppelei. Ida: Ich glaube, es hätte in diesem Fall der kupplerischen Nachhilfe gar nicht bedurft. Lise hatte sich ja schon ganz rettungslos in ihn vergafft und er in sie. Was sie beim Antritt ihrer Weltreise in fünf Erdteilen suchte fand sie am Ende derselben in der Heimat. file:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text7.htm (6 von 7) [15.02.2002 19:40:23]
"Physiokratische Mutterschaft"
Anmerkung des Verfassers * Landmann, Dr. med. F., Reine Mutterschaft, 5. Aufl., Greifenverlag in Rudolstadt (Thür.); 275 S., 2,25 RM. Anmerkungen des Herausgebers (1) Ausschnitt aus dem Kapitel 'Eine Forschungsreise ins Land der Physiokraten', aus Gesells utopischem Spätwerk: Der abgebaute Staat - Leben und Treiben in einem gesetz- und sittenlosen hochstrebenden Kulturvolk, A. Burmeister Verlag, Berlin-Friedenau 1927, S. 75ff. (2) Der Aufstieg des Abendlandes, Erfurt u. Bern 1923, S. 11f. (3) Gesells Vorstellungen über polygame Beziehungen, Eifersucht und Konkurrenz in Kleingruppen sind unkorrekt. Die ethnologische Forschung zeigt, daß in erotischen und lebensbejahenden Kulturen mit geringer Sexualmoral Eifersucht wenig ausgeprägt ist und die Menschen dort auch nicht in scharfem Wettbewerb gegeneinander stehen, sondern daß dort solidarische Zusammenarbeit ohne Leistungsdruck vorherrschend ist. Im übrigen ist es bemerkenswert, daß Gesell bereits in den 20er Jahren die sexuelle Freiheit für Frauen und die uneheliche Mutterschaft propagiert und die totale Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 218 und des Schwulenparagraphen 175 gefordert hat, eine außerordentliche Provokation der damaligen Moralvorstellungen und Rechtsverhältnsisse. (4) Zur Problematik der Eugenik s. Text 2, Anm.117.
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Erich Mühsam: Nachruf zum Tode Gesells 1930
Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?; Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6 [ Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]
Erich Mühsam EIN WEGBAHNER Nachruf zum Tode Gesells 1930 (1)
In der Frühe des 11. März ist im Alter von fast 68 Jahren der Begründer der FFF- (Freiland, Freigeld, Freiwirtschaft) Bewegung, Silvio Gesell, einer Lungenentzündung erlegen. Die Nachricht war nicht den Tageszeitungen zu entnehmen, die der am öffentlichen Leben teilnehmende Mensch allmorgendlich nach den wichtigsten Neuigkeiten befragt, sie stand erst nach der Beisetzung in der von dem Toten selbst beeinflußten, seine Gedanken verbreitenden 'Letzten Politik' zu lesen. Das ist kennzeichnend für das stumpfsinnige Getriebe, das die Werte der Welt in dieser unserer Gegenwart für den Hausgebrauch der Spießer zurechthackt. Es wird eine Zukunft kommen, die den geistigen Stand der Deutschen von heute danach bemessen wird, daß das Ableben Silvio Gesells unbemerkt, kaum irgendwo registriert geschehen konnte und ins Leben der Zeitgenossen scheinbar gar keine Lücke riß. (2) Gesells theoretische Leistung ist aber mit dieser blamabeln Stille um seinen Fortgang nicht abgetan, und wie bedeutungsvoll die Leistung war, wird dann erkannt werden, wenn sie in der Praxis erprobt werden wird. Gustav Landauer wußte, was er tat, als er vor elf Jahren empfahl, die Revolutionierung des Geldwesens der Räterepublik Bayern dem an Proudhon geschulten, dabei ganz selbständigen Denker Gesell anzuvertrauen. Wäre die bayerische Revolution militärisch siegreich geblieben und hätte sie dem modernen Physiokraten die Verwirklichung seiner Pläne gestattet, so hätte es in Bayern keine Inflation gegeben, und die Enteignung der Kapitalisten wäre vor sich gegangen bei gleichzeitiger Verhinderung der ihnen in Rußland geglückten Schliche, mit Hilfe des wertgesicherten Geldes die Warenzirkulation neuerdings zur Quelle verzinslicher Besitzhäufung zu machen. Gesells Freiland-Lehre ist stark anfechtbar, seine Geldtheorie dagegen scheint berufen, nicht, wie er annahm, das Wirtschaftsregulativ der freiheitlichen Gesellschaft zu werden, wohl aber das Übergangsverfahren vom kapitalistischen Währungssystem zum geldlosen Kommunismus zu ermöglichen. Silvio Gesell war entschiedener Staatsverneiner. Um aber auch die Beziehungen des positiven Gehaltes seiner Lehre zum Anarchismus im Fanal zur Darstellung zu bringen, ist einer der kenntnisreichsten Schüler des Verstorbenen um eifile:///C|/downloads/gesell/userpage.fu-berlin.de/_roehrigw/schmitt/text8.htm (1 von 2) [15.02.2002 19:40:24]
Erich Mühsam: Nachruf zum Tode Gesells 1930
nen Artikel gebeten worden und wird bald hier zu Wort kommen. Silvio Gesell war ein sozialer Wegbahner von größtem geistigen Wuchs; der Spott der Börsenpraktiker und das Gelächter der Marxisten können seine Bedeutung als Vorkämpfer gerechter und freiheitlicher Gesellschaftsgattung nicht mindern. Die Zeit revolutionärer Verwirklichung wird dem Toten vieles abzubitten haben, was die Zeit dogmatischer Unbelehrbarkeit an dem Lebenden und damit zugleich an sich selbst gesündigt hat. Der Weg der Menschheit zur anständigen Gemeinschaft wird mit mancher Fuhre Erde aus dem Garten Silvio Gesells gestampft sein.
Anmerkungen des Herausgebers (1) Fanal 7/April 1930 (2) 50 Jahre später wiederholt der bürgerliche Ökonomie-Professor Oswald Hahn diese Klage in ähnlicher Weise in Bezug auf seine Fachkollegen: "Dieses Faktum ist Ausfluß einer Geisteshaltung, die mit deren Sonnen in der eigenen Genialität und dem angemeldeten Anspruch auf Zugehörigkeit zu einer dynamischen Disziplin zu erklären ist." Er meint, es sei "nicht auszuschließen, daß über eine us-amerikanische verfasser-bedingte Innovation die Theorie des Schwundgeldes dort eine Auferstehung erfährt und von dort aus begeisterte Aufnahme in Europa findet. Eine Rückbesinnung auf Gesell in bundesdeutschen Lehrbüchern wie in den Stäben der Zentralbankleitung wäre dann allerdings nur über die US-Karriere eines amerikanischen DAAD- oder Fullbright-Stipendiaten möglich." Hahn empfiehlt Otto Veits Lehrbuch 'Grundrisse der Währungspolitik', in dem Gesell und andere interessante Geldtheoretiker angemessen gewürdigt werden (Z. f. d. gesamte Kreditwesen 6/1980, S. 212).
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