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Signalkode Feuerblume Großeinsatz der Neuen USO der Rudimentsoldat tritt auf Rainer Castor
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2126
Signalkode Feuerblume Großeinsatz der Neuen USO der Rudimentsoldat tritt auf Rainer Castor
Die Hauptpersonen des Romans: Trah Rogue - Der Konquestor von Tradom verfolgt weiterhin seine Pläne. Monkey - Der Kommandant der Neuen USO setzt auf kompromisslose Härte. Tom Abertin - Der USO-Oberst kommandiert das stärkste Schiff seiner Organisation.
Prolog Er war der Konquestor von Tradom, der den Milchstraßen-Feldzug im Auftrag der Inquisition der Vernunft führte. Der Verlust seines Raumschiffs konnte ihn nicht behindern. Nach der Bruchlandung der MARZOM hätte wohl niemand auch nur einen CE-Tradico auf sein Überleben gesetzt, trotz seines unbändigen Willens. Aber er hatte es geschafft, er, Trah Rogue, der Konquestor von Tradom! »Nichts bricht die Macht von Tradom!« Die Erinnerung war frisch, vor allem an das Hochgefühl, als er aus der Schlucht herausgeflogen war. Keine Wolke war zu sehen gewesen, dafür aber der klassische Doppelrumpf eines AGLAZAR-Schlachtschiffs des Reiches Tradom. Er hatte sich über Funk auf der Reichsfrequenz identifiziert und war dem Schiff entgegengeflogen. Er triumphierte. Von nun an würde die Milchstraße vor ihm zittern! Trah Rogue riss die handtellergroße silberne Box auf, die auf seiner Brust hing. Feinste Speisewürmer wanden sich darin. Der Konquestor verzehrte gierig ein halbes Dutzend. Sein Fell juckte, doch sein Fellpfleger hatte ihm als Nahrung im Überlebenskampf gedient. Er knurrte verärgert. Seit sein Thron im Sumpf von Pinblot versunken war, fühlte er sich eines Teils seiner Unantastbarkeit und seiner Macht beraubt. Er wusste, dass sein Äußeres in den Augen der Terraner einem fetten Schimpansen von 2,10 Metern Größe ähnelte. Trah Rogue tastete unbewusst nach den Zacken der Krone, die wie mit den Schädelknochen verwachsen schien. An seiner Hüfte baumelte der ein Meter lange Stockdegen, der ihm geblieben war. Das juckende Fell erinnerte den Konquestor ständig daran, dass er sich von diesem Perry Rhodan völlig aus der Reserve hatte locken lassen - über die Maßen provoziert von einer Holo-Show, die ihn an der Wurzel seiner Eitelkeit gepackt hatte. Der Terranische Resident hatte ihn, Trah Rogue, darin besiegt und ihm das gepflegte Fell vom Leib gebrannt, bis er winselnd vor ihm auf den Knien lag. Es hatte tatsächlich echt gewirkt! ... zieht den Strahler und verdampft die Kette des winzigen Sklaven. Dann richtet er den Strahler mit unerbittlicher Miene auf den Konquestor - und drückt ab. Der Hitzestrahl verbrennt Trah Rogues Kleidung. Sein Körper wird von Fesselfeldern gehalten, während ihm Perry Rhodan langsam und präzise sein gesamtes Fell wegbrennt, bis nur eine Aschenschicht zurückbleibt - und ein nackter, zitternder Trah Rogue, dessen rosafarbene, mit Brandblasen übersäte Haut von konvulsivischen Zuckungen durchlaufen wird. Der Terraner sieht verächtlich auf ihn herab und richtet den Strahler für einen unerträglich lange wirkenden Moment direkt auf seine Stirn. Dann wendet er sich einfach ab ... »Verfluchter Terraner«, sagte Trah Rogue gefährlich leise. Selbstkritisch gestand er sich ein, dass die Strategie des Reichs gescheitert war. Man hatte die Mentalität der Terraner unterschätzt, obwohl die Kundschafter von Tradom die Milchstraße eine ganze Weile im Geheimen beobachtet hatten.
Doch die Inquisition der Vernunft hatte beschlossen, dass Terra ohne große Raumschlacht eingenommen werden sollte, auf sanfte Art, indem der Konquestor persönlich ins Feindesland ging. Sollten nur die immensen Kosten einer konventionellen Invasion minimiert werden, oder gab es andere Gründe? Wichtig waren - zunächst - nur die Terraner. Nicht aus strategischen Gründen, sondern weil die Inquisition der Vernunft das Solsystem eindeutig als Ziel der ersten Offensive bestimmt hatte. Insbesondere kam es darauf an, Terra keinesfalls mit Verwüstungen zu überziehen. Die Inquisition wollte den Planeten unbeschädigt. Trah Rogue verstand diese Anweisung nicht. Welchen Grund hatte die Inquisition, Terra einen solchen Sonderstatus beizumessen? Wäre es nicht weit einfacher gewesen, mit dem ersten Vorstoß Terra zu vernichten und so jedem Widerstand von vornherein entgegenzuwirken? Doch es war nicht seine Sache; Rogue würde buchstabengetreu die Anweisung der Inquisition befolgen. Ihm fehlte - genau wie Trah Zebuck auf der anderen Seite des Sternenfensters - ohne jeden Zweifel der Überblick, die einzelnen Elemente der »Operation Milchstraße« inhaltlich zu bewerten. Rogue ging davon aus, dass die Terraner mittlerweile die theoretische Verwundbarkeit der AGLAZARSchlachtschiffe gegen mehr oder weniger »konventionellen« Beschuss erkannt hatten. Es würde nie mehr so einfach werden wie beim ersten Mal, das Solsystem anzufliegen und die terranischen Flotten zu vernichten. Aber Perry Rhodan würde den Preis für die Demütigung zahlen müssen! Es würde die Menschen Milliarden Opfer kosten, am Ende würde das Reich einen umso höheren Tribut einfordern. Falls Trah Rogue überhaupt noch Menschen am Leben ließ. Er verfügte in der Milchstraße über eine Streitmacht von sieben AGLAZAR-Schlachtschiffen. Normalerweise wäre dies ausreichend gewesen, um sich gegen den größten Teil der galaktischen Militärmacht nicht allein zur Wehr zu setzen, sondern Planeten wie Terra oder Arkon in Schutt und Asche zu legen. Unglücklicherweise waren jedoch genau diese beiden Ziele aus verschiedenen Gründen unzugänglich. Arkon, weil das System von dem Kristallschirm umschlossen war und Rogue nicht glaubte, dass seine Raumer den Schirm durchdringen konnten. Und Terra, weil das System von der Aagenfelt-Barriere geschützt wurde. Konnten sie jedoch diese Barriere überwinden oder ausschalten, war schon viel gewonnen. Ersatz war derzeit nicht in Sicht: Das Sternenfenster war aus Gründen, die Rogue nicht nachvollziehen konnte, für Truppen aus Tradom nicht mehr durchlässig, sondern konnte ausschließlich von der Milchstraße aus passiert werden. Der Konquestor von Tradom vermutete, dass es sich um einen Anschlag des Trümmerimperiums handelte. Trah Rogue hatte sich aus diesem Grund entschieden, den Eindruck zu erwecken, er habe die Milchstraße längst verlassen. Was immer er hier unternahm, es durfte keine Spuren hinterlassen. Trah Rogue hatte deshalb beschlossen, Verbündete in der Milchstraße zu suchen. In der Milchstraße oder in deren näherem Umkreis. Das juckende Fell rief abermals Bilder an Pinblot wach. Fortbewegung im Blätterdach, die Trah Rogue in eine Art Euphorie versetzt hatte. Er war seiner wahren Natur um ein Vielfaches näher gekommen als in seinem Thron. Jahre hatte er darin vergeudet. Auch jetzt noch spürte er die Kraft, die ihn erfüllt hatte, die von innen heraus erwachsen war. Verschüttet geglaubte Instinkte waren mit jeder Stunde in der aufregenden Umgebung ein Stückchen mehr erwacht. Trah Rogue hatte in sich selbst ein Überlebenspotential entdeckt, das er sich kaum noch zugetraut hätte. Die Tage auf Pinblot aber waren, mitsamt ihrem Hochgefühl, ein einmaliges Abenteuer gewesen, das sich nicht wiederholen würde. Er dachte an die Kämpfe, an die Erregung und das Gefühl, seinem wahren Ich wieder nahe gekommen zu sein - und konzentrierte sich abrupt auf die Gegenwart und nahe Zukunft. Die Erlebnisse auf Pinblot hatten ihn auf die Galactic Guardians aufmerksam gemacht. Der Konquestor, von der Inquisition mit ausgezeichnetem Datenmaterial auf die Reise geschickt, erkannte als potentielle Verbündete die Überschweren, die im Jahr 1174 NGZ aus ihrer Heimat verbannt worden waren und sich in NGC 6822 und Fornax angesiedelt hatten. Bereits Anfang November des Jahres 1311 NGZ nach Milchstraßenzeitrechnung hatte Trah Rogue über die GaplonSippe der Mehandor den Kontakt zu deren Verbündeten, den Überschweren, hergestellt. Mit diesen Partnern traf der Konquestor die Übereinkunft, den Söldnerstatus der Überschweren in der Milchstraße wiederherzustellen: ein Handel, der durchaus in das politische Konzept der Inquisition passte. Ging es um den nicht-militärischen Handel, agierte das Reich Tradom nach dem Prinzip »Teile und herrsche!« Um sein Ziel zu erreichen, waren Erfolge an zwei Fronten notwendig. Erstens benötigte Trah Rogue aktuelles Datenmaterial, am besten direkt aus dem Solsystem; zweitens war ein Forschungszentrum vonnöten, in dem mit dem Datenmaterial gearbeitet werden konnte. Diese Arbeit war in den militärisch ausgerüsteten AGLAZARSchlachtschiffen nicht zu leisten.
Trah Rogue ließ die Spionageaktivität im Solsystem unverzüglich in die Wege leiten; unter Einsatz technischer Mittel seiner Raumer - und mit Hilfe eines Rudimentsoldaten. Rogue nutzte weiterhin ein bereits existierendes Spionagesystem, das unter der Kontrolle der Gaplon-Sippe stand und sich ehemaliger Netzwerke der Galactic Guardians bediente. Und so dauerte es nicht lange, bis die ersten sensiblen Daten aus dem Solsystem zu fließen begannen. Damit war der erste Teil einer allerdings sehr viel umfangreicheren Arbeit getan. Die nächste Frage lautete: Welches Forschungszentrum konnte genutzt werden, um die Erkenntnisse aus der Spionagetätigkeit auszuwerten? Sämtliche größeren Anlagen in der Galaxis waren selbstverständlich dem Terranischen Liga-Dienst oder der USO bekannt und wurden zumindest lose überwacht. Hätte Trah Rogue irgendwo in der Milchstraße ein größeres Forschungsvorhaben zur Aagenfelt-Barriere gestartet, wäre er sehr schnell aufgeflogen. In der Kürze der Zeit konnte er andererseits auch kein neues Zentrum aus dem Boden stampfen. Trah Rogue entschied sich daher für einen Mittelweg. Statt eines neuen Zentrums oder eines bestehenden mit entsprechender Überwachung fiel die Wahl auf ein weniger auffälliges von mittlerer Größe - das von diesem Moment an jedoch nach allen Regeln der Kunst aufgerüstet wurde ... * Yart Fulgen: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse - aus der Arbeit des Historischen Korps der USO; QCArchiv, 1300 NGZ: Das Hauptquartier der alten wie der Neuen USO ist ein Mond von 62 Kilometern Durchmesser: Quinto-Center ist ausgehöhlt, die äußere Felsrinde gerade noch sechs Kilometer dick und durch 80.000 Terkonitstahlverstrebungen abgestützt sowie durch Schmelzeinschüsse in den Fels zu einem atomar verschweißten Verbundskelett verankert, das ausreichende statische Festigkeit garantiert. Der Hohlraum mit fünfzig Kilometern lichter Weite ist ausgestattet mit 500 Hauptdecks mit einer Höhe zu je hundert Metern; es gibt zahllose Versteifungselemente, Säulenverstrebungen, Sternabstützungen und tragende Hallenkonstruktionen. Die Hauptzentrale befindet sich genau im Mittelpunkt und ist bei 800 Metern Durchmesser kugelförmig. Als Schale füngiert eine fünf Meter dicke Ynkelonium-Terkonit-Wandung, die durch zwölf Panzerschächte, die gleichzeitig als Schnellverbindungen zur Oberfläche dienen, in einer Art Zwölfpunktaufhängung abgestützt wird. In einer Kugelschale ringsherum angeordnet sind 38 Großkraftwerke auf Nug-Schwarzschildbasis. Großtransmitter gehören zu diesem inneren Sicherheitsbereich. Der eigentliche Zentralbunker - eine Kugel von 400 Metern Durchmesser - kann nur über so genannte Identifizierungsschleusen betreten werden, ausgestattet mit Anlagen zur paramechanischen IV-Schwingungs- und Bewusstseins-Sondierung. Die obere Halbkugel besitzt einen Grundflächendurchmesser von 400 Metern und ist die Kommandozentrale mit Holowänden und drei abgestuften Terminalpultreihen in konzentrischer Anordnung. Die untere Halbkugel beinhaltet Sektorzentralen mit Konferenzräumen sowie die Privatunterkünfte der Kernbesatzung (einschließlich jener, in denen einmal Lordadmiral Atlan lebte). Auf der weitgehend naturbelassenen Oberfläche sind 3430 ausfahrbare Panzertürme untergebracht, jeder mit drei überschweren Transformkanonen bestückt ... 1. 26. Dezember 1311 NGZ In dem abgeschirmten Raum saßen sich zwei Männer gegenüber, von einer Schwebetischplatte getrennt. Nur einer war real anwesend, der andere eine Holoprojektion, der nicht anzusehen war, dass sich das Original in Wirklichkeit rund 8000 Lichtjahre entfernt befand. Die Hyperfunkverbindung war vielfach kodiert, extrem gerafft und zerhackt, wurde als verschlüsselte Datenpakete über zweihundertfünf verschiedene Relaisstrecken versandt und verwendete überdies einen Frequenzbereich des hyperenergetischen Spektrums, der im unteren UHF-Band angesiedelt war. Nach menschlichem Ermessen war somit das Optimum an Geheimhaltung sichergestellt. Die Gesprächspartner waren Monkey, Chef der USO, und Noviel Residor, Chef des Terranischen Liga-Dienstes. Der eine befand sich im Herzen von Quinto-Center, der andere im TLD-Tower auf Terra.
»... sind mittlerweile sicher«, sagte Residor, »dass die technischen Daten der Aagenfelt-Barriere - zumindest ein noch unbekannter Teil davon - tatsächlich auf dem Merkur von Trah Rogues Leuten gestohlen wurden. Wo sich der Konquestor von Tradom versteckt hält, ist dagegen noch nicht bekannt. Vielleicht auf seinen sieben Katamaren mitten im Raum, vielleicht auf einem Planeten irgendwo in der Galaxis.« »Dafür haben wir in der BASIS Zugang zu dem geheimen Computer.« Der fast zwei Meter große Umweltangepasste aus dem Volk der Oxtorner, dank seiner Kompaktkonstitution an ein Leben auf einer Extremwelt mit 4,8 Gravos gewöhnt, hatte die Kunstaugen auf Residor fokussiert. »Dieser Rechner koordiniert eine Fülle von mysteriösen Transmittersendungen, die höchstwahrscheinlich von Rogue und seinen Leuten empfangen werden.« Was sich in den Containern befand, hatten die TLD-Agenten und USO-Spezialisten nicht herausgefunden. Auch nicht, wohin genau sie gesandt wurden, denn der Transport von der BASIS aus war ortungssicher abgeschirmt. Monkey und Residor nahmen übereinstimmend an, dass die Katamare bestens ausgestattet waren und zweifellos keine zusätzliche Ausrüstung benötigten. Wäre es nur darum gegangen, hätten Trah Rogues Leute ohnehin nicht den Umweg über die BASIS in Kauf genommen. In einem nur für Monkey sichtbaren Holo drehte sich der Globus von Stiftermann III; die BASIS umkreiste den dritten von insgesamt sieben Planeten der kleinen roten Sonne Bedden, 13.411 Lichtjahre vom Solsystem und 20.483 Lichtjahre von Quinto-Center entfernt. Für Jahrzehnte ein »Nest« der Galactic Guardians, war der zum Kasino umgebaute Raumer inzwischen in den Besitz eines Konsortiums übergegangen, an dem auch die USO maßgeblich beteiligt war. Gestern war die Yacht ARBARAITH in Quinto-Center angekommen. Die Brisanz der Informationen, die Mifany da Metzat mit sich geführt hatte, verbot jeglichen Versuch der »fernmündlichen Übermittlung«. Gashasas und Kappas Helmkameras hatten bei ihrem Vorstoß die Umgebung dokumentiert. Monkey rief die gespeicherten und inzwischen von dem Hauptrechner von Quinto-Center, MAJESTÄT, ausgewerteten Bilder in einem weiteren Holo auf. Ein von dünnem Rauch ausgefüllter Kontrottraum: Auf den Bildschirmen sind die Transmitter- und Lagerräume der Gaplon-Springersippe zu erkennen. Ein großer Holoschirm zeigt die Bilder von der Rennstrecke; Aufnahmen unglaublicher Trümmer und Zerstörungen inmitten von Überladungsblitzen und Rauch. Durch das ausgefranste Rohrende dringt mehr Rauch ein, der die Sicht trübt. Im hintersten Winkel erhebt sich zwischen Speicherbänken ein silbern schimmernder Sockel von etwa einem Meter Kantenlänge, auf dem eine Art Aquariumskugel von rund fünfzig Zentimetern Durchmesser angebracht ist. In ihrem Inneren schwimmt in einem wasserklaren Medium eine kompakte Masse, die wie ein Gehirn aussieht. Unterhalb des silbrigen Glanzes sind im Sockel die Umrisse zahlreicher miniaturisierter Schaltungen oder Bausteine zu erkennen. Zwei Hirnhälften und die charakteristische Fältelung der Großhirnrinde erinnern an das Gehirn eines Menschen. Statt ins Rückenmark mündet es in einen Strang, der aus künstlichen Fasern gedreht und geflochten ist und im silbrigen Würfel verschwindet. Eine Energieblase hüllt plötzlich Sockel und Gehirnkugel ein; sie sind gegen Angriffe, Entführung und Beschädigung gesichert. Kappa steht reglos vor einer Reihe von Pulten, in deren Mitte ein wuchtiger Rechner als Block aus dem Fundament ragt. Die Rechnerstation ist das Nervenzentrum der Gaplon-Sektion, der Syntron, der die Schmuggelaktionen steuert. Aus Kappas Fingerspitzen sind haarfeine, funkelnde Werkzeuge herausgefahren, aus seinem Hals ebensolche Metalltentakel hervorgedrungen und im Rechner verschwunden. Rauchschwaden schieben sich zwischen den Rechner und das Ende des zerfetzten Rohres. Das Türschott springt mit einem Ruck auf. Gleißendes Licht strömt durch die Öffnung. Ein Geschöpf stürmt durch Rauch und Dampf, läuft, mit den Armen rudernd, auf den Kubus mit dem schwimmenden Gehirn zu. Die Tentakel ziehen sich in den Hals zurück, Metallfäden spulen sich in die Fingerendglieder, der Helm klappt zu. Das fremde Geschöpf hat die beiden Eindringlinge nicht bemerkt. Sie können unentdeckt entkommen ... »Der Rechner ist infiltriert.« Mit einer Handbewegung schaltete Monkey die Aufzeichnung ab. »Er steht mit einer Steuerleitung und einem Versorgungsstrang mit den Hauptrechnern der BASIS in Verbindung. Er kann also angesprochen und ferngesteuert werden.« »Es sieht so aus, als benötige der Konquestor an einem geheimen, eigentlich aber jederzeit zugänglichen Ort gewisse noch unbekannte Waren.« Der schlaksige Geheimdienstchef mit dem kantigen Schädel und der ölig schimmernden Glatze machte eine vage Handbewegung. »Sonst könnte man ja ganz bequem per Raumschiff liefern. Kann es sein, dass Rogue irgendwo direkt unter unseren Augen einen Stützpunkt errichten oder ausbauen lässt?
Und wenn, wozu?« »Die Tatsache, dass so viel Geheimhaltung betrieben wird, deutet auf einen verdeckten Angriff hin. Aber welcher verdeckte Angriff ergibt für Trah Rogue mehr Sinn als eine Frontalattacke mit sieben praktisch unbesiegbaren Katamaren?« Monkeys Kameraaugen richteten sich auf sein holografisches Gegenüber. »Was immer es sein mag, wir werden dem Treiben nicht länger zusehen!« Residor nickte. Streng genommen gehörte Stiftermann III zwar zu dem vom Terranischen Liga-Dienst abgedeckten »Territorium«. Doch in diesem Fall war die Zusammenarbeit der Geheimdienste äußerst eng, und keine Seite hielt auch nur die geringste Information zurück. Die USO war ebenso mit der Affäre befasst wie der TLD. Fragte sich nur, wer über die besseren Reaktionsmöglichkeiten verfügte; und genau das war der Grund des abgeschirmten Gesprächs. Monkey sagte ebenso kühl wie unverblümt: »Ich fordere, dass sich der TLD aus der bevorstehenden Operation heraushält. Und zwar aus einem rein politisch motivierten Grund: Du bist als Vertreter einer demokratischen Regierung dem Residenz-Parlament verantwortlich. Dies erlegt dem TLD gewisse Grenzen auf, selbst im Umgang mit Trah Rogue. Ich dagegen werde mich nicht scheuen, das komplette Arsenal von Vernichtungswaffen einzusetzen, das uns zur Verfügung steht ...« »... und im Fall eines Falles nicht von ethischen Bedenken zurückhalten lassen.« Noviel Residor, als vollständig emotionsloser Denker bekannt und berüchtigt, stimmte Monkeys Argumenten nach kurzem Nachdenken zu. »Meine Agenten werden sich aus der Geschichte heraushalten.« Monkey hob die rechte Hand. »Der Computer an Bord der BASIS wird von der USO genutzt. Und ganz besonders wichtig: Dieses Gespräch hat niemals stattgefunden.« »Welches Gespräch ...?« * Der kleine Wasserfall plätscherte neben dem hölzernen Teepavillon über schwarz glänzendes Gestein. Neben der Bohlenbrücke erstreckte sich das von Rechenrillen bedeckte Kiesfeld. Als handle es sich um Inseln in einem Meer, ragten vereinzelt von Moos überwucherte Findlinge auf. Der von Yart Fulgen liebevoll gepflegte japanische Garten war ebenso wie der dichte Efeubewuchs an den Felswänden des Wohnbüros Teil der hydroponischen Anlagen. Beweglich gelagerte, dicke Glassitwände trennten Arbeits-, Konferenz- und Privatbereich von der sich über mehrere hundert Quadratmeter erstreckenden, in mehrere Ebenen unterteilten Sektion. Schon eine Weile stand Monkey im Durchgang und beobachtete den gebrechlich gewordenen Plophoser in seinem formenergetischen Schwebesessel. Rings um ihn waren mindestens ein Dutzend Holoprojektionen angeordnet, Verbindungen zum Rechnernetzwerk von MAJESTÄT. Neben der Darstellung des Gehirns aus der BASIS schwebte eine verblüffend ähnliche dreidimensionale Abbildung; auch hier handelte es sich um einen kugelförmigen, durchsichtigen Behälter, in dem einGehirn schwamm. Im Gegensatz zu dem aus Tradom war bei dem zweiten jedoch das Pulsieren der Schlagadern einwandfrei zu erkennen. Farblose Nervenenden und Teile des verlängerten Marks mündeten in eine armdicke Verbundleitung. Eine Aufrissprojektion zeigte daneben überdies einen Robotkörper, in dessen Kopf das menschliche Gehirn hervorgehoben war. Texteinblendungen besagten, dass der Körper aus Super-Atronital-Compositum bestand, umgeben von einer Verkleidung aus zellstabilisiertem Biomolplast mit künstlichem Nervensystem. Sinclair Marout Kennon! Bei der Flucht von Lepso am 3. August 2406 schwerst verletzt, war Ronald Tekeners damaliger Psychopartner nur zu retten gewesen, indem auf dem Medo-Planeten Tahun sein Gehirn isoliert worden war. In einem zweiten Schritt hatte er dann den künstlichen Leib erhalten, seinerzeit als Vollprothese umschrieben. Jeder in der USO kannte diese mit den legendären Spezialisten der alten USO verbundenen Berichte und Daten. Sie waren Bestandteil der Ausbildung. Unwillkürlich fragte sich Monkey jedoch, ob Yart Fulgens Interesse nur durch die Ähnlichkeit des in der BASIS beobachteten Gehirns geweckt worden war oder ob es vielleicht weitere Gründe gab. 196 Jahre war der Plophoser inzwischen alt, viele Lebensjahre hatte er nicht mehr vor sich. Ohnehin ein dünner Mann von 1,82 Metern Körpergröße, war er noch hagerer geworden. Seine etwas zu groß geratene Nase wirkte größer, konnte dem schmalen Gesicht keine besondere Ausdruckskraft verleihen, und die grauen Augen blieben nach wie vor meist verlegen gesenkt. Fulgens Haut war von Runzeln und Falten übersät, Altersflecken bedeckten die Handrücken.
Um die körperliche Belastung zu reduzieren, nutzte der maßgebliche Einsatzplaner der USO seinen Schwebesessel. Aber sein Verstand war weiterhin scharf, analytisch, berücksichtigte große Zusammenhänge ebenso wie kleine Details. »Ein verlockender Gedanke, nicht wahr?« Fulgens Stimme riss den Oxtorner aus seinen Grübeleien. Monkey hüstelte und stapfte vorsichtig über den Kies, begleitet vom leisen Lachen des Plophosers. »Ich mag zwar häufig ein Tollpatsch sein, aber dass Sie schon zehn Minuten dort standen, ist mir nicht entgangen.« »Ist der Gedanke wirklich so verlockend?«, fragte Monkey und zeigte auf die Holoprojektion des Robotkörpers. »Wenn die Alternative Tod heißt - warum nicht?« Fulgen lachte wiederum leise. »Keine Bange, noch fühle ich mich im eigenen Leib recht wohl. Die alten Knochen knirschen zwar, das Aufstehen fällt jeden Morgen ein bisschen schwerer. Aber ich weiß ebenso, dass mir nicht mehr viele Jahre bleiben. Und da jeder am Leben hängt...« Sein Blick richtete sich unvermittelt auf Monkeys linke Brustseite, wo unterhalb des Schlüsselbeins der Zellaktivatorchip eingepflanzt war. Aber sogar ohne dieses lebensverlängernde Implantat war der fast zwei Meter große Oxtorner mit seiner Kompaktkonstitution nicht nur an die Verhältnisse seiner Heimatwelt perfekt umweltangepasst, sondern von Natur aus kraftvoll und gesund. Von der bis zu 1,20 Meter erreichenden Schulterbreite und der ins Oliv spielenden, haarlosen Haut abgesehen, unterschieden sich Oxtorner rein äußerlich nicht sonderlich von normalen Terranern. Die eigentlichen Unterschiede betrafen den Metabolismus: Skelett und Muskeln erreichten die Festigkeit von Stahlplastik, Temperaturschwankungen zwischen achtzig Grad plus und hundertzwanzig Grad minus wurden noch als angenehm empfunden. Sogar die gewaltigen Stürme und die hohe Schwerkraft der Heimatwelt bereiteten ihren Bewohnern keine Probleme. Sollte es zum Kampf kommen, konnten Oxtorner selbst Halutern gefährlich werden. Aber auch sie waren nicht unverwundbar: Monkeys SAC-Kunstaugen bewiesen es. »Die Geschichte von Spezialist Kennon zeigt ...« Fulgen machte eine vage Handbewegung. »Deshalb sind Sie aber nicht hier?« »Nein. Es dreht sich um die Ausarbeitung einer detaillierten Einsatzplanung. Ausgangspunkt: Wie lässt sich der Fernsteuerzugang zu dem geheimen Computer in der BASIS sinnvoll nutzen?« Fulgen nickte und ließ seinen Blick nachdenklich über die Holos schweifen. Auch ohne weitere Erklärungen des USO-Chefs wusste er genau, worauf es ankam. »Ich bin ohnehin dabei, einige Szenarios zu entwerfen, Sir. Bislang hat man auf der Gegenseite keinen Verdacht geschöpft. Unsere Leute haben im Kasino. sämtliche notwendigen Vorbereitungen getroffen. Ein kleines Kontrollzentrum ist eingerichtet, von dem aus die Sektion der Gaplon-Springer überwacht wird.« »Gut.« »Nach wie vor besteht über das interne Netzwerk der BASIS Kontakt zu dem geheimen Rechner, von dem aus der Transmitter-Warenschmuggel gesteuert wird. Es ist uns jedoch nicht gelungen, die Koordinaten der sendenden und der empfangenden Stationen aus dem Rechner hervorzulocken. Eingriffe in die internen Arbeitsabläufe beim Warenverkehr sind allerdings jederzeit möglich. Sobald es notwendig ist, können wir den Rechner bis zu einem gewissen Grad in Fernsteuerkontrolle nehmen. Die QuinTechs haben schon mit dem Nachbau eines Großcontainers begonnen.« Fulgen wies auf einen der Projektionsgloben. Abgebildet war ein gelber, würfelförmiger Container von zwanzig Metern Kantenlänge, aus schwerem Metallplast gefertigt. Auf der Hülle waren keinerlei Kennungen oder Schriftzeichen zu sehen - es handelte sich um einen der übergroßen Container, die neben jenen von vier Metern Kantenlänge in der BASIS eintrafen. »Wir könnten auf diese Weise zunächst Spionageroboter einschleusen. Ein kleines Einsatzkommando ist die zweite Option. Swoons oder Siganesen, die sich bekanntlich hervorragend für eine Undercover-Operation eignen, wären an jenem unbekannten Ort sicher die Unauffälligsten. Die rabiateste Methode wäre natürlich, per Transmitter eine Arkonbombe in den unbekannten Stützpunkt zu senden und ...« Monkey nahm die Vorschläge ohne Begeisterung zur Kenntnis. »Da sich die unbekannte Gegenstation auf einer dicht besiedelten Welt befinden könnte, kommt eine Arkonbombe selbstverständlich nicht in Frage; nicht einmal für die USO. Hinter uns steht zwar kein Parlament, aber das heißt nicht, dass wir keine Moral kennen - im Gegenteil, für uns zählt die Charta der alten USO! Zu berücksichtigen ist auch, dass die Bombe vielleicht in einem der sieben Katamare explodiert, aber die anderen sechs Raumer inklusive Trah Rogue kommen unbehelligt davon. - Diesem zweifelhaften Erfolg hätten wir dann unsere komplette Vorarbeit geopfert.« Er legte eine Pause ein, sein Gesicht blieb unbewegt. »Ihre Idee mit einem Einsatzkommando kommt der Sache schon näher, Yart. Allerdings lehne ich in diesem Fall sowohl Swoons als auch Siganesen oder andere Spezialisten ab. Die bisherigen Vorbereitungen verliefen in absoluter Verschwiegenheit. Wer immer >auf die andere Seite< geht - seine Aufgabe wird sein, Trah Rogue einen möglichst schweren, besser noch vernichtenden
Schlag zuzufügen. Einen Schlag, der die weitere Verwertung aller Daten verhindert, die über die AagenfeltBarriere gesammelt wurden. Und am besten natürlich den Konquestor gleich mit ausschaltet.« »Jemand, der an Ort und Stelle endgültige Entscheidungen trifft. Sie selbst?« »Richtig. Ich habe nicht die Absicht, einen der Spezialisten in diese prekäre Mission zu schicken, insbesondere nicht die empfindlichen Swoons oder Siganesen, die sich nicht für einen massiven quasimilitärischen Schlag dieser Art eignen. Die prozentual besten Aussichten, den bevorstehenden Einsatz lebendig zu überstehen und zum glücklichen Abschluss zu bringen, habe ich - deshalb werde ich persönlich gehen!« Die Andeutung eines Lächelns erschien auf dem Gesicht des Oxtorners. »Die Option einer Arkonbombe sollte allerdings in die Planung integriert werden. Ich nehme sie mit und zünde sie, sollte es erforderlich werden ...« * »Also Operation Feuerblume ...? Sonstige Einschränkungen bei den einzusetzenden Mitteln und der begleitenden Unterstützung, Sir?« »Keine!« »... demnach auch ... die TRAJAN?« »Auch die TRAJAN!« »Verstehe ...« Mit wenigen Handbewegungen ließ Fulgen weitere Projektionen aufflammen. »Hm, unsere Taxit-Raumer entladen soeben die zwölfte Großlieferung. Ultrakompakte Zusatzmodule für die Paratronprojektoren. Nach den auf dem Merkur erarbeiteten Maßgaben ergibt sich in ihrem Wirkungsgrad gegen Beschuss aus Katamar-Waffen eine Verbesserung um zehn Prozent - der praktische Test steht allerdings noch aus.« Er seufzte. »Wir zehren zwar nach wie vor von dem technologischen Vorsprung, den wir durch unseren Ursprung aus der Camelot->Restmasse< damals übernahmen. Massenproduktion von Hochtechnologie jedoch wird auch in Zukunft nicht von Quinto-Center geleistet - denn die Anzahl der Paratron-Zusatzmodule, die hier zusammenkommen, muss wirklich als >Masse< bezeichnet werden. Zwei Lieferungen noch, dann ist die Ausstattung für alle unsere Schiffe komplett.« »Wie weit ist die übrige Um- und Ausrüstung fortgeschritten?« Fulgen sah auf einen Textblock. »Oberst Abertin hat gemeldet, dass sie exakt im Plan liegen. Wie nicht anders zu erwarten.« Sogar Monkey gestattete sich ein dünnes Lächeln, während Yart Fulgen breit grinste. Beide Männer kannten den Oberst - der einzige USO-Spezialist in diesem Rang! - sowie seine Leute lange und gut genug. Tom Abertin, Spezialist der USO mit Sonderaufgaben und Kommandant der TRAJAN, war nicht nur eine Schlüsselfigur in der bevorstehenden Operation, sondern auch hinsichtlich der TRAJAN an sich. Ohne ihn würde es diesen Raumer in der jetzigen Form nicht geben, der unter anderem als mobiler Notfallersatz für Quinto-Center konzipiert war, im Übrigen aber mit seiner Fertigstellung als Flaggschiff der USO füngieren sollte. In auf wändigster Arbeit war die TRAJAN von den QuinTechs »restauriert« und auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden. »Fast exakt zwanzig Jahre sind es nun schon ...« Yart Fulgen brach ab und richtete seinen Blick auf eine weitere Darstellung. Er hörte die Optikhülsen des Oxtorners leise klicken. Beide Männer erinnerten sich beim Anblick des riesigen Schiffes an die Anfänge und an den langen Weg bis zum heutigen Tag - erst jetzt war die TRAJAN fertig gestellt und einsatzbereit. * Privat-Log Tom Abertin, 15. Februar 1292 NGZ: Für jeden gibt es wohl diese schicksalhaften Momente, die das weitere Leben bestimmen; jene Augenblicke, in denen man sogar weiß, dass es sich um einen solchen handelt. Ich hatte meinen heute! Es gibt keinen Zweifel. Es war Liebe auf den ersten Blick - obwohl es sich zweifellos um eine recht »betagte« Lady handelt. Nicht mal einen Namen hat sie, noch nicht. Aber da war etwas an ihr, was mich nicht mehr loslässt, meine Gedanken bestimmt, mein Herz hämmern lässt, wenn ich nur an sie denke ... Heilige Milchstraße, Zentrumspest und Schwarze Löcher - was schreibe ich hier denn für einen Quatsch? Es ist doch nur ein Raumschiffstorso, nicht mal ganz fertig gestellt, obwohl fast 1500 Jahre alt. Und schon der Gedanke daran, daraus was machen zu wollen, wird HGA förmlich im Dreieck springen lassen. Dazu wären Milliarden nötig. Also, mein Lieber: Schlag's dir gleich aus dem Kopf, ehe es zur fixen Idee
wird! 2. Vergangenheit: 15. Februar 1292 NGZ Es war ein beeindruckender Anblick. Tom Abertin, ein zwei Meter großer, sehr sportlicher Carmo-IIGeborener mit dunklen Kräusellocken und einem scharf geschnittenen Raubvogelgesicht, stand am Rand des umlaufenden Balkons und starrte, den Kopf in den Nacken gelegt, die gewaltige Wölbung empor. Er konnte sich kaum satt sehen, fühlte gleichzeitig brennende Stiche in der Brust, nicht schmerzhaft, dennoch unglaublich intensiv. Die Umgebung war ein Hangar, so groß, dass das Auge sich weigerte, die Ausmaße wirklich zu ermessen. In diesem Hangar, das wusste Abertin, pflegte einst Lordadmiral Atlan seine USO-Flaggschiffe abzustellen, zuletzt die IMPERATOR VII. Obwohl sich die Wölbung in mehr als tausend Metern Entfernung befand und mit zunehmender Höhe zurückwich und aus dem Blickfeld entschwand, wirkte diese beeindruckende Oberfläche aus rötlich blauem Ynkelonium-Terkonit zum Greifen nahe. Berggroß dominierte das riesige Gebilde den hell erleuchteten, fünftausend Meter durchmessenden Hohlzylinder, der vor langer Zeit in die Felskruste von Quinto-Center gefräst worden war. Ein transparentes Prallfeld riegelte den Balkon von der Halle ab, deren Luft im wahrsten Sinne des Wortes knochentrocken war: Schon geringe Feuchtigkeit bedingte bei der Größe dieses Hangars ein Mikroklima bis hin zur Wolkenbildung und Regenschauern. Es war nur einer von Hunderten Hangarschächten, die es in allen Größen gab - solche für Spezialraumer der Siganesen, welche eben mal die Ausmaße einer Gleitergarage erreichten, bis eben hin zu jenen, die für die Aufnahme von Großraumern gedacht waren. Seit die geheime Umsiedlung von Camelot angelaufen war, neben Personen auch täglich Unmengen Material angeliefert wurden, waren Zug um Zug auch die noch stillgelegten Anlagen aktiviert worden. Und in einem der Großschächte hatte man das hier gefunden ... »... war als Atlans neues Flaggschiff vorgesehen gewesen, damals, als die Laren gekommen waren, das Hetos der Sieben die Herrschaft übernommen hatte und Erde und Luna durch den Sol-Kobold-Sonnentransmitter fliehen mussten!« Tom hörte die Stimme von Yart Fulgen nur am Rande. Plötzlich begannen seine Gedanken zu rasen. Bilder stiegen in ihm auf, gaukelten ihm vor, wie es wäre, wenn dieser Raumer behutsam aus dem Schacht schwebte, immer mehr beschleunigte, seine Schutzschirmstaffeln aufbaute ... » ... wurde Ende 3459 alter Zeitrechnung als Rohzellenstruktur mit einem Flottentender überführt und sollte hier den Endausbau und die Ausrüstung bekommen. Daraus wurde leider nichts, wie wir wissen. Der als IMPERATOR ACHT vorgesehene Raumer wurde nie fertig gestellt, sondern im Frühjahr 3461 zusammen mit Quinto-Center konserviert. Die Ortungsgefahr war zu groß geworden, zumal es mit Gäa in der Provcon-Faust ja eine sichere Basis gab.« »Ein Ultraschlachtschiff der Trägerklasse«, murmelte Tom, mehr zu sich selbst als zu Fulgen. »Basierend auf der Galaxisklasse; erstmals umgesetzt bei der legendären MARCO POLO! Kugelzellendurchmesser zweitausendfünfhundert Meter! Markenzeichen die Dreifach-Ringwulst-Auslegung; Kreuzerhangars in der Mitte, ober- und unterhalb davon die Sublichttriebwerke. Hm, wenn ich mich bei den von hier aus sichtbaren Montageschächten nicht verzählt habe ... da waren zweifellos mehr als nur die zwanzig Impulsdüsen pro Teilwulst vorgesehen.« »Man merkt dir deine Forschungsarbeit im Triebwerkssektor an.« Fulgen nickte bestätigend und warf einen Blick auf sein Syntron-Schaltpult. »Völlig korrekt erkannt: Es handelte sich um die Nachfolgeserie, die den MARCO-POLO-Typ ablösen sollte und später dann in leichter Abwandlung beim Bau der SOL Verwendung fand, deren Entwicklungsbeginn schon vor der Versetzung der Erde in den Mahlstrom begonnen hatte. Erstmals sollten Nug-Protonenstrahl-Impulstriebwerke zur Anwendung kommen. Kleiner ausgelegt, aber dennoch leistungsfähiger - dafür aber je vierundzwanzig Düsen pro Teilwulst. Übrigens: Auch der Ringwulst insgesamt ist etwas größer. Er kragt Zwar einschließlich des halbrunden Abschlusses mit den Kreuzerhangars ebenfalls vierhundert Meter weit aus, misst am Rumpf selbst aber sechshundert Meter in der Höhe.«. Tom antwortete nicht, sondern ließ seine Blicke weiterhin über den Kugelraumer schweifen, von Sekunde zu Sekunde begeisterter und sich in Träumereien verlierend. Der Balkon verlief entlang der Hangarrundung knapp oberhalb des Ringwulstes. Die deutlich erkennbaren Schleusenöffnungen für die Kreuzer waren rund
siebenhundert Meter entfernt. Sämtliche Schotten waren geöffnet. Das Schiff hatte die fast 1500 Jahre genau wie der gesamte Hangar im Vakuum überdauert. Kein einziges Beiboot war vorhanden; im Inneren fehlten zweifellos die maßgeblichen Aggregate. Rohzellenstruktur - das sagte alles. Tom schüttelte sich und riss sich fast gewaltsam in die Gegenwart zurück. Die in seinem Kopf herumspukenden Bilder verwehten und zerfaserten. »Die Frage ist wohl jetzt: Rauswerfen, um Platz zu schaffen, oder ...?« Yart Fulgen lächelte schief und kniff die Augen zusammen. »Würdest du dieses Schiff ins Weltall werfen?« »Was für ein Gedanke, Mann!« »So geht es nicht nur dir, mein Lieber. Glaub mir, sogar unser >Roboter< bekam glänzende Optiken - im übertragenen Sinne -, als er erstmals hier stand.« »Und?« »Entschieden ist noch nichts, aber ich denke, dass sich dieser halbfertige Torso langfristig in das Flaggschiff der Neuen USO verwandeln wird. Es mag zwar dauern, Freund Homer wird ächzen und stöhnen und fluchen, weil das alles finanziert werden muss - aber letztlich wird es fliegen! Sogar die Besatzung gibt es zu großen Teilen schon: Noch ist sie mit blutenden Herzen dabei, ihren alten Raumer zu verunstalten ...« »Die GILGAMESCH!« Tom schnippte mit den Fingern und seufzte. »Ein Jammer ...« Seit der Raumer am 11. Januar von Chearth in die Milchstraße zurückgekehrt und bei der Ankunft von Camelot nach Quinto-Center umgeleitet worden war, lief die »Umrüstung«. Dass Perry Rhodan die Überstellung ins Arkon-System zum Galaktikum zugesagt hatte, war ebenso auf Murren und Kopfschütteln gestoßen wie die Auflösung Camelots. Die GILGAMESCH-Besatzung fügte sich zwar, doch die Arkoniden würden fluchen, wenn sie schließlich das Pentagon-Dodekaeder begutachten würden. Man war in einem benachbarten Großhängar dabei, die Dockelemente der Einzelmodule fest miteinander zu verschweißen, so dass keine Trennung mehr möglich war. Sämtliche Beiboote würden abgezogen und die Transform-Waffensysteme demontiert werden, und einige der für den zehnfach gestaffelten Paratronschirm benötigten Konverter standen ebenso auf der Liste wie viele andere auf Camelot-Technik basierende Aggregate. Fulgen grinste breit. »Genau. Sie haben den Raumer ebenfalls schon besichtigt - und du kannst dir denken, welche Überlegungen seither in ihren Köpfen herumschwirren. Schon das wird mit ein Grund sein, weshalb viele in die USO einzutreten bereit sind. Wie sieht es eigentlich mit dir aus? Schon entschieden?« Abertin antwortete zunächst nicht. In seinem Kopf erklangen leise die Worte Monkeys, mit denen er sich am 2. Januar mitten in der Nacht an die Cameloter gewandt hatte - Auftakt der jetzigen Tätigkeit, die in die »Reaktivierung« einer längst vergessen geglaubten Organisation mündeten: »Mein Name ist Monkey, ich bin ein Oxtorner. Die meisten von euch kennen mich nicht. Das ist zweifellos ein Nachteil, aber ich hoffe, dass wir uns noch kennen lernen werden. - Perry Rhodan hat mich gemeinsam mit Homer G. Adams hierher geschickt. Der Grund dafür scheint mir ausgesprochen dringlich zu sein, daher wende ich mich um diese Tageszeit an euch. Perry Rhodan hat uns den Auftrag erteilt, Camelot aufzulösen. Perry Rhodan hat die Position Camelots vor einigen Monaten der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Man kann über dieses Vorgehen geteilter Meinung sein. Rhodan sagt, die galaktische Öffentlichkeit benötigt ein Zeichen des Vertrauens. Ein Zeichen, dass die Jahrzehnte der Konfrontation vorüber sind. Ich halte es für denkbar, dass Rhodan mit der Analyse Recht hat. Sein Vorgehen könnte sich in der Tat fruchtbar auf die politischen Verhältnisse auswirken. Allerdings hat Perry Rhodan mit diesem Alleingang auch Camelot selbst in Bedrängnis gebracht. Es ist jederzeit damit zu rechnen, dass eine Großmacht wie Arkon oder Gatas eine Flotte ausrüstet und Camelot mit einer Invasion einnimmt. Die logischen Konsequenzen liegen auf der Hand. Camelot muss geräumt werden, allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung. Damit hat Perry Rhodan Recht. Er hat uns beauftragt, die Anlagen zu demontieren und gemeinsam mit den Spezialisten von Camelot nach Terra zu überführen. Adams und ich haben uns jedoch darauf geeinigt, diese Anweisung in einer gewissen ... nun, nennen wir es, in einer modifizierten Form auszuführen. Die Raumschiffe der Organisation Taxit werden die geplante Räumung vornehmen. Ich schlage jedoch vor, dass die Bewohner dieses Planeten nicht nach Terra zurückgehen. Camelot sucht sich ein neues Versteck. Ohne Rhodan. Camelot wird sich nicht auflösen, Camelot wird lediglich an einen anderen Ort gehen. Wir werden die Organisation in eigener Regie weiter betreiben. Die Milchstraße wird den Schutz einer unabhängigen, schlagkräftigen Organisation bitter nötig haben. Adams und ich werden noch in dieser Stunde die ROXY PRAHA besteigen. Wir haben die Absicht, einen potentiellen neuen Standort für Camelot zu inspizieren. - Wenn wir zurückkehren, werden wir jeden Bewohner dieses Planeten vor die Wahl stellen. Wer nach Terra gebracht werden möchte, dem wird sein Wunsch erfüllt.
Wer in seine alte Heimat zurück möchte, dem wird von der Taxit eine Passage besorgt. Und wer mit uns geht, der wird hoch willkommen sein.« Von rund 500.000 Camelotern hatten sich nur 60.000 für den Verbleib auf dem Planeten entschieden. Sie waren heimisch geworden und hatten beschlossen, den Planeten in eine gewöhnliche Kolonie umzuwandeln. 180.000 Bewohner wollten weder auf Camelot zurückbleiben noch der USO beitreten; sie kehrten heim. Die übrigen 260.000 Personen bekannten sich zu Monkeys Vorschlag. Der Abbau der Anlagen begann noch am selben Tag. Rund ein Drittel der 250 Taxit-Raumschiffe wurde für den Fährverkehr der scheidenden Cameloter eingesetzt, der Rest für den Transport demontierter HightechAggregate. Monkey teilte den 260.000 Camelotern erst auf dem Flug mit, dass das Ziel der Reise der vergessene Mond Quinto-Center war. Und mitten in die Umsiedlung hinein »platzte« die in die Milchstraße zurückkommende GILGAMESCH, wurde über Camelot »abgefangen« und nach Quinto-Center umgeleitet ... »... entschieden?« Mit glasigem Blick starrte Tom Abertin auf die riesige Wölbung vor sich. »In diesem Augenblick! Die alte Lady hat mich überzeugt.« »Dann solltest du dich auf eine lange Durststrecke einstellen! Anderes hat Vorrang, es wird lange dauern, bis wir sie flugbereit gemacht haben. Und es ist nicht einmal wirklich sicher, ob es wirklich jemals so weit kommen wird.« »Abwarten!« * Es wurde eine lange Durststrecke! Zwar bildete sich rasch eine aus ehemaligen Besatzungsmitgliedern der GILGAMESCH und anderen Camelotern bestehende »Arbeitsgemeinschaft X«, wie man sich selbstironisch nannte. Aber die übrigen Aufgaben hatten Priorität, so dass die Arbeit an dem Großraumer zunächst mehr unter Hobby und Freizeitbeschäftigung fiel. Quinto-Center erwachte zunehmend zum Leben. Noch aber befand sich der kleine Mond an seiner alten Position, rund 11.500 Lichtjahre oberhalb der Milchstraßenhauptebene, 28.444 Lichtjahre von Terra und 10.113 Lichtjahre von Arkon entfernt. Während an der Abrüstung der GILGAMESCH gearbeitet wurde, lief in QuintoCenter selbst der Bau großer Hypertrop-Zapfer und Metagrav-Triebwerke an, mit denen das Hauptquartier der Neuen USO an einen anderen Standort befördert werden sollte. Der KorraVir-Angriff einer Gruppierung der Galactic Guardians auf den LFT-Flottenstützpunkt Troubadour am 23. August 1292 NGZ zeigte die allgemeine Brisanz der Situation auf. Immer mehr KorraVir-Varianten wurden in der Folgezeit bekannt. Da die Ausgangsversion von Rhodan nach Camelot gebracht worden war, musste davon ausgegangen werden, dass mindestens ein ehemaliger Cameloter als Verräter einzustufen war und für die Verbreitung gesorgt hatte ... Wenige Tage später wurde die GILGAMESCH ins Arkon-System überführt und nahm eine stationäre Position über Mirkandol ein; wie es hieß, reagierte Imperator Bostich I. ziemlich ungehalten auf die vorgenommenen Veränderungen. Rund ein Jahr später, im Herbst 1293 NGZ, wurde Quinto-Center an seinen neuen Standort im Grenzgebiet zwischen der LFT und dem Kristallimperium verlegt - 22.380 Lichtjahre von der alten Position entfernt und nun nur noch rund 850 Lichtjahre oberhalb der galaktischen Hauptebene stationiert. Als weitere Sicherheitsvorkehrung wurde der »Standort« des kleinen Mondes innerhalb eines Kubus von rund hundert Lichtjahren Kantenlänge in unregelmäßigem Rhythmus verlagert. Die »Arbeitsgemeinschaft X«, von der unbändigen Energie Tom Abertins motiviert, hatte inzwischen den Namen des Raumers festgelegt, die Bestandsaufnahme der TRAJAN abgeschlossen und begonnen, syntronische Simulationen auszuarbeiten. Die beim Bau der GILGAMESCH gemachten Erfahrungen und die auf Camelot entwickelte Technik flossen ebenso ein wie neueste Forschungsergebnisse. Doch es blieb ein »inoffizielles« Projekt, von dem die meisten USO-Mitglieder nicht einmal wussten, dass es überhaupt existierte. Der Aufbau der Organisation hatte absoluten Vorrang, die von Homer G. Adams' Taxit erwirtschafteten Gelder wurden anderweitig benötigt. Dass die Beschäftigung mit der TRAJAN kein reines Hirngespinst war, zeigte sich, als quasi als »Abfallprodukt« die Pläne für die USO-eigene Raumschiffsproduktion geliefert wurden: Ab 1295 NGZ lief in Quinto-Center der Bau von Mini-Space-Jets und Neo-Korvetten an. Die kleinen Ein-Mann-Disken von nur zehn Metern Durchmesser waren ebenso wie die sechzig Meter durchmessenden Kugelraumer Neuentwicklungen, die ganz der Devise folgten: Hinfliegen, Einsatz durchziehen,
unerkannt und unentdeckt absetzen - und alles mit höchster Effizienz. Ebenfalls im Sommer 1295 NGZ wurde mit dem Bau von weiteren riesigen Hypertrop-Zapfern, Gravitrafspeichern und der Anlage für das Antitemporale Gezeitenfeld begonnen, kurz ATG, während die Organisation Taxit über Tausende Mittelsmänner verstärkt Positronik-Chips aufkaufte und sie in Quinto-Center lagerte, da sich aufgrund von vermehrten KorraVir-Einsätzen eine bald extrem erhöhte Nachfrage abzeichnete. Bis das ATG im Januar 1299 NGZ fertig gestellt war, musste die Arbeit an der TRAJAN wiederum deutlich zurückstehen. Inzwischen lagen zwar die detaillierten Pläne und Datensätze vor, doch eine Kostenkalkulation hatte eine Zahl ergeben, die Adams bis knapp an einen Herzinfarkt trieb und seinen Zellaktivator - bildlich gesprochen in Rotglut erstrahlen ließ. Schließlich war es nicht damit getan, irgendwelche Aggregate in den Raumer einzubauen: Sie mussten produziert werden, und hierzu waren in den meisten Fällen nicht einmal die entsprechenden Fabrikanlagen vorhanden. Im Gegensatz zur alten USO konnte nicht mehr auf eigene Werftplaneten oder die damit verbundene Zulieferindustrie zurückgegriffen werden. Und eine Finanzierung wie seinerzeit die Zuschüsse des Solaren Imperiums gab es ebenfalls nicht mehr. Schon die Metagrav- und ATG-Anlagen für Quinto-Center hatten nur mit Mühe »gestemmt« werden können. Mehr als einmal waren die Mitglieder der »Arbeitsgemeinschaft X« nahe daran aufzugeben. Stets war es aber Tom Abertin, der sie wieder mitriss, neu motivierte und mit Engelszungen auf Adams einredete, dessen Veto sich immer wieder als der Hemmschuh erwies. Genau betrachtet natürlich völlig zu Recht. Wunsch und Wirklichkeit mussten in Einklang gebracht werden. Aufbau und Entwicklung der USO und eine schnelle Fertigstellung der TRAJAN waren mit den vorhandenen technologischen und den von Taxit erwirtschafteten Mitteln leider nicht zu vereinbaren. Den eigentlichen »Durchbruch« gab es im ereignisreichen Jahr 1300 NGZ: Am 19. März besiegte Imperator Bostich mit der 9. Imperiumsflotte im System von Keuterols Stern das Ark'Tussan-Bündnis, am 11. Juni wurde der Hayok-Sternenarchipel annektiert, am 23. Juli lieferte die USO der LFT 4,8 Milliarden Positronik-Chips und erhielt im Gegenzug fünfzig Raumer der ODIN-Klasse. Nun erst begann - nicht zuletzt aufgrund der galaktopolitischen Gesamtlage - die konkrete Arbeit an der TRAJAN. Es blieb ein mühevolles Geschäft: Schon entworfene Planungen wurden umgeworfen oder aktualisiert, sofern neue Forschungsergebnisse eine Verbesserung versprachen. Fabriken und Produktionsanlagen entstanden, erst dann konnte mit dem Bau der Aggregate selbst begonnen werden. Und wiederholt stockte der Fortgang der Arbeit - vor allem natürlich in der ereignisreichen Zeit zwischen Mai 1303 und Mai 1304 NGZ. Imperator Bostichs Expansionsgelüste und die Entstehung von SEELENQUELL hatten absoluten Vorrang, erst danach konnte man sich in der USO wieder den »Interna« zuwenden. Längst war den Verantwortlichen rings um Monkey klar geworden, dass der Status der Neuen USO auf absehbare Zeit nicht mit dem der alten zu vergleichen sein würde. Nicht einmal mittelfristig konnte es das Ziel sein, im Sinne einer »Galaktischen Feuerwehr« mit eigenen Raumschiffsflotten, Werft-, Industrie- und Versorgungswelten und einem Agentenstab auf nahezu jedem bekannten Planeten aufzuwarten. Um nicht in eine womöglich fatale, weil einseitige Abhängigkeit zu geraten, hatte der USO-Chef sogar das Angebot der Posbis - vom Zentralplasma der Hundertsonnenwelt nicht zuletzt aus Dankbarkeit für die Befreiung von SEELENQUELL ausgesprochen - hinsichtlich einer sehr engen Zusammenarbeit einschließlich der uneingeschränkten Nutzung der posbischen Leerraum-Dunkelwelten abgelehnt. »Wir müssen es aus eigener Kraft schaffen!«, hatte er kategorisch verkündet. Allerdings hatte er zugestimmt, dass dieser gute Kontakt von Homer G. Adams auf andere Weise genutzt wurde: Der weiterhin noch bestehende Engpass beim galaktischen Nachschub positronischer Bauteile verschaffte der Organisation Taxit für eine Weile das Monopol. Nur sie besaß einen Geheimvertrag mit dem Zentralplasma, der einen kaum eingeschränkten Warenstrom sicherstellte. Verteilungszentrum war die von Roi Danton auf Olymp geschaffene Taxit-Handelsvertretung ... Am 1. Januar 1305 NGZ war Tom Abertin zum bislang einzigen Oberst der USO befördert worden, verbunden damit war der Kommandantenstatus für die TRAJAN. Seit etwa 1300 NGZ hatte der Carmoner, praktisch jeden Tag in der TRAJAN zugebracht und kannte das Schiff in- und auswendig wie kein anderer. Die Jahre schienen dahinzurasen, die Arbeit in und an der TRAJAN wurde mehr und mehr intensiviert. Ergebnisse waren zunächst allerdings kaum sichtbar; zu groß, zu gewaltig war der Raumer. Selbst hochhausgroße Aggregatblöcke erschienen den Beteiligten angesichts des gewaltigen Volumens der 2500-MeterKugel wie der berüchtigte Tropfen auf dem heißen Stein. Während Gerüchte der arkonidischen Yobilyn-Werft auf Arkon III und den angeblich dort entstehenden Raumern die Runde machten, ohne dass es der USO gelang, Genaueres zu erfahren, entstand parallel zum
Ausbau des Ultraschlachtschiffes seine »Trägerbewaffnung«. Fünfzig Kreuzer - je fünfundzwanzig der CERESund der VESTA-Klasse - und ebenfalls fünfzig Neo-Korvetten waren bereit, in die Hangarhallen einzuschweben. Bei Bedarf konnten auch Kontingente von Mini-Space-Jets und andere USO-Schiffe auf die TRAJAN verlegt werden. Als sich der Raumer 1311 NGZ schließlich der Fertigstellung näherte, musste mit der Öffnung des Sternenfensters im Hayok-Sternenarchipel und dem Erscheinen der Katamar-Schlachtschiffe abermals umdisponiert werden: Sämtliche neuen Erkenntnisse, die gewonnen wurden, waren nun ebenfalls zu berücksichtigen, machten Umbauten und Nachrüstungen erforderlich. Vorteilhaft war allerdings, dass man konsequent auf Modulbauweise gesetzt hatte und somit ganze Aggregatkomplexe leicht komplett austauschen konnte. Blaue Strahlen, der 18.000 Kilometer durchmessende Reflektorbereich und der als Paradimpanzer umschriebene Schutzschirm waren Herausforderungen, denen die TRAJAN gewachsen sein musste, sollte sich das Schiff nicht schon beim ersten Ernstfalleinsatz in einen Haufen Schrott oder eine verwehende Plasmawolke verwandeln ... * USO-Personalakte Tom Abertin: ... geboren am 7. Juli 1248 NGZ auf dem vor allem von Rumalern bewohnten Planeten Carmo II, 21.323 Lichtjahre vom Solsystem entfernt. Die Familie Abertin hat ihre Galax-Millionen mit der Ausfuhr wertvoller Edelmetalle und -steine in die Industriezentren wie Terra oder Olymp gemacht; Tom Abertin war als Nachfolger des »Familienpatriarchen« vorgesehen gewesen. Ausbildung und Studium in Kosmonautik, Hyperphysik und Mineralogie an der Universität Terrania 1267 bis 1272 NGZ (von ihm selbst als »studentisches Lotterleben« umschrieben), bis 1275 NGZ kaufmännisches Praktikum in der Abertin-Handelsvertretung auf Olymp. Hier erstmals Kontakte zu Camelot, Homer G. Adams' Organisation Taxit und Atlans Geheimorganisation IPRASA. Praktische Raumfahrer-Erfahrung gesammelt an Bord eines Abertin-Schiffes in den Jahren bis 1286 NGZ, dann Untertauchen und Umsiedlung nach Camelot. Hier vor allem in der wissenschaftlichen Forschung der Triebwerks- und Schutzschirmentwicklung tätig, aber auch als Kommandant eines »Bullcarrier«-Raumers von Taxit. Mit der Auflösung Camelots Anfang 1292 NGZ Eintritt in die USO, hier bald einer der führenden QuinTechs im Rang eines Oberstleutnants, später dann ausschließlich mit Umrüstung und Ausbau der TRAJAN beauftragt. Tom Abertin ist ein ausgesprochen jovialer, freundlicher Typ, stets auf menschlichen Ausgleich bedacht. Unpopuläre Maßnahmen werden von ihm mit Bedauern, aber ohne jeglichen Kompromiss durchgezogen. Im Einsatz verwandelt sich Abertin regelrecht in einen Eisblock. Er und die TRAJAN-Besatzung sind zu einer »verschworenen Gemeinschaft« zusammengewachsen, die innerhalb der USO zu Recht einen Sonderstatus einnimmt... 3. 28. Dezember 1311 NGZ »Operation Feuerblume ist angelaufen«, sagte Tom Abertin und sah die im Konferenzbereich der Zentrale versammelten Abteilungsleiter und ihre Stellvertreter nacheinander an. »Die TRAJAN wurde in die Einsatzplanung eingebunden, bis zum endgültigen Startbefehl ist es also nur eine Frage der Zeit. Wir haben demnach damit zu rechnen, dass die weitere Ausrüstung unterbrochen werden muss.« Die Hauptzentrale der TRAJAN, mit fünfzig Missionsspezialisten im Bereitschaftsdienst bemannt, war im obersten Fünftel der fünfhundert Meter durchmessenden Zentralkugel angeordnet. Ursprünglich eine stadiongroße Halle, war sie im Verlauf der Umrüstung auf einen deutlich überschaubareren Saal reduziert worden, der mit leicht nach innen geneigten Seitenwänden von fünfzehn Metern Höhe einen Bodendurchmesser von fünfzig Metern erreichte. Fünfzehn Meter durchmaß das Zentralpodest unter dem in der Decke installierten, konisch zulaufenden Projektorkopf der Hologramm-Matrix. Er erzeugte nach Bedarf oder auf Anforderung überall in der Zentrale die benötigten zwei- und dreidimensionalen Projektionen von Informationen in alphanumerischer oder grafischer Form. »Meine Damen, meine Herren: Wie ist der Stand der Dinge? Überschreitungen des Solls werden natürlich überaus wohlwollend zur Kenntnis genommen.« Sie lachten rau, herzlich und ziemlich unbeeindruckt. Abertin wusste, dass die TRAJAN-Crew innerhalb der USO ein bisschen unter der Rubrik »absonderlicher
Haufen« rangierte. Die meisten Mitglieder der 2000-köpfigen Stammbesatzung wie auch die 4000 Frauen und Männer für die Beiboote waren schon mit der GILGAMESCH geflogen. Nur ein kleinerer Teil umfasste später Hinzugekommene. Je nach Bedarf und Einsatz der TRAJAN konnte die Gesamtbesatzung selbstverständlich mit weiteren USO-Spezialisten aufgestockt werden. Viele kannten sich also schon seit Jahrzehnten aus der Zeit bei Camelot, und da war es kein Wunder, dass sie sich - entgegen den normalen USO-Gepflogenheiten - meist duzten oder das Sie mit dem Vornamen kombinierten. Dienstränge waren zwar verliehen worden, doch auf diese legten die »Trajaner« noch weniger Wert als die übrigen USO-Angehörigen, bei denen ebenfalls nur der Titel Spezialist wirklich zählte! »Wir bemühen uns, Kommandant. Wir bemühen uns.« Kalle Esprot, der 2,54 Meter große, unter Standardgravitation 775 Kilogramm schwere Ertruser, vormals Kommandant des GILGAMESCH-Zentralmoduls MERLIN und nun Abertins Stellvertreter, strich sich über den grauen Sichelkamm und sprach mit tiefer, verhaltener Stimme. »Und wie es aussieht, schaffen wir es auch.« Der inzwischen 108-Jährige galt als einer der Ersten, die von Perry Rhodan persönlich für das Camelot-Projekt angeworben worden waren. Auf der GILGAMESCH war er der einzige Nicht-Aktivatorträger gewesen, der das Oberkommando über ein Modul innegehabt hatte. Ruhig, wortkarg und sehr besonnen, traf er seine Entscheidungen gut und blitzschnell überlegt. Nach der Stationierung der GILGAMESCH über Arkon I hatte er in der USO zunächst die interne Kosmonautenausbildung übernommen, bis er zum Stab wechselte, der mit der TRAJAN betraut war. »Die parallel laufenden Einsatzsimulationen - für Einzelabteilungen und -personen wie auch für die TRAJAN als Ganzes - entwickeln sich zufrieden stellend. Bei den letzten Durchläufen blieb es bei zweimaligem Totalverlust, trotz erhöhten Schwierigkeitsgrads. Monkeys Fegefeuer zeigt Wirkung ...« »Monkeys Fegefeuer« war das Pendant in der TRAJAN zu »Monkeys Hölle« in Quinto-Center - jener mehrere Quadratkilometer große Sektor des Haupttrainingsbereichs, etwa auf halber Höhe zwischen dem Kernbunker und der Nordpol-Hauptschleuse gelegen, in dem gefährliche Umweltbedingungen, Angreifer und dergleichen simuliert werden konnten. Trainingseinsätze in Monkeys Hölle waren gefürchtet, weil stets »äußerst anstrengend«, wie es Yart Fulgen einmal höflich formuliert hatte; die Kadetten verwendeten deutlich derberes Vokabular. Während die Umbauten fortschritten - seit Tagen wurde die TRAJAN mit den terranischen Zusatzmodulen für die Paratronprojektoren förmlich »bis an die Hutschnur« voll gepackt -, hatte Tom Abertin, bedauernd, aber knallhart, die Besatzung in Zwölf-Stunden-Schichten Übung auf Übung absolvieren lassen, wohl wissend, dass sie nicht mehr sehr viel Zeit hatten, bis der Ernstfall eintrat. Der Kommandant wollte in diesem Fall gerüstet sein, mochte die Besatzung über das ewige »Trockenschwimmen« noch so klagen. Ernst gemeint war Letzteres ohnehin nicht - jeder Einzelne wusste, wie notwendig es war, perfekt ausgebildet und vorbereitet zu sein. »Gut. Offensive und defensive Systeme? Hermon? Korom?« Hermon da Ariga, der Leiter der Abteilung Bordwaffen, vormals Feuerleitchef im RICO-Modul, wechselte mit seinem epsalischen Stellvertreter einen kurzen Blick und lächelte kühl. Korom Misur wirkte wie immer schlecht gelaunt und missmutig. Die quadratische Statur - bei 1,61 Metern Körpergröße erreichte er eine Schulterbreite von 1,65 Metern -, der kahle Kopf und das kantige, grobporige Gesicht verstärkten diesen Eindruck noch. Wie schon als Feuerleitchef der MERLIN hatte er nur eine liebste Beschäftigung: das Überprüfen der Feuerleitsysteme. »Im Soll, aber noch nicht abgeschlossen«, sagte der weißblonde Arkonide, der nun mit 50 Jahren noch mehr seinem großen Vorbild Atlan glich. Von Natur aus lebhaft und temperamentvoll, hatte er inzwischen gelernt, sich zu zügeln. Sein Auftreten war nun eher »aristokratisch«, was mitunter auf Außenstehende, die ihn weniger gut kannten, auch arrogant wirken konnte. Nach der Rückkehr der GILGAMESCH trat er wohl auch in der Hoffnung in die USO ein, der von ihm so verehrte Atlan komme bald mit der SOL in der Milchstraße an und werde wieder Lordadmiral der USO - eine Hoffnung, die sich leider nicht erfüllt hatte. »Das ohnehin schon gewaltige Arsenal an >konventionellen< Waffen ist auf neunzig MVH-Kombigeschütze aufgestockt. Leider auf Kosten der Transformbewaffnung, die um dreißig Module reduziert wurde ...« »Wir haben die Gründe oft genug diskutiert!« »Haben wir, Kommandant. Gefallen muss es mir dennoch nicht, oder?« Abertin winkte ab. Normalerweise bedeuteten »konventionelle« Waffen einen Rückschritt gegenüber Transformkanonen, die seit der Einführung unterschiedlichster Bombentypen eher noch an Schlagkraft gewonnen hatten. MVH-Geschütze wurden deshalb in der Regel eher in eingeschränktem Maß verbaut. Sie arbeiteten wahlweise mit Konstantriss-Nadelpunkt-, Intervall-, Thermo-, Desintegrator- und Paralysatorwirkung. Von den sechzig Transformkanonen mit Kalibern bis 6000 Gigatonnen Vergleichs-TNT bei den »normalen« Fusionsladungen hatte die Hälfte deshalb MVH-Systemen weichen müssen, weil so ein enormes
Vernichtungspotential zustande kam, das von der Reflektorwaffe der Tradom-Katamare unbeeinflusst blieb. Zusätzliche Kompaktkraftwerke und Gravitrafspeicher sollten den Energiehunger dieser Waffen im Ernstfall stillen. Stück für Stück hatte sich die TRAJAN - trotz ihrer 2500 Meter Durchmesser - in eine voll gepackte »Konservenbüchse« verwandelt ... Zu unterschätzen waren die verbliebenen Transformkanonen jedoch keineswegs - zumal die Modulbauweise eine rasche Rückrüstung gestattete. Alle hatten leistungsfähige Munitionszubringer und Sammel-Vorentstofflicher in den Transmissions-Verschlusseinheiten. Die maximale Kernschussdistanz war auf sechzehn Komma drei Millionen Kilometer erhöht worden; ein Wert, der nur von überschweren, planetengestützten Systemen übertroffen wurde. Neben normalen Transformbomben im Kaliber ab fünf Megatonnen gestatteten die modifizierten Zielmaterialisatoren die Abstrahlung von anderen Bombentypen. Bevorzugte Munition waren allerdings leistungsfähige Paratron-Aufriss- sowie Überladungs-Gravitraf-Bomben mit Kalibern bis zu zehntausend Gigatonnen. »Der potentielle Gefechtswert der TRAJAN, gerechnet ausschließlich im Kampf gegen die Katamare aus Tradom, übersteigt laut den Rechnersimulationen den eines ENTDECKER-Raumers um das Mehrfache.« Koroms wasserblaue Augen blitzten. »Die terranischen ENTDECKER liefern dann bessere Ergebnisse, wenn modernste Technik gefragt ist. Geht es jedoch um die gute alte konventionelle Feuerkraft, ist gegen die TRAJAN in der Milchstraße kein Kraut gewachsen.« Die Berechnungen waren wieder und wieder durchgegangen worden. Schon vor dem ersten Auftauchen eines Katamars hatten die QuinTechs verstärkt auf Waffensysteme gesetzt, die punktgenaue Durchschlagskraft mit einer Schwächung gegnerischer Schutzschirme verknüpften. In dieser Hinsicht erwiesen sich die KNK- wie auch die Intervallstrahler als die ausbaufähigsten, zumal die Kernschussweite im Bereich zwischen fünfzehn und achtzehn Millionen Kilometer lag. Das KNK-Prinzip basierte auf einem noch von den Lemurern entwickelten Verfahren, das - inzwischen verbessert - einem Thermo- oder auch Intervall-Waffenstrahl ermöglichte, in besonderen Fällen sogar einen starken Schutzschirm wie beispielsweise einen mehrfach gestaffelten Paratron zu durchschlagen. Im KNK-Modus wurde hierzu zunächst ein überlichtschnelles Röhrenfeld erzeugt, das den Schutzschirm des Zielobjektes schwächte. Im zweiten Schritt fokussierte es den durchlaufenden Strahl so stark, dass er ohne Streuverluste quasi punktförmig das Ziel erreichte. Die hier freigesetzte Energie war mitunter deutlich geringer als bei anderen Waffensystemen, die fünfdimensionale Schutzschirme durchbrechen konnten. Intervallstrahler verwendeten intermittierende, überlichtschnelle Hyperfelder, die exakt gesteuert und eng gebündelt beim Auftreffen das Ziel mit hypermechanischer Wirkung unabhängig von der Materialfestigkeit deformierten: Nahezu jedes bekannte Material wurde förmlich zertrümmert, als sei es zwischen Hammer und Amboss eines Riesen geraten. Erstmals bei den Perlians im 25. Jahrhundert beobachtet, boten schon die damaligen HÜ-Schirme keinen Schutz, sondern wurden aufgrund der eingesetzten Hyperfeldstruktur förmlich »fortgefegt«. Die Forschungen in Merkur-Alpha, dank der Anregungen des weißen Haluters Blo Rakane vom einschränkenden »Tunnelblick« befreit, lieferten inzwischen Hinweise darauf, dass der Paradim-Panzerbrecher im CoJitoPlanetenjäger der Eltanen auf einem ähnlichen Prinzip zu basieren schien. Chefwissenschaftler Attaca Meganon und sein Team vermuteten nach ersten Berechnungen, dass es beim Nachbau vermutlich auf eine Art »Paratronröhre mit durch Eclisse induziertem Kontrafeld-Intervallstrahl« hinauslaufen würde, ohne jedoch jetzt schon technische Einzelheiten liefern zu können. Inwieweit eine intensivere Einbindung der UHF-Technologie im Gegenzug wiederum Auswirkungen auf die Abwehrkapazität von Schutzschirmen hatte, blieb abzuwarten. Viele Jahrzehnte des Wiederaufbaus und der Rekonstitution nach dem Ende der Monos-Diktatur hatten im 13. Jahrhundert nur scheinbar Forschung und Weiterentwicklung stagnieren lassen -obwohl auch nach mehr als einem Jahrhundert viele Erkenntnisse beispielsweise der Cantaro ihr Geheimnis bewahrten. Tatsächlich aber wurde an vielen Stellen auf vielen Planeten intensiv geforscht und an praktischen Lösungen gearbeitet, so dass abzusehen war, dass der vermeintliche »Knoten« über kurz oder lang platzen musste ... Abertin ergänzte nach einem kurzen Seufzer: »Hinzu kommt die Tatsache, dass ein einzelnes Schiff seine Waffen nicht mit anderen Einheiten synchronisieren muss, sondern jederzeit einen zu hundert Prozent punktgenauen und zeitsynchronen Schlag mit allen Waffen ausführen kann.« »Was die Theorie in der Praxis wert ist, muss sich noch erweisen«, unkte Hermon, lächelte aber. »Nun, wir haben ja noch mehr an Bord. Zwei >Paratronwerfer< nahe dem oberen Polgeschütz mit separaten Paratronkonvertern ... Und obligatorisch sind die diversen Typen von Marschflugkörpern, SelbstlenkRaketensystemen, Torpedos - alle in rein lichtschneller wie überlichtschneller Version -, festmaterielle Gravitations- und Arkonbomben und so weiter und so fort.«
Die Paratronwerfer erzeugten im Sinne eines »Dimensionstransmitters« eine Verbindung zwischen dem Normalraum und dem Hyperkontinuum. Es handelte sich hierbei um die ursprünglich bei den Dolans beobachtete Waffenwirkung eines Paratronkonverters. Bei dieser Wirkung wurde bis in eine Distanz von etwa fünfzehn Millionen Kilometern ein Strukturriss geschaffen, der maximal etliche zehntausend Kilometer Ausdehnung erreichte und alles in den Hyperraum saugte, sofern nicht zusätzlicher Schutz die Wirkung neutralisierte. Der Leiter der Abteilung Bordwaffen grinste breiter, als er die gespannten Gesichter bemerkte. »Die wichtigste Waffe von allen wurde erst in den letzten Tagen installiert: Anstelle der überschweren PolZwillingstransformkanone haben die QuinTechs ein wahres >Superaggregat< von hundert Metern Durchmesser zusammengefügt, das sich erst bei näherem Hinsehen - und auch dann nur dem Fachmann ersichtlich - als überdimensionierte Intervallkanone erweist. Überdies als eine, deren Intervallstrahl in einem KNK-ähnlichen hyperenergetischen Röhrenfeld zur Bündelung und gleichzeitiger Schwächung des gegnerischen Schutzfeldes emittiert wird. Die Schussreichweite entspricht mit rund achtzehn Millionen Kilometern etwa der der blauen Strahlen der Katamare!« »Es ist eine Sonderanfertigung vergleichbar jener halutischen Konstruktion, die seinerzeit in der SHE'HUAN vorhanden war«, ergänzte Abertin. »Die QuinTech-Eggheads haben sie in einem Anflug von Zynismus - in Anspielung auf Herrn Trah Rogue - Affengift getauft.« * Es war dem Kommandanten der TRAJAN nicht schwer gefallen, den Zweck der von Monkey persönlich verordneten Umbauten zu erfassen: Der USO-Chef plante entweder, die TRAJAN gegen die sieben in der Milchstraße untergetauchten Katamare einzusetzen - oder aber sie sollte durch das Sternenfenster zur Unterstützung der KARRIBO und der LEIF ERIKSSON nach Tradom geschickt werden. »Die separate Energieversorgung wurde in den umliegenden Hallen untergebracht, was jedem kleineren Raumschiff schon aus Platzgründen unmöglich gewesen wäre. Sie allein ermöglicht, dass wir das Affengift unter günstigen Umständen fünfmal pro Minute abfeuern können. Schüsse, die es wirklich in sich haben, Leute!« Abertin hüstelte. »Nächster Punkt: Defensiveinrichtungen.« »Basisniveau der Semimanifestation, normalenergetische und konventionelle Schutzfelder, dreifach gestaffelter Wabenschirm sowie die übergeordneten Felder der Kategorie Hy-Eins und -Zwei - Zehnfache Staffelung bei Paratron- wie auch bei Hochenergie-Überladungsschirm, ergänzt um die Projektionsmöglichkeit von SchüsselFangfeldern: alles im grünen Bereich. Durch Einbau der ultrakompakten Zusatzmodule bei den Paratronfeldprojektoren wird die Abwehrkapazität nochmals um etwa zehn Prozent gesteigert. Paramechanische >Simulation< der Individualaufladungsfähigkeit der Báalols; UHF-Induktion des Paratronfeldes mit einer Frequenz von null Komma neun bis eins Komma drei mal zehn hoch fünfzehn Kalup. Leider lässt der Wirkungsgrad dieses Verfahrens noch sehr zu wünschen übrig. Es wird allerdings an der weiteren Verbesserung gearbeitet; Stichworte: Criipas-Embinium und Eclisse.« Kaha da Sceer, Senior-Chefingenieur und Leiter der Abteilung Triebwerke und Bordmaschinen, hob den rechten Zeigefinger und sagte unter dem Lachen der anderen: »Ahm, ich möchte betonen, dass leistungsfähige Antiortungsf eider und Virtuellbildner selbstverständlich ebenfalls vorhanden sind.« Der 146 Jahre alte Arkonide, dessen schütteres Haar schneeweiß bis auf die Schultern fiel, war weiterhin rüstig und ideenreich; ein unglaublicher Improvisator in Notlagen, der es sich trotz seines Alters nicht nehmen ließ, persönlich Hand anzulegen. Von Anfang an war er maßgeblich an der Ausrüstung der TRAJAN beteiligt gewesen und in dieser Hinsicht kaum weniger »besessen« als Tom Abertin. Genau wie bei den terranischen Raumern der ENTDECKER-Klasse hatte die »Arbeitsgruppe X« auf das Nebeneinander verschiedener Systeme gesetzt, die von der rein mechanischen Handkurbel über die TransitionsNotaggregate bis hin zu modernsten Einsatzformen formenergetisch-materieprojektiven StrukturonVariomaterials reichten. Ebenso wurde konsequent mit syntronisch-positronischer Redundanzauslegung gearbeitet, so dass jederzeit auf die ausschließlich positronische Steuer-, Regel- und Kontrolltechnik umgeschaltet werden konnte, während der Normalbetrieb selbstverständlich syntronisch erfolgte. »Energieversorgung, Kaha?«, fragte Abertin. »Optimal. Unsere vier Hypertropzapfer mit je vier Gravitraf-Hauptspeichern und diversen kleineren GravitrafNebenspeichern sowie der Not-Hypertrop mit zwei Gravitraf-Notspeichern arbeiten perfekt. In konventionelle Einheiten umgerechnet entspricht die Energieversorgung einer Leistung von zwei mal zehn hoch neunzehn Watt, bekanntlich das Doppelte eines ENDECKERS.« Die Zapftrichter entstanden in Kugeldomen von hundert Metern Durchmesser, deren besondere Abschirmung
einerseits Streuemissionen mit negativen Nebenwirkungen für das Schiff selbst unterbanden, zum Zweiten aber auch eine Fremdortung verhinderten. »Die Nugas-Schwarzschild-Notkraftwerke entsprechen der MARCO POLO-Bauweise und liefern zusätzlich null Komma neun sechs bis maximal eins Komma zwei mal zehn hoch fünfzehn Watt. Völlig problemlos sind auch die robusten Not-Fusionsreaktoren. Verbessert werden könnte dagegen noch unser Prototyp eines HypertropPermanentzapfers. Die Zapfleistung, basierend auf dem ... ähm, Lieberman-Prinzip, ist vergleichsweise gering. Die zusätzlichen Außenantennen können allerdings als Hypertron-Sonnenzapfer zum Einsatz kommen!« Tom Abertin schmunzelte. Permanentzapfung war nicht erst seit der SOL ein Begriff. Schon 1147 NGZ hatte Loydel Shvartz, der später unter dem »Pseudonym« Lieberman auftrat, erkannt, dass die Cantaro nicht die rabiate Methode der damaligen galaktischen Hyperzapfung verwendeten. Hypertrops hatten mit ihren Außenzapftrichtern stets ein mächtiges Loch gerissen, um energetisch übergeordnete Kontinua anzuzapfen. Das Aufreißen dieses Loches sowie der beachtliche Energiestrom, der dann durch diesen Kanal zu den Gravitrafspeichern floss, erzeugten die über weite Distanzen anmessbaren Streuimpulse. Solange die ortungsintensiven Außenzapftrichter Verwendung fanden, hatte die galaktische Technik ironischerweise stets danach gestrebt, diese Zapföffnung noch größer, den Energiedurchsatz noch mächtiger zu machen, weil sich nur auf diese Weise die Dauer des Zapfvorgangs verkürzen ließ. Die Cantaro hatten genau den entgegengesetzten Weg beschritten: Ihre Zapfer arbeiteten kontinuierlich, wenn auch mit deutlich geringerer Leistung. Somit war die Streustrahlung von geringerer Intensität und nur über unwesentliche Distanz zu orten. Shvartz war es damals gelungen, einen der cantarischen Permanentzapfer zu erbeuten. Entgegen seinen hochgestochenen Erwartungen waren ihm die nachgebauten Geräte jedoch nicht aus der Hand gerissen worden. Statt Ruhm und wirtschaftlichen Erfolg erntete er eher mitleidiges Lächeln, ging schließlich pleite und starb 1299 NGZ - ziemlich verbittert, wie es hieß. * »Triebwerke?« »Ebenfalls optimal«, antwortete Kahas Stellvertreter, der Ertruser Elgor Rizz. Der Mann mit dem blau gefärbten Sichelkamm galt als »gutmütig wie ein Bernhardiner«, obwohl er auf dem GILGAMESCH-Modul ENZA nicht nur Chefingenieur und Chef der Beiboote gewesen war, sondern auch Feuerleitchef. »Vor einer Stunde erst überprüft. Gravohub bis maximal tausendfünfzig Kilometer pro Sekundenquadrat; bei ausschließlicher Verwendung der klassischen Nottriebwerke sind es sechshundertfünfzig.« Je Teilwulst waren neben den sechs Metagravblöcken in Kassettenbauweise sechs ProtonenstrahlImpulstriebwerke vorhanden, zu denen noch zwölf Module mit je zwei Antigrav-, Gravopuls- und GravojetEinheiten kamen. »Vektorierbarer Grigoroff mit einem Überlichtfaktor von fünfundachtzig Millionen für eine Stunde; Dauergeschwindigkeit mit achtzig Millionen möglich«, fuhr Elgor fort. »Die beiden Not-Ultrakomp-WaringKonverter erlauben einen Linearflug mit maximalem Überlichtfaktor von sechzig Millionen; Reichweite je drei Millionen Lichtjahre. Hinzu kommen noch die beiden schockgedämpften Strukturkonverter des Transitionstriebwerks; Sprungweiten bis maximal fünftausend Lichtjahre. Die Gesamtreichweite beträgt bei Standard-Energieversorgung zweihundertfünfzigtausend Lichtjahre, bei Fusions-Notbetrieb fünfzigtausend Lichtjahre.« Beim überlichtschnellen Flug eines Metagrav-Triebwerks galten ÜL-Faktoren von etwa 80 bis 100 Millionen als praktische Grenze. Der anfangs einmal euphorisch genannte ÜL-Faktor von zwei Milliarden hatte sich letztlich als rein theoretischer Wert erwiesen, auf dem heutzutage bestenfalls noch unbelehrbare Elfenbeinturm-Theortiker »bestanden«, die von einem in die Praxis umsetzbaren Wirkungsgrad des Ingenieurwesens offensichtlich keine Ahnung hatten. Mochten sie sich noch so sehr auf den Kopf stellen und grimmig mit dem Fuß aufstampfen - an der Tatsache, dass mit wachsendem ÜL-Faktor über 100 Millionen hinaus ein immenser Energieverbrauch verknüpft war, der die Gravitraf-Speicher fast schlagartig leer saugte, vermochten auch sie nicht zu rütteln. Von angeblichen Ausnahmen abgesehen, deren Quellen eher als höchst zweifelhaft angesehen werden mussten, konnte von einer praktischen Umsetzung des theoretischen Maximalwerts nie die Rede sein, zumal beim normalen interstellaren Standardflug ohnehin nur selten über ÜL-Faktoren von zehn Millionen hinausgegangen wurde. Als Minimum-Eintrittsgeschwindigkeit für den Einsatz des Metagrav-Vortex galten rund 35 Prozent der Lichtgeschwindigkeit: Wurde der virtuelle G-Punkt zum »Pseudo-Black-Hole« verstärkt - was letztlich nichts anderes als ein Aufriss zum Hyperraum war - und parallel dazu die schützende Grigoroffblase errichtet, erfolgte
der Übergang zum überlichtschnellen Flug. Durch Stärke und Vektor des Vortex wurden hierbei Flugdauer, geschwindigkeit und -weite vorab festgelegt, zumindest in der Anfangszeit des Metagrav-Triebwerks. Ein unkontrollierter Eingriff oder gar der Zusammenbruch der Grigoroffblase war mit der Gefahr verbunden gewesen, in einem Fremduniversum zu materialisieren. Erst im Laufe der Zeit konnte diese Gefahr ausgeschaltet werden, und auch die Nachjustierung der Flugparameter wurde möglich - optimiert schließlich beim vektorierbaren Grigoroff, wie er erstmals bei der FORNAX zum Einsatz gekommen war. Bei dem Prototyp-Experimentalschiff, das die CIMARRON und die PERSEUS auf der Expedition von 1189 bis 1199 NGZ in den Fornax-Cluster begleitet hatte, wurde er neben einem herkömmlichen Grigoroff eingesetzt. Die vektorierbare Version diente hierbei allerdings nicht dazu, in andere Universen vorzudringen, sondern zur Erforschung des übergeordneten Kontinuums. Vorbild war neben alten Forschungsunterlagen von Igor Grigoroff - der die von Payne Hamiller hinterlassenen theoretischen Grundlagen des Metagrav-Konzeptes praktisch umsetzte - das so genannte Ewigkeitsschiff der Cantaro gewesen. Dessen spezielles »Transitionstriebwerk« hatte das Eintauchen und Verweilen im Hyperraum gestattet. Neben dem stationären Aufenthalt war ein beliebiges Navigieren möglich gewesen, während die der Grigoroff-Schicht gleichenden Hyperfelder das Schiff vor den Einflüssen des Hyperkontinuums bewahrten. Tom Abertin erinnerte sich lebhaft an die intensiven Diskussionen während der Planungsphase. Insbesondere Kaha da Sceer hatte sich stets etwas abfällig über das Metagrav-Prinzip geäußert und dafür plädiert, verstärkt auf neue Konzepte zu setzen. Im Vokabular der Metagrav-Kosmonauten und Technowissenschaftler waren für den Bereich des Sublichtfluges Altbegriffe wie »Schubleistung« oder »Stützmassenverbrauch« überflüssig geworden. Stattdessen hieß es »Sogkonstante« oder »vektorierbarer Gravohub« des »virtuellen G- oder Hamillerpunktes«, bei dem das Raumschiff im »freien Fall« permanent auf ein virtuell vorausprojiziertes »Gravitationszentrum« zustürzte. Mit dem Hyperkon eines Metagrav-Triebwerks wurden Sublichtbeschleunigungen bis etwa maximal 1300 Kilometer pro Sekundenquadrat verbunden. »Zu energieaufwändig, zu geringer Wirkungsgrad, zu viel pompöses Wortgeklingel, das die Schwachpunkte nicht einmal ansatzweise übertünchen kann«, hatte der Senior-Chefingenieur stets betont. »Von Anfang an total überschätzt und in der Praxis mit zu vielen Unwägbarkeiten, um nicht zu sagen Ungereimtheiten verbunden. Münchhausen-Effekt nannte Atlan es mal! Nein, da sind mir exakt justierbare, in der Leistung wie im Energieverbrauch optimierte Hyperfeldtriebwerke auf der Basis gravomechanischer Impulse lieber. Da weiß ich genau, was ich habe!« Die von ihm entworfenen und konstruierten Prototypen hatten sich in der Tat als viel versprechender Ansatz erwiesen, waren jedoch noch nicht ausgereift genug, um schon in der TRAJAN berücksichtigt zu werden. Die Modulbauweise der Ringwulstaggregate gestattete jedoch problemlos einen späteren Austausch, sobald die Sceer-Sublichttriebwerke Serienreife erreicht hatten. Mit dem vektorierbaren Grigoroff war die TRAJAN dagegen schon optimal ausgestattet. Mit ihm war es möglich, den Hyperflug ähnlich einem Linearflug »nach Sicht« zu gestalten und beliebig zu unterbrechen. Es war in der USO ein offenes Geheimnis, dass Terraner und Arkoniden ebenfalls verstärkt in dieser Hinsicht forschten, auch unter Einbezug der beim Hypertakt-Triebwerk der SOL-Kreuzer beobachteten Phänomene. Ein Grigoroff-Konverter genanntes Generator- und Projektorsystem sollte nicht nur die auf der ParatronTechnologie basierende, in sich geschlossene, nun allerdings mehrschichtige Kraftfeldblase erzeugen, die das Raumschiff von den Einflüssen des Hyperraums abschirmte und ihm ein eigenständiges Miniaturuniversum zuwies, sondern auch den Energie fressenden Metagrav-Vortex ersetzen, so dass schon der Aufbau der Feldblase für den Übertritt ins übergeordnete Kontinuum ausreichte. Die vektorierbare Projektionsweise würde somit nicht nur eine extrem hohe Beweglichkeit und einen jederzeit unterbrechbaren Hyperraumflug gestatten, sondern auch einen stationären Hyperraumaufenthalt mit einer »Relativgeschwindigkeit null« ermöglichen ... Wie es aussieht, durchfuhr es Tom Abertin in Erinnerung einiger kürzlich gelesener Geheimberichte, scheint dieses Prinzip bei den TLD-Spürkreuzern schon zum Einsatz zu kommen. Und es würde mich nicht wundern, sollte Ka'Marentis Aktakul mit vergleichbaren Dingen aufwarten - die Yobilyn-Werft ist ja weiterhin ein Mysterium! Auch bei uns gibt es ja vergleichbare Forschungen, nicht nur mit der MERAT... * Tom Abertins Blick glitt über die Frauen und Männer und blieb schließlich beim mimasgeborenen Chef der Bordlogistik hängen. Jörge Savan nickte und sagte: »Wir können ab sofort drei Jahre lang ohne Inanspruchnahme einer
Versorgungsbasis operieren. Siebenhunderttausend Tonnen direkter Bedarfsgüter sind gebunkert; ebenso die indirekten von rund eins Komma eins Millionen Tonnen - vor allem Ersatzteile aller Art. Hinzu kommen noch die Werft- und Werkstattausrüstungen unserer bordeigenen Anlagen. Die Nugas-Zuladung ist abgeschlossen. Unsere Speicherkugeln sind auf materieprojektive Basis umgestellt, die bei drei Metern Durchmesser die eigentliche, zwei Komma zwei Meter durchmessende Protonenballung mit der Masse von zweihunderttausend Tonnen lagern. Die in Anlehnung an den von den Hathor geprägten Begriff ebenfalls Strukturon genannte pseudomaterielle Hülle ist so konfiguriert, dass sie selbst bei totalem Energieausfall dem explosiven Expansionsdruck widersteht. Man sollte nur nicht gerade seihen dicken Zeh hinhalten, wenn das Ding zu Boden kracht ...« Der bullige Mann - wieder einmal auf Diät, um die überflüssigen Kilos abzuspecken - grinste über die volle Breite seines runden Gesichts und hatte die Lacher auf seiner Seite. Er hatte ein sonniges Gemüt und war immer gut aufgelegt. Der ehemalige Kommandant des ENZA-Moduls hatte nach seinem Eintritt in die USO zunächst einen Taxit»Bullcarrier« befehligt und war erst 1308 NGZ als Logistik- und Versorgungschef zur TRAJAN gekommen. Punkt für Punkt hakte die Crew die Checkliste ab. Fast unmerklich breitete sich eine gespannte Atmosphäre aus. Jeder war sich bewusst, dass es diesmal nicht mehr um eine der ungezählten Übungen oder einen Testflug ging, sondern dass dem Ultraschlachtschiff der erste Ernstfalleinsatz bevorstand - und das gegen einen Gegner, dessen Kampf- und Schlagkraft zu Recht gefürchtet wurde. * Privat-Log Tom Abertin, 17. Januar 1299 NGZ Sieben Jahre - und bis auf wenige Ausnahmen ist immer noch alles nur Theorie und virtuelle SyntronikSpielerei! Ich kann Adams natürlich sehr gut verstehen, habe ebenso Verständnis für seine Argumentation. Nicht einmal Atlan schuf die alte USO von heute auf morgen, außerdem waren die Bedingungen 2115 ganz andere. Dennoch ist das Prozedere mehr als nervend! Um jeden Zehntelgalax muss gefeilscht werden wie in den Basaren von Lepso. Manchmal frage ich mich, was nur von dieser Riesenkugel ausgeht, weshalb sie so meine Gedanken beherrscht - ist doch nur ein Metallberg, der einer längst vergessen geglaubten Zeit entstammt. Oder ist es gerade das? Pure Nostalgie? Wie auch immer: Wenigstens konnte CICERO inzwischen fertig gestellt werden, so dass wir nicht länger Rechnerkapazität von MAJESTÄT »in Beschlag nehmen« müssen, sondern sämtliche weiteren Simulationen in der TRAJAN selbst fahren können. Durchaus ein Erfolgserlebnis: Schon die ersten Betriebstage haben gezeigt, wie leistungsfähig das insgesamt fünffach redundante positronisch-syntronische Hybridnetzwerk mit hochkonzentrierter Bioplasmakomponente in Logik-Programm-Verbund-Schaltung ist. CICERO braucht sich hinter MAJESTÄT nicht zu verstecken! 4. 29. Dezember 1311 NGZ, 8.23 Uhr Kommandant Tom Abertin lehnte sich gegen den Handlauf am Rand des fünfzehn Meter durchmessenden Zentralpodests, blickte versonnen auf die emporkräuselnden Schwaden seiner Kaffeetasse und trank vorsichtig einen Schluck. Der übliche Geruch umgab den Carmoner - ein typisches Gemisch aus erhitzten Geräten, von Ozonspuren und dem Aroma künstlicher Raumschiffsinnenklimatisierung. Vielfältige Geräusche bildeten einen leise summenden Hintergrund. In dem umlaufenden Bereich entlang der Außenrundung versahen mehrere Dutzend Besatzungsmitglieder an Vorrangpulten ihren Dienst. Hier liefen die wichtigsten Steuerkreise der Abteilungen zusammen: Lebenserhaltung, Energieverteilung, Hangarstatus, Bordsicherheit und Logistik. Die Stationseinheiten waren für je maximal drei Personen bei Vollalarm-Dreifachbesetzung ausgelegt. Holodisplays folgten als Szenen beherrschende Panoramagalerie dem Rund der Zentrale. Die oberen beiden Drittel zeigten in Format füllender Abbildung das Innere des Hangars als Computerbild der normaloptischen Außenbeobachtung. Das untere Drittel der Panoramawand war ebenfalls bandförmig der Zentralerundung angepasst der Wiedergabebereich der hyperschnellen Ortung und Tastung, in dem normaloptische Außenaufnahmen mit computergenerierten Daten zu einem neuen Gesamteindruck kombiniert wurden. Messpunkte und Ortungsreliefs von Objekten funkelten und glitzerten, deren einfach lichtschnelle Emissionen den Standort der TRAJAN noch gar nicht erreicht hatten. Rund zehn Meter durchmaß der Hauptprojektionsglobus, der zur Zeit die TRAJAN selbst im Hangar zeigte. Die vierundzwanzig Teleskop-Landebeine waren so weit ausgefahren, dass sich der untere Schiffspol nur zehn Meter
oberhalb des Bodens befand. Die Rampe zur Bodenschleuse war von einem Fluoreszieren eingehüllt - einem Rollband gleichende Kraftfeldausstrahlungen, die Personen wie Fracht transportierten. Während Abertin die fünf Stufen zur Plattform des Podestes hinaufstieg, sagte Sirom Dazon mit heller und leiser Stimme: »Endlich ist es so weit, der erste Einsatz der TRAJAN steht bevor - doch ich weiß beim besten Willen nicht, ob ich nun vor Stolz platzen oder mich als jammerndes Elend in eine dunkle Ecke verkriechen soll. Einerseits ist unser Schiff ein fantastisches Ergebnis moderner Technik, das mich ganz und gar begeistert, und andererseits ein ebenso mörderisches Monstrum, darauf ausgelegt, perfekt zu vernichten. Wie geht es Ihnen?« »Ähnlich, Sirom, ganz ähnlich!« Abertin sah ernst zum Dritten Emotionauten hinüber, der den kleinen Sessel seiner Station herumgeschwenkt und die Überprüfung der an seine Körpergröße angepassten SERT-Haube unterbrochen hatte. Bei den terranischen ENTDECKER-Raumern eingeführt, inzwischen aber zum LFT-Standard geworden, wurde das Zentralpodest auch in der TRAJAN als erhöhte Sektion für Kommando und Steuerung COMMAND genannt: In der Mitte, auf einem nochmals erhöhten Sockel, befand sich der Kommandantensitz mit eingebauter InterfaceKonsole, die den Vorrang-Zugriff auf alle Vorgänge und Informationen der Schiffsstationen gestattete, sofern sich Tom Abertin nicht seines MultiKoms bediente. »Die TRAJAN ist nun mal als Ultraschlachtschiff konzipiert!«, fuhr er fort. »Allerdings hätte ich mich nicht so für sie eingesetzt, würde ich nur diesen Aspekt sehen. Der Raumer ist ebenso eine Ausweichzentrale für die USO insgesamt, ein Trägerschiff für unsere Kreuzer, Korvetten und Space-Jets und demnach ebenso Rückendeckung wie auch Abschreckungspotenzial.« Der nur 46 Zentimeter große, an die Schwerkraft von einem Gravo umweltangepasste Swoon nickte in menschlicher Manier, dass die pinkfarbene »Ertruser-Sichellocke« wippte, und hob die vier Arme. »Ich fürchte nur, Kommandant, dass der Einsatz der eines klassischen Ultraschlachtschiffes sein wird. Operation Feuerblume sagt alles.« »Dem kann ich nicht widersprechen.« Sirom war eine durch und durch liebenswürdige Person, in der sich Höflichkeit und Würde mit Humor und Selbstbewusstsein vereinten. Als Mikrotechniker nach Camelot gekommen, arbeitete er nach dem Umzug ins USO-Hauptquartier zunächst als QuinTech, bis sich 1303 NGZ bei Versuchen mit der SERT-Technik seine Emotionauten-Begabung herausgestellt hatte. »Notwendige Härte zur richtigen Zeit«, schaltete sich Hermon da Ariga energisch ins Gespräch ein, »verhindert Schlimmeres! MUSS man Arkonide sein, um zu begreifen, dass Nachgiebigkeit und Toleranz dem Falschen gegenüber unter dem Strich nur noch größeres Leid bescheren?« Entlang der »vorderen« Podestründung waren in der Mitte die Stationen der drei Emotionauten mit der SERTHauben-Steuerung als paramechanischem Interface angeordnet, flankiert von der Ortungs-, Funk- und Navigationsstation. Links vom Kommandantensitz - traditionell Backbord genannt - befand sich die Verbindungsstation zur Energie- und Maschinenzentrale, steuerbords die zur Feuerleitzentrale. Abertin schoss ein alter Kalauer durch den Kopf: Backbord ist dort, wo das Herz »backt« ... Er trank die Tasse leer, stellte sie auf dem herbeigewinkten Servorobot ab und lächelte eisig. »Nicht jeder heißt Rhodan.« »Oh-oh, Chef, das war jetzt aber ein echter Tiefschlag.« Der Swoon wedelte mit zwei Händen und nahm eine ockergelbe Färbung an. Der Kommandant ließ sich in den Sessel fallen und winkte ab. »Wir sind USO-Spezialisten. Außerdem scheint sogar der Terranische Resident inzwischen gelernt zu haben ...« Maybro Thallag klatschte beifällig, sagte jedoch kein Wort. Neben dem Swoon versah er als Erster Emotionaut seinen Bereitschaftsdienst. Der nur 1,66 Meter große Titangeborene mit der metallisch wirkenden bronzefarbenen Haut hatte schon nach der Kosmonauten- und Pilotenausbildung als einer der hundert Besten in der LFT-Flotte gegolten, war aber mit dem »laschen Kurs der da oben« zur Zeit der Ersten Terranerin Paola Daschmagan überhaupt nicht zufrieden gewesen. Er hatte den Dienst quittiert, war 1290 NGZ via Camelot-Büro nach Camelot gekommen und hatte als USO-Spezialist schließlich die modifizierte Emotionauten-Ausbildung absolviert, weil er schon als »normaler Pilot« ein unglaubliches Einfühlungsvermögen gezeigt hatte. Abgesehen von der SERT-Steuerung hatten alle anderen Stationen neben dem akustischen auch ein manuelles Interface zu den Bordsystemen durch mehrfach redundant angelegte Sensorfelder und berührungssensitive Holoprojektionen. Hinter dem Kommandantensitz gab es fünf »Besuchersitze«; der mittlere war im Alarmfall der Platz des Stellvertretenden Kommandanten. Im Übrigen waren die kleinen Multifunktions-Kommunikatoren die Schnittstelle zur Handhabung der Steuertechnik und konnten beliebige virtuelle Holosequenzen aufbauen. Die Displays der hufeisenförmigen Vorrangpulte kamen meist nur dann zum Einsatz, sollten die MultiKoms ausfallen oder gestört sein.
Dalia Argula, die Leiterin der Abteilung Funk und Ortung, hob den Arm. »Funk an Kommandant: Nachricht von QC-Zentrale - Monkey persönlich.« »Durchstellen!« Augenblicklich erschien das Holobrustbild des Oxtorners vor Abertin. »Sämtliche weiteren Umrüstarbeiten werden unverzüglich unterbrochen. Oberst Abertin: Sie werden nach der Einschleusung der MERAT Kurs auf den Sektor Bedden nehmen. Die Details sind gemäß Einsatzplanung bekannt. Ich fliege mit der MERAT bis auf Excalibur-Reichweite weiter und lasse mich dann mit dem Container per Transmitterweiche abstrahlen. Start um neun-null-null Standard. Lassen Sie sich von anderen Raumschiffen keinesfalls orten. Wenn der Ultrariese tatsächlich zum Einsatz kommt, dann bitte überraschend!« »Verstanden, Sir.« * Das Holo von Gerine blendete auf: »Außenschott siebzehn geöffnet, Sir«, meldete die arkonidische Chefin der aus fünfundzwanzig Einheiten bestehenden VESTA-Beibootflottille. »Die MERAT kann einschleusen.« Weitere Holos und Displays entstanden, auch im Zentralglobus war der Vorgang zu beobachten: Aus einem Seitentunnel schwebte ein lang gestreckter Raumer in den Hangarzylinder, stieg langsam empor und näherte sich der hell erleuchteten Öffnung in der Abschlussrundung des TRAJAN-Ringwulstes. Das Schiff war etwa 250 Meter lang, 85 Meter breit und 98 Meter hoch. Die schlanke Form verhinderte Rückschlüsse auf den Ursprung, da sie nicht gängig war. Mehrere linsenförmige Beiboote waren an der Schiffsoberseite angeflanscht, weiterhin konnten bis zu vier Spezialcontainer für verschiedenste Ausrüstungen unterhalb des »Kiels« angedockt werden. Derzeit waren es nur drei; in der Lücke war der gelbe Nachbau-Container angedockt. Der wahre Zweck der MERAT CLASTERAL - so der vollständige Name - war selbst in der USO nur wenigen bekannt. »Offiziell« diente der Anfang 1311 NGZ fertig gestellte Raumer der Erforschung von Gravitationseffekten und Hyperstürmen. Tatsächlich war es ein Versuchsschiff zur Erprobung und Verbesserung eines neuen, leistungsfähigeren Überlicht-Triebwerkes. Neben zahlreichen Detailmodifikationen war ein als »Wirbeleffektgenerator« umschriebenes Modul in die Projektionsgitter der beiden experimentellen Metagrav-Triebwerke integriert worden. Dieses gestattete Phasenverschiebungen, variable Hyperfrequenzen wie auch Rotationen um sämtliche Achsen im projizierten Feld der mehrschichtigen Grigoroff-Hohlblase, wobei diese Feldstaffelung in konzentrischer wie auch als Projektion mit verschobenem Koordinatenursprung erfolgen konnte, um die Wechselwirkung der Einzelschichten zu erforschen. Unterstützt durch ein seitliches Emittersystem, ergab sich der Leistungsanstieg. Bei ersten Erprobungen war ein ÜL-Faktor von 97,6 Millionen erreicht worden. Nachteilig bei diesem »Turbomodus« war der enorm hohe Energieaufwand. Wegen noch unbekannten »hyperphysikalischen Widerstandseffekten« konnte der Betrieb bisher nicht länger als sieben Stunden durchgängig erfolgen und auch keine weitere Geschwindigkeitssteigerung mehr erreicht werden. Die erneute Nutzung war erst nach vier Stunden »Erholung« möglich. Zur Sicherheit war selbstverständlich ein Standard-Metagrav verfügbar. Zur 120 Mann zählenden Stammbesatzung kamen noch 80 Wissenschaftler unter der Leitung von Kirk Albado und dem nach ihm benannten Siganesen-Team. Dezentral verteile Notenergiespeicher sowie aktive und passive Schutzeinrichtungen ermöglichten auch im Testbetrieb ein Optimum an Sicherheit. Die Sublichtbeschleunigung betrug maximal 920 Kilometer pro Sekundenquadrat. * »Leute«, sagte Abertin gelassen. »Wo bleiben die Klarmeldungen?« »Laufen ein!« Stampfende Schritte raumfester Stiefel mischten sich mit ersten Rückmeldungen und Bestätigungen. Alarmpfeifen schrillten kurz. Positionen wurden eingenommen und letzte Kontursitze vor Konsolen geschwenkt, die Kombischlösser der Sicherheitsgurte klickten, Einzelpunkte der Checklisten wurden abgehakt und Geräte aktiviert. Abschlusscheck: Hunderte Meldungen wurden gesammelt, immer mehr Kontrollanzeigen wechselten auf Positivwert. Kontrollanzeigen flammten auf, Monitoren und Holos erwachten zum Leben. Parameterkolonnen und Zahlenreihen wechselten mit analogen Symbolbildern von Prozessabläufen.
Kalle Esprot meldete: »TRAJAN verschlossen, alle Luken und Schleusen hermetisch dicht, Verriegelungen intakt. Bereit für Verschlusszustand. Eigenversorgung und Belüftung laufen, Lebenserhaltungssysteme hundert Prozent ...« Tom Abertins Blick glitt die grünen Positiv-Icons entlang, nachdem das Bild der holografischen Standardprojektion seinen Kopf mit einer interaktiven Virtual Reality umhüllt hatte. Am oberen Rand des Blickfelds schwebte die persönlich konfigurierte Menüleiste, ein leises Zirpen meldete Bereitschaft. Mit einem Zwinkern schob Abertin einige Icons zur Seite und lächelte, als unvermittelt der sichtbare Bereich wechselte: Rings um den Kommandanten war das pseudorealistische Bild generiert worden, so dass er das Gefühl hatte, körperlos in dem riesigen Hangarzylinder zu schweben. Je nach Wunsch oder Bedarf konnten zusätzliche Datenfenster eingeblendet, Erläuterungstexte herangezogen oder sonstige Zusatzfunktionen aufgerufen werden. Die Vernetzung an Bord der TRAJAN gestattete den Missionsspezialisten und Abteilungsleitern der Zentralebesatzung den Zugriff auf sämtliche Parameter der Abermilliarden Datenströme, die in jeder Nanosekunde ein- und ausgingen, kombiniert und verarbeitet wurden. Die prallfeldunterstützte Formgebung der Projektionen war hierbei berührungssensibel ausgelegt, somit nicht nur Lichtquanteneffekte, sondern real wirkende »Objekte«, die sich greifen, hin und her schieben, aber ebenso rasch »auflösen« ließen, sofern sie nicht mehr benötigt wurden. Das auf höchste Flexibilität ausgelegte Steuer- und Kontrollsystem wurde um Akustikfelder ergänzt und konnte im Extremfall sogar solche Signalformen nutzen, die verschiedene Temperaturen oder Düfte verwendeten. Holos und die anderen individuellen Formen der Virtual Reality waren im Allgemeinen so abgeschirmt, dass sie nur für diejenige Person wahrnehmbar waren, die sie gerade benötigte. Im Raumfahrerjargon wurden die für den Außenstehenden mitunter »absonderlich« erscheinenden Hand-, Arm- und Kopfbewegungen selbstironisch Schattenboxen genannt. »Funkstation an Kommandant!« Die Stimme der Ferronin drang aus dem Akustikfeld. »QC hat Starterlaubnis erteilt. Startzeitpunkt minus zehn Minuten ab - jetzt. Kontakt zum Hangarleitstand hergestellt. Freigabe durch zuständige Überwachung. Daten übermittelt und geladen. Prallfeld zur Atmosphärenbindung spannt hoch, Hangarabdeckung wird geöffnet.« Abertin konzentrierte sich auf die Prozessabläufe der Schiffssteuerung; aufgeklappte Einzelfenster zeigten als Flussschema die maßgeblichen Hauptbetriebsparameter. Sämtliche Manöverstationen und Vorrangpulte waren mehrfach besetzt. Die Abteilungschefs saßen in ihren Sesseln und verfolgten die Prüfungsroutinen. Dutzende kleiner Endflächen zeigten dem Kommandanten Details von Schiffsaggregaten und die Brustbilder der Einsatz- und Abteilungsleiter. T minus sieben Minuten ... »Technischer Leitstand: Hauptgravitrafs eins bis sechzehn bereit, Übergang von Passiv- zu Aktivversorgung.« In grellem Violett waren auf den Kontrolldisplays die aufflammenden Hochenergie-Isolations-Röhrenfelder zu sehen, die den von den Umformern aufgenommenen Arbeitsstrom drahtlos weiterleiteten. Entlastungsentladungen schossen in die Ultrahochvakuum-Kraftfeldblasen von zusätzlich gefluteten Kugelspeichern, die bei extremen Spitzenbelastungen herangezogen werden konnten. Stehenden Wellen gleich akkumulierten sich die Kräfte in den leuchtenden Globen, die schließlich von den flirrenden Projektorpolen aufstiegen und abdunkelten. »Inerter: klar. Landebein-Elektromagnetik und -hydraulik: klar ... Start-Leerlaufschaltung der Antigravs: klar ...« Abertin las die Messanzeigen: Der Digitalwert der künstlichen Schwerkraft blieb konstant. Bei der StartLeerlaufschaltung lag die Leistung der Antigravaggregate nur wenig unterhalb des Gewichts, das die TRAJAN bei den herrschenden Schwerebedingungen von Quinto-Center am Boden hielt. T minus drei Minuten ... »Hyperkon eins bis zwölf: klar für Aufbau Gravohub.« Kaha da Sceers Meldung dröhnte aus den, Akustikfeldern. Erstmals durcheilten rüttelnde Schwingungen die TRAJAN, als die Triebwerke in Drosselphase anliefen. »Koordination ... Toleranz plus-minus null Komma null-null-null-null-eins Prozent. Synchronisation abgeschlossen ... Teleskopstützen fahren ein: vierundzwanzigmal positiv.« Dumpfe Schläge kündeten vom Einrasten der fünfzig Meter durchmessenden Landebeinteller. Die letzten Sekunden des Countdowns verstrichen, von einer Automatstimme aufgesagt. Die Funkabteilung meldete die endgültige Startfreigabe durch die Hangarleitstelle. Obwohl in diesem Stadium keine Dreifach-Besetzung der Missionsstationen notwendig gewesen wäre, war die Zentralecrew vollständig anwesend - niemand wollte sich den ersten Einsatzstart der TRAJAN entgehen lassen. Und: Start! Ohne geringste Abweichung arbeitete die gravomechanische Schubsynchronisation der Gravopulstriebwerke, nicht das kleinste Rütteln schlug durch, Gierbewegungen wurden von vornherein vermieden.
»Yart, dieser alte Fuchs!«, rief Elgor Rizz über die Rundsprechverbindung. »Das alles wird in ganz QC übertragen! Zum Glück hat er kein Robot-Musikkorps antreten lassen ...« »Ruhe an Bord!«, rief Abertin ins aufbrandende Lachen. Bilder der Hangarüberwachung wurden überspielt, zeigten das Abheben der TRAJAN: Scheinwerferlicht ließ die rötlich blaue Farbe der Ynkelonium-Terkonit-Legierung funkeln. Die riesige Wölbung schien kein Ende nehmen zu wollen. In raschen Bildschnitten wurden Details eingeblendet: Umrisse von ausfahrbaren Waffenkuppeln, vereinzelt aufragende Antennen, die Markierungen kleiner Mannschotten, in deren Zentrum sich die Linien der Irisverschlüsse trafen, Lichterketten, die Aussichtskuppeln und Luken markierten oder Positionslampen waren, aufragende winzige Spittock-Kuppeln, überdimensionierte Beschriftungsflächen und Bereiche mit schwarzgelben Warnschraffuren glitten gemächlich vorüber. Ein Kameraschwenk zeigte die klaffende Hangaröffnung - durch die Froschperspektive wirkte der Hangarschacht, trotz seiner fünftausend Meter Durchmesser, wie eine sich scheinbar in der Ferne verengende Röhre. Pechschwarz war der Weltraum zu erkennen, vom gefluteten Hangar nur von dem schwachen Prallfeld getrennt, das zuerst vom kreuzergroßen Buckel des Affengifts durchstoßen wurde. Ein zartes Flirren markierte die Schnittlinie, die an der TRAJAN-Hülle entlangglitt. Der gewaltige Körper stieg höher und höher; ein ausgeleuchtetes Bergmassiv aus Metall, in seinen Ausmaßen nicht zu überblicken, erdrückend in der machtvoll gewölbten Form. Umbiendung auf den Blickwinkel von Oberflächenkameras: Die Kugel wuchs immer weiter, gewann an Größe. Neunhundert Meter ragte sie schon aus dem Hangarschacht, der an der Quinto-Center-Oberfläche als Krater mit dreihundert Meter hohem Ringwall getarnt war, als der Verlauf des oberen Teilwulstes sichtbar wurde. Die schwarzen Lettern der Schiffskennung befanden sich oberhalb davon. Dann war die Form des Dreifach-Ringwulstes zu erkennen, der obere Pol längst aus dem direkten Sichtfeld entschwunden. Schließlich hatte auch die Abschlussrundung der unteren Halbkugel den Hangarschacht verlassen. Mit noch geringer Geschwindigkeit entfernte sich die TRAJAN von Quinto-Center, dessen zerklüftete, von Kratern überzogene Gesteinsoberfläche mehr und mehr überblickt werden konnte - von winzigen Kamerasonden übermittelt. Der Befehl zum Gravohub war zu hören, und das Ultraschlachtschiff raste mit einem Wert von 600 Kilometern pro Sekundenquadrat in den Raum. Ein weiterer Blick auf Diagramme und Schaubilder: Parallel zum Hochfahren der Triebwerke geschah Gleiches bei den Umformern, die die übrigen Aggregate versorgten. Die Leistungsabgabe der Gravitrafspeicher diente nun vor allem zur Aufladung der Abwehrschirme, deren periphere Ausläufer nahezu fünf Kilometer weit in den Raum hinausreichten. Materiell stabile Körper wurden ebenso abgewehrt wie sonnenheiße Kernreaktionen, da es in der Natur dieser übergeordneten Defensiveinrichtungen lag, normaluniverselle Kräfte und Objekte zu absorbieren oder zu reflektieren. Die höher geordnete Struktur machte die Waben -, HÜ- und Paratronschirme überdies undurchdringlich für hyper energetische Einflüsse - Orter und Taster waren deshalb auf winzige Strukturlücken angewiesen. Tom Abertin beugte sich vor und gab in rascher Folge Anweisungen: »Sublicht-Endfahrt null Komma fünf LG. Navigation: Flugprogramm laden; Metagrav-Ende dreiunddreißig Lichtjahre vom Bedden-System entfernt. ÜL-Faktor: achtzig Millionen. Flugdistanz ... zwanzigtausendvierhundertfünfzig. Planmäßige Ankunft nach rund hundertfünfunddreißig Minuten. Ausführung!« Mit wenigen Worten hatte er entsprechend seiner Richtlinienkompetenz als Kommandant das Programm umschrieben; die Detailumsetzung blieb den Abteilungen überlassen. Die befohlene Fahrtstufe von fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit würde bei konstantem Gravohub von 600 Kilometern pro Sekundenquadrat in etwas mehr als vier Minuten relativer Bordzeit erreicht sein; in dieser Zeit entfernte sich die TRAJAN fast neunzehn Millionen Kilometer von Quinto-Center. Außerhalb des Schiffes flammten die leistungsfähigen Abwehrfelder auf, die bei solchen Fahrtstufen unerlässlich waren, weil Mikromaterie und die Partikel des interstellaren Gases auf ein Objekt dieser Geschwindigkeit wie Megabomben wirkten: Die kinetische Energie war beträchtlich und bildete förmlich eine »Mauer«. Aus dem gravomechanischen Sog des Hamiller-Punktes entstand schließlich das Pseudo-Black-Hole des Metagrav-Vortex. Gleichzeitig fuhren die Grigoroff-Projektoren hoch und hüllten die TRAJAN in den autarken Mikrokosmos. Der Übergang vom Standarduniversum zum Hyperraum wurde von einer schwachen Gravitationsschockwelle begleitet. Im Hyperraum selbst galten die völlig andersartigen Gesetzmäßigkeiten des übergeordneten Kontinuums: Holos zeigten die von Quallengebilden durchzogene rote Emulsion, während andere die Direktsicht des Standarduniversums simulierten.
Im Hauptglobus war inzwischen das projizierte Holobild der Milchstraße zu erkennen; Koordinatenkuben von je 5000 Lichtjahren Seitenlänge wurden durch gelbe Linien markiert. Unzählige Lichter aller Farben formten die Spiralwolke, deren Verdickung im Zentrum kaum noch eine Unterscheidung in Einzelpunkte zuließ und ein intensives Leuchten verbreitete. Nach außen hin deutlich abgeflacht, liefen die Spiralarme zerfasert aus, während in einem sphärischen Bereich ober- und unterhalb der galaktischen Hauptebene die Kugelsternhaufen des Kalos hell hervorstachen. Die Projektion der Sterneninsel erreichte einen Gesamtdurchmesser von rund zehn Metern - drei Meter entsprachen den 30.000 Lichtjahren, die Terra vom Dengejaa Uveso des Galaktischen Zentrums entfernt war. Die X-Achse des Koordinatensystems lief entsprechend der Definition des SOFSTAC - des Solar Fleet Star Catalogue - exakt durch das Solsystem, das sich im Mittelpunkt des als transparente blaue Kugel dargestellten, rund 5000 Lichtjahre durchmessenden Kerneinflussbereichs der LFT befand. Terra selbst befand sich nahe dem Zentrum einer rund 300 Lichtjahre großen, von diffusen Wasserstoffwolken begrenzten, fast von interstellarem Staub freien Blase. Markierungen und Beschriftungen kennzeichneten die wichtigsten, zum Teil in Detailprojektionen vergrößerten Objekte: Hyaden, Plejaden, weitere Blasen, dunkle Materiewolken, helle Nebel, Haufen mit jungen Sternen. Richtung galaktische Southside erstreckte sich die Fortsetzung des Orion-Spiralarms. Namensgeber war der große Orionnebel; interstellares Gas und Staub, durchsetzt von jungen Sternen mit einem Durchmesser von rund dreißig Lichtjahren: Vielfältig durchzogen bläuliche, rötliche, blauweiße und rosefarbene Streifen den Weltraum. Die Gesamtmasse war ausreichend groß, um etwa 10.000 Sterne zu bilden. »Wenn ich das sehe, weiß ich, weshalb ich Raumfahrer wurde«, flüsterte jemand. Dutzende Markierungen - verdeutlicht durch das Emblem der Solaren Residenz als silbrige Silhouette vor der blauweißen Erde und den beiden asymmetrisch angeordneten blauen Kreisringen - waren auch außerhalb des Kernbereichs der LFT eingeblendet. Leuchtend rot wurde der Kurs bis zum Bedden-System eingeblendet - dick ausgefüllt, die bereits zurückgelegte Wegstrecke, gestrichelt der weitere Verlauf. Nahe dem Schnittpunkt mit der X-Achse leuchtete die real mehr als 100 Lichtjahre große, sehr komplizierte Struktur des Lagunennebels. Wolken und Fasern ionisierten Wasserstoffs, von dunklen Schluchten und Bändern durchdrungen, umhüllten den aus sehr jungen und heißen Sternen der Spektraltypen O und B bestehenden offenen Sternhaufen NGC 6430. Globulen hoben sich abgrundtiefschwarz vom Hintergrund aus rötlichen, violett angehauchten und weißlichen Abschnitten ab, während sich direkt benachbart in blassem Rose gewellte Linien erstreckten. Etwa auf halber Strecke nach Stiftermann III war seitlich der Kurslinie NGC 3372 vergrößert hervorgehoben - die ausgedehnte H-II-Region ionisierten Wasserstoffs, Carinanebel genannt. Die Ausläufer der komplexen Struktur, von Streifen dunkler Materie in mehrere keilförmige Formationen geteilt, schimmerten rot, rötlich und rosefarben. In der Mitte der hellsten Nebelregion war von der Erde aus eine kleine dunkle Struktur zu erkennen, die dem Nebel seinen Zweitnamen Schlüssellochnebel beschert hatte. Richtung Northside schwang der Cygnus-Spiralarm herum. Weiter außen verliefen sich die Ausläufer des PerseusSpiralarms am galaktischen Rand, zwischen Sol und dem Galaktischen Zentrum erstreckte sich der Sagittarius-Spiralarm, und hoch über der galaktischen Hauptebene glitzerte der Kugelsternhaufen M 13. Dicht benachbart war ein weiterer Kugelsternhaufen zu erkennen: M 92. Ein gesondertes Holo zeigte den offenen Sternhaufen des Hayok-Sternenarchipels, 2139 Lichtjahre oberhalb der Hauptebene. Rund 415.000 Raumschiffe waren inzwischen beim Sternenfenster stationiert, das Gros mit 300.000 stellten die Arkoniden. 100.000 Posbi-Boxen kamen hinzu, den Rest hatte Terra abgestellt, dessen übrige Schiffe dem LFT-Systemschutz dienten - nicht zuletzt deshalb, weil der Konquestor des Reiches Tradom die Terraner als Hauptziel genannt hatte. Kommandant Abertin war nicht sicher, ob es zur Feindberührung kommen würde. Aber wenn doch, darf sich jeder Katamar auf einen heißen Tanz gefasst machen! * Privat-Log Tom Abertin, 29. Mai 1294 NGZ Redundanz und konsequente Modulbauweise sind das oberste Gebot. So kann sichergestellt werden, dass sich bei Weiterentwicklungen und neuen Forschungsergebnissen Altaggregate leicht durch neue ersetzen lassen. Ein weiterer Vorteil ist, dass bei einem solchen genormten Verfahren die in der TRAJAN eingesetzten Entwicklungen auch an anderer Stelle Verwendung finden können oder sich von der Organisation Taxit verkaufen lassen. Von der Konzeption her war der Raumer auf die Technologie des 35. Jahrhunderts zugeschnitten und im
optimalen Masse-Volumen-Verhältnis gestaltet worden. Unser Vorteil ist, dass die technische Entwicklung nicht stehen geblieben ist. Vieles ist heute deutlich leistungsfähiger, obwohl es in der Ausführung kleiner und kompakter gebaut werden kann. So lässt sich ein Nebeneinander arrangieren, an das in dieser Form vor 1500 Jahren nicht einmal gedacht werden konnte, nicht einmal mit siganesischer Mikrobauweise. Interessanter Randgedanke: Atlan ist als Lordadmiral der USO damals deutlich »genügsamer« im Verbrauch seiner Flaggschiffe gewesen! Sieben Raumer mit dem Namen IMPERATOR standen einer deutlich größeren Anzahl Einheiten gegenüber, die Perry Rhodan »verbrauchte«. Bis zur zwölften CREST reichte die Zählung im 30. Jahrhundert, dann kamen einige, deren Bezeichnungen mir jetzt nicht geläufig sind, schließlich die INTERSOLAR und - natürlich! - die MARCO POLO. Unsereins wäre da schon froh, wenn es endlich mit der TRAJAN weiterginge ... 5. 29. Dezember 1311 NGZ, 11.44 Uhr Monkey hatte mit der MERAT CLASTERAL die Position nahe des Bedden-Systems erreicht, während in der BASIS die Spezialisten auf den geheimen Rechner Zugriffen. Der Fernsteuerbetrieb funktionierte gleich beim ersten Durchlauf absolut einwandfrei. Dann wurde der Rechner dahin gehend manipuliert, dass er für die kommende Stunde den Empfang eines weiteren jener Container erwartete, wie sie über den Verteilerpunkt GaplonSektion an die unbekannte Gegenstation gingen. Der Container sollte nach kurzer Standzeit zusammen mit einigen anderen weitergeleitet werden. Monkey befand sich längst in dem Container. Er bot nicht allein dem Oxtorner ein Versteck, sondern in ihm steckten auch eine kleine Orterstation, Waffen, Schutzanzüge in verschiedener Ausstattung, ein Hypersender, ein Transmitter und die Arkonbombe. Hinzu kamen fünf TARA-V-UHs, einige kleine Geschütze, die in den Mantel des Containers montiert waren, und ein Paratronkonverter mit autarker Gravitraf-Speichereinheit. Die Mikropositronik von Monkeys Schutzanzuges vollzog den gründlichen Selbstcheck, Grünanzeigen erschienen in der Anzeigenleiste. Monkey musterte die auf der Helminnenseite eingeblendeten Daten und nickte zufrieden. Die maßgeblichen Funktionen des Lebenserhaltungs- und Versorgungssystems liefen weitgehend auf mechanischer, biologischer und chemischer Ebene ab. Bislang verlief alles exakt nach Plan. * Während die TRAJAN im Schutz ihres Antiortungsfeldes im Warteflug mit knapp halber Lichtgeschwindigkeit dahinraste, versuchte Gernot »Wiesel« Blume über CICEROS Koko-Komponente mit mehrfach variierten Eingangsdaten das voraussichtliche Ziel der Transmitterstrecke zu ermitteln. Neben einigen anderen wurde mehrfach der Planet Paricza im Punta-Pono-System genannt. Die normale Berechnungsmethode versagte, weil es schlicht und einfach keine genügende Datenbasis gab. Im Koko-Modus dagegen wurde schon die Assoziationskette Gaplon-Springer, Galactic Guardians, Trah Rogue, Spionage in Merkur-Alpha und prognostizierte Notwendigkeit zur Auswertung der Aagenfelt-Daten als ausreichend angesehen. Inwieweit diese Interpretation zutreffend war, interessierte zunächst weniger. Für Tom Abertin bot sie allerdings eine Handhabe, um Phase zwei der Operation Feuerblume gezielter angehen zu können: Planmäßig öffneten sich die Hangartore, und nacheinander glitten wie ein Perlenstrom die Beibootflottillen aus den hell erleuchteten Öffnungen hervor: fünfundzwanzig CERES-Kreuzer, fünfundzwanzig VESTA-Kreuzer sowie fünfzig Neo-Korvetten. Ihre Aufgabe war, die über kurz oder lang eingehenden Signale Monkeys anzupeilen und gleichzeitig zu versuchen, obwohl wenig aussichtsreich, den Transmittertransport anzumessen. Statt der weiträumigen Verteilung setzte Abertin nun auf die Koko-Interpretation und befahl eine gestreckte Verteilung mit der Vorzugsrichtung Punta-Pono-System. Tom Abertin rief die gespeicherten Daten auf. Punta-Pono: 17.292 Lichtjahre weit von der BASIS entfernt, befand sich die gelbe Sonne keineswegs in einer Gegend mit starker Besiedlung, sondern eher in einem abgeschiedenen Bereich der Milchstraßen-Southside, rund zweitausend Lichtjahre oberhalb der galaktischen Hauptebene. Paricza war der dritte von zehn Planeten, eine vor langer Zeit von Überschweren besiedelte 2,1-Gravos-Welt. Bis ins 35. Jahrhundert hatten sich die »Corun of Paricza« genannten Herrscher in dem als »Freihandelszone«
ausgewiesenen System stets nur um die eigenen Belange gekümmert; der Planet hatte in der besiedelten Galaxis zu den wichtigsten Umschlagplätzen für Rauschgift und Schmuggelware jeder Art gedient. Rings um die einzig maßgebliche Niederlassung, die Hauptstadt Magraz, waren von den Springernachkommen sieben Arenen errichtet worden, die der Austragung von mörderischen Kampfspielen gedient hatten. Dann hatte Leticron die Macht übernommen ... * Der gelbe Würfel wurde per Außentransmitter der MERAT abgestrahlt - und in der Frachtsektion der Springer empfangen. Um Fehlerquellen im Vorfeld auszuschalten, verzichtete Monkey auf jegliche Außenbeobachtung. Das war auch nicht notwendig, denn das Innere der Gaplon-Sektion war ja bekannt. Monkey nahm einen Entzerrungsschmerz wahr, noch einen, dann eine ganze Reihe. Es sah ganz so aus, als würde er über eine Transmitter-Relaisstrecke an sein unbekanntes Ziel befördert werden, möglicherweise über Tausende von Lichtjahren hinweg. Die Folge der Transmittertransporte endete für Monkey mit dem neunten Transit. Von einer Sekunde zur anderen verdoppelte eine Schwerkraft von 2,1 Gravos das Körpergewicht des Mannes. Für ihn war das kein Problem, als Oxtorner benötigte er weder Gravoabsorber noch Mikrogravitator, weil sich die Kompaktkonstitution seines Körpers automatisch darauf einstellte. Es könnte natürlich sein, dass der Container ebenso wie in der BASIS nur an einer neuen Station zwischengelagert wurde. Der Oxtorner, ansonsten alles andere als ein »Instinktmensch«, war sich jedoch sicher, dass er den Bestimmungsort erreicht hatte. Monkey spürte anhand diverser Erschütterungen, dass der Behälter transportiert wurde, und war in jeder Sekunde darauf vorbereitet, dass Überwachungsanlagen den gefälschten Container identifizierten. Der USO-Chef konnte aus seinem Versteck heraus in Sekundenbruchteilen den Kampf gegen wen auch immer aufnehmen. Die Geschütze im Inneren des Containers waren binnen einer Millisekunde über den Posyn-Rechner in Funktion zu nehmen. Die TARA-V-UHs hatten sämtliche Energieerzeuger abgeschaltet, konnten jedoch ebenfalls in kürzester Zeit »zum Leben« erwachen. Aber nichts geschah. Monkeys Hoffnung schien sich zu erfüllen. Wenn so viele Container an einen Adressaten gesandt wurden, öffnete man in der Regel nicht alle zugleich, sondern es kam selbst bei guter Logistik zu gewissen Standzeiten. Monkey tastete mit dem Mund nach dem Ende des Versorgungsschlauches und nahm ungerührt eine ausreichende Menge Flüssigkeit und Nahrungskonzentratbrei zu sich, den uralten Regeln von Kommandoeinsätzen folgend: Essen, trinken und schlafen, sobald es möglich war; wer wusste schon, wann es die nächste Gelegenheit gab, dem Körper Energie zuzuführen oder zu ruhen? * Nach einer Weile entschied sich der Oxtorner, mit maximaler Vorsicht die Anlagen der Außenbeobachtung in Betrieb zu nehmen. Zuerst öffneten sich die getarnten Blenden der Kameras, von außen natürlich containergelb und aus Sicherheitsgründen zuvor verschlossen: Der Container stand mit rund zwei Dutzend anderen in einem Lagerraum. Ringsum waren weder arbeitende Personen noch Roboter zu erkennen. Einige andere Container im Hintergrund waren geöffnet. Die hochwertigen Syntronik-Blöcke, die beim Heranzoomen zu erkennen waren, ließen nur einen Schluss zu: Wer immer diese Geräte benötigte, legte auf eine außergewöhnliche Rechenkapazität Wert. Monkey identifizierte anhand zahlreicher kleiner Merkmale Interkosmo-Schriftzeichen, Piktogramme, vertraute Formen der Aggregateblöcke - eine Örtlichkeit in einem Gebäude der Milchstraße. Die Containerhalle gehörte mit Sicherheit nicht zu einem Katamar. Das Gros der Einrichtungsgegenstände sah allerdings gegenüber dem galaktischen Durchschnitt überdimensioniert und extrem stabil aus. Der Planet, auf dem sich der USO-Chef befand, war eindeutig eine Hoch-G-Welt. Da anscheinend keine künstliche Schwerkraft wirkte, da die sichtbaren Gegenstände so stabil ausgelegt waren, rechnete Monkey damit, dass die Umgebung von Umweltangepassten oder von eingeborenen Extremweltlern bewohnt wurde. Die Sensoren des Containers meldeten keinerlei Überwachungsanlagen. Was für ein Lagerraum das immer sein mochte, er war nicht speziell gesichert. Monkeys Plan ging also auf. Mit aller gebotenen Vorsicht nahm der Oxtorner die Ortungsanlagen in Betrieb. Die Umgebung war voller Streustrahlung. Es schien, als befän den sich ringsum Tausende Anlagen in Betrieb, die im vier- und fünfdimensionalen Spektrum strahlten. Nicht wenige der Geräte gaben Emissionen in einem Bereich des Hyperspektrums ab, in dem auch die Aagenfelt-Barriere arbeitete.
Monkey merkte im selben Moment auf. Immerhin war es die Spionage zur Aagenfelt-Barriere gewesen, die ihn überhaupt an diesen Ort geführt hatte. Konnte es sein, dass hier mit Wellenformen experimentiert wurde, die denen der Aagenfelt-Barriere ähnelten? Im Zusammenhang mit den Syntronik-Blöcken drängte sich der Schluss fast von allein auf: Monkey befand sich in einem Forschungszentrum. Auf einer Extremwelt in der Milchstraße! Die Passivorter lieferten weitere Daten. Die einzelnen Messwerte ergaben bald ein präzises Ergebnis. Das Areal, auf dem sich das Forschungszentrum befand, war rund fünfundzwanzig Quadratkilometer groß. Der Gravitationswert von 2,1 Gravos war in der Milchstraße zwar nicht einmalig, traf jedoch nach Auskunft des Rechners im Container in dem in Frage kommenden Raumsektor auf nicht mehr als eine Hand voll bekannter Sauerstoffwelten zu. Die entscheidenden Hinweise ergaben sich jedoch auf ganz und gar profane Weise. Die vorab erstellten Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Koko-Interpretationen wurden unvermittelt bestätigt, als Normal- wie Hyperfunkempfänger Signale von Satelliten des Globalen Positionssystems wie auch die in automatischer Kennung der Galaktikumsvertretung empfingen, in denen der Planetenname eindeutig genannt wurde: Paricza! Am Nordpol verzeichnete die Datenbank der Container-Posyntronik eine Forschungsstation, die in ihrer Ausdehnung den von Monkey georteten Anlagen entsprach. Damit stand fest: Der Chef der USO hatte das Polare Forschungszentrum des dritten Planeten des Punta-Pono-Systems erreicht. »Bedient sich der Konquestor von Tradom der Hilfe der Überschweren?«, überlegte der Oxtorner halblaut. Dies stellte den USO-Chef vor Probleme. Seine selbst gestellte Aufgabe war nicht allein, den Stützpunkt auszukundschaften, zu vernichten oder - besser noch! - zu erobern. Er musste vor allem seine Position an die USO oder den TLD durchgeben. Und das wiederum war nicht so einfach, wenn sich der nächstgelegene Stützpunkt Tausende Lichtjahre entfernt befand. Der USO-Hypersender im Container war in seiner Spezifikation eigens auf Verwendungen dieser Art zugeschnitten. Die Gravitraf-Energiequelle war perfekt abgeschirmt. Die energetische Antenne ließ ultrakurze, extrem gebündelte Impulse zu, die praktisch keinerlei Streustrahlung in die Umgebung abgaben und überdies im UHF-Band arbeiteten. Monkey hatte wenig Hoffnung, dass seine gebündelten, ultrakurzen Impulse mit dem ersten Versuch den nächstgelegenen USO-Empfänger erreichten. Möglicherweise würde es einige tausend Versuche brauchen, bis ein Volltreffer gelang. Normalerweise konnten jede Sekunde ein paar hundert Impulse gesendet werden. In einer Forschungsstation aber war damit zu rechnen, dass eine zu intensive Funktätigkeit doch angemessen wurde. Monkey formulierte die Botschaft und setzte kurz entschlossen den Sender in Betrieb. Wenn alles glatt ging, würde einer der Impulse empfangen werden - vielleicht von einer TLD-Station - und an die USO weitergeleitet. Ein letzter Unsicherheitsfaktor kam noch hinzu. Soweit Monkey orten konnte, waren vom Äquator des Planeten Emissionen in einem normalen Maß wahrzunehmen. Dies bedeutete, dass der Kontrollposten des Galaktikums intakt und in Funktion war. Ob sich ein Katamar im Punta-Pono-System aufhielt, war nicht festzustellen. Ließ Trah Rogue die Daten seiner Spionagetätigkeit jedoch wirklich im Polaren Forschungszentrum auswerten, musste damit gerechnet werden, dass sich mindestens eines der Doppelrumpfschiffe im Ortungsschatten der Sonnenkorona verbarg. Die technischen Möglichkeiten eines solchen Katamars waren dem Oxtorner alles andere als bekannt. Er konnte nur hoffen, dass ein nach logischen Erwägungen höchstwahrscheinlich anwesender Katamar die Impulse seines Senders nicht auffing ... * TRAJAN: 14.58 Uhr »Nachricht von Arina Enquist, Sir: T-CE-Elf hat einen verstümmelten Funkspruch auf USO-Frequenz aufgefangen und über die Kreuzer-Relaiskette weitergeleitet. Weder Absender noch Inhalt lassen sich mit hundertprozentiger Sicherheit bestimmen. Die syntronische Auswertung ergibt jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich um eine Nachricht Monkeys handelt - und dass er sich tatsächlich auf dem Planeten Paricza befindet.« »Na also!« Gernot Blumes Stimme klang zufrieden. »Also direkt zum Punta-Pono-System fliegen?«, überlegte Tom Abertin halblaut. »Mit ÜL-Faktor siebzig Millionen eine Überlichtetappe von etwa hundertdreißig Minuten Dauer«, sagte die Zweite Emotionautin Laney TeHaan. »Also los!« Mit 2,2 Lichtjahren pro Sekunde strebte die TRAJAN kurz darauf vom Sektor Bedden Richtung Südwestquadrant der Milchstraße. »Außerhalb der potenziellen Orterreichweite Pariczas mit null Komma fünf LG in Sublichtflug übergehen!«, befahl Abertin nach kurzem Überlegen. »Wir schwenken exakt auf jene Linie zwischen dem Planeten und dem
Kreuzer ein, der die verstümmelte Nachricht empfangen hat. Die übrigen Kreuzer und Korvetten bleiben in Bereitschaft und sollen sich an der Kreuzpeilung beteiligen.« »Verstanden.« * Zwischenspiel Trah Rogue gewann immer mehr den Eindruck, dass er mit dem Polaren Forschungszentrum von Paricza eine günstige Wahl getroffen hatte, auch wenn am 18. Dezember 1311 NGZ eine schlechte Nachricht den Konquestor von Tradom erreicht hatte: Sein Spionagering auf dem solaren Planeten Merkur war offenbar enttarnt worden. Sämtliche Anlagen hatten sich jedoch planmäßig selbst vernichtet, alle Beeinflussten in Folge des posthypnotischen Blocks selbst umgebracht. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass eine direkte Spur vom Merkur nach Paricza führte. Leider war damit der Datenstrom versiegt. Die Wissenschaftler auf Paricza zeigten sich jedoch zuversichtlich: Sie hatten auch ohne weitere Zufuhr inzwischen genügend Informationen gesammelt, um eine schwache Stelle in der Konstruktion der AagenfeltBarriere ausfindig zu machen. Immerhin stand nicht allein das technische Wissen der Überschweren zur Verfügung, sondern auch das der AGLAZAR-Schlachtschiffe. Der Konquestor von Tradom musste also nur auf irgendeine Art von Durchbruch warten ... Der dritte Planet des Punta-Pono-Systems war noch immer eine weitestgehend verlassene Welt. Ein kleiner Kontrollposten des Galaktikums überwachte den Planeten, da die von ihm ausgesprochene 200-jährige Verbannungsfrist der Überschweren noch nicht abgelaufen ist. Allerdings gab es diverse Ausnahmegenehmigungen. Die Behörden des Galaktikums ließen auf inoffizieller Ebene gewisse Nutzungen der Infrastruktur, die auf den Überschweren-Welten zurückgeblieben war, durch die ehemaligen Besitzer zu. Dies als Teil einer Strategie, den Überschweren in Fornax und NGC 6822 einen Weg zurück in die Völkergemeinschaft der Milchstraße anzudeuten. So durften die Überschweren zum Beispiel ein medizinisches Forschungszentrum nutzen, ebenso eine Fabrik für syntronische, positronische und Hybrid-Schaltelemente. Die Demontage bestehender Anlagen durch die rechtmäßigen Eigentümer war jederzeit zulässig; eine Option, die immer wieder von Überschweren-Kaumern genutzt wurde. Demontierte Einrichtungen konnten dann verkauft, falls es Interessenten gab, oder an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Die meisten per Genehmigung genutzten Anlagen befanden sich am Äquator; dort, wo in der weitgehend verlassenen Hauptstadt Magraz auch der Kontrollposten des Galaktikums eingerichtet war. Insgesamt lebten dort nicht mehr als rund zehntausend Überschwere und einige Springer. Das Polare Forschungszentrum jedoch arbeitete weit entfernt von der Kontrollstelle des Galaktikums, nahe dem unwirtlichen Nordpol des Planeten - was man bei einer Extremwelt so als »unwirtlich« bezeichnete ... Hier fand kaum einmal eine Kontrolle statt. Denn erstens war der Posten des Galaktikums weit entfernt, zweitens handelte es sich nicht um eine militärische Einrichtung. Forschung war den Überschweren auf Paricza eindeutig erlaubt. Mittlerweile bevölkerte eine Besatzung von mehr als tausend Überschweren und Springern die Anlagen: Seit Wochen wurde das Polare Forschungszentrum durch Transmitterlieferungen insgeheim aufgerüstet. In den Containern, die über eine Transmitter-Relaisstrecke Paricza erreichten, befanden sich tonnenweise höchstwertige Syntroniken, Hochenergie-Simulatortanks und dergleichen mehr. Aber auch Gerätschaften aus den AGLAZARSchiffen waren vereinzelt dabei. Das alles geschah quasi unter den Augen des Kontrollpostens - bislang völlig unbemerkt. Selbst eine flüchtige Kontrolle hätte das Zentrum überstanden, denn von militärischer Aufrüstung konnte keine Rede sein. Das alles war strikt legal - sah man davon ab, dass es sich beim Gegenstand der Forschungen um die terranische AagenfeltBarriere handelte ... * Trah Rogue hatte in den Bürosektionen seine Unterkunft eingerichtet. Dort stand auch jener Sphärenrechner, den er aus einem der AGLAZARE mitgebracht hatte. Er war mit den Syntrons des Zentrums vernetzt, protokollierte sämtliche Ergebnisse und ergänzte an geeigneten Stellen das Wissen der Galaktiker durch Tradom-Informationen. Regelmäßig sendete er per gerafften und gebündelten Impuls eine Synopsis an den am nächsten stationierten
AGLAZAR - für den Fall, dass es auf Paricza doch Probleme geben sollte. Der Konquestor von Tradom hielt sich die meiste Zeit persönlich in dem Stützpunkt auf, um die Forscher zu überwachen. Seine wichtigste Unterstützung neben den Gerätschaften, die er aus den Schlachtschiffen mitgebracht hatte, war einer von zwei Rudimentsoldaten. Trah Rogue hatte die beiden aus seinen AGLAZARSchiffen für das Unternehmen abgezogen. Dies schränkte zwar die Einsatzbereitschaft zweier Schlachtschiffe stark ein; doch es war für das Gelingen des Forschungsvorhabens essentiell, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zu operieren. Und dazu gehörten auch die starken suggestiven Kräfte der Rudimentsoldaten. Der andere agierte in der BASIS, unter dem Befehl eines Di'Valenters, der dort Rogues »Interessen wahrte«: ein Geschöpf mit der äußeren Erscheinung eines Gehirns, so groß wie eine terranische Melone, das in einer transparenten Kugel schwamm. Das »Gehäuse« des Rudimentsoldaten ruhte meist auf einem neunzig Zentimeter hohen silbernen Sockel, dem »Heim«, in dessen Innerem zahlreiche miniaturisierte Anlagen installiert waren, vor allem zur Ernährung des Soldaten. Ein Rudimentsoldat auf seinem Sockel konnte zu einem gefährlichen Gegner werden, nicht allein durch seine starken paranormalen Kräfte, sondern auch durchaus als physischer Angreifer. Das Gehäuse konnte allerdings auch vom Heim getrennt werden. Es war dann möglich, den Rudimentsoldaten wie einen »Rucksack« zu transportieren und seine Kräfte mobil zu nutzen - wenngleich nur bis zu acht Stunden lang. Danach benötigte der Soldat Kontakt zu seinem Nährtank, der im Heim eingelassen war. * Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 13. Jahrhunderts NGZ; Appendix XXI, Anekdoten und Marginalien ... soll angeblich ein gewisser Peter Müller kurz nach der Gründung der Universität von Terrania diverse Essays zu allen möglichen Themen abgeliefert haben, die meist höchst komplex formuliert und sehr umfangreich waren. Als sein großes Pech erwies sich, dass offenbar niemand außer ihm die Inhalte verstand und sie deshalb und vor allem wegen des Umfangs ignoriert wurden. Das Phänomen ist seither als das Müllersche Paradoxon bekannt: Je größer die Seitenzahl ist und je detaillierter die Darstellung eines Zusammenhangs ausfällt, desto geringer ist die Beachtung ~ eine auch als kontraproduktive Abhängigkeit umschriebene Reaktion ... 6. 29. Dezember 1311 NGZ, 15.11 Uhr Der Druckhelm glitt blitzschnell aus der Falthalterung und rastete im Halsverschlussring ein. Atemgasgemisch zischte in die kugelförmig aufgeblähte Transparenz-Umhüllung. Es war eine Helmausführung, die sich in Nackenhöhe zu einem wenig störanfälligen Wulst einfalten konnte. Im oberen Bereich der Helmfront erschienen auf der Kontrollleiste des Innenhelmboards Symbole. Der Aggregattornister glich dem arkonidischen TRUV - »Transport- und Verteidigungs-System« -, das zwar auf bewährte SERUN-Grundlagen zurückgriff, jedoch auf die SERUN-typische Auslegungen verzichtete und von der kleinen Positronik beherrscht wurde. Nicht so perfekt, aber völlig ausreichend. Kernstück der massiven Tragebox waren leistungsfähige Mikro-Gravitrafspeicher von enormer Kapazität im Hochenergiebereich. Und die Paratronschirm-Projektoren mit dreifacher Schalenstaffelung boten ein hohes Maß an Sicherheit. Deflektor, Anti-Ortungsgeräte und Handwaffen waren die weitere obligatorische Ausstattung. Per Fernsteuerung hatte Monkey die Möglichkeit, entweder den Containersender auf volle Leistung zu schalten, die TARA-Roboter zu Hilfe zu rufen - oder die Arkonbombe zu zünden. Es gelang dem Oxtorner, unerkannt den Container zu verlassen. Angesicht der massenhaft vorhandenen Streustrahlungen rechnete Monkey sich beste Chancen aus, eine ganze Weile unbemerkt das Forschungszentrum nach Hinweisen zu durchforsten, die er in irgendeiner Weise verwerten konnte - insbesondere nach Hinweisen auf Trah Rogue. * Monkey hatte gewartet, bis sich das Schott zum Lagerraum zum ersten Mal öffnete. Ein Überschwerer betrat den Saal, der Kleidung nach zu urteilen, ein Wissenschaftler. Der Mann inspizierte einen der Syntronblöcke - und machte sich daran, den Saal wieder zu verlassen. Auch diesmal gab es kein Problem mit Monkeys Container.
Der USO-Chef schlüpfte unsichtbar mit durch das Tor, als der gedrungene Umweltangepasste auf die andere Seite trat, und erreichte das Innere des Forschungszentrums. Wie lange er sich in dieser Umgebung unbemerkt bewegen konnte, blieb offen. Überschwere verfügten über sehr viel feinere Sinne und eine sehr viel höhere Kampfkraft als beispielsweise ein Terraner. Aber alles ging glatt. Monkey konnte in diversen Räumlichkeiten des Forschungszentrums verfolgen, wie Wissenschafter an einem Forschungsgegenstand arbeiteten, der mit nichts anderem als der Aagenfelt-Barriere identisch war. Schließlich stieß der Oxtorner auf einen Sektor der Station, von wo seine Geräte ungewöhnliche Impulse wahrnahmen. Es handelte sich um die Unterkunft des Leiters des Forschungszentrums. Was immer es war, was sich dem USO-Chef hier »darbot« - es war keine galaktische Technik. Es musste sich um eine erste Spur von Trah Rogue handeln. * Monkey scannte mit Hilfe seiner Geräte ein Schott der Station, das mit einer ausgesprochen wirksamen Barriere gegen jedwedes unbefugte Eindringen ausgestattet war. Der Oxtorner behalf sich jedoch mit einer höchst unkonventionellen Lösung: Er stieg über eine Nottreppe in das darunter liegende Stockwerk, fand einen Zugang in das Wartungsdeck darüber - und erreichte über diesen Umweg die gesicherte Sektion. Die Kabinensektion war tatsächlich bewohnt. Doch der Bewohner schien abwesend zu sein. Die ursprüngliche Einrichtung, auf die Bedürfnisse eines Überschweren abgestimmt, war in manchen Details modifiziert worden. Von Ausnahmen wie Leticron abgesehen, wurden Überschwere - also auch die Pariczaner - selten größer als 1,5 Meter. Monkey glaubte erkennen zu können, dass ein deutlich größeres Wesen diese Unterkunft bewohnte. Trah Rogue? Einen Beweis zu finden schien zunächst schwierig bis unmöglich. Monkey kam jedoch erneut auf erstaunlich profane Art zum Ziel. In der Kabinenflucht gab es ein Lager, auf dem sich in den Falten Büschel von Haaren abgesetzt hatten - exakt in der richtigen Farbe und Länge. Monkey kannte diese Details selbstverständlich aus den Aufzeichnungen von Rogues Auftritt auf Terra in der Solaren Residenz. Trah Rogue! Der zweite wichtige Fund in der Kabinenflucht stimmte bis auf den Millimeter mit dem wichtigen Fund in der BASIS überein: Es handelte sich um einen neunzig Zentimeter hohen silbernen Sockel, in dessen Innerem Monkey zahlreiche miniaturisierte Anlagen in großer Packungsdichte ortete. In der BASIS hatte sich auf einem solchen Sockel ein Gehirn in einer Art »Aquariumskugel« befunden! Ein Gehirn, das einige typische Merkmale eines menschlichen Gehirns aufwies - und zudem über paranormale Kräfte zu verfügen schien. Der Sockel hier war leer. Falls es auch auf Paricza ein solches Gehirn gab, befand es sich offenbar an einem anderen Ort. Fragte sich nur: Gebot Trah Rogue über das Gehirn mit diesen seltsamen Kräften? Oder war der Konquestor der Befehlsempfänger? Konnte es sein, dass es nur ein Gehirn gab - nämlich das schon in der BASIS entdeckte -, das hin und wieder seinen Aufenthaltsort wechselte und überall einen solchen Sockel vorfand? Möglichweise als »Basisstation« für Ernährung und Versorgung? Monkey machte in der Unterkunft einen dritten Fund: einen Raum, der allein einem einzigen Thema gewidmet war. Das war so ungewöhnlich, dass es selbst Monkey für einen Moment den Atem verschlug. In dem Raum fanden sich zahlreiche Holos des Pilzdoms von Trokan - Aufnahmen, die zweifellos aus öffentlichen Datenspeichern stammten. Sämtliche Details der Wachforts, die den Platz umgaben, sämtliche Details der Herreach-Stadt Moond waren so liebevoll und detailgetreu dargestellt, als handele es sich um ein Urlaubsziel. Der Tempelplatz, ein viereinhalb Kilometer großes Quadrat aus gelblichen, schwefelhaltigen Pflastersteinen. Wachstationen und Energieprojektoren. Über dem Platz wölbte sich ein intensiv blauer Paratronschirm. Zahlreiche der Einzelheiten waren nach Monkeys Kenntnis hoch geheim, stammten keinesfalls aus frei zugänglichen Quellen. War Trah Rogue über seine Mittelsleute auf dem Merkur an diese Aufnahmen gekommen? Jedenfalls musste er eine Menge Arbeit darauf verwendet haben, in den Besitz dieser Daten zu kommen. Aber ... welches Interesse hat er an der Brücke in die Unendlichkeit? Immerhin hatte der Konquestor bei seinem ersten Auftritt selbst verkündet, dass das Reich Tradom sich mit ihr auszukennen schien und bekannt war, dass sie derzeit nicht passiert werden konnte ... Was also will Trah Rogue mit diesem Zimmer erreichen? Einfach nur der Brücke und damit seiner Heimat nahe sein? *
Fund Nummer vier schließlich war vielleicht der seltsamste: Im Zentrum der Unterkunft stieß der Oxtorner auf. ein Artefakt, dessen Verwendungszeck auf den ersten Blick nicht ersichtlich war. Es handelte sich um eine kugelförmige Sphäre von einem halben Meter Durchmesser, die über einer Art Sockel schwebte. Die Kugel wurde durch ein feines Muster aus Rauten optisch begrenzt, wobei jede Linie nur einen Zehntelmillimeter dünn und allein deshalb sichtbar war, weil sie weißes Licht emittierte. Das Innere der Kugel schien auf den ersten Blick leer - bis ein wahres Feuerwerk aus Lichteffekten ein verwirrendes Muster bildete, oszillierend, manches Mal untergliedert in deutlich erkennbare Abschnitte erhöhter Aktivität, manchmal sektionsweise brachliegend. Module innerhalb der Kugel aktivierten sich optisch sichtbar; häufig nur so kurz, dass Monkey die ReplayFunktion seiner Kunstaugen zu Rate ziehen musste. Die Messwerte, die er ermittelte, ließen auf einen Computer einer fremden Bauart schließen. Monkey erkannte, dass er es bei dem Sockel mit einer Ein- und Ausgabe-Einheit mit Sensortasten zu tun hatte. Handelte es sich um einen Rechner aus einem der Katamare? Jedenfalls konnte der Oxtorner dem Computer im wahrsten Sinn des Wortes beim Rechnen zusehen. Ein solches System ließ möglicherweise sogar eine optische Fehlerdiagnose zu - sofern die Rechengeschwindigkeit nicht ohnehin überlichtschnell war wie beim Syntron der Galaktiker. »Fragt sich nur, was mit dem Gerät anzufangen ist ...« Jeglicher Eingriff war mit enormen Risiken verbunden. Auf der anderen Seite stellte der Computer eine ungeheure Versuchung dar, geradezu der Traum eines jeden Agenten, ihn zu knacken. Der seltsame »Lichtrechner« in der Kugelsphäre war über die Ein- und Ausgabe-Einheit anscheinend drahtlos mit den Computern des Forschungszentrums vernetzt. Bestand diese Vernetzung, musste es ein gemeinsames Protokoll geben - also gemeinsame »Umgangsformen«, die für beide Seiten verbindlich festgelegt waren -, damit die Rechner miteinander kommunizieren konnten. Der Oxtorner entschied, das Risiko einzugehen. Obwohl er auf einen solchen Fall nicht vorbereitet war, wollte er versuchen, sich Zugang zu den gespeicherten Daten zu verschaffen. Der potenzielle Lohn war so enorm, dass Monkey einen unterlassenen Versuch nicht verantworten konnte: Was, wenn der Computer Daten über die Katamare, über ihre Waffen, über die Invasionspläne des Reiches Tradom enthielt? Monkey begann, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mikrowerkzeug einen Zugang zu dem Rechner zu suchen. Angesichts der vollständig unbekannten Rechnerbauweise, angesichts unbekannter Kodes und der »geringen« Leistungsfähigkeit seines Anzugrechners bot sich dem USO-Chef eine klassische »Hop oder topp«Wahl. Er riskierte alles ... * ... und erkannte im selben Sekundenbruchteil, dass er die falsche Wahl getroffen hatte: Der Zugriff auf den seltsamen Rechner in der Lichtkugel schlug fehl. Der USO-Chef aktivierte im selben Moment seinen Paratronschirm: eine Millisekunde schneller, als die automatischen Waffen schießen konnten, die sich auf ihn richteten. Der Oxtorner setzte zu einem gewaltigen Sprung Richtung Kabinentür an. Die Wucht des Sprungs würde mit einiger Sicherheit die Tür zertrümmern und ihn auf den Korridor hinausbefördern. Noch im Flug formte Monkey die linke Hand zu einer Hohlkugel und ... Die erste Salve aus den Automatwaffen traf ihn mitten im Flug und überlastete den Paratron. Grelle Funken hüllten das Feld ein, das sich augenblicklich mit schwarzen Strukturrissen überzog und dann zusammenbrach. Die zweite Salve erwischte ihn als Streifschuss, breit gestreut, und vernichtete fast alles - Ausrüstung, Schutzanzug - bis auf seinen oxtornischen Körper. In diesem Sekundenbruchteil durchbrach Monkey mit seiner Masse - rund 750 Kilogramm bei einem Gravo die Tür und rollte sich seitwärts ab, um nicht von noch einer Salve getroffen zu werden. Als er sich aufrichtete, lösten sich Fetzen des Schutzanzugs, und die Reste seiner Ausrüstung rieselten als grauweißer Puder zu Boden. Nur die oxtornische Widerstandskraft hatte ihm das Leben gerettet. Geblieben waren ihm allein die Augen aus SAC-Stahl und der Gegenstand, der klein genug war, sich in seiner Hand bergen zu lassen: der Kodegeber, mit dessen Hilfe er seine Anlagen im Container fernsteuerte. Der Chef der USO überlegte nicht einmal eine Sekunde lang. Jeglicher Zugriff auf Trah Rogue blieb ihm unter diesen Umständen verwehrt. Auch an die Katamare kam er nicht heran. Monkey musste damit rechnen, dass in
einem wissenschaftlichen Forschungsstützpunkt die einzelnen Sektionen durch Schutzschirme voneinander separiert werden konnten. Wurde diese Option von der Besatzung des Forschungszentrums gewählt, erlosch auch Monkeys Funkverbindung zum Container. Die TARA-V-UHs nutzten Monkey unter den gegebenen Umständen gar nichts. Sie konnten eine Menge Schaden anrichten, doch in einem offenen Kampf würden sie gegen Überschwere und deren Maschinen über kurz oder lang den Kürzeren ziehen. Monkey blieb also nur eine sinnvolle Handlungsweise übrig: Er sendete den Zündimpuls - und im gleichen Augenblick erschütterte weniger als einen halben Kilometer entfernt eine heftige Explosion das Forschungszentrum. Der Atombrand begann! Sämtliche Forschungen zur Aagenfelt-Barriere waren damit vorerst beendet. Das war immerhin ein Erfolg, wenngleich weniger, als Monkey hatte erreichen wollen - andererseits hatte er im Vorfeld nicht wissen können, was ihn im Detail erwarten würde. Der Oxtorner wusste, dass ihm nur wenig Zeit blieb, sich in Sicherheit zu bringen. In wenigen Minuten würde der Brand seinen Standort erreicht haben. Bis er sich mit seiner mutmaßlichen Höchstgeschwindigkeit - abhängig von der frei wählbaren Ordnungszahl jener Elemente, die von dem Brand erfasst werden sollten - von einigen hundert Kilometern pro Stunde ausdehnte, verging dagegen vielleicht noch eine Stunde. Monkey rechnete damit, dass der Atombrand in spätestens acht bis zehn Stunden den Planeten Paricza zerbrechen lassen würde. Er musste also erstens die Geschwindigkeit des Brandes übertreffen und zweitens binnen acht Stunden Paricza verlassen haben. Dasselbe galt für die Überschweren in der Station - und hoffentlich auch für Trah Rogue. Vielleicht, so hoffte Monkey, hatte er Glück, und er hatte bereits mit der Explosion der Bombe den Konquestor in die Luft gejagt. Sein Gefühl jedoch sagte ihm etwas anderes: Der Affe lebt! * TRAJAN: 17.24 Uhr »Die Funkimpulse bleiben plötzlich aus«, meldete Dalia aufgeregt. »Der letzte Impuls wurde offensichtlich nur noch halb abgestrahlt, brach mitten in der Sendung ab.« Nach der Ankunft nahe dem Punta-Pono-System waren die Signale einwandfrei empfangen worden. Aus den Angaben war eindeutig hervorgegangen, dass Monkey sich im Polaren Forschungszentrum befand, allerdings auf Erkundung gegangen war und weitere Anweisungen später erteilen wollte ... Tom Abertin wusste, dass er eine Entscheidung auf Leben und Tod zu fällen hatte: Entweder die TRAJAN wartete ab, bis von Monkey eine neue Nachricht kam - so wie von ihrem Chef angewiesen. Schließlich konnte es durchaus sein, dass das unvermutete Auftauchen des Ultraschlachtschiffs Monkey in Gefahr brachte. Denkbar auch, dass die TRAJAN bei einem verfrühten Auftauchen mit einem Mal allein gegen sieben Katamare stand. Oder aber die Tatsache, dass die Funkimpulse abgebrochen waren, musste als Zeichen für Schwierigkeiten betrachtet werden. »In dem Fall könnte jede Sekunde des Zögerns Monkey das Leben kosten.« Tom Abertin atmete tief ein und aus, reckte die Schultern und vertraute seinem Instinkt. »Volle Gefechtsbereitschaft! Kurs Punta-Pono-System. Wiedereintritt so nahe wie nur möglich bei Paricza!« Ganz oder gar nicht - er hatte sich entschieden einzugreifen, also musste er es mit aller denkbaren Konsequenz tun. »Kurs bestätigt. Wiedereintritt nahe Paricza.« »Verschlusszustand grün.« »Transformtürme sind ausgefahren. Wirkungskörper gleiten in Entstofflichungs-Reaktionszonen. Absorptionsschirm baut auf, steht. Zielerfassung klar, Vollprogramm-Befugnis gegeben. Defensivsysteme fahren auf Maximum. Schaltung Strukturöffnungen steht. Klar für Taktfolgen-Beschuss ...« Im nächsten Augenblick beschleunigten die gewaltigen Triebwerke den 2500-Meter-Riesen mit 1050 Kilometern pro Sekundenquadrat. Der Metagrav-Vortex entstand und riss die TRAJAN, während gleichzeitig die schützende Grigoroff-Hohlblase entstand, für wenige Sekunden in den Hyperraum. * Monkey hatte nicht die Zeit, im Forschungszentrum nach einem Transmitter zu suchen. Alles ging viel zu schnell, als dass Zeit zum Atmen blieb. Schutzanzüge waren bestimmt vorhanden, wenngleich als Ausführungen für Überschwere. Ob es separate Fluggeräte und Gravo-Paks gab, war nicht sicher.
Gemeinsam mit einer Gruppe von Überschweren stürmte der Oxtorner ins Freie. Sie sahen ihn - immerhin war sein Deflektor mit der restlichen Ausrüstung vernichtet worden -, aber sie wollten ihr Leben retten, nicht gegen ihn kämpfen. Monkey empfand keine Trauer und kein Mitleid, denn sie beteiligten sich an einer Aktion, die bei ihrem Gelingen unermessliches Leid über Terra und - danach - über die gesamte Milchstraße bringen konnte. Sie hatten zudem alle die Chance, ihr Leben zu retten; er ging davon aus, dass es so gut wie keine »Zivilisten« auf dem offiziell unbewohnten Planeten gab. Der Oxtorner war kein Moralist. Er war durchaus imstande, eine Entscheidung dieser Art ohne hinderliches Zögern zu treffen. Im Gegensatz zu vielen seiner Spezialisten - was im Nachhinein Monkeys persönlichen Einsatz rechtfertigte. Auf einem weitläufigen Parkplatz standen einige Dutzend Gleiter. Es waren bei weitem nicht genug für alle. Die Überschweren kämpften um die Plätze - während der Atombrand nur mehr eine halbe Minute entfernt sein konnte. Monkey hatte trotz seiner körperlichen Überlegenheit nicht die Absicht, einen der Gleiter zu besteigen. Schon deshalb nicht, weil ihm Trah Rogue nicht aus dem Sinn ging: Was, wenn der Konquestor lebt? Wenn er trotz der Explosion über Machtmittel verfügt? Der Oxtorner rannte an den Gleitern vorbei. Selbst wenn der eigentliche Atombrand in dem Ascheregen und dem Explosionspilz der ersten Sekunden noch nicht zu sehen war, konnte die Wirkung nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bald schon würde der Brand hinter ihm als kilometerhohe Wand aufragen. Die »Zivilisation« befand sich am Äquator - mit mehr als ausreichend Reaktionszeit für eine Evakuierung; die paar tausend Leute ... Er dagegen saß am Pol fest. Zu Fuß konnte selbst ein Oxtorner diese Strecke nicht schnell genug zurücklegen. Monkeys nicht ganz unberechtigte Hoffnung war natürlich Oberst Tom Abertin mit der TRAJAN: Der Atombrand konnte nicht unbemerkt bleiben, ebenfalls nicht der Ausfall des Positionssenders. Schätzte er Abertin richtig ein und waren alle Umstände günstig, befand sich das einzig gefechtstaugliche Ultraschlachtschiff der Milchstraße bereits im Anflug ... * Zwischenspiel Trah Rogue trug den Rudimentsoldaten auf den Rücken geschnallt, während er sich über die Fortschritte der Wissenschaftler in Kenntnis setzen ließ. Wie üblich überspielte Rogue die vorliegenden Ergebnisse in einen transportablen Speicher, den er praktisch ständig mit sich führte - eine reine Vorsichtsmaßnahme. Rogue wollte die Erkenntnisse bei sich haben, denn er traute niemandem. Nicht einmal in Anwesenheit des Rudimentsoldaten. Plötzlich erreichte ein lautloser Alarm den Konquestor: Etwa ... ein Eindringling? Trah Rogue war von der Explosion beinahe drei Kilometer entfernt, in einer der entlegensten Kuppeln des Forschungszentrums, als es geschah. Praktisch im selben Augenblick erreichte ihn eine Meldung per Funk. Ein Di'Valenter meldete: »Mit der Explosion ist ein Atombrand ausgelöst worden!« Rogue benötigte kaum Reaktionszeit: »Peilt meinen Standort an und holt mich ab! Sofort!« Jemand hatte diese Explosion gezielt ausgelöst und ... Der Konquestor begriff sofort, dass die Aktion mit dem Rückschlag vom Merkur zusammenhängen musste. Eine Aktion von USO oder TLD! Augenblicke später löste sich aus seiner Tarnung in der Polkappe ein Beiboot; ein 110 Meter langes Schiff mit dem typischen Doppelrumpf der Tradom-Kriegsflotte. Rogue wartete mit dem Rudimentsoldaten auf dem Rücken regungslos ab und wurde von dem Beiboot an Bord genommen, bevor ihm der Atombrand gefährlich werden konnte. * USO oder TLD? - Der Gedanke ließ ihn nicht los. Wer immer an dem Desaster schuld war, das den Konquestor immerhin ein gut ausgerüstetes Forschungszentrum und eine Menge Zeit, vielleicht auch mehr kosten würde, er konnte sich durchaus unter den Fliehenden befinden. In einem dieser Gleiter? »Eröffnet das Feuer auf sämtliche Flüchtlinge!« Binnen weniger Augenblicke war keiner der Gleiter mehr übrig. Selbstverständlich dachte Rogue auch daran, dass der Schuldige sich per Transmitter zum Äquator abgesetzt haben könnte. Der Konquestor von Tradom wollte Weisung erteilen, auch die Evakuierungsvorbereitungen am Kontrollposten des Galaktikums mit einem
tödlichen Schlag zu beenden ... »Ortung! Wir messen ein gigantisches Raumfahrzeug an - eine Kugel von zweitausendfünfhundert Metern Durchmesser! Die Schutzschirme erreichen einen unglaublichen Wert. Stärker als alle bislang beobachteten Parameter!« Trah Rogue schob seine Rachegedanken binnen eines Atemzugs beiseite. Das Risiko, dem mysteriösen Riesen nicht gewachsen zu sein, war ihm zu groß. »Fluchtkurs! Befehl an den AGLAZAR in der Korona: Greift die Riesenkugel an!« * Privat-Log Tom Abertin, 1. Januar 1305 NGZ Gedanken an Carmo: Auch ohne die heutige Ernennung zum ersten und einzigen Oberst der USO war schon lange klar, dass ich nie in Dads Fußstapfen treten würde. USO-Spezialist ist man auf Lebenszeit! Er hat es sich nie anmerken lassen, aber ich bin sicher, dass er zutiefst enttäuscht war, weil ich Carmo II den Rücken kehrte. Wundert mich, dass mich unser »Familienpatriarch« nicht komplett verstoßen hat... Ach Carmo ... Das rötliche Licht der G5-Sonne vermisse ich doch etwas. Vor allem aber den gleißenden Nachthimmel, schließlich befindet sich das Dreiplanetensystem im Bereich des äußeren Zentrumsringes nicht weit entfernt von den damaligen Grenzen der Zentralgalaktischen Union. Dieses unglaublich dichte Funkeln, weil die Sterne so gedrängt stehen. Wenige Jahre nach der Sekundärbesiedlung durch Rumaler, dem Solaren Imperium zwar freundlich gesinnt, aber nicht dazugehörend, wurde mein Heimatplanet von der - genau genommen bis heute nachwirkenden Katastrophe getroffen: Am 14. Februar 2842 kam es durch das in der alten USO »Suddenly-Effekt« genannte, vom »Grauen« mittels eines Situationstransmitters verursachte Phänomen zur Materialisation gewaltiger Gesteinsmassen auf dem Nordkontinent Gazzara. Zalsur und das Meer, das Zalsur von Trepanna trennt, wurden von der zweiten Materialisationswelle am 17. Februar getroffen. Das nördliche Drittel Gazzaras war schließlich neunhundert Meter dick von Schutt bedeckt! Von den gigantischen Massen förmlich bombardiert, verlangsamte sich die Eigenrotation des Planeten infolge des ständig wachsenden Trägheitsmoments. Hinzukam, dass sich der Drehimpuls der Felsmassen zu dem Eigendrehimpuls von Carmo II addierte und die Verschiebung des Drehimpulsvektors verursachte: Die Rotationsachse kippte ab! Das und die übrigen Verheerungen wirkten sich auf die ganze Welt aus. Gewaltige Vulkane, Beben, zweihundert und mehr Meter hohe Springfluten, die spätere Abkühlung, weil aufgeschleuderte Staubmassen den ganzen Planeten einhüllten ... USO-Schiffe konnten am 18. Februar 2842 siebzig Prozent der Siedler retten, später wurde ein aufwändiges Hilfsprogramm aufgestellt. Unbewusst mag dieser Hintergrund bei meiner Entscheidung für die USO eine Rolle gespielt haben. Bis zur erneuten Besiedlung von Carmo II im Jahr 255 NGZ, abermals durch Rumaler, vergingen jedoch rund tausend Jahre, und es waren die vom Planeten Roulawan im Argnos-System stammenden Gesteinsmassen, die meiner Familie den Abbau leicht zugänglicher Edelmetalle und -steine ermöglichten ... 7. 29. Dezember 1311 NGZ, 17.24 Uhr Tom Abertin war sich darüber im Klaren, dass die TRAJAN durchaus in eine Todesfalle fliegen konnte. Befanden sich in dem Punta-Pono-System alle sieben Katamare, würde selbst der hochgerüstete Ultrariese nicht den Schimmer einer Chance haben. Bei ihrer Ankunft jedoch stellte sich die Sachlage völlig anders dar. Von Katamaren war nichts zu sehen, es gab nicht einmal Hinweise. Praktisch auf den ersten Blick zauberten die Ortungsspezialisten dafür das Abbild eines soeben ausbrechenden und sich vom Nordpol her ausbreitenden Atombrandes auf die Holos. Die Arkonbombe, die gezündet worden war, war ein wichtiger Hinweis auf Monkeys Tätigkeit. »Der Chef muss noch am Leben sein«, sagte Abertin mit rauer Stimme. »Da er jedoch weder einen Transmitter benutzt hat noch sonst ein Lebenszeichen von sich gibt, müssen wir davon ausgehen, dass er sich noch in der Nähe der Brandzone aufhält. In diesem Fall ist die TRAJAN vielleicht seine einzige Chance ...« »Hundertzehn Meter langer Doppelkörper, ein Katamar-Beiboot«, meldete Sevia, die Stellvertretende Leiterin der Abteilung Funk und Ortung.
Abertin seufzte. Damit ist klar, weshalb Monkey kein Lebenszeichen von sich geben kann, falls er noch am Leben ist: Das Katamar-Beiboot hätte vom gleichen Moment an Zugriff auf ihn. Bevor wir also einen Hinweis empfangen können, müssen wir zunächst das Beiboot aus dem Weg schaffen. Obwohl er die Gefahr kannte, die von dem Raumer ausging, befahl der Kommandant der TRAJAN: »Vorstoß zur Oberfläche!« Die Schutzfeldstaffeln waren zu einem Verteidigungspotenzial hochgefahren, das in der bekannten Milchstraße seinesgleichen suchte. Alles lief optimal. Statt das Feuer zu eröffnen, wich das Beiboot dem Ultraschlachtschiff aus. »Glück...«, murmelte Abertin. »Denn solange sich Monkey auf dem Planeten befindet, hätten wir das Feuer nur im äußersten Notfall eröffnet.« »Aber wo ist in dem Chaos der Chef?«, erklang Kalle Esprots skeptische Stimme. »Ortung?« »Negativ.« Abertin konnte Monkey natürlich von ausgeschleusten Space-Jets suchen lassen und mit der TRAJAN die Verfolgung aufnehmen. Doch solange das Katamar-Beiboot in Feuerreichweite war, würde jede Space-Jet mit einem einzigen Schuss vernichtet werden. »Eingang Funksignale!«, rief Sevia. »Signalgeber auf USO-Frequenz.« Monkey! »Wir lassen den Fliehenden ziehen und ...«, entschied Abertin, wurde aber von schrillen Sirenen unterbrochen. »Ortungsalarm!« Die aufblendenden Reliefs waren unmissverständlich. »Beiboot fliegt in Richtung Systemgrenze, aber aus dem Ortungsschutz der Sonnenkorona stößt ein Katamar-Schlachtschiff in den freien Raum vor ...« * Monkey, nackt und rußbedeckt, rannte um sein Leben, während hinter ihm die Luft immer heißer wurde. Unbeteiligt nahm der Oxtorner zur Kenntnis, dass die Gleiter voller Flüchtlinge tatsächlich abgeschossen wurden - von einem unvermittelt aufgetauchten 110-Meter-Katamar, dessen Gefechtswert spätestens seit den Ereignissen von Hayok und im Solsystem bekannt war. In dem Beiboot vermutete Monkey Trah Rogue, den Konquestor von Tradom. Unvermittelt jedoch startete der Raumer mit hohen Beschleunigungswerten Richtung Orbit durch - weshalb? -, und im selben Moment sah der weiterhin rennende Monkey, dass die TRAJAN kam. Und wie...! Davor also floh das Beiboot! Das Ultraschlachtschiff hielt direkt auf den Atombrand zu. Schon in seiner puren Form war der Raumer mit seinen 2500 Metern Durchmesser ein beeindruckender Gigant. Nun jedoch, eingehüllt in die Schirmfelder, erwies sich der Ultrariese als ein erschreckendes Monstrum aus Feuer und blendender Helligkeit! Abertin musste den Landeanflug schon in vielen hundert Kilometern Distanz begonnen haben. Das sich anschließende Horizontalmanöver, antigravgetragen und auf minimale Gravopulsstöße beschränkt, glich dennoch einem Weltuntergang: Im wahrsten Sinne des Wortes den Horizont füllend, näherte sich die TRAJAN in Gestalt eines grellen Glühens. Zwar waren die Schutzschirme auf einen Durchmesser von »nur« fünftausend Metern reduziert, doch als himmelhohe feuriggleißende Wand wurde die extrem komprimierte, ionisierte und glühende Luft vor ihnen hergetrieben und traf auf den Orkan des sich ausbreitenden Atombrands. Und dann, unvermittelt, war der Gigant heran, und Monkey, von machtvoll zerrenden und jaulenden Böen umgeben, die selbst seine oxtornischen Konstitution extrem belasteten, sah über sich, den Himmel verdunkelnd, den Kugelleib der TRAJAN niedersinken. Eine Schlacht in Planetennähe hätte auch Monkey sofort getötet. Dies war zweifellos der Grund, weshalb Tom Abertin nicht das Feuer auf das Beiboot eröffnen ließ. Dabei hätte Monkey es vorgezogen, hätte ihn der Kommandant der TRAJAN geopfert und dafür Rogue abgeschossen! Wie sollte der Oxtorner auf sich aufmerksam machen? Welch ein tragischer Gedanke: die Rettung in ungeheurer Größe vor Augen, aber zu klein, um wahrgenommen zu werden ... Aus purer Not aktivierte Monkey wieder und immer wieder den Kleinsender, den er benutzt hatte, um die Arkonbombe zu zünden. Zu zünden gab es nun natürlich nichts mehr - aber immerhin funkte das Gerät auf einer der TRAJAN-Besatzung wohl vertrauten Frequenz. Signalkode Feuerblume! Ohne nachzudenken, berührte der Oxtorner die Taste in einem Rhythmus, der aus dem altterranischen Morsealphabet entwickelt worden war. Unerträglich lange Sekunden verstrichen. Klickend zoomten die
Optikhülsen den riesigen Kugelraumer heran, ließen die Oberfläche zum Greifen nahe wirken - vom Wabern und Flirren der erhitzten Luft verzerrt. Eisiges Frösteln kletterte Monkeys Wirbelsäule hinauf und zog ihm die Kopfhaut zusammen. Sie mussten die Impulse doch empfangen und anpeilen ... Endlich! Die TRAJAN änderte ihren Kurs. Eigentlich war es nur ein minimales Anrucken, doch nun hielt das Ultraschlachtschiff direkt auf Monkey zu. Sie hatten ihn entdeckt! Monkey sah sich bereits in Sicherheit. In kühler Kalkulation überschlug er, dass es gerade reichen würde, ihn vor der heranrückenden Glutwalze aufzunehmen. Die Temperatur war inzwischen auf mehr als hundert Grad angestiegen, die Luft kochte und brodelte, pfeifende Sturmböen brachten weitere Hitze mit - seine Extremkonstitution rettete ihn noch für vielleicht zwei Minuten. Doch in diesem Augenblick - sogar dem als eiskalt und beherrscht bekannten USO-Chef stockte für einen Augenblick der Atem! - wurde die Kugel der TRAJAN aus dem Kurs gerissen, entfernte sich mit hohen Werten! Welchen Grund auch immer Oberst Tom Abertin haben mochte: Für Monkey bedeutete diese Handlungsweise das Todesurteil... * TRAJAN: »Die Berechnung ergibt, dass wir nicht mehr genug Zeit haben, den Chef an Bord zu holen, bevor der Katamar heran ist«, meldete »Wiesel« Blume. Tom Abertin hatte nun keine Wahl mehr: »Sofort Space-Jet ausschleusen!« »Ist gestartet, Kommandant.« »Kurs freier Raum! Angriffsflug!« »Verstanden«, piepste der swoonsche Emotionaut Sirom Dazon. * Monkeys SAC-Optiken machten im selben Moment ein Detail am Himmel aus, das selbst dem USO-Chef bislang entgangen war: ein glitzernder Fleck, der nun größer wurde. Oberst Tom Abertin hatte zwar aus einem noch unbekannten Grund die TRAJAN Richtung Orbit gesteuert. Doch eine Space-Jet, die den Oxtorner aufnehmen sollte, hatte zuvor den Rumpf des Ultraschlachtschiffs verlassen. Nach weniger als einer Minute war Monkey in Sicherheit. Während das Beiboot abhob und beschleunigte, während unter ihm der Atombrand den Planeten fraß, fragte Monkey: »Weshalb ist Abertin durchgestartet?« * TRAJAN: Von den drei Emotionauten gemeinsam gesteuert, warf sich das Ultraschlachtschiff förmlich dem Katamar entgegen, der soeben eine kurze Hyperraumetappe beendete und in Planetennähe erschien. 3540 Meter lang und 2100 Meter breit. Die beiden Zeppelinkörper erreichten einen maximalen Durchmesser von 1050 Metern. Schon schlugen die ersten blauen Strahlen in die verstärkten Paratron-Staffeln des Ultrariesen. Der Augenblick der Wahrheit - und tatsächlich, die Schirme hielten! Zeit zum Aufatmen blieb nicht. Nicht einmal, um Angst zu haben. Hermon da Ariga und Korom Misur aktivierten die geladenen Taktikprogramme. Im selben Moment setzte die TRAJAN ihr ungeheures OffensivPotential ein: Die Geschütze des 2500-Meter-Riesen waren so exakt synchronisiert und auf einen einzigen Punkt ausgerichtet, wie es eine sich im Raum bewegende Flotte niemals konnte. Allein dies verbesserte den Wirkungsgrad um einen beachtlichen Faktor. Das Affengift, die gigantische Intervallkanone, die fünf Schüsse pro Minute abfeuern konnte, sandte dem Katamar ihren ersten Strahl entgegen - und es schien fast, als sei der Doppelrumpfraumer gegen eine massive Wand gerast. Kurzfristig huschte ein blaues Leuchten über die kugelförmige Kontur des Paradimpanzers. Zwar war die Abweichung minimal, aber der Gegner wurde abgebremst und leicht aus dem Kurs gedrängt. Im nächsten Moment schickte die TRAJAN dem Katamar den vermutlich mächtigsten Energieschlag entgegen, der in der Milchstraße von einem Einzelraumer erzeugt werden konnte. Übergangslos verwandelte sich das Ultraschlachtschiff in einen Feuer und Tod speienden Giganten.
Piloten, Ortung und Feuerleitsteuerung mussten perfekt aufeinander abgestimmt sein, um optimale Wirkung zu erzielen. Kurze Sublicht-Flugphasen wechselten wiederholt mit Metagrav-Etappen - der Versuch, blauen Strahlen kein Ziel zu bieten, andererseits aber selbst in günstigste Schussposition zu kommen. Unablässige Übungen und die Tatsache, dass sich die Besatzung bestens kannte, wirkten Hand in Hand. Das Ziel treffen, selbst aber unbeschadet bleiben - und alles mit höchsten Beschleunigungswerten, im steten Wechsel zwischen Unter- und Überlichtflug, rochierend, nun aus allen Waffen feuernd, während die Zeit bis zum zweiten Schuss des Affengifts erschreckend langsam zu kriechen schien, während die TRAJAN selbst mörderische Treffer einfing ... Von den hyperenergetischen Röhrenfeldern umgebene Intervall- und Thermostrahlen der im KNK-Modus arbeitenden MVH-Geschütze überbrückten zeitverlustfrei die Distanz, entfalteten punktförmig fokussiert ohne nennenswerten Streuverlust ihre Wirkung, während die Röhrenfelder schon beim Auftreffen die Struktur des Paradimpanzers zu schwächen versuchten. Hinzu kamen Linear-Torpedos und andere Marschflugkörper, die nicht von der Reflektorwaffe beeinträchtig wurden. Dutzende Selbstlenk-Marschflugkörper wurden hoch beschleunigt aus den Tubenbatterien der TRAJAN katapultiert. Schlanke Konstruktionen von zwanzig Metern Länge und drei Metern Durchmesser: störungsfrei arbeitendes Impulstriebwerk im Heck, davor der Einweg-Ultrakomp-Waring mit eigenem Gravitrafspeicher, ausgelegt für eine Maximalreichweite von hundert Lichtjahren, in der Bugspitze die Leitpositronik und Zieltaster. Das eigentliche Waffensystem war ein voll geflutetes Gravitraf-Kugelfeld, dessen explosive Energiefreisetzung einer Sprengwirkung von bis zu 10.000 Gigatonnen Vergleichs-TNT entsprach. Selbständig suchten die Waffen ihr Ziel, glitten nach dem Abschuss für Sekundenbruchteile durch den Linearraum, fielen knapp tausend Kalometer von dem Katamar entfernt in den Normalraum zurück - um im nächsten Augenblick ihre Energie im Paradimpanzer zu entladen. Dicht benachbart breiteten sich Feuerwolken aus, wuchsen zusammen, konnten den Katamar mit diesem ersten Schlag jedoch noch nicht erschüttern. »Zweite Phase: Transformgeschütze!«, befahl Abertin - und cin Strom diverser Bombentypen detonierte, durch den Hyperraum geschleudert, in etwas mehr als neuntausend Kilometern Abstand vom Katamar, schuf eine von Sekunde zu Sekunde wachsende Glutzone, die sich zur Miniatursonne aufblähte, von hyperenergetischen Kräften durchzogen wurde und mit dem Paradimpanzer in Wechselwirkung trat. Hatte es für einige Wimpernschläge noch so» ausgesehen, als wirke der Reflektorbereich auch auf die feurige Wolke, deren Ausläufer an der kugelförmigen Kontur entlangflossen, leckten mit weiteren Detonationen Glutzungen dem Katamar entgegen. Die künstliche Sonne nahm mit wachsendem Durchmesser eine ultrablaue Farbe an, aus der blendend weiße Blitze zuckten. Gezackte Linien spannten sich unvermittelt bis zur normalerweise unsichtbaren Kontur des Paradimpanzers, dessen Durchmesser auf nur rund fünfzehn Kilometer schrumpfte. Ein verästeltes Netz von Sekundärentladungen entstand, die in Blauweiß den Abwehrschild entlanghuschten, erloschen, neu entstanden, grell aufblitzten und sich zu einem wahren Gewitter stabilisierten. Unterdessen erreichte die von immer neuen Transformsalven aufgeheizte Sonne eine Ausdehnung von vielen tausend Kilometern: Rings um den Katamar war die Glutzone quasi stabilisiert, obwohl das Doppelrumpfschiff mit einer Beschleunigung von 1500 Kilometern pro Sekundenquadrat durch das All raste - somit eine langsam verblassende Schleppe hinterherzog und als Gesamteindruck mehr und mehr das Aussehen eines grell leuchtenden Kometen entstand. Sämtliche Waffentürme der TRAJAN waren ausgefahren - wuchtige Gebilde, die die Größe einer Korvette erreichten. Displays zeigten die von den Munitionsdepots ausgehenden Röhrenfelder, durch die die Waffenkörper zum Rotationsrevolversockel beschleunigt wurden, dessen Kammern als Entmaterialisator füngierten. Abermals ein vielfaches Flirren - gefolgt vom Aufblitzen in der Kunstsonne. Im Gegenzug traf ein Vierfachschlag blauer Strahlen die zehnfach gestaffelten Paratron- und HÜ-Schirme der TRAJAN, fegten das vorausprojizierte Schüssel-Fangfeld förmlich beiseite. Das Schiff verwandelte sich in eine dröhnende Glocke, allmählich begannen sich die ersten Schirmfeldstaffeln aufzulösen, weil ihnen die blauen Strahlen zusetzten. Noch aber stand der Schutz, obwohl unablässig hyperenergetische Kräfte in die hochgespannten Wölbungen schlugen. Gezackte Aufrisse verwandelten das Blau der Paratronschirmschichten in düstere Erscheinungen im Wechsel zwischen rotschwarzen Klüften ins Nirgendwo und grellem Aufglühen. Schwerste Salven schlugen im Gegenzug dem Katamar entgegen: Die Röhrenfelder der KNK-Waffen schwächten zunehmend den Paradimpanzer, der eine erste Blaufärbung aufwies, die hämmernde Schläge der hypermechanisch wirksamen Intervallkanonen ergänzten die Wirkung der sonnengleichen Plasmazone, deren Ausläufer von zuckenden Aufrissen aufgesogen und ins übergeordnete Kontinuum abgestrahlt wurden. Ein bizarres Flirren vereinte sich rings um den Katamar zum gewaltig klaffenden Spalt, schwärzer und
bodenloser als der normale Weltraum. Gravitationsbomben und die beiden Paratronwerfer vereinten ihre Wirkung: sämtliche konventionelle Materie - Masse wie Energie - wurde in das übergeordnete Kontinuum geschleudert, ein Aufriss mit nur annähernd zu bestimmender Intensität entstand. Die Schutzfelder der TRAJAN wurden bis an die Leistungsgrenze belastet, obwohl das nächste MetagravAusweichmanöver schon nach einer halben Sekunde erfolgte. Diese Zeitspanne reichte jedoch aus, den Aufriss auf mehrere zehntausend Kilometer Durchmesser anwachsen zu lassen. Der Katamar raste durch einen Raumsektor, in dem die konventionellen Raum-Zeit-Gesetze aufgehoben waren und das Übergeordnete des Hyperraums wirksam werden konnte. In diesem Moment wurde die gefährlichste Waffe abermals abgefeuert. Und tatsächlich, beim Beschuss mit dem Affengift zeigte der Paradimpanzer des Katamars nun ebenfalls Auflösungserscheinungen. Das Doppelrumpfschiff hüllte sich in eine tiefblaue Sphäre als typische Überlastreaktion - bekannt aus der Schlacht im Solsystem! Tom Abertin hoffte, betete, erkannte, dass sie es schaffen konnten und ... »Syntronversagen! Unbekannte Hyperimpulse ... KorraVir-ähnliche Effekte.« »Positronik-Betrieb!« Der Beschuss auf den Katamar stockte nicht eine Sekunde lang. Sollte die Gegenseite gehofft haben, den Ultrariesen auf diese Weise auszuschalten, hatte sie sich getäuscht! »Der Katamar beschleunigt mit hohen Werten! Kursänderung - scheint sich in Sicherheit bringen zu wollen.« »Das Bursche flieht!« Doch zu spät: Die TRAJAN war mit 1050 Kilometern pro Sekundenquadrat den 1500 Kilometern pro Sekundenquadrat des Katamars zwar unterlegen, doch es reichte, lange genug den Gefechtskontakt zu halten. Erneut schlug das Affengift zu und abrupt erlosch die tiefblaue, nun fast violette Sphäre. Der letzte Schuss aus dem überschweren Intervall-Geschütz machte dem Katamar den Garaus: Eine gewaltige Detonation erschütterte das System des Planeten Paricza, der sich inzwischen mehr und mehr in Rotglut verwandelte und unwiderruflich verloren war... Jemand flüsterte: »Der Katamar ist vernichtet - vernichtet von einem USO-Schiff!« Tom Abertin fragte sich, ob dieses Ereignis einen Wendepunkt im Kampf gegen die Truppen von Tradom markierte. »Aber wie sollte es ...?«, murmelte er angesichts der beim Sternenfenster auf der Gegenseite versammelten 22.000 Katamare. »Die TRAJAN ist in Bauweise und Ausstattung in der Milchstraße leider einmalig ...« * Epilog Trah Rogue hatte es sich schon gedacht, als er in der Ortung das Riesenschiff einer nie zuvor erblickten Bauweise erkannt hatte: Die Zivilisationen der Milchstraße mussten sich auf die Eigenheiten und speziellen Verwundbarkeiten der Katamare eingestellt haben. Der Schiffsgigant war offenbar technisch umgerüstet worden und nun unter Umständen sogar einem Katamar gewachsen. Es war richtig gewesen, sich aus dem Kampf herauszuhalten. »Funkbefehl an den Rudimentsoldaten in der BASIS!«, schnarrte Trah Rogue. »Er soll die Springer in der Gaplon-Sektion mit einem mentalen Schock töten. Er selbst hat sich anschließend per Transmitter abzusetzen.« Zum Versteck der Katamare. Dorthin, wo auch Rogue baldigst auftauchen wollte. Bevor das Beiboot in den Hyperraum glitt, beobachtete der Konquestor, wie ein Siebtel seiner Streitmacht im Kampf gegen eine einzige galaktische Einheit unterging: Der Anblick war schockierend - kam jedoch nicht unerwartet. Wichtig war, dass Trah Rogue die gesammelten Daten über die Aagenfelt-Barriere mit sich führte. Die rechte Hand des Konquestors tastete zum Gürtel, legte sich auf die winzige Box mit den Daten. Um die Erkenntnisse gegen Verlust zu schützen, gab es drei Kopien. Eine davon befand sich in der Box, eine im linken Trageriemen des »Rucksacks«. Die dritte ruhte in einer nur ihm zugänglichen Speichersektion des Schiffes. Der mentale Druck des Rudimentsoldaten umfing das Bewusstsein des Konquestors. Das Gehirn in seinem Kugelgehäuse reagierte auf seine Aufregung. Nun war es wichtiger denn je, dass Trah Rogue diese Daten nach Tradom brachte. Bevor die Terraner mehr Schiffe dieser Art ins Feld führten. Sie würden zu spät kommen. Niemand hielt den Konquestor jetzt noch auf ... ENDE
Kompromisslos wie stets handelte Monkey, was den potenziellen Invasoren aus der Galaxis Tradom eine weitere Niederlage einbrachte. Doch nach wie vor ist Trah Rogue auf der Flucht - der Konquestor hat einen klaren Plan, und er fühlt sich noch lange nicht am Ende. Wie sich dieser Kampf der beiden Kontrahenten weiter entwickelt, das erzählt Arndt Ellmer in seinem PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche, der unter folgenden Titel erscheinen wird: KAMPF DER TITANEN