JENS KEGEL
Selbstvermarktung freihändig
Schreiben fürs Reden – auch gegen den Strom Überzeugend und nachhaltig Image bilden mit wirksamen Präsentationen, Vorträgen und Reden
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Jens Kegel Selbstvermarktung freihändig Schreiben fürs Reden – auch gegen den Strom 1. Auflage Göttingen: BusinessVillage, 2009 ISBN 978-3-938358-83-2 © BusinessVillage GmbH, Göttingen Bestellnummer Druckausgabe Bestellnummer PB-769 ISBN 978-3-938358-83-2 Bezugs- und Verlagsanschrift BusinessVillage GmbH Reinhäuser Landstraße 22 37083 Göttingen Telefon: +49 (0)5 51 20 99-1 00 Fax: +49 (0)5 51 20 99-1 05 E-Mail:
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Inhalt Über den Autor............................................................................................. 7 Ein klärendes Vor-Wort zu Rhetorik und Stil ................................................... 9 1. Image bilden mit Reden, Vorträgen und Präsentationen ............................. 21 1.1 Preiswert Aufmerksamkeit erregen ........................................................... 22 1.2 Was gesprochenes Deutsch so drauf hat ................................................... 26 1.3 Warum dieses Buch?.............................................................................. 28 2. Wichtiges zum Drumherum ...................................................................... 31 2.1 Der Raum hat Mitspracherecht ................................................................ 32 2.2 Was zwischen Redner und Hörern so abläuft.............................................. 34 2.3 Segnen Sie das Zeitliche ........................................................................ 36 2.4 Der Hörer als gemeines Gruppenwesen ..................................................... 37 2.5 Der Redner als einsamer Wolf ................................................................. 38 2.6 Folgen aus alledem ............................................................................... 40 3. Neues zum Schreiben und Verstehen ........................................................ 41 3.1 Wie verstehen Hörer, wenn sie verstehen? ................................................ 42 3.2 Strategisch schreiben heißt verständlicher schreiben ................................. 47 3.3 Was beim Schreiben hilft ....................................................................... 49 4. Eine erprobte Schrittfolge ....................................................................... 57 4.1 Botschaften formulieren, die ankommen und bleiben ................................. 58 4.2 Material sammeln – weniger und tiefer ist mehr ........................................ 60
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4.3 Ordnung ist die drei viertel Miete ............................................................ 70 4.4 Inkubationszeit – wie geniale Ideen entstehen ......................................... 70 4.5 Korrektuhr … Korrecktur … Korektur … Richtigstellung ............................. 72 4.6 Redefreundlich Markierungen setzen ........................................................ 73 5. Die Vielfalt dreier Abschnitte .................................................................. 81 5.1 Am Anfang steht ein A .......................................................................... 82 5.2 In der Mitte steht ein anderes A ............................................................. 97 5.3 Zum Schluss das bessere Ende................................................................108 6. Anschaulich reden auf die überzeugende Tour ..........................................113 6.1 Was in den Köpfen so vor sich geht ........................................................114 6.2 Vergleiche vergleichen Vergleichbares .....................................................115 6.3 Metaphern – viel mehr als „schmückendes Beiwerk“ ..................................119 6.4 Kino im Kopf und im Herzen ..................................................................130 6.5 Herr Ober, wenig Zahlen, bitte! ..............................................................136 6.6 Noch mehr Anschauungs-Material ...........................................................139 7. Die erste Wahl der Wortwahl ..................................................................143 7.1 Von Bedeutungen und Nebenbedeutungen ...............................................144 7.2 Konkret oder abstrakt oder was? ............................................................147 7.3 Synonyme – die Vielfältigen ..................................................................149 7.4 Ober- und Unterbegriffe .......................................................................151 7.5 Wann welches Wort wofür? ....................................................................152 7.6 Nützliche Wortspielereien......................................................................153
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8. Sätze bauen ohne Frust und Tadel ...........................................................163 8.1 Einfache, zusammengesetzte und verschachtelte Sätze ..............................164 8.2 Die gesunde Mischung finden ................................................................173 8.3 Verbalstil – hochwirksam und einfach gemacht ........................................175 8.4 Werden Sie aktiv! ................................................................................179 8.5 Spezielle Satzformen mit mehr Mehrwert .................................................181 9. Vom Mund zum Ohr zum Hirn ..................................................................187 9.1 Was gute Texte auszeichnet ...................................................................188 9.2 Vom Schreib- zum Hörtext ...................................................................192 9.3 Es werde spannend ..............................................................................197 9.4 Dialogische Monologe erzeugen .............................................................198 9.5 Halbe Romane zwischen den Zeilen nutzen ..............................................210 10. Zitate ja, aber anders ..........................................................................213 10.1 „Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.“ 10.1 (Tucholsky) ......................................................................................214 10.2 Zitate kochen leicht gemacht ..............................................................216 10.3 Zitate im Text ...................................................................................220 11. Lächeln und Lachen erzeugen ...............................................................223 11.1 Humor ist (k)eine ernste Sache ............................................................224 11.2 Ironie unter Vorbehalt ........................................................................229 12. Literaturverzeichnis .............................................................................235 13. Literaturempfehlungen ........................................................................238
Inhalt
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Für Franzi
Über den Autor Dr. Jens Kegel studierte Germanistik, Geschichte, Pädagogik und Psychologie. Nach zwei Staatsexamen absolvierte er ein Fernstudium „Werbetexten“ und arbeitete als Texter in einer PR-Agentur sowie als Pressesprecher. In seiner Dissertation analysierte er die bekannteste Rede von Joseph Goebbels („Wollt Ihr den totalen Krieg?“) unter linguistischen, psychologischen und historischen Aspekten. Im Ergebnis konnte er mit einigen noch heute kursierenden Vor- und Fehlurteilen aufräumen. Seit mehr als zehn Jahren ist Jens Kegel freiberuflich als Ghostwriter, Texter und Autor in Berlin tätig. Er ist Gründungsmitglied des „Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache“ (VRdS) und berät vor diesem Hintergrund Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik als Redecoach. Auf der Grundlage seiner Erfahrungen beschäftigt sich der Autor heute zunehmend mit den Themen verbale und integrierte Unternehmenskommunikation, weil diese für Firmen an Bedeutung gewinnen. An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis versteht sich Jens Kegel als Dolmetscher, der die wichtigsten Resultate aus verschiedenen Forschungsbereichen praxisorientiert und anwenderfreundlich aufbereitet. Daraus resultieren diverse Vorträge.
Über den Autor
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In der von ihm gegründeten Akademie Text® gibt er seine Erfahrungen in Seminaren weiter, die genau auf die jeweiligen Zielgruppen ausgerichtet sind. Im Gegensatz zu anderen Anbietern geht es hier nicht um das Lernen vereinfachender oder auch wissenschaftlich nicht haltbarer „Regeln“, die in der Praxis meist wenig wirksam sind. Die Seminare vermitteln auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse praxisorientiertes Wissen, das sofort umsetzbar ist. Gemeinsam mit der Diplom-Designerin Silke Duda-Koch gründete Jens Kegel vor kurzem die Firma brandmetoo, die Personen strategisch und zielgerichtet zu Marken entwickelt.
Kontakt www.jens-kegel.de www.akademie-text.de www.brandmetoo.de
8 | Über den Autor
Ein klärendes Vor-Wort zu Rhetorik und Stil Kaum ein anderer Begriff wird heute so gründlich falsch verstanden, missbräuchlich und schwammig verwendet wie Rhetorik. Ratgeber, ManagerSeminare und Volkshochschul-Kurse sprechen von Rhetorik, meinen aber im besten Fall Kommunikation. Oft wird Rhetorik auf wenige Teilbereiche reduziert, welche zudem fürs Ganze ausgegeben werden. Ein zweites Missverständnis betrifft die Gleichsetzung mit Überredungskunst oder angeblich machbarer Manipulation. Dies wiegt umso schwerer, als schon einer unserer großen Philosophen vor mehr als zweihundert Jahren die Kunst des Redens zur Kunst des Überredens herabstufte: „Ich muß gestehen, daß ein schönes Gedicht mir immer ein reines Vergnügen gemacht hat, anstatt die Lesung der besten Rede eines römischen Volks- oder jetzigen Parlaments- oder Kanzelredners mit dem unangenehmen Gefühl der Mißbilligung einer hinterlistigen [!] Kunst vermengt war, welche die Menschen als Maschinen in wichtigen Dingen zu einem Urteile zu bewegen versteht, das im ruhigen Nachdenken alles Gewicht bei ihnen verlieren muß. Beredtheit und Wohlredenheit (zusammen Rhetorik) gehören zur schönen Kunst; aber Rednerkunst (ars oratoria) ist, als Kunst sich der Schwächen der Menschen zu seinen Absichten zu bedienen (diese mögen immer so gut gemeint oder auch wirklich gut sein, als sie wollen), gar keiner Achtung würdig“ (Kant 2001: 221 f.). In der Philosophie- und Rhetorikgeschichte wird die von Kant beschriebene Wirkung gemeinhin mit Protagoras und Gorgias in Verbindung gebracht und als Sophistik bezeichnet. Platon legt letzterem in einem fiktiven Dialog mit Sokrates („Gorgias oder über die Beredsamkeit“) folgende Worte in den Mund:
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„Wenn man durch Worte zu überreden imstande ist, […] so wird der Arzt dein Knecht sein, der Meister der Leibesübungen auch, und von diesem Geschäftsmann wird sich zeigen, daß er nicht für sich erwirbt, sondern für einen andern, für dich, der du verstehst zu sprechen und die Massen zu überzeugen“ (zitiert nach: Loebbert 1991: 17). Genau diese Haltung legen auch verschiedene sogenannte Rhetorik-Ratgeber zugrunde und verbreiten die Gleichsetzung von Rhetorik und Sophistik. In vielen dieser Bücher kristallisieren sich folgende Grundannahmen in wechselnder Zusammensetzung heraus: Rhetorik • gilt als zentrales und manchmal ausschließliches Mittel der Erfolgreichen für ihren Erfolg, • wird als besonderes Machtinstrument dargestellt, mit dessen Hilfe sich jede gewünschte Position allein durch Anwendung der „richtigen“ Techniken erreichen lässt, • ist – entsprechend der falschen Gleichsetzung mit Sophistik – Instrument der „Überredung“, • wird indirekt oder direkt als Geheimwissenschaft betrachtet, indem ihr die Attribute „schwarz“, „verboten“ oder sogar „magisch“ zugeordnet werden. Die Gründe für dieses Vorgehen liegen auf der Hand. In einer Leistungsgesellschaft suchen Menschen nach möglichst einfachen Rezepten, Mitteln und Regeln, um den beschwerlichen und langen Weg nach oben abzukürzen und weniger steinig zu gestalten. Andere, die bereits in leitenden Funktionen tätig sind, hoffen auf Tricks, mit denen sie ihre gesamte Tätigkeit, die fast ausschließlich auf Kommunikation beruht, effektiver zu gestalten. Sie möchten ihre Mitarbeiter leichter motivieren und überzeugen (überreden?), Geschäftspartner zur Unterschrift bewegen oder mehr
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Arbeit leichter delegieren. Da kommen Bücher, die Erfolg durch die isolierte Anwendung angeblich wirksamer Redetechniken und Überredung statt Überzeugung suggerieren, gerade recht. Ein Wochenende lesen, anwenden, fertig! Das Fazit zweier Experten dazu: „Mit Versprechungen ist man schnell bei der Hand. Mehr Selbstsicherheit wird da in Aussicht gestellt, mehr Selbstbewußtsein, mehr Erfolgserlebnisse, mehr Anerkennung und Achtung, mehr Einflußmöglichkeiten, mehr Durchsetzungskraft bei Diskussionen und Konferenzen, bessere allgemeine Berufschancen …“ (Ueding/Steinbrink 1994: 190). Dass Kommunikation aber nicht auf einfache Regeln zu reduzieren ist, weil individuelles (Kommunikations-)Verhalten von individueller Sozialisation und vielen anderen Einflüssen abhängt und demnach mechanisches Abarbeiten eines Regelwerks zum Scheitern verurteilt sein muss, verschweigen viele Ratgeber. Bezeichnend ist der Titel eines Buches, welches derzeit auf dem Markt zu finden ist: „Verbotene Rhetorik: Die Kunst der skrupellosen Manipulation“ von Gloria Beck. Selbst wenn man anerkennt, dass ein Buchtitel, der sich im weiten Feld der Rhetorik-Ratgeber behaupten muss, reißerisch daherkommt, wurde hier der Bogen offensichtlich überspannt. Als Ziel für diese Art von Literatur sehen Gert Ueding und Bernd Steinbrink das folgende, bedauernswerte Geschöpf: „Eine redegehemmte, von Lampenfieber, Unwertkomplexen und Denkblockaden im Berufs- und Gesellschaftsleben benachteiligte Persönlichkeit, deren äußeres Auftreten schief und ungelenk, taktlos und schwerfällig ist, ständig auf der Suche nach dem richtigen Wort, weder des Hochdeutschen noch der zusammenhängenden Rede mächtig, falsch atmend und artikulierend, gegen den Sinn betonend und sich ständig für das eigene Dasein entschuldigend, ohne überzeugende Argumente, voller Floskeln und Leerformeln,
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allenfalls durch ihren sozialen Status und die Führungsposition wirkend, nicht aus persönlicher Glaubwürdigkeit“ (ebenda: 191). Auch wenn die Beschreibung überzeichnet und ironisch gemeint ist – viele Redner erkennen sich zumindest in Ansätzen wieder und suchen darum in populären Rhetorik-Ratgebern ihr Heil. Bereits 1991 hat Bremerich-Vos einige von diesen auf ihre Substanz hin überprüft und nur wenig Erfreuliches gefunden (vgl. Bremerich-Vos 1991). Die folgenden Beispiele stammen aus verschiedenen solcher „Rhetorik“Bücher. Sie zeigen eine erstaunlich naive, aber auch dreist-verkäuferische Sicht auf das komplexe Gebiet: „Sie sehen bald, dass Sie durch die Rede Menschen zum Handeln bewegen können nach Ihrem Willen. Sie erkennen, dass Sie als wahrer Redner zu einer Persönlichkeit heranwachsen und berufen sind, Menschenführer zu sein.“ Hier wird die Manipulationsthese bedient, nach der ein Redner den Zuhörern mittels Rede seine Meinung oktroyieren kann. „Nichts sichert uns mehr das Vertrauen und die Anerkennung unserer Mitmenschen als die Fähigkeit, wirksam und eindrucksvoll reden zu können.“ Die implizite Behauptung lautet: Nicht Leistung, sondern Beredsamkeit ist die Ursache für Anerkennung und Erfolg. Es ist also egal, was du kannst, wenn du nur reden kannst. „Ein guter Redner wird in seiner Umgebung und in seinem Beruf unweigerlich anerkannt. […] Er besitzt die größte Macht, die es gibt – die öffentliche Meinung zu bilden und zu beeinflussen.“ Das Adjektiv unweigerlich bedeutet: „unbedingt, auf jeden Fall, ganz bestimmt“ (Wahrig 2000: 1313). Die Redekunst selbst wird also auch hier von den sonstigen Leistungen des Redners abgekoppelt.
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„Wir können sicher sein, dass schon in der Urzeit der Menschheitsgeschichte, als die Menschen sich zu Sippen zusammenschlossen, der Redegewandteste zum Stammeshäuptling erwählt wurde.“ Ethologie und Biologie haben den Gegenbeweis angetreten. Bereits Primaten, allen voran die Schimpansen, bilden starke Hierarchien, in denen ein Tier die Führung beansprucht, welches sich diesen Anspruch erkämpfen muss. Bei den Naturvölkern beruht Autorität immer auf irgendwelchen Leistungen, die für das Zusammenleben der Gruppe wichtig sind. Die bloße „Redegewandtheit“ wird hier als Kriterium nicht aufgeführt (vgl. de Waal 2006: 61 ff., Eibl-Eibesfeldt 2004: 422 ff.). Rhetorik ist entgegen einer weit verbreiteten und in diversen „Rhetorik“Ratgebern dargestellten Meinung keine Kunst der Überredung, Beeinflussung oder gar Manipulation. Sie ist nicht von schlauen Menschen erdacht worden, um die hier dargestellten Ziele zu erreichen. Rhetorik ist eine Erfahrungswissenschaft, die versucht, sich im Alltag vollziehende schriftliche und mündliche Kommunikationsakte vom Standpunkt der Überzeugung aus zu klassifizieren und einzuordnen. Redner haben ihr Handwerk rückwirkend analysiert, klassifiziert und vervollkommnet. Im klassischen Sinne besteht die Rhetorik aus folgenden Teilbereichen: 1. Überzeugung (nicht Überredung!) des Kommunikationspartners (Techniken, um Ideen zu finden, Anordnung der Redeteile, sprachlicher Ausdruck der Gedanken, Merktechniken) 2. Argumentation (Aufbau, Formen, Finden wirksamer Argumente) 3. Umsetzung (Wahl der Wörter, Aufbau der Sätze, Struktur der Rede, rhetorische Figuren) (vgl. Volli 2002: 270 ff.)
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Hier wird überdeutlich, dass die Einengung der Rhetorik auf Mimik, Gestik und Sprechweise völlig falsch ist, denn sie betrifft nur ein Teilgebiet eines Teilgebietes, das von der klassischen Rhetorik – wenn überhaupt – nur marginal behandelt wird. Ein anderes, oft anzutreffendes Problem ist ein methodisches. In manchen scheinpopulären Ratgebern werden – meist am Ende – Listen rhetorischer Figuren abgedruckt. Damit suggeriert der Autor dem Leser: ‚Wende sie vielfach an, so wirst Du erfolgreich sein.’ Dies ist methodisch falsch, denn bei diesem Vorgehen wird offensichtlich das Form-Inhalt-Prinzip auf den Kopf gestellt: zuerst die Form, dann der Inhalt. Andersherum aber wird ein Schuh draus: zuerst der Inhalt, nach diesem richtet sich die Form. Wenn ich mittels Sprache überzeugen (nicht: überreden!), verschiedene Aspekte eines Sachverhaltes darstellen oder Pro und Contra sichtbar machen will, wende ich unter Umständen rhetorische Figuren an. Meist geschieht dies aber unbewusst. Ich wiederhole ein Wort in meiner Rede (Akkumulation), weil es für meine Argumentation besonders wichtig erscheint. Ich steigere den Ausdruck (Klimax), weil die Wörter inhaltlich bedeutsamer werden. Ich stelle einen Sachverhalt gegensätzlich dar (Antithese), weil ich antithetisch argumentiere. Ich verwende einen Ersatzausdruck (Metonymie), weil der besser als der ursprüngliche Ausdruck sagt, was ich meine. Zuerst kommt also der Inhalt, dann die Form. Ob sich daraus eine der vielen rhetorischen Figuren ergibt, ist dem Redner meist egal. Und oft merkt er es auch gar nicht. Aus den Denkfehlern, welche im Zusammenhang mit dem Begriff Rhetorik immer wieder gemacht werden, kristallisieren sich zwei zentrale Irrtümer heraus: 1. Menschen sind mittels Sprache manipulierbar. 2. Menschen können mittels Sprache überredet werden.
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Die erste nicht ausrottbare Annahme bezieht sich auf Manipulation. Darunter versteht man gemeinhin die negative Beeinflussung von Menschen, welche diese allerdings nicht bemerken sollen. Manipulierte handeln angeblich, obwohl dieses Handeln ihrem Wesen widerspricht, weil sie unbewusst mittels dubioser Tricks dazu gebracht wurden. Diese armen Opfer werden nun angeblich manipuliert, indem der Manipulierende etwas vorgibt, was nicht ist. Der Manipulierte würde im Ergebnis durch die Einflussnahme des Manipulierenden fremdbestimmt handeln. Dies allein soll nun durch scheinbar existierende rhetorische Tricks, Kniffe und dubiose Winkelzüge möglich sein. Verschiedene Sozialwissenschaften haben das mittlerweile widerlegen können. Weil sich Manipulation gegen den Willen, gegen die Überzeugung, gegen Glaubensgrundsätze und individuelle Wahrheiten richtet, ist sie eben nicht möglich, schon gar nicht durch Sprache allein. Wenn Menschengruppen scheinbar manipuliert werden, dann handeln sie entweder parallel zu ihren Glaubensgrundsätzen und Intentionen, weil sie mit den dargestellten Inhalten übereinstimmen, oder widerwillig, weil äußere Machtfaktoren dies zum Beispiel als opportun erscheinen lassen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie sich die Inhalte der „Manipulation“ zu eigen gemacht hätten. In totalitären Systemen handeln Menschen, weil sie unter Druck stehen oder die Ideologie bzw. deren Vorstellungen und Werte teilen. Dies mag für alle schmerzlich sein, die nur wenigen Exponenten die Schuld in die Schuhe schieben wollen und dafür die Manipulationsthese bemühen, es ändert aber nichts an den Tatsachen. Manipulation durch Sprache muss schon deswegen scheitern, weil ein Hörer immer individuell versteht und er das Gehörte ständig zu seinem individuellen Wissen, seinen Wünschen, Zielen und Ansichten in Beziehung setzt.
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Die zweite These – Menschen könnten mittels Sprache überredet werden – setzt ebenfalls voraus, dass einer den anderen zu einer Handlung bewegen kann, welche dieser nicht will, die dessen Zielen und Einstellungen zuwiderläuft. Das mag zeitweise vielleicht sogar gelingen. Weil aber der Überredete nicht überzeugt ist von dem, was er tut, handelt er mit (innerem) Widerstand und langfristig nicht zuverlässig. Er handelt nicht wegen, sondern obwohl. Wenn ich ihn jedoch mittels Argumentation überzeuge, bei ihm also die Änderung der Einstellung bewirke (besser noch, parallel zu seinen Einstellungen und Grundüberzeugungen argumentiere), dann kann diese Änderung dauerhaft positive Folgen für mich haben. Wie schwer jedoch, zumal bei Erwachsenen, Meinungs-, Einstellungs- und daraus folgend Verhaltenswechsel zu erzeugen sind, weiß jeder, der dies versucht. Mit Machttaktiken, die sich gegen die Interessen des Betreffenden wenden, ist schon der Ansatz zum Scheitern verurteilt. Es geht nur mit Einfluss, der parallel zu den Interessen des Betroffenen verläuft. Und dann auch nur mit Argumenten, die für die Zuhörer plausibel sind. Ein letztes Argument, das gegen die scheinbar überragenden Möglichkeiten der Rhetorik spricht, resultiert aus dem Prozess des Textverstehens. Entgegen behavioristischer Kommunikations-Modelle aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (die auch heute noch kursieren) funktioniert Kommunikation nicht nach dem einfachen SenderEmpfänger-Modell als Reiz-Reaktions-Kette, die wiederum den Nürnberger Trichter suggeriert: Ein Sender, der dem Empfänger die Informations-Pakete in dessen Black-Box pflanzt, auf dass dieser danach automatisch handeln möge. Kommunikation mittels Sprache ist hochkomplex und von vielen Faktoren abhängig, die einander auch noch beeinflussen. Hier nur die wichtigsten: a) Textproduzent: Seine Intentionen und Erfahrungen, sein Hintergrundwissen, sein Verständnis von den verwendeten Wörtern
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b) Kontexte: Kontext der Entstehung des Textes, Kontext der Weitergabe durch den Sprecher, Kontext der Aufnahme durch den Hörer c) Zuhörer: Seine Intentionen und Erfahrungen, sein Hintergrundwissen und Verständnis von den verwendeten Wörtern Zur Illustration für die angedeutete Komplexität soll ein kleines Gedankenexperiment dienen: Mann und Frau in der Küche. Frau, rhetorisch überaus geschickt, weil sie die Tricks und Techniken der „schwarzen“ Rhetorik, vielleicht auch jene der „männer-manipulierenden“ und „verbotenen“ kennt: „Bringst Du, Schatz, bitte den Müll runter?“ Mann entschwindet mitsamt dem Eimer. Was ließ ihn handeln? Die Anrede Schatz? Das Wörtchen bitte? Die Frage, die nur formal eine ist, im Grunde aber eine Aufforderung darstellt? Das süffisante Lächeln der verehrten Gattin? Sein Wunsch, Streit zu vermeiden und Ruhe zu haben? Die Aussicht, anschließend ungestört mit der Spielzeugeisenbahn des Sohnes in der Garage spielen zu können? Wir wissen es nicht. Um eine halbwegs objektive Antwort zu erhalten, müssten wir die Wünsche, Intentionen und Befindlichkeiten von Mann und Frau kennen, das Davor und Danach, das Verhältnis der beiden zueinander, den Kontext der Situation und und und. Rhetorik als Macht- oder Manipulationsinstrument? Vergessen Sie’s! Und was hat es nun mit der Stilistik auf sich? Und den vielen StilLehrern, Kritikern und Sprachwächtern, die – katholischen Bischöfen gleich – auf die Einhaltung scheinbar unumstößlicher Gesetze zur Reinhaltung der deutschen Sprache pochen? Die kürzeste Antwort lautet: Wenig.
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Eine etwas ausführlichere klingt so: Sprache lebt. Sie wandelt und verändert sich, passt sich an, nimmt auf und scheidet aus. Sprache ist also quicklebendig. Zur Illustration für den Wandel unserer Sprache der Anfang eines Gedichts (Walther von der Vogelweide, um 1200): Under der linden an der heide, dâ unser zweier bette was, dâ muget ir vinden schône beide gebrochen bluomen unde gras. vor dem walde in einem tal, tandaradei, schône sanc diu nahtegal. Dieses Gedicht ist mehrere hundert Jahre alt und zeigt, wie stark sich unsere Sprache gewandelt hat. Aber auch heute noch verändert sie sich, durch den Einfluss vielfältiger Medien wahrscheinlich weitaus schneller. Die beliebten Bücher von Bastian Sick sind Ausdruck für die Suche der Menschen nach Normen, nach Feststehendem, nach Sicherheit und Beständigkeit. Diese gibt es aber nicht, zumindest nicht, was die Sprache anbelangt, wenn man sie auf grammatische Normen beschränken will. Viele bedauern zum Beispiel, dass der Genitiv von uns geht, weil er so schön gebildet klingt. Kurt Tucholsky lässt seinen Protagonisten in „Schloss Gripsholm“ sagen: „Sie führte gern einen gebildeten Genitiv spazieren und war demzufolge sehr stolz darauf, immer ‚Rats’ zu wissen.“ (Tucholsky 1981: 32) Der Genitiv aber verschwindet nun mal, langsam und kontinuierlich. Man mag das bedauern oder sich darüber aufregen, die Entwicklung jedoch ist nicht aufzuhalten. Die Sprache kennt einen wichtigen Grundsatz, den sie gnadenlos durchsetzt: Ökonomie. Wenn ein anderer Kasus die Funktion
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des Genitivs genauso gut oder sogar besser ausübt, muss der weniger produktive und vielleicht kompliziertere gehen. (Es kommt ja auch niemand auf die Idee, einen ICE mit Kohle zu befeuern, nur weil damit die Loks so schön nostalgisch dampfen.) Haben sich Sprachwächter jemals darüber mokiert, dass wir heute nicht mehr von bluomen, sondern von Blumen sprechen? Geht jemand auf die Barrikaden, weil das Bureau dem Büro weichen musste? Also. Stil bzw. guter Stil ist keine Frage des Bewahrens von Althergebrachtem. Im Gegensatz zu vielen Stilbüchern, angefangen bei Ludwig Reiners, ist die Frage auch nicht pauschal zu beantworten. Es nützt auch wenig, Regelwerke zu verfassen. Etwas provokant möchte ich daher formulieren: Guter Stil ist, wenn in einer ganz speziellen Kommunikations-Situation der Textproduzent sein Ziel optimal erreicht. Der Sprecher hat genau den richtigen Ton getroffen, wenn er sein kommunikatives Ziel erreicht. Mit den Worten des Germanistik-Professors Armin Burkhardt: „[…] denn niemand – auch kein Germanistik-Professor (wenn er einigermaßen beisammen ist) – wird seinen eigenen (und fremden) Äußerungen an der Wursttheke im heimischen Supermarkt, unter Freunden zu Hause, im Fanblock im Fußballstadion oder beim Schreiben einer SMS exakt dieselben Sprachnormen zugrunde legen wie bei der Diskussion im Fakultätsrat, beim Halten eines Vortrags oder beim Verfassen eines wissenschaftlichen Aufsatzes.“ (Burkhardt 2007: 14) Anders gesagt: Was guter, also verständlicher Stil ist, kann man immer nur punktuell beantworten. Ein Satz, der in der einen Kommunikations-Situation wirkt und genau passt („Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht …“), wirkt in einer anderen deplatziert. Auf das Thema dieses Buches angewendet: Wir lassen die Stilfibeln und Ratgeber links liegen und kümmern uns um die Prinzipien wirkungsvollen Sprechens. Wenn man verstanden hat,
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was dahinter steckt, wie Kommunikation mit Worten funktioniert, dann ist es leicht, in jeder Kommunikations-Situation richtig zu reagieren, also der Situation angemessen und vor allem wirksam zu reden.
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1. Image bilden mit Reden, Vorträgen und Präsentationen
1.1 Preiswert Aufmerksamkeit erregen Auch wenn alle Welt heute den Begriff Image verwendet, lohnt ein Blick auf die Definition, denn sie zeigt, welche Aspekte dazugehören, warum Image immer wichtiger wird und formbar ist: „Das Wort Image bedeutet Bild, Standbild, Abbild sowie auch Vorstellung und Idee. Die beiden letzten Ausdeutungen liegen dem psychologischen Imagebegriff am nächsten. Image ist das subjektive, das persönliche Vorstellungsbild, das sich Menschen – Einzelpersonen oder Gruppen – bewußt und/oder unbewußt von einer Person, einer Sache, einem Land, einer Ideologie oder einem sonstigen Meinungsgegenstand machen. Eine ausschließlich bewußt rationelle Erfassung und Verarbeitung der Umwelt und des Umweltgeschehens ist wegen der Fülle von Eindrücken nicht möglich. So entsteht das Image nicht nur auf der Basis von Wissen, Erfahrung und glaubhaften Informationen, sondern auch von Emotionen (Erwartungen, Wünschen, Hoffnungen, Ängsten …) und sozialen Umfeldeinflüssen (Gruppenzugehörigkeit, Lebensstil, Ideologie …). Das Image ist damit nicht als eine rein bildhaft visuelle Vorstellung zu verstehen, es ist multidimensional. Die Images sind als Orientierungshilfen Grundlage für individuelles Verhalten und individuelles Erleben. Der Mensch erlebt zum Beispiel ein Produkt nicht so, wie es ‚objektiv’ ist, sondern entsprechend seinem Image, das Image ist Teil des Produkterlebnisses.“ (Pflaum/Bäuerle 1995: 175) Die zentralen Begriffe dieser Definition sind „Vorstellungsbild“, „multidimensional“, „subjektiv“. Ein Image ist also nichts unumstößlich Reales, es existiert lediglich in den Köpfen der Menschen. Images sind formbar und können zielgerichtet aufgebaut werden. Die Grundlage dafür ist natürlich, dass überhaupt ein Zielimage vorhanden ist. Frage: Besitzt Ihr Unternehmen eines (nur teilweise kongruent mit der Firmenphilosophie)? Besitzen Sie als Person eines? Wissen Sie, wie andere Menschen Sie sehen sollen,
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mit welchen Eigenschaften und Attributen? Wenn nicht, wird es Zeit, sich eines zuzulegen und zielgerichtet daran zu arbeiten, es zu formen. Ein wesentliches Mittel dazu sind öffentliche Monologe, deren Bedeutung zunehmend erkannt wird. Einer Untersuchung zufolge betrachten 83 Prozent der Unternehmen Reden als „ein wichtiges Instrument unternehmerischer Arbeit“, 76 Prozent als „Instrument der Kommunikation“, 70 Prozent als „Marketinginstrument“ und immerhin noch 56 Prozent als „Instrument der Mitarbeiterkommunikation“ (vgl. Bazil, Vazrik in: Piwinger/Zerfaß 2007: 429). Reden sind Imagebildner und -träger für Unternehmen und Personen gleichermaßen. Wenn es im vorigen Jahrhundert fast noch egal war, wer ein Unternehmen führte, dann werden Unternehmen heute zunehmend über Individuen definiert (und viele Unternehmer arbeiten kräftig daran mit). An wen denken Sie bei Porsche, Microsoft oder Apple? Die Firmenlenker dieser Unternehmen zeigen, was unabhängige Untersuchungen bestätigen: Personen an der Spitze prägen zunehmend das Erscheinungsbild des gesamten Unternehmens, es besteht „sogar zwischen dem Image des Unternehmens und dem Ruf des Firmenchefs ein statistisch nachweisbarer Zusammenhang“ (ebenda: 430). Angesichts dieser Tatsachen verwundert es, wie nachlässig Manager, Unternehmer, Freiberufler und Angestellte das Instrument Monolog immer noch verwenden. Noch verwunderlicher ist dies, weil es kaum etwas kostet. Selbst die Ausgaben für einen professionellen Redenschreiber sind nur ein Bruchteil (um nicht den unsäglichen Begriff peanuts zu verwenden) dessen, was ansonsten in Werbung und PR investiert werden muss. Ein Redner vor einem meist ausgesuchten Publikum. Mindestens zehn Minuten Zeit, um die Zielgruppe, um Entscheider geschickt zu überzeugen, charmant für die eigene Person einzunehmen, nachhaltig Eindruck zu erzeugen und am Image zu feilen. Wann hat man dazu schon die Gelegenheit?
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In der Zeitschrift „Lufthansa exclusive“ war in der Maiausgabe des Jahres 2007 Folgendes zu lesen: „Rund 60 Reden im Jahr müssen die Führungskräfte der 500 größten deutschen Unternehmen halten. Das sind im Jahr 30.000 Chancen, statt eines Monologs, der kaum Gehör findet, eine mitreißende Rede zu halten, die in der richtigen Tonlage die notwendigen Inhalte geistreich zur Sprache bringt. 30.000 Möglichkeiten, Mitarbeiter und Investoren zu begeistern. 30.000 Gelegenheiten, die eigene Reputation und die des Unternehmens zu steigern.“ Diesem Fakt ist erst einmal nichts hinzuzufügen. Bis auf die Frage: Wie? Mit Mimik, Gestik, Sprechweise? Auch. Was aber nützen ausgefeilte paraund nonverbale Kommunikations-Instrumente, wenn das verbale, also der Text selbst, grottenschlecht oder stinklangweilig ist (um vorab schon einmal expressive bzw. ausdrucksstarke Lexik zu verwenden)? Nichts. Denn bei den meisten Veranstaltungen sehen die Zuhörer den Redner und dessen Mimik und Gestik gar nicht deutlich und sind demnach vor allem auf die Sprache angewiesen. Vielleicht werfen jetzt einige Leser dazwischen: Aber die sieben Prozent, die bei einer Rede lediglich auf den Inhalt … Ja, ich weiß. Bis heute wird mit Inbrunst verbreitet, dass von 100 Prozent Wirkung lediglich 7 Prozent auf den Inhalt und der Rest auf Stimme und Mimik entfallen. Dieses Märchen, welches natürlich gerade bei jenen „Rhetorikern“ Anklang findet, welche die Rhetorik auf Mimik, Gestik und Sprechweise verkürzen, resultiert aus der Fehlinterpretation und vor allem fehlerhaften Verbreitung zweier Experimente. Diese wurden von US-amerikanischen Forschern um Albert Mehrabian 1967 durchgeführt. Sie untersuchten an wenigen Studenten in einer Laborsituation die Wirkung von Ein-Wort-Sätzen. Mit einer Ziffer: 1-Wort-Sätze!
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Die beiden Experimente sind aus folgenden Gründen nicht auf andere Kommunikations-Situationen zu übertragen: Es handelt sich um extreme Laborsituationen mit dreißig Studenten, Ein-Wort-Sätze und einen anderen Kulturkreis. Heinrich Lenhart und Stefan Wachtel, die sich ausführlicher mit dem Mythos beschäftigen, resümieren denn auch in ihrer Untersuchung mit dem Titel „7 % Inhalt: Wie ein Virus entsteht: Ratgeberautoren sind dankbar für jedes Klischee“ (Lenhart/Wachtel 2001: 154). Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Mittlerweile wird in der Wissenschafts-Community der 7-Prozent-Mythos als das behandelt, was er ist: ein populärer Irrtum, der keinen Deut an Wahrheit gewinnt, wenn er in Rhetorik-, Kommunikations- und NLP-Ratgebern zur Grundlage eigener Argumentationen herhalten muss. Auch ein ausgewiesener Spezialist der gesprochenen Sprache kommt nicht umhin, auf den Mythos zu reagieren: „Entgegen der weitverbreiteten Meinung, das kommunikative Gewicht des Nonverbalen überwiege das des Verbalen, gibt es bisher keine verlässlichen Untersuchungen über die psychischen Prozesse der Informationsgewichtung und -abwägung.“ (Schwitalla 2006: S. 200) Um es ganz klar zu sagen: Mimik, Gestik und Sprechweise sind ebenso wichtig wie der Text selbst. Im Idealfall kommuniziert der Redner mit allen Mitteln parallel. Er kann aber weder durch Augenzwinkern noch durch Anheben seiner Stimme oder durch körperliche Zuwendung zum Publikum einen schlechten Text verbergen. Im Gegenteil: Wenn die gesprochenen Worte im Widerspruch zu Mimik und Gestik stehen, wirkt dieser Widerspruch auf den Redner selbst zurück und macht ihn unglaubwürdig. Und genau das ist es, was dieser tunlichst vermeiden will und soll.
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1.2 Was gesprochenes Deutsch so drauf hat Eine Binsenwahrheit ist laut Wörterbuch eine „knotenlose, glatte, selbstverständliche Wahrheit“ (Paul 2002: 174). Dass mündliche Texte anders sind als die verschiedenen schriftlichen Formen und dies auch sein müssen, gehört in eben jene Kategorie – eigentlich. Bei vielen Reden, Vorträgen und Präsentationen, die einem in Deutschland zu Ohren kommen, hat man jedoch den Eindruck, dass diese Wahrheit überhaupt nicht mehr knotenlos, glatt und selbstverständlich ist. Da wird gefachsimpelt und gekauderwelscht, was das Zeug hält. Vortragende werfen mit Zahlenkolonnen um sich, malträtieren ihre an den Stuhl gefesselten Opfer mit Schriftsprache, langweiligem Nominal- und Bürokratiestil, dass es nur so kracht. Vorträge, Präsentationen und Reden aber sind mündlich vorzutragende Texte, monologische dazu. Um sie hörergerecht vorzubereiten, müssen sich Vortragende zwangsläufig mehr an die gesprochene Sprache anlehnen, die im Gegensatz zum Schriftdeutsch einige Besonderheiten aufweist. Aus dem, was die Linguisten in den letzten Jahrzehnten über unser alltäglich gesprochenes Deutsch herausgefunden haben, lässt sich eine Menge für unsere Image-Bildung lernen. Hier die wichtigsten Resultate, die sich auf das Thema dieses Buches beziehen (vgl. Schwitalla 2006: 22 ff.): 1. Sprechen und Verstehen sind nicht spiegelbildlich, wie dies manche Kommunikationsmodelle suggerieren. Der Hörer ist ebenso wie der Sprecher daran beteiligt, aus dem Text einen Sinn zu formen. Da jeder Hörer ein Individuum ist, muss auch Verstehen höchst individuell ausfallen. 2. In Äußerungen sind Handlungen ausgedrückt, explizit oder unterschwellig (fragen, beweisen, auffordern, darstellen, befehlen, vorwerfen …). In mündlichen Texten sind diese Handlungen vielfältiger und abwechslungsreicher als in schriftlichen, die meist auf rationale Argu-
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mentation, Information und Beweisführung ausgelegt sind. Dieser Befund deckt sich mit der klassischen Rhetorik. Sie fordert für eine Rede neben Einsicht und Belehrung auch das Erregen von Leidenschaften (wir sprechen heute eher von Emotionalisierung) (vgl. Ueding/Steinbrink 1994: 277 ff.). 3. In gesprochenen Texten ist der Druck in Richtung Normierung viel geringer als im Schriftlichen. Sprecher können also freier agieren und sind demnach weitaus flexibler als in den verschiedenen schriftlich fixierten Textsorten. Dies bezieht sich hier natürlich auf den Satzbau und die verwendeten Wörter. Das Orthogra-Vieh kann zudem bei einem gesprochenen Text – Gott sei’s gedankt – im Stall bleiben. 4. Korrekturen, die der Sprecher während des Sprechens vornimmt, kommen beim Hörer kaum oder gar nicht an, sie stören auch den Informationsfluss nicht. Die Angst vor Versprechern, an der in vielen Seminaren und Coaching-Sitzungen intensiv gearbeitet wird, ist also in vielen Fällen unbegründet. 5. „Wegen des tastenden, ausprobierenden, vom Vagen zum Präzisen oder umgekehrt vom Abstrakten zum Konkreten fortschreitenden Formulierens beim Sprechen baut sich die Bedeutung dessen, was man eigentlich sagen will, langsam auf. Der Hörer kann diese allmähliche Bedeutungsherstellung mitverfolgen“ (ebenda: 35 f.). Dieser Punkt spricht für eine schrittweise Entwicklung von Gedanken, Argumentationen, Erzählungen. Die Schlussfolgerung daraus: „Unter den Bedingungen der Flüchtigkeit der Rede kann man nicht alles, was man sagen will, auf einmal sagen; aber zu jedem Zeitpunkt muss ein Sprecher so sprechen, dass alles, was im Augenblick wichtig ist, dem Hörer auch sprachlich präsent ist“ (ebenda: 172).
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1.3 Warum dieses Buch? Betrachten wir Reden, Vorträge, Präsentationen, Statements, Interviews und andere öffentliche und halböffentliche Monologe unter dem Gesichtspunkt der gesprochenen Sprache, wird ein Problem deutlich, vor dem alle Akteure stehen: Auf der einen Seite produzieren wir täglich Schrift-Sprache, in E-Mails, Geschäftsbriefen, Berichten und Protokollen. Zugleich lesen wir sie, in E-Mails, Geschäftsbriefen, Berichten und Protokollen, in Büchern und Zeitungen. Auf der anderen Seite reden und plaudern wir in den verschiedenen Alltagssituationen munter drauflos und verständigen uns sehr selbst- und zielbewusst mittels gesprochener Alltags-Sprache. Manchmal jedoch müssen (dürfen) wir vor passiv scheinenden Hörern einen Monolog halten und sind dann verunsichert, ob dann gesprochenes Deutsch angebracht ist. Wir fragen uns: Darf ich reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist? Muss ich nicht eher druckreife Formulierungen verwenden? Im Zweifels- und Angstfall ziehen sich viele Redner, Vortragende, Präsentierende – und leider auch manch ein Lehrender an der Hochschule – hinter die Mauer „Schrift-Deutsch“ zurück. Oft fehlt aber auch schlicht die Zeit. Darum werden Texte, die eigentlich fürs Lesen und nicht fürs Hören geschrieben wurden, einfach vorgetragen oder per Beamer an die Wand geworfen. Am Ende der Veranstaltung bleibt dann ein Redner, der froh ist, selbige überstanden zu haben. Zugleich aber sieht er auch an den Reaktionen der Zuhörer, dass seine Botschaft nicht so angekommen ist, wie er sich das vorstellte. Woran das liegt, ist ihm meist schleierhaft. Das vorliegende Buch will nun den vielfältigen „Rhetorik“-Ratgebern keinen neuen hinzufügen, sondern die verzauberte und mystifizierte Rhetorik entzaubern helfen, denn:
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„Rhetorik ist längst noch nicht befreit vom Ludergeruch bloßen ÜberredungsTrainings, und der Zustand der Angewandten Rhetorik mit ihrer Verkäuferschulung, ihrem Managertraining, ihrem manchmal recht zwielichtigen, auf jeden Fall aber alerten Lehrpersonal ist nicht dazu angetan, die alten und tiefsitzenden Vorurteile zu zerstreuen.“ (Ueding/Steinbrink 1994: 193) Das Buch stellt Erkenntnisse aus Linguistik, Neurologie und Psychologie (hoffentlich) anwenderfreundlich und praxisorientiert dar und zeigt, ob und wie diese für die tägliche Arbeit mit gesprochenen Texten und Monologen nutzbringend anzuwenden sind. Viele authentische und wenige fiktive Beispiele illustrieren Theoretisches und verknüpfen es sinnfällig mit Praktischem. (Wenn bei diesen keine Quellenangaben vorhanden sind, liegen die Rechte beim Autor. Die entsprechenden Redner haben in diesen Fällen ihre Zustimmung erteilt.) Das Buch stellt dar, wie Rhetorik praktisch funktioniert und auf welchen wissenschaftlich begründeten Gesetzen sie beruht. Es bringt keine dubiosen oder unbewiesenen Regeln oder Tricks, sondern vermittelt Hintergrundwissen, das bei der Vorbereitung von Reden, Vorträgen, Statements, Interviews und Präsentationen behilflich ist. Am Ende soll folgende Erkenntnis stehen: Öffentlich gehaltene Monologe sind preiswerte und effektive PR-Maßnahmen, bei denen Frau und Mann sich nur selten an scheinbare Konventionen halten müssen, im Gegenteil. Öffentlich gehaltene Monologe sind die eigentliche Domäne, um Individualität und SprachSpiel-Spaß von der Leine zu lassen und sie in den bunten Wort-Wäldern wildern zu lassen. Redner müssen viel weniger Angst haben, als dies manche Ratgeber suggerieren, denn kaum etwas beherrschen wir besser als mündliches Sprechen. Es kommt nur darauf an, dies für die wichtigsten PR-Veranstaltungen – die eigenen – gezielt einzusetzen.
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„Rhetorik ist längst noch nicht befreit vom Ludergeruch bloßen ÜberredungsTrainings, und der Zustand der Angewandten Rhetorik mit ihrer Verkäuferschulung, ihrem Managertraining, ihrem manchmal recht zwielichtigen, auf jeden Fall aber alerten Lehrpersonal ist nicht dazu angetan, die alten und tiefsitzenden Vorurteile zu zerstreuen.“ (Ueding/Steinbrink 1994: 193) Das Buch stellt Erkenntnisse aus Linguistik, Neurologie und Psychologie (hoffentlich) anwenderfreundlich und praxisorientiert dar und zeigt, ob und wie diese für die tägliche Arbeit mit gesprochenen Texten und Monologen nutzbringend anzuwenden sind. Viele authentische und wenige fiktive Beispiele illustrieren Theoretisches und verknüpfen es sinnfällig mit Praktischem. (Wenn bei diesen keine Quellenangaben vorhanden sind, liegen die Rechte beim Autor. Die entsprechenden Redner haben in diesen Fällen ihre Zustimmung erteilt.) Das Buch stellt dar, wie Rhetorik praktisch funktioniert und auf welchen wissenschaftlich begründeten Gesetzen sie beruht. Es bringt keine dubiosen oder unbewiesenen Regeln oder Tricks, sondern vermittelt Hintergrundwissen, das bei der Vorbereitung von Reden, Vorträgen, Statements, Interviews und Präsentationen behilflich ist. Am Ende soll folgende Erkenntnis stehen: Öffentlich gehaltene Monologe sind preiswerte und effektive PR-Maßnahmen, bei denen Frau und Mann sich nur selten an scheinbare Konventionen halten müssen, im Gegenteil. Öffentlich gehaltene Monologe sind die eigentliche Domäne, um Individualität und SprachSpiel-Spaß von der Leine zu lassen und sie in den bunten Wort-Wäldern wildern zu lassen. Redner müssen viel weniger Angst haben, als dies manche Ratgeber suggerieren, denn kaum etwas beherrschen wir besser als mündliches Sprechen. Es kommt nur darauf an, dies für die wichtigsten PR-Veranstaltungen – die eigenen – gezielt einzusetzen.
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2. Wichtiges zum Drumherum
2.1 Der Raum hat Mitspracherecht Räume beeinflussen, wie wir fühlen, denken und uns verhalten. Das liegt an den Räumen selbst, es wurde uns aber auch anerzogen. In einer Kirche gehen wir langsamer, sprechen leiser und fühlen uns für Momente kleiner als wir sind. In einem Stadion können wir hingegen brüllen, wie uns die Kehle gewachsen ist, Kraftausdrücke sind an der Tagesordnung und stören niemanden. In einem feierlich hergerichteten Saal wiederum passen wir unser Verhalten und unsere Sprache sofort diesem Umfeld an. Mit unserer Nase, unseren Augen und Ohren nehmen wir nun Informationen über den Raum eher unbewusst als bewusst auf. Der Anthropologe Edward T. Hall schlussfolgert in seinem Buch „Die Sprache des Raumes“ daraus: „Für uns ist wesentlich zu lernen, die stummen Kommunikationen so leicht zu lesen wie die gedruckten und gesprochenen“ (Hall 1976: 20). Dies ist nicht etwa nebensächlich für eine Rede, sondern kann ganz beträchtliche Auswirkungen haben, noch bevor wir das erste Wort schreiben. Im Idealfall sollte der Vortragende also den Raum kennen, in dem er seine Rede hält, und sich folgende Fragen stellen: 1. Augen: Wie sind die Lichtverhältnisse? Welche Farbe ist bestimmend? Ist Tageslicht ausreichend oder wird künstliches unterstützen müssen? Ist der Raum hoch oder niedrig? 2. Ohren: Wie sind die Schallverhältnisse? Ist der Klang eher dumpf (Teppich) oder hell? Gibt es einen Nachklang oder sogar den gefürchteten Nachhall? 3. Nase: Riecht es frisch, muffig, abgestanden, neu? 4. Haut: Ist es kalt oder warm?
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Umberto Eco, den wir als Schriftsteller kennen, ist einer der weltweit führenden Wissenschaftler, die sich mit der Sprache der Zeichen beschäftigen. Er unterscheidet zwischen erster und zweiter Funktion von Gegenständen, Räumen und Gebäuden, wobei die erste die eigentliche, die zweite eine zusätzliche Funktion ist. So besitzt zum Beispiel ein Thron als erste Funktion jene des Sitzens. Die zweite jedoch ist jene des Präsentierens. An diesem Beispiel wird klar, dass die zweite Funktion die erste überlagern kann und viel wichtiger wird als die ursprüngliche (vgl. Eco 1988: 306 ff.). Für uns resultiert aus dieser Beobachtung, dass Räume eine erste, also eigentliche Funktion besitzen, zusätzlich aber auch über eine zweite verfügen können, die es zu beachten gilt. Die erste Funktion von Räumen besteht in der Regel darin, einen Bereich von anderen abzugrenzen, um dort zu arbeiten, zu wohnen oder Ähnliches. Die zweite Funktion kann diese überlagern. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob die Präsentation im Zimmer des Chefs, in einem normalen Gruppenraum oder vielleicht sogar in der Kantine stattfindet. Es ist auch nicht egal, ob die Rede im mit Schnickschnack überladenen Raum einer herrschaftlichen Villa oder in der nüchternen Stadthalle stattfindet. Immer müssen wir uns bewusst werden, welche Beziehungen die Zuhörer zu diesem Raum haben, wie sie sich dort verhalten werden, welche Stimmung der Raum bewirken wird. Wenn es nicht möglich ist, den Ort der Tat selbst zu besuchen, sollte man zumindest jemanden danach fragen. Das Minimum: Suchen Sie Bilder!
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2.2 Was zwischen Redner und Hörern so abläuft Vögel auf Stromleitungen, Badegäste am Strand, Besucher eines Cafés, Angestellte im Büro, Redner und Zuhörer – sie alle orientieren sich an einem natürlichen Phänomen: Territorialität. „Die meisten der höheren Wirbeltiere (Vögel, Säuger, Reptilien) sind territorial. Sie besetzen einzeln, paarweise oder in geschlossenen Gruppen bestimmte Gebiete, die man Territorien oder Reviere nennt, und sie verteidigen sie notfalls gegen Eindringlinge.“ (Eibl-Eibesfeldt 2004: 455) Das schwer auszusprechende Wort Territorialität, welches darum nur vorsichtig in einem gesprochenen Text verwendet werden sollte, bezeichnet also das Verhalten von Lebewesen, ein Gebiet abzugrenzen. Tiere markieren mit Duftstoffen, mittels Lauten und durch zwischentierliche Abstände. Menschen besetzen im privaten und öffentlichen Raum ebenfalls zeitweise oder dauerhaft Territorien, sogenannte Mikroräume, und markieren diese ebenfalls durch Grenzen – sichtbare und unsichtbare. Sie ziehen Zäune um ihr Grundstück, setzen sich im Kino mit gebührendem Abstand zum Nachbarn, auf der Parkbank ans andere Ende und lassen im Café gern einen Tisch zum nächsten Espresso-Trinker frei. Die Jacke über dem Stuhl signalisiert: meiner. Das Badehandtuch bedeutet: Dieser Teil des Strandes wurde von mir „gepachtet“. Beobachten Sie einmal gezielt Ihre Umwelt in Bezug auf diese Tatsache. Sie werden erstaunt sein, wo, wie und womit Menschen „ihr“ temporäres oder wirklich ihnen gehörendes Territorium markieren. Ein Phänomen, das besagter Hall bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ausmachte, ist Ausdruck unseres Territorialverhaltens: Distanz-Zonen. Hiermit meint der Anthropologe die Abstände zwischen den Menschen, die von „intim“ bis „öffentlich“ reichen und von
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Kultur zu Kultur andere sind. Hall konstatiert zum Beispiel: „Die Ansicht der Amerikaner, daß Raum mit anderen geteilt werden sollte, ist den Deutschen besonders lästig“ (Hall 1976: 138). Was hat das nun alles mit einer Rede, einem Vortrag oder einer Präsentation zu tun? Gerade hier liegt in der Regel ein Extremfall von Territorialität vor. Die Zuhörer sitzen als große Gruppe – dicht gedrängt nebeneinander – auf der einen Seite, der Akteur steht meist allein auf der anderen. Aus Sicht des Redners: ‚Die sind ganz viele und müssen nichts tun; ich bin allein und habe die Arbeit.’ In einer Rede-Situation befinden sich die Zuhörer untereinander in der kleinsten, zum Redner jedoch in der größten der möglichen Entfernungen. Und weil die Zuhörer in der Regel einander fremd oder zumindest nicht miteinander verwandt sind, beeinflusst diese Nähe auch deren Aufnahmefähigkeit: „In intimer Distanz ist die Gegenwart des anderen deutlich und kann wegen des beträchtlich verstärkten sensorischen Inputs überwältigend sein. Das (oft verzerrte) Sehen, der Geruchssinn, die Körperwärme des anderen, Geräusch, Geruch und das Spüren des Atems vereinigen sich, um das unverkennbare Involvement mit einem anderen Körper zu signalisieren.“ (Hall 1976: 121) Die Zuhörer haben also vor allem zu Beginn der Veranstaltung mehr damit zu tun, sich an diese Nähe der anderen Hörer zu gewöhnen und sich in ihrem sehr beengten Territorium „festzusetzen“, „einzurichten“ und von den anderen Hörern abzugrenzen, als dem Redenden zuzuhören. Allein dies ist ein wichtiges Argument für einen ungewöhnlichen Beginn, der die Aufmerksamkeit des Zuhörers fesselt – vom unmittelbaren Nachbarn auf den Redner lenkt und auf das, was dieser zu sagen hat! Die öffentliche, also viel weitere Distanz, in der sich der Vortragende zu seinen Hörern meist befindet, zeitigt ganz andere Folgen:
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Er wirkt für die Zuhörer kleiner und wird in einem „Rahmen“ wahrgenommen. Mimik und Einzelheiten der Bewegungen gehen größtenteils verloren, die Zuhörer können sie nicht mehr wahrnehmen, geschweige deuten. Bestimmte Kommunikations-Inhalte, die im persönlichen Gespräch von Mimik und Gestik übertragen werden, muss nun auch der Text übernehmen. An dieser Stelle wird klar: Der Text selbst hat Vieles stärker, deutlicher und pointierter darzustellen. Er darf sich nicht darauf verlassen, dass Gesagtes bereits beim ersten Mal verstanden wird. Er muss die wichtigsten Punkte mehrfach und variierend wiederholen. Und er muss häufig die Aufgaben von Mimik und Gestik mit übernehmen, weil beide aufgrund der Entfernung zwischen Redner und Zuhörer meist gar nicht wirken können.
2.3 Segnen Sie das Zeitliche Das gute alte Mittagsschläfchen, welches neudeutsch als „power-napping“ daherkommt, ist eine Folge unserer biologisch festgelegten Leistungskurve. Diese erreicht zwischen zehn und elf Uhr ihren Höhepunkt und sinkt anschließend kontinuierlich bis gegen vierzehn Uhr ab. Dann geht es bis zur Tagesschau wieder aufwärts. Von individuellen Abweichungen abgesehen, müssten also Vorträge, Präsentationen und Reden gerade dann gehalten werden, wenn ganz Deutschland zum Frühstückchen greift. Weil aber das Gegenteil der Fall ist, können wir davon ausgehen: Die Zuhörer befinden sich nicht auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, was wiederum bedeutet: Einfach, klar und verständlich strukturieren, argumentieren und reden. Es gibt aber noch weitere Gründe, die Zeit im Auge zu behalten. Im Zusammenhang mit anderen Zeichensystemen wird sie nämlich selbst zum Zeichen und bedeutet demnach etwas. Wenn der Redner zu spät kommt
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oder der Vortragende die Redezeit überzieht, machen sich die Zuhörer darauf ihren Reim. Sie werten dies als Indiz für den Grad der Einstellung ihnen gegenüber, was sich wiederum auf die Aufnahme und Verarbeitung des Gesagten auswirkt. Auch beim Vorgang des Sprechens wird die Zeit zum bedeutenden Kommunikations-Faktor. Rast der Redner durch den Text oder gibt er den Zuhörern ausreichend Zeit, nachzuvollziehen und zu verstehen? Hinzu kommt, dass ungenaue Zeitangaben wie bald, früher, pünktlich nicht nur von Kultur zu Kultur, sondern auch individuell unterschiedlich verstanden werden. Es lohnt sich also, die Zeit und ihre verschiedenen Aspekte in die Überlegungen einzubeziehen. Konkret: Seien Sie pünktlich, sprechen Sie langsam, formulieren Sie genau, strukturieren Sie den Text auch mit Hilfe von (möglichst genauen) Zeitbegriffen.
2.4 Der Hörer als gemeines Gruppenwesen Auch wenn allerorten Teamfähigkeit gewünscht und Teamgeist eingefordert wird – der Mensch leistet in der Gruppe, und das ist nun mal das Team, eher weniger als mehr. Dies haben verschiedene Untersuchungen bereits in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gezeigt. Und hier nun die Meldungen im Einzelnen: 1. Das Individuum orientiert sich unbewusst stärker an der Gruppe, es ist bereit, einem Konformitätsdruck nachzugeben. 2. In der Gruppe bildet sich eine Art Gruppenidentität heraus: Wir zusammen, der da vorn allein. 3. Individuen in der Gruppe geben dem Drang nach, sich gruppenkonform zu verhalten (was sich zum Beispiel durch sich fortpflanzendes Lachen oder beim Klatschen zeigt und manch einen Redner dazu verleitet, Claqueure im Publikum zu platzieren).
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4. Die Gruppenmitglieder nehmen eine bestimmte Rolle ein und benehmen sich entsprechend (vgl. Zimbardo 1995: 723 ff.). Auch wenn die daraus folgende Erkenntnis unserem Selbstbild widerspricht und manch ein Leser, der natürlich teamfähig ist, jetzt vielleicht lautstark protestiert – in der Gruppe leisten Menschen weniger. Diese Feststellung ist für Situationen, in denen einer spricht und andere zuhören, oberflächlich betrachtet von Nachteil für den Redner. Auf der einen Seite bildet sich so etwas wie ein Gemeinwesen heraus, das dem Alleinkämpfer erst einmal abwartend gegenübersteht: ‚Nun zeig uns mal, was du kannst.’ Positiv gewendet lässt sich daraus aber sehr schnell Kapital für den Redner schlagen. Er muss versuchen, die Gruppe als Ganze auf seine Seite zu ziehen, dann kann er die gruppendynamischen Aspekte nutzen, um einzelne Querulanten, Nörgler oder Kritiker auszuschalten. Wie dies zu bewerkstelligen ist, zeigen die folgenden Kapitel.
2.5 Der Redner als einsamer Wolf Wo Schatten, da auch Licht. Und in dem steht gewöhnlich der Redner. Wenn auf der einen Seite die Leistungen des Einzelnen nachlassen, dann steigen sie auf der anderen Seite der unsichtbaren Grenze zwischen der ersten Reihe und dem Podium an. Der Redner weiß, dass er allein ist. Ihm ist klar, was die Zuhörer erwarten. Wie die einzelnen Gruppenmitglieder in den Stuhlreihen sich unbewusst in ihre Rolle fügen, so schlüpft der Redner unversehens in seine. Die Zuhörer wollen, dass er sie unterhält, nicht langweilt. Sie wünschen, dass er etwas Interessantes bringt, keinen kalten Kaffee. Kurzweil ist angesagt, nicht Langeweile. Kurzum, der Redner befindet sich in einer Stress-Situation, um all diese Anforderungen zu erfüllen.
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Nun kann er dieser emotional oder problemzentriert begegnen. Emotional geht er vor, wenn er versucht, die Gefühle und Gedanken zu verändern, die mit der Situation zusammenhängen: ‚Nein, ich habe keine Angst. Ich entspanne mich, lenke mich ab oder … trinke ein Glas Sekt, bevor ich aufs Podium steige.’ All diese Möglichkeiten haben eines gemeinsam: Sie ändern nichts an der Einstellung gegenüber der Aufgabe. Problemzentriert handelt der Akteur, wenn er das Problem offen angeht und den Auslöser bearbeitet. Wenn er kurz vor seiner Rede damit beginnt, ist es jedoch zu spät. Weit vor dem eigentlichen Ereignis muss sich das Stress auslösende Ereignis – der Monolog – in eines verwandeln, auf das sich der Akteur freut. Dies gelingt aber nur, wenn er folgende Fragen mit ‚Ja!’ beantwortet: 1. Ist mir der Text auf den Leib geschrieben und beherrsche ich die Aufgabe? 2. Überrasche und unterhalte ich meine Zuhörer? 3. Freue ich mich darauf, endlich die vorbereiteten Inhalte vorbringen zu können? 4. Macht es mir Spaß, meine Zuhörer zu unterhalten? Wenn also der Text einen verblüffenden Einstieg bereithält, freut sich der Redner, diesen präsentieren zu dürfen. Wenn die Präsentation wie das Überraschungs-Ei zugleich unterhält, informiert und begeistert, ist der Präsentierende bereits vor dem ersten Wort stolz auf das Kommende. Wenn der Referent weiß, dass er sich von anderen wohltuend abhebt, eben weil er anders als die Masse vorgeht, verdrängt die Vorfreude schnell das Lampenfieber. Dann ist er intrinsisch, also von innen heraus motiviert, und kann sich extrinsische Motivation ersparen.
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„Die Motivation, sich einer Tätigkeit um ihrer selbst willen zu widmen, wird intrinsische Motivation genannt. Extrinsische Motivation dagegen ist die Motivation, sich einer Tätigkeit der Konsequenzen wegen und weniger um ihrer selbst willen zu widmen.“ (Zimbardo 1995: 439)
2.6 Folgen aus alledem 1. Raum im Vorfeld besichtigen und die besonderen Gegebenheiten in die Textplanung einbeziehen. 2. Gründlich planen und vorbereiten. 3. Lieber zu früh als zu spät erscheinen, nicht zu langatmig sprechen, kurz und prägnant präsentieren, Tageszeit und Leistungskurve beachten. 4. Einfach schreiben, Wichtiges wiederholen. 5. Einen starken Beginn einplanen, der die Zuhörer unmittelbar an den Redner und seine Inhalte fesselt. 6. Mehr Zeit in den Text als in Mimik und Gestik investieren, denn diese sind – wenn überhaupt – nur in der ersten Reihe sicht- und erlebbar.
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3. Neues zum Schreiben und Verstehen
3.1 Wie verstehen Hörer, wenn sie verstehen? Das Verb verstehen ist mehrdeutig. Als Erstes meint es das adäquate akustische Aufnehmen einer Äußerung. „Ich habe verstanden“ heißt hier: ‚Der Satz ist akustisch bei mir angekommen, ich kann ihn wiederholen.’ Als Zweites ist Verstehen das Nachvollziehen der Bedeutung: ‚Ich weiß, welche Bedeutung deine Worte beinhalten’ (vgl. Paul 2002: 1106). Verstehen in beiderlei Wortsinn ist ein Vorgang mit einer ganz besonderen Eigenschaft. Man kann ihn nicht willentlich unterbrechen, man kann auch nicht mal so und mal so verstehen. Hinzu kommt, dass Verstehen situationsgebunden, individualtypisch und damit an das unterschiedliche Weltwissen der Zuhörer gebunden ist. Ein kleiner Test soll dies verdeutlichen. Wie wird der folgende Satz in den dargestellten Situationen wohl vom jeweiligen Zuhörer verstanden werden? „Bullen gehören auf die Weide.“ a) Bio-Bauer zu seinem Knecht im Stall b) Autofahrer zu einem Polizisten am Straßenrand c) Naturschützer zum LKW-Fahrer, der Rinder transportiert Der Knecht versteht den Satz vielleicht als Aufforderung zum Handeln, der Polizist als Beleidigung, der LKW-Fahrer als Protest. Ein und derselbe Satz kann die vielleicht widerwillige Handlung des Knechts nach sich ziehen, eine Klage des Polizisten und das Achselzucken des Fahrers. Wenn wir in unserem Experiment die angesprochenen Personen belassen, aber den Kontext ändern, bekommt der Satz wieder einen anderen Sinn und wird demnach auch anders verstanden. Wenn zum Beispiel der Naturschützer denselben Satz zum Bio-Bauern sagt, versteht dieser den Satz vielleicht als Vorwurf. Äußert der Autofahrer ihn an der Raststätte zum LKW-Fah-
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rer angesichts einer Polizeikontrolle, wertet dieser ihn möglicherweise als Zustimmung. Der Naturschützer wiederum drückt durch den Satz – zum Polizisten gesprochen – eine Aufforderung zum Handeln aus. Die wenigen Beispiele beweisen, dass Hörer beim Verstehen immer Handlungen nachvollziehen, die in einer Äußerung ausgedrückt sind, in unserem Beispiel beleidigen, auffordern, vorwerfen, protestieren, zustimmen. Wenn der Sprecher also die Handlung nicht klar genug ausdrückt oder den Kontext der Rede nicht genügend beachtet, können die Hörer ihn unter Umständen nicht adäquat verstehen. Was genau bei diesem Vorgang im Gehirn der Zuhörer geschieht, konnten wir bis vor kurzem nur erahnen. Seitdem Neurologen, Psychologen und Linguisten aber unserem Gehirn mittels verschiedener bildgebender Verfahren bei der Arbeit zusehen können, wissen wir mehr über diesen komplizierten Prozess. Die empirisch gewonnenen Erkenntnisse wiederum helfen uns, bessere Texte zu schreiben. Bis vor wenigen Jahren glaubten die Wissenschaftler noch, das Gehirn verarbeite Sprache ausschließlich in zwei Bereichen, dem Broca- und Wernicke-Areal. Heute weiß man, dass mehrere Gebiete am Sprechen und Verarbeiten von Sprache beteiligt sind, die teilweise relativ weit auseinander liegen. Unser Gehirn verarbeitet die gehörten Laute, grammatischen Strukturen und die Bedeutung der einzelnen Wörter teils nacheinander, teils gleichzeitig. Es fragt vor allem: Wer tut etwas? Was tut dieser? Wem tut er dieses an? Die Satzmelodie, also das Auf und Ab der Tonhöhe inklusive anderer phonetischer Elemente, wird vor allem von der rechten Gehirnhälfte verarbeitet, die auch für Emotionen zuständig ist. Frauen reagieren – und das ist für Männer nichts Neues – auf die emotionalen Informationen der
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Satzmelodie früher und nachhaltiger als Männer. Wenn es beim Verstehen Probleme gibt, scheint für Frauen im Zweifelsfall auch die Melodie den Inhalt zu dominieren. Wenn Zuhörer einen Text verarbeiten, rufen sie ihr Wissen über die Welt, ihre ganz individuellen Erfahrungen und Erinnerungen auf und setzen diese mit dem Gehörten in Beziehung. Dieser Vorgang ist so bedeutsam und läuft so vordergründig ab, dass jeder Zuhörer in einem Raum einen gesprochenen Text in seiner ganz persönlichen Fassung hört. Dies wiederum hängt eng mit dem Text selbst zusammen. Unsere Erfahrungen als Leser sagen uns: Ein Text ist eine Sammlung von Zeilen, die untereinander geschrieben sind. Wenn wir etwas nicht verstehen, können wir noch einmal nachlesen. Dieses Verständnis erzeugt aber einen falschen Eindruck, denn ein Text bietet alle Informationen linear, also nacheinander. Besser ist es also, wir stellen uns eine meterlange Perlenschnur vor, mit einem Anfang und einem Ende, denn der Hörer kann nicht „zurückhören“. Wenn nun die einzelnen Perlen dieser langen Kette Informationspaketen entsprechen, dann kann der Hörer nur zwischen fünf bis sieben davon im Kurzzeitgedächtnis halten. Das heißt nicht, dass es nur fünf bis sieben Wörter sind, sondern zusammenhängende Informationseinheiten. Wenn diese entsprechend ihrer natürlichen Ordnung und Abfolge dargeboten werden, belastet dies das Kurzzeitgedächtnis weniger, und der Hörer kann uns besser folgen. Chronologisch nacheinander und in kleinen und überschaubaren Häppchen ist also besser als zeitlich konfus und mit allzu großen Brocken (vgl. Willenberg 1999: 7 ff.; Friederici 2003: 43 ff.). Hierzu ein überschaubares Negativ-Beispiel:
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Die Polizei nahm den Dieb fest, nachdem er den Kassierer erschossen und die Waffe gestohlen hatte. Der Hörer hört folgende Informationspakete nacheinander: Polizei nimmt Dieb fest. Dieb erschießt Kassierer. Dieb stiehlt eine Waffe. Die richtige Reihenfolge kann der Hörer hier noch aufgrund seines Weltwissens rekonstruieren: Dieb stiehlt eine Waffe. Dieb erschießt Kassierer. Polizei nimmt Dieb fest. Das Problem: Der Zuhörer hört bereits die nächsten Sätze, während sein Gehirn noch an der Sache mit dem Kassierer arbeitet und versucht, die Informationen in die natürliche Reihenfolge zu bringen. Das strengt an und verdrießt den Hörer, denn wir alle scheuen Anstrengung und suchen meist den effektivsten, also kürzesten (Verstehens-)Weg. Besser also, der Redner bietet seinen Hörern die Informationseinheiten gleich in der chronologisch richtigen Reihenfolge an. Dem aber widerspricht eine weit verbreitete Fehleinschätzung deutscher Sprecher. Hierzulande glauben offenbar viele, je komplizierter und verquaster, umso intelligenter. Diese Auffassung zeigt sich dann in Äußerungen wie: ‚Wenn ich das so einfach bringe, verliere ich doch meinen Ruf’, oder ‚Das klingt mir zu primitiv.’ Falsch. Verschiedene Untersuchungen haben das genaue Gegenteil bewiesen. Sprich einfach, dann verstehen die Zuhörer besser und – jetzt kommt der wichtigste Punkt – bringen dem Redner eine höhere Wertschätzung entgegen. Hörer und Leser halten den Redner schlicht und ergreifend für intelligenter (vgl. „Simple Sprache wirkt intelligenter“, in: SPIEGEL
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online: 01.11.2005). Als Beispiel ein Auszug aus einer Rede von Angela Merkel vom 25. März 2007: „[…] Heute feiern wir den 50. Geburtstag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Wir feiern dieses Fest an einem Ort, wie er symbolträchtiger kaum sein könnte. In Berlin. In einer Stadt, die bis vor 18 Jahren durch Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl geteilt war. In der Menschen die Flucht in die Freiheit mit ihrem Leben bezahlt haben. Ich wuchs auf der östlichen Seite dieser Stadt in der DDR auf. Bei der Verabschiedung der Römischen Verträge war ich drei Jahre alt. Ich war sieben Jahre alt, als die Mauer gebaut wurde. Sie teilte auch meine Familie. Ich glaubte nicht, dass ich vor meinem Rentenalter frei in den Westen würde reisen können. Wenige Meter von hier endeten meine Wege. Aber dann fiel die Mauer doch. Ich habe am eigenen Leib die Erfahrung gemacht: Nichts muss so bleiben, wie es ist. […]“ (www.bundesregierung.de) Einfach und verständlich. Würde jemand Frau Merkel darum als weniger intelligent bezeichnen? Wie gut und einfach Leser ganze Texte verstehen, hängt also auch von der Reihenfolge der dargestellten Inhalte ab, Stichwort: Perlenkette. Der Hörer versteht aber auch besser und verarbeitet schneller, wenn die Texte einfach gebaut sind, sie also verständliche Worte verwenden und vielfältige Textverknüpfungsmittel bereithalten. Was der Hörer letzten Endes inhaltlich speichert, hängt nicht von der Struktur der Sätze ab, gespeichert werden lediglich die verarbeiteten Informationen. Diese unterteilt der Hörer blitzschnell in: wichtig für mich oder unwichtig, hoher Informationsgehalt oder niedriger, obere Hierarchiestufe oder niedrige. Erst wenn die Informationen persönlich bedeutsam für den Hörer sind, kommen sie an und bleiben hängen. Entscheidend ist also nicht, wie kompliziert unsere Sätze gebaut sind. Entscheidend ist, wie die Sätze es schaffen, die wichtigsten Informationen so zu transportieren, dass der Redner seine (Kommunikations-)Ziele erreicht.
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3.2 Strategisch schreiben heißt verständlicher schreiben Vorab die gute Nachricht: Es gibt im Grunde genauso viele Schreibstrategien wie Menschen. Diese lassen sich natürlich klassifizieren (falsch, nicht die Menschen, sondern die Schreibstrategien lassen sich klassifizieren.). Und man kann von anderen lernen (von anderen Menschen natürlich). Bevor wir uns jedoch diese (jetzt geht es wieder um die Strategien) ansehen, die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst: Schreiben ist nicht einfach nur Notieren des Gedachten. Es ist nicht einfach nur Materialisieren des Immateriellen, sondern sehr kompliziert. Darum wird es auch kaum jemanden geben, der locker aus dem Ärmel schreibt und nebenbei, sagen wir, ein Weißbier richtig genießen kann und zugleich dem Tirili der Vögel lauscht (ich weiß, wovon ich rede). Am Prozess des Schreibens sind alle Einheiten unserer Sprachkompetenz beteiligt, also auch Ohr und Mund. Das wird daran deutlich, wenn wir leise oder laut mitlesen oder den Klang des geschriebenen Textes innerlich hören. Besser ist es allerdings, einen Text, der später gesprochen wird, immer wieder durch lautes Sprechen zu kontrollieren und zu verbessern und zu ergänzen und zu verwerfen und … Beachten Sie: Auch im Zeitalter von Festplatten und Monitor ist der Papierkorb – und sei es nur der virtuelle – der beste Freund des Schreiberlings. Heute wissen wir, dass es keine festgelegte Schrittfolge zwischen Denken und Sprechen gibt. Beide Handlungen benehmen sich beim Textverfassen wie zwei gleich starke und gleich lebhafte Zwillinge auf dem Spielplatz. Mal rennt der eine voran, mal der andere. Mal sagt das Denken, wo es langgeht, mal das Sprechen. Mal hat der eine das Spielzeug, ätsch, mal der andere.
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Wenn wir unsere Sätze, Textsegmente, Absätze und abschließend den kompletten Text immer wieder begutachten, schlüpfen wir in die Rolle unserer Zuhörer und können den Text schrittweise verbessern. Eine wichtige Voraussetzung: Wir dürfen nicht zu selbstverliebt an Formulierungen hängen und sollten auch unserem Freund, dem Papierkorb, von Zeit zu Zeit Futter gönnen. Die Aufgaben, die ein Schreiber zu lösen hat, sind vielfältig. Zuerst einmal muss er sein Ziel formulieren. Dann sollte er seine Zuhörer einschätzen, deren Intentionen, Wünsche, Vorstellungen und wahrscheinlich bekannten Wissenselemente kennenlernen. In diesem Zusammenhang sollte er mögliche gegenteilige Meinungen oder Einwände antizipieren, diese hierarchisch ordnen und eine plausible Argumentationsstrategie entwickeln (mehr dazu im Kapitel 5). Erst dann geht es ans Schreiben. Um herauszufinden, wie viele grundsätzliche Schreibstrategien existieren, hat Hanspeter Ortner sechstausend Menschen befragt und deren Vorgehensweisen in bestimmte Kategorien eingeordnet (vgl. Ortner, in: Perrin/Böttcher/Kruse 2003: 63 ff.). Demnach gibt es Menschen, die einfach anfangen zu schreiben und sehen, was dabei rauskommt. Andere notieren erst die Idee und formen daraus Schritt für Schritt den Text. Wieder andere schreiben Versatzstücke und Textpassagen, bevor sie diese zu einem Ganzen zusammenfügen. Dann gibt es Planer, die von der Idee über die Textarchitektur und Gliederung planen und anschließend in strenger Chronologie schreiben. Egal zu welchem Schreibtyp Sie gehören, uns allen ist eine Voraussetzung gemeinsam, wenn wir eine Rede oder einen Vortrag vorbereiten: keine Zeit. Um die wenige vorhandene Zeit sinnvoll zu nutzen, müssen wir also zielorientiert vorgehen. Wie, erfahren Sie im Kapitel 4.
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3.3 Was beim Schreiben hilft Die folgenden Hinweise sind eine bunte Mischung meiner eigenen Erfahrungen. Darum sind sie weder allgemeingültig noch funktionieren sie bei jedem. Ich möchte sie lediglich als Hinweise und Ansätze verstanden wissen. a) Schreibhemmung/Schreibblockade überwinden Ernest Hemingway, Franz Kafka, J.R.R. Tolkien und viele andere berühmte Autoren hatten mit ihnen zu kämpfen, die meisten von uns kennen sie. Schreibblockaden oder Schreibhemmungen äußern sich ganz unterschiedlich. Die berühmte Angst vor dem Blatt Papier gehört genauso dazu wie das Zu-viel-Grübeln vor dem ersten Satz, das Satz-für-Satz-Stottern oder körperliche Unruhe vor dem Schreiben oder währenddessen. In vielen Fällen ist Angst die Ursache. Angst vor dem Termin, Angst vor dem scheinbar Unwiderruflichen des schriftlich Fixierten, Angst vor potenzieller Kritik, Angst davor, etwas falsch zu machen. Vielfach äußert sich diese Angst in der Phrase vom Schreiben-Müssen: Ich muss die Rede, den Vortrag, die Präsentation schreiben. Besinnen wir uns auf das Positive: Wir teilen unserer Umwelt unsere Gedanken mit und zeigen ihr, dass wir etwas zu sagen haben. Wer etwas zu sagen hat, hebt sich von der Menge ab. Wer sich von der Menge abhebt, wird beachtet. Weil dieses Bewusstsein häufig noch nicht dazu führt, dass die Tastatur zu glühen beginnt, hier einige Hilfestellungen. 1. Einfach anfangen: Der Computer ist nur eine Maschine. Er bewertet nicht, kritisiert nicht und bildet geduldig jene Wörter ab, die wir eingeben. 2. Ideen einem Diktiergerät anvertrauen: Der Weg übers Mündliche hilft, wenn wir über eine Sache reden, aber (noch) nicht schreiben können.
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3. Notizen sammeln und notieren: Wenn jeder Gedanke einen Zettel bekommt, können wir die Reihenfolge beliebig verändern. Zudem schmecken die ausgesonderten hervorragend unserem Freund, dem Papierkorb. 4. Stolz sein: auf einzelne Formulierungen, Satzfetzen, Ideen. 5. Mit jemandem darüber reden: Heinrich v. Kleist dazu in seinem Aufsatz „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“: „[…] Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht hervorgebracht haben würde“ (Kleist 2007: 27). 6. Grübeln (Brüten) vermeiden: Wenn’s nicht wird, wird’s nicht (toller Satz!). Nutzen Sie die Zeit für andere Dinge, am besten körperlich. Ihr Unterbewusstsein wird es richten. b) Kreativität fördern Grob verallgemeinernd kann man von Kreativität als einer Fähigkeit sprechen, Bekanntes neu zu kombinieren und demnach ein zuvor unbekanntes Resultat zu entwickeln, das so noch nie existiert hat. Viel ist in den letzten Jahren über diesen Zauberbegriff und ihn fördernde Techniken geschrieben worden, darunter befinden sich zwei Mythen, die es zu entzaubern gilt: Mythos 1: Im Team entstehen neue Gedanken schneller und effektiver. Mythos 2: Brainstorming ist Viagra fürs Gehirn und lässt neue und vor allem kreative Ideen sprießen. Sehen wir uns zuerst das Team an. Im Grunde ist es nichts anderes als eine temporär zusammengestellte Gruppe. Wie bei der Gruppe der Zuhörer (vgl. Kapitel 2) wirken auch hier Prozesse, die sich negativ auswirken:
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1. Konformitätsdruck: Gruppenmitglieder neigen dazu, das Verhalten und die Meinungen der jeweils anderen anzunehmen. 2. Gruppennormen: In Gruppen bilden sich – meist unbewusst – bestimmte Verhaltensnormen heraus. Abweichungen davon werden nur wenig toleriert. 3. In-group und out-group: Mitglieder einer Gruppe bevorzugen Mitglieder ihrer eigenen und setzen jene einer anderen Gruppe herab. Dabei ist es gleichgültig, nach welchen Kriterien die Gruppen gebildet wurden (zum Beispiel eine rote und eine blaue); die Herabsetzung kann sogar feindliche Reaktionen nach sich ziehen. So haben Sozialwissenschaftler in einem Ferienlager willkürlich Gruppen von Kindern gebildet. Schon bald zeigten sich Wir-gegen-die-Gefühle, die zu verschiedenen Formen offensichtlicher Feindseligkeiten führten. Erst gemeinsam zu erledigende Aufgaben, ein gemeinsam zu erreichendes Ziel beendeten die Feindseligkeiten. Dies funktioniert auch bei Erwachsenen (vgl. Cialdini 2007: 229 f.). Das heißt aber nicht, dass in der nun größeren Gruppe die erwähnten negativen Tendenzen nicht aufträten. 4. Soziales Bummeln: Gruppenmitglieder neigen unbewusst dazu, sich auf Kosten der anderen auszuruhen und in ihren Anstrengungen nachzulassen; bekannt ist dies Phänomen auch durch die Paraphrasierung des Begriffes Team: ‚Toll, ein anderer macht’s’ (vgl. Zimbardo 1995: 723 ff.). Kommen wir zum zweiten, hartnäckig sich haltenden Mythos, dem Brainstorming. Bereits fünf Jahre, nachdem Alex Osborn seine Theorie veröffentlichte, konnten Psychologen der Stanford-University nachweisen: Einzelne Personen erzeugen in einer bestimmten Zeitspanne nicht nur mehr, sondern auch bessere Ideen als in der Gruppe. Das war 1958. Warum sich der Glaube an die Ideen fördernde Wirkung des Bregen-Sturms hartnäckig hält, soll hier nicht diskutiert werden. Eine Vermutung der Psychologen lautet: Die Teilnehmer selbst haben mehr Freude am Gemeinsamen
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und sind der (irrigen) Meinung, dass sie mehr Ideen entwickeln. Auf gut Psychologisch heißt das: verzerrte Wahrnehmung. Fest steht, dass auch nachfolgende Untersuchungen immer zu ähnlichen Resultaten kommen und diese bestätigen (vgl. Stroebe/Nijstad: 2003). Wirklich kreative Texte können also nur von einer Person geschrieben werden, eben wenn der Gruppendruck fehlt und der Einzelne sich zurückziehen kann. Dies ist allerdings kein Widerspruch zum vorher Gesagten. Ideen holen wir uns auch im Gespräch mit anderen. Geschriebene Texte oder Textpassagen müssen wir sogar mit mehreren besprechen. Schreiben aber sollten wir allein und möglichst in einer entspannten Atmosphäre! Zugleich ist es besser, wenn wir Kreativitätstechniken, die in der Gruppe durchzuführen sind, kritisch gegenüberstehen, denn – trotz des postulierten Kritikverbots beim Brainstorming – wirken die oben beschriebenen Normen samt ihrer beschriebenen negativen Auswüchse genau hier. Als förderlich, um kreatives Potenzial zu heben, haben sich hingegen andere Faktoren erwiesen: • Intrinsische Motivation: Menschen widmen sich einer Sache um ihrer selbst willen. Im Gegensatz dazu steht die extrinsische Motivation. Hier erwächst die Motivation aus den Konsequenzen, die folgen (Lob, Geschenk, Anerkennung …). Der Extremfall intrinsischer Motivation wird vom Motivationsforscher Csikszentmihalyi „Flow“ genannt. Das „Fließen“ bezeichnet einen Zustand, in dem der Mensch von einer Aufgabe völlig gefangen wird und ihr nachgeht (vgl. Csikszentmihalyi: 2002). • Interesse und Neugier: Eng mit intrinsischer Motivation hängen Interesse und Neugier für ein bestimmtes Thema zusammen. Selbst wenn scheinbar alles gesagt, alles gedacht wurde – es gibt immer wieder andere Blickwinkel auf einen Sachverhalt, der Erstaunliches zutage fördert. Was bedeutet Atom? Das Unteilbare. Wer steht im Mittelpunkt?
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Die Erde. Was ist sie? Eine Scheibe. Von deren Rand man unweigerlich abstürzen wird. Wenn es keine Neugier gegeben hätte, wären jene „Wahrheiten“ noch heute unumstößlich. • Nonkonformismus, Überzeugung, Selbstvertrauen und Zielorientierung: Galilei, Einstein, Kolumbus und andere hätten nie ihre Ziele erreicht, wenn sie dem Zeitgeist gefolgt wären und auf die wohlmeinenden Stimmen ihrer Zeitgenossen gehört hätten. Die kritische Einstellung gegenüber tradierten Normen hilft den Nonkonformisten und Zielorientierten dabei, andere Lösungen zu finden, eben weil sie einen Sachverhalt auch aus einer anderen Sicht betrachten können (‚Man fängt eine Rede an, indem man die Zuhörer begrüßt.’ ‚Wer sagt das?’) (vgl. Holm-Hadulla 2005: 33 ff.). Welche Schlüsse lassen sich aus den genannten Punkten ziehen? Betrachten Sie den zu schreibenden Text nicht als Last, sondern als Lust. Er ist das preiswerteste Mittel, mit dem Sie sich aus der Masse herausheben können. Vertiefen Sie sich in die Aufgabe und suchen Sie nach anderen als den gewohnten Wegen und damit auch Resultaten. Finden Sie neue Blickwinkel auf das Thema, fühlen Sie sich als Entdecker. Vor allem aber folgen Sie dem Rat von „Rosenstolz“: „Wenn du etwas anders bist als der ganze lahme Rest, wird die ganze Stadt langsam nervös, egal, lass sie nur reden …“ Genau das wollen wir ja mit einer Rede oder einem Vortrag erreichen! Dass andere über uns reden und wir anders sind als der ganze lahme Rest. Denn genau das ist das Kriterium einer Marke, die jeder haben bzw. verkörpern will. c) Lesen, lesen, lesen Sie verzichten auf BILD? Sollten Sie aber nicht, zumindest nicht immer. Mit dieser Zeitung können Sie lernen, wie man prägnant und zugleich unterhaltend schreibt. Einige Beispiele vom 20. Juni 2008, der Tag nach dem Sieg der deutschen Fußballer über Portugal:
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• „SCHWEINI-GEIL!“ (Wortspiel mit dem bekannten Adjektiv) • „Hund beim Arzt teurer als Mensch“ (Antithese) • „Bankraub für ihren neuen Busen“ (Paradoxon mit Alliteration = Anfangsreim) • „In Berlin sieht Kate Winslet ganz alt aus“ (Doppeldeutigkeit durch Phraseologismus) • „Charlotte Roche – Das ist ihr Feuchtgebieter“ (Doppeldeutigkeit durch Anspielung auf den Buchtitel) • „Das Stoppel-Ding von Sting“ (Neuschöpfung aus zwei vorgegebenen Begriffen) • „Ballack gibt Ronaldo den Rest“ (Phraseologismus mit Alliteration) • „In Ascot zeigt man wieder Mut zum Hut“ (Paronomasie = ähnlicher Klang unterschiedlicher Worte) Diese wenigen Beispiele aus nur einer einzigen Zeitung bestätigen meine These aus Kapitel 1, wonach Schreibende beim Schreiben vom Inhalt zur Form gehen, nicht umgekehrt. Man frage die BILD-Autoren, ob sie wissen, welche rhetorischen Figuren sie dort angewendet haben, vor allem aber, ob sie dies bewusst taten: ‚Also, bei dieser Überschrift könnte ich ja mal einen okkasionellen Phraseologismus mit einer Alliteration koppeln. Oder macht sich ein Chiasmus besser?’ Die Beispiele zeigen auch, dass Information und Spiel mit den Worten kein Widerspruch ist, ganz im Gegenteil. Wenn wir unsere Gedanken sprach-spielerisch verpacken und prägnant übermitteln, werden sie von den Hörern schneller aufgenommen, eben weil das Hören nun mit Spaß verbunden ist. Im Gegensatz zu BILD steht zum Beispiel DIE ZEIT. Als dickes Wochenblatt des Bildungsbürgertums greift es nicht nur andere Themen auf, sondern bearbeitet diese auch tiefgründig und mit einem anderen Sprachstil. Doch
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auch DIE ZEIT hat ihren Stil in den letzten Jahren geändert, nicht mehr trocken, sondern interessanter und manchmal sogar spritzig. Bleiben Sie aber nicht bei Zeitungen und Magazinen stehen. Wer nachhaltig besser schreiben und damit reden will, sollte lesen, wessen er habhaft werden kann. Das beginnt bei Etiketten auf Shampoo-Flaschen und endet noch nicht bei Anzeigentexten. Lesen Sie zur Freude Ihrer Kinder deren Bücher, schmökern Sie wieder Märchen, lesen Sie Krimis, Plakate, Anzeigen und alles, was Ihnen unter die Augen gerät. (Ein besonderer Tipp: Lesen Sie Walter Moers, mehr Phantasie und Sprachspiel in Kombination geht fast nicht.) Ihr Fundus an Worten und Stilrichtungen erweitert sich, was den Reden und Vorträgen zugute kommt. Wenn Sie aber mehr lesen, dann tun Sie dies bitte bewusster. Warum stolpere ich über jene Zeile? Weshalb ist mir dieser Satz nicht ganz verständlich? Warum überkommt mich jetzt ein leichtes Schmunzeln? Welchen Eindruck übt dieser Text auf mich aus und warum? Wenn Sie viel lesen, merken Sie: Alle kochen nur mit Wasser. Wenn Sie sehr viel lesen, entdecken Sie Fehler, Ungereimtheiten, Dinge, die Sie besser machen würden. Viel Spaß dabei!
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auch DIE ZEIT hat ihren Stil in den letzten Jahren geändert, nicht mehr trocken, sondern interessanter und manchmal sogar spritzig. Bleiben Sie aber nicht bei Zeitungen und Magazinen stehen. Wer nachhaltig besser schreiben und damit reden will, sollte lesen, wessen er habhaft werden kann. Das beginnt bei Etiketten auf Shampoo-Flaschen und endet noch nicht bei Anzeigentexten. Lesen Sie zur Freude Ihrer Kinder deren Bücher, schmökern Sie wieder Märchen, lesen Sie Krimis, Plakate, Anzeigen und alles, was Ihnen unter die Augen gerät. (Ein besonderer Tipp: Lesen Sie Walter Moers, mehr Phantasie und Sprachspiel in Kombination geht fast nicht.) Ihr Fundus an Worten und Stilrichtungen erweitert sich, was den Reden und Vorträgen zugute kommt. Wenn Sie aber mehr lesen, dann tun Sie dies bitte bewusster. Warum stolpere ich über jene Zeile? Weshalb ist mir dieser Satz nicht ganz verständlich? Warum überkommt mich jetzt ein leichtes Schmunzeln? Welchen Eindruck übt dieser Text auf mich aus und warum? Wenn Sie viel lesen, merken Sie: Alle kochen nur mit Wasser. Wenn Sie sehr viel lesen, entdecken Sie Fehler, Ungereimtheiten, Dinge, die Sie besser machen würden. Viel Spaß dabei!
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4. Eine erprobte Schrittfolge
4.1 Botschaften formulieren, die ankommen und bleiben Legen wir zuerst den Hörer bzw. Leser mitsamt dem Text auf die Couch und gucken uns an, was dabei rauskommt. Anders gesprochen: Wie verarbeiten Menschen Texte, was sagt die Psycholinguistik dazu? a) Hörer merken sich nicht, wie ein Text gebaut ist, sondern vor allem die Inhalte. Die Information(en) eines Textes sind wichtiger als deren Konstruktion. Hörer speichern nicht, wie lang oder kurz oder verschachtelt die Sätze sind, sondern deren Aussagen und Inhalt(e). Wie mühselig es ist, auch die Struktur eines Textes (also Satz für Satz und den genauen Wortlaut) ins Gedächtnis zu brennen, wird beim Auswendiglernen klar. b) Leser und Hörer bilden Inhalts-Hierarchien. Je wichtiger die Inhalte, umso weiter oben auf der individuellen (!) Bedeutungs-Skala werden diese angesiedelt. Jeder neue Inhalt wird hinsichtlich der sich gleichzeitig aufbauenden individuellen Stufenleiter bewertet und eingeordnet. Inhalte, die wichtiger sind und die der Redner mehrmals, auch in veränderter Form, wiederholt, rutschen nach oben. c) Leser und Hörer setzen die Inhalte eines Textes ständig mit ihren eigenen Erfahrungen und ihrem Wissen über die Welt in Beziehung und konstruieren sich so ihren eigenen Sinn. Wer also zu einem Thema mehr weiß, wird die neuen Inhalte leichter einordnen können als ein Anfänger oder Laie (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 354 ff.). Was sagt uns das alles? Am Ende bleiben Inhalte. Wenn die Rede, der Vortrag, die Vorlesung, die Präsentation es schafft, genau das zu übermitteln, was der Sprecher wollte: Glückwunsch!
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Dazu ein kleines Experiment: Erinnern Sie sich bitte an die letzte Veranstaltung, bei der einer der oben genannten Monologe gehalten wurde. Notieren Sie die wichtigsten Inhalte, die bei Ihnen „hängen geblieben“ sind. In der Regel sind es einige zentrale Aussagen. Wenn der Monolog gut strukturiert war, ist bzw. sind es genau jene, die der Sprecher kommunizieren wollte. Bei der Vorbereitung eines öffentlichen Monologs heißt also der erste Schritt: Botschaft formulieren, möglichst in einem Satz. Dieser Kern des Textes ist zugleich Leitfaden und oberste Kontrollbehörde für alle nachfolgenden Arbeiten. Wenn Hörer zwei Wochen nach dem Ereignis diese Botschaft inhaltlich wiedergeben können, dann ist sie angekommen. Bei historischen Reden habe ich nun beispielhaft versucht, die zentrale Botschaft aus dem vorhandenen Text zu rekonstruieren, sie ist also der Kern aller Aussagen, die der Leser interpretiert. Ob der Redner die Botschaft so geplant hat, muss natürlich offenbleiben. Wenn andere Leser eine andere zentrale Botschaft herauslesen, ist das auch Beweis dafür, dass die Leser bzw. Hörer an der Konstituierung des Sinns eines Textes maßgeblich beteiligt sind. Je mehr Hörer allerdings eine ähnliche Botschaft rekonstruieren, umso besser die Umsetzung: ‚Westberlin ist ein Symbol für die Freiheit. Diese Stadt wird deswegen von freiheitsliebenden Menschen in den USA und anderswo unterstützt.’ (zu Kennedy: „Berlinrede“, 26.06.1963) (vgl. Reden die die Welt bewegten o. J.: 585 ff.) ‚Die Neger in den USA sind auch heute noch nicht frei. Darum muss und wird der Kampf um deren Befreiung weitergehen.’ (zu King: „Traum von der Gleichberechtigung“, 28.08.1963) (ebenda: 587 ff.)
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‚Deutschland kann sich nicht erlauben, weiterhin auf hohem Niveau zu jammern. Weil wir mehr können, müssen wir uns jetzt endlich bewegen und Hemmnisse und Hürden beseitigen.’ (zu Roman Herzog: „Berlinrede“, 26.04.1997) (vgl. www.bundespraesident.de) Am Anfang der Arbeit an einem öffentlichen Monolog stehen ein bis zwei Sätze. Sie benennen die Botschaft des Textes, also den Inhalt, den Zuhörer zwei Wochen nach dem Ereignis nennen sollten. Nicht wörtlich, aber inhaltlich. Widmen Sie diesem Satz bzw. diesen Sätzen genügend Zeit und machen Sie sich klar, was wirklich „hängen bleiben“ soll. Wenn die Botschaft klar und einfach formuliert ist, die auch gern das Image des Redners fördern sollte, wird auch der Text klar und einfach strukturiert sein, mit verschiedenen sprachlichen Mitteln die Botschaft stützen und in allen möglichen Facetten ausmalen.
4.2 Material sammeln – weniger und tiefer ist mehr Je mehr ein Redner von seinem Thema weiß, umso besser ist es für die Rede. Er besitzt den Überblick, kann Wichtiges von Unwichtigem trennen und das Wichtige den Hörern variierend aufbereitet präsentieren. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es meist anders aus. Eben weil der Redner eine Menge weiß, möchte er so viel wie möglich in den Text reinpacken. Diese Information noch, jenes Häppchen und überhaupt der Zusammenhang zwischen diesem und jenem, wobei ich den versteckten Widerspruch, welcher zwischen jenem und diesem existiert, Ihnen, meine geneigten Damen und Herren, nicht vorenthalten möchte … Am Ende bleibt ein verwirrter Hörer, der nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht.
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Die Aufgabe eines Redners im Stadium der Faktensammlung ist eine der schwierigsten, die er zu bewältigen hat, weil sie direkt mit seiner Psyche zu tun hat. Zwei zähe Gedanken hindern ihn daran, sich auf die wichtigsten Fakten zu konzentrieren und die unwichtigen auszusondern: ‚Jeder soll sehen, welch ein schlauer Mensch ich bin und über welch großartiges Wissen ich verfüge’ und ‚Ich mach mich doch lächerlich, wenn ich mit nur wenigen Informationen aufwarte.’ Beide Gedanken sind zwar verständlich, aber fehl am Platz. Hörer schätzen Redner nicht aufgrund von Quantität, sondern aufgrund von Qualität. Nicht, wer durch Fülle und Detailversessenheit überfordert, wird anerkannt, sondern jener, der plausibel und unterhaltend vorträgt und seine wichtigsten Gedanken strukturiert und verständlich vorzubringen weiß. Es geht darum, die Fülle didaktisch angemessen zu reduzieren und den Mut zum Weglassen aufzubringen. Diese didaktische Reduktion, eine Arbeit, vor der Lehrer täglich stehen, kann sowohl quantitativ als auch qualitativ erfolgen. Wenn der Redner quantitativ reduziert, konzentriert er sich auf die wesentlichen Aspekte eines zu vermittelnden Sachverhaltes, was natürlich voraussetzt, dass er Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden kann. Die wesentlichen Punkte müssen auch nach der Reduktion in sich logisch sein und die zentrale Aussage, die in der Botschaft festgelegt wurde, tragen und kenntlich machen. Dabei sollte man den Hörer darüber informieren, dass es noch verschiedene andere Nebenaspekte gibt. Quantitativ reduziert ein Redner zum Beispiel, wenn er die Anzahl von verwendeten Zahlen auf ein Minimum begrenzt und diese zugleich aufbzw. abrundet. Quantitativ reduzieren muss er bereits in der Phase des Materialsammelns, weil er genau hier den Überblick über die zu verwendenden Inhalte behalten kann. Wenn er sich dann bei der Ausarbeitung an genau diese Fakten hält und nicht noch mehr hinzufügt, ist er schon einmal auf der sicheren Seite.
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Qualitativ reduziert der Redner, wenn er einen darzustellenden Inhalt anders vermittelt als einen anderen. So wird zum Beispiel ein Aspekt mittels einer Metapher anschaulich gemacht, ein anderer wird lediglich als Fakt – en passant – genannt. Auch die Art und Weise der Vermittlung verdeutlicht also dem Hörer, wo die Schwerpunkte liegen. Hinzu kommt, dass zentrale Aspekte wiederholend und variierend dargeboten werden, was den Hörern die Botschaft vermittelt: wichtig. Weitere Argumente für wenige, aber strukturiert und redundant vorgetragene Inhalte bietet die Forschung über das menschliche Gedächtnis. Es funktioniert nämlich weniger als Informationsaufnahme- denn als „Informationsverarbeitungssystem“ (Zimbardo 1995: 314). Wenn wir unseren Zuhörern neue Informationen präsentieren, dann verarbeiten sie diese aktiv. Sie vergleichen mit dem, was sie bereits wissen und stellen Beziehungen zu bereits vorhandenen Inhalten her. Die Kontrollinstanz dabei heißt Interesse. Was die Zuhörer beim Vergleich mit bereits Bekanntem nicht interessiert, wird auch nicht aufgenommen, geschweige denn verarbeitet. Wiederholen führt dabei zur Verbesserung der Gedächtnisleistung (vgl. ebenda: 314 ff.). Um der Gefahr ausufernden Palaverns möglichst schon in der Phase des Planens und Sammelns zu begegnen und zugleich Arbeit zu sparen, sollte eine Faktensammlung erstellt und diese möglichst ausgedünnt werden. Prüfen Sie die Fakten nach folgenden Kriterien: a) Zuhörer Ob bei einer Hochzeit die Gäste interessiert, dass der Bräutigam schon im zarten Alter von drei Jahren lernte, im Stehen zu urinieren, ist fraglich. Dass bei einer Präsentation einer Werbekampagne der Auftraggeber nicht wissen möchte, dass vier Kreative fünf Tage an der Ausarbeitung saßen, ist verständlich. Fragen Sie bei jedem einzelnen Stichpunkt in Ihrer
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Faktensammlung: Dient er meinem Kommunikationsziel? Stützt er direkt oder indirekt meine Botschaft? Interessiert er die Zuhörer? Ist er geeignet, emotional zu berühren? Gerade der letzte Punkt ist nicht marginal, denn Inhalte, die für die Zuhörer (!) emotional anregend kommuniziert werden, bleiben gerade deshalb besser im Gedächtnis. b) Textsorte Die Linguistik bezeichnet als Textsorte sprachlich fixierte Muster, die formale Gemeinsamkeiten und (eine) bestimmte kommunikative Funktion(en) aufweisen (vgl. Brinker 1997: 126). So sind zum Beispiel Geschäftsbriefe viel stärker durch Äußerlichkeiten (DIN 5008) und sprachliche Standards definiert als monologische Textsorten. Bezogen auf ihre kommunikative Funktion(en) ist hier informieren wichtiger als unterhalten. Vielleicht liegt auch darin ein Grund für die weit verbreitete Scheu, bei Monologen formal und sprachlich ungezwungener zu agieren – es gibt aber keine DIN für Reden, Präsentationen und Vorträge! Im Gegensatz zu anderen Textsorten rückt gerade bei Monologen die Funktion der Unterhaltung aus mindestens zwei Gründen stärker in den Vordergrund: 1. Die Hörer sind meist nicht gezwungen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Was Menschen aber freiwillig tun, möchten sie mit Spaß und Freude tun. 2. Menschen verstehen und lernen am besten, wenn die Inhalte an gute Unterhaltung gekoppelt werden. Reden, Vorträge, Präsentationen und Vorlesungen müssen also die Zuhörer stärker überraschen und emotional berühren. Nicht trocken und bürokratisch, sondern lebendig und mit Freude am Inhalt.
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c) Rahmen und Art des Monologs Noch immer dauern öffentlich gehaltene Monologe meist viel zu lange. Erst vor kurzem war ich als Zuhörer bei einer Veranstaltung mit sechs angekündigten Redebeiträgen. Obwohl der Veranstalter alle Redner – wie diese auch einhellig zugaben – um kurze Beiträge von fünf Minuten gebeten hatte, hielt sich keiner daran. Nach zwei Stunden war der Marathon (inkl. dreier kurzer Musikstücke) vorbei. Weil die Temperatur im Raum etwas über 30 Grad lag, konnte von einem Vergnügen nicht die Rede sein. Ganz offenbar hat keiner der Redner den Raum und die Zeit beachtet. Aber ich schweife von hinnen. Meine Erfahrung: Zehn bis zwanzig Minuten genügen bei Reden vollkommen. Wer es in dieser Zeit nicht schafft, seine Botschaften zu kommunizieren, schafft es auch sonst nicht. Vorträge hingegen können länger dauern, weil sie in der Regel vor einem Publikum gehalten werden, das gezielt wegen der erhofften Informationen gekommen ist. Aber auch hier verlieren die Zuhörer nach dreißig Minuten stetig die Lust am Zuhören. Besser also, der Redner schiebt kurze Pausen ein und bittet seine Zuhörer, nach einer kurzen Pause pünktlich (!) wieder am Platze zu sein.
4.2.1 Woher nehmen und nicht abschreiben? Was in einer Informationsgesellschaft wie der unsrigen im Überfluss vorhanden ist, sind meist Informationen. Die Frage ist: Sind sie relevant und vor allem glaubhaft? Auch wenn es altmodisch erscheint, sollten Quellen aus dem Internet nur vorsichtig verwendet werden. Vor allem frei zugängliche Foren wie Wikipedia sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie mittlerweile als PR-Plattform verwendet werden. Ob eine Information glaubhaft oder eher zweifelhaft ist, kann hier schon ein erster Blick auf Äußerlichkeiten zeigen. Sind in einem Text übermäßig viele orthografische Fehler enthalten, liegt die Vermutung nah, dass auch die Inhalte selbst nicht ganz koscher sind.
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Auch Datenbanken, die Aphorismen und Zitate veröffentlichen, bergen Fehler. Manchmal werden Äußerungen mehreren Personen zugeschrieben, was beim Vortrag schnell peinlich werden kann. Gerade hier wird deutlich, dass die Textsorte auch die Wahl der Quelle beeinflusst. Für eine Tischrede genügt häufig ein Blick ins Internet, bei einem Vortrag vor Fachpublikum kann er nur dazu dienen, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Andere Quellen, wie zum Beispiel das Statistische Bundesamt, können jedoch sehr schnell und vor allem problemlos fundiertes Material liefern. Auch Parteien, Stiftungen, Ministerien und Forschungseinrichtungen besitzen einen weitaus höheren Grad an Glaubwürdigkeit. Was aber tun, wenn sogar die inhaltliche Richtung unklar ist, wenn nicht einmal erste Ideen oder Ansätze vorhanden sind? Dann kann man sich einer „Suchmaschine“ bedienen, die Quintilian entwickelte und die unter dem Terminus „Topik“ bekannt geworden ist. Es handelt sich um „Fundorte“, die man nacheinander „aufsuchen“ kann, um zu Ideen und Hinweisen zu gelangen. Quintilian unterteilt Fundorte nach Personen und Sachverhalten. Loci a persona sind: Geschlecht, Nationalität, Vaterland, Alter, Erziehung und Ausbildung, Körperbeschaffenheit, Schicksal, soziale Stellung, Wesensart, Beruf, Neigungen, Vorgeschichte und Namen. Zu den Fundorten, die sich auf Sachverhalte beziehen (loci a re), zählt er Ursache, Ort, Zeit, Modus, Möglichkeit, Definition, Ähnlichkeit, Vergleich, Unterstellung, Umstände (vgl. Ueding/Steinbrink 1994: 234 ff.). Hervorgehoben wird bei dieser Art der Suche nach Anhaltspunkten, Ideen und Argumenten: Die Topik „stellt nur die Fundorte der in dem besonderen Fall erst zu ermittelnden Beweise zur Verfügung. Das Besondere, die auf die konkreten Gegebenheiten […] anzuwendenden Argumente, hat der Redner selbst ausfindig zu machen“ (ebenda: 235).
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Ein Beispiel, wie man die „Suchmaschine“ Quintilians nutzen kann: Ein neuer Oberbürgermeister wird in sein Amt eingeführt. Er heißt Meier. Der Redner hat nur wenige Informationen, soll aber zu diesem Anlass sprechen. Ein Blick in Quintilians „Suchmaschine“ zeigt unter anderem die Kategorien Beruf und Name. Nun bietet die Berufsbezeichnung den Ausgangspunkt, um auf die Aufgaben des Amtes einzugehen. Das Wort Oberbürgermeister besteht aus den drei Elementen Meister, Bürger und Ober. Ein Meister muss durch eine Prüfung zeigen, was er drauf hat. Ein Bürgermeister hingegen zeigt dies erst nach der Wahl. Die sprachliche Nähe der Vorsilbe Ober- zum Kurzwort Ober (i. S. Oberkellner) lässt Gedanken- und Wortspielereien zu. Der sehr geläufige Name des Mannes (Meier) bietet scheinbar keine Anhaltspunkte, die Herkunft des Namens aber beweist, dass sogar inhaltliche Bezüge zum neuen Amt bestehen: Ein Meier verwaltete die Landwirtschaft seines Herrn. Ein Bürgermeister verwaltet auch. Hier wiederum lassen sich Entwicklungen, Unterschiede und Querverweise aufzeigen. Und was machen wir mit der Drei? Sie „bedeutet die Überwindung der Entzweiung und drückt in ihrem umfassenden Wesen die Vollkommenheit aus, daher (ist sie) Grundlage verschiedener Systembildungen“ (Lurker 1991: 151). Die Drei finden wir in Religionen, Märchen, in verschiedenen Wissenschaften und zum Beispiel bei den Freimaurern. Das Dreieck ist das stabilste geometrische Element und darum für Architekten und Ingenieure wichtig. Und so weiter und so fort. Wenn der Redner nun die einzelnen Bestandteile der Amtsbezeichnung mit dem Namen verbindet und den Bogen zur Drei schlägt, wird die Rede interessant. Zur Illustration folgen Auszüge aus einer Rede. Sie zeigen, wie man die genannten Fakten umsetzen kann:
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[…] Meister wird man in Deutschland, wenn man laut Handwerksordnung eine Prüfung besteht. Im Paragrafen 45 heißt es: ‚Der Prüfling hat in vier selbstständigen Prüfungsteilen nachzuweisen, dass er wesentliche Tätigkeiten seines Handwerks meisterhaft verrichten kann.’ Wird ein Meister der Bürger auch geprüft? In welchen vier selbstständigen Prüfungsteilen? Meisterhaftes Händeschütteln? Meisterhaft Unterschriften leisten? Meisterhaft bei Trinkgelagen standhalten? Meisterhaft bei Stadtratssitzungen einschlafen? […] Ein Meister der Bürger erhält den Titel, noch bevor er zeigen kann, was er meisterhaft beherrscht. Die Bürger kaufen also die Katze im Sack. Beziehungsweise den Kater. Womit wir schon beim zweiten Teil des gewichtigen Wortes wären: Bürger. […] Wenn wir nun dem Meister das s und t wegnehmen, bleibt der Meier. Ein Meier ist aber, wie man nun denken könnte, kein Dreiviertel-Meister, er ist ein vollständiger. In den guten alten Zeiten verwaltete er die Landwirtschaft seines Herrn und hatte Sorge zu tragen, dass genügend Gerste und Hopfen in die Scheune kam. Wozu, ist klar. […] Nun, liebe Gäste, können wir die Begriffsbestimmung abschließen. Ein Oberbürgermeister ist der Kater im Sack, den hoffnungsvolle Bürger einkaufen, damit er ihre Bestellungen aufnimmt und das Gewünschte bringt. Was steht auf der tagesaktuellen Speisekarte? Arbeit, Freizeit, Kultur, Kita, Straßenbau und so weiter. Der Ober … Bürgermeister hat nun Sorge zu tragen, dass in seinem Restaurant alle Bürger das Gewünschte bekommen. Er muss durch sein Handeln beweisen, dass die Bürger den Richtigen eingekauft haben. […]
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4.2.2 Scheinbar Nebensächliches birgt Diamanten Wie das Beispiel des Ober-bürger-meisters Meier zeigt, liegen in fast allen Informationen, die uns zur Verfügung stehen, Ansätze für ganze Texte. Es kommt darauf an, die Edelsteine zu erkennen, gerade wenn sie noch ungeschliffen sind. Um in einem Haufen Kieselsteine jedoch einen solchen zu finden, muss ich erst einmal Kiesel sammeln. Nehmen Sie also das Körbchen und gehen Sie in den Informations-Wald. Hier suchen Sie gezielt nach allem, was mit Ihrem Thema zu tun hat. Vergessen Sie dabei nicht, erste Ideen festzuhalten, denn bei der weiteren Suche können diese schnell wieder verloren gehen. Frage am Rande: Warum hängt in dem Abschnitt, den Sie eben gelesen haben, das Bild schief? Zuerst wird eine Stein-Metapher bedient, anschließend geht’s in den Wald. Um keine Schwierigkeiten zu erzeugen, muss also das Bild von den Kieseln und dem Diamanten weiterverfolgt oder gleich mit dem Wald begonnen werden (vgl. Kapitel 6). Wie ist nun zu erkennen, ob in einem gesammelten Fakt mehr steckt? Wir müssen mehr Informationen zu diesem finden. Manchmal zeigt sich bereits unter der Oberfläche, manchmal aber erst in der dritten und vierten Ebene die Verbindung. Je tiefer und genauer also die Recherche ausfällt, umso mehr Anhaltspunkte ergeben sich zum Thema. Der Vorteil einer genauen und tiefen Recherche liegt auf der Hand. Der Redner kann sein Thema von einem unter der Oberfläche liegenden und damit ungewöhnlichen Standpunkt aus beleuchten. Wenn mehrere Redner zu einem Thema sprechen, ist es sogar dringend angeraten, diesen einzunehmen, denn nur so kann er sich mit Sicherheit von allen anderen absetzen. Zugleich zeigt er den Zuhörern indirekt, dass er sich a) intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt hat und b) darum mehr Zeit in die Vorbereitung investiert hat, was wiederum die Hörer honorieren dürften: Er hat sich Arbeit gemacht – für uns.
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Um sich diese Vorgehensweise generell zu eigen zu machen, haben sich verschiedene Denkvorgänge bewährt: a) „Um-die-Ecke-denken“: Betrachten Sie den Sachverhalt im eigentlichen und übertragenen Sinne von einer neuen Seite und fixieren Sie ihn, als ob Sie ihn noch nie zuvor gesehen hätten. Eine gute und zugleich anspruchsvolle Übung sind Kreuzworträtsel, bei denen der gesuchte Begriff ungewöhnlich beschrieben wird, wie im Magazin der „ZEIT“. Vier Beispiele aus der Nr. 1926 (mehr habe ich noch nicht herausbekommen): • „Füße-Eigenschaft kurz vor Rückzieher“: kalt • „Erzeugt, wie es heißt, den Geruch der ewigen Zugehörigkeit“: Stall • „Wollen uns auf tierischen Umwegen was zu verstehen geben“: Fabeln • „Verstehen wir ‚mit Sicherheit’, wenn der Autor gänsefüßelt“: Ironie b) Das „Grüne-Männchen-Spiel“: Erklären Sie einem Marsmännchen den Sachverhalt und lassen Sie den Außerirdischen ständig nachfragen: Warum ist das so? Geht das nicht auch anders? Was macht man damit? Besonders bei abstrakten Begriffen werden Sie schnell merken, wo die Punkte sind, an denen Sie einhaken können. c) Definieren: Betätigen Sie sich als Autor eines Wörterbuches und beschreiben Sie den Sachverhalt allgemeingültig. d) Analogien, Vergleiche und Metaphern: Ihr Sachverhalt ist wie X, entspricht Y, sieht aus wie Z. e) Regeln brechen: „Die meisten großen Fortschritte in Wissenschaft und Kunst – eigentlich in allen Bereichen – sind die Leistung von irgendjemandem, der konventionelle Regeln gebrochen hat“ (Foster/Corby 2005: 130).
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f) Andere Bereiche abgrasen: „Aber oft erhält man die besten Ideen, wenn man die Grenzen der eigenen Disziplin durchbricht und sich in anderen Gebieten nach neuen und signifikanten Fragen umschaut“ (ebenda: 135 f.).
4.3 Ordnung ist die drei viertel Miete Je intensiver und besser die Vorarbeit, umso weniger Zeit benötigen Sie beim Schreiben des eigentlichen Textes. Nachdem Sie sich also als Jäger, Perlensammler, Sortierer, Wegwerfer und Begutachter betätigt haben, kommt jetzt der Job des Zuordners. Wenn dem Redner die Struktur seines Textes klar ist, die logische Schrittfolge der einzelnen Argumente, die Chronologie der Ereignisse, das Auf und Ab des Spannungsbogens, die inhaltlich zusammengehörenden Abschnitte, dann erkennt dies auch der Zuhörer. Vorausgesetzt, diese Ordnung findet sich auch im Text. Beim Strukturieren gehen wir vom Allgemeinen zum Konkreten vor und ordnen dabei die gefundenen Inhalte den Absätzen zu. Auf dieser Stufe der Ausarbeitung zeigen sich leicht Unstimmigkeiten, aber auch mögliche Querverweise, die wir in der Phase des Sammelns noch nicht erkannt haben. Am Ende sollte nicht mehr bleiben als eine Seite. Wohlgeordnet und übersichtlich.
4.4 Inkubationszeit – wie geniale Ideen entstehen In der Medizin bezeichnet ‚Inkubationszeit‘ die Zeit zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit. Wir hingegen meinen die Spanne von der geistigen Ansteckung bis zum Ausbruch der Idee. Wenn alle Fakten aufbereitet sind und geordnet vor uns liegen, sollten wir die Arbeit unserem Unterbewusstsein überlassen. Die Aufgabe wird also „beiseite gelegt und
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einer eigenständigen, unbewussten Bearbeitung überlassen“ (Holm-Hadulla 2005: 55). Neuere Untersuchungen beweisen, dass das Unterbewusstsein wirklich gute Arbeit dabei leisten kann, denn es verfügt über phänomenale Fähigkeiten. Folgende Zitate aus einem Artikel von Hania Luczak zum Thema „Unterbewusstsein“ sollen dies verdeutlichen. Zugleich zeigen sie, wie viele Metaphern (tote und lebendige) in unserer Sprache vorhanden sind. Lesen Sie also doppelt, achten Sie auf die Fähigkeiten unseres Unterbewusstseins und die Vielzahl der vorhandenen Metaphern! „Abseits des lichten Bewusstseins ziehen verborgene Instanzen die Fäden. Darin sind sich Psychologen und Neurowissenschaftler, Philosophen und Mediziner weitgehend einig. […] Das Unbewusste existiert, und seine Führungsqualitäten sind unbestritten. […] Das Bewusstsein ist nicht die Spitze des Eisbergs, sondern eher ein Schneeball, der auf ihm ruht. Das verborgene Reich ist viel voluminöser als vermutet. […] Bewusstsein ist Luxus. Deshalb schaltet das Gehirn, sooft es kann, auf Autopilot. […] Doch das Unbewusste befiehlt nicht, es arbeitet subtil, flüstert und wispert, es hat ja ohnehin das Sagen. Und es ist nicht nur Herr über Wissensspeicher, Datenfilter, Steuerruder oder Fertigungsautomaten, sondern auch eine Art Dolmetscher. […] Jeder Gedanke eines Erwachsenen muss, bevor er im Bewusstsein aufblitzt, das limbische System passieren, das Reich der Gefühle. Dort ist der Ursprung des kognitiven Aktes, dort wird er angefärbt, dort wird die Vernunft eingestimmt. (syntaktischer Parallelismus, J.K.) Alles unterliegt dem gleichen Zensor: Ist das Bewusstsein einverstanden oder nicht?“ (Luczak 2008: 104 ff.) Wie können wir nun diesen „Eisberg“, dieses „verborgene Riesenreich“, den „Dolmetscher“ und „Autopiloten“, diese „Kontrollinstanz“ für unsere Belange einspannen? Indem wir nicht mehr an die Aufgabe denken und
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erst dann zupacken, wenn die Idee an die Oberfläche dringt und aus dem „Schneeball“ herausspringt. Dies geschieht meist dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen, eben weil wir nicht an die Aufgabe denken. Dann ist gut beraten, wer ein Diktiergerät oder zumindest einen Zettel parat hat, um den ans Tageslicht sich kämpfenden Gedanken festzuhalten. Dies trifft für den Kerngedanken des Textes genauso zu wie für das Auffinden einer geeigneten Metapher. Nur eines erschwert die Arbeit unseres Unterbewusstseins, die innere Schere: ‚Das geht doch nicht’, ‚Das kann man doch nicht’, ‚So hat das doch noch nie jemand …’ Sind Sie jemand oder man? Möchten Sie es so machen wie alle? Oder wollen Sie sich vielleicht doch lieber abheben? Hindern Sie also auch die scheinbar verrückten Gedanken nicht daran, hervorzutreten. Gestatten Sie gerade den außergewöhnlichen Ideen, die gewöhnlichen in den Schatten zu stellen. Lassen Sie die innere Schere im umhäkelten Futteral und schieben Sie Zweifel, angelernte und übernommene, souverän beiseite.
4.5 Korrektuhr … Korrecktur … Korektur … Richtigstellung Zugegeben, bei der Reform der Reform unseres Orthogra-Viehs fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Für unsere Zwecke ist die richtige Schreibung auch sekundär, denn es handelt sich um gesprochene Texte. Es sei denn, der Text soll – zum Beispiel an die Presse – weitergegeben oder veröffentlicht werden. Reden, Vorträge und Präsentationen müssen generell während des Sprechens korrigiert werden. Erst hier erkennen wir phonetische Fallen („vom Hundertsten ins Tausendste“), mögliche Stolpersteine, logische Brüche und sonstige Fehler, die beim Schreiben oder stillen Lesen nicht auffallen.
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Auch das Korrektur-Programm des Computers kann nicht alle Fehler erkennen. Wenn ich zum Beispiel Rede klein schreibe, übersieht der Rechner den Fehler, denn er erkennt das Substantiv als Befehls-Form des Verbs reden und markiert es demnach nicht. Hinzu kommt ein anderes Phänomen, das selbst Menschen mit einiger Erfahrung Fehler übersehen lässt. Wir lesen nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern das Wort als Bild. So kann es leicht geschehen, dass Buchstabendreher oder andere Fehler übersehen werden. Zusammenfassend daher folgende Empfehlungen: 1. Drucken Sie den Text aus, Schriftgröße mindestens 16. 2. Lesen Sie langsam und laut, zumindest so, dass Sie sich selbst hören können. 3. Markieren Sie Unstimmigkeiten oder Fahler, Verzeihung, Fehler, bereits während des Lesens. 4. Lesen Sie mehrfach und konzentrieren Sie sich auf jeweils einen Aspekt (Verständlichkeit, Länge einer Phrase bis zum nächsten Luftholen, lautliche Fallen, Stilbrüche …). Lesen und korrigieren Sie mehrmals – wenn genügend Zeit vorhanden ist – in Abständen von einigen Tagen. 5. Tragen Sie den Text einer anderen Person vor.
4.6 Redefreundlich Markierungen setzen Texte, die gelesen werden, können nur durch den Text selbst überzeugen. Lediglich mittels typografischer Gestaltung kann der Autor hier hervorheben. Texte, die gesprochen werden, verfügen hingegen gerade aufgrund ihrer mündlichen Vermittlung über ein weit größeres Reservoir, das deutsche Redner kaum nutzen. Monoton sprechen sie den Text herunter und kleben dabei am Manuskript.
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Die Art und Weise, wie ein Text vorgetragen wird, hat aber nicht nur großen Einfluss auf das akustische Verstehen, die Stimme kann mehr. Sie bestimmt mit, ob ein Sprecher glaubwürdig oder unglaubwürdig, introvertiert oder extrovertiert, sicher oder unsicher, kompetent oder inkompetent, emotional berührt oder eher abgeklärt erscheint (vgl. Berger 1984: 85 ff.). An dieser Stelle ist noch einmal zu betonen: Wer Rhetorik auf Stimmbildung und Stimmausdruck verkürzt, begeht einen schwerwiegenden Fehler. Damit ist nicht gemeint, dass sie unwichtig seien. Erst in der Kombination mit dem Text können sie wirken und bewirken. Folgende Mittel, die kombiniert werden und meist auch nicht in Reinkultur auftreten, stehen dem Redner zur Verfügung. Sie werden unter dem Terminus Prosodie zusammengefasst: a) Lautstärke Voraussetzung für Veränderungen der Lautstärke ist, dass die Zuhörer den Redner auch dann akustisch eindeutig verstehen, wenn er am unteren Level operiert. Zugleich darf ihnen natürlich nicht das Trommelfell platzen, wenn der Redner am oberen Ende seiner Skala angelangt ist. Darum sollte man bei besonders wichtigen Veranstaltungen unbedingt eine Sprechprobe mit der entsprechenden Technik und Probehörern (verteilt auf verschiedene Positionen im Saal) durchführen. Zu beachten ist allerdings auch, dass sich die akustischen Verhältnisse in einem mit Menschen gefüllten Raum noch einmal ändern. Aus ihrer Erfahrung heraus wissen die Hörer: Wer – in einem ansonsten „normal“ gesprochenen Text – die Lautstärke erhöht, will zeigen, dass er etwas Bedeutendes zu sagen hat. Diese Änderung der Lautstärke wird oft mit Akzentuierungen und einem langsameren Sprechtempo verbunden, ohne dass dem Sprecher dies bewusst wird. Ein Problem, das immer wieder auftaucht, den meisten Rednern aber nicht klar ist: Sie werden zum Ende jedes Satzes immer leiser, sodass die Hörer die letzten Worte kaum oder nicht verstehen können.
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b) Tonhöhenverlauf Dieser Begriff – manchmal auch als Satzmelodie bezeichnet – meint die Schwankungen der Tonhöhe innerhalb eines Satzes oder mehrerer Sätze. In Anlehnung an die Musik werden inhaltlich zusammengehörende Teile eines Textes, die über die grammatische Grenze des Satzes hinausgehen, auch als Phrase bezeichnet. Im Deutschen sind Aussagesätze zum Beispiel dadurch gekennzeichnet, dass am Ende die Tonhöhe abfällt (Der Baum muss heute gefällt werden). Bei Fragen hingegen steigt die Tonhöhe zum Ende des Satzes an (Muss der Baum heute gefällt werden?). Für unsere Belange ist wichtig, dass Tonhöhenverläufe im Manuskript nicht gesondert gekennzeichnet werden können, weil es dadurch unübersichtlich wird. Andererseits sollte aber ein aufmerksamer Testhörer darauf achten, dass die Spannung im gesamten Verlauf des Vortrags erhalten bleibt. Dies gelingt zum Beispiel durch Wechsel von Auf und Ab in der Stimme, ist aber nicht gleichzusetzen mit Änderungen der Lautstärke. Entgegen anders lautender Behauptungen ist es Untersuchungen zufolge nicht möglich, bestimmte unterschwellige Handlungen, die der Sprecher durchführt (zum Beispiel drohen, missbilligen) eindeutig auf Intonationskurven festzulegen (vgl. Carsten 1999: 26 ff.). c) Akzentuierung Akzente können Sprecher innerhalb von Worten, in Sätzen und ganzen Phrasen setzen. Sie entstehen, wenn der Redner die Grundfrequenz ändert (in der Regel erhebt er seine Stimme), die Lautstärke erhöht oder absenkt, Laute dehnt oder die Klangfarbe variiert (vgl. ebenda: 48 ff.). d) Tempo Meist werden Texte viel zu schnell gesprochen. Redner vergessen, dass sie den Text in- und auswendig kennen, ihre Hörer ihn aber zum ersten und meist auch letzten Mal hören. Es entsteht der manchmal nicht abwegige Eindruck, dass der Redner bewusst aufs Gaspedal drückt, um möglichst
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rasch fertig zu werden, was unter anderem dem normalen Lampenfieber zuzuschreiben ist. In diesem Fall hilft nur: Ans Pult treten, durchatmen, die Zuhörer ansehen, auf den ersten Satz konzentrieren, ruhig werden. Erst dann beginnen zu sprechen. Langsam! Wer generell zu schnell spricht und das Tempo nicht variiert, beraubt sich eines entscheidenden gestalterischen Mittels. In der Musik spielt das Tempo zum Beispiel eine große Rolle. Komponisten geben Tempi an und bestimmen so, wie das entsprechende Stück zu wirken hat. In sogenannter klassischer Musik werden Tempi verbal angegeben (andante, allegro), im Jazz zum Beispiel durch Schläge bzw. beats pro Minute (bpm). Wenn Redner ihren Text auch als klangliches Ereignis verstehen, müssen sie das Tempo des Vortrags verringern. Sie geben den Hörern damit Zeit, seine Worte zu verstehen, zu verarbeiten und mit ihrem individuell gespeicherten Wissen abzugleichen. Wenn Redner also das Gefühl haben, zu langsam zu reden und zu viele Pausen zwischen den Informationen zu machen, haben sie wahrscheinlich das richtige Tempo erreicht. Vielleicht hilft es dem Redner, sich vorzustellen, dass die Hörer die einzelnen Sinnabschnitte erst hören und verarbeiten müssen. Zugleich sollte aber auch das Tempo innerhalb des Textes variiert werden, um die Bedeutung der einzelnen Passagen voneinander abzuheben. e) Pausen Wenn ein Redner zwanzig Minuten lang redet, ohne ersichtliche Pausen zu machen, überfordert er seine Zuhörer. Gerade Zeiten, in denen nichts passiert, sind – wie in der Musik – ein herausragendes gestalterisches Mittel. Besondere Ideen und Worte, besondere Sätze, besondere Formulierungen benötigen Zeit, um adäquat wirken zu können. Dies trifft vor allem für den Beginn zu. Der Redner muss sich „einreden“, die Zuhörer müssen sich „einhören“. Machen Sie also Pausen. …
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Setzen Sie Sinnabschnitte voneinander ab. … Gehen Sie entspannt und mit viel Vorfreude an das Ereignis heran. … Es wird Ihnen nützen … vor allem aber … Ihren Hörern. f) Vokaldehnungen Manche Wörter sind mehrdeutig. Wenn sie sich durch Betonung der Silben voneinander unterscheiden, müssen diese Betonungen unbedingt im Text markiert werden. Hier einige Beispiele, bei denen sich der Redner schnell versprechen kann, wenn keine Markierungen gesetzt werden: • • • •
modérn (neu), mó:dern (verfaulen) Lache (von lachen), Lá:che (Pfütze) Mó:ntage (Wochentage), Montá:ge (Arbeit) Té:nor (Schwerpunkt), Tenór (Sänger)
g) Markierungen All die genannten prosodischen Parameter können Sie nach Belieben in Ihrem Manuskript kennzeichnen. Hier meine eigenen Markierungsvorschläge, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit besitzen (siehe Tabelle auf der folgenden Seite). Beim Manuskript selbst ist „Anwenderorientierung“ oberstes Gebot. Bewährt haben sich unlinierte Karteikarten (DIN A5), weil sie gut mit handelsüblichen Druckern zu beschriften und auch ohne Pult in eine Hand zu nehmen sind, ohne umzuknicken. Zur Sicherheit sollte der Redner (oder die Assistenz) immer ein zweites Manuskript dabei haben, allerdings nicht am selben Ort. Es ist schon vorgekommen, dass der Redetext in der falschen Jacke oder Tasche steckte …
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Lautlicher Aspekt
Markierung
Beispiel
Akzentuierung einer Silbe oder eines Wortes
fett und/oder unterstreichen
• Das, meine Gäste … • Nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal. • Miteinander bringt die Beteiligten allemal weiter als gegeneinander.
Dehnung eines Vokals
Doppelpunkt hinter dem Laut, Akzent und fett
• Auch dá:rum hat unsere Initiative in die Fabrik eingeladen. • Der Té:nor seiner Haltung lautet: • Skorbu:t
Pause
drei Punkte
• Ich weiß es. … Sie wissen es. … Die ganze Welt weiß es. • Euch mache ich fertig. … Das sagte unser aller Gerhard auf dem vergangenen Parteitag zu Wolfgang Jüttner.
Tabelle 1: Beispiele für typografische Markierungen prosodischer Besonderheiten
Größte Aufmerksamkeit sollten Redner der Strukturierung der einzelnen Sinnabschnitte widmen, die nicht mit Sätzen oder Teilsätzen identisch sein müssen. Das Manuskript spiegelt diese inhaltliche Gliederung und die gesprochenen Abschnitte typografisch wider. Im Idealfall blickt also der Redner auf sein Manuskript und kann den entsprechenden Abschnitt zum Publikum gewandt sprechen. Hier ein Beispiel, wie eine solche Karteikarte aussehen könnte. Sie zeigt Auszüge aus verschiedenen Reden. Die Schriftgröße sollte mindestens 16 Punkt betragen. Und – vergessen Sie nicht, die Seiten zu nummerieren, falls die Blätter einmal durcheinander geraten sollten. An diesem Satz (Und – vergessen Sie nicht, die Seiten zu nummerieren …) wird übrigens etwas Wichtiges deutlich: Die Orthografie-Reform war nur eine halbe. Sie stellt zum Beispiel bei Verwendung des „erweiterten
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Infinitivs mit zu“ das Komma frei, obwohl es eindeutig Sinnabschnitte voneinander trennt. Lesen Sie den Satz mal laut ohne Komma. Bei der Rede könnte es dann geschehen, dass Sie hinter „nicht“ die kleine Pause missachten und stattdessen vortragen: „Und vergessen Sie nicht die Seiten …“.
Falls dieser Weg ungewöhnlich ist, wie hätte dann der gewöhnliche ausgesehen?
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Wenn wir mit der Hand nach ihr schlagen, dann empfindet sie das als ä u ß e r s t l a n g s a m e Z e i t l u p e und … Vor vie:len Jahren noch, da war ich kecker, aß Pflaumenkuchen gern, und fand das Mu:s ga:nz lecker. Denn als Eigentümer oder Mitglied einer Genossenschaft ist die gánze Miete, die er zahlt, bereits die hálbe Rente. Abbildung 1: Beispielseite Manuskript, Karteikarte unliniert, DIN A5
Ein Hinweis noch zur Schreibung zusammengesetzter Wörter. Wie bereits gesagt, lesen wir generell alle Wörter als Bild und nicht Buchstabe für Buchstabe. Um uns beim Vortrag zu entlasten und auf Nummer sicher zu gehen, können wir nun mit Bindestrichen operieren, auch wenn dies gegen orthografische Regeln verstößt. Ein Beispiel: Auf einer Speisekarte las ich kürzlich „Bayerwaldreh“. Im Eifer des Gefechts ist es möglich, „Bayerwal-Dreh“ zu lesen, weil die letzten vier Buchstaben eben auch zusammen gehören könnten und einen Sinn ergeben. Im Manuskript, wenn das Wort vorgetragen wird, sollte also eindeutig stehen: Bayerwald-Reh.
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Andere Beispiele: Finanz-Ausgleich, Bus-Haltestelle, Computer-Arbeitsplatz, Lage-Beurteilung. Manche Wörter, wie zum Beispiel kreieren, sollte man tunlichst durch ein Synonym ersetzen, weil die Gefahr zu groß ist, die Buchstabenverbindung -ei- als Diphthong und nicht als kre-ieren zu lesen. Generell sollten Sie drei-gliedrige Zusammensetzungen wie Bundesinnenminister meiden. Wenn, dann mit Bindestrich: Bundes-Innenminister.
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5. Die Vielfalt dreier Abschnitte
5.1 Am Anfang steht ein A Sehr verehrter Herr Minister, verehrter Herr Staatssekretär, sehr geehrte Frau Dr. Hugendubler … liebe Anwesenden! Ich freue mich, Sie zur Eröffnung des Außenaborts der hiesigen Sporthalle und anschließenden Inbetriebnahme desselbigen durch die Allerwertesten der werten Anwesenden begrüßen zu dürfen. Genau so muss eine ordentliche deutsche Einleitung aussehen. Zuerst werden laut nirgendwo fixiertem Protokoll hierarchisch die Anwesenden begrüßt, um ihnen anschließend brühwürfelwarm und aus allererster Hand zu sagen, warum sie überhaupt gekommen sind. Denn das wissen die Zuhörer natürlich nicht, steht ja auch nicht in der Einladung. Weil die meisten Reden mit diesem Schema F beginnen, glaubt ein jeder, dies müsse so sein. Warum aber darf dies nicht so sein? Warum ist der Einstieg in einen Monolog in der beschriebenen Form kontraproduktiv? Unsere Zuhörer widmen uns ihre Zeit, Lebenszeit. Wir hingegen haben die einmalige Gelegenheit, uns zu positionieren. Mindestens zehn Minuten können wir unsere Botschaft verbreiten und somit unsere Person als Marke im Gedächtnis der Zuhörer platzieren. Coca Cola muss dafür einen Milliarden-Aufwand betreiben. Versetzen wir uns in die Zuhörer. Sie erwarten aufgrund jahrelanger und meist leidvoller Erfahrungen Einleitungen wie die oben genannte. Wenn ein Redner diese Erwartung bereits mit den ersten Sätzen bestätigt, fällt nicht nur die Aufmerksamkeitskurve rapide ab, die erste und wichtigste Chance der Positionierung ist vertan.
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Bevor wir uns der Einleitung als der wichtigsten Phase für den ersten Eindruck widmen, möchte ich einige Ergebnisse psychologischer Forschung zum Thema „erster Eindruck“ darstellen, denn es sind teils richtige, teils falsche Meinungen im Umlauf. Zugleich verschärft der Rahmen, in dem eine Rede oder ein Vortrag gehalten wird, die Bedingungen hinsichtlich „des ersten Eindrucks“ für den Redner extrem (er spricht die gesamte Zeit, seine Kommunikationspartner hören zu und verarbeiten). Die wichtigste Erkenntnis lautet: Der erste Eindruck wird nicht nur in den ersten Sekunden, sondern während der gesamten Zeit der ersten Begegnung geformt. Zugleich aber bestimmen die ersten Sekunden, wie die Zuhörer den Redner während der gesamten Veranstaltung einschätzen. Hervorzuheben für Vorträge und Reden ist eine Verzerrung in der Wahrnehmung, bekannt als der Primacy-Effekt. Dieser besagt, dass der erste Eindruck, den Menschen von einer Person gewinnen, selbst dann stabil bleibt, wenn diese Person sich gegenteilig verhält. Menschen, in unserem Fall Zuhörer, tun eine ganze Menge, damit dieser erste, wenn auch falsche Eindruck bestehen bleibt: Sie beurteilen die Handlungen der entsprechenden Person so, dass dessen Tätigkeiten und Äußerungen in das anfangs geformte Bild passen. Wenn der Vortragende sich nun aber partout anders verhält, dann erklärt man dies mit den äußeren Bedingungen oder schiebt es als temporär beiseite (vgl. Zimbardo 1995: 701). Besonders häufig ist der Primacy-Effekt bei negativen ersten Eindrücken. Wenn Zuhörer den Redner also gleich zu Beginn als inkompetent oder gewöhnlich oder langweilig einstufen, weil er eine ebensolche Einleitung wählt, hat dieser nur geringe Chancen, den Eindruck zu revidieren. Oder er muss ungleich mehr Kraft aufwenden als nötig gewesen wäre. Diese Erkenntnis resultiert u. a. aus einem beeindruckenden Versuch. Testpersonen sahen eine Studentin bei einer Prüfung. Die erste Beobachtergruppe hatte zuvor die Information bekommen, die Studentin gehöre einer nied-
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rigeren sozialen Schicht an, der zweiten Gruppe sagte man, sie käme aus einer höheren Schicht. Die erste Gruppe stufte denn auch die Leistungen der Studentin parallel zur sozialen Schicht ein – unterhalb des mittleren Niveaus. Die Gruppe B beurteilte die Leistungen ebenfalls parallel zur angeblichen sozialen Schicht – sie lagen angeblich über dem normalen Level (vgl. ebenda: 699 ff.). Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun aus diesen Tatsachen ziehen? Der erste Eindruck sollte in Bezug auf Inhalt, Kleidung, Auftreten und Äußerungen unserem Zielimage entsprechen. Dies setzt natürlich voraus, dass wir überhaupt eines besitzen. Wenn jemand von den Zuhörern als langweilig, stromlinienförmig, angepasst und vorsichtig eingeschätzt werden möchte, dann sollte er einen üblichen Einstieg für seine Rede oder den Vortrag wählen, sich entsprechend kleiden und benehmen: Meine sehr verehrten Damen und Herren … Wer jedoch die Aufmerksamkeit der Zuhörer vom ersten Moment an erregen will, kann aus einer Reihe von Möglichkeiten wählen. Sie entsprechen dem ersten A der berühmten AIDA-Formel aus der Werbung, nach der nicht nur Anzeigen und Werbebriefe, sondern auch (gute) Funkspots gebaut sind: ATTENTION INTEREST DESIRE ACTION. Um also die Zuhörer überhaupt für mich zu interessieren, muss ich zuerst ein Achtungszeichen setzen: attention. Erst wenn die Empfänger meiner Botschaften ihre Aufmerksamkeit möglichst uneingeschränkt auf mich fokussieren, kann ich persuasiv, also überzeugend kommunizieren. Das ideale Achtungszeichen habe ich bei Werbung dann gefunden, wenn es plausibel aus dem beworbenen Produkt selbst resultiert und mit diesem in einem logischen Zusammenhang steht.
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Aufgrund der überwältigenden Werbeeindrücke, die tagtäglich auf uns einströmen, muss Werbung natürlich auf das erste A besonders großen Wert legen, damit potenzielle Kunden sich überhaupt mit ihr beschäftigen. Eine Plakatserie des Jüdischen Museums in Berlin zeigte zum Beispiel Sachverhalte (attention), die in sich widersprüchlich sind. Aus dem Wasserhahn kommt Sahne, aus der Zahnpasta-Tube eine Raupe, das Innere eines gefällten Baumes entpuppt sich als Salami, beim Anspitzen eines Bleistifts entstehen Käsespäne. Der Claim löst den Widerspruch dann im Sinne des Museums auf: „Nicht das, was Sie erwarten.“ Ein zweites Beispiel aus meiner Anfangszeit als Redenschreiber: Im Jahre 1998 verschickte ich ein Mailing an potenzielle Kunden. Das Briefpapier war hochwertig, der Umschlag hatte ungewöhnliche Maße. Neben der Anschrift stand unübersehbar mit roter Schrift der Satz: „Ihr Zahnarzt sieht Sie nie wieder.“ Im Brief selbst, in dem auch noch ein richtiger ZahnarztBohrer eingeklebt war, zeigte sich, dass es nicht um den Zahnarzt ging, sondern um das Fremdschreiben von Reden. Die Rücklaufquote war übrigens weit höher als erwartet. Auch Cicero meint im Grunde nichts anderes als die Werbefachleute, wenn er für die Einleitung einer Rede folgende Forderung aufstellt: „Das Exordium ist eine Äußerung, die den Geist des Hörers in geeigneter Weise auf den restlichen Vortrag vorbereitet.“ Man darf sie sich „nicht von irgendwo außerhalb besorgen, man muss [… sie] vielmehr aus dem eigentlichen Kern des Falles selbst nehmen“ (zitiert nach: Ueding/Steinbrink 1994: 258). Hier wird offensichtlich, warum eine ausformulierte und wirklich durchdachte Botschaft vonnöten ist (vgl. Kapitel 4). Sie ist nicht nur Prüfstein für die gesamte Rede, aus ihr lässt sich auch die Einleitung entwickeln.
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Bevor wir uns verschiedene Formen des Vorspiels ansehen, noch einige Bemerkungen zu den Hörern und ihren Erwartungen. Wir alle haben viele Jahre des Lernens und der Sozialisation hinter uns. Wir wissen, wie man sich in verschiedenen Situationen zu verhalten hat (Bohr nicht in der Nase!) und was uns in welchem Kontext wahrscheinlich erwartet. Diese Erwartungen wiederum prägen das Verhalten, die psychische Gestimmtheit der Hörer, ihre Einstellungen zu der kommenden Veranstaltung, noch bevor sie überhaupt den entsprechenden Raum betreten haben. Ein kleiner Test dazu. Notieren Sie, welche stereotypen Handlungen, Einstellungen, Emotionen Ihnen bei folgenden Stichworten einfallen. Antworten Sie bitte spontan in der Rolle der Zuhörer! Redeform
Handlungen
Einstellungen
Emotionen
Tischrede Festvortrag Laudatio Trauerrede Vorlesung Präsentation Hochzeitsrede Tabelle 2: Individuelle Reaktionen auf verschiedene Monologformen
Jede dieser speziellen Redeformen besitzt einen gesonderten räumlichen und situativen Kontext. Eine Hochzeitsrede wird üblicherweise nicht vom Pfarrer auf dem Friedhof gehalten, bei einer Vorlesung gibt es in der Regel weder Sektchen noch Häppchen – schade. Die Regularien und äußeren Bedingungen beeinflussen die Erwartungen der Zuhörer, weil diese ge-
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lernt und verinnerlicht wurden. Umso länger bleiben dann Vortragende in Erinnerung, die zu Beginn bewusst einen Bruch erzeugen, indem sie dem Klischee eben nicht entsprechen. Die im Folgenden dargestellten Möglichkeiten für eine Einleitung sind nur eine kleine Auswahl von vielen möglichen. Auch die Klassifizierung ist weder vollständig noch allseits gültig, im Gegenteil, sie ist willkürlich vorgenommen und beruht allein auf meinen Erfahrungen. Die authentischen Beispiele sollen vor allem zeigen, dass der Redner unendlich viele Möglichkeiten besitzt, bereits in den ersten Momenten ein Achtungszeichen zu setzen. Zu beachten ist, dass die hier dargestellten Eingangssätze auch wirklich die ersten sind. Die trotzdem notwendige Anrede der Zuhörer erfolgte bei allen Beispielen später und zumeist nicht mit den üblichen Formulierungen. a) Frage, die sich aus dem vorhandenen Material ergibt: Glückwunsch für eine Getränkefirma: „Schon seit geraumer Zeit beschäftigt mich eine Frage: Wie kriegen die den Geschmack und die vielen wertvollen Mineralien in so kleine Flaschen hinein? […]“ Firmenjubiläum: „Wissen Sie, liebe Gäste, was ein Wirtschaftsfachmann ist? Das ist ein Mensch, der sechs Monate im Jahr damit verbringt, Pläne zu erarbeiten. Die restliche Zeit benötigt er, um Rechtfertigungen zu finden. Warum es eben nicht so gelaufen ist, wie er vorhergesehen hat. Möchten Sie dieser Tage Wirtschaftsfachmann sein? Ich jedenfalls nicht. […]“
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b) Bezug auf aktuelle Ereignisse, den Ort der Veranstaltung, die Jahreszeit, das Wetter … Geburtstag: „Der Sommer musste nun endgültig seine Herrschaft an den kühlen, windigen und regnerischen Herbst abtreten. Mit ihm verließen uns unliebsame Mini-Flugsaurier, denen wir mit zumeist unzulänglichen Mitteln hinterherjagten. Manch einer von Ihnen, liebe Gäste, nahm die Zeitung. Manch einer probierte es mit klebrigen Streifen, die an der Küchenlampe baumelten. Manch einer klatschte Beifall und versuchte, die kleinen lästigen Biester bei dieser Gelegenheit ins Nirwana zu entsenden. Die Rede ist natürlich von der Stubenfliege, der gemeinen, der manchmal sogar hundsgemeinen. […]“ Weihnachtsfeier eines Unternehmens: „Wenn Sie, meine lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bereits tief in den Vorbereitungen für Weihnachten und Silvester stecken, dann stoppen Sie alles. Sie benötigen weder Geschenke noch einen Baum. Kein Lametta, keine Kerzen. Sekt bestellen Sie wieder ab, Heringe geben Sie den Katzen. Sie brauchen nur folgendes: 1. einen Priester, 2. einen Besen oder Staubsauger, 3. eine besonders große Wäschetruhe, 4. 12 Flaschen Bier, 5. Ohrstöpsel, am besten zwei Paar, 6. die letzten Kontoauszüge. Wenn Sie all diese Utensilien besorgt haben, kommen Sie nicht nur hervorragend über Weihnachten, sondern auch noch besonders gut ins neue Jahr. Ich sehe schon, Sie sind begierig zu wissen, was man mit dem ganzen Kram anfängt. […]“ Ansprache vor einem Wirtschaftsclub: (Anpfiff mit Trillerpfeife) „Na, Sportsfreunde, Sie erinnern sich? Da war doch was? Richtig! Der deutsche Michel … korrekt, sauber, ordentlich, pünktlich … tauscht sein Nachthemd, die Zipfelmütze und die Kerze gegen Fan-Trikot, Perücke und Deutschlandfahne. Und selbst absolute Fußballmuffel stehen Schlange, um mit einer kleinen Fahne zur Arbeit zu fahren. Wie unser Bundespräsident Köhler mit
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Standarte am Auto … pünktlich natürlich. Im Ausland, nur als Langweiler und Schwerenöter bekannt, baden wir plötzlich in Euphorie! Selbst jene, die heute noch glauben, eine Abseitsfalle wäre für Mäuse. Und ein Libero wäre ein italienischer Liebhaber … Unglaublich, was auf unseren Straßen und Plätzen los ist. Tausende feiern ohne Standesdünkel. Sie schielen nicht auf Klamottenmarken, sie achten nicht darauf, ob der Nachbar jung ist oder alt, schwarz oder weiß. Wir hören Fangesänge statt Murren und Meckern. Selbst das Wetter spielt mit und sorgt mit südlichen Temperaturen für Hochstimmung. Deutschland feiert. So lange bis der Arzt kommt. […]“ c) Zitat Preisverleihung an einem Gymnasium: „‚Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen.‘ Dieser Satz stammt von einem, der sich an seinem Gymnasium eingeengt fühlt. Eingeengt durch Strafe und Disziplin. ‚Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen.’ Dieser Satz stammt von einem, dessen Neugier zu forschen an seiner Schule erdrosselt wird, wie er später schreibt. ‚Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen.’ Dieser Satz stammt von einem, der die Schule ohne Abschluss verlässt, der sich gegen die Lehrmeinung seiner Zeit stemmt, der versucht, Fragen von allen möglichen Seiten zu beleuchten, der ein Querkopf und Querdenker ist, ein Genie, das zur geistigen Elite seiner Zeit und seines Jahrtausends zu rechnen ist. […]“ Ansprache vor einem Wirtschaftsclub: „‚Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt.’ Günther Jauch würde jetzt in seiner Sendung ‚Wer wird Millionär’ vier Antworten zur Auswahl geben: […]“ Ansprache vor Managern: „Euch mache ich fertig. … Das sagte unser aller Gerhard auf dem vergangenen Parteitag zu Wolfgang Jüttner. […]“
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d) Wecken von Neugier Verabschiedung des Firmeninhabers: „Meine lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Ich kann mir schon denken, was sie jetzt alle von mir erwarten. Eine wehmütige Rede, eine melancholisch-schwermütige Predigt, in der folgende Satzfetzen vorkommen: mit einem lachenden und einem weinenden Auge, mit Wehmut an die Zeit zurück, auf den wohlverdienten Ruhestand, Höhen und Tiefen, gemeinsam gemeistert, reisen und sich die Welt ansehen, nachholen, was bisher versäumt, ausschlafen und genießen, sich seines Lebensabends erfreuen, in Glückseligkeit schwelgen, und, und, und. Nichts von alledem werden Sie hören. Denn ich bin leicht angesäuert. Und ich bin froh. Also sozusagen froh-säuerlich. Oder: süß-sauer. Wie eine asiatische Vorsuppe. Oder noch anders: Ich gehe nicht nur mit sehr gemischten Gefühlen. Meine Gefühle sind so gegensätzlich, dass sie einen Kreis bilden und sich auf der anderen Seite schon wieder berühren. Meine Gefühle, wenn ich Sie heute verlasse, decken also einen großen Teil des nur Möglichen ab. Habe ich jetzt ihr Interesse geweckt? Prima! Genau das wollte ich erreichen. […]“ Firmenjubiläum: „Es gibt einen Kerl, den führte so mancher von uns schon öfter im Munde. Außer seinem Nachnamen aber ist rein gar nichts von ihm bekannt. Volksmund. Volker Volksmund? Walter Volksmund? Egal. Dumm scheint er jedenfalls nicht zu sein, denn für alles und jedes hat er einen weisen Spruch auf Lager. […]“ Hochzeitsrede: „Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit. Da schlenderte eine holde Prinzessin durch den dunklen Tann und trällerte ein gar lieblich Liedelein. Denn von Natur aus war das Prinzesschen eine Frohnatur und allen Menschen im Reich ihres Vaters wohlgetan. Bis auf wenige Ausnahmen, die hier aber unter den schweren eichenen Tische fallen sollen. Obwohl die Prinzessin nicht des Königs Jüngste war, so war sie doch noch
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recht behend zu Fuße. Beziehungsweise zu Auto. Denn unsere Prinzessin spielte nicht mit güldenen Bällen und warf diese in abgrundtiefe Brunnen oder Bergwerksstollen. Sie spielte ebenso wenig mit spitzen Nadeln von Spinnrädern. Was wiederum den Vorteil hat, dass unser Prinsesselein auch nicht hundert Jahre auf einen reitenden Gesellen warten muss. Auf dass dieser mit seiner Heckenschere von OBI den wuchernden Rosen den Garaus machen sollte. […]“ Laudatio auf einen verdienten OB: „Der Amerikaner Graham Green war Hellseher. Vor genau 65 Jahren erschien sein Roman mit dem bezeichnenden Titel ‚Die Kraft und die Herrlichkeit’. Ich habe keine Zeile dieses Buches gelesen. Es kann sich aber nur um die vorweggenommene Lebensgeschichte von Vorname Name handeln. Und weil der Autor Amerikaner ist, muss es in dem Buch ‚Die Kraft und die Herrlichkeit’ um einen Häuptling gehen. Denn ein solcher ist Vorname Name. Nicht irgendeiner, sondern ein urgermanischer. […]“ e) Vergleich zu bekannten Sachverhalten ziehen Geburtstagsrede: „Es ist jeden Sonntag das Gleiche. Andernorts sitzen um diese Zeit Familien mehr oder weniger friedlich am Kaffeetisch, vor der Glotze oder gehen im Park spazieren. In Musterstadt aber gibt es einen Ort, da versammeln sich keine Familien, sondern 25 bis 30 nackte Weibchen und Männchen in einem Raum bei 90 Grad. […]“ Firmenjubiläum: „Wenn man den fünften Geburtstag eines Kindes feiert, dann sieht das normalerweise so aus: Alle suchen. Alte Holzlöffel suchen noch ältere Töpfe, um auf diesen erbarmungslos herumzuschlagen. Lärmende Kinder suchen nach einer noch freien Stelle auf der Tischdecke. Junge Muttis suchen vergebens nach Ruhe. Entnervte Nachbarn verzweifelt das Weite und das Geburtstagskind am Abend alle Geschenke zusammen. Das
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liegt daran, dass unsere Kleinen im zarten Alter von fünf Jahren noch eine ganze Menge Hilfe benötigen. Es gibt aber ganz besondere Wunderkinder, die überhaupt nicht unserer Hilfe und Unterstützung bedürfen. […]“ f) Erwecken von Sympathie für die Situation des Redners Einweihung einer Fabrik: „Nein, es fällt mir ganz und gar nicht leicht, denn ich bin Ingenieur. Zahlen und Kurven, messen und tüfteln, damit kenn ich mich aus, das ist meine Welt. Worte? Mir graut’s vor euch. Und dennoch versuche ich heute, die richtigen zu finden. Oder heißt es die passenden? Die adäquaten? Die verständlichsten? […]“ g) Kleine Begebenheit/persönliches Erlebnis/Anekdote Firmenjubiläum: „Es war einmal vor acht Jahren. Da beschlossen drei wackere Burschen, ihr Glück zu versuchen. Nicht in der weiten Welt, sondern zu Hause, in ihrem kleinen, recht unscheinbaren Land. Dieses lag inmitten anderer Königreiche, deren Landschaften seit einigen Jahren darauf warteten, aufzublühen. Und weil die drei nicht so dumm waren wie Hans mit dem Goldklumpen, so verließen sie sich lieber auf ihr Wissen und Können. Denn das hatten sie zuvor in vielen Jahren harter Arbeit erworben und wollten es nutzbringend anwenden. Nach einiger Zeit des Grübelns und Überlegens wussten sie, wie sie ihr Glück machen konnten. […]“ Floristentagung: „Manchmal quält mich ein Albtraum. Nachts. Besonders, wenn der Wind ums Haus pfeift und an den Fenstern rüttelt. Dann sehe ich unsere Welt wie in einem Schwarz-Weiß-Film. Die Menschen trotten mit gesenktem Kopf durch die Straßen und gehen aneinander vorbei. In den Büros sitzen sie lust- und freudlos und hacken Zahlen in die Tastaturen. Denn um sie herum ist trostlose Leere. Dort, wo einst Kästen an den Balkonen hingen – nichts. Verliebte Jünglinge überreichen ihren Angebeteten – nichts. Eine
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Hochzeitsgesellschaft sitzt bei Spargelsüppchen und führt belanglose Gespräche. Die Tische ziert etwas, das sich mit einem Wort beschreiben lässt – nichts. Die Braut wirft am Abend ihren Schleier in die Menge der wartenden Ledigen, den niemand der Damen auffangen möchte. […]“ h) Historische Einordnung Vereinsgeburtstag: „Wir schreiben das Jahr 1928. Überall auf der Welt geschehen unglaubliche Dinge. Fritz von Opel erprobt einen Raketen-Rennwagen und schafft mit diesem sage und schreibe 228 Kilometer pro Stunde. In Radebeul eröffnet das Karl-May-Museum. Der englische Autor Lawrence veröffentlicht seinen Roman ‚Lady Chatterley’s Liebhaber’ und erntet mit diesem einen Sturm der Entrüstung. Die Norwegerin Sonja Henie wird Weltmeisterin im Eiskunstlaufen. Sie wird diesen Titel bis 1939 nicht wieder abgeben. […]“ (Solch ein Beginn ist schnell gezaubert, wenn man sich der entsprechenden Literatur bedient. Neben den Seiten des Deutschen Historischen Museums (www.dhm.de) hilft „Der neue Kulturfahrplan“ von Werner Stein. Dieses Standardwerk listet parallel Ereignisse aus Politik, Wissenschaft, Technik, Musik, Literatur, Kunst, Religion und Philosophie auf. Eine Fundgrube, um Hörer staunen zu machen.) Dankesrede bei Preisverleihung: „Vor fast genau 122 Jahren feierten Frankfurter die Eröffnung ihres Opernhauses. Es entstand, weil Bürger etwas unternahmen und nicht auf die da oben warteten, bis nichts passierte. Genau diese Geisteshaltung treibt auch heute Menschen aus den verschiedensten Branchen um, etwas zu unternehmen. Denn sie wollen nicht warten, bis die da oben nichts unternehmen. Ich bin stolz, heute als Geschäftsführer einer verhältnismäßig kleinen und jungen Firma im Kreis von Großen ausgezeichnet zu werden. […]“
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Für den Redeeinstieg gibt es eigentlich nur einen Grundsatz: Setzen Sie ein Achtungszeichen, überraschen Sie die Zuhörer, machen Sie das Gegenteil von dem, was alle erwarten. Je offensiver, offensichtlicher und selbstbewusster ein Redner die stereotypen Erwartungen der Zuhörer bricht, umso eher kann er sie in seinen Bann ziehen. Aufmerksamkeit wiederum ist unabdingbar, damit der Redner überzeugen kann – von seiner Person und den Inhalten. Als gutes Beispiel möchte ich Ihnen den Film „One Way“ von und mit Til Schweiger ans Herz legen. Hier wird in einer Schlüssel-Szene gezeigt, wie der Hauptakteur einer Werbeagentur eine Präsentation rettet und zugleich den Auftrag holt, indem er das Gegenteil vom Erwarteten macht und alle provoziert. Um nun zu einer Einleitung zu kommen, die zugleich ungewöhnlich ist und aus dem Kern der gesamten Rede entnommen wird, haben sich folgende Fragen bewährt: • • • • •
In welcher Situation befinden sich meine Zuhörer? Was legen Kontext und Uhrzeit der Veranstaltung nah? Was denken, fühlen und – vor allem – erwarten sie? Wie kann ich diese Erwartungen brechen? Worin besteht das Gegenteil vom Erwarteten? Dieses Unerwartete kann dem Zuhörer auf verschiedenen Ebenen der Rede begegnen: Formal (unmittelbarer Einstieg mit einer Frage), auf der Stilebene (Umgangssprache bei einer Festveranstaltung) oder sogar phonetisch (Schwäbisch in Berlin oder Norddeutsch in Sachsen).
Weil die Zuhörer erwarten, dass der Redner ab einem bestimmten Zeitpunkt beginnt zu reden, kann er auch das Gegenteil davon tun, nämlich gar nichts sagen. Das geht aber nur, wenn sich Schweigen auf den Kern der Rede bezieht und es nicht allzu lange ausgedehnt wird. Oder versuchen Sie es mal schlicht und einfach mit einem „Nein!“. Oder mit der Floskel
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„Ich komme nun zum Schluss!“. Beide Anfänge besitzen den Charme, dass sie nun ganz und gar nicht erwartet werden und demnach bestimmt die Aufmerksamkeit erhöhen. Sie dürfen aber nicht aufgesetzt erscheinen, sondern müssen zu den nachfolgenden Worten einen logischen Bezug haben. Was aber ist mit der Anrede? Wo soll man sie platzieren? Muss ein Redner die Zuhörer überhaupt ansprechen? Um mit der Antwort auf die letzte Frage zu beginnen: ja. Die Anrede stellt den Kontakt zu den Hörern her und wird – egal in welcher Form – als Zeichen der Achtung ihnen gegenüber verstanden. Im Gegensatz zu den bekannten Floskeln sollte man eine nicht-standardisierte Anrede aber auch verwenden, um ein Wir-Gefühl herzustellen, die eigene Position zu klären und Sympathie-Punkte zu sammeln. Dabei muss das Verb, mit dem der Sprecher den Akt des Grüßens explizit vollzieht (begrüßen), nicht unbedingt genannt werden. „Liebe Mütter und Väter, es ist schön, so viele Mitdenker, Mitstreiter und Mithandelnde an einem Ort zu sehen. […] Meine lieben Mitleidenden, schön, dass ihr alle gekommen seid! […] Sie als starke Gemeinschaft erwarten von mir fachliche Unterstützung. Ich werde mich bemühen und sage zuerst: Guten Tag. Es wird ein erfolgreicher. […] Ich bin zugleich stolz, froh und etwas aufgeregt, vor ausgewiesenen Kennern der Materie sprechen zu dürfen. […] Es ist schön, dass ihr alle hier seid. Das freut mich. […] Geschätzte Bürger dieser Stadt! […] Guten Nachmittag. Ich hoffe, dem köstlichen Dessert noch eins draufzusetzen. […] Ich begrüße euch mit einem 450-fachen Helau! […] Im Namen von 23.000 Bürgern sage ich: Moin, moin!“ Die Platzierung der Anrede ist gar nicht so heikel, wie viele glauben. Wenn die Rede, wie in den obigen Beispielen, nicht unmittelbar mit der Anrede beginnt, dann sollte diese zumindest in einem der nachfolgenden Sätze platziert werden. Wenn sie dann formal und inhaltlich an den etwas an-
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deren Einstieg anschließt, hat der Redner positiven Eindruck erzeugt. Oft ist es jedoch so – das zeigt manch leidvolle Erfahrung – dass sich Redner am Tage der Rede nicht trauen, ihren geplanten besonderen Einstieg mit anschließender Anrede umzusetzen. Dann setzen sie vor den außergewöhnlichen Einstieg eine der bekannten Floskeln. Diesen Bruch bemerken natürlich die Zuhörer und reagieren entsprechend verwundert. Zumindest ist ihnen klar, dass hier etwas Ungeplantes vollzogen wurde, was natürlich für den ersten Eindruck kontraproduktiv wirken muss. Ein heikles Problem im Zusammenhang mit der Anrede ist die weibliche Form: Leser und Leserinnen, Hörer und Hörerinnen, Feministen und Feministinnen, Männer und Männinnen … Das Problem resultiert aus der Grammatik. Unsere Sprache kennt das sogenannte „Generische Maskulinum“. Darunter versteht man formal männlich daherkommende Substantive und Pronomina, die aber nicht Männer, sondern eine Gruppe von Personen mit unbekanntem Geschlecht in ihrer Gesamtheit bezeichnen: die Zuschauer, man, der Deutsche, der Angestellte … Es gibt also Worte, die bezeichnen zwar Männer und Frauen gleichzeitig, von ihrem grammatischen Äußeren her aber sind sie männlich. Was tun, sprach Zeus (und natürlich Hera)? Verwenden Sie, um sicher zu gehen, die weibliche Endung „-innen“, aber nicht exzessiv. Wenn die Zuhörer und Zuhörerinnen aber selbstbewusst genug sind, haben Sie hier die erste Gelegenheit für sanften Humor: „Liebe Mitglieder und Mitgliederinnen (das hat mir die Gleichstellungsbeauftragte ins Manuskript geschrieben) […]“ Zum Abschluss des Themas Einleitung unkommentiert zwei Negativ-Beispiele aus einem „Praxis-Handbuch Rhetorik“, die – wohlgemerkt – als Musterbeispiele (!) für gelungene Einleitungen dienen sollen:
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„Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Frau Müller, anlässlich Ihres letzten Tages hier in der Willy-Brandt-Schule fällt mir als Rektorin die Aufgabe zu, die Abschiedsrede für Sie, liebe Frau Müller, zu halten. Gerne komme ich dieser Aufgabe nach, obwohl ich Sie ungern aus dem Schuldienst entlasse, denn stets waren Sie eine vorbildliche und bei allen beliebte Mitarbeiterin und Kollegin. […]“ „Liebe Frau Müller, jeder Abschied ist ein kleiner Tod. Abschied ist aber auch eine innige Form menschlichen Zusammenseins. Lassen Sie mich Ihnen sagen, wir, das Kollegium der Willy-Brandt-Schule, sind traurig darüber, dass Sie uns verlassen. Wir sind aber auch sehr stolz auf Sie, auf Ihren mutigen Abschied vom Hier und Jetzt, Ihren Mut zum Aufbruch in ein besseres Morgen. Ihr Handeln soll uns und unseren Schülern stets Aufforderung und Mahnung sein. Haben Sie vielen Dank! […]“ (Hantschel/Krieger: 2005, 121).
5.2 In der Mitte steht ein anderes A Der zentrale Teil einer Rede oder eines Vortrags dient natürlich dazu, die Inhalte darzulegen und zu argumentieren. Dies gelingt umso leichter, wenn wir uns bereits zu Beginn des Monologs der Aufmerksamkeit unserer Zuhörer sicher sein können. Die Form des Hauptteils richtet sich wiederum nach den Inhalten, nicht umgedreht. Wenn es um die chronologische Entwicklung eines Sachverhaltes geht, müssen die Inhalte zeitlich nacheinander angeordnet werden. Wenn zwei oder mehrere Aspekte dargestellt werden, sind Pro- und Contra-Argumente zu nennen und deren Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Dabei ist es hilfreich und zeitsparend, sich vom Allgemeinen zum Konkreten fortzubewegen.
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Phase 1 – das Skelett Notieren Sie Stichpunkte zu den Inhalten, welche Sie vermitteln wollen. Bemühen Sie sich bereits hier um eine sinnvolle und vor allem überschaubare Gliederung, um den Überblick zu behalten. So stellen Sie sicher, dass es Ihren Zuhörern später ebenso ergeht. Schieben Sie also die Stichpunkte so lange hin und her, bis Sie folgende Fragen aus vollem Herzen mit „Ja!“ oder „Sicher doch!“ oder „Na klar!“ beantworten können: 1. Sind die Inhalte chronologisch nacheinander angeordnet? 2. Entsprechen sie einer plausiblen Argumentationsfolge? 3. Werden Hierarchien und Wertigkeiten erkennbar? 4. Weiß der Zuhörer in jedem Moment, in welcher Phase der Rede/des Vortrags, wo er sich gerade befindet? Wenn Sie diesen Arbeitsschritt zu früh beenden, kann es geschehen, dass spätere Ideen nur noch schwer zu integrieren sind. Sie sparen sich viel Mühe, denn wenn das Skelett vollständig und in sich stimmig ist, macht das „Behängen mit Fleisch“ nur noch halb so viel Arbeit. Nehmen Sie sich die Stichpunkte öfter vor und halten Sie diese für Ergänzungen offen. Der Computer hilft Ihnen dabei, weil Sie problemlos löschen, ergänzen, verschieben können.
Phase 2 – mit Fleisch behängen Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, die sich nach dem entsprechenden Schreibtyp richten. Manch einer formuliert zuerst einzelne Passagen zum jeweiligen Stichpunkt und bindet diese anschließend aneinander. Die Gefahr bei diesem Vorgehen besteht jedoch darin, dass man dem späteren Text vielleicht anhört, wie er entstanden ist. Andere gehen entsprechend der festgelegten Abfolge vor. Dies hat den Vorteil, dass die Übergänge gewöhnlich fließend sind. Egal, wie Sie schreiben: Orientieren Sie sich an den Stichpunkten und arbeiten Sie diese nacheinander ab. Die wichtigste
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Aufgabe des Hauptteils ist das Argumentieren, weswegen wir ihm ein gesondertes Unterkapitel widmen.
5.2.1 Plausibel argumentieren mit und ohne Sokrates In den meisten Reden, Vorträgen und Präsentationen wollen wir unsere Zuhörer von etwas überzeugen oder ihnen glaubhaft vermitteln. Darum argumentieren wir, zumeist mehr implizit als explizit. Aufgrund seiner überragenden Bedeutung wurden und werden zahlreiche Bücher zum Thema Argumentation geschrieben. All jene, welche auf formaler Logik fußen und versuchen, deren Prinzipien in den Alltag zu übertragen, sind für uns wenig aussagekräftig. Argumentation im Alltag – und öffentliche Monologe gehören zur Alltags-Kommunikation – funktioniert nämlich anders als in der formalen Logik. Aus Untersuchungen an zahlreichen Texten kristallisieren sich folgende Besonderheiten der Alltagsargumentation heraus: Im Gegensatz zur formalen Logik beginnen wir häufig mit einer Behauptung und versuchen anschließend, diese zu begründen. Mit der Behauptung legt sich der Sprecher meist auf einen oder mehrere Geltungsansprüche fest (meine Argumentation ist wahr, glaubhaft, ich habe die richtigen Wertestandards verwendet). Häufig werden einzelne Elemente einer Argumentation gar nicht genannt, der Hörer erschließt sie aus dem Zusammenhang des Textes oder/und aufgrund seines Hintergrundwissens. Ein Beispiel dazu: Die Zuhörer schalteten frühzeitig ab, weil die Power-Point-Folien mit Informationen überladen waren. Um diesen Satz zu verstehen, muss der Leser oder Hörer über folgendes Wissen verfügen: „Power-Point“ ist ein Präsentationsprogramm eines Computers, bei dem man die einzelnen Bilder Folien nennt (dass diese
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Bezeichnung aus der Zeit des Übergangs vom Overhead stammt, gehört nicht zum verstehensrelevanten Wissen). „Abschalten“ ist kontextuell eine Metapher mit der Bedeutung „geistig nicht mehr folgen“. Wenn zu viele Informationen auf einer Folie zu sehen sind, können Hörer diese nicht mehr verarbeiten. Gegenprobe: Fragen Sie mal einen Menschen über 70, was Power-Point ist. Das wichtigste Verfahren beim Argumentieren ist das Schlussfolgern. Induktiv gehen wir vor, wenn aus ein oder mehreren Behauptungen ein oder mehrere neue Schlüsse gezogen werden. Für Vorträge und Reden bietet sich dieses Verfahren besonders an, weil wir die Zuhörer von einer Stufe zur nächsten führen und die Erkenntnis nicht vorgeben. Dabei ist zweierlei wichtig. Nach jeder Stufe zusammenfassen und eher in kleinen Schritten als in zu großen vorgehen. Das Optimum ist erreicht, wenn die einzelnen Schritte so konzipiert sind, dass die Zuhörer a) leicht folgen können und b) bei jedem Teilschritt zustimmen. Das folgende Beispiel stammt aus einem offenen Brief Angela Merkels vom 30. Dezember 2005. Es ist zwar zum Lesen geschrieben, aber besonders anschaulich: „Wir brauchen die Bereitschaft für Veränderungen. Nur so können wir unseren Wohlstand für uns und die kommenden Generationen bewahren. Deshalb werden wir alles dransetzen, dass die Wirtschaft stärker wachsen kann. Das ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Sozialsysteme finanzierbar und leistungsfähig bleiben und der Staat seine Aufgaben erfüllen kann.“ Hier die einzelnen Schritte mit Kommentar 1. „Wir brauchen die Bereitschaft für Veränderungen.“ (Behauptung am Beginn der Argumentation)
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2. „Nur so können wir unseren Wohlstand für uns und die kommenden Generationen bewahren.“ (Begründung der Behauptung) 3. „Deshalb werden wir alles dransetzen, dass die Wirtschaft stärker wachsen kann.“ (Folgen aus Punkt 1 und 2) 4. „Das ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Sozialsysteme finanzierbar und leistungsfähig bleiben und der Staat seine Aufgaben erfüllen kann.“ (abschließende Schlussfolgerung) In Kurzform lautet die Argumentation: Bereitschaft zu Veränderungen Wohlstand bewahren Wirtschaftswachstum erzeugen Staat mitsamt der Sozialsysteme funktioniert weiter. Wenn man nun die Zwischenschritte 2 und 3 weglässt, ergibt sich: Wir müssen uns verändern, um den Staat und seine Sozialsysteme am Leben zu erhalten. Mit den Worten von Frau Merkel: „Wir brauchen die Bereitschaft für Veränderungen. […] Das ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Sozialsysteme finanzierbar und leistungsfähig bleiben und der Staat seine Aufgaben erfüllen kann.“ Hier wird klar, warum wir in kleinen Schritten argumentieren müssen, denn dass Veränderungen unseren Staat und sein Sozialsystem am Leben erhalten, ist nur bei längerem Nachdenken plausibel und das innere Nicken der Zuhörer keineswegs sicher. Die Zeit zum Nachdenken haben unsere Zuhörer aber nicht. Darum fehlt in der dargestellten Argumentation eigentlich zwischen Schritt 1 und 2 noch etwas. (Eigentlich, weil die Autorin genau diesen Zwischenschritt zuvor schon benannt hat.) Dieser Zwischenschritt könnte zum Beispiel heißen: ‚Die Weltwirtschaft verändert sich zurzeit.’ Das Beispiel beweist aber gleichzeitig auch das zuvor Behauptete:
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• Alltags-Argumentationen beginnen häufig mit einer Behauptung und schieben die Begründung(en) hinterher. • Diese wiederum können selbst Behauptungen sein – wie in unserem Beispiel (Menschen, die sich eher auf den Staat verlassen oder solche, die Veränderungen scheuen, werden bereits hier protestieren). • Viele zusätzliche Informationen, Ausnahmen oder Bedingungen, damit eine Argumentation überhaupt plausibel ist, werden nicht genannt (hier: Veränderungen sind überhaupt notwendig, wir wollen unseren Wohlstand beibehalten, zwischen Wirtschaft und Sozialsystem bestehen kausale Verbindungen …). Eine weitere Besonderheit von Alltags-Argumentationen betrifft die Plausibilität. Im Gegensatz zur formalen Logik kommt es im Alltag darauf an, dass unsere Argumentationen genau für unsere Zuhörer plausibel sind. Ob auch die Menschen außerhalb der Veranstaltung uns folgen und vor allem zustimmen würden, spielt keine Rolle (zumindest dann nicht, wenn unsere Zielgruppe ausschließlich jene im Raum ist). Dies wiederum bedeutet, dass wir im Vorfeld zumindest ansatzweise die Präferenzen unserer Zuhörer kennen sollten. Eine Argumentation pro Kernkraft wird selbst mit ausgefeilten Argumenten in den Reihen der grünen Hardliner wenig fruchten. Eine Argumentation pro vegetarische Ernährung löst bei Rinderzüchtern nur höhnisches Lachen aus. Sehen wir uns hierzu noch einmal unser Beispiel von Frau Merkel an. Wer den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Staat und dessen Sozialsystemen nicht erkennt oder anerkennt, wird vor allem Schritt 3 und 4 als unplausibel erachten. In diesem Zusammenhang sind Beobachtungen von Psychologen bedeutsam. Sie haben herausgefunden, dass der Sinn jeder Informationsaufnahme und -verarbeitung darin liegt, entweder neue Informationen in
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bestehende Wissenssysteme einzubinden und sie vor diesem Hintergrund zu interpretieren oder mit ihrer Hilfe die vorhandenen Überzeugungen zu ändern. Dabei arbeiten wir Menschen jedoch als „kognitive Geizhälse“ und scheuen üblicherweise geistige Anstrengungen. Gleichzeitig verwenden wir „kognitive Abkürzungen“, gehen also den kürzest möglichen und möglichst rasch zum Erfolg führenden Weg (vgl. Zimbardo 1995: 369). Positiv formuliert könnte man sagen: Menschen handeln, auch beim Verarbeiten von Informationen, ökonomisch. Schritt für Schritt für Schritt für Schritt. Dabei ist ein zweiter Fakt von Bedeutung. Informationsverarbeitung bedeutet auch immer lernen. Hier gibt es nun zwei grundsätzliche Möglichkeiten: a) Assimilation: Veränderung bzw. Anpassung vorgefundener Informationen, sodass diese in vorhandene Schemata eingefügt werden können b) Akkommodation: Veränderung der Schemata, um nicht im Widerspruch zu neuen Informationen oder anderen Schemata zu stehen Theoretisch finden wir beide Lernvorgänge auch bei Erwachsenen. Praktisch aber ziehen wir die Assimilation der Akkommodation vor. Je älter Menschen werden, umso weniger sind sie bereit, ihr Weltbild zu ändern. Was wir als Altersstarrsinn kennen, ist also lediglich Ausdruck der extremen Form von Assimilation: „Im allgemeinen behalten wir Glaubensvorstellungen, Theorien und Handlungsweisen beharrlich bei, weil wir Daten oder neue Erfahrungen auf vorurteilsbehaftete Weise assimilieren“ (Zimbardo 1995: 370). Hinzu kommen zwei Phänomene der Informationsaufnahme, die einer leichten Argumentation im Wege stehen. Beim Schlussfolgern nehmen wir Informationen generell selektiv auf. Menschen beachten und verarbeiten
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vorrangig diejenigen Tatsachen, Fakten, Gerüchte, Glaubensgrundsätze, die ihre Wissens- und Glaubenssysteme stützen. Wenn also jemand daran glaubt, dass Elfen existieren, wird er auch immer wieder „Beweise“ dafür finden. Wenn jemand davon überzeugt ist, dass alle Politiker nur ihren eigenen Vorteil sehen, wird er in allen Äußerungen und Handlungen von Politikern Beweise zuhauf finden. Ein damit im Zusammenhang stehendes Merkmal des Schlussfolgerns und der Urteils- und Entscheidungsfindung wird als „kognitive Verzerrung“ bezeichnet. Es handelt sich hierbei um entstellte Informationsverarbeitung, die zu unangemessenem Denken führt, wenn Menschen nicht erkennen (wollen), dass eine in der Vergangenheit angemessene Strategie für eine aktuelle Situation nicht angemessen ist. Auch wenn neue Informationen eigentlich ein anderes Handeln nach sich ziehen müsste, verlassen wir uns automatisch auf Vertrautes: „Verzerrte kognitive Strategien sind ein grundlegendes Merkmal der Schlußfolgerungen, Urteile und Entscheidungen des Menschen. Diese kognitiven Verzerrungen (cognitive biases) treten beim Denken systematisch auf. Sie sind für Irrtümer beim Schließen aus gegebenen Sachverhalten, beim Urteilen aufgrund von Schlußfolgerungen und beim Entscheiden auf der Grundlage von Urteilen verantwortlich.“ (Zimbardo 1995: 371) Zusammenfassen lässt sich diese wenig ermutigende Faktenlage so: Unsere Zuhörer besitzen ein fest gefügtes Weltbild. Sie picken sich wie Hühner vor allem jene Informationen heraus, die ihr Weltbild bestätigen. Alle anderen Daten werden nicht beachtet oder zumindest sehr kritisch unter die Lupe genommen. Wer das nicht glaubt, höre beim nächsten Gespräch am Stammtisch einmal genauer hin. Hier kann man auch immer wieder gut erkennen, welchen Einfluss die Quelle einer bestimmten Botschaft auf die Zuhörer hat, was wir im Folgenden näher beleuchten wollen.
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Argumentationen werden nicht von Robotern vorgetragen, sondern von Menschen (ich beginne hier, wie bei der Alltagsargumentation, mit einer Behauptung). Ein und derselbe Text kann im Extremfall völlig unterschiedlich verstanden werden, je nachdem, wer ihn vorträgt. Wenn ein bekannter Komiker (neudeutsch: Comedian) einen medizinischen Fachtext auf einem Ärztekongress vorträgt, sind die Zuhörer geneigt, diesen Text von vornherein als ironisch einzustufen. Sie werden also den Inhalten wenig Glauben schenken. Wenn jedoch die bekannte Koryphäe Professor XY den Text referiert, werden die Worte naturgemäß ganz anders aufgenommen werden. Welchen Einfluss die jeweiligen Kommunikatoren auf Argumentationen ausüben, hat in den vergangenen Jahrzehnten die Kommunikationswissenschaft untersucht. Die wichtigsten Resultate, die für Redner zutreffen, fasse ich hier zusammen: • Jeder Redner möchte für die Zuhörer plausibel, also logisch und verständlich nachvollziehbar argumentieren. Dies hängt vor allem von zwei Faktoren ab: seiner Kompetenz und seiner Vertrauenswürdigkeit. • Kompetent scheint eine Kommunikationsquelle dem Zuhörer dann, wenn er überzeugt ist, dass genau der Redner in der Lage ist, überzeugende und überprüfbare Fakten und Daten vorzutragen. Ein katholischer Bischof wird (eigentlich) kaum als kompetent betrachtet, über Fragen sexueller Praktiken überzeugend zu referieren, in Belangen der Bibelauslegung hingegen nimmt man ihm Kompetenz per se ab. • Kompetenz resultiert also zuerst aus Sachkenntnis, Expertentum, Erfahrung, speziellem Wissen und besonderen Fähigkeiten. Darüber hinaus bestimmen auch äußere Faktoren, die oberflächlich nichts mit dem Redner zu tun haben, ob und wie er Einfluss ausüben kann. Zuhörer sind nämlich viel eher bereit, Inhalte zu akzeptieren, wenn zwischen dem Redner und ihnen selbst Ähnlichkeiten bestehen. Dies können Äußerlichkeiten wie Kleidung, Sprechweise und Auftreten sein. Ein Po-
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litiker mit unverkennbar norddeutschem Dialekt wird es in einem bayerischen Bierzelt beim Wahlkampf weitaus schwerer haben als ein Urbayer, selbst wenn das Nordlicht sich mit Krachlederner und Gamsbart schmückt. Neben Äußerlichkeiten fördern jedoch auch inhaltliche Gemeinsamkeiten die Akzeptanz von Botschaften. Wer ähnliche Überzeugungen wie seine Zuhörer vertritt, wird eher gehört werden. Hinzu kommt, dass Zuhörer Redner mit den beschriebenen Ähnlichkeiten auch sympathischer finden. Und Sympathie wiederum erleichtert Akzeptanz. In Bezug auf die verwendeten Quellen von Argumentationen hat sich gezeigt, dass mehrere glaubwürdige Quellen die Überzeugungsleistung steigern können. Doch Vorsicht! Dies trifft nur dann zu, wenn die Zuhörer diese Quellen als unabhängig voneinander einstufen und die einzelnen Argumente für sich genommen stark und plausibel sind. Der zweite Faktor neben jenem der Kompetenz des Redners ist seine Vertrauenswürdigkeit. Diese ist etwas schwieriger zu beurteilen, eben weil sie schwer herzustellen ist. Wohl jeder ist schon einmal bei Personen hereingefallen, die ihm ursprünglich vertrauenswürdig erschienen. Für Reden, Vorträge und Präsentationen ist folgende Erkenntnis bedeutsam: „Ob eine Quelle als vertrauenswürdig erlebt wird oder nicht, hängt davon ab, inwieweit die Rezipienten (Zuhörer) davon ausgehen, daß es die Absicht des Kommunikators ist, überzeugen zu wollen, um dadurch selbst Vorteile zu erzielen. Je mehr diese Absicht den Rezipienten deutlich wird, als desto weniger vertrauenswürdig gilt die Quelle.“ (Koeppler 2000: 187) Mit anderen Worten: Wenn bei einem Redner allzu sehr durchscheint, dass er verkaufen, überzeugen, den Auftrag holen oder sonst in irgendeiner Art und Weise beeinflussen will, sinkt dessen Vertrauenswürdigkeit. Daraus lässt sich schließen: Argumentieren Sie in erster Linie sachorientiert. Die
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Zuhörer müssen immer das Gefühl haben, dass die Eigeninteressen des Redners sekundär sind. Dies lässt allerdings nicht den Umkehrschluss zu, wenig emotional vorzugehen. Wenn der Redner von seinem Thema begeistert ist, dann soll und muss er dies natürlich auch zeigen, denn das Gehirn der Zuhörer arbeitet und verarbeitet mit positiven Emotionen besser. Was bedeutet dies alles für unsere Argumentation? 1. Verwenden Sie Grundüberzeugungen der meisten Zuhörer als Basis und Ausgangspunkt für die eigene Argumentation. 2. Die Argumentation muss für die Zuhörer plausibel sein, nicht für Außenstehende. Suchen Sie also plausible Argumente speziell für Ihre Zuhörer. 3. Verwenden Sie Wissenselemente Ihrer Zuhörer, an welche diese anknüpfen können, um ihr bestehendes Weltbild festigen oder erweitern zu können (Assimilation), argumentieren Sie also parallel zu den Grundsätzen der Zuhörer. 4. Steuern Sie die Argumentation, sodass die Zuhörer die Erkenntnisse und Resultate selbst finden. 5. Gehen Sie dabei in kleinen Schritten vor und stellen sie nach jedem Schritt sicher, dass auch die Zuhörer die nächste Stufe erreicht haben und (innerlich) zustimmen können. 6. Verbinden Sie die Argumentationen mit Anekdoten, Geschichten, Erzählungen, um sicherzustellen, dass die Hörer Ihrer Argumentation auch deshalb folgen, weil diese spannend und unterhaltsam dargeboten wird. 7. Fassen Sie bei längeren Passagen einzelne Argumentationen und Argumentationsschritte zusammen.
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5.3 Zum Schluss das bessere Ende Wie der Beginn eines Monologs, so scheint auch der Schluss einer der größten Knackpunkte zu sein. Das ist nicht verwunderlich, denn der Anfang und noch viel mehr der Schluss bleiben besonders lange im Gedächtnis der Zuhörer. Sehen wir uns hierzu eine Standardformel in drei Varianten an: Ich danke Ihnen. Vielen Dank. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wofür dankt der Redner? Dass nicht alle Zuhörer eingeschlafen sind? Dass sie überhaupt noch anwesend sind? Dass sie nicht mit Tomaten werfen? Es ist die Aufgabe und auch große Chance eines Redners, die Zuhörer zu informieren und zu unterhalten. Gerade der Aspekt der Unterhaltung ist in Deutschland verpönt. Entweder informieren oder unterhalten, basta! Wer aber unterhaltend und kurzweilig informiert, kann sicher sein, dass seine Informationen bei den Zuhörern länger präsent bleiben und auch mehr bewirken. Wenn er dies in seiner Rede schafft, muss er sich nicht bedanken, im Gegenteil. Dann tun dies die Zuhörer ihrerseits, indem sie ihre Handflächen mit erhöhter Geschwindigkeit gegeneinander führen. Ein hilfloses „Danke!“ am Ende einer Rede vermittelt den Zuhörern jedoch: ‚Dem oder der ist nichts Besseres eingefallen.’ Die klassische Rhetorik fordert für den Redeschluss: schnell und präzise steigern und zuspitzen. Dabei ist zu beachten, dass der Schluss – wie die Einleitung – aus den Redeteilen logisch erwächst und nicht aufgepflanzt erscheint. Wenn der Redner sich also an seine Gliederung mit Stichworten hält, kann er diese Forderung leicht erfüllen, denn bereits hier sollte er inhaltlich den Schluss der Rede festlegen. Ebenso wie der Beginn der Rede muss der Schluss aus dem Kern derselben, also aus der Botschaft erwachsen.
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Besonders einprägsam sind Schlüsse, die inhaltlich und formal einen Bogen zum Beginn schlagen und mit diesem einen Rahmen bilden. Damit gelingt es dem Redner auch, sein Gesamtkunstwerk sinnvoll abzuschließen und als in sich geschlossenes Ganzes zu präsentieren. In der Praxis hat sich bewährt, gerade dem Beginn und Schluss besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Für Reden und Vorträge bedeutet dies: Wenn auch der gesamte Rest des Textes nur in Form von Stichpunkten vorliegt oder völlig ohne Hilfsmittel vorgetragen wird – Beginn und Schluss müssen ausformuliert bzw. mit besonderer Sorgfalt geplant werden. Nachfolgend Arten von Schlüssen, die wiederum keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben: a) Zusammenfassung des Gesagten Guido Westerwelle, 24.11.2004: „[…] Das entscheidende Problem ist: Sie verwalten sich selber. Sie sind der Überzeugung, Sie könnten nur mit ein bisschen PR und Show den Wahlkampf einläuten. Substanzielle Politik haben Sie heute nicht geboten. Das war eine Rede des Stillstandes und das ist das Letzte, was dieses Land in Anbetracht einer Massenarbeitslosigkeit braucht. Wir wollen einen Politikwechsel; der ist für Deutschland fällig. Weil er mit Ihnen nicht hinzubekommen ist, muss Rot-Grün weg.“ (www.guido-westerwelle.de) b) Aufforderung zum Handeln Winston Churchill, 13.05.1940: „[…] So fühle ich mich in diesem Augenblick berechtigt, die Hilfe aller zu fordern, und ich rufe: Kommt denn, lasst uns gemeinsam vorwärts schreiten mit vereinter Kraft!“ (Reden die die Welt bewegten, o. J.: 435) Horst Köhler, 21.09.2006: „[…] Dafür kommt es auf uns alle an, auf unsere Einstellung, auf unsere Anstrengung, auf unser Vorbild. Bildung für alle – das gelingt am besten, wenn sich alle dafür einsetzen, wenn wir alle uns bewegen. Was hindert uns? Auf geht‘s!“ (www.bundespraesident.de)
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c) Aufforderung, die Schlussfolgerung selbst zu ziehen Maler zur Vorstellung seiner Bilder: „[…] Falls Sie sich diesen Menschen nähern, erschrecken Sie aber nicht. Es kann sein, dass Sie auf dieser Expedition sich selbst begegnen. Vielleicht nur bruchstückhaft, vielleicht nur verzerrt. Vielleicht … Aber das sollen Sie nun selbst herausfinden.“ d) Zusammenfassung + Aufforderung zum Handeln Roman Herzog, 26.04.1997: „[…] Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe auf zu mehr Selbstverantwortung. Ich setze auf erneuerten Mut. Und ich vertraue auf unsere Gestaltungskraft. Glauben wir wieder an uns selber. Die besten Jahre liegen noch vor uns.“ (www.bundespraesident.de) Johannes Rau, 05.06.2004: „[…] Deutschlands Presse hat noch immer einen guten Ruf. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit, und das ist auch nicht für immer gesichert. Die Medien vermitteln ein Bild der Wirklichkeit, aber sie vermitteln damit gleichzeitig auch ein Bild von sich selbst. Beides erscheint mir reformbedürftig. Und jetzt freue ich mich auf die Diskussion.“ (www.bundespraesident.de) e) Beginn wieder aufnehmen, Rahmen schaffen (die Beispiele zeigen den jeweiligen Beginn und Schluss der Rede) Firmenjubiläum: „Es war einmal vor acht Jahren. Da beschlossen drei wackere Burschen, ihr Glück zu versuchen. Nicht in der weiten Welt, sondern zu Hause, in ihrem kleinen, recht unscheinbaren Land. […] Sie alle haben dazu beigetragen, dass das Märchen von einem kleinen blühenden Landstrich Wirklichkeit geworden ist.“ Abiturfeier, Schulleiter spricht: „Bei Kiwis und Pfirsichen ist es einfach. Man lässt sie einfach möglichst lange in der Sonne baumeln. Dann drückt man ein wenig hier, drückt ein wenig da – und schon ist klar, ob die Früchtchen reif sind oder nicht. […] In der Hoffnung, dass euch der heutige Abend
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bleibende Reife-Eindrücke bescheren wird, wünsche ich euch viel Spaß beim Feiern. Denn die Zeit dafür ist reif.“ Horst Köhler, 17.06.2008: „Das Schuljahr geht zu Ende. Es kommen noch ein paar Klassenarbeiten (viel Glück dabei!); aber dann sind Sommerferien. Die Zeit der Abi-Feten hat begonnen, und auf manchem Auto heißt es stolz und fröhlich: ‚ABI 2008’. Meine Damen und Herren, von heute an, wann immer Sie das Wort ‚ABI’ hören oder lesen, denken Sie bitte nicht allein an Schulabschlüsse, denken Sie auch an drei Ziele für Deutschland: Arbeit, Bildung, Integration. […] Arbeit, Bildung, Integration – lassen Sie uns gemeinsam bestimmen, was dafür zu tun ist. Wenn wir darüber Klarheit erzielen und dann alle zum Gelingen beitragen, dann können wir wohlgemut sein. Ich glaube, wir bekommen das alles hin. Ach, und eins noch – bitte denken Sie von nun an immer daran: „ABI“ ist mehr als nur ein Schulabschluss.“ (www.bundespraesident.de) Der Redner versucht hier, dem Akronym „Abi“ eine neue Bedeutung zu verleihen. Eine gute Idee, zumal viele der Zuhörer im Straßenbild mit den drei Buchstaben konfrontiert werden. Weil die neuen drei Begriffe aber Abstrakta sind, wird eine dauerhafte Verbindung kaum gelingen. f) Toast, Glückwunsch, Eröffnung „[…] Bevor Sie alle hoffentlich meinem Ratschlag folgen, wollen wir gemeinsam anstoßen. Auf die Gesundheit von Herrn Meier. Damit er nicht nur lange gesund, sondern uns auch noch lange erhalten bleibt.“ Gerhard Schröder, 14.01.2005: „[…] Dafür meine Anerkennung, lieber Hubertus, ich freue mich sehr auf unsere weitere Zusammenarbeit. Denn wir haben uns beide noch so manches vorgenommen.“ (www.bundesregierung. de)
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Gerhard Schröder, 09.03.2005: „[…] Ich wünsche den beteiligten Unternehmen aus Deutschland und aller Welt in diesen Tagen gute Geschäfte und eine erfolgreiche Messe. In diesem Sinne erkläre ich die CeBIT 2005 für eröffnet.“ (www.bundesregierung.de) g) Aussicht auf die Zukunft Martin Luther King, 28.08.1963: „[…] Wenn wir die Freiheit erschallen lassen – wenn wir sie erschallen lassen von jeder Stadt und jedem Weiler, von jedem Staat und jeder Großstadt, dann werden wir den Tag schneller herbeiführen, an dem alle Kinder Gottes – schwarze und weiße Menschen, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken – sich die Hände reichen und die Worte des alten Negro Spiritual singen können: ‚Endlich frei! Endlich frei! Großer, allmächtiger Gott, wir sind endlich frei!’“ (Reden die die Welt bewegten, o. J.: 591) Wolfgang Thierse, 09.10.2004: „[…] Damals ging es um die kleine, versteinerte DDR. Heute geht es um das größere gemeinsame Land. Und wieder brauchen wir entschlossene Friedfertigkeit und friedfertige Entschlossenheit.“ (www.thierse.de) h) Zusammenfassende Anekdote Horst Köhler, 15.03.2005: „[…] John F. Kennedy hat oft Cape Canaveral besucht. Es wird erzählt, er habe dabei einmal einen Arbeiter angesprochen, der gerade eine Halle fegte. ‚Was ist Ihr Job?’, fragte er ihn. Der Arbeiter antwortete: ‚Einen Menschen auf den Mond bringen, Mr. President.’ Mancher mag darüber lächeln. Mich beeindruckt die Kraft, die hinter dieser Antwort steckt.“ (www.bundespraesident.de)
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6. Anschaulich reden auf die überzeugende Tour
6.1
Was in den Köpfen so vor sich geht
In den folgenden zwei Abschnitten, die sich auf die Psychologie des Verstehens beziehen, habe ich als erstes Beispiel bereits Ersatzausdrücke verwendet, die jeweils unterschiedliche Aspekte des zentralen Begriffes „Gehirn“ benennen: Wenn wir Wörter hören oder lesen, bevorzugt unser Gehirn (hier wird der zentrale Begriff, um den es geht, erstmals konkret benannt) solche, die klare und eindeutige Grenzen besitzen, also konkrete Begriffe wie Haus, Spatz, Gebirge. Mit abstrakten Begriffen wie Liebe oder Entgegenkommen kann unser Zerebrum (Fachbegriff) weniger anfangen, es sei denn, der Sprecher verleiht ihnen mit Hilfe einer Geschichte oder eines Beispiels konkrete Gestalt. Dies liegt unter anderem daran, dass konkrete Wörter wesentlich mehr Vorstellungen und Bilder in unserer Steuerzentrale (Metapher) aktivieren als abstrakte. Hierbei wiederum benutzt unser Brägen (Synonym) auch Areale, die beim Sehen aktiv sind. Unser Denkorgan (Umschreibung) verarbeitet also ein konkretes Wort mindestens zweifach, sprachlich und als Bild. So löst zum Beispiel das Wort Bruchbude bei jedem Hörer in Nuancen andere Vorstellungen aus, aber die wichtigsten Bedeutungselemente ‚baufällig’ und ‚alt’ dürften bei jedem sofort präsent sein. Diese doppelte Kodierung aus Sprache und Bild wiederum hilft unserer grauen Masse (feststehende Umschreibung) beim Speichern und Weiterverarbeiten. Je mehr Verbindungen unser Hirnkasten (feststehende Umschreibung) zu bereits bekannten Begriffen und Bildern ziehen kann, umso intensiver verarbeitet unser Computer (Metapher) das dazugehörige Wort oder aufgerufene Bild.
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Ein Redner soll also vor allem Konkretes benennen, will er von seinen Zuhörern verstanden werden. Wenn er auch noch möchte, dass seine Worte positive Gefühle hervorrufen, sich leicht und effektiv einprägen und eine Reihe von Assoziationen freisetzen, dann muss er anschaulich und bildhaft schreiben (vgl. Willenberg 1999: 78 ff.).
6.2 Vergleiche vergleichen Vergleichbares Das wichtigste Wort beim Vergleich ist das kleine wie. Ein Sachverhalt A wird mit einem Sachverhalt B durch das Wörtchen wie verbunden: Liebe ist wie Champagner. Liebe ist wie eine OP ohne Morphium. Liebe ist wie ein Fangnetz im Zirkus … Diese wenigen Beispiele belegen, dass der Sachverhalt B (Champagner, OP ohne Morphium, Fangnetz im Zirkus) nur einen Aspekt des Sachverhaltes A (Liebe) herausgreifen kann. A und B sind also niemals kongruent, sondern überschneiden sich lediglich in einem Vergleichsbereich oder -punkt, in dem beide übereinstimmen, dem tertium comparationes (vgl. Ueding/ Steinbrink 1994: 295):
A
B
Abbildung 2: Zwei Sachverhalte und deren Vergleichsbereich
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In unseren Beispielen könnten wir diese Vergleichsbereiche folgendermaßen beschreiben: A
Liebe
B
t.c.
Champagner
prickelnd, erhebend, leicht berauschend, nicht alltäglich, teuer
OP ohne Morphium
äußerst schmerzhaft
Fangnetz im Zirkus
Sicherheit bietendes Element beim möglichen Absturz, das zugleich die Bereitschaft zum Risiko erhöht
Tabelle 3: Drei mögliche Vergleiche mit „Liebe“
Die wenigen Beispiele zeigen, dass jeder Mensch aufgrund seiner ganz individuellen Erfahrungen unterschiedlich versteht, im Extremfall gegensätzlich zu anderen. Wer Champagner nicht kennt, wird auch mit dem Vergleich nichts anfangen können. Auch die Elemente des tertium comparationes (Vergleichspunktes) sind für jeden Menschen unterschiedlich. Einer legt den Fokus auf „prickelnd, erhebend“, der nächste auf „nicht alltäglich“, ganz nach Erfahrung und Ziel für die Rede. Wer noch nie im Zirkus war, kann nicht verstehen, was Liebe mit einem Fangnetz zu tun haben soll. Wenn wir also vergleichen, dann müssen wir solche Sachverhalte und Bildeinträge suchen, die in unserem kollektiven Gedächtnis annähernd ähnliche Bedeutungen aufweisen. Von diesen nehmen wir an, dass sie und ihre Eigenschaften allgemein bekannt sind. Erwachsene Mitteleuropäer sollen nach Schätzungen circa 100.000 davon besitzen (vgl. Willenberg 1999: 87). Um ganz sicherzugehen, sollten wir den gefundenen Vergleich, den verwendeten Bildeintrag in vielen Facetten beschreiben und detailreich ausmalen.
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Wenn wir diese Erkenntnisse auf unser Beispiel mit dem Champagner beziehen, heißt das: Weil auch der passionierte Biertrinker weiß, dass man „Champagner“ im Allgemeinen die Attribute „prickelnd, erhebend, leicht berauschend, nicht alltäglich, teuer“ zuweist, wird auch er den Vergleich zumindest verstehen können – wenngleich ihm der tiefere Sinn auf ewig verschlossen bleibt. Schrittfolge, um einen Vergleich zu finden Die hier dargestellten Schritte, um einen aussagekräftigen Vergleich zu finden, sollte der Autor durchaus bewusst nacheinander gehen und die Resultate fixieren. Nach einigen erfolgreichen Versuchen werden sie ihm in Fleisch und Blut übergehen. Schritt
Beispiel
1. Welchen Sachverhalt möchte ich durch einen Vergleich anschaulich beschreiben?
Gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung
2. Welche Eigenschaft dieses Sachverhaltes möchte ich hervorheben?
kontinuierlich, gleich bleibend, mit nur geringen Schwankungen nach oben und unten
3. Welcher Sachverhalt besitzt ebensolche Eigenschaften?
a) Gezeiten b) Wechsel der Jahreszeiten c) Fluss
4. A und B mit Hilfe des Wörtchens wie verbinden
Die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung ist wie Ebbe und Flut (a), wie der Wechsel der Jahreszeiten (b), wie ein Fluss (c).
Tabelle 4: Vier Schritte zum Vergleich
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Wenn wir es beim Vergleichen belassen und den Sachverhalt B nur einmal nennen, bleibt er noch vage und unklar. Jeder Hörer besitzt ein etwas anderes Bild von den Gezeiten, jeder hat eine etwas andere Vorstellung vom Wechsel der Jahreszeiten, jeder stellt sich einen anderen, ganz konkreten Fluss vor. Wenn der Redner also einen passenden Vergleich gefunden hat, mit dem er einen bestimmten Aspekt hervorheben möchte, dann sollte er diesen ausbauen und mit weiteren Details anreichern. Damit schlägt er gleich drei Fliegen mit einer Klappe. Er 1. festigt den Vergleich in den Köpfen seiner Zuhörer, 2. macht ihn zunehmend konkreter und 3. steuert damit das Verstehen in seinem Sinne. Nehmen wir die dritte Möglichkeit (c) und beschreiben den Fluss genauer. Weil der Redner die Eigenschaften „kontinuierlich, gleich bleibend, mit nur geringen Schwankungen nach oben und unten“ ins Zentrum seines Vergleiches stellen möchte, kann er keinen reißenden Bergfluss verwenden. Für die gewünschten Eigenschaften bieten sich eher Elbe und Rhein an. An einem bestimmten Abschnitt fließt das Wasser gemächlich, die Wasserhöhe schwankt nur um wenige Zentimeter im Jahr, das breite Flussbett trägt Schiffe usw. Damit steuert der Redner das Verstehen in seinem Sinne, was nichts mit Manipulation zu tun hat. Es geht in erster Linie darum, dass der Hörer das versteht, was der Redner gemeint hat. Aufgrund unserer individuellen Erfahrungen wird dies allerdings immer nur annähernd gelingen.
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6.3 Metaphern – viel mehr als „schmückendes Beiwerk“ Seit es Metaphern gibt, diskutieren die Gelehrten, was wir überhaupt darunter zu verstehen haben. Entsprechend der klassischen Definition der Rhetorik unterscheidet sich die Metapher vom Vergleich lediglich dadurch, dass wir das Wörtchen wie streichen. Sachverhalt A ist also nicht wie B, sondern Sachverhalt A ist B. Darum ist die Metapher – laut Rhetorik – auch ein verkürzter Vergleich. Neuere Untersuchungen widersprechen dieser Theorie. Danach sind Metaphern keine verkürzten Vergleiche oder lediglich schmückendes Beiwerk, welches man bewusst einsetzt oder nicht, sie sind überall in unserer Sprache vorhanden und bestimmen unser Denken, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Metaphern sind also weitaus bedeutender, als dies die Umschreibung ‚schmückendes Beiwerk’ nahelegt. Sehen wir uns zur Illustration „tote Metaphern“ an. Diese werden so bezeichnet, weil ihr metaphorischer Ursprung nicht mehr erkennbar ist bzw. uns beim Sprechen nicht mehr bewusst wird. Im Gebrauch allerdings sind die toten Metaphern quicklebendig. Beispiele finden wir in Einzelworten und Redewendungen: • Handschuh, Stuhlbein, Buchrücken, Baumkrone, Federkleid, Drahtesel, Computer-Maus … • etwas an den Haaren herbeiziehen, jemandem die Flügel stutzen, seinem Herzen Luft machen, die Motten kriegen … Viele Wörter und Wendungen sind metaphorischen Ursprungs, eben weil Metaphern uns helfen, Sachverhalte zu verstehen und einzuordnen. „Bilder von Objekten werden besser als Bezeichnungen dieser Objekte und diese
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wiederum besser als abstrakte Wörter behalten und reproduziert. Je höher der Bildhaftigkeitsgrad von Informationen ist, desto leichter und besser werden diese behalten und verstanden.“ (Schwarz 1996: 98). Die beiden US-amerikanischen Linguisten Lakoff und Johnson gehen davon aus, dass wir durch eine Metapher eine „Sache oder einen Vorgang in Begriffen einer anderen Sache bzw. eines anderen Vorgangs verstehen und erfahren können“ (Lakoff/Johnson 1998: 13). Dabei heben wir einen Aspekt hervor und blenden andere aus, was dazu führt, dass der Sprecher bestimmt, welchen Sachverhalt er ins Zentrum des Interesses rückt. Die Vorstellungen also, die sich die Teilnehmer einer Sprechgemeinschaft von einem Sachverhalt A machen, werden mit den Worten benannt, die einem anderen Sachbereich B entnommen sind. Aus diesen Gründen sind Metaphern für eine Rede überaus wichtig. Wenn man erst einmal eine zentrale gefunden hat, trägt sie (eine Metapher) im Idealfall die gesamte Rede, weil sie genau das beleuchtet (auch eine Metapher), was der Redner ins Rampenlicht (Na?) stellen möchte. Wenn ich mir zum Beispiel Zeit als etwas Wertvolles vorstelle und Geld für mich Ausdruck des Wertvollen ist, dann kann ich Zeit in den Begriffen des Geldes denken. Die Dachmetapher lautet ‚Zeit ist Geld’. Daraus wiederum entstehen die unterschiedlichsten Einzelmetaphern wie zum Beispiel ‚Zeit vergeuden’, ‚Zeit sparen’, ‚Zeitkonto‘, ‚Zeit verplempern’. Wie aber finde ich nun möglichst schnell eine Metapher, die im Idealfall zum Skelett einer Rede oder Präsentation wird? Mit fast eben jenen Schritten, die wir bereits von den Vergleichen her kennen. Sie basieren zwar auf der klassischen, also überholten Metaphern-Theorie, haben sich aber methodisch gesehen als sehr praktikabel erwiesen.
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1. Welche(s) Merkmal(e) meines Sachverhaltes soll(en) in den Mittelpunkt, welche(s) möchte ich ausblenden? 2. Mein Sachverhalt ist wie? 3. Mein Sachverhalt = ? 4. Überprüfen, ob die Metapher geeignet ist. Beispiele: Sachverhalt A
Sachverhalt B = Metapher
t.c. (verbindendes Element)
Fünf Firmen fusionieren zu einer neuen.
Hand
fünf tätige Elemente, die zusammengehören
Geburtstag eines Bürgermeisters
Häuptling
Oberhaupt einer bestimmten Zahl von Menschen
Abschluss zehnte Klasse (Reifezeugnis)
Obstreife
Abschluss einer Entwicklung
Tabelle 5: Ursprung – Metapher – verbindendes Element
Eine besondere Form der Metapher ist die Personifikation. Sie setzt unbelebte Gegenstände oder Sachverhalte mit Lebewesen gleich und haucht ihnen so Leben ein. Lakoff und Johnson heben ihre Erkenntnis fördernde Wirkung hervor: „Mit Hilfe dieser Metaphern können wir eine Fülle von Erfahrungen mit nichtpersonifizierten Entitäten (existierende Sachverhalte, J. K.) begreifen, indem wir diesen Erfahrungen menschliche Motivationen, Merkmale und Tätigkeiten zugrunde legen.“ (Lakoff/Johnson 1998: 44)
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Den personifizierten Sachverhalten kann der Redner natürlich kritisch gegenüberstehen. Er kann sie mögen, ablehnen, loben und nach seinem Willen formen. Dies werden seine Zuhörer ebenso tun. Es ist leichter, einem zehnjährigen Bengel (als Personifikation) einen Fehler zu verzeihen als einem zehn Jahre alten Unternehmen. Die beste Freundin (als Personifikation) genießt mehr Sympathiepunkte als das schnöde Tagebuch. Doch Vorsicht! Gerade an diesem Beispiel wird die Gefahr deutlich, die bei einer unbedachten Personifikation droht und wie beim Imagetransfer funktioniert: Wenn wir den Sachverhalt A personifizieren, gehen nicht nur die positiven Aspekte von B auf A über. Wer negative Erfahrungen mit besten Freundinnen gewonnen hat, wird diese vielleicht auf das Tagebuch übertragen. Wer in seiner Nachbarschaft einen krakeelenden Rotzlöffel erdulden muss, wird die dadurch entstandenen Emotionen womöglich auf die angesprochene Firma übertragen. Darum ist es wichtig, die Eigenschaften der Person, die wir als Metapher verwenden, möglichst umfassend und genau zu schildern, damit in den Köpfen der Zuhörer das Bild entsteht, welches wir erzeugen möchten. Ein authentisches Beispiel: Schritt 1 (Welche(s) Merkmal(e) meines Sachverhaltes soll(en) in den Mittelpunkt, welche(s) möchte ich ausblenden?) Der Sachverhalt A ist ein deutscher Nationalpark, welcher seinen 10. Geburtstag feiert. Weil hier das Prinzip „Natur Natur sein lassen“ durchgesetzt wird, sieht es in der Kernzone eher aus wie Kraut und Rüben, nicht wie in einem aufgeräumten deutschen Wald. Weil der Nationalpark im Gegensatz zu diesem Kultur-Wald steht, bedarf es vieler Beschützer und
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Fürsprecher, die ihn auf seinem eigenen Weg begleiten. Aufgrund seines Andersseins wurde der Nationalpark gerade in den ersten Jahren angefeindet. Darum sollen neben diesem Aspekt das Individuelle und seine Entwicklung hin zu einem akzeptierten Individualisten in den Fokus der Personifikation. Schritt 2 (Mein Sachverhalt ist wie?) Der Nationalpark ist wie Struwwelpeter. Er pflegt sich nicht und ist darum im höchsten Maße individuell und anders als der ihn umgebende KulturWald. Schritt 3 (Mein Sachverhalt =) Der Nationalpark ist Struwwelpeter. Schritt 4 (Überprüfen, ob die Metapher geeignet ist.) Die Metapher ist dann geeignet, wenn ich entweder die negativen Aspekte des Bildspenders ausblende und auf die positiven fokussiere oder die negativen anspreche und relativiere (vgl. Punkt 1 des Beispiels). Die unten genannten realen Auszüge aus der Rede zum zehnjährigen Geburtstag des Nationalparks habe ich aus folgenden Gründen ausgewählt: • Die Personifikation „Struwwelpeter“ war in der Lage, die gesamte Rede inklusive überraschender Einleitung zu strukturieren, sie bildete also das „Skelett“ der Rede (auch dies eine Metapher).
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• Die nachfolgenden Redner nahmen (ungeplant) die Personifikation auf und verwendeten sie ebenfalls. • Am Tag nach der Veranstaltung griff die Presse die Metapher in ihren Überschriften auf und führte sie selbstständig weiter. • Noch nach acht Jahren (!) ist das Bild vom Struwwelpeter in der Region lebendig. • Durch die Darstellung der verschiedenen Eigenschaften der „Person“ konnte der umstrittene Nationalpark eine Menge Sympathiepunkte ernten. Personifikationen vereinfachen komplexe Sachverhalte und erzeugen sofort ein Bild in den Köpfen der Zuhörer. Wenn die zentralen Eigenschaften des belebten Bildspenders (hier: Struwwelpeter) mit jenen des Ausgangsbegriffes (hier: Nationalpark) übereinstimmen, hat der Autor leichtes Spiel. Der Struwwelpeter belebt den Nationalpark. Die Eigenschaften des Jungen überträgt der Hörer auf das Waldgebiet. Der größte Vorteil jedoch: In der Rede wird die gefundene Personifikation mittels vieler Nuancen bunt, anschaulich und kann darum bis zum Schluss verwendet werden. Der Redner zählt keine langweiligen Daten und Fakten aus der Geschichte des Sachverhaltes auf (… als im Jahre 1993 die Aufforderung der oberen Naturschutzbehörde kam, neue Bäume anzupflanzen …), sondern Episoden und Anekdoten aus dem Leben eines Belebten (… 1993 wollten sogar einige Menschen auf seinem Kopf neue Haare einsetzen …). Hier werden zugleich alle Vorteile des Erzählens (neudeutsch: storytelling) genutzt. Das macht aber nicht nur dem Schreiberling beim Schreiben und Vortragen Spaß, sondern mehr noch den Hörern beim Hören und inneren Nachvollziehen. Der besondere Vorteil liegt darin, dass eine Personifikation uns positiv verführt, fast automatisch eine Geschichte zu entwickeln, was wiederum alle Vorteile des Erzählens in unseren Vortrag integriert.
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Die folgenden Zitate sind Ausschnitte aus der Rede zum zehnten „Geburtstag“ des Nationalpark-Struwwelpeters, die zeigen, dass der Redner immer wieder die Personifikation aufgriff und erzählend ausbaute: Beginn der Rede: „Seht einmal, hier steht er, pfui, der Struwwelpeter. An den Händen beiden ließ er sich nicht schneiden. Pfui, ruft da ein jeder, garst’ger Struwwelpeter!“ „[…] Meine lieben Mütter und Väter! Ich freue mich, Sie heute zum zehnten Geburtstag unseres kleinen Jungen begrüßen zu können, der in Vielem diesem entsetzlichen Bengel gleicht: Er ist ungekämmt und manchmal ohne jegliche Manieren. Er hat nicht-gestutzte Fingernägel und ein Benehmen zum Aus-der-Haut-fahren. Wollen wir aber, dass er so wird wie andere Kinder? Gestriegelt, gebügelt, getrimmt und erzogen? Und, konnte er sich überhaupt so entwickeln, wie man das als stolze Eltern erwartet? […]“ „[…] Betrachten wir zuerst die Zeugung. Normal sind zwei Eltern. Ein Vater, eine Mutter. Hier aber war es ein Schwarm von Möchte-gern-Vätern, eine Flut von Möchte-gern-Müttern, die jahrelang probierten und versuchten. Aber ohne Erfolg. Lag es an den Männern? Lag es an den Frauen? Nun, man wusste ja, was da rauskommen sollte, also kämpften nicht wenige gegen die Zeugung und versuchten, sie zu verhindern. […]“ „[…] Als die armen schon jegliche Hoffnung aufgegeben hatten, geschah das Wunder. Eisprung. Zeugung. Die pränatale Phase mit fürchterlichen Wehen. Hernach die Geburt. Keine normale, denn das wäre wider seine Natur. […]“ Hier ein anderes Beispiel für eine Personifikation, bei welcher der metaphorische Ursprung einer feststehenden Wendung („Ideen ausbrüten“) genutzt und ausgebaut wurde. Beachten Sie bitte, geneigte Leserinnen und
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Leser, wie das Abstraktum „Idee“ nur durch die Personifikation und das damit verbundene Ansprechen des Kindchenschemas Sympathiepunkte sammeln kann: „[…] Erst brüten wir Ideen aus. Dann beobachten wir, wie sie schlüpfen. Klein und unbeholfen staksen sie noch herum und blicken mit ihren Knopfaugen in die große Welt. Dann hegen, pflegen und bemuttern wir die Süßen, bis sie groß sind und ganz allein laufen können. Die Ideen haben es trotz unserer Fürsorge aber nicht immer ganz leicht, denn die kleinen Dinger haben Widerstände zu überwinden. Da gibt es Bedenkenträger und natürlich auch -trägerinnen. Da werden Befürchtungen geäußert und Widerstände angemeldet. Da fallen gerade gelegte Ideen-Eier unter den Tisch, noch bevor sie eine Chance bekommen, auch nur einen Ansatz von Bebrütungswärme zu erhaschen. Und so kommt es, dass einige unserer Ideen der vergangenen Jahre nie das Tageslicht erblickten und in ihren Eierschalen verfaulten. […]“ Besonders gut eignen sich Personifikationen, um Unbelebtem Gesicht und Charakter zu verleihen und – trotz aller (liebenswürdigen) Ecken und Kanten – Sympathiepunkte zu ernten. Bei manchen Metaphern, ob Personifikation oder nicht, hat der Hörer allerdings das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Meist kann er jedoch nicht sagen, woran das liegt. Versuchen Sie bei den folgenden Beispielen herauszufinden, wo der Haken ist (eine Metapher), wo es klemmt (noch eine), wo etwas schief läuft … 1. „Die erste Prognose bestätigt, was die Parteispitzen schon seit dem Nachmittag wissen: Einen Erdrutschsieg der Union.“ („DIE WELT kompakt“ vom 24.05.2005) 2. Wer andern eine Grube gräbt, muss essen, was übrig bleibt. 3. Als die Politik sich anschickte, die Bürger aufs Kreuz zu legen, wehrten diese sich mit Haut und Haaren.
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Im ersten Beispiel liegt der Fehler in der absoluten Gegensätzlichkeit. Ein Erdrutsch ist etwas Negatives, zugleich geht es nach unten. Ein Sieg ist positiv, es geht, im direkten oder übertragenen Sinne, nach oben. Im zweiten und dritten Beispiel ist es die Verwendung mehrerer feststehender Wendungen, die im Ganzen nicht zusammengehören. Ein Bildbruch (Katachrese) ist also eine „schiefe Metapher“, bei der der gesamte Sachverhalt A nicht mit dem Sachverhalt B übereinstimmt. Manchmal sind es nur Teile davon, manchmal hat der Redner völlig danebengegriffen: • Das Haus ist ein Wackelpudding, den man nur noch stürzen muss. (Hier führt die Doppeldeutigkeit des Verbs stürzen zu einer falschen Verbindung.) • Wenn es nach den Politikern ginge, würden sie auch die Kindergärten und Schulen zur Ader lassen. (Zur Ader lassen kann man nur Personen. Diese Metapher funktioniert höchstens, wenn zuvor oder nachher deutlich wird, dass mit den Gebäuden die darin Beschäftigten gemeint sind.) • Auch der Schmied muss jetzt kleine Brötchen backen. (Weil hier die Herkunft der metaphorischen Redensart überdeutlich ist, entsteht aus der Kombination mit Schmied eine unfreiwillige Komik.) Es können aber auch feststehende Redewendungen, die selbst meist metaphorischen Ursprungs sind, fehlerhaft miteinander kombiniert werden und so ein Bild-Kauderwelsch erzeugen: • Er konnte nicht aus seiner Haut springen. (nicht aus seiner Haut können und nicht über seinen Schatten springen können)
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• Sein Spiel mit gezinkten Karten setzt dem Fass die Krone auf. (mit gezinkten Karten spielen und dem Fass den Boden ausschlagen und dem Ganzen die Krone aufsetzen) • Ihr Leben hing am roten Faden. (Leben hängt am seidenen Faden und der rote Faden, der sich durchzieht) Wer solcherart Stilbrüche begeht, erzeugt schnell Lachen, das er gar nicht beabsichtigte. Andererseits können Katachresen jedoch auch gezielt erzeugt werden. Für das dritte Beispiel (Ihr Leben hing am roten Faden) wäre zum Beispiel denkbar, dass es eine Politikerin der Linkspartei oder SPD bezeichnet, die sich ausschließlich der Parteiarbeit widmet (mit negativem Einschlag). Auch das Beispiel mit dem Brötchen backenden Schmied kann sehr gut funktionieren, wenn der Redner zeigt, dass er das Bild ganz bewusst schief aufgehängt hat (… Und der Fleischer wird von nun an sein Eisen schmieden, solange es noch heiß ist …). Allgemein gilt: Der Redner muss bei bewusst verwendeten Stilbrüchen sein bewusstes Handeln (über-)deutlich machen. Dies kann er inhaltlich durch mehrmalige Übertreibung oder fortgesetzten Stilbruch oder/und formal durch ein oder mehrere phonetische Mittel: Akzentuierung durch Pause, Betonung, schnelleres oder langsameres Sprechen oder sogar durch Dialekt. Generell ist jedoch jede Abweichung mit Vorsicht zu genießen (eine Abweichung genießen?), weil der Hörer gar nicht genügend Zeit hat, sie als solche wahrzunehmen und einzuordnen. Weniger ist also mehr und demnach die Mutter in der Porzellankiste. Oder so ähnlich. Als abschließendes positives Beispiel der Sprechertext eines Films über ein Projekt im Amazonas. Achten Sie auf die Länge der Sätze und vor allem auf die verwendeten Formen anschaulichen Sprechens. In Klammern Kommentare und Erklärungen:
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„In Amazonien, dem größten Regenwald unserer Erde (unmittelbar folgende Erklärung nach Einführung des zentralen Begriffs), dringt auch mittags kaum Licht (Personifikation) durch das Blätterdach (verblasste Metapher). In diesem Schattenreich (Metapher) herrschen (verblasste Personifikation) Flechten und Pilze, Milliarden Insekten und lautlose Jäger wie die Boa constrictor (konkretes Beispiel). Es ist eine finstere Welt (emotionale Aufladung). Große Tiere wie der Ozelot (konkretes Beispiel) sind rar und erscheinen nur Augenblicke – wie flüchtige Gespenster (Vergleich). Dies ist der Verdauungstrakt des Waldes (Metapher). Was hier verrottet (ausdrucksstarke Wortwahl), Blätter, Blüten, Pflanzenreste (konkrete Beispiele), kommt aus der Welt des Lichts. Dort, hoch oben, leben die meisten Tiere und Pflanzen. Dort sitzt die Seele des Regenwaldes (syntaktischer Parallelismus + Metapher). Die sonnendurchflutete (Metapher) Belle Etage Amazoniens (Metapher) liegt gut 40 Meter über dem Boden, ein verfilzter schwebender Kontinent (Metapher) – groß wie die Vereinigten Staaten (Vergleich). Einige österreichische Forscher haben beschlossen, dieses unbekannte Land zu betreten. Der Weg dorthin wurde zu einem der größten Abenteuer unserer Tage (Übertreibung) – die Mission zum Grünen Planeten (Metapher).“ (Ich danke der Firma „Interspot GmbH“ für das Video und die freundliche Genehmigung, den Textausschnitt abdrucken zu dürfen.) Ein weiteres anschauliches Beispiel hat Alexandra Rigos gegeben. In ihrem Artikel für „GEO kompakt“ geht es um die stammesgeschichtliche Entwicklung und den Aufbau des menschlichen Gehirns. Ich gebe hier jene Textpassagen wieder, in denen deutlich wird, dass die Autorin eine einmal eingeführte Metapher und zugleich eine Personifikation während des gesamten Artikels verwendet. Der Passivstil schwächt die Wirkung der Personifikation etwas ab: „[…] Erlaubt man sich für einen Augenblick, die Natur zu vermenschlichen, dann ging sie im Verlauf der Evolution vor wie ein etwas verschrobener Baumeister, der im Laufe seines Lebens ein Gartenhäuschen nach und
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nach zu einer Villa ausbaut: Kaum etwas wurde weggeworfen, nur selten eine Wand eingerissen, stattdessen immer wieder an- und umgebaut. Neue Raumfluchten entstanden, während alte Kämmerchen weiterhin genutzt wurden und der Keller fast unverändert blieb. So nahm nach und nach ein Prachtbau Gestalt an, der zu vielerlei Zwecken taugt. […] Während sich der Hirnstamm im Verlauf der Evolution relativ wenig veränderte, erkor die Baumeisterin Natur das Vorderhirn zu ihrer Lieblingsbaustelle. Hier ließ sie ständig erweitern und anbauen, bis die neuen Säle kaum noch auf dem Grundstück Platz fanden. […] Aus dem ersten Neuronenbau entwickelten sich, um im Bild des von der Natur erbauten Hauses zu bleiben, unabhängig voneinander unterschiedliche Gebäude – darunter einige Prachtbauten. […] Die Natur als Architekt baute nicht nur immer neue Zimmer und Säle an ihre Gehirnkomplexe – sie riss ungenutzte Räume auch kompromisslos wieder ab. […]“ (Rigos 2008: 26–32)
6.4 Kino im Kopf und im Herzen Menschen verstehen und lernen intensiver und schneller, wenn die Inhalte durch erzählende Texte vermittelt werden. Dabei ist es wichtig, dass die Inhalte chronologisch, also in der Reihenfolge ihrer natürlichen Logik, dargeboten werden. In idealer Weise ist dies mit Erzählungen oder erzählenden Passagen möglich. Sie eignen sich für alle Formen monologischer Darstellung, denn Inhalte werden besonders tief verarbeitet, wenn sie mit Emotionen verbunden sind und in vielfältigen Beziehungen zueinander stehen. Genau diese beiden Eigenschaften besitzen erzählende Texte in idealer Weise (vgl. Willenberg 1999: 21 ff.). Kleine Erzählungen verknüpfen zudem die neuen Inhalte schneller und dauerhafter mit bereits vorhandenem Wissen, weil sie an bestehende Bilder anknüpfen, die wiederum mit anderen Sinneseindrücken verknüpft sind.
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Eine Erzählung über einen Besuch im italienischen Restaurant knüpft zum Beispiel Verbindungen zum Geschmack, zum Geruch und zu musikalischen Erinnerungen. Um ganz sicherzugehen, sollte man diese Verbindungen auch explizieren. Hier ein Beispiel: „Mit einer schwungvollen Geste setzte die Rotbekleidete ein Wagenrad von einem Teller vor meiner neugierigen Nase ab. Sofort krabbelte ein leiser Hauch von Knoblauch in meine gierig aufgesperrten Nüstern und befahl den Speicheldrüsen, unverzüglich mit ihrer tröpfelnden Arbeit zu beginnen. Noch bevor ich jedoch den gierigen Fingern gestattete, von der knuspriggelben Sonne ein heißes Stück abzubrechen, sollten sie den Kelch des Ballonglases umfassen – gleich der Hand des ungestümen Jünglings die Brust seiner angebeteten Schönen: Zart und fest zugleich. Voller Freude auf das Unbeschreibliche, was nunmehr folgen sollte. Der vergorene und beruhigend dunkel gelagerte Saft edler Trauben protzte vollmundig mit Aromen dunkler Beeren, die nach einem schweren Sommer ihren rubinfarbenen Saft kaum noch zu halten vermochten. Als Idee nur, als Hauch umspielte diese überquellende Fülle ein wispernder Hauch Vanille. Erinnernd an das schwerelose Tänzeln eines Zitronenfalters in der Abendsonne. Wie ein Vulkan, der seine höllenheißen Ströme über einen prächtigen Strauß Herbstblumen ergießt, biss sich nach der sanften Fülle des Weines eine Glut aus Peperoni, Knoblauch und Cayenne-Pfeffer in die Zunge und hinterließ eine ausgebrannte Wüste. […]“ Die Vorteile, welche narrative Texte bieten, zeigt die folgende Übersicht. Erzählungen: • fassen eine (meist) abstrakte Aussage zusammen und transportieren sie mittels einer linear verlaufenden Geschichte, was eine Rede ja ebenfalls ist: linear.
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• zwingen den Redner dazu, chronologisch zu erzählen, was wiederum dem Ablauf des Verstehens entgegenkommt. • sind authentisch durch lebende oder bereits verstorbene Personen. Dies korrespondiert hervorragend mit dem Sonderfall der Metapher, der Personifikation. • beinhalten möglichst unerwartete Wendungen und erhöhen dadurch den Grad der Aufmerksamkeit. • sind durch Anfang, Mittelteil und Endpunkt strukturiert und erleichtern so das Verstehen. • fordern beim Zuhören die Mitarbeit beider Gehirnhälften. • können auch über Tiefen und Rückschläge berichten, konzentrieren sich in diesem Fall aber zum Beispiel auf die Aktivitäten, um das negative Geschehen zu überwinden. • setzen bei den Zuhörern, ihrem bereits vorhandenen Wissen und ihren Bedürfnissen an und nicht beim Erzähler. Dies wiederum führt zu verstärkter Aufmerksamkeit. • befriedigen das Bedürfnis nach Neuigkeiten und ungewöhnlichen Ereignissen. • werden weitererzählt und weiterentwickelt, bleiben aber im Kern konstant. • berichten Spannendes, sodass der Erzähler gern erzählt und die Zuhörer gern zuhören (vgl. Frenzel/Müller/Sottong 2004: 26 ff.). All diese Vorteile nutzen Redner nicht erst, wenn sie längere erzählende Passagen integrieren, sondern bereits bei kleinen Anekdoten, die fast alle Merkmale einer Erzählung aufweisen. Dabei ist zu beachten, die Anekdote in den Text inhaltlich und strukturell einzubinden. Die Aussage muss wie in einem Brennspiegel den Kern unserer Botschaft treffen. Ansonsten ist sie überflüssig. Die folgenden Beispiele stellen den Beginn von Reden dar, um die Aufmerksamkeit der Hörer unmittelbar herzustellen:
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Anekdote
Ziel für die Rede
„Vor einer Woche hatte ich einen weltgereisten (abgewandelt von weitgereist) Herren zu Besuch, der sich etwas abwertend über unsere Stadt äußerte. Berlin, so meinte er, ist doch keine Weltstadt. Berlin gleiche eher einem Flickenteppich, bei dem die Einzelteile irgendwann einmal zusammengewachsen sind. Gar nicht zu vergleichen mit London, Paris oder Rom …“
Einstieg der Rede, inneren Protest der Zuhörer erzeugen, Berlin als gleichwertige Weltstadt darstellen
„Es ist bereits mehr als 180 Jahre her. Da klopft an die Tür des bekannten Berliner Arztes Ernst Ludwig Heim ein junger Mediziner. Er möchte sich auf die freigewordene Stelle des Assistenzarztes bewerben. Heim, der schon einiges von seinem jungen Kollegen gehört hat, mustert den Kandidaten von oben bis unten. Plötzlich brüllt der alte Haudegen los: ‚Junger Mann, die Leute sagen, sie saufen wie ein Loch, und ditt ist weiß Jott eine schlechte Eigenschaft für einen Arzt!’ Jung Siegfried aber lässt sich durch diesen Ausbruch nicht beeindrucken. Gelassen erwidert er: ‚Herr Professor, die Leute reden viel und sagen zum Beispiel auch, sie seien ein grober Kerl. Aber ich glaube ihnen nicht.’ Heim gibt dem Arzt die Stelle und ist sehr zufrieden mit ihm …“
Antrittsrede eines Arztes, Sympathie für die Situation des Neuen erwecken
Tabelle 6: Beispiele für die kleine Form erzählender Textpassagen (Anekdoten)
Um im Kopf der Zuhörer einen Film zu erzeugen, genügt im Extremfall ein einziges Wort. Linguisten nennen solche Begriffe, die allen Zuhörern in der Regel vertraut sind und einen bestimmten Ablauf von Handlungen implizieren, „scripts“. Wenn ein Begriff den Rahmen für eine relativ feststehende Handlung absteckt, dann ist dies ein „frame“: „Wissensbestände, die eher statisch organisiert sind, also zum Beispiel das Wissen darüber, welche Personen, Einrichtungsgegenstände, baulichen Besonderheiten etc. in einem Krankenhaus normal und erwartbar sind […] Wissenskomplexe, die wir oft durch ein einzelnes Stichwort ‚abrufen’ bzw. bezeichnen können, wie etwa Krankenhaus, Bahnhof, Einkaufszentrum etc.,
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werden frames (‚Rahmen’) genannt. Wissensbestände, die eher prozessual organisiert sind, also zum Beispiel das Wissen darüber, wie ein Krankenbesuch abläuft bzw. welche sprachlichen und nichtsprachlichen Handlungen im Verlauf eines Krankenbesuchs wahrscheinlich bzw. angebracht sind […] werden scripts (‚Szenen’) genannt.“ (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 326) Testen Sie einmal, welche Filme chronologisch in Ihrem Kopf ablaufen und welche Personen und unbelebten Dinge Sie „sehen“, wenn Sie folgende Begriffe hören, die allesamt bekannte scripts und frames aufrufen. Geben Sie sich aber genügend Zeit für jeden einzelnen Begriff: • • • • • • • •
Arzt Arztbesuch Lehrer Klassenraum Oper Opernbesuch Tankstelle Auto betanken
Der Redner kann nun scripts und frames verwenden, um die Erwartungen der Zuhörer zu bestätigen. In diesem Fall nennt er den entsprechenden Begriff und beschreibt genügend Details, um die Vorstellungen der Zuhörer zu formen. Die Zuhörer benötigen allerdings genügend Zeit, um den eigenen „Film“ zu entwickeln. Besonders interessant wird es dann, wenn die Erwartungen der Zuhörer an einem bestimmten Punkt gebrochen werden, was zugleich den Grad der Aufmerksamkeit erhöht. In den folgenden Beispielen wird zuerst das Übliche und Erwartbare beschrieben; anschließend bewusst ein Bruch vollzogen (Worte, welche das script oder den frame bezeichnen, sind hervorgehoben):
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• Schule. Der Lehrer betritt den Klassenraum. Der Streber sitzt. Der Klassen-Clown kaspert. Kreidestücke fliegen, Papierkugeln wechseln in erhöhtem Tempo die Besitzer. Als der Lehrer gerade seinen ersten Brüller loslassen will, klappt seine Kinnlade runter, ohne dass ein Ton entfleucht … • Die Vorbereitungen zum Besuch der Oper ziehen sich hin. Die Opernkarten in der Hand steht er im Türrahmen und wippt leise mit dem linken Fuß. Sie legt letzte Hand an ihre Augen und unterstreicht mittels Kajal ihre Persönlichkeit. Als sie sich siegessicher umdreht, mimt er bereits den sterbenden Schwan … • Rede zur Ausstellungseröffnung: „In Babylon, so heißt es im Alten Testament, bauten die Menschen einen Turm. Sie wollten Gott nahe sein. Dieser bestrafte sie daraufhin und verwirrte daselbst ihre Sprache. Von nun an konnten sie einander nicht mehr verstehen. Ein Hintertürchen allerdings hat uns der alte Schlaumeier offen gelassen. Es gibt sie immer noch. Die Sprache, die man überall auf der Welt verstehen kann – Kunst. Ich darf Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Eröffnung dieser Ausstellung begrüßen. Und wünsche Ihnen viel Spaß bei den hoffentlich fruchtbaren Gesprächen.“ Besonders in Vorträgen können kleine, beispielhafte Erzählungen die meist theoretischen Darlegungen illustrieren und veranschaulichen. Weil jedoch solch eine Erzählung, ein Bericht, eine Anekdote, ein Beispiel immer nur einen Aspekt des Gewünschten darstellt, scheuen sich viele Redner, von solchen Einschüben Gebrauch zu machen. Damit berauben sie sich aber eines wirksamen Mittels, um das oft Abstrakte für die Hörer sinnfällig zu veranschaulichen. Erzählen Sie also, berichten Sie, bringen Sie Beispiele. Damit illustrieren Sie nicht nur, sondern befriedigen zudem unser aller Neugier.
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6.5 Herr Ober, wenig Zahlen, bitte! Beginnen wir mit zwei Beispielen: Gerhard Schröder, 11.03.2005, Eröffnung ITB: „[…] In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Übernachtungen von ausländischen Gästen um fast 30 Prozent auf 45 Millionen. Der Tourismus ist auch in Deutschland ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor. Rund eine Million Menschen sind bei uns in der Hotellerie und der Gastronomie beschäftigt. In touristischen Unternehmen werden jährlich mehr als 100.000 junge Menschen, Frauen wie Männer, ausgebildet. […]“ (www.bundesregierung.de) Der Kanzler konfrontiert in diesem kurzen Ausschnitt seiner Rede die Zuhörer mit fünf Zahlen, was die Verständlichkeit erschwert. Gleich der erste Satz bietet jedoch eine Möglichkeit, die abstrakte Zahl 45 Millionen zu veranschaulichen, weil die Bundesrepublik laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2005 rund 82 Millionen Einwohner zählte. 45 Millionen sind also mehr als die Hälfte aller Bundesbürger. Im zweiten Beispiel wird es noch abstrakter: Horst Köhler, 15.03.2005: „[…] Der aktuelle Schuldenstand (1,4 Billionen Euro) und die Anwartschaften in den Sozialversicherungen (5,7 Billionen) belaufen sich auf insgesamt 7,1 Billionen Euro. Das entspricht 330 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Machen wir uns wirklich klar, welche Erblast das für unsere Kinder und Enkel bedeutet? […]“ (www.bundespraesident.de) Als Notiz habe ich mir hinter die Frage Horst Köhlers geschrieben: ‚Nein, und darum müssen Sie uns das sagen!’
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Das menschliche Vorstellungsvermögen ist geprägt von dem, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Und da wir kein eigenes Sinnesorgan für Zahlen haben (ich schon gar nicht), müssen Redner „übersetzen“. Unser Gehirn versucht immer, dem Gehörten Sinn zu verleihen. Es vergleicht aber auch ständig mit dem, was es gespeichert hat (vgl. Willenberg 1999: S. 21). Diese Tatsachen sprechen bereits dagegen, zu viele abstrakte Begriffe zu verwenden. Sie sprechen aber auch gegen das abstrakte und unkontrollierte Verwenden von Zahlen, auch wenn diese noch so einfach erscheinen. Im folgenden Beispiel hat der Redner eine für den Einzelnen unvorstellbare Zahl auf jene umgerechnet, die sie betrifft, die einzelnen Bürger: Guido Westerwelle, 24.11.2004: „[…] Ich fange einmal mit dem letzten Punkt an, den Sie genannt haben, den 43,5 Milliarden Euro Neuverschuldung. Entschuldigen Sie bitte, aber als Finanzminister haben Sie genau diese 43,5 Milliarden Euro erstens nicht vorhergesehen und zweitens niemals eingeplant. Deswegen hat dieses Haus gestern mit der Mehrheit von SPD und Grünen jeden Bürger, der uns jetzt zusieht, jedes Kind, jeden Greis, jeden, der in Deutschland lebt, um 530 Euro mehr verschuldet. […]“ (www. guido-westerwelle.de) Warum verwenden Redner und Vortragende überhaupt Zahlen? Weil sie etwas verdeutlichen wollen, eine Entwicklung, eine Bewegung, die Veränderung eines bestehenden Niveaus von bis. Um dem Gehirn der Zuhörer dabei auf die Sprünge zu helfen, ist es unerlässlich, konkretes Vergleichsmaterial anzubieten. Bevor Redner dies jedoch tun, müssen sie einen Schalter in ihrem eigenen Bewusstsein umlegen. Weil die meisten ein wissenschaftliches Studium absolviert haben und auch tagtäglich mit exakten Zahlen zu tun haben, glauben sie: Nur was exakt ist, ist gut. Unterschwellig spielen zudem die deutschen Tugenden Pünktlichkeit und Genauigkeit eine Rolle. Wer keine exakten Zahlen mit 23 Stellen hinter
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dem Komma nennt, macht sich womöglich der allgemeinen Schludrigkeit verdächtig. Und das will ja wohl keiner! Nein. Zahlen, die sich Hörer nicht vorstellen können, haben keinen Wert. Denn was keinen Informationsgehalt für das Gehirn besitzt, wird spätestens vom Arbeitsgedächtnis ausgesondert. Oder hat die Information „7,1 Billionen“ einen Wert, der uns interessiert? Das einzige, was wir ahnen: Es muss ungeheuer viel sein. Wie also veranschaulicht man Zahlen und welche Aufgaben sind damit verbunden? Zuerst einmal muss sich der Redner vergegenwärtigen, welche Zahlen er überhaupt verwendet. Gerade bei Bilanzpressekonferenzen oder anderen Erfolgsmeldungen (wenn es denn welche sind) wollen Redner immer durch immens viele Zahlen beeindrucken (und im Falle des Nichterfolgs mit ihnen verschleiern oder ablenken). Sie möchten zum Ersten eine Entwicklung zeigen, die Zuhörer von etwas überzeugen und anschaulich eine Bewegung darstellen. Zum Zweiten verwenden Redner Zahlen meist, um das Gesagte zu untermauern, denn Zahlen sind scheinbar unbestechlich. Je genauer, umso unbestechlicher. Wie aber sind Zahlen, wenn es denn nicht anders geht, zu verwenden? Im ersten Schritt reduzieren wir ihre Anzahl auf ein absolutes Minimum. Je weniger Zahlen, umso besser. Im zweiten Schritt suchen wir etwas aus dem Thema der Rede, was die Zuhörer wirklich interessiert. Wie bei der Einleitung ist also auch die Zahl aus dem Kern der Rede, der Botschaft zu entnehmen. Im dritten Schritt runden wir die Zahl entweder auf oder ab; im vierten binden wir sie an einen Vergleich, eine Metapher, einen Gegenstand. Der fünfte Schritt ist eigentlich ein mehrfacher, denn die wenigen Zahlen tau-
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chen mehrfach in unserer Rede auf. Wir spielen mit ihnen und lassen sie immer wieder als Bild und möglichst anschaulich durch das Gehirn unserer Zuhörer sausen.
6.6 Noch mehr Anschauungs-Material a) ausdrucksstarke Worte Auch wenn manche Werbetexter es nicht wahrhaben wollen und Anglizismen bevorzugen: Die deutsche Sprache bietet eine Fülle von Worten, die exakt und vor allem ausdrucksstark das bezeichnen, was ich aussagen möchte. Diese Wahrheit betrifft verschiedene Wortarten: zupacken für tun, schmökern für lesen, Rechenknecht für Computer, gebrechlich für alt, niegelnagelneu für neu, förderlich oder dienlich für gut, Unterschlupf für Haus. Redner, die ausdrucksstarke Worte verwenden, haben mehr Arbeit. Sie haben auch mehr Erfolg, weil sich die Redetexte allein schon durch die Wortwahl von anderen abheben. In diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zu den beliebten Anglizismen. Im Gegensatz zu (meist selbsternannten) Sprachwächtern und Puristen rede ich hier nicht der Reinhaltung der deutschen Sprache das Wort. Das ging schon einmal schief, als sich nämlich bestimmte Vereine über den Einfluss des Französischen mokierten. Viele Termini kommen aus dem Englischen und müssen demnach auch verwendet werden. Mir geht es darum, nicht krampfhaft einen englischen Begriff zu verwenden, wenn es einen deutschen gibt. Dies ist besonders dann kontraproduktiv, wenn die Zielgruppe nicht genau einzugrenzen ist, wie zum Beispiel bei Produktwerbung. So hat die Firma Endmark® aus Köln, spezialisiert auf Namensfindung, bei einem Test unter anderem herausgefunden, dass der Claim (Merkspruch) „Come in and find out“ (Douglas) nur von 34 Prozent der Befragten, „Driven by instinct“ (Audi TT) von 22 Prozent und „Drive
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alive“ (Mitsubishi) von gerade einmal 18 Prozent der Befragten „voll verstanden“ wurde (Quelle: Endmark: 2003). Was aber nützen Äußerungen, die nur ein Bruchteil der Zielgruppe versteht? b) Umschreibungen Periphrasen sind immer dann notwendig, wenn das treffende Wort wirklich einmal fehlen sollte, es nicht alle gewünschten Aspekte anspricht oder wir ein negatives vermeiden wollen. Umschreibungen verwenden darum mehrere Worte. Manchmal sind die kompletten Umschreibungen sogar so weit verfestigt, dass sie in den allgemeinen Wortschatz eingegangen sind. Ein Zuviel von Umschreibungen in einer Rede führt jedoch zum ausschweifenden Drumherum-Reden und ist zu vermeiden. Beispiele für Umschreibungen, die bereits allgemein gebräuchlich sind: • • • • •
Die bessere Hälfte des Mannes Der Gott in Weiß Das Auge des Gesetzes Das Land, in dem (wo) Milch und Honig fließen Stellvertreter Gottes auf Erden
Für den Redner und Zuhörer gleichermaßen interessant wird es dann, wenn a) die gebräuchlichen Umschreibungen abgeändert werden, sodass der Hörer die ursprüngliche Form noch erkennt und b) eigene Periphrasen in den Redetext einfließen. In beiden Fällen sind der Kreativität des Schreibenden keine Grenzen gesetzt. Er kann Wörter austauschen (indem er Synonyme verwendet), neue hinzufügen oder die bestehenden bewusst verformen. Die ursprüngliche feste Umschreibung sollte allerdings noch erkennbar bleiben.
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Beispiele für Änderungen bei bereits gefestigten Umschreibungen: • Die weder bessere noch schlechtere Hälfte des Mannes; die weitaus bessere Hälfte des Mannes; die mehr sprechende Hälfte des Mannes • Der Gott in Grün (für einen Förster); die Götter in Nadelstreifen (Manager); der Gott in blutbeflecktem Weiß • Das Augenpaar des Gesetzes (für Polizisten im Doppelpack); das Ohr des Gesetzes (im Zusammenhang mit Abhörskandalen); das Auge des Gesetzesinterpreten (im Zusammenhang mit Anwälten) • Das Bundesland, wo Weißbier und Weißbier fließen (gewollte Doppelung, um Ausschließlichkeit und Quantität zu demonstrieren); das Land, wo keine Milch und schon gar kein Honig fließen; das Land, wo vino biancho und Grappa fließen • Stellvertreter Allahs auf Erden; Stellvertreterin der Deutschen auf Erden (Na?) Beispiele für neue Umschreibungen: • Der Tag, an dem nicht alle zur Urne gehen (Wahl) • Lohn, der fürs Versprechen gezahlt wird („Diät“ im Zusammenhang mit Politikern) • Unsere reifen, manchmal aber auch überreifen Früchtchen („Schüler“ im Zusammenhang mit Reifezeugnis) Anhand dieser Beispiele wird klar, dass neue Periphrasen – ähnlich den Metaphern – einen oder mehrere gewünschte Aspekte des beschriebenen Sachverhalts in den Mittelpunkt stellen. Damit sind sie einerseits ein wunderbares Mittel, um kreativ tätig zu werden, den Redner geistesblitzen zu lassen und vielleicht zitiert zu werden. Aber dazu mehr im Kapitel 10.
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c) Onomatopoetika Wenn morgens auf dem Bauernhof der knurrende Hofhund an der Tür kratzt und diese sich knarrend öffnet, flattert mit lautem Kikeriki der Hahn zum Mist und weckt so die im Schlaf sanft schnurrende Katze. In diesem Satz sind sieben lautmalerische Begriffe enthalten, die versuchen, das Geräusch oder die Empfindung, welche(s) sie beschreiben, mit ihrer Buchstabenfolge phonetisch abzubilden: knurren, kratzen, knarren, flattern, Kikeriki, sanft, schnurren. Damit geben sie dem Bild im Kopf eine Tonspur und machen so den Stummfilm zum vertonten Erlebnis. Besonders eindrucksvoll verwendet Rilke in „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ lautmalerische Wörter: „Die hohen Flammen flackten, die Stimmen schwirrten, wirre Lieder klirrten aus Glas und Glanz (bei Glanz bin ich mir nicht ganz sicher, ob es nicht auch zu den lautmalerischen Begriffen zu zählen ist), und endlich aus den reifgewordnen Takten: entsprang der Tanz. Und alle riss er hin.“ (Rilke-Projekt, CD 2: „In meinem wilden Herzen“, Random-House). Lassen Sie es in Ihren Reden von nun an ordentlich zischen, krachen, rumsen, böllern, scheppern, knallen, patschen, piepsen, plumpsen, überschwappen und – ritsch-ratsch – auf die Blitzes-Schnelle auch mal ordentlich huschen. Ihre Zuhörer danken es Ihnen mit hellwachen Sinnen und lautem Klatschen!
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7. Die erste Wahl der Wortwahl
7.1 Von Bedeutungen und Nebenbedeutungen Tagtäglich verwenden wir fast unzählige Worte, ohne uns Gedanken über sie zu machen. Die Bedeutungen haben wir gelernt und lernen immer neue hinzu. Darum unterstellen wir, dass unsere Zuhörer mit den von uns gesprochenen Worten genau dieselben Inhalte verbinden, die wir im Kopf haben. Mitnichten. Nehmen wir zum Beispiel das Wort Tisch. Jeder, der dieses Wort hört, kennt natürlich die allgemeine Bedeutung: eine Platte und vier Beine. Vier? Manche haben drei, manche nur eines. Es gibt Tische aus Holz und Stahl, runde und eckige, farbenfrohe und mausgraue. Jeder Hörer hat ein etwas anderes Bild im Kopf, wenn er hört: Tisch. Und hier haben wir es noch mit einem konkreten Begriff zu tun, also einem mit Ecken und Kanten bzw. Rundungen! Richtig kompliziert wird es bei den abstrakten Begriffen. Hierzu ein interessantes Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Auf ihrem Bundesparteitag im Oktober 2007 beschließt die SPD ein Grundsatzprogramm, in dem auf S. 16 f. zu lesen ist: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft …“ (www.spd.de) Zwei abstrakte Begriffe (demokratischer Sozialismus) stehen demnach für die SPD im Zentrum. Fatal nur, dass die SED-Nachfolgepartei sich vor ihrer Umbenennung „Partei des demokratischen Sozialismus“ nannte und damit offenbar dieselben Inhalte besetzte. Oder sind es lediglich die gleichen? Oder ist diese Übereinstimmung gar gewollt? Konfliktpotenzial ergibt sich nun aus der harmlos scheinenden Kopplung dieser Abstrakta, die gleich zwei Parteien für sich beanspruchen. Was kann der unbedarfte Hörer schlussfolgern, der keine Zeit und Lust hat, in die Tiefen der Parteiprogramme einzutauchen? Die SPD nähert sich der Linken bzw. vertritt deren Ziele? Fatal für die Sozialdemokraten.
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Festzuhalten ist: Wörter besitzen einen Bedeutungskern (Denotat), den wir auch als kleinsten gemeinsamen Nenner beschreiben können: „Denotation bezeichnet die kontext- und situationsunabhängige, konstante begriffliche Grundbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks […]. So läßt sich die Denotation von Nacht mit ‚Zeitraum vom Untergang der Sonne bis zum nächsten Aufgang’ beschreiben […]“ (Bußmann 1990: S. 166). Im Fall unseres Tisches ist der denotative Kern ungefähr so zu umschreiben: ‚Platte mit Bein oder Beinen’. Dieser Konsens ist wichtig, damit wir uns überhaupt verständigen können. Er entspricht dem von vielen Sprechern geteilten Durchschnitt an Wissen und ist gleichzusetzen mit der Umschreibung in einem Wörterbuch: • Wind („Luftbewegung, schwächer als Sturm und Orkan“, Paul 2002: 1173) • Garderobe („Kleidung, die gerade jemand trägt … Aufbewahrung von Mänteln im Theater oder anderen öffentlichen Gebäuden.“, ebenda: 369) • nachgehen („hinter etwas hergehen … streben, etwas zu gewinnen oder zu erforschen … etwas betreiben“, ebenda: 686) Wenn wir in einem gesprochenen Text ausschließlich diese allgemeinen Begriffe verwendeten, wäre der Text zwar allgemein verständlich, auf die Dauer aber auch farblos, weil austauschbar. Viele Redner tun genau dies und erzeugen damit nicht nur Langweile, sondern auch keine nachhaltigen Eindrücke. Der folgende Ausschnitt aus der Antrittsrede von Horst Köhler (01.07.2004) wirkt beliebig, weil er eine Reihe allgemeingültiger Begriffe verwendet, die auch noch Abstrakta darstellen (Schönheit, Geschichte, Probleme, Heimat, Schwierigkeiten, Krisen):
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„[…] Die Schönheit unseres Landes, die Geschichte unseres Landes, die Probleme unseres Landes – das alles ist und bleibt Deutschland. Das ist unser Land, das ist unsere Heimat. Und wahr bleibt auch: Trotz aller Schwierigkeiten, Probleme und Krisen, die unser Land zurzeit durchläuft, geht es uns Deutschen weit besser als drei Viertel der Menschheit.“ (www.bundespraesident.de) Diese Sätze sind wenig konkret und hätten auch bei einer BürgermeisterWahl in Hinterposemuckel gesprochen werden können. Wer jedoch sein Image aufpolieren oder sich von der Masse abheben will, muss sich positionieren. Dies kann man mit Wörtern – möglichst konkreten –, die konnotiert sind. Konnotationen wiederum sind „individuelle (emotionale) stilistische, regionale und andere Bedeutungskomponente(n) eines sprachlichen Ausdrucks, die seine Grundbedeutung überlagern und die – im Unterschied zur konstanten begrifflichen Bedeutung – sich meist genereller, kontextunabhängiger Beschreibung entziehen …“ (Bußmann 1990: 410). • Quacksalber für Arzt (Pfuscher, nicht ausgebildet, arbeitet mit unsauberen und wissenschaftlich nicht haltbaren Methoden) • fressen für essen (ohne Manieren das Essen in sich hineinstopfen) Wer nun von Quacksalbern spricht oder von Menschen, die fressen, lädt nicht nur den entsprechenden Textabschnitt negativ auf, sondern vermittelt auch ein Bild über sich selbst und seine Haltung zum Dargestellten. Natürlich gibt es auch Wörter mit positiven Konnotationen wie zum Beispiel dinieren oder Schloss. Zu beachten ist, dass nicht alle Konnotationen feststehen, sondern individuell sein können. Es hängt auch von unseren Erfahrungen ab, wie wir manche Begriffe konnotieren, ob wir sie negativ oder positiv sehen. Selbst
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so harmlos daherkommende Wörter wie „Vater“ konnotieren wir unter Umständen unterschiedlich, sodass sie extrem unterschiedlich verstanden werden, je nachdem, welche Erfahrungen der Einzelne mit der dahinter stehenden Bedeutung gemacht hat. Manch einer wurde von seinem Vater geschlagen, ein anderer erlebte ihn als sorgenden Freund. In beiden Fällen ist das Wort individuell konnotiert – mal negativ, mal positiv. Verwenden Sie also, wo möglich und passend, Worte mit Zusatzbedeutungen. Bei manch einem Hörer werden Sie damit zwar anecken, aber nur wer aneckt, zeigt, dass er nicht rund geschliffen und damit massentauglich ist. (Probieren Sie mal, daraus ein kurzes Zitat zu basteln, vgl. Kapitel 10.)
7.2 Konkret oder abstrakt oder was? Geliebte Konkreta! Zuvörderst erbitte ich Nachsicht und Dein Verzeihen, da ich so keck das Wort an Dich zu richten wage. Nie sahst Du mich, nie war das Glück mir hold, auf dass Du nahmst nur leise – wie Flügelschlag der Libelle – einen Hauch der Notiz von meiner, ach, so bescheidenen Existenz. Doch verzweifle ich nicht, wissend wohl, dass Du allezeit und allüberall mich begleitest auf meinen suchenden Wegen durchs Dickicht unserer geliebten Sprache. Geliebte Konkreta! Nein, nicht scheu’ zurück ich vor dem allzu großen Worte, wohl kennend die Bedeutung, die ihm innewohnet. Geliebte Konkreta! Dein Körper ist nicht von einer jenseitigen, unerreichbaren und unfassbaren Welt wie jener von Abstrakta. Nein, er ist dinglich und echt. Hingegeben dem Diesseits berührst Du Menschen und entäußerst so Dein Inneres. Allein Deine Gegenwart im Dschungel aus tausenderlei Worten lässt Menschen sehen, hören, riechen, schmecken und … begreifen – in beiderlei reinstem und jungfräulichem Wortsinne.
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Bist anwesend Du, werden die Erdenkinder all der Herrlichkeiten teilhaftig, welche unsere Allmutter ausbreitet hienieden auf dem bunten Teppich überströmenden Lebens. Selbst wenn sie Dein nur hören oder lesen! Nur Du, Konkreta, kannst entfachen ein Feuerwerk der Bilder in unseren verarmenden Herzen. Nur Du vermagst zu knüpfen bunte Bänder, Seile, Taue gar zu Deinen vielen Schwestern in den Gehirnen der Menschen. Auf dass Ihr in jauchzender Gemeinschaft entfacht ein sprühend-gleißendes Feuerwerk der Assoziationen. Du allein, Konkreta, stehst prall in des Lebens Bahn, genährt am übervollen Busen der Natur und gibst verschwenderisch. Durch Dich verstehen diese, was jene sagen. Du gibst Ecken und Kanten, Raum und Zeit, Farbe und Form, Licht und Schatten, Ton und süße Melodei. Kaleidoskop, Springflut, Symphonie der Sinne, Du! Dein begehr ich! Dein versuch zu gewinnen ich jeden Tag aufs Neu. Denn Du eröffnest Welten dem, der Dich benennt wieder und wieder in jederlei Gestalt Deiner vielgestaltigen Offenbarungen. Dein Dich wahrhaft liebender Schreiberling! Um es weniger salbungsvoll und schmalzig zu sagen: Konkrete Begriffe, die meist Handfestes bezeichnen, haben gegenüber abstrakten wie Liebe oder Demokratie mehrere Vorteile. Sie setzen im Gehirn des Hörers „wesentlich mehr an Imagination in Gang als andere, abstrakte“ (Willenberg 1999: 83), weil sie sinnlich wahrnehmbar sind. Durch Imagination bzw. Vorstellung werden Inhalte leichter und mit weniger Aufwand gespeichert, weil sie sowohl verbal als auch bildlich abgelegt werden. Zugleich können konkrete Begriffe Emotionen, eine Reihe von Assoziationen und anderer Bilder aktivieren (vgl. ebenda: 81 ff.). Beispiele: a) Eigennamen: Klaus, China, Spree b) Gattungsnamen: Tier, Mensch, Tisch c) Stoffbezeichnungen: Papier, Metall, Wasser
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d) Kollektiva: Volk, Haufen, Familie Zusammenfassend lässt sich sagen: Verwenden Sie möglichst viele konkrete Wörter mit Konnotationen, Einzelheiten, Besonderheiten und hervorstechenden Merkmalen, damit bei den Zuhörern ein möglichst ähnliches, vor allem aber anschauliches Bild entsteht.
7.3 Synonyme – die Vielfältigen Eigentlich heißt Synonymie Bedeutungsgleichheit. Die aber gibt es in reiner Form nicht, weil die Sprache ökonomisch ist – sie leistet sich eben keine absoluten Dopplungen. Wenn es für einen Sachverhalt zwei oder mehrere Worte gibt, dann sind auch die bezeichneten Sachverhalte unterschiedlich, selbst wenn es nur Nuancen sind oder unsere Einstellung zu diesen betrifft. Synonyme können andere Konnotationen haben, einer anderen Stilebene angehören oder einfach regional unterschiedlich verwendet werden. Dies aber bietet dem Schreibenden die Chance, genau jenes Wort auszuwählen, das dem von ihm Gemeinten am nächsten kommt. Sehen wir uns einige Synonyme für das Allerwelts-Verb leben an: 1. leben („am Leben, lebendig sein … sein Leben auf eine bestimmte Art führen“, Paul 2002: 596 f.) 2. existieren („vorhanden sein, da sein, sein Auskommen haben“, ebenda: 308) 3. überleben („länger als jemand leben“, ebenda: 1042) 4. vegetieren („dumpf, stumpfsinnig unter ärmlichen Bedingungen ein kümmerliches Dasein fristen“, ebenda: 1075)
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Dass wir mit Hilfe eines einzigen Wortes, welches wir austauschen, einen ganzen Satz werten können und unsere Einstellung zum Gesagten verdeutlichen, soll ein zweiter Auszug aus der Antrittsrede Horst Köhlers verdeutlichen: „Wissen wir eigentlich, was es heißt, von weniger als 2 Euro am Tag leben zu müssen?“ (www.bundespraesident.de) Klar wird hier, dass der Unterschied zwischen ‚leben in Deutschland’ und ‚leben unter 2 Euro am Tag’ durch das Verb leben nicht klar herausgestellt wird, eben weil das Verb leben wenig Konnotationen wachruft. Wie anders klingt die Variante, bei der leben durch ein Synonym mit vielen Konnotationen ersetzt wird: ‚Wissen wir eigentlich, was es heißt, mit weniger als 2 Euro am Tag vegetieren zu müssen?’ Noch stärker: dahinvegetieren. Der Sprecher verstärkt den dargestellten Unterschied, setzt bei den Zuhörern Assoziationen in Gang, bringt seine Position klarer zum Ausdruck (Mitleid, Bedauern) und emotionalisiert den Inhalt des gesamten Satzes. Und genau das ist es doch, was Redner wollen! Wie aber finden wir nun passende (adäquate, stimmige, angebrachte, treffende, haargenaue, prägnante) Worte? Indem wir ein Synonymwörterbuch konsultieren (aufschlagen, befragen, hinzuziehen …) oder – einfacher und schneller – den „Thesaurus“ in WORD verwenden (benutzen, gebrauchen, engagieren … durch das letzte Synonym wird der Thesaurus zugleich personifiziert): Wort markieren, rechte Maustaste, Synonyme, Thesaurus. Oder die Umschalttaste (für die Großbuchstaben) + F7.
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7.4 Ober- und Unterbegriffe Worin unterscheiden sich Gebäude, Haus, Villa, Palast, Elternhaus, Hütte und Wohnhaus voneinander? Alle Audrücke nach Gebäude sind genauer, weil sie zum Oberbegriff Gebäude Unterbegriffe bilden. Ein Negativ-Beispiel mit vielen unkonkreten Oberbegriffen: Der Mensch öffnete die Tür des Gebäudes, ermordete den anwesenden Menschen mit einer Waffe und stahl Wertgegenstände. Zu seinen Ungunsten fiel aus, dass er Spuren seiner Extremitäten an einem Gefäß für Obst und auf dem Boden hinterließ. Konkret? Nein. Interessant an diesem Beispiel wäre nur, welcher Film in den Köpfen jedes einzelnen Hörers ablief. Wie sieht Müller den mordenden Menschen, wie sieht ihn Meier? Um welches Gebäude handelt es sich? Welche Wertgegenstände, welches Obst, welche Waffe? Weil der Text zu viele unkonkrete Oberbegriffe verwendet, werden die Vorstellungen der Hörer sehr individuell ausfallen. Der eine denkt bei Obst an einen Apfel, der andere an eine Orange. Der eine hat bei Gebäude eine Villa vor Augen, der andere ein normales Wohnhaus. Mit einer Rede oder einem Vortrag verfolgen wir das gegenteilige Ziel. Bei unseren Zuhörern soll ein möglichst konkreter und annähernd einheitlicher Film ablaufen. Darum müssen wir konkrete Unterbegriffe verwenden. Wenn diese noch mit ausdrucksstarken Attributen angereichert werden, entsteht ein Bild mit Ecken und Kanten, Rundungen und Gerüchen, Farben und Formen. Vor allem aber ein ähnliches bei jedem Zuhörer: Der gnomenhaft verunstaltete Alte, Quasimodo nicht unähnlich, stochert flink mit einem abgebrochenen und verrosteten Skalpell im vergoldeten Schloss der schmiedeeisernen Pforte. Die blendendweiße Villa, vor deren Einfahrt ein Springbrunnen kleine Regenbogen zaubert … Den Rest überlasse ich Ihrer Phantasie.
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An diesem Textausschnitt wird auch deutlich, welchen Einfluss die Zeitform hat. Der Text in der Vergangenheit (… „stocherte“) wirkt, zeitlich gesehen, weiter entfernt. Durch das sogenannte „Historische Präsens“ ist der Text näher an der gegenwärtigen Lebenswelt des Hörers, auch wenn das eigentliche Geschehen bereits Vergangenheit ist.
7.5 Wann welches Wort wofür? Ohne viel Worte ein Beispiel aus der Praxis – das Benutzerhandbuch einer ISDN-Anlage. Beachten Sie bitte, geneigte Leserinnen und Leser, den zweiten Teil der Überschrift: Die Telefonanlage Eumex 404 PC Benutzerfreundliche Bedienung mit durchdachtem Konzept „Die Eumex 404 PC ist eine ISDN-Telefonanlage, mit der Sie bis zu 4 analoge Geräte mit einem ISDN-Basisanschluß verbinden können. Außerdem ermöglichen Ihnen das Teledat-Modul der Eumex 404 PC und die beigefügte Software, mit Ihrem PC über die V.24 PC-Schnittstelle Datenanwendungen wie ISDN-Datenübertragung, Empfangen und Senden von Telefaxen (Gruppe 3), Mailbox-Terminal, Anrufbeantworter-Funktion und T-Online-Dienste zu nutzen. Über die beiden B-Kanäle eines ISDN-Anschlusses können zwei voneinander unabhängige externe Verbindungen (zum Beispiel Telefongespräche) bestehen. So können Sie einen Geschäftspartner anrufen, während Sie gleichzeitig von Ihrem PC Daten an einen anderen Geschäftspartner übertragen.“ Obwohl ich als Benutzer das Teledat-Modul der Eumex 404 PC und die beigefügte Software mit meinem PC über die V.24 PC-Schnittstelle verband (auch schön: eine Schnittstelle verbinden), konnte ich mitnichten
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über wenigstens einen der beiden B-Kanäle telefonieren. Geschweige denn das Mailbox-Terminal terminieren. Beziehungsweise benutzen. Schon gar nicht einen Geschäftspartner anrufen. Hinter Anleitungen wie dieser steht das Denken: ‚Der Kunde will etwas von mir, nicht ich von ihm. Ich habe es nicht nötig, mich klar auszudrücken.’ Wir anderen hingegen wollen etwas von unserem Kunden (oder Vorgesetzten oder Chef oder Mitarbeiter) und positionieren uns demnach. Dies geht nur, wenn unser Gegenüber auch versteht. Die Wortwahl richtet sich also nach folgenden Kriterien: 1. Bildungsstand, Alter, Intentionen der Zuhörer (Kollegen, Fachpublikum, gemischt …) 2. Textsorte (Rede, Vortrag, Präsentation …) 3. Umfeld (Raum, Veranstaltungsart, Tageszeit …)
7.6 Nützliche Wortspielereien Wenn Zuhörer genau die Worte hören, die sie aufgrund ihrer Erfahrungen erwarten, sind die Folgen vorhersehbar. Es macht sich nicht nur Langeweile breit, die Rede verliert auch ihren Sinn, denn die zu vermittelnden Inhalte kommen aufgrund ihrer Beliebigkeit kaum an. Horst Köhler in einer Berliner Oberschule im September 2006: „[…] Übrigens ist auch Demokratie auf Bildung angewiesen. Unsere freiheitliche Gesellschaft lebt davon, dass mündige Bürgerinnen und Bürger Verantwortung für sich und für das Gemeinwohl übernehmen. Eine Diktatur kann sich ungebildete Menschen leisten – nein: sie wünscht sich die sogar. Eine Demokratie dagegen braucht wache und interessierte Bürger, die Ideen entwickeln und Fragen stellen. Wo die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, da kann
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es nicht gleichgültig sein, in welcher geistigen Verfassung sich das Volk befindet. […]“ (www.bundespraesident.de) Wen, frage ich, reißt das vom Hocker? Eine Wäscheleine mit aufgebammelten abstrakten Gemeinplätzen. Was ist Bildung? Was Demokratie, Gesellschaft, ein Bürger, das Gemeinwohl? Zugegeben, der Bundespräsident ist in einer nicht ganz so komfortablen Situation wie wir Normalos. Staatsräson, juristische Kontrolle, Protokoll, mehrfacher Abgleich durch manchmal verschiedene Ministerien usw. Wir müssen in der Regel auf all diese Dinge nicht achten und können und sollten darum freier agieren. Wenn man jedoch diese Art von Reden hört, macht sich der Eindruck breit, dass sich so eine gute Rede anzuhören habe. Nein. Reden und Vorträge müssen nicht an Abstraktitis zugrunde gehen, sie sollen vor konkreten Begriffen strotzen und so den Hörer an die Hand nehmen. Neben konkreten Wörtern, Vergleichen und Metaphern gibt es aber noch mehr Möglichkeiten, die Texte lesbarer zu gestalten. Wir können mit Worten spielen, um so Aufmerksamkeit zu erzeugen. Einige Möglichkeiten dazu: a) Phraseologismen Der Terminus, der nicht mit Phrase (siehe unten) zu verwechseln ist, bezeichnet feste Wortkombinationen und Redewendungen. Diese bestehen aus mehreren Wörtern, deren Reihenfolge und Anordnung feststehen. Phraseologismen werden jedoch wie ein einzelnes Wort gebraucht, weil sie meist nur als Ganzes einen Sinn ergeben. Der große Vorteil: Es sind vorgefertigte Elemente, die mehr aussagen als die Summe der Einzelwörter. Hier ein paar Beispiele, denen man leicht weitere hinzufügen kann: • Zwillingsformeln/Paarformeln: Schulter an Schulter, von Tag zu Tag, bei Wind und Wetter, Gift und Galle, auf und ab, gut und böse, Hund und Katze, Seite an Seite
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• Vergleiche: flink wie ein Wiesel, frieren wie ein Schneider, stark wie ein Bär • Kinegramme: die Nase rümpfen, die Schultern zucken, das Gesicht abwenden • Redensarten/geflügelte Worte: nicht immer, aber immer öfter; durch die Gurgel jagen; es ist höchste Eisenbahn; das Haar in der Suppe finden; den Ball flach halten • Sprichwörter: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Da liegt der Hund begraben. Geben ist seliger denn nehmen. Phraseologismen sind bereits in ihrer bekannten Form interessante Elemente, weil sie zur Umgangssprache gehören und demnach die Beziehung zwischen Redner und Zuhörer auflockern. Richtig Spaß aber machen sie in veränderter Form. Hier die wichtigsten Möglichkeiten, um die feststehenden Wendungen individuell umzugestalten (vgl. Burger/Buhofer/Silam 1982: 68 ff.): Einfaches Vertauschen der Worte • Bei Wetter und Wind • Galle und Gift spucken • Regen und Sturm • Wiese und Wald Austausch einzelner Worte • Rette mich, wer kann. • Wie Wolf und Katze • Sein Öl wegkriegen Hinzufügen eines Wortes • Da liegt der falsche Hund begraben • Das blonde Haar in der Suppe finden
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• Eine Schwalbe macht noch keinen mückenfreien Sommer Zusammengesetzte Wörter bilden • Bei Scheißwetter und Mistwind • Einen Strich durch die Wahlrechnung machen • Kein Amtsblatt vor den Mund nehmen Kombination • Es ist keine gute Ader und schon gar kein trockener Faden an ihm • Das Kind beim rechten Namen nennen und dann mit dem Bade ausschütten • Alle Jubeljahre einmal und sonst nie wieder Wechsel positiv-negativ • Jemandem ein Haar krümmen • Für jemanden keine Lanze brechen • Das ist keine Binsenweisheit Weil Phraseologismen in ihrer Gesamtheit in den Gehirnen gespeichert sind, müssen Veränderungen beim Sprechen besonders hervorgehoben werden, damit die Hörer dies auch merken. Dies gelingt zum Beispiel durch kleine Pausen und Akzentuierung der Veränderung: Das ist … keine Binsenweisheit. Guido Westerwelle arbeitet in einer Bundestagsrede an einer Stelle mit einem Phraseologismus, an einer anderen verpasst er die Chance: „[…] Sie fordern die Opposition auf, unser Land nicht schlechtzureden (etwas schlechtreden). Niemand in der Opposition redet unser Land schlecht. Wenn jemand die deutsche Bundesregierung für ihre schlechte Politik kritisiert, dann wird nicht das Land schlechtgeredet, sondern berechtigte Kritik an Ihrer Politik geübt. […] Wir können angesichts der Tatsache, dass die Bun-
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desagentur für Arbeit für diesen Winter 5 Millionen Arbeitslose voraussagt, nicht erkennen, dass sich Deutschland auf einem guten Weg befindet. […]“ (www.guido-westerwelle.de). Für den letzten Satz wären zum Beispiel folgende Änderungen möglich: • … dass sich Deutschland auf einem angeblich guten Weg befindet. • … dass sich Deutschland auf einem guten Wirtschafts-Weg befindet. • Wir können angesichts der Tatsache, dass die Bundesagentur für Arbeit für diesen Winter 5 Millionen Arbeitslose voraussagt, nur erkennen, dass sich Deutschland auf einem mehr holprigen und steinigen als guten Weg befindet. Bei Veränderungen von Phraseologismen ist zu beachten, dass die ursprüngliche Form noch erkennbar ist und bekannte verwendet werden. Eine Redewendung wie „den Advocatus diaboli spielen“ oder „ohne Krug zum Brunnen gehen“ sind in der Ausgangsform bereits relativ unbekannt, sodass die veränderte ihre Wirkung verfehlen muss. Verwenden Sie also in jedem Fall nur bekannte feststehende Wendungen! Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Untersuchung an veränderten Phraseologismen aus der Werbung. Die Versuchspersonen konnten zwar nur selten die ursprünglichen Formen nennen, diese kamen ihnen aber irgendwie bekannt vor (vgl. Hemmi 1994: 213). Das beweist, dass Phraseologismen als Ganzes im Gedächtnis gespeichert sind, auch wenn die Hörer die ursprüngliche Form nicht sofort wiedergeben können. Abschließend noch ein Wort zu Phrasen. Damit wird wortreiches, aber leeres Gerede bezeichnet (vgl. Bußmann 1990: 585). Bei näherem Hinhören wimmelt es in vielen Reden nur so von ihnen, weil die Redner meinen, dass Phrasen dazugehören: „darf nicht unerwähnt bleiben … kennen und schätzen lernen … im Kreis ihrer Lieben … möge es so sein … Gestatten
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Sie mir … mit einem lachenden und einem weinenden Auge“. Die Grenze zum Phraseologismus ist fließend. Aufgrund ihrer Beliebigkeit sollte man aber tunlichst auf Phraseologismen, die zu leeren Phrasen geworden sind, verzichten. Im Zweifelsfall lassen Sie eine feststehende Wendung lieber weg. Besser aber: Verändern Sie diese mit einer der oben genannten Möglichkeit, damit die Zuhörer merken: Da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht. Außerdem erhöhen gezielt eingesetzte Variationen den Grad der Aufmerksamkeit: darf nicht unerhört bleiben … kennen und hassen lernen … im Kreis ihrer nur scheinbar sie liebenden … mit einem lächelnden und einem heulenden Auge. b) Neue Wörter bilden Unsere Sprache besitzt ungefähr 500.000 Wörter, aber selbst bei dieser riesigen Menge ist manchmal nicht das richtige dabei. Betätigen wir uns also als Sprachschöpfer und basteln uns einfach unsere eigenen. Dabei ist zu beachten, dass die neuen Wörter auch eindeutig als solche zu erkennen sind, um Fehlinterpretationen auszuschließen. Folgende Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung: Ableitung aus einem bekannten Wort bilden: • simsen (aus sms) computern, blackberryen • unzerstörbar unaustrinkbar, unanhaltbar, unmalbar (Bei der Band „Die Ärzte“ geht eine aussichtsreiche Verbindung zweier junger Menschen schief, weil das Mädel „unrockbar“ ist.) • Buch bücherig, buchlich, buchbar (im Kontext mit Buch eine neue Bedeutung) Hier eine kleine Liste von Endungen und Vorsilben, derer Sie sich bedienen können: Endungen: -heit, -keit, -ung, -nis, -tum, -bar, -sam, -lich, -ig, -bar, -schaft, -lich
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Vorsilben: ab-, an-, aus-, be-, bei-, dar-, ent-, hin-, nach-, nieder-, über-, unter-, ver-, vor-, zer-, ge- … c) Klangähnlichkeit Sehr schön lässt sich mit Worten spielen, die einen ähnlichen Klang oder einen gemeinsamen Wortstamm aufweisen. So hat zum Beispiel die Berliner Stadtreinigung vor Jahren mit einer Kampagne Aufsehen erregt, bei der sie in den Plakat-Überschriften mit verschiedenen Klangähnlichkeiten spielte: „Cleveres Bürstchen“, „Unser Fegen auf all euren Wegen“, „Feger und Sammler“, „Fleiß am Stiel“, „Laubburschen“, „Matschos“, „Dosenkavalier“, „Gemeinsammeln“ (siehe Abbildungen auf den Seiten 160/161). Andere Beispiele: • Gut Kind will Keile haben. • Der wunde Hund tat Kunde kund. • Singen soll Münzen zum Klingen bringen. • Seinen bräsigen Brägen im Regen regen • Im Arme hält der arme Tropf am Tropfen-Tropf den Tropfen-Zopf. • Klammheimlich stahl die arme Sau die Klammern fort im klammen Tau. Bei einigen Sätzen sind mir die Esel durchgegangen. Hier habe ich über alle strengen Stränge ge- und bin darum der langen Länge nach hingeschlagen. Drum sei mein letztes Wort für dieses Kapital-Kapitel: Spielen Sie wieder. Verwenden Sie die Sprache wie Kinder dies tun und entlassen Sie die Worte aus dem Korsett des Bürokraten-Deutsch. Ihre Hörer werden Sie erhören, Ihnen dankbar danken und zutiefst dankbar sein. d) Spiel mit dem Wortstamm Unsere Sprache ist in der Lage, aus einem Wortstamm mehrere Wortarten zu bilden: backen – Bäcker, quellen – Quelle, trocken – trocknen – Trockenheit. Daneben gibt es aber auch Wörter, die gleich klingen, aber je-
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Abbildung 3: Plakate der Berliner Stadtreinigung
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weils andere Bedeutungen aufweisen: Arm – arm, Strauß – Strauß, Laut – laut, sieben – sieben, Bank – Bank … Mit diesen lässt sich trefflich spielen. Voraussetzung dafür ist, dass die jeweils gemeinte Bedeutung durch den umgebenden Satz eindeutig festgelegt wird. Hier ein Beispiel mit dem Wortstamm „verein“. Ein solches zu kreieren ist relativ einfach. Sehen Sie in ein möglichst dickes Wörterbuch und notieren Sie auf einem separaten
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Zettel alle Wörter mit diesem Wortstamm. Beim Schreiben haken Sie ab. Der Redner sollte dann beim Vortrag nicht vergessen, genau diese Wörter zu betonen, zum Beispiel durch kleine Pausen und Akzentuierung, um auch wirklich klarzumachen, dass es sich um bewusste Wortspielereien handelt: Rede für einen Sportverein: „[…] Nun, wir heißen nicht nur Verein, weil unser Verein im Vereinsregister steht. Wir leben dieses Wort. Ein Verein heißt nämlich so, weil er Menschen vereint, sie also vereinnahmt, im positiven Sinn. Im XY-Sport-Verein engagieren sich ganz unterschiedliche Menschen. Männer und Frauen. Junge und Alte. Sportler mit Bauch und Sportler ohne. Ob sich diese Menschen in unserem Vereinshaus auch manchmal vereinen, weiß ich nicht. Wir betreiben jedenfalls keine Vereinsmeierei, sondern vereinfachen unser Vereinsleben, vor allem aber packen wir vereint an. Weil vereinzelte Aktionen nur zu Vereinsamung führen würden. […]“ Zum Schluss möchte ich Ihnen Willy Astor ans Herz legen, denn der betreibt Wortspiel in Perfektion. Als Beispiel der Anfang vom „Radkäppchen“. Um alle Wortspiele zu hören, sollte man den Text sprechen: „Es war einmal im großen dunklen Schilderwald ein kleines Wurzelholz, dort wohnte in einer kleinen Rostlaube das noch kleinere Radkäppchen. Radkäppchen wunderte sich, denn sie hatte schon seit über sechs Stunden ein paar Schweinswürstel auf dem Rost liegen, die immer noch nicht fertig waren: Mensch, das ist aber ein kühler Grill … Plötzlich klopfte es an der Tür: Puch puch. ‚Wer ist da?’ ‚Ich bin es, Kater Lysator …“ (Astor 2006: 19)
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8. Sätze bauen ohne Frust und Tadel
8.1 Einfache, zusammengesetzte und verschachtelte Sätze Das wichtigste Resultat aus dem Elfenbeinturm vorab: Beim Lesen und Hören wandern Informationen bereits nach 40 Sekunden ins Arbeitsgedächtnis. Hier werden sie – unabhängig davon, wie der ursprüngliche Satz konstruiert war – gespeichert. In Kurzform: Hörer verarbeiten und speichern Inhalte der Sätze, nicht deren Konstruktion (vgl. Schwarz 1996: 166). Ein Test. Lesen Sie den nachfolgenden Satz bitte laut. Es ist der erste Satz aus der Rede, die Thomas Mann anlässlich seines 70. Geburtstags hielt: „Wenn Sie mich nach einer Botschaft für das deutsche Volk fragen, so kann ich nur erwidern und lege herzlichen Wert auf diese Feststellung, dass alle Auffassungen und Vorwürfe, die dahin gehen, ich hätte Deutschland den Rücken gekehrt, wolle nichts mehr von ihm wissen und sei an seinem Schicksal innerlich unbeteiligt, durchaus auf Missverständnissen beruhten.“ (Reden die die Welt bewegten o. J.: 448) Ein zweiter Test. Lesen Sie bitte auch den folgenden Satz. Er stammt aus der Dankesrede Martin Walsers aus dem Jahr 1998. Ihm wurde der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen: „[…] Könnte es sein, dass die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, dass sie uns, die Schande, vorhalten, eine Sekunde lang der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern?“ (www.dhm.de)
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Hier das Ungetüm in Teilen: 1. „[…] Könnte es sein, 2. dass die Intellektuellen, 3. die sie uns vorhalten, 4. dadurch, 5. dass sie uns, 6. die Schande, 7. vorhalten, 8. eine Sekunde lang der Illusion verfallen, 9. sie hätten sich, 10. weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, 11. ein wenig entschuldigt, 12. seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern?“ Der gesamte Satz besteht nicht nur aus zu vielen Teilsätzen. Er wird für den Hörer auch darum unübersichtlich, weil sich die Proform „sie“ sowohl auf die „Schande“ und die „Intellektuellen“ gleichermaßen bezieht, was dem genauen Verständnis nicht gerade dienlich ist. Der Gegentest. Lesen Sie bitte die folgenden Sätze, ebenfalls laut. Sie stammen aus der Rede Angela Merkels zur Festveranstaltung „60 Jahre Marktwirtschaft“ vom 12. Juni 2008, in Klammern die Anzahl der Wörter pro Satz: „Das heißt ganz einfach: (4) Wettbewerb fördert die Leistung und ermöglicht Soziales. (7) Erhard ahnte es – und wir wissen es: (7) Unkluge Sozialgesetze entmutigen die Leistung und untergraben den Wettbewerb. (9) Wann immer wir Gesetze machen, müssen wir uns also fragen: (10) Stärken wir den Wettbewerb? (4) Fördern wir Leistung? (3) Denn nur wenn wir das tun, schaffen wir die Voraussetzungen für soziale Verbesserungen. (13)“ (www. bundesregierung.de)
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Thomas Mann packt genau 54 Wörter in einen Satz, Martin Walser sogar 63. Angela Merkel braucht hingegen für 58 Wörter 8 Sätze. Wie viele Wörter pro Satz sollten, dürften, müssen es sein? Einfache Sätze bestehen zuerst einmal aus einem Subjekt (Wer oder was ist der Agierende?) und dem prädikativen Rest (Was geschieht mit oder an diesem Jemand?). Hier ein Beispiel aus einer längst vergangenen Zeit: Bernd raucht. Natürlich ist diese Information etwas dürftig. Wir wissen, wer etwas tut und was. Uns interessiert zum Beispiel aber noch, seit wann und wie: Bernd raucht seit zehn Jahren wie ein Schornstein. Dieser Satz hat nun zwei zusätzliche Informationen bekommen. Das agierende Element steht an erster Stelle, danach kommt das Verb, welches die Handlung ausdrückt, anschließend die zusätzlichen Informationen. Nun werden wir nicht alle Sätze nach diesem Prinzip konstruieren, denn man möchte auch andere Satzglieder als das Subjekt betonen. Darum können Satzglieder auch umgestellt werden: Seit zehn Jahren raucht Bernd wie ein Schornstein. (betont „seit zehn Jahren“) Wie ein Schornstein raucht Bernd seit zehn Jahren. (betont „wie ein Schornstein“) Neurologen haben jüngst zu diesen Umstellungen Interessantes herausgefunden. Hörer verarbeiten jene Version, die uns am geläufigsten ist, am schnellsten (vgl. Müller/Rickheit 2003: 16). Das ist die erste: Subjekt und Verb an erster Stelle. Für alle anderen benötigen Hörer mehr Zeit. Wenn es
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sich, wie in unserem Fall, um überschaubare Sätze handelt, ist dies kein Problem. Schwieriger wird es jedoch, wenn Redner zu viele Nebeninfos in einen Satz hineinquetschen und der Satz dadurch unübersichtlich wird: Bernd raucht seit zehn Jahren hastig mit gelben Fingern und unter Missachtung der auf der Packung angegebenen Gefahren wie ein Schornstein jeden Tag sechzig Zigaretten. Hier ist bereits die gewöhnliche Satzgliedstellung recht schwer zu verstehen. Wenn wir diese auch noch umstellen, haben die Hörer keine Chance mehr: Seit zehn Jahren und unter Missachtung der auf der Packung angegebenen Gefahren raucht hastig wie ein Schornstein mit gelben Fingern Bernd jeden Tag sechzig Zigaretten. Wenn wir den einfachen Satz – wie bei diesem Beispiel – mit Informationen überfrachten, wird er unübersichtlich. Darum lagern wir Informationen aus und bilden einen oder mehrere Nebensätze. Der einfache Satz (Bernd raucht.) wird nun zum Hauptsatz. Die ausgelagerten Nebeninformationen finden wir im Nebensatz. Dies hat Vorteile. Nebensätze stellen Beziehungen örtlicher, zeitlicher, modaler und kausaler Art dar und zeigen, in welcher Beziehung diese zu den Informationen im Hauptsatz stehen: a) örtliche Beziehungen • Der Saal, am Rande der Stadt gelegen, hatte einen störenden Nachklang. • Das Pult, hinter dem der Vortragende stand, konnte nicht verbergen, dass er nervös war.
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b) zeitliche Beziehungen • Es ist undankbar, nach der Mittagspause reden zu müssen. • Der Beifall tröpfelte zögerlich, nachdem das letzte Wort verklungen war. c) kausale Beziehungen • Weil die Präsentation überzeugte, hatte die Agentur den Auftrag sicher in der Tasche. • Der Vortrag ist langweilig, weil der Text keine anschaulichen Beispiele, Vergleiche oder Metaphern enthält. d) modale Beziehungen • Ihre Präsentation, die eher einem Krimi glich, begeisterte die aufmerksamen Zuhörer. • Kann ein Vortrag, der vor Termini nur so strotzt, interessant sein? Nebensätze erweitern also den Satz um Informationen. Zudem stellen sie Beziehungen dar, legen den Geltungsbereich fest und klären Folgen. Die nächsten Beispiele (lesen Sie bitte laut) beinhalten jedoch zu viele Informationen in Nebensätzen, teilweise sind die Sätze auch zu stark verschachtelt, was sie wiederum unübersichtlich macht (in Klammern die Anzahl der Wörter): Wolfgang Thierse, 03.10.2005: „[…] Schließlich war der 3. Oktober 1990 keine himmlische Fügung, kein bloßes Geschenk, sondern ein hart errungenes Ergebnis der friedlichen Revolution von 1989, also Ergebnis jener rasanten Umgestaltungsprozesse, die am 18. März 1990 erstmals eine freie Volkskammerwahl ermöglichten. (37) […]“ (www.thierse.de) Lech Walesa zur Verleihung des Friedensnobelpreises, 1983: „[…] Wenn ich andererseits an die Stunde denke, zu der sich die Nachricht von dem Preis in meinem Land verbreitet hatte, die Stunde aufwallender Gefühle und
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allgemeiner Freude der Menschen, die das Gefühl hatten, moralisch und geistig an dem Preis beteiligt zu sein, bin ich verpflichtet zu sagen, dass ich ihn als Zeichen der Anerkennung erachte, dass die Bewegung, der ich mich mit aller Kraft gewidmet habe, der Menschengemeinschaft gut gedient hat. (71) […]“ (Reden die die Welt bewegten o. J.: 622) Denkmal auf dem Invalidenfriedhof, Berlin: „Wer hier steht, gedenke der vielen Ärzte und Medizinstudenten in Uniform, der Pépins, Pfeifhähne, wie die Berliner sie nannten, die aus der 1795 errichteten Pépinière seit 1905 aus der militärärztlichen Akademie hervorgegangen sind und als Sanitätsoffiziere und Fahnenjunker (San.) aus den Kriegen, zuletzt dem 2. Weltkrieg 1939–1945 von ihrem aufopferndem militärärztlichen Einsatz für Verwundete, Sterbende, Kranke und für jedermann nicht in die Heimat zurückkehrten. (64)“ Angela Merkel, 26.06.2008: „[…] Ich erinnere mich, dass sich solche Bewegungen – ob 1968 oder 1980 die Solidarnosc-Bewegung oder 1989 –, die uns darin einten, gegen ein diktatorisches Regime zu sein, plötzlich in Vielfalt aufspalteten, weil das, was wir uns als zukünftige Gesellschaft vorgestellt haben, in den einzelnen Köpfen doch sehr unterschiedlich ausgeprägt war. (50) […]“ (www.bundesregierung.de) Sind diese zungen- und halsbrecherischen Satzkonstruktionen schon für Leser unübersichtlich, dann erst recht für Hörer. Die Wissenschaft bestätigt unsere Vermutung: Je komplexer und damit komplizierter die Sätze, umso weniger werden sie von den Hörern verstanden und auch akzeptiert. Irgendwann schalten diese ab. „Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, welch eminente Rolle die oberflächenstrukturellen Mittel für den Verstehensprozess spielen. Sie bestimmen weitgehend, wie leicht, schnell und sicher die Lesenden verstehen können“ (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 356). Mit anderen Worten: Die Satzkonstruktion bestimmt, ob und wie unsere Hörer verstehen.
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Hier einige Gegenbeispiele, in Klammern die Anzahl der Wörter pro Satz: Richard v. Weizsäcker, 08.05.1985; beachten Sie bitte, dies als Wermutstropfen, den Nominalstil: „[…] Wir Deutsche begehen den Tag unter uns, und das ist notwendig. (11) Wir müssen die Maßstäbe allein finden. (6) Schonung unserer Gefühle durch uns selbst oder durch andere hilft nicht weiter. (12) Wir brauchen und wir haben die Kraft, der Wahrheit, so gut wir es können, ins Auge zu sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit. (23) Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. (18) Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. (12) Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen. (15) […]“ (Reden die die Welt bewegten o. J.: 629) Horst Köhler, 14.08.2006: „[…] Plötzlich war in unserem Land wieder sichtbar, was Teamgeist bedeuten und was Teamgeist bewirken kann. (15) Man sagt ja so leicht: (5) In einem Team müssen sich alle unterordnen, müssen sich alle auf ihren Platz stellen. (14) Aber das ist, wie wir gesehen haben, nur die halbe Wahrheit. (11) Wahr ist nämlich auch: (4) In einem Team, in einem guten Team, werden die Stärken des einzelnen noch stärker. (14) In einem guten Team trägt der eine den andern, feuert der eine den andern an, wächst der einzelne über sich hinaus. (21) […]“ (www.bundespraesident.de) Roman Herzog, 26.04.1997: „[…] Die Aufgaben, vor denen wir stehen, sind gewaltig. (8) Die Menschen fühlen sich durch die Fülle der gleichzeitig notwendigen Veränderungen überlastet. (12) Das ist verständlich, denn der Nachholbedarf an Reformen hat sich bei uns geradezu aufgestaut. (14) Es wird Kraft und Anstrengung kosten, die Erneuerung voranzutreiben, und es ist bereits viel Zeit verloren gegangen. (17) Niemand darf aber vergessen: (4) In hochtechnisierten Gesellschaften ist permanente Innovation eine Daueraufgabe! (8)“ (www.bundespraesident.de)
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Betrachten wir die Anzahl der Wörter. Der längste Satz in unseren Beispielen beinhaltet 23 davon. Viele Ratgeber zum stilsicheren Schreiben und Reden legen eine Maximalzahl fest. Bremerich-Vos (1991, S. 140 f.), der viele dieser Bücher untersuchte, fand hierbei eine Schwankungsbreite von 18 bis 27. Ludwig Reiners, der sich seit den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts als Verwalter eines guten Sprachstils versteht, gibt ebenfalls genaue Grenzen an, ohne auf empirische Untersuchungen zu verweisen. Ihm zufolge sind Sätze, die bis zu 13 Wörter beinhalten, sehr leicht verständlich. Sätze bis zu 18 sind noch leicht, schwer verständlich hingegen Sätze ab 26 Wörter (vgl. Koeppler 2000: 283). Mittlerweile sind solche Pauschalurteile von der Linguistik widerlegt, kursieren aber noch in verschiedenen Publikationen. Dies ist ein Hinweis für die Willkür der festgelegten Zahl, was auch vom linguistischen Standpunkt aus Unfug ist, denn: Verstehen hängt von zu vielen Faktoren ab, satzinternen und -externen. Es gibt einfache Sätze mit 24 Wörtern, die völlig unverständlich sind und zusammengesetzte mit 30, die wir verstehen. Hier ein Satz von Angela Merkel vom 26.06.2008, der im Zusammenhang der Rede relativ schwer verständlich ist, obwohl er nur 12 Worte enthält: „[…] Der Prager Frühling war der Ausdruck der Sehnsucht der Menschen nach Demokratie. […]“ (www.bundesregierung.de) Das Problem bei diesem Satz ist nicht die Anzahl der Wörter. Es sind zu viele Abstrakta auf einem Haufen (vgl. Kapitel 7), die auch noch miteinander in Beziehung stehen. Hier einige Gegenvorschläge: • Der Prager Frühling war ein Zeichen für die Sehnsucht der Menschen. Für die Sehnsucht nach Demokratie. (noch zu viele Substantive)
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• Der Prager Frühling war ein Zeichen für die Sehnsucht der Menschen. Sie sehnten sich nach Demokratie. • Im Prager Frühling äußerte sich die Sehnsucht der Menschen nach Demokratie. • Menschen sehnten sich nach Demokratie. Dies symbolisierte der Prager Frühling. Grundsätzlich gilt: Der Schreiber ist dafür verantwortlich, dass die Hörer die dargebotenen Informationen leicht aufnehmen können. Im Zweifelsfall also lieber zu wenig Wörter als zu viele, lieber zu wenig Nebensätze als zu viele. Diese Schlussfolgerung wird auch von den Neurologen untermauert. Sie haben herausgefunden, dass Leser und Hörer komplexe Sätze weniger akzeptieren als einfach strukturierte. Um den Einfluss der einzelnen Worte dabei auszuschließen, haben sie dies sogar mit sinnfreien, aber grammatisch korrekten Sätzen getestet und sind zum selben Ergebnis gekommen: ‚Der Mutz krasumste die Lokante nasant.’ In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein weiteres Problem aufmerksam machen, das besonders für gesprochene Texte tödlich sein kann, der Standort des Verbs innerhalb des Satzes, welches die Handlung trägt. Wenn es nämlich zu weit vom Subjekt entfernt steht, blicken die Hörer nicht mehr durch. Ein konstruiertes Beispiel: Der Oberamtsdirektor, in der Regel ein Musterbeispiel für Pünktlichkeit und Fleiß, was ihm auch seine Mitarbeiter hoch anrechneten, schlief. Wer agiert (im grammatischen Sinne) in diesem Satz? Der Oberamtsdirektor. Was tut er? Schlafen. Das Subjekt am Beginn, das Verb am Ende des Satzes. Zu weit auseinander, denn wir erfahren zu spät, was der Oberamtsdirektor tut. Ganz verrückt wird es, wenn wir es mit zweiteiligen Verben wie aus-schlafen, mit-teilen, vor-laufen, hinterher-hinken oder ab-reisen
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zu tun haben. Mark Twain, der in Heidelberg Deutsch lernte, hält für uns folgendes Beispiel parat, das er in seinem Heftchen „Die schreckliche deutsche Sprache“ festhält: „Da die Koffer nun bereit waren, REISTE er, nachdem er seine Mutter und Schwestern geküsst und noch einmal sein angebetetes Gretchen an die Brust gedrückt hatte, die, in schlichten weißen Musselin gekleidet, mit einer einzigen Teerose in den weiten Wellen ihres üppigen braunen Haares, kraftlos die Stufen herabgewankt war, noch bleich von der Angst und Aufregung des vergangenen Abends, aber voller Sehnsucht, ihren armen, schmerzenden Kopf noch einmal an die Brust dessen zu legen, den sie inniger liebte als ihr Leben, AB.“ (Twain o. J.: 11). Was lehrt uns dies? Subjekt und Verb, welches die Handlung trägt, sind wie Romeo und Julia. Sie zu trennen ist Frevel. Sehen wir uns einige Beispiele aus einer Rede von Wolfgang Thierse vom 3. Oktober 2005 an, bei denen Romeo und Julia ein Paar geblieben sind: „[…] Der Souverän erteilte dem Parlament einen klaren Auftrag: […] Die ausgehandelte Formel lautete dann […] Der Beitrittsbeschluss erging ausdrücklich erst nach Abschluss des Einigungsvertrages und der Zwei-plusVier-Verhandlungen. […] Wir pflegen gute, belastbare Beziehungen zu allen europäischen Staaten, insbesondere zu Frankreich und Polen. […]“ (www.thierse.de).
8.2 Die gesunde Mischung finden Kurt Tucholsky meint in seinen viel zitierten „Ratschlägen für einen guten Redner“: „Hauptsätze. Hauptsätze. Hauptsätze. […]” (Tucholsky 1974: 278). Nehmen wir an, der Berliner Satiriker meint mit „Hauptsatz“ den
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einfachen Satz. Wenn wir dem Ratschlag dann strikt folgen, müsste ein Beispieltext anlässlich eines Firmenjubiläums so aussehen: Die Firma Döllnhauer wird 150 Jahre alt. Das ist ein besonderes Jubiläum. Darauf können wir stolz sein. Heute ist dies nicht selbstverständlich. Zu schnell wechseln Inhaber. Noch schneller jedoch wechselt das Management. Bei diesem Stil werden die inhaltlichen Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den einzelnen Sätzen nicht rasch genug deutlich, auch fehlt jede Bewegung. Schon besser ist folgende Variante: Die Firma Hinterhuber wird 150 Jahre alt. Das ist ein besonderes Jubiläum, auf das wir stolz sein können. Heute ist dies nicht selbstverständlich, denn zu schnell wechseln Inhaber. Noch schneller jedoch wechselt das Management. Wenn wir auf Nebensätze ganz verzichteten, haben wir nicht nur einen langweiligen Staccato-Stil, wir berauben uns auch ihrer vielfältigen Leistungen. Erst Nebensätze können nämlich die vielfältigen Beziehungen der Realität widerspiegeln. Als Richtwert halten wir fest: Ein kompletter Satz sollte nicht mehr als zwei Nebensätze enthalten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Informationen, die zusammengehören, möglichst nah beieinander stehen. Dies betrifft Subjekt und Prädikat, die näheren Erläuterungen der Nebensätze und die Proformen und ihre Bezugsobjekte. Zugleich müssen die Informationen chronologisch aufeinander folgen. Beispiele und Kommentare dazu: Thomas de Maizière am 12. Mai 2006 in Dresden: „[…] Eine der beeindruckendsten frühen Stiftungen, die seit fast 500 Jahren ununterbrochen besteht, ist die Fuggerstiftung. Ihre berühmteste Einrichtung ist die Fuggerei in Augsburg, die älteste noch bestehende soziale Wohnsiedlung. […]“(www.
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bundesregierung.de) (Der Nebensatz ist im ersten Satz eingeschoben und erläutert die Stiftung und Fuggerstiftung näher, ausreichend und unkompliziert. Im zweiten Satz ist der Nebensatz ein Nachtrag.) Gerhard Schröder am 03.11.2004 in Bonn: „[…] Es ist eine große Ehre, die uns Ägypten mit dieser grandiosen Ausstellung ‚Tutanchamun’ erweist. Denn es ist eine Präsentation von einmaligem Rang, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr in Europa zu sehen war. […]“ (www.bundesregierung.de) (Gut: Der erste Nebensatz erklärt unmittelbar folgend den Begriff Ehre näher. Bemerkenswert: Der zweite Satz beginnt völlig neu (Denn …), obwohl er auch an den ersten gehängt werden könnte. Auch hier folgt die nähere Erläuterung durch den Nebensatz unmittelbar.) Kulturstaatsministerin Weiss, 09.05.2005 zum Todestag Friedrich Schillers: „[…] Jeder ist in diesen Wochen irgendwie davon überzeugt, dass der Olympier, der vor 200 Jahren starb, trotzdem ein Zeitgenosse ist. […]“ (www.bundesregierung.de) (Hier ist die Grenze des Machbaren fast erreicht. Besser: ‚Jeder ist in diesen Wochen irgendwie davon überzeugt, dass der Olympier ein Zeitgenosse ist. Auch wenn er bereits vor 200 Jahren starb.’)
8.3 Verbalstil – hochwirksam und einfach gemacht Bevor wir klären, was es mit Verbal- und Nominalstil auf sich hat, müssen wir uns noch einmal bewusst machen, dass wir beim Sprechen nicht nur Informationen tauschen, sondern handeln. Wir stellen fest, ordnen an, fragen, zweifeln, befehlen, bewerten, kritisieren, tadeln und so weiter. Diese Handlungen führen wir durch, selbst wenn wir das entsprechende Verb nicht nennen. So führt der Sprecher zum Beispiel mit der Äußerung „Gib mir sofort den Bleistift!“ eine Handlung aus: befehlen oder anordnen.
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Die Wortart, mit der wir Handlungen sprachlich ausdrücken, sind Verben, keine Substantive. Weil viele von uns jedoch in der Schule Substantive auch als „Hauptwörter“ kennengelernt haben, entsteht der Eindruck, dass diese auch das Zentrum des Satzes bilden und die Hauptlast tragen. Nein. Die wichtigste Information in einem Satz ist und bleibt die Handlung selbst, erst danach ist wichtig, wer handelt. Im Zentrum steht demnach das Verb, nicht das Substantiv. Zuerst drei Beispiele zum Nominalstil: • Schreiben einer Krankenkasse: „[…] im 14. Jahr nach Einführung der gesetzlichen und der privaten Pflegepflichtversicherung hat der Gesetzgeber mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eine Reihe von Leistungsverbesserungen und sonstigen Änderungen beschlossen. […] Die Beitragssteigerung aufgrund der Leistungsverbesserungen fällt für Versicherte mit einem Beitrag unterhalb des Höchstbeitrags im Allgemeinen deutlich niedriger aus.“ • Angela Merkel, Neujahrsansprache 2005: „[…] Deshalb machen wir Bürokratieabbau, eine wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung, eine Reform von Bund und Ländern. […]“ (www.bundesregierung.de) • Wolfgang Thierse, 09.10.2004; „[…] Die Anerkennung bestimmter ungleicher Bedingungen ist nicht deren Akzeptanz, sondern ist die Voraussetzung für eine realistische Strategie zu ihrer Überwindung.“ (www.thierse.de) Alle Textausschnitte hinterlassen beim Leser bzw. Hörer einen unguten Eindruck, auch wenn die Hörer nicht sofort sagen können, woran das liegt. Und die Äußerung von Wolfgang Thierse kann nur jemand verstehen, der zehn Semester Philosophie studierte. Wir sehen hier Beispiele ausgeprägten Nominalstils, der uns allen aus den täglich zu bewältigenden Texten vertraut ist, in gesprochener Sprache aber nichts zu suchen hat. Was heißt das nun konkret?
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Beim Nominalstil wird zugunsten der Substantive weitgehend auf Vollverben verzichtet. Nicht mehr Verben drücken die eigentlichen Handlungen aus, sondern Substantive. Das führt dazu, dass der Stil hölzern, statisch, aber auch unangreifbar wirkt, weil zusätzlich das handelnde Agens in den Hintergrund rückt: • Die Einführung der Pflegeversicherung einführen • Abbau der Bürokratie abbauen • Besteuerung der Unternehmen besteuern Besonders Substantive mit der Endung -ung sind oft ein Zeichen für Nominalstil. Neben der Substantivierung (!) von Verben ist auch das sog. Funktionsverbgefüge ein Merkmal von Nominalstil. Hierbei spielt das Verb nur noch eine untergeordnete grammatische Rolle, denn die eigentliche Handlung trägt das Substantiv: • • • • •
Berücksichtigung finden berücksichtigen zur Anwendung bringen anwenden unter Beweis stellen beweisen einer Prüfung unterziehen prüfen Protest erheben protestieren
Funktionsverbgefüge sind häufig Elemente der Juristen-, Bürokratie- und Wissenschaftssprache. In diesen Formen ist der Nominalstil generell berechtigt, denn hier kommt es darauf an, möglichst allgemeingültig und objektiv zu schreiben. Zudem ist es hier meist unwichtig, wer handelt. Im Gegensatz dazu kommt es aber in Reden, Präsentationen und Vorträgen sehr wohl auf den Handelnden, die Handlungen und Persönliches an. Es geht darum, dass sich der Redner positioniert, dass er als Handelnder und Aktiver auftritt. Darum muss er den Verbalstil vorziehen. Sehen wir
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uns zwei Beispiele an, bei denen das Verb den ihm gebührenden Platz einnimmt: • Roman Herzog, 26.04.1997: „[…] Die Menschen bei uns spüren, daß die gewohnten Zuwächse ausbleiben, und sie reagieren darauf verständlicherweise mit Verunsicherung. […] Der Staat leidet heute besonders unter dem Mythos der Unerschöpflichkeit seiner Ressourcen. Man könnte das auch so sagen: Die Bürger überfordern den Staat, der Staat seinerseits überfordert die Bürger.“ (www.bundespraesident.de) • Johannes Rau, 03.05.2002: „[…] Schüler haben ihre Lehrer und Mitschüler für immer verloren, Lehrer trauern um ihre Kollegen, eine Schule um ihre Mitarbeiterin, Eltern fassen nicht den Tod ihrer Kinder, Polizeibeamte beklagen den Tod eines Kollegen. […] Es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn unsere Freunde, unsere Schulkameraden, unsere Kinder, unsere Kollegen nicht mehr mitkommen, wenn sie Wege gehen, die ins Abseits führen, wenn sie aus der Wirklichkeit in die Scheinwelten von Drogen oder elektronischen Spielen flüchten. Aufeinander achten, das heißt, einander mitnehmen, füreinander da sein. […] Kinder brauchen die Erfahrung, dass sie Konflikte lösen, dass sie Enttäuschungen überwinden können und dass Anstrengungen sich lohnen. […]“ (www.bundespraesident.de) Wenn man sich die Beispiele zu den beiden Stilen ansieht, wird überdeutlich: Nominalstil klingt gewaltiger, Verbalstil einfacher, aber verständlicher. Der Redner muss sich nun entscheiden, ob er dem Bombastus frönen will und statische, gar tote Texte produziert, oder lebendige und verständliche. Entgegen anders lautender Äußerungen ist es jedoch sehr einfach, einen guten Verbalstil zu produzieren. Lassen Sie einfach das Verb handeln.
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Besonders anschaulich wird der Unterschied, wenn wir den Spieß umdrehen und aus einem positiven Beispiel (Verbalstil) ein negatives (Nominalstil) formen: Verbalstil: Angela Merkel, 2002: „[…] Die Bauern können stolz sein auf ihre Leistungen. Sie alle sichern die Produktion gesunder Lebensmittel, sie pflegen und erhalten unsere Kulturlandschaften, sie stehen für ein wichtiges Stück unserer Heimat, sie sind ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. […]“ (www.bunderegierung.de) Nominalstil: Der Stolz der Bauern auf ihre Leistungen liegt im Bereich des Berechtigten. Sie alle sind an der Sicherung der Produktion gesunder Lebensmittel, der Pflege und dem Erhalt unserer Kulturlandschaften beteiligt. Sie zeigen Einsatz für ein wichtiges Stück unserer Heimat, sie sind ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft.
8.4 Werden Sie aktiv! Eng mit dem Verbalstil hängt das Genus des Verbs zusammen. Es bezeichnet das Verhältnis des Handelnden zum Geschehen, welches im Satz ausgedrückt wird. Konkret gesprochen geht es um Aktiv oder Passiv. Hier einige Beispiele: Passiv: • Das Ziel wurde erreicht. • Papier wird aus Zellulose hergestellt. • Der Worte sind genug gewechselt. • Am Sonntag wurde in das Haus eingebrochen.
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Aktiv: • Klaus erreichte das Ziel. • Der Mond scheint und die Sterne funkeln. • Es gewittert heftig. • Die Menschen hoffen noch. Beim Passiv ist nicht der Handelnde, der Urheber von Bedeutung, sondern das Ziel der Handlung. Beim Aktiv hingegen wird auch der Urheber genannt, auch wenn dieser – wie beim Fall des Wetters – ein Scheinsubjekt (es) ist, um der grammatischen Vollständigkeit zu genügen. Passiv ist also immer dann angebracht, wenn das Subjekt, das Agens einer Handlung, nicht von Interesse bzw. zu vernachlässigen ist. Dies wird besonders am zweiten und vierten Beispiel deutlich. Ob Hubert Krausenbüttel aus Zellulose Papier herstellt, ist irrelevant, weil hier eine allgemeingültige Tatsache dargestellt wird. Wer am Sonntag in das Haus einbrach, interessiert vorerst auch nicht, wichtig ist die Tatsache an sich. Andererseits wird gerade beim Nominalstil Passiv verwendet, sodass die Gefahr besteht, in das Bürokraten- und Amtsdeutsch hineinzurutschen und so zu schreiben, als hätten wir einen Leser vor uns. Dieser doppelten Falle ist leicht zu entkommen. Suchen Sie den Handlungsträger und die entsprechende Handlung und formulieren Sie nach dem Schema Subjekt-Verb. Hier ein Beispiel, wie Nominalisierungen mit Passivstil leicht umzuformen sind: Frank-Walter Steinmeier, 18.05.2006: „[…] Die Verantwortung für die Ausbildung des mittleren, gehobenen und höheren Dienstes sowie für die Rekrutierung der Anwärterinnen und Anwärter liegt zum größten Teil in den Händen der Akademie und Ihres Leiters. […]“ (www.bundesregierung.de) 1. Subjekte? Leiter der Akademie, seine Mitarbeiter 2. Handlungen? ist verantwortlich, ausbilden, rekrutieren
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Der Leiter der Akademie ist zum größten Teil dafür verantwortlich, dass seine Mitarbeiter Angestellte des mittleren, gehobenen und höheren Dienstes ausbilden und neue Anwärterinnen und Anwärter rekrutieren.
8.5 Spezielle Satzformen mit mehr Mehrwert In einer Rede oder in einem Vortrag müssen wir die wichtigsten Inhalte und Teil-Botschaften wiederholen. Dies liegt vor allem an den Besonderheiten gesprochener Texte (vgl. Kapitel 1). Weitere Gründe liefern uns die Psycholinguisten. Sie haben herausgefunden, dass in den Gehirnen unserer Zuhörer neue Inhalte alte verdrängen, wenn diese nicht wiederholend genannt bzw. aufgegriffen werden. Inhalte, die wichtig sind, werden zudem besser und schneller im Langzeitgedächtnis der Zuhörer gespeichert. Inhalte, die nicht nur für den Redner, sondern gleichermaßen für die Zuhörer wichtig sind (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 363 ff.). Daraus lässt sich ein einfacher Schluss ziehen: Inhalte, die der Redner übermitteln will und die zugleich für die Zuhörer wichtig sind (oder es werden sollen), muss er wiederholen. Die folgenden Möglichkeiten dafür beziehen sich auf den Satzbau. a) Syntaktischer Parallelismus Diese Form der Wiederholung – ich gestehe freimütig – gehört zu meinen Lieblingen. Dabei wird die Anordnung der jeweiligen Satzglieder wiederholt, wodurch der Inhalt eindringlicher kommuniziert wird. Ein weiterer Vorteil: Hörer verarbeiten parallele Satzkonstruktionen schneller (vgl. Müller/Rickheit 2003: 22). Rede vor gemeinnütziger Organisation: „[…] Sie säen keinen Hass zwischen Völkern, sondern Vertrauen und Freundschaft. Sie bauen keine Mauern, sondern reißen diese ein. Sie verdrängen nicht, sondern erinnern. […]“
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Den formalen Gleichlauf kann man natürlich noch verstärken, indem auch die Wörter wiederholt werden. Dadurch kennzeichnet der Redner die Wiederholung als gewollt, damit es keine Missverständnisse gibt: Angela Merkel, 07.07.2008, Eröffnung der US-Botschaft in Berlin: „[…] So haben Sie auch an die Kraft der Freiheit geglaubt, als diese Stadt Berlin 1945, nach den Abgründen von Krieg und Diktatur, einen starken und guten Freund brauchte. Sie haben an die Kraft der Freiheit geglaubt, als es für die Menschen in dieser Stadt und in diesem Land darum ging, Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu schöpfen. Sie haben an die Kraft der Freiheit geglaubt, als dieses Tor noch durch Mauer und Stacheldraht versperrt war. […]“ (www.bundesregierung.de) Johannes Rau, 03.05.2002: „[…] Ich wünsche allen, die am vergangenen Freitag einen nahen Menschen verloren haben, dass sie Menschen haben oder finden, die sie begleiten, die ihnen zuhören, die ihnen helfen, die nächsten Schritte im Leben zu tun. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie Quellen des Trostes finden auf dem schweren Weg, der noch vor Ihnen liegt, und dass Sie neue Zuversicht gewinnen können. […]“ (www.bundespraesident.de) Eröffnung eines Nationalpark-Hauses: „Im Namen von 57 km2. Im Namen eines der größten zusammenhängenden Buchenwälder Europas. Im Namen von Rothirschen und Fledermäusen, Wildkatzen und Schwarzstörchen. Im Namen von hunderttausend Bäumen begrüße ich Sie […].“ Martin Luther King, 28.08.1963: „[…] Aber hundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei. Hundert Jahre später ist das Leben des Negers […]. Hundert Jahre später lebt der Neger […]. Hundert Jahre später schmachtet der Neger […]. Ich habe einen Traum, dass eines Tages […]. Ich habe einen Traum, dass […]. (insgesamt 6 mal) […]. Lasst die Freiheit
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erschallen (insgesamt 11mal) […].“ (Worte die die Welt bewegten o. J.: 588 ff.). Im folgenden Extremfall wird ein Zitat variierend wiederholt, um möglichst viele negative und positive Aspekte zu beleuchten: Rede im Kontext Wohnungsbau: “[…] My home is my castle kann aber auch heißen: My home is my … Kaff. Oder: My home is my … Kahlschlag, my Karteileiche, my Katzenjammer oder my Kapitulation. My home is my Karikatur, my Kältepol, my Karzer, oder – im schlimmsten Fall – my Katakombe oder Kamikaze. […] My home is my Kaleidoskop, weil es die Welt in all ihren Farben spiegelt. My home is my Kapuze, weil ich darunter verschwinden kann. My home is my Kaiserreich, in dem ich bestimme, wo es langgeht. My home is my Kamerad und my Katalysator. My home is my Kanton, my Kanapee, my Kaffeekränzchen und my Kajütboot. My home is my Katharsis, denn hier erfahre ich eine seelische Reinigung. My home is my Karibik, in der ich mich sonnen, in der ich entspannen kann. Und für manch einen ist sein home sogar eine Kaskoversicherung. […]“ Das zu wiederholende Element kann im Laufe der Wiederholung im Sinne des Sprechers erläutert werden: Jahresabschluss eines Unternehmens: „[…] Das ist unsere Tradition. Tradition, meine lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, heißt Gepflogenheit, Brauch, Überlieferung. Tradition bedeutet weitergeben, weiterreichen. Gute Traditionen sollten wir unbedingt beibehalten und pflegen. […]“ b) Anapher Bei der Anapher wird das jeweils erste Wort oder eine Wortgruppe am Anfang des nachfolgenden Satzes wiederholt:
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Angela Merkel, 11.07.2008: „[…] Es war vor knapp zwei Jahren. Schon damals war klar: Es gibt einen ambitionierten Zeitplan. Es mussten nicht nur Bauarbeiten durchgeführt, sondern parallel dazu auch Ausstellungen und Aquarien aufgebaut werden. Es ist klar, dass hier viele Hände ineinander gewirkt haben und dass das Ganze spätestens in den nächsten Wochen seiner Vollendung entgegengehen wird. […]“ (www.bundesregierung.de) c) „Doppelpunkt-Schreiben“ Diese Form der Satzanordnung steht in keinem Rhetorik-Lehrbuch, sie ist aber sehr wirksam. Aus einer Nebensatzkonstruktion werden zwei einfache Sätze. Und der zweite Satz wird in seiner Wertigkeit erhöht. Zudem wird die Spannung auf das Nachfolgende vergrößert. In den folgenden Beispielen wird zuerst die Hauptsatz-Nebensatz-Konstruktion genannt, aus der zwei einfache Sätze mit Doppelpunkt gemacht wurden: • Dem Vorstand war klar, dass die Firma weitere Mitarbeiter einstellen muss. Dem Vorstand war klar: Die Firma muss weitere Mitarbeiter einstellen. • Alle Zuhörer wussten, dass diese Rede in der Bedeutungslosigkeit versinken wird. Alle Zuhörer wussten: Diese Rede wird in der Bedeutungslosigkeit versinken. Der Auszug aus einer Rede Horst Köhlers zeigt: Man kann mit Hilfe des „Doppelpunkt-Schreibens“ zu lange Satzkonstruktionen verhindern (Der Auszug zeigt, dass man …): Horst Köhler, 14.08.2006: „[…] Plötzlich war in unserem Land wieder sichtbar, was Teamgeist bedeuten und was Teamgeist bewirken kann. Man sagt ja so leicht: In einem Team müssen sich alle unterordnen, müssen sich alle auf ihren Platz stellen. (Man sagt ja so leicht, dass …) Aber das ist, wie wir gesehen haben, nur die halbe Wahrheit. Wahr ist nämlich auch: In
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einem Team, in einem guten Team, werden die Stärken des einzelnen noch stärker. (Wahr ist nämlich auch, dass …) In einem guten Team trägt der eine den andern, feuert der eine den andern an, wächst der einzelne über sich hinaus. […]“ (www.bundespraesident.de)
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einem Team, in einem guten Team, werden die Stärken des einzelnen noch stärker. (Wahr ist nämlich auch, dass …) In einem guten Team trägt der eine den andern, feuert der eine den andern an, wächst der einzelne über sich hinaus. […]“ (www.bundespraesident.de)
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9. Vom Mund zum Ohr zum Hirn
9.1 Was gute Texte auszeichnet ‚Es ist brütend heiß. Kannst Du das nicht wegräumen? Im Prinzip ist die Diagnose eindeutig, aber der Chefarzt will es noch mal versuchen. Wenn sie sagt, sie würde wollen, dann meint sie zweideutig, dass sie möchte, wenn sie nur könnte. Der Schaffner irrte sich, denn der Fahrschein war mitnichten abgelaufen.’ Wenn Sie jetzt denken: Hä? Was? Wie bitte? Was soll das?, dann denken Sie richtig. Hier haben wir Sätze, die zwar nacheinander geschrieben wurden, aber rein gar nichts miteinander zu tun haben. Es sei denn, die Leser bzw. Hörer verfügen über ganz viel Phantasie. (Im Krankenhaus am Rande der Sahara hinterlässt der Chefarzt nach der Visite auf dem Fußboden einen Haufen schmutziger Binden. Die Oberschwester, seine heimliche Geliebte, geifert den Chef an …) Das erste Kriterium für einen Text ist das Thema, das, worüber der Text etwas mitteilt. Alle Sätze haben etwas mit diesem zentralen Inhalt zu tun. Bei unserem Beispiel ist das offenbar nicht der Fall. Manchmal ist das Thema mit der Überschrift eines Vortrags oder einer Rede identisch oder fasst dieses prägnant zusammen. Das zweite Kriterium hängt wiederum eng mit dem Thema zusammen. Es geht um die Verbindungen zwischen den Wörtern einerseits und den Sätzen andererseits. Scheinbar selbstverständlich, bereitet dieser Punkt jedoch in der Praxis manchmal Schwierigkeiten. In einem Text werden Informationen einerseits an der sicht- und hörbaren Oberfläche dargeboten, also sprachlich ausgedrückt, andererseits befinden sie sich darunter, sie werden also nicht expliziert. Ein kleines Beispiel, das nur aus zwei Sätzen besteht, soll dies verdeutlichen:
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Der Redner hustet. Er muss den Satz neu beginnen. An der ausformulierten Oberfläche besteht eine Verbindung zwischen den beiden Subjekten und damit zwischen den beiden Sätzen. Im ersten Satz handelt es sich um den Redner, im zweiten verweisen wir durch die Ersatzform er wieder auf ihn und können uns darum sparen, noch einmal den Redner zu benennen. Unter dieser Oberfläche schlummert ein weiterer Zusammenhang, der sprachlich nicht ausgedrückt ist, die Begründung: ‚Der Redner muss neu beginnen, weil ihn der Husten unterbrochen hat.’ Diesen Zusammenhang kennen wir aufgrund unserer Erfahrungen, darum müssen wir ihn sprachlich nicht explizieren. Ansonsten lautete unser Mini-Text wie folgt: ‚Der Redner hustet. Wenn jemand hustet, ist es ihm unmöglich, gleichzeitig zu sprechen. Darum muss er den Satz neu beginnen.’ Das dritte Kriterium von Texten ist – neben dem einheitlichen Thema und den miteinander verbundenen und in Beziehung stehenden Informationen – die kommunikative Funktion. Wozu dient der Text? Welches Ziel verfolgt der Verfasser mit ihm? Was soll der Text bewirken? Bevor sich der Autor ans Werk macht, sollte er sich genau diese Funktion(en) überlegen, weil er sich im Laufe des Schreibens viel Arbeit erspart, wenn die Funktion(en) festgelegt ist (sind). Die kommunikative Funktion ist beim Schreiben so etwas wie eine Kontrollinstanz. Alles, was dieser Aufgabe nicht dient, können wir getrost ins Nirwana der unnützen Informationen entsenden. Das vierte Kriterium hängt wiederum eng mit den vorangegangenen zusammen. Wörter in einem Text, die eine Bedeutung tragen, beziehen sich auf einen Sachverhalt in der Realität. Redner bezieht sich in unserem Beispiel auf eine Person, husten und beginnen auf Handlungen, Satz auf eine Folge von Wörtern. Worauf bezieht sich er? Auf Redner. Bereits an unserem
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kleinen Beispiel lässt sich also erkennen, dass verschiedene Beziehungen innerhalb eines Textes bestehen (vgl. Brinker 1997: 12 ff.). Manche Wörter beziehen sich auf Sachverhalte außerhalb der Sprache (Redner, husten), andere wiederum auf Wörter im Text (er auf Redner). Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun aus diesen Erkenntnissen ziehen? Der Verfasser einer Rede oder eines Vortrags muss sich zum Ersten des Themas bewusst werden und es klar formulieren (auch wenn dies banal klingt – bei vielen Reden hat man den berechtigten Eindruck, dass dem Redner mitnichten klar ist, worüber er parliert). Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Anlass. Beide können übereinstimmen, müssen aber nicht. Der Anlass einer Rede kann zum Beispiel das fünfzigjährige Jubiläum einer Firma sein, als Themen sind jedoch folgende denkbar: • • • •
Das Verhältnis zwischen Innovation und Stagnation Chancen aus der Globalisierung Rolle des Betriebsrats bei der Entwicklung des Unternehmens Hierarchien innerhalb der Firma
Zum Zweiten ist das Thema bereits in der Phase der Vorbereitung und Materialsammlung die Kontrollinstanz. Brauchbar, nicht brauchbar, Töpfchen oder Kröpfchen. Zum Dritten muss der Autor immer wieder überprüfen, ob die Informationen unter der Oberfläche, also jene, die sprachlich nicht ausgedrückt sind, allen Zuhörern geläufig sind. Kennen alle Hörer die mitgedachten und nicht-genannten Voraussetzungen, damit sie das Gesprochene auch verstehen können? Ein Beispiel dazu. In einer Fernsehansprache gibt Michail Gorbatschow vierzehn Tage nach dem Unglück von Tschernobyl (1986) die Havarie zu. Nach einer kurzen Einleitung heißt es:
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„[…] Was ist eigentlich geschehen? Wie die Fachleute mitteilen, ist bei einer planmäßigen Abschaltung des vierten Blocks die Leistung des Reaktors plötzlich gestiegen. Das Austreten großer Mengen von Dampf und die daran anschließende Reaktion führten zur Bildung von Wasserstoff, dann zu dessen Explosion und schließlich zur Zerstörung des Reaktors und zu der damit verbundenen Emission von Radioaktivität. […]“ (Reden die die Welt bewegten o. J.: 643) Hier sind offenbar nicht alle Informationen allen Zuhörern bekannt. Block, Reaktor, Emission von Radioaktivität … Die Fakten und Zusammenhänge, die dahinter stehen, bedürfen eigentlich weiterführender Erklärungen, damit die Äußerungen des Redners verstanden werden können. Dass dies hier unterbleibt, hat natürlich eine Ursache: Die Zuhörer sollen gar nicht das wahre Ausmaß der Katastrophe erkennen. In allen anderen Fällen müssen Redner im Zweifelsfall die Informationen bereitstellen und unbekannte Fakten erklären. Zum Vierten muss der Autor wissen, welchem Zweck seine Rede oder sein Vortrag überhaupt dient. Will er Fakten darstellen, zum Handeln bewegen, aufrütteln, ermuntern oder verschleiern, wie im Beispiel Gorbatschow Texte bestehen also nicht nur aus Sätzen, die aneinandergereiht sind. Texte besitzen ein zentrales Thema und eine Funktion. Es bestehen zahlreiche Verbindungen und Beziehungen zwischen den Inhalten (ausgedrückte und unterschwellige). Der Autor muss sich demnach des Themas bewusst sein, sein Ziel kennen und sicherstellen, dass die Zuhörer alle Informationen kennen bzw. erhalten.
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9.2 Vom Schreib- zum Hörtext In allen Texten sind die Informationen miteinander verbunden, entweder sprachlich ausgedrückt oder unterschwellig. Weil die Sätze nacheinander gesprochen und gehört werden, müssen wir unsere zentralen Sachverhalte, um die es sich dreht, wiederholen, im einfachsten Fall mit ein und demselben Ausdruck: Der Redner hustet. Der Redner muss den Satz neu beginnen, damit den Redner alle Zuhörer verstehen. Das wiederum ist das Ziel des Redners, denn ansonsten müsste der Redner nicht reden. Weil den Zuhörern hier „der Redner“ bereits aus den Ohren hängt, sollten wir Ersatzformen verwenden: Der Redner hustet. Er muss den Satz neu beginnen, damit ihn alle Zuhörer verstehen. Das wiederum ist das Ziel des Referenten, denn ansonsten müsste er nicht reden. Wir haben den Ausgangsbegriff, mit dem wir uns auf einen Sachverhalt beziehen (Redner), Pronomen, mit denen wir auf den Begriff verweisen (er, ihn) und das Synonym (Referent). Diese sprachlich ausgedrückten Verbindungen und Verweise geben den Hörern immer wieder Hinweise. Um nun möglichst von allen Zuhörern verstanden zu werden, müssen gesprochene Texte mehr Verbindungen schaffen, mehr wiederholen, mehr erklären, denn die Zuhörer können nicht „zurückhören“. Lieber einmal mehr den Begriff oder einen Ersatzausdruck nennen, damit die Hörer bequem und vor allem sicher folgen können. Schritt für Schritt.
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a) Verbindungen schaffen ohne Waffen Damit die Zuhörer sofort wissen, worum es geht, müssen sie zuerst den Sachverhalt eindeutig hören, in unserem Beispiel das Wort Redner. Erst anschließend können Redner Ersatzformen verwenden, weil dem Hörer nun klar ist, worauf diese verweisen, hier auf den Redner. Redner er ihn Referent er Ersatzformen wie er und ihn können jedoch ein Problem verursachen. Sie sind eigentlich inhaltsleer und „wirken lediglich als eine Suchanweisung“ (Linke/Nussbaumer/Portmann: 218). Wer ist mit er gemeint? Such zurück, Hasso! Aha: der Redner. Wen meinen wir mit ihn? Wieder den Redner. Und wer ist mit dem zweiten er gemeint? Der Referent. Weil sich in unserem Beispiel Referent bereits auf Redner bezieht, bezieht sich das letzte Pronomen er natürlich auch auf Redner. Wenn wir also den Begriff zuerst nennen und danach die Fürwörter, geht die Suche (positiv) nach hinten los, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Hörer sucht in seinem Arbeitsgedächtnis, worauf sich der Ersatzausdruck (er, ihn) bezieht. Demnach muss er den Referenzausdruck noch „im Ohr“ haben. Schematisch sieht das dann so aus: Redner er ihn Referent er Weil Pronomen also inhaltlich recht leer sind und nur im Zusammenhang mit dem Wort, auf das sie sich beziehen, einen Sinn ergeben, sollten wir vorsichtig mit ihnen umgehen. Wenn sie zu weit vom eigentlichen BezugsWort entfernt stehen oder wir zu viele von ihnen verwenden, weiß der Hörer am Ende nicht mehr, wer oder was mit den Ersatzformen eigentlich gemeint ist, worauf sie sich beziehen.
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Ein konstruiertes Negativ-Beispiel dazu: Das Telefon, welches im Arbeitszimmer stand, war bereits verstaubt. Daneben lagen Kugelschreiber, abgebrochene Bleistifte, ein Notizheft und der Rest von einem Radiergummi. Es schimmerte in einem leichten Blau-Ton. (Das Pronomen „es“ soll sich auf Telefon beziehen. Hier wäre aber auch der Bezug zu Notizheft möglich. Nun ist also nicht unmissverständlich klar, was in einem Blau-Ton schimmert.) Die Neurolinguistik hat untersucht, wie das Gehirn bei der Suche nach dem Referenzausdruck zum Pronomen vorgeht. Die wichtigsten zwei Resultate lauten: Je näher die beiden zusammen stehen, umso einfacher und erfolgreicher. Wenn beide in unterschiedlichen Sätzen dieselbe grammatische Rolle einnehmen, wird die Suche zusätzlich erleichtert (vgl. Müller/ Rickheit 2003: 21 ff.). Zwei Beispiele dazu: • Das Brot liegt auf dem Küchentisch. Es ist noch warm und überaus verlockend. (Das Pronomen es bezieht sich auf Brot. Beide Worte bilden in ihren jeweiligen Sätzen das Subjekt an erster Stelle.) • Das Brot liegt auf dem Küchentisch. Dieser ist bereits mit Krümeln übersäht. (Das Pronomen dieser bezieht sich auf Küchentisch. Es nimmt zwar eine andere grammatische Rolle ein als das Bezugswort, steht aber ganz dicht bei ihm, sodass der Hörer kein Problem hat, beide aufeinander zu beziehen.) Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die maximal fünf bis sieben Infos, die der Hörer im Arbeitsgedächtnis behalten kann. Bevor er also die Übersicht verliert, geben wir ihm (Hä? Wer ist mit ihm gemeint? Entschuldigung, dem Hörer) neues Futter und verwenden das Wort oder einen Ersatz. Neben Synonymen gibt es verschiedene andere Möglichkeiten: Oberbegriffe, Unterbegriffe, Umschreibungen, Vergleiche, Metaphern.
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b) Sprachlich ausgedrückte Textverknüpfung Mit Pronomen, Synonymen und anderen Ersatzausdrücken beziehen wir uns auf ein Wort und auf den damit sprachlich ausgedrückten Sachverhalt. Um das Verstehen zu erleichtern, sollte der Sprecher aber auch auf den Text und seine Abschnitte selbst verweisen. Dafür gibt es eine Reihe sprachlicher Standardformeln, zum Beispiel: wie folgt, im Folgenden, wie oben besprochen, wie ich bereits vorhin ausgeführt habe, unter Punkt vier, möchte ich nun zusammenfassen … Bewährt hat sich auch die Aufzählung (1., 2., 3. …). Hier sollte der Redner aber am Anfang auf die Anzahl der folgenden Gliederungspunkte verweisen. All diese Verweise machen dem Hörer klar, an welcher Stelle des Textes er sich befindet. Damit wiederum verstärkt sich bei ihm das Gefühl, an jeder Stelle sicher und souverän folgen zu können. c) Erklären, erläutern, definieren, darlegen, entfalten, ausmalen Wenn wir gezwungen sind, Abstrakta oder Termini zu verwenden, müssen wir erklären, um einen möglichst einheitlichen Wissensstand bei den Zuhörern zu erreichen. Erst recht ist das bei Vorträgen notwendig, wenn ein Fachleut zu Laien spricht. Darüber hinaus liefern Erklärungen immer zusätzliche Informationen über einen Sachverhalt. Dies wiederum kommt unserer Absicht entgegen, das Verstehen in unserem Sinne zu lenken und Missverständnisse weitgehend auszuschließen: John F. Kennedy, 10.06.1963, Washington: „[…] Welche Art von Frieden meine ich? Nach welcher Art von Frieden streben wir? Nicht nach einer Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. Nicht nach dem Frieden des Grabes oder der Sicherheit der Sklaven. Ich spreche hier von dem echten Frieden – jenem Frieden, der das Leben auf Erden lebenswert macht, jenem Frieden, der Menschen und Nationen befähigt, zu wachsen und zu hoffen und ein besseres Leben für ihre Kinder
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aufzubauen, nicht nur ein Friede für Amerikaner, sondern ein Friede für alle Menschen. Nicht nur Frieden in unserer Generation, sondern Frieden für alle Zeiten. […]“ (Reden die die Welt bewegten o. J.: 577) Kennedy nennt hier nicht nur verschiedene Aspekte, die den Begriff Frieden betreffen, er wendet zusätzlich einen besonderen Trick an. Indem er mit Negationen beginnt, zeigt er zum Einen, dass er um die verschiedenen Bedeutungen bzw. Nuancen weiß. Zum Anderen führt er einen „inneren Dialog“ mit den Hörern, was wiederum die Aufmerksamkeit erhöhen dürfte. Im zweiten Beispiel wird eine gemeinsame Basis des Verstehens geschaffen, indem der Begriff erklärt wird. Zugleich gibt es am Ende eine Schlussfolgerung, damit alle auf einem nun einheitlichen Wissensstand weiterdenken können. Jens Kegel, aus einem Vortrag: „[…] Zuvor müssen wir jedoch den Begriff Macht aus zwei Gründen näher beleuchten. Der erste Grund: Macht ist ein Abstraktum. Und abstrakte Begriffe haben leider die unangenehme Eigenschaft, vage und schwammig zu sein. Der zweite Grund: Macht wird mal neutral, mal positiv, mal negativ verwendet. Was also heißt überhaupt Macht? Im Deutschen Wörterbuch von Hermann Paul, dem maßgeblichen der Linguisten, ist Macht wie folgt umschrieben: ‚wirkende Kraft’ und ‚überlegene Stärke, Herrschaft.’ Für die Soziologen ist Macht dann gegeben, wenn eine Person oder Institution A bei einer Person B Erlebnisse oder ein bestimmtes Verhalten hervorruft. Diese Erlebnisse oder Verhaltensweisen stehen im Widerspruch zu den anderen Vorstellungen der Person B. Und darum bewirken sie auch Druck und unangenehme Gefühle. Macht wendet sich also gegen die Interessen des Betroffenen. […]“
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Wenn Vortragende den zentralen Begriff (der oft etwas mit dem Thema zu tun hat) erklären, verschiedene Aspekte darlegen und/oder Unterpunkte erläutern, schaffen sie eine einheitliche Wissensbasis und steuern das Verstehen.
9.3 Es werde spannend Wenn ein Text zuerst den Begriff nennt (bei Kennedy Frieden), weiß der Hörer, worum es sich handelt. Es geht aber auch anders, zuerst die Pronomen. Hier der Beginn einer Rede vor einem Sportclub: „Liebe Sportfreunde, ich muss euch enttäuschen. Er kommt heute nicht. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn wenn er käme, käme keiner mehr durch. Überall hätten sich Scharfschützen postiert. Über uns würden Hubschrauber kreisen und man könnte sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Und vielleicht dürften wir nicht einmal ein Bierchen trinken. Letzten Endes also ist es gut, dass er abgesagt hat und weiterhin Terroristen jagt. Jetzt denkt ihr vermutlich: Von wem, um alles in der Welt, redet der? Von Schäuble. Wolfgang Schäuble. Denn der ist nicht nur Bundesinnenminister, sondern in dieser Funktion auch für den Sport zuständig. Ein Sportminister sozusagen. […]“ Am Beginn dieses Textes steht im ersten Satz das Verb enttäuschen. Es setzt voraus, dass der Redner die Hoffnungen und Wünsche seiner Hörer kennt; der Satz impliziert also: ‚Leute, ich weiß, was in euch vorgeht.’ Anschließend verwendet der Redner drei Mal eine Proform (er), die auf etwas verweist, was die Hörer noch gar nicht kennen. Die Suche nach dem Objekt, auf das sich er bezieht, muss demnach ins Leere gehen (Wer ist mit er gemeint?). Zusätzlich zeichnet der Redner mit kleinen Strichen ein Bild, das sofort Assoziationen wecken muss: Scharfschützen postieren,
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Hubschrauber kreisen, eigenes Wort nicht mehr verstehen. Der Höhepunkt aber ist die potenzielle Drohung: kein Bier. Die Auflösung folgt nach der Formulierung einer Frage, die wiederholt zeigt: ‚Ich weiß, was ihr jetzt denkt.’ Wenn ein Redner zuerst Proformen verwendet und erst später den eigentlichen Begriff, auf den sich diese beziehen, erhöht er dadurch die Spannung. Dieses Mittel wird von vielen Schriftstellern verwendet, ist für Reden, Vorträge und andere öffentlichen Monologe aber nur bedingt zu empfehlen. Es eignet sich für den Einstieg einer Rede und wenn Zuhörer und Redner einander gut kennen. Im Gegensatz zur Verwendung in literarischer Prosa darf es aber nicht überstrapaziert werden, mit anderen Worten: Nach wenigen Proformen muss das Wort genannt werden, auf das sich die Ersatzbegriffe beziehen.
9.4 Dialogische Monologe erzeugen Reden, Vorträge und Präsentationen sind auch darum häufig langweilig und ermüdend, weil nur einer redet. Die anderen müssen (scheinbar nur) zuhören. Im Gegensatz dazu sind Zuhörer bei einem Gespräch Auge in Auge viel aufmerksamer, eben weil ihnen bewusst ist, dass sie antworten werden. Im Vergleich zu monologischen Kommunikationsformen sind Gespräche historisch gesehen älter und wichtiger für die zwischenmenschliche Kommunikation. Bevor der erste Redner das Podium bestieg (vermutlich einen Baumstamm oder Felsvorsprung), haben unzählige Menschen miteinander gesprochen, gesabbelt, geplaudert und geschwatzt. Auch heute bildet das Gespräch quantitativ den Schwerpunkt, Monologe sind die Ausnahme. Hinzu kommt, dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben, in der
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Meinungsvielfalt die Regel ist. Wer also zu Hause, im Büro, im Café und andernorts munter daherplappert, sieht sich als Hörer eines Monologs in eine Situation gedrängt, die mehrfach unangenehm, weil ungewohnt ist. Sie widerspricht seiner täglichen Erfahrung, die von Rede und Gegenrede geprägt ist. Hier muss der Zuhörer – salopp gesprochen – die Klappe halten. Er kann nicht antworten, seine Meinung kundtun und schon gar nicht widersprechen. Eine Ausnahme bilden die Zwischenrufe, zum Beispiel im Parlament, die wir hier ausklammern. Allein deshalb sollten Redner eine Brücke schlagen und die Zuhörer am „Gespräch“ beteiligen. Aus einem Monolog, bei dem die Zuhörer „nur“ zuhören und verarbeiten, müssen wir also einen Monolog machen, bei dem sie zumindest innerlich „mitreden“ können (bei einem vorzutragenden Text wäre in diesem Satz das Pronomen sie schon fast zu weit entfernt vom Bezugswort Zuhörer). Damit dies gelingen kann, sehen wir uns zuerst die Besonderheiten von Gesprächen an, um daraus entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. a) Besonderheiten von Gesprächen Gespräche werden nicht im luftleeren Raum geführt. Sie finden an einem Ort, zu einer bestimmten Zeit, mit ganz konkreten Teilnehmern statt. Im Idealfall sind die Gesprächspartner gleichberechtigt und partnerorientiert, was sich schon in der quantitativ ähnlichen Verteilung der Redebeiträge ausdrückt. Die Partner zielen auf das Gegenüber, dessen Zustimmung und Meinung. Wer seinen Gesprächsteil monologisch führt, wird zu Recht als arrogant oder egoistisch eingeschätzt. Der Partner seinerseits verliert rasch das Interesse an einem Gedankenaustausch und wendet sich ab. Dabei wechselt die Funktion ständig. Der Sprecher wird zum Hörer und der Hörer zum Sprecher. Die Initiative zum Wechsel kann sowohl vom Sprecher als auch vom Hörer ausgehen. Es kommt nur darauf an, dass das jeweilige Signal dazu, ob verbal oder nonverbal, eindeutig ist. Im Gegensatz zum
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Monolog haben nonverbale Elemente großen Einfluss auf den Verlauf der Kommunikations-Handlung, weil wir den Partner und seine Reaktionen sehen und hören können. Ein verbreiteter Trugschluss ist, dass der jeweilige Hörer weniger aktiv handelt als der Sprecher. Er muss zuhören, das Gesagte verarbeiten, seine Antworten vorbereiten und den Moment erfassen, an dem dies möglich ist. Zugleich sendet er verschiedene Signale an den Sprecher, damit dieser wiederum erkennt: Der Hörer hört mir zu, er versteht mich, er ist aktiv, er möchte jetzt etwas beisteuern. „Wird zu wenig Aufmerksamkeit signalisiert, führt das zur Verunsicherung des Sprechers und hat entsprechende Folgen (vermehrte rhetorische Bemühungen, Nachfragen …)“ (Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 269). Nach Schwitalla (2006: 33) hat die Analyse von Gesprächen gezeigt, dass „Miteinander-Sprechen eine auf subtile und meist unbewusste Weise koordinierte Tätigkeit mehrere Beteiligter ist (‚joint production’)“. Wenn uns in einer auf Dialog angelegten Kommunikations-Situation nun das Rederecht entzogen wird, indem unser Gegenüber zum Beispiel redet ohne Luft zu holen, ist uns das nicht nur unangenehm, sondern kann unerträglich werden. Andererseits dient ein Dialog dazu, Meinungen auszutauschen, was sich auch in verschiedenen Handlungen zeigt (widersprechen, einwenden, korrigieren, bestätigen, zusammenfassen, präzisieren …). Sprecher deuten dabei an, dass und was sie zum Gespräch beitragen möchten. Sie kündigen an, was sie darlegen wollen und welche Bedeutung dies für das Gespräch in der Summe hat. Sprecher reden also nicht nur drauflos, sondern verwenden eine Reihe von Mitteln, um das Gespräch zu lenken (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 261 ff.; Schwitalla 2006: 22 ff.).
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b) Monologe dialogisch anreichern Das Ziel eines Redners besteht zuerst einmal darin, die Hörer zum aktiven Handeln zu bewegen. Nur wenn sie mitdenken, zustimmen, ablehnen, protestieren, verstehen – kurz, handeln – kann der Redner sein übergeordnetes Ziel erreichen. Dazu wiederum kann er verschiedene Mittel des mündlichen Gesprächs, des Dialogs, in seiner Rede verwenden:
1. Fragen stellen Wer fragt, führt. Wer fragt, steuert das Denken, Mitdenken, die Antworten. Wer fragt, zeigt Interesse an einer Aussage des Gesprächspartners. Wer fragt, gibt seinem Gegenüber die Chance zu parlieren, zu brillieren, sein Wissen auszubreiten, denn Fragen sind eine besondere Form der Aufforderung. Der Sprecher hat eine Wissenslücke und fordert den Hörer auf, dass dieser die Lücke füllt. Ob es sich um ein wirkliches Wissensdefizit handelt oder nicht, ist erst einmal uninteressant. Ordnet man die Fragen nach inhaltlichen Aspekten, dann gruppiert man gewöhnlich in Entscheidungsfragen (Willst Du das?), Ergänzungsfragen (Wo hast Du das Buch versteckt?) und Alternativfragen (Möchtest Du das Buch lesen oder die Zeitung?). Darüber hinaus gibt es aber noch weit mehr Fragetypen (vgl. Burkhardt 1986: 25 ff.). Von all diesen betrachten wir lediglich jene, die uns helfen, einen Monolog zu dialogisieren. Große Vorsicht ist bei allen Fragen angebracht, die nur mit „Ja!“ oder „Nein!“ zu beantworten sind. Gerade in lockeren Kommunikations-Situationen – wie zum Beispiel in einem Bierzelt – verführen die Entscheidungsfragen manchen Zuhörer zum gegenteiligen Antworten, was den Redner ganz schnell aus der Bahn werfen kann: Sind Sie der Meinung, dass die Autobahntrasse denn unbedingt neben der KITA entlangführen muss? Ja.
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Für Monologe besonders geeignet sind Fragen nach der Methode Sokrates’, der Erkenntnisse nicht vorgab und darum auf Belehrung des Lernenden aus Sicht des Lehrers abzielte, sondern seinen Dialogpartner dabei unterstützte, die Antworten selbst zu finden. Die Pädagogik weiß, dass Erkenntnisse, die von Schülern selbst gefunden werden – ob unter Anleitung oder ohne – stabiler sind und langfristig gespeichert werden. Zugleich ist bekannt, dass schrittweise Erkenntnis, der ein Problem vorausgeht, weitaus motivierender ist, als wenn die Resultate vorgegeben werden. Hierbei geht der Fragende stufenweise aufwärts und sichert auf jeder Stufe die höhere Erkenntnis. Entscheidend bei diesem Vorgang ist, das Problem hörerorientiert zu formulieren. Wie ging nun Sokrates vor? Im ersten Schritt bringt er seinen Gesprächspartner dazu, einen Gegenstand oder Sachverhalt zu definieren. Dies korreliert mit dem ersten Schritt in der Alltagsargumentation, denn hier stellen wir ja auch zuerst eine Behauptung auf. Im zweiten Schritt stellt Sokrates Fragen zu dieser Definition, die der Gesprächspartner beantwortet. Dieses Spiel wird so lange getrieben, bis eine Antwort vorliegt, die Sokrates genügt. Für Reden, Präsentationen oder Vorträge müssen wir dieses Vorgehen etwas verändern, weil die Zuhörer in der Regel nichts sagen. Darum nimmt der Redner beide Positionen ein. Er definiert, stellt Fragen, antwortet, stellt Fragen: Jens Kegel, aus einem Vortrag, : „[…] Was aber ist eine Marke? Auf den ersten Blick ein Produkt, das man kennt: Mars-Riegel, Levi’s-Jeans, NIVEACreme. Ist es aber wirklich die Creme in der Schachtel? Wenn wir sie ohne Schachtel sehen, ist sie eine Creme wie andere auch: weiß, etwas unangenehm in der Konsistenz. Die Levi’s allein ist lediglich ein blaues Stück Stoff aus grober Baumwolle, Mars ein nackter Schokoriegel. Kommt also der Name hinzu: NIVEA, Levi’s, Mars. Eine Marke besteht also aus einem Produkt, wel-
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ches wir kennen, dem Markennamen und – im Falle der Creme – einer roten Schachtel. Rot? […]“ Die für Monologe wichtigste Frage ist die rhetorische. Es handelt sich hier eigentlich um eine Aussage in Frageform, die auf Zustimmung durch den Hörer zielt (vgl. Burkhardt 2003: 385). In den folgenden Beispielen wird die (mitgedachte) Antwort der Hörer in Klammern gesetzt: Johannes Rau, 03.05.2002: „Haben wir uns nicht zu sehr daran gewöhnt, dass Gewalt, Hass und Hemmungslosigkeit nicht nur im Film und in Computerspielen selbstverständlich sind, sondern dass sie auch manche Talkshow und manche unserer Gespräche bestimmen?“ (Ja, wir haben uns daran gewöhnt.) (www.bundespraesident.de) Roman Herzog, 26.04.1997: „Wäre es nicht ein Ziel, eine Gesellschaft der Selbständigkeit anzustreben, in der der Einzelne mehr Verantwortung für sich und andere trägt, und in der er das nicht als Last, sondern als Chance begreift?“ (Ja, das wäre ein Ziel.) […] Ist es wirklich ein Naturgesetz, dass man in Deutschland bis zu 19 Behörden fragen muss, wenn man einen Produktionsbetrieb errichten will, obwohl der neue Arbeitsplätze schafft?“ (Nein, das ist kein Naturgesetz.) (www.bundespraesident.de) Wichtig ist bei allen rhetorischen Fragen, dass der Sprecher sie klar als solche kennzeichnet. Ansonsten kann es geschehen, dass die Zuhörer die rhetorischen als wörtliche missverstehen oder, wie 1988 bei einer Gedenkrede des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger, nicht genügend deutlich wird, dass die Inhalte der Fragen nicht der Meinung des Redners entsprechen. Jenninger hatte nur einmal – und nur durch einen Einschub – darauf hingewiesen, dass die Aussagen der nachfolgenden rhetorischen Fragen nicht seiner eigenen Anschauung entsprechen:
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„Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt – so hieß es damals – die ihnen nicht zukam? Mußten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden? Und vor allem: Entsprach die Propaganda – abgesehen von wilden, nicht ernstzunehmenden Übertreibungen – nicht doch in wesentlichen Punkten eigenen Mutmaßungen und Überzeugungen?“ (Jenninger o. J.) Aufgrund der nur einmaligen Kennzeichnung, dass Inhalte der Fragen nicht den Meinungen des Redners entsprechen – „so hieß es damals“ – löste die Rede Proteste aus, sodass Jenninger zurücktreten musste. Interessant ist, dass die Situation im Bundestag bereits zu Beginn der Rede angespannt war, weil einige Abgeordnete offenbar auf Konfrontation aus waren. Dies zeigt sich darin, dass – für eine Gedenkrede unüblich – bereits nach den ersten zwei Minuten der erste Zwischenruf kam. Abgeordnete verließen den Raum, Unruhe war zu spüren, sodass die Rezeptionsbedingungen extrem schlecht waren. Gerade in einer solchen Situation ist Eindeutigkeit oberstes Prinzip. Diese wiederum ist u. a. durch Wiederholungen jeglicher Art, vor allem aber durch unmissverständliche Formulierungen zu erzeugen.
2. Gedanken der Hörer aussprechen Weil in den meisten monologischen Redesituationen die Zuhörer schweigen, muss der Redner – zumindest partiell – auch den Part der Zuhörer übernehmen. Weil jedoch niemand genau wissen kann, was die Zuhörer denken, muss die Wiedergabe der fremden Gedanken immer als Möglichkeit formuliert werden. Im Beispiel der bereits zitierten Sportrede formuliert der Redner: „Jetzt denkt ihr vermutlich …“ Andere Möglichkeiten bieten Synonyme: Sie denken vielleicht, möglicherweise erwidern Sie jetzt, eventuell gibt es jetzt Einwände wie die folgenden …
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Angela Merkel, Neujahrsansprache 2005: „Was kann man alles in einem Jahr erreichen? Es ist eine ganze Menge! Wie wäre es, wenn wir uns heute Abend das Ziel setzen, im kommenden Jahr überall noch ein wenig mehr als bisher zu vollbringen? Sie hat gut reden, wird jetzt vielleicht der eine oder andere sagen. Ihr geht es gut, sie hat in diesem Jahr doch einiges von dem erreicht, was ihr wichtig war. Aber mir? Wie soll es weitergehen nach dem Verlust meines Arbeitsplatzes? Wann finde ich endlich einen Ausbildungsplatz? Wie können wir die Pleite unseres Betriebes verhindern? Was wird aus mir und meiner Familie? Ich verstehe diese Fragen …“ (www.bundesregierung.de) Schematisch sieht der Beginn der Ansprache so aus: a) Offene Frage, die jeder Zuhörer für sich beantworten muss. Das Indefinitpronomen man zielt auf alle und jeden. b) Bereits im zweiten Satz wechselt die Rednerin zum „Inklusiven Wir“, das sowohl die Rednerin selbst als auch die Zuhörer einbezieht; zugleich erzeugt sie Widerspruch durch den Inhalt der Frage. Sagt ein Redner „wir“, dann bezieht er sich auf jeden Fall selbst mit ein. Wer noch dazu gehört, wird nur durch den Kontext klar; im Fall der Neujahrsansprache gehören alle Deutschen dazu, denn die Rede richtet sich an diese Gruppe (vgl. Burkhardt 2003: 406). c) Nun zählt die Rednerin nach Formulierung der Möglichkeit („… wird jetzt vielleicht der eine oder andere sagen …“) verschiedene potenzielle Einwände der Hörer auf. Um diese noch authentischer zu gestalten, hätte sie allerdings umgangssprachlicher formulieren müssen, denn ein Merkmal von Dialog ist nicht Hochsprache. (Umgangssprachlich denkt oder sagt niemand: „Verlust meines Arbeitsplatzes“, sondern: „… nun, wo ich meinen Job los bin.“)
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d) Nachdem die Kanzlerin die (potenziellen) Gedanken ihrer Zuhörer artikuliert hat, übernimmt sie im letzten Satz dieses Ausschnitts wieder die Rolle der Sprecherin.
3. Gezielt Widerspruch erzeugen Gut ist, wenn Zuhörer innerlich nicken. Wenn sie jedoch ständig nicken, nicken sie bald ein. Menschen werden hingegen munter, wenn man sie zum Widerspruch reizt. Dies kann natürlich in unseren Fällen nicht so weit gehen, dass die Zuhörer auf die Bänke steigen und mit Tomaten werfen. Kleine, gezielt eingesetzte Widersprüche, Ungereimtheiten, Unstimmigkeiten wecken den Widerspruchsgeist. • Aus einer Dankesrede: „[…] In dieser Situation geschieht es. Nichts. Nichts ändert sich, alles bleibt beim Alten. […]“ Der Widerspruch resultiert hier aus einer Enttäuschung. Zuerst wird das Pronomen es genannt, welches auf etwas referiert, was die Zuhörer noch nicht kennen. Unmittelbar im folgenden Satz erfahren die Zuhörer, dass es sich um „nichts“ handelt. Wichtig ist hier, dass der Redner auch phonetisch diese Spannung aufbaut, indem er zwischen „es“ und „nichts“ ausreichend Zeit lässt. • Beginn einer Rede: „Wir schreiben das Jahr 30.367 vor Christus.“ Woher, zum Teufel, weiß der, was im Jahr 30.367 vor Christus los war? • Aus einer Hochzeitsrede: „[…] Pünktlich zum Frühstück erscheint er 6 Uhr 15 auf der Bildfläche des Lebens und betrachtet diese mit zwei Scheinwerfern. Nicht mit zwei Augen, nein, nein. Andere Kinder haben Augen, der männliche Gegensatz unserer Braut kommt mit zwei Scheinwerfern auf die Welt. Darum ist einige Zeit später sein erstes Wort auch nicht Papa oder Mama, sondern … Auto.“
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Widersprüche oder Scheinwidersprüche sind überall zu finden. Sie resultieren aus dem Inhalt des Monologs selbst, aus der möglichen Haltung der meisten Zuhörer dazu, aus gesellschaftlichen Umständen, aus der Tageszeit oder einfach aus dem Widerspruch zwischen Vortrag und Ort. Wer zum Beispiel in einer ehemaligen Kirche spricht, die zu einem Veranstaltungssaal umgebaut wurde, hat mehrere Möglichkeiten, sich darauf zu beziehen: Textsorte Predigt, Vollzugsort für religiöse Riten, Haltung der Zuhörer, Gemeinschaft der Gläubigen … Wer generell mit Widersprüchen arbeitet, hat mehrere Vorteile auf seiner Seite. Zuhörer sind aufmerksamer und denken mit. Widersprüche bilden zudem eine hervorragende Quelle für Sprachspielereien (rhetorische oder andere Fragen, Neuschöpfungen, Antithesen, Paradoxien …), zugleich kann man den gesamten Text nach ihnen strukturieren (einerseits, andererseits). Zu beachten ist aber, dass Widersprüche nicht aufgesetzt wirken dürfen, sie müssen nach Möglichkeit dem Thema entnommen sein. Vor allem aber, falls dies nicht aufgrund der offensichtlichen Übertreibung sowieso durch die Hörer geschieht, sind sie eindeutig aufzulösen.
4. Auffordern Erst seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte sich in der Linguistik die Erkenntnis durch, dass Menschen beim Sprechen nicht nur Informationen austauschen, sondern durch das Sprechen vor allem handeln. Jeder Äußerung können wir also eine Handlung zugrunde legen, auch wenn diese nicht direkt benannt wird. In den folgenden Äußerungen stehen mögliche Handlungen des Sprechers in Klammern: • „Ist es nicht an der Zeit, das Kind zur Schule zu bringen?“ (fragen, zweifeln, vorwerfen …)
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• „Hol den Wagen!“ (auffordern, befehlen …) • „Du rauchst.“ (feststellen, anklagen, vorwerfen, verhöhnen …) Welche Handlung nun durch die jeweilige Äußerung seitens des Sprechers vollzogen wird, legt er selbst nah, letzten Endes entscheidet aber der Hörer in einem ganz speziellen Kontext, als was er den Satz auffassen will: fragen, zweifeln oder vorwerfen, auffordern oder befehlen, feststellen oder anklagen oder … Dies trifft auf einzelne Sätze, Textabschnitte und auch ganze Texte zu. Ein Monolog kann also von den Hörern insgesamt als Information, Lob, Kritik oder als eine andere zentrale Handlung verstanden werden. Wenn Redner – direkt oder indirekt – die Zuhörer zu etwas auffordern, dann ist ihnen Mitarbeit in Form von Mitdenken sicher. Das Verb auffordern bedeutet heute in erster Linie „nachdrücklich bitten, etwas zu tun“ (Paul 2002: 102). Der Sprecher wünscht also, dass der Hörer seinerseits aktiv wird. Hierfür stehen ihm, wie bei anderen Handlungen auch, mindestens zwei grundsätzliche Möglichkeiten zur Verfügung: a) direkt auffordern: Roman Herzog, 27.04.1996: „[…] Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe auf zu mehr Selbstverantwortung. […]“ (www.bundespraesident. de) „Denken Sie bitte daran, wie das Unternehmen in diese Schieflage geraten ist.“ „Sehen Sie die ausgestellten Bilder nicht als Farbkleckse auf Pappe. Sehen Sie die Bilder als Hilfeschreie einer gepeinigten Seele.“ b) indirekt auffordern: Aus einer Festansprache: „[…] Dies, liebe Gäste, ist meine Theorie. Wenn Sie mehr und bessere Ideen haben, bin ich für Hinweise dankbar. […]“
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Die indirekte Aufforderung wird hier mit einer unterschwelligen Motivation verbunden, denn der Redner behauptet zugleich, dass es mehr und bessere Ideen geben muss. Roman Herzog, 27.04.1996: „[…] Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an, bei unserer Einstellung zu neuen Techniken, zu neuen Arbeits- und Ausbildungsformen, bei unserer Haltung zur Veränderung schlechthin […]“. Hier stellt Herzog nicht nur fest, sondern fordert – dies legt zumindest der Rest seiner Rede nah – zugleich auf, diesen Zustand zu ändern. (www. bundespraesident.de) Herzogs Rede ist auch darum berühmt geworden, weil sie an vielen Stellen nicht direkt auffordert, sondern vielfach indirekt. Durch die Verwendung des „Inklusiven Wir“ bezieht sich der Redner ständig in die Kritik und die daraus resultierende indirekte Aufforderung zum Nachdenken, zum Verändern, zum Aufbruch mit ein. Allein dies macht die Rede sehr lesenswert. Mehr Spielraum steht uns bei Vorträgen zur Verfügung. Nein, Verbalstil: Wir verfügen bei Vorträgen über mehr Spielraum. Hier können und sollten wir die Zuhörer in einen nicht nur fiktiven, sondern wirklichen Dialog einbeziehen. Besonders gut gelingt dies in relativ kleinen Runden bis zu hundert Zuhörern. Der Redner kann sich dabei von seinem Pult, das ihm auch als sichere „Burg“ dient, lösen, auf die Hörer zugehen und so den direkten räumlichen Kontakt suchen, der dann verbal hergestellt wird. In größeren Runden sollten Assistenten ein Mikrofon bereithalten, damit Äußerungen, Fragen, Kritik, Bemerkungen von allen verstanden werden. Dieses Vorgehen setzt natürlich voraus, dass der Vortragende sein Thema beherrscht und sich auch nicht von negativ gemeinten oder provokanten Bemerkungen aus der Ruhe bringen lässt. Zugleich muss er sicher sein, dass er möglichst rasch wieder zu seinem Thema zurückfindet. Wer jedoch – im wörtlichen Sinne – auf seine Hörer zugeht und sie schon während des
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Vortrags in Dialoge verwickelt, steigt in deren Achtung. (Ganz unter uns gesprochen: Ich habe dabei noch keinen offen vorgetragenen Widerspruch erlebt.)
9.5 Halbe Romane zwischen den Zeilen nutzen In totalitären Systemen wie dem Nationalsozialismus oder Stalinismus beherrschen Menschen die Fähigkeit, „zwischen den Zeilen“ zu lesen, besonders gut. Wenn Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast von einer „Krise, in der sich unsere Ostfront augenblicklich befindet“, spricht, dann wissen die Zuhörer: Krise ist in diesem Zusammenhang ein beschönigender Ausdruck, ein Euphemismus. Es muss etwas Schlimmes geschehen sein. Wenn Erich Honecker anlässlich des 40. Jahrestages der DDR, an dem die Demonstranten vor den „Palast der Republik“ marschieren, sagt: „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.“, dann wissen die Bürger: Diese beiden Tiere können sich noch so sehr anstrengen, sie haben keine Chance mehr. Die feststehende Wendung „zwischen den Zeilen“ meint ein Phänomen der Sprache, das unabhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang existiert. In jeder Äußerung steckt mehr als die Worte ausdrücken können. Um bereits einen ganz einfachen Satz zu verstehen, greifen Hörer auf verschiedene Wissensbestände zurück. Sehen wir uns ein Beispiel an: Im Apfel war der Wurm. Wenn der Hörer diesen Satz verstehen will, greift er auf folgendes Wissen zurück: Ein Apfel ist eine Frucht, die Menschen essen können. Würmer sind kleine Tierchen, die in Äpfel kriechen, was diesen wiederum – zumindest in Teilen – ungenießbar macht.
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Zum verstehensrelevanten Wissen gehören unter anderem folgende Kategorien: a) Alltagswissen: Was ist ein Apfel, wozu ist ein Bleistift da, ist es tagsüber hell oder dunkel … b) Handlungswissen: Was macht man beim Arzt, überreicht man Blumen mit den Stielen nach oben, schlägt man dem Gastgeber das Glas aus der Hand … c) Erfahrungswissen: Wie ging es mir nach der letzten Party, wie fühlt sich Heimweh an, habe ich Angst vor einer Spritze … (vgl. Linke/ Nussbaumer/Portmann 1996: 226 ff.). Der Hörer greift beim Verstehen also ständig auf sein Wissen zurück und setzt es mit dem Gehörten in Verbindung. Darum kann er auch verstehen, was der Redner nicht gesagt, aber gemeint hat. Wenn Hörer nun mehr „zwischen den Zeilen“ herauslesen, als der Redner wollte, liegt es unter Umständen am Redner selbst. Je mehr Interpretationsspielraum dieser lässt, je unbestimmter und mehrdeutiger er formuliert, umso unbestimmter verstehen die Hörer. Nicht jene sind also dafür verantwortlich, dass sie möglichst adäquat verstehen, sondern allein der Redner.
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10. Zitate ja, aber anders
10.1 „Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.“ (Tucholsky) Wenn eine Rede ansteht, bildet sich bei den meisten Rednern als Erstes Wasser in Form kleiner Perlen. Versetzt mit Mineralien nennt man dies gewöhnlich Schweiß. Als Zweites greift der Redner dann zum Zitatenlexikon, damit ihm aus diesem nach der Transpiration Inspiration erwachsen möge und er mithilfe fremder Worte seine eigenen untermauere. Ich bin kein Freund von Zitaten. Zumindest nicht, wenn sie in der üblichen Weise verwendet werden: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie schon Johann Wolfgang von sagte …“ Was ist ein Zitat? In dem hier verwendeten Sinn das in Worte gekleidete Gedankengut eines Bekannteren, dessen „Geistesblitz“ wir zum Beweis oder zur Stütze unserer eigenen Aussagen/Thesen/Argumente/Meinungen heranziehen. So verstanden und vorgetragen aber wirkt es kontraproduktiv. Sind wir etwa nicht selbst unserer Sprache mächtig, um das von uns Gemeinte auf den berühmten Punkt zu bringen? Der Text soll doch das positive Bild des Redners festigen, nicht das von Churchill, Schiller oder Boris Becker. Wenn wir den Monolog verwenden, um unser eigenes Image aufzubauen oder zu pflegen, dann sollten wir dem Versuch widerstehen, uns mit fremden Federn schmücken zu wollen, zumal dieses Vorgehen nicht ganz ohne Risiko ist und leicht durchschaut wird. Besser, wir finden selbst einen Satz, der im Idealfall so verfasst ist, dass Zeitungen ihn am nächsten Tag zitieren und in dessen Abglanz sich der Redner dann wohlig sonnen kann. (Testen Sie mal, ob diese Metapher nicht vielleicht eine Katachrese ist … vgl. Kapitel 6.). Wenn wir es nicht schaffen, die Inhalte plausibel zu kommunizieren, dann wirkt ein Zitat wie ein Hilfeschrei: ‚Bitte, lieber Zuhörer, glaube mir, Einstein hat doch Ähnliches gesagt.’
214 | Zitate ja, aber anders
Eine andere Gefahr, die Zitatebenutzer meist gar nicht sehen, möchte ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ausnahmsweise mit einem Zitat von Tucholsky verdeutlichen. Hmhm: „Sage mir, was du brauchst, und ich will dir dafür ein Nietzsche-Zitat besorgen … Für Deutschland und gegen Deutschland; für den Frieden und gegen den Frieden; für die Literatur und gegen die Literatur – was sie wollen.“ (Die Weltbühne 12.01.1932: 54) Zitate sind in Bezug auf ihren Inhalt in Worte gegossene Subjektivität. Sie bilden darum lediglich die Meinung eines Einzelnen ab. Und weil diese schwanken kann, hat das Zitat keinen großen Nutzen für uns. Wir kennen meist weder den Kontext der Äußerung noch die Entstehungsbedingungen. Diese sind aber das Minimum, um eine Aussage in ihrer vollen Tragweite und in der vom Autor wahrscheinlich gemeinten Bedeutung verstehen zu können. Die früher ernst gemeinte Frage „Was will der Dichter uns damit sagen?“ kann gar nicht beantwortet werden, zumindest nicht aus dem Text heraus. Werfen wir nun einen Blick in Karl Peltzers „Das treffende Zitat“, Stichwort Leben: • • • • • •
Schopenhauer: „Alles Leben ist Leiden.“ v. Liliencron: „Alles Leben ist Lüge.“ Voltaire: „Mein Leben ist ein Streit.“ Heine: „Das Leben ist eine Krankheit, die ganze Welt ist ein Lazarett!“ Euripides: „Bleibt doch das Leben allzeit der größte Schatz.“ Bodenstedt: „Das Leben ist ein Darlehen, keine Gabe.“ (Pelzer o. J.: 411 ff.)
Leben ist also Leiden, Lüge, Streit, Krankheit, ein Schatz und Darlehen. An dieser kleinen Auswahl, die gegensätzlicher nicht sein kann, erkennen wir zweierlei:
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1. Zitate sind subjektiv. 2. Viele Zitate sind Metaphern: Leben (Sachverhalt A) = Sachverhalt B. Für den Autor ist es nun ein leichtes, selbst Metaphern zu finden und sich daraus ein Zitat zu basteln. Leben ist Vorfreude, ein Karussell, eine Rakete, ein Kinderlachen, ein Sonnenstrahl, der Flügelschlag einer Libelle, das Lächeln der Geliebten, ein Schokoladen-Eis mit Eierlikör (mein Liebling), Aufwachen am Morgen … Das Schöne an Metaphern: Wir können die jeweilige verwenden und erzählerisch ausschmücken. Wenn Sie jetzt allerdings Ihr Zitaten-Lexikon in der Hand halten, um es in den Rundordner zu befördern, sollten Sie noch einen Moment innehalten – wir können es noch gut verwenden. Nicht unbedingt in der ihm vorbestimmten Form, sondern als Ideenlieferant. Denn falls Ihnen zu einem Thema, vor allem, wenn Sie schon mehrfach darüber gesprochen haben, nichts mehr einfallen sollte, schmökern Sie in Zitatenlexika. Wichtig: Tun Sie dies in entspannter Feierabend-Atmosphäre und jenseits des Arbeitsplatzes. Dann werden Sie Ihr Thema oder Teilproblem von einer anderen Seite beleuchtet sehen und vielleicht einen neuen Ansatz für Ihren eigenen Text finden.
10.2 Zitate kochen leicht gemacht Zitate sind in Bezug auf ihre Form meist eingedampfte Prosa, vom Autor auf den wesentlichen Kern reduziert. Nachgeborene glauben, dem ZitateGeber wäre just im Moment des Sprechens der denkwürdige Satz in eben jener geschliffenen Form durchs Hirn geeilt. Manchmal stimmt das, meist jedoch nicht. „Ich bin ein Berliner!“ – dieser auch wegen seiner einfachen syntaktischen Gestaltung so berühmt gewordene Satz Kennedys stammt aus der Feder seines Redenschreibers Theodore Sorensen. Noch kurz vor
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der Veranstaltung kritzelte der dem Präsidenten „Ish bin ein Bearleener“ auf einen Zettel. Wer die gesamte Rede liest, merkt, dass diese vier Wörter wie in einem Brennglas die Rede zusammenfassen. Ohne textlichen, situativen und historischen Zusammenhang wären die wenigen Wörter völlig missverständlich, wie die Geschichte der Rezeption dieses Zitates zeigt. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts machte in den USA mehrfach die – historisch falsche – Behauptung die Runde, die Folge von Kennedys Berlin-Satz wäre ein großes Gelächter bei den Zuhörern gewesen, denn diese hätten unter dem Begriff Berliner einen Pfannkuchen verstanden. Falsch ist diese Behauptung, weil zum Zeitpunkt der Rede die Berliner einen Pfannkuchen eben Pfannkuchen nannten. Was bleibt, ist das Zitat. Woher bekommen wir nun zitierfähige Sätze, wenn uns nicht zufällig Heerscharen von Musen knutschen? Wir dampfen sie nach einem bewährten Schema auf kleiner Flamme vorsichtig ein. Bevor Sie nun aber den Herd anwerfen, ein kleiner Test zur Auflockerung der Synapsen. Wer und/oder was fällt Ihnen zu folgenden Äußerungen ein? 1. „Mr. Gorbatschow, tear down this wall!” 2. „Ihr Völker der Welt …“ 3. „I have a dream.“ 4. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Beachten Sie bitte den Satzbau dieser Zitate, insbesondere das dritte. Martin Luther King hat eben nicht gesagt: „In meiner Funktion als Bürgerrechtler möchte ich vor diesem Auditorium einen Teil meiner Visionen, die sowohl verschiedene Rassen als auch unterschiedliche Religionsgemeinschaften einbezieht, darlegen.“ Nein, er sagte nur vier Wörter: „Ich habe einen Traum.“ Und diese vier Wörter wiederholt er in seiner Rede so oft,
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dass sie auch dem letzten Zuhörer eingehen mussten. Manch ein Deutschlehrer würde dies als Wiederholungsfehler anstreichen. Eine Bemerkung noch zum letzten Zitat. Viele Redner in Deutschland hätten ihrem Schreiberling mindestens den „Ruck“ gestrichen. ‚Zu gewöhnlich, zu einfach, meiner nicht würdig.’ Professor Dr. habil. Roman Herzog war das Wort „Ruck“ nicht zu gewöhnlich, denn es ist aufgrund seiner lautmalerischen Herkunft prima geeignet, um genau das auszudrücken, was der Redner sagen möchte. Im Zusammenhang mit nur fünf anderen Wörtern bildet es zudem die Gelegenheit, zitiert zu werden. Gegenbeispiel: Ein strammer preußischer Feldherr würde nach einer Schlacht, geflissentlich unter tunlichster Verwendung des bürokratischen Schreibstuben-Nominalstils (wie in diesem Satz) mit zusammengeknallten Hacken und ebenso militärischem Ton, melden: „Nach Erreichung der hiesigen Örtlichkeiten und Besichtigung derselben war mir die Erringung des Sieges möglich.“ Cäsar brauchte dafür weniger Worte: „Ich kam, sah, siegte.“ Welche Worte riefen die Montags-Demonstranten in Leipzig? ‚Die Menschen, welche sich nunmehr auf die Straße begeben haben, stellen in ihrer Gesamtheit jene Gruppe dar, die durch eine gemeinsame Geschichte entstanden ist und durch ideelle, kulturelle und andere Gemeinsamkeiten gekennzeichnet wird.’ Nein, sie riefen: „Wir sind das Volk.“ Es folgt, meine geneigten Leser, nunmehr das Rezept: Man nehme einen Satz mit dem gewünschten Inhalt und achte darauf, dass er die Botschaft der Rede enthält oder zuspitzt. Zur Geschmacksverstärkung werden neutrale Wörter durch ausdrucksstarke Synonyme ersetzt (der lautmalerische Ruck für die lahmarschige Bewegung). Anschließend entferne man mit einem spitzen Messer all jene Wörter, die nicht unbe-
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dingt notwendig sind. Das Ganze lasse man auf kleiner Flamme langsam köcheln, um die einzelnen Wörter miteinander zu verbinden. Zum Schluss das Konzentrat abseihen und mindestens eine Nacht stehen lassen. Vor dem Genuss prüfen, ob die Konsistenz des Jung-Zitates ausreicht, um sowohl in der Rede als auch mutterseelenallein im Presse-Dschungel bestehen zu können. Entscheidend: Hilft es, das Image des Redners zu stärken? Woher aber bekomme ich den Ausgangs-Satz zum Eindampfen? Viele Zitate sind ihrem Wesen nach einfach abgespeckte Behauptungen. Andere hingegen sind Vergleiche, Metaphern und rhetorische Figuren, wie zum Beispiel Antithesen: • „Die Natur macht keine Sprünge.“ (Behauptung, Linné) • „Flüchtig ist das Menschenleben wie der Schatten eines Vogels im Flug.“ (Vergleich, Talmud) • „Die Macht soll handeln und nicht reden.“ (Personifikation und Antithese, Goethe) • „Das höchste Recht ist das höchste Unrecht.“ (Paradoxon, Cicero) (Pelzer o. J.) Beispiel 1 Schritt eins – Behauptung aufstellen: Kritiker können selbst nicht schreiben, würden aber gern. Weil sie nicht können, be- und verurteilen sie die, die schreiben können. Schritt zwei – in einen Vergleich oder eine Metapher umformen: Kritiker sind Päpste der Literatur. Sie verurteilen jene, die schreiben können, weil sie es selbst nicht können. Schritt drei – eindampfen: Kritiker sind Päpste der Literatur. Sie verurteilen, weil sie selber nicht können.
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Beispiel 2 Schritt eins – Behauptung aufstellen: Wenn man vertraut, hofft man, dass sich ein Ereignis, das noch stattfinden wird, wie gewünscht ereignen wird. Schritt zwei – in einen Vergleich oder eine Metapher umformen: Vertrauen ist der positiv gefärbte Blick in die Zukunft auf ein Ereignis, das noch stattfinden wird. Schritt drei – eindampfen: Vertrauen ist der positiv gefärbte Blick in die Zukunft.
10.3 Zitate im Text Manchmal haben Zeit, eigene Kreativität oder Lust und Laune (Laune und Lust) etwas gegen das Suchen und Finden eines eigenen zitierfähigen Satzes. Manchmal gefallen dem Redner die Sätze aus fremder Feder einfach so gut, dass er sie zitieren muss. In diesen Fällen sollte er Folgendes beachten. Weil der Hörer die typografische Kennzeichnung der Zitate nicht sehen kann, muss der Redner andere Mittel wählen. Das in der Wissenschaft übliche „Ich zitiere …“ und „Zitat Ende“ kann man für Vorträge und Vorlesungen verwenden, wobei es auch hier ratsam ist, zu variieren. In jedem anders gearteten Text allerdings stört diese Zitierweise, weil sie einer anderen Stilebene angehört. Der Redner hat die Möglichkeit, die Hinweise auf das Zitat zu umschreiben: • • • •
Der olle Geheimrat Goethe wusste dies jedoch besser. Er behauptete: … … was Nietzsche dazu veranlasste, das Gegenteil zu konstatieren: … Hören wir, wie Seneca dies rechtfertigt: … Einstein, der Hobby-Geiger, musste dem zustimmen: …
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Unmittelbar vor dem Zitat nennt der Redner hier das Verb, welches seine Haltung zum Zitat ausdrückt. In unseren Beispielen sind dies behaupten, konstatieren, rechtfertigen, zustimmen. Behaupten impliziert, dass es auch andere Meinungen neben der folgenden gibt; konstatieren impliziert im Zusammenhang mit Gegenteil auch: fest davon überzeugt sein; rechtfertigen setzt eine Auseinandersetzung, also pro und contra, voraus, zustimmen jedoch eine gemeinsam vertretene Auffassung. Das oben beispielhaft vorgestellte Vorgehen integriert das entsprechende Zitat in den fortlaufenden Redetext, sowohl inhaltlich als auch formal. Zugleich bietet es dem Redner die Möglichkeit, Stellung zu beziehen und seine persönlichen Ansichten darzulegen. Das Ende des Zitats kann man ebenso kennzeichnen, ohne die Formel „Zitat Ende“ zu verwenden. Es kann sich der eigene Kommentar anschließen, eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt oder die Aufforderung an die Zuhörer, sich weiter damit zu beschäftigen: • Goethe meinte damit vielleicht … • Sie und ich, liebe Zuhörer, ahnen: … • Der römische Philosoph, übrigens ein Zeitgenosse Jesu, konnte damals natürlich nicht wissen … • Dieser Satz ist für mich … Zitierfähige Sätze bieten die Chance, die Meinung des Redners in den Medien unterzubringen. Voraussetzung dafür ist, dass die Journalisten auch genau den gewünschten Satz aufgreifen. Das Zitat muss also in möglichst knapper Form das Gemeinte verdichten, etwas zuspitzen, den Redner im Sinne seines Zielimages klar positionieren (evtl. im Gegensatz zur herrschenden Meinung) und nach Möglichkeit zweimal oder mehrfach im Text auftauchen.
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Ein Beispiel aus dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA (2008) zeigt, wie ständige Wiederholung wirkt. Der Satz Obamas „Yes we can“ wird nicht nur zum (eigentlich inhaltsleeren) Slogan im Sinne einer Werbekampagne, er wird sogar von verschiedenen Künstlern aufgegriffen und zum Beispiel zu einem Rap-Song der „Black Eyed Peas“ verarbeitet, der im Internet kursiert. Interessant ist auch, dass Obama mit diesem Satz prosodisch an Martin Luther King anknüpft, indem er seine Stimme jener des Kirchenmannes anpasst. Abschließend noch ein gelungenes Beispiel, wie man ein bekanntes Zitat in veränderter Form in den laufenden Text integrieren und auch den Abschluss des modifizierten Zitates kennzeichnen kann. Das Original-Zitat lautet: „Von der Stirne heiß Rinnen muß der Schweiß, Soll das Werk den Meister loben! Doch der Segen kommt von oben. […] Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise Im häuslichen Kreise […]“. Kulturstaatsministerin Weiss, 09.05.2005 zum Schillerjahr: „[…] Denn ich bin Politikerin, und Schiller ist gerade von der Politik in grotesker Weise vereinnahmt worden. Schon im 19. Jahrhundert nahm sich jeder aus dem Werk, was er brauchte: Die 48er-Demokraten verschworen sich in seinem Namen wie ihre Vorbilder auf dem Rütli. Und die braven Bürger wollten, dass das Werk den Meister lobt, der Schweiß heiß von der Stirn rinnt und drinnen die züchtigte Hausfrau waltet. 1859 war Schiller Hoffnungsfigur für alle, die auf die nationale Einigung drängten. […]“ (www.bundesregierung.de)
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11.1 Humor ist (k)eine ernste Sache Humor ist individuell und kulturell verschieden, er besitzt eine große Bandbreite und wird oft missverstanden. Trotzdem ist er immens wichtig, gerade in Redesituationen. Betrachten wir zunächst, was in den Körpern geschieht. Wenn Menschen lachen, dann hat dies positive Folgen. Sie atmen intensiver. Zugleich erhöht sich der Pulsschlag, die Muskeln entspannen sich und das Herz schlägt schneller. Im Endeffekt führen Lachende ihrem Körper also mehr Sauerstoff zu. Lachen stärkt zudem das Immunsystem und schützt dadurch langfristig vor Krankheiten, weshalb in der Regel Pessimisten leichter erkranken als Optimisten. Beim Lachen werden körpereigene Opioide (Endorphine) ausgeschüttet, die wiederum für Glückszustände und leichte Euphorie sorgen und die Stimmung generell positiv beeinflussen. Parallel nimmt die Zahl der Stresshormone im Blut ab, Spannungszustände lösen sich auf, Entspannung setzt ein. Dies bezieht sich sowohl auf den Körper als auch – im übertragenen Sinne – auf die Psyche. Bereits hier ist zu erkennen, wie bedeutsam Humor in einer Redesituation ist. Unterschiede gibt es – wie bei anderen Kommunikations-Situationen auch – zwischen Männern und Frauen. Während Männer gemäß ihrer Denkweise eher über Sachverhalte lachen, welche die rechte Hirnhemisphäre betreffen, lachen Frauen eher über solche der linken. Männer lachen über Dinge, welche auf Fakten, Daten, Schlussfolgerungen beruhen, Frauen eher über Beziehungen und Menschliches.
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Ein Experiment, welches mit Studenten durchgeführt wurde, zeigt, dass Humor noch weit mehr kann, als uns zu entspannen und für gute Laune zu sorgen. Studenten bekamen Streichhölzer, eine Kerze und eine Schachtel Reißzwecken. Mit diesen Utensilien sollten sie die Kerze so an einer Korkwand befestigen, dass kein Wachs heruntertropft. Eine Gruppe löste die Aufgabe dreimal häufiger erfolgreich und kreativer als eine andere. Warum? Sie hatte zuvor einen Comic-Film gesehen, die andere StudentenGruppe einen Film über Erziehung. Wer also besserer Laune ist, kann kreativer denken und darum auch handeln. Mit anderen, metaphorischen Worten: Der Geist lockert sich auf und wird durchlässig für ungewöhnliche Ideen (vgl. Rost 2001: S. 429). Im Zusammenhang mit einer Redesituation ist nicht zu unterschätzen, dass eine unsichtbare Barriere zwischen der Gruppe der Zuhörer und dem Redner als Einzelkämpfer besteht (vgl. Kapitel 2). Wenn Menschen gemeinsam lachen, bildet sich jedoch ein positives Gruppengefühl heraus, das den Redner mit einschließt. Mit den Worten der Soziologen: Der Redner wird Teil der in-group der Zuhörer, was eine nicht zu unterschätzende Basis für gelingende Argumentation ist. In Gruppen gewinnt Lachen darüber hinaus eine gewisse Eigendynamik, es pflanzt sich also fast von allein fort, was unter anderem dazu führt, dass rationale Überlegungen (und damit auch Gegenreaktionen) abgeschwächt werden. Dies wiederum kann der Redner nutzen. Vor allem US-Amerikaner wissen dies. Vor ihrer eigentlichen Rede oder am Beginn machen Sie einen Scherz, um Spannungen abzubauen, ein Wir-Gefühl und insgesamt eine positive Stimmung zu erzeugen. Barack Obama hat sich in seiner Berlin-Rede am 24. Juli 2008 gleich im zweiten Satz selbst leicht ironisiert: „Ich spreche zu Ihnen nicht als Kandidat, sondern als Bürger – ein stolzer Bürger der USA, und ein brüderlicher Weltbürger. Mir ist klar, dass ich nicht so aussehe wie die Amerikaner, die vor mir in dieser Stadt gesprochen haben. […]“
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Obama reagiert mit diesem einen Satz auf mehrere Sachverhalte gleichzeitig, die auch noch miteinander verbunden sind: Im Gegensatz zu Kennedy (sprach 1963 vor dem Schöneberger Rathaus) und Reagan (sprach 1987 vor dem Brandenburger Tor) ist er nicht weiß und (noch) kein Präsident. Im Vorfeld gab es in diesem Kontext heftige Auseinandersetzungen um den Ort der Rede. Ein schwarzer Präsidentschafts-Kandidat inszeniert sich also als Pop-Star vor der „Siegessäule“, die sowohl positiv (Sieg) als auch negativ (es geht um mehrere Kriege im 18. Jahrhundert) gesehen wird. Verstärkt wird die scherzhafte Bemerkung durch die „Fallhöhe“ zum ersten Satz, weil jener weltmännisch daherkommt und ein gewichtigeres Vokabular als der zweite verwendet. Lächeln, Schmunzeln oder Lachen können noch mehr. Wenn die Zuhörer gute Laune haben, nehmen sie Informationen leichter, schneller und insgesamt positiver auf. Im Normalfall bedeutet das: Die Botschaft des Redners ist eingängiger, wird schneller und vor allem dauerhafter verarbeitet. Im besonderen Fall heißt das aber auch: Der Redner kann Wahrheiten sagen, die er ansonsten den Hörern nicht zumuten würde (der Hofnarr besaß dieses Privileg) oder die er einfach verschweigen müsste: „Als Vorteile von Humor werden intellektuelle Stimulation und soziale Anerkennung genannt […] und daß er sich dazu eignet, Dinge zu sagen, die man nicht direkt aussprechen kann, ohne das Risiko einzugehen, als geschmacklos oder taktlos zu erscheinen […]. Dies gilt besonders für Tabubereiche wie gesetzliche Verbote und soziale Sanktionen“ (Koeppler 2000: 467). Die Volksweisheit „Mit Humor ist alles leichter zu ertragen“ trifft also voll und ganz zu. Die Frage ist nur, wie? Humor, egal in welcher Facette, funktioniert nach einem grundlegenden Prinzip. Am Anfang steht eine Situation, ein Fakt, eine Behauptung. Die Comedy-Industrie arbeitet hier bewusst mit Klischees, um eine Vielzahl
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von Assoziationen aufzurufen und möglichst alle Hörer auf eine Fährte zu locken. Anfangs werden die Erwartungen der Hörer auch bestätigt, im letzten Moment jedoch gebrochen. Dies kann dadurch geschehen, dass ein Nebenaspekt ins Zentrum gerückt oder eine unvermutete Lösung präsentiert wird. Sehen wir uns zwei Witze an: „Stolz sitzt der frisch ernannte Abteilungsleiter in seinem neu eingerichteten Büro. Als ein junger Mann sein Büro betritt, greift er zum Telefon: ‚Aber ja, Herr Direktor, wirklich ein reizender Abend gestern bei Ihnen, Herr Direktor, aber ja, bis dann.’ Er hängt wieder ein, wendet sich an den Besucher: ‚Was kann ich für Sie tun?’ ‚Nichts, ich will nur das Telefon anschließen!’“ „Ein Mann kommt in die Apotheke und fragt: ‚Haben Sie etwas Zucker?’ Der Apotheker geht nach hinten und kommt mit einem Beutel Zucker wieder. ‚Haben Sie vielleicht auch einen Löffel?’, fragt der Mann. Der Apotheker langt unter die Theke und holt einen Löffel hervor. Der Mann holt einen Löffel voll Zucker aus dem Beutel, zieht ein kleines Fläschchen aus der Tasche und träufelt vorsichtig zwanzig Tropfen auf den Zucker. ‚Probieren Sie doch mal’, sagt er zum Apotheker. Der probiert den beträufelten Zucker und fragt: ‚Und was soll das jetzt bedeuten?’ ‚Ach, nichts weiter, mein Arzt hat zu mir gesagt: Gehen Sie in die Apotheke und lassen Sie Ihren Urin auf Zucker testen.’“ In beiden Witzen wird gleich im ersten Satz eine typische Situation (script), die handelnden Personen und der Rahmen genannt (Büro, Abteilungsleiter bzw. Apotheke, Kunde). Bis zum letzten Satz wird die Handlung so beschrieben, dass der Hörer gedanklich auf dem üblichen Gleis der erwartbaren Handlungen bleibt. Erst im letzten Moment wird die Erwartung rapide und unerwartet gebrochen. Um im Bild zu bleiben: Kurz vor
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dem Prellbock wird der Redner auf ein anderes Gleis geleitet. Entscheidend ist, dass dies auch wirklich im letztmöglichen Moment geschieht. Diese Vorgehensweise können Redner nutzen, auch wenn nicht immer der Schenkelklopfer dabei herauskommt. In den meisten Fällen ist es sogar ratsam, wenn die Zuhörer lediglich schmunzeln oder lächeln, denn das Auditorium ist zumeist sehr inhomogen zusammengesetzt. Und manch einer versteht halt keinen Spaß. Roman Herzog, 08.07.1997: „[…] Einerseits kann der Bundespräsident, so wie unsere Verfassung sein Amt nun einmal ausgestaltet hat, wenn überhaupt, nur durch Reden politisch wirken. Andererseits müßte er aber, ebenfalls streng nach dem Grundgesetz, überhaupt keine einzige Rede halten, um seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen. Ich – um es nun in der ersten Person zu sagen – müßte weder hier, zum Jubiläum der Rhetorik in Tübingen, reden noch überhaupt irgendwo, und wäre trotzdem meinen Pflichten nicht untreu. Ich könnte – jetzt ganz extrem gesprochen – fünf Jahre im Schloß Bellevue oder in der Villa Hammerschmidt sitzen, Bundeskanzler, Minister und höhere Beamte ernennen, Botschafter empfangen, Gesetze unterzeichnen, Ordensverleihungen aussprechen, mich durch meinen Staatssekretär über die Kabinettsitzungen unterrichten lassen und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. […]“ (www.bundespraesident.de) Rede zum Ruhestand: „Meine Frau hat zu mir gesagt: Heute ist dein großer Tag, bind dir eine Krawatte um. Hab ich dann auch gemacht. (zeigt die Krawatte am Knie.) […]“ Hochzeitsrede: „Was kommt dabei raus, wenn sich Gegensätze anziehen? Zuerst einmal müssen sie sich ausziehen. Und dann kommt Marie. […]“
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Das nächste Beispiel stammt aus der Rede von Guido Westerwelle zur „Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst“ vom 19.01.2008. Es ist nur eines von vielen aus der Rede, die alle – gekonnt und sehr gut gemacht – aktuelle Politik zu Witzen verwursten. Auch hier wird deutlich, dass der Bruch des Erwartbaren erst im letztmöglichen Moment erfolgt: „Die Angela Merkel wollte eigentlich die Regierungsarbeit transparenter machen. Ihr Plan war: Die Koalitionsrunde wird ins Internet übertragen. Das hat Ursula von der Leyen nicht mitgemacht. Als Jugendministerin war sie entschieden gegen noch mehr Gewalt im Internet. […]“ (www.guido-westerwelle.de)
11.2 Ironie unter Vorbehalt Entsprechend allgemein anerkannter Definition ist Ironie dann gegeben, wenn das Gegenteil vom Gemeinten gesagt wird. Im Grunde wendet sich der Redner damit bewusst gegen die Forderung der Rhetorik nach Klarheit der Aussage (perspicuitas). Er widerspricht aber auch einer der von Grice aufgestellten Konversationsmaximen, welche dieser als Basis für kooperatives (sprachliches) Handeln postuliert hat. Sprecher sollen demnach ihre Inhalte in angemessener Art und Weise und möglichst klar und eindeutig ausdrücken (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 1996: 199). Warum also sollten Redner dann überhaupt ironisch reden, wenn sie damit gegen zwei Grundsätze für angemessenes und erfolgreiches Sprechen verstoßen? Weil ironisches Sprechen die Zuhörer aufgrund seines Wesens zum Mitdenken animiert, ja geradezu zwingt. Um dies zu garantieren, muss mindestens eins, besser, müssen mehrere Ironie-Signale vorhanden sein, damit die Zuhörer die Äußerung auch wirklich im gegenteiligen Sinne verstehen. Anders als bei Texten, die gelesen werden, gibt uns allein die
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Rede-Situation schon mehrere Möglichkeiten an die Hand, die das Verstehen des gegenteilig Gemeinten erleichtern. Ironie wird aus dem Kontext der Äußerung ersichtlich, aus der Diskrepanz zwischen dem Sprecher und dem Gesagten, aus dem Wissen der Zuhörer über die Hintergründe. Zugleich hat der Sprecher mehrere phonetische Möglichkeiten, Ironie als solche zu kennzeichnen: Tonhöhenverlauf, Tempo, Akzentuierung, Sprachfärbung, Lautstärke … Im Alltag ist Ironie meist dann anzutreffen, wenn drastischere Ausdrucksmittel oder Reaktionen vermieden werden sollen. Der Sohn kommt mit schmutziger Hose nach Hause. Die Reaktion der Mutter: „Du siehst ja wieder toll aus!“. In der Firma hat der Mitarbeiter vergessen, den Beamer zu besorgen. Die Reaktion des Chefs: „Na, dafür wird uns der Kunde aber lieben.“ Allein an diesen zwei Beispielen wird deutlich, wie wichtig die sogenannten Partikeln sind. Es handelt sich dabei um kleine Wörter, von denen der „Stil-Papst“ Ludwig Reiners behauptet, sie wimmeln wie „Läuse in dem Pelz unserer Sprache“ (Reiners 1991: 241 f.). Das Gegenteil ist richtig, denn Partikeln sind wichtig. Und was sich reimt, ist gut. Wörtchen wie ja, halt, eben, doch, freilich, schon … haben eine ganz besondere Aufgabe. Sie zeigen dem Hörer, welche Einstellung der Sprecher zum Satz hat. Im Fall des ironischen Sprechens stellen sie also ein wichtiges textinternes Mittel dar, damit der Hörer Ironie sicher als solche erkennt. Es macht eben (dieser Satz hat tendenziell ohne „eben“ auch eine andere Bedeutung) einen Unterschied, ob ich sage: „Dann mach ich es halt allein“. oder „Dann mach ich es allein“. Die Bedeutung für den Hörer ist eine andere, wenn der Satz lautet: „Geh zu deiner Mutter“ Oder „Geh doch zu deiner Mutter“. Bei der zweiten Variante sind Wut, Trauer und vielleicht verletzte Gefühle im Spiel, der erste ist neutral.
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Im Fall ironischen Sprechens denken Sie bitte an die vielen Partikeln. Auch sonst dürfen und sollten sie die kleinen Wörtchen immer verwenden, denn sie geben dem Text nicht nur zusätzliche Inhalte, sie offenbaren nicht nur die Einstellung des Sprechers zum Gesagten, sie verleihen unserem Text auch umgangssprachliche Züge. Und das ist es ja eben halt doch auch, was wir wollen: Nähe zur Umgangssprache, Positionierung des Sprechers, unterschwellige Inhalte. Guido Westerwelle, 24.11.2004: „[…] Sie (Bundeskanzler) offenbaren an dieser Stelle ein bemerkenswertes Selbstverständnis. Es erinnert ein wenig an den Absolutismus. Ludwig XIV. hat gerufen: ‚L’état c’est moi.’ Das bedeutet: Der Staat bin ich. Ich warte darauf, dass Sie sich jetzt eine gepuderte Perücke aufsetzen. […]“ (www.guido-westerwelle.de) Vorstand in seiner letzten Rede: „Ich hasse es, morgens liegen zu bleiben. Die schönen Dinge des Alltags werden mir fehlen: Handy, Computer, Termine, Meetings. Ja, auch die Nachtschichten. Ich werde sie schmerzlich vermissen, die Augenringe und Magenschmerzen, die Tage, an denen aber auch alles schief geht. Mit Steinen werde ich sie bewerfen, die zwitschernden Vögel in meinem Garten […].“ Ein letzter, aber wichtiger Hinweis noch zur Ironie. Unter Journalisten kursiert ein Satz, der Beachtung verdient: „Ironie verstehen Leser nie.“ Dieses Pauschal-Verdikt trifft für diese spezielle Kommunikations-Situation zu, weil die Journalisten a) ihre Leser nicht kennen, b) die Rezeptions-Situation nicht voraussehen und c) keine zusätzlichen para- und nonverbalen Ironiesignale senden können. Bei einer Rede ist die Situation anders. Der Redner weiß, wer vor ihm sitzt, er kennt die Situation und kann zusätzliche Signale senden, damit auch der letzte Zuhörer versteht: ‚Es ist das Gegenteil vom Gesagten gemeint.’ Wenn jedoch Zweifel daran aufkommen, dass Ironie von allen verstanden werden kann, oder der An-
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lass zu gewichtig ist, um ein Risiko einzugehen, sollte ironisches Sprechen sicherheitshalber unterbleiben. Zum hoffentlich glorreichen Abschluss eine komplette Rede Loriots aus dem Jahr 2000. Ihm wurde der „Deutsche Videopreis“ verliehen, worauf er in seiner ihm eigenen Art und Weise reagiert. Einige Kommentare in Klammern: „Moooment … Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Das Lachen im Hintergrund beweist, dass der Kontext, das Image des Redners und die Erwartungen der Zuhörer von großer Bedeutung sind. Die Zuhörer wissen: Hier kann nur etwas Lustiges kommen. Demnach betrachten einige Zuhörer bereits die völlig übliche Anrede ironisch und lachen.) Unser erster Dank gilt Herrn Dr. Karasek für seine Worte, die so angenehm zutreffend waren. (Ironie durch indirektes Eigen-Lob, was bei einem solchen Anlass nicht opportun erscheint) Dank auch der Jury des Deutschen Videopreises und allen, die aus Bescheidenheit nicht genannt sein möchten. Die Warner Home Video, unseren Produzenten, und vor allem: Unseren Eltern und Großeltern. (witzig einerseits, weil Loriot selbst jenseits der 70 ist, andererseits, weil das Nennen der nahen Verwandten Praxis bei Verleihung von Medienpreisen in den USA ist) Werfen wir einen Blick zurück und halten wir uns vor Augen, wie hilflos der Mensch noch bis vor wenigen Jahren vor einem Problem kapitulierte, das ihm teils das Gesetz, teils bürgerliches Brauchtum aufgebürdet hatte – die tägliche abendliche Freizeit. (Auflösung des Spannungsbogens am Ende des Satzes) Diese, nach getaner Arbeit einsetzende häusliche Haftstrafe erlaubte wahlweise zwei Blickrichtungen: auf das eingeschaltete Fernsehgerät oder auf den Lebensgefährten. Da beim Anblick des letzteren auf die Dauer eine gewisse Eintönigkeit nicht zu leugnen war, blieb nur das Fernsehprogramm,
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dessen zunehmender Qualitätsabfall die ratlosen Menschen scharenweise aus ihrer häuslichen Geborgenheit in die Kinos trieb. (Humor resultiert – wie so oft bei Loriot – aus der „Fallhöhe“ zwischen Inhalt und bürokratisch anmutendem Sprachstil) So werden wir denn heute belohnt mit einem nackten Mann, der ohne erkennbare Einnahme von Potenz steigernden Drogen immerhin eine VHS-Kassette zur Hochstrecke bringt. (Witz resultiert aus der nicht erwartbaren Beschreibung der Preis-Figur) Das wird uns Ansporn sein, uns nun dem neuesten Medium nicht länger zu verschließen, der DVD. Denn die DVD oder kurz, die Digital Versatile Disc, wie sich die Scheibe scherzhaft nennt, hat im Bereich von MPEG 1 und MPEG 2 Audio eine Sample-Frequenz von 48 KHz. Und die minimale Bitrate beider Systeme liegt bei 32 Kilobit pro Sekunde. Das Maximum beträgt bei MPEG 1 384 KBit pro Sekunde, bei MPEG 2 sogar 912. (Humor durch deplatziertes Nennen der technischen Daten, sowohl kontextuell als auch inhaltlich und in Bezug auf den Sprecher, zugleich Übertreibung) Wen das nicht überzeugt, dem ist einfach nicht zu helfen. Jedenfalls hat mir das mein Enkel gesagt. Guten Abend.“ (Loriot: 2005)
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