Schwarzes Gold und rote Locken
Sandra Marton
Romana 1129 – 20-2/96
gescannt von almutK korrigiert von briseis
PROLO...
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Schwarzes Gold und rote Locken
Sandra Marton
Romana 1129 – 20-2/96
gescannt von almutK korrigiert von briseis
PROLOG Es war Cade Landons achtundzwanzigster Geburtstag. Das Geschenk des Sultans von Dumai war vor wenigen Minuten geliefert worden. Ihr Name war Leilia, und ihre Schönheit konnte sich mit den Sternen am Himmel messen. Es hatte leise an Cades Tür geklopft, und als er öffnete, fühlte er sich schlagartig in eine Szene aus Tausendundeiner Nacht versetzt. Vor ihm verbeugten sich zwei Beduinen in wallenden Gewändern mit Flöte und Trommel, ein Knabe schwankte fast unter dem Gewicht eines silbernen Tabletts, das mit allen nur vorstellbaren Köstlichkeiten des Orients und einer Flasche Champagner beladen war. Im Hintergrund stand eine geheimnisvolle Gestalt, die von Kopf bis Fuß in Seide gehüllt war. Cades Verwirrung hielt nicht lange an. Ihm war die Ehre zuteil geworden, eine Suite auf der gleichen Etage zu beziehen, auf der auch der Sultan seine Privatgemächer hatte. Offensichtlich handelte es sich hier um einen Irrtum. Das Ensemble, das dem Sultan den Abend verschönen sollte, war versehentlich vor Cades Tür gelandet. Die Beduinen entboten ihm den traditionellen Gruß, indem sie mit der Hand Lippen und Stirn berührten, ehe sie sich tief vor ihm verbeugten. „Masa elkheyr, mein Gebieter", sagte der Mann mit der Flöte. „Guten Abend." Höflich erwiderte Cade die Geste. „Ich fürchte, es liegt ein Missverständnis vor." „Mein Gebieter?" Cade blickte auf die verhüllte Gestalt. Der Schleier hatte sich verschoben, dahinter funkelten zwei große, mit Kajal umrahmte Augen. Wie es scheint, wird der Sultan einen höchst angenehmen Abend verbringen, dachte Cade lächelnd. „Sie sind in der falschen Suite, mein Freund." Er deutete auf das entgegengesetzte Ende des eleganten Flurs, auf dessen prachtvollen Mosaiken sich das Licht kostbarer Kristallleuchter brach. „Die Räume des Sultans ..." „Sind Sie nicht Mylord Landon?" „Ich heiße Landon, ja, aber..." „Dann sind wir am richtigen Ort." Die kleine Truppe marschierte an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Der Knabe stellte das Tablett ab und entfernte sich unter tiefen Verbeugungen. Nur die Musiker und die verschleierte Gestalt blieben zurück. Ratlos fuhr Cade sich mit den Fingern durch das sonnengebleichte, hellbraune Haar. „Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber ..." Der Rest seines Satzes ging im Klang der Flöte und einem Trommelwirbel unter. Es dauerte eine Weile, ehe Cade erkannte, dass sich hinter den näselnden, ekstatischen Tönen die arabische Version von „Happy Birthday" verbarg. „Gütiger Himmel", flüsterte er, und plötzlich wurde die Musik sanft und sinnlich. Jetzt erwachte auch die mysteriöse Gestalt zum Leben. Sie trat einen Schritt vor und streifte Lage um Lage der in allen Farben des Regenbogens schillernden Seide ab, bis sie schließlich in ihrem eigentlichen Kostüm vor ihm stand. Sie trug eine ärmellose silberfarbene Weste, die unmittelbar unter ihren Brüsten endete, und eine lange weite Hose aus hauchdünnem Material, deren Gürtel gefährlich tief unter dem mit einem funkelnden Edelstein geschmückten Nabel saß. Ihr verführerisches Lächeln verhieß Cade den schönsten Geburtstag, den ein Mann sich nur wünschen konnte. „Ich heiße Leilia", schnurrte sie, „und bin Ihre Dienerin, mein Gebieter."
Anmutig umkreiste sie Cade und schwenkte ihre Hüften im Rhythmus der Musik. Winzige Glöckchen an ihren Fingern und Fesseln schellten, während sie tanzte. Ihr schimmerndes Haar fiel wie ein schwarzer Wasserfall über ihre goldbraune Haut. Der Trommelwirbel schwoll an, und die Bewegungen des Mädchen wurden provozierender. Sekundenlang beobachtete Cade sie, dann wandte er sich ab, öffnete die Champagnerflasche und schenkte sich ein Glas ein. Er trank einen Schluck. Was sollte er mit der Frau machen, wenn sie ihre Darbietung beendet hatte? Beinahe hätte er laut aufgelacht. Natürlich wusste er, was von ihm erwartet wurde. Sie war wunderschön und sehr sexy - und, davon war er überzeugt, überaus erfahren in der Kunst der Liebe. Doch Cade hatte noch nie eine Frau genommen, die für ihre Gunst bezahlt wurde, das hatte er nicht nötig. Frauen kamen freiwillig zu ihm. Vielleicht lag das an der gefährlichen Ausstrahlung, die von ihm auszugehen schien. Breite Schultern, ein durchtrainierter Körper, dunkelblaue Augen, die fast schwarz vor Leidenschaft oder Wut werden konnten, und eine etwas schiefe Nase, die bei einem Unfall auf den Ölfeldern gebrochen war - all das trug dazu bei, dass Männer Cade voller Respekt betrachteten und Frauen ihm sehnsüchtige Blicke zuwarfen. Was Frauen betraf, so hatte er seine eigenen Regeln. Ihm fehlte die Zeit für gefühlsmäßige Bindungen, sein Leben war viel zu ausgefüllt für derartigen Unsinn. Leilia streifte ihn leicht mit den Hüften, als sie an ihm vorbeischwebte. Sie hatte die Arme nach ihm ausgestreckt. Ihre Blicke trafen sich, sie schenkte Cade ein betörendes Lächeln. Zum Teufel, dachte er. Egal, wie der Abend auch endete, an diesen Geburtstag würde er sich noch lange erinnern. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu einer anderen Geburtstagsfeier, die sieben lange Jahre zurücklag. Cade war einundzwanzig geworden, und sein Vater hatte darauf bestanden, auf ihrer Ranch in Colorado eine Party zu geben. „Es wird das größte Fest, das die Leute je gesehen haben, Junge", hatte er gesagt. Und es wurde genauso, wie Denver es von Charles Landon erwartete - vier- bis fünfhundert der engsten Freunde, ein komplettes Orchester, ein Zauberkünstler, ein dressierter, Zigarren rauchender Schimpanse und genug Hummer, Austern und Kaviar, um das gesamte County zu verköstigen. Um Mitternacht hatte Charles alle Gäste zu den Fenstern an der Vorderfront gescheucht. Ein leises Raunen ging durch die Menge, als ein einzelner Scheinwerferkegel sich auf eine kirschrote Corvette auf dem Vorplatz richtete. Der Wagen war mit einer gewaltigen silbernen Schleife geschmückt. „Der Schlitten gehört dir", sagte Charles schroff. „Gefällt er dir?" „Ob er mir gefällt? Ich ..." Cade war sprachlos. Seit er mit sechzehn seinen Führerschein gemacht hatte, träumte er von einem solchen Auto. Dass ausgerechnet sein Vater ihm diesen Wunsch erfüllt hatte, wunderte ihn. Obwohl Charles extravagante Gesten liebte, hatte er seinem jüngsten Sohn nie das geschenkt, was dieser sich gewünscht hatte. Die Party, zum Beispiel. Cade hatte sie nicht gewollt. Er hatte eigentlich den Abend ganz ruhig mit dem Mädchen verbringen wollen, in das er sich im Sommer verliebt hatte. Insgeheim hatte er gehofft, dass Stacey noch vor Morgengrauen einwilligen würde, seine Frau zu werden und gemeinsam mit ihm ein Leben aufzubauen, das nicht
vom Geld und der Macht der Landons abhängig war. Statt dessen stand er nun inmitten von Fremden, die nichts anderes im Sinn hatten, als dem wohlhabendsten und einflussreichsten Unternehmer westlich des Mississippi zu schmeicheln, und, was am schlimmsten war, Stacey hatte sich noch nicht blicken lassen. Sie hatte versprochen, auf der Party zu erscheinen, obwohl Cade wusste, dass seinem Vater ihre Anwesenheit nicht behagen würde. Landon senior hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Verbindung seines jüngsten Sohnes mit einem Mädchen, das für Landon Enterprises arbeitete, absolut nicht billigte. „Also?" fragte Charles. „Ist die Corvette das, was du dir gewünscht hast?" Cade drehte sich gerührt zu dem älteren Mann um. Das Auto sollte zweifellos etwas symbolisieren. Sein Vater betrachtete ihn endlich als einen Erwachsenen. Vielleicht, aber nur vielleicht, war dies ein neuer Anfang. „Ja." Cade nickte. „Danke, Vater, vielen Dank. Ich hätte nie erwartet ..." „Mach das Beste daraus, Junge." Cade lächelte. „Das werde ich." „Dir bleibt nur dieses Semester, um dein neues Spielzeug auszuprobieren." Sein Vater schmunzelte, als hätte er gerade einen fabelhaften Witz erzählt. „Du wirst es nach deinem Examen bestimmt nicht nach New York mitnehmen wollen. Die Corvette ist kein Wagen für die Stadt." „New York? Wie kommst du denn darauf?" „Wir eröffnen dort eine Niederlassung. Du wirst mit Switzer zusammenarbeiten und lernen, wie man den Laden leitet, sobald du die Prüfungen hinter dir hast." Cade runzelte die Stirn. „Ich studiere doch nicht Geologie, um später hinter einem Schreibtisch zu sitzen, das weißt du doch. Du hast eingewilligt ... " „Ich habe meine Meinung geändert." „Dazu ist es zu spät", erwiderte Cade scharf. „Meine Pläne stehen fest. Ich werde Stacey ..." „Stacey?" unterbrach ihn sein Vater lachend. „Stacey ist auf dem Weg nach San Francisco." Eine eiskalte Faust schien nach Cades Herzen zu greifen. „Wovon redest du?" „Ich habe deine kleine Freundin ein bisschen protegiert, indem ich ihr die Teilnahme an unserem Managementprogramm an der Westküste ermöglicht habe." „Nein!" Cade ballte die Hände zu Fäusten und trat einen Schritt auf seinen Vater zu. „Stacey liebt mich. Sie würde niemals ..." „Hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen, Junge. Das Mädchen ergreift jede Gelegenheit, die sich ihr bietet." Charles warf die Wagenschlüssel in Cades Richtung. „Es wird langsam Zeit, dass du vernünftig wirst." Es gab einen Riesentumult. Cade konnte sich später nur daran erinnern, dass irgend jemand - vielleicht Zach oder Grant - seine Arme packte und ihn zurückhielt, ehe er sich noch mehr zum Narren machte. Bevor der Morgen anbrach, schrieb Cade ein paar Zeilen an Kyra, Grant und Zach. Dann schlich er sich aus dem Haus. Die rote Corvette ließ er ebenso zurück wie seinen dominierenden Vater. Ein mitleidiger Trucker sammelte Cade am Highway auf und nahm ihn bis Albuquerque mit. Von dort aus trampte er ostwärts bis Oklahoma, wo er Arbeit auf den Ölfeldern fand - sofern man den Job eines Tellerwäschers so bezeichnen konnte.
Mit einem wehmütigen Lächeln schenkte Cade sich neuen Champagner ein. Es war ein langer, harter Weg seit jener Nacht gewesen, doch er hatte es geschafft. Er war erst nach Hause zurückgekehrt, nachdem er mit seinen Bohrungen in Texas Erfolg gehabt hatte. Charles hatte ihn so unbeteiligt begrüßt, als wäre er nie fort gewesen. Was den Zwischenfall an Cades einundzwanzigstem Geburtstag betraf, so verlor keiner der beiden je ein Wort darüber. Cade verzog die Lippen. In gewisser Hinsicht hatte sein Vater ihm einen Gefallen erwiesen. Er hatte ihn davor bewahrt, noch einmal Liebe mit Lust zu verwechseln und sich an eine Frau zu binden. Es gab genug Frauen, die bereit waren, das Bett auch ohne Trauschein mit ihm zu teilen. Die Musik schwoll zu einem Crescendo an. Cade schaute zu der verschleierten Schönheit hinüber, die vor ihm tanzte. Ihre wohlgeformten Brüste und die sanften Rundungen ihrer Hüften weckten seine Begierde. Das ist das wahre Leben, dachte er, eine verführerische Frau, die nach getaner Arbeit auf dich wartet. Gestern war das schwarze Gold in einer hohen Fontäne aus der Erde geschossen, die es seit Jahrmillionen gehütet hatte. In seiner grenzenlosen Großzügigkeit hatte der Sultan Cades ohnehin horrendes Honorar noch einmal verdoppelt. Und heute nacht würde diese Frau ihm gehören, wenn er es wünschte. Das Lied endete abrupt. Anmutig sank Leilia vor Cade zu Boden, die Stirn auf die kunstvollen Bodenfliesen gepresst. Er wartete einen Moment, ehe er sich vorbeugte und ihr Haar leicht mit der Hand berührte. Sie richtete sich auf. Lächelnd kniete sie vor ihm, ihre dunklen Augen verhießen ihm tausend köstliche Wonnen. „Ich gehöre Ihnen, mein Gebieter", flüsterte sie. Ein leise Klappen der Tür verriet, dass die Musiker das Zimmer verlassen hatten. Cade reichte der Frau die Hand. Sie stand langsam auf. „Du bist sehr schön", sagte er. „Und überaus begehrenswert." Voller Bedauern, weil es nur eine Entscheidung für ihn geben konnte, fuhr er fort: „Aber..." „Aber mein Gebieter möchte keine Frau, die dafür bezahlt wurde, sein Bett zu wärmen", beendete sie an seiner Stelle den Satz. „Nein, das ist es nicht", log Cade schnell. „Ich bin müde, das ist alles." Sie spreizte ihre Hände vor seiner Brust. Die kleinen Glöckchen an ihren Fingern klingelten leise. „Niemand hat mich dafür bezahlt, mein Gebieter. Ich habe in den vergangenen Wochen beobachtet, wie Sie mit Ihren Männern in der heißen Sonne gearbeitet haben, und mit jedem Tag wuchs der Wunsch in mir, Sie kennenzulernen." Leilia rückte noch näher an Cade heran. „Der Sultan hat befohlen, dass Fima heute abend für Sie tanzen solle." Sie legte ihre Hand um seinen Nacken. „Ich habe ihr meine Lieblingskette geschenkt, damit ich ihren Platz einnehmen durfte." Cade spürte, dass das Blut schneller durch seine Adern strömte. „Ach ja?" Leilia lachte kehlig, als sie seinen Kopf zu sich herabzog. „Ja, mein Gebieter." Ein Klopfen an der Tür durchbrach den sinnlichen Zauber, der über dem Raum lag. Cade unterdrückte einen Fluch und trat hastig einen Schritt zurück. „Ja?" rief er. „Was gibt es?" Die Tür wurde geöffnet, und der Sultan von Dumai kam herein. Leilia verbeugte sich erschrocken und huschte hinaus, ohne dass der Herrscher von ihr Notiz nahm. „Eure Hoheit." Cade berührte mit seinen Fingern Lippen und Brust, während er versuchte, die Erregung zu verdrängen, die ihn erfasst hatte. „Ich fühle mich durch Ihre
Anwesenheit geehrt, Sir. Meinen ergebensten Dank für Ihre großzügigen Gaben." „Cade, mein Freund." Das rundliche Gesicht des Sultans war von Mitleid gezeichnet. „Ich fürchte, ich überbringe Ihnen schlechte Neuigkeiten." Sogleich hatte Cade die Frau vergessen. „Die Quelle", begann er besorgt. „Ist sie..." „Das Bohrloch ist in Ordnung. Das Öl sprudelt, wie Sie es versprochen haben. Aber es ist ein Fax für Sie aus Amerika eingetroffen." Der Sultan legte tröstend eine Hand auf Cades Schulter. „Ihr Vater ist zu seinen Ahnen berufen worden." „Mein Vater? Tot?" „Es tut mir so leid, Ihnen dies mitteilen zu müssen, mein Freund." Charles Landon war tot? Der alte Mann war zwar seit ein paar Monaten krank gewesen, doch Grant hatte versichert ... „Gibt es irgend etwas, das ich für Sie tun kann?" Cade räusperte sich. „Ich ... Nun ja ... Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen Platz in der nächsten Maschine buchen lassen könnten." „Das ist kein Problem. Mein Privatjet wird Sie heimbringen. Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen? Müssen Sie besondere Vorbereitungen treffen?" „Nein, danke, Sir. Meine Brüder werden sich um alles kümmern. Ich kann einfach nicht fassen, dass ..." Der Sultan nickte. „Es ist Schicksal", sagte er sanft. „In Sha'allah. Wir Menschen sind dem Willen Gottes unterworfen." Der Sultan wandte sich ab und verließ leise das Zimmer. Cade trat ans Fenster und blickte hinaus in die Wüstennacht, ohne etwas wahrzunehmen. In Scha'allah, dachte er mit einem bitteren Lächeln. In Scha'allah. Tausende von Meilen entfernt sah Angelica Gordon aus ihrem Fenster in die texanische Nacht hinaus. Waren dies die gleichen Sterne, die sie zu Hause in New England betrachtet hatte? Angelica lächelte. Natürlich. Hier wirkten sie nur viel heller und strahlender. Ihr Vater hätte dieses Phänomen damit erklärt, dass in Texas alles viel größer und besser war als sonstwo auf der Welt. Sogar die Schulden, dachte sie, und ihr Lächeln verschwand. Die Verbindlichkeiten von Gordon Oil wuchsen so schnell, dass ihr der Kopf schwirrte. Als sie die Firma übernommen hatte, war sie überzeugt gewesen, das Unheil abwenden zu können, doch wie es schien, hatte sie sie statt dessen an den Rand des Abgrunds geführt. Früher oder später würde jemand bei Landon Enterprises bemerken, was sich hier abspielte, und dann ... Seufzend kehrte Angelica zu dem altmodischen Schaukelstuhl zurück und setzte sich. Ihr kupferrotes Haar fiel in wilden Locken über ihre Schultern. Wenn wenigstens die Männer, die für sie arbeiteten, ihr eine Chance geben würden. Wenn sie nur endlich aufhören würden, sie so zu behandeln, als wäre sie ein Eindringling in einem exklusiven Macho-Club ... Aber eher würde der Mond vom Himmel fallen als dieses Wunder geschehen. Dies war eine Welt, in der Männer ihre Muskeln und nicht den Verstand spielen ließen. Hier glaubten die Männer, Frauen gehörten in die Küche und ins Schlafzimmer, aber niemals in einen Aufsichtsrat. Selbst ihr Vater hatte genauso gedacht. Gewiss, Hank Gordon hatte Angelica
während der Schulferien in seinem Büro arbeiten lassen, doch wann immer sie vorgeschlagen hatte, er möge sie nach dem Examen als Vollzeitkraft übernehmen, hatte er schmunzelnd ihren Arm getätschelt, als habe sie einen fabelhaften Witz gemacht. Irgendwann hatte sie begriffen, dass er ihr niemals eine Stellung bei Gordon Oil geben würde, egal, wie viele Kurse sie in Wirtschaftswissenschaften belegte. Also hatte sie sich schweren Herzens für eine akademische Laufbahn entschieden. Und trotzdem führte sie nun aufgrund einer Fügung des Schicksals Gordon Oil - und wie es aussah, direkt in den Ruin. Angelica stand auf und zog den smaragdgrünen Morgenrock, der exakt die Farbe ihrer Augen hatte, enger um sich. Nein, sagte sie sich energisch, ich bin nicht schuld an der Misere von Gordon Oil! Die Probleme hatten begonnen, lange bevor sie die Firma übernommen hatte. Und sie konnte eine Wende erreichen. Die Fakten sprachen für sie. Sie besaß Entschlossenheit, ein fundiertes Wissen und Pläne, die sie über die Jahre hinweg ausgearbeitet hatte Pläne, die ihr Vater keines Blickes gewürdigt hatte. Sie brauchte lediglich ein bisschen Unterstützung vom Schicksal, dem gleichen Schicksal, das sie in diese Lage versetzt hatte. Angelica seufzte. Was würde die Zukunft ihr bringen?
1. KAPITEL Die Morgensonne fiel durch die hohen Bogenfenster des Landon-Hauses und verlieh dem mit kostbaren Orientteppichen bedeckten Parkett einen goldenen Schimmer. Cade unterdrückte ein Gähnen, als er das leere Esszimmer betrat. Er ging zu der Anrichte hinüber, wo bereits die große silberne Kaffeekanne stand. Manche Dinge änderten sich nie. Auf dem Sideboard wartete stets frischer Kaffee, und Landon Mansion war nach wie vor das größte und stattlichste Gebäude an den grasbewachsenen Ufern des Emerald Lake. „Morgen, Mr. Cade." Er drehte sich zu Stella um, die für die Küche verantwortlich war, solange er sich erinnern konnte. Sie schob einen schwerbeladenen Servierwagen durch die Tür. Als Cade ihr zu Hilfe eilen wollte, scheuchte sie ihn lächelnd fort. „Setzen Sie sich und trinken Sie Ihren Kaffee, Mr. Cade." Mit schwungvollen Bewegungen stellte sie Platten mit Obst, Käse, Croissants, Waffeln, Rühreiern und Schinken auf die Anrichte. „Na, wie ist das?" Zufrieden betrachtete sie die gewaltigen Portionen. Cade schmunzelte. „Fabelhaft, Stella." Sie schaute ihn zweifelnd an. „Wirklich?" „Was braucht man mehr, um den Tag zu beginnen, als eine Tasse von Ihrem wunderbaren Kaffee?" Stella errötete geschmeichelt. „Ihre ironische Art wird Sie irgendwann einmal in ernste Schwierigkeiten bringen, Mr. Cade", erwiderte sie und rauschte in die Küche zurück. Cade setzte sich an den Tisch. Stella hielt sich noch immer an Charles Landons Anweisung, riesige Essensmengen zum Frühstück bereitzustellen, obwohl niemand mehr da war, um sie zu verzehren. Cade seufzte. Landon Mansion war weniger ein Heim als vielmehr ein Zeichen der Macht - einer Macht, gegen die sich jeder von Charles Landons Söhnen in der einen oder anderen Weise aufgelehnt hatte. Andere hatten sich jedoch bis zum Ende diesem eisernen Willen gebeugt. Nach der Beerdigung vor drei Tagen war das Haus von Trauergästen überfüllt gewesen. Bankiers, Richter, Industriekapitäne sowie ein halbes Dutzend Senatoren und Kongressabgeordnete waren erschienen, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. „Verdammt", hatte Zach Cade am späten Nachmittag zugeflüstert, „ich komme mir vor wie im Zirkus." Ihr Vater hingegen hätte jede Minute genossen. Eine schier endlose Karawane aus Cadillacs, Lincolns und Mercedes war dem Sarg zu dem imposanten Marmormausoleum gefolgt, in dem bereits Ellen Landon lag, die bei der Geburt von Kyra gestorben war. Weniger Verständnis hätte er allerdings für das gehabt, was sich gestern nach der Verlesung des Testaments abgespielt hatte. Das Haus sowie der dazugehörige Landbesitz waren zusammen mit dem Löwenanteil von Charles' persönlichem Vermögen an Kyra gefallen. Landon Enterprises, das weitverzweigte, millionenschwere Imperium, dem Charles seine gesamte Aufmerksamkeit und Energie gewidmet hatte, war an seine drei Söhne gegangen.
Aber keiner von ihnen hatte das Erbe annehmen wollen. Sobald Cade mit seinen Brüdern allein war, hatte er seinem Herzen Luft gemacht. „Ihr könnte meinen Anteil haben", hatte er rundheraus erklärt. „Ich will nichts mit den Geschäften des alten Mannes zu tun haben." Grant hatte ihnen allen einen Drink eingeschenkt. „Vorlaut wie immer, nicht wahr, kleiner Bruder? Du hast mir die Worte aus dem Mund genommen. Ich verzichte ebenfalls." Zach hatte nickend ein Glas Bourbon entgegengenommen. „Demnach ist das Urteil einstimmig." Innerhalb weniger Minuten hatten sie sich darauf geeinigt, dass Zach, der Finanzexperte der Familie, den Wert von Landon Enterprises feststellen sollte. Grant als Jurist würde die für den Verkauf erforderlichen Papiere aufsetzen. Cade hatte spöttisch gelächelt, als seine Brüder ihn erwartungsvoll angeblickt hatten. „Ich werde eine Ölquelle suchen, in die wir die Gewinne investieren können", hatte er ihnen versprochen. Das allgemeine Gelächter hatte ihnen geholfen, die Anspannung abzubauen, die mit dem Eingeständnis der schmerzlichen Wahrheit verbunden war. Sie alle hatten ihren Vater - zu unterschiedlichen Zeiten - respektiert, gefürchtet und manchmal sogar gehasst. Aber keiner von ihnen hatte ihn geliebt. Nachdem das Lachen verklungen war, hatte Cade seinen Brüdern versichert, dass es genügend Orte auf der Welt gab, wo sie ihr Geld darauf verwenden könnten, dringend benötigte Krankenhäuser und Schulen zu errichten. Es ist also vorbei, dachte Cade und trat ans Sideboard. Es galt nur noch, die Einzelheiten zu regeln. Victor Bayliss, der Verwaltungschef ihres Vaters, hatte um ein Treffen gebeten, bei dem die letzten Details geklärt werden sollten. Es war Cades Idee gewesen, dass Grant sich mit diesem Problem befasste. „Es ist schließlich nur logisch, dass ein Anwalt mit einem anderen Anwalt verhandelt", hatte er mit einem unschuldigen Lächeln behauptet. „Mein eigen Fleisch und Blut wirft mich also den Wölfen vor", hatte Grant grinsend erwidert. Cade warf einen Blick auf die alte Standuhr in der Ecke. Grant würde bald zurück sein, und dann konnten sie endlich abreisen - Grant nach New York, Zach nach Boston und Cade nach London. Die Tatsache, dass Kyra hierblieb, hatte etwas Tröstliches an sich. Auf diese Weise wurde wenigstens die Familie zusammengehalten. „Warum so trübsinnig, kleiner Bruder? Ich dachte, du magst Stellas Kaffee." Kyra hatte unbemerkt das Zimmer betreten. Sie trug ähnlich wie Cade verblichene Jeans, ein Wollhemd und bequeme Lederstiefel. „Hör auf mit dem Kleinen-Bruder-Kram, Quälgeist. Ich bin sechs Jahre älter als du, falls du das vergessen haben solltest." Er küsste sie liebevoll auf die Wange. Kyra musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Du siehst aus wie einer unserer Cowboys." Er zuckte mit den Schultern. „Ich ziehe mich immer so an. Das ist meine Arbeitskleidung. Die Leute werden nervös, wenn der für die Bohrungen verantwortliche Mann in einem Anzug um sie herumscharwenzelt." „Willst du etwa in dieser Aufmachung nach London fliegen?" „Ach, komm schon, Schwesterherz, was ist los?"
„Entschuldige. Ich habe nur in den letzten Tagen meine drei großen Brüder beobachtet und bin zu dem Schluss gelangt, dass es allmählich Zeit für euch wird, sich häuslich niederzulassen." „Erzähl mir nicht, dass du uns unter die Haube bringen willst", neckte Cade. „Vielleicht brauchst du wirklich eine Frau, die sich um dich kümmert", meinte sie vorsichtig. Cade dachte an das Geburtstagsgeschenk, das noch immer in Dumai auf ihn wartete. Er schmunzelte. „Glaub mir, Quälgeist, ich habe alle Frauen, die ich mir nur wünschen kann." „Darauf könnte ich wetten." Kyra wandte sich zur Anrichte um. Nach einem kurzen Blick auf die wohlgefüllten Platten, schenkte sie sich eine Tasse Kaffee ein. „Ich schätze, jemand sollte Stella sagen, dass sie nicht mehr solch enorme Mengen kochen muss." „Das ist dein Job", erwiderte Cade. „Du bist von nun an für Landon Mansion verantwortlich." Ein sonderbarer Ausdruck huschte über Kyras Gesicht. „Ich kann noch immer nicht fassen, dass Dad mir das Haus hinterlassen hat." „Wem hätte er es sonst vermachen sollen?" fragte Zach, als er das Zimmer betrat. „Du bist die einzige, die an diesem Steinhaufen hängt." Er nickte Cade zu und küsste Kyra auf die Stirn. Dann schob er den Ärmel seines Tweedjacketts hoch und warf einen Blick auf seine Rolex. „Ich werde mit der Elf-Uhr-Maschine Ach Boston fliegen. Ist Grant noch nicht zurück?" Cade stellte seine leere Tasse ab und erhob sich. Mit großen Schritten durchquerte er den Raum und lehnte sich, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, an das Sideboard. „Bist du nicht völlig falsch gekleidet? Wie ich hörte, müssen Bankiers eine Erklärung unterschreiben, dass sie immer in Nadelstreifen herumlaufen." Zach grinste. „Mach dich ruhig über mich lustig. Allerdings solltest du stets daran denken, dass du in ein paar Tagen einem englischen Kollegen von mir um den Bart streichen musst, damit er sein Geld in dein jüngstes Hirngespinst steckt. Wo, sagtest du, liegt diesmal dein Luftschloss?" „In der Nordsee", antwortete Cade lächelnd. „Und es ist weder ein Hirngespinst noch ein Luftschloss, sondern mindestens genauso vielversprechend wie die Investitionen, für die du Reklame machst." „Ach ja?" „Ja. Und ich wette, wenn deine hochnäsigen Klienten wüssten, dass ich dich noch immer beim Armdrücken besiegen kann, ohne in Schweiß auszubrechen ..." . „Noch immer? Was meinst du damit? Du hast mich noch nie besiegt. Nicht ein einziges Mal." „Beweise es." „Mit Vergnügen. Ich muss nur meine Jacke ausziehen, und dann..." „Verdammt, was ist hier los? Sind wir Kinder oder was?" Cade, Zach und Kyra wandten sich um, als Grand das Esszimmer betrat. Er warf ihnen einen vernichtenden Blick zu, ehe er einen Ordner auf den Tisch legte. „Ist alles in Ordnung, Grant?" erkundigte Kyra sich. Grant nickte und schenkte sich Kaffee ein. „Aber natürlich." Das stimmt nicht, dachte Cade. Grants markante Züge, die immer ein wenig streng
wirkten, schienen heute wie aus Granit gemeißelt. Er wartete, bis sein Bruder einen Schluck getrunken hatte. „Worüber wollte Bayliss mit dir reden?" „Über Ärger." „Was für Ärger?" Grant nahm den Ordner vom Tisch, zog zwei Akten hervor und reichte jedem Bruder eine Mappe. Kyra wartete einen Moment, dann wandte sie sich zum Fenster um. Eine Zeitlang durchbrach nur das Rascheln von Papier die Stille im Raum. Schließlich blickte Cade stirnrunzelnd auf. „Was soll das?" „Das hast du doch gelesen. Vater hat eine kleine Ölfirma in Dallas erworben ..." „Du meinst, er hat ein Bankrottunternehmen gekauft." Cade deutete auf die Unterlagen in seiner Hand. „Und er hat tatenlos zugesehen, wie die Lage sich verschlimmerte. Das Unternehmen ist so gut wie pleite." Zach schüttelte verständnislos den Kopf. „Wovon redet ihr? Dieser Bericht hier hat überhaupt nichts mit Öl zu tun. Es geht hierbei um eine Produktionsfirma namens Triad in Hollywood, die am Rande des Ruins steht. " „Ihr habt unterschiedliche Akten, die von Bayliss stammen, aber im Grunde auf das gleiche hinauslaufen. Wie es scheint, hat Vater beide Gesellschaften übernommen, bevor er krank wurde, und die Sache dann vergessen." „Wenn Gordon Oil pleite macht, kann das erhebliche Auswirkungen auf Landon Enterprises haben", warf Cade ein. „Das gleiche gilt für Triad", erklärte Zach. „Landon Enterprises kann von Glück sprechen, wenn es für einen Dollar zehn Cent zurückbekommt." Grants Miene wurde noch düsterer. „Offenbar hat Landon beide Unternehmen erworben, um sie zu sanieren. Statt dessen haben wir lediglich dazu beigetragen, dass sich ihre Lage weiter verschlechtert." „Wieso ,wir`?" fragte Cade. „Hast du etwa vergessen, dass wir seit gestern Landon Enterprises repräsentieren? Und das wird auch so bleiben, bis wir einen Käufer gefunden haben." Cade seufzte. „Ja, und wenn diese beiden Babys untergehen, reißt das ein gewaltiges Loch in unsere Bilanz." Er sah Grant an. „Okay, sag Bayliss ..." „Bayliss ist heute morgen mit sofortiger Wirkung von allen Ämtern zurückgetreten." Grant lächelte über die verblüfften Mienen seiner Brüder. „Er meint, er sei zu alt für einen weiteren Winter in Colorado. Anscheinend hat er sich irgendwo auf den Jungferninseln ein Haus gekauft und will den Rest seiner Tage am Strand mit einer Pina colada in der Hand verbringen." „Dann werde ich mit Goodwin sprechen. Er ist schließlich Bayliss' Stellvertreter und kann ... " „Goodwin hat schon genug zu tun." Cade warf die Mappe auf den Tisch. „Fabelhaft. Und was machen wir jetzt?" „Ach, zum Teufel!" Die Männer drehten sich erstaunt um. Kyra hatte die Hände in die Hüften gestemmt und musterte sie wütend. „Was ist los mit euch? Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?" „Quälgeist", begann Cade nachsichtig, „ich weiß, du meinst es gut, aber du hast nicht die leiseste Ahnung vom Geschäft und ..." „Selbst ein Zehnjähriger würde das begreifen." Sie blickte Zach an. „Du bist das Finanzgenie in unserer Familie. Warum fliegst du nicht an die Küste, nimmst die Bücher
von Triad unter die Lupe und versuchst, der Firma zu helfen?" „Ich? Mach dich nicht lächerlich. Ich werde in Boston erwartet und kann nicht einfach..." „Und du ..." Sie wandte sich an Cade. „Du weißt doch angeblich alles über Öl. Hier ist eine kleine Gesellschaft, die in Schwierigkeiten steckt. Wäre es wirklich zuviel verlangt, wenn du in Dallas einmal nach dem Rechten siehst?" „Ausgeschlossen! Ich habe geschäftlich in London zu tun und kann nicht ..." „Sie hat recht", unterbrach Grant ihn schroff. „Ihr beide könntet die Angelegenheiten schneller als jeder andere regeln." Einen Moment lang herrschte Schweigen. Cade und Zach schauten einander an, dann hob Zach resigniert die Hände. „Zwei Tage", knurrte er, „und keine Sekunde länger." Cade nickte. „Das gleiche gilt für mich. Zwei Tage und ... Moment mal." Er wandte sich zu Grant um. „Und was ist mit dir? Erzähl mir nicht, dass du der einzige von uns bist, der nichts mit diesem Ärger zu schaffen hat." Grants Miene wurde noch abweisender. „Wie es scheint, hat irgendein alter Freund unseren Vater vor ein paar Jahren als Vormund für ein Kind eingesetzt." Ein schadenfrohes Lächeln umspielte Cades Lippen. „Das ist nicht dein Ernst." Grant seufzte. „Leider doch. Würdest du dich lieber um eine marode Ölfirma in Dallas kümmern oder für ein zwölfjähriges Gör in New York den Babysitter spielen?" Als das allgemeine Gelächter verebbt war, schlugen sich die Brüder in die rechte Hand, so wie sie es schon als Kinder getan hatten. „Auf die Verteidiger der Jungfrauen", sagte Cade feierlich. „Auf die Jungfrauen", wiederholten die Brüder und trennten sich. Cade ging in die Bibliothek. Nachdem er mit London telefoniert und den Termin verschoben hatte, machte er es sich in einem Ledersessel bequem und studierte sorgfältig den Bericht über Gordon Oil. Als er damit fertig war, atmete er erleichtert auf. Ohne auch nur einen Fuß in den Betrieb gesetzt zu haben, wusste er schon jetzt, wo das Problem lag. Falsches Management. Der Chef trieb das Unternehmen geradewegs in den Ruin. Hank Gordon, der Firmengründer, war vor wenigen Monaten gestorben. Seither führte seine Tochter den Laden. Sie hieß A. H.. Eine Frau leitete eine Ölgesellschaft! Cade erschauerte bei dem bloßen Gedanken daran. Und als wäre das nicht genug, benutzte sie auch noch Initialen statt eines Vornamens. Aus dem groben Überblick, den Bayliss geliefert hatte, ging hervor, dass A. H. Gordon die letzten fünfzehn Jahre ihres Lebens in New England verbracht hatte. Sie war dort Lehrerin an irgendeiner schicken Privatschule für Mädchen gewesen. Cade konnte sich A. H. Gordon lebhaft vorstellen: eine alte Jungfer in den Vierzigern, die praktische Tweedkostüme und flache Absätze trug, eine Hornbrille auf der Nase hatte und in näselndem Pensionatston einer Horde wilder Kerle Anweisungen erteilte, die vermutlich darüber rätselten, ob A. H. männlich oder weiblich oder irgend etwas anderes war. Cade blätterte erneut in dem Dossier. Je länger er las, desto deprimierter wurde er. A. H. hatte nicht nur im Osten gelebt und unterrichtet, sondern dort auch auf einem reinen Mädchencollege ihr Examen abgelegt. Ein Mädchencollege an der Ostküste war genau
der richtige Ort, um den Umgang mit einer texanischen Ölcrew zu lernen. Als Cade jedoch feststellte, was sie studiert hatte, lachte er laut auf. A. H. Gordon besaß nicht nur einen, sondern sogar zwei Abschlüsse - einen in Betriebswirtschaft und einen in Psychologie. Beides war im Ölgeschäft so nützlich wie Schleifchen auf einem Bullen. Betriebswirtschaft war an sich nicht schlecht, Cade hatte selbst während seines Geologiestudiums ein paar Kurse in diesem Fach belegt. Mit Schaudern erinnerte er sich an die ernsten, wichtigtuerischen Professoren, die trockene Zahlen und Statistiken heruntergeleiert hatten, um zu beweisen, dass man am meisten aus seinen Leuten herausholte, wenn man ihnen das Gefühl vermittelte, Teil eines Ganzen zu sein. Das mochte in einer Autofabrik oder in einem Kaufhaus klappen, aber auf einem Ölfeld brachten die Arbeiter nur Leistung, wenn man ihnen zeigte, dass man einer der ihren war, wenn man schwitzte und genau wie sie mit dem schweren Gerät kämpfte. Das hatte A. H. Gordon nicht getan. Und was die Psychologie betraf ... Cade hatte ebenfalls an diesen Vorlesungen teilgenommen - nicht freiwillig, Gott bewahre! -, weil er diese Scheine für sein Examen brauchte. Wenn A. H. Gordon wirklich an diesen Unfug glaubte, und wie es aussah, tat sie das, machte sie sich vermutlich Sorgen um eventuelle Kindheitstraumas und das Selbstwertgefühl der Männer. Diese Taktik mochte bei Kindern nützlich sein, hatte man es jedoch mit einer Meute hartgesottener Kerle zu tun, war sie zum Scheitern verurteilt. Seufzend lehnte Cade sich in seinem Sessel zurück und streckte die Beine aus. A. H., überlegte er. A. H.. Stand A für Anne? Alice? Agnes? Er schmunzelte. 0 ja, dachte er, Agnes. Ohne jeden Zweifel. Und was bedeutete das H? Helen? Nein, wohl kaum. Harriet? Hannah? Henrietta? Ja, das war es! Hank Gordons Tochter war bestimmt nach ihrem Vater benannt worden. Agnes Henrietta Gordon, so lautete der volle Name der Frau. Cade spürte es förmlich in seinen Knochen. Mit Sicherheit brauchte er keine zwei Tage, um in Dallas alles auf die Reihe zu bringen. Er musste nur A. H. Gordon ihres Postens entheben und jemand auf ihren Platz setzen, der mit dem Job fertig wurde. Natürlich würde er taktvoll vorgehen, sofern dies möglich war. Falls nicht ... Cade griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Flughafens. Wenig später war er für die nächste Maschine nach Dallas gebucht. Dann ging er nach oben, um zu packen. Sonderbarerweise verspürte er so etwas wie Mitleid mit A. H. Gordon. Die Leitung von Gordon Oil musste ihr nach dem Tod des Vaters zugefallen sein. Gewiss war sie inzwischen der Panik nahe, so ganz allein in einer Männerwelt. Zweifellos war sie froh, sich aus der Sache zurückziehen zu können. Sie hatte bislang nur keine Möglichkeit gehabt, dies zu tun, ohne ihr Gesicht zu verlieren - nun, er würde ihr einen Weg zeigen. Falls, was nicht sehr wahrscheinlich war, A. H. nicht bereit war, freiwillig abzutreten, würde er eben mit brutaler Offenheit reagieren. „A. H.", würde er sagen und ihre Schulter tätscheln, „Sie sind keine Hilfe, wenn es darum geht, Gordon Oil profitabel zu machen." Eine Psychologin würde diese Erklärung akzeptieren. Dann würde er einen anderen
mit ihren Aufgaben betrauen, vielleicht einen seiner Männer oder jemand, dessen Fähigkeiten ihm bei Gordon Oil ins Auge stachen, und mit der nächsten Maschine nach London fliegen. Möglicherweise machte er sogar einen kleinen Umweg über Dumai, wo noch immer sein Geburtstagsgeschenk auf ihn wartete. Lächelnd dachte er an Leilias verheißungsvoll glänzende Augen, ihre vollen Lippen und ihren verführerischen Körper. Leilia. Ein sinnlicher Name für eine sinnliche Frau, eine Frau, die ebenso schön wie willig war.
2. KAPITEL Angelica Gordon war keine glückliche Frau. Die Gläubiger saßen ihr im Nacken, ein Bohrtrupp drohte mit Streik, und außerdem trafen so viele Rechnungen ein, dass sie es längst aufgegeben hatte, die morgendliche Post durchzusehen. Und obendrein hatte sie in zwei Stunden ein Treffen mit dem Bevollmächtigten von Landon Enterprises. Nein, sie war keineswegs glücklich. Angelica nahm ein schwarzes Leinenkleid aus dem Schrank und betrachtete es kritisch. In diesem Outfit würde sie eher einer Bestattungsunternehmerin ähneln als der Chefin von Gordon Oil ... Warum hatte man sie nicht rechtzeitig genug informiert? Es war einfach rücksichtslos, einen Besuch nur wenige Stunden vorher anzukündigen. Was wäre, wenn sie bereits einen anderen wichtigen Termin gehabt hätte? Angelica strich sich eine widerspenstige kupferrote Locke aus der Stirn. Vermutlich war kurze Fristsetzung reine Absicht. In dem Fax, das Emily ihr am Telefon vorgelesen hatte, war von „dringenden geschäftlichen Angelegenheiten" die Rede gewesen. Jeder, der sich im Wirtschaftsleben auch nur ein bisschen auskannte, wusste, dass es nur einen Grund für diese unerwartete Visite geben konnte: Man wollte sie daran erinnern, dass sie für Landon Enterprises durch brennende Reifen springen musste, wenn es ihr befohlen wurde. Sie gehörte Landon mit Haut und Haar. Dieses Riesenimperium hielt die Fäden in der Hand, und Angelica vermutete, dass man sie von ihrem Posten als Leiterin von Gordon Oil ablösen wollte. Nun, sie würde ihnen die Sache nicht leichtmachen, schließlich hatte sie ihre ganze Kraft in das Unternehmen gesteckt. Bestimmt würde man begreifen ... Seufzend setzte Angelica sich aufs Bett. Das einzige, was Landon verstehen würde, war Gordons beharrlicher Abwärtstrend. Vielleicht hatten ihre Freunde im Osten doch recht gehabt. Jack Brenner, ein Kollege, der an Miss Palmers Mädchenschule Mathematik unterrichtete, hatte kein Blatt vor den Mund genommen. „Nur weil dein Vater dir eine fast bankrotte Firma hinterlassen hat, musst du nicht alles aufgeben, um sie zu retten", hatte er bei einem gemeinsamen Dinner nach einem Kinobesuch gesagt. Angelica hatte versucht, ihm zu erklären, welche Herausforderung Gordon Oil für sie darstellte. „Endlich kann ich meine Ausbildung. nutzen. " „Das tust du bereits", erwiderte Jack, „indem du als Berufsberaterin arbeitest. Du bist gut in deinem Job, und er gefällt dir." „Ja, schon, aber ich habe mir diesen Job nicht ausgesucht. Immerhin bin ich Betriebswirtin und habe mir immer gewünscht, bei Gordon Oil Karriere zu machen. Ich möchte meine Ideen und Pläne verwirklichen „Und wie willst du mit dem Leben in Texas fertig werden?" Angelica lächelte. „Texas gehört mittlerweile zu den Vereinigten Staaten, Jack." „Aber du hast die meiste Zeit deines Lebens hier verbracht." „Ja, fast fünfzehn Jahre. Ich bin nach der Scheidung meiner Eltern mit meiner Mutter hierhergezogen, aber ist es nicht völlig belanglos, wo ich wohne? Begreifst du denn nicht? Mein Vater hat mir die Firma hinterlassen ..."
„Richtig", unterbrach Jack sie. „Er hat sie dir hinterlassen. Allerdings hat er nichts darüber geäußert, dass du sie leiten sollst." Das entsprach zwar der Wahrheit, verlieh jedoch der Aussicht, sich als Chefin von Gordon Oil zu beweisen, nur einen zusätzlichen Reiz. Angelica hatte bei Miss Palmers Mädchenschule gekündigt, ihre Koffer gepackt und war in die Stadt zurückgekehrt, in der sie geboren worden war. Schon nach wenigen Wochen war ihr klargeworden, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Das Ölgeschäft wurde von lauter Hank Gordons dominiert. Männer waren Männer, Frauen waren Menschen zweiter Klasse, und der alte Hank Gordon war ein Narr, weil er die Firma seiner Tochter vererbt hatte. Es stellte sich allerdings bald heraus, dass Hank dies keineswegs getan hatte. Das Testament von Angelicas Vater war genauso chaotisch wie seine Bücher. Kurz nach ihrer Ankunft in Dallas erfuhr sie, dass er die Gesellschaft einige Monate vor seinem Tod an das mächtige Landon-Imperium verkauft hatte. Da die Landons sich nicht bei ihr meldeten, begann Angelica allmählich, sich einzureden, der Betrieb würde tatsächlich ihr gehören. Sie hatte sich in dem kleinen Büro eingerichtet und war zu den weitverstreuten Bohrfeldern hinausgefahren ... Dort hatte sie katastrophale Zustände vorgefunden. Hank Gordon hatte zwar gewusst, wie man Öl fand, in geschäftlichen Dingen war er jedoch völlig hilflos gewesen. Er hatte Managementmethoden angewandt, die noch aus einer Zeit des Wilden Westens stammten. Seufzend stand Angelica auf und ging unter die Dusche. Vor einigen Wochen hatte sie pflichtschuldigst den Quartalsbericht an die Zentrale von Landon Enterprises geschickt. Das Dossier besagte, dass die Ausgaben von Gordon Oil gestiegen, der Profit gesunken und die Crews unproduktiver denn je waren - und all das, seit sie die Firma übernommen hatte. Angelica drehte die Wasserhähne zu und trocknete sich ab. Sie traf keine Schuld an dem Desaster. Wechsel in der Unternehmensführung waren immer mit Schwierigkeiten verbunden, besonders dann, wenn man es mit einer Horde Männer zu tun hatte, die tatsächlich die Meinung vertraten, die Welt wäre viel schöner gewesen, als noch die Planwagen über die weiten Ebenen rollten. Sie musste dem Repräsentanten von Landon die Zusammenhänge begreiflich machen und erklären, dass sie nicht etwa an mangelnder Qualifikation, sondern an der Vielzahl der Probleme gescheitert war. Gott sei Dank würde der Mann ihre Sprache sprechen. Er verstand etwas von Diagrammen, Statistiken und Produktionszahlen. Allmählich hoben sich Angelicas Lebensgeister wieder. „Geh mit einer positiven Einstellung in die Konferenz", sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Dann hast du auch Erfolg." Mit energischen Bürstenstrichen versuchte sie vergeblich, ihr widerspenstiges Haar zu bändigen. Wieso war sie, eine ernsthafte junge Geschäftsfrau mit zwei akademischen Abschlüssen, mit einer so wilden Lockenmähne gestraft? Resigniert band sie die dichten Strähnen zu einem Pferdeschwanz zusammen. Wen interessierte schon ihr Haar? Sie musste den Mann von Landon Enterprises überreden, ihr noch ein wenig mehr Zeit einzuräumen, um Gordon Oil ins zwanzigste Jahrhundert zu führen. Nach reiflicher Überlegung entschied Angelica sich für eine schlichte weiße Bluse,
einen braunen Wollrock und einen dazu passenden Tweedblazer. Bei der Wahl der Schuhe zögerte sie ein wenig. Mit ihren einssiebzig war sie ziemlich groß für eine Frau. Selbst wenn sie Pumps mit relativ kleinen Absätzen trug, überragte sie womöglich ihren Besucher. Ob er sich wohl dadurch gedemütigt fühlte? Sie würde flache Schuhe anziehen und auf Nummer Sicher gehen. Das letzte, was sie brauchte, war ein gekränkter Gesprächspartner. Zufrieden musterte Angelica sich im Spiegel. Sie sah tüchtig und kompetent aus überaus kompetent. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr verließ sie hastig das kleine Haus, das einst ihrem Vater gehört hatte, und stieg in ihren alten Sedan. Gegen Mittag räumte Angelica ihren Schreibtisch auf und erteilte Emily, ihrer Sekretärin und Mädchen für alles, strikte Anweisungen. Der Bevollmächtigte wurde in einer Stunde erwartet. Emily sollte ihn begrüßen, ihm einen der nicht ganz so wackeligen Stühle anbieten und Angelica unverzüglich über seine Ankunft informieren. „Und dann bringst du uns bitte Kaffee, wenn es dir nichts ausmacht, Emily. Du weißt, normalerweise bediene ich mich selbst, weil ich für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz bin, aber ... " „Kein Problem, A. H.." „Danke. Ach ja ... Kümmere dich bitte auch um alle Anrufe." Um zwei Uhr wanderte Angelica ungeduldig in dem winzigen Büro auf und ab. Um halb drei ging sie ins Vorzimmer zu Emily hinaus. „Bist du sicher, dass er um eins hiersein wollte?" Emily zuckte die Schultern. „Das stand zumindest in dem Fax. Es waren allerdings zwei Anläufe nötig, bis wir es hatten. Die Telefongesellschaft hatte den Anschluss gesperrt. Ich bin zum Laden an der Ecke gelaufen und habe ihnen gesagt..." .. dass der Scheck in der Post ist", unterbrach Angelica sie. „Der Text war jedenfalls eindeutig, oder? Es hieß, der Mann würde heute mit der Maschine aus Denver eintreffen." „Ja. Ich habe mich bereits auf dem Flughafen erkundigt. Das Flugzeug ist pünktlich gelandet. Vielleicht ist er mit dem Taxi im Verkehr steckengeblieben." Vielleicht will man mir auch nur eine Lektion erteilen, überlegte Angelica, verdrängte diesen Gedanken jedoch gleich wieder. Sie musste ihren Besucher mit einer positiven Einstellung begrüßen. „Dann werden wir eben warten", meinte sie. Um nicht noch mehr Zeit zu verschwenden, öffnete sie die Schublade ihres Schreibtisches und holte ihre Unterlagen heraus. Bald darauf waren Rechnungen, Briefe und Berichte über die Platte verstreut. Wenn Emily die Ankunft des Vertreters von Landon Enterprises meldete, konnte Angelica immer noch aufräumen. Zehn nach drei schob Angelica ihren Stuhl zurück. Ihre Hoffnungen, mit Respekt behandelt zu werden und einen Aufschub zu erwirken, konnte sie getrost begraben. Man würde sie feuern, daran bestand kein Zweifel mehr, aber zuvor würde man sie gründlich abkanzeln. Sie stand auf und ging zur Tür hinüber. „Falls der Gentleman doch noch eintrifft, sage ihm bitte, dass ich beschäftigt bin", erklärte sie kühl. „Setz in irgendwo hin, gib ihm eine Zeitung und lass ihn fünfzehn Minuten warten, ehe du mich informierst." Emily zog die Brauen hoch. „Soll ich das wirklich tun?"
„Ich drehe lediglich den Spieß um. Der Mann will seine Macht unter Beweis stellen, also muss ich ihm zeigen, dass ich mich nicht in die Rolle der Unterlegenen drängen lasse." Sie rang sich ein Lächeln ab. Um vier drückte Angelica den Knopf der internen Gegensprechanlage. Unmittelbar darauf stürmte Emily ins Büro. „A. H., ich wollte eben gerade ..." „Ich weiß, dass es sinnlos ist, mich darüber zu ärgern", sagte Angelica betont ruhig, „zumal ich die Taktik durchschaue. Er will mich nervös machen, aber..." „Hör mir zu, A. H. ..." ... aber was, zum Teufel, bildet dieser Kerl sich ein?" Angelica stand auf. „A. H., bitte, sag nicht so etwas. Du ..." „Schon gut." Angelika atmete tief durch und blickte zur Zimmerdecke hinauf. „Ich sollte mich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen. Seine Motive sind mir völlig klar." Sie wandte sich wieder Emily zu. „Wie kann er es nur wagen, mich so zu behandeln? Natürlich wundert es mich nicht im mindesten. Niemand, der für einen Konzern wie Landon arbeitet, hat auch nur die leiseste Ahnung, was Anstand und Respekt bedeuten. Diese Leute sind Haie, Emily. Hyänen, die sich sammeln, wenn sie Blut riechen." Die Sekretärin stöhnte leise auf. „A. H. ..." „Wenn dieses Wiesel hier auftaucht, kannst du ihm ausrichten, ich hätte keine Lust gehabt, länger auf ihn zu warten." „Nein! A. H. ..." „Emily, es ist wichtig, ihn in seine Schranken zu verweisen. Wenn er glaubt, er könne mich demütigen ..." „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgend jemand das schafft, Miss Gordon", sagte eine tiefe Stimme. Angelica wirbelte herum. An der Tür stand ein Mann. Er hatte ein markantes Kinn mit einem Grübchen, und seine Nase war ein bisschen schief - gerade genug, um seinem unglaublich attraktiven Gesicht eine interessante Note zu verleihen. Der Fremde war groß und breitschultrig. Er trug einen hellgrauen Anzug, ein makellos weißes Hemd und eine dezent gemusterte Krawatte. „Entschuldigen Sie", erwiderte sie kalt. „Dies ist ein privates Büro. Wenn Sie hier etwas zu erledigen haben..." „Sie erwarten ein Wiesel, Miss Gordon?" Ein arrogantes Lächeln umspielte seine Lippen. Angelica errötete. „Sie sind also nicht nur hier eingedrungen, sondern haben außerdem gelauscht." Der Mann zuckte die Schultern. „Die Tür war offen. Wenn die Unterhaltung so vertraulich war..." „Egal, was Sie verkaufen, ich bin nicht interessiert." „A. H.", flehte Emily. „Bitte..." „Sehe ich wie ein Vertreter aus, Miss Gordon?" Angelica musterte ihn eingehend. Nein, wie ein Vertreter sah er wirklich nicht aus. Er erinnerte sie mehr an einen Piraten in moderner Kleidung, an einen Wikinger, der in der falschen Zeit und am falschen Ort gelandet war. „Wieso sind Sie so sicher, dass Sie an nicht an dem interessiert sind, was ich zu verkaufen habe, wenn Sie gar nicht wissen, worum es sich handelt?" „Sagten Sie nicht, Sie wären kein ..." Angelica atmete tief durch. „Ich gebe Ihnen
noch eine Chance. Entweder verschwinden Sie hier, oder. .. " „Oder?" Seine Stimme klang trügerisch sanft. „A. H.", warf Emily ein. „Hör mir zu!" „Ja, A. H.." Der Mann zeigte beim Lachen strahlendweiße Zähne. „Sie hat recht. Sie sollten ihr tatsächlich zuhören." Er kam auf sie zu. „Emily", befahl Angelica energisch, „ruf den Sicherheitsdienst. Sag ihnen ... " „Wen wollen Sie damit täuschen, Miss Gordon?" Ihre Blicke trafen sich. „Sie haben keinen Sicherheitsdienst. Sie haben vermutlich nicht einmal jemand, der hier saubermacht." _„Dann eben die Polizei." Angelica zwang sich, seinem Blick standzuhalten. „Verdammt, Emily, worauf wartest du?" „Sind Sie sicher, dass Ihr Telefon funktioniert, Miss Gordon?" erkundigte er sich freundlich. „Vielleicht sollten Sie es erst ausprobieren, ehe Sie weitere Drohungen ausstoßen." „Haben Sie etwa die Leitungen manipuliert?" Angelica drehte sich zu ihrer Sekretärin um. „Emily, warum unternimmst du nichts? Hast du mich nicht verstanden? Ruf ..." „Um Himmels willen." Emily wurde blass. „Das versuche ich dir doch die ganze Zeit zu sagen. Er ist kein Vertreter, sondern Landon!" Schweigen senkte sich über den kleinen Raum. Fassungslos sah Angelica ihre Mitarbeiterin an. „Er ist wer?" Emily machte eine verzweifelte Geste. „Er ist der Mann, auf den du gewartet hast." Langsam drehte Angelica sich um und schaute den Fremden an. Er lächelte selbstgefällig. „Sie haben auf mich gewartet, Süße? Entzückend." Angelicas Wangen röteten sich. „Sie kommen von Landon?" Emily floh förmlich aus dem Büro und schloss leise die Tür hinter sich. „Nein", entgegnete er. „Genaugenommen, nicht." „Aber Emily sagte doch gerade ..." Lachend ging Cade zu ihrem mit Rechnungen übersäten Schreibtisch. „Ich komme nicht von Landon", erklärte er höflich, „ich bin Landon. Cade Landon von den LandonHaien - oder waren es Hyänen?" Ihr Gesichtsausdruck war einfach einmalig. Absolut einmalig! Ebensogut hätte Cade behaupten können, er sei der leibhaftige Teufel. Miss A. H. Gordon wusste genau, was als nächstes passieren würde. Innerhalb kürzester Zeit würde dieses tugendhafte Geschöpf in dem lächerlichen Tweedkostüm auf der Straße sitzen. Aber noch wollte Cade sie ein wenig zappeln lassen, denn schließlich trug sie die Schuld daran, dass sein Tag bislang so katastrophal verlaufen war. Aufgrund des Berufsverkehrs war es ihm nicht gelungen, seine Maschine in Denver zu erwischen, notgedrungen hatte er ein Privatflugzeug chartern müssen. Da die Zentrale Dallas bereits über sein Kommen informiert hatte, hatte er versucht, bei Gordon Oil anzurufen und den Termin zu verschieben. Leider hatte er dabei feststellen müssen, dass die Nummer gesperrt war. „Das ist ausgeschlossen", erklärte er der Vermittlung. „Das ist ein Geschäftsanschluss, er kann nicht gesperrt sein." „Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar, Sir", antwortete eine kühle Frauenstimme.
Wütend legte Cade auf. Für ihn bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass die Leitung wegen nichtbezahlter Rechnungen unterbrochen war. Heftige Gewitter zwischen Denver und Dallas verzögerten seine Ankunft noch weiter, und als er zuguterletzt nach der Landung erfuhr, dass man seine im Fax geäußerte Bitte, für ein Transportmittel zu sorgen, ignoriert hatte, war seine Geduld am Ende. Nachdem er endlich einen Mietwagen organisiert hatte und durch ein Labyrinth von Straßen fuhr, um in diesen gottverdammten Teil der Stadt zu gelangen, hatte seine Laune den absoluten Nullpunkt erreicht. Nachdem er das schäbige Firmenschild von Gordon Oil ausfindig gemacht hatte, war er in ein mit Akten vollgestelltes Vorzimmer gestürmt. „Landon", sagte er brummig. „Ich bin mit A. H. Gordon verabredet." Die Sekretärin führte ihn zu einem wackeligen Stuhl und drückte ihm eine Zeitschrift in die Hand. Miss Gordon sei zu beschäftigt, um ihn sofort zu empfangen, behauptete sie verlegen. Er möge es sich bitte bequem machen. Cade hatte gewartet, bis sein Blutdruck gefährliche Dimensionen annahm. Er sprang auf und ging zum Schreibtisch hinüber. „Hören Sie, Lady. Sie melden Ihrer Chefin jetzt unverzüglich, dass Cade Landon sie sehen will." Die Frau riss die Augen auf. „Sagten Sie, Ihr Name ist Landon?" "„Sehr richtig. Und ich werde keine Minute länger hier warten." In diesem Moment ertönte der Summer der Sprechanlage, und die Sekretärin riss die Tür zu A. H. Gordons Büro auf. Schmunzelnd dachte Cade an die Szene, die sich danach abgespielt hatte. „Worüber lächeln Sie?" Verwundert wandte Cade sich zu Miss Gordon um. Sie hatte das Kinn trotzig vorgereckt und musterte ihn abweisend. „Ich finde überhaupt nichts Komisches an der Situation, Mr. Landon. Außerdem mag ich es nicht, wenn Sie in meiner Korrespondenz herumschnüffeln." „In Ihrer Korrespondenz?" wiederholte er. „Sie täuschen sich, Miss Gordon. Mir gehört die Firma und nicht Ihnen." „Briefe, die an mich adressiert sind, gehen Sie nichts an", beharrte Angelica., obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, ob diese Behauptung zutraf. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Falls Sie erwarten, dass ich mich entschuldige ... Nun ja, es tut mir leid, dass Sie gehört haben, was ich über Sie sagte." Resolut hob sie den Kopf. „Hätten Sie nicht gelauscht, hätten Sie auch nichts davon mitbekommen." Wunderbar, dachte Cade, das kann ja noch heiter werden. Diese Frau war eine Kämpfernatur, das musste er zugeben. Ihr Tonfall war ebenso kalt wie der Ausdruck in ihren Augen. Ihre Augen ... Waren sie wirklich grün? Cade konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor eine solche Farbe gesehen zu haben. Und dennoch passte sie wunderbar zu den kupferfarbenen Locken. A. H. hatte offensichtlich versucht, die wilde Mähne mit einem hässlichen Gummiband zu bändigen. Widerspenstige Strähnen kräuselten sich an ihren Schläfen und ihrem Nacken. Dieses Haar passte überhaupt nicht zu dem strengen Tweedkostüm. War es wirklich so seidig, wie es aussah? Würde es sich um Cades Finger ringeln, wenn er die Hand danach ausstreckte und ...
Stirnrunzelnd steckte Cade die Hände in die Hosentaschen. Was interessierte ihn das Haar dieser Frau? Diese scharfzüngige Hexe hatte Gordon Oil in den Ruin getrieben aber etwas anderes war auch nicht zu erwarten gewesen. Sie war nicht nur eine Frau, die sich in einer Männerwelt behaupten wollte, eine Intellektuelle, die aus ihrem Elfenbeinturm herabgestiegen war, sondern außerdem noch ein Kind. Es war Cade sofort aufgefallen, dass sie keineswegs in den Vierzigern war, wie er ursprünglich vermutet hatte. Aus der Nähe betrachtet, erkannte er, dass sie die Dreißig noch nicht erreicht hatte. Wäre da nicht ihr Universitätsabschluss gewesen, hätte er sie auf achtzehn, bestenfalls neunzehn geschätzt. Es umgab sie etwas Unberührtes, Unschuldiges ... Unwillkürlich fragte Cade sich, wie es wohl wäre, der Mann zu sein, der das Eis in diesen grünen Augen in Feuer verwandelte und diese zusammengepressten Lippen vor Leidenschaft erbeben ließ ... Verflixt! Was war nur in ihn gefahren? Energisch rief Cade sich zur Ordnung. Er blickte A. H. Gordon an. „Sie sind gefeuert", erklärte er barsch. „Ich gebe Ihnen den Rest des Tages Zeit, um Ihre Sachen zu packen und dieses Büro zu räumen. Meine Buchhaltung wird Ihnen einen Scheck schicken. Zwei Monatsgehälter als Abfindung und..." „Nein! " protestierte Angelica schockiert. Die Unterhaltung nahm einen völlig anderen Verlauf, als sie geplant hatte. Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Sie können mich nicht so einfach entlassen. Sie ... " Er lachte. „Natürlich kann ich das. Und nun vergeuden Sie nicht länger meine Zeit, Miss Gordon. Packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie." „Ich verlange ein Treffen mit Charles Landon oder Victor Bayliss - er ist doch Charles Landons rechte Hand, oder? Ich will mit ihm reden. Er wird meine Situation verstehen." Cades Lächeln verschwand. „Sie sind nicht auf dem laufenden, Miss Gordon. Mein Vater ist tot, und Bayliss hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Jetzt haben Sie es mit mir zu tun." „Das ist doch lächerlich." Angelica runzelte die Stirn. „Ich meine, das mit Ihrem Vater tut mir leid, aber ... " „Vielen Dank für Ihr Mitgefühl", erwiderte Cade trocken. „Ich bin zutiefst gerührt. Trotzdem wünsche ich, dass Sie gehen." „Hören Sie, Mr. Landon! Die Firma war das Lebenswerk meines Vaters. Haben Sie überhaupt eine Ahnung ... " „Na schön, dann lasse ich Ihnen eben sechs Monatsgehälter überweisen, weil Sie eine persönliche Bindung an den Laden haben." „Sie... Sie Scheusal!" Cade zog spöttisch die Brauen hoch. „Ich bin schockiert über Ihre Wortwahl, A. H.. Das nächste Mal denken Sie besser nach, bevor Sie jemand aus Ihrem Büro werfen." „Ich glaube einfach nicht, dass Sie das Recht dazu haben." Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ich werde weder packen, noch dieses Büro verlassen. Um mich hier zu vertreiben, muss schon jemand anders kommen." Sie schrie erschrocken auf, als Cade sie bei den Schultern packte. „Sie verlangen einen Beweis, dass ich zu diesem Schritt befugt bin, Lady?" Seine blauen Augen funkelten gefährlich, als er sie in seine Arme riss. „Na schön", flüsterte er,
„hier ist er." Voller Panik wollte Angelica den Kopf abwenden, doch Cade war zu schnell und zu stark für sie. Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und presste seine Lippen auf ihren Mund. „Hören Sie auf." Sie versuchte, ihn fortzustoßen. Cade lachte nur. „Was ist los, A. H.? Sind Sie noch nie geküsst worden?" „Sie Schuft", keuchte sie, ehe er erneut ihre Lippen mit seinen verschloss. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, durchrann sie eine wohlige Wärme. Sie seufzte leise auf, und Cade beantwortete diesen kleinen Laut mit einem kehligen Stöhnen. Er zog sie fester an sich. Angelica stellte sich auf die Zehenspitzen und legte die Arme um seinen Nacken. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Unvermittelt schob Cade sie von sich. Was, zum Teufel, war gerade passiert? Ich bin verärgert, überlegte er. Ja, Wut konnte ein starkes Aphrodisiakum sein. „Verstehen Sie jetzt?" fragte er. Seine Stimme klang erstaunlich ruhig, wenn man bedachte, dass jeder Muskel in seinem Körper aufs äußerste angespannt war. „Ich habe die Sache völlig im Griff, Miss Gordon. Aber ich will großzügig sein." Lächelnd lehnte er sich an den Schreibtisch. „Ein Jahresgehalt, A. H., und Sie können sich bis morgen Zeit lassen." Verblüfft blickte Angelica ihn an. Sie zitterte am ganzen Körper. Dieser unerträglich arrogante Cowboy, dessen Schuhgröße vermutlich seinen Intelligenzquotienten übertraf, hatte sich in ihr Büro geschlichen, sie beleidigt und mit seinem machohaften Verhalten total aus der Fassung gebracht - welche Erklärung gab es sonst für ihre Reaktion auf seinen Kuss? Sie rang sich ein Lächeln ab. „Sie sind in der Tat sehr großzügig, Mr. Landon. Trotzdem muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie mich nicht feiern können. " Er seufzte. „A. H.", erwiderte er erschöpft, „haben Sie dieses Spielchen nicht langsam satt?" Angelica musterte ihn abschätzend. „Was wissen Sie über die Vereinbarung?" „Welche Vereinbarung?" Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. Die Lüge kam ihr so selbstverständlich über die Lippen, als wäre es die absolute Wahrheit. „Ich meine die Klausel, die es mir erlaubt, Gordon Oil so lange zu leiten, wie es mir gefällt." Voller Genugtuung registrierte sie, dass er blass wurde. „Und das heißt", fügte sie triumphierend hinzu, „dass ich Ihnen auf ewig erhalten bleibe."
3. KAPITEL Es gab drei Telefone in Cades eleganter Hotelsuite - ein Apparat in jedem Schlafzimmer und einer im Wohnraum. Seit A. H. Gordon die Bombe hatte platzen lassen, hatte Cade sie alle drei hassen gelernt. Er fluchte lauthals, band die Krawatte ab und warf sie achtlos auf den Stuhl, wo bereits sein Jackett lag. „Verdammt, Grant, warum brauchst du so lange?" fragte er. Cade hatte schon vor Stunden in New York angerufen und seinen Bruder gebeten, den Vertrag mit Gordon nochmals zu überprüfen. Nicht dass das viel Sinn gehabt hätte. Eine Klausel, die Hank Gordons Tochter die Kontrolle über die Firma ermöglichte, konnte nur in der Phantasie dieser Verrückten existieren. Charles Landon mochte am Ende seiner Tage ein wenig weltfremd geworden sein, aber eher hätte er einen Schimpansen zum Boss von Gordon Oil ernannt als diese Person. Das hatte Cade ihr auch gesagt, nachdem sein Gelächter verebbt war. A. H. Gordon hatte ihn lediglich kalt mit ihren grünen Augen gemustert, während Cades Heiterkeit grenzenlosem Zorn gewichen war. Wäre sie doch bloß ein Mann, hatte er gedacht und die Hände zu Fäusten geballt. Aber sie war eine Frau, und plötzlich hatte er den absurden Wunsch verspürt, sie in seine Arme zu reißen und sie so zu küssen, dass sie diesen Kuss niemals vergaß. Ohne ein weiteres Wort hatte er das Büro verlassen, war in seinen Mietwagen gestiegen und zu diesem Hotel gefahren, wo man ihm auch ohne vorherige Reservierung eine Suite vermietete. Dann hatte er Grant informiert - der sich, verdammt noch mal, längst hätte melden sollen. Als der Apparat klingelte, hechtete Cade förmlich zum Hörer und nahm ab. „Wird ja auch Zeit", sagte er brummig. „Hallo, Grant", erwiderte Grant freundlich. „Vielen Dank, dass du deine Verabredung zum Dinner abgesagt und mich so schnell zurückgerufen hast." Cade runzelte die Stirn. „Dinner?" wiederholte er. „Was, in aller Welt, ist ein Dinner? Hat es vielleicht etwas mit Essen zu tun? Meine letzte Mahlzeit liegt so lange zurück, dass ich mich kaum noch erinnere." Sein Bruder seufzte. „Es ist bei uns nach acht, Cade. Ich musste mich mit Colorado in Verbindung setzen, mir eine Kopie des Vertrages faxen lassen und..." „Und?" „Genau wie du vermutet hast, handelt es sich um einen Standardvertrag." Cade sank auf das Sofa. „Und das bedeutet, es gibt keinen Hinweis darauf, dass Hank Gordons Tochter weitermachen kann." „Exakt." Ein Lächeln umspielte Cades Lippen. „Goodbye, A. H. Gordon." „Angelica." „Wie bitte?" „Sie heißt Angelica. Ich weiß allerdings nicht, wofür das H steht, aber ..." „Angelica?" Cade lachte. „Entschuldige, Grant, das glaube ich nicht." „Ich habe zufällig Bayliss erreicht, der gerade sein Büro leerräumte. Er konnte sich zwar an nicht an Einzelheiten des Abschlusses mit Gordon erinnern, erwähnte dabei jedoch ihren Namen." Cade schüttelte den Kopf. „Wenn sich Eltern jemals bei der Namenswahl ihrer Kinder geirrt haben, dann hier. Es gibt eine Menge Namen, die mir für dieses Wesen einfallen, aber Angelica ist nicht dabei."
„Erzähl mir noch einmal, was sie über die Klausel gesagt hat, die sie bevollmächtigt, Gordon Oil weiterhin zu leiten. Hat sie tatsächlich behauptet, dieser Punkt wäre Bestandteil des Vertrages? Gibt es einen schriftlichen Zusatz?" „Nein! Verdammt, Grant, ich habe dir doch gerade erklärt..." „Dann kann es sich nur um eine mündliche Vereinbarung handeln." „Moment mal! Und was ist, wenn sie uns schlichtweg angelogen hat?" „In unserem Land gelten mündlich abgeschlossene Verträge als eben so rechtmäßig wie schriftliche, hast du das vergessen?" „Natürlich nicht. Ich selbst habe mich oft genug nur auf einen Handschlag verlassen und ..." Cade verstummte alarmiert. „Meinst du etwa, sie bezieht sich auf ein Abkommen zwischen den beiden alten Herren ,das nirgendwo schriftlich festgehalten wurde?" „Das ist immerhin möglich, Cade. Sie dürfte sich in den Gesetzen recht gut auskennen - schließlich hat sie Betriebswirtschaft studiert." Deprimiert schloss Cade die Augen. „Also, was rätst du mir?" Grant seufzte. „Angelica Gordon kann uns in einen monatelangen Rechtsstreit verwickeln." „Niemand, der Charles Landon kannte, wird ihr auch nur ein Wort glauben." „Wer weiß schon, wie ein Richter entscheidet? Sogar Bayliss sagte, dass der alte Mann am Ende nicht mehr ganz bei sich war. Er..." „Zum Teufel mit Bayliss! " Cade sprang auf, sein Gesicht war vor Zorn gerötet. „Und zum Teufel mit Angelica Gordon. Sie lügt! `' „Davon bin ich auch überzeugt, aber..." „Sie lügt, und ich werde es beweisen." „Und wie?" „Ich habe keine Ahnung. Trotzdem werde ich es irgendwie herausfinden. Ich lasse mir nicht von diesem zugeknöpften, prüden Frauenzimmer auf der Nase herumtanzen!" „Zugeknöpftes, prüdes Frauenzimmer?" Grant lachte leise. „Eine interessante Beschreibung." , „Und eine sehr zutreffende dazu. Wahrscheinlich verschafft es ihr einen besonderen Kick, die Arbeit eines Mannes zu machen." „Sei vorsichtig", warnte Grant. „Du hast zu lange in Arabien gelebt. Inzwischen gibt es in unserem Teil der Welt Gesetze gegen sexuelle Diskriminierung." „Und wie steht es mit Gesetzen gegen Dummheit?" erwiderte Cade wütend. „Die Frau ist zu einfältig, um die einfachsten Dinge über das Ölgeschäft zu wissen." „Ganz so einfältig kann sie nicht sein, wenn sie sich diesen Trick ausgedacht hat, um Landon Enterprises zu sabotieren." „Sie will Gordon Oil, Grant, und offenbar ist sie fest entschlossen, ihr Ziel zu erreichen." Cade fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Am liebsten würde ich sie mir schnappen, sie in eine Blockhütte in den Pecos bringen und sie dort einsperren, bis sie mir die Wahrheit sagt." „Findest du nicht, dass diese Methode etwas zu drastisch ist?" Plötzlich wurde Cade heiß. Angelica Gordon lag in seinen Armen. Ihr rotes Haar fiel über ihre nackten Schultern, ihre vollen, weichen Lippen waren von seinen Küssen geschwollen, und in ihren smaradgrünen Augen loderte das Verlangen ... „Verdammt! " „Was ist los, Cade?" „Nichts." Cade lachte heiser. „Ich muss unbedingt etwas essen, bevor mein Gehirn
vollends versagt." „Uns wird bestimmt eine Lösung einfallen." „Warum? Sie kann behaupten, was immer sie will, aber ohne Beweise ... „Darüber müsste dann ein Gericht entscheiden." „Ja." Cade massierte sich die verspannten Nackenmuskeln. „Setz dich noch einmal mit Bayliss in Verbindung und hole alles aus ihm heraus, woran er sich erinnern kann. Überprüfe die Akten. Vielleicht gibt es irgendwo eine Notiz, die wir übersehen haben." „Wird erledigt." „Wann meldest du dich wieder?" „Ich weiß nicht. Ein paar Tage wird es schon dauern." Soviel also zu dem kleinen Zwischenstop in Dumai, dachte Cade bitter. Hinter seinen Schläfen machte sich ein pochender Kopfschmerz breit. „Okay. In der Zwischenzeit versuche ich, A. H. Gordon auszuhorchen." „Sei vorsichtig, Cade. Und taktvoll. Wir wollen sie schließlich nicht auf dumme Gedanken bringen." Cade lachte zynisch. „Glaub mir, ihre Phantasie reicht aus, um uns beide auf Trab zu halten." „Na schön. Tu, was du nicht lassen kannst. Vielleicht findest du ja heraus, ob sie tatsächlich etwas gegen uns in der Hand hat." „Sie hat nichts dergleichen, wir beide wissen das." „Was immer sie vorhat, wir werden damit fertig." Cade nickte, als er den Hörer auflegte. Natürlich würden sie damit fertig werden. Angelica Gordon mochte noch so clever sein, wenn sie sich einbildete, die Landons übers Ohr hauen zu können, sollte sie sich besser auf eine unangenehme Überraschung gefasst machen. Er trat ans Fenster und schaute hinaus. Inzwischen war die Nacht über Dallas hereingebrochen. Die Skyline der Stadt glitzerte hell und einladend. Das Glas unter seinen Händen fühlte sich kalt an. Genauso hatte sich Angelica Gordons Haut angefühlt, als er sie berührt hatte - kalt und dennoch verheißungsvoll, so als verberge sich hinter dieser Kälte eine Glut, die nur darauf wartete, entfacht zu werden ... Fluchend wandte Cade sich ab und nahm erneut den Telefonhörer auf. „Den Zimmerservice", verlangte er. „Ich möchte ein Steak, medium gebraten, einen grünen Salat und eine gebackene Kartoffel mit Sauerrahm. Eine große Kanne Kaffee und eine doppelte Portion Apfelkuchen. Und alles so schnell wie möglich." Er lachte leise. „Ich bin völlig ausgehungert. " Nachdem er aufgelegt hatte, zog er das Hemd aus und ging ins angrenzende Badezimmer. Eine erfrischende Dusche, ein herzhaftes Essen und einige Stunden Schlaf würden mit Sicherheit wahre Wunder bewirken. Und morgen würde er sich um Angelica Gordon kümmern. „Angelica", sagte er leise vor sich hin. „Miss Angelica Gordon." „Guten Morgen." Emily lächelte zaghaft, als Angelica das Büro betrat. Angelica zwang sich zu lächeln. „Guten Morgen, Emily." „Ist ... ist alles in Ordnung?" „Natürlich." Angelica nahm den Poststapel vom Tisch der Sekretärin und ging dann
in ihr Zimmer. „Ich möchte in der nächsten Stunde nicht gestört werden. Falls jemand anruft, notiere dir bitte, was der Betreffende wollte." „Auch wenn es Mr. Landon ist?" „Ganz besonders dann. Wenn er sich meldet, sage ihm bitte, dass ich nicht im Haus bin." Angelica schloss die Tür hinter sich, warf die Briefe achtlos auf den Tisch und eilte zum Bücherschrank hinüber. Ihre alten Collegeaufzeichnungen standen zwischen den mit Eselsohren verunzierten Folianten über Erdöl ihres Vaters. Stirnrunzelnd studierte sie die Titel. In ihrer Wut hatte sie gestern dem unerträglich arroganten, abstoßend machohaften Cade Landon eine faustdicke Lüge präsentiert, die ihn völlig aus der Fassung gebracht hatte. Es hatte ihr maßloses Vergnügen bereitet zu beobachten, wie er unter seiner prächtigen Sonnenbräune blass geworden war. Ohne jeden Zweifel stammte seine Gesichtsfarbe aus dem Solarium des exklusiven Fitnessclubs, in dem er auch seine Muskelpakte trainierte. Angelica war überzeugt, dass er ebensowenig ein Cowboy war wie sie. Allerdings besaß er die Manieren eines Viehtreibers. In Angelicas Augen gab es nur eines, was noch schlimmer war als ein echter Cowboy: ein Aufschneider, der den harten Mann spielte. Hoffentlich hatte er schlecht geschlafen! Unter der Dusche war Angelica heute morgen plötzlich etwas eingefallen, was sie vor Jahren einmal in einem der Kurse über Wirtschaftsrecht gehört hatte. Verdammt, wo war der Band? Angelica sah sich suchend im Zimmer um. Hinter dem Schreibtisch hingen noch weitere Regale mit Büchern ihres Vaters. War am Ende die „Einführung ins Handelsrecht" dort gelandet? Ganz obenauf lag ein dicker Wälzer, dessen Umschlag ihr vage bekannt vorkam. Entschlossen schob Angelica ihren Stuhl in die richtige Position. Ihr Rock - lang, weit und aus grauem Wollstoff - würde sie bei ihrem Vorhaben nur behindern, also raffte sie ihn zusammen und steckte ihn auf. Sie spähte ein letztes Mal über die Regale. Spinnweben, dachte sie erschauernd. Dann zog sie die graue Kostümjacke aus und warf sie auf den Tisch. Der Stuhl schwankte gefährlich, als sie hinaufstieg. Angelica zögerte. Drehstühle, insbesondere die älteren Modelle, waren nicht für derartige Kletterpartien geeignet, aber wenn sie vorsichtig war ... Langsam richtete sie sich auf und angelte nach dem Buch. Ihr Pullover rutschte nach oben und entblößte ihre Taille. Auch ihr Rock schien plötzlich ein Eigenleben zu führen und glitt ihre Schenkel hinauf. Angelica hatte jedoch keine Zeit, auf solche Kleinigkeiten zu achten. Endlich hatte sie das Gesuchte gefunden. Aufatmend blätterte sie das Stichwortverzeichnis durch. „Verträge", las sie laut. „Verträge, gesetzliche; Verträge, mündliche ..." Sie schlug die angegebene Seite auf und überflog den Text. Ein Lächeln erhellte ihre Züge. Ihr morgendlicher Geistesblitz hatte sich als Volltreffer erwiesen! Zwei Parteien konnten tatsächlich eine mündliche Vereinbarung treffen, die genauso verbindlich war wie ein schriftlicher Vertrag. Große Staubflocken wirbelten auf, als Angelica den Band zuklappte. „Bingo, Mr.
Alleswisser Landon", flüsterte sie zufrieden. Noch immer lächelnd, reckte sie sich, um das Buch an seinen Platz zurückzustellen. „Jetzt habe ich dich ..." „Was, zum Teufel, tun Sie da?" Die Stimme - männlich und völlig unerwartet - schien von den Wänden widerzuhallen. Angelica zuckte zusammen, stieß einen unterdrückten Schrei aus und verlor das Gleichgewicht. Starke Männerarme fingen sie auf. Mit klopfendem Herzen klammerte sie sich an breite, muskulöse Schultern, die sich unter einem maßgeschneiderten Jackett spannten. Angelica nahm den schwachen Geruch von herber Seife wahr - und blickte geradewegs in Cade Landons funkelnde blaue Augen. „Sind Sie verrückt geworden?" Sein Tonfall ließ keinen Zweifel offen, dass er weder eine Antwort erwartete noch brauchte. „Man klettert nicht auf Drehstühle, sondern sitzt darauf, Lady." „Ich musste mir etwas von dem Regal holen. Und..." „Und Sie haben nach dem Erstbesten gegriffen, das Ihnen in die Hände gefallen ist." „Ich wäre doch gar nicht gestürzt, wenn Sie mich nicht so erschreckt hätten und ..." „Sie hatten verdammtes Glück, dass ich das getan habe, sonst hätten Sie sich Ihren verrückten Hals gebrochen." Erst jetzt wurde Angelica peinlich bewusst, wie Cade sie hielt. Er hatte ihre Taille umfasst und die Arme ausgestreckt, was bedeutete, dass sie auf ihn herabsah und ihre Brüste sich in seiner Augenhöhe befanden. Ein sonderbares Prickeln breitete sich in ihr aus. Verlegen räusperte sie sich. „Lassen Sie mich bitte herunter." Cade verlagerte ihr Gewicht. Sie war leichter, als er vermutet hatte - und viel weicher. Als er sie gestern geküsst hatte, war viel zuviel lästiger Tweed zwischen ihnen gewesen. Aber jetzt, dank des hochgerutschten Rocks und des viel zu kurzen Pullovers konnte er ihre zarte Haut spüren. „Kein Wunder, dass Sie diese Firma nicht erfolgreich leiten können", erklärte er schroff. „Sie haben ja nicht mehr Verstand als ..." „Halten Sie mir keine Vorträge!" „Irgend jemand hätte das schon vor langer Zeit tun sollen, Lady." „Verdammt!" Vergeblich versuchte Angelica, sich zu befreien. „Sie sind der ..." Die Worte erstarben auf ihren Lippen. Ihre verzweifelten Bemühungen hatten lediglich zur Folge, dass sich seine Arme noch fester um sie schlossen. Sie waren nun so eng aneinandergeschmiegt wie ein Liebespaar. Jeder Zentimeter seines muskulösen Körpers verriet, dass Cade Landon ein erfahrener Liebhaber war. Eine zarte Röte überzog Angelicas Wangen. „Lassen Sie mich herunter.',' Seine Augen funkelten amüsiert. „Was ist los, Süße?" fragte er herausfordernd. „Stört es Sie, wenn man Sie daran erinnert, dass es gewisse Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt?" Sie errötete noch tiefer. „Nein." Er lachte leise. „Nein, es stört Sie nicht? Oder nein, es gibt keine Unterschiede?" „Mr. Landon, nur weil Sie sich einbilden, Frauen könnten in Ihrer Welt nicht bestehen ..." „Das ist keine Einbildung, Süße, sondern eine Tatsache", unterbrach er sie
schmunzelnd. Kleine Grübchen erschienen auf seinen Wangen. „Aber das meinte ich gar nicht." Sie schluckte trocken. „Wenn Sie ein Gentleman sind, lassen Sie mich sofort herunter, Mr. Landon." Sein Blick ruhte unverwandt auf ihren vollen Lippen. Sie waren so rosig, als wäre sie gerade geküsst worden. Wie mochte sie wohl reagieren, wenn er es tat? „Cade", sagte er heiser. „Mein Name ist Cade." „Bitte lassen Sie mich herunter ... Cade." Als er darauf nichts erwiderte, begann ihr Herz, wie wild zu klopfen. Was sollte sie tun, wenn er sie nicht freigab? Was, wenn er den Kopf senkte und sie küsste? Aber er tat nichts dergleichen. Statt dessen ließ er sie die letzten Zentimeter bis zum Fußboden förmlich fallen, so als wäre sie eine lästige Bürde. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust. „Sie könnten sich wenigstens bedanken." Angelica schnappte sich ihre Jacke und zog sie an. „Stellen Sie sich vor, ich hätte mir dabei das Genick brechen können", erwiderte sie kalt. „Hätte Sie das nicht überglücklich gemacht?" „Sie irren sich, Miss Gordon." „Ach ja?" fragte sie zuckersüß. „Ich bin gerührt." „Mit einem gebrochenen Genick wären Sie im Hospital gelandet und hätten der betriebseigenen Krankenversicherung von Landon Enterprises erhebliche Kosten verursacht." Sein Lächeln war genauso unschuldig wie das ihre. „Vorausgesetzt natürlich, Sie haben die Beiträge bezahlt." Angelica wurde feuerrot. „Selbstverständlich habe ich das." Insgeheim nahm sie sich vor, diese Behauptung später zu überprüfen. „Also, was wollen Sie?" Lachend zog Cade sich den Besucherstuhl heran und nahm rittlings darauf Platz. „Ganz einfach: Ich will meine Firma." Angelica setzte sich ebenfalls. Sie faltete die Hände auf dem Tisch und schaute ihn treuherzig an. „Welche Firma?" 0 je, dachte Cade, die Lady ist wirklich ein harter Brocken. Noch vor wenigen Sekunden war sie schamhaft errötet wie eine alte Jungfer auf einer Junggesellenparty, aber kaum sprachen sie über das Geschäft, hatte sie die Situation wieder voll im Griff. Zumindest glaubte sie das. Bleib ruhig, ermahnte er sich im stillen, geh die Sache langsam an. „Sie wissen genau, wovon ich rede. Ich meine Gordon Oil." „Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt." „Nicht ganz." Cade legte eine bedeutsame Pause ein. „Ich habe gestern abend mit meinem Anwalt gesprochen." Angelika hob die Hand. War es ein Zeichen ihrer Nervosität oder lediglich eine unbewusste Geste, mit der sie ihre wilde Haarmähne bändigen wollte? Cade überlegte. Als er vorhin das Zimmer betreten und sie auf dem Stuhl balancieren gesehen hatte, war ihm sofort klargewesen, dass es sich um Angelica Gordon handelte. Doch noch während er zu ihr eilte, um sie aufzufangen, hatte er sich gewundert. War es möglich, dass A. H. Gordon derart lange, wohlgeformte Beine besaß? Hatte sie tatsächlich einen so sanft gerundeten Po und verführerische Brüste, die gerade groß genug waren, um die Handfläche eines Mannes auszufüllen? Die Antwort, die er sich selbst gab, als er sie in den Armen hielt, lautete definitiv
„Ja". Erstaunlich, überlegte er, wie verändert sie hinter ihrem Schreibtisch aussieht. Keine Frau, die einen Funken Weiblichkeit in sich verspürte, würde ein so scheußliches Kostüm tragen. Und trotzdem war Cade sich sicher, dass Angelica vorhin in seinen Armen vor Wonne geseufzt hatte ... „Woran denken Sie, Mr. Landon?" Cade räusperte sich. „Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich wissen möchten, Miss Gordon." „Sie haben recht. Vermutlich haben Sie sich gerade einen neuen Plan zurechtgelegt, wie Sie mich aus diesem Büro vertreiben können. Sie verschwenden Ihre Zeit." Er lächelte. „Mein Anwalt behauptet etwas anderes, Angelica." Sie straffte die Schultern. „Wie haben Sie mich genannt?" „Angelica. So heißen Sie doch, oder?" „Ja, aber ... „ Aber was? Warum überraschte sie der Klang ihres eigenen Namens? Vielleicht deshalb, weil es Monate her war, dass jemand ihn benutzt hatte. Die Männer, die für sie arbeiteten, hatten es rundheraus, abgelehnt, sie so anzureden. „Das können wir nicht tun, Ma'am", hatten sie behauptet. Andererseits konnte sie nicht zulassen, dass sie sie „Miss Gordon" nannten. Die Barriere zwischen Männern und Frauen wurde völlig überbewertet und wirkte sich zudem negativ auf die Produktion aus, darin war sich die gesamte Fachliteratur über psychologisches Management einig. Irgendwann verstieg sich ein beherzter Arbeiter zu der Anrede „A. H.", und dabei war es geblieben. Emily hatte die Abkürzung übernommen, und bald schon war es für Angelica selbstverständlich, so gerufen zu werden. Doch ihren Namen aus Cades Mund zu hören ... „Heißen Sie nun Angelica oder nicht?" Sie nickte. „Ja." „Gut. Dann stimmen wir wenigstens in einem Punkt überein." Cade stand auf und begann, in dem schäbigen Büro umherzuwandern. Missbilligend betrachtete er den Poststapel auf Angelicas Schreibtisch, studierte die Computerausdrucke, die in einer Ecke lagen, und blieb schließlich vor der Hängeregistratur stehen. Er öffnete eine der beschrifteten Schubladen. „Wo haben Sie die aktuelle Inventarliste?" Angelica sprang auf. „Was tun Sie da?" „Ist es die hier?" Er zog eine Mappe heraus. Wütend riss sie ihm den Ordner aus der Hand. „Ich weiß zwar nicht, was Sie damit bezwecken … " „Hören Sie auf, Süße. Ich bin es leid, von Ihnen hingehalten zu werden." Er griff an ihr vorbei und nahm sich einen anderen Ordner - den sie ihm genauso schnell wieder entwand. „Cade", sagte sie betont ruhig, „ich habe heute morgen einen vollen Terminkalender und... " „Sie haben heute überhaupt keine Termine." „Unsinn! Hat Emily Ihnen das etwa erzählt? Sollte das der Fall sein... " „Das brauchte sie gar nicht. Ich habe in Ihren Kalender geschaut." Empört warf Angelica die Mappen auf ihren Tisch und stemmte die Hände in die
Hüften. „Sie haben zwei Minuten Zeit, um durch diese Tür zu verschwinden", erklärte sie. „Danach werde ich die Polizei rufen und Sie wegen unerlaubten Eindringens anzeigen." Sie lächelte frostig. „Und bevor Sie fragen - die Telefonleitungen funktionieren heute." Nur mit Mühe unterdrückte Cade ein Schmunzeln. A. H. Gordon sah so aus, als würde sie ihn ohrfeigen, wenn er sie auslachte. Und dann steckte er wirklich in ernsten Schwierigkeiten, denn er wusste genau, wie er darauf reagieren würde: Er würde sie kurzerhand übers Knie legen und ihr das entzückendes Hinterteil versohlen ... Grant hatte ihn gewarnt. Sei vorsichtig und taktvoll, hatte er gesagt. Cade atmete tief durch. „Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu streiten, sondern weil ich Sie um Auskunft bitten wollte. Sie haben gestern eine Behauptung aufgestellt ..." „Und heute wollen Sie Beweise." Er runzelte die Stirn. Sie klang so verdammt gelassen. Gab es etwa einen Beweis? Hatten sich womöglich zwei alte Männer auf einen Handel geeinigt, der den Anwälten von Landon Enterprises auf Jahre hinaus Magengeschwüre bescheren würde? Cade musterte Angelica eindringlich. „Ja, das möchte ich." Sie nickte und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch. „Unsere Väter haben eine mündliche Vereinbarung getroffen." „Ach ja?" erwiderte Cade mit ausdrucksloser Miene. „Warum hätte mein Vater in eine so lächerliche Klausel einwilligen sollen?" Sie biss sich auf die Lippe. Ja, warum? Das war eine ausgezeichnete Frage. Angelica beschloss, es mit einem Bluff zu versuchen. „Ich habe wirklich keine Ahnung", log sie lächelnd. „Allerdings ist es auch nicht meine Aufgabe, mir über die Motive Ihres Vaters den Kopf zu zerbrechen." Ein Muskel zuckte an Cades Wange. „Das sollten Sie aber." Angelica lächelte selbstgefällig. „Ich muss gar nichts. Falls Sie sich entscheiden, meinen Anspruch auf Leitung der Firma anzufechten ..." „Falls ich mich entscheide, es anzufechten?" Cades Stimme klang trügerisch sanft, und dennoch schwang ein drohender Unterton darin mit. Er packte Angelica bei den Schultern und zog sie auf die Füße. „Das ist mein Betrieb, vergessen Sie das nicht. Und was Ihre Geschichte über diese mündliche Vereinbarung betrifft ..." Er lachte zynisch. „Das ist nichts weiter als eine faustdicke Lüge, Süße." Ihre grünen Augen funkelten vor Zorn. „Ich weigere mich, auf diese Unterstellung zu antworten." „Was ist los, Süße? Haben Sie Angst vor der Wahrheit?" „Nennen Sie mich nicht ,Süße`!" befahl sie frostig. „Warum nicht? Fühlen Sie sich dadurch in Ihrer engstirnigen Feministinnenseele beleidigt?" „Hören Sie zu, Sie ungehobelter..." „Ungehobelt? Ich?" Cade lachte, doch seine Augen blickten kalt. „Ich finde, in Anbetracht der Umstände bin ich sogar ausgesprochen höflich." „Leben Sie wohl, Cade. Wir haben uns nichts mehr zu sagen." Er verstärkte den Druck seiner Finger. „Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, für Sie ist jeder Mann, der es wagt. Ihnen zu. widersprechen, ein ungehobelter Kerl." Angelica verzog spöttisch die Lippen. „Sie machen wohl Witze! Erst platzen Sie wie ein wütender Stier hier herein und kommandieren mich herum, als wäre ich ein dummes
Kind, und anschließend sind Sie beleidigt, weil ich sage, was ich von Ihnen halte." Trotzig hob sie das Kinn. „Was ist Ihr Problem, Cade? Können Sie mit einer Frau wie mir nicht umgehen?" Kaum waren diese Worte heraus, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Lachend schlang Cade die Arme um sie. „Irrtum. Ich weiß sogar ganz genau, wie ich mit einer Frau wie Ihnen umgehen muss." Sie schrie auf, als er seine Lippen auf ihre presste. Abwehrend hob sie die Hände und stemmte sie gegen seine Brust, doch er zog sie nur noch fester an sich. „Lassen Sie das." Verzweifelt wandte sie das Gesicht ab. „Haben Sie mich verstanden? Sie beweisen damit nur, dass Sie tatsächlich ein ungehobelter ... " Cade drängte sie gegen den Schreibtisch, während er sie erneut küsste. Er schob seine Hände in ihr Haar und entfernte das Gummiband, das den Pferdeschwanz im Nacken zusammenhielt. Sofort ringelten sich die dichten roten Locken um seine Finger. Sein Kuss wurde leidenschaftlicher. Angelica erschauerte. Sie wollte Cade fortstoßen, ihn schlagen und ... Aber dieses wundervolle Gefühl hinderte sie daran. Das Gefühl, seinen harten, durchtrainierten Körper zu spüren, die Erinnerung an seine Hände auf ihrer nackten Haut, der Gedanke an die Erfüllung, die sie in den Armen eines solchen Mannes finden würde ... Cade umfasste ihr Gesicht. „Öffne den Mund", befahl er heiser. „Lass mich dich kosten." Das Blut strömte schneller und heißer als je zuvor durch ihre Adern. Mit einem leisen Aufstöhnen gab sie schließlich ihren Widerstand auf. Ihre Lippen teilten sich und hießen seine Zunge willkommen. Wie im Fieber tastete sie über seine Brust und lauschte dem pochenden Schlag seines Herzens. Cade streifte die Jacke von Angelicas Schultern. Er senkte den Kopf und küsste die samtige Haut ihres Halses, während er ihren Namen flüsterte. Dann ließ er seine Hände über ihren Pullover gleiten und umschloss ihre Brüste mit den Fingern. Benommen vor Wonne, drängte sie sich enger an ihn, ihr Körper schmerzte vor Verlangen ... Schwungvoll wurde die Tür aufgerissen. „A. H.", begann Emily, „es tut mir wirklich leid, wenn ich dich und Mr. Landon störe..." Die Zeit schien stillzustehen. Angelica erhaschte einen flüchtigen Blick auf das maskenhaft starre Gesicht ihrer Sekretärin, ehe Cade herumwirbelte und sie den neugierigen Blicken entzog. „Ja?" Seine gelassene Stimme verriet Angelica, dass alles, was sich soeben abgespielt hatte, nichts anderes gewesen war als ein weiterer kühl kalkulierter Beweis seiner Macht. „Äh ..." Emily lief puterrot an. „Es ist nicht so wichtig. Ich ... äh ... Ich wollte Miss Gordon lediglich mitteilen, dass ich heute früher zum Lunch gehe." „In Ordnung", erwiderte er. „Aber das nächste Mal fragen Sie zuerst mich." Emily nickte und huschte hinaus. Fast lautlos schloss sie die Tür hinter sich. Als sie wieder allein waren, wandte Angelica sich zu Cade um. „Du verschwendest nur deine Zeit", erklärte sie. „Weder die widerwärtige Demonstration deiner körperlichen Überlegenheit noch die Bemerkung, die du soeben Emily gegenüber gemacht hast, können mich davon überzeugen, dass du im Recht bist."
Cade musterte sie nachdenklich. Noch vor einem Moment hatte er geglaubt, die wahre Frau in Angelica Gordon entdeckt zu haben. Doch nun musste er feststellen, dass sie ein kaltblütiges, starrsinniges Geschöpf war, das vom Ehrgeiz besessen war. Sie würde Gordon Oil eher ruinieren, als zuzugeben, dass sie die Firma nicht leiten konnte. London und Dumai würden warten müssen.
4. KAPITEL Cade blieb am nächsten Tag dem Büro fern, doch Angelica ließ sich dadurch nicht täuschen. Sie hatte gestern zwar ein paar Punkte bei ihrem Wortgefecht gesammelt, aber der Krieg war noch lange nicht vorüber. Am späten Vormittag war ihre Zuversicht verschwunden. Angelica hatte sich die verstaubte Ausgabe von „Psychologische Menschenführung" aus dem Regal geholt und diverse Kapitel überflogen. Wenn sie mit einem Mann wie Cade Landon fertig werden wollte, musste sie sein Spiel spielen. Und er hielt alle Trümpfe in der Hand. Seufzend klappte sie das Buch zu. „Ich habe es gewusst", flüsterte sie vor sich hin, „und trotzdem habe ich mich in einen Streit mit ihm verwickeln lassen." Verdammt! Es gelang ihm immer wieder, sie bis zur Weißglut zu reizen, so dass sie alles vergaß, was sie je gelernt hatte. Auf diese Weise würde sie nie gewinnen. Es gab nur eine Lösung für ihr Problem: Sie musste auf der Hut sein und durfte ihm keine Gelegenheit bieten, sie zu verwirren und herumzukommandieren. Der Trick bestand darin, ihm stets einen Schritt voraus zu sein und ihm ihren eigenen Willen aufzuzwingen, ehe er dasselbe mit ihr versuchen konnte. Die Gegensprechanlage summte. „A. H.?" Emilys Stimme klang nervös. „Mr. Landon ist auf Leitung eins." Angelica wappnete sich innerlich auf eine weitere Auseinandersetzung. „Stell ihn bitte durch." Emily räusperte sich. „Er ... äh ... Er will gar nicht mit dir reden." „So?" Angelica richtete sich kerzengerade auf. „Was möchte er dann?" „Er will, dass ich ihm einige Unterlagen in sein Hotel faxe." „Unterlagen?" „Ja. Lieferscheine, Verträge, Rechnungen und so weiter." Angelica presste die Lippen zusammen. „Sag Mr. Landon, er kann sich seine Wünsche ...", ihr Blick fiel auf das Psychologiebuch vor ihr auf dem Tisch, ,,... in die Tasche stecken", schloss sie lahm. „Hmm. " „Und Emily ... Ich bin froh, dass du geistesgegenwärtig genug warst, mich zu informieren, bevor du seine Bitte befolgt hast." „Nun ja ... Das hätte ich natürlich in jedem Fall gemacht, aber genau genommen hat Mr. Landon mir dazu geraten." Die Sekretärin kicherte verlegen. „Er meinte, obwohl er die vollständige Verfügungsgewalt habe, solle ich mit dir sprechen, bevor ich seine Anweisungen ausführe. Eine Geste der Höflichkeit, verstehst du?" Angelica atmete tief durch. „Fax ihm, was er will", erwiderte sie. „Aber notiere dir bitte, um welche Unterlagen es sich handelt, damit ich genau weiß ..." „Selbstverständlich. Das hat er mir auch empfohlen." „Danke." Wutentbrannt beendete Angelica das Gespräch. Als sie sich nach ein paar Minuten wieder beruhigt hatte, öffnete sie die Tür zum Vorzimmer. „Tut mir leid, Emily, dass mein Temperament mit mir durchgegangen ist", sagte sie. Emily zuckte die Schultern. „Du stehst unter einem gewaltigen Stress, A. H.. Ich verstehe das." „Danke. Dieser Cade Landon ...
Das Telefon klingelte. Emily hob ab, lauschte kurz und bedeckte dann die Sprechmuschel mit der Hand. „Die Bank", flüsterte sie und reichte Angelica den Hörer. „Mr. Carruthers", begann Angelica unbehaglich, „wie nett, dass Sie sich melden. Falls es sich um die Überweisung handelt..." Es stellte sich jedoch heraus, dass der Anruf nichts mit der überfälligen Zahlung zu tun hatte. Der Filialleiter berichtete Angelica, dass ein gewisser Mr. Cade Landon vor ihm sitze. „Er scheint bevollmächtigt zu sein, Ihre Kontoauszüge zu überprüfen, Miss Gordon. Ich dachte, Sie würden gern.. . äh ... darüber informiert werden." Angelica schloss kurz die Augen. „Verstehe", flüsterte sie, „Vielen Dank, Mr. Carruthers." Bis zum späten Nachmittag läutete das Telefon unablässig. Emily war mittlerweile völlig heiser, und Angelicas Kopf schmerzte unerträglich. Noch nie zuvor war das kleine Büro mit so vielen Anrufen bombardiert worden. Offenbar machte Cade seine Runde durch die Stadt. Er traf sich mit Angelicas Subunternehmern, dem von ihr beauftragten Kurierdienst so wie mit den diversen Firmen, die sie mit Bohrausrüstungen, Büromaterial und anderen Waren belieferten. Angelica blickte verzweifelt auf den Einband von „Psychologische Menschenführung", der unter der endlosen Liste der Unterlagen begraben war, die Emily an Cade gefaxt hatte. Bleib ruhig, ermahnte sie sich im stillen. Du musst nur den richtigen Moment abpassen, um ihm deine Kalkulationen und Computerausdrucke zu zeigen. Zweifellos wird er dann begreifen, dass es seine Zeit braucht, bis der Laden wieder läuft. Um fünf erklärte Emily, dass entweder die schlimmste Grippe seit Jahren sie erwischt habe oder sie ihre Stimme vollständig verlieren würde. Sie wollte nach Hause fahren, sich eine Tasse Tee kochen und ins Bett gehen. „Eine gute Idee." Angelica seufzte. „Das werde ich auch tun. Ich wer de mir die Decke über den Kopf ziehen und schlafen, bis..." „Vorher solltest du aber den Wecker stellen." Erschrocken drehte sie sich um. Cade stand an der geöffneten Tür und musterte sie finster. „Ich bin schon fort", krächzte Emily. Sie drängte sich an Cade vorbei und war verschwunden. Angelica rang sich ein Lächeln ab. „Das ist ja eine Überraschung, Cade. Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich Emily gebeten, Kaffee zu machen." „Ich bin nicht wegen einer Tasse Kaffee hier. Verrate mir eines, Lady: Gibt es irgend jemand in Dallas, dem du kein Geld schuldest?" Angelica schluckte trocken. Bleib ruhig, sagte sie sich. „Ich weiß, dass das auf dich so wirken muss", begann sie vorsichtig, „da du dich im Ölgeschäft nicht auskennst. Wärst du mit den speziellen Problemen und Anforderungen vertraut ..." „Du steckst bis über deine märchenhaften Augen in Schulden, Süße. Ist dir das eigentlich klar?" Märchenhafte Augen? Cade runzelte die Stirn. Das stundenlange Studium endloser Zahlenkolonnen hatte offenbar seinen Verstand beeinträchtigt, Glücklicherweise hatte A. H. seinen Versprecher nicht bemerkt. Sie war viel zu beschäftigt damit, ihr Temperament zu zügeln. Ihre Wangen nahmen allmählich die Farbe ihres Haars an, und ihre Brüste, die sie so sorgsam unter diesen unvorteilhaften
Kostümjacken verbarg, hoben und senkten sich heftig bei jedem Atemzug. „Na schön, ich habe ein paar Verbindlichkeiten, aber..." ,,... aber du hast ein halbes Dutzend Diagramme und Statistiken, um das zu begründen", unterbrach er sie schroff. „Emily hat mir nicht gesagt, dass sie dir auch meine Präsentationsgrafiken gefaxt hat." „Deine Präsentationsgrafiken?" Cade brach in schallendes Lachen aus. „Verdammt, das ist gut. Präsentationsgrafiken, hmm? Das gefällt mir." Angelica zählte innerlich bis zehn. Der Wunsch, dieses arrogante Grinsen mit einer Ohrfeige aus seinem Gesicht zu vertreiben, wurde übermächtig. In letzter Sekunde wandte sie sich ab und begann, Unterlagen in ihren Aktenkoffer zu stopfen. „Warum bist du hier?" „Angenommen, ich bin gekommen, um dir eine letzte Chance zu geben, die Wahrheit zu gestehen - dass nämlich nie eine mündliche Vereinbarung zwischen unseren Vätern existiert hat. Was würdest du dann sagen?" „Ich würde sagen, du verschwendest deine Zeit. Wenn das alles ist ... " Cade legte ihr die Hände auf die Schultern. Angelica stockte der Atem. Obwohl Cade ein großer Mann war, hatte sie nicht gehört, dass er sich ihr genähert hatte. Erst jetzt spürte sie ihn hinter sich, fühlte seinen starken Körper und den leichten Druck seiner Finger, als er sie zu sich umdrehte. „Du bist sehr ungeduldig, Süße." Sie sah hoch und ihn an. Seine Augen waren tiefblau mit winzigen goldenen Pünktchen. Das Lächeln, das seine Lippen umspielte, ließ ihr Herz unwillkürlich schneller schlagen. Warum, um alles in der Welt, war sie sich seiner Berührung so bewusst? Schließlich trennten mehrere Lagen Stoff seine Hände von ihrer Haut, und trotzdem durchrieselte ein heißer Schauer sie. Betroffen wich Angelica einen Schritt zurück. „Und du machst einen Fehler, wenn du glaubst, ich wäre ein Dummchen, das sich von dir einschüchtern lässt", erwiderte sie scharf. Du hattest bestimmt einen Grund für dein Kommen. Also, heraus mit der Sprache. Andernfalls würde ich dich bitten zu gehen. Es war ein langer Tag..." „Und morgen wird es ein noch längerer. Ich will das Ölfeld in Odessa inspizieren." „Warum erzählst du mir das? Du wolltest mich doch nicht um Erlaubnis bitten, oder?" Cade ignorierte diesen Seitenhieb. „Ich weiß zwar ungefähr-, wo das Bohrloch liegt, aber ich brauche genauere Angaben. Eine Landkarte, zum Beispiel." „Gewiss. Genauere Angaben. Eine Landkarte." Sie lächelte betont heiter. „Sonst noch was?" „Ja. Stell den Wecker." Er lächelte. „Ich werde dich morgen früh um sechs abholen und möchte nicht warten." „Wie meinst du das?" fragte sie entsetzt. „Ich werde nicht mit dir nach Odessa fahren, Cade.“ „Und ob du das wirst", sagte er freundlich. „Sei nicht albern." Angelica verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast den ganzen Tag damit zugebracht, in meinem Leben herumzuschnüffeln ..." „Nicht in deinem Leben, Süße, sondern in dem der Firma. Das ist ein gewaltiger Unterschied."
„Bis jetzt bist du jedenfalls ziemlich gut ohne meine Hilfe zurechtgekommen. Warum..." „Sechs Uhr. Und zieh dir bitte etwas Passendes an. Diese Kartoffelsäcke mögen auf Miss Palmers Mädchenschule angemessen sein, aber für einen Tag in der texanischen Prärie sind sie denkbar ungeeignet." Angelica errötete. „Nenn mir einen vernünftigen Grund, weshalb ich dich begleiten sollte." Cade lachte leise. „Weil ich es so will. Und weil mein Wort hier Gesetz ist. Reicht dir diese Begründung, Angelica?" Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Sekundenlang stand Angelica wie angewurzelt da. Dann murmelte sie ein Wort, das sie noch nie benutzt hatte, und schmetterte die „Psychologische Menschenführung" in den Papierkorb. Odessa lag vierhundert Meilen von Dallas entfernt. Wie sollten Cade Landon und sie diese lange Fahrt überstehen, ohne einander umzubringen? Viertel vor sechs trat Angelica auf die Veranda hinaus und spähte die menschenleere Straße entlang. Seufzend setzte sie sich in einen alten Schaukelstuhl und übte sich in Geduld. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob sie fertig sein sollte, wenn Cade eintraf, oder ob sie ihn lieber warten lassen sollte. Am Ende hatte ihre Vernunft gesiegt. Das Warten hätte Cade nur verärgert, und der Tag würde auch ohne diesen Start unangenehm genug werden. Kurz vor sechs bog ein glänzender schwarzer Pick-up in die Auffahrt ein. Cade sprang heraus und eilte die Stufen zur Veranda hinauf. „Sehr schön, du bist pünktlich. Das spricht für dich." Verwundert musterte sie ihn. Die maßgeschneiderten Anzüge, die weißen Hemden und seidenen Krawatten waren verschwunden. Statt dessen trug er eine hautenge Jeans und ein verblichenes Holzfällerhemd, dessen Ärmel bis über die Ellbogen hochgerollt waren. Die Hosenbeine hatte er in zerschrammte Lederstiefel gestopft. Eine tief in die Stirn gezogene Baseballkappe vervollständigte seinen Aufzug. Das ist keinesfalls die richtige Kleidung, um ein Ölfeld zu besuchen, dachte Angelica amüsiert. Cade glich nicht im entferntesten einem seriösen Geschäftsmann, sondern eher einem der Burschen, die auf den Bohrtürmen arbeiteten. Er sah aus wie ... wie ... Plötzlich war ihr Mund wie ausgedörrt. Er war attraktiver als jeder andere Mann, der ihr je begegnet war. „Was, zum Teufel, hast du da an, Angelica?" Cade betrachtete sie missbilligend. Erstaunt blickte sie an ihrem Leinenkleid herab. „Wie meinst du das?" „Ich habe dir doch gesagt, dass wir nach Odessa fahren. Warum hast du dich angezogen, als wolltest du ins Büro?" „Ich bin völlig passend gekleidet." Er lächelte mitleidig. „Wer hat dir das eingeredet? Stammt diese Weisheit aus dem Buch ,Mit der richtigen Garderobe zum Erfolg`?" „Mach dich ruhig lustig über mich, Cade. Wenn du auch nur die leiseste Ahnung hättest, wie man Menschen führt ..." „Ich enttäusche dich nur ungern, Süße, aber ich tue nichts anderes." „0 ja", erwiderte sie verächtlich. „Und ich wette, sie springen für dich durch brennende Reifen. Schließlich bist du der große Cade Landon von Landon Enterprises."
„Geht das schon wieder los?" Cade richtete den Blick gen Himmel. „Ein Vortrag darüber, wie man sich den Weg an die Spitze erkämpft?" „Kein Vortrag", entgegnete sie, „sondern lediglich ein gutgemeinter Rat. Tu nie so, als wärst du einer der Arbeiter. Das klappt nicht. Die Männer werden dir keinen Respekt entgegenbringen." „Eine brillante Theorie. Und nun zieh dir endlich Jeans an." „Du hast vielleicht das Recht, mir im Büro Befehle zu erteilen, aber privat treffe ich meine eigenen Entscheidungen. Was ich anziehe, geht dich überhaupt nichts an. Ist das klar?" Ratlos schüttelte er den Kopf. Diese Frau war wirklich unglaublich. Bei der Analyse ihrer Geschäftsunterlagen war er zu dem Schluss gelangt, dass man ihr vermutlich nicht einmal ein eigenes Scheckbuch anvertrauen konnte. Außerdem hatte sie das Temperament einer Wüstenviper - und jetzt stellte sich zudem heraus, dass sie auch deren Verstand besaß. Sie würden ein halbes Dutzend Ölquellen in der Wildnis besichtigen, und A. H. kleidete sich, als wolle sie an dieser verdammten Mädchenschule Unterricht erteilen. Cade atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen, bevor er nicht einen hundertprozentig sicheren Weg gefunden hatte, sie loszuwerden. Bis dahin musste er sich mit ihr arrangieren. Allerdings war er nicht bereit, sie in dieser Aufmachung in einer Gegend herumlaufen zu lassen, wo es Schlangen, Skorpione und gefährliche Gerätschaften gab. Und erst ihr Haar, dachte er wütend. Warum band sie es immer so streng zurück? Warum ließ sie es nicht offen über die Schulter fallen? Es war so weich und seidig ... Er blinzelte verwirrt. Was, in Gottes Namen, hatte ihr Haar mit der Sache zu tun? „Ein Leinenkleid und hochhackige Schuhe für eine Visite auf den Ölfeldern", sagte er brummig. „Unmöglich!" „Was ist los?" erkundigte Angelica sich zuckersüß. „Hast du etwa Angst, die Crew könnte mich für den Boss und dich für einen Cowboy halten?" Erschrocken schrie sie auf, als er ihre Handgelenke packte. „Du hast gefährliche Krallen, Süße", flüsterte er, „und ein noch gefährlicheres Mundwerk." Langsam senkte er den Kopf. Angelica stellte sich innerlich auf einen weiteren unerbittlichen Kuss ein, der ihr Cades Macht demonstrieren sollte. Als ihre Lippen sich jedoch trafen, glich die Berührung dem Flügelschlag eines Schmetterlings. Zärtlich liebkoste er ihren Mund. Sie stieß einen leisen Seufzer aus, der sowohl Protest als auch eine Einladung bedeuten konnte. Unvermittelt gab Cade sie frei. „Falls du etwas so Gewöhnliches wie Jeans besitzt, solltest du sie lieber anziehen", meinte er ausdruckslos. „Ansonsten eine lange Hose. Und Stiefel oder feste Schuhe." Ihre Augen spiegelten Angelicas Unmut wider, aber das war allemal besser als die Hilflosigkeit, die Cade noch vor wenigen Sekunden in ihrem Blick entdeckt hatte. Der Kuss war ein Fehler gewesen. Verdammt, es gab schließlich andere Methoden, eine Frau wie sie zum Schweigen zu bringen. Cade spürte, wie das Blut schneller durch seine Adern rann. Was sollte er tun, wenn sie ihn noch weiter herausforderte? Er wollte und konnte - sich das nicht gefallen lassen.
In diesem Fall würde er sie kurzerhand hochheben und in ihr Haus tragen, die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Ihre scharfe Zunge würde sehr sanft werden, davon war er überzeugt. Alles an ihr würde unter seinen Händen weich und nachgiebig werden, bis sie schließlich seinen Namen rief und ihn anflehte, sie zu nehmen.. . Diese ungebetenen Bilder jagten eine Woge der Erregung durch Cades Körper. Sein Gesichtsausdruck hatte ihn offenbar verraten, denn Angelika wich plötzlich einen Schritt zurück. „Du bist ein widerwärtiger Mensch", erklärte sie, bevor sie ins Haus stürmte. Cade lachte bitter. Er war nicht widerwärtig, sondern dumm. Wer von Frauen wie Angelica Gordon träumte, steckte in ernsten Schwierigkeiten - und niemand wusste das besser als er. Bereits nach fünfminütiger Fahrt wurde deutlich, dass Cade nicht auf die Interstate 20 zusteuerte, dem Highway, der Dallas mit dem Westen von Texas verband. Statt dessen lenkte er den Pick-up über holperige Landstraßen. Voller Unbehagen registrierte Angelica, dass er dabei das Tempolimit um mindestens zehn Meilen überschritt. „Das ist aber nicht der Weg nach Odessa", bemerkte sie. „So kommen wir nicht zu meinen Ölquellen." Cade schmunzelte. „Nein, aber zu meinen." „Sehr witzig." „Hast du die Straßenkarte mitgebracht? Fein, dann lotse uns nach Notrees. " „Notrees?" wiederholte sie verwundert. „Aber.. ." „Kannst du es, oder muss ich es selber machen?" Verärgert schlug sie den Plan auf. „Nach Notrees. Jawohl, Sir, Mr. Landon, Sir." Cade lachte. „So gefällst du mir, Süße." Angelica würdigte ihn keines Blickes und konzentrierte sich statt dessen auf die Karte. Als sie wieder aufsah, fuhren sie über ein staubiges Flugfeld auf eine kleine Maschine zu. „Was ist das?" fragte sie verblüfft. „Eine Piper Apache", erklärte er todernst. „Du weißt genau, was ich meine, verdammt! Hast du dieses Flugzeug gechartert? Die Firma kann es sich nicht leisten ..." „Gordon Oil kann es nicht." Cade öffnete die Fahrertür. „Aber ich schon. Was ist, kommst du mit, oder willst du hier sitzenbleiben?" Angelica murmelte etwas Unverständliches und verließ ebenfalls den Wagen. Sie folgte Cade zu dem winzigen Flugzeug. Beim Einsteigen ignorierte sie Cades hilfreich ausgestreckte Hand und kletterte ziemlich ungeschickt an Bord. „Es muss schön sein, wenn man das Geld zum Fenster hinauswerfen kann", stichelte sie. „Wo ist der Pilot?" Suchend schaute sie sich um. „Du stehst vor ihm", sagte er lächelnd. „Du?" Fassungslos beobachtete sie, wie Cade es sich im Cockpit bequem machte. „Was ist los, Süße? Möchtest du erst meine Fluglizenz überprüfen, bevor du dich meiner liebevollen Obhut anvertraust?" „Eher würde ich mich einem Skorpion anvertrauen." Trotzig setzte Angelica sich auf den Platz neben ihm. „Aber welche andere Wahl habe ich denn?" Cade lachte. „Keine."
Obwohl Cade sich als erfahrener Pilot erwies, war Angelica froh, als die Apache zur Landung ansetzte. Cades Nähe in der engen Kabine und das warme Sonnenlicht, das durch die Kanzel fiel, schufen eine Atmosphäre, die für ihren Geschmack viel zu intim war. Auf einem einsamen Flugplatz rollte die Maschine aus. Wie schon beim Einsteigen verzichtete Angelica auch jetzt darauf, sich von Cade helfen zu lassen, und sprang auf den Asphalt hinaus. Heißer Wind zerrte an ihren Haaren. Bis auf eine träge Eidechse war weit und breit kein Lebenszeichen zu entdecken. Neben baufälligen Hangar parkte ein staubbedeckter Pick-up, ähnlich dem, den sie in Dallas zurückgelassen hatten. Cade öffnete die Fahrertür, setzte sich hinter das Lenkrad und sah Angelica fragend an. „Kommst du?" Eine heftige Bö verfing sich in ihren Locken. Das Gummiband, mit dem sie das Haar zurückgebunden hatte, zerriss. Sofort flatterte die wilde Mähne um ihr Gesicht. Ärgerlich kletterte sie in den Wagen und schlug die Tür zu. Während Cade über schmale Straßen fuhr, überlegte Angelica fieberhaft. Woher hatte er dieses Auto? Wem gehörte es? Wie hatte er es geschafft, dass der Pick-up hier für sie bereitstand? Cade schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Ich habe einen Freund in Notrees, der mir einen kleinen Gefallen schuldig war", erklärte er. „Faszinierend." Er seufzte. „Welchen Weg soll ich nehmen?" Den direkten zur Hölle, dachte sie, zog es jedoch vor, zu schweigen. Cade Landon, der große Industriekapitän, würde bald sein Waterloo erleben, und sie würde jede Sekunde davon genießen. Wenn er wirklich glaubte, seine Verkleidung und der Wagen würden ihm bei der Crew Pluspunkte verschaffen, irrte er sich gewaltig. Männer, die im Schweiße ihres Angesichts, Öl aus der Erde förderten, waren nicht gerade für ihren Takt bekannt. Ein paar Stunden später saß Angelica auf einer Bank im Schatten einer mächtigen Eiche und zwang sich zu lächeln. Sie hatten soeben den Lunch beendet. Es war ein improvisiertes Festessen gewesen, bei dem Cade - und Angelica, wie die Arbeiter hartnäckig behaupteten, obwohl es sich um eine faustdicke Lüge handelte - die Ehrengäste waren. Zwei Stunden lang hatten Cade und die Männer haarsträubende Geschichten von ihren Abenteuern im Mittleren Osten, Oklahoma und Orten erzählt, von denen sie noch nie gehört hatte. Dabei wurden gewaltige Sandwiches herumgereicht und genug Bier„,um eine kleine Armee glücklich zu machen. Und jetzt waren ihre Leute - wohlgemerkt ihre Leute - mit Cade verschwunden und zeigten ihm irgendein Gerät, das angeblich wahre Wunder vollbrachte. „Bleiben Sie ruhig gemütlich sitzen", hatte Tom, der Vormann, ihr geraten. „Zur Hölle mit Cade Landon", flüsterte Angelica. Sie hatte sich in den vergangenen Tagen der trügerischen Illusion hingegeben, er hätte keine Ahnung vom Ölgeschäft, und nun musste sie feststellen, dass er nach Meinung der Crew ein Genie in dieser Branche war! Dabei hatte alles so gut angefangen ... „Miss Angelica", hatte Tom sie begrüßt, „ich meine natürlich A. H.. Was für eine nette Überraschung!"
Lächelnd hatte sie seine ausgestreckte Hand ergriffen. „Ich habe jemand mitgebracht, Tom. Dieser Gentleman vertritt Landon Enterprises und möchte sich ein bisschen umsehen." Nur mit Mühe hatte sie angesichts der Empörung auf Toms wettergegerbtem Gesicht ein Schmunzeln unterdrücken können. „Das hat uns gerade noch gefehlt", brummelte er. „Ein Typ, der eine Ölquelle nicht von einem Tintenfass unterscheiden kann und uns erzählen will, welche Bohrer wir nehmen sollen..." „He, Mann, das ist ein Irrtum", unterbrach Cade ihn lachend. „Ihr Jungs seid hier die Experten und könnt mir bestimmt eine Menge erklären. ren. Verblüffung machte sich auf Toms Gesicht breit. „Kenne ich Sie nicht?" Mit geheuchelter Bescheidenheit räumte Cade ein, dass er .., nun ja ... sein Leben auf den Ölfeldern verbracht habe und dass Tom ihn durchaus irgendwo einmal gesehen haben könne... „Ich bin Cade Landon." Tom wurde blass. „Cade Landon? Der Landon, der Miss Angelica ... Ich meine A. H. ... Also, der uns gekauft hat?" „Ja." Cade schüttelte Toms Hand. „Nett, Sie kennenzulernen." „Zum Teufel, A. H., warum haben Sie uns nicht gesagt ... Oh, Verzeihung, ich wollte nicht fluchen, Miss Angelica." Cade schlug dem Vorarbeiter freundschaftlich auf die Schulter. „Die Lady versteht Sie auch so, Tom. Eigentlich wäre es ihr ganz lieb, wenn Sie aufhören würden, diese lächerliche Abkürzung zu benutzen. Ist es nicht so, Angelica?" Angelica wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Glücklicherweise war Tom viel zu beschäftigt, um ihr eisiges Schweigen zu bemerken. Er winkte die anderen herbei, die sich begeistert um Cade scharten, als wäre er der Schutzpatron des Ölgeschäfts. In diesem Moment hatte sie erkannt, dass ihr schöner Plan gescheitert war ... Sie schreckte aus ihren Grübeleien auf, als sich ein starker Arm um ihre Schultern legte. Angelica erstarrte. Sie blickte in Cades lächelndes Gesicht und zischte ihm etwas zu. Spöttisch zog er die Brauen hoch. „Ich bin schockiert, Süße? Benutzt man auf Miss Palmers Mädchenschule solche Ausdrücke?" „Du ... du Lügner", schimpfte sie leise. „Du Betrüger! Du abscheulicher . . . " ' „Miss Angelica?" Tom stand sichtlich verlegen im Kreise seiner Leute vor ihr. „Ja, was gibt es?" „Wir... also die Jungs und ich ... möchten, dass Sie ... Na ja, also vielleicht haben wir nicht immer alles so gemacht, wie Sie es angeordnet haben. Das war nichts Persönliches, Miss Angelica ... Aber Sie kennen sich in dieser Branche nicht aus." Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und schaute beifallsheischend zu Cade hinüber. „Wenn Sie uns bloß gesagt hätten, dass Cade mit Ihren Anweisungen einverstanden war ..." „Sie ist sprachlos", warf Cade hastig ein, als Angelica tief Luft holte. „Nicht wahr?" In seinem Blick lag eine unverhohlene Warnung, als er sie auf die Füße zog. „Macht mal Platz, Jungs. Ich möchte mit Miss Angelica ein bisschen spazierengehen und ihr dabei erklären, worüber wir geredet haben." Nachdem sie außer Hörweite der Mannschaft waren, stieß Angelica Cade ihren Ellbogen in die Rippen. „Lass mich sofort los."
„Nur wenn du versprichst, dich zu benehmen. Du willst doch, nicht etwa die Leute erschrecken." Wütend umklammerte sie einen Pumpenschwengel. „Die Leute können sich meinetwegen zum Teufel scheren. Warum hast du mir nicht erzählt, dass du ein Ölexperte bist?" „Du hast mich nicht danach gefragt." „Ich habe dich nicht danach gefragt? Was soll das? Du hättest es mir sagen müssen!" „Wieso?" Obwohl Cade lächelte, blickten seine Augen kalt. „Du wusstest doch bereits alles über mich, ehe du mich überhaupt kennengelernt hast. Ich bin ein Hai, eine Hyäne..." „Ist es nicht schon schlimm genug, dass du hier bist, um mir Gordon Oil zu stehlen? Musstest du mich obendrein noch demütigen?" „Wenn einer von uns ein Dieb ist, dann du, Süße. Die Firma gehört dir genausowenig wie dem Mann im Mond." „Und noch etwas: Ich hasse es, wenn du mich Süße` nennst." „Das ist allemal besser, als A. H. gerufen zu werden." „Mach dich ruhig weiter über mich lustig. Zufälligerweise haben diese Männer hier mir diesen Namen gegeben." „Kein Ölarbeiter, der auch nur einen Funken Selbstachtung im Leib hat, würde eine Frau anders anreden als mit ,Miss`. Wenn sie sich letztlich darauf geeinigt haben, deine Initialen zu benutzen, müssen sie verdammt verzweifelt gewesen sein." Angelica errötete. „Es war ein für beide Seiten befriedigender Kompromiss. Auf diese Weise konnten sie auf Formalitäten, die in der modernen Arbeitswelt ohnehin überflüssig sind, verzichten, ohne in Verlegenheit zu geraten." Ungläubig schüttelte Cade den Kopf. „Die Theorien aus deinen schlauen Büchern mögen ja in anderen Unternehmen funktionieren, aber das Ölgeschäft hat seine eigenen Regeln. Die Leute, die hier arbeiten, sind harte Burschen und stolz auf ihre Männlichkeit." „Versuche nicht, mich zu bevormunden!" „Ich will dir doch nur die Augen öffnen, Angelica. Was wäre denn, wenn sich herausstellen würde, dass du mir die Wahrheit gesagt hast und tatsächlich ein mündliches Abkommen zwischen unseren Vätern existierte, das dich ermächtigt Gordon Oil ..:" Erschrocken verstummte er. „Was höre ich da?" Sie lächelte spöttisch. „Das war kein Zugeständnis, sondern lediglich eine Hypothese", versicherte er rasch. „Es bedeutete gar nichts." „Und ob es etwas bedeutet. Du hast soeben eingeräumt, dass ..." „Um Gottes willen." Cade wurde blass. „Halt den Mund, Angelica." „Ich soll den Mund halten?" Sie lachte. „Nur weil dich ein paar meiner Leute förmlich anbeten ..." „Verdammt, ich meine es ernst! Steh still!" Ihr Lachen verschwand schlagartig. Warum machte Cade plötzlich so ein sonderbares Gesicht? Irgend etwas krabbelte über ihre Finger. „Cade?" Sie sah ihn voller Panik an. „Beweg dich nicht", befahl er rau. „Nicht einen Millimeter. Ich werde ... Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihre Hand. Fluchend sprang Cade vor und schleuderte ein bedrohlich wirkendes Insekt auf den Boden.
„Ein Skorpion", flüsterte Angelica. Erschauernd beobachtete sie, wie Cade das Tier unter seinem Absatz zertrat. „Hat er dich gestochen, Angelica?" Er zog sie in die Arme. „Lass mich deine Hand untersuchen." Jegliche Farbe war aus ihren Wangen gewichen. „Erinnerst du dich, dass ich vorhin sagte, ich würde eher einem Skorpion trauen als dir?" flüsterte sie. „Mir scheint, Skorpione sind auch nicht sehr zuverlässig." Aufseufzend sank sie ohnmächtig in Cades Arme.
5. KAPITEL Licht. Ein gleißend heller Lichterkranz strahlte auf Angelica nieder, die auf einer kalten, harten Fläche lag. Ein beißender, chemischer Geruch umgab sie. Ein hässliches, böses Wesen kam auf sie zu ... Etwas, das seinen stacheligen Schwanz drohend aufgerichtet hatte ... Angelica kämpfte. Sie musste fliehen, bevor diese furchterregende Kreatur sie erreichte. Starke Hände packten ihre Schultern und drückten sie nieder, als sie sich aufrichten wollte. „Ruhig, Süße", flüsterte eine Stimme an ihrem Ohr. „Nein", rief sie verzweifelt. „Nein! Der Skorpion ..." „Öffne die Augen", befahl die Stimme. „Los, Süße. Öffne die Augen und schau mich an!" Alles in ihr sträubte sich dagegen. Sie wollte zurück in die wohlige Dunkelheit. Trotzdem wagte sie es nicht, sich diesem energischen Tonfall zu widersetzen. Langsam schlug sie die Lider auf. „Gut, Süße ... Noch ein Stück." Angelica blickte in Augen, die so blau waren wie der Himmel. „Cade?" „Ja." Er musterte sie forschend. „Wie geht es dir?" Sie befeuchtete die spröden Lippen mit der Zungenspitze und dachte angestrengt über diese Frage nach. Ihr Schädel dröhnte, ihr rechter Arm schmerzte unerträglich, die Hand fühlte sich an, als hätte jemand ein Zentnergewicht daran befestigt. „Als wäre ich von einem Truck überrollt worden", erwiderte sie heiser. „Mir tut alles weh." „Erinnerst du dich, was passiert ist?" Angelica nickte. „Da war ein Skorpion und..." Ein heftiger Schauer durchrann sie. Cade fluchte leise vor sich hin und zog sie fest an sich. „Das verdammte Biest hat dich gestochen, und das war allein meine Schuld. Wäre ich nur etwas schneller gewesen ..." „Ich hätte vorsichtiger sein müssen", flüsterte sie. „Jedes Kind weiß, dass man sich in Texas vor Skorpionen in acht nehmen muss." „Ja, aber normalerweise machen es sich diese Viecher nicht auf Pumpenschwengeln bequem." Angelica schloss die Augen, lauschte dem regelmäßigen Schlag seines Herzens und genoss die tröstliche Wärme seines Körpers. Nach ein paar Sekunden rückte sie jedoch wieder von ihm ab. „Was ist mit meiner Hand?" Cade lächelte. „Es war eine hässliche Wunde, aber du wirst keinen bleibenden Schaden zurückbehalten. Dank Toms Hilfe bist du in Rekordzeit ins Krankenhaus gekommen." Erleichtert atmete sie auf und sah sich neugierig um. Weißgekachelte Wände, ein mit einem Vorhang verschlossener Durchgang, ein hoher Schrank mit Glastüren, hinter denen funkelnde Instrumente lagen. Nadeln, dachte sie voller Panik, Spritzen. Sie erschauerte erneut. „Was ist?" fragte Cade besorgt. „Ist dir übel?" „Nein." Angelica lächelte verlegen. „Ich bin nur ein schrecklicher Feigling, was Spritzen angeht - und der Schrank dort ist voll davon." Er schmunzelte. „Dann war es vermutlich gut, dass du bewusstlos warst, Süße. Ich
habe nicht mitgezählt, wie oft sie dich gepiekt und punktiert haben. Adrenalin, Tetanusimpfstoff, Antibiotika, Schmerzmittel und so weiter." Er sah sie aufmunternd an. „Hauptsache, du wirst wieder gesund." Seufzend schloss sie erneut die Augen. „Ich bin so müde..." „Das ist der Stress, Süße", versicherte Cade sanft. „Du brauchst Ruhe." „Hmm. " Cade massierte mit einer Hand Angelicas Rücken, mit der anderen strich er ihr durchs Haar. Ein schwacher Duft stieg ihm dabei in die Nase. Rosen, dachte er, nach all dem Schmutz und Staub auf dem Ölfeld duftet sie nach Rosen. Zärtlich hauchte er ihr einen Kuss auf die Schläfe. Gott, sie fühlte sich so anschmiegsam an, so weiblich. So zerbrechlich. Er musste sie hier herausbringen. Sie war völlig erschöpft und gehörte in ein bequemes Bett, nicht auf diese harte Liege. Sie sollte in weichen Kissen und auf sauberen Laken liegen - in seinen Armen ... „Miss Gordon?" Cade zuckte zusammen und blickte zum Eingang, wo eine Frau in einem weißen Hosenanzug stand. „Ja?" flüsterte Angelica matt. „Das ..." „Miss Gordon ruht sich aus", erklärte Cade. „Kann ich Ihnen helfen?" Die Frau ignorierte ihn. „Wie fühlen Sie sich, Miss Gordon?" „Ganz okay." „Sie ist sehr schwach", warf Cade stirnrunzelnd ein. Die Frau nickte. „Das sehe ich." Sie schaute auf Cades Hände, die noch immer auf Angelicas Schultern lagen. „Wenn Sie gestatten ..." Zögernd trat er einen Schritt zurück und beobachtete misstrauisch, wie sie den unverletzten Arm der Patientin ergriff. „Was tun Sie da?" „Ich messe Miss Gordons Puls." „Und warum? Sie wurde bereits untersucht." Er lächelte kühl. „Von einem Arzt." Die Frau lachte. „Das weiß ich. Trotzdem will ich sie noch einmal durchchecken. " Angelica räusperte sich. „Vielleicht solltest du besser draußen warten, Cade. Ich meine..." „Wieso? Miss Gordon hat in den letzten Stunden eine Menge durchgemacht. Ich sehe keine Veranlassung, dass man sie mit weiteren Fragen belästigt." Die Frau seufzte. „Sie sind offenbar Mr. Landon." Cade nickte. „Sehr richtig." „Der Gentleman, der sich eigenmächtig über unsere Formalitäten hinweggesetzt hat." „So ist es." „Die Schwester in der Aufnahme hat nur ihre Pflicht getan, Mr. Landon. Sie muss diese Fragen stellen." „Es wird mir ein Vergnügen sein, sie zu beantworten", erwiderte er. „Aber nicht, solange ich eine kranke Frau in meinen Armen halte." „Cade?" mischte Angelica sich verwirrt ein. „Wovon redet sie überhaupt? Gab es irgendwelche Probleme?" „Keineswegs. Ich habe mir lediglich erlaubt, einen weiblichen Wachhund beiseite zu schieben, der mir einen Stapel Formulare unter die Nase gehalten hat, während du medizinische Hilfe brauchtest."
„Nun ja ... Vielen Dank, Cade. Wenn ich ein paar Fragebögen ausfüllen soll ..." „Ich bin nicht wegen der Unterlagen hier, Miss Gordon", sagte die Frau. „Ich möchte nur ein einige Tests durchführen." „Warum?" Cades Stimme klang scharf. „Besteht Grund zu der Annahme, dass etwas übersehen wurde?" „Nein, Mr. Landon, absolut nicht. Es ist reine Routine." „Cade", protestierte Angelica. „Ich bin wirklich dankbar für deine Unterstützung, aber ich kann durchaus für mich allein sprechen." „Merken Sie denn nicht, dass sie Schmerzen hat?" Angelica lachte gequält. „Wenn sich einer von euch beiden freundlicherweise die Zeit nehmen würde, mich nach meiner Meinung zu fragen ..." „Wo ist der Arzt, der Miss Gordon behandelt hat?" erkundigte Cade sich frostig. „Wenn die Befunde noch einmal überprüft werden müssen, verlange ich, dass ein Arzt das übernimmt." „Ich bin Ärztin, Mr. Landen. Ich bin Dr. Broderick, Chefin der toxikologischen Abteilung." „Oh." Cade wurde rot. „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?" „Um Himmels willen!" Angelicas Ausruf hallte von den Wänden wider. Sie musterte Cade voller Empörung. „Was ist eigentlich in dich gefahren? Meine Hand ist verletzt, nicht mein Kopf. Ich kann für mich selbst sprechen!" Er schluckte trocken. Natürlich konnte Angelica Gordon für sich selbst sprechen. Sie konnte sogar noch mehr als das, wie sie ihm bereits mehrfach bewiesen hatte. Er blickte von Angelica zu Dr. Broderick und stöhnte insgeheim auf. Er hatte einen kompletten Narren aus sich gemacht! Cade rang sich ein Lächeln ab. „Selbstverständlich", erklärte er betont ruhig. „Ich ... äh ... Ich werde mich draußen um die Formulare kümmern." Verdammt, verdammt, verdammt, dachte er, während er so würdevoll wie möglich zur Tür hinausmarschierte. Was für eine Blamage! Bürokratie war für ihn nun einmal ein rotes Tuch. Seit seiner Jugend hasste Cade alle Regeln, die seine persönliche Freiheit einengten, er verabscheute Menschen, die anderen unnötige Zwänge auferlegten. Allerdings war er ein bisschen zu alt, um sich von den Dämonen seiner Kindheit beherrschen zu lassen. Ehrlicherweise musste er zugeben, dass ihn nicht die Schwester in der Aufnahme so wütend gemacht hatte, sondern seine Furcht. Die grenzenlose Angst, die ihn erfasst hatte, als Angelica auf dem Ölfeld zusammengebrochen war und er ihren leblosen Körper in den Armen gehalten hatte. Seine eigene Hilflosigkeit hatte eine rasende Wut in ihm geweckt. Cade sah den Korridor hinunter zur Anmeldung. Er war noch immer nicht in der Stimmung, dumme Fragen zu beantworten, während diese Ärztin bei Angelica war. Handelte es sich wirklich um eine Routinemaßnahme, oder waren unerwartete Komplikationen aufgetreten? Am liebsten hätte er den Vorhang aufgerissen und Aufklärung verlangt. Leise vor sich hinfluchend, wandte Cade sich ab und ging den Flur entlang. Der erste Arzt hatte gesagt, dass Angelicas Hand und Arm anschwellen und schmerzen würden. Er hatte kein Wort davon erwähnt, dass ... „Zur Hölle!" Entschlossen dreht er sich um und kehrte zum Untersuchungsraum
zurück. Die Fahrt zum Hospital war ihm schier endlos erschienen. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so nutzlos gefühlt. Angelica hatte leise gestöhnt. Trotz Cades Bemühungen, das Gift sofort aus der Wunde zu saugen, war ihre Hand bedrohlich dick geworden. Und er hatte nichts anderes tun können, als sie zu halten und ihr besänftigend zuzuflüstern, dass es ihr bald wieder gutgehen würde. Cade presste die Lippen zusammen. Er hätte sie niemals zu diesem elenden Bohrloch mitnehmen dürfen. Eine Frau wie sie gehörte einfach nicht dorthin. Aber was sonst hätte er tun sollen? Angelica behauptete beharrlich, für Gordon Oil verantwortlich zu sein. Bis diese Frage endgültig geklärt war, würde sie sich immer wieder an Orten herumtreiben, an denen mit schrecklicher Regelmäßigkeit Unfälle passierten. Es war ein wahres Wunder, dass ihr nicht schon viel früher etwas zugestoßen war ... „Mr. Landon?" Dr. Broderick hatte den Vorhang zurückgezogen. „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich mit der Diagnose meiner Kollegen übereinstimme. Miss Gordon wird sich zweifellos bald erholen und ..." „Vermutlich haben Sie Miss Gordon erklärt, welche Gefahr ihr droht, wenn sie in nächster Zukunft erneut gestochen wird, nicht wahr, Doktor?" „Nein, das habe ich nicht." „Vielleicht sollten Sie das tun?" Cade blickte zu Angelica hinüber, die mit leichenblassem Gesicht auf dem Untersuchungstisch saß. Anstelle der Sorge um sie trat nun nur mühsam unterdrückter Zorn. „Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob sie die volle Tragweite ihrer Handlungen begriffen hat." „Meiner Handlungen?" wiederholte Angelica verblüfft. „Was meinst du damit?" „Haben Sie sie darauf hingewiesen, dass das Gift sie sensibilisiert haben könnte, Doktor? Und dass es womöglich zu einer allergischen Reaktion kommt, wenn sie erneut gestochen wird?" „Entschuldigung", warf Angelica ein. „Aber …“ „Irgend jemand muss ihr Vernunft beibringen, Doktor. Mir ist es nicht gelungen, aber vielleicht haben Sie mehr Glück." Ungläubig schaute Angelica ihn an. Warum mischte dieser Mann sich in ihre Angelegenheiten ein? „Ich bin kein Kind mehr, Cade. Du musst mich nicht bevormunden." „Darüber lässt sich streiten." „Mr. Landon", bat Dr. Broderick. „Bitte beruhigen Sie sich. Ich weiß, Sie sind aufgebracht, aber..." „Und ob ich aufgebracht bin", erwiderte er wütend. „Du brauchst dich meinetwegen nicht so aufzuregen", meinte Angelica beschwichtigend. „Wer behauptet, dass ich das tue? Ich bin nur ärgerlich, weil du meine Angestellte bist. Jeder Tag, den du krank bist, schadet meiner Firma." Eisiges Schweigen folgte dieser Bemerkung. Cade sah zuerst die Ärztin an, deren Gesichtsausdruck ihm deutlich verriet, was sie von ihm hielt, und dann Angelica. Verflixt noch mal, was war bloß in ihn gefahren? Er hatte kein Wort davon ernst gemeint. Ob Angelica der Arbeit fernblieb, war sein geringstes Problem. „Kann ich jetzt gehen, Dr. Broderick?" fragte Angelica. Die Ärztin lächelte erleichtert. „Natürlich, Miss Gordon. Ich hole nur noch die
Tabletten. Alle vier Stunden eine, denken Sie daran." ,Ja.“ „Und schonen Sie sich in den nächsten Tagen. Haben Sie jemand, der sich um Sie kümmert?" Angelica hob trotzig den Kopf. „Ich brauche keine Hilfe, danke. Ich kann durchaus auf mich selbst aufpassen." „Wenn die Wirkung der Spritze nachlässt, die Ihnen mein Kollege gegeben hat, werden Ihre Hand und Ihr Arm höllisch weh tun, Miss Gordon." „Sie sagten doch, die Tabletten würden die Beschwerden lindern." „Das schon, aber sie werden Sie auch benommen machen. Außerdem können Sie sich nicht allein anziehen oder waschen." „Keine Sorge, Doktor, das werde ich schon schaffen. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, meine Entlassung anzuordnen ... Ach ja, könnte vielleicht jemand ein Taxi für mich rufen?" „Was soll dieser Unsinn?" Cade durchquerte den Raum und blickte Angelica vorwurfsvoll an. „Ich habe dich hierhergebracht, also werde ich dich auch wieder mitnehmen." „Ich will Ihre Hilfe nicht, Mr. Landon", erwiderte sie kalt. „Sie haben keine Wahl, Miss Gordon." Er wandte sich zu der Ärztin um. „Wollten Sie nicht Tabletten holen?" Als Dr. Broderick nickte, fügte er energisch hinzu: „Dann tun Sie das bitte." Angelica blickte der davoneilenden Ärztin nach. „Es ist äußerst bemerkenswert, wie Sie mit Frauen umgehen, Mr. Landon." Cade lächelte spöttisch. „Jahrelange Übung, Miss Gordon." „Davon bin ich überzeugt." Sie straffte die Schultern. „Bei mir wirkt Ihre Methode allerdings nicht, Mr. Landon. Ich verlasse das Krankenhaus mit einem Taxi, daran werden auch Sie mich nicht hindern." „Da sind wir unterschiedlicher Ansicht." „Wie in so vielen Punkten", sagte Angelica steif. „Besonders was mein Recht auf freie Meinungsäußerung betrifft." Cade hob gespielt verzweifelt die Hände. „Als nächstes werden Sie vermutlich die Unabhängigkeitserklärung zitieren." „Genau, Mr. Landon. Wir mögen zwar in Texas sein, wo Männer noch Männer und Frauen nichts anderes als schmückendes Beiwerk sind, aber auch hier gilt dieses Gesetz. Mit anderen Worten ...", sie schwang die Beine vom Tisch und stellte sich hin, „ich bin eine freie Pers... Oh." Haltsuchend griff sie nach der Tischkante. Cade fing sie gerade noch rechtzeitig auf, ehe sie zu Boden sank. „Du kleine Närrin", schimpfte er, als er sie auf die Arme hob. „Hast du wirklich gedacht, du könntest hinausmarschieren, als wäre nichts geschehen?" „Lass mich herunter", befahl sie atemlos. „Sei vernünftig, und lege deinen Arm um meinen Nacken." Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Cade hatte mit ihr bereits den Behandlungsraum verlassen. Eine Krankenschwester kam ihnen entgegen. „Ich habe hier Tabletten für Miss Angelica Gordon." Cade riss ihr förmlich die Packung aus der Hand. „Danke." Am Empfangstresen blieb
er stehen. „Ich glaube, Sie haben noch ein paar Fragen an Miss Gordon." Die Schwester schluckte trocken. „Ich ... Ja, Sir. Ist sie versichert?" „Miss Gordon arbeitet für die Gordon Oil Company in Dallas. Die Firma müsste eigentlich alle Kosten übernehmen, aber ich fürchte, Sie werden feststellen, dass die Beiträge nicht bezahlt wurden." Er sah Angelica an. „Stimmt's?" „Geh zur Hölle", flüsterte sie. „Miss Gordon bestätigt meine Vermutung. Mein Name ist Cade Landon. Schicken Sie sämtliche Rechnungen direkt an mich." Er reichte ihr seine Karte. „Ja, Sir." „Gut." Zufrieden wandte Cade sich dem Ausgang zu. „Ich werde dir alle Kosten erstatten", versprach Angelica verlegen. Er lachte. „Und wie? Fünfzig Cent pro Woche für die nächsten hundert Jahre?" „Du hochnäsiges Scheusal. Setz mich sofort ab, Cade Landon! Hast du mich verstanden? Sofort!" „Führe mich nicht in Versuchung." Er stieß mit der Schulter die Tür auf und eilte die Stufen zur Straße hinunter. „Würde ich dich herunterlassen, würdest du auf die Nase fallen und postwendend in einem Krankenhausbett landen." Ein ironisches Lächeln umspielte seine Lippen, während er auf einen parkenden Pick-up zuging. „Hast du jemals eine Nacht in einem Hospital verbracht, Angelica?" „Nein. Es ist kein Hobby von mir, mich von Skorpionen stechen zu lassen." „Das hatte ich auch nicht angenommen. Du bist lediglich eine Frau, die beim bloßen Anblick einer Spritze in Ohnmacht fällt - und Krankenhäuser sind voll davon. Überall lauern Vampire in weißen Kitteln, die es auf dein Blut abgesehen haben." „Du bist ein Ekel, Cade Landon." Tom sprang aus dem Wagen und öffnete die Tür für sie. „Wie geht es ihr?" erkundigte er sich besorgt. Cade stieg ein und setzte Angelica auf seinen Schoß. „Sie ist scharfzüngig wie eine Schlange, übellaunig wie ein Muli und halsstarrig wie eine Ziege." Der Vormann grinste erleichtert, als er den Transporter aus der Parklücke lenkte. „Also ist sie bald wieder okay, oder?" Allmählich wich die Anspannung von Cade. „Ja." Angelica schlug mit der unverletzten Hand gegen seine Schulter. „Verdammt noch mal", rief sie. „Redet nicht über mich, als wäre ich gar nicht da." „Ich will mit ihr so schnell wie möglich zurück nach Dallas, Tom." „Verstehe." „Habt ihr mich nicht gehört? Ich bin auch noch hier und..." „Mein Flugzeug steht auf dem kleinen Flugplatz in der Nähe von Notrees. Kennen Sie die Gegend?" Tom nickte. „Kein Problem, Boss." Boss, dachte Angelica bitter, Boss! Tom hatte sich in den letzten Monaten redlich Mühe gegeben, sie zu ignorieren, doch Cade las er förmlich jeden Wunsch von den Augen ab. Unbehaglich erinnerte sich daran, dass sie in den Sekunden, als sie im Behandlungszimmer aus der Bewusstlosigkeit erwacht war, beinahe so etwas wie Dankbarkeit diesem Scheusal gegenüber empfunden hatte. Vor ihrem geistigen Auge tauchten verschwommene Bilder auf: Cade, der das Gift aus der Wunde saugte; Cade, der Tom befahl, das Letzte aus dem Truck herauszuholen ... Sie meinte sogar, seine zärtliche Stimme zu hören, die ihr zuflüsterte, dass es ihr bald wieder bessergehen
würde. Offenbar war der Stich des Skorpions an diesen Halluzinationen schuld. Angelica schloss die Augen. „Ich hasse dich, Cade Landon." Eigentlich hatte sie diese Worte laut herausschreien wollen, doch es wurde kaum mehr als ein Wispern. „Ich hasse dich", wiederholte sie. Cade betrachtete die Frau in seinen Armen. Ihr Haar glich feuerroter Seide, ihre Bluse war schmutzig, ihr rechter Arm ruhte in einer Schlinge, und auf ihrer Stirn standen winzige Schweißperlen. Sie war schlecht gelaunt und völlig erschöpft - und trotzdem sehnte er sich danach, sie zu küssen. „Dann hasst du mich eben", flüsterte er und berührte ihre Lippen mit den seinen. Cade hörte, wie Tom verblüfft nach Luft schnappte, als er Angelicas Protest mit seinem Mund erstickte. Plötzlich legte sie ihm den gesunden Arm, der gerade noch steif auf seiner Schulter gelegen hatte, um den Nacken. Sie erbebte - aber nicht vor Furcht. Cades Puls raste. Weich und nachgiebig schmiegte sie sich an ihn und öffnete leicht die Lippen ... „Äh ... Boss ..." Tom räusperte sich vernehmlich. „Wir sind da." Nur widerwillig kehrte Cade in die Wirklichkeit zurück und gab Angelica frei. Gleich darauf merkte er, dass sie erstarrte. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich hatte recht", flüsterte sie. „Du bist wirklich ein niederträchtiger Schuft."
6. KAPITEL Kaum saßen sie im Flugzeug nahm Angelica zwei Schmerztabletten. „Tut deine Hand weh?" „Nein", entgegnete sie frostig, „überhaupt nicht. Ich schlucke diese Pillen, weil mir nichts Besseres einfällt. Außerdem dachte ich, es wäre vielleicht ganz lustig." „Ich bin schon zufrieden, wenn sie dich ruhigstellen", konterte Cade ironisch. Und Angelica war ruhig. Kurz nach dem Start sank ihr Kopf gegen die Lehne ihres Sitzes, gleich darauf war sie eingeschlafen. Cade spürte, wie er sich allmählich entspannte. Seine Gedanken kehrten zu den Ereignissen der letzten Stunden zurück. Warum, um alles in der Welt, hatte er Angelica geküsst? Das ergab doch gar keinen Sinn. Niederträchtiger Schuft, hatte sie ihn genannt. Er fluchte leise vor sich hin. Kein Mann mochte es, wenn man ihn als niederträchtig bezeichnete, auch dann nicht, wenn eine Frau wie Angelica Gordon ihn so nannte. Am meisten ärgerte ihn jedoch die Erkenntnis, dass sie recht hatte. Cade schaute zu ihr hinüber. Im Schlaf wirkte sie so hilflos, so sanft und beinahe rührend weiblich - ein weiterer Beweis dafür, wie sehr der äußere Eindruck täuschen konnte. Angelica war nichts dergleichen - oder etwa doch? Er hatte ihre Lippen gekostet, die Verwundbarkeit in ihren Augen gesehen, ihre vollen Brüste und weichen Hüften gefühlt ... Energisch rief er sich zur Ordnung. Was sollte dieser Unsinn? Es gab nichts an Angelica Gordon, was ihm gefiel. Sie verkörperte das genaue Gegenteil des Frauentyps, den er bevorzugte, und, was am schlimmsten war, sie brachte das Schlechteste in ihm zutage. Sie weckte in ihm den primitiven Wunsch, sie zu unterwerfen und zu erobern. Plötzlich kam ihm eine Erleuchtung: Er war nicht niederträchtig, sondern verzweifelt - so verzweifelt, wie ein Mann nur sein konnte, der von einer streitsüchtigen Frau an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung getrieben wurde. Warum sonst hätte er den Wunsch, Angelica Gordon zu erwürgen, mit dem Verlangen, sie zu küssen, verwechseln können? Das war allein Grants Schuld. Grant hatte ihn mit diesem verrückten Auftrag nach Dallas geschickt und ihm geraten, vorsichtig und diskret vorzugehen. Cade überlegte. Zum Teufel mit der Vorsicht! Es wurde Zeit für ihn, seinen Instinkten zu vertrauen. Er würde Angelicas Bluff platzen lassen. Entweder lieferte sie ihm einen Beweis dafür, dass diese mündliche Vereinbarung existierte, oder er würde sie vor die Tür setzen und die Sache der Rechtsabteilung von Landon Enterprises überantworten. Sollten sich doch die Juristen darum kümmern. Er war ein Ölfachmann und hatte anderes zu tun, als Detektiv zu spielen. Bisher hatte er stets darauf geachtet, sich weder an einen Ort noch an eine Frau zu lange zu binden, und nun war er hier, gefesselt an diese Stadt und Angelica Gordon! Und beide waren ihm herzlich egal. Auf ihn warteten London und Dumai, wo ... Cade runzelte die Stirn. Wie hieß diese kleine Tänzerin doch gleich? Er konnte sich nicht erinnern. Er wusste nicht einmal mehr, wie sie aussah. Aber sie wartete auf ihn, und das allein war wichtig. In der Ferne tauchten die Positionslampen des Flugfeldes auf. Zufrieden leitete Cade die Landung ein. Sein Plan stand fest: Zuerst wollte er die schlafende Frau neben sich
nach Hause und ins Bett bringen, dann ... Ins Bett bringen ... Der bloße Gedanke daran ließ das Blut schneller durch seine Adern strömen. Er malte sich aus, wie er sie in die Arme nahm, die Treppe hinauftrug, sie langsam auszog ... Niederträchtig, dachte er. Nein, flüsterte ihm eine leise innere Stimme zu, nicht niederträchtig. Verrückt. Es war der reine Irrsinn, in dieser Stadt zu bleiben und sich weiter mit Angelica abzugeben. Goodbye, Dallas, dachte Cade. Goodbye, Angelica Gordon. Willkommen, Vernunft. Angelica erwachte, rekelte sich - und hielt den Atem an. Ihr Arm schmerzte höllisch. Stirnrunzelnd versuchte sie, sich zu orientieren. Sie saß in einem Wagen, dem Pickup, der vom Helden der Ölfelder, Mr. Cade Landon, gesteuert wurde. Demnach mussten sie wieder in Dallas sein. Vage erinnerte sie sich, wie er sie vom Krankenhaus zum Truck getragen, in seinen Armen gehalten und geküsst hatte, ohne auf ihren Protest zu achten. Ihre Reaktion darauf war ihm allerdings nicht entgangen. Angelica erschauerte vor Scham. Wie hatte sie nur derart leidenschaftlich auf den Kuss dieses widerwärtigen Mannes reagieren können? Cade Landon war das arroganteste, egoistischste männliche Wesen, dem sie im gesamten Staat Texas begegnet war - und das wollte etwas heißen! Er hatte sie vor ihrem Bankier und ihren Geschäftspartnern blamiert, vor ihrer eigenen Crew gedemütigt und sie im Krankenhaus wie eine Schwachsinnige behandelt, und warum? Weil sie eine Frau und somit ein Geschöpf zweiter Klasse war. Ihr Vater hatte sich ihrer Mutter gegenüber ähnlich verhalten. Oh, natürlich hatte er behauptet, sie zu lieben und nur beschützen zu wollen, aber Angelica erinnerte sich allzu deutlich daran, wie ihre Mutter sich darüber geärgert hatte. Keine intelligente Frau schätzte es, wenn man sie wie ein dressiertes Schoßhündchen behandelte. Angelica seufzte. Heute war sie zwar nicht in der Verfassung, sich auf eine Konfrontation mit Cade einzulassen, aber morgen würde sie ihm unverblümt erklären, dass er sie entweder als Chefin von Gordon Oil akzeptierte, oder ..." Oder was? Oder man würde sich vor Gericht wiedersehen? Landon Enterprises beschäftigte vermutlich Dutzende von Juristen und konnte problemlos einen Prozess durchstehen, der Millionen verschlang. Sie hingegen hatte keinen Anwalt, nicht einmal einen Reinigungsservice, wie Cade taktloserweise bemerkt hatte. Auf ihrem Bankkonto befanden sich exakt dreiundfünfzig Dollar und achtundvierzig Cent. „Bist du wach?" Angelica schaute Cade an. Er hatte den Blick unverwandt auf die Straße gerichtet. „Natürlich bin ich wach", erwiderte sie so würdevoll wie möglich. „Warum?" „Ich wollte mich lediglich vergewissern. Du hast immerhin den ganzen Flug von Notrees bis Dallas verschlafen." „Ich habe nur so getan", behauptete sie und strich sich das Haar aus der Stirn. „Das erschien mir reizvoller, als mich mit dir zu unterhalten." „Du hast mich also reingelegt, Süße. Hätte ich das gewusst, hätte ich dich nicht zum Auto getragen." Angelica errötete, sagte aber nichts. Er hatte sie getragen? So musste es wohl
gewesen sein, sonst würde sie jetzt nicht im Pick-up sitzen. Während sie darüber nachdachte, erinnerte sie sich plötzlich, dass seine Hand ihre Brüste gestreift hatte, als er den Sicherheitsgurt öffnete. Dann hatte er die Arme um sie geschlossen und sie hochgehoben ... „Wie fühlst du dich?" Schrecklich. Ihre Hand und der Arm taten unerträglich weh, und ihr Kopf schmerzte zum Zerspringen. „Fabelhaft", log sie. „Vielleicht solltest du noch ein paar Tabletten nehmen." „Vielleicht solltest du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern. " „Das kommt meinen Plänen durchaus entgegen." Cade lächelte spöttisch. „Dann werde ich dich also nicht fragen, ob du etwas aus dem Supermarkt dort drüben brauchst. Er hat noch geöffnet." Angelica biss sich auf die Lippe. Natürlich brauchte sie etwas. Sie hatte seit Tagen nicht mehr eingekauft, weil sie viel zu sehr mit Cade Landon beschäftigt gewesen war. Andererseits ... Eher würde sie verhungern, als Cade um Hilfe zu bitten. „Das einzige, was ich brauche, ist mein Bett und Ruhe." „Sehr schön." Cade hielt vor ihrem Haus. Ungeschickt legte Angelica den Sicherheitsgurt ab. „Danke für deinen Beistand." Ihr eisiger Tonfall strafte die höflichen Worte Lügen. „Gern geschehen." Er schaltete die Scheinwerfer aus, stellte den Motor ab und sprang aus dem Wagen. „Ich bringe dich ins Haus." „Das ist nicht nötig." „So, wie du aussiehst, Süße, schaffst du es nicht einmal, allein auszusteigen." Bedauerlicherweise hatte er recht. Nach dem Öffnen des Gurtes stand ihr bereits der kalte Schweiß auf der Stirn. „Na, was ist, Süße? Soll ich dir helfen?" Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ja, verdammt." Er hob sie auf die Arme und warf die Beifahrertür mit der Schulter zu. „Weißt du", sagte er, während er die Rasenfläche zum Haus überquerte, „anscheinend habe ich mir ganz falsche Vorstellungen von der exklusiven Schule gemacht, an der du unterrichtest. „Ich unterrichte nicht", widersprach sie steif und versuchte, die Wärme seines Körpers zu ignorieren. „Ich bin Berufsberaterin. Allerdings täuschst du dich tatsächlich, was Miss Palmers Institut angeht. Es ist überhaupt nicht exklusiv, sondern ein Ort, an dem junge Frauen in friedlicher Atmosphäre ihre Talente entdecken und fördern können." Schmunzelnd stieg Cade die Stufen zur Veranda hinauf. „Heißt das, dass keine Jungen erlaubt sind?" ,ja, es werden ausschließlich Schülerinnen angenommen." „Verrate mir eins, Süße: Wie kannst du einen solchen Unsinn reden und gleichzeitig dermaßen fluchen?" Sie errötete. „Wahrscheinlich deshalb, weil ich das Pech hatte, meine ersten Lebensjahre in Texas zu verbringen." „Da ist noch etwas, das ich nicht verstehe." Cade setzte sie vor der Haustür ab. „Warum bist du zurückgekommen, wenn du Texas so verabscheust?" „Das tue ich doch gar nicht." Haltsuchend klammerte sie sich an das Geländer. „Ich mag nur keine Gegenden, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Außerdem weißt du,
warum ich hier bin - um Gordon Oil zu leiten." „Du meinst, um es zu ruinieren." „Das ist nicht wahr. Die Firma war schon vorher in Schwierigkeiten, und... " Himmel, war ihr elend. Angelica atmete tief durch. „Es ist spät. Also, gute Nacht." „Und danke für deine Hilfe, ja ich weiß." Er streckte die Hand aus. „Die Schlüssel, bitte." „Wieso?" „Weil ich erst wegfahre, wenn du sicher im Haus bist." Cades Miene duldete keinen Widerspruch. Resigniert kramte Angelica in ihrer Tasche nach dem Schlüsselbund und reichte es ihm. „Nur weiter so, Cade. Bevor du nicht deine ,Ich-Tarzan-du-Jane-Nummer' durchgespielt hast, werde ich dich wohl nicht los." „Kluges Mädchen." „Kluge Frau." Sie hob trotzig das Kinn. „Das ist ein himmelweiter Unterschied." Er lachte. „Okay, kluge Frau. Dann werde ich dich also jetzt ins Bett bringen." Sie protestierte nicht, als er sie erneut hochhob. Es war sinnlos, mit ihm zu streiten, außerdem fühlte sie sich viel zu schwach, um auf eigenen Füßen zu stehen. „Wo ist der Lichtschalter?" Cade stieß die Tür mit dem Fuß ins Schloss. „Rechts an der Wand." Angelica blinzelte, als plötzlich das Licht aufflammte. „Du kannst mich jetzt absetzen. Danke für..." „Du hast eine Art, dich zu bedanken, dass es wie eine Beleidigung klingt." Er steuerte auf die steile, schmale Treppe zu. „Wo ist dein Schlafzimmer? Oben?" „Ich kann durchaus..." ,,... diese Stufen allein hochsteigen?" Er schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht." Angelica bezweifelte das ebenfalls. „Also, wo ist dein Schlafzimmer? Und bevor du dir einbildest, ich hätte etwas Böses mit dir vor, darf ich dir versichern, dass ich dich lediglich sicher ins Bett bringen will, damit ich endlich hier verschwinden und in mein Hotel fahren kann. Dort werde ich mich an die Bar setzen und mir ein Steak und einen doppelten Bourbon bestellen. Und das in aller Ruhe." „In aller Ruhe - vermutlich zusammen mit irgendeiner Frau." Warum, um alles in der Welt, hatte sie das gesagt? Gott sei Dank hatte Cade die Bemerkung offenbar nicht gehört, denn er sah sie weiterhin unverwandt an. „Oben, erste Tür rechts." „Vielen Dank", erwiderte er kalt. Demnach wollte er sie ebensoschnell loswerden wie sie ihn. Nun, das war wenigstens ein kleiner Trost. Weit weniger angenehm war die Vorstellung, dass er bald mit einer Blondine, deren Oberweite größer war als ihr Intelligenzquotient, in einem Restaurant sitzen würde ... Angelica rief sich innerlich zur Ordnung, als er die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnete. „Die Lampe steht auf dem Nachttisch." Cade trug sie zum Bett, legte sie hin und knipste dann das Licht an. Als er sich aufrichtete, schaute er sich um. Der Raum war klein, das Bett schmal. Hier musste Angelica als Kind gewohnt haben. „Ich schätze, es ist Zeit, mich noch mal bei dir zu bedanken." Lachend sah er sie an. „Und wenn du an diesen Worten erstickst." Er stutzte.
Verdammt! Die Frau hatte ihn dermaßen gereizt, dass ihm gar nicht aufgefallen war, wie erschöpft sie war. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, ihr Gesicht war blass und abgespannt, und selbst die sonst so rosigen Lippen wirkten blutleer. Die verletzte Hand und der Arm waren geschwollen, die andere Hand zitterte wie Espenlaub. Cade fühlte sich, als hätte ihm jemand die Faust in den Magen gerammt. Angelica war nicht nur müde, sie war am Ende ihrer Kräfte. „Angelica." Cade merkte, wieviel Anstrengung es sie kostete, den Kopf zu heben. „Bist du krank?" „Mir geht es gut", behauptete sie schnell. Etwas zu schnell, fand er. „Sag mir die Wahrheit." Angelica seufzte. Warum noch länger lügen? „Ich bin müde. Todmüde. Und mein Kopf schmerzt. Und meine Hand auch ... und mein Arm ..." Sie lächelte matt. „Ist das ehrlich genug?" „Ja." „Ich brauche nur ein bisschen Schlaf. He!" rief sie, als Cade begann, ihr die Bluse aufzuknöpfen. „Was tust du da?" Sie versuchte vergeblich, seine Hand fortzuschieben. „Es mag vielleicht eine herbe Enttäuschung für dich sein, Süße, aber mich reizen keine Frauen, die so aussehen, als würden sie jeden Moment in Ohnmacht fallen." „Ich ..." Sie zögerte. „Sehe ich wirklich so aus?" Er lächelte flüchtig. „Um genau zu sein, du erinnerst mich an eine Maus, mit der die Katze zu lange gespielt hat. Kannst du überhaupt deinen rechten Arm bewegen?" Ihr leises Stöhnen verriet ihm alles, was er wissen musste. „Sitz still ... So ... Okay. Und nun heb die Füße an." „Also Cade ... Du brauchst mich nicht auszuziehen ..." „Irgend jemand muss es schließlich tun." Er streifte ihr die Schuhe ab. „Soweit ich es beurteilen kann, hast du keine Zofe." „Aber ... „Aber was?" Er blickte sie verärgert an. „Willst du mir erzählen, du seist in der Lage, deine Jeans allein auszuziehen?" Als Angelica schwieg, nickte er zufrieden. „Na bitte. Und hör auf, dich zu sträuben." Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er die Gürtelschnalle geöffnet. Seine Berührungen waren völlig unpersönlich, trotzdem schloss sie die Augen. So hatte sie es sich nicht vorgestellt, von Cade Landon entkleidet zu werden ... Erschrocken schlug Angelica die Lider wieder auf. Hatte sie wirklich davon geträumt? „Hoch mit dem Po", verlangte er sachlich. Wortlos gehorchte sie. Cade streifte ihr die Jeans von den Hüften und warf sie achtlos beiseite. Bis auf ein weißes Baumwollhemdchen, einen weißen Baumwollslip und dicke Wollsocken war Angelica nun nackt. Eine wahrhaft verführerische Aufmachung, überlegte sie. Nicht, dass es irgend etwas ausgemacht hätte. Cade Landon war der letzte Mann auf Erden, den sie ... Sie erschauerte. „Angelica?" Erstaunt stellte sie fest, dass Cade sie verwirrt musterte. „Ich bin okay." Sag etwas, befahl sie sich im stillen. Irgend etwas. „Ich ... Ich muss ins Bad." Cade lächelte reumütig. „Tut mir leid. Daran hätte ich selbst denken müssen. Leg
deinen Arm um meinen Hals und..." „Nein! Ich meine, das kann ich auch allein." „Aber du brauchst Hilfe, um dorthin zu gelangen." Er hob sie hoch. „Welche Richtung?" Welche Richtung? Mein Gott, was war nur mit ihr los? Dieser niederträchtige Schuft hielt sie halbnackt in seinen Armen. Sie hasste ihn, und er hasste sie, und trotzdem war das Verlangen, seinen Kopf zu sich herabzuziehen, bis ihre Lippen sich berührten, fast übermächtig. Angelica sehnte sich danach, seine breite Brust zu streicheln und den regelmäßigen Schlag seines Herzens zu spüren. „Angelica", sagte er ungeduldig. „Wo ist das Bad?" Das Bad, dachte sie benommen. Das Bad ... „Rechts, am Ende des Flurs." Cade nickte und trug sie den Korridor entlang. Im Badezimmer stellte er sie wieder auf die Füße. „Ich warte draußen", erklärte er und schaltete das Licht ein. Dann schloss er die Tür hinter sich - und stöhnte leise auf. Verdammt! Vielleicht war er wirklich niederträchtig. Vielleicht war er wirklich das Scheusal, für das Angelica Gordon ihn hielt. Nein, wenn er tatsächlich so ein Schuft wäre, hätte er ganz anders reagiert, als Angelica in diesem jungfräulich weißen Hemd, dem schlichten Slip und den dicken Socken vor ihm gelegen hatte. Er wäre dem schier übermächtigen Verlangen gefolgt, hätte ihr die lächerlichen Kleidungsstücke vom Körper gerissen und sie geliebt, bis sie in seinen Armen erbebt wäre. Was war nur passiert? Sie auszuziehen war eine rein mechanische Angelegenheit gewesen. Er hatte an nichts anderes gedacht als daran, ihr so wenig Schmerzen wie möglich zu bereiten. Aber als sie schließlich in dieser mädchenhaften Unterwäsche vor ihm gelegen hatte, hatte er kaum mehr atmen können. Er hatte ihre Erschöpfung fortküssen, ihre Lippen liebkosen wollen, bis sie wieder rosig waren. Er hatte den schmalen Streifen Haut streicheln wollen, der unter dem Saum ihres Hemds hervorlugte ... Seufzend massierte Cade sich den Nacken. Vergiss den Bourbon, sagte er sich. Vergiss alles, mit Ausnahme einer heißen Dusche - oder vielleicht lieber eine kalte - und geh gleich ins Bett. Er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf. Schlaf und ein Ticket, für die nächste Maschine, die Dallas verließ. Cade drehte sich um, als hinter ihm die Tür geöffnet wurde. „Ich bin fertig", flüsterte Angelica. Zu Cades maßlosem Entsetzen brach sie in Tränen aus. Er legte die Hände auf ihre Schultern. „Was ist los, Süße?" „Ich habe in den Spiegel geschaut", schluchzte sie. „Du hattest recht, Cade. Ich sehe schrecklich aus." Lachend hob er sie auf seine Arme und trug sie zurück in ihr Schlafzimmer. „Ich habe gelogen. Du bist wunderschön." Unerklärlicherweise machte seine scherzhafte Antwort sie wütend. „Ich weiß, dass ich das nicht bin." Schmunzelnd schlug er die Bettdecke zurück und legte Angelica vorsichtig auf das Laken. „Okay, du bist nicht schön." „Cade, verdammt..."
Er beugte sich vor, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie zärtlich auf den Mund. „Willst du die Wahrheit hören?" fragte er an ihren Lippen. „Ich habe noch nie eine schönere Frau gesehen als dich, Süße." Ehe sie darauf antworten konnte, küsste er sie erneut. Er schob die Finger in ihr langes Haar und schlang es sich wie eine rote Fessel um das Handgelenk, während er mit der Zunge die Konturen ihrer Lippen nachzeichnete. Angelica seufzte vor Wonne leise auf. Sie schloss die Augen und klammerte sich an seine Schulter. Cade stöhnte heiser. Spielerisch knabberte er an ihrem Ohrläppchen und tupfte Dutzende federleichter Küsse auf ihren Hals. Er ließ die Hand unter ihr Hemdchen gleiten. Als sie erschauerte, flüsterte er heiser ihren Namen und berührte ihre nackte Brust. Sein Verstand sandte Alarmsignale aus, aber sein Körper reagierte nicht darauf. Das Verlangen, diese verführerische Frau zu besitzen und das Feuer der Leidenschaft in ihr zu entfachen, war beinahe schmerzhaft. Angelica drängte sich ihm sehnsüchtig entgegen, die Lippen leicht geöffnet. Wogen der Lust durchrannen sie. Das Gefühl, Cades Lippen auf ihrem Mund zu spüren, war überwältigend. Die rosigen Knospen ihrer Brüste richteten sich auf. „Angelica", flüsterte er rau. „Süße Angelica." Sie flüsterte seinen Namen und streckte die Arme aus, um sein Gesicht zu streicheln und schrie vor Schmerzen auf. Cade zuckte zusammen. Mein Gott, dachte er, was tue ich? Welcher Mann würde die Wehrlosigkeit einer Frau ausnutzen, die von Medikamenten völlig benommen war? Das war nicht seine Absicht gewesen. Er hatte sie nicht einmal küssen wollen. „Entschuldige", bat er leise. „Ich wollte nicht ..." Er zog ihr die Decke bis ans Kinn. „Ist alles in Ordnung?" Nein, nichts war in Ordnung. Wie auch, nachdem sie sich so hatte gehenlassen? Daran mussten die Tabletten und die Erschöpfung schuld sein. „Ich bin okay", log sie. „Ehrlich." Sie atmete tief durch. „Es war ein langer Tag, Cade. Ich glaube, es ist Zeit, dass du gehst." „Ja." Er stand auf. „Ich finde allerdings, du solltest nicht allein bleiben. Hast du etwas dagegen, wenn ich Emily anrufe? Sie wird dir bestimmt gern ein paar Tage Gesellschaft leisten." Angelica zögerte. Was gerade passiert war, bewies, dass der Stress und die Schmerzen ihr mehr zusetzten, als sie vermutet hatte. „Wahrscheinlich hast du recht. Ihre Nummer steht auf einem Zettel neben dem Telefon in der Küche." Hastig verließ Cade das Zimmer. Draußen atmete er tief durch und schalt sich einen unverbesserlichen Narren. Er musste Dallas so schnell wie möglich den Rücken kehren. Die Ereignisse der letzten Minuten hatten ihm gezeigt, dass er die Grenze seiner Belastbarkeit erreicht hatte und für nichts mehr garantieren konnte. Er wählte Emilys Nummer. Während er dem Freizeichen lauschte, versuchte er, sich auf die Frau zu konzentrieren, die in Dumai auf ihn wartete. Er durfte nicht länger an Angelica denken. Wie hieß die Araberin? Wie sah sie aus? Es ärgerte ihn, dass er sich nicht erinnern konnte. Das Gespräch mit Emily verlief nicht so, wie Cade es sich erhofft hatte. Die sonst so muntere Sekretärin klang total heiser. Es stellte sich heraus, dass sie an einer fiebrigen
Erkältung litt und das Bett hüten musste. Nachdem er ihr gute Besserung gewünscht hatte, legte Cade seufzend auf. Was nun? Er konnte Angelica nicht einfach dort oben liegen lassen und ins Hotel fahren. Sie brauchte Pflege. Er würde eine Privatschwester für sie engagieren. Allerdings musste er damit bis morgen warten, denn um diese Zeit waren die einschlägigen Agenturen bereits geschlossen. Vielleicht hatte sie Freunde, die sich um sie kümmern konnten. Eine Frau? Ein Mann? Gab es einen Mann in ihrem Leben? Cade presste die Lippen zusammen. Angelicas Privatleben ging ihn nichts an - aber warum machte ihn dann die Vorstellung, sie könnte einen Freund haben, so wütend? Weil ich müde und hungrig bin, dachte Cade. Nun, zumindest für dieses Problem gab es eine Lösung. Er öffnete die Kühlschrank und schaute hinein. Darin befanden sich ein Päckchen mit undefinierbarem Inhalt, ein Brotkanten, der auf dem besten Weg war, sich in Stein zu verwandeln, und ein paar Becher Joghurt. Bei einer Inspektion der Schränke entdeckte er lediglich, dass er ernste Schwierigkeiten bekommen würde, wenn er sich einen Kaffee, Tee oder Kakao kochen wollte. Entnervt kehrte Cade in das kleine Schlafzimmer zurück. „Angelica", begann er - und verstummte. Sie war eingeschlafen und wirkte herzzerreißend schutzlos. Resigniert setzte er sich in den alten Schaukelstuhl neben dem Bett und lehnte den Kopf zurück. Was jetzt? überlegte er. Das war eine gute Frage, doch leider hatte er keine Antwort darauf. Cade schloss die Augen. Sekunden später war auch er eingeschlafen. Als Angelica erwachte, schien die Morgensonne strahlend hell durchs Fenster. Schützend legte sie den Arm über die Augen und stöhnte auf. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Hand. Benommen richtete sie sich auf. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie vernehmlich nach Luft schnappen. Cade schlief tief und fest in dem alten Schaukelstuhl neben ihrem Bett. Er hatte die Beine ausgestreckt und den Kopf in einem Winkel zurückgelehnt, der äußerst unbequem sein musste. Jeder andere Mann hätte in dem viel zu kleinen Stuhl lächerlich ausgesehen, Cade hingegen wirkte noch maskuliner als sonst. Instinktiv zog Angelica das Laken bis zum Kinn. Was tat Cade hier? Sie erinnerte sich nur sehr vage an die vergangene Nacht. Diese vermaledeiten Pillen! Bruchstückhafte Szenen kamen ihr in den Sinn: der Flug von Notrees, die Fahrt nach Hause, Cade, der sie die Treppe hinauftrug, sie auszog_ Angelica errötete. Es war eine peinliche Situation gewesen, aber nicht demütigend. Cade war so vorsichtig, so unpersönlich gewesen, als er ihr die Kleidung abgestreift hatte, und mehr Einfühlungsvermögen bewiesen, als sie ihm je zugetraut hätte. Aber es gab auch andere, viel beunruhigendere Bilder: Cade, der sie ins Bett brachte. Cade, der sie in die Arme nahm und küsste. Cades Hände, die über ihren Körper glitten und ein Feuer in ihr entfachten, das alles zu verzehren drohte. Angelica schloss die Augen und wünschte, alles vergessen zu können. Ihre leidenschaftliche Reaktion auf seine Zärtlichkeiten war so verrückt, so untypisch für sie
... Es musste an den Medikamenten gelegen haben, die sie genommen hatte. Seufzend lehnte sie sich in die Kissen zurück. Es war sinnlos, sich et was vorzumachen. Die Tabletten waren an dieser Episode ebensowenig schuld wie an dem erotischen Traum, der sie atemlos vor Verlangen hatte erwachen lassen. Und während sie von Cade geträumt hatte, war er keine zwei Meter von ihr entfernt gewesen. Cade Landon hatte sich nicht nur in ihr Privatleben gedrängt, sondern außerdem in ihre Träume geschlichen, und das gefiel ihr überhaupt nicht. Genug davon, sagte sie sich energisch. Sie unterdrückte einen Schmerzensschrei, als sie aufstand. Mit der linken Hand wickelte sie sich das Laken wie eine Toga um den Körper. Dann ging sie zum Schaukelstuhl und betrachtete Cades friedliches Gesicht. „Cade", rief sie leise. Er bewegte sich nicht. Angelica trat näher. „Verdammt, wach auf!" Cade fuhr erschrocken auf. Wo, zum Teufel, war er? Vom Sonnenlicht geblendet, konnte er die weiß gekleidete Gestalt nicht gleich erkennen. Als er ihr flammendrotes Haar sah, stöhnte er auf. Angelica. War er tatsächlich in diesem unbequemen Stuhl eingeschlafen? Jeder einzelne Muskel tat ihm weh. Und Angelicas Anblick, die wie ein Racheengel vor ihm stand, verriet ihm, dass der Tag keinen guten Anfang nehmen würde. „Angelica", flüsterte er benommen. „Cade." Ihre Stimme klang eisig. Er versuchte es mit einem freundlichen Lächeln. „Wie spät ist es?" „Zeit für dich, mein Schlafzimmer zu verlassen." Seufzend stand Cade auf. „Was machst du überhaupt hier, Cade? Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass Emily bei mir übernachten sollte." „Richtig." Er nickte. „Wie geht es deiner Hand heute?" „Meine Hand ist meine Angelegenheit. Beantworte bitte meine Frage. Was tust du in meinem Schlafzimmer?" Cade musterte Angelica eingehend. Sie war nicht mehr ganz so blass wie gestern, aber der angespannte Zug um ihren Mund verriet, dass sie noch immer Schmerzen hatte. „Sag doch einfach, wenn es weh tut", schlug er versöhnlich vor. „Ich könnte dir einen Eisbeutel holen oder ..." „Wo ist Emily?" „Ich hasse Frage-und-Antwort-Spiele, bevor ich mich gewaschen habe." Er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig zu bleiben. „Gib mir bitte fünf Minuten, bevor du mit dem Verhör beginnst." Angelica trat einen Schritt zurück. „Fünf Minuten und keine Sekunde länger." Wortlos ging er an ihr vorbei ins Badezimmer. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stützte er die Hände aufs Waschbecken und blickte in den Spiegel. „Danke, dass du letzte Nacht bei mir geblieben bist, Cade", ahmte er Angelicas Tonfall nach. „Und danke, dass du auf dem unbequemen Stuhl geschlafen hast, damit ich nicht so allein bin." Er schnitt eine Grimasse. Nur ein Narr würde erwarten, dass Angelica sich bedankte. Abgesehen davon, hatte er gar nicht beabsichtigt, die Nacht hier zu verbringen. Er hatte sich nur kurz hingesetzt und ...
Offenbar hatte die Müdigkeit ihn übermannt. Na schön, dachte er, trotzdem hat sich nichts an meinem Entschluss geändert. Ich werde Angelicas Bluff auffliegen lassen. Und wenn sie schließlich zugeben musste, dass sie keinerlei Beweise in der Hand hatte, würde er ihr freundlich lächelnd mitteilen, dass seine Anwälte sich bei ihr melden würden. Der Gedanke daran würde ihm helfen, ruhig zu bleiben, egal, wie sehr sie ihn auch provozierte. Sie wollte ihn zum Verbrecher abstempeln, weil er die Nacht im Schaukelstuhl verbracht hatte? Gut. Das sollte sie nur versuchen. Sie tat so, als wäre ihre Hand in Ordnung? Gut. Er würde dieses Spiel mitmachen. Sie hatte recht. Was mit ihr geschah, ging ihn nichts an. Cade wusch sich das Gesicht. Eine Zahnbürste und drei Aspirin und er wäre wieder der alte. Er spähte in den Medizinschrank. Vielleicht bewahrte die vorbildliche Angelica eine Reservezahnbürste dort auf, zumindest aber würde sie Kopfschmerztabletten haben. Es gab sogar mehrere Zahnbürsten, die allesamt in Plastikfolie eingeschweißt waren. Cade nahm eine heraus und putzte sich die Zähne. Plötzlich hielt er stirnrunzelnd inne. Warum hatte sie so viele Zahnbürsten? War es aus rein praktischen Erwägungen, oder hatte sie häufiger Besucher, die über Nacht blieben? Männer, zum Beispiel. Cade öffnete erneut den Spiegelschrank. Auf in einer Ecke lagen etliche Rasierklingen. Möglicherweise benutzte sie diese, um ihre Beine zu rasieren - diese langen, wohlgeformten Beine, die er gestern abend bewundert hatte. Andererseits konnten die Klingen auch ein weiteres Indiz sein für ... Leise fluchend warf er die Zahnbürste in den Abfalleimer. Es interessierte ihn nicht im entferntesten, ob nachts ganze Heerscharen von Männern durch dieses Haus zogen. Bei dem Gedanken an diese schmalbrüstigen, blassen Snobs mit ihren weichen Händen hätte er beinahe laut aufgelacht. Was ging es ihn an? Ohne die Rasierklingen eines weiteren Blickes zu würdigen, suchte er nach Aspirin. Angelica schien nicht viel davon zu halten. Statt dessen bevorzugte sie Vitaminpillen und alle möglichen Sorten Haarspray und Gel. Cade studierte die Etiketten der Dosen. „Löst garantiert jedes Haarproblem", las er laut. Welches Haarproblem? Sie hatte doch wundervolles, seidiges Haar! Gestern abend hatte es ihm fast den Atem verschlagen, als die roten Locken sich über das weiße Kissen ringelten. Wütend schlug Cade die Tür des Schränkchens zu. Ich brauche unbedingt einen Kaffee, dachte er, doch dann fiel ihm ein, dass keiner im Haus war. Na schön, dann würde er eben im Supermarkt anrufen und veranlassen, dass welcher geliefert wurde. Kaffee, Orangensaft, Schinken, Eier und Brot. Und eine Klinikpackung Aspirin. Anschließend würde er sich mit dem Hauspflegedienst in Verbindung setzen, alles Notwendige arrangieren und sich von Angelica Gordon und Dallas verabschieden. Zuversichtlich lächelnd, verließ er das Bad. Im Haus war es erstaunlich ruhig. War Angelica wieder ins Bett gegangen? Cade hoffte es inständig. Je weniger er von ihr sah, um so besser. Auf einmal nahm er einen sonderbar stechenden Geruch wahr, der die Treppe heraufwehte. Um Himmels willen, irgend etwas brannte! Cade stürmte in Angelicas Schlafzimmer. Es war leer. Er machte auf dem Absatz
kehrt und rannte die Stufen hinunter. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. „Angelica?" rief er. „Angelica!" , In der Küche hing dichter Qualm. Der Rauch stieg aus dem Toaster auf, der im Begriff war, zu einem handlichen Klumpen zu verschmelzen. Angelica lag ausgestreckt auf dem Fußboden. Eiskalte Furcht erfasste Cade. Er riss den Stecker aus der Wand, wickelte den Toaster in zwei Geschirrtücher und schleuderte ihn in den Garten hinaus. Dann kehrte er zu Angelica zurück. „Süße", flüsterte er und kniete sich neben sie. Ihr Schluchzen zerriss ihm schier das Herz. Behutsam zog er sie an sich. „Was ist los? Hast du dich verbrannt? Angelica, bitte, rede mit mir..." Er verstummte. Sie weinte nicht, sondern keuchte vor Wut und Frustration, während sie versuchte, sich von der Decke zu befreien, in der sie sich verheddert hatte. „Dieses verdammte Ding", fluchte sie. Cade atmete tief durch und zählte bis zehn. Anschließend richtete er sich auf und zog Angelica auf die Füße. Das Laken fiel zu Boden. Er bückte sich und legte es ihr wieder um die Schultern. Diesmal waren seine Bewegungen weniger behutsam. „Okay, was ist passiert?" Angelica warf ihm einen vernichtenden Blick zu und hielt die Decke mit ihrer gesunden Hand fest. „Das Brot begann zu brennen. Also habe ich versucht, es aus dem Toaster zu holen. Dabei ist dieses lächerliche Laken unter meine Füße geraten und ..." „Lass mich eines klarstellen." Cade verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie scharf an. „Erst bist du in dieser Aufmachung die steile Treppe hinuntergestiegen. Nachdem es dir nicht gelungen ist, dir dabei den Hals zu brechen, dachtest du, du könntest es weiter probieren. Du bist in die Küche geschlichen und hast den Toaster eingeschaltet ... " „Sei nicht albern." Sie warf trotzig den Kopf zurück. „Ich wollte mir Frühstück machen und bin gestolpert. Ende der Geschichte. Du machst aus einer Mücke einen Elefanten." „Ach ja?" Er stemmte die Hände in die Hüften. „Angenommen, ich wäre nicht hiergewesen? Angenommen, es wäre dir niemand zu Hilfe geeilt. Angenommen, das Haus wäre in Flammen aufgegangen?" „Das wäre nicht passiert." „Nein?" „Nein. Ich habe lediglich zwei Scheiben Brot versengt und..." „Der Toaster hat gebrannt! Und was das Brot betrifft ..." Cade wandte sich ab und öffnete den Kühlschrank. „Von welchem Brot sprichst du eigentlich? Meinst du etwa die Schimmelpilzkulturen, die hier drin sind?" Angelicas Augen funkelten vor Zorn. „Wie kannst du es wagen, mich anzuschreien, Cade Landon?" „Wenn du dich wie eine ausgewachsene Närrin benimmst, kann ich dich auch anschreien! Was suchst du überhaupt hier unten? Du solltest in deinem Bett bleiben." „Wer sagt das?" Ein Lächeln umspielte Cades Lippen. „Der Mann, der dabei war, als dich der Skorpion gestochen hat und du zusammengebrochen bist. Der Mann, der weiß, wie benommen du gestern abend warst."
„Daran waren nur diese Pillen schuld. Abgesehen davon, hast du nicht das Recht, mich zu tyrannisieren." Er packte sie bei den Schultern. „Ich werde dir gleich zeigen, was ein richtiger Tyrann ist, Süße." „Ich mag es nicht, wenn man mir droht", erwiderte sie ärgerlich. „Dann sei endlich vernünftig. Warum hast du mich nicht um Hilfe gebeten?" „Weil ... Weil..." Weil ich deine Hilfe nicht will; weil ich es hasse, von dir abhängig zu sein; weil ich mich noch allzu deutlich erinnere, wie es war, von dir ausgezogen zu werden und in deinen Armen zu liegen ... „Also warum hast du mich nicht gerufen?" „Du bist doch nur wütend, weil ich dir nicht gesagt habe, dass ich in die Küche wollte." Angelica blies sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. „Dass ich mir in meinem eigenen Haus Frühstück machen wollte. Du kannst nicht mit einer Frau umgehen, die für sich selbst sorgt." „Womit ich nicht umgehen kann, ist eine Frau, die sich wie ein trotziges Kind benimmt!" Sie sah ihn einen Moment lang schweigend an, dann seufzte sie. „Okay, ich bin dir ... dankbar, dass du mir gestern geholfen hast." Cade lachte. „An diesen Worten bist du beinahe erstickt, oder?" Angelica ignorierte seine Bemerkung. „Nach dem Skorpionstich war ich aufgrund der Medikamente zu nichts zu gebrauchen. Aber jetzt..." „Aber jetzt ist es Zeit, dass ich verschwinde." „Cade, bitte. Ich versuche nur, höflich zu sein ..." „Höflich? Du? Du kennst nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes." Empört hob Angelica den Kopf. „Mag sein. Allerdings ist es sehr schwer, einem Mann gegenüber höflich zu bleiben, der sich nachts in mein Schlafzimmer geschlichen hat und sich weigert, einen Grund dafür zu nennen." „Wie wäre es denn damit, Süße: Ich habe Emily angerufen und dabei festgestellt, dass sie die Grippe hat. Daraufhin ging ich nach oben, um dir das zu erzählen, aber du hast geschlafen. Ich habe mich hingesetzt und überlegt, was ich tun soll. Und als ich wieder wach wurde, war es heller Morgen, und du hast mich beschimpft." „Oh." Angelica sog scharf den Atem ein. „Oh? Ist das alles? Keine Entschuldigungen für deine Verdächtigungen? Kein Mitgefühl, weil ich mir die Knochen verrenkt habe? Nur ..." Cade verstummte stirnrunzelnd. „Was ist los?" Ein Blick auf ihr blasses Gesicht bewies ihm, dass das „Oh" nicht seinen Worten gegolten hatte. „Angelica." Er schob sie besorgt zu einem Stuhl. „Was ist los?" „Ich ... Ich habe mir die Hand am Tisch gestoßen." Ihre Stimme war genauso unsicher wie ihr Lächeln. „Aber es ist nichts. Wirklich, mir geht es wieder gut." „Die Entscheidung darüber überlass lieber mir." Ohne auf ihren schwachen Protest zu achten, nahm er die Decke von ihren Schultern und griff nach ihrer Hand. Seine Berührungen waren erstaunlich sanft, als er den Verband entfernte. „Entspann dich", bat er. „Es wird nicht weh tun. Ich will nur sehen, wie die Wunde aussieht." Während er vor ihr kniete und die Verletzung untersuchte, sprach er unablässig beruhigend auf Angelica ein.
Sie blickte auf seinen gesenkten Kopf herab. Sein sonnengebleichtes Haar war zerzaust. Plötzlich erwachte der Wunsch in ihr, diese weichen Locken zu küssen, ihre Lippen auf seinen Nacken zu pressen ... Sie seufzte leise auf. Sofort schaute Cade auf. „Habe ich dir weh getan?" Angelica schüttelte schnell den Kopf. „Nein, überhaupt nicht." „Ich war ganz vorsichtig. Ich wollte mich nur vergewissern, dass sich der Stich nicht entzündet hat." Sie entzog ihm rasch die Finger. „Ich bin wirklich in Ordnung, Cade." Er musterte sie verstohlen. 0 ja, sie war in Ordnung - sogar mehr als das. Sie war einfach hinreißend, wie sie mit ihrer flammenden Haarmähne vor ihm saß, die samtweichen Schultern von der Decke entblößt. Einer der Träger ihres Hemdchens war verrutscht. Spontan hob Cade die Hand und schob es wieder zurecht. „Danke", flüsterte sie. Er lächelte. „Diesmal meinst du es ernst. Wer hätte das gedacht?" Ihre Blicke trafen sich. Zögernd erwiderte Angelica sein Lächeln. „Ich schätze, ich war ziemlich aufsässig." Cades Lächeln vertiefte sich. „Ja, das warst du." „Der Skorpion hat mich zu Tode erschreckt." Für eine Frau wie Angelica war das ein bemerkenswertes Eingeständnis. Cade wusste das und beschloss, so beiläufig wie möglich darüber hinwegzugehen. „Das ist völlig normal. Ich kenne Männer, die doppelt so groß sind wie du und beim Anblick dieser Tiere in Panik geraten sind." Angelica lachte. Faszinierte beobachtete Cade das Funkeln in ihren grünen Augen. „Das sagst du nur, um mich zu trösten." Er warf ihr einen treuherzigen Blick zu. Dann ballte er die rechte Hand zur Faust, schloss und öffnete sie dreimal und schlug sich anschließend an die linke Schulter. „Großes Ehrenwort." „Was war das denn?" fragte sie kichernd. „Anscheinend bist du noch nie einem Verteidiger der Jungfrauen begegnet. " „Einem ... Was?" „Wir waren drei. Zach war zehn, Grant zwölf und ich acht Jahre alt. Und der Schwur, über den du gerade gelacht hast, war heilig." „Und natürlich waren keine Mädchen in eurem Bund zugelassen." „Ein Mädchen haben wir aufgenommen. Kyra. Sie war so etwas wie unser Maskottchen." Vorwurfsvoll zog Angelica die Brauen hoch. „Natürlich. Wozu könnte ein Mädchen auch sonst taugen?" „Zieh die Krallen ein, Süße." Cade schmunzelte. „Kyra war unsere kleine Schwester. Als wir unseren Club gründeten, krabbelte sie in Windeln um unsere Füße. Sie hatte Glück, dass wir sie überhaupt geduldet haben." „Nun ja, in diesem Fall ..." „Willst du dich etwa schon wieder entschuldigen?" Cade presste theatralisch die Hand aufs Herz. „Tu's nicht. Der Schock könnte mich umbringen." Sie lächelte. „Keine Sorge, Mr. Landon. Ich wollte nur meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass ihr sie später nicht wegen ihres Geschlechts diskriminiert habt." Cades Heiterkeit verschwand. „Als sie alt genug gewesen wäre, um sich darüber
vielleicht zu beschweren, waren meine Brüder und ich viel zu beschäftigt, um` uns mit solch kindischem Kram wie unserem Geheimbund abzugeben. Das fand zumindest unser alter Herr." „Hat eure Mutter nicht ..." Angelica biss sich auf die Lippe. „Entschuldige, Cade, ich wollte dich nicht aushorchen." „Ist schon okay. Unsere Mutter starb, als wir noch Kinder waren. Unser alter Herr mein Vater - hatte seine eigenen Vorstellungen von Kindererziehung." Cade räusperte sich und griff erneut nach ihrer Hand. „So, und jetzt wollen wir uns die Sache mal anschauen." Angelica schluckte trocken. Sie könnte die Finger ihrer linken Hand in seine Locken schieben, seinen Nacken umfassen und seinen Kopf anheben, bis ihre Blicke sich trafen, bis sein warmer Atem ihre Lippen streifte ... Erschrocken wich sie zurück. Verwundert blickte Cade auf. „Falls das weh tut ... „Nein", unterbrach sie ihn scharf. „Ich ... Ich mag es nur nicht, wenn meinetwegen soviel Aufhebens gemacht wird. Sag einfach, ob die Hand in Ordnung ist." „Sie heilt ab. Wir können auf einen Verband verzichten. Natürlich wirst du dich in den nächsten Tagen etwas schonen müssen ..." Angelica schob ihren Stuhl zurück und stand auf. „Ich werde daran denken. Wenn das alles ist..." Stirnrunzelnd erhob Cade sich ebenfalls. „Wenn du dich allerdings überanstrengst ..." „Ich habe nicht die Absicht." „Nein, das wird die Krankenschwester verhindern." „Welche Krankenschwester?" „Hast du ein Telefonbuch? Es dauert bestimmt nicht lange, bis ich alles arrangiert habe." „Verdammt, wovon redest du, Cade?" „Allem Anschein nach kann ich dich nicht allein lassen. Und Emily ist selbst krank." Trotzig raffte Angelica das Laken zusammen. „Und?" „Und deshalb werde ich einen Hauspflegeservice anrufen und jemand engagieren, der ..." „Ich brauche keinen Babysitter!" „Sei doch vernünftig, Angelica." „Du wirst dich nie ändern, oder? Sobald sich dir eine Gelegenheit bietet, übernimmst du das Kommando." Trotzig hob sie den Kopf. „Auf Wiedersehen, Cade. Nochmals vielen Dank für deine Hilfe. Ich melde mich bei dir." Einige Sekunden lang musterte er sie verblüfft, dann brach er in schallendes Lachen aus. „Du wirst dich bei mir melden? Bringst du da nicht etwas durcheinander, Lady? Ich werde derjenige sein, der sich bei dir meldet, weil ich in deinem chaotischen Büro irgendwelche Akten oder Berichte nicht finden kann." Sie errötete. „Vielen Dank, für diesen Hinweis. Ich bin schließlich nur dazu da, dir zu Diensten sein. Keine Sorge, du bekommst pünktlich alles, was du willst." Cade öffnete die Hintertür und schaute auf den verkohlten Toaster hinaus. „Und wie willst du das anstellen?" erkundigte er sich freundlich. „Emily ist krank, erinnerst du dich?" Angelica zuckte mit den Schultern. „Ich werde es schon irgendwie schaffen." „Und wie?" beharrte er. „Du müsstest dir etwas einfallen lassen, um dich zu waschen,
dich anzuziehen und zur Arbeit zu fahren. Ich schätze, dein Wagen hat keine Automatik, oder?" „Komm endlich zur Sache." Worauf, um alles in der Welt, wollte er überhaupt hinaus? Cade hatte beschlossen, diesem Spiel ein Ende zu machen und einen Beweis zu verlangen, dass die mündliche Vereinbarung zwischen ihren Vätern existierte. Dann würde er die Angelegenheit den Anwälten von Landon Enterprises übergeben und abreisen - andererseits ... Cade atmete tief durch. „Komm mit." Er ergriff Angelicas Ellbogen und schob sie zur Treppe, ohne auf ihren Protest zu achten. „Du hast recht, es wäre Unsinn, für dich eine Pflegerin zu engagieren." Oben angelangt, führte er sie zu ihrem Schlafzimmer. „Es freut mich, dass du endlich vernünftig geworden bist. Ich brauche keine Krankenschwester." „Sehr richtig. Was du brauchst, ist eine Umgebung, in der wir uns beide wohl fühlen." Verblüfft drehte sie sich zu ihm um. „Was meinst du damit?" Cade öffnete ihren Schrank und inspizierte kopfschüttelnd dessen Inhalt. „Hast du die Weltproduktion von Tweed aufgekauft?" Angelica wurde feuerrot. „Verdammt, Cade ..." Er holte ein schwarzes Wollkleid heraus und betrachtete es skeptisch. „Hier, das kannst du problemlos allein anziehen." Während er es Angelica reichte, nahm er die Decke von ihren Schultern. Leise vor sich hinfluchend, zog sie sich an. Als Cade ihr helfen wollte, es zuzuknöpfen, schlug sie ihm auf die Finger. Schließlich stand sie barfuss und mit offenem Haar vor ihm. „Was hast du eigentlich vor?" „Nach reiflicher Überlegung ist mir klargeworden, dass ich leider auf dich angewiesen bin. Wenn ich dich jedoch allein lasse, wirst du vermutlich das Haus in die Luft jagen." „Mach dich nicht lächerlich!" „Außerdem müsste ich ewig auf dich warten, bis du irgendwie ins Büro gelangt bist." „Heraus mit der Sprache." „Am besten fange ich ganz oben auf meiner Liste an. Als erstes möchte ich ein Frühstück. Schinken, Eier, eine Kanne Kaffee - und eine Handvoll Aspirin." Cade stellte ihr ein Paar Schuhe hin. „Verstehe." Wütend schlüpfte Angelica in die Pumps. „Du befürchtest, ich könnte es nicht bis ins Büro schaffen, also spielst du den Chauffeur für mich." Sie lächelte frostig. „Wie großzügig." „Ich erwarte gar nicht, dass du heute arbeitest." „Warum ..." „Heute sollst du dich nur ausruhen." Er nahm ihren Arm. „Wir fahren in mein Hotel und mieten dich in meiner Suite ein." „Bist du verrückt geworden?" „Du kannst nachmittags schlafen, während ich den Papierkram erledige." „Du bist verrückt! Nie im Leben werde ich..." „Es ist eine geräumige Suite, Angelica. Hatte ich das erwähnt? Zwei Schlafzimmer, zwei Bäder..."
„Und wenn sie so groß wäre wie der Buckingham Palast, würde ich dort nicht mit dir wohnen! " Cades Lächeln verschwand. „Hast du vergessen, dass du für Landon Enterprises arbeitest?" „Das gibt dir noch lange nicht das Recht, von mir zu verlangen, dass ich in dein Hotelzimmer ziehe." „Ich habe dir doch gerade erklärt, dass du dein eigenes Zimmer samt Bad haben wirst." „Das ist mir egal. Ich werde es nicht tun!" „Falls das dein letztes Wort ist, bin ich gezwungen, die Interessen von Gordon Oil zu wahren." Misstrauisch sah sie ihn an. „Und das heißt?" „Das heißt, du wirst der Firma fernbleiben, bis deine Hand völlig ausgeheilt ist. Natürlich zahle ich dein Gehalt weiter." „Und wo ist der Haken bei der Sache?" „Nun ja ... Da du außer Gefecht gesetzt bist und Gordon Oil nicht allein arbeiten kann, werde ich einen anderen mit der Leitung betrauen. Ich brauche jemand, der die Verantwortung trägt. Selbstverständlich kann ich einer solchen Fachkraft keinen Aushilfsvertrag geben. Ich werde dich also bedauerlicherweise entlassen müssen." „Nein. Die mündliche Vereinbarung ..." „Vorausgesetzt, es gibt überhaupt eine, wäre sie ohnehin null und nichtig aufgrund deiner Unfähigkeit, die Firma zu führen." Die Lüge klang so logisch und kam Cade derart flüssig über die Lippen, dass sie durchaus von einem Anwalt hätte stammen können. Angelica war fassungslos. Wenn Cade sie aus dem Unternehmen drängte, waren ihre Chancen, dorthin zurückzukehren, verschwindend gering. Sie blickte in seine spöttisch funkelnden Augen. „Warum tust du mir das an?" flüsterte sie. „Ich tue dir gar nichts an, Angelica, sondern schütze lediglich Landons Investitionen. Ich habe dir ein Angebot gemacht, und du hast es abgelehnt ..." Er lächelte achselzuckend. Es dauerte einen Moment, bis Angelica sich wieder unter Kontrolle hatte. „Du bist nicht niederträchtig, Cade", sagte sie, „du bist widerwärtig." Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging zur Treppe. Erst jetzt bemerkte Cade, dass er den Atem angehalten hatte.
8. KAPITEL „Geräumig" hatte Cade seine Suite genannt. Angelica merkte bald, dass diese Beschreibung eine gewaltige Untertreibung darstellte. Der Wohnraum war mit schlichter Eleganz und edlen Materialien eingerichtet. Gemälde in kräftigen Farben bedeckten die Wände. Cade schloss die Tür und warf den Schlüssel in eine Terrakottaschale. „Mein Schlafzimmer ist links, deines rechts. Wir können natürlich auch tauschen, falls du das möchtest." Die Zimmer tauschen? In Cades Bett schlafen? Obwohl ihr bei dem bloßen Gedanken der Atem stockte, erwiderte sie kühl: „Das ist nicht nötig. " Er trat ans Fenster und öffnete die Vorhänge. „Morgen, wenn es dir bessergeht ..." „Es geht mir ausgezeichnet." „Morgen", wiederholte er, „werden wir dir etwas zum Anziehen besorgen." „Wozu? Ich habe eine komplette Garderobe. Wenn du mir mehr Zeit gelassen hättest ..." „Stimmt." Cade drehte sich zu ihr um. „Du hast genug Sachen, um ein Warenhaus zu füllen, aber nichts, was..." Aber nichts, was sich weich um ihren wohlgeformten Körper schmiegte und das Smaragdgrün ihrer Augen oder das flammende Rot ihres Haars betonte ... Cade unterdrückte einen Fluch. Wie kam er nur auf solchen Unsinn? „Das habe ich dir doch erklärt. Ich habe nicht die Absicht, morgens auf dich zu warten, während du versuchst, dich für das Büro fertigzumachen." „Und ich habe nicht die Absicht, mein Geld für unnütze Dinge zu verschwenden. " „Das brauchst du auch nicht. Ich werde alles bezahlen." „Kommt überhaupt nicht in Frage! Ich dulde nicht, dass ... „Verdammt", rief er, „steig endlich von deinem hohen Ross herunter. Du wurdest während deiner Arbeitszeit verletzt. Wenn für deine Genesung spezielle Kleidung notwendig ist, muss dein Arbeitgeber für die entstehenden Kosten aufkommen - und Landon Enterprises ist dein Boss!" Cade seufzte. „Wenn du willst, lasse ich mir das von meinen Anwälten bestätigen." Und sein Bruder Grant würde es bestätigen, dafür wollte Cade sorgen. Er setzte sich auf eines der weißen Ledersofas. „In der Zwischenzeit verschone mich bitte mit deinen feministischen Theorien." „Immer wenn dir irgend etwas nicht passt, was ich sage, behauptest du ..." „Lass uns das Thema wechseln. Wie gefällt dir deine neue Umgebung? Bist du damit zufrieden?" „Mein eigenes Haus hat mir genügt." Cade richtete sich auf. „Wirst du dich hier wohl fühlen?" „Warum interessiert dich das?" Sie zuckte mit den Schultern. „Falls du Begeisterungsstürme erwartest - vergiss es. Du hast deinen Willen durchgesetzt. Ich bin hier und muss das Beste aus meiner Situation machen. " Er lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. „Weißt du was, Süße? Ich bin zu müde, um mit dir zu streiten." Er sieht wirklich erschöpft aus, dachte sie. Der Ausflug nach Notrees und zurück bedeutete, dass Cade achthundert Meilen geflogen war. Nach dem Zwischenfall mit dem Skorpion war er nicht von ihrer Seite gewichen und hatte die Nacht in einem
Schaukelstuhl verbracht, der viel zu klein für ihn war. Auf einmal regte sich ihr Gewissen. Cade hatte auf seine Art versucht, nett zu ihr zu sein. Bedauerlicherweise verstand er darunter, das Leben des anderen zu kontrollieren. „Cade?" Angelica räusperte sich. „Ich möchte dir für alles danken, was du für mich getan hast." „Das hast du bereits." Er blinzelte sie an. „Wenn du dich noch einmal bedankst, muss ich glauben, dass das Gift deinen Verstand benebelt hat." Sie lächelte versöhnlich. „Ich fühle mich schon viel besser." „Das freut mich. Was hältst du von einem kleinen Lunch?" Nach dem gigantischen Frühstück, das wir gerade hatten? Nein, ich möchte nichts außer einem heißen Bad." „Natürlich." Cade stand auf und kam auf sie zu. „Weißt du was? Du gehst jetzt in dein Zimmer und schläfst ein wenig." „Das werde ich - nachdem ich gebadet habe." „Vielleicht später." Verwundert zog sie die Brauen hoch. „Was meinst du damit? Ich kann mich nicht erinnern, dich um Erlaubnis gebeten zu haben." „Du bist noch immer von den Medikamenten benommen." Er legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie zu ihrer Tür. „Ich möchte nicht, dass du etwas überstürzt." „Ich werde nichts überstürzen. Na schön, ich war benommen, aber inzwischen bin ich wieder okay. Und jetzt will ich baden." „Nicht sofort. Ich möchte vermeiden, dass dir schwindlig wird. Es wäre zu gefährlich, wenn du in der Wanne oder Duschkabine ausrutschst." „Ich weiß deine Besorgnis wirklich zu schätzen, Cade, aber ..." „Du wirst baden, wenn wir sicher sein können, dass dir nichts passiert." „Wir?" wiederholte Angelica ärgerlich. „Wir? Ich weiß zwar, dass du dir einbildest, der Beherrscher des Universums zu sein, aber jetzt übertreibst du ein bisschen." „Du bist müde und reizbar..." „Ich bin weder müde noch reizbar! Ich will nur diese alberne Diskussion darüber, ob ich nun bade oder nicht, beenden! " „Wir müssen ja nicht sofort darüber entscheiden." Cade lächelte nachsichtig. „Mach erst mal ein Nickerchen. Wir reden weiter, wenn du aufgewacht bist." Er berührte ihre Lippen leicht mit dem Zeigefinger, dann schob er sie sanft in ihr Zimmer. „Schlaf schön. Und denk daran, wenn du mich brauchst ... " „Halt den Mund." Wütend schlug Angelica die Tür hinter sich zu. Arrogant? Anmaßend? Der Begriff, der Cade Landon treffend beschreiben konnte, war noch nicht erfunden worden. Je länger sie zusammen waren, desto schlimmer wurde es mit ihm. Er würde entscheiden, wann sie baden durfte? „Ha!" Zornbebend schleuderte sie die Pumps von den Füßen und streifte ihr Kleid ab. Es war ein wahres Wunder, dass Cade nicht darauf bestanden hatte, sie auszuziehen. Gestern abend hatte er sie überrumpelt, weil sie krank und von den Tabletten benebelt gewesen war. Heiße Röte stieg in ihre Wangen, als sie sich daran erinnerte, wie er sie ins Bett gebracht hatte. Er hatte sie geküsst und ihre Brüste gestreichelt ... Kopfschüttelnd verdrängte Angelica diese verräterischen Gedanken und ging ins Bad
hinüber. Der Raum war größer als ihr Wohnzimmer daheim. Marmorfliesen, Spiegel und vergoldete Armaturen funkelten um die Wette. In sicherer Höhe war sogar ein kleines Fernsehgerät angebracht. Lächelnd schaltete sie den Apparat ein, und gleich darauf erschien „Lawrence von Arabien" auf dem Bildschirm. Fröhlich vor sich hinsummend, inspizierte Angelica die Päckchen mit Badezusätzen. Nachdem sie ihren Lieblingsduft ausgewählt hatte, drehte sie die Wasserhähne auf. Ihre Hand schmerzte ein wenig, als sie in die Wanne stieg. Zufrieden lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Der Schaum umspielte ihre Brüste, aus dem Fernseher drang Musik ... „Angelica! " Sie öffnete die Augen. Cade stand auf der Schwelle zum Badezimmer. Erschrocken ließ sie sich tiefer ins Wasser sinken. „Was fällt dir ein?" rief sie empört. „Mach, dass du rauskommst!" „Was tust du in der Wanne?" „Wonach sieht es denn aus? Verdammt, Cade, verschwinde!" „Den Teufel werde ich tun." Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Du solltest doch schlafen." „Hast du mich nicht verstanden? Raus mit dir! " „Und hast du geschlafen?" fuhr er unbeirrt fort. „Nein, natürlich nicht." „Was hattest du in meinem Zimmer zu suchen?" fragte sie. „Ich wollte mich vergewissern, ob dir auch nichts fehlt. Also habe ich an die Tür geklopft. Als keine Antwort kam, habe ich sie geöffnet ..." „Und bist einfach hier hereingeplatzt", unterbrach sie ihn. „Ich hörte Geräusche", erwiderte er kalt und stellte den Fernseher ab. „Verdammt, Angelica, du hättest hinfallen und dir den Hals brechen können!" „Der einzige Hals, der hier gebrochen wird, ist deiner, wenn du nicht auf der Stelle kehrtmachst und gehst." „Was ist eigentlich los mit dir?" Er musterte sie zornig. „Hast du nicht zugehört, als wir über dieses Thema sprachen?" „Bist du taub, Cade?" Angelica deutete auf die Tür. „Raus!" „Du sagtest, du würdest mich rufen, wenn du mich brauchst." Er trat zur Wanne. „Du sagtest..." „Ich habe nichts dergleichen gesagt." Sie tauchte noch tiefer ein. „Niemand sagt irgend etwas, wenn du in der Nähe bist. Du redest für alle." „Dir hätte schwindlig werden können. Du hättest stürzen und dich dabei verletzen können. Angesichts deiner Neigung zu Unfällen hättest du sogar ertrinken können." Angelica murmelte ein Wort, das bislang noch nie ein Mitglied von Miss Palmers College benutzt hatte. „Ich werde mich nicht vor dir rechtfertigen. Wenn du nicht sofort gehst, schreie ich." „Dann schrei doch." Cade ergriff ein Badelaken. „Nur zu, schrei, bis das gesamte Personal und die anderen Hotelgäste zusammengelaufen sind. Lass sie ruhig hier hereinkommen. Vielleicht kannst du ihnen ja erklären, weshalb du so starrsinnig bist." „Ich muss niemandem irgend etwas erklären, Cade Landon. Ich bin mein eigener Herr." „Du meinst, du bist dein schlimmster Feind. Und jetzt steig endlich aus der Wanne."
„Verschwinde." „Du hast fünf Sekunden. Dann werde ich dich holen." Zornbebend sah Angelica ihn an. „Eins." Würde er es tun? Nein, selbst ein Cade Landon konnte nicht so verrückt sein. „Zwei." Zum einen war er vollständig angezogen.. . „Drei." ... Und er konnte sich denken, dass sie lieber ertrinken würde, als sich von ihm herausholen zu lassen. „Vier." Andererseits setzte er immer seinen Willen durch ... „Fünf. Das war's, Süße. Ich komme." „Zum Teufel, Cade, du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich vor deinen Augen aus Wanne klettere." „Ach nein? Es ist schon schlimm genug, dass ich gestern deine Krankenhausrechnung übernehmen musste, falls du dir einbildest, ich würde auch für die Kosten aufkommen, wenn du jetzt ausrutschst und dir den Hals brichst, täuschst du dich gewaltig." Angelica betrachtete das Handtuch in seinen Händen. „Halte es höher", befahl sie zögernd. „Solltest du mich anfassen, kratze ich dir die Augen aus", fügte sie drohend hinzu. „Sei unbesorgt", versicherte er. „Ich bevorzuge Frauen, die sich einen Rest an Weiblichkeit bewahrt haben." Sie erhob sich, griff nach dem Badelaken und wickelte es sich um den Körper. ,,,Und nun verschwinde aus dem Bad und aus meinem Schlafzimmer. Ich werde mich abtrocknen, anziehen und nach Hause fahren. Morgen bin ich dann pünktlich um neun im Büro." Sie atmete tief durch. „Und falls du wieder versuchen solltest, mich zu erpressen, werde ich dich wegen Nötigung anzeigen." „Ich begreife dich nicht", erwiderte Cade kopfschüttelnd. „Warum weigerst du dich, Hilfe anzunehmen, wenn du sie brauchst?" „Hilfe? Nennst du so deine Einmischung? Du bietest keine Hilfe an, Cade, du kommandierst mich herum und drängst dich in mein Leben. Und das alles nur, weil ich eine Frau bin." Er packte sie bei den Schultern. „Wärst du ein Mann, würde ich nicht in solchen Schwierigkeiten stecken. Ich hätte dich gestern abend nach Hause gefahren, dir einen doppelten Whiskey eingeschenkt und dir gesagt: Junge, engagier eine Haushälterin, und schick die Rechnung an mich. „Und warum hast du das nicht gemacht?" Trotzig hob Angelica das Kinn. „Was hat die Tatsache, dass ich eine Frau bin, damit zu tun?" Die Frage verblüffte ihn. Angelica war eine Frau, zugegeben sogar eine hinreißende Frau, aber sie war nicht sein Typ. Sie war eine rotgelockte Nervensäge, die vom Ehrgeiz besessen war - und trotzdem begehrte er sie. Er würde erst Frieden finden, wenn er sie in sein Bett nahm und sie auf die älteste Weise der Welt gefügig machte ... Seine Miene musste seine Gedanken widergespiegelt haben, denn er hörte, wie sie scharf einatmete.
„Cade, ich warne dich..." Das war es also, was sie aneinanderfesselte. Deshalb stritten sie sich unablässig. Sie waren wie Wasser und Öl, wie Ying und Yang, wie Feuer und Eis. Sie verband ein brennendes Verlangen, das sie zu verzehren drohte. Und es gab nur einen Weg, dem Spuk ein Ende zu bereiten. „Cade..." Er lächelte. „Ja?" Seine Stimme klang rau. „Wovor willst du mich warnen, Süße?" „Wage es nicht ..." Cade streichelte ihre bloßen Schultern. Die leichte Berührung jagte wohlige Schauer durch Angelicas Körper. „Cade ... „Ich bin hier, Süße." Unvermittelt zog er sie an sich. Sie stöhnte leise auf, als er die Lippen auf ihren Hals presste. O du lieber Himmel, was geschah nur mit ihr? Ihre Knie zitterten, und ihre Haut schien in Flammen zu stehen. Unwillkürlich legte sie die Hände auf seine Brust. Er schob seine Finger unter das Badelaken. „Ich muss dich einfach berühren", flüsterte er heiser und zog sie fest an sich. „Oh ... Cade küsste sie voller Leidenschaft. Nach einer kleinen Ewigkeit fragte er schwer atmend: „Soll ich aufhören?" Statt zu antworten, legte Angelica ihm die Arme um den Nacken und erwiderte seinen Kuss. Sie klammerte sich an ihn, als er sie hochhob und ins Schlafzimmer trug. Beinahe andächtig zeichnete er die Konturen ihrer Brüste nach und strich über ihre sanft gerundeten Hüften. „Cade", flüsterte sie. Er sah sie an. Ihr Blick war erwartungsvoll auf ihn gerichtet, ihre Wangen waren zart gerötet. „Angelica ... Ich begehre dich so sehr ..." Mit zitternden Fingern löste er den Knoten, der das Handtuch zusammenhielt. Es war für ihn, als wäre er zum erstenmal mit einer Frau zusammen. Ihre Schönheit verschlug ihm fast den Atem. Cade senkte den Kopf und umschmeichelte die rosigen Knospen ihrer Brüste mit der Zunge. Die leisen Laute des Entzückens, die Angelica dabei ausstieß, trieben ihn an den Rand seiner Selbstbeherrschung. Dennoch setzte er aufreizend langsam die Erkundung ihres Körpers fort. Ihre Haut war so samtweich, ihr Nabel so verführerisch und ihre Schenkel .. . Angelica schrie auf, als er das Geheimnis ihrer Weiblichkeit erforschte. Sie erbebte vor Wonne. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass es so sein würde. Cade weckte eine Sehnsucht in ihr, die nur er zu stillen vermochte. Alles in ihr verlangte danach, von ihm genommen zu werden. Genommen? Wie konnte sie sich so etwas wünschen? Sie verabscheute diesen Ausdruck, und dennoch ... „Angel", raunte Cade, „mein süßer Engel." Seine Zunge liebkoste die empfindsame Innenseite ihrer Lippen. Angelica wurde von einem Wirbel der Emotionen erfasst: Lust, Begierde, Leidenschaft - und etwas, das all das übertraf. Sie wollte ... Als Cade sie erneut küsste, war sie zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. „Ja", flehte sie, „ja, bitte ..." Ihre Blicke trafen sich. Angelicas Pupillen waren dunkel vor Verlangen. Ihr Atem ging stoßweise. Und trotzdem konnte ihr Wunsch nach Vereinigung nicht größer sein als
Cades. Seine Muskeln waren so angespannt, dass er zitterte, aber er wollte nichts überstürzen, sondern das Vergnügen, - sie zu berühren, so lange wie möglich auskosten. Als sie sich allerdings ihm entgegendrängte, spürte er, dass auch er nicht mehr warten konnte. Fasziniert beobachtete sie, wie er seine Sachen abstreifte und achtlos zu Boden warf. Angesichts seiner breiten, muskulösen Schultern und Arme, seiner schmalen Hüften und langen Beine schlug ihr Herz unwillkürlich schneller. Zögernd streckte sie den Arm aus und streichelte Cade. Aufstöhnend schob er ihre Hand fort. „Tu das nicht, sonst ..." Er glitt über sie und drang behutsam in sie ein. Sie rief seinen Namen, immer wieder, als er sich in ihr bewegte. Dem ältesten Rhythmus der Welt folgend, führte er sie bis an die Schwelle des Paradieses. Angelica schluchzte auf. „Jetzt ... Cade ... bitte ..." Nun endlich schenkte er ihr die ersehnte Erlösung von den süßen Qualen der Lust. Gemeinsam eroberten sie das Reich der Sinnlichkeit.
9. KAPITEL Cade fühlte, wie er sich allmählich entspannte und sein Herzschlag ruhiger wurde. Versonnen betrachtete er die Frau an seiner Seite. „Angel?" fragte er leise. Als er keine Antwort erhielt, lächelte er. Sie war in seinen Armen eingeschlafen. Unerklärlicherweise machte ihn das stolz. Sie war so wunderschön. Ihr rotes Haar glich flüssigem Kupfer, ihre langen Wimpern warfen Schatten auf ihre Wagen. Ihre Lippen waren von den leidenschaftlichen Küssen leicht geschwollen, und ihre Haut schimmerte rosig. Jetzt gehörte sie ihm. Nie wieder sollte ein anderer Mann sie berühren. Cade rief sich zur Ordnung. Was war nur los mit ihm? Vorsichtig zog er seinen Arm unter ihren Schultern hervor. Angelica seufzte auf und rekelte sich, aber sie wachte nicht auf. Cade stand auf und ging unter die Dusche. Er war kein Mann, der zur Sentimentalität neigte, selbst dann nicht, wenn er vom Sex ermattet war. Allerdings musste er zugeben, dass ihr Liebesspiel von seltener Intensität gewesen war. Trotz ihrer ungezügelten Leidenschaft hatte Angelica etwas sonderbar Unberührtes an sich gehabt. Sekundenlang hatte Cade schwören mögen, dass sie noch nie mit einem Mann zusammengewesen war. Fast wünschte er sich ... Mit einem unterdrückten Fluch drehte er das Wasser ab. Er war ja verrückt. Okay, für ihn war es noch nie so schön gewesen, doch Sex war nicht alles. Nach einer Weile würde das Feuer erlöschen. So war es immer. Angelica hörte das Wasser rauschen und seufzte erleichtert auf. Es war ihr also gelungen, Cade zu täuschen. Sie hatte sich schlafend gestellt, aus Furcht, Cade könne sie erneut in die Arme nehmen. Wenn er ihr ein einziges zärtliches Wort zugeflüstert hätte ... Wer hätte gedacht, dass es so wundervoll sein würde? Bis vor wenigen Minuten war sie noch Jungfrau gewesen. Natürlich wusste sie, dass sie in der heutigen Zeit die absolute Ausnahme darstellte, aber bislang hatte sie sich gescheut, sich einem Mann so rückhaltlos zu öffnen. Zu lieben bedeutete, sich selbst zu geben und verwundbar zu sein. Jetzt erkannte sie, dass die Wirklichkeit noch viel schlimmer war. Angelica fühlte sich nicht nur wehrlos und verletzlich, sondern zutiefst verängstigt. Ihr Herz wünschte sich sehnlichst, Cade möge zurückkommen und sie noch einmal lieben. Die Vernunft hingegen riet ihr, aufzuspringen und um ihr Leben zu laufen. Vor kurzem noch hatte sie in Cades Armen gelegen und seine Liebkosungen genossen, gemeinsam mit ihm hatte sie den Gipfel der Lust erklommen. Nachdem die Leidenschaft verebbt war, und Angelica sich an ihn gekuschelt hatte, war etwas Sonderbares mit ihr geschehen. Sie hatte sich geborgen und sicher gefühlt, so als hätte sich nicht nur seine Lust, sondern auch seine Stärke auf sie übertragen. Das war natürlich Unsinn - oder? Männer beschützten nicht, sie eroberten. Nichts anderes hatte Cade in den vergangenen vierundzwanzig Stunden getan. Was war aus ihrer Unabhängigkeit geworden?
Angelica richtete sich auf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Sentimentalitäten. Nur weil Cade ein guter Liebhaber war, brauchte sie nicht gleich melancholisch zu werden. Und er ist ein guter Liebhaber, dachte sie erbebend, feurig und dennoch zärtlich, fordernd und rücksichtsvoll zugleich. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Vermutlich warfen sich die Frauen ihm nur so an den Hals. Er hatte also hundertfach Gelegenheit gehabt, seine Technik zu verfeinern. Er wusste genau, wie man Frauen erregte, küsste und berührte ... Ein stechender Schmerz durchzuckte ihr Herz. Alles, was er mit ihr getan hatte, hatte er schon vorher getan. Und er würde all das auch bei der nächsten Frau tun - all jene wunderbaren Geheimnisse, die er sie gelehrt hatte. Energisch schlug Angelica die Bettdecke zurück und stand auf. Sie griff nach ihren Kleindungsstücke. Genug war genug! Es war höchste Zeit, die Sache zu beenden. Sie schrie auf, als Cade ihr die Hände auf die Schultern legte. „Hallo." Er drehte sie zu sich um. Winzige Wasserperlen glitzerten in seinem Haar, um die Hüften hatte er ein Handtuch geschlungen. „Wohin willst du, Süße?" Angelica atmete tief durch. „Ich gehe." Cade musterte sie verwirrt. „Was meinst du damit?" Sie schob seine Hände fort und bückte sich nach ihrem Kleid. „Ist das so schwer zu erraten?" Hastig schloß sie die Knöpfe. „Ich gehe nach Hause." Sie lächelte kalt. „Ist das verständlich genug für dich?" „Unsinn, du wirst nirgendwo hingehen, Angelica." „0 doch." Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Und bevor du mir wieder erzählst, dass du mich feuern wirst, weil ich meinen Job nicht ordnungsgemäß erledige..." „Zum Teufel mit deinem Job." Er packte ihr Handgelenk und zog sie an sich. „Ich rede über uns." „Über uns? Es gibt kein ,uns`, Cade." „Nein?" Er deutete auf das Bett. „Willst du behaupten, ich hätte mir das alles nur eingebildet?" Sie errötete, hielt jedoch seinem durchdringenden Blick stand. „Das ist zufällig passiert." „Ach ja?" Er lächelte ironisch. „Und es wird garantiert nie wieder vorkommen!" Cade lachte leise. „Ist das eine Warnung oder eine Herausforderung, Süße?" „Eine Tatsache. Nur weil es dir gelungen ist, mich zu verführen ..." „Verstehe. Das Stück braucht einen Schurken, und der bin ich." „Ach Cade, ich möchte nicht mit dir streiten. Ich will lediglich ..." „Glaubst du denn wirklich, ich würde dich ganz einfach gehen lassen?" „Du kannst mich nicht aufhalten." „Nein?" Er umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Angelica ließ ihn gewähren. Sie wusste genau, dass jeder Widerstand ihn noch mehr reizen würde. Seine Lippen waren unendlich zärtlich und weckten den Wunsch in ihr, sich an seine nackte Brust zu schmiegen und den Kuss zu erwidern.
Unvermittelt gab er sie wieder frei. „Sehr nett", erklärte sie. „Aber das ändert gar nichts. Ich werde gehen. " Cades Miene wurde finster. „Den Teufel wirst du tun!" „Du kannst mich nicht zwingen ..." Sie verstummte erschrocken, als er ihre Schultern packte und sie Am Spiegel zog. „Schau dich an", befahl er. „Schau genau hin, Süße, und dann sag mir, was du siehst." „Was soll das? Willst du ein Lob? Ja, du bist ein fabelhafter Liebhaber, und ich ... " Angelica konnte kaum fassen, welches Bild sich ihr bot. Noch nie waren ihre Augen so grün und ihr Teint so strahlend gewesen. Sie schien von innen heraus zu leuchten. „Willst du immer noch den Mann verlassen, dem du dieses Aussehen verdankst?" fragte er leise. Sie rang sich ein Lächeln ab. „Hör sich das einer an! Du beanspruchst tatsächlich die Lorbeeren für ... „ „Für das, was vorhin in diesem Bett passiert ist?" Cade schüttelte den Kopf. „Nein, Angel. Wenn ich der Mann bin, dem du dieses Aussehen verdankst, dann bist du die Frau, die mir das Gefühl gegeben hat... " Er zögerte. Er war sich selbst nicht mehr sicher, was er eigentlich fühlte. Bis vor wenigen Minuten hatte er sich eingeredet, es wäre nur Sex, was ihn mit dieser Frau verband. Doch jetzt, da er in ihre smaragdgrünen Augen blickte, überkamen ihn Zweifel. Und solange er nicht genau wusste, was sich hier abspielte, würde er sie nicht gehen lassen. Langsam drehte er Angelica wieder zu sich .um. „Ich weiß es nicht", gestand er. „Ich weiß nur, dass wir zusammen unglaublich waren." Er fuhr mit den Fingern durch ihre Locken. „Du warst wie eine Sonne, die mich zu verbrennen drohte, als ich in dich eindrang, und ich fühlte mich wie ein Gott, der aus den Flammen wiedergeboren wurde," Angelica erbebte. „Cade", flüsterte sie. „Bitte sag nicht so etwas. Das ist nicht fair. Zugegeben, was wir getan haben, war..." „Wir haben uns geliebt, Angel. Ist das so schwer zu akzeptieren?" Sie bemühte sich, seine verwirrende Nähe zu ignorieren. „Wir haben miteinander geschlafen", verbesserte sie ihn. „Und es war..." „Phantastisch", flüsterte er an ihrem Ohr. „Ja." Angelica seufzte vor Wonne, als er ihren Hals mit federleichten Küssen bedeckte. „Ja, aber ..." „Angelica." Er öffnete die Knöpfe ihres Kleides. Halt ihn auf, befahl eine innere Stimme, doch Angelica war dazu nicht fähig. Sie wollte ihn nicht aufhalten. Nicht jetzt. Niemals. Raschelnd sank das Kleid zu Boden, kurz darauf folgte ihre Unterwäsche. „Angel." Cade musterte sie zärtlich. „Mein vollkommener Engel." Er umschloss ihre Brüste mit den Händen und massierte die rosigen Knospen, die sich unter seiner Berührung aufrichteten. „Willst du mich immer noch verlassen?" Ihre Blicke trafen sich. Angelicas Herz klopfte, als würde es zerspringen. Sie spürte, dass sich mit ihr eine Wandlung vollzog. Bislang hatte sie nie jemand gebraucht. Bei Cade war das jedoch anders. Sie brauchte ihn - nicht nur, um mit ihm zu schlafen, sondern ...
„Sag, dass du mich nicht verlässt", drängte er. Die Worte kamen wie von selbst über ihre Lippen. „Ich werde dich nicht verlassen." Leidenschaftlich warf sie sich in seine Arme. „Niemals!" Als Cade sie schließlich zum Bett trug, erkannte sie die Wahrheit. Ihr ganzes Leben lang hatte sie all das verabscheut, was Cade Landon repräsentierte, aber das hatte sie nicht daran gehindert, sich in ihn zu verlieben. Das Dinner nahmen sie bei Kerzenschein ein. Der Zimmerservice hatte am Fenster einen kleinen Tisch mit erlesenem Porzellan und funkelndem Kristall gedeckt. Das Menü und der Champagner waren perfekt - genau wie ihre Garderobe, wie Cade behauptete. Er war lediglich mit einer blauen Pyjamahose bekleidet, und Angelica trug die dazu passende Jacke. „Sieh mich nicht so an", tadelte sie ihn lächelnd. „Wie denn?" „Du weißt ganz genau, was ich meine." Cade beugte sich vor und zupfte spielerisch an einer ihrer langen Locken. „Du siehst wie ein kleines Mädchen aus." „Ich bin siebenundzwanzig. Also kann man mich wohl kaum als Mädchen bezeichnen." „Ich wette, du warst das hübscheste kleine Mädchen in Texas." Angelica verzog die Lippen. „Das fand ich nicht. Ich habe meine Haarfarbe gehasst, meine Sommersprossen ... " „Also bist du an die Ostküste gezogen und wurdest dort das hübscheste kleine Mädchen." Sie lachte. „Nein. Dort wurde ich das Mädchen mit der roten Mähne, den Sommersprossen und dem komischen Akzent." „Lebt deine Mutter noch immer dort?" „Sie ist gestorben, kurz bevor ich mit dem College fertig war." „Hast du Geschwister?" „Nein." Angelica seufzte wehmütig. „Es muss schön sein, eine große Familie zu haben." Cade zuckte die Schultern. „Manchmal hat es seine Vorteile." Sie stützte das Kinn auf eine Hand. „Okay, jetzt bist du dran. Erzähl mir von Cade Landon." Er schmunzelte. „Du weißt schon das meiste über mich. Ich bin attraktiv, intelligent …" „Und bescheiden." Angelica berührte seine Nase. „Wie ist das passiert?" Cade lachte. „Ich wünschte, ich könnte dir deine romantische Geschichte auftischen dass ich mir die Nase beim Surfen in Singapur gebrochen hätte oder so. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie bei einer Schlägerei auf einem Ölfeld demoliert wurde. Irgendein Raufbold fand, ich sei zu jung, um ihn herumzukommandieren, und dass ich meine Position lediglich meinem Namen verdanken würde." „Und da hast du ihm das Gegenteil bewiesen." „Ich habe nie einen Vorteil aus meinem Namen gezogen", versicherte Cade ernst. „Im Gegenteil, ich habe nichts unversucht gelassen, um mich davon zu distanzieren."
„Du hast dich nicht mit deinem Vater vertragen?" „Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts, Angel. Er konnte nur Befehle erteilen ..." ,,... die du ignoriert hast", ergänzte Angelica. „Sagen wir, ich mag es nicht, wenn man mir vorschreibt, wie ich mein Leben zu führen habe." „Das mag wohl niemand." Sie nickte verständnisvoll. „Höre ich da einen versteckten Vorwurf in deiner Stimme? Glaubst du, ich hätte den gleichen Fehler bei dir begangen?" Sie lächelte. „Nun ja..." „Das ist nicht fair, Angel. Du warst krank. Ich habe nur..." Cade zögerte. „Okay, vielleicht habe ich ein bisschen übertrieben." Er griff über den schmalen Tisch und schob seine Hand unter die Pyjamajacke. „Aber von nun an werde ich nur noch in wirklich wichtigen Dingen die Führung übernehmen." Sekunden später lagen sie einander in den Armen. Am nächsten Morgen saß Cade in einem bequemen Sessel neben dem Bett. Er trug einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd sowie eine gestreifte Krawatte und trank Kaffee. Während er die schlafende Angelica betrachtete, dachte er, dass der Begriff „schön" ihr bei weitem nicht gerecht wurde. Nur mit äußerster Überwindung war es ihm vor einer Stunde gelungen, sich aus ihrer liebevollen Umarmung zu befreien und aufzustehen. Leider hatte er keine andere Wahl gehabt, denn es warteten wichtige Geschäfte auf ihn. Schmunzelnd malte Cade sich aus, wie Angelica auf die zahlreichen Päckchen reagieren würde, die im Wohnzimmer lagen. Er brannte darauf, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie sie öffnete und entdeckte, was er ihr gekauft hatte: die seidenen Bodys, das weiche Kaschmirkleid, das die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen. Angelica war viel zu schön, um sich unter Tweed und dunkler Wolle zu verstecken. Das hatte sie nicht nötig - jetzt nicht mehr. Lächelnd trank Cade einen Schluck Kaffee. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatte er eine Menge über sie gelernt, genug um zu verstehen, weshalb sie so versessen darauf war, sich bei Gordon Oil zu beweisen. Sie wurde nicht vom Ehrgeiz getrieben, sondern vom Schmerz. Cade sah sie förmlich vor sich: ein kleines Mädchen mit roten Locken, das weder in Texas noch an der Ostküste zu Hause war und erst sein Heim und den Vater und dann die Mutter verloren hatte. Aber nun hatte sie ihn. Er würde sie immer beschützen und lieben. Inzwischen wusste er, dass er sich etwas vorgemacht hatte, indem er sich eingeredet hatte, Angelica wäre nur eine Frau unter vielen. Das war sie nicht. Sie gehörte ihm. „Cade?" Er blickte auf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Angelica blinzelte ihn schläfrig an. Am liebsten wäre er zu ihr geeilt und hätte sie in seine Arme genommen. „Guten Morgen, Süße. Hast du gut geschlafen?" Sie richtete sich auf und zog das Laken bis zum Kinn hinauf. „Wie spät ist es?" Stirnrunzelnd musterte sie ihn. „Habe ich verschlafen? Cade, du hättest mich..." „Ganz ruhig, Engel." Cade stand auf und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. „Wie wäre es mit einem Gutenmorgenkuss?" Während er sie liebevoll küsste, spürte er, wie das Verlangen ihn erneut durchströmte. Lächelnd schob Angelica ihn ein Stückchen von sich fort. „Du hättest mich wecken
sollen", tadelte sie ihn zärtlich. „Nun musst du warten, bis ich fertig bin." „Du brauchst heute nicht zu arbeiten", erklärte er fröhlich. „Aber ... „Nun ja, vielleicht ein bisschen." Cade ging ins Wohnzimmer hinüber. Als er zurückkehrte, war er mit Paketen beladen. „Du musst all das hier anprobieren und mir sagen, ob dir meine Wahl gefällt." Verständnislos schaute sie ihn an. „Was ist das?" Cade ließ die Schachteln auf das Bett plumpsen. „Mach sie auf und finde es heraus." Er reichte ihr ein flaches Päckchen. Angelica entfernte zögernd das Papier und zog ein pinkfarbenes Seidenhemdchen und einen dazu passenden Slip heraus. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich Verblüffung und Missbilligung zugleich ab. „Das kann ich nicht annehmen, Cade. Ich sagte dir bereits ..." „Stimmt die Größe nicht?" „Nein, aber-. " „Ist es die falsche Farbe?" „Die Farbe ist wundervoll, doch …" „Gut. Und was hältst du davon?" Er zauberte ein tannengrünes Kaschmirkleid hervor. Es war atemberaubend schön und atemberaubend teuer, wie Angelica vermutete. „Cade", begann sie ernsthaft, „ich kann nicht ..." „Wir sind uns doch einig, dass du nichts von den Sachen tragen kannst, die du zu Hause hast, solange deine Hand nicht ausgeheilt ist." „Es geht mir schon viel besser. Außerdem waren wir uns überhaupt nicht einig. Du hast mir versprochen, dass ..." „Ich will dich weder bevormunden noch dein Leben kontrollieren", versicherte er schnell. Angelica seufzte. „Nein?" „Zum Teufel, nein. Ich möchte lediglich meiner Frau ein Geschenk machen." Cade beugte sich vor und küßte sie. „Soweit ich weiß, ist das nicht verboten, oder?" Seine Frau, dachte sie verträumt, seine Frau ... Die Worte klangen so einfach, aber die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, waren äußerst schwerwiegend. Teils freute sie sich darüber, teils fürchtete sie sich davor. „Süße?" Cade strich ihr eine Locke aus der Stirn. „Wenn du wirklich darüber streiten willst, müssen wir das bitte auf später verschieben. Mir bleibt nur noch eine halbe Stunde, um quer durch die Stadt zu fahren." „Ich dachte, wir würden heute nicht arbeiten." Wir, dachte er lächelnd. „Das werden wir auch nicht, Süße - zumindest du nicht. Aber ich habe einen Termin mit Jim Larrabee, den ich nicht absagen konnte." „Jim Larrabee?" „Ja, ihm gehört die Firma, die dir vor ein paar Wochen Bohrausrüstungen geliefert hat. Ich will mit ihm über die Zahlungsbedingungen sprechen." Bohrausrüstungen, Zahlungsbedingungen ... Erstaunt registrierte Angelica, wie schnell sie alles Geschäftliche - und Gordon Oil - vergessen hatte. „Ich kenne den Mann, Cade. Und ich habe bereits versucht, ihn zu anderen
Konditionen zu überreden. Allerdings …" „Er wird sich darauf einlassen." Cades selbstgefälliger Ton versetzte ihr einen Stich. „Deine Zuversicht ehrt dich. Was hast du vor?" „Ich möchte dich nicht mit den Einzelheiten langweilen, Süße. Weißt du was - such uns ein nettes Restaurant für den Lunch aus. Magst du mexikanische Küche? Es gibt da ..." „Du kannst mich gar nicht mit Einzelheiten langweilen, die meine Firma betreffen", unterbrach sie ihn scharf. „Ach, Angel, ist es nicht langsam Zeit, dass wir damit aufhören?" „Womit?" fragte sie kühl. „Falls du es vergessen haben solltest - ich bin noch immer verantwortlich für Gordon Oil." „Natürlich habe ich das nicht vergessen", erwiderte er vorsichtig. „Aber ..." Aber was? Sein Instinkt warnte ihn, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für eine Konfrontation war. Cade atmete tief durch. „Es ist so, wie ich es sagte: Ich will nicht dich nicht langweilen. Nicht heute morgen." Sie lächelte wehmütig. „Es hat sich nicht geändert. Ich bin immer noch dieselbe, und ich interessiere mich immer noch für alles, was Gordon Oil angeht." „Angelica, du machst mehr aus der Sache als dran ist." „Dann nimm mich mit." Sekundenlang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Schließlich zuckte Cade mit den Schultern. „Na gut, komm mit, wenn du unbedingt willst. " Angelica war überzeugt, dass er von diesem Gedanken keineswegs begeistert war. „Danke", meinte sie steif. „Ich bin in fünf Minuten fertig." Sie stand auf und blickte auf die Schachteln, die auf dem Bett verstreut lagen. Nach kurzem Zögern nahm sie die pinkfarbene Wäschekombination aus dem Karton - und griff nach ihrem eigenen schwarzen Wollkleid, das über einem Stuhl hing, ehe sie hocherhobenen Hauptes im Badezimmer verschwand. Kopfschüttelnd schenkte Cade sich eine weitere Tasse Kaffee ein. Der gleiche Jim Larrabee, der sich standhaft geweigert hatte, Angelicas Vorschläge zu akzeptieren, überschlug sich nun förmlich, um Cade entgegenzukommen. Am schlimmsten war jedoch die Tatsache, dass beide Männer Angelica während der Diskussion völlig ignorierten. „Sie kennen ja Miss Gordon, Jim", hatte Cade eingangs gesagt. Larrabee hatte lächelnd ihre Hand geschüttelt, und dann hatte keiner der beiden sie mehr eines Blickes gewürdigt, bis Cade endlich den Handel für abgeschlossen erklärte. Dies war der Moment gewesen, als Angelica energisch ihren Stuhl zurückgeschoben und wortlos das Zimmer verlassen hatte. Sie wartete im Wagen auf Cade, der wenige Minuten später aus Larrabees Büro kam. Er öffnete die Fahrertür, stieg ein und knallte sie zu. Dann startete er den Motor. Sie waren bereits ein paar Blocks weiter, als er sich endlich zu ihr umwandte. „Wage es nicht, mich noch einmal dermaßen zu blamieren." „Ich habe dich blamiert?" konterte Angelica. „Du machst Witze." „Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber..." „Ich werde dir sagen, was in mich gefahren ist. Was fällt dir ein,mich zu behandeln,
als wäre ich unsichtbar? Ihr habt euch blendend unterhalten, und ich hätte derweil genausogut in Timbuktu sein können!" „Es war deine Idee, zu dem Treffen mitzukommen, Lady, nicht meine." „Da hast du verdammt recht. Wenn es nach dir gegangen wäre, würde ich jetzt nicht einmal ahnen, was du mit Larrabee vereinbart hast." „Hör zu, Lady ..." „Ich birn eine erwachsene Frau, Cade, keine hilflose Lady!" „Gut, dass du mich daran erinnerst. Eine Lady würde sich weiß Gott besser benehmen als du!" Hinter ihnen ertönte eine Hupe. Wütend trat Cade aufs Gaspedal. „Ich schätze es überhaupt nicht, wenn man mich wie einen Narren dastehen lässt." Angelica schaute ihn treuherzig an. „Armer Cade. War es dir so peinlich, erklären zu müssen, weshalb ich verschwunden bin?" „Keineswegs." Er lächelte spöttisch. „Jim machte einen Scherz über die kritischen Tage einer Frau, und ich sagte ihm, dass er vermutlich recht habe. Die Hormone einer Frau sind schließlich unberechenbar, oder?" „Bestimmt habt ihr euch köstlich amüsiert." Der Wagen hielt vor dem Hotel. Ein livrierter Portier eilte herbei, aber Angelica stieß bereits die Tür auf, bevor er ihr helfen konnte. „Du musstest mich ja von der Unterhaltung ausschließen, weil Larrabee sonst gemerkt hätte, dass ich dir in geschäftlichen Fragen haushoch überlegen bin." „Du? Mir überlegen?" Cade lachte zynisch. „Ich will wirklich nicht deine Gefühle verletzen, Süße, aber du warst doch schon damit überfordert, einfach dabeizusitzen. Das, was du über diese Dinge weißt, passt in meinen kleinen Finger." „Das einzige, was in Larrabees Büro diese Größe hatte, war dein Verstand", stichelte sie. „Verdammt." Cade packte ihr Handgelenk und drehte sie zu sich um. „Meinst du nicht, dass es allmählich Zeit wird, der Realität ins Auge zu sehen, Miss Gordon? Du weißt nicht das geringste über ÖL" Wortlos riss Angelica sich los und ging an der Rezeption vorbei zu den Aufzügen. Die Angestellten am Empfangstresen bemühten sich nach Kräften, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Gemeinsam betraten Cade und Angelica die Kabine. Cade drückte den Knopf für die oberste Etage. „Angelica, die Sache gerät außer Kontrolle." Er atmete tief durch. „Ich wollte dich nicht kränken. Es ist nur so, dass Larrabee und ich die gleiche Sprache sprechen." „Lass mich in Ruhe, Cade." Die Türen öffneten sich, und Angelica trat in den Flur hinaus, der zu ihrer Suite führte. „Ich hasse es, bevormundet zu werden. Das ist mir fast genauso zuwider, wie als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden." In der Suite angelangt, packte Cade Angelicas Schultern. „Würdest du mir endlich einmal zuhören? Erstens: Du weißt absolut nichts über das Ölgeschäft. Das ist eine Tatsache und keine Beleidigung." „Ich lerne schnell. Außerdem kenne ich mich in Bilanzen und Kalkulationen aus. Hättest du mir auch nur eine Minute deiner kostbaren Zeit geopfert, hätte ich dir von dem Plan erzählt, den ich ausgearbeitet und vor kurzem dem unvergleichlichen Mr. Larrabee präsentiert habe." „Dein Vorschlag kann nicht viel getaugt haben, sonst hätte er ihn akzeptiert." „Es war eine geniale Idee, nur leider stammte sie von einer Frau!" „Du beziehst dein Wissen aus irgendwelchen Bücher, nicht aus dem wirklichen Leben."
Angelica ballte die Hände zu Fäusten. „Es sind Männer wie Jim Larrabee und du, die mir keine Chance geben, Erfahrungen zu sammeln. Cade seufzte. Warum, um alles in der Welt, stritten sie eigentlich? Sie brachte ihn zur Weißglut, aber sein Zorn verschwand auf der Stelle, als er die Tränen in ihren Augen bemerkte. Okay, er hatte ihre Gefühle verletzt. Aber das war nicht seine Absicht gewesen. Er war so locker wie immer in dieses Treffen gegangen und hatte innerhalb weniger Sekunden erkannt, dass Larrabee seinem Plan positiv gegenüberstand. Nur ein Idiot hätte zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen gefährdet. Ehrlicherweise musste Cade zugeben, dass Angelicas Anwesenheit ihn angestachelt hatte, eine große Show abzuziehen. Er hatte ihr zeigen wollen, wie schnell Larrabee sich seinem Willen beugte. Statt ihr zu imponieren, habe ich sie zum Weinen gebracht, dachte er reumütig. Er war 'schuld an den Tränen in den Augen der einzigen Frau, die er je geliebt hatte. Angelica hatte sich von ihm abgewandt und den Kopf gesenkt. Sie wirkte so verletzlich und zerbrechlich, dass ihm die Kehle eng wurde. „Angel ..." Er berührte sanft ihre Schulter. „Es tut mir leid, Angel. Du hattest recht ..." Sie sah ihn forschend an. „Meinst du das ernst?" „Ja." Lächelnd zog er sie an sich. „Ich will, dass wir uns nie wieder streiten." Zaghaft erwiderte Angelica sein Lächeln. „Das wünsche ich mir auch." Er spürte, wie die Anspannung von ihr wich. „Es ist nur ... Du hast mir das Gefühl gegeben, völlig nutzlos zu sein ..." Cade nickte. „Ich weiß." „Ich, die Chefin von Gordon Oil, saß da und..." „Das war das eigentliche Problem. Wir hätten die Sache vor der Besprechung mit Larrabee klären müssen. Ich hatte jedoch geglaubt, du wärst noch nicht bereit zuzugeben, dass du nicht wirklich der Boss von Gordon Oil bist..." Angelica erstarrte. „Was soll das heißen? Ich habe nie behauptet ..." „Ach, Angel, wir beide wissen doch, dass diese mündliche Vereinbarung nie existiert hat." Sie schluckte trocken. „Oh." „Ich begreife ja, dass dir die Zukunft des Unternehmens am Herzen liegt. Immerhin hat es einmal deinem Vater gehört." Cade umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. „Ich werde den künftigen Manager von Gordon Oil beauftragen, mir regelmäßig Berichte über die Fortschritte des Betriebs zu schicken, und ..." „Du ... du willst mir die Firma wegnehmen?" „Angel, deshalb bin ich hier." „Aber du hast doch gesagt, dass es dir leid täte, und mir zugestimmt, dass Männer wie du mich daran hindern, Erfahrungen zu sammeln..." Cade runzelte die Stirn. „Das habe ich nie gesagt." „O doch, Cade. Du sagtest, du würdest mir helfen zu lernen... " „Du liebe Güte, du hast alles falsch verstanden! Ich sagte, ich hätte dich nicht zu dem Treffen mitnehmen dürfen, solange du geglaubt hast, noch immer für Gordon Oil verantwortlich zu sein. Ich hätte dir erklären müssen..." „Willst du etwa andeuten, dass deine Entscheidung bereits heute morgen gefallen war?" „Du hörst mir ja nicht zu, Angel. Ich habe dir doch gerade erzählt, ich wusste die
ganze Zeit über, dass es keine zusätzliche Vereinbarung zwischen unseren Vätern gibt." Er schmunzelte. „Die Chance, dass du die Wahrheit gesagt hast, stand eins zu einer Million." „Und anstatt mir reinen Wein einzuschenken, hast du deine Spielchen mit mir gespielt." Ihre Stimme zitterte. „Du hast mir Hoffnungen gemacht, wo es gar keine mehr gab. Du hast mich verführt ..." „Vergiss Gordon Oil." Cade packte sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht. „Ich liebe dich, Angelica. Hast du mich verstanden? Ich liebe dich. Du brauchst Gordon Oil nicht mehr. Ich werde den Rest deines Lebens für dich sorgen." Für den Bruchteil einer Sekunde stand das Eingeständnis seiner Liebe schicksalsschwanger zwischen ihnen, doch dann war dieser flüchtige Moment vorbei. „Das heißt, du willst mich auch künftig so behandeln wie heute - wie ein armes kleines Ding, dass nicht fähig ist, auf eigenen Füßen zu stehen. " „Nein." Cade verstärkte den Druck seiner Finger. „Ich werde dich behandeln wie das, was du wirklich bist - eine Frau. Ich werde dich behüten und beschützen ..." „Für mich denken und für mich sprechen." Aufschluchzend riss sie sich los. „Eher würde ich sterben als ein solches Leben führen." Er presste die Lippen zusammen. „Wenn ich dir die Wahl lassen würde zwischen der Leitung von Gordon Oil und einer Ehe mit mir ...?" „Das hat überhaupt nichts mit Gordon Oil zu tun, begreifst du das denn nicht? Ich bin eine eigenständige Persönlichkeit, Cade, und habe das Recht, eigene Entscheidungen zu treffen." „Dann entscheide dich." Sein Blick war fest auf sie gerichtet. „Heirate mich, und gib diesen Laden hier auf, oder ich werde für immer aus deinem Leben verschwinden und dir deine kostbare Firma als Abschiedsgeschenk hinterlassen." Angelica betrachtete ihn ungläubig. „Cade, ich liebe dich", flüsterte sie. „Du kannst nicht von mir verlangen..." „Doch, das kann ich", versicherte er finster, obwohl ihm eine innere Stimme zuflüsterte, dass sich diese Szene schon einmal mit anderen Charakteren abgespielt hatte. „Ich meine es ernst. Und nun entscheide dich - und zwar schnell." Die Sekunden verrannen. Tränen glitzerten in Angelicas Augen. „Cade", flehte sie hilflos, „Cade, bitte..." Seine Miene wurde undurchdringlich. „Ich werde die erforderlichen Papiere aufsetzen lassen", erklärte er kalt. „Leb wohl, Angelica." Er ging zu seinem Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.
10. KAPITEI Irgendwo in den Wolken, auf halbem Weg zwischen Dallas und London, hatte Cade sich wieder so weit beruhigt, dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Ihm dämmerte, dass das, was in der Hotelsuite als Drama begonnen hatte, wahrscheinlich wie eine schlechte Komödie enden würde. Er konnte Angelica diese verdammte Ölgesellschaft nicht überlassen - sie gehörte ihm gar nicht. Aber eher würde er in sämtlichen Höllenfeuern schmoren als einen Rückzieher machen. Es war eine Frage des Stolzes, und sein Stolz war alles, was ihm geblieben war. Er hatte sich wie ein Idiot benommen. Wie hatte er nur glauben können, Angelica zu lieben! Cade Landon, verliebt in so eine Frau? Beinahe hätte Cade laut aufgelacht. Er hatte zuviel Zeit in den abgelegensten Gegenden der Welt verbracht. Die Frauen in Dumai waren faszinierend und geheimnisvoll, doch offenbar hatte er die heimatlichen Schönheiten mehr vermisst, als er geahnt hatte. Angelica war die erste langbeinige Amerikanerin gewesen, die er seit Monaten gesehen hatte. Ehrlicherweise musste er zugeben, dass ihre anfängliche Kälte ihn herausgefordert hatte. Ja, genauso war es, dachte er und stürzte seinen dritten Bourbon hinunter. Unter diesen Umständen hatte die Sache unweigerlich in einer Katastrophe enden müssen. Gott sei Dank hatte er das nun hinter sich! Cade lächelte versonnen. London würde ihn aufheitern. Er liebte diese Stadt mit ihrer modernen Atmosphäre, in die sich die beeindruckenden Zeugnisse einer ruhmreichen Vergangenheit mischten. Und die Frauen ... Die Londonerinnen verstanden es, ihre Weiblichkeit zu genießen. Es würde höchstens eine Stunde dauern, bis er das Desaster in Dallas vergessen hatte - sofern es ihm gelang, eine Möglichkeit ausfindig zu machen, wie er Angelica die Firma übertragen könnte. Danach würde er nie wieder einen Gedanken an sie verschwenden. Natürlich könnte er seinen Brüdern reinen Wein einschenken und ihnen erzählen, was passiert war ... Nein. Grant und Zach würden ihn wegen seiner Dummheit auslachen. Und außerdem, warum sollten sie für den Schaden aufkommen, den er angerichtet hatte? Landon Enterprises würde im Wert sinken, wenn Gordon Oil weiterhin Verluste erwirtschaftete. Wieso sollten seine Brüder dafür bezahlen, dass er ... Cade grinste zufrieden. Die Lösung war erschreckend einfach. Er würde Gordon Oil von Landon Enterprises kaufen! Den Managerposten konnte er dann nach eigenem Gutdünken vergeben, und sein Steuerberater würde ihn für diesen genialen Schachzug, der ihm steuersenkende Verluste einbrachte, vermutlich lieben. Auf Cades Zeichen hin, eilte sofort eine Stewardess herbei. „Ja, Mr. Landon? Wünschen Sie noch einen Drink?" Ihr Lächeln verriet, dass sie gern noch mehr für ihn getan hätte. Cade musterte sie. Sie war hübsch, sehr hübsch sogar, sofern man Blondinen mit braunen Augen mochte. Er hingegen bevorzugte feuerrote Locken und Augen, die wie Smaragde strahlten ...
Verdammt, dachte er und sah das Mädchen so finster an, dass es sofort zurückzuckte. „Ich will ein Telefon", erklärte er schroff. „Und zwar schnell." Cades erster Anruf galt Grant in New York. Sein älterer Bruder hörte sich alles in Ruhe an, dann lachte er. „Bist du verrückt geworden? Du kannst Gordon Oil nicht kaufen. Wir besitzen es bereits." „Du hast mich nicht verstanden", erwiderte Cade ungeduldig. „Ich will es Landon Enterprises abkaufen. Ist das möglich?" „Möglich ist alles. Aber warum? Die Firma ist eine Niete." „Ich habe meine Gründe dafür." Innerlich wappnete Cade sich gegen die unliebsamen Fragen seines Bruders, die nun folgen würden. Erstaunlicherweise beschränkte Grant sich auf eine mysteriöse Bemerkung über Geisteskrankheiten, die offenbar momentan in der Familie grassierten, und versprach, sich um die Sache zu kümmern. „Ist das alles?" fragte Cade verwundert. „Willst du mir keine Standpauke halten?" Grant lachte leise. „Ich bin nicht in der Stimmung dazu", sagte er. „Ruf Zach an. Er soll sich überlegen, wieviel wir dir für Gordon Oil abknöpfen können. Ich melde mich wieder bei dir." Cades Telefonat mit Hollywood holte Zach aus einer Sitzung. „Ich habe eine wichtige. Besprechung", brummelte er. „Also beeil dich." Cade erklärte, worum es sich handelte. „Bist du verrückt? Warum, zum Teufel, willst du diese Firma haben?" „Das ist meine Sache. Sag mir einfach, was du brauchst, um den Kaufpreis festzulegen." Zach lachte spöttisch. „Ich wette, es hat etwas mit der Frau zu tun, die den Laden leitet." Cade runzelte die Stirn. „Unsinn. Wie kommst du denn darauf?" Der Seufzer seines Bruders war laut genug, um auch ohne Telefon über den halben Atlantik zu Cade herüberzudringen. „Ach, nur so ... Also setz dich mit Denver in Verbindung. Sag ihnen, sie sollen mich anrufen, ich werde ihnen dann durchgeben, welche Unterlagen ich benötige." „Kannst du die Angelegenheit möglichst schnell regeln?" „Sicher - vorausgesetzt Denver spielt mit, aber ohne Bayliss ... " Cade presste die Lippen zusammen. „Ja." Er beendete das Gespräch und winkte erneut die Stewardess herbei. „Wünschen Sie noch etwas, Sir?" erkundigte sie sich hoffnungsvoll. Cade nickte. „Wann geht die nächste Maschine von London nach Denver?" Als Cade endlich in Denver eintraf, war er zu Tode erschöpft. Der übermäßige Genuss von Kaffee und Bourbon sowie der Mangel an Schlaf hatten nicht dazu beigetragen, seine Laune zu heben. Er stieg in ein Taxi und nannte dem Fahrer das Ziel. Dann lehnte er den Kopf zurück und schloss die Augen. Eigentlich sollte er jetzt in London sein und die Pläne für die Testbohrungen in der Nordsee beenden. Statt dessen organisierte er den Ankauf einer maroden Ölfirma - falls seine Brüder oder irgend jemand sonst je den wahren Grund dafür erfuhren, war er bis auf die Knochen blamiert. Und an alledem war allein Angelica schuld. Wie hatte eine einzige Frau in so kurzer Zeit ein derartiges Chaos aus seinem Leben machen können?
Cade seufzte. Je eher er einen Schlussstrich unter diese ebenso unerfreuliche wie kurze Episode ziehen konnte, desto besser. Kyra war angenehm überrascht, ihn zu sehen, allerdings spürte Cade - ähnlich wie bei Grant und Zach - auch bei ihr eine gewisse Zurückhaltung. „Ist alles in Ordnung, Schwesterherz?" fragte er, während sie ihn zu seinem Zimmer begleitete. „Natürlich. Mir geht es gut." „Isst du genug?" Er runzelte die Stirn. „Du hast dich schon immer gern vor den Mahlzeiten gedrückt. Vielleicht fehlen dir Vitamine oder.. . " „Cade", unterbrach Kyra ihn sanft, „warum tust du uns beiden nicht einem Gefallen, indem du aufhörst, für mich zu denken?" Er schmunzelte. „Was ist los? Hast du dich etwa der Frauenbewegung angeschlossen?" Kyra warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Geh schlafen. Wenn du wieder unter den Lebenden weilst, unterhalten wir uns weiter." Cade hatte nichts dagegen einzuwenden. Er betrat sein Zimmer und warf sich aufs Bett. Völlig benommen erwachte Cade aus einem langen, wilden Traum, der von einer Frau mit einer roten Lockenmähne handelte. Er war ihr stundenlang quer durch die texanische Prärie gefolgt, nur um sie einzuholen, in seine Arme zu reißen - und festzustellen, dass er sie nicht kannte. Cade richtete sich auf und massierte sich den verspannten Nacken. Er brauchte dringend eine Dusche und eine Rasur. Dann würde er in die Zentrale von Landon Enterprises fahren, Zach anrufen und die erforderlichen Unterlagen zusammentragen. Als er nach unten kam, wartete Kyra bereits auf ihn. Vor ihr standen eine Platte mit Rühreiern und Schinken, ein Stapel Toast und eine Kanne Kaffee. „Nanu", meinte er lächelnd, „keine überladene Anrichte mit einem gigantischen Frühstücksbüfett?" „Ich habe einige Veränderungen durchgeführt", erklärte sie. „Bedien dich. Du musst ja halbverhungert sein." Cade lachte. „Irgendwann in den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatte ich wohl so etwas wie eine Mahlzeit, aber ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern." Nachdem er endlich gesättigt war, lehnte er sich zufrieden zurück. „Das war fabelhaft, Schwesterherz. Noch eine Tasse Kaffee, und dann muss ich los." „Wohin?" „Ins Büro." „Wieso?" „Ich brauche ein paar Akten." „Warum?" Cade zog die Brauen hoch. „Es geht um etwas Geschäftliches, Schwesterchen. Du würdest das nicht verstehen." Kyra preßte die Lippen zusammen. „Stell mich auf die Probe." „Ich weiß, du meinst es gut, Kleines, aber... " „Aber was? Ist die Sache zu kompliziert für mein hübsches Köpfchen?" Er warf seine Serviette auf den Tisch. „Was, zum Teufel, ist eigentlich hier los? Ich
habe allmählich die Nase voll von diesem Unsinn! " „Ich auch." Kyras Augen funkelten herausfordernd. „Frauen mögen es nicht, wenn *man sie wie ... wie Puppen behandelt." „Und Männer mögen es nicht, wenn man ihnen Vorwürfe macht, nur weil sie rücksichtsvoll sind. Wenn ein Mann eine Frau liebt ..." Unvermittelt schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. „Sollten Zach oder Grant anrufen, sag ihnen bitte, sie könnten mich im Büro erreichen." Kyra nickte. „Ja, Sir." Cade stürmte zur Tür hinaus. Es dauerte fast eine Woche, bis Cade Zach alle Informationen schicken konnte und dieser die Unterlagen geprüft hatte. Dann endlich rief Zach an. „Wir haben es fast geschafft." „Was meinst du mit ,fast`? Ich habe dir alles geschickt, was ich finden konnte." „Stimmt. Es waren ein paar ganz interessante Papiere darunter. Die Frau, die Gordon Oil leitet, hat einige clevere Ideen, wie man die Schulden der Firma reduzieren kann. Ich war wirklich beeindruckt." Außerdem kenne ich mich in Bilanzen und Kalkulationen aus. Hättest du mir auch nur eine Minute deiner kostbaren Zeit geopfert ... „Mach dir nichts draus", erwiderte Cade schroff. „Sag mir einfach den Preis." „Das werde ich, aber vorher brauche in noch die aktuellen Zahlen." „Verdammt, Zach, nenn irgendeinen Betrag!" „So macht man keine Geschäfte, Cade, das ist nicht mein Stil. Wo liegt das Problem? Ruf in Dallas an und rede mit der Sekretärin oder der Buchhalterin ..." „Ich muss nicht mit Angelica Gordon sprechen?" „Natürlich nicht. Ein halbes Dutzend Fragen, und die Sache ist erledigt." „Wirklich?" „Mein Ehrenwort, Bruder. Und in vierundzwanzig Stunden bist du der Besitzer von Gordon Oil." In vierundzwanzig Stunden, dachte Cade, als er den Hörer auflegte, kann ich Angelica Gordon für immer vergessen. In dieser Nacht verfolgte ihn ein beklemmender Alptraum. Er rannte einen endlosen dunklen Korridor entlang, riss unzählige Türen auf, ohne das zu finden, was sein klopfendes Herz begehrte - eine ganz bestimmte Frau ... „Angelica?" Ihren Namen auf den Lippen, erwachte er. Kurz darauf schlug er die Bettdecke zurück und stand auf. Es hatte geschneit. Es war der erste Schnee dieses Winters, die Landschaft lag weiß und still im Mondlicht. Cade blickte aus dem Fenster zum nächtlichen Himmel hinauf. Er fragte sich, ob Angelica vielleicht zufällig auch gerade den Mond betrachtete und die gleiche erschreckende Leere im Herzen verspürte. Cade fluchte leise vor sich hin. Er liebte sie nicht. Er hatte sie nie geliebt, genausowenig wie sie ihn geliebt hatte. Sie hatte nur einem selbstsüchtigen Traum nachgehangen.
Cade zog sich Jeans und ein altes Sweatshirt an. Barfuss ging er durch das stille Haus in die Küche hinunter. Seit Jahren schon hatte er keinen Appetit mehr auf heiße Schokolade gehabt, aber heute… Das helle Mondlicht fiel auf die Gestalt seiner Schwester. Nur mit einem langen Flanellnachthemd bekleidet, hatte Kyra es sich auf dem gepolsterten Fenstersitz im Erker bequem gemacht und schaute hinaus auf die Berge. „Was tust du hier?" fragte Cade. „Es ist schon spät. Außerdem ist es hier unten kalt. Du hättest dir einen Morgenrock anziehen sollen und... " Stirnrunzelnd räusperte er sich. „Kommt das eigentlich oft vor, Kyra? Ich meine ... äh ... Bin ich manchmal übertrieben fürsorglich?" Sie lächelte flüchtig. „Du willst wissen, ob du wie Vater bist?" „Unsinn. Ich bin nicht wie der alte Herr. Ich würde niemals..." „Du bist bei weitem nicht so herrschsüchtig wie er, und ganz gewiss bist du nicht egoistisch." Kyra legte ihre Hand auf Cades. „Aber du hast gern alles unter Kontrolle." Cade zog seine Hand zurück. „Das ist doch lächerlich." „Möglicherweise glaubst du, Bevormundung und Beschützen wäre ein und dasselbe. Du denkst vielleicht, dass du jemand im Auge behalten musst, um ihn nach deinen Vorstellungen umsorgen und lieben zu können.° „Allmächtiger!" Cade stöhnte auf. „Erzähl mir nicht, dass du deine Leidenschaft für Psychologie entdeckt hast." „Oder du fürchtest tief in deinem Inneren, den Betreffenden zu verlieren, wenn du ihn nicht ständig kontrollierst." „Wie bitte?" „Vermutlich hat das irgend etwas mit den Ereignissen an deinem einundzwanzigsten Geburtstag zu tun." „Wovon redest du?" „Ach, Cade", erwiderte Kyra sanft. „Du hast es nie verwunden, nicht wahr? Das Mädchen, das dich damals verlassen hat ... Casey? Lacey?" „Stacey", erwiderte er schroff. „Was weißt du überhaupt davon? Du warst doch noch ein Baby." „Ich war fünfzehn, also ganz sicher kein Baby mehr. Ich weiß, wie sehr dich die Sache verletzt hat." Cade wurde rot. „Ich war nicht verletzt, sondern in meiner Eitelkeit gekränkt. Du liebe Güte, ich war damals noch ein Junge." „Sei ehrlich. Sie zu verlieren, hat dir das Herz gebrochen. Eines Tages wirst du eine Frau treffen ... " Mitfühlend schaute Kyra ihn an. „Oder hast du sie etwa schon gefunden?" fragte sie leise. „Hast du deshalb so traurige Augen?" Cade traute seinen Ohren kaum. „Danke, Dr. Freud", meinte er zynisch. „Ihre brillante Analyse war sehr hilfreich." Er drehte sich um und kehrte schnurstracks in sein Zimmer zurück. Seufzend blickte Kyra ihm nach. „Du hast mich gefragt", flüsterte sie. Zach hatte Cade versichert, er brauche nur mit dem Büro von Gordon Oil zu telefonieren, um die letzten Informationen zu erhalten. Am nächsten Morgen jedoch buchte Cade einen Platz in der ersten Maschine nach Dallas. Das ist viel praktischer, redete er sich ein. Auf diese Weise konnte er die Unterlagen
direkt von Emily bekommen, ohne Gefahr zu laufen, dass sich ein Übermittlungsfehler einschlich. Außerdem konnte er sich vorher vergewissern, dass Angelica außer Haus war, wenn er eintraf. Irgendwie hatte er es versäumt, vor seinem Abflug anzurufen. Er hatte auch vergessen, dies nach seiner Landung in Dallas nachzuholen, und selbst angesichts des Autotelefons in seinem Mietwagen war es ihm nicht in den Sinn gekommen, sich bei Gordon Oil zu melden. Im Grunde genommen war es auch egal. Es macht mir nichts aus, Angelica wiederzusehen, sagte Cade sich, als er Gordon Oil betrat, und wenn es Angelica nicht passte ... „Kann ich Ihnen helfen, Sir?" Verblüfft musterte er die Frau hinter dem Schreibtisch. „Sie sind nicht Emily." Sie lächelte höflich. „Emily arbeitet nicht mehr bei uns. Sie ist jetzt für eine andere Firma tätig. Kann ich Ihnen behilflich sein?" Cade blickte zu der Tür hinüber, hinter der Angelicas Büro lag. „Ja, 119 vielleicht können Sie das. Mein Name ist Cade Landon von..." „Von Landon Enterprises?" Die Frau sprang auf. „Welch sonderbarer Zufall, Sir. Ich wollte gerade einen Brief an Ihr Büro in Denver schicken, und..." „Ist Miss Gordon da?" Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, näherte er sich der Tür, blieb jedoch kurz davor stehen. „Nicht dass ich sie sehen möchte", versicherte er schnell. „Aber..." „Nein, Sir." Cade räusperte sich. „Das ist gut. Ich bin sicher, Sie können mir weiterhelfen. Ich benötige ..." „Miss Gordon arbeitet nicht mehr hier." Ungläubig wandte er sich zu der Sekretärin um. „Wie bitte?" „Das steht alles in dem Schreiben, Mr. Landon. Miss Gordon hat gekündigt. Sie hat mir aufgetragen, den Brief gleich heute morgen zur Post zu geben und ..." „Das ist unmöglich", unterbrach Cade die Frau. „Sie kann nicht gekündigt haben." „Das hat sie aber getan. Sie hat natürlich einen Nachfolger eingestellt. Falls Sie ihn sprechen möchten ..." „Zeigen Sie mir den Brief", befahl Cade und riss ihr den Umschlag förmlich aus den Fingern. Schweigend überflog er die wenigen formellen Zeilen, die aus einem Handbuch für Geschäftskorrespondenz zu stammen schienen. „Wann ist sie gegangen?" Achtlos warf er den Bogen auf den Tisch. „Am Freitag war ihr letzter Arbeitstag, Sir. Ich glaube allerdings, sie hat Dallas frühestens am Samstag verlassen, vielleicht auch erst am ..." Die Frau schrie auf, als Cade sie bei den Schultern packte. „Sie hat Dallas verlassen?" „Ja, Sir." „Wohin ist sie gefahren? Verdammt, Miss ..." „Mein Name ist Carlisle, Sir. Alice Carlisle." „Miss Carlisle", Cade zwang sich zur Ruhe, „Alice." Er atmete tief durch und trat einen Schritt zurück. „Es ist überaus wichtig, dass ich Miss Gordon finde, Alice. Ich muss ihr sagen ..." Er lächelte hilflos. „Wissen Sie, wohin sie wollte?"
„Sie ist nach Hause zurückgekehrt, Mr. Landon. In irgendeine Stadt in Connecticut. Hier ist die Adresse ..." Cade schnappte sich den Zettel und stürmte aus dem Büro.
11. KAPITEL Eastgate, Connecticut, war eine Kleinstadt wie aus dem Bilderbuch. Den Mittelpunkt des Ortes bildete ein großer Platz, um den sich malerische schiefergedeckte Häuser reihten. Im Sommer war der Rasen saftiggrün, doch jetzt im Spätherbst hatten die alten Eichen und Ahornbäume ihr Laub verloren, das wie rotgoldener Teppich auf dem Rasen lag. An der Stirnseite des Platzes stand eine weiße Holzkirche mit einem hohen Turm. Ihre strenge Architektur verriet, das sie von den ersten Siedlern in New England, einer Puritanergemeinde, errichtet worden war. Im Norden führte eine imposante Ulmenallee zu einem pseudo-gotischen Backsteingebäude, das Miss Palmers College beherbergte. Der ursprüngliche Bau war im Lauf der Jahre immer wieder erweitert worden und beherrschte mittlerweile aufgrund seiner Ausmaße das Stadtbild. Hinter seinem Westflügel erstreckte sich der idyllische Eastgate Pond. Im Sommer wurde er von den Schülerinnen zum Schwimmen benutzt, im Winter zum Schlittschuh laufen. Von einem kleinen Hügel aus betrachtete Angelica seufzend die friedliche Szenerie und wartete darauf, dass sie endlich das ersehnte Glücksgefühl überkam, wieder zu Hause zu sein. Aber die Zufriedenheit wollte sich nicht einstellen. Angelica war gestern eingetroffen und hatte die Nacht im „Eastgate Inn" verbracht. Heute nachmittag hatte sie die Leiterin des College aufgesucht. Miss James war hocherfreut gewesen, sie zu sehen, und hatte ihr zugesichert, sie könne ihre alte Stellung zu Beginn des neuen Semesters wieder antreten. Ihre Freunde im Lehrerkollegium hatten sie ebenfalls herzlich begrüßt. Niemand hatte sie mit Fragen belästigt oder mitleidig gelächelt. „Du bist wieder daheim." Jack Brenner hatte sie sogar strahlend umarmt. Warum, um alles in der Welt, war sie dann so deprimiert? Dieser Teil der Vereinigten Staaten war ihr Zuhause. Jack, Miss James und all die anderen waren nicht nur ihre Freunde, sondern Seelenverwandte. Sie sprachen die gleiche Sprache, teilten die gleichen Hoffnungen ... Und trotzdem musste sich Angelica zu jedem Lächeln zwingen. Sie hatte das Gefühl, eine Maske zu tragen und jedesmal zu lügen, wenn sie sagte, sie sei glücklich, wieder hier zu sein. Das war einzig und allein Cades Schuld. Er hatte sich als der rücksichtslose, chauvinistische Schuft entpuppt, für den sie ihn von Anfang an gehalten hatte. Gott sei Dank liebe ich ihn nicht mehr, überlegte sie trotzig. Falls ich ihn überhaupt je geliebt habe. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr gelangte sie zu dem Schluss, dass sie lediglich dem alten Ammenmärchen, eine Frau würde sich unweigerlich in ihren ersten Liebhaber verlieben, erlegen war. Ja, dachte sie, das ist der Grund. Sie hatte romantischen Träumen nachgehangen, statt sich mit der harten Realität abzufinden. Was zwischen Cade und ihr passiert war, war nichts anderes als bedeutungsloser Sex ... „Angelica?" Schuldbewusst wandte sie sich zu Jack um, dessen Anwesenheit sie völlig vergessen hatte. „Es tut mir leid, Jack", sagte sie reumütig. „Ich habe wohl geträumt." „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen." Er ergriff ihre Hand. „Ich weiß, was du empfindest. Es muss wundervoll sein, nach Hause zurückzukehren."
Sie nickte. „Ja, es ist schön." Hand in Hand setzten sie ihren Spaziergang über den Hügel fort. „Ich mag deine neue Frisur", meinte er lächelnd. Lachend fuhr sie mit den Fingern durch die wilde Lockenpracht, die offen über ihre Schultern fiel. „Ich habe eingesehen, dass es keinen Sinn hat, sich zu verstellen, Jack. Ich bin so, wie ich bin." Er schmunzelte. „Das klingt gut. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, dich wiederzusehen." „Ich freue mich auch, dich zu sehen." Angelica seufzte. „Irgendwie kann ich es noch gar nicht fassen, dass ich wieder in Eastgate bin." „Mir geht es ähnlich. Ich hatte schon befürchtet, wir hätten dich für immer verloren." Ihre Fröhlichkeit verschwand ganz schlagartig. „Nichts ist für immer, Jack", erwiderte sie. „Das habe ich in den letzten Monaten lernen müssen." „Ich wette, deine Verbannung in Sibirien ist dir endlos erschienen." Er grinste. „Da ist noch etwas, das ich gelernt habe: Ob du es glaubst oder nicht, Texas gehört zu dem Vereinigten Staaten." „Mag sein, aber ..." Jack machte eine weitausholende Geste, die die gesamte Stadt im Tal mit einschloss. „Aber man kann es kaum mit Eastgate vergleichen." „Nun ja, dort ist alles ganz anders. New England ist wundervoll, und Texas ... Texas ist auf seine Weise auch schön." „Vermutlich." In einträchtigem Schweigen gingen sie weiter. Nach einer Weile musterte Jack sie prüfend. „Demnach ist es in Dallas nicht so gelaufen, wie du gehofft hast." Angelica schüttelte den Kopf. „Nein." „Das tut mir leid. Bestimmt war es nicht deine Schuld ..." „Ich habe eine Menge Fehler gemacht, Jack, das ist mir inzwischen klargeworden." Er legte die Hände leicht auf ihre Schultern und drehte sie zu sich um. „Aber es ist vorbei, nicht wahr? Du hast die Firma deines Vaters verkauft." „Das konnte ich gar nicht. Wie sich herausstellte, hatte er das Unternehmen bereits kurz vor seinem Tod veräußert. Ich habe es nur eine Zeitlang geleitet, bis der Konzern, der es übernommen hatte, jemand schickte, der die Sache überprüfen sollte, und ... und ..." „Und was?" Jack runzelte die Stirn. „Erzähl mir nicht, dass sie dich gefeuert haben." „Nein. Er wollte es zunächst, aber dann ... Zuguterletzt hat er mir vorgeschlagen, ich solle bleiben." „Für wie lange?" Angelica atmete tief durch. „Solange ich wollte." Verwirrt sah Jack sie an. „Das begreife ich nicht. Dieser Pfennigfuchser ist nach Dallas gekommen, um dich zu entlassen, und ..." „Er war kein Pfennigfuchser", unterbrach sie ihn." „Na schön. Er hat den Betrieb unter die Lupe genommen, und ihm hat deine Arbeit gefallen. Warum hast du dann gekündigt?" „Ganz so war es nicht. Er war überhaupt nicht mit mir zufrieden und sagte, ich hätte keine Ahnung vom Ölgeschäft." Jack schnitt eine Grimasse. „Das klingt nach einem typischen Chauvinisten." „Nein." Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Nein, er hatte recht. Ich kenne mich
in dieser Branche überhaupt nicht aus. Das ist auch der Grund, weshalb ich gescheitert bin." „Und trotzdem hat er dich gebeten, die Firma weiterhin zu leiten, solange du willst?" Jack blickte sie ratlos an. „Irgendeinen Teil der Geschichte muss ich verpasst haben." Ja, dachte Angelica, du weißt wirklich nicht alles. Woher sollte er auch ahnen, dass Cade kaltblütig von ihr verlangt hatte, sich zwischen seiner selbstsüchtigen Vorstellung von Liebe und ihrem eigenen Traum von Geborgenheit zu entscheiden. Sie würde sich nie wieder geborgen fühlen, denn ohne Cade ... Ohne seine Liebe ... Angelica stieß einen schluchzenden Laut aus. „Angelica?" Besorgt streckte Jack die Hände nach ihr aus, doch sie wandte sich wortlos von ihm ab. Mit tränenblinden Augen starrte sie auf das Städtchen hinab. Sie liebte Cade. Gott, wie sehr sie ihn liebte! Wie hatte er nur jemals glauben können, sie könnte die Leitung von Gordon Oil einem Leben an seiner Seite vorziehen? Würde er jemals ahnen, wie leicht es ihr gefallen war, die Firma zu verlassen? Schwer war nur das Leben ohne Cade. Die vergangene Woche war die Hölle gewesen. Nacht für Nacht hatte Angelica wach gelegen und sich nach seinen starken, tröstenden Armen gesehnt. Morgens hatte sie nicht gewagt, die Augen zu öffnen, um die Illusion, die Trennung von ihm wäre nur ein böser Traum gewesen, ein paar Minuten länger aufrechterhalten zu können. „Angelica?" Jack legte den Arm um ihre Schultern. „Sag mir; was dich bedrückt." Aufschluchzend lehnte sie sich an ihn und schmiegte den Kopf an seine Brust. Bitte, schenk mir Geborgenheit, flehte sie im stillen, Geborgenheit, Sicherheit und Glück. Aber sie empfand nichts dergleichen. Jack war ein guter Mann und ein lieber Freund - mehr nicht. Plötzlich erkannte Angelica, dass er im Begriff war, sich in sie zu verlieben. Sie wären ein perfektes Paar. Sie hatten vieles gemeinsam. Er respektierte sie als gleichberechtigte Partnerin und würde niemals eine Entscheidung treffen, ohne sie vorher nach ihrer Meinung gefragt zu haben - zwei Grundvoraussetzungen für Angelica, wenn sie mit einem Mann das Leben teilen wollte. Das Problem war nur, dass sie sich noch mehr wünschte. Seine Berührungen sollten ihr Herz schneller schlagen lassen, seine Küsse mussten brennendes Verlangen in ihr wecken, sein Anblick und seine Stimme sollten sie mit grenzenloser Freude erfüllen. „Angelica?" Sie erstarrte in Jacks Armen. War sie so unglücklich, so verloren ohne Cade, dass sie sich schon einbildete, seine Stimme zu hören? „Angelica." Die Zeit schien stillzustehen. Angelica legte die Hände auf Jacks Brust. Langsam lockerte er seine Umarmung. Wie in Trance drehte Angelica sich um. „Cade", flüsterte sie. Er sah genauso aus wie an dem Tag in Odessa. Groß und attraktiv stand er in Jeans, Stiefeln und Lederjacke vor ihr. Ihr Herz klopfte, als wolle es zerspringen. „Cade? Was tust du hier?" Langsam kam er auf sie zu, den Blick unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. „Ich wollte dich sehen", sagte er sanft, „und dir sagen ..." Er verstummte und schaute auf Jack. Angelica sah Jack ebenfalls an. Er starrte Cade an, als wäre dieser ein Geist.
Sekundenlang musterten sich die beiden Männer wortlos. „Jack", begann sie, „das ist Cade Landon. Er..." Er ist der Mann, den ich liebe und immer lieben werde, hätte sie beinahe hinzugefügt, aber ihr Stolz verbot ihr, diese Worte auszusprechen. „Er ist der Mann, der mir angeboten hat, in der Firma meines Vaters zu bleiben." „Aber du bist nicht geblieben", stellte Cade ruhig fest und sah ihr tief in die Augen. Sie seufzte. „Nein." Cade kam einen Schritt näher. „Warum?" fragte er. „Das war es doch, was du dir mehr als alles andere auf der Welt gewünscht hast, Angel." „Habe ich das je behauptet?" Er kniff die Augen zusammen. „Das brauchtest du gar nicht. Du hast es auch so deutlich genug gemacht." „Cade Landon", ihre Stimme zitterte, „du bist der größte Dummkopf ..." Sie wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen. „Angelica?" Jack räusperte sich. „Was geht hier vor?" Er glich einem Mann, der ohne eigenes Zutun in eine Falle geraten war, aus der es kein Entrinnen gab. Angelica fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Entschuldige, Jack", bat sie. „Es tut mir so leid, aber..." Er blickte von ihr zu Cade hinüber. „Verstehe", murmelte er mit einem traurigen Lächeln. „Schau wenigstens noch einmal bei mir vorbei, ehe du abreist. Würdest du das tun, Angelica?" Verwirrt blinzelte sie ihn an. „Ich reise nicht ab, Jack." Jack nickte. „Schon gut." Er strich ihr ein letztes Mal leicht über die Wange, dann eilte er den Hügel hinunter. Cade wartete, bis Jack außer Hörweite war. „Eine alte Flamme?" „Ein guter Freund." „Für einen Freund hat er dich aber verdammt eng an sich gepresst." Angelica hob trotzig das Kinn. „Er ist ein sehr guter Freund. Außerdem geht dich das gar nichts an." „Na gut, dann lass uns über etwas reden, was mich tatsächlich etwas angeht. Warum hast du bei Gordon Oil aufgehört?" Wortlos schob sie die Hände in die Taschen ihrer Jacke und begann, den Pfad entlangzuwandern. Cade ging neben ihr her. „Ein Angestellter muss seinen Arbeitgeber nur von der Kündigung informieren. Gründe braucht er nicht zu nennen." Cade presste die Lippen zusammen. „Und aus welchem Lehrbuch stammt diese Weisheit?" „Ich bin dir keine Erklärung schuldig, Cade. Und ich will weder eine Abfindung noch ein Zeugnis." „Angesichts der Tatsache, dass du nicht das mindeste über das Ölgeschäft weißt, ist das eine sehr vernünftige Entscheidung." Empört drehte sie sich zu ihm um. „Sind wir wieder bei dem alten Thema? Außerdem habe ich das nie behauptet." Cade lächelte. „Nein, das hast du nicht." Er schaute sie an. „Aber du kennst dich mit Kalkulationen und Finanzen aus." „Da hast du verdammt recht. Ich ... " Sie überlegte. „Wer sagt das?" Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Du, wenn ich mich recht erinnere. Und mein Bruder ist der gleichen Meinung."
„Dein Bruder!" rief sie entrüstet. „Noch so ein genialer Landon." „Ich würde Zach nicht als Genie bezeichnen - zumindest würde ich ihm das nicht offen ins Gesicht sagen. Allerdings genießt er den Ruf, aus ein paar Dollar ein Vermögen machen zu können." „Und er findet, dass ich ..." Angelica lächelte zuckersüß. „Weiß er denn, dass ich eine Frau bin? Das könnte seine Ansicht möglicherweise grundlegend ändern." Cade wurde schlagartig ernst. „Ich bin derjenige, der sich ändern muss", erklärte er. „Ich muss lernen zu akzeptieren, dass du eine Frau und gleichzeitig eine eigenständige Persönlichkeit bist." Misstrauisch betrachtete Angelica ihn. „Wie bitte?" Er lächelte reumütig. „Ich glaube, du hast mit meiner Schwester Kyra viel gemeinsam." „Das begreife ich nicht. Was hat deine Schwester mit mir zu tun?" „Nichts - und alles. Sie ist eine kluge junge Frau. Offenbar weiß sie Dinge über mich ..." Cade atmete tief durch und umfasste ihr Gesicht. „Angel, ich liebe dich. Ich liebe dich von ganzem Herzen." Ihr Puls raste. Welchen Sinn hatte es, sich noch länger gegen die Wahrheit zu wehren? „O Cade", flüsterte sie. „Ich liebe dich auch. Ich werde dich immer lieben aber es würde nicht gutgehen." „Doch das wird es", versicherte er voller Zuversicht. „Ich habe in der letzten Woche viel gelernt, Angel. Beispielsweise weiß ich jetzt, dass die einzige Möglichkeit, dich zu halten, darin besteht, dir deine Freiheit zu lassen." Sie schöpfte wieder etwas Hoffnung. „Aber nicht zu viel Freiheit", sagte sie und blickte ihm tief in die Augen. „Ich habe nämlich auch etwas gelernt, Cade. Liebe macht die Menschen stärker und nicht schwächer. Ich war nie glücklicher als in deinen Armen." Erleichtert zog er sie an sich. „Ich mache dir ein Angebot, Angel." „Und welches?" Zärtlich küsste er sie auf den Mund. „Ich muss in ein paar Tagen nach London. Begleite mich." „Ich soll dich begleiten?" „Ja. Zach meint, du hast Talent für Zahlen. Offen gestanden, kenne ich mich auf Ölfeldern besser aus als in Bilanzen. Ich bringe dir alles über das Ölgeschäft bei, und du gibst mir Nachhilfe in Buchführung. Wenn wir die Angelegenheit in London erledigt haben, fliegen wir nach Hause und sanieren Gordon Oil." Angelica traute ihren Ohren kaum. „Ist das dein Ernst?" „Ja." Er zögerte. „Unter zwei Bedingungen." Ihre Hoffnung erlosch. „Was für Bedingungen?" Cade legte ihr eine Hand unters Kinn und hob ihren Kopf. „Erstens musst du mir sagen, dass du mich liebst." Strahlend legte sie ihm die Arme um den Nacken. „Natürlich liebe ich dich, du arroganter, voreingenommener Schuft. Wenn du nicht so verbohrt gewesen wärst, hättest du das schon vor langer Zeit gemerkt." „Zum Beispiel, als wir das erste Mal miteinander geschlafen haben?" Cade presste sie fest an sich. „Du warst vorher noch nie mit einem Mann zusammen, stimmt's, mein Liebling?"
Sanfte Röte überzog Angelicas Wangen. „Du warst mein erster Liebhaber, Cade", gestand sie leise. „Und dein letzter", sagte er rau und besiegelte sein Versprechen mit einem leidenschaftlichen Kuss. „Wirst du mit mir nach London reisen und mir nach unserer Rückkehr in die Staaten helfen, Gordon Oil zu leiten?" „Hast du vorhin nicht zwei Bedingungen erwähnt?" „O ja." Cade lachte jungenhaft. „Du musst mich lieben, Angel - und heiraten. Ansonsten platzt der Handel." Sie lehnte sich in seinen Armen zurück. „Ich weiß nicht recht", erwiderte sie scheinbar zögernd. „Du verlangst eine ganze Menge von einer Frau. " Er küsste sie erneut, und diesmal raubte ihr sein Kuss den Atem. „Ich liebe dich, mein Schatz", flüsterte er. „Ich werde dich immer lieben. " Angelica lächelte. „Das ist eine sehr kluge Entscheidung von dir." All die Liebe, die sich so lange in ihr aufgestaut hatte, lag in ihrem Kuss. -ENDE-