Marcus Maurer · Carsten Reinemann Jürgen Maier · Michaela Maier Schröder gegen Merkel
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Marcus Maurer · Carsten Reinemann Jürgen Maier · Michaela Maier Schröder gegen Merkel
Marcus Maurer · Carsten Reinemann Jürgen Maier · Michaela Maier
Schröder gegen Merkel Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells 2005 im Ost-West-Vergleich
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Barbara Emig-Roller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15137-3
Inhalt 1. EINFÜHRUNG UND ANLAGE DER UNTERSUCHUNG 1.1 Schröder gegen Merkel
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Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
1.2 Kandidatenwahrnehmung in Echtzeit
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Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
2. DAS TV-DUELL UND SEINE WAHRNEHMUNG 2.1 Themen, Argumente, rhetorische Strategien
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Die Inhalte des TV-Duells Marcus Maurer
2.2 Populistisch und unkonkret
53
Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells Carsten Reinemann und Marcus Maurer
3. DIE UNMITTELBAREN WIRKUNGEN DES TV-DUELLS 3.1 Erfolgreiche Überzeugungsarbeit
91
Urteile über den Debattensieger und die Veränderung der Kanzlerpräferenz Jürgen Maier
3.2 Personalisierung durch Priming
111
Die Wirkungen des TV-Duells auf die Urteilskriterien der Wähler Marcus Maurer und Carsten Reinemann
3.3 Eine Basis für rationale Wahlentscheidungen?
129
Die Wirkungen des TV-Duells auf politische Kenntnisse Jürgen Maier
3.4 Verstärkung, Mobilisierung, Konversion Die Wirkungen des TV-Duells auf die Wahlabsicht Michaela Maier
145
6
Inhalt
4. DIE NACHBERICHTERSTATTUNG UND IHRE WIRKUNGEN 4.1 Völlig anderer Ansicht
167
Die Medienberichterstattung über das TV-Duell Carsten Reinemann
4.2 Viel Spielraum für die eigene Interpretation
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Wahrnehmung und Wirkung der Medienberichterstattung Michaela Maier
5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 5. Warum TV-Duelle Wahlen entscheiden können
229
Befunde und Konsequenzen der TV-Duell-Studie 2005 Marcus Maurer und Carsten Reinemann
LITERATUR
247
1.1
Schröder gegen Merkel Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
Mehr als 20 Millionen Zuschauer verfolgten am 4. September 2005 das TVDuell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder. Zu diesem Zeitpunkt waren noch knapp 25 Prozent der Wahlberechtigten unschlüssig, wem sie am 18. September ihre Stimme geben sollten. Kein anderes Medienereignis erreichte während des Wahlkampfs so viele Zuschauer. Während viele Experten und Journalisten bemängelten, das Duell habe kaum neue Informationen gebracht, empfanden die Zuschauer das TV-Duell als informativ und wichtig: 75 Prozent sahen es als sehr gute Gelegenheit, etwas über die Positionen der Kandidaten zu erfahren. Für 37 Prozent war es eine Hilfe bei ihrer Wahlentscheidung (Infratest-Dimap 2005). Auch in den Medien fand das TV-Duell besondere Aufmerksamkeit: Über kein anderes Einzelereignis wurde so intensiv berichtet, kein anderes Ereignis rückte die Kanzlerkandidaten so in den Mittelpunkt des Medieninteresses (z.B. Brettschneider 2005; Wilke/Reinemann 2006). Über die möglichen Wirkungen des TV-Duells ist viel spekuliert worden. Wissenschaftler und Meinungsforschungsinstitute wiesen in ihren Wahlanalysen darauf hin, dass sich die Zustimmung zur SPD nach dem TV-Duell deutlich verstärkte (z.B. Schmitt-Beck et al. 2005: 41). Andere vermuteten, dass das TVDuell vor allem deshalb wichtig war, weil es Gerhard Schröder eine Plattform für seine Attacken auf Paul Kirchhof bot (z.B. Brettschneider 2005; Niedermayer 2007). Viele Medien hatten als entscheidende Stelle des Duells Schröders Liebeserklärung an seine Frau ausgemacht. Dieser Interpretation schloss sich wenige Wochen nach der Wahl auch Edmund Stoiber an, der hierin gleich den Wendepunkt des gesamten Wahlkampfs erkannt haben wollte (www.faz.net vom 23.10.). Aber war das wirklich so? War tatsächlich die Liebeserklärung entscheidend? Oder allgemeiner gewendet: Welche inhaltlichen Elemente des TVDuells lösten tatsächlich Wirkungen bei den Zuschauern aus? Wie nahmen die Zuschauer das TV-Duell also wirklich wahr? Wie veränderte es ihre Meinungen von den Kandidaten und ihre Wahlabsichten? Wie stabil waren diese Veränderungen? Welchen Einfluss hatte die Vor- und Nachberichterstattung der Me-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
dien? Und: Unterschieden sich die Wahrnehmungen und Wirkungen des Duells bei west- und ostdeutschen Zuschauern – wie dies etwa Analysen repräsentativer Umfragen für die TV-Duelle 2002 nahe legen (Maier 2006)? Diesen und anderen Fragen widmet sich der vorliegende Band. Um sie beantworten zu können, haben wir in Mainz und Jena vor, während und nach dem TV-Duell eine aufwändige Untersuchung durchgeführt. Ihre wichtigsten Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln präsentiert. In diesem ersten Kapitel wollen wir das TV-Duell in den Kontext des Bundestagswahlkampfs 2005 einordnen, seine Entstehung und seine Regeln skizzieren sowie kurz Ziele und Struktur dieses Buches vorstellen. Es geht hier also nicht um eine eingehende Analyse der gesamten Wahlkampfs oder der ihn begleitenden Medienberichterstattung. Vielmehr konzentrieren wir uns hier auf die Eckdaten, die für unsere Analyse des TV-Duells und das Verständnis seiner Bedeutung im Wahlkampf 2005 wichtig sind. Analysen des Wahlkampfs insgesamt, seiner medialen Darstellung, der Wahlkampfführung der Parteien sowie des Wahlergebnisses liegen aus kommunikations- bzw. politikwissenschaftlicher Sicht z.B. in den Bänden von Holtz-Bacha (2006), Jesse/Sturm (2006) sowie Brettschneider et al. (2007) vor.
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Ungebundene, Unentschlossene und Late-deciders: Die Entwicklung der politischen Stimmung im Wahlkampf
Wahlkämpfe spielen heute eine wesentlich größere Rolle für den Ausgang einer Bundestagswahl als noch vor 10 oder 15 Jahren. Dies vergrößert die Wirkungsmöglichkeiten für die Wahlkampfkommunikation der Parteien und Medien erheblich. Die Ursachen dieser gestiegenen Bedeutung von Wahlkämpfen liegen darin, dass immer weniger Wähler fest an eine Partei gebunden sind, immer mehr noch während des Wahlkampfs ihre Wahlabsicht ändern, und sich immer mehr erst sehr spät endgültig auf eine Partei festlegen. Die Bundestagswahl 2005 markiert den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung zu einer außerordentlich beweglichen, volatilen Wählerschaft: Knapp 34 Prozent der Wähler stimmten 2005 für eine andere Partei als die, die sie noch 2002 gewählt hatten. Knapp 24 Prozent veränderten noch während des Wahlkampfs ihre Wahlabsicht (Weßels 2007). Und 12 Prozent der Wähler trafen ihre Entscheidung erst in den letzten Tagen vor dem Wahltermin, manche erst in letzter Minute: Nach einer Schätzung der Forschungsgruppe Wahlen entschieden sich zwischen Samstagabend und Sonntag etwa 1,5 Millionen Wähler, doch nicht für die Union, sondern für die FDP zu stimmen (Forschungsgruppe Wahlen 2005).
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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Nach mehreren verlorenen Landtagswahlen hatte die SPD am 22. Mai 2005 auch im sozialdemokratischen Kernland Nordrhein-Westfalen eine weitere herbe Niederlage einstecken müssen. Damit war nach sieben Jahren rot-grün auf Bundesebene auch die letzte rot-grüne Landesregierung abgewählt worden. Noch am Wahlabend verkündete der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, dass die SPD nun Neuwahlen zum Bundestag anstrebe. Mit der Niederlage, so Kanzler Schröder später, sei die „politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit in Frage gestellt“. Um das strukturelle Patt zwischen Bundestag und unions-dominiertem Bundesrat aufzulösen, blieben nur schnellstmögliche Neuwahlen. Er selbst, so Schröder, würde wieder antreten. Die Union legte sich am 30. Mai in einer gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU auf Angela Merkel als Kandidatin fest. Die Ausgangslage schien für Union und FDP 2005 noch komfortabler als 2002. Seit kurz nach der Wahl 2002 hatten CDU/CSU stets einen Vorsprung in der Wählergunst besessen, der in der Woche nach der Wahl in NordrheinWestfalen auf fast 20 Prozentpunkte anwuchs. Gleichzeitig lag Angela Merkel unmittelbar nach der Neuwahlankündigung bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz erstmals vor Gerhard Schröder. Alles schien auf eine schwarz-gelbe Koalition hinauszulaufen. Dies führte dazu, dass die Union einen klassischen Regierungswahlkampf führte, in dem ihr Regierungsprogramm im Mittelpunkt stand. Die SPD verlegte sich dagegen auf einen klassischen Oppositionswahlkampf, in dem sie in erster Linie die Unions-Vorhaben in der Steuer- und Sozialpolitik attackierte: Vor allem gegen Ende setzte die SPD auf das Thema „soziale Gerechtigkeit“ und die Furcht vor sozialen Einschnitten (Brettschneider 2005; Jung/Wolf 2005; Bosch 2006). Im Verlauf des Wahlkampfs bröckelte die Zustimmung zur Union zusehends ab. Die Werte Merkels bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz zeigen ein Auf und Ab. Unmittelbar nach dem TV-Duell wollten dann wieder 54 Prozent der Wähler Gerhard Schröder als Kanzler, aber nur noch 35 Prozent Angela Merkel. Damit war der Vorsprung Schröders zwar nicht so komfortabel wie noch 2002, aber dennoch deutlich. Am Wahltag lag die Union dann mit 35,2 Prozent der Zweitstimmen nur noch knapp vor der SPD (34,3%). Angesichts des lange verloren geglaubten Rennens sah sich die SPD als eigentlichen Sieger der Wahl (Abbildungen 1 und 2). Noch nie zuvor hat eine Partei einen so großen Vorsprung in so kurzer Zeit verspielt wie die Union 2005 (Brettschneider 2005; Jung/Wolf 2005).
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Abbildung 1:
Die Entwicklung der Parteipräferenzen zwischen der Ankündigung von Neuwahlen und dem Wahltermin 2005 (in %)
60%
CDU/CSU
SPD
GRÜNE
FDP
Linke.PDS TV-Duell
50%
40%
30%
20%
10%
.0 9.
14
18
06 . .0 6. -1 5 . 21 06 .0 6. -2 2. 06 28 . .0 6. -2 9. 06 04 . .0 7. -0 6. 0 12 7. .0 7. -1 3. 07 19 . .0 7. -2 0. 07 26 . .0 7. -2 7. 07 01 . .0 8. -0 3. 08 09 . .0 8. -1 0. 08 15 . .0 8. -1 6. 08 23 . .0 8. -2 4. 08 29 . .0 8. -3 1. 08 06 . .0 9. -0 7. 09 .
05 . 07 .
06 .
-0 8.
-3 1. 05 .
30 .
23 .
05 .
-2 4.
05 .
0%
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer Projektion Sonntagsfrage, Wahlergebnis
2
Personalisierung und Talkshowisierung: Die Entwicklung der Medienberichterstattung im Wahlkampf
Die Wähler nehmen Politik, Politiker und Wahlkämpfe heute vor allem über die Medien wahr. Da sich langfristige Bindungen an die Parteien abschwächen bzw. in den neuen Ländern kaum vorhanden sind, bilden Medieninhalte eine immer wichtigere Basis für die Meinungsbildung der Wähler. Dies haben auch die Parteien erkannt und stellen die Medien in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampfmaßnahmen (z.B. Schmitt-Beck 2003). Unter den wahlbezogenen Inhalten der Massenmedien lassen sich drei Kategorien unterscheiden: 1. Die redaktionelle Berichterstattung. Hier treffen allein Journalisten die Entscheidung darüber, was und wie berichtet wird. 2. Teilmediatisierte Formate wie Interviews, TalkSendungen und Wahlkampfdebatten. Hier können sich Politiker oder Wähler in größerem Umfang selbst äußern und eigene Akzente setzen. Journalisten treten vor allem als Moderatoren oder Fragesteller auf. 3. Werbung, die die Parteien selbst gestalten und in den Medien platzieren können. Wir wollen nun kurz darauf eingehen, wie sich die ersten beiden Kategorien von Medieninhalten im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 dargestellt und entwickelt haben:
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
Abbildung 2:
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Die Entwicklung der Kanzlerpräferenzen zwischen der Ankündigung von Neuwahlen und dem Wahltermin 2005 (in %)
60%
Schröder
TV-Duell
Merkel
50%
40%
30%
20%
10%
0% Mai II
Juni I
Juni II
Juli I
Juli II
Juli III
Juli IV
Aug I
Aug II Aug III Aug IV
Sep I
Sep II
Quelle: Infratest Dimap: Deutschlandtrend Kanzlerpräferenz
Die redaktionelle Berichterstattung der Medien erreicht – von den TV-Duellen abgesehen – die meisten Menschen. Bedingt durch die überraschende Neuwahlankündigung und die Vertrauensfrage setzte die wahlbezogene Berichterstattung 2005 relativ früh ein. Dennoch lag der Schwerpunkt der Berichterstattung wie üblich in den letzten Wochen vor der Wahl. Die Höhepunkte bildeten die Tage um das TV-Duell und die Woche vor dem Wahltag (Krüger et al. 2005; Wilke/Reinemann 2007). In dieser heißen Phase des Wahlkampfs berichteten die Medien so intensiv über Wahl und Kandidaten wie nie zuvor bei einer Bundestagswahl. Dies traf vor allem auf die Presse zu (Wilke/Reinemann 2006; 2007). Aber auch in den Fernsehnachrichten machten Wahlkampfbeiträge einen so großen Teil der Politikberichterstattung aus wie nie zuvor. Allerdings wurde aufgrund konkurrierender unpolitischer Ereignisse wie des Papst-Besuchs und des Hurrikans Katrina insgesamt etwas weniger über Politik berichtet als 2002 (Schulz/Zeh 2006). Je näher der Wahltag rückte, umso stärker verlagerte sich die Aufmerksamkeit der Medien auf die CDU/CSU. So fanden sich im August und September in den Fernsehnachrichten der wichtigsten Sender jeweils etwa doppelt so viele Aussagen über die Union wie über die SPD. Vor allem in der Schlussphase
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
des Wahlkampfs fokussierte sich die Berichterstattung über die SPD außerordentlich stark auf Gerhard Schröder. Dagegen war das Spektrum der öffentlich sichtbaren Unions-Vertreter deutlich breiter, nicht zuletzt bedingt durch die große Aufmerksamkeit für Paul Kirchhof (Brettschneider 2005; Krüger et al. 2005). Die außerordentlich starke Personalisierung der Berichterstattung zeigt sich auch darin, dass nie zuvor so viel über die Kanzlerkandidaten berichtet wurde, dass nie zuvor ihr Auftreten und ihre medialen Fähigkeiten so sehr zu zentralen Kriterien ihrer Beurteilung wurden und sie nie zuvor so häufig im Bild zu sehen waren (Schulz/Zeh 2006; Wilke/Reinemann 2006). Anders als bis in die 1990er Jahre wurde dabei über Amtsinhaber und Herausforderin in etwa gleichem Umfang berichtet, in manchen Zeitungen sogar mehr über Angela Merkel. Der traditionelle Kanzlerbonus, der sich in einer intensiveren Berichterstattung über den Amtsinhaber niederschlug, war – wie schon 2002 – nicht mehr erkennbar (Krüger 2005; Schulz/Zeh 2006; Wilke/Reinemann 2006). Was die Inhalte der Berichterstattung angeht, wurde die Steuerpolitik im Verlauf des Wahlkampfs zum dominierenden Thema. Dies lag zunächst an der Ankündigung der Union, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, und der Berufung Paul Kirchhofs in Angela Merkels Kompetenzteam. Bereits kurze Zeit später hatte Kirchhofs gar nicht für die kommende Legislaturperiode vorgesehenes Steuermodell, die so genannte Flat-Tax, die eigentlichen Pläne der Union zur Reformierung der Einkommenssteuer, die Absenkung von Eingangs- und Spitzensteuersatz, aus den Schlagzeilen verdrängt (Maurer 2007a). In der Schlussphase des Wahlkampfs wurde das Thema Steuern dann in der Berichterstattung immer häufiger mit dem Thema „soziale Gerechtigkeit“ verknüpft, ein Erfolg der Kommunikationslinie der SPD. Außerdem widmeten die Medien den Ergebnissen der Umfrageinstitute gegen Ende des Wahlkampfs immer mehr Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung über die Regierung wurde seit Mitte Juli zunehmend positiver, während die Union vor allen in den letzten Wochen vor der Wahl immer negativer dargestellt wurde (Brettschneider 2005). Zumindest in den letzten vier Wochen vor der Wahl wurde Gerhard Schröder in den Fernsehnachrichten positiver dargestellt als Angela Merkel (Schulz/Zeh 2006). In der überregionalen Presse spiegelten sich in den letzten vier Wochen nur zum Teil die traditionellen politischen Linien der Blätter wieder. Als eindeutige Unterstützer „ihrer“ Kandidaten erwiesen sich vor allem die Frankfurter Rundschau und Bild. Weniger eindeutig war die Unterstützung Angela Merkels dagegen bei FAZ und Welt, während die Süddeutsche Zeitung mit beiden Kandidaten gleichermaßen kritisch umging (Wilke/Reinemann 2007). Zumindest für die
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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Schlussphase des Wahlkampfs war die nachträgliche Medienschelte Gerhard Schröders deshalb nicht gerechtfertigt – auch wenn die Medien, wie die meisten externen Beobachter und Demoskopen, den Sieg der Union lange Zeit für ausgemacht hielten (dazu auch Konken 2005). Neben der klassischen redaktionellen Berichterstattung gab es 2005 vor allem im Fernsehen so viele wahlbezogene Talk-Formate und Diskussionen wie bei keiner Bundestagswahl zuvor (Krüger et al. 2005). Neben dem TV-Duell der Kanzlerkandidaten strahlten die öffentlich-rechtlichen Sender Einzelinterviews mit den Kanzlerkandidaten (ARD, ZDF), die Runde aller Spitzenkandidaten (ARD), den „TV-Dreikampf“ der Spitzen der kleinen Parteien, „Nachtduelle“ (ZDF), „Wahlforen“ (ZDF), „Townhall-Meetings“ (HR, WDR, NDR) usw. aus. Allerdings hatten diese Sendungen bei weitem nicht so viele Zuschauer und erlangten bei weitem nicht die mediale Aufmerksamkeit der TV-Duelle. Den größten Zuspruch hatte mit knapp 6 Millionen Zuschauern die Diskussion der Spitzenkandidaten am 12. September. Hier trafen u.a. Angela Merkel und Gerhard Schröder nochmals aufeinander. Die Einzelinterviews der Kanzlerkandidaten bei Sabine Christiansen verfolgten 5,2 (Merkel) bzw. 5,8 (Schröder), die Interviews bei Berlin Mitte 2,5 (Schröder) bzw. 3,7 Millionen Zuschauer (Merkel). Die Reichweiten der anderen Talkformate und Sondersendungen blieben weit darunter.
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Das TV-Duell 2005: Entstehung, Organisation und Regeln
TV-Duelle entwickeln sich in jüngster Zeit in vielen Ländern zu den wichtigsten Medienereignissen in Wahlkämpfen. Während es sie noch Ende der 1970er Jahre nur in etwa 10 Ländern gab, fanden Ende der 1990er Jahre in mindestens 35 Ländern Fernsehdebatten unterschiedlichster Formate statt (Plasser/Plasser 2002: 312). Zwar gab es im deutschen Fernsehen schon seit den 1960er Jahren die „Elefantenrunden“ der Spitzenkandidaten aller im Bundestag vertretenen Parteien. Doch „TV-Duelle“, bei denen nur die Kandidaten der beiden größten Parteien gegeneinander antreten, haben sich erst seit dem Bundestagswahlkampf 2002 als feste Institution etabliert. Auch in Landtagswahlkämpfen scheinen sie zur Regel zu werden. Im Vorfeld fast aller Landtagswahlen der letzten Jahre gab es mindestens ein TV-Duell, so in Hamburg (2004), Nordrhein-Westfalen (2005), Schleswig-Holstein (2005), Baden-Württemberg (2006), Berlin (2006) und Mecklenburg-Vorpommern (2006). Die Bedeutung von TV-Duellen ist für die letzte Bundestagswahl, aber auch für nationale und regionale Wahlen in anderen Ländern vielfach belegt. Die Forschung ist sich weitgehend einig: Kein
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
anderes geplantes Ereignis in einem Wahlkampf erhält so viel öffentliche Aufmerksamkeit und kann so starke Wirkungen auf das Image der Kandidaten, die Wahlbeteiligung und die Wahlabsichten entfalten (z.B. Klein 2005; Maier/Faas 2005; Maurer/Reinemann 2003). Im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 wurde ein TV-Duell sehr schnell ins Gespräch gebracht. Bereits vier Tage nach der Neuwahl-Ankündigung regte Gerhard Schröder eine Fernsehdebatte mit seiner Herausforderin an (Die Welt vom 27.5.). Angela Merkel hielt sich mit einer Zusage zunächst zurück, da sie noch nicht offiziell als Kanzlerkandidatin nominiert worden war. Gleichzeitig fragten öffentlich-rechtliche und private Fernsehanstalten bei den beiden mutmaßlichen Kandidaten an und bekundeten vorsorglich schon einmal ihr Interesse an einer oder mehreren Fernsehdebatten. Anfang Juni verständigten sich die vier wichtigsten Sender auf den Vorschlag, wie 2002 zwei TV-Duelle zu veranstalten, von denen jeweils eins von ARD und ZDF bzw. RTL und SAT.1 ausgestrahlt werden sollte. Eine Antwort Merkels blieb fast zwei weitere Wochen aus, während Gerhard Schröder immer wieder auf seine Bereitschaft zu einer Fernsehdebatte hinwies. Der potentielle Koalitionspartner Guido Westerwelle riet Angela Merkel in dieser Zeit sogar öffentlich von einem TV-Duell mit Schröder ab. Schröder, so Westerwelle, sei „ein internationaler Meister im Flirt mit den Kameras.“ Dies würde sich in jedem Fernsehduell zeigen (netzeitung vom 10.7.). Erst am 11. Juli erklärte sich Angela Merkel gegenüber SAT.1 bereit, zu einem Fernseh-Duell anzutreten. Ende Juli begannen die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Kandidaten und denen der vier großen TV-Sender. Für Gerhard Schröder leitete Regierungssprecher Béla Anda, für Angela Merkel Willi Hausmann die Gespräche. Eine erste Verhandlungsrunde scheiterte an der Weigerung Merkels, wie 2002 zwei Debatten zu veranstalten. Merkels Berater begründeten dies öffentlich damit, dass wegen des extrem kurzen Wahlkampfs keine Zeit für zwei TVDuelle bliebe. Ein Argument, das selbst innerhalb der Union als nur vorgeschoben beurteilt wurde. Am 3. August mussten die SPD-Verhandlungsführer und die Fernsehanstalten dann aber doch nachgeben: Man einigte sich auf ein TVDuell am 4. September, zwei Wochen vor der Wahl. Es sollte 90 Minuten dauern, von allen vier großen TV-Sendern parallel zwischen 20:30 und 22:00 Uhr übertragen und von vier Journalisten moderiert werden. Wie diese Auseinandersetzung um die Zahl der TV-Duelle in der Wählerschaft wahrgenommen und beurteilt wurde, lässt sich nicht sagen. In den Medien jedenfalls wurde sie diskutiert und auch von konservativen Kommentatoren als Erfolg für Gerhard Schröder verbucht. So schrieb beispielsweise die Welt: „In einer für die Zukunft des Landes ziemlich belanglosen Frage, ist es Schröder
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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also gelungen, dem öffentlichen Bild der CDU-Chefin einen realen Kratzer zu verpassen. Nicht zum ersten Mal steht sie als über die Maßen auf Taktik bedachte Politikern da“ (Die Welt vom 4.8.). Zudem wurde darüber spekuliert, dass Angela Merkel aus den Erfahrungen Edmund Stoibers 2002 gelernt haben könnte: Der bayerische Ministerpräsident war in der ersten der beiden Debatten als „überraschend gut“ wahrgenommen worden, was man auf die niedrige Erwartungshaltung ihm gegenüber und die Favoritenrolle des „Medienkanzlers“ Schröder zurückführen kann. Im zweiten Duell war die Favoritenrolle Schröders deshalb nicht mehr so klar, und Edmund Stoiber musste nicht zuletzt deshalb eine deutliche Niederlage einstecken. Als Ort der Auseinandersetzung wählte man wie 2002 die ehemaligen Studios des DDR-Fernsehens in Adlershof, Berlin-Köpenick. Dort war genug Raum für die vielen hundert Journalisten, Politiker und Gäste, die die Debatte vor Ort verfolgen würden. Der formale und inhaltliche Rahmen des TV-Duells wurde nach Medienberichten weit weniger verbissen ausgehandelt als noch 2002 (Tagesspiegel vom 3.9.). Dies lag offenbar auch daran, dass die TVSender die Regeln im Vergleich zu 2002 lockern wollten, um die Debatte unterhaltsamer werden zu lassen und mehr direkte Konfrontationen zwischen den Kandidaten zu ermöglichen. Dementsprechend füllte das Regelwerk nur wenige Seiten, die der Öffentlichkeit – von einigen Eckpunkten abgesehen – allerdings nicht zugänglich gemacht wurden. Nach dem, was die Sender bekannt gaben, sollten die Antworten der Kandidaten 90 Sekunden nicht überschreiten, Diskussionen zwischen ihnen sollten aber – anders als 2002 – möglich sein. Alle 15 Minuten sollte ein Redezeitkonto eingeblendet werden und die Redezeit der Kandidaten am Ende möglichst ausgeglichen sein. Man ging von einer Gesamtredezeit von 35 bis 40 Minuten pro Kandidat aus. Die Einstellungen der zehn Kameras waren nach Angaben der Sender nicht reglementiert. Mit einer Ausnahme: Die Kandidaten durften nicht von hinten gezeigt werden. Die vier Moderatoren sollten jeweils zu zweit acht bis zehn Themenkomplexe ansprechen, wobei diese den Kandidaten nicht bekannt sein sollten. Die Einstiegsfrage jedes Komplexes sollte an beide Kandidaten gestellt werden, danach sollten die Moderatoren nachfragen. Die Länge der Themenkomplexe sollte je nach Bedeutung variieren (z.B. Tagesspiegel vom 3.9., Welt am Sonntag vom 4.9.). Über die Vorbereitung der Kandidaten auf das TV-Duell ist nicht viel bekannt. Sicher ist, dass Angela Merkel einen eigenen Maskenbildner hatte und sich u.a. von Alexander Niemetz vorbereiten ließ. Der ehemalige Moderator des ZDF-heute journals hatte kurz zuvor schon die späteren Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und Harry Carstensen auf ihre Fernsehdebatten vorbereitet. Aus
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
diesem Grund lehnte Niemetz auch die Anfrage Gerhard Schröders ab, der ihn offenbar ebenfalls als Coach engagieren wollte (Neue Osnabrücker Zeitung vom 15.4.2006). Angesichts dessen erscheint es zumindest fraglich, ob Gerhard Schröder zur Vorbereitung tatsächlich nur die „Fakten aus den Akten“ studierte, wie Regierungssprecher Béla Anda angab (Bild am Sonntag vom 24.7.2006).
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Zielsetzung des Buches
Der vorliegende Band richtet sich nicht nur an Wissenschaftler und Studierende, sondern auch an Journalisten, politische Akteure und alle Wählerinnen und Wähler, die sich für die Mechanismen politischer Meinungsbildung im Kontext von TV-Duellen interessieren. Sein Ziel ist es, die Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells auf die Zuschauern sowie die Reaktionen und Wirkungen der Vor- und Nachberichterstattung der Medien zu analysieren und zu erklären. Daraus ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen für Art und Struktur der Ergebnisdarstellung: Erstens werden die einzelnen Elemente der Studie bzw. des Wirkungsprozesses in Beiträgen abgehandelt, die auch für sich allein stehen können. Dies ermöglicht einen schnellen Zugriff auf einzelne Aspekte. Die jeweiligen Autoren sind dabei für die Analysen und Schlussfolgerungen selbst verantwortlich. Zweitens konzentrieren wir uns auf die demokratietheoretisch wichtigen bzw. für Journalisten, Wähler und Politiker bedeutsamsten Ergebnisse der Studie. Schließlich haben wir uns drittens bemüht, eine Sprache zu finden, die von möglichst vielen verstanden wird. Das bedeutet, dass sich die Darstellung des theoretischen Hintergrunds, des Forschungsstandes und statistischer Details auf das unbedingt Notwendige beschränkt. Die Befunde sollen im Vordergrund stehen. Die vorliegende Studie ist ein Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaftlern der drei rheinland-pfälzischen Universitäten Kaiserlautern (Jürgen Maier), Landau (Michaela Maier) und Mainz (Marcus Maurer und Carsten Reinemann). Die meisten der Autoren haben sich bereits 2002 mit den damaligen TV-Duellen beschäftigt und umfangreich dazu publiziert. Das gemeinsame Projekt 2005 wurde dadurch möglich, dass in Landau nun die gleichen Messinstrumente zur Verfügung standen wie schon 2002 in Mainz. Um die Duellwahrnehmungen und -wirkungen bei west- und ostdeutschen Wählern vergleichen zu können, haben wir die Vergleichsuntersuchung allerdings nicht in Landau, sondern in Jena durchgeführt.
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2005
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Wir wollen abschließend allen danken, die zum Gelingen des Projekts beigetragen haben: Finanziell wurde die Studie vom Verein der Freunde und Förderer des Mainzer Instituts für Publizistik unterstützt. Für die technische Umsetzung der RTR-Messung in Mainz war das Team des Medienhauses der Universität unentbehrlich. Unser Dank geht an Peter Stuppert, Nicole Labitzke, Michèl Hammann und Marcus Kiefer. Außerdem haben uns sowohl am Abend des TVDuells als auch bei der Durchführung der Inhaltsanalysen studentische Hilfskräfte unterstützt. Zu nennen sind in Mainz insbesondere Jens Mutzke, Melanie Leidecker, Meta Wolf, Dominik Becht und Magda Huthmann. In Jena haben uns die Kollegen bzw. studentischen Hilfskräfte Fanny Backhaus, Mandy Fickler, Georg Ruhrmann und Wolfgang Schlorke zur Seite gestanden. In Landau sind wir Patrick Bacherle, Manuel Frank, Helen Hertzsch, Kathrin Klietsch, Maike Luhmann, Frank Schneider und Karin Stengel zu Dank verpflichtet. Hans-Jürgen Weiß von der FU Berlin hat uns kostenlos eine Reihe von Sendungen der Nachberichterstattung zur Verfügung gestellt.
1.2
Kandidatenwahrnehmung in Echtzeit Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005 Carsten Reinemann und Marcus Maurer
Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit vielen unterschiedlichen Fragen: Wie haben die Kandidaten im TV-Duell 2005 argumentiert? Wie haben die Massenmedien vor und nach dem Duell darüber berichtet? Wie haben die Zuschauer das TV-Duell kurzfristig wahrgenommen? Welche Wirkungen hatte das Duell langfristig? In diesem Kapitel wollen wir einen knappen Überblick über die Forschungsfragen, die Anlage und die Methoden des Projekts geben. Wir schildern zunächst die Anlage der gesamten Studie und gehen dann auf ihre unterschiedlichen Teile ein. Den theoretischen Hintergrund und den Forschungsstand zu den einzelnen Elementen des Projekts deuten wir jeweils nur kurz an. Mehr Informationen dazu enthalten die jeweiligen Kapitel des Ergebnisteils. Bei der Konzeption des Studiendesigns gingen wir in Anlehnung an Kepplinger et al. (1994) von einem vierstufigen Modell des Prozesses der Wahrnehmung und Verarbeitung politischer Medienbotschaften aus. Dabei werden vier Phasen unterschieden: Vor einem TV-Duell bestehen bei den Rezipienten Prädispositionen in Form von Parteibindungen, Meinungen über die Kandidaten, politischem Wissen und Erwartungen an den Ausgang des TVDuells. Insbesondere die Erwartungen an TV-Duelle werden maßgeblich von der Vorberichterstattung der Massenmedien geprägt. Während eines TV-Duells prägen Prädispositionen und Erwartungen die unmittelbare Wahrnehmung der Kandidaten. Hierbei geht es darum, wie die Zuschauer spontan auf die Aussagen der Kandidaten, ihre Stimme, Gestik und Mimik usw. reagieren. Direkt nach einem TV-Duell beeinflussen einerseits die schon zuvor bestehenden Prädispositionen und Erwartungen, andererseits die Eindrücke während der Debatte die Meinungen über die Kandidaten, die Ansichten über Sieger und Verlierer, Wahlabsichten etc. In den Tagen nach einem TV-Duell nehmen dann die Nachberichterstattung der Medien sowie Gespräche mit Familie, Freunden und Kollegen Einfluss auf Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten der Zuschauer (Abbildung 1). Vor dem Hintergrund dieses Analysemodells standen drei wesentliche Fragekomplexe im Zentrum der Studie:
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
(1) Wie haben die Zuschauer des TV-Duells 2005 Angela Merkel und Gerhard Schröder spontan wahrgenommen und wie kann man diese Wahrnehmungen erklären? Hier ging es uns erstens um die Frage, wie die Zuschauer während des TVDuells auf die Kandidaten reagiert haben. Zweitens wollten wir wissen, welchen Einfluss Prädispositionen der Zuschauer einerseits und inhaltliche Elemente des TV-Duells andererseits auf die unmittelbaren Reaktionen der Zuschauer haben. Im Hinblick auf die Prädispositionen der Zuschauer erwarteten wir aufgrund der Forschungslage und unserer eigenen Studien zu den TV-Duellen 2002, dass der größte Einfluss auf die Wahrnehmung von der Parteibindung ausgehen würde. Zuschauer, die einer bestimmten Partei zuneigen, werden den Kandidaten dieser Partei positiver wahrnehmen als seinen Kontrahenten (z.B. Maier/Faas 2005; Maurer/Reinemann 2003). Im Hinblick auf die Merkmale des TV-Duells selbst stellte sich u.a. die Frage, wie verbale und nonverbale Elemente wirken und welcher der beiden Kandidaten, welche Themen und welche Typen von Aussagen besonders starke Reaktionen hervorgerufen haben. (2) Welche kurzfristigen Wirkungen hatte das TV-Duell 2005 auf die Vorstellungen, Meinungen und Wahlabsichten der Zuschauer? Hier ging es um die Frage, welche Einflüsse die unmittelbare Wahrnehmung der Zuschauer während des TV-Duells auf ihre Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten hatte, die direkt nach dem Ende der Debatte ermittelt wurden. Im Mittelpunkt des Interesses standen Urteile über den Ausgang des TV-Duells (Gewinner-Frage), Meinungen über die Kandidaten und Einschätzungen ihrer Persönlichkeitseigenschaften und Sachkompetenzen, Vorstellungen von der wirtschaftlichen und finanziellen Situation Deutschlands sowie Wahlabsichten. Außerdem sollte die Frage beantwortet werden, ob es zu Verschiebungen der Kriterien kommen würde, nach denen die Kandidaten beurteilt bzw. Wahlentscheidungen getroffen werden (Priming-Effekte). (3) Wie stabil waren die kurzfristigen Wirkungen des TV-Duells 2005? Hier ging es um die Frage, ob die direkt nach dem TV-Duell gemessenen Urteile bzw. die eventuellen Veränderungen von Meinungen, Vorstellungen und Wahlabsichten in den folgenden Tagen stabil blieben. Da in dieser Zeit auch Einflüsse der Nachberichterstattung der Medien wahrscheinlich waren, stellte sich in diesem Kontext auch die Frage, wie die Medien in den Tagen nach dem TV-Duell über dessen Ausgang und die Kandidaten insgesamt berichteten.
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Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
Abbildung 1: Vor einem TV-Duell Prädispositionen
× Ú Ø Erwartungen
×
Ein Prozessmodell der Wahrnehmung und Wirkung von TV-Duellen auf die Zuschauer
Ö
Während eines TV-Duells
Ö
Direkt nach einem TV-Duell
Ö
Einige Tage nach einem TV-Duell
Ö ÖÖÖÖÖÖ ÖÖÖÖÞÖÖÖÖÖÖÖÞ Þ Ø Ø unmittelbare Meinungen/ Meinungen/ Ö Vorstellungen Wahrnehmung Ö Vorstellungen Ü × × Ö ÖÖÖÖÖÖ Ö ÖÖÖÜÖÖÖÖÖÖÜ× ×
Medien
Medien / Gespräche
Quelle: Maurer/Reinemann (2003): 136.
1
Die Anlage der TV-Duell-Studie 2005 im Überblick
Um unsere Forschungsfragen zu beantworten, haben wir in einer komplexen Untersuchungsanlage verschiedene sozialwissenschaftliche Erhebungsmethoden kombiniert. Die Studie bestand – aufbauend auf den Erfahrungen der 2002 durchgeführten Studien (Maier/Faas 2003b; Maurer/Reinemann 2003) – im Wesentlichen aus zwei Teilen: Den Kern des Projekts bildete eine quasiexperimentelle Untersuchung der Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells auf die Zuschauer. Zudem haben wir das TV-Duell selbst, die Vor- und Nachberichterstattung von Printmedien und Fernsehnachrichten sowie die sich an die Debatte anschließenden Fernseh-Sondersendungen inhaltsanalytisch untersucht. Im Rahmen der quasi-experimentellen Untersuchung haben wir Befragungen von Zuschauern vor und nach dem TV-Duell mit einer Echtzeitmessung ihrer unmittelbaren Wahrnehmung der Kandidaten während des TV-Duells kombiniert. Die Befragungen und die Echtzeitmessung wurden dabei mit denselben Zuschauern durchgeführt (Panel-Design). Wir können also für jeden einzelnen unserer Probanden nachzeichnen, was er vor dem Duell gedacht hat, wie er die Kandidaten während der Debatte wahrgenommen hat, was er unmittelbar danach dachte und wie sich seine Einschätzungen in den Tagen danach entwickelten. Um einen Vergleich zwischen Zuschauern in den alten und den neuen Bundesländern zu ermöglichen, haben wir insgesamt 121 Probanden in Mainz und
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Jena rekrutiert. In Jena gab es zudem eine Kontrollgruppe, die das Duell gar nicht sah, aber dennoch vorher und nachher befragt wurde. Auf die entsprechenden Befunde werden wir jedoch hier aus Platzgründen nicht eingehen. Am Tag des TV-Duells wurden die Probanden zunächst befragt, unter anderem zu ihren politischen Einstellungen und ihren Meinungen von den Kandidaten. Später sahen die Teilnehmer das TV-Duell gemeinsam und live in Hörsälen der Universitäten auf Großbildleinwänden. Direkt nach Ende des Duells wurden die Teilnehmer erneut schriftlich befragt und dann noch einmal vier Tage später. Diese Befragung wurde postalisch durchgeführt, die Probanden bekamen den Fragebogen per Post und schickten ihn selbst zurück (Abbildung 2). Abbildung 2: Vor dem TV-Duell
Anlage der TV-Duell-Studie 2005
Ö
Während des TV-Duells
Ö
Direkt nach dem TV-Duell
Ö
Einige Tage nach dem TV-Duell
Ö
Befragung 3
Ö
TV und Presse
QUASI-EXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNG
Befragung 1
Ö
Echtzeitmessung (RTR)
Ö
Befragung 2
INHALTSANALYSEN
TV und Presse
2
Ö
TV-Duell
Ö
TVSondersendungen
Die quasi-experimentelle Untersuchung
Am Tag der Debatte, dem 4. September 2005, fanden sich die Teilnehmer etwa zweieinhalb Stunden vor dem TV-Duell in Räumlichkeiten der Universitäten ein. Etwa zwei Stunden vor Beginn der Debatte wurden die Test-Zuschauer schriftlich befragt. Insgesamt sollten sie 37 Fragen beantworten. Diese bezogen sich unter anderem auf ihre politischen Einstellungen und ihr politisches Wissen, ihre Vorstellungen von den Persönlichkeitseigenschaften und Sachkompetenzen der Kandidaten, ihr Interesse an Politik und der Bundestagswahl, ihre Siegeserwartung für die Bundestagswahl, ihre Wahlabsichten, ihre Erwartungen an das TV-Duell, ihre Mediennutzungsgewohnheiten, ihre Nutzung wahlbezo-
Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
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gener TV-Formate sowie verschiedene soziodemografische Merkmale (Alter, Geschlecht, formale Bildung). Um zu ermitteln, wie die Zuschauer die Kandidaten während des Duells wahrgenommen haben, haben wir ein Computer gestütztes Messverfahren angewandt. Es ermöglicht, die Reaktionen der Zuschauer in Echtzeit aufzuzeichnen und wird auch als Real-Time-Response-Messung (RTR) bezeichnet. Das System besteht zum einen aus 7-stufigen Drehreglern, von denen jeder TestZuschauer einen erhält (siehe Abbildung 3). Mit diesem Regler können die Probanden angeben, welchen Eindruck sie gerade im Moment von den Kandidaten haben. Die jeweilige Position des Reglers wird per Funk einmal pro Sekunde an einen zentralen Rechner übermittelt. Hier werden die Daten jedes TestZuschauers zusammen mit einem Timecode gespeichert. In der vorliegenden Studie liegen so für jeden Zuschauer 5.568 einzelne Messwerte vor. Sie erlauben es, die individuellen Reaktionen der einzelnen Probanden auf die Kandidaten während des TV-Duells sekundengenau nachzuzeichnen. Indem man die Zuschauer zu verschiedenen Gruppen zusammenfasst (z.B. nach ihrer Parteibindung), kann man später auch die Reaktionen dieser Zuschauergruppen vergleichen. Die Funktionsweise der Geräte wurde den Teilnehmern vor Beginn der Debatte ausführlich erläutert und anhand eines Ausschnitts aus einer politisch neutralen Talkshow so lange geübt, bis die Teilnehmer die Geräte intuitiv bedienen konnten. Vor dem TV-Duell erhielten die Probanden nochmals eine verbale Einweisung und eine ausführliche schriftliche Anweisung, auf der auch eine stilisierte Abbildung des Drehreglers und der Skalen-Belegung zu sehen war (siehe Abbildung 3). In der Anweisung wurden die Zuschauer gebeten, mit Hilfe der Geräte ihre subjektiven Eindrücke von der Debatte wiederzugeben. Die einleitenden Sätze der Anweisung lauteten: „Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Sie sehen gleich das Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel. Während des Duells bitten wir Sie, mit Hilfe des Drehreglers anzugeben, welchen Eindruck Sie gerade im Augenblick von der Debatte haben. Ihnen stehen dazu sieben verschiedene Positionen zur Verfügung. Die mittlere Position „4“ ist die Ausgangsposition und bedeutet, dass Sie von keinem der Kandidaten einen besseren oder schlechteren Eindruck haben. (...)“
Der Skalenmittelpunkt „4“ wurde also als neutraler Punkt definiert, den die Teilnehmer dann wählen sollten, wenn sie keinen besonders guten oder schlechten Eindruck von den Kandidaten hatten. Werte unter 4 sollten dann gewählt werden, wenn die Teilnehmer einen guten Eindruck von Schröder oder einen schlechten Eindruck von Merkel hatten. Werte über 4 bedeuteten dementspre-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
chend einen guten Eindruck von Merkel oder einen schlechten Eindruck von Schröder. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, ihr Urteil abzustufen. Die Extrempositionen (1 und 7) waren für einen äußerst guten oder schlechten Eindruck reserviert. Auf präzisere Anweisungen haben wir bewusst verzichtet, um das Untersuchungsziel – die Messung subjektiver, individueller Wahrnehmungen – nicht zu gefährden. Es wurde den Probanden also beispielsweise nicht gesagt, ob sie besonders auf verbale oder besonders auf nonverbale Elemente des TV-Duells achten sollen. Die Reliabilität und Validität der Echtzeit-Messung, der Anweisung an die Zuschauer und der Skalenbelegung des Drehreglers haben wir anhand zweier Studien zum zweiten TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2002 nachgewiesen (Reinemann et al. 2005; Maier et al. 2006). Wir können also davon ausgehen, dass unser Verfahren eine Messung der unmittelbaren Zuschauereindrücke liefert, die wissenschaftlichen Qualitätsansprüchen genügt. Abbildung 3:
Die Echtzeitmessung der Kandidatenwahrnehmung (RTR): Drehregler und Skalenbelegung
Im Augenblick ist mein Eindruck von der Debatte: Schröder ist gut oder Merkel ist schlecht
2 1
Merkel ist gut oder Schröder ist schlecht
neutral
3 4
5 6 7
Direkt im Anschluss an die Debatte wurden die Zuschauer erneut schriftlich befragt. Dabei haben wir darauf geachtet, dass sich die Probanden vor dem Ausfüllen des Fragebogens nicht miteinander unterhielten. So sollte sichergestellt werden, dass sich in der ersten Nachbefragung nur ihre subjektiven Eindrücke und individuellen Wahrnehmungen spiegeln – und nicht etwa bereits Wirkungen anschließender interpersonaler Kommunikation. Die Fragebögen
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waren weitgehend mit denen der Vorbefragung identisch. Nur die allgemeinen Angaben zur Mediennutzung und zu den soziodemografischen Merkmalen wurden nicht noch einmal erhoben. Außerdem wurde nach dem tatsächlichen Ausgangs des TV-Duells und dem tatsächlichen Verhalten der Kandidaten im Duell gefragt, nicht nach den entsprechenden Erwartungen. Die letzte der drei Befragungen wurde schriftlich durchgeführt. Die Probanden erhielten vier Tage nach dem TV-Duell einen weiteren Fragebogen und schickten diesen selbständig mit einem frankierten Rückumschlag zurück. Der Fragebogen war erneut weitgehend mit den vorherigen identisch. Hinzu kamen allerdings einige Fragen zur Nutzung der TV-Sondersendungen nach dem TVDuell, zur Nutzung von Medienberichten über die TV-Duelle in den Tagen danach, dazu, wie die Teilnehmer den Medientenor im Hinblick auf die Darstellung des Ausgangs des TV-Duells wahrgenommen haben, sowie zu Art und Intensität von Gesprächen über das TV-Duell. Die Rekrutierung der Teilnehmer für unsere quasi-experimentelle Studie erfolgte über redaktionelle Veröffentlichungen in regionalen Zeitungen in Mainz und Jena. In den Beiträgen wurde in allgemeiner Form darüber berichtet, dass die jeweiligen Universitäten eine Studie zum bevorstehenden TV-Duell planten. Am Ende der Artikel wurde zur Beteiligung an der Studie eingeladen und auf die Vergütung von 25 Euro hingewiesen. Da die Zahl der Probanden durch die zur Verfügung stehenden Messgeräte beschränkt war, musste unter allen Interessenten eine Auswahl getroffen werden. Dabei wurde ein Quotenverfahren angewandt: Da Parteipräferenzen die Wahrnehmung von TV-Duellen maßgeblich prägen, sollten vor allem die in den jeweiligen Städten vertretenen großen politischen Lager in etwa gleichem Umfang in den Stichproben repräsentiert sein. Dies bedeutete für Mainz, dass wir drei etwa gleich große Gruppen anstrebten: Anhänger der Bundesregierung (SPD, B90/Grüne), Anhänger der Parteien der Bundestagsopposition (CDU/CSU, FDP) sowie nicht an eine Partei gebundene Wähler. In Jena sollte neben den drei genannten eine vierte gleich große Gruppe von Anhängern der Linkspartei.PDS vertreten sein, um die dortigen politischen Präferenzen in etwa adäquat abzubilden. Neben der Vielfalt politischer Prädispositionen sollte außerdem Geschlechter, Altersstufen und Bildungsabschlüsse in etwa gleich verteilt sein. In Jena wurden außerdem nur Personen zugelassen, die vor dem Oktober 1989 in der damaligen DDR lebten. Die angestrebten Quoten wurden nicht exakt, aber in zufrieden stellender Weise erreicht. Im Folgenden wollen wir kurz die Struktur unserer Teilnehmergruppen in Jena und Mainz skizzieren (Tabelle 1). Außerdem ziehen wir Daten einer repräsentativen Befragung von TV-Duellschauern heran (Infratest Dimap 2005), um einen Ein-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
druck davon zu bekommen, wie sich unsere (nicht-repräsentative) Teilnehmergruppe von der Gesamtheit aller Zuschauer des TV-Duells unterschied: Betrachtet man die politischen Grundüberzeugen, dann waren 28 Prozent unserer Jenaer Teilnehmer Regierungsanhänger (SPD, B90/Grüne), 24 Prozent Oppositionsanhänger (CDU/CSU, FDP), 20 Prozent Anhänger der Linkspartei.PDS und 22 Prozent hatten keine Bindung an einer der Parteien. In Mainz rekrutierten sich 36 Prozent aus dem Regierungslager, 37 Prozent aus dem Oppositionslager und 27 Prozent hatten keine Parteibindung oder eine längerfristige Bindung an eine andere Partei. Damit war die angestrebte parteipolitische Quotierung in zufrieden stellender Weise erreicht. Unsere Teilnehmer waren dabei – ähnlich wie die Duell-Zuschauer insgesamt – stärker politisch interessiert als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Jeweils mehr als 60 Prozent gaben an, dass sie sich stark oder sehr stark für Politik interessierten. Betrachtet man die übrigen soziodemografischen Merkmale, so lag der Anteil der Frauen in Jena bei 49, in Mainz bei 40 Prozent. Im Vergleich zu allen TV-Duellzuschauern waren die Frauen in unserer Stichprobe damit in Mainz etwas unterrepräsentiert. Das Alter der Teilnehmer lag in Mainz im Durchschnitt etwas höher als in Jena (46 gegenüber 38 Jahren). Vergleicht man die Stärke der einzelnen Altersgruppen in unserer Stichprobe mit ihrer Repräsentanz unter allen TV-Duellzuschauern, so waren in Mainz die unter 40jährigen deutlich überrepräsentiert, die 40 bis 59jährigen in etwa ebenso stark unterrepräsentiert. Der Anteil der über 60jährigen entsprach in etwa dem unter allen TVDuellzuschauern. In Jena war ebenfalls die Gruppe der unter 40jährigen schwächer vertreten als unter allen Duellzuschauern, hier allerdings allein auf Kosten der über 60jährigen. Die mittlere Altersgruppe war in Jena dagegen etwa entsprechend ihrem Anteil an allen Duellzuschauern vertreten. Was die formale Bildung angeht, so war die Gruppe der Abiturienten bzw. Absolventen der 12. Klasse der erweiterten Oberschule noch etwas stärker als unter allen Duellzuschauer. Unterrepräsentiert waren vor allem Probanden mit den niedrigsten Bildungsabschlüssen. Die wichtigste Quelle politischer Information war für unsere Teilnehmer – wie für die Gesamtbevölkerung – das Fernsehen. Jeweils mehr als die Hälfte gab an, hier normalerweise sehr viel über Politik zu erfahren. Allerdings sagten auch jeweils mehr als 40 Prozent der Mainzer und Jenaer Probanden, dass sie viele politische Informationen aus Zeitungen bezögen. Dies entspricht der in Deutschland – z.B. im Vergleich zu den USA – noch immer sehr großen Bedeutung der Presse für die politische Meinungsbildung. Bemerkenswert ist zudem, dass für immerhin mehr als ein Drittel der Jenaer auch das Radio eine sehr wichtige Quelle politischer Information darstellte.
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Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
Tabelle 1: Merkmale der Studienteilnehmer in Jena und Mainz
Geschlecht Männer Frauen Alter 18-39 Jahre 40-59 Jahre 60 Jahre und älter Bildung Volks-/Hauptschule/POS 9. Kl. Mittlere Reife/POS 10. Kl. (Fach-)Abitur/EOS 12 Kl. Politisches Interesse Stark/sehr stark Parteiidentifikation SPD Bündnis 90/Die Grünen CDU/CSU FDP Die Linkspartei.PDS Keine / Keine Angabe Wichtigste Quellen politischer Information1 Fernsehen Zeitung Radio Regelmäßig genutzte Medien2 Allgemeine Zeitung Mainz Tagesschau (ARD) Ostthüringer Zeitung heute (ZDF) Gesehene TV-Auftritte der Kandidaten2 Merkel bei Sabine Christiansen Schröder bei Sabine Christiansen Merkel bei Berlin Mitte
Jena (n=49) %
Mainz (n=72) %
51 49
60 40
46 46 9
44 24 32
8 29 63
13 38 47
63
68
16 12 14 10 20 27
}28 }24
32 4 33 4 3 24
47 41 35
52 45 20
57 43 23
82 56 32
37 35 22
47 39 25
}36 }37
Anmerkungen: An 100 Prozent fehlende Werte: keine Angabe. 1 Teilnehmer, die aus einer Informationsquelle „sehr viel“ über Politik erfahren. Nur Quellen, die mindestens 30 Prozent der Teilnehmer in Jena oder Mainz nannten. 2 Medien und Sendungen, die von mindestens 30 Prozent der Teilnehmer in Mainz oder Jena täglich/fast täglich, wöchentlich/fast wöchentlich, immer/fast immer genutzt werden bzw. im Fall der TV-Auftritte der Kandidaten tatsächlich gesehen wurden.
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Das Medium, das die meisten unserer Mainzer Teilnehmer regelmäßig nutzten, war die Allgemeine Zeitung Mainz. Die Reichweite von 82 Prozent kann deshalb nicht verwundern, weil die Rekrutierung der Teilnehmer in Mainz allein über diese Zeitung lief. Da sich in Jena mehrere Zeitungen den Markt teilen und in diesen jeweils auch Hinweise auf die Studie erschienen, lag die höchste Reichweite unter den regionalen Tageszeitungen hier nur bei 43 Prozent (Ostthüringer Zeitung). Thüringer Landeszeitung (18%) und Thüringer Allgemeine (16%) erreichten jeweils weitere relevante Teile der Probandengruppe. Die bedeutendste Fernsehnachrichtensendung für unsere Teilnehmer war die Tagesschau. Jeweils mehr als die Hälfte der Teilnehmer sah sie zum Zeitpunkt der Studie täglich oder fast täglich. Alle anderen Medien erzielten eine weit geringere Reichweite. Nur einige TV-Nachrichtensendungen und politische TVMagazine sowie Sabine Christiansen und der Spiegel wurden regelmäßig von mehr als einem Viertel der Mainzer oder Jenaer Probanden genutzt. Nur sehr wenige unserer Test-Zuschauer waren Leser überregionaler Tageszeitungen. Insgesamt bezogen unsere Teilnehmer ihre alltägliche politische Information also vorwiegend aus den jeweiligen regionalen Abonnementzeitungen, den Fernsehnachrichten und dem Radio. Relativ viele unserer Teilnehmer hatten allerdings während des Wahlkampfs bereits die Chance genutzt, sich einen intensiveren Eindruck von Angela Merkel und Gerhard Schröder zu verschaffen. Jeweils etwa ein Viertel der Mainzer und der Jenaer hatte den Auftritt Merkels in Berlin Mitte gesehen, jeweils etwa ein Drittel das Interview Schröders bei Sabine Christiansen. Von den Jenaer Teilnehmern hatten sich knapp zwei Fünftel den Auftritt Angela Merkels bei Sabine Christiansen angeschaut, von den Mainzer Teilnehmern sogar fast die Hälfte.
3
Die Inhaltsanalysen
Neben unserer quasi-experimentellen Untersuchung der Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells haben wir auch die Inhalte des Duells und der Medienberichterstattung über das Duell untersucht. Wir haben hierzu quantitative Inhaltsanalysen durchgeführt. Die Inhaltsanalysen bilden in erster Linie die Grundlage für spätere Wirkungsanalysen: Die Inhalte des TV-Duells selbst sind die Basis für die Reaktionen der Zuschauer. Es ist deshalb wichtig zu wissen, welche Themen angesprochen wurden, wie die Kandidaten argumentiert haben und was über sie von ihrem Kontrahenten und den Moderatoren gesagt wurde. Auch die Vor- und Nachberichterstattung der Medien ist hier zunächst aus Wir-
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kungsgesichtspunkten von Interesse. Denn sie prägt die Erwartungen an das TVDuell und kann danach die Meinungen und Vorstellungen über dessen Ausgang verändern (im Überblick Maurer/Reinemann 2003: 35-37). Die inhaltsanalytische Untersuchung (Codierung) des TV-Duells, der TV-Sondersendungen und der Routineberichterstattung von Tagespresse und TV-Nachrichten wurde von vier geschulten studentischen Codiererinnen und Codierern in Mainz durchgeführt. Die Qualität der Codierung wurde durch intensive Codiererschulung, fortwährende Besprechungen während des Codierprozesses und Kontrollen der Codierung durch die Projektleiter sichergestellt. Die Inhaltsanalyse des TV-Duells Die Inhaltsanalyse des TV-Duells selbst hatte im Wesentlichen drei Ziele: Sie sollte erstens ermitteln, wie die beiden Kandidaten im Duell argumentiert haben. Welche Themen haben sie in den Mittelpunkt gerückt? Haben sie den Gegner angegriffen oder haben sie ihre eigenen Vorstellungen dargelegt? Welche rhetorischen Strategien haben sie eingesetzt? Sie sollte zweitens ermitteln, welches Bild die Kontrahenten und die Moderatoren von sich, den Parteien, den Sachthemen und der Lage im Land gezeichnet haben. Welcher Kandidat kam besser weg? Wie wurde die Lage bei wahlrelevanten Themen dargestellt? Waren die Moderatorinnen und Moderatoren parteiisch? Schließlich sollte sie drittens die nonverbale, visuelle Ebene des TV-Duells beschreiben. Hier ging es unter anderem um die Mimik und Gestik die Kandidaten, ob sie z.B. lächelten oder ernst waren, ob sie die Aussagen ihres Kontrahenten nonverbal kommentierten etc. Um die Inhalte des TV-Duells später auch mit den Wahrnehmungsdaten der Zuschauer verknüpfen zu können, haben wir für die Analyse der Debatte eine andere Herangehensweise gewählt als noch für die Analyse des Duells von 2002 (Maurer/Reinemann 2003). Während dort einzelne wertende Aussagen bzw. ganze Artikel die Basis der Auswertung darstellten, haben wir das Duell diesmal Sekunde für Sekunde analysiert. Wir haben also für jede Sekunde der Debatte unter anderem erhoben, wer gerade sprach, um welche Themen es ging, ob ein Kandidat, eine Partei, eine Sachposition oder Lage auf einem Politikfeld bewertet wurde, welche rhetorischen Stilmittel die Kandidaten verwendeten, wer im Bild zu sehen war usw. Die Inhaltsanalyse der Vor- und Nachberichterstattung der Medien Die Vor- und Nachberichterstattung der Medien haben wir zum einen anhand der Routineberichterstattung von sechs TV-Nachrichtensendungen, fünf überregionalen und fünf regionalen Tageszeitungen sowie drei Sonntagszeitungen untersucht. Die regionalen Tageszeitungen haben wir vor allem deshalb in die
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
Analyse einbezogen, weil sie für viele unserer Probanden in Mainz und Jena die Hauptinformationsquelle waren. Um die Vor- und Nachberichterstattung zum TV-Duell möglichst vollständig zu erfassen, haben wir den Zeitraum zwischen dem Donnerstag vor und dem Mittwoch nach dem TV-Duell berücksichtigt, also die Zeit vom 1. bis zum 7. September 2005. Wie schon 2002 fiel der weit überwiegende Teil der Berichterstattung auch 2005 tatsächlich in diese Tage. Im Detail analysiert wurden alle Beiträge, in denen Angela Merkel oder Gerhard Schröder vorkamen oder die sich mit dem TV-Duell beschäftigten. Dadurch, dass wir nicht nur die Beiträge zum TV-Duell selbst untersucht haben, können wir vergleichen, wie die Kandidaten im Kontext der Berichterstattung über das TV-Duell selbst und wie in anderen Kontexten dargestellt wurden. Für die einzelnen Beiträge wurde dann unter anderem erfasst, um welche Themen es ging, welche Erwartungen an den Ausgang des Duells vermittelt wurden und wie der Ausgang im Nachhinein beurteilt wurde. Außerdem wurden Urheber, thematische Kontexte und alle wertenden Urteile über die Kandidaten erfasst. Hier ging es unter anderem darum festzustellen, ob die Urteile über die Kandidaten und den Ausgang des TV-Duells von Journalisten, Politikern, Meinungsforschern oder einzelnen Duellzuschauern stammten und welche Position diese verschiedenen Urheber jeweils vertraten. Im Einzelnen waren folgende Sendungen und Zeitungen Gegenstand der Analyse: y TV-Nachrichtensendungen - Tagesschau (20 Uhr) - Tagesthemen - heute (19 Uhr) - heute-journal - RTL-aktuell - 18:30 SAT.1-Nachrichten
y Überregionale Tageszeitungen und Sonntagszeitungen - Bild / Bild am Sonntag - Frankfurter Allgemeine Zeitung / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - Frankfurter Rundschau - Süddeutsche Zeitung - Die Welt / Welt am Sonntag
y Regionale Tageszeitungen - Allgemeine Zeitung Mainz - Mainzer Rhein-Zeitung - Ostthüringer Zeitung - Thüringische Landeszeitung - Thüringer Allgemeine
Anlage und Methoden der TV-Duell-Studie 2005
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Neben der redaktionellen Routineberichterstattung haben wir auch die direkt im Anschluss an die Debatten ausgestrahlten Sondersendungen der vier Sender ARD, ZDF, RTL und SAT.1 in die Analyse einbezogen. Zwar konnten unsere Test-Zuschauer diese Sendungen nicht von Anfang an verfolgen. Wie sich später herausstellte, sah jedoch gut ein Drittel unserer Teilnehmer zumindest noch Teile dieser Sendungen, nachdem sie nach Hause gekommen waren. Von Bedeutung ist die Analyse der TV-Sondersendungen aber vor allem deshalb, weil sie sich in anderen Studien als wichtigster medialer Einflussfaktor auf die öffentliche Wahrnehmung des Duellausgangs erwiesen hat. Erfasst wurden deshalb die gleichen Merkmale wie in der Analyse der Routineberichterstattung. Bei den Sendungen handelte es sich um: y TV-Sondersendungen - ARD: Sabine Christiansen: Nach dem Duell: Wer hat gewonnen? - ZDF: ZDF spezial: Das Duell - SAT.1: Talk der Woche - RTL: Das TV-Duell
2.1
Themen, Argumente, rhetorische Strategien Die Inhalte des TV-Duells Marcus Maurer
Fernsehdebatten unterscheiden sich von der alltäglichen Politikberichterstattung der Massenmedien vor allem dadurch, dass sie den Kandidaten die Gelegenheit geben, ihre Standpunkte mehr oder weniger unbeeinflusst von journalistischen Eingriffen einer großen Zahl von Wählern zu übermitteln. Auch wenn ihnen die Fragen vorher nicht im Detail bekannt sind, können die beteiligten Politiker und ihre Berater sich überlegen, welche Botschaften sie im Laufe des Duells auf jeden Fall unterbringen, wie sie die Argumente des Gegners parieren und welche rhetorischen Strategien sie dabei anwenden wollen. In TV-Duellen haben die Kandidaten mit anderen Worten fast vollständig die Kontrolle über das, was die Wähler erfahren. Aus demokratietheoretischer Sicht hat dies sowohl Vor- als auch Nachteile. Der wesentliche Vorteil besteht darin, dass sich die Wähler ein eigenes Bild von den Kandidaten machen können, das nicht durch journalistische Selektionskriterien und Darstellungsweisen verfälscht wird. Der wesentliche Nachteil besteht darin, dass die Kandidaten dadurch dazu verleitet werden, die Wähler nicht über ihre – möglicherweise umstrittenen – Zukunftspläne zu informieren, sondern zu versuchen, sie mit Hilfe selektiver Präsentation von Fakten und manipulativer Rhetorik auf ihre Seite zu ziehen (z.B. Maurer/Reinemann 2006b). Eine wichtige Rolle kommt deshalb, wie bei allen politischen Diskussionsrunden, den Moderatoren zu (Carlin et al. 2001; Schultz 2006). Mit ihren Fragen können sie steuern, wer zu Wort kommt und zu welchen Sachthemen oder Personen die Kandidaten Stellung nehmen. Mit ihrer Gesprächsleitung können sie Diskussionen zwischen den Kandidaten ermuntern oder verhindern. Durch ihre Nachfragen können sie die Kandidaten dazu bewegen, konkreter zu antworten oder Fakten richtig zu stellen. Bei aller Kontrolle der Kandidaten über ihre verbalen Botschaften sollte man nicht übersehen, dass ihre Kontrolle über die visuellen Eindrücke, die sie hinterlassen, deutlich geringer ist. Zwar werden die Kamera-Perspektiven in Fernsehdebatten in der Regel reglementiert. Allerdings bleibt es dem Regisseur überlassen, welche er jeweils wählt. So sind Gestik und Mimik der Kandidaten für die Zuschauer oft gar nicht erkennbar, weil die Regie gerade eine zu nahe oder zu
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Marcus Maurer
weite Kameraeinstellung gewählt hat. Zudem wechseln in vielen DuellÜbertragungen Einstellungen, in denen nur der jeweils sprechende Kandidat gezeigt wird, und solche, in denen auch sein zuhörender Kontrahent zu sehen ist. Der jeweils Zuhörende hat folglich keinerlei Einfluss darauf, ob seine positiven oder negativen Reaktionen auf das Gesagte für die Zuschauer erkennbar sind oder nicht. Aus diesen grundsätzlichen Vorüberlegungen lassen sich die zentralen Forschungsfragen dieses Kapitels ableiten. Wir wollen erstens wissen, wie die Kandidaten ihre Redezeit genutzt haben: Über welche Themen haben sie gesprochen? Haben sie ihre eigenen Leistungen herausgestellt oder den Gegner kritisiert? Wie konkret haben sie ihre politischen Ziele präsentiert? Welche rhetorischen Stilmittel haben sie dabei verwendet? Zweitens wollen wir aber auch wissen, wie die Kandidaten präsentiert wurden: Kamen beide gleich lang zu Wort? Waren beide gleich häufig im Bild? Welche Kameraeinstellungen wurden jeweils gewählt? Haben die Moderatoren einen der Kandidaten bevorzugt? Bevor wir diese und weitere Fragen beantworten, wollen wir kurz auf die Ergebnisse der bisherigen Forschung zu den Inhalten von Fernsehdebatten eingehen.
1
Debatteninhalte: Ein Forschungsüberblick
Mit den Inhalten von Fernsehdebatten haben sich bislang weit weniger Untersuchungen beschäftigt als mit ihren Wirkungen. Dennoch lassen sich einige zentrale Forschungsfragen ausmachen, die in mehreren Studien untersucht wurden: Unter dem Gesichtspunkt der Ausgewogenheit beschäftigen sich einige Inhaltsanalysen mit der Frage, ob die Teilnehmer an Fernsehdebatten gleich häufig bzw. gleich lang zu Wort kommen. Bei TV-Duellen nach amerikanischem Vorbild ist dies in der Regel schon deshalb der Fall, weil die Redezeiten reglementiert und die Moderatoren dazu angehalten werden, beiden Kandidaten gleiches Rederecht einzuräumen. Wie die Kandidaten ihre Redezeit nutzen, bleibt allerdings ihnen überlassen. So hatte Willy Brandt in der Fernsehdiskussion vor der Bundestagswahl 1972 zwar die mit Abstand längsten Redeanteile, allerdings nur deshalb, weil er so langsam sprach (Weiß 1976). In den TV-Duellen 2002 kamen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber fast gleich lang zu Wort (Tapper/Quandt 2003). Allerdings brachte Stoiber in dieser Zeit deutlich mehr Aussagen unter als Schröder (Maurer/Reinemann 2003: 66ff.; Müller 2003). Die Themen einer Fernsehdebatte werden einerseits von den Sendern vorgegeben. Je nach Anzahl und Länge der Duelle werden mehrere thematische
Die Inhalte des TV-Duells
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Blöcke gebildet, zu denen den Kandidaten Fragen gestellt werden. Andererseits können die Kandidaten eigene thematische Akzente setzen, indem sie das Thema wechseln, wie z.B. Edmund Stoiber, der im zweiten Duell vor der Bundestagswahl 2002 bei jeder mehr oder weniger passenden Gelegenheit auf die schlechte Lage am Arbeitsmarkt zu sprechen kam. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Frage, ob es in Fernsehdebatten vorwiegend um Sachthemen geht, oder vor allem um die Kandidaten: ihre Fähigkeiten, ihre Koalitionsmöglichkeiten oder ihr Privatleben. Zwar kann man annehmen, dass TV-Duelle alleine durch die Präsenz der Kandidaten die Personalisierung der Politik fördern (siehe Kapitel 3.2). Die Diskussionen in den deutschen Wahlkampfdebatten waren in der Vergangenheit aber meist von Sachthemen bestimmt. Eine Ausnahme bildete die Diskussionsrunde vor der Bundestagswahl 1980, in der es – in Folge der SPD-Kampagne gegen Franz Josef Strauß – in erheblichem Maße um politische Moral und Fairness im Wahlkampf ging (Schrott 1990). Im ersten Duell 2002, das von den Privatsendern RTL und SAT.1 übertragen wurde, spielte vor allem das Privatleben des Kanzlers eine relativ große Rolle, so dass die Persönlichkeit der Kandidaten zu einem der wichtigsten Themen des Duells wurde. Im zweiten Duell wurde dann zwar relativ häufig über mögliche Koalitionen nach der Wahl gesprochen, ansonsten dominierten aber eindeutig Sachthemen (Medien Tenor 2002; Tapper/Quandt 2003). Ähnliche Befunde liegen auch für die USA vor. So zeigen Benoit et al., dass die Diskussionen in den amerikanischen Fernsehdebatten deutlich weniger personalisiert und deutlich eher sachthemenorientiert sind als z.B. Wahlwerbespots (Benoit et. al 2002). Welche Sachthemen jeweils diskutiert werden, hängt von der aktuellen Themenlage ab. Betrachtet man die bisherigen Fernsehdiskussionen in Deutschland, zeigt sich allerdings, dass in der Regel Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Steuer- und Außenpolitik dominieren (Schrott 1990; Maurer/Reinemann 2003: 67; Müller 2003). Eine vergleichsweise häufig untersuchte Frage ist, welche argumentativen Strategien die Teilnehmer in Fernsehdebatten verfolgen. Hier kann man beispielsweise zwischen einer Angriffsstrategie, bei der der jeweilige Gegenkandidat und seine Politik kritisiert werden, und einer Leistungsbilanzstrategie, bei der die eigenen Leistungen hervorgehoben werden, unterscheiden. Welche Strategie gewählt wird, hängt vor allem von der Rolle des Kandidaten als Amtsinhaber oder Herausforderer ab. Während die Amtsinhaber eher eigene Leistungen herausstreichen, greifen die Herausforderer ihr Gegenüber an. Dies zeigte sich z.B. auch in den beiden TV-Duellen im Bundestagswahlkampf 2002. Während sich Schröder vor allem positiv über die eigenen Leistungen äußerte, kritisierte Stoiber die Politik der amtierenden Regierung (Maurer/Reinemann 2003: 69f.; Müller 2003). Allerdings bietet sich eine Angriffsstrategie auch für den
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Marcus Maurer
Kandidaten an, der im Wahlkampf zurückliegt. Es ist also durchaus denkbar, dass ein zurückliegender Amtsinhaber den Herausforderer attackiert. Schließlich hängt die Entscheidung für oder gegen eine Angriffsstrategie auch vom Format der Sendung ab: In Diskussionsrunden greifen sich die Teilnehmer seltener gegenseitig an als in Formaten, in denen sie abwechselnd Fragen gestellt bekommen. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Fragen, die den Kandidaten von den Moderatoren gestellt werden, häufig Angriffe auf den Gegner herausfordern (Carlin et al. 2001). Eine dritte Kandidaten-Strategie kann darin bestehen, den Zuschauern zu erläutern, welche Maßnahmen und Entscheidungen sie im Falle eines Wahlsieges treffen wollen. Dies ist nicht nur aus Sicht der Wähler wünschenswert, sondern auch eine der in amerikanischen Debatten am häufigsten angewandte Strategie (Benoit et al. 2002). Auch in den TV-Duellen 2002 war etwa die Hälfte aller Aussagen der Kandidaten Handlungsankündigungen (Maurer/Reinemann 2003: 69). Deutlich seltener wurden die rhetorischen Strategien der DebattenTeilnehmer untersucht. Hier geht es z.B. darum, ob die Kandidaten vor allem rationale Argumente oder emotionale Appelle verwenden, um die Zuschauer auf ihre Seite zu ziehen. Analysen der amerikanischen Fernsehdebatten zwischen 1960 und 1988 (Levasseur/Dean 1996) zeigen, dass die Kandidaten relativ selten Evidenzen in Form von statistischen Fakten anführten. Etwas häufiger kamen Evidenzen in Form von Verweisen auf vergangene Entscheidungen oder Leistungen vor. Äußerst selten wurden Zitate von Autoritäten als Evidenzen verwendet. Andere Untersuchungen zeigen, dass emotionale Appelle, z.B. Appelle an gesellschaftliche Wertvorstellungen (Gordon/Miller 2004) oder humorvolle Appelle (Smith/Voth 2002) in Fernsehdebatten eine zentrale Rolle spielen. Schließlich legen einzelne Untersuchungen den Schluss nahe, dass die Teilnehmer an Fernsehdebatten dazu neigen, vage und unkonkret zu bleiben, wenn sie über ihre Zukunftspläne sprechen (Medien Tenor 2002) und häufig nicht auf die gestellten Fragen zu antworten (Müller 2003; Tapper/Quandt 2003). Systematische Analysen zur Verwendung unterschiedlicher rhetorischer Strategien in Fernsehdebatten fehlen bislang allerdings – obwohl ihre unterschiedlichen Wirkungen bereits gut dokumentiert sind (Maurer/Reinemann 2003: 92ff.). Relativ wenige Inhaltsanalysen beschäftigen sich auch mit der visuellen Präsentation der Kandidaten in Fernsehdebatten. Einige ältere amerikanische Studien legen den Schluss nahe, dass die Kandidaten zumindest in einigen Debatten ungleich präsentiert wurden. So wurde in den Duellen zwischen Carter und Ford 1976 Carter häufiger aus günstigen Kameraperspektiven gezeigt. Zugleich hatte er häufiger Augenkontakt zum Publikum (Tiemens 1978). Eine Langzeitanalyse der Debatten 1976, 1984 und 1988 (Morello 1988; 1992) zeigt,
Die Inhalte des TV-Duells
37
dass die Duell-Übertragungen im Zeitverlauf immer schnellere Kamerawechsel beinhalteten und mit diesem Stilmittel häufig Konfrontationen zwischen den Kandidaten suggeriert wurden, die im verbalen Schlagabtausch nicht vorhanden waren. Von den Fernsehduellen im Bundestagswahlkampf 2002 ist lediglich bekannt, dass Stoiber in beiden Duellen deutlich häufiger allein im Bild zu sehen war als Schröder (Medien Tenor 2002). Fasst man diese Befunde zusammen, lässt sich festhalten, dass über die Inhalte von Fernsehdebatten weit weniger bekannt ist, als angesichts der Bedeutung des Themas zu erwarten wäre. Wir haben deshalb eine detaillierte Inhaltsanalyse des Fernsehduells zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel durchgeführt, die die Rede- und Bildanteile der Kandidaten, die Themenstruktur, die Argumentationsstrategien der Kandidaten, die rhetorischen Stilmittel, die sie verwendet haben, die Kameraperspektiven und vieles mehr sekundengenau erfasst (für eine detaillierte Beschreibung der Methode vgl. Kapitel 1.2). Im folgenden Abschnitt wollen wir die wichtigsten Ergebnisse präsentieren.
2
Die Kandidaten in Wort und Bild
Bevor Peter Kloeppel kurz vor Ende des Duells Kanzler Schröder zu seinem Schlusswort aufrief, warf er noch einmal einen Blick auf die Stoppuhr und konstatierte, erstaunlicherweise seien beide Kandidaten fast auf die Sekunde gleich lang zu Wort gekommen. Unsere Analysen bestätigen diese Behauptung weitestgehend. Nach unseren Berechnungen, bei denen wir nicht nur die von den Moderatoren zugeteilte Redezeit, sondern auch die Zwischeneinwürfe der Kandidaten berücksichtigt haben, sprach Angela Merkel (2302 Sekunden) etwas länger als Gerhard Schröder (2281 Sekunden). Die Moderatoren kamen zwischen 206 (Kloeppel) und 275 (Christiansen) Sekunden zu Wort. Auf beide Kandidaten entfielen somit 41 Prozent der Redezeit, auf die Moderatoren jeweils 4-5 Prozent.1 Zwei Kameraeinstellungen dominierten während des Duells: Eindeutig am häufigsten war diejenige, in der einer der beiden Kandidaten alleine zu sehen war. Schröder war dabei etwas länger (2057 Sekunden) alleine zu sehen als 1 Unsere Ergebnisse weichen leicht von denen einer anderen Redezeit-Analyse des Duells ab (Tapper/Quandt 2006). Dies ist darauf zurückzuführen, dass dort, wenn mehrere Personen gleichzeitig gesprochen haben, Redeanteile für alle erfasst wurden. Wir dagegen haben aus Gründen späterer Wirkungsanalysen in solchen Situationen immer nur einen Redner erfasst, nämlich denjenigen, der am besten zu verstehen war und deshalb vermutlich die stärksten Eindrücke bei den Zuschauern hinterlassen hat.
38
Marcus Maurer
Merkel (1982 Sekunden). Dies entspricht 37 bzw. 36 Prozent der Duelldauer. Weitaus seltener wurden beide Kandidaten gemeinsam gezeigt. In der Regel geschah dies durch Einstellungen, in denen einer der beiden im Vordergrund von (schräg) hinten zu sehen war, während der andere im Hintergrund frontal und dominierend erkennbar war. Diese Einstellungen machten 737 Sekunden des Duells aus, wobei jeweils fast genau in der Hälfte der Fälle Schröder bzw. Merkel im Vorder- bzw. Hintergrund zu sehen waren (je 7% der Duelldauer). In 592 Sekunden waren einer oder mehrere der Moderatoren zu sehen. Hinzu kamen wenige Sekunden, in denen entweder alle sechs Beteiligten (175), nur die beiden Kandidaten gleichberechtigt von vorne (17) oder Schröder und einer der Moderatoren (8) zu sehen waren. In der Regel war im Verlauf des Duells nur derjenige zu sehen, der sprach. Schröder war zu 81 Prozent seiner Redezeit alleine im Bild, Merkel zu 79 Prozent. Waren beide gemeinsam im Bild, wurde allerdings fast immer der Sprecher mit dem Rücken zur Kamera gezeigt, während Gestik und Mimik des Zuhörenden für die Zuschauer gut erkennbar waren. Diese Einstellung wurde etwas häufiger gewählt, wenn Merkel sprach, als wenn Schröder sprach (286 vs. 259 Sekunden). Schröder hatte folglich häufiger die Gelegenheit, Merkels Ausführungen für die Zuschauer gut sichtbar visuell zu kommentieren als umgekehrt. Einstellungen, in denen der sprechende Kandidat überhaupt nicht zu sehen war, kamen praktisch nicht vor (bei beiden Kandidaten jeweils 3%). Zusammenfassend kann man folglich festhalten, dass durch die Redezeit und die Kameraeinstellungen keiner der beiden Kandidaten wesentlich bevorzugt oder benachteiligt wurde.
3
Die Themen des Duells
Formal hatten die ausrichtenden Sender das Duell in 11 unterschiedlich lange Abschnitte aufgeteilt, an denen sich die Fragen der Moderatoren orientierten. Nach den Eingangsstatements der Kandidaten ging es zunächst um die Benzinpreise und die Ökosteuer, anschließend wurde die Steuerpolitik diskutiert, zunächst mit dem Schwerpunkt des Kirchhof-Modells, dann anhand der von der Union geplanten Mehrwertsteuererhöhung. Danach folgten Themenblöcke zum Arbeitsmarkt, zur Gentechnik, zur Rentenpolitik, zur Frauen- und Familienpolitik, zum Hurrikan Katrina, der kurz zuvor weite Teile von New Orleans zerstört hatte, zur EU und dem EU-Beitritt der Türkei, zur Energiepolitik und den Energiepreisen sowie zu möglichen Koalitionen nach der Wahl. Am Ende standen die Schlussstatements der beiden Kandidaten.
Die Inhalte des TV-Duells
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Unsere sekundengenaue Analyse erlaubt allerdings eine deutlich differenziertere Betrachtung. Tatsächlich haben die Kandidaten häufig das Thema gewechselt und Themen angesprochen, auf die die Fragen der Moderatoren gar nicht abzielten. Das am längsten diskutierte Sachthema war die Steuerpolitik. Hier ging es vorrangig um die Reform der Einkommenssteuer. Etwas kürzer wurden die Themen Arbeitsmarkt (Entwicklung der Arbeitslosenzahlen), Außenpolitik (EU-Beitritt der Türkei) und Sozial- und Gesundheitspolitik behandelt. Relativ ausführlich wurde auch die Energie- und Umweltpolitik thematisiert. Hier ging es vor allem um die Energiepreise. Insgesamt diskutierten die Teilnehmer rund 70 Prozent der Duellzeit über Sachthemen. In etwa 20 Prozent der Zeit ging es um Persönliches. Hier wurde z.B. über den UnionsSteuerexperten Paul Kirchhof und seine Familie diskutiert – nicht über seine Steuerpläne. Auch Schröders Frau Doris und die Ansichten, die sie kurz zuvor in einem Interview über Frau Merkel geäußert hatte, waren länger Gegenstand der Diskussion. Hinzu kamen Gespräche über die allgemeinen politischen Fähigkeiten der Kandidaten und ihre Unterstützung in den eigenen Reihen. In 10 Prozent der Duellzeit war kein Thema erkennbar (Tabelle 1). Tabelle 1 zeigt auch, dass sich die Themenschwerpunkte der Kandidaten und Moderatoren durchaus unterschieden. Auffallend ist vor allem, dass die Moderatoren in ihren Fragen deutlich häufiger auf Persönliches und Koalitionsfragen abzielten als die Kandidaten in ihren Antworten. Dies spricht dafür, dass es den Politikern eher um die Sache ging, während die Moderatoren eher versuchten, Unpolitisches und Wahlkampfgeplänkel in den Vordergrund zu rücken.2 Auf der anderen Seite haben die Kandidaten aber auch Themen in die Diskussion eingebracht, nach denen die Moderatoren kaum oder gar nicht gefragt haben. Das galt vor allem für die Bildungs-, aber auch für die Wirtschaftpolitik. Schließlich lassen sich Unterschiede in den Themenprioritäten der beiden Kandidaten ausmachen. Beide Kandidaten haben – so gut es ging – versucht, für sie unangenehme Themen zu meiden und angenehme Themen anzusprechen. So sprach Merkel häufiger als Schröder über Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, während Schröder mehrmals ohne erkennbaren Anlass auf den IrakKrieg zu sprechen kam (Außenpolitik). Beide Kandidaten wechselten allerdings 2
Der Befund, dass in den Fragen der Moderatoren überdurchschnittlich häufig kein Thema erkennbar war, ist dagegen ein Artefakt. Wir haben mit der Themencodierung jeweils erst in der Sekunde begonnen, in der das Thema erkennbar war, und nicht „rückwirkend“ codiert. Somit konnte in der Regel in den ersten Sekunden der Moderatorenfragen noch kein Thema codiert werden. In den ersten Sekunden der Antworten der Kandidaten wurde dagegen das Thema der vorausgegangenen Frage codiert. Grund für diese Art der Codierung sind wiederum unsere Wirkungsanalysen: Wir haben jeweils das Thema codiert, von dem die Zuschauer den Eindruck haben mussten, dass es gerade diskutiert wird.
40
Marcus Maurer
weitaus seltener das Thema, als es Edmund Stoiber im zweiten Duell 2002 mit dem wiederholten Rekurrieren auf den Arbeitsmarkt tat. Tabelle 1:
Die Themen des Duells Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Steuern
15
Arbeitsmarkt
9
15
9
14
12
12
10
Außenpolitik
12
9
6
10
Sozial-/Gesundheitspolitik
11
9
9
10
Energie/Umwelt
9
7
6
7
Familien-/Frauenpolitik
2
7
4
5
Wirtschaft
4
5
2
4
Bildung/Forschung
6
3
x
4
Staatsschulden
3
2
1
3
Koalitionsbildung
1
2
6
2
sonstige Sachthemen
3
2
1
3
Kein Sachthema
19
18
25
19
Kein Thema erkennbar
6
9
19
10
100
100
100
101
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39) x = Wert < 0,5 Prozent
Betrachtet man die Aussagen der Kandidaten genauer, verfestigt sich der Eindruck, dass das Duell relativ sachorientiert war. In jeweils etwa der Hälfte ihrer Redezeit diskutierten Schröder und Merkel über ihre inhaltlichen Positionen. In je etwa einem Fünftel ging es um die Lage des Landes bei verschiedenen Themen, z.B. die Lage am Arbeitsmarkt oder den Zustand des Steuersystems. Über die Kompetenz der Kandidaten ging es in etwa zehn Prozent der Zeit. Nur in fünf Prozent wurde die Persönlichkeit der Kandidaten oder anderer Personen diskutiert (Tabelle 2).
Die Inhalte des TV-Duells
Tabelle 2:
41
Diskussionsgegenstände im Duell Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Inhaltliche Position
51
50
32
47
Lage des Landes
22
20
13
19
Politische Kompetenz
10
11
12
11
Persönlichkeit
6
3
4
4
Sonstiges
5
7
19
8
Kein Gegenstand erkennbar
7
9
19
11
101
100
99
100
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
4
Die Argumentationsstrategien der Kandidaten
Das Duell zwischen Schröder und Merkel entsprach der klassischen Konstellation der meisten Fernsehdebatten: Dem langjährigen Amtsinhaber stand eine erst seit kurzem als Kandidatin feststehende Herausforderin gegenüber. Deshalb konnte man erwarten, dass Merkel angreifen und Schröder seine Politik der letzten Jahre verteidigen würde – ganz so, wie es bereits 2002 ablief, wenn auch mit geringem Erfolg für den damaligen Herausforderer Stoiber. Andererseits lag Schröders Partei in den Wahlumfragen noch weiter zurück als drei Jahre zuvor. Ein Wahlsieg der Union galt vielen als so sicher, dass sie in Merkel bereits eine Art gefühlte Kanzlerin sahen. Folglich könnte aus Schröders Sicht eine reine Verteidigung seiner Politik auch zu wenig sein, um das Ruder noch herumzureißen. Merkel musste dagegen aufpassen, nicht in eine Art Amtsinhaber-Rolle zu geraten, in der sie ihre politischen Vorschläge für die Zukunft bereits jetzt verteidigen musste. Wie die Kandidaten dieses Problem gelöst haben, werden wir im folgenden Abschnitt untersuchen. Zunächst wollen wir die Frage beantworten, über wen die Kandidaten im Duell vor allem gesprochen haben: über sich, ihr eigenes politisches Lager und ihre Ziele, oder über den politischen Gegner und dessen Ziele. Der Übersichtlichkeit halber haben wir dabei alle Politiker und Parteien des damaligen Regierungslagers (SPD und B90/Grüne) und alle
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Marcus Maurer
Politiker und Parteien des damaligen Oppositionslagers (CDU/CSU und FDP) zusammengefasst. Die Aussagen über die beiden kleineren Parteien fallen allerdings kaum ins Gewicht. Um sie ging es im Duell jeweils nur etwa 30 Sekunden. Die Analysen zum Selbst- und Fremdbezug in den Aussagen der Kandidaten zeigen, dass sowohl Schröder als auch Merkel häufiger über ihr eigenes politisches Lager gesprochen haben als über das gegnerische. Noch überraschender ist, dass dies für die Herausforderin wesentlich stärker galt als für den Amtsinhaber. Merkel nutzte mehr als ein Drittel (36%) ihrer Redezeit zur Präsentation eigener Vorschläge oder zur Herausstellung eigener Kompetenzen auf den verschiedenen Themenfeldern. Bei Schröder war es weniger als ein Viertel (24%). Beide Kandidaten sprachen dabei etwas häufiger über sich selbst als über ihre Partei. Für Schröder galt dies stärker als für Merkel. Relativ lange haben beide Kandidaten auch über die Lage auf den verschiedenen Politikfeldern und über die Wünsche und Interessen der Bevölkerung („…das interessiert die Bürgerinnen und Bürger nun wirklich…“) gesprochen. Bemerkenswerter Weise haben sich die Fragen der Moderatoren etwas ausführlicher mit Merkel und der damaligen Opposition als mit Schröder und der damaligen Regierung beschäftigt. Auch insgesamt war das Duell folglich stärker von Diskussionen über Merkel und ihre Partei als von Diskussionen über Schröder und seine Partei geprägt (Tabelle 3). Tabelle 3:
Selbstbezug und Fremdbezug in den Aussagen der Kandidaten
Aussagen über…
Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Regierungslager (rot-grün)
24
13
22
19
Opposition (schwarz-gelb)
19
36
28
28
Bevölkerung
13
19
14
16
Lage auf einem Politikfeld
21
19
10
18
Sonstige Objekte
14
6
16
11
kein Objekt erkennbar
8
7
10
8
100
100
100
100
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
Die Inhalte des TV-Duells
43
Diese erste Analyse deutet darauf hin, dass Schröder so argumentiert hat, wie wir es als typisch für einen Amtsinhaber beschrieben hatten. Merkel dagegen hat als Herausforderin ebenfalls wie ein Amtsinhaber argumentiert – sogar noch wesentlich stärker als Schröder. Dies bestätigen auch die Analysen der Tendenz der Aussagen der Kandidaten: Während etwa der Hälfte des Duells wiesen die Aussagen der Kandidaten und Moderatoren keine erkennbare Tendenz auf. Allerdings äußerten sich alle am Duell Beteiligten in der übrigen Zeit häufiger negativ als positiv. Am negativsten äußerten sich die vier Moderatoren, die sich praktisch überhaupt nicht zu positiven Aussagen durchringen konnten. Am wenigsten negativ äußerte sich Angela Merkel. Statt Schröder und seine Partei fortwährend anzugreifen, wie es Herausforderer in der Regel tun, verwendete Merkel einen beachtlichen Teil ihrer Redezeit auf eine positive Selbstdarstellung (Tabelle 4). Tabelle 4:
Tendenz der Aussagen der Duellteilnehmer Schröder (n=2281) %
Merkel (n=2302) %
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
Negativ
28
25
35
28
Ambivalent
5
4
1
4
Positiv
20
18
4
17
keine Tendenz erkennbar
48
53
60
52
Summe
101
100
100
101
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
Dies wird noch deutlicher, wenn man sich die Aussagen über die Kandidaten im Duell näher betrachtet. Zunächst einmal ist erkennbar, dass im Duell deutlich länger über Merkel (766 Sekunden) als über Schröder (678 Sekunden) gesprochen wurde. Zudem wird deutlich, dass sich die Tendenz der Darstellung der beiden Kandidaten praktisch nicht unterschied: Beide wurden in etwa einem Drittel der Zeit, in der über sie gesprochen wurde, negativ charakterisiert. In nur einem Zehntel der Zeit war die Darstellung positiv (Tabelle 5). Bemerkenswert werden diese Befunde erst im Vergleich: Im zweiten TV-Duell 2002 war Schröder mehr als doppelt so oft Gegenstand der Diskussion wie Stoiber. Dessen Darstellung war insgesamt fast ausgewogen, weil er sich selbst öfter lobte und
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Marcus Maurer
Schröder kaum über ihn sprach. Schröder dagegen wurde fast ausschließlich negativ charakterisiert, weil er auch kaum über sich selbst sprach und von Stoiber unablässig angegriffen wurde (Maurer/Reinemann 2003: 70). Tabelle 5:
Tendenz der Aussagen über die Kandidaten im Duell
Negativ
Schröder (n=678)
Merkel (n=766)
%
%
32
35
Ambivalent
4
3
Positiv
11
13
keine Tendenz erkennbar
53
50
Summe
100
101
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells
Was waren nun die Quellen der Bewertung der Kandidaten im Duell 2005? Beide Kandidaten wurden von den Moderatoren fast ausschließlich kritisiert. Für Merkel galt dies noch etwas stärker als für Schröder. Betrachtet man die Kritik der Kandidaten aneinander, zeigt sich erneut ein unerwartetes Bild: Schröder hat Merkel häufiger kritisiert als umgekehrt. Während Schröder, wenn er über Merkel sprach, in 69 Prozent der Zeit ein negatives Bild von ihr vermittelte, waren es umgekehrt nur 54 Prozent. Zudem sprach Schröder auch deutlich länger über Merkel als umgekehrt (247 vs. 191 Sekunden). Bemerkenswert ist zudem, dass sich Schröder auch selbst länger kritisiert als gelobt hat – auch wenn das Plus an Selbstkritik nur zwei Prozent betrug. Die Tatsache, dass Merkel im Duell nur etwas schlechter wegkam als Schröder, lag allein daran, dass sie sich relativ oft selbst gelobt hat. Abschließend wollen wir noch einen Blick auf den Handlungsbezug der Kandidatenaussagen werfen. Hier geht es erstens darum, ob die Kandidaten vor allem vergangenheits- oder zukunftsbezogen argumentiert haben. Zweitens geht es darum, wie konkret die zukunftsbezogenen Aussagen der Kandidaten waren. Wir haben dabei zwischen Handlungsankündigungen (Zukunftspläne der Parteien), Handlungsaufforderungen (Aufforderungen, in der Regel an den Kontrahenten, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen) und Handlungsbilanzen (Diskussion vergangener Leistungen) unterschieden. Die Handlungsankündigungen ha-
Die Inhalte des TV-Duells
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ben wir noch einmal danach unterschieden, wie konkret sie geäußert wurden: Als sehr konkret haben wir eine Handlungsankündigung codiert, wenn die Aussagen den größtmöglichen Informationsgehalt enthielten und für die Wähler keine Fragen offen blieben („Wir wollen die Mehrwertsteuer um zwei Prozent erhöhen“). Als weniger konkret haben wir eine Handlungsankündigung codiert, wenn lediglich ein politisches Ziel genannt wurde, über das man geteilter Meinung sein kann, ohne dass aber erläutert würde, wie es erreicht werden soll („Wir wollen die Steuern senken“). Als unkonkret bzw. vage haben wir eine Handlungsankündigung codiert, wenn Ziele formuliert wurden, die keine politischen Richtungsentscheidungen darstellen, z.B. weil ihre Verwirklichung von nahezu allen Parteien und Wählern geradezu selbstverständlich als positiv betrachtet wird („Wir wollen ein gerechtes Steuersystem“). Wenn man davon ausgeht, dass den Zuschauern konkrete Aussagen über die Maßnahmen, die die Parteien im Falle eines Wahlsieges ergreifen wollen, am ehesten bei ihrer Wahlentscheidung helfen, war das Duell wenig ergiebig. Gerade einmal in zwei Prozent der Duelldauer wurden solche konkreten Pläne genannt. Überhaupt machten Handlungsankündigungen insgesamt nur sieben Prozent des Duells aus. Das ist umso erstaunlicher, als das Duell ja eigentlich den Kandidaten die Möglichkeit geben soll, über ihre politischen Ziele zu sprechen. Deutlich häufiger ging es im Duell aber um die Vergangenheit. 16 Prozent der Duellzeit wurde über die Bilanzen der Parteien und Kandidaten diskutiert. Auch dies ist für die Wähler eine vergleichsweise hilfreiche Information – zumindest dann, wenn man davon ausgeht, dass daraus Rückschlüsse über zukünftige Leistungen möglich sind. In mehr als drei Vierteln des Duells (76%) erhielten die Wähler allerdings überhaupt keine derartigen Informationen. Vergleicht man die Argumentationsstrategien der beiden Kandidaten, wird deutlich, dass Schröder noch wesentlich vergangenheitsbezogener argumentiert hat als Merkel. Lediglich vier Prozent seiner Redezeit nutzte er für Handlungsankündigungen. Bei Merkel waren es immerhin 12 Prozent. Umgekehrt führte Schröder (20%) häufiger Bilanzen an als Merkel (15%) und forderte sie häufiger zum Handeln auf – gerade so, als sei sie bereits Kanzlerin. Er bilanzierte dabei vor allem seine eigenen Leistungen, die Lage des Landes – worin man eine Art indirekte Bilanz der eigenen Leistungen sehen kann – und gelegentlich auch die Leistungen der Regierung Kohl. Selbst seine konkreten Handlungsankündigungen, die insgesamt nur 49 Sekunden in Anspruch nahmen, waren überwiegend Ankündigungen von (vermeintlichen) Unions-Plänen. So erklärte er beispielsweise das Steuermodell Paul Kirchhofs ausführlich, um es anschließend zu diskreditieren. Die Zuschauer erfuhren im Duell folglich kaum etwas über Schröders Pläne für die kommende Legislaturperiode. Merkel sprach dagegen
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Marcus Maurer
fast ausschließlich über ihre eigenen Ziele (z.B. Steuerkonzept der Union, Festhalten an der Kernenergie, Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei) und bilanzierte die vergangenen Leistungen Schröders ähnlich häufig wie ihre eigenen. Auch in diesem Punkt nahm sie folglich nur teilweise die klassische Herausforderer-Rolle ein (Tabelle 6). Tabelle 6:
Handlungsbezug in den Aussagen der Duellteilnehmer Schröder (n=2281) %
Handlungsankündigung sehr konkret weniger konkret unkonkret/vage
Merkel (n=2302) %
2 2 x
3 5 4
Moderatoren (n=946) %
Gesamt (n=5529) %
x 3 -
2 3 2
Handlungsaufforderung
4
x
-
2
Handlungsbilanz
20
15
8
16
kein Handlungsbezug
72
73
89
76
100
100
100
101
Summe
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39) x = Wert < 0,5 Prozent
5
Die rhetorischen Stilmittel im Duell
Wir wollen uns in diesem Abschnitt auf drei rhetorische Stilmittel konzentrieren, von denen wir in unseren Analysen des zweiten TV-Duells zwischen Schröder und Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002 (Maurer/Reinemann 2003) festgestellt hatten, dass sie einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Kandidaten durch die Zuschauer haben. Im ersten Schritt wollen wir vergleichend untersuchen, wie häufig die Kandidaten Evidenzen (z.B. Zahlenbelege, Zitate von Autoritäten, historische Belege) und emotionale Appelle verwendet haben. Erstere sprechen für eine eher rationale Argumentation, weil es darum geht, das, was man sagt, mit Fakten anzureichern oder zu begründen. Letztere sprechen für eine eher emotionale Argumentation, weil es darum geht, bei den Wählern bestimmte positive (z.B. Stolz, Zusammengehörigkeitsgefühl) oder
Die Inhalte des TV-Duells
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negative (z.B. Angst, Neid) Gefühle auszulösen. Unsere Analysen hatten ergeben, dass emotionale Appelle weitaus positivere Wirkungen auf die Rezipienten haben als Evidenzen. Im zweiten Schritt beschäftigen wir uns dann mit der Verwendung von Gemeinplätzen. Wir knüpfen damit an unsere Analysen aus dem vorangegangenen Abschnitt an, in dem wir bereits die Verwendung von vagen Handlungsankündigungen untersucht haben. Da vage, floskelhafte Aussagen, die wir hier als Gemeinplätze bezeichnen wollen, selbstverständlich auch in anderen Zusammenhängen vorkommen können, wollen wir dies hier gesondert untersuchen. Beide Kandidaten haben im Duell häufiger emotionale Appelle verwendet als Evidenzen. Dabei benutzte Schröder (17% seiner Redezeit) häufiger Evidenzen als Merkel (11%). Zugleich verwendete er aber auch häufiger emotionale Appelle (22 vs. 17%). Wenn Evidenzen verwendet wurden, waren es vor allem Zahlenbelege – Arbeitslosenzahlen, Steuertarife, Wirtschaftsdaten usw. Relativ häufig kamen auch so genannte historische Belege vor. Hierunter fallen vor allem Verweise auf vergangene Entscheidungen oder Ereignisse („Sie haben doch damals mitregiert“). Relativ selten verwendeten die Kandidaten Zitate oder Referate von Autoritäten, um ihre Behauptungen zu stützen. Allerdings taten dies die Moderatoren umso öfter. Sie zitierten in ihren Fragen vor allem kontroverse Interview-Aussagen von Politikern wie Paul Kirchhof oder Joschka Fischer. Wenn emotionale Appelle verwendet wurden, waren es meist negative Appelle. Für Merkel galt dies noch deutlich stärker als für Schröder. Zumindest in diesem Punkt agierte Merkel wie eine Herausforderin. Mehrmals versuchte sie, den Zuschauern durch drastische Schilderungen der aus ihrer Sicht negativen Regierungsbilanz Schröders Angst vor weiteren vier Jahren Rot-Grün zu machen. Schröder konterte dies zwar mit ähnlichen Einwürfen, beispielsweise im Zusammenhang mit Kirchhofs Steuerplänen, appellierte zugleich aber häufiger als Merkel auch an positive Emotionen. Die vier Moderatoren verwendeten dagegen kaum positive Appelle. Während Schröder häufiger Evidenzen und emotionale Appelle verwendete, benutzte Merkel häufiger Gemeinplätze, also Sätze, denen im Grunde genommen niemand widersprechen kann, weil sie quasi selbstverständlich sind. In rund einem Fünftel ihrer Redezeit argumentierte Merkel auf diese Weise. Bei Schröder war es weniger als ein Zehntel. Dabei war bei Merkel – nicht aber bei Schröder – ein starker Zusammenhang zwischen der Verwendung von Gemeinplätzen und einer positiven Aussagetendenz zu beobachten. Merkel benutzte Gemeinplätze vor allem dann, wenn sie über ihre eigene Position sprach („Wir wollen nach innen, dass wir Vorfahrt für Arbeit haben, dass wir sagen: sozial ist, was Arbeit schafft, dass unsere Kinder eine bessere Zukunft haben“).
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Marcus Maurer
Tabelle 7:
Rhetorische Stilmittel in den Aussagen der Duellteilnehmer Schröder (n=2281) sec
Merkel (n=2302) sec
Evidenzen Zahlenbeleg Zitat/Referat Historischer Beleg
256 33 92
144 35 81
73 100 17
473 168 190
Emotionale Appelle positiv negativ
232 278
121 267
3 75
356 620
Gemeinplätze
192
441
16
649
Moderatoren (n=946) sec
Gesamt (n=5529) sec
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells; ohne Sekunden, in denen niemand sprach (n=39)
6
Das nonverbale Verhalten der Kandidaten
Wir haben im ersten Abschnitt dieses Kapitels bereits gezeigt, dass Schröder rund anderthalb Minuten länger alleine im Bild war als Merkel. Zudem war er etwa eine halbe Minute länger im Hintergrund zu sehen, während Merkel sprach, als umgekehrt. Wir wollen in diesem Abschnitt abschließend untersuchen, wie die Kandidaten sich verhalten haben, während sie im Bild zu sehen waren. Dabei soll es darum gehen, ob sie Blickkontakt zu den Zuschauern aufgenommen haben, ob sie gestikuliert haben und ob sie die Aussagen des Kontrahenten nonverbal kommentiert haben, wenn sie mit ihm gemeinsam im Bild waren. Glaubt man der Legende, hat Richard Nixon die Fernsehdebatten im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1960 gegen John F. Kennedy unter anderem deshalb verloren, weil er bei seinen Statements Kennedy ansah, als wolle er ihn überzeugen. Kennedy dagegen sah in die Kamera, so dass es für die Fernsehzuschauer so aussah, als ob er sich direkt an sie wenden würde. Auch wenn es sich dabei zweifellos um einen Mythos handelt (Maurer/Reinemann 2007), wollen wir uns hier zunächst mit derselben Frage befassen. Wir beschränken uns dabei auf die Einstellungen, in denen der jeweils sprechende Kandidat alleine – in der Regel im Porträt – im Bild zu sehen war. Die Analysen zeigen, dass beide Kandidaten relativ selten und vor allem während ihrer
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Schlussstatements direkt in die Kamera schauten. Merkel tat dies allerdings doppelt so lange wie Schröder (153 vs. 76 Sekunden). Etwas häufiger sahen beide während ihrer Statements den jeweiligen Kontrahenten an. Auch dies tat Merkel länger als Schröder (205 vs. 164 Sekunden). Wesentlich häufiger blickten Merkel (547 Sekunden) und Schröder (796 Sekunden) knapp an der Kamera vorbei. Am häufigsten schließlich hatten beide Kandidaten weder mit dem Kontrahenten noch mit den Zuschauern Blickkontakt. Das galt für Merkel (960 Sekunden) erneut etwas länger als für Schröder (900 Sekunden). Die Erklärung für diese Befunde ist relativ einfach: Beide Kandidaten sahen in der Regel mehr oder weniger automatisch den Moderator an, der ihnen die letzte Frage gestellt hatte – ganz so wie es die Höflichkeit gebietet. Saß derjenige halbwegs in der Linie der Kamera, sah der antwortende Kandidat nur knapp, andernfalls deutlich an der Kamera vorbei. Bei der Analyse der Gestik der Kandidaten haben wir grob zwischen einer offenen und einer geschlossenen Gestik unterschieden, wobei man allgemein davon ausgeht, dass eine offene Gestik (z.B. sichtbare Handflächen) von den Zuschauern als positiver wahrgenommen wird. Unsere Daten zeigen deutliche Unterschiede in der Gestik der beiden Kandidaten. Waren die Kandidaten alleine im Bild, waren bei Schröder wesentlich häufiger Gesten erkennbar als bei Merkel. Während Schröder in genau der Hälfte der Zeit, in der er zu sehen war, gestikulierte, tat Merkel dies nur in weniger als einem Drittel der Zeit. Wenn die Gestik der Kandidaten zu sehen war, war sie bei beiden zu etwa 55 Prozent offen. Die Tatsache, dass vergleichsweise selten Gesten Merkels erkennbar waren, muss aber nicht heißen, dass sie nicht gestikuliert hat. Es kann auch heißen, dass sich ihre Gestik unterhalb des Kameraausschnitts abgespielt hat. Hierfür spricht, dass in den Einstellungen, in denen beide Kandidaten gemeinsam aus größerer Distanz zu sehen waren, deutlich mehr Gesten erkennbar waren. Bei Merkel war dies in fast zwei Dritteln, bei Schröder sogar in fast drei Vierteln der Zeit der Fall. Die Kameraeinstellungen, bei denen der zuhörende Kandidat im Hintergrund zu sehen ist, während der andere spricht, geben den Duellteilnehmern die Gelegenheit, die Aussagen des jeweiligen Kontrahenten nonverbal zu kommentieren. Sie sind somit eine Art zusätzliche „Redezeit“, in der man seiner Zustimmung oder Missbilligung Ausdruck verleihen kann, ohne den Kontrahenten unterbrechen zu müssen. Wir haben unterschiedliche nonverbale Reaktionen des zuhörenden Kandidaten erfasst, die wir hier der Einfachheit halber zu zustimmenden und ablehnenden Reaktionen zusammenfassen wollen. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass Schröder diese Gelegenheit etwas häufiger erhielt, weil die entsprechende Kameraeinstellung häufiger gewählt wurde, wenn
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Marcus Maurer
Merkel sprach (286 vs. 259 Sekunden). Darüber hinaus nutzte Schröder diese Gelegenheit aber auch häufiger. In 118 Sekunden (41% der entsprechenden Einstellungen) kommentierte er Merkels Aussagen nonverbal. Umgekehrt waren es nur 94 Sekunden (36%). Die Befunde für die nonverbalen Reaktionen der Kandidaten gleichen dabei auf verblüffende Weise denen für ihre verbalen Argumentationsstrategien: Insgesamt überwogen die ablehnenden Reaktionen bei beiden Kandidaten eindeutig. Allerdings war Merkel wiederum diejenige, die mit Schröder zumindest etwas weniger kritisch umging als umgekehrt. Immerhin 8 Sekunden länger als umgekehrt kommentierte sie Schröders Ausführungen mit Kopfnicken oder ähnlichen zustimmenden Gesten. Schröder war dagegen 32 Sekunden länger als Merkel mit ablehnender Gestik oder Mimik zu sehen (Tabelle 8). Tabelle 8:
Nonverbale Kommentare der Kandidaten Schröder spricht/ Merkel kommentiert nonverbal (n=259) sec 17
Merkel spricht/ Schröder kommentiert nonverbal (n=286) sec 9
Ablehnend
77
109
Keine Reaktion
165
168
Nonverbale Reaktion Zustimmend
Basis: Sekundengenaue Analyse des Duells
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Zusammenfassung und Diskussion
Wir haben uns in diesem Kapitel mit den Inhalten des Duells beschäftigt. Dazu haben wir eine sekundengenaue Inhaltanalyse des verbalen und nonverbalen Geschehens in den etwas mehr als 90 Duellminuten durchgeführt. Das wichtigste Ergebnis aus formaler Sicht ist, dass beide Kandidaten im Duell im Großen und Ganzen gleich behandelt wurden. Während Merkel etwa eine halbe Minute länger sprach, war Schröder etwa zwei Minuten länger im Bild zu sehen. Die unterschiedlichen Kameraeinstellungen verteilten sich etwa gleich auf die beiden Kandidaten. Allerdings war Schröder etwas öfter zu sehen, während Merkel sprach als umgekehrt. Er hatte folglich etwas länger die Gelegenheit, Merkels Ausführungen nonverbal zu kommentieren. Auch von den vier Moderatoren
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wurden beide Kandidaten in etwa gleich behandelt – beide wurden fast ausschließlich kritisiert. Die Schwerpunktthemen des Duells waren Steuern, Arbeitsmarkt und Außenpolitik – Themen, die sich aufgrund der aktuellen Ereignislage angeboten hatten und auch in der Vergangenheit häufig in Fernsehdebatten diskutiert wurden. Das Duell wurde eindeutig von Sachthemen dominiert, Persönliches spielte nur eine untergeordnete Rolle. Das heißt aber nicht, dass die Zuschauer umfassend über die politischen Ziele der beiden Kandidaten oder gar über im Falle eines Wahlsiegs geplante Maßnahmen informiert worden wären. Im Gegenteil: Das Duell war von Diskussionen um vergangene Leistungen und Kritik der Kandidaten aneinander geprägt. Statt klar zu sagen, welche Maßnahmen sie im Falle eines Wahlsieges ergreifen wollen, flüchteten die Kandidaten sich bei der Diskussion um ihre politischen Positionen häufig in vage Formulierungen („Wir müssen…“ oder „Die Menschen wollen…“ anstelle von „Wir werden…“). Vor allem über Schröders Pläne für die kommende Legislaturperiode erfuhren die Zuschauer praktisch nichts – ein Befund, der in ähnlicher Form im gesamten Wahlkampf zu beobachten war (Maurer 2007a). Aus Sicht der Kandidaten ist dies eine durchaus vernünftige Strategie, weil sie sich auf diese Weise nicht angreifbar machen. Aus Sicht der Wähler ist es jedoch wenig hilfreich. Auf der anderen Seite bestätigen sich die Ergebnisse amerikanischer Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Fernsehdebatten zumindest mehr Informationen enthalten als andere Mittel der Wahlkampfkommunikation, z.B. Wahlwerbespots im Fernsehen: Schröder und Merkel verwendeten im Duell fast ebenso häufig Evidenzen wie emotionale Appelle. Die Wähler wurden zudem relativ häufig über die Lage des Landes unterrichtet – auch wenn beide Kandidaten sie freilich sehr unterschiedlich darstellten. Wahlwerbespots haben einen weitaus geringeren Informationsgehalt. Sie drehen sich seltener um Sachthemen, enthalten noch mehr vage Gemeinplätze und deutlich mehr emotionale Appelle als Evidenzen. Anders als in den USA waren die Wahlspots in den vergangenen Bundestagswahlkämpfen jedoch deutlich weniger negativ als die Aussagen der Kandidaten im Duell (Maurer 2007b). Der bemerkenswerteste Befund dieses Kapitels ist allerdings, dass das Duell 2005 völlig anders ablief als die Duelle zwischen Schröder und Stoiber drei Jahre zuvor. Merkel trat nicht im Entferntesten wie eine Herausforderin auf, sondern wie die eigentliche Amtsinhaberin: Sie sprach wesentlich häufiger über sich und ihre Partei als über Schröders Regierungsbilanz. Sie kritisierte Schröder weniger stark, als er das umgekehrt tat. Sie kommentierte Schröders Ausführungen visuell weniger negativ als umgekehrt. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass Merkel im Gegensatz zu Stoiber 2002 und den meisten Herausforde-
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rern in Fernsehdebatten keine Angriffsstrategie gewählt hat. Dies mag einerseits geplant gewesen sein. Möglicherweise hatte die Union als einen der Gründe für Stoibers damaliges Scheitern seine unablässigen Angriffe auf Schröder ausgemacht. Nicht ohne Grund: Kritik am Gegner polarisiert die Zuschauer, weil sie die Anhänger des Gegners nicht überzeugt, sondern noch stärker hinter ihm versammelt (Reinemann/Maurer 2005; siehe auch Kapitel 2.2). Auf der anderen Seite mag Merkel jedoch auch unfreiwillig in die Amtsinhaber-Rolle geraten sein. Im gesamten Wahlkampf war die Union von vielen bereits als kommende Regierungspartei betrachtet worden. Dementsprechend ging es auch in den Massenmedien fast ausschließlich um deren Pläne für die kommende Regierungsperiode. Was Schröder und die SPD wollten, interessierte dagegen kaum. In ähnlicher Weise, wenn auch weniger deutlich, drehte sich das Duell häufiger um Merkel und die Union als um Schröder und die SPD. Das lag nicht nur daran, dass Merkel weniger angriff, sondern auch daran, dass die Moderatoren häufiger Fragen zur Unionspolitik stellten und Schröder deutlich häufiger, als es Amtsinhaber üblicherweise tun, Merkel und ihre Politik thematisiert hat. Insgesamt ist das Duell folglich ausgesprochen untypisch verlaufen. Welcher der beiden Kandidaten hiervon stärker profitiert hat, werden wir in den folgenden Kapiteln untersuchen.
2.2
Populistisch und unkonkret Die unmittelbare Wahrnehmung des TV-Duells Carsten Reinemann und Marcus Maurer
Welche Aussagen in einem TV-Duell am besten ankommen, ist eine der zentralen, aber empirisch eher selten untersuchten Fragen der Debattenforschung. Dies ist umso verwunderlicher, als Spekulationen über die „entscheidenden Stellen“ einer Fernsehdebatte zum Standardrepertoire der Nachberichterstattung gehören. Nicht selten werden sogar Sieg und Niederlage in einem TV-Duell an einzelnen Statements der Kandidaten festgemacht (Maurer/Reinemann 2007). Auch nach dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder wurde über die Wirkung einzelner Aussagen und die Wahrnehmungen der Zuschauer spekuliert: So war man sich einig, dass die ersten 20 Minuten der Debatte „langweilig“, die steuerpolitischen Diskussionen für die Zuschauer „zu kompliziert“ gewesen seien. Und in manchen Medien wurden die möglichen Wirkungen von Gerhard Schröders „Liebeserklärung“ ausführlich diskutiert (siehe Kapitel 4.1). Allerdings zeigen die wenigen vorliegenden Studien, dass Journalisten und Experten ein TV-Duell zuweilen ganz anders wahrnehmen als der „normale“ Duellzuschauer zuhause vor dem Fernseher (z.B. Steeper 1978; Lang/Lang 1979; Lemert et al. 1991). Die Gründe für diese Differenzen sind vielfältig und werden an anderer Stelle ausführlich diskutiert. Auch Eindrücke von „Experten“ sind also zunächst einmal subjektiv und sagen kaum etwas darüber aus, wie die Kandidaten von den Zuschauern wirklich wahrgenommen werden. Dies wollen wir in diesem Kapitel für das TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel detailliert untersuchen. Wir bedienen uns dabei einer Echtzeit-Messung, der Zuschauerreaktionen (siehe Kapitel 1.2).
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Die unmittelbare Wahrnehmung von TV-Duellen: Bisherige Befunde
Die unmittelbaren Reaktionen auf eine medial vermittelte Botschaft hängen stets von Merkmalen der Rezipienten und der Botschaft ab. Auf der Rezipientenseite bestimmen sowohl längerfristig stabile als auch kurzfristig variable Faktoren die Verarbeitung und Wirkung politischer Botschaften. Zu den eher stabilen Cha-
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
rakteristika zählen u.a. Parteibindungen, politisches Vorwissen und politisches Interesse. Zu den weniger stabilen Faktoren zählt die Aufmerksamkeit, die einer Medienbotschaft entgegen gebracht wird. Hohe Aufmerksamkeit führt beispielsweise dazu, dass Botschaften intensiver verarbeitet werden und verbale Elemente sowie die Qualität von Argumenten eine größere Rolle spielen. Geringere Aufmerksamkeit dagegen führt dazu, dass beispielsweise nonverbale Signale, die Glaubwürdigkeit einer Quelle oder die schlichte Zahl von Argumenten stärker ins Gewicht fallen (z.B. Eveland et al. 2003). Auf Seiten der politischen Botschaft beeinflussen formale und inhaltliche Merkmale die Wahrnehmung der Rezipienten. Zu den formalen zählen z.B. Länge bzw. Umfang einer Botschaft, die Schnittfolge bei audiovisuellen oder das Layout bei gedruckten Informationen. Zu den inhaltlichen Charakteristika gehören verbale und nonverbale Elemente (z.B. Gestik und Mimik). Beide können das Thema einer Botschaft oder Bewertungen von Sachverhalten und Personen vermitteln (z.B. Kepplinger 2002). Für eine Erklärung von Wirkungen politischer Kommunikation muss man also immer beide Seiten berücksichtigen: Rezipienten und Botschaften. Welche Merkmale von Rezipienten und Botschaften für die Wahrnehmung von TVDuellen besonders wichtig sind, wollen wir nun kurz skizzieren: Auf der Rezipientenseite wird die unmittelbare Wahrnehmung der Kandidaten während eines TV-Duells stark von den vorherigen politischen Einstellungen beeinflusst. Vor allem die Parteiidentifikation, also die längerfristige Bindung an eine Partei, hat eine große Erklärungskraft. Zuschauer nehmen den Kandidaten ihrer Partei oder Koalition in der Regel positiver wahr als den Kandidaten eines anderen politischen Lagers (z.B. Maurer/Reinemann 2003; Faas/Maier 2004; Jarman 2005). Allerdings kann die Parteiidentifikation nicht vollständig erklären, wie die Zuschauer während eines Duells auf die einzelnen Aussagen der Kandidaten reagieren, wen sie nachher für den Sieger halten oder aus welchen Aussagen sie etwas Neues lernen. Vielmehr hat auch das, was Kandidaten und Journalisten tatsächlich sagen, wie sie aufeinander reagieren und interagieren, einen Einfluss auf die unmittelbaren Wahrnehmungen der Zuschauer: So hat sich gezeigt, dass selbst die Anhänger eines Kandidaten nicht alle seine Aussagen gleich überzeugend finden, sondern von manchen stärker beeindruckt sind als von anderen. Außerdem kann ein Kandidat auch die Anhänger seines Gegners beeindrucken, wenn er rhetorisch geschickt ist oder die richtigen Themen trifft. Schließlich gibt es immer mehr Wahlberechtigte, die sich gar keiner Partei fest verbunden fühlen und sich gerade deshalb von einem TV-Duell eine Hilfe für ihre Wahlentscheidung erhoffen. Für sie spielt eine parteipolitische Brille als Wahrnehmungsfilter natürlich gar keine Rolle (Rei-
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nemann/Maurer 2005). Um herauszufinden, welche Botschafts-Elemente eines TV-Duells die Zuschauer am meisten beeindrucken, haben wir bereits 2002 eine Echtzeitmessung von Zuschauerreaktionen durchgeführt (RTR-Messung) (Maurer/Reinemann 2003; 2006b; Reinemann/Maurer 2005). Unsere damaligen Befunde lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Erstens haben die Kandidaten die Zuschauer 2002 vor allem mit Worten überzeugt. Die verbale Ebene der Debatte war dominant, visuelle Eindrücke dagegen weniger wichtig. Eine TV-Debatte ist also eine für die massenmediale politische Kommunikation über das Fernsehen eher untypische Situation. Fernsehnachrichten werden oft eher nebenbei genutzt, was dazu führt, dass visuelle Informationen für die Informationsverarbeitung und Eindrucksbildung der Zuschauer sehr wichtig sind (z.B. Kepplinger/Maurer 2005). TV-Duelle verfolgen die Zuschauer dagegen offenbar mit recht hoher Aufmerksamkeit. Viele versprechen sich eine Hilfe für die Wahlentscheidung, andere wollen anderntags mitreden, wenn das TV-Ereignis des Jahres diskutiert wird (Dehm 2005). Diese untypisch hohe Aufmerksamkeit erklärt vermutlich, warum die verbale Ebene hier stärker in den Vordergrund tritt als bei der normalen Fernsehnutzung (Reinemann/Maurer 2005). Damit stehen unsere Befunde im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht, wonach vor allem nonverbale Elemente TV-Duelle entscheiden, weil sie sachlich ohnehin nichts Neues brächten (dazu Druckman 2003; Maurer/Reinemann 2007; anders Maier/Faas 2004; Faas/Maier 2004b). Zweitens waren die Kandidaten unter Zuschauern aller politischen Lager besonders mit Statements erfolgreich, in denen sie ihre Ziele und Absichten darstellten. Allerdings formulierten sie dabei nicht etwa konkrete Vorhaben und politische Alternativen. Vielmehr sprachen sie hier Fragen an, bei denen sich die Zuschauer schon vor Beginn der Debatte weitgehend einig waren, oder sie drückten sich sehr allgemein und vage aus. Nicht selten handelte es sich um das, was wir als „zustimmungspflichtige Gemeinplätze“ bezeichnet haben. Dass politische Akteure vor allem in der Wahlkampfkommunikation bewusst abstrakte und unkonkrete Aussagen einsetzen, um ein möglichst breites Spektrum von Wählern anzusprechen, haben bereits andere Studien gezeigt (z.B. Conover/Feldman 1989; Waldman/Jamieson 2003). Dass diese Strategie offenbar tatsächlich aufgeht, konnten wir mit unserer Echtzeit-Analyse auch empirisch nachweisen. Daneben führten in einigen Fällen auch Personalisierung und Emotionalisierung zu positiven Reaktionen über alle politischen Lager hinweg. Drittens polarisierten die Kandidaten vor allem mit solchen Aussagen, in denen sie ihren Kontrahenten angriffen. Während die Anhänger der Kandidaten solche Attacken positiv aufnahmen, ernteten sie bei den Anhängern des Gegners Ablehnung. Auch auf die ungebundenen Wähler machten viele dieser Angriffe
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Carsten Reinemann/Marcus Maurer
keinen guten Eindruck. Führten die Kandidaten zur Unterstützung ihrer Angriffe Belege in Form von Zahlen und Fakten an, wurde die Ablehnung durch die Anhänger des politischen Gegners sogar eher noch stärker. Dies war vor allem bei Aussagen zur Wirtschaftslage und zur Arbeitsmarktsituation der Fall. Dabei spielte es keine Rolle, ob die genannten Fakten richtig oder falsch waren. Dass man mit Kritik und harten Fakten unentschlossene Wähler und Anhänger des Gegners nicht beeindruckt, darauf deuten auch andere Studien hin. Auch sie zeigen, dass Argumente mit Fakten und statistischen Informationen, die gegen einen politischen Akteur sprechen, von seinen Anhängern noch negativer bewertet werden als Argumente, die ohne solche Evidenzen auskommen (z.B. Levasseur/Dean 1996; Slater/Rouner 1996; Meffert et al. 2006). Viertens differenzierten die Duell-Zuschauer in der Regel nicht zwischen unkonkreten oder unwahren Aussagen einerseits und substantiellen oder konkreten Aussagen andererseits. In der Intensität der Zustimmung bzw. Ablehnung unterschieden sich die Reaktionen der Zuschauer auf die beiden Aussagetypen nicht systematisch. Auch hatten sie einen gleich hohen Einfluss auf die Ansichten über den Ausgang des Duells. Es war also nicht so, dass die Zuschauer Gemeinplätze, übertriebene Emotionalisierungen oder irreführende Darstellungen von Fakten als solche erkannten und sich in ihrer Urteilsbildung primär auf politische Substanz und schlagkräftige Argumente stützten. Vielmehr konnten die Kandidaten mit beiden Arten von Aussagen gleichermaßen punkten (Reinemann/Maurer 2005). Wir werden im Folgenden untersuchen, ob sich diese Befunde auch für die TV-Debatte im Bundestagswahlkampf 2005 bestätigen.
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Die Wahrnehmung des TV-Duells in Mainz und Jena im Vergleich
Wie wurden die Kandidaten nun während des Duells wahrgenommen? Und welche Unterschiede gab es zwischen Mainz und Jena? Wie reagierten die Anhänger der verschiedenen politischen Lager? Wie die ungebundenen Wähler? Um diese Fragen zu beantworten, werden wir in einem ersten Schritt einen Überblick über die Gesamtwahrnehmung des TV-Duells durch die Zuschauer in Mainz und Jena geben. Dabei werden wir vergleichen, welchen Eindruck die Kandidaten während der verschiedenen Themenblöcke machten, welche Statements zu den größten Differenzen zwischen den Mainzer und den Jenaer Zuschauern führten und welchen Einfluss die Parteibindungen auf die Wahrnehmung der Kontrahenten hatten. Im zweiten Schritt der Analyse werden wir die einzelnen Stellen identifizieren, an denen die Kandidaten die Zuschauer insgesamt, die Anhänger ihres jeweils eigenen Lagers bzw. die nicht an eine Partei
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gebundenen Zuschauer am stärksten beeindruckten. Der dritte Schritt wird darin bestehen, die Stellen zu identifizieren, an denen die Kandidaten die Anhänger der verschiedenen politischen Lager polarisierten, an denen Gegner und Anhänger eines Kandidaten also ganz unterschiedlich reagierten. Im vierten Schritt werden wir erfolgreiche und polarisierende Stellen vergleichen, um zu klären, wieso sie die heftigsten Reaktionen ausgelöst haben. Wir haben den Ablauf unserer Studie und die Funktionsweise unserer Messgeräte bereits oben ausführlich erläutert (siehe Kapitel 1.2). Wir wollen deshalb an dieser Stelle nur noch einmal darauf hinweisen, dass der Skalenmittelpunkt „4“ als neutraler Punkt definiert war. Die Teilnehmer sollten den Regler auf die 4 stellen, wenn sie keinen besonders guten oder schlechten Eindruck von den Kandidaten hatten. Werte über 4 bedeuteten einen guten Eindruck von Merkel oder einen schlechten Eindruck von Schröder, Werte unter 4 einen guten Eindruck von Schröder oder einen schlechten Eindruck von Merkel. Die Verlässlichkeit und Angemessenheit dieses Verfahrens haben wir anhand unserer Daten für das zweite TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2002 ausführlich untersucht und bestätigt (Reinemann et al. 2005; Maier et al. 2007). Die Wahrnehmung des Duells in Mainz und Jena im Überblick Um einen Eindruck von der Gesamtwahrnehmung der Zuschauer zu bekommen, betrachten wir zunächst den Mittelwert aller 5.568 einzelnen Messpunkte. Dabei zeigt sich, dass die Mainzer und Jenaer Zuschauer leicht unterschiedliche Eindrücke von der Debatte hatten. Während in Mainz Angela Merkel etwas besser ankam (Mittelwert = 4,08), hatten die Jenaer Zuschauer einen etwas besseren Eindruck von Gerhard Schröder (3,87). Auch wenn diese Differenzen nicht statistisch signifikant sind, unterscheidet sich doch die grundsätzliche Tendenz der Eindrücke. Einen Überblick über den Verlauf der Wahrnehmungen während der gesamten Debatte gibt Abbildung 1. Es zeigt sich, dass die Mainzer und Jenaer insgesamt bemerkenswert ähnlich auf die Kandidaten reagiert haben. Der Zusammenhang zwischen den Kurven ist außerordentlich hoch (r=.77; p