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Amadeus Firgau, geboren 31. 12. 1943, studierte in Berlin, arbeitete in Stuttgart und lebt heute mit seiner Familie in einem Dorf nahe Saarbrücken. „Sorla Flusskind“ ist sein erster veröffentlichter Roman und erschien zunächst 1990 im Stendel-Verlag. 1995 folgte dort der zweite Band der Sorla-Reihe, „Sorla Schlangenei“. Beide Bände ernteten begeisterte Zustimmung und haben eine große Fangemeinde. „Sorla Drachenvetter“, der dritte Band, wurde allerdings nicht in der erwarteten Zeit fertig, so dass der Verlag die Zusammenarbeit beendete. Inzwischen liegen mit “Sorla Feuerreiter“ und „Sorla Schlangenkaiser“ alle fünf Bände der Sorla-Reihe vor und werden bei Lulu veröffentlicht. Sorla Schlangenkaiser: Das hernostische Kaiserreich zerfällt, verschiedene Gruppen bereichern sich auf seine Kosten. Sorla muss als Erbe des Schlangenthrons dagegen ankämpfen und schafft sich zahlreiche Feinde. Zugleich muss er das Unrecht, welches den legendären Zentauren angetan wurde, wieder gutmachen. Dabei helfen ihm einige treue Freunde und oft genug die Gunst der launischen Glücksgöttin Atne. Und dass er sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden kann, macht seine Lage nicht leichter …
Amadeus Firgau:
SORLA SCHLANGENKAISER Ein fantastischer Roman
Band V des Sorla-Zyklus
Alle Rechte beim Autor. Kartenzeichnungen vom Autor. Das Titelbild basiert auf Fotolia_1693153_X © Dmitry Sunagatov - Fotolia.com Gedruckt bei Lulu (www.lulu.com).
INHALTSVERZEICHNIS 1) STRAFAKTIONEN Der Kornspeicher der Wesdhasi – Die Schleusen der Rungegi – Sorla lehnt es ab zu baden – Die Priesterin der Wral – Reise als Stier – Was Spatzen so pfeifen – Das liebeshungrige Trollweib – Die Fürstin – Tee für den Greis hinterm Ofen – Begräbnis eines Panthers – Hukari bringt Soldaten mit – Verbrannte Höfe – Wrals Büffelherde
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2) DIE KRIEGSHUNDE VON HORADH Falkenpost – Ein Drache im Schnee – Der Tempel Huredhos – Zu Gast bei den Hreddeshi – Hund und Herr – Flucht des Verräters – Zähmung der Kriegshunde
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3) DER PERLEK-CLAN Psudi hat Bedenken – Der Omschjull-Tempel – Was Trolle unter Spaß verstehen – Sorla geht ins Wasser – Das Fischwunder – Ein blinzelnder Fels und das Auge der Berge – Die Belagerung – Attentäter im Zelt – Gefecht im Bergwald – Der dunkle Zauberer – Feurige Kugeln – Bogenduell und Elster – Vergangenheit und Zukunft des Perlek-Clans
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4) TUL-UGLURS QUELLE Der träumende Kauz – Der doppelte Priester – Die Schlange gibt das Wort – Die Vorurteilsfrei Nehmenden – Die vom Hügel – Der Brief mit Hukaris Ring – Im Tempel Malas der Furchtbaren – Die Elster soll geschlachtet werden – Anods Zorn – Die Fußspuren des Grafen – Die Metallringe der Beförderung – Das wässrige Ungeheuer – Die nützliche Eisenstange - Ein nasses Ende hoher Ziele – Der Zisternenrundgang – Heimliche Erkundungen – Besuch bei der Jungfrau der Brunnen – Hirnzecken – Der Dunkle Fürst – Beschwörung des Wassers – Das abgestaubte Gold – Hukaris Hocker – Der Zwerg mit dem glühenden Kristallschwert
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5) DIE ZENTAUREN KEHREN ZURÜCK
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Streit unter Freunden – Totenwache – Ein Drache nach Batiflim – Mynnenletes Kampf gegen Hasen – Psudi verschenkt Elstergewänder – Beseitigung einer Hasenscharte –Das Päckchen der Frau mit dem
Stier – Ein Entenschwarm macht noch kein grünes Tal – Der Zentaur am Stadttor – Die Kaiserprobe – Die Geisel der Vastouris – Der greise Zentaur wird geweckt – Merkwürdige Rätsel – Taras missratene Tochter – Wrals Banner wird entrollt 6) DIE ZEIT DES SCHWERTES Kirguls Stammesrat – Die fliehenden Sippen sammeln sich – Der Schutzwall der Ramtasi – Die misshandelte Frau – Das erste Gefecht – Der Sumpf verschwindet – Feindlicher Überfall – Verstärkung aus Batiflim – Trolle mögen tote Pferde – Der Zauber der Stille – Ein erfolgreiches Verhör – Froschkerle im verhexten Sumpf – Orluks Abmachung mit der Sumpfkrake –Brechgeräusche unter Freunden – Viertausend Gegner – Hestrumer mit dem Morgenstern – Rücken an Rücken auf dem Leichenberg – Das blutgierige Schwert
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7) KAISERLICHE PFLICHTEN Das alte Halstuch – Einige Dankopfer – Sorla, noch immer ein Feuerreiter – Kaburen singen, aber schwatzen nicht – Zwei schwatzhafte Elstern – Die goldene Reisekugel – Familienglück in Brindhal – Die Unbekannte mit den Tauben – Der verkleidete Graf – Das blaugrüne Monster – Der Sprecher Wendualos – Zwei Brüder finden sich – Die Frau mit dem Luchs – Hukaris Brief – Der Zweikampf der Frauen – Frau Maren gibt Rat – Ungewöhnliches Abkommen – Sorlas Häutung – Alle Arten von Gästen – Der Schlangenkaiser
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GLOSSAR
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Erstes Kapitel:
STRAFAKTIONEN „Du bist der Kaiser“, sagte Plosek, der Oberste Anodpriester in Ekritmea. „Du gehörst zur Dynastie, hast das Regenszepter, führst die kaiserlichen Geschäfte, das Volk verehrt dich. Dennoch, mein lieber Sorla, müssen wir dich offiziell in dein Amt einführen, die Städte und Adelsgeschlechter Hernostes müssen dich bestätigen und dir huldigen, ebenso die Abgesandten der Provinzen.“ Sein rundliches Gesicht blickte bekümmert. „Wo liegt das Problem, Plosek?“ „Der Graf von Agra hat sich mit fünf der Sechs Familien zusammen getan – du weißt, sie befürchten, dass sie sich nicht länger so schamlos bereichern können. Und der Graf ...“ „... hat persönlichen Grund, meinen Vater zu hassen.“ „Dich auch. Er lastet dir den Tod seines Erstgeborenen an.“ „Was können sie ausrichten? Das Gewerbe, der Handel, die Städte insgesamt sind auf unserer Seite.“ Plosek nickte. „Das stimmt. Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, wirst du als Kaiser bestätigt. Vielleicht sind meine Sorgen unbegründet.“ „Es ist eine Machtfrage“, warf Tok-aglur ein. „Ohne Macht nützen die schönsten Huldigungen des Volkes nichts. Die Sechs Familien haben in den letzten Jahrzehnten private Armeen aufgebaut, denen das Reich wenig entgegenzusetzen hat. Kein Wunder, denn die Steuereinnahmen verschwanden in ihren Säckeln.“ „Jetzt kümmert sich S’lambo aus Agra darum, wie ihr wisst.“ „Ja, er ist tüchtig. Aber gerade hat er Ärger mit der Familie Wesdhasi. Da müssen wir durchgreifen, ein Zeichen setzen, sonst sind wir gescheitert, bevor wir richtig anfangen.“ *
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Der Thronsaal im kaiserlichen Palast war gesäubert, das Loch in der Wand mit einer schweren Tür gesichert, und die riesige Höhle, die sich darunter erstreckte, von Plosek mit mehreren ewigen Lichtern Anods erhellt, um Wesen der Dunkelheit abzuschrecken. Die Palastwache hatte Sorla Treue geschworen. Ein Fenster blieb immer offen, wenn Sorla anwesend war; groß genug, dass er den Gesang der Vögel hören konnte und erfuhr, was sie sich zu erzählen hatten. Zugleich konnte der Falke des verstorbenen Tara-engu ein- und ausfliegen, wie es ihm beliebte. Und Sorla hatte in der letzten Zeit mehrere Briefchen zu schreiben, die fortzubringen er dem Falken auftrug. „Und denke daran: jage keine Brieftauben!“ Der Falke gab einen missmutigen Laut, fast ein Krächzen, von sich. „Nein, Falke. Auch wenn sie den Brief abgeliefert haben, lass‘ sie zufrieden. Es gibt genug andere Beute.“ Der kleine Raubvogel begann sich zu putzen. Die Art, wie er die Schwungfedern durch seinen krummen Schnabel zog, zeigte, besagte, dass dieses Thema weiter zu erörtern völlig unter seiner Würde war. Ein Briefchen hatte der Falke nach Norden in die Hochtäler Batiflims gebracht und vor Memliks Haustür fallen lassen, wo dessen Tochter Hukari ihn fand. „Die Sorgen wachsen täglich“, hatte Sorla geschrieben. „Das Reich hat nicht genug Truppen, um die Sechs Familien in ihren überzogenen Ansprüchen zu beschneiden. Aber täglich denke ich an dich in Liebe.“ Ein weiteres Briefchen trug der Falke jetzt nach Nordosten in die ferne Taipalsteppe, wo das Reitervolk der Ramtasi lebte: „Tapferer Kirgul! Schone diesen Falken, der mein Vertrauter ist! Es kommt die Zeit, wo ich eure Hilfe brauche. Haltet euch bereit!“ In der Mitte des Thronsaals hatte Sorla ein Wasserbecken angebracht und mit Hilfe seines Regenszepters gefüllt. Nun konnte er, falls nötig, Azluthos, den Hüter des Herzen von Batiflim, beschwören. Dies hatte er eben getan. Die riesige dunkle Gestalt
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stand über dem Wasserbecken, die Flügel halb gefaltet. „Wozu hast du mich gerufen, Sorle-a-glach?“ dröhnte die tiefe Stimme. „Hüter des Herzen von Batiflim! Wie kann mir das Regenszepter helfen, meine Macht auszuüben und so meine Aufgaben zu erfüllen?“ Die Gestalt beugte sich tiefer, die grünen Augen schauten auf Sorla hinunter. „Du fragst zu Recht. Deine Kraft, das Szepter zu führen, ist gewachsen, also kannst du mehr damit bewirken. Ich werde es dir zeigen. Aber missbrauche deine Mittel nicht!“ Eine halbe Stunde blieb Azluthos und weihte Sorla in die Geheimnisse ein, „doch gibt es viel, was dir erst später möglich wird!“ Dann verschwand er in grauem Nebel. Noch lange saß Sorla nachdenklich da, einmal murmelte er die Worte der Schlange: „Habe den Mut, dich deiner Macht zu bedienen!“ Die Wache meldete, ein Bevollmächtigter der Familie Wesdhasi sei eingetroffen. Herein trat ein Mann mittleren Alters. „Junger Mann!“ begann er unaufgefordert. „Zieht unverzüglich die Wachen von unseren Kornkammern ab! Ihr behindert die Geschäfte der Familie Wesdhasi!“ Sorla winkte, zwei Wachleute traten hinter den Mann und zwangen ihn auf die Knie. „Zeige die nötige Achtung!“ ermahnten sie ihn. „Verbeuge dich, rede erst, wenn du aufgefordert wirst, und nenne deinen Namen!“ Die Stirnadern des Mannes schwollen an, aber er beherrschte sich. Sorla nickte. „Rede!“ Der Mann richtete sich wieder auf, seine Augen dunkel vor Wut. „Ich bin Mesegi, Neffe des mächtigen Jelthon, Oberhaupt der Familie Wesdhasi. Wer mich anfasst, beleidigt die Familie; was das bedeutet, brauche ich nicht auszuführen.“ „Nein, denn es ist belanglos. Deine Auftraggeber haben ihre Steuerschuld nicht beglichen, Mesegi. Sie wurden mehrfach von Herrn S’lambo gemahnt. Nun sage ich: Zahlt ein Drittel bis morgen, dann gebe ich die Kornspeicher frei. Über die anderen zwei Drittel redet mit Herrn S’lambo von der Steuerbehörde.“
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„Aber ...“ „Die Unterredung ist beendet.“ Die Wachen führten Mesegi hinaus. Kaum war er fort, erschien Tok-aglur hinter dem Vorhang. „Nicht schlecht, mein Junge. Aber du musst noch unerbittlicher wirken. Leute wie dieser Mesegi sollen den Eindruck gewinnen, dass du bedenkenlos durchgreifst, wenn du es für richtig hältst.“ Sorla lächelte. „Heute Abend werden sie angreifen. Das will ich mir nicht entgehen lassen. Kommst du mit, Vater?“ „Nein, ich bereite schon unseren nächsten Schlag vor.“ Abends gesellte sich Sorla zu den Wachleuten vor den Kornspeichern. Sie schienen besorgt, denn wenn die Familie Wesdhasi gegen sie vorgehen würde, dann sicher gründlich. Jeder fürchtete diese Familie. Aber da Sorla nun da war, konnten sie nicht einfach weglaufen. Als es dunkel wurde, tauchten aus einer Nebengasse zwei verhüllte Gestalten auf, winkten Sorla zu und stellten sich in eine Ecke, wo sie kaum noch zu sehen waren. Stunden vergingen. Einer der Wachleute reichte Sorla eine Decke, mit der er sich gegen die kalte Nachtluft schützte. Es mochte kurz vor Morgengrauen sein, als sich eine größere Gruppe Bewaffneter näherte. Sie waren leise genug, keinen Schlafenden zu wecken, doch Sorlas Leute waren wach und bereiteten sich auf einen Kampf vor. Dazu kam es nicht, denn die Bewaffneten der Familie Wesdhasi blieben stehen, als wüssten sie nicht weiter. Die beiden vermummten Gestalten kamen aus ihrer Ecke und fragten: „Nun, Sorla?“ „In die Kaserne, wie besprochen. Und vielen Dank.“ So folgten die sechsundzwanzig Bewaffneten Agish und Esxofi, den beiden vermummten Elulmavni, durch mehrere Straßen bis zur Kaserne, wo sie entwaffnet wurden und sich willenlos in Gefängniszellen einschließen ließen. Am nächsten Morgen, als sie zur Besinnung kamen, wurden sie vor die Wahl gestellt, den Fahneneid zu leisten, um beim Heer des Kaisers zu dienen, oder wegen Angriffs auf kaiserliche Truppen und Störung des Friedens in der Stadt die nächsten beiden Jahre Galeerendienst zu tun. Sie
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entschieden sich ausnahmslos fürs erstere. Das Geld der Familie Wesdhasi traf tatsächlich ein. Mesegi ließ es sich aber nicht nehmen, im Namen Jelthons zu protestieren. „Man hört, dass unsere Leute von Zauberern entführt wurden. Das ist ungesetzlich!“ „Wir haben den Frieden innerhalb der Stadtmauern bewahrt. Falls das eure Leute waren, die gegen die Stadtwachen vorgingen, muss ich als Verantwortliche dich und Jelthon vor Gericht bringen, wegen Störung eben dieses Friedens. Das geltende Recht sieht hohe Strafen vor.“ „Um dieses Gesetz hat sich seit Generationen keiner geschert“, höhnte Mesegi. „Es wird Zeit, dass sich dies ändert. Die Unterredung ist beendet.“ Am folgenden Tag erschien Mesegi kleinlaut mit einem Schreiben Jelthons, in dem dieser beteuerte, von der ganzen Angelegenheit keine Ahnung gehabt zu haben. Die Bewaffneten seien gewiss eine Bande von Wegelagerern gewesen. Im übrigen werde die Familie Wesdhasi binnen kurzem die restlichen Steuern zahlen und freue sich, dass Recht und Ordnung mit starker Hand durchgesetzt würden. „Na also“, sagte Sorla zufrieden. Tok-aglur hob die Hand. „Trau‘ ihnen nicht! Sie geben scheinbar nach, um Schwierigkeiten zu vermeiden und die Hände für Wichtigeres frei zu haben. Mit dem Grafen von Agra halten sie weiter Verbindung.“ * Die Rungegi, auch eine der Sechs Familien, hatten im Norden Hernostes eigene Kanäle gegraben, um Wasser aus dem Bato auf die eigenen riesigen Ländereien umzuleiten und zugleich die üblichen Wassergebühren zu sparen. Da das Wasser oft knapp war und deshalb über die staatlichen Kanäle verteilt wurde, war dies
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ein erhebliches Vergehen gegen die Allgemeinheit, aber keiner wagte aufzubegehren. Im Gegenteil, die Rungegi hatten eine Reihe höherer Beamte des Wasserwesens bestochen, so dass diese ihnen zuarbeiteten. Auch unterhielten sie eine Privatarmee von mehreren hundert Söldnern, um ihre Ansprüche zu sichern und die Landbevölkerung zu unterdrücken. S’lambo setzte eine Untersuchung ein; die Beamten jener Gegend wurden befragt – wobei der Anodpriester Zanolphis aus Kaharad mit seinem Ring der Wahrheit den Vorsitz führte. Die der Bestechlichkeit Überführten verloren ihr unrechtmäßig erworbenes Vermögen und wurden zu einfachen Kanalwächtern herabgestuft, ihre Stelle nahmen untadelige jüngere Beamte ein. Die Kunde davon, wie hier durchgegriffen wurde, sorgte in den nächsten Wochen im ganzen Reich für große Unruhe; beispielsweise gelang es nun einfachen Leuten wieder, das ihnen zustehende Recht einzufordern, ohne vorher das Einkommen eines halben Jahres in die Hände der Zuständigen zu legen. Die Rungegi weigerten sich allerdings, die Schleusen ihrer Kanäle unter staatliche Aufsicht zu stellen. „Dies ist Rungegi-Land!“ empörten sie sich. Auch waren die Kanäle weit von der Hauptstadt und den kaiserlichen Truppen entfernt; was sollte ihnen, dachten sie, da schon geschehen. „Wir müssen die Schleusen von unseren Soldaten bewachen lassen“, sagte Sorla. Tok-aglur runzelte die Stirn. „Das läuft auf viel Blutvergießen hinaus, auch bei unseren Leuten. Der Erfolg ist zudem zweifelhaft.“ „Stimmt. Besser wäre es, den Rungegi ihre Söldner einfach wegzunehmen. Wir richten dort eine Kaserne ein und werben Soldaten. Die brauchen wir sowieso, falls der Graf von Agra angreift.“ „Das wird viel Geld kosten, mein Junge. Und ich weiß schon, welches.“ Dieses Gespräch hatte stattgefunden, bevor sie die Familie Wesdhasi dazu brachten, ihre Steuern zu zahlen. Tok-aglur nutzte die folgende Zeit für die Vorbereitung seines Planes. Drei Wochen
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später sollten im Norden Hernostes die Söldner der Rungegi ausbezahlt werden. Doch die Einkünfte aus der letzten Ernte, womit die Soldkasse gefüllt werden sollte, gingen verloren, und das geschah folgendermaßen. Die Pachteintreiber hatten wie üblich die Beutel mit Kupfermünzen, die sie von den Bauern einsammelten, beim Verwalter abgeliefert, dieser sammelte das unhandliche Kleingeld in drei großen Truhen und fuhr mit dem Eselskarren und von zehn Bewaffneten begleitet zum Geldwechsler. Dort bekam er den entsprechenden Gegenwert in Gold ausbezahlt, natürlich nach Abzug einer Gebühr. „Ein Prozent – das ist Wucher!“ empörte sich der Verwalter. „Mein Vorgänger verlangte zwei Prozent, wie ihr wisst.“ „Nun ja, er war ein alter Freund von mir.“ „Leider wurde er krank.“ Der Geldwechsler schob dem Verwalter einen kleinen goldenen Ring über den Tisch: „Ich hoffe, auch wir werden Freunde.“ Er ließ den Verwalter noch einmal die Goldmünzen nachzählen, füllte sie in einen Lederbeutel und verschnürte diesen eigenhändig. Der Beutel war so schwer, dass der Verwalter froh war, als ihm der Geldwechsler beim Tragen half. Erst im Verwaltungsgebäude auf dem Landsitz der Rungegi stellte er fest, dass der Beutel statt Gold Blei enthielt. Der Geldwechsler war verschwunden. So konnte der Sold nicht ausbezahlt werden. Die Söldner, die seit Wochen scharf darauf waren, zu den Frauen zu gehen und sich zu besaufen, eilten in Scharen zur nahe gelegenen Kaserne, um das Handgeld zu erhalten, was sie zum Dienst in der kaiserlichen Armee verpflichtete. Nun wurden die Schleusen geschlossen, die neu geworbenen Soldaten bewachten sie. Sorla hatte aber nicht bedacht, dass unter dem daraus folgenden Wassermangel in den riesigen Ländereien der Rungegi auch deren Pächter litten – zumindest im folgenden Jahr, wenn die Felder neu bestellt würden. Noch schlimmer würde es die verschuldeten Kleinbauern treffen; sie mussten Zinsen zahlen, auch wenn sie keine Ernte einfuhren. Falls ihnen das nicht gelang, drohte Leibeigenschaft. Also rotteten sich die Kleinbauern, angestiftet von den Pächtern, hinter denen als Drahtzieher die Rungegi standen,
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zusammen und drohten, mit Dreschflegeln und Sensen auf die kaiserlichen Soldaten an den Schleusen loszugehen. Mit berittenen Eilboten musste ein kaiserlicher Erlass in den Norden Hernostes gebracht und auf den Plätzen verkündet werden: „Die Rungegi haben die Wasserknappheit zu verantworten, da sie die Gebühren schuldig bleiben. Also entfallen für dieses und jedes weitere Jahr, in welchem die Wassergebühren nicht bezahlt werden, die Pacht- und Schuldzinsen, damit nicht die Kleinen für die Vergehen der Großen büßen.“ Die Kleinbauern beruhigten sich daraufhin, und wenn einem dennoch Zinsen abverlangt wurden, ging er zur neu eingerichteten Annahmestelle für Beschwerden und bekam sein Recht. Eine Woche später erkrankten die meisten Soldaten jener Kaserne, einige starben. Zugleich trat ein Wanderprediger auf den Plätzen im Norden Hernostes auf und erzählte dem staunenden Volk, dies sei die Strafe der zürnenden Göttin Wral, weil der Kaiser die althergebrachte Ordnung auf dem Lande umstürzen wolle. „Wer ist diese Göttin?“ fragte Sorla, nachdem er die Berichte gelesen hatte. Plosek runzelte die Stirn. „Wral wird von der Landbevölkerung dort oben verehrt. Sie beschützt die Ställe und Viehweiden. Doch wer ihr nicht zum Jahresbeginn opfert – ein Lamm oder dergleichen – dem hängt sie Schaden für den Rest des Jahres an.“ „Was können wir tun?“ „Der Mann ist ein Schwindler. Oder er dient einer ganz anderen Gottheit. Ich schicke einen Priester hin.“ „Tu das. Aber es reicht nicht“, sagte Sorla. „Eine ganze Provinz ist aus dem Ruder gelaufen, und schuld sind diese Rungegi. Ich werde mich um sie kümmern.“ Diesmal wollte er für alles gerüstet sein: Unter seinem Kittel trug er Murlingirs Kettenhemd, am Gürtel das Schwert Hekfirhul, und den Bogen, den er von Memlik bekam, neben dem Köcher auf dem Rücken. Schlangenzahn steckte wie üblich im Stiefelschaft. Während Plosek einen jüngeren, klugen Priester mit dem Pferd los schickte, ritt Sorla in die Berge, um Töchterchen Myrna zu
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besuchen. Im Garten waren Priesterinnen beschäftigt, Birnen in Körbe zu sammeln, welke Blätter beiseite zu fegen und abgestorbene Pflanzenteile zurückzuschneiden. Die kleine Buche neben dem Springbrunnen stand unbeachtet. „Sie kommt nicht mehr heraus“, sagte eine der Priesterinnen und warf verwunderte Blicke auf seine kriegerische Ausstattung. „Es ist Herbst.“ Doch schon fand sich Sorla in der Helligkeit der Buche wieder. Myrna wirkte verschlafen, lächelte ihm aber entgegen. „Gut, dass du kommst! Du kannst mich kämmen.“ Das tat Sorla einige Zeit, während der sie die Augen schloss. Es schien, als schlafe sie, doch als er den Kamm beiseite legte, da stützte sie sich auf ihre kleinen Arme und richtete sich auf. „Ich habe dich nachdenken gehört, Vater. Du willst nach Kaharad im Norden Hernostes, also soll ich dich an Syrte, meine Schwester dort, weiterreichen.“ „Darum bitte ich dich, mein Töchterchen.“ Wieder aufs Neue umfing ihn die sanfte Helligkeit. Die kleine Syrte sah ihm gähnend entgegen, stand aber doch auf, strich ihr mit Rüschen geschmücktes Hemdchen glatt und taumelte ihm gegen das Knie, das sie umschlang. „Wie findest du meine Zöpfe?“ murmelte sie schlaftrunken. Sorla nahm sie in die Arme, sang ihr ein Schlaflied, und kurz bevor sie einschlief, entließ sie ihn aus der Buche. Die Ehrwürdige Mutter des Heilbades zu Kaharad wartete geduldig, während Sorla ihr sein Anliegen auseinandersetzte. „Die Rungegi“, sagte sie dann, „sind beim einfachen Volke hier nicht beliebt, genießen aber wegen ihrer Macht großes Ansehen. In unserem Tempel haben sie sich lange nicht sehen lassen; wären aber willkommene Gäste. Allerdings sind die Belange des Reiches wichtiger als das Einkommen unseres Tempels. Was die Göttin Wral betrifft, so kenne ich ein paar ihrer Anhänger. Ein Mädchen wird dich hinführen.“ Sie küsste ihn zum Abschied auf die Stirn und winkte einem hübschen Mädchen, das ihn an der Hand hinaus führte. Sie lächelte ihm verheißungsvoll entgegen. „Magst du erst ein Bad mit mir nehmen, zu Ehren Marushus?“ Scheinbar zufällig fielen die Falten ihres Gewands auseinander und entblößten ihre
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Brüste. Er schüttelte den Kopf, also richtete sie ihre Kleidung wieder. „Du hast wohl zu ernste Gedanken im Kopf, oder?“ „Ja.“ Er wollte ihr nicht erklären, dass er sich nach Hukari im fernen Batiflim sehnte. Sie holte zwei Esel aus dem Stall, legte Decken auf, dann ritten die beiden nach Norden und kamen bald vor das Stadttor, wo sich abgeerntete Getreidefelder bis zum Horizont erstreckten, unterbrochen nur von hohen Hecken entlang den Kanälen oder von Pappelwäldchen, welche die Felder vor dem ausdörrenden Wind schützten. Das Mädchen ritt voraus, manchmal seitlich sitzend, manchmal rittlings wie Sorla. So oder so – ihre reizvolle Gestalt vor Augen, überlegte Sorla, ob es nicht dumm gewesen war, auf das gemeinsame Bad zu verzichten. Nun war es zu spät. Manchmal blickte sie zurück, ob er noch da war, und zwinkerte ihm halb spöttisch zu. Sie kamen zu einem felsigen Hügel, der einsam aus den Feldern ringsum aufragte und von Brombeeren und stachligem Gestrüpp überwuchert war. Das Mädchen lenkte ihren Esel zwischen zwei Büschen hindurch auf einen schmalen, schattigen Pfad. Nun ging es aufwärts und in engen Kurven hin und her durch Ginsterund Rosmaringebüsch bis zu einer Gruppe mächtiger Pinien, unter denen ein niedriges Haus stand. „Hier“, sagte das Mädchen und stieg ab. Auch Sorla glitt von seinem Reittier. Er sah sich um, heimlich den schmerzenden Hintern reibend. Den Boden bedeckte eine dicke Schicht Piniennadeln, eine Stelle jedoch war bis zum felsigen Boden freigekehrt und mit bleichen Schädeln umgeben – nicht von Menschen, wie Sorla erleichtert feststellte, sondern von Ziegen, Schafen, Rindern. Eine Frau trat aus der Hütte; über ihr grobleinenes Gewand hing das graue Haar in dicken Strähnen. „Das nächste Opferfest ist kommende Woche“, sagte sie abwehrend. „Ich brauche eine Auskunft.“ Sorla lächelte gewinnend. „Mein Name ist Sorle-a-glach. Ich hörte, du kannst mir sagen, weshalb Wral die kaiserlichen Soldaten heimsucht.“ „Du bist der junge Kaiser?“ Die Frau trat näher. „Es stimmt
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also, was die Leute sagen: dass du das Land ohne deine Truppen, deine Wachen bereist?“ „Du wirst mir nicht schaden wollen.“ Die Frau lachte heiser. „Gut. Setz‘ dich dorthin; heute nacht kannst du vielleicht Antwort auf deine Fragen erhalten.“ „Ich hab’s befürchtet“, seufzte die junge MarushuPriesterin. „Soll ich ihn morgen wieder abholen?“ „Das wird nicht nötig sein, Kindchen.“ Also kehrte das Mädchen um und nahm auch Sorlas Esel mit. Sorla legte seine Ausrüstung ab und setzte sich auf die weichen Piniennadeln, um die Nacht zu erwarten. Von hier aus konnte er weit übers Land schauen – die abgeernteten Felder, Weiden mit Schafen und Rindern, dazwischen einzelne bewaldete Hügel, in der Ferne glitzernd der Fluss Bato. Weit verstreut lagerten die kleinen Gehöfte, die Stadt hinter dem Fluss war im Abendnebel kaum zu sehen. Ein paar Hunde kläfften einander zu. Jetzt sank die Sonne hinter den Horizont, die ersten Sterne funkelten am nördlichen Himmel. Sorla fröstelte. Die Frau kam mit einer Decke, die sie ihm über die Schultern legte. Ob sie danach wieder ging oder weiterhin hinter ihm stand, wusste er nicht. Er hätte sich umdrehen müssen, doch irgendwie schien ihm das unangemessen. So saß er und sah die Welt in Dunkelheit und Nebel versinken. Gedankenlos nahm er den Bogen, der neben ihm lag, in den Schoß, zupfte an der Saite herum und lauschte den summenden Tönen. Waren das Felder oder Wälder, was unter den Nebeln lag? Und die Nebel – erstickten sie das Leben darunter oder deckten sie es nur zu, um es zu schützen? Waren die Götter gleichgültig oder auf das Wohl der Menschen bedacht? War Wral gütig oder grausam? Etwas regte sich in Sorlas Gedanken, eine unwillige Stimme, die nicht sprach und doch ihn zurechtwies. Ob grausam oder gütig – welche Rolle spielte das? Wenn alle Schafe stürben, das wäre schlimm. Aber ein Schaf töten, weshalb nicht? Wichtig sei, dass Wald und Wiesen lebten. Er als Kaiser müsse das wissen. Menschen sind keine Schafe, erwiderte Sorla. Eine Welle von herablassendem Spott spülte durch Sorlas
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Bewusstsein. Ach, und die Rungegi, die wolle er nicht opfern zum Wohle des Reiches? Gerade wollte Sorla sich rechtfertigen, da erfasste ihn ein Sog und wirbelte ihn in die Dunkelheit. Er fand sich wieder in einem Stall. Dies war kein Traum, sondern jene Macht – Wral selbst vielleicht – hatte ihn hierher gebracht. Es roch nach Kuhdung und Heu, in der fernen Ecke schimmerte trüb eine Laterne. Dort lag eine Kuh, zwei Frauen saßen dabei. Sorla schlich näher. Die meisten Rinder schliefen, einige schauten schläfrig zu ihm herüber. „Diese Geburt dauert zu lange“, murmelte die ältere Frau. „Die Kuh wird uns sterben.“ Die andere Frau stand auf, um den Rücken zu strecken; dabei erblickte sie Sorla. „Schau, Mütterchen!“ rief sie. Die Ältere sah ebenfalls auf und runzelte die Stirn: „Was macht der Jungstier hier im Kuhstall?“ „Wieso Jungstier?“ fragte Sorla, schaute aber sicherheitshalber an sich herunter – er sah ganz normal aus. „Seid gegrüßt.“ „Eben noch sahst du aus wie ein Stier, junger Mann!“ hielt ihm die Jüngere vor. „Ich hätte das beschwören können. Wie kommst du hierher?“ „Ich weiß gar nicht, wo ich hier bin“, antwortete Sorla. „Wral hat mich her geschickt. Jedenfalls glaube ich das.“ „Wral?“ riefen beide Frauen, im selben Moment stöhnte die Kuh, die Frauen wandten sich ihr zu und sahen, wie das Köpfchen des Kalbes erschien, in die Fruchtblase noch halb eingehüllt. Jetzt hatten sie zu arbeiten, sie fassten nach und zogen den Körper, die Läufe, das ganze Kälbchen ans Licht. Fruchtwasser spritzte auf den Stallboden. Wieder stöhnte die Kuh laut, die Nachgeburt wurde herausgepresst und von den Frauen beiseite geräumt. Nun befreiten sie das Kälbchen von den Resten der Fruchtblase und rieben es trocken. Die Kuh lag erschöpft da, hob aber den Kopf und äugte misstrauisch nach hinten. Die Stalltür ging auf, kalte Luft wirbelte herein. Ein Mann, sehr stämmig und breitschultrig, war gekommen, in einen schweren Wollmantel gehüllt, und mühte sich, die Tür gegen den Wind wieder
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zu schließen, dann kam er zu den Gruppe herüber. Er warf einen erstaunten Blick auf Sorla, kümmerte sich aber zunächst um die Kuh und das Kälbchen. „Also doch!“ sagte er zufrieden. „Wral sei Dank!“ Er rieb seine breiten Hände, um sie aufzuwärmen. „Es war ein Wunder, Herr!“ rief die Ältere. „Dieser junge Mann wurde uns von Wral geschickt, in Gestalt eines Stieres! Da wurde das Kalb geboren!“ „Ein Wunder?“ Der Mann sah sich Sorla näher an. „Du hast den Segen Wrals gebracht. Sei willkommen, Fremder! Ich bin Ruman. Sei unser Gast!“ „Ich danke für die Gastfreundschaft. Mein Name ist Sorle-aglach.“ „Den Namen kenne ich – doch nicht der verdammte Kaiserbengel aus Ekritmea?“ Sorla nickte: „Der Kaiser, ja!“ Er ahnte, was jetzt kommen würde. Rumans Gesicht wurde rot vor Zorn, seine Faust ballte sich. Die ältere Frau trat dazwischen: „Herr! Er ist dein Gast!“ Doch er schob sie beiseite und warf sich auf Sorla, um ihn zu würgen. Dieser duckte sich weg, Ruman prallte gegen eine Stallwand. Als Sorla noch einen Schritt zurück wich, trat er auf die Zinken einer Harke. Der Stiel schnellte hoch und traf ihn am Kopf. Einen Augenblick war Sorla benommen, da spürte er den Fausthieb, den ihm Ruman gegen die Schläfe versetzte. Als er zu sich kam, hatte er Kopfschmerzen. Durch die Ritzen zwischen den Balken schien Tageslicht herein und malte kleine helle Flecken auf den Stallboden. Er saß gegen einen Stützbalken gelehnt, die Hände waren hinter seinem Rücken daran gefesselt. Der Stall war leer, die Rinder offensichtlich draußen auf der Weide. In der hinteren Ecke schaufelten die beiden Frauen Mist auf einen Schubkarren. Jetzt sahen sie, dass er wach war, und kamen näher. „Es war nicht klug, deinen Namen zu nennen“, sagte die Ältere. „Ich vertraute auf das Gastrecht.“ „Gewöhnlich ist es auch Ruman heilig. Seine Wut ging mit ihm durch. Ein Kaiser gilt hier nicht viel.“ Sie zuckte die Achseln
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und verließ den Stall. Die Jüngere sah Sorla an und kaute an ihren Zöpfen. Sorla schwieg einige Zeit, dann sagte er: „Mach mich bitte frei.“ „Ruman würde toben.“ „Ich muss pissen. Ich brauche die Hände dazu.“ „Ich kann dich nicht freilassen.“ „Soll ich in die Hose pissen?“ Die junge Frau wurde rot. „Ich könnte ja behilflich sein.“ Sie hatte vor Aufregung kalte Hände, war aber nicht ungeschickt. „Was hat Ruman vor?“ fragte Sorla anschließend. „Erst wollte er dich erschlagen, aber dann hat er sich nicht getraut. Du weißt, Gastrecht, und wir Frauen standen auch dabei. Musrel, das ist die ältere Magd, schrie, dass Wral dich herbrachte – sogar als Stier, ich hab‘s ja selbst gesehen!“ „Ich hatte es gar nicht gewusst. Wral sagte nur was von den Rungegi, und schon war ich hier.“ „Du hast mit ihr geredet – mit einer Göttin?“ „Ich habe sie nicht gesehen“, versuchte Sorla die Sache herunterzuspielen. „Es war eher wie ein Traum.“ Die junge Frau schwieg und wandte sich ihrer Arbeit zu, Mist zusammen zu raffen. Erst nach längerer Zeit sagte sie, ohne dabei Sorla anzuschauen: „Ich heiße Slendale. Freilassen darf ich dich nicht, aber kann ich dir sonst irgendwie helfen?“ „Du könntest Hilfe holen. Wie weit ist es zur Kaserne?“ „Ein Tagesritt nach Osten“, flüsterte sie. „Aber ich habe kein Pferd.“ „Besorg‘ dir eines. In meinem Beutel sind Goldmünzen.“ „Das heißt, ich verrate meinen Brotherrn.“ „Er hat das Gastrecht verraten.“ Sie nickte und ging, zwei Goldstücke in der Faust. Den ganzen Tag saß Sorla im Stall alleine. Die Rinder waren auf der Weide, nur die Hühner suchten gackernd im Mist, auch ein paar Spatzen flatterten zur Dachluke herein und pickten im aufgeschichteten Stroh nach Körnern. „Weg da!“ schimpfte der eine. „Das ist meine Ähre!“
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„Plustere dich nicht auf!“ kam die Antwort. „Hast du die Frau mit dem komischen Tier gesehen?“ „Wo?“ „Im Osten von hier. So groß wie eine junge Kuh, und die Frau ging nebenher.“ „Ne, ich war hier auf dem Hof. Vor der Backstube lag ein Stückchen Brot.“ Also war Slendale tatsächlich auf dem Weg zur Kaserne, dachte Sorla, und hatte sich nicht mit den zwei Goldmünzen aus dem Staub gemacht. Doch weshalb ritt sie nicht? Ob das Pferd lahmte? Dann würde es länger als einen Tagesritt dauern, bis sie dort ankam. „War es ein Pferd?“ fragte der andere Spatz. „In Pferdeäpfeln findet man oft leckere Körner – schon ganz weich.“ „Nein, es hatte zwei Euter.“ „Zwei?“ „Ja, zwischen den Vorderbeinen.“ „Du spinnst. Vielleicht lief die Kuh rückwärts?“ „Du spinnst selbst!“ Die Spatzen flatterten auf einander los, pickten und jagten sich, dann wandten sie sich wieder ihrer Futtersuche und anderen Gesprächsstoffen zu. Verdutzt hatte Sorla die merkwürdige Beschreibung mit angehört. Er konnte es sich nur so erklären, dass der Spatz die Satteltaschen falsch gedeutet hatte. Aber die hingen außen am Tier und nicht zwischen den Vorderbeinen. Abends kamen die Rinder in den Stall zurück. Ruman hatte ihnen das Stalltor geöffnet und schloss es nun wieder. Dann trat er zu Sorla, der in der Jauche saß. „Du stinkst nach Mist, Kaiser!“ höhnte er. „Es ist deine Gastfreundschaft, die stinkt“, entgegnete Sorla. „Ich hätte dich töten können. Doch als Geisel taugst du besser, falls deine Soldaten kommen.“ „Du wirst es bereuen. Lass‘ mich frei, dann können wir vernünftig reden.“ Ruman lachte und ging. Später kam Musrel, die ältere Frau, mit Eimern und Melkschemel. Sie sah sich um, ob sonst niemand da
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war, dann trat sie zu Sorla. In den Händen hielt sie eine Schale Milchsuppe, die sie ihm an den Mund setzte und einflößte. „Was hast du dem Mädchen gesagt?“ flüsterte sie. „Den ganzen Tag ist Slendale nicht zur Arbeit erschienen. In der Kammer ist sie auch nicht.“ Sorla schwieg. „Du hast sie wohl zur Kaserne geschickt“, sagte sie. „Aber die meisten Soldaten sind krank, die übrigen haben keine Lust, für den Kaiser zu kämpfen, denn sie fürchten Wrals Zorn. Und Ruman hat noch genügend eigene Leute.“ „Das mag sein, Musrel“, antwortete Sorla. „Es steht in Atnes Hand.“ Misstrauisch sah sie ihn an. „Woher weißt du, wie ich heiße?“ „Slendale hat’s mir gesagt.“ Sie nickte halb beruhigt. Nun schob sie die Schubkarre heran. „Wenn ich deine Hose runter lasse, kannst du in die Karre scheißen.“ Sorla war sehr einverstanden, denn dieses Problem hatte er den ganzen Tag vor sich hergeschoben. Nachdem die Frau ihm die Hose wieder hochgezogen und die Karre draußen ausgekippt hatte, machte sie sich ans Melken. Sorla war seinen Gedanken überlassen. Wie sollte es weitergehen? Weder konnte er die Hände zusammenschlagen, um sein Regenszepter – und damit vielleicht Azluthos – herbeizurufen, noch konnte er sich selbst befreien. Sein Glygi nützte ihm hier nichts. Seine Waffen waren ihm abgenommen worden. Es sah ziemlich düster aus, und alles nur, weil er sich auf ein Gespräch mit Wral eingelassen hatte. Wollte Ruman ihn töten? Und wenn, wann? Welche Rolle spielte Ruman im Clan der Rungegi? Gerne hätte Sorla seinen Falken bei sich gehabt, um ihm eine Botschaft aufzutragen. Doch der tummelte sich wohl wieder im warmen Ekritmea und fing Mäuse. Und Slendale hatte, auch wenn sie unbehelligt reiten konnte, wohl jetzt erst die Kaserne erreicht. Vor morgen oder übermorgen konnten die Soldaten nicht hier sein. Dann war es vielleicht zu spät. Ein Schwall kalter Luft ließ Sorla frösteln. Als er aufblickte,
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schloss sich eben die Stalltür wieder – ohne auch nur im Geringsten zu knarren. Es war aber niemand zu sehen außer Musrel, die noch immer mit ihrem Melkeimer neben einem der Rinder saß. Es fiel Sorla auf, wie still es im Stall geworden war. Die Rinder kauten geräuschlos vor sich hin, kein Strohhalm knisterte, und als die Frau den Melkeimer wegstellte und dabei eine Harke umstieß, fiel die so leise zu Boden wie eine Feder. Etwas berührte ihn von hinten. Als er zusammenzuckte, wurde ihm die Hand leicht gedrückt und beruhigend getätschelt. Zu sehen war nichts. Doch was ihn da anfasste, fühlte sich grob und hart an wie eine Bärenpranke. Nun spürte er, wie sich jemand an den Fesseln zu schaffen machte, mit denen seine Hände hinter dem Balken zusammengebunden waren. Es dauerte nicht lange, da waren die Knoten gelöst, und Sorla nahm aufatmend die Arme nach vorne, um sich die schmerzenden Handgelenke zu reiben. Auch die Schultern schmerzten, so lange waren die Arme nach hinten gereckt gewesen. Wer hatte ihn befreit? Noch immer war niemand zu sehen außer der Frau, die zwanzig Schritte weiter hinten die Kühe molk. Doch da bemerkte Sorla, wie sich in der dünnen Schicht von Mist, Jauche und Lehm, welche die Steinfliesen bedeckte, breite Spuren bildeten, wie von Bärenpranken, die sich in schnellen Sätzen nach vorne zur Frau hin fortsetzten. Im nächsten Augenblick wurde Musrel der Melkeimer aus den Händen gerissen, schwebte in die Höhe, neigte sich – doch die Milch, die hätte heraus und auf den Boden fließen müssen, verschwand mitten in der Luft. Die Frau stand mit vor Schreck geweiteten Augen dabei, ihr aufgerissener Mund war stumm. Sorla sprang auf und rannte zu ihr hinüber; jetzt sah sie ihn, wollte schreien und fragen, doch wieder blieb sie stumm. Er legte ihr seinen Arm um die Schultern, um sie zu beruhigen; allmählich ließ ihr Zittern nach. Der Melkeimer schwebte nun wieder zum Boden zurück, er war leer. Auf einmal waren die Geräusche wieder da. Der Wind pfiff durch die Bretterritzen, die Rinder kauten vor sich hin; eines, das dicht neben dem Melkeimer stand, brüllte aufgeregt und blies die
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Luft durch die Nüstern. „Was ist los? Was ist hier los?“ stammelte Musrel. „Jemand hat mich befreit. Und ich denke, dass dieser Jemand merkwürdig aussieht und gerne Milch trinkt.“ Sie zeigte mit zitterndem Finger auf etwas hinter Sorlas Rücken. Er fuhr herum: da hockte eine riesige Frau, fett, nackt und graugrün, die massigen Brüste beulten sich neben den angezogenen Knien – ein Trollweib. An ihrem Maul hingen Reste von Sahne, die wischte sie weg und musste zu diesem Zweck die unförmige Nase anheben. „Die Milch war lecker“, schmatzte sie in der Sprache Batiflims. Sorla hatte sich schnell gefasst. „Einen guten Tag, schöne Frau!” grüßte er in derselben Sprache. „Das ist unerwartete Hilfe, bei Ûr-gqâschps! Wie komme ich dazu?“ „Tag, mein Kindchen!” grinste sie. „Du kennst mich nicht, aber meine liebe Mutter hast du schon gesehen – das fette Trollweib am Drachenberg in Memliks Tal.“ „Hukaris Muhme?“ Er erinnerte sich deutlich an jenes Ungeheuer, neben dem die Trollin hier fast zierlich wirkte. „Ich wusste nicht, dass Trolle sich unsichtbar machen können.“ „Ja, nicht jeder Troll kann das. Ist aber ähnlich wie Stille zaubern.“ Sie grinste stolz. „Und rat‘ mal, wer noch in der Gegend ist.“ „Hukari?“ Sie nickte. „Ich bin aber voraus gerannt, als wir erfuhren, was hier los ist.“ Sorla konnte sich das Trollweib nicht rennend vorstellen; sie war wohl eher auf allen Vieren getrottet. Eben wollte er fragen, wie sie denn von seiner Lage erfahren hatten, da fuhr sie fort: „Wir trafen ein Pferd mit einer jungen Frau auf dem Rücken. Ich war unsichtbar, die Leute sind ja so schreckhaft hierzulande. Hukari redete mit der Frau und wollte was zu essen für uns. Da wurde das Pferd unruhig, weil es mich roch, und warf die Frau ab. Die weinte, weil das Pferd verrückt spielte, und sagte, sie muss dringend Hilfe holen. So erfuhren wir, dass du hier bist.“ Die ältere Frau legte ihre Hand auf Sorlas Arm: „Ich
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verstehe nicht, was ihr redet. Ist dieses Wesen eine Menschenfresserin?“ Sorla lächelte. „Sie ist eine alte Bekannte aus Batiflim. Heute hat sie Slendale getroffen.“ „Bei Wrals Unberechenbarkeit! Lebt sie noch?“ „Sie hat sie nicht gefressen, sei unbesorgt.“ Damit wandte er sich wieder dem Trollweib zu und ließ sich berichten, dass Hukari zusammen mit der jungen Frau zur Kaserne weiter geritten war. „Das war besser so“, grinste die Trollin. „Wo viele Männer beisammen sind, die sich langweilen, denke ich, ist es auch nicht anders als bei meinen Jungs in den Bergen. Ein schüchternes Mädchen sollte alleine nicht hingehen. Hukari aber, die hat Trollblut in den Adern, die kann sich durchsetzen.“ Das wusste Sorla schon. Zugleich wurde ihm jetzt erst bewusst, was er der jungen Frau zugemutet hatte, als er sie los schickte. Die Tür öffnete sich knarrend, kalter Wind fegte herein. Ruman schob sie ächzend zu, drehte sich um und sah Sorla. Mit einem Wutschrei packte er eine an der Wand lehnende Mistgabel und rannte auf Sorla los. Plötzlich stolperte er, fiel der Länge nach hin, im nächsten Augenblick traf ihn der leere Melkeimer am Kopf, er sackte zusammen. Die Trollin wurde wieder sichtbar und grinste zufrieden. Zusammen schleiften sie den Bewusstlosen zum Stützpfeiler und banden ihn dort genauso fest, wie er es zuvor mit Sorla getan hatte. Musrel stand händeringend dabei und wusste nicht, was tun. „Sag mir“, wandte sich Sorla an sie, „wo sind meine Waffen?“ „Der Dolch und der Bogen? Im Haus, Ruman hat sie dort versteckt, denke ich.“ „Und das Schwert?“ „Welches Schwert? Da war keines!“ Oh Atne, dachte Sorla. Er erinnerte sich, das Schwert beiseite gelegt zu haben – mit der restlichen Rüstung. Den Bogen allerdings, ja den hatte er später wieder in der Hand gehabt, ein Liedchen darauf gezupft.
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Es half nichts, dem Schwert nachzutrauern, er fragte die Frau: „Lebt Ruman alleine hier? Und welche Stellung hat er in der Familie der Rungegi?“ „Er ist der zweitälteste Sohn von Fürst Slutr, dem Oberhaupt der Rungegi“, antwortete sie verängstigt. „Der einzige, der noch Rinderzucht betreibt und Wral verehrt. Seine Halbbrüder sind Stadtmenschen; sie wollen nur das Geld.“ „Und Fürst Slutr?“ „Der ist alt“, seufzte sie. „Der sitzt hinterm Ofen.“ Sorla beschloss, sich umzusehen. Das Trollweib sollte im Stall bleiben und aufpassen, dass Musrel nicht weglief und niemand Ruman befreite. Das war ihr recht; auffordernd hielt sie der älteren Frau den Melkeimer zum Nachfüllen hin. Erst als Sorla den Stall verlassen hatte, fiel ihm ein, dass er das Trollweib fragen wollte, weshalb sie und Hukari überhaupt in diese Gegend gekommen waren. Er schob den Gedanken beiseite und bewegte sich an der Außenwand des Stalles entlang auf das Hauptgebäude zu. Es war Nacht, doch hundert Schritte weiter waren die Umrisse weiterer Gebäude zu sehen. Im Hof stand unter einer Markise eine Sänfte. Sorla warf einen Blick hinein; halb verborgen unter den Kissen lag ein Büchlein mit dem Titel „Rezepturen für Schlaf- und Unheiltränke“. Das nahm er an sich. Wie er sich umdrehte, standen da zwei Hunde und knurrten. Sorla lächelte. „Es ist euer Hof“, sagte er, während er die flache Linke auf die gekrümmte Rechte schlug und so das Regenszepter erscheinen ließ, „und ich bin euer Gast!“ Da wedelten die Hunde mit den Schwänzen und gingen zurück zu ihren Schlafplätzen. Wie es genau wirkte, wusste Sorla nicht; nur, dass er mit seinem Szepter kleinere Wesen freundlich stimmen konnte. Nicht schlecht, dachte er, was Azluthos mir da gezeigt hat, und ließ sein Szepter wieder verschwinden. Als er durch die kleinen Fenster blickte, die statt mit Schweinsblasen mit echten Glasscheiben versehen waren – sie mussten ein Vermögen gekostet haben – sah er am Tisch vier Personen sitzen; am Kopfende eine ältere Frau in vornehm schwarzrotem Gewand und streng aufrechter Haltung, ein blasser
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Mann, dick und mit grämlichem Gesicht, ein weiterer Mann, der durch seinen langen roten Bart und verwirrte Augen auffiel, sowie eine schöne junge Frau in schlicht schwarzem Kleid, die ihre Hände sorglich auf dem Tisch gefaltet hatte. Um den Hals trug sie ein schmales, schwarzes Band mit Anhänger – ein winziger elfenbeinerner Totenkopf. Hinten am Kamin saß zusammen gesunken ein Greis. Seine weißen Haare standen wirr über die vielen Decken hinaus, in die er bis zu den Ohren eingehüllt war. Und im Nebenzimmer, das konnte Sorla durch die offene Verbindungstür erkennen, saßen an einem weiteren Tisch zwei grobschlächtige Männer, wohl Knechte oder auch die Sänftenträger. Da der obere Teil des Fensters aufgeklappt war, konnte Sorla verstehen, was gesprochen wurde. „Ruman bleibt lange weg“, hörte er die ältere Frau sagen. „Er wird ein Kalb streicheln, Mutter“, erwiderte der Dickliche. „Oder den Mist ansprechender schichten.“ Er verzog die Mundwinkel. „Ich verstehe dich, Wurto“, entgegnete sie. „Wir werden morgen früh abreisen. Dein Bruder Prande ist ja heute nicht hierher gekommen, vielleicht ist er direkt zum Treffpunkt voraus.“ „Ich versteh‘ nicht, weshalb wir überhaupt hier sind, Mutter“, quengelte Wurto. „Seit drei Tagen hock‘ ich hier nur rum.“ Der Rotbärtige warf den Kopf zurück. „Wral zuliebe! Fürstin Orfhane weiß, was das Volk will!“ Er verneigte sich gegen die ältere Frau. „Sehr richtig“, bemerkte sie knapp. „Wenn wir dieses Gehöft nicht hätten, wir müssten uns eines zulegen. Wie sollen wir uns sonst als notleidende Bauern darstellen? Sei deinem Bruder Ruman dankbar, dass er bloß Bauer sein will!“ „Halbbruder“, murrte dieser. „Erinnere mich nicht an die Schwächen meines Gemahls!“ herrschte sie ihn an. Er duckte sich über den Tisch. Seine Mutter verkrampfte die Hände, dass die Fingerknöchel weiß hervorstanden. Sorla sah, wie über die Lippen der jungen Frau in Schwarz ein feines, verächtliches Lächeln huschte. Ansonsten saß sie reglos und
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schwieg. Die Fürstin pochte scharf auf den Tisch: „Genug gewartet! Du, Wral-Priester, bete mit dem Gesinde drüben! Du, Wurto, geh‘ schon zu Bett, du bist müde. Wir sehen uns morgen.“ „Aber Smisilla ...“, stammelte Wurto und deutete auf die junge Frau in Schwarz. „Mit deiner Frau habe ich noch zu reden. Keine Widerrede!“ Kaum waren sie alleine, schloss die Fürstin die Tür. Dann trat sie zu Smisilla, die ebenfalls aufgestanden war, und umarmte sie. Smisilla lächelte sanft und sagte: „Fürstin, wenn Ruman zurückkehrt, sieht er uns.“ Orfhane trat zurück. „Du hast recht, Kindchen. Lass‘ uns sachlich bleiben. Mein Gatte hat lange genug gelebt. Ich brauche freie Hand. Bleibe du hier und achte darauf, dass die Magd, Musrel heißt sie, den Tee richtig zubereitet. In zwei Wochen ist es vorbei, dann komme nach. Ich sehne mich nach dir!“ Die letzten Worte sprach die Fürstin mit geschlossenen Augen, und nur Sorla sah Smisillas feines, verächtliches Lächeln. Sorla hatte genug gesehen und gehört. Auch hörte er jetzt das Scharren von zurückgeschobenen Stühlen – auch im Gesindezimmer brach man auf, und Sorla wollte nicht überrascht werden. Er eilte im Dunkeln zum Stall zurück. Ruman war aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, doch das Trollweib hatte Stille gezaubert, damit er nicht um Hilfe schrie. Nun hockte sie vor ihm und bedeckte das Gesicht des Hilflosen mit feuchten Küssen. Musrel stand dabei und hielt die Hände entsetzt an den Kopf. Sorla bedeutete dem Trollweib, den Stillezauber aufzuheben und von Ruman abzulassen. Dieser atmete hörbar auf. Musrel wischte ihm mit einem Bündel Heu den Trollspeichel vom Gesicht. Ruman funkelte Sorla mit rotem Kopf an. „Du und dein Ungeheuer – Wral soll euch strafen!“ „Ich will mit dir reden, Ruman.“ „Mach‘ mich los, du Feigling, dass ich dich erschlagen kann!“
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Sorla zuckte die Achseln. Zum Trollweib sagte er: „Wenn er schreit, zaubere Stille!“ „Oder ich küss‘ ihn, das hilft auch!“ behauptete die Trollin. Sorla untersuchte die Wunde am Kopf Rumans, wo ihn der Melkeimer getroffen hatte. Die Stelle war geschwollen und fingerbreit aufgeplatzt, noch immer sickerte Blut durch den Schorf und rann über Rumans Auge. „Zeit für ein kleines Wunder“, erklärte Sorla fröhlich. Er schlug mit der flachen Linken auf die gekrümmte Rechte, schon erschien sein blaugrünes Regenszepter. Nun richtete er seine Gedanken auf Rumans Verletzung und murmelte die Worte, die Azluthos ihn kürzlich gelehrt hatte – da zog sich die Platzwunde zusammen, die Schwellung flachte ab, und ehe man sechzigmal „Gepriesen sei Wral auf den Weiden“ hätte sagen können, war die Verletzung verheilt und verschwunden, nur Dreck und getrocknetes Blut kündeten noch davon, dass hier ein Melkeimer aufgeschlagen war. „Ein Wunder!“ hauchte Musrel, die Sorla über die Schulter geschaut hatte. „Sagte ich doch. Nun höre, Musrel. Du siehst, dass ich deinem Brotherrn nicht übel will, im Gegenteil. Wenn ich dich also mit einem Auftrag ins Hauptgebäude schicke, so wirst du nicht verraten, was hier im Stall vorgefallen ist, nicht wahr?“ „Nein, Herr Sorla!“ „Gut. Hole mir frische Kleidung, denn diese hier stinkt, und zwei Eimer warmes Wasser.“ Als sie fort war, wandte sich Sorla wieder Ruman zu. „Wieso hast du niemandem erzählt, dass du mich hier gefangen hältst? Deine Familie hätte sich gefreut, oder?“ Ruman zögerte mit der Antwort: „Ich wusste, dass es falsch war, dich festzuhalten. Solange ich keinem was sagte, konnte ich dich wieder freilassen. Aber wenn meine Familie davon erfahren hätte ...“ „Dann hätten sie dir die Entscheidung aus der Hand genommen und mich umgebracht.“ Ruman nickte.
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„Ich habe deine Familie vorhin beobachtet“, sagte Sorla. „Ich beneide dich nicht.“ „Meine Familie ist meine Sache.“ Mehr wollte Ruman nicht sagen, und Sorla überließ ihn seinem Schweigen. Bald kam Musrel zurück mit dampfenden Eimern, drei Handtüchern und einem Stapel frischer Kleidung. Sie versicherte, keinem etwas verraten zu haben, sowieso seien die Herrschaften bereits zu Bette. Sorla zog sich mit Eimern und Kleidung hinter die gestapelten Strohballen zurück, wo er sich aufatmend die jauchegetränkten Kleider vom Leibe riss. Gerade hatte er den rauh gewirkten Bauernkittel zugebunden, als ein Schrei ertönte. Er stürzte zu den anderen und sah, dass Musrel mit zitterndem Finger auf ein Stück Katzenfell deutete. Das Trollweib versuchte sie zu beruhigen: „Das war mir zu fad. Die andre Katze habe ich aber ganz gefressen.“ Da brach Musrel in neue Tränen aus. „Es ist meine Schuld“, sagte Sorla. „Ich hätte daran denken sollen, dass wir auch essen müssen.“ Und er schickte Musrel wieder los. Außer Essen und Trinken brachte sie noch Decken mit, in die sie Ruman einwickelte, „denn auf dem kalten Boden sitzen ist nicht gesund.“ Dann setzte sie sich zu ihm auf eine Decke und fütterte ihn mit Brot und kaltem Fleisch. „Höre, junger Mann“, ließ Ruman sich mit vollem Mund hören. „Ich weiß, dass du mich nicht weglassen kannst, solange meine Familie da ist. Aber morgen reisen sie ab. Lass‘ mich dann frei, und wir reden als vernünftige Männer miteinander.“ Sorla nickte, und als er satt war, kletterte er die Leiter hoch auf den Heuboden, um sich schlafen zu legen. Das Heu kitzelte an den Händen und duftete nach dem vergangenen Sommer. Da spürte er eine Bewegung neben sich – das Trollweib. „Höre, mein Kindchen“, flüsterte sie, „was mach‘ ich bloß falsch?“ Bekümmert zog sie an ihrer wurstförmigen Nase. „Wegen der Katzen mach‘ dir keine Gedanken.“ „Nein, Dummchen. Dieser Mensch dort unten, ich hab‘ ihn geküsst, aber genützt hat’s nichts.“ „Ruman?“ „Ich bin ganz scharf auf ihn, so was Kräftiges sieht man selten!“
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„Nun ..., du siehst halt anders aus, als Menschen es gewöhnt sind.“ „Du meinst, ich muss mich in was Verhungertes mit kleinen Zitzen verwandeln, so wie deine Hukari?“ „Hukari sieht nicht verhungert aus!“ „Also mich find‘ ich ansehnlicher. Wo sonst siehst du so prächtige Schenkel? Solche Brüste?“ „Ja. Aber deine Brüder waren auch hinter den Menschenmädchen her, oder?“ „Männer!“ Dann, etwas zögerlicher: „Meinst du wirklich, ich soll’s tun? Mich in ein dünnes Menschenmädchen verwandeln?“ Sorla setzte sich aufrecht. „Sag‘ mir, weshalb seid ihr beiden überhaupt aus Batiflim hierher gekommen?“ „Es war Hukaris Idee. Du hast ihr einen Brief geschickt, wie arm du dran bist, da sagt sie zu mir, komm, Base, wir gehen nach Ekritmea, Sorla besuchen. Wieso denn ich, sage ich, aber sie meint, sie braucht Schutz. Da sage ich, na du und dein Sorla! Und dann sagt sie, komm mit, Base, da triffst du viele Männer. Damit hat sie mich geködert, denn seit ein loser Felsen meinen Schatz platt machte, hatte ich nichts mehr zwischen den Beinen, und das ist ein halbes Jahr her.“ „Wenn das so ist ... Aber kannst du dich wirklich verwandeln?“ „Ich hab’s schon lang nicht mehr probiert, aber früher, als Trollbalg, habe ich oft gespielt, ich bin eine Ziege.“ Sorla hatte Zweifel, ob das der richtige Weg war, sagte aber nichts mehr, sondern legte sich endgültig schlafen. Neben ihm murmelte das Trollweib etwas von schmaler Taille und langen, blonden Haaren, doch das konnte er auch schon geträumt haben. Am nächsten Morgen wachte er davon auf, dass Pferde draußen vorbei trappelten. Er stapfte durchs Heu hinüber zur Außenwand und sah durch die Luke, wie Wurto und der Wral-Priester davon ritten. Hinter ihnen schwankte die Sänfte der Fürstin Orfhane, getragen von vier stämmigen Männern. Als sie außer Sichtweite waren, kletterte Sorla die Leiter hinunter zum Stallboden und band Ruman los. Gemeinsam gingen
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sie zur Jauchegrube, um ihr Wasser abzuschlagen. Ihr Atem bildete Wölkchen in der kalten Morgenluft, der Harnstrahl dampfte. „Ich hab‘ mir einiges überlegt, Sorle-a-glach“, sagte Ruman. „Du als Kaiser musst das Wohl des Ganzen bedenken. Ich versteh‘ das, als Landwirt muss ich auch auf alles achten. Meine Familie sieht das aber anders. Die Fürstin wird bei den Kanalgebühren nicht einlenken.“ „Was meint Fürst Slutr?“ „Mein Vater ist alt.“ Als sie sich umdrehten, stand da, notdürftig in Sorlas gebrauchte Handtücher gehüllt, eine junge Frau, üppig gebaut, doch mit erstaunlich schmaler Taille. Sie ließ ihr langes, blondes Haar durch die Finger gleiten. „Bei Ûr-gqâschps!“ japste Sorla. Ruman dagegen stammelte: „W-wer bist du?“ „Nennt mich Molghq’âspûn“, flötete die Erscheinung und wiegte sich in den Hüften. „Wir müssen dich ins Haus bringen, Molkaspen“, rief Ruman. „Es ist zu kalt hier draußen!“ Molq’âspûn zwinkerte Sorla zu. Auf dem Weg zum Hauptgebäude kamen ihnen die beiden Hunde entgegen. An Ruman liefen sie vorbei, Sorla begrüßten sie freundlich, vor der verwandelten Trollin jedoch wichen sie knurrend mit eingezogenen Schwänzen zurück. Auch als Ruman sie zurechtwies, gaben sie keine Ruhe. „Bei Fremden sind sie misstrauisch“, erklärte Ruman. „Mich wundert, dass sie dich gleich gemocht haben, Sorla.“ Damit scheuchte er sie fort. Wie sie näher ans Haus kamen, hörten sie streitende Stimmen. Schnell traten sie durch den Flur ins Zimmer, dort standen Musrel und die junge Frau in Schwarz einander erbost gegenüber. Die junge Frau hatte neben sich auf dem Tisch eine dampfende Tasse Kräutertee abgestellt, hinter Musrel saß in seinem Lehnstuhl der alte Fürst Slutr und hustete ein bisschen. „Was ist los, Smisilla?“ fragte Ruman. „Gut, dass du kommst!“ lächelte die junge Frau in Schwarz. „Die Magd hier hindert mich, deinen Vater zu pflegen.“
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„Ich habe den Fürsten immer gut gepflegt, Herr“, rief Musrel. „Ich weiß, was er braucht!“ „Er braucht jetzt Hustentee“, schnurrte Smisilla und wies auf die Tasse neben ihr. Musrel rang die Hände und murmelte etwas. „Lauter, Musrel!“ rief Ruman. „Was ist?“ Da flüsterte Musrel: „Das ist kein guter Tee!“ „Was willst du damit sagen?“ sagte die junge Frau mit samtweicher Stimme, doch ihre Augen verengten sich. Zweimal setzte Musrel an, dann fand sie den Mut zu sagen: „Ich hab‘ sie beobachtet. Der Tee war schon fertig, aber sie hat noch was rein getan.“ Die junge Frau in Schwarz lächelte sanft. „Es ist Schafgarbe –gut für die Atemwege. Du siehst nicht richtig, man sollte dir die Augen auskratzen.“ Ihre Finger spreizten sich ein wenig. Musrel fiel vor Ruman auf die Knie. „Ich kenne Schafgarbe!“ schluchzte sie. „Es roch anders!“ Sorla beschloss sich einzumischen. Er holte das Büchlein heraus: „Hier, das fand ich gestern in der Sänfte von Fürstin Orfhane, vielleicht hilft es uns weiter: Rezepturen für Schlaf- und Unheiltränke.“ Ruman riss ihm das Büchlein aus der Hand und blätterte herum. „Soll das heißen ...?“ Dann begann der Zorn in ihm hochzukochen, er schrie Smisilla an: „Wollt ihr meinen Vater vergiften?“ Die junge Frau lächelte nicht mehr. Ihre Augen funkelten böse, während sie sich gewandt seitlich bewegte, aus Rumans Reichweite. „Rühr‘ mich nicht an!“ fauchte sie. „Kein Wunder, dass du keine Frau hast, du hirnloses Rindvieh!“ Plötzlich fiel neben Sorla ein Handtuch zu Boden. „Huch!“ flüsterte die Trollin unsichtbar nahe seinem Ohr. Jetzt erst fiel Sorla auf, dass er sie, seit sie das Haus betraten, nicht mehr gesehen hatte. Smisilla blickte nur kurz herüber, und Ruman hatte in seiner Wut überhaupt nichts bemerkt. Er stapfte durch den Raum, um die junge Frau am Ellbogen zu packen. Da fuhr sie ihm mit der gespreizten Rechten durchs Gesicht – blutige Striemen zogen sich über seine Backe. Im nächsten Augenblick wurde sie rückwärts
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gegen die Wand geschmettert, von einer unsichtbaren Gewalt – und zwei weitere Handtücher fielen zu Boden. Kreischend sprang Smisilla hoch, doch mitten im Sprung verwandelte sie sich in eine riesige Katze, einen Panther mit schwarzem Fell. Ihre Pranken hieb sie Ruman in die Brust und wollte eben ihre Reißzähne in seinen Hals schlagen, da wurde sie wieder beiseite geschmettert, krachte gegen die Wand und blieb reglos am Boden liegen. Ruman ließ sich auf den Tisch fallen und glotzte fassungslos auf das tote Raubtier. „Was ist denn das?“ murmelte er immer wieder, während ihm Musrel das Blut aus dem Gesicht wischte, dann den Kittel öffnete, um seine Wunden zu verbinden. Sorla aber rief sein Regenszepter herbei und wirkte wie am Abend zuvor eine Heilung der Wunden Rumans. Als er das Regenszepter verschwinden ließ, sah er, wie die drei Handtücher sich vom Boden erhoben und in der Luft verschwanden. Kurz darauf stand die Trollin, blond und in ihre Tücher gehüllt, neben ihm. „Dieser Heilzauber ist auch nicht schlecht!“ meinte sie anerkennend. „Hallo, Molkaspen!“ sagte Musrel, während sie einen blutigen Lappen auswusch. „Danke für dein Eingreifen!“ „Ihr kennt euch?“ fragten Sorla und Ruman zugleich. Molq’âspûn lächelte breit. „Wir hatten gestern Nacht ein längeres Gespräch unter Frauen.“ Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und schaffte es gerade noch, ihr rutschendes Handtuch wieder festzuhalten. Ruman verschlang sie mit den Augen. Aber allmählich dämmerte ihm, was Musrel gesagt hatte. „Eingreifen? Hast du den Panther besiegt?“ Sie senkte die Augenlider, aber ihr leises Lachen strafte ihre Schüchternheit Lügen. „Und weshalb hab‘ ich dich nicht gesehen?“ „Sie kann zaubern, Herr“, erklärte Musrel. „Doch da gibt‘s noch was, was sie nicht wagt, dir zu erzählen.“ Und mit behutsamen Worten klärte sie Ruman darüber auf, dass die üppige Blonde in Wahrheit das Trollweib war, vor dessen Küssen er sich am vorigen Abend geekelt hatte.
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Er überlegte. Schließlich fragte er: „Wie lange hält diese Verwandlung an?“ „So lange ich will“, flüsterte Molghq’âspûn. „Solange es dir Freude macht.“ „Herr“, mischte sich Musrel ein. „Sie ist eine, die dir gewachsen ist. Die anderen Frauen haben Angst vor dir, weil du leicht in Zorn gerätst.“ Das zu bedenken dauerte wieder eine Zeit. Dann sagte Ruman: „Smisilla war ja auch in Wirklichkeit ein Panther. Der Unterschied ist, sie hatte ein böses Herz, aber Molkaspen ...“ Weiter kam er nicht, denn die Trollin fiel über ihn her und ließ alle Handtücher fallen. Sorla und Musrel verließen eilends das Zimmer. Während Musrel sich um den Hof kümmerte, suchte Sorla sich in der Küche etwas zum Essen zusammen. Dabei schweiften seine Gedanken sehnsüchtig zu Hukari ab – doch die kam ja vielleicht heute Abend schon! Mittags tauchten Ruman und Molghq’âspûn in der Küche auf, zerzaust, glücklich, hungrig. „Jetzt schaffen wir den Panther aus dem Haus“, beschloss Ruman nach dem Essen. Alle gingen ins große Zimmer, wo Smisillas Leiche noch immer in der Ecke lag. Auch im Tode sah das Pantherweibchen schön und gefährlich aus. Das Halsband mit dem winzigen Totenkopf-Anhänger nahm Ruman ab, dann wuchtete er sich die Raubkatze über die Schulter und stapfte, gefolgt von den drei anderen, hinaus. Sie begruben das Tier in einem Loch im Obstgarten, wo Ruman vor kurzem mit zwei Rindern einen morschen Apfelbaum samt Wurzelballen herausgerissen hatte. „Immerhin“, sagte Ruman, „gehörte Smisilla zur Familie. Mein Halbbruder hat sie geliebt.“ „Deine Mutter liebte sie auch“, sagte Sorla. Ruman runzelte die Stirn: „Wurto ist ein Trottel.“ Er schlug die lose Erde mit dem flachen Spaten fest. „Und Fürstin Orfhane ist nicht meine Mutter. Meine Mutter war Fürst Slutrs Geliebte.“ Musrel sagte: „Birgen war schön und warmherzig. Und sie kannte sich mit Landwirtschaft aus. Sie wäre Fürst Slutr eine gute Frau gewesen, aber der war schon mit Fürstin Orfhane verheiratet.“
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Sie seufzte. „Sie starb bald nach Rumans Geburt an Magenkrämpfen.“ „Hat sie was Giftiges gegessen?“ fragte Molghq’âspûn. In diesem Augenblick tauchten am unteren Ende des Obstgartens ein halbes Dutzend Bewaffnete auf, drängten sich durch die Beerenhecken und kamen auf sie zu. Auch von beiden Seiten drangen Bewaffnete vor, und als Sorla sich umdrehte, ob es eine Möglichkeit zur Flucht gab, sah er vom Gutshof her eine Reihe von Männern mit Spießen vorrücken – sie waren eingekreist. Ein schlanker junger Mann trat vor, sein Schwert bereit haltend. „Hallo Ruman“, grinste er. „Prande!“ rief dieser verblüfft. „Was soll das?“ „Zeit, die Erbschaft zu regeln!“ „Noch lebt unser Vater!“ „Nicht mehr lange, Ruman. Auch könnte man nachhelfen.“ Rumans Kopf lief rot an, er wollte sich auf seinen Halbbruder werfen, doch dessen Schwert brachte ihn zur Besinnung. Prande lächelte überheblich. „Du Narr! Was nützt der alte Slutr noch? Der Graf von Agra liebt mich. Er wird diesen Kaiserbengel vom Thron jagen und mich zum Kaiser machen. Der Aufstand steht kurz bevor.“ Ruman warf Sorla einen Blick zu, sagte aber, mühsam beherrscht: „Was willst du dann hier?“ „Du und ich – wir sind Slutrs Erben. Doch ich brauche alles für mich!“ Prandes Augen leuchteten, er sprach hastig. „Und zwar jetzt. Ich werde dem Grafen viele Truppen zuführen.“ „Deine Mutter wird nicht einverstanden sein“, sagte Ruman. „Sie liebt das Geld noch mehr als du.“ „Meine Mutter?“ Prande lachte irr. „Heute früh hatten wir einen Streit darüber. Jetzt ist sie tot. Und Wurto, der Narr, wollte ihr noch beistehen.“ Musrel trat vor. „Ihr seid ein Ungeheuer, Herr! Wral wird euch strafen!“ Doch Prande beachtete sie nicht. „Nur du fehlst noch, mein dummer Halbbruder!“ Mit erhobenem Schwert drang er auf Ruman ein, da wurde ihm seine Waffe von einer unsichtbaren Kraft aus der
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Hand gerissen. „Was ist das?“ schrie er und glotzte auf das Schwert, das ein paar Schritte weiter frei in der Luft zu hängen schien. „Welche Teufel helfen dir?“ Ein helles Lachen antwortete ihm, freundlich und höhnisch zugleich: „Komm her, lass‘ dich abstechen!“ Deutlich erkannte Sorla die Stimme von Molghq’âspûn. Mit einem Aufschrei irrer Wut stürzte sich Prande auf das Schwert, um es zu packen; doch dieses zuckte zurück und fuhr ihm in den Unterleib. Prande brach in die Knie. Mit beiden Händen zog er sich die blutige Klinge heraus, Gedärme quollen hinterher. Die Bewaffneten ringsum schrien auf. „Hier sind böse Geister“, murmelten einige mit bleichem Gesicht. „Das war Wral!“ rief einer mit überschlagender Stimme. Auch die anderen verharrten unsicher. Dann aber rief ihr Anführer: „Los, Männer, packen wir die Mörder Prandes! Der Graf wird uns belohnen!“ Die Aussicht auf Geld gab ihnen neuen Mut. Mit vorgehaltenen Spießen drangen sie Schritt für Schritt gegen die kleine Gruppe vor. Wo Molghq’âspûn war, konnte Sorla nur vermuten, doch ihm war klar, dass auch sie nichts gegen diese Wand aus Speerspitzen ausrichten konnte. Seinen Bogen hatte er im Haus liegen lassen, als sie das tote Pantherweibchen in den Obstgarten trugen. Doch mehr als fünf Angreifer hätte er auch damit nicht erledigen können, dann hätten sie ihn gehabt. „Oh Atne!“ murmelte er. Plötzlich herrschte völlige Stille. Sorla sah die Bewaffneten auf sich zukommen, dahinter aber eilten andere Soldaten über die Wiese herbei, ebenso lautlos wie alles ringsum, und erreichten in wenigen Sätzen die Männer der vorderen Reihe, die von dem unerwarteten Angriff in ihrem Rücken so überrumpelt wurden, dass sie entwaffnet waren, ehe sie sich zur Gegenwehr besannen. Die Geräusche brachen wieder über Sorla herein. Prande stöhnte in letzten Todesqualen; die Soldaten schrien ihre Gefangenen an, sich hinzuknien und die Hände hinter dem Nacken zu falten; Molghq’âspûn war auch wieder zu sehen in ihrer kaum verhüllten Üppigkeit, sie grinste stolz und zufrieden. Nun tauchte auch Hukari auf und ging strahlend auf Sorla zu. Doch eilte Molghq’âspûn ihr entgegen und küsste sie ab. Hukari
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wehrte sich einige Zeit vergeblich, bis sie merkte, wer die blonde Schöne wirklich war. „Bei Ûr-gqâschps!“ lachte sie. „Hast du einen Liebsten gefunden, Molghq’âspûn?“ Diese grinste verlegen und murmelte etwas von „Marushu sei Dank!“ Dann endlich sank Hukari in Sorlas Arme. * In der Kaserne trafen sie Psudi, den jungen Anod-Priester, den Plosek geschickt hatte. Er hatte kluge, braune Augen, doch entstellte eine Hasenscharte sein fast noch kindliches Gesicht und erschwerte es ihm, deutlich zu sprechen. Wenn er dann verlegen wurde und versuchte, die Hasenscharte hinter seiner Hand zu verbergen, war er noch schwerer zu verstehen. Die Verpflegung der Soldaten war vergiftet gewesen, nuschelte er jetzt; und zwar durch den falschen Wral-Priester. Dieser war geflohen, als Prande mit seinem Trupp Mutter und Bruder auf ihrem Weg zur Stadt stellte und erstach. „Hoffentlich taucht er nicht mehr auf“, sagte Psudi. „Ich hasse falsche Priester, die vor den Mächtigen kriechen und dem Volk schaden.“ Dann wurde er rot und hielt seine Hand vor die Hasenscharte. Molghq’âspûn war mit Ruman auf seinem Gut geblieben. „Sie wird ihm irgendwann Musrels Geheimnis sagen müssen“, meinte Hukari. „Welches Geheimnis?“ fragte Sorla. „Fürst Slutr ist auch ihr Vater. Aber das musste sie für sich behalten, sonst hätte Orfhane sie vergiftet. Erst Molghq’âspûn hat sie sich anvertraut. Warum wohl hat sie auf dem Gut so lange ausgehalten?“ „Sie hat sich also nicht nur um die Rinder gekümmert, sondern ihrer Familie den Haushalt geführt. Weshalb hat Ruman es nicht gemerkt?“ „Männer spüren so was nicht. Er hat sich bloß geärgert, dass
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sie nicht zu ihm ins Bett kam, das war alles.“ „Aber Fürst Slutr?“ „Der hat wohl noch andere Kinder, von denen er nichts weiß. Musrels Mutter war auch nur eine seiner Mägde.“ „Nun, dann hat Ruman noch mehr Verstärkung, wenn er sich gegen den Rest der Rungegi durchsetzen muss.“ Denn Ruman war jetzt das Oberhaupt der Familie, doch manche Vettern seiner weitverzweigten Familie, so hatte er Sorla beim Abschied gesagt, seien nicht so leicht zur Kaisertreue zu bewegen. Aber er werde das schon schaffen. Zudem seien die Wunder der Göttin Wral sehr hilfreich gewesen, auch jenes vom schwebenden Schwert, von dem die Soldaten überall erzählten. Sorla musste lachen, und beim Abschied schlug Ruman ihm auf die Schulter und sagte überraschend feierlich: „Wer hätte gedacht, dass der junge Kaiser mir einmal Glück bringt! Möge Atne dich beschützen und Wral deinen Thron segnen!“ Später verabschiedete sich auch Hukari. „Ich werde in Batiflim gebraucht“, sagte sie zwischen zwei langen Küssen. „Vor allem wenn dein Freund Horell es wirklich schafft, die Hochebene abzusenken.“ Sorla nickte unglücklich. „Ich gebe dir einen Geleittrupp Berittener mit. Es darf dir nichts zustoßen!“ Sie lächelte. „Danke, aber kaiserliche Soldaten sind hier oben keine Empfehlung, und in Batiflim schon gar nicht. Mich wird Molghq’âspûn begleiten, so lange muss Ruman eben auf sie verzichten. Uns beiden geht’s ja auch nicht besser.“ Ihre dunklen Augen zwinkerten frech. Jetzt ritt Sorla nach Westen, mit dem jungen Anod-Priester und vier Dutzend berittener Soldaten. Die gefrorenen Pfützen knirschten unter den Hufen. Zwei Tagesritte vor ihnen, südwestlich von Batiflim und nahe der Grafschaft Agra, lag die Provinz Horadh, das Stammland der Familie Hreddeshi, einer der Sechs Familien. Von hier war Fürstin Orfhane gekommen, um Fürst Slutr von den Rungegi zu heiraten. Dass sie nun tot war, würde die Haltung der restlichen Hreddeshi gegen die Schlangendynastie nicht ändern. Sorla musste ihnen zuvorkommen, bevor sie sich mit dem Grafen
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von Agra verbünden konnten. „Sie sollen eine beachtliche Streitmacht zusammengezogen haben“, sagte er. „Da hilft uns deine kleine Truppe nicht viel“, entgegnete Psudi düster. Nachdenklich rieb er sich die Hasenscharte. „Sie taugt nur für Nadelstiche, das stimmt. Für überraschende Angriffe. Die Schlangentaktik eben.“ „Da bin ich aber gespannt.“ Insgeheim war auch Sorla unsicher, ob das die richtige Vorgehensweise war, denn von Kriegführung hatte er keine Ahnung, und Tok-aglur, der in militärischen Dingen in seinen Jugendjahren sicher ausgebildet worden war, befand sich weit weg in Ekritmea. Vor allem: Sorla war noch nie in der Provinz Horadh gewesen, ihm fehlten die notwendigen Kenntnisse der Gegebenheiten, um gezielte Überraschungsangriffe erfolgreich durchzuführen. Andererseits konnte er nicht länger warten. Oh Atne, dachte Sorla, wieder einmal bin ich auf deine Gnade angewiesen! Nachts träumte er von einem riesigen Weib mit Zottelhaar, das eine Herde wilder Büffel durch einen sumpfigen Wald trieb. Er saß seitab auf einem Weidenast, sie schaute nur kurz zu ihm herüber, mit ihren moosgrünen Tieraugen, und rief dann wieder ihre harschen Befehle „Hurr!“ und „Rah!“, um die Herde beieinander zu halten. Als er erwachte, erzählte er Psudi davon. „Das war Wral“, staunte er. „Sie wird so beschrieben, wie du sie sahst. ‚Hurr!‘ heißt ‚Nach rechts!‘ und ‚Rah!‘ ‚Nach links!‘. Das sind landesübliche Rufe der Ochsentreiber. Es gibt noch ‚Russa!‘, um die Tiere anzutreiben, und ‚Hoah!‘, um sie zum Halten zu bringen.“ „Dies waren keine Ochsen.“ „Wral ist ja auch eine Göttin.“ Noch lange grübelte Sorla darüber nach, kam aber zu keiner anderen Erkenntnis, als dass Wral ihm die Ehre erwiesen hatte, ihre Erscheinung zu schauen. Abends kamen sie zu einem ausgebrannten Gehöft. Eine seitab liegende Scheune war noch unversehrt, dort quartierten sie sich ein. Als sie sich nach Essbarem umschauten, fanden sie im
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Innenhof des Anwesens die verkohlten Reste eines riesigen Scheiterhaufens, und überall verstreut Knochen von Rindern, Schweinen, Hühnern. Am Ziehbrunnen angebunden stand, in die Knie gesackt, die Leiche eines Mannes in Arbeitskleidung, vermutlich der Bauer; seinen Wunden zufolge hatte er als Ziel für Wurfspeere gedient. Zwei Frauen lagen tot dabei, die Röcke übers Gesicht geworfen, noch immer mit gespreizten Beinen. „Wer hat das verbrochen?“ rief Psudi empört und vergaß ganz, die Hand vor seine Hasenscharte zu halten. „Möge Anod sie strafen!“ Sorla war klar, dass Anod die Aufgabe, die Schuldigen zu verfolgen und zu bestrafen, wohl ihm, dem Kaiser, zugedacht hatte. Zunächst wies er ein paar der betroffen herumstehenden Soldaten an, für die drei Toten ein Grab auszuheben. Die Soldaten machten sich im Gemüsegarten, wo die Erde am lockersten war, an die Arbeit. Aber auch hier war der Boden schon gefroren. Einer schlug vor, doch einfach die Rübenmiete auszuräumen – die Grube, in der die Futterrüben aufgehäuft lagen. Sie hoben die Abdeckung von der Rübenmiete – Bretter und alte Säcke – und stießen darunter versteckt auf zwei Kinder, die ihnen zitternd vor Kälte und Furcht entgegen starrten. Psudi ließ ihnen Decken und warme Suppe geben. Dennoch ließ das Zittern nicht nach. „Das war zuviel für sie“, murmelte er hinter vorgehaltener Hand. „Ich werde ein kleines Wunder wirken müssen, den Heilsamen Schlaf.“ Das tat er, und nun mussten sie bis zum nächsten Morgen warten, um Auskunft zu erhalten, wer das Gehöft verwüstet hatte. Dann aber erwachten die beiden Kinder, ausgeschlafen und hungrig. Was Schreckliches geschehen war, wussten sie sehr wohl, konnten jedoch darüber reden, als seien Jahre vergangen. Jetzt stellte sich heraus, dass erst zwei Tage zuvor ein anderer Soldatentrupp hier genächtigt hatte, wohl viermal so groß wie Sorlas Schar. Sie hatten die Tiere aus den Ställen gezerrt und über dem Feuer, das sie mit den Holzvorräten der Bauernfamilie entzündet hatten, gebraten. Das kleine Mädchen hielt sich vor allem mit dem Leiden der Tiere auf, ihr noch kleinerer Bruder beschrieb eindrucksvoll das riesige Feuer. Was mit ihren Eltern und der Magd
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geschehen war, streiften sie bloß. „Und wer waren diese Leute?“ wollte Sorla wissen. „Der böse Ulfhon war’s“, sagte der kleine Junge und nickte bestimmt. „Doch der nicht selber“, berichtigte ihn die Schwester altklug. „Er schaute aber zu, was seine Männer anrichteten, diese Schlimmen!“ „Und wer ist Ulfhon?“ Das wusste Psudi: „Er gehört zur Familie der Hreddeshi, irgendein reicher Vetter der verstorbenen Fürstin Orfhane. Selbst innerhalb der Familie ist er nicht wohlgelitten, da er nur froh ist, wenn andere leiden. Er wurde mit allen Mitteln ruhig gehalten und besänftigt. Nun aber, da der Krieg naht, hat er wohl wieder Oberwasser, denn man braucht ihn und sein Heer.“ „Er kann doch nicht einfach die Gehöfte seines Landes zerstören!“ Psudi lächelte bitter. „Dies hier ist hernostisches Stammland, ein kleiner Ausläufer zwischen dem Land der Rungegi und der Provinz Horadh.“ „Der böse Ulfhon also“, wiederholte Sorla nachdenklich. „Ja!“ bestätigte das Mädchen mit blitzenden Augen. „Und als wir im Versteck waren, haben wir zu Wral gebetet, ganz arg, sie soll uns helfen und den bösen Ulfhon bestrafen!“ „Jetzt seid ihr da“, schloss sich der kleine Junge an. „Jetzt müsst ihr das machen!“ Sorla und Psudi sahen einander betroffen an. Sorla ließ aufbrechen; er wollte die Kinder zu einem benachbarten Gehöft bringen, das von Verwandten bewirtschaftet wurde. Benachbart bedeutete in dieser Gegend einen halben Tagesritt durch offenes Waldland, so dass sie erst mittags dort ankamen. Sie fanden das Gehöft unversehrt, aber verlassen vor. Als Sorla sich genauer umschaute, fiel ihm auf dem gefrorenen Boden undeutlich eine breite Trampelspur auf, die in den Wald führte. „Dort entlang!“ sagte er. „Sie haben sich mit ihrem Vieh im Wald versteckt!“ Eine Stunde lang ritten sie in den Wald hinein, dann fanden sie in einer Lichtung einen notdürftig zusammen gezimmerten Verschlag, in dem sich
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Rinder, Schafe und ein paar Maultiere drängten. Im nächsten Augenblick spürte Sorla einen brennenden Schmerz – ein Pfeil stak in seinem Unterarm, auch zwei der Soldaten schrien auf. Weitere Pfeile zischten heran, doch an Sorlas Kettenhemd prallten sie nutzlos ab. „Halt!“ rief er. „Wir sind Freunde!“ Ein weiterer Pfeilhagel schwirrte heran, ein Soldat sank getroffen vom Pferd. Da rief das kleine Mädchen: „Onkel Weni, hör‘ auf zu schießen!“ Drei Atemzüge lang geschah nichts, man hörte nur das Stöhnen der verwundeten Soldaten. Dann erscholl von einem der Bäume am Rand der Lichtung eine Stimme: „Bist du das, Mäuschen?“ „Ja, und mein Bruder ist auch da!“ „Wir befreien euch!“ Wieder zischten Pfeile heran, doch die Soldaten waren gewarnt und hoben ihre Schilde gegen den Pfeilhagel, so dass nur einer verletzt wurde. „Zurück!“ rief Sorla. Die Soldaten preschten hinter ihm her zurück in den Schutz der Bäume. Dort hielten sie an, und Sorla sagte den Kindern, sie sollten hinüber zum Verschlag mit dem Vieh gehen, dann wüsste Onkel Weni, dass sie keine bösen Leute seien. Das Mädchen nickte, nahm ihr Brüderchen bei der Hand und ging tapfer auf die Lichtung hinaus. Dort rief ihnen jemand zu, sie sollten sich hinter den Bäumen verstecken. Dann, nach einigem Hin und Her, stiegen ringsum Männer von den Bäumen, einer von ihnen überquerte die Lichtung und trat gewichtig auf Sorla zu: „Wendeschi bin ich, Anführer der Bauern in der Gegend. Ihr sollt der junge Kaiser sein, sagt meine Nichte, da bin ich euch zu Diensten.“ Damit verbeugte er sich. Sorla nickte ihm zu, doch musste er sich zunächst um die Verwundeten kümmern und ein paar heilende Wunder mit seinem Regenszepter wirken. Dies verdoppelte sein Ansehen bei Bauern und Soldaten. „Herr Sorla“, meldete sich Wendeschi, an jeder Hand ein Kind, „dass ihr zaubern könnt, hebt unseren Mut. Nun wissen wir, das wir nicht kämpfend sterben, sondern siegen werden!“ Die Umstehenden murmelten zustimmend.
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„Wir kennen die Gegend zu wenig“, antwortete Sorla. „Und meine Streitmacht besteht nur aus diesem kleinen Trupp hier.“ Doch die Bauern beteuerten, sie seien gute Bogenschützen, und die Gegend sei ihnen vertraut wie ihr Dreschboden. „Ganz klar, dass wir mitmachen. Unsere Familien sind gut versteckt!“ So war das abgemacht, die Kinder wurden zum Versteck der Familien gebracht, die Bauern holten ihre Maultiere und Wegzehrung, dann ritten sie weiter nach Westen. Sorla lauschte jetzt bewusst auf die Vögel, in der Hoffnung, etwas über den Verbleib des bösen Ulfhon und seiner Streitmacht zu erfahren. Es gab jedoch nur ein paar hungrige Meisen, die zu sehr damit beschäftigt waren, verpuppte Insektenlarven unter der Rinde zu finden. Dann aber hörte er den Schrei zweier Bussarde, die hoch über ihnen in eisiger Luft ihre Kreise zogen. „Siehst du das Feuer, Frau?“ rief der eine. „Ja, Mann, und all die Menschen, wie Ameisen!“ schrie der andere zurück. Da wandte sich Sorla Wendeschi zu: „Gibt es in der Nähe Gehöfte?“ „Nur eines, das Gut des Schwagers meiner Tante, ungefähr einen Tagesritt nach Norden.“ „Es brennt.“ „Wir müssen sofort ...!“ „Auch wenn wir uns beeilen, kommen wir zu spät. Beschreibe mir die Gegend dort.“ Das dauerte, denn zunächst musste Wendeschi seinen Bauern von der neuen Missetat des bösen Ulfhon berichten, da heulten alle auf, schworen Rache und riefen Wral an, ihnen beizustehen. Dann wunderten sie sich darüber, dass Sorla in die Ferne blicken konnten. „Aber er kann ja auch sonst zaubern!“ erklärte schließlich einer die Sache. Was die Gegend betraf, so erstreckte sich weithin offenes Waldgelände, zum Teil von Sümpfen und kleinen Bächen durchzogen. Weiden und Erlen wuchsen hier, an den höher gelegenen und daher trockeneren Stellen auch Eichen und Mispelbäume. „Ja, und rechts vom Gehöft liegt ein großer, tückischer Sumpf. Wer da hineingerät, kommt um.“
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„Das hört sich gut an“, sagte Sorla. „Wir müssen nur erreichen, dass unsere Feinde dort hineinlaufen.“ Psudi schlug vor, sie sollten sich hinter dem Sumpf als Köder aufstellen und so die feindlichen Scharen in den Tod locken. Und da ihnen nichts Besseres einfiel, blieb es dabei, obwohl sie Zweifel an der Durchführbarkeit hatten, und sie ritten weiter, den restlichen Tag und tief in die Nacht hinein, solange sie den Weg erkennen konnten. Sorla war aufgrund seiner Elfensicht im Vorteil, doch auch die Bauern fanden sich leicht zurecht, denn sie kannten die wichtigsten Wegzeichen – eine alleinstehende Eiche, eine Furt zwischen zwei hohen Findlingen und dergleichen – und folgten ansonsten ihrer Erinnerung. Schließlich aber war es wirklich zu finster, und sie waren gezwungen zu rasten, auch wenn die Bauern vor Tatendurst fieberten. Als Sorla erwachte, roch es ringsum stark nach Rinderdung und den Ausdünstungen wilder Tiere. Noch war es zu dunkel, um Näheres zu erkennen; es zeichneten sich ringsum hohe schwarze Buckel ab, die sich träge hin und her bewegten. „Büffel!“ flüsterte Sorla ehrfürchtig. „Hunderte von Büffeln!“ Ihm fiel der Traum ein, in dem das riesige Weib die Herde vor sich her trieb. Leise kroch er zu Wendeschi und weckte ihn. „Leise! Erschrick nicht, wenn du die vielen Büffel siehst! Sie sind ein Zeichen Wrals!“ Der Bauernanführer sah sich um und sagte: „Ich sehe nichts, aber es stinkt nach ihnen“ Dann weckte er seinerseits die anderen Bauern, so wie es Sorla und Psudi mit den Soldaten taten. Als endlich alle geweckt und gewarnt waren, begann der Morgen zu dämmern. Nun sahen sie, dass sie von einer riesiger Büffelherde umgeben waren. Die Tiere käuten geruhsam wieder, aus ihren Nüstern dampfte der heiße Atem. Manchmal sah eines der Tiere zu ihnen herüber, schnob warnend und wandte sich dann wieder dem Kauen zu. „Wir ändern den Plan“, flüsterte Sorla Psudi und Wendeschi zu. „Diese Büffel wurden uns von Wral gesandt, und wir werden uns ihrer bedienen!“ Dann erklärte er, was er vorhatte. Wendeschi zweifelte: „Man kann Büffel nicht wie Ochsen treiben!“ sagte er. „Sie werden uns auf die Hörner nehmen und zertrampeln, sobald wir
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uns rühren!“ Doch Psudi verwies ihm die Zweifel und schalt ihn kleingläubig. Trotz seines entstellten kindlichen Gesichtes wirkte er erwachsen; Wendeschi nickte verblüfft. Nun kniete sich Sorla hin, wobei er jegliche rasche Bewegung vermied, und flüsterte: „Dank dir, Wral, mächtige Hüterin der Wälder und Felder, Schutzgöttin dieser Landstriche! Viel haben wir dir schon zu verdanken, und wir wollen uns deiner Fürsorge würdig erweisen! So gib, dass diese Tiere auf unsere Rufe hören, zum Schaden der Brandstifter und zur Freude derer, welche auf Gerechtigkeit hoffen!“ Falls Sorla auf ein Zeichen gehofft hatte, dass seine Bitte gnädig angenommen wurde, sah er sich getäuscht. Immerhin hatte er die Büffel rings um sich nicht aus ihrer Ruhe oder gar in Wut gebracht. Nun musste er es wagen; er stellte sich langsam aufrecht und ging, beruhigende Worte murmelnd, zwischen den Büffel hindurch, um an den hinteren Rand der Herde zu gelangen. Zum Teil lagen sie so eng, dass er sich zwischen ihren zotteligen Rücken, von denen breite Stücke verfilzter Wolle herabhingen, hindurch winden musste. Ein paar Schweife schlugen nervös hin und her, einzweimal war ein drohendes Brummen zu hören, doch kam er schließlich wohlbehalten außerhalb der Herde an. Von hier waren sie gestern nacht gekommen, also waren jetzt die Büffel zwischen ihm und dem weiteren Weg zum zerstörten Gehöft. „Russa!“ sagte er halblaut, vor Angst schwitzend. Nichts geschah. Er räusperte sich und wiederholte seinen Befehl etwas lauter und bestimmter: „Russa!“ Einer der Büffel glotzte aus blutunterlaufenen Augen zu ihm herüber, blies geräuschvoll den dampfenden Atem aus und kam auf die Hinterbeine. Dann stellte er sich auch vorne hoch und wandte sich ihm mit gesenkten Hörnern zu. „Russa, bei Wral!“ rief Sorla. Der Büffel warf den Kopf herum und begann von ihm weg zu traben. Dabei stieß er einen zweiten an, der ihm nach trottete. Auch ein paar andere kamen jetzt aus ihrer Schläfrigkeit hoch, bald zog die ganze Herde langsam vor ihm her tiefer in den Wald hinein. Sie kamen an Sorlas Soldaten vorbei, an Wendeschis Bauern; und alle hatten Mühe, ihre Reittiere
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ruhig zu halten, als diese riesigen, dunklen Kolosse dicht an ihnen vorbeizogen. „Bei Wral!“ murmelte Wendeschi ergriffen, als Sorla zu ihnen aufgeschlossen hatte und den Zügel seines Pferdes entgegennahm. „Das kann ich noch meinen Kindeskindern erzählen, wie ich mitten in einer Büffelherde steckte und überlebte!“ Nun ging es darum, die riesige Herde beisammen zu halten und zugleich in die geplante Richtung zu treiben. Wendeschi zeigte Sorla zwar, welchen Pfad sie entlang reiten mussten, doch um Pfade kümmerten sich die Büffel nicht. Sie brachen durchs Unterholz, stapften durch Schlammlöcher und schwammen durch alle Gewässer, die im Weg waren. So mussten Wendeschis Bauern hinter der Büffelherde eine breite Reihe bilden und die Tiere, die sich davon trollen oder den Treibern in den Weg stellen wollten, durch die Zurufe „Hurr!“ und „Rah!“ zur Herde zurückzuführen. Zunächst wagten sie es nicht, doch Sorla machte ihnen begreiflich, dass nur geübte und hervorragende Treiber wie sie diese schwierige Aufgabe bewältigen könnten. Das traf ja zu, auch konnte Sorla nicht überall zugleich sein, und so stieg ihr Selbstbewusstsein, ihre Befehle wurden bestimmter, und nach ungefähr drei Stunden erreichten sie das Ende das Waldes. Vor ihnen lagen Weiden und Ackerland, abgeerntet und gefroren. Am Horizont zeichnete sich im dünnen Morgennebel etwas ab, was vielleicht einmal ein Gehöft gewesen war. „Ob sie schon fort sind?“ überlegte Psudi. „Sie werden noch schlafen“, sagte Sorla. „Wo ist der Sumpf?“ Wendeschi zeigte in die ferne Gegend rechts vom Gehöft, von hier sah aber alles gleich aus. Also trieben sie die riesige Herde, vom Morgennebel halb verhüllt, in großem Bogen linksherum nach Norden. Einmal brachte der Wind den Geruch kalten Rauches vom fernen Gehöft herüber. Wendeschis Männer arbeiteten schweigsam, nur ihre halblauten Zurufe waren zu hören, aber alle hatten ein hartes Glitzern in den Augen. „Wir sind da, Herr Sorla“, sagte Wendeschi. Sie blickten hinüber auf das zerstörte Gehöft. Einzelne Stützbalken standen noch
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und wirkten wie abgestorbene Fichten. Dazwischen standen Dutzende von großen Zelten. Eine dünne Rauchsäule stieg auf, wohl von einem Koch- oder Wachfeuer. Gedämpfte Geräusche wehten herüber, ein Klirren, Befehle, das Wiehern eines Pferdes. „Jetzt!“ sagte Sorla. Wendeschis Leute brachen in lautes „Russa!“ aus. Die Büffel trotten langsam los. Doch die Bauern schrien weiter und trieben die Herde in breiter Front vor sich her, immer schneller trabten die Kolosse und verfielen zuletzt in einen merkwürdigen Galopp; nun stürmten sie vorwärts, dass die Erdbrocken flogen, als dunkelbraune Masse aus Leibern und Hörnern. Sorla spürte eine grausame Vorfreude – so hatte er sich die Bestrafung gewünscht. Vom Gehöft her erschollen jetzt Alarmrufe, kleine Gestalten rannten hin und her, einige hatten schon ihre Pferde geholt und versuchten vor der heran brausenden Stampede zu fliehen. Wenige Augenblicke später hatten die Büffel das Gehöft erreicht, brachen durch die Zelte, rissen Leinwand, Pfosten, Seile mit, trampelten alles flach und rannten weiter, die auf ihren Pferden fliehenden Soldaten dem Sumpf zutreibend. Es gab kein Entkommen; wer nach links oder rechts ausscheren wollte, geriet nur umso früher unter die Hufe der Büffel. Nach vorne schien aber Rettung zu winken – eine dünne Eisschicht hatte den Sumpf trügerisch bedeckt. Schon brachen die ersten ein, andere ritten über sie hinweg, die Büffel aber schoben alles vor sich her, bis auch der letzte Mann im Sumpf versunken war. „Hoah!“ rief Sorla, und die Herde kam zur Ruhe. Ein paar Büffel nützten die Gelegenheit, um Wasser zu lassen, oder suhlten sich am Rand des Sumpfes. Dann standen sie herum, soweit man sehen konnte, und wussten nicht recht weiter. Schließlich wurden kleinere Gruppen unruhig, sie trotteten davon. Bald hatte sich die ganze Herde aufgelöst und strebte dem fernen Wald zu. Die Bauern standen im Gehöft versammelt und schauten zu einem Mann hoch, der sich vor den Büffeln auf einen der halb verkohlten Stützbalken gerettet hatte. „Der böse Ulfhon!“ rief einer. Andere schrien Verwünschungen hinauf. „Ich bin ein Hreddeshi!“ rief Ulfhon herunter. „Man muss
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mir Achtung zollen!“ Sorla antwortete: „Dies ist eine Strafaktion gegen Brandstifter auf kaiserlichem Gebiet. Du wirst bestraft, ob Hreddeshi oder nicht.“ „Wer bist du, dass du dir anmaßt, mich bestrafen zu wollen?“ „Ich bin der Kaiser. Du hast die Ehre, von mir persönlich verurteilt zu werden.“ „Ich bitte um Gnade, Herr!“ versuchte Ulfhon es jetzt mit demütiger Stimme. „Ist es nicht Strafe genug, dass Ihr mir meine Streitmacht genommen habt? Wollt Ihr wirklich auf einen einschlagen, der schon geschlagen ist?“ Wendeschi trat an Sorla heran. „Dürfen wir?“ Sorla nickte, und Ulfhon fiel, von Pfeilen gespickt, tot herab.
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Zweites Kapitel:
DIE KRIEGSHUNDE VON HORADH „Ihr werdet der Göttin Wral hier einen Tempel bauen“, eröffnete Sorla den versammelten Bauern. „Aus dem Holz der Gegend, etwa so groß wie eine mittlere Scheune. Auch in Ekritmea, der fernen Hauptstadt meines Reiches wird ihr zum Dank ein Tempel errichtet werden, dafür will ich sorgen.“ Das wurde begeistert aufgenommen, schon begann man Vorschläge zu machen und Baupläne zu entwerfen. Auch Psudi hatte, obwohl er den AnodKult vertrat, nichts einzuwenden: „Im Gegenteil. Dass Atne, Anod und sogar diese landschaftlich sehr gebundene Wral zusammenarbeiten, um dem Kaiserreich eine neue Zeit der Blüte zu erlauben, stimmt mich froh. Und ...“ Zögernd rieb er sich die Hasenscharte. „Ja, Psudi?“ „Was wirst du weiter tun?“ „Zunächst muss ich mir die Familie der Hreddeshi vornehmen, denen wir Fürstin Orfhane und Ulfhon den Bösen zu verdanken haben. Danach geht es weiter nach Südwesten, denn auch der Perlek-Clan, der dort wohnt, gehört zu den Sechs Familien.“ „Gut. Ploseks Auftrag habe ich erledigt, doch wenn du nichts dagegen hast, Sorla, will ich dich weiterhin begleiten. Ich kenne mich dort aus und bin sicher, dass ich dir von Nutzen sein kann.“ Sorla drückte ihn an sich. * Den Bauern Wendeschis fiel es schwer, Sorla ziehen zu lassen. Sie schüttelten ihm die Hände, umarmten ihn; einigen fiel ein, dass sie vor dem Kaiser standen, und warfen sich überraschend
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auf den Boden. Mitten in diesen Abschied hinein stürzte ein Falke vom Himmel und setzte sich auf Sorlas Hand. „Sei gegrüßt, kleiner Bote!“ lachte dieser überrascht. „Nicht einfach, dich zu finden“, murrte der kleine Raubvogel und klappte den krummen Schnabel auf: „Hast du was zu fressen?“ Die Umstehenden hatten nur kleine Krächzlaute vernommen, besorgten aber auf Sorlas Aufforderung hin sofort ein paar Stückchen rohen Pferdefleisches, das die Büffel mürbe getrampelt hatten, und riefen: „Füttert Taras Vogel! Das bringt uns allen Glück im Kampf!“ Sorla nestelte vom Bein des Falken, der mit der anderen Kralle ein Fleischbröckchen hielt und kleine Fasern abriss, einen winzigen Brief und las: „Murlingir, Golbi und Tok-aglur haben die Hebel der Macht wie besprochen ausgelöst. Jetzt bewegt sich die Erde, es dauert aber Wochen. Dein Falke brachte Antwort aus der Taipalsteppe: Die Ramtasi reiten dir nach. Horell grüßt dich.“ „Und?“ fragte Psudi. „Lauter gute Nachrichten. Wir reiten dennoch.“ Tatsächlich verfasste Sorla aber noch ein Brieflein: „Edle Ramtasi! Bleibt im Osten des Reiches und seht nach dem Rechten, denn ich kann nicht überall sein! So Atne will, werde ich zu euch stoßen!“ und forderte den Falken auf, dies den Ramtasi zu bringen. „Du wirst sie auf meiner Spur finden, irgendwo im Osten. Und wenn all dies vorbei ist, wirst du eine Nisthöhle am höchsten Turm des Tara-Tempels in Ekritmea erhalten, du Tapferer und Unermüdlicher!“ Der Falke gab ein missmutiges Krächzen von sich, dann schwang er sich wieder hinauf in den Himmel. Sorla und seine berittenen Soldaten aber brachen nach Südwesten auf, in Richtung des fernen PetairikGebirges. Der Winter brach nun ernsthaft herein. Zunächst kämpfte sich Sorlas kleine Schar durch Wind und Schneegestöber, dann hörte es zwar auf zu schneien, doch lag der Schnee so hoch, dass die Pferde fast bis zum Bauch darin versanken. Die Luft war klar und eisig. „Herr“, sprach der Befehlsführer der Soldaten am Abend
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des dritten Tages Sorla an, „die Männer frieren, die Tiere sind erschöpft.“ Sorla war einverstanden, einen Erholungstag einzulegen, also fällten sie ein paar Fichten und bauten sich daraus und ihren mitgeführten Planen eine Notunterkunft, denn hier lebte weit und breit niemand, wo sie sich hätten einquartieren können. Das Lagerfeuer qualmte, weil es nur feuchtes Holz gab; die Männer husteten, zu essen gab es alten Proviant und zwei zähe Eichhörnchen, die man unterwegs geschossen hatte, und die Stimmung war insgesamt trübe. Nur die Pferde wirkten froh, weil ihnen genug Heu und Weizen vorgeschüttet wurde, was die Packpferde mitgeführt hatten. „Ein Pferd müsste man sein“, murrte einer der Männer verdrossen. „Ein Wallach bist du schon“, entgegnete ein zweiter und bekam einen Stoß in den Unterleib. Da wurde ein Teil der Plane, die als Windschutz herabhing, zur Seite geschlagen. Draußen war es schon dunkel. In die entstandene Öffnung trat eine menschliche Gestalt in blitzend stahlblauem Schuppenpanzer. „Ich bin weit gereist und verlange Atzung!“ rief seine harte, laute Stimme. Die Männer glotzten sprachlos. „Was soll das?“ murmelte Psudi. Sorla aber stand auf und rief: „Seid gegrüßt, Unbekannter, und tretet ein!“ Der Fremde blieb jedoch stehen. „Ich verlange Atzung. War das nicht deutlich genug?“ „Wenn euer Hunger so groß ist, was können wir euch bieten?“ „Eines der Pferde!“ Und nun sah Sorla, wie in dem Kopf, der noch im dunklen Schatten war, gelbe Augen hungrig aufleuchteten. „Es ist mir eine Ehre, euch zu beköstigen, edler Gast!“ Er hörte, wie Psudi und die anderen Männer erstaunt die Luft einsogen. Einer flüsterte: „Wolltest du nicht eben noch ein Pferd sein?“ Sorla winkte, man solle ihm eines der Packpferde bringen, das führte er heraus. „Möge das Tier euch munden, und aufrichtigen
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Dank, dass ihr so rücksichtsvoll wart, meinen Männern den furchteinflößenden Eindruck eurer wahren Erscheinung zunächst zu ersparen, edler DRACHE, alter Freund!“ Der Fremde nickte Sorla zu. „Wecke mich morgen Mittag, Sorle-a-glach“, sagte er, dann plötzlich zerfiel die Erscheinung in durcheinander wabernden Nebel, stattdessen hockte da ein Drache mit lappigen Flügeln, schwarzblau schimmernden Schuppen und Hörnern. Er packte das schreiende Pferd mit beiden Pranken und biss es mit seinen riesigen Maul mitten durch, dass das Blut und die Säfte der zerrissenen Eingeweide den Schnee besudelten. Die Männer, die aus dem Eingang lugten, schrien auf, doch das Ungeheuer schaute nur kurz zu ihnen herüber, die riesigen goldgelben Augen leuchteten hart und heiß. Dann riss es unbeirrt eine der Hinterkeulen heraus, biss sie ab und warf den Huf – das einzige, was übrig war, beiseite. Schrecklich krachten die Knochen zwischen den Zähnen des Drachenmauls. „Wir sollten unseren Gast nicht bei der Mahlzeit stören.“, sagte Sorla und drängte die Männer in den Unterstand zurück. „Danach wünscht unser Gast zu schlafen, also verhalten wir uns ruhig.“ Zwar bemühten sich die Soldaten, dem Befehl zu gehorchen, auch legte ihnen ihr Überlebenstrieb nahe, die Aufmerksamkeit des hungrigen Drachens nicht zu sehr auf sich selbst zu lenken, aber natürlich schwirrte der Unterstand von geflüsterten Fragen und Mutmaßungen. Sorla hielt sich zurück, erst als Psudi an ihn herantrat und um Erklärungen bat, sagte er: „Dies ist der DRACHE, seinen wahren Namen kenne ich nicht. Er half mir vor drei Jahren, indem er mich vom Elfenwald in Rhosmea – das ist weit im Westen von hier – bis zu den Grauen Bergen trug. Er ist noch sehr jung, etwa vierhundert Jahre. Ich denke, er wurde geschickt, um uns beizustehen.“ „Wer ist in der Lage, Drachen herum zu schicken?“ „Nun, ältere Drachen beispielsweise“, sagte Sorla nachdenklich. „Ich kenne zwei.“ „Noch größere?“ „Sicher. Dieser misst erst sechzehn, siebzehn Schritte von
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Kopf bis Schwanz, wir könnten ihn also, falls erforderlich, sogar in ein großes Gebäude mitnehmen – falls wir ihn höflich bitten.“ „Woran denkst du dabei, Sorla?“ „An die Hreddeshi. Wir haben zwar ihre Streitmacht weitgehend zerstört, aber ich möchte ihnen gerne einen persönlichen Besuch abstatten. Nun kann ich das wagen.“ „Gute Idee.“ Psudi begann zu strahlen, dass sich die Hasenscharte gefährlich spannte. „Ihre Burg liegt sowieso auf unserem Weg; statt sie zu umgehen, suchen wir sie auf.“ Voller Vorfreude rieb er sich die Hände. Die Soldaten sahen, wie gelassen ihr Anführer geblieben war, also beruhigten sie sich allmählich und legten sich schließlich zur Nachtruhe. Allerdings bedrängten sie die Nachtwache, diesmal besonders genau aufzupassen. „Wenn mein Bein ab ist, dann ist’s zu spät!“ warnte einer. „Dich frisst keiner, du stinkst!“ kam es beruhigend zurück. Als am nächsten Morgen die Männer aus ihrem Unterstand heraustraten, um ihr Wasser abzuschlagen, sahen sie den DRACHEN in einer schneefreien Mulde liegen – rund um ihn war der Schnee mindestens einen Schritt breit weggeschmolzen. Er hatte sich zusammengerollt und die Hautflügel über sich gebreitet. So wirkte er wie ein blauschwarzer Hügel, der sich langsam hob und senkte. Einer der Männer flüsterte: „Jetzt wäre die Gelegenheit, ihn gefahrlos zu beseitigen!“ Sorla packte ihn am Kragen: „Wie heißt du?“ „Anlur, Herr!“ „Was hältst du von Gastfreundschaft?“ „Aber ein Drache ...“, stammelte Anlur. „Wenn er uns frisst?“ Sorla stieß ihn beiseite, der Mann taumelte beschämt davon. Die Zeit bis zum Mittag verbrachten die Soldaten damit, die Pferde zu striegeln und eine Suppe zu essen. Dann war es soweit, Sorla trat zum DRACHEN und sagte: „Werter Drache! Du wolltest jetzt geweckt werden.“ Dieser blies heißen Atem aus, dann öffnete er langsam eines
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seiner goldenen Augen. „Höre, Sorle-a-glach“, sagte er. „Töte diesen Anlur, oder er wird dich verraten!“ „Ich kann nicht einen meiner Leute umbringen.“ Als er sah, wie der DRACHE sein Auge wieder schloss, fügte er hinzu: „Ich danke dir jedoch für deinen weisen und fürsorglichen Rat, dem unverzüglich nachzukommen mir nur meine menschliche Beschränktheit verbietet, oh DRACHE!“ Der DRACHE öffnete nun beide Augen. „Immerhin bemühst du dich um Umgangsformen, kleiner Kaiser. Ich will über deine menschliche Beschränktheit hinwegsehen, denn es geht um Größeres.“ Damit löste er sich in Luft auf. „Wo ist er hin?“ fragte Psudi verdutzt. „Er hat sich unsichtbar gemacht. Er wird seine Gründe haben.“ Sie ritten weiter nach Südwesten. Die Grenze zur Provinz Horadh hatten sie schon gestern überschritten, die Hauptstadt Semendhol lag nur eine halbe Tagesreise entfernt. Nach zwei Stunden kamen sie an einer Stelle vorbei, wo der Schnee aufgewühlt und rot von Blut war. Ein Rinderschädel mit langen Hörnern lag abgerissen mitten drin, im Umkreis verstreut fanden sich abgebrochene Hufe. „Dein Freund hat gefrühstückt“, bemerkte Psudi trocken. Die Soldaten schauten beunruhigt; Sorla hörte, wie einer murmelte: „Das ist ein schlimmes Vorzeichen!“ Als er sich nach dem Sprecher umdrehte, sah er Anlur, der sich wegduckte. Nachmittags ritten sie eine Anhöhe hinab und blickten auf die Ebene, durch die sich der Fluss Asami wand. In der Ausbuchtung einer seiner Schleifen lag die Stadt Semendhol mit ihren Türmen und Wehrmauern. Sorla brachte seine Schar zum Stehen und sprach: „Soldaten! Ihr kämpft für das Kaiserreich, ihr vertretet Recht und Ordnung. Wir werden jene zur Verantwortung ziehen, die Ulfhon erlaubten, unsere Provinzen zu verheeren. Wenn wir diese Stadt betreten, seid wachsam!“ Psudi flüsterte: „Wolltest du nicht den Beistand des DRACHEN, wenn du dort hingehst, Sorla?“ „Er ist fort, wir müssen es eben ohne ihn tun.“
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Sie ritten durch die Ebene auf den Fluss zu, überquerten die Brücke und kamen zum Stadttor. Hier sahen sie sich einer Reihe von Stadtwachen gegenüber, die ihnen mit gesenkten Lanzen den Weg versperrten. „Macht Platz!“ rief der Hauptmann von Sorlas Schar. „Der Kaiser selbst besucht Semendhol; erweist ihm Ehrerbietung!“ Die Stadtwachen schauten auf ihren eigenen Hauptmann; dieser trat vor und rief: „Ich sehe viele Soldaten. Die stören den Frieden unserer Stadt!“ „Es ist eure Pflicht, den Kaiser zu empfangen, auch mit seinen Begleitern!“ erwiderte Sorlas Hauptmann. „Solltet ihr das vergessen haben, müssten wir euch bestrafen.“ Der Hauptmann bedachte sich kurz, dann winkte er mit mürrischem Gesicht seinen Leuten, den Weg frei zu geben. Sorla nickte ihm gnädig zu und ritt, seiner Schar voran, durch das Tor in die Stadt. Die Straßen waren eng, man musste sich am Rand halten, um nicht im Rinnsal der Abwässer zu waten. Die Häuser standen eng beieinander und stießen oben fast zusammen, so dass nur wenig Licht hindurch fiel. Die Bewohner murrten und traten nur widerwillig beiseite, als Sorlas Schar vorbei ritt – kein Wunder, denn sie mussten in die Abwässer ausweichen oder sich in die engen Hauseingänge zurückziehen. Es stank. „Nicht der Ort, wo ich leben möchte“, nuschelte Psudi. „Hier will ich nicht begraben sein“, stimmte Sorla zu. Endlich kamen sie auf einen Platz mit einem kahlen Baum in der Mitte, in der Häuserzeile dahinter stand ein Tempel. „Anod?“ fragte Sorla. Psudi schüttelte den Kopf. „Nicht hier! Dies ist der Tempel der Kriegshunde, eigentlich eher ein Versammlungshaus von Leuten, die sich im Kampf bewähren wollen. Der Kult ist weit über die Grenzen Horadhs hinaus bekannt. Ihr Gott ist Huredho.“ „Nie gehört.“ „Hier ist er sehr bekannt, man stellt ihn mit Hundekopf und fletschenden Zähnen dar.“ Sorla wies auf den Eingang des Tempels. Dort erschien ein
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hochgewachsener Mann - lederne Hose, sein nackter Oberkörper war breit und muskulös. Die langstielige Axt stand auf dem Boden, den Schaft hielt er lässig mit beiden Händen. Man sah, dass der Mann mit seiner Waffe vertraut war. Sorla nickte ihm im Vorbeireiten zu, der Mann erwiderte seinen Blick, ohne sich zu rühren. Psudi fuhr sich über die Hasenscharte. „Die Macht des hiesigen Fürstenhauses ruht auf zwei Stützen: der Streitmacht des bösen Ulfhon, die wir letztlich – mit Wrals und ihrer Büffel Hilfe – vernichtend schlugen. Die andere Stütze sind diese Kriegshunde hier.“ * Ursprünglich hatte hier in der Schleife des Flusses Asami eine kleine Wehrburg gestanden; sie bewachte die Furt, später die Brücke, und der Burgherr nutzte die Lage, um Wegezoll zu erheben. Im Laufe vieler Jahrhunderte war diese Burg immer wieder gestürmt und geschleift worden; auf ihren Trümmern, die mittlerweile einen Hügel bildeten, war immer wieder eine neue, stärkere errichtet worden. Gleichzeitig siedelten sich am Uferstreifen außerhalb der Burgmauern immer mehr Händler und Handwerker an und bildeten mit ihren engen, hohen Häusern die Stadt Semendhol, die schließlich ihrerseits selbst durch Wehrmauern befestigt wurde. So kam es, dass die Burg der Herrscher über die Provinz Horadh auf einem kleinen Hügel mitten in der Stadt stand. Jetzt ritten Sorla und seine Leute die kurze Anhöhe zur Burg hoch. Das Tor war geschlossen, von der Mauer herab erkundigte sich jemand, was sie wollten. Kurz darauf öffnete sich das Burgtor, eine ältere Frau erschien. „Ich bin Asadhoan. Den Kaiser wollen wir gastfreundlich empfangen, auch wenn er unsere Truppen zerstört hat.“ Sie ging in den Burghof voraus und trat dort beiseite. „Eure Soldaten können hier lagern, wir sorgen für Verpflegung. Den hohen Gast und seinen Berater bitten wir zu einem Willkommenstrunk und Gespräch.“
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Sorla nickte und stieg ab. Zum Hauptmann seiner Truppe sagte er: „Seid wachsam! Wenn ich euch brauche, gebe ich vom Fenster ein Zeichen. Auch sollt ihr alle halbe Stunde einen Boten zu mir schicken; so wisst ihr, ob alles in Ordnung ist. Wenn nicht, holt mich heraus!“ Zusammen mit Psudi folgte er Asadhoan in die innere Burg. Er sah nur wenige Männer, das mochten Wachen oder Knechte sein. Im Burgsaal trugen zwei Mägde Speisen und Getränke auf. Als Sorla mit Psudi eintrat, verschwanden sie. Asadhoan bat sie, sich zu setzen, und nahm selbst am oberen Ende des Tisches Platz. „Bevor wir über Themen reden, die vielleicht unangenehm sind, lasset uns erst essen und trinken!“ Die Speisen waren gut, der Wein ebenso. Also verbrachten Sorla und Psudi eine längere Zeit damit, sich zu stärken, und redeten nur Belangloses über das Wetter und die Ausstattung des Saales. Zweimal trat ein Mann an ihre Gastgeberin heran, sie unterhielten sich flüsternd. „Verzeiht“, sagte sie danach. „Es gibt immer etwas zu entscheiden.“ Einmal kam ein Soldat aus Sorlas Schar; Sorla nickte ihm zu und sagte, alles sei in Ordnung. Dann war die Zeit des höflichen Abwartens vorbei. „Wir danken für die Stärkung“, sagte Sorla. „Nun müssen wir uns unterhalten.“ Asadhoan blickte auf. „Ihr seid mutig, junger Mann, euch hier blicken zu lassen“, sagte sie und trank einen Schluck Wein. „Ulfhon war mein Sohn.“ „Er plünderte, mordete und brandschatzte. Seine Leute vergewaltigten Frauen und schlachteten Kinder ab. Das alles tat er in meinem Reich.“ „Ulfhon war ein Krieger. Mäßigung war nicht seine Sache. Doch die Frauen liebten ihn. Auch ich vermisse ihn.“ „Ihr habt ihn schlecht erzogen, Asadhoan.“ „Ich bin die Fürstin“, sagte sie schroff. „So will ich angeredet sein.“ „Und ich bin der Kaiser. Diese Provinz ist Teil meines Reiches. Ich bin hier, um euch daran zu erinnern.“ Die Frau wollte wütend auffahren, das sah Sorla wohl, aber
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sie beherrschte sich und fragte: „Was bedeutet das für uns?“ „Die jährlichen Tribute an das Kaiserreich wurden seit zwanzig Jahren nicht geleistet. Die Schulden Horadhs belaufen sich mittlerweile auf insgesamt zwei Millionen Goldstücke, Zinsen nicht gerechnet. Gleichzeitig hat eure Familie Raubzüge in die benachbarte Provinz unternommen und sich dadurch bereichert. Für den Wiederaufbau dort müsst ihr geradestehen, und zwar mit dem Vermögen der Familie, nicht des Landes.“ Die Fürstin wurde bleich – ob aus Wut oder vor Schreck, konnte Sorla nicht entscheiden – doch sie lächelte gezwungen. „Wir werden nichts dergleichen tun, junger Mann.“ Sie hob eine kleine silberne Glocke, die neben ihrem Teller stand, und klingelte. Da traten hinter den Vorhängen fünf mit Spießen bewaffnete Männer hervor. Gleichzeitig erschien von der anderen Seite der halbnackte muskulöse Mann mit der langstieligen Axt, den Sorla vor dem Tempel der Kriegshunde gesehen hatte. Sorla sprang auf und rannte ans Fenster, um seinen Soldaten im Hof unten ein Zeichen zu geben. Doch der Hof war leer. Die Fürstin lachte böse. „Die sind abgerückt, junger Mann. Jetzt bestimme ich, wer hier wem Tribut zahlen soll.“ Da stand plötzlich mitten im Saal, wo eben noch niemand war, ein Mann in blau schimmernder Rüstung. Die Fürstin schrie auf. Die Angreifer blieben stehen. „Wie schön, dich zu sehen, oh DRACHE!“ sagte Sorla überrascht. „Ich kam mit euch herein. Du bist zu vertrauensselig, Sorlea-glach.“ Der Ärger war nicht zu überhören. Ein Spieß schwirrte heran und prallte wirkungslos an der blau schimmernden Rüstung ab. Im nächsten Moment hockte da der DRACHE in seiner wahren Gestalt und füllte den halben Saal. Er öffnete sein Maul, mit heiserem Fauchen schlugen Flammen heraus und hüllten die angreifenden Männer in loderndes Feuer. Zwei Atemzüge später lagen sie verkohlt am Boden. Doch nun stürmte von der anderen Seite der Mann vom Tempel heran, seine Axt in großen Kreisen schwingend, dass die Luft summte. „Bei Huredho!“ rief er. „Stirb, du Untier!“
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Der DRACHE aber war wieder unsichtbar, der Mann sah sich wütend um. „Bei Anod!“ rief da Psudi und hielt seinen Stab hoch, von dem weiße Funken sprühten. „Gib Frieden, Mann, so behältst du dein Leben!“ Dann fiel ihm seine Hasenscharte wieder ein und er verbarg sie hinter seiner linken Hand. „Es geht um die Ehre!“ keuchte der Mann. „Das Gastrecht zu brechen ist ehrlos!“ erwiderte Sorla, sein Wurfmesser in der Hand. „Gäste in den Hinterhalt zu locken ist ehrlos. Mehr Ehre könntest du im Kampf für die gute Sache erwerben.“ Und als er sah, dass der Mann zögerte, fügte er hinzu: „Sei klug. Dieses Messer tötet dich, bevor du einen von uns erreichst. Das wäre kein ruhmreicher Tod, und wir haben ehrenvollere Aufgaben für dich. Lege die Axt fort.“ „Hör‘ nicht auf ihn, Arrhid!“ schrie die Fürstin schrill. „Greif‘ sie an! Zerhacke sie!“ „Welche Aufgaben?“ fragte der Mann, ohne auf die Frau zu achten. „Es stehen große Kämpfe bevor, Arrhid“, sagte Sorla. „Wir wollen dem Recht Geltung verschaffen. Wir wollen die Schwachen beschützen – so wie es einst Setoq tat.“ „Setoq?“ rief der Mann. „Was weißt du über Setoq?“ Sorla lächelte, ihm fielen das Lied ein, das einst Raghairom sang, und er sprach den Anfang: „Setoq kam in die Welt und sah, sie war finster. Unrecht herrschte, die Starken drückten die Schwachen.“ „Du kennst das Lied von Setoq!“ rief Arrhid. „Bist du einer von uns? Was weißt du noch?“ „Ich hörte jemanden, der singt das Lied so, dass man Setoq reiten sieht. Am besten gefällt mir die letzte Strophe ...“ Doch bevor er weiterreden konnte, fiel Arrhid ein: „Setoq reitet noch immer, nie wird er sterben. Enduhal liebt ihn, denn Setoq kämpft für das Recht.“
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„Richtig“, lobte Sorla. „Doch wieso dienst du Huredho und nicht Enduhal?“ „Enduhal ist der Gott der streitbaren Gerechtigkeit, Huredho ist der Hund, der neben ihm läuft. Wir sind stolz, Kriegshunde zu sein.“ Sorla nickte. „Dann ist es gut, wenn euch jemand sagt, wofür ihr kämpfen sollt. Auch der tapferste Hund braucht einen Herrn.“ „Und du willst unser Herr sein?“ „Ich bin es. Ich bin der Kaiser.“ Arrhid bedachte sich, dann sagte er: „Ich werde mit meinen Leuten reden. Dies muss überlegt sein.“ „Gut. Heute Abend sehe ich euch im Tempel.“ Arrhid nickte, schwang seine Axt über die Schulter und verließ den Saal. Sorla drehte sich zur Fürstin um, die so lange erstaunlich ruhig gewesen war. Sie stand vor ihrem Stuhl, mit aufgerissenem, stummem Mund. Jetzt stand, wie aus dem Nichts, in menschlicher Gestalt und blau schimmernder Rüstung der DRACHE neben ihr. Er nahm die Hand von ihrem Mund. Sie ließ sich kraftlos in den Sessel fallen. „Fürstin“, sprach Sorla sie förmlich an. „Wir können das Gespräch beenden, denn alles Wichtige ist gesagt.“ „Das Land kann soviel Tribut nicht nachzahlen“, widersprach sie heiser. „Darüber werde ich mit Arrhid verhandeln. Vom Tempel der Kriegshunde hängt es ab, was das Land zahlen muss.“ „Sehr gut!“ flüsterte Psudi. „Aber diese Wiedergutmachungen ...“, stammelte sie. „Die werden geleistet, ohne Abstriche, auch wenn es die Sippe der Hreddeshi schmerzt. Und falls ich Bedenken hatte, habt ihr geholfen, sie auszuräumen, Fürstin.“ Der DRACHE sagte: „Ich bin dafür, diese Sippe auszulöschen. Das erspart dir Ärger und wir haben ihr Vermögen.“ Die Frau starrte ihn entsetzt an. Sorla entgegnete: „Ich achte deine Weisheit, oh DRACHE. Doch soll diese Familie verschont
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werden, wenn sie ihre Wiedergutmachung leistet.“ „Du bist zu gutmütig. Du hast weder Zeit noch die Macht, sie zu zwingen, Sorle-a-glach. Ich werde selbst mich darum kümmern.“ „Aber wir haben kein Vermögen ...“ stammelte die Frau. Der DRACHE lachte heiser. „Mit verborgenen Schätzen kenne ich mich aus. Ich werde dein Vermögen finden.“ „Ich danke dir, oh DRACHE. Und nun, Fürstin ...“ Er hob die Hand zum Abschied und verließ den Saal, den DRACHEN zur Rechten, Psudi zur Linken. Im Gang sagte der DRACHE: „Nun hast du dich mutig und geschickt verhalten, Sorle-a-glach. Also habe ich meine Zeit hier nicht verschwendet.“ „Ich danke für das Lob, oh DRACHE“, sagte Sorla höflich. Der Angesprochene verwandelte sich in seine wahre Gestalt, seine goldenen Augen blitzten heiß. „Ich freue mich, die Schätze der Familie Hreddeshi ausfindig zu machen.“ Damit verschwand er. Sorla musste lachen. Sicher würden die Bauern ihre Wiedergutmachung erhalten, aber ob danach noch etwas für die Familie übrig blieb, war fraglich, wenn sich ein goldgieriger Drache einmischte. Die Frage, weshalb sich der DRACHE dem Kampf mit dem axtschwingenden Arrhid durch Unsichtbarwerden entzogen hatte, musste Sorla sich selbst beantworten: Arrhid hätte selbst für den DRACHEN gefährlich werden können, wenn es ihm gelang, dessen Feuerodem auszuweichen. Und selbst mächtige Drachen leben lieber lange statt kurz und tapfer. Im Hof standen nur noch die Pferde von Sorla und Psudi, daneben ein alter Mann mit seinem Besen in den gichtigen Händen; er glotzte den beiden entgegen. „Wo sind die Soldaten hin, Alter?“ Dieser wies zum Tor hinaus; seinem zahnlosen Nuscheln entnahm Sorla die Worte „Brücke“ und „Flussufer“. „Der Hauptmann wird eine gute Erklärung brauchen“, murmelte Sorla. Wieder nuschelte der Alte etwas. Sorla ließ es ihn
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wiederholen und verstand: „Was ist mit dem Toten?“ „Welchem Toten?“ Der Alte führte sie zum Geräteschuppen, dort lag ein kaiserlicher Soldat – derselbe, den Sorla vor kurzem im Burgsaal gesehen hatte – tot mit einem Messerstich im Rücken. „Das ist Emerso“, flüsterte Psudi und rieb sich die Hasenscharte. „Ich meine, das war er.“ „Ich glaube, ich war noch zu gütig“, murmelte Sorla. „Jetzt aber müssen wir zunächst unsere Leute wiederfinden.“ Laut sagte er: „Lass‘ ihn vorläufig liegen, Alter. Wir werden uns um seine Bestattung kümmern.“ Auf dem Weg zurück durch die Stadt sagte er: „Also kannst du mit deinem Stab Kampfzauber wirken, Psudi. Beachtlich!“ Psudi war verlegen. „Ich tat nur so. Ich habe Funken versprüht, und mehr wäre da auch nicht gewesen. Du mit deinem Wurfmesser hast sie wohl mehr beeindruckt.“ Sorla lächelte. Er mochte diesen tapferen jungen Priester. Psudis Hasenscharte fiel ihm schon lange nicht mehr auf, desto mehr die klugen, dunklen Augen und der Eifer, alles bestmöglich zu erledigen. Als sie durch das Tor ritten, sahen sie am jenseitigen Ufer, um einige Lagerfeuer geschart, die kaiserlichen Soldaten. Eben galoppierte einer davon und auf die Hügel zu. Was ging hier vor? Nun war Sorla an die Lagerfeuer herangekommen. Die Männer sahen ihm freundlich entgegen, sie schienen sich keiner Schuld bewusst, dass sie ihn im Stich gelassen hatten. Nun kam auch ihr Anführer und grüßte. Sorla nahm ihn beiseite. „Weshalb seid ihr aus der Burg abgezogen, Hauptmann?“ Der schaute erstaunt. „Das war euer Befehl, Herr!“ „Wer hat euch diesen Befehl übermittelt?“ „Ich schickte Emarso und ...“ „Den sah ich, aber ich gab ihm keinen solchen Befehl.“ „Anlur sagte uns ...“ „Wieso Anlur? Der war nicht bei mir.“ Der Hauptmann runzelte die Stirn. „Verzeiht, Herr, er sagte, du habest befohlen, wir sollten den Burghof räumen und uns hinter
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den Fluss zurückziehen. Dort sollten wir auf weitere Befehle warten. Emarso sei von dir auf einen Botengang geschickt worden.“ „Emarso wurde erstochen. Wo ist Anlur jetzt?“ Er erinnerte sich, dass ihn der DRACHE vor Anlur gewarnt hatte. „Der ist eben fortgeritten, weil ihr ihm befahlt ...“ Der Hauptmann schaute verblüfft. „Er hat mich belogen, was?“ Sorla nickte. „Wenn ihr ihn ergreift, soll er bestraft werden – wegen Desertation, Verrat am Kaiser und Mord an Emarso.“ „Wir werden ihn hängen, Herr. Bei Anod!“ „Erst müsst ihr ihn haben.“ * Abends betrat Sorla, mit dem sehr argwöhnischen Psudi im Gefolge, den Tempel der Kriegshunde. Im Vorraum, wo ein paar Öllämpchen für mäßiges Licht sorgten, wartete Arrhid auf sie. „Eben beginnt die Huldigung Huredhos, Herr. Falls Ihr ...“ Sorla nickte. Hinter dem Vorraum befand sich ein Saal, der für die beengten Verhältnisse der Stadt Semendhol als groß gelten mochte. Auch hier flackerten Öllämpchen an den Wänden, auf dem Boden lagerten vierzig oder fünfzig Männer mit Hundemasken vor den Gesichtern. Der Boden bestand aus gebrannten Ziegeln, in der Mitte war eine klafterbreite Stelle ausgespart und mit einem BronzeDeckel versehen. „Dies ist unser Heiligstes“, flüsterte Arrhid und hob den Deckel ab. Als Sorla nähertrat, sah er im freigelegten Lehmboden den Abdruck einer riesigen Hundepfote. „Ja!“ murmelte Arrhid. „Hier trabte Huredho vorüber!“ Als Antwort erklang von den verkleideten Männern, die am Boden lagerten, ein wolfsähnliches Heulen – eine verlassene Meute, die sehnsüchtig nach ihrem Leittier rief. Sorla unterdrückte ein Lachen, zugleich aber überlief ihn ein kalter Schauer. Arrhid richtete sich auf. „Manche glauben, dieser Abdruck sei wundertätig, aber ich habe nichts dergleichen erlebt. Mir genügt
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zu wissen, dass Huredho leibhaftig hier war, an der Seite Enduhals.“ Die folgenden Huldigungsriten empfand Sorla als langweilig; sie bestanden aus Wechselgesängen recht schlichten Inhalts, unterbrochen von gemeinsamem Heulen. Danach legte Arrhid den Metalldeckel sorglich über der Spur Huredhos zurück, hob seine langstielige Axt mit beiden Händen über den Kopf und rief: „Ihr Kriegshunde! Dort steht Sorle-a-glach, der junge Kaiser aus dem fernen Ekritmea! Hört, was er zu sagen hat!“ Die Männer, immer noch auf dem Boden lagernd, wandten sich Sorla und Psudi zu. Ihre Hundemasken wirkten ausdruckslos. „Krieger aus Semendhol!“ begann Sorla. „Es wird Gefechte geben, man wird euch brauchen. Auf beiden Seiten erwarten euch Gefahr und Ehre. Auf welcher also werdet ihr kämpfen? Was liegt euch näher – Hernoste oder Agra?“ Die Hundemasken blickten ausdruckslos. „Horadh ist neben Kratos die westlichste Provinz des hernostischen Reiches“, sprach Sorla weiter. „Seit Generationen wurde der Tribut nicht bezahlt – man glaubte, auf den Schutz des Reiches gegen äußere Feinde verzichten zu können, man glaubte, für Handel und Sicherheit alleine besser sorgen zu können als innerhalb eines großen Reiches. So geriet Semendhol bei den Handelsherren in Vergessenheit und ist heute nur ein Schatten ehemaliger Größe. Ich habe es gesehen: wo früher stolze Handelsbarken anlegten, verrotten heute ein paar Fischerboote. Wenn bald an den Grenzen des Reiches die Kämpfe ausbrechen, dann will ich wissen: Ist Horadh noch ein Teil des Reiches? Dann werde ich es gemäß den alten Verträgen beschützen. Und was euch betrifft, ihr Kämpfer Huredhos: Ich will Horadh erlassen, was es zu zahlen versäumte, wenn ihr mir in den bevorstehenden Kämpfen beisteht.“ Einer der Männer erhob sich. Seine Stimme klang dumpf hinter der Maske: „Auch der Graf von Agra bot uns Geld. Und er sagte, es ist ehrenvoll, gegen das verderbte Hernostische Reich zu kämpfen.“ Als er sich setzte, murmelten die anderen zustimmend. Sorla nickte. „Das Reich wurde verdorben. Die kaiserliche Familie wurde niedergemetzelt, die Verbrecher machten sich breit und plünderten das Reich. Das Unrecht herrschte viele bittere Jahre.
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Mein Vater, Prinz Tok-aglur, überlebte als einziger. Nun bin ich gekommen, ihm zu helfen, die Verbrecher zu bestrafen und das Recht wieder herzustellen. Viel ist schon getan; die Schurken in der Hauptstadt sind besiegt, nun reise ich durch das Reich, um auch die übrigen aufzuspüren und unschädlich zu machen.“ „Sind wir in Semendhol die Schurken?“ fragte einer der Männer herausfordernd. „Ulfhon von der Familie der Hreddeshi wurde zu Recht der Böse genannt. Nun ist er tot, samt seinen Soldaten, und kann nicht mehr Bauernhöfe brandschatzen und wehrloses Volk niedermetzeln. Seine Mutter, Fürstin Asadhoan, lockte mich auf ihrer Burg in einen Hinterhalt und verletzte so das Gastrecht. Diese Familie war an den Morden beteiligt, als das Kaisergeschlecht ausgelöscht werden sollte. Doch nun ist ihre Macht gebrochen, und für Horadh kann es eine neue, bessere Zukunft geben.“ Wieder stand einer der maskierten Männer auf. „Das sind kluge Worte für Frauen und alte Männer. Ich kämpfe in Arrhids Rudel, weil er der Stärkste ist und am meisten Kampferfahrung hat. Nun sollen wir uns dir unterordnen, aber du bist jung, ein verweichlichter Prinz aus der Großstadt – jeder hier könnte dich mit einem Schlag zu Boden schmettern. Du solltest den Schwanz einziehen und still sein.“ Er setzte sich inmitten zustimmenden Gemurmels. Psudi rief empört: „Bei Anod! Wie redest du mit dem Kaiser?“ Aber Sorla legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Oh Atne, dachte er, lass‘ mich nun das Richtige tun, und hilf mir! Dann wandte er sich dem Mann zu, der zuletzt geredet hatte: „Wenn ich dich besiege, wirst du mir folgen?“ Der Angesprochene lachte abfällig. „Das wird nicht geschehen.“ „Doch. Ich muss dich Anstand lehren. Steh auf.“ Damit gab ihm Sorla einen Tritt. Der Mann sprang auf und wollte sich auf Sorla stürzen, der duckte sich, wirbelte herum und trat ihm mit seinem ausgestreckten Bein gegen das Kinn. Der Mann fiel hin und blieb reglos liegen.
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„Ich hoffe,“ sagte Arrhid, „du hast ihn nicht getötet.“ Doch nun hörten sie den Besiegten röcheln, er kam mühsam auf die Knie. „Was ist geschehen?“ „Du hast Sorle-a-glach unterschätzt“, erklärte Arrhid trocken. Zu Sorla gewandt sagte er: „Nun muss ich die Ehre meines Rudels retten, junger Kaiser, denn ich bin der Anführer. Sei gewarnt, ich werde dich nicht unterschätzen!“ „Keine Waffen!“ sagte Sorla bloß. Arrhid nickte und stellte seine Axt beiseite. Sorla legte Bogen und Köcher ab und gab Psudi sein Wurfmesser. Die Männer standen auf und zogen sich an die Wände zurück, so dass eine Art Arena entstand. Arrhid und Sorla begannen einander zu umkreisen; Sorla spürte, dass Arrhid seinen Angriff abwartete – ebenso wie es Sorla bei dem anderen erfolgreich getan hatte. Es würde nicht leicht werden. Zwar hatten Sorlas Kraft und Schulterbreite sehr zugenommen, als er auf der „Schnellen Susla“ arbeitete, doch Arrhid war größer, zudem erfahren und klug und verfügte über beeindruckende Muskelkraft. Wenn er Sorla zu fassen bekam, wäre ihm der Sieg sicher. Sorla musste versuchen, wie vorhin schnell und überraschend seinen „Tanz der Diebe“ zu tanzen. Aber Arrhid ließ sich nicht zu plumpen Angriffen verleiten. Versuchsweise machte Sorla einen Ausfallschritt, doch Arrhid lachte nur, täuschte mit der Linken an und traf Sorla mit der Rechten an der Schulter. Im selben Augenblick ließ sich Sorla fallen, trat im Fallen gegen Arrhids Magen, rollte sich ab und stand schon wieder. „Nicht schlecht, junger Kaiser“, murmelte Arrhid. „Aber ein zweites Mal gelingt‘s dir nicht.“ Er tänzelte vor Sorla hin und her, mit schnellen Scheinangriffen, ohne Sorla eine Angriffsfläche zu bieten. Dieser versuchte alles Mögliche, ließ sich fallen, trat gegen Arrhids Standbein, wirbelte herum und versuchte Arrhid zu treffen, doch der war auf der Hut, und so geschwind sprang er hin und her, dass die beiden ständig ihre Plätze wechselten, aber keiner einen richtigen Treffer landete. Plötzlich, unabsichtlich stand Sorla auf der Bronzeplatte. Von hinten zischte jemand empört: „Das Heiligtum!“ Doch das hörte
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Sorla nur undeutlich, denn ein gewaltiges Wesen atmete, schnaufte, hechelte über ihm. Nun war zwei Augenblicke lang Stille. Dann begann es an Sorla zu schnüffeln, dass ihm vom Luftzug die Haare um den Kopf flatterten. Und nun fuhr ihm etwas Heißes, Feuchtes so heftig übers Gesicht, dass er nach hinten fiel – weg von der Bronzeplatte. In der plötzlichen Stille sah Sorla sich benommen um. Arrhid starrte ihn an. Die Männer saßen wie versteinert. Dann begann einer zu heulen, die anderen fielen ein, die ganze Meute heulte Huredho nach, der ihnen eben erschienen war. Nun war er weiter getrabt, in der Spur Enduhals, seines Herrn. „Er hat mich abgeleckt“, stammelte Sorla. Arrhid hielt ihm die Hand hin und half ihm auf. Die Männer traten langsam heran, um ihn ehrfürchtig zu betasten. Einige überlegten, ob das Feuchte auf Sorlas Stirn dessen Schweiß oder tatsächlich echter Speichel Huredhos sei. Nun hob Arrhid den Arm und winkte seine Männer zusammen, um sich mit ihnen leise zu besprechen. Diese Pause nützte Psudi. „Höre, Sorla“, sagte er leise. „Es ist meine Schuld. Als ich sah, dass du nicht gewinnen konntest, wollte ich die Leute hier beeindrucken. Ich versuchte ein Wunder zu wirken, dass Anod ein Zeichen schickt. Ich strengte mich wirklich an, glaub‘ mir, mit der ganzen Kraft meines Glaubens. Stattdessen kommt dieser Hund.“ Sorla nahm ihn in den Arm. „Ich glaube, du hast sie genügend beeindruckt, Psudi. Wir müssen Anod dankbar.“ Nun wandten sich die Männer wieder Sorla zu, Arrhid trat vor und sprach: „Höre, Sorle-a-glach, junger Kaiser aus Ekritmea! Du hast dich tapfer geschlagen. Vielleicht hätte das gereicht, um uns zu überzeugen. Denn das habe ich gelernt, dass zum Sieg nicht nur Stärke gehört, sondern auch Mut, Geschick und Klugheit. Einen solchen Anführer brauchen wir.“ Zu Sorlas Überraschung kniete er nun nieder. „Aber wer noch zweifelte, tut dies nicht mehr. Huredho selbst ist erschienen und hat uns den Anführer gezeigt. Ich werde dir folgen, und mit mir alle, die hier versammelt sind, und jeder von diesen befiehlt in seinem Heimatort einer Meute von zwanzig bis hundert
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kampferprobten Männern, die nun alle an deiner Seite kämpfen werden, sobald du es befiehlst. Du kannst dich auf uns verlassen.“ Psudi flüsterte vernehmlich: „Anod sei gepriesen!“ Sorla räusperte sich. „Ihr tapferen Kriegshunde von Horadh! Ich nehme eure Gefolgschaft an. Wir werden kämpfen. Einige werden sterben, doch alle werden Ehre gewinnen. Und durch euch wird Horadh sich neu beleben, und mit ihm das ganze Reich.“
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Drittes Kapitel:
DER PERLEK-CLAN „Jetzt ist der Perlek-Clan dran, nicht wahr?“ Psudi rieb sich die Hasenscharte. Sorla nickte. „Und du hast nun nicht nur deine paar Soldaten, sondern auch die Kriegshunde. Aber die Perlek-Leute sind stolz, sie werden sich nicht fügen, es wird einen fürchterlichen Kampf geben.“ Sorla nickte. „Du weißt zu wenig über sie, Sorla. Es ist Zeit, dass ich dir über sie erzähle. Es stimmt, der Perlek-Clan gehört zu den Sechs Familien, welche damals eure Dynastie fast völlig auslöschten. Aber zu diesem Clan gehöre auch ich, ...“ „Ich hab’s mir fast gedacht.“ Psudi ließ sich in seinem Eifer nicht beirren. „ ... doch über meine persönlichen Angelegenheiten will ich später sprechen. Jetzt geht es darum, dass du die Lage verstehst. Wir Perlek-Leute stammten ursprünglich aus Batiflim. Unsere Vorfahren verließen es aber schon zu Zeiten Sinn-he Falas des Leuchtenden. Sie zogen nach Süden durch die hernostischen Stammlande, bis sie im PetairikGebirge eine Landschaft fanden, die ihrer Heimat ähnelte.“ „Das Petairik-Gebirge grenzt ans Meer“, wandte Sorla ein. „Nicht ganz, die Provinz Kratos liegt dazwischen. Aber von den Gipfeln kann man das Meer und bei klarer Sicht sogar die nächstgelegenen der kaburischen Inseln erkennen. Natürlich ist das Klima milder, doch im Winter haben auch wir, zumindest in den höheren Lagen, Schnee wie die anderen Clans, die in Batiflim blieben.“ „Ich bin Datasik in Memliks Sippe.“ „Ein Blutsbruder? Das wird uns vielleicht helfen. Auch sah ich, wie vertraut du mit Hukari bist – und zumindest die Stämme in Batiflim hören auf sie. Aber lass‘ mich fortfahren. Sie fanden mitten im Petairik-Gebirge ein grünes, fruchtbares Tal, dort errichteten sie
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Siedlungen. Später breiteten sie sich aus, kontrollierten Handelswege und wurden reich in Kriteis, was südlich des Petairik-Gebirges liegt und eine wichtige Hafenstadt ist.“ „Ich kenne Kriteis“, sagte Sorla; er hatte ungute Erinnerungen an seine Zeit in der Todeszelle. „Ja? Dann weißt du, dass diese Stadt eurem Ekritmea in nichts nachsteht – weder was ihre lange Geschichte betrifft noch ihren Reichtum noch ihr Gewicht als Handelsmacht. Ekritmea ist zwar größer, weil sich viele Tausende in der kaiserlichen Hauptstadt ansiedelten, doch Kriteis ...“ Sorla lächelte. „Du liebst diese Stadt, stimmt’s?“ „Ja natürlich. Merkt man das? Aber ich will dir von meinem Clan erzählen. Er hegt seit jeher einen Groll gegen die Schlangendynastie. Die Überlieferungen sagen, ... aber nein, ich bin nicht befugt, das mitzuteilen. Jedenfalls will ich nicht, dass du denkst, mein Clan bestehe aus Ungeheuern, wie du sie bei den anderen Familien erlebt hast. Als unsere Clanleute sich mit den anderen Familien gegen das Kaisergeschlecht verbündeten, geschah es aus einem tiefen Rachegefühl, das ihnen berechtigt erschien, nicht aus Habgier oder um ungestraft Übles zu tun.“ „Deine Clanleute dachten, ihr Hass gebe ihnen das Recht, gegen das Recht zu handeln. Aber es war ein Verbrechen, ein ganzes Geschlecht zu meucheln.“ „Wir sind nicht verantwortlich für die anderen Familien und deren Verbrechen. Wir führten einen ehrlichen Zweikampf gegen euren besten Mann, und unser Kämpfer war besser.“ „Seit das Kaisergeschlecht verschwand, ging es dem Reich stetig schlechter.“ „Wir haben nie ein Reich gewollt. Das Reich baut Straßen und wacht über den Handel. Das haben wir seit jeher selbst im Griff. Das Reich rechtfertigt sich noch dadurch, dass es Kanäle baut und für trockene Gegenden die Wasserzufuhr regelt. Im Petairik-Gebirge gibt es keine Kanäle, wir haben genug Wasser, und von dem Überfluss, der aus unseren Bergen kommt, sprudelt die ganze Provinz Kratos.“ „Es gibt in Kriteis eine riesige Zisterne, die noch von einem
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meiner Vorfahren stammt.“ „Ja, von Tul-uglur. Aber sie ist verfallen, keiner braucht sie.“ Sorla schwieg. Wozu von dem heilkräftigen Wasser in einer Nische jener Zisterne erzählen? Wie ging man mit Menschen um, die so selbstherrlich sich zum Maße ihres Handelns machten? Psudi fuhr fort: „Nicht alle meine Clanleute dachten und denken so. Einige verweisen auf die Überlieferungen, welche von einer Goldenen Zeit vielstimmiger Gesänge und hoher Gedanken berichten, von Bauwerken von atemberaubender Schönheit. Dergleichen haben wir bei allem Reichtum, bei aller Macht selbst nie zuwege gebracht. Daher, so denke auch ich, brauchen wir das Reich mit all seinen guten Möglichkeiten, damit wieder etwas Schönes, Helles entstehen kann. Auch aus diesem Grund, Sorla, bin ich AnodPriester geworden – nicht nur, weil ich wegen meiner Hasenscharte sonst keine Aussichten für mich sah. Es hat erbitterten Streit in meiner Familie gegeben, ich wurde enterbt und man nennt meinen Namen mit Verachtung, wenn man ihn überhaupt in den Mund nimmt.“ Psudi schluckte und schwieg einige Zeit, dann sprach er weiter: „Mein Onkel Vortelik denkt wie ich; das kostete ihn seine angestammte Würde als Oberhaupt unseres Clans. Nun sitzt er in seiner Burg, darf Bücher lesen und Rosen züchten, die Macht aber hat sein jüngerer Bruder Kornak übernommen. „Was für ein Mensch ist Kornak?“ „Ein liebevoller Familienvater und seinen Freunden ein guter Freund. Aber natürlich hasst er das Reich. Ach, und er ist ein berühmter Faustkämpfer und Bogenschütze.“ „Und Vortelik, dein anderer Onkel?“ „Insgeheim ist er froh, nicht über einen Clan herrschen zu müssen, der so ungebärdig ist. Doch würden die Perlek-Leute seine Überzeugung teilen, dann wäre er ein guter und bedachter Führer seines Volkes. Auch er beherrscht das Bogenschießen wie ein Meister, und noch vor fünfzehn Jahren war er seinem Bruder als Faustkämpfer ebenbürtig.“ „Was du sagst, Psudi, ist in der Tat wichtig zu wissen. Allerdings ist es leichter, gegen böse Menschen Strafaktionen
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durchzuführen, als gegen jemanden vorzugehen, der nur andere Ansichten hat. Ich muss wohl hingehen und deinen Onkel Kornak von den Vorteilen des Reiches überzeugen.“ „Das wird dir nicht gelingen. Sie sperren dich ein, deine Leute werden gegen sie kämpfen, viel Blut wird fließen, das war’s.“ „Es ist beschlossen, wir reiten.“ * Während Sorla mit seiner bisherigen Soldatentruppe ritt, sollten sich die Kriegshunde – insgesamt über zweitausend Mann – auf getrennten Wegen in dieselbe Richtung aufmachen. So wollte Arrhid die Schwierigkeiten der Unterbringung und Verpflegung verteilen. Auch war es klug, sagte er, den Feind über die wahre Größe der eigenen Streitmacht im Unklaren zu lassen. „Und wie werden die einzelnen Meuten benachrichtigt?“ Arrhid lächelte. „Wir heulen uns zu, junger Kaiser. Du wirst sehen, innerhalb eines Tages können wir alle an einem Ort zusammentreffen.“ In den nächsten Tagen folgte Sorla mit seinen Leuten dem Flusslauf des Asami abwärts. Es regnete viel, dann aber wurde es, je weiter südwestlich sie kamen, immer wärmer. Es gab reiche Dörfer mit Vieh und fruchtbaren Äckern, an den besonnten Hängen standen noch kahle Weinreben und Obstbäume, die bereits die ersten Blätter trieben. „Vom Winter spürt man nicht viel“, sagte Sorla zu Psudi. „Das ist nur in den Tälern so. Warte, bis wir zum PetairikGebirge kommen.“ Wenige Tage später tauchten in der Ferne über den Wolken weiße Bergzacken auf. „Keine Sorge“, sagte Psudi. „Wir müssen nicht ganz hinauf.“ Er war aufgeregt und begann die Namen der Gipfel einzeln aufzuzählen. Einen nannte er „Urgapschs Thron“. „Ûr-gqâschps‘ Thron“, verbesserte Sorla, ohne nachzudenken.
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„Wie bitte?“ „Ich dachte, du meinst Ûr-gqâschps. Ein Gott der Trolle.“ „Kenne ich nicht. Und wie du das aussprichst – verzeih, es klingt, als ob du brechen musst.“ „Es ist Trollisch.“ „Wieso sollten meine Vorfahren ... Andererseits ...“ Psudi war verwirrt und schwieg die nächste halbe Stunde, offensichtlich in Überlegungen verstrickt, die er mit Sorla nicht teilen mochte. Später aber hellte sich seine Laune wieder auf, er begann heimische Lieder zu singen und erklärte zwischendurch, wovon sie handelten – von der Klage eines verlassenen Mädchens etwa oder der Freude über die Apfelblüten im Frühling. „Wir sprechen noch die Sprache aus Batiflim, die sonst niemand versteht“, fügte er stolz hinzu. Sorla hatte bei Hukaris Sippe die Sprache Batiflims gelernt, doch was Psudi sang, war etwas anderes. „Psudi“, sagte er nachdenklich, „ich glaube, deine Sprache versteht in Batiflim heute niemand mehr.“ „Wieso?“ „Weil es eine andere, sehr alte Sprache ist. Im Sidhland wird sie noch heute benutzt, daher kenne ich sie. Woher die Perleks sie haben, weiß ich nicht.“ * Wenn sie durch Dörfer kamen, waren die Bauern samt Familie und Vieh längst geflohen. Von bewaffneten Reitern erwarteten sie nichts Gutes. Sorla wollte aber wissen, was die Einwohner dachten und fühlten, also beschloss er, in einem dieser Dörfer, das sich durch einen kleinen Tempel und eine Fähre über den Asami auszeichnete, Rast zu machen. Er stellte einige Soldaten ab, die als Ausrufer durch die nähere Umgegend reiten und verkünden sollten, dass der junge Kaiser selbst gekommen sei, um den Dorfvorsteher zu sprechen und Verpflegung zu erwerben. Eine Stunde später kam auf seinem Esel ein alter Mann auf
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den Dorfplatz geritten. Er wirkte ängstlich und trotzig zugleich. Auf Sorlas Frage hin gab er an, er heiße Fuska. Dann stand er wortlos da, den Strick, mit dem er den Esel führte, in seinen knochigen Fingern. Sorla setzte sich auf eine Holzbank nahe dem Brunnen und wies Fuska an, zwischen ihm und Psudi Platz zu nehmen. Auch bot er ihm einen Becher Wein an. Der Alte band den Esel am Brunnen an, setzte sich wie befohlen und hielt den Becher in beiden Händen, ohne zu trinken. Es half auch nichts, dass Psudi sich ebenfalls eingießen ließ und einen Schluck trank. „Dies ist ein schönes Dorf“, begann Sorla. Als das nichts fruchtete, setzte er nach: „Sei unbesorgt, Fuska. Wir werden nichts zerstören. Aber wir brauchen Fleisch und Brot und zahlen dafür.“ Der Alte murmelte etwas und blickte zu Boden. „Sprich lauter, Alter!“ fuhr ihn Psudi unwirsch an. Fuska zuckte zusammen, Wein schwappte ihm über die Finger. „Verzeiht, ihr hohen Herren“, sagte er nun. „Wir haben nichts, denn Omschjull frisst alles.“ „Was für eine dumme Ausrede!“ empörte sich Psudi. „Wer in Anods Namen soll dieser Omschjull sein?“ Sorla legte ihm die Hand auf den Arm: „Ruhig, Psudi. Omschjull ist der Gott der Schweinehirten, angeblich Atnes Neffe. Ihn ruft man an, wenn man will, dass das Vieh gedeiht und sich vermehrt.“ „Woher weißt du so was, Sorla?“ „Ich habe selbst Schweine gehütet, aber das ist lange her.“ In Sorla stieg die Erinnerung hoch an seine Kindheit in Stutenhof. Die Mittagshitze flimmerte, während er und Krewe der Sauhirt im Schatten der Maronenbäume lagerten. Ringsum surrten die Fliegen, ab und zu grunzte eines der schläfrigen Schweine. Krewes weiße Hunde hechelten. Krewe murmelte, dies sei Omschjulls Stunde, die Stunde der Trägheit und unerwarteter Dinge. Psudi riss ihn aus seinen Erinnerungen: „Schweine hast du gehütet – ein Prinz?“ Der Alte aber hob die knochige Hand: „Du weißt Bescheid, Herr! Du wirst unsere Sorgen verstehen!“ In seinem Eifer griff er
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nach Sorlas Arm: „Es war am Tag nach der letzten Heuernte. Da erscheint Omschjull und befiehlt, wir sollen ihm einen Tempel bauen.“ „Wie sieht er aus?“ „Hübsch, wir haben ihn bunt angemalt.“ „Ich meine Omschjull.“ „Fett, oh Herr! Und jetzt noch viel fetter, denn er frisst alles und gibt keine Ruhe.“ „Und er sitzt immer da drinnen?“ „Nein, oft ist er weg, aber zum Fressen, ich meine, zur Zeit des Opfers, ist er zuverlässig da. Jetzt müsste er da sein.“ Sorla stand auf. „Bring mich hin, Fuska. Ich werde mit ihm reden.“ „Mit einem Gott reden, oh Herr?“ stammelte der Alte. „Sein Zorn wird fürchterlich sein!“ „Keine Sorge, Alter!“ flüsterte Psudi. „Dies ist der Kaiser, der darf das!“ Sie gingen quer über den Platz, dann zwischen ein paar Scheunen hindurch, hinter denen es quiekte und grunzte und stank. Dann kamen sie an einen kleinen Hügel, auf dem eine einfach gebaute, aber bunt bemalte Holzhütte stand. „Wartet draußen“, sagte Sorla und ging hinein. Sobald er die Tür hinter sich schloss, war es dunkel. Doch Sorlas scharfe Augen erspähten die Umrisse eines riesigen, plumpen Wesens hinter dem Altar. Es schnaufte tief, dann grollte die Gestalt: „Ich habe Hunger, armseliges Menschlein!“ „Ich bin neu hier“, sagte Sorla. „Wer bist du denn?“ „Omschjull bin ich, der Hüter der Herden. Erzittere, Unwürdiger!“ „Bei Anod! Welches Glück, dass ich dich treffe! Endlich werden meine Fragen beantwortet: Bist du mit der Göttin Wral verwandt, die ja auch eine Hüterin der Herden ist?“ „Hä?“ „Man sagt, du seiest Atnes Neffe. Wie kann das sein? Wer ist dein Vater?“
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„Hä?“ „Bei Ûr-gqâschps, ich glaube, du bist gar nicht Omschjull!“ Die plumpe Gestalt erhob sich und stieß fast gegen die Decke. „Sagtest du Ûr-gqâschps?“ „Du hast gute Ohren, unbekannter Troll.“ Die Gestalt lachte dumpf und fett. „Ich bin Yipschqô, und du?“ „Sorle-a-glach.“ „Für einen Troll bist du mickrig.“ Yipschqô beugte sich vor, um Sorla zu befühlen. „Ich glaub‘, ich fress‘ dich.“ Dieser hatte schon sein Messer gezogen und hieb es in die Pranke Yipschqôs. „Aiiih!“ brüllte dieser und zog den Arm zurück. Gleichzeitig schlug er mit dem anderen zu; Sorla konnte sich nur durch einen Sprung zur Seite retten. „Halt‘ ein, bei Ûr-gqâschps!“ rief er. Der Troll stopfte sich die verletzte Pranke ins Maul und sagt undeutlich: „Das war lustig. Ich hab‘ schon lange keinen solchen Spaß mehr gehabt.“ Sorla aber schlug seine Hände zusammen und ließ das Regenszepter erscheinen. „Licht!“ murmelte er, und schon ergoss sich blaugrüner Schimmer über Altar und Yipschqôs plumpe Gestalt. Jetzt erst sah Sorla, dass der Troll mit seiner aufgeworfenen breiten Nase und gewaltigen Kinnbacken einem riesigen Schwein tatsächlich sehr ähnelte. Die lappigen Ohren und blinzelnden Äuglein verstärkten den Eindruck. Ansonsten war Yipschqô zwar fett, aber verfügte über beeindruckende Muskelmassen. „Höre, Yipschqô. Ich bin kein Troll, sondern ein großer Anführer unter den Menschen. Komm‘ mit mir, und du wirst viel Spaß haben.“ Der Troll zog seine Pranke aus dem Maul – keine Verletzung war mehr zu sehen. „Hier krieg‘ ich zu fressen“, warf er ein. „Die sind ja so blöd!“ „Wenn du nicht mitkommst, sage ich den Bauern, wer du bist. Dann rufen sie andere zu Hilfe und gehen mit Spießen und Dreschflegeln und Mistgabeln gegen dich vor. Das ist nicht mehr spaßig. Und zu fressen kriegst du auch nichts mehr.“
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„Du bist gemein.“ Plötzlich schoss seine Pranke nach vorne, um Sorla zu packen, doch dieser war auf der Hut und duckte sich. Aus seinem Regenszepter schwappte ein Schwall kalten Wassers über den Troll, dass dieser nach hinten fiel. Hilflos zappelte er unter immer neuen Wassermassen. Sorla selbst stand schon bis zum Bauch im Wasser, als er endlich aufhörte. Das Gurgeln des abfließenden Wassers mischte sich mit dem Prusten und Niesen des Trolls. „Aber wenn du mitkommst“, sprach Sorla weiter, als wäre nichts geschehen, „werden sie noch ihren Nachkommen erzählen, dass Omschjull in seiner Gnade sie besuchte. Sie werden sich dankbar deiner erinnern, Yipschqôs!“ Der Troll kratzte sich hinter den Schlappohren. „Wirst du mich jeden Tag so gründlich baden?“ „Nur wenn du darauf bestehst, Yipschqôs.“ „Dann komme ich mit.“ „Aber ich will keinen Ärger. Du musst mir gehorchen.“ Yipschqôs lachte fett. „Das wird nicht gehen.“ Wieder schwappte Wasser über ihn, Guss nach Guss; und Sorla schaute mitleidlos zu, wie der Troll zappelte und japste. Als Yipschqôs kurz vorm Ertrinken war, gebot Sorla dem Wasser Einhalt. „Schwöre bei Ûr-gqâschps und was dir sonst noch heilig ist, dass du mir gehorchst und keinen Ärger bereitest.“ „Bei Ûr-gqâschps und dem Arsch meiner Mama – ich will tun, als wäre ich kein Troll.“ „Das kann man gelten lassen.“ Sorla ließ das Regenszepter verschwinden, öffnete die Tür und trat hinaus. Den Abhang hinab hatten Sturzbäche tiefe Rinnen ausgewaschen, in den restlichen Pfützen blitzte die Sonne. Jetzt kam auch Yipschqô heraus und überragte Sorla um Armeslänge; am Ende seines schwartigen Rückens wippte ein geringeltes Schwänzchen. Weiter unten, in weitem Kreise, standen Psudi, Fuska und viele Bauern und Soldaten mit offenen Mündern. „Omschjull!“ stöhnten die Bauern. Der Troll winkte ihnen grinsend zu, da warfen sie sich auf die Knie in den Matsch. „Tiefer!“ rief der Troll. „Zappelt mit den Beinen!“ Er sah sich das Ergebnis an und murmelte
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sehnsüchtig: „Das macht schon Spaß!“ „Steht wieder auf!“ rief Sorla. „Wir feiern jetzt ein Abschiedsfest, denn euer Gast hat beschlossen, mit mir weiterzuziehen.“ Der Jubel war ehrlich, aber verhalten, denn die Bauern wollten nicht den Unwillen des vermeintlichen Omschjull erregen. Sie schleppten Tische und Bänke herbei, schmückten als Ehrenplatz für Yipschqô ein leeres Fass mit Efeuranken; die übrigen Tische wurden in gebührendem Abstand im Kreis darum gruppiert. Dann tischten sie Brot mit Zwiebeln und Speck auf und rollten Fässchen mit Wein herbei. Sorla staunte, wie viel das Dorf aufzubieten hatte, obwohl Fuska zuvor über Nahrungsknappheit geklagt hatte, aber Psudi sagte, Bauern würden schon aus Gewohnheit jammern, um die Abgaben möglichst gering zu halten. Fuska trat heran und hatte eine andere Erklärung: „Das hätte Omschjull sowieso in den nächsten Wochen gefressen.“ Es wurde getrunken, später auch gesungen, aber Sorla wollte weiter und befahl nach zwei Stunden den Abmarsch. Zum Abschied verkündete Yipschqô den Bauern, sie hätten die schönsten Säue weit und breit: „Weh euch, wenn ihr ein Ferkel schlachtet, das reden kann! Das müsst ihr aufziehen, zusammen mit den Kindern, die ich euren Töchtern gemacht hab‘!“ Sorla hörte die Bauern murmeln: „Am besten, wir schlachten heuer die Ferkel, bevor sie zu reden anfangen!“ * Kein Pferd wäre stark genug gewesen, den Troll längere Zeit zu tragen. Es machte ihm aber nichts aus, stundenlang nebenher zu traben. Dass Yipschqô ab und zu verschwand, wunderte Sorla nicht; auch andere Trolle konnten sich unsichtbar machen. Seine Männer waren deshalb weit beunruhigter, der Hauptmann sagte: „Wer weiß, was dieser Troll tut, wenn er sich unbeobachtet fühlt?“
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Bald fiel auf, dass die Pferde nachts sehr unruhig seien, daraufhin untersagte Sorla dem Troll, sich an ihnen zu vergehen. „Du hast mir Spaß versprochen, Sorle-a-glach.“ „Der wird schon noch kommen. Aber nicht diese Art.“ Also besorgte sich der Troll diese Art Spaß eigenhändig; allabendlich standen die Soldaten rings um ihn und feuerten ihn zu Höchstleistungen an. Eines Vormittags sahen sie eine größere Schar bewaffneter Reiter auf sich zukommen. Rasch schaute sich Sorla nach einer geeigneten Stellung zu Verteidigung um; er fand eine Anhöhe am Rand eines Wäldchens, in das man sich im Notfall auch zurückziehen konnte. Dort warteten sie. Einer der Reiter näherte sich auf Rufweite und schrie: „Wer seid ihr?“ „Kaiserliche!“ schrie der Hauptmann zurück. „Bei Anod, das ist gut!“ Nun ritt der Fremde näher heran; er hob den Arm und entfaltete eine kleine Fahne mit dem Sonnenzeichen, um das sich eine Schlange wand – das Banner der kaiserlichen Truppen. Die Reiter waren, wie sich herausstellte, versprengte kaiserliche Soldaten, stationiert in der Provinz Kratos, nahe der Grenze zur Grafschaft Agra. Vor zehn Tagen wurde Kratos von den Truppen des Grafen überrannt und besetzt. Die Einheiten des Kaisers waren der Übermacht nicht gewachsen; sie wurden vernichtend geschlagen. Die Überlebenden sammelten sich später wieder, doch da ihre Anführer gefallen oder geflohen waren, beschlossen sie, sich einer anderen Einheit anzuschließen. „Denn Fahnenflucht wollten wir nicht begehen, Herr!“ sagte der Soldat stolz. Nun hörten sie Gerüchte, der Kaiser habe seine Feinde im Norden besiegt, jetzt nahe er mit seinem Heer, um auch den Grafen von Agra zu bestrafen. Wer unter ihm kämpfe, habe das Glück auf seiner Seite. Also ritten sie ihm entgegen. „Wie heißt du, Soldat?“ fragte Sorla. „Numter, Herr.“ „Ich bin der Kaiser“, sagte Sorla. Der Soldat schaute ihn ungläubig an. „Und das große Heer, wo ist es?“ stammelte er.
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Der Hauptmann trat vor. „Wir sind die Vorhut. Ihr untersteht jetzt meinem Befehl. Holt auch die übrigen.“ Es waren ungefähr zweihundert Soldaten, halb verhungert, aber beritten und bewaffnet, die jetzt herankamen und sich im Soldbuch eintragen ließen. Damit hatte sich Sorlas Truppe verfünffacht. Was sie als Verpflegung für die nächste Woche mit sich führten, würde nun allenfalls zwei Tage reichen. „Wie kommen wir zu mehr Verpflegung, Psudi?“ fragte er diesen, während sie weiter ritten. „Kein Dorf hat genug, um zweihundertfünfzig Leute auch nur einen Tag zu verköstigen.“ „Unterschätze die Bauern nicht, Sorla. Auch ist es ihre Pflicht, das Reich zu unterstützen. Aber sie werden dich und das Reich verfluchen, wenn du ihnen die Wintervorräte nimmst, zumal sie schon genug Steuern an die Hreddeshi zahlen.“ „Wir können nicht nach Semendhol zurückkehren und von den Hreddeshi mehr Verpflegung fordern.“ „Dann musst du dir was anderes einfallen lassen, wenn du die Bauern schonen willst“, antwortete Psudi bitter, denn auch ihm fiel nichts ein. An diesem Nachmittag ließ Sorla die Truppe am Ufer des Asami anhalten und absteigen. Fünf Soldaten mussten das eine Ende eines langen Seils festhalten, er selbst befestigte einen großen Haken am anderen Ende und ging auf den Fluss zu. „Wenn ihr einen starken Ruck fühlt“, sagte er, „dann zieht!“ „Was hast du vor, Sorla?“ fragte Psudi. „Es soll große Welse in diesen Flüssen geben – zwei, drei Klafter lang und sehr träge. Wenn ich einen erwische, dann haben wir genug Nahrung für die nächsten Tage.“ „Die leben aber ganz unten am Grund des Flusses!“ Sorla nickte und stieg ins Wasser. Es spülte ihm entsetzlich kalt durch Hosen und Jackenärmel, während er tiefer hinein watete. Noch hörte er entsetzte Rufe: „Er geht unter!“ Dann war er auch mit der Nase unter Wasser und zwang sich zu atmen. Wider Erwarten – denn seit seiner Begegnung mit dem Kraken hatte er es nicht mehr versucht – war es ganz leicht, nur fror er jämmerlich. Tiefer tauchte er, ließ die Ufergewächse hinter und über sich und spähte unter ihren
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wehenden Wurzeln umher. Große und kleine Fische schossen vor ihm davon, bei jeder Wendung blitzten ihre Leiber silbern auf. Je tiefer er kam, desto dunkler wurde es. Doch ganz unten auf dem Grund, das sah er deutlich, bewegte sich etwas Mächtiges langsam gegen die Strömung. Jetzt galt es, unbemerkt von hinten an diesen riesigen Fisch heran zu schwimmen und ihm den Haken in das Rückenfleisch oder, besser noch, ins Maul zu rammen. Sorla ließ sich vorsichtig weiter herabsinken, musste ebenfalls gegen die Strömung schwimmen und kam dem Wesen vor ihm immer näher. Plötzlich packte ihn etwas an den Füßen. Er fuhr herum, da waren auch seine Arme festgehalten. Bleiche Gestalten wimmelten um ihn und glotzten aus flachen Augen. Jetzt wandte sich das dunkle, riesige Wesen ihm zu. Es war ein Fisch und doch keiner, denn statt der vorderen Flossen hatte es kräftige, kurze Arme. Sein breites Maul war mit langen Barteln besetzt. Das öffnete sich jetzt – und sprach. „Was tust du hier, Luftwesen?“ Dies war das Glucksen bedeutsamer Blasen, und Sorla antwortete in derselben Sprache: „Ich suche Nahrung für meine Leute.“ „Du hast mich verfolgt.“ „Ich hielt dich für einen gewöhnlichen Fisch.“ „Ehrlich bist du, aber wohl auch dumm. Sag‘, bist du schmackhaft?“ Selbst dumm, dachte Sorla und antwortete: „Ja, wirklich lecker, besonders die Arme!“ Da wandte sich das Fischwesen an seine Helfer: „Lasst seine Arme los, ich will ihn anknabbern!“ Als er sein breites Maul öffnete, schlug ihm Sorla den Haken in die fette Oberlippe und ruckte mit aller Kraft am Seil. Sofort spannte sich dieses, Sorla hielt sich fest daran und wurde ruckweise nach oben gezogen. Die bleichen Wesen hielten sich vergeblich an seinen Beinen fest, doch als er den Wasserspiegel durchbrach, ließen sie ihn fahren. Sorla rutschte, das Seil noch immer in den Händen, über das nasse Ufergras, hinter ihm kam, am
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Haken gezogen, das gewaltige Fischwesen. Jetzt sprang Sorla auf und rief: „ Dank, Atne, dass du uns dieses herrliche Essen zukommen ließest!“ „Was?“ blubberte das Fischwesen. Es versuchte vergeblich zurück in den Fluss zu rutschen, hing aber noch immer am Haken. „Du willst mich fressen? Mich, den alten Uusch, den Fürst dieses Flusses?“ „Verzeiht, Hoheit, hier stehen zweihundertfünfzig Männer, die alle großen Hunger haben!“ Jetzt war es Uush gelungen, mit seinen kräftigen Armen sich vom Haken zu befreien. Doch ein paar Soldaten sprangen herbei und versperrten ihm den Rückweg zum Fluss. „Höre!“ japste Uush. „Ich kann hier draußen nicht überleben.“ „Das macht nichts, Hoheit. Wir wollen dich ja verspeisen. Bist du schmackhaft?“ „Oh nein, ganz zäh und tranig! Höre, ich sag‘ dir was: Wenn du ans Ufer gehst und Uushs Opfer verlangst, dann bekommst du genug Fische, dass alle satt werden.“ „Nur heute?“ Uush zögerte, dann, mit seinem letzten Atem: „Nein, die ganze nächste Woche. Jetzt, sei gnädig ...“ Hilflos japsend lag er da. Sorla winkte den Männern: „Schnell, schiebt ihn ins Wasser zurück!“ Das dauerte ein paar Atemzüge, doch als Uushs riesiger Leib endlich in den Asami hinab geglitten war, erholte sich das Wesen schnell wieder und streckte den Kopf übers Wasser: „Vergiss nicht, verlange Uushs Opfer!“ Die Männer standen staunend um Sorla herum, Psudi kleidete ihre Gedanken in Worte: „Ich hab‘ euch glucksen gehört.“ „Na ja, Fischsprache eben.“ „Du kannst mit Fischen reden?“ „Nur wenn sie klug und sprachbegabt sind.“ Jetzt aber wurde es Sorla erst richtig kalt. Er zog trockene Kleidung an, wickelte sich in mehrere Decken und bekam ein heißes Getränk. Danach ging er ans Ufer und rief: „Ich will Uushs Opfer!“ Da wallte der Fluss auf und Hunderte von Fischen sprangen
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ans Ufer, wo die Soldaten sie einsammelten. So war die Verpflegung der Truppe gesichert, denn jeden Nachmittag verlangte Sorla Uushs Opfer, und jedes Mal kamen so viele Fische heraus gesprungen, dass es nicht nur zum Essen reichte, sondern man genug auf Vorrat für die nächsten Wochen räucherte. Nach vier Tagen Fisch begannen sich die Soldaten über die eintönige Kost zu beklagen, aber es half ihnen nichts. Nun näherten sie sich den Nordhängen des PetairikGebirges. Die Laune der kleinen Truppe sank, je höher und kälter es wurde. Der Boden war matschig, überall rieselten Rinnsale und Bächlein, am folgenden Tag – das Tal des Asami lag schon tief unter ihnen – ging der Matsch in knietiefen Schnee über – dabei versicherte Psudi, dies sei der richtige Weg, nur käme hier selten jemand vorbei. „Lebt ihr so abgeschieden?“ fragte Sorla. „Keineswegs, es führt eine Straße nach Kratos, aber das ist auf der anderen Seite.“ „Und wie kommen die Kriegshunde hier hoch?“ „Es gibt mehrere Wege, wir werden ihnen bald begegnen.“ Tatsächlich stießen sie am Tag danach auf eine breite Spur zertrampelten Schnees, der sie folgten. Am späten Nachmittag des folgenden Tages erreichten sie den Pass und beschlossen, jenseits an einer windgeschützten Stelle zu übernachten. Sie fanden eine Nische zwischen den Felsen und schlugen ihr Lager auf. Die Pferde wirkten unruhig; vielleicht gab es Wölfe oder einen Luchs in der Nähe, dachte Sorla und befahl doppelte Wachposten. Bis spät in die Nacht hinein redeten er und Psudi über ihre Pläne und Sorgen, die Soldaten lachten in den Mannschaftszelten, nur die Pferde waren merkwürdig unruhig. Doch ereignete sich nichts, und der nächste Morgen brach kalt und mit klarem, blauem Himmel an. Als Sorla vom Austreten zurück kam und er den Kopf frei für andere Dinge hatte, fiel ihm auf, dass nahe seinem Zelt ein runder Felsbrocken lag, den er am Vorabend dort nicht gesehen hatte. Ich muss mich getäuscht haben, dachte er; dann merkte er, dass der Felsbrocken frei von Moos und kleinen Farnen war, wie sie den anderen Felsen anhafteten.
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„Hat dich jemand hierher gerollt?“ fragte er. „Oder von irgendwo oben runter geworfen?“ Doch den Aufprall hätten sie gehört, dachte er. Er schaute hoch – nichts als Tannenwipfel ringsum. Ein paar Meisen zwitscherten in den Ästen. Ein paar Soldaten gingen quer über die Lichtung. Einer der größeren Felsen nahebei blinzelte – nur kurz, doch Sorla hatte es bemerkt und erstarrte. Dann fiel ihm ein: Wenn dieses Ding ihn töten wollte, hätte es das längst getan. „Sei gegrüßt!“ sagte er also. Der Fels rührte sich nicht. Sorla wiederholte den Gruß in der Sprache des Herzogtums Ailat, in der Guten Sprache der Berge und der von Batiflim, er erinnerte sich der Sprache der Sidhlande hervor und kramte auch seine geringen Kenntnisse der Elfensprache hervor – alles ohne Ergebnis. „Gut“, sagte Sorla. „Wir sprechen uns später.“ Nach dem Frühstück wurde das Lager abgebrochen; sie ritten weiter. Doch hinter der nächsten Biegung sagte Sorla zu Psudi, dass er etwas zu tun habe, er würde später nachkommen. Dann ritt er alleine zum verlassenen Lagerplatz zurück. Der runde Felsbrocken lag nicht mehr da. Als Sorla sich umschaute, entdeckte er ihn neben dem großen Felsen. „Ich bin Sorle-a-glach!“ sagte Sorla. „Wer bist du?“ Da erhob sich ein dumpfes Grollen in der Sprache Batiflims: „Ich kenne dich, Sorle-a-glach!“ Der Fels regt sich, und auf einmal schwand die Täuschung: Das war kein Fels, sondern ein Riese hockte da. „Große Dinge künden sich an!“ grollte er. Dann schwieg er und wiegte bedenklich sein Haupt. Irgendwann hatte Sorla diesen Riesen bereits gesehen, aber er konnte sich nicht erinnern. Der Riese fuhr fort: „Hier habe ich gewartet. Ich wusste, du kommst.“ Sorla räusperte sich. „Und wieso?“ „Berge sinken. Sümpfe heben sich zu Bergen.“ Er nickte langsam und gewichtig. Die Hebel der Macht! Irgendwie hatte der Riese davon erfahren! „Hast du mit Murlingir gesprochen?“ fragte Sorla.
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Der Riese schien ihn nicht zu hören. „Alte Wunden schließen sich. Wir fühlen, wie es wächst. Aber es tut weh, die Berge ächzen in ihren Tiefen!“ Er schwieg, und Sorla überlegte, was er Passendes erwidern sollte. Schließlich fragte er: „Spürst du diese Schmerzen selbst?“ Der Riese zeigte auf den runden Felsbrocken zu seinen Füßen: „Es spürt die Veränderungen. Ich bin der Träger, der Sprecher.“ Jetzt erinnerte sich Sorla an das Zaubertreffen im Elfenwald. Über vier Jahre war es her, als er dort das Auge der Berge sah – eben den runden Felsbrocken – und den Riesen, der es trug und versorgte. „Sei gegrüßt, Diener des Auges!“ sagte er. „Warum greifst du ins Gleichgewicht der Erde, Sorle-aglach?“ grollte der Riese. Deshalb hatte der Riese ihn hier abgepasst! Womöglich Wochen hier gehockt und gewartet! Aber Sorla hatte kein schlechtes Gewissen; er begann seinen Plan und die Gründe dafür zu erläutern. Der Riese hockte still da, einmal berührte er sachte mit seinem riesigen Zeigefinger den runden Felsbrocken vor ihm. Als Sorla seine Ausführungen beendet hatte, herrschte eine Zeitlang Schweigen. Wieder waren die geschäftigen Meisen in den Tannenzweigen das Lauteste weit und breit. Jetzt nickte der Riese bedächtig, dann grollte er: „Wenn dies beendet ist, zerstöre die Hebel der Macht!“ „Versprochen, bei Anods Licht!“ sagte Sorla. „Bedeutet das, dass du einverstanden bist?“ „Du hättest vorher fragen sollen, Sorle-a-glach!“ grollte der Riese. „Aber wir sind zufrieden.“ Er bückte sich und lud den runden Felsbrocken auf seine Schulter. „Wir gehen zu Ûr-gqâschps‘ Thron. Von seinem Gipfel werden wir die Wandlungen beobachten.“ In eben dem Augenblick hörte Sorla aus einiger Entfernung die Stimmen vieler Männer; und schon erschien auf der Lichtung eine Meute von wohl dreißig Kriegshunden. Sie trugen ihre langstieligen Streitäxte über der Schulter und begrüßten Sorla erstaunt und ehrerbietig. „Kommt mit uns, Herr!“ riefen sie. Sorla nickte und ritt hinüber. Als er sich nach dem Riesen
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umdrehte, stand da nur ein großer Fels. Ganz kurz aber hatte Sorla den Eindruck, als habe er ihm zugezwinkert. * Vor ihnen lag das Tal der Perlek, grün und fruchtbar, umringt von den beschneiten Gipfelketten des Petairik-Gebirges. Dörfer und Städtchen lagen zwischen den Feldern und Wäldchen verstreut. In der Mitte des Tals erhob sich ein Hügel, voller Wohnhäuser und anderer Bauwerke und umgeben von wehrhaften Zinnen. Ein breiter Wassergraben, den man nur über eine Zugbrücke überqueren konnte, führte um den Hügel herum. „Unsere Hauptstadt“, sagte Psudi stolz. „Schwer einzunehmen“, meinte Sorla nachdenklich. „Wir könnten sie belagern“, schlug Arrhid vor. „Irgendwann geht ihnen das Essen aus.“ Sorla war nicht begeistert. Er wollte Übeltäter bestrafen und nicht Unschuldige verhungern lassen. Dies war nicht der Weg, Liebe zum Hernostischen Reich zu entfachen. „Und schaut nur!“ sagte Psudi. Jetzt sahen auch die anderen, was er meinte: auf allen Wegen und Straßen dort unten bewegten sich Karren, Reiter und Leute zu Fuß in nur eine Richtung, nämlich zur Hauptstadt hin. „Sie haben uns schon entdeckt“, murrte Arrhid. „Jetzt strömen alle in die Stadt und verrammeln die Tore.“ „Dann brauchen wir uns auch nicht zu verstecken“, beschloss Sorla. „Zumindest nicht alle. Zwei Drittel deiner Kriegshunde sollen sich in den Wäldern und umliegenden Bergen verbergen. Wir anderen schlagen unser Lager in Sichtweite der Hauptstadt auf, dann werden wir verhandeln.“ So geschah es. Nahe der Zugbrücke, aber außerhalb der Bogenschussweite entstand eine riesige Zeltstadt, voll von Soldaten, Kriegshunden und Pferden. Ihre Verpflegung bot keine Schwierigkeiten, denn ringsum lagen saftige Weiden und eilig
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verlassene Dörfer mit Scheunen voller Vorräte. Am selben Abend erschien auf den Zinnen jemand und schwenkte eine Fahne. „Was wollt ihr? Wer seid ihr?“ schrie er. „Schickt einen Unterhändler, dann erfahrt ihr’s!“ rief Arrhid zurück, auf seine langstielige Axt gestützt. „Freies Geleit?“ „Ja, bei Horadh!“ Kurz darauf öffnete sich im Stadttor eine kleine Pforte; ein Mann erschien, zwei weitere trugen ein kleines Boot hinunter zum Graben. Denn ihre Zugbrücke wollten sie offensichtlich nicht herunterlassen. Dann verschwanden sie wieder, er ruderte herüber und wurde von einigen Soldaten durchsucht. Er war unbewaffnet. Sorla empfing ihn in seinem Zelt, umgeben von Psudi, Arrhid und zwei Soldaten. „Ich bin Kornak, Anführer meines Volkes!“ sagte der Ankömmling, ein breitschultriger Mann mit offenem Blick, wenn auch finsterer Miene. „Dort sehe ich Psudi den Verräter und weiß jetzt: dies sind die Truppen des hernostischen Reiches.“ Sorla winkte ihm, sich zu setzen, und antwortete: „Ich bin Sorle-a-glach, Kaiser des hernostischen Reiches, und habe von dir gehört, Kornak. Ich will, dass ihr euch vom Grafen von Agra lossagt, und verlange Buße für den Mord an meiner Familie, soweit deine Familie beteiligt war.“ „Der Kaiser selbst kommt uns besuchen! Zuviel der Ehre!“ höhnte Kornak. „Du bist vielleicht zwanzig Jahre alt ...“ „Bald“, schränkte Sorla ein. „ ... und willst erwachsenen Männern befehlen?“ „Du schuldest dem Kaiser Respekt!“ knurrte Arrhid, doch Sorla legte ihm die Hand auf den Arm und sagte: „Unterschätze mich nicht, Kornak. Dieser Fehler könnte großes Unheil über dein Volk bringen.“ Kornak lachte. „Der Wind weht in den Bergen, und der Frosch quakt in den Sümpfen. Ich gehe jetzt und berichte meinem Clan.“ Damit wandte er sich und verließ grußlos das Zelt. „Da siehst du es, Sorla!“ Psudi rieb sich nachdenklich die Hasenscharte. „Mit Kornak kann man nicht reden!“
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„Aber er scheint tapfer zu sein“, wandte Arrhid ein. „Meine Kriegshunde können sich auf einen Kampf freuen!“ „Er kam, um uns auszukundschaften“, sagte Sorla. „Er hat sich umgesehen und glaubte dann, sich Unverschämtheiten leisten zu können. Das zeigt erstens, dass er uns unterschätzt – die meisten Kriegshunde sind ja in den Wäldern verborgen. Zweitens vermute ich, dass er auf Hilfe von Entsatztruppen rechnet. Vielleicht befindet sich der Graf von Agra mit seiner Streitmacht schon in Kratos und kann innerhalb weniger Tage hier eintreffen. Arrhid, schicke ein paar Leute zur Straße nach Süden. Sie sollen Pferde mitnehmen, Decken und Verpflegung für eine Woche. Ich vermute, dass Kornak bald einen berittenen Boten über die Berge nach Kratos schickt. Irgendwie wird er schon aus der Stadt raus kommen, und Pferde gibt es ja noch genug auf den Weiden. Den müsst ihr durchlassen ...“ „Aber dann bekommt Kornak doch Hilfe!“ wandte Psudi ein. „Gegen den Grafen müssen wir irgendwann sowieso antreten, und hier bestimmen wir die Lage.“ Arrhid erhob sich. „Ich schicke die Männer los. Wenn der Bote durch ist, soll einer uns benachrichtigen; die anderen machen Meldung, wenn der Feind im Anmarsch ist.“ Sorla nickte. Insgeheim dachte er: Gebe Atne, dass ich richtig entschieden habe. * Fünf Stunden später kam Arrhids Mann zurück und berichtete, sie hätten sich südlich der Hauptstadt nahe der Straße auf die Lauer gelegt, und bald nachdem die Nacht hereingebrochen war, seien zwei Reiter an ihnen vorbei nach Süden galoppiert – auf den Pass nach Kratos zu. „Sehr gut“, sagte Sorla. „Reite zurück zu den anderen Kundschaftern. Seht zu, dass ihr uns rechtzeitig benachrichtigt, wenn Truppen über den Pass kommen oder sonst etwas Ungewöhnliches
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geschieht. Wir dürfen hier nicht überrascht werden!“ „Bei Horadh!“ nickte der Kriegshund. „Ihr könnt Euch auf uns verlassen, Herr!“ Jetzt galt es, sich auf den Kampf vorzubereiten und den Vorteil der Lage auszubauen. Die Palisaden um das Lager wurden verstärkt und Gräben ausgehoben. Den Soldaten und Kriegshunden wurde erhöhte Wachsamkeit befohlen; Sorla aber empfing Psudi und Arrhid wieder in seinem Zelt zum Kriegsrat. „Wo sind die Krieger eures Clans, Psudi?“ fragte Arrhid. „Bisher habe ich nur Kornak gesehen.“ Psudi zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Entweder halten sie sich hinter den Stadtmauern versteckt und machen irgendwann einen Ausfall, oder sie sind gar nicht hier.“ „Gegen den Ausfall müssen wir vorbereitet sein“, sagte Sorla. „Ich möchte nicht Kornaks Leute im Rücken haben, wenn uns die Truppen des Grafen angreifen.“ „Kann man die Zugbrücke vernichten?“ fragte Arrhid. „Dann müssten sie mühsam den Wassergraben überwinden – die Überraschung wäre dahin.“ „Das Tor“, grübelte Psudi, „wenn wir es verschließen könnten ... Ich habe auch eine Ahnung, wie es klappen könnte.“ Jetzt war es Nacht, aber Psudi bat sie, zum Rand des Lagers mitzukommen und sich Stadttor und Zugbrücke genauer anzuschauen. Er erklärte: „Die Torflügel öffnen sich nach außen. Auch die Zugbrücke senkt sich, wenn sie heruntergelassen wird, von der Stadt weg nach außen über den Graben. Zur Zeit ist sie hochgezogen. Man könnte sie sogar noch weiter hochziehen, bis sie senkrecht steht. Das geht, weil die Brücke Gegengewichte hat. Wenn man dann die Halteseile kappt und die Brücke in die andere Richtung fallen lässt, auf das Tor zu, dann würde dieses dadurch blockiert.“ „Gute Idee“, meinte Arrhid. „Aber niemand ist so stark, die Brücke vollends in die andere Richtung zu wuchten, trotz ihrer Gegengewichte. Außerdem, wenn die da drinnen mitbekommen, dass da einer auf ihrer Brücke herum turnt und an den Seilen säbelt, dann werden sie schießen. Der überlebt das nicht.“
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„Schade“, seufzte Psudi. „Die Idee hätte mir gefallen. Obwohl es schade um die Brücke ist.“ Sorla lächelte. „Es geht, und ich weiß auch wie.“ Er erklärte ihnen sein Vorhaben. Psudi nickte begeistert, und Arrhid fügte hinzu: „Aber erst, wenn es soweit ist. Nicht zu früh!“ Dann besprachen sie, wie sie die anrückenden Truppen empfangen wollten. Arrhid schickte Boten zu den Kriegshunden, die in den Bergen und Wäldern versteckt waren, und gab ihnen entsprechende Anweisungen. Die nächsten Tage vergingen in einer Mischung von Anspannung und Langeweile. Die Kriegshunde erholten sich von den Strapazen der langen Fußmärsche auf dem Weg hierher. Bei ihren Waffenübungen schwangen sie ihre langstieligen Äxte und prahlten mit ihren Muskeln. „Meine Männer freuen sich schon“, sagte Arrhid zu Sorla. „Hoffentlich kommt der Graf bald!“ Die Soldaten hielten sich abseits; die Kampfbegeisterung der Kriegshunde waren ihnen unheimlich. Aber sie versicherten Sorla, sie würden ihrer Pflicht nachkommen und tapfer kämpfen. Ihr Hauptmann lobte, wie geordnet und diszipliniert sie vorgingen, und wies abfällig auf das Durcheinander bei den Kampfhunden hin. „Herr!“ sagte er, „im Ernstfall kann ich mich auf die Disziplin meiner Truppe verlassen!“ Daraufhin verordnete Sorla den Kriegshunden jeweils drei Tage grundlegenden Drill. Obwohl alle anfangs dagegen waren, merkten sie schnell, dass ihre Schlagkraft sich durch den Lehrgang erhöhte, und die Anführer der Meuten begrüßten es, mit einem Befehl jetzt mehr zu erreichen als mit dem bisher üblichen Geschrei, das im allgemeinen Getümmel unterging. Nach ihrem Lehrgang wurden die Meuten gegen andere ausgetauscht, die bisher außerhalb versteckt waren. Das geschah nachts und in kleinen Gruppen, damit Kornaks Spähern nichts auffiel. Am zweiten Tag erschien Kornak auf der Mauer und schrie: „Was ist? Wollt ihr uns nicht angreifen, ihr Feiglinge?“ Arrhid schrie zurück: „Wozu? Kommt raus, ihr Schlappschwänze, und kämpft wie Männer! Wir warten, bis ihr alle verhungert seid!“
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Kornak verschwand wortlos, und Sorla musste lachen bei diesem Schauspiel gegenseitiger Täuschungsabsichten. Am Abend des achten Tages kam einer der berittenen Kundschafter zurück und meldete, dass größere Truppen über den Pass von Kratos heran marschierten. „Wie groß?“ fragte Sorla. „Sieben Mannschaften mit je ungefähr zweihundert Mann.“ „Sie denken, sie sind in der Übermacht. Wann werden sie hier sein?“ „Herr, ich schätze, in drei Stunden, wenn sie keine Pause einlegen. Allerdings mussten sie die ganze Nacht marschieren, und in den Bergen gab es Schneestürme. Vielleicht machen sie am Rand des Tals eine Pause, damit die Männer sich erholen können.“ Sorla winkte dem Mann, er könne gehen und sich ausruhen. Dann ließ er Arrhid und Psudi holen. „Es wird Zeit, das Stadttor zu sperren“, sagte er. „Bevor die einen Ausfall machen.“ Eine halbe Stunde später schauten sie hinüber auf die Stadt. Im Mondlicht waren Mauern und Zugbrücke gut zu sehen. Hinter den Schießscharten der Stadtmauer leuchtete der Widerschein der Wachfeuer, nur manchmal erloschen sie scheinbar, wenn ein Wachposten vor ihnen vorüber ging. „Die schlafen auch nicht“, stellte Arrhid grimmig fest. „Und wann geht es los?“ fragte Psudi. „Er ist längst dabei“, sagte Sorla. „Schaut, das eine Seil hängt schon lose!“ Jetzt hob sich die Brücke noch weiter, wie von Geisterhand bewegt, über die Senkrechte hinweg und senkte sich in die Gegenrichtung. Ein weiteres Seil hing plötzlich lose herab, gleich darauf noch eines – die Brücke senkte sich rascher, irgendeine Halterung wurde knirschend zerquetscht, ein Querbalken zersplitterte, dann polterte die Brücke gegen das Stadttor. Drüben wurde geschrien, man sah Leute auf der Brüstung umher rennen. „Schade um die schöne Brücke!“ seufzte Psudi. Arrhid schlug ihm lachend auf die Schulter und ging, seine Kriegshunde zu benachrichtigen. Sorla schwieg und schaute hinaus auf das weite, leere Feld zwischen dem Lager und der Stadt.
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Plötzlich sah er, wonach er gesucht hatte: Spuren in der feuchten Erde, Spuren ohne jemanden, der sie verursachte, Spuren, die rasch näherkamen. Plötzlich erschien vor ihm, wo eben noch nichts war außer Luft, der Troll und hielt ein Kurzschwert hoch: „Das hat Spaß gemacht!“ grollte er. „Bei Ûr-gqâschps!“ „Sehr gut, Yipschqô! Das Schwert darfst du behalten, du wirst es bald wieder brauchen.“ „Noch ‘ne Brücke, Sorle-a-glach?“ „Nein, das wohl nicht.“ Jetzt begannen auf der Stadtmauer Leute Stangen und Seile zu befestigen; sie bereiteten offensichtlich den Versuch vor, die umgestürzte Zugbrücke vom Stadttor wegzudrücken. Sorla wies den Hauptmann an, seine Bogenschützen sollten ein paar Pfeile abschießen, „nicht allzu gezielt, eher als Warnung, dass sie ihre Finger von der Zugbrücke lassen sollen!“ Das geschah, die Männer verschwanden hinter ihre Schießscharten und sandten ebenfalls Pfeile ab. Diese waren sehr wohl gezielt, aber Sorlas Bogenschützen waren in guter Deckung. Der eigentliche Zweck war jedoch erreicht: die Brücke blieb, wo sie war, ein Ausfall war in nächster Zeit nicht zu befürchten. Einer der Kundschafter Arrhids kehrte zurück und meldete, die Truppen des Grafen seien dabei, versteckt im Bergwald ein Lager aufzuschlagen. „Mit Palisaden?“ fragte Sorla. „Nein, Herr, einfach Zelte und Lagerfeuer. Die sind fix und fertig vom Marsch. Sie denken wohl, wir wissen nicht, dass sie da sind.“ „Ist der Graf dabei?“ „Ich hab‘ ihn nicht gesehen, war aber auch nicht nahe genug dran.“ Sorla wies Arrhid an, seine Spähtrupps sollten in stündlichem Abstand alles melden, was bei den Truppen des Grafen vorging. „Auch wenn sie schlafen, müssen wir das wissen, denn dann können auch unsere Soldaten sich ausruhen – sie werden es brauchen! Und deine Kriegshunde in den Wäldern sollen sich
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bereithalten!“ „Bei Huredho!“ lachte Arrhid. „Sie sind schon ungeduldig!“ Als Sorla in sein Zelt trat, standen da zwei Soldaten über seine Pläne gebeugt. „Ihr solltet draußen warten“, sagte er unwillig, da hörte er hinter sich ein Geräusch und fuhr herum. Ein weiterer Soldat, der sich neben dem Eingang versteckt haben musste, sank neben ihm nieder, getroffen von einem unsichtbaren Kurzschwert. Seinen Händen entglitt der Dolch, mit dem er Sorla meucheln wollte. Die beiden Soldaten drangen mit ihren Schwertern auf Sorla ein, doch den ersten traf sein Wurfdolch ins Herz, dem zweiten entriss er mit einer flinken Armbewegung die Waffe und hieb sie ihm in den Schenkel, dass er zusammenbrach. Dann holte er sich den Wurfdolch wieder und wischte ihn am Kittel des Toten sauber. „Du lässt den einen leben?“ grollte der unsichtbare Troll. „Gefangene tötet man nicht, Yipschqô.“ „Das macht keinen Spaß!“ „Und wir werden ihn befragen.“ „Das macht Spaß!“ Sorla nickte. „Und, Yipschqô, du hast mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich danke dir!“ Der Troll lachte fett: „Das ist, weil du den Bauern nichts verraten hast! Die halten mich noch immer für Omschjull.“ Sorla lächelte und tastete umher, bis er die breite Schulter des Trolls fand und sie tätscheln konnte. Jetzt kam Arrhid herein und sah die drei Soldaten in ihrem Blut. „Was ist das?“ Doch Sorla ließ ihn den Hauptmann der Soldaten holen. Dieser schaute sich die Männer an und bestätigte, was Sorla schon vermutete: „Herr, das sind nicht unsere Leute!“ „Perlek-Leute!“ sagte Psudi, der nun ebenfalls eintraf. „Den da kenne ich aus Kriteis!“ Er zeigte auf den Toten, der Sorla erdolchen wollte. „Verräter!“ flüsterte der Verwundete schwach. Psudi wurde bleich und fuhr sich wortlos über die Hasenscharte. „Unsinn!“ fuhr Sorla den Verwundeten an. „Ihr wolltet mich ermorden. Das ist kein ehrlicher Kampf. Aber einer soll ihm das Bein verbinden, bevor er verblutet!“
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Der Hauptmann winkte einem Soldaten, der sich bald mit Wasser und Verbandsmaterial an dem Verletzten zu schaffen machte. Jetzt wurde der Troll plötzlich sichtbar und grollte ungeduldig: „Weg da!“ Er wischte den Soldaten samt Verbandsmaterial beiseite, öffnete seine riesige Schnauze und umschloss damit den Oberschenkel des Verletzten. „Er will mich fressen!“ keuchte dieser. „So helft mir!“ Arrhid und der Hauptmann schauten auf Sorla, ob sie eingreifen sollten. Doch als dieser ruhig blieb und nur scherzte, Yipschqô habe sich heute aber etwas Zartes ausgesucht, fingen sie an, die beiden Toten zu durchsuchen – ohne Ergebnis – und ließen sie dann hinaus schaffen. Auch der Verletzte wurde ruhiger, als er merkte, dass das unheimliche Wesen nicht wirklich zubiss. Nach einiger Zeit ließ der Troll sein Bein wieder fahren – es war wieder unversehrt. „Ein Wunder!“ flüsterte der Geheilte. Der Hauptmann aber dachte praktisch und fesselte ihn, bevor er wegrennen konnte. Arrhid flüsterte Sorla zu: „Die Vorbereitungen sind getroffen, wie abgesprochen.“ Auch der Hauptmann bedeutete Sorla, dass die Soldaten in Stellung seien. „Gut“, sagte Sorla laut. „Wir haben Zeit, diesen Gefangenen ausführlich zu befragen.“ „Darf ich?“ grollte der Troll und rieb sich die Pranken. „Du hast ihn doch eben erst geheilt!“ „Ich kann ihn doch immer wieder heilen, Sorle-a-glach“, beruhigte ihn der Troll. „Egal was ich ihm breche oder zerreiße. Um so mehr Spaß hat man!“ Der Gefangene blickte von einem zum anderen. „Der macht doch Scherze, oder?“ fragte er Sorla. „Ich fürchte, nein. Besser, du machst keine Schwierigkeiten und beantwortest meine Fragen. Wie viele Krieger hat der PerlekClan?“ „Ungefähr neunhundert.“ Das klang stolz und schien die Wahrheit zu sein. „Wo befinden sie sich?“ Jetzt zögerte der Gefangene einen Augenblick zu lange „Sie sind alle in der Stadt und helfen bei der Verteidigung.“
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Sorla ging darauf nicht weiter ein, sondern fragte: „Wer bist du?“ „Ich heiße Tusdik.“ „Wessen Sohn?“ mischte sich Psudi ein. Der Gefangene sah ihn wütend an, doch als der Troll sich schon vor Vorfreude, dass er eingreifen dürfe, die Pranken rieb, flüsterte er: „Huraks Sohn.“ „Huraks Sippe lebt in Kriteis“, erklärte Psudi, zu Sorla gewandt. „Sie treiben Handel mit Waffen und Edelsteinen. Hurak selbst ist ein berühmter Kämpfer und Anführer von Kriegern.“ „Dann denke ich“, sagte Sorla, „dass du gar nicht aus dieser Stadt hier kommst. Wo ist dein Vater mit seinen Leuten jetzt?“ Tusdik schwieg und biss sich auf die Lippen. Wieder rieb sich der Troll die Pranken, doch Sorla sagte zum Hauptmann: „Wir haben genug Zeit mit ihm verschwendet. Schafft ihn hinaus und passt auf, das er nicht entwischen kann!“ Kaum waren sie alleine im Zelt, sagte Sorla: „Der zweite Reiter! Ich hätte daran denken können!“ „Was meinst du?“ fragte Arrhid. „Kornak schickte zwei berittene Boten los. Einer sollte den Graf von Agra benachrichtigen, dass der Kaiser mit seiner geringen Streitmacht hier wartet, vernichtend geschlagen zu werden. Wozu dann der zweite? Ich vermute, er suchte Hurak auf. Vielleicht musste er gar nicht bis Kriteis reiten. Wahrscheinlicher ist, dass Hurak seine Männer bereits irgendwo versammelt hatte, denn es sollte ja bald losgehen gegen das Reich.“ „Dann wären seine Leute bei diesen sieben mal zweihundert dabei, von denen uns der Kundschafter berichtete?“ „Nein, sicher nicht. Das waren die Soldaten des Grafen. Huraks Männer sind vielleicht nicht der Straße gefolgt. Sie kennen das Gelände, die Abkürzungen und Schleichwege, sie sind offensichtlich schon hier – irgendwo – und haben uns diese drei Meuchelmörder auf den Hals gehetzt.“ „Du meinst also, Kornak hat gewusst, dass wir mehr Leute haben, als es scheint?“ „Nein, ich denke, er will vor dem Grafen geschützt sein.
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Was meinst du, was geschähe, wenn der Graf mit seinen Truppen dieses Tal besetzt? Sie werden gemeinsam gegen uns kämpfen, danach aber ist Kornak froh, nicht dem Grafen ausgeliefert zu sein.“ „Leuchtet mir ein“, sagte Arrhid. „Ein Glück, dass du so klug bist!“ Eben tauchte wieder ein Späher auf und meldete, im Lager des Grafen sei jetzt alles ruhig. „Sie haben verstärkte Wachen aufgestellt, die anderen schlafen.“ „Dann wird es Zeit für uns“, sagte Sorla. „Hauptmann, du verteidigst das Lager, falls es angegriffen wird. Psudi bleibt bei dir. Die Kriegshunde im Lager unterstehen deinem Befehl.“ „Was habt ihr vor, Herr?“ „Wir besuchen den Grafen. Die Kriegshunde in den Wäldern begleiten uns.“ „Wieso nehmt ihr nicht auch die Soldaten mit?“ „Ich bin sicher, dass der Graf unser Lager beobachten lässt. Er wäre dann gewarnt.“ * Für ihr Vorhaben hätte sich Sorla die Nacht noch dunkler gewünscht, Der nächtliche Himmel war zwar bedeckt; doch immer wieder erschien der Halbmond zwischen den Wolken und tauchte alles in sein silbernes Licht. Also achtete Sorla darauf, möglichst im Schatten der Bäume zu bleiben und die freien Stellen nur dann zu überqueren, wenn gerade dichte Wolken den Nachthimmel verdunkelten. Meist liefen sie in lockerem Trab oder rannten sogar, wenn sie den Boden halbwegs erkennen konnten. Sorla war stolz, wie ausdauernd er war, doch Arrhid blieb stets dicht hinter ihm. Einmal, als sie eben hinter einem kleinen Haselnussgebüsch angekommen waren, hörte Sorla leises Schnaufen. „Vorsicht!“ flüsterte er Arrhid zu. „Da atmet jemand!“ „Du musst dich verhört haben,“ flüsterte Arrhid zurück.
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„Hier gibt’s nur uns beide.“ „Und mich“, grollte der unsichtbare Troll. „Ich will dabei sein, wenn der Spaß losgeht!“ „Bei Omschjull!“ seufzte Sorla. Nach einer halben Stunde kamen sie zu einem größeren Wald. Bei Tag hätte Sorla ihn durchquert. Jetzt aber war es zu dunkel, also begannen sie ihn dicht an seinem Rand zu umrunden. Anfangs konnten sie, wenn sie zurückblickten, in der Ferne noch ihre Lagerfeuer und dahinter die dunklen Umrisse der Hauptstadt auf dem Hügel sehen. Bald aber verschwand all das hinter den Bäumen, während sich vor ihnen die im Mondlicht bleichen Schneegipfel des Petairik-Gebirges erhoben. Plötzlich roch Sorla etwas Brenzliges – von irgendwo kam Rauchgeruch. Vorsichtig schlichen sie weiter und sahen bald vor sich den rötlichen Widerschein von Lagerfeuern, ganz niedrig nur und hinter Wällen aus Steinen oder Erde versteckt, doch aus der Nähe gut zu erkennen. Hier, hinter dem Wald verborgen, lagerte eine ganze Armee. „Hurak!“ flüsterte Sorla. „Mindestens siebenhundert Mann“, entgegnete Arrhid leise. Sie lauschten eine Zeitlang, hörten aber nur das Klappern von Blechgeschirr bei der Essensausgabe, gelegentliches Schnauben schläfriger Pferde, einmal lachte jemand. „Vor morgen früh greifen die nicht an“, flüsterte Arrhid. „Dann greifen wir sie jetzt auch nicht an“, antwortete Sorla. Während sie in gebückter Haltung, vorsichtig und im weiten Bogen am Lager vorbei den Bergwäldern zustrebten, hörte Sorla immer wieder verhaltenes Prusten hinter sich; Yipschqô konnte sich über Sorlas Scherz noch lange nicht beruhigen. „Wieso haben deine Kundschafter sie nicht früher entdeckt?“ fragte Sorla Arrhid, als sie weit genug vom Lager entfernt waren, um wieder aufrecht gehen zu können, ohne dass man sie gegen den mondhellen Nachthimmel entdeckt hätte. „Sie haben sich in der Nähe der Straße gehalten. Von da sieht man Huraks Lager nicht. Seine Lagerfeuer haben wir ja auch erst entdeckt, als wir fast hinein getreten sind.“
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Schweigend eilten sie weiter und kamen nach einer weiteren Stunde an den Rand der Bergwälder. Weiter rechts vermuteten sie die Straße, die zum Pass führte. Hier blieben sie stehen. Arrhid hob den Kopf und begann zu heulen. Aus den umliegenden Wäldern heulte es zurück, markerschütternd schaurig. „Wir treffen uns beim verabredeten Ort“, sagte Arrhid. „Auf geht‘s!“ Sie hasteten weiter, bis sie die feindlichen Lagerfeuer sehen konnten. Nun mussten sie schleichen und erstiegen schließlich den Abhang oberhalb des Lagers, um bessere Übersicht zu haben. Dort verbargen sie sich dort hinter den Stämmen der Bergfichten. Kaum ein Knacken verriet, dass rechts und links von ihnen sich die herbeigerufenen Kriegshunde näherten und sich rund um das Lager verteilten. Sie bildeten zusammen ein Heer von eintausend und vierhundert – das entsprach der Anzahl der feindlichen Soldaten. Ihr Vorteil bestand darin, dass die anderen nichtsahnend schliefen. Eine kurze Weile beobachteten sie das Lager. Es gab viele Wachen, die sich aber nie weit von den wärmenden Feuern entfernten. In der Mitte des Lagers stand ein größeres, mit Wimpeln geschmücktes Zelt. Dort brannte eine Kerze, jemand ging ab und zu davor vorbei. Aus den normalen Mannschaftszelten drang vielstimmiges Schnarchen bis hinauf zu Sorla. „Vier oder fünf Stunden lang schlafen sie jetzt“, flüsterte Arrhid. „Sollen wir sie wecken?“ Wieder hörte Sorla verhaltenes Prusten hinter sich – Yipschqô konnte sich über jeden Witz freuen. „Sie tun einem fast leid“, antwortete Sorla leise. „Wenn du sie ausschlafen lässt und sie uns morgen niedermetzeln wollen – ist dir das lieber?“ fragte Arrhid. „Aber ich gebe zu, Schlafende zu überfallen macht keinen Spaß. Ich kämpfe lieber gegen jemanden, der sich wehrt.“ „Na dann!“ lachte der Troll. „Spaß muss sein!“ „Nein, nicht!“ rief Sorla, aber es war zu spät; Yipschqô – immer noch unsichtbar – schrie mit tiefer Stimme, dass es Sorla im Kopf dröhnte: „Wacht auf, stinkende Faulenzer! Wir wollen Spaß haben!“ Seine Stimme entfernte sich in Richtung Lager. Einer der Wachsoldaten fiel schreiend nach vorne, als er von einer
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unsichtbaren Kraft in den Hintern getreten wurde, ein anderer landete im hohen Bogen im Lagerfeuer, dann fielen die Zelte der Reihe nach um, als wüte ein Sturm. Die Soldaten wühlten sich aus der Leinwand heraus, torkelten schlaftrunken umher und suchten ihre Rüstung zusammen – Yipschqô rüttelte das Lager auf und hatte Spaß. „Bei Huredho!“ stöhnte Arrhid. „Unser schöner Überraschungsangriff!“ „Dann lass‘ uns jetzt angreifen, Arrhid! Solange sie noch verwirrt sind!“ Arrhid heulte und bellte, da brachen von allen Seiten die Kriegshunde aus ihren Verstecken und rannten, Äxte schwingend, auf das Lager zu. Die Wachen schrien Alarm. Die Soldaten aber waren noch nicht gerüstet, manche humpelten mit nur einem Stiefel umher, andere ließen ihren Brustharnisch fallen, den sie eben noch festschnallen wollten, und suchten nach ihrem Kurzschwert, wieder andere hatten ihre Hosen noch nicht hochgezogen und fielen beim Laufen hin. Der unsichtbare Yipschqô vergnügte sich weiter damit, hilflose Soldaten umzuschubsen, hochzuwerfen oder ihnen ins Ohr zu schreien. Die Kriegshunde, mit ihnen auch Arrhid und Sorla, waren im Lager angekommen. Zahlenmäßig waren die beiden Seiten ausgeglichen, doch von einzelnen, hilflosen Versuchen der Gegenwehr abgesehen, kam es zu keinem Kampf. Zu groß war die allgemeine Verwirrung. Die wenigen Soldaten, die ihr Schwert gefunden hatten, ließen es fallen, als sich die Kriegshunde, ihre langstieligen Äxte schwingend, zu mehreren drohend vor ihnen aufbauten. Die übrigen versuchten es gar nicht erst, sondern fielen auf die Knie und flehten um Gnade. Aus dem Zelt des Anführers schaute ein junger Mann und brüllte mit rotem Gesicht: „Wehrt euch, ihr Schufte!“ Sorla und Arrhid eilten herbei; Arrhid zog ihn am Kragen aus dem Zelt, Sorla rief: „Gib auf!“ Die Schlacht schien geschlagen – doch in diesem Augenblick trat ein Mann mit schwarzem Spitzbart, in einen langen Umhang gewandet, hervor und hob seinen Stab: „Erstarret durch die
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dunkle Kraft – alle, die ich sehe!“ Sorla durchrieselte ein kalter Schauer, ihm war wie in einem bösen Traum, wo man rennen will, sprechen will, aber nichts geschieht. Stocksteif stand er da. Auch Arrhid war mitten in der Bewegung erstarrt und ebenso alle anderen, Freund und Feind. Der Zauberer lachte. „Nun, kleiner Kaiser, das ging einfacher als gedacht! Wozu aufwendige Schlachten schlagen, wenn der vorwitzige Narr einem vor den Zauberstab läuft!“ Und nun rief er: „Soldaten des Grafen! Euch gebe ich die Bewegung zurück! Schlachtet die wehrlosen Eindringlinge ab!“ Da begannen sich die Soldaten zu rühren, schüttelten ihre Starre ab, hoben ihre Schwerter ... In diesem Augenblick schrie der Zauberer auf, aus seinem Mund sprudelte Blut, er fiel vornüber mit einem Kurzschwert in seinem Rücken. „Danke, Yipschqô!“ rief Sorla, der sich wieder regen konnte. „Und wehrt euch, bei Huredho!“ Die Kriegshunde, ihrer Starrheit ledig, schwangen die Äxte; Schwerter klirrten, Schilde dröhnten dumpf, Verletzte schrien – der Kampf hatte begonnen. Sorla wehrte sich mit Schwert und Dolch gegen den rotgesichtigen Anführer, der schwertschwingend gegen ihn vorrückte, aber zwei Augenblicke später lag dieser zu Sorlas Füßen, sein Kopf holperte, von Arrhids Axt abgetrennt, über den Boden. Yipschqô schien sehr viel Spaß zu haben, denn hier und da schrien Soldaten auf, brachen stöhnend zusammen oder rannten weg, obwohl kein Grund sichtbar war. Auch die Kriegshunde bekamen, was sie erhofft hatten: Bewährung im Kampf Mann gegen Mann. Bald zeigte sich, dass Sorlas Seite überlegen war; nicht zahlenmäßig, aber durch die Kampfbegeisterung der Kriegshunde und die überraschenden Angriffe des unsichtbaren Yipschqô, die den Soldaten den letzten Mut raubten. Fast die Hälfte war gefallen, viele weitere wälzten sich stöhnend am Boden, wer noch stand, ergab sich. Die Kriegshunde hatten sämtlich überlebt, wenn auch zum Teil verletzt, was aber der allgemeinen Begeisterung über den Verlauf dieser Schlacht keinen Abbruch tat. „Und Yipschqô“, sagte
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Arrhid und schlug dem Troll, der wieder sichtbar dabei stand, auf die Schulter, „du hast im Kampf mehr als gut gemacht, was du zunächst verbockt hast.“ „Verbockt?“ grollte dieser. „Da begann der Spaß doch erst!“ Den überlebenden Soldaten wurde angeboten, sich den Truppen des Reichs anzuschließen. Alle waren einverstanden – bis auf zwei Vettern des enthaupteten Anführers, die grimmig blickend da standen. „Was machen wir mit den beiden?“ fragte Arrhid. „Totschlagen?“ „Wir werden sie als Gefangene mitführen müssen“, sagte Sorla. „Sonst verraten sie Hurak zuviel über uns.“ Arrhid zuckte die Achseln. Dann begannen Sorla und Yipschqô die Verletzten zu heilen, der eine mit dem Regenszepter, der andere mit Trollspeichel. Das dauerte fast zwei Stunden, war aber notwendig, damit sie nicht die Hälfte zurücklassen mussten. Die Gefallenen blieben liegen, wo sie waren; es waren einfach zu viele. Mitternacht war vorüber, als sie sich in Bewegung setzten. Sie marschierten auf der Straße, aber auch rechts und links davon in breiter Kolonne, denn zu den eintausendvierhundert Kriegshunden waren über sechshundert Soldaten neu dazugekommen – eine beeindruckende Streitmacht. Drei Stunden später, als der Morgen zu grauen begann, waren sie nahe genug, um die Wachfeuer auf den Zinnen der Hauptstadt zu sehen. Da trug der Wind Geschrei und Waffengeklirr vom Lager her. „Hurak hat das Lager angegriffen!“ rief Sorla. Sie marschierten schneller und sahen bald die Angreifer, die außerhalb des Lagers hin und her wogten, Pfeile schossen, angriffen, zurück wichen ... Aus der Mitte der Angreifer stiegen auf einmal rote Kugeln, drei, vier, fünf in den Nachthimmel gingen in hohem Bogen im Lager nieder, wo sie mit berstendem Geräusch einschlugen. Flammen loderten auf, entsetzte Schreie füllten die Luft. „Schneller!“ rief Sorla. Die Soldaten fielen in Trott, die Kriegshunde rannten schon voraus, schreiend und ihre langstieligen Äxte wirbelnd. Wieder stiegen die feurigen Kugeln auf, diesmal
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ihnen entgegen, wurden größer und schlugen krachend mitten unter ihnen ein. Zerrissene Körperteile wirbelten zur Seite, Verstümmelte schrien vor Schmerz. Aber nun hatten sie Huraks Leute erreicht und erdrückten sie mit ihrer dreifachen Überlegenheit. Diese konnten nicht ausweichen, denn hinter ihnen war das palisadenbewehrte Lager Sorlas, von dem aus die Pfeile heranflogen. So waren sie schnell aufgerieben; Hurak musste sich ergeben, seine Leute wurden entwaffnet und gefangen genommen. Nun stand er vor Sorla, ein kleiner, stämmiger Mann mit grauem Schnurrbart. „Wo ist mein Sohn Tusdik?“ „Gefangen. Er wollte mich töten.“ „Und seine Freunde?“ „Tot.“ Hurak biss sich auf den Schnurrbart. „Sie hatten sich als Kundschafter gemeldet.“ Sorla erzählte ihm den Hergang. „Sie wollten Helden sein; es sind junge Männer“, murmelte Hurak. Damit wechselte er das Thema – so als wäre ihm das weitere Schicksal seines Sohnes gleichgültig: „Das Glück war mit dir, junger Kaiser. Wir dachten, wir greifen dein Lager an, die Soldaten des Grafen stehen uns bei, Kornak macht einen Ausfall – dann hätten wir dich in der Zange gehabt. Stattdessen kommst du mit dieser gewaltigen Übermacht, wo hast du die bloß versteckt? Und wo sind die Truppen des Grafen geblieben?“ Arrhid lachte. „Wenn du siegen willst, dann kämpfe für den Kaiser, Hurak! Das habe ich begriffen.“ „Es geht um das Reich“, ermahnte ihn Sorla, „nicht um mich.“ Und zu Hurak sagt er: „Aber eure feurigen Geschosse waren auch nicht schlecht. Die könnten wir gut gebrauchen.“ Nun waren Sorla und Yipschqô wieder stundenlang beschäftigt, Verletzte zu heilen, auch die der Gefangenen. Unter den letzteren fiel ein dicker Mann in eindrucksvoller blauer Robe auf, der sich vordrängelte und bei jeder Bewegung schnaufte. „Wo bist du verwundet?“ fragte Sorla verärgert. „Nicht verwundet; meinen Zauberstab will ich wieder haben!“
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Dies war also der Magier, der feurige Kugeln wirken konnte. Sorla fragte: „Kannst du heilen?“ Der Zauberer schnaufte verächtlich. „Wozu heilen? Unsinn!“ „Dann brauchst du deinen Stab jetzt nicht.“ Und Sorla wandte sich wieder den Verwundeten zu. Der Dicke aber hielt ihn am Ärmel fest und rief: „Du weißt nicht, wen du vor dir hast!“ „Ach, und wen?“ „Ich bin Abchandru!“ Der Dicke warf sich in Pose. „Erster Kampfmagier und Zweiter Vorsitzender der Zaubernden Gilde von Kriteis!“ „Könntest du in den Dienst des Hernostischen Reiches treten?“ „Ich bin teuer!“ Er rollte die Augen und schnaufte. „Wie teuer ist dir dein Leben, das du verwirkt hast? Nur ich kann dich begnadigen; denke darüber nach!“ Der Dicke starrte Sorla mit offenem Mund hinterher. Später wurde Hurak wieder zu Sorla bestellt, der mit Psudi und Arrhid beisammen saß. Sorla bot ihm an, sich zu setzen. „Hurak, ich kann für die Verpflegung deiner Leuten nicht auch noch aufkommen, und du hast kaum Vorräte in deinem Lager.“ Hurak nickte. „Wir dachten, wir besiegen dich schnell. Auch bauten wir auf Kornak; dessen Speicher sind randvoll.“ „Ich will eine Regelung mit Kornak erreichen“, sagte Sorla. „Und du sollst mir dabei helfen.“ „Weshalb sollte ich dir helfen?“ Hurak schaute prüfend zu Sorla hoch. „Weil du nicht willst, dass deine Soldaten verhungern.“ Huraks Schnurrbart sträubte sich. „Ich fürchtete schon, du forderst meine Dankbarkeit ein, weil du Tusdik verschont hast.“ Sorla lächelte. „Ich weiß, dass in Dingen des Krieges und des Friedens ich dich als Anführer deiner Männer und nicht als Vater eines Sohnes ansprechen muss.“ Das schien Hurak zu beruhigen. Er versprach einen Boten zu Kornak in die Hauptstadt zu schicken, um ein Treffen zu vereinbaren. Kaum hatte er das Zelt verlassen, als Psudi aufgeregt
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herein stürzte: „Abchandru ist verschwunden!“ „Wie das?“ „Er muss sich irgendwie unsichtbar gemacht haben. So konnte er sich seinen Zauberstab beschaffen und fliehen. Anders kann ich mir’s nicht erklären.“ Sorla seufzte – unnötiger Ärger war das, der sich hoffentlich nicht schlimm auswirken würde. * In dieser Nacht lag Sorla lange wach. Viel war geschehen, viel hatte er erreicht. „Danke, oh Atne!“ flüsterte er und fügte einen Dank an Huredho hinzu, den Gott des Krieges, obwohl er wusste, dass dieser Atne in besonderem Maße unterworfen ist. Aber das Treffen am folgenden Morgen war genauso wichtig wie die vergangenen Kämpfe, vielleicht wichtiger, denn für die Zukunft musste vieles geregelt werden, was in der Vergangenheit falsch gemacht wurde. In diesem Augenblick fiel ihm etwas ein, das seit langem schon in ihm gearbeitet hatte, er überdachte es – und ja, so war es, das war die Lösung, Anod hatte ihm die Erleuchtung beschert! Beruhigt schlief er ein. Das Treffen fand vor der Zugbrücke statt, die mittlerweile wieder in Stand gesetzt war. Mit Kornak waren neun Anführer der verschiedenen Perlek-Sippen gekommen, unter ihnen auch Hurak. Sie hatten ihre Messer im Gürtel stecken und machten kein Geheimnis daraus. Zwar hatte Sorla ein Treffen ohne Waffen gefordert, doch „ein freier Perlek trennt sich von seinem Dolche nie“, wie Kornak vor dem Treffen ausrichten ließ. Also hatte Sorla auf Schlangenzahn nicht verzichtet, und außer Psudi, der nur seinen Stab dabei hatte, begleiteten ihn mit Arrhid acht weitere, kampferprobte Männer, sämtlich nur mit Dolchen ausgerüstet, selbst Arrhid hatte schweren Herzens seine langstielige Axt in einiger Entfernung abgelegt. Psudi hatte vorgeschlagen, gemeinsam zu essen; so würde
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man eher zu einvernehmlichem Miteinander finden. Doch Kornaks Bote hatte das abgelehnt; den geräucherten Fisch, über den sie Sorlas Truppen schon hatten klagen hören, könne er bei ihnen nicht loswerden. Auf den Gedanken, die Perleks könnten eigenes Essen beisteuern, kam er nicht. Nun saßen sie einander gegenüber. Sorla musterte seine Gegenüber. Kornak blickte stolz umher, als habe er den Sieg davongetragen. Hurak dagegen strich sich nachdenklich den Schnurrbart. Ein junger Heißsporn, der seine rotblonden Haare mit einem Stirnband eher geschmückt als gebändigt hatte, rückte unruhig auf seinem Hocker hin und her. Zwei weitere, recht massig gebaute Männer fielen durch ihre großen, fleischigen Ohren auf. Ein Mann mit Halbglatze und ansonsten dunklen Haaren kratzte sich Essensreste zwischen den Zähnen hervor, während er verächtlich zu Psudi herüber blickte. Die übrigen Männer saßen ruhig da und blickten auf Kornak, bis auf einen grauhaarigen Mann, der Sorla aufmerksam betrachtete. „Mein Onkel Vortelik“, flüsterte Psudi und rieb sich über die Hasenscharte. Sorla stand auf. „Nicht um zu schweigen sind wir hier, sondern um Lösungen zu finden. Doch gebe ich das Recht, als Erster zu reden, gerne an Kornak ab. Er ist hier zu Hause.“ Damit setzte er sich wieder. Kornak runzelte die Stirne. „Ich weiß, dass dies mein Zuhause ist“, entgegnete er, ohne wie Sorla aufzustehen. „Und als Erster zu sprechen, dieses Recht muss ich mir nicht von Leuten aus Hernoste geben lassen. Und was die Lösungen betrifft: Geht zurück, woher ihr kamt, dann sind wir alle froh. Keiner hat euch gerufen.“ Seine Leute nickten heftig und murmelten beifällig, nur Vortelik blieb unbeeindruckt. Sorla erhob sich wieder. „Ich bin hier aus dreifachem Grund. Zunächst vertrete ich meine Familie, die von den Sechs Familien, unter ihnen der Perlek-Clan, gemeuchelt wurde. Zweitens vertrete ich das Hernostische Reich und mahne die alten Bündnisse an, die der Perlek-Clan einseitig brach. Drittens ...“ „Das reicht!“ rief Kornak. „Wir brauchen uns das nicht anzuhören. Wir Perleks sind seit je ein freies Volk gewesen! Wir
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sind niemandem Rechenschaft schuldig als nur unseren Göttern und unseren Ahnen.“ Zur Überraschung der anderen Perlek-Leute erhob sich Vortelik. „Mein Bruder hat recht. Wir sind unseren Göttern und Ahnen verpflichtet. Als unsere Ahnen in dieses Tal kamen, verbündeten sie sich mit dem Reich, denn sie brauchten Schutz vor den Übergriffen plündernder Horden aus allen Himmelsrichtungen. Ich bin dafür, unsere Haltung zu überdenken.“ Kornak wandte sich ihm zornig zu. „Ich habe dich zu diesem Treffen gebeten wegen deines Ranges, Vortelik, nicht aber, damit du mir in den Rücken fällst!“ „Es geht um Tatsachen, Kornak, und ich möchte mit dem jungen Kaiser eine gütliche Lösung erreichen.“ Ein bedächtiger Perlek ein, der bisher nicht weiter aufgefallen war, erhob sich und sagte: „Die Überlieferungen, Vortelik, sagen aber, der Hass gegen die hernostischen Machthaber sei unermesslich gewesen.“ „Richtig, Soslak. Doch als Sinn-he Fala, den die Hernostier den Leuchtenden nennen, starb, kam sein Sohn Ugalur an die Macht. Es heißt, er sei ein guter Herrscher gewesen. Jedenfalls fassten unsere Ahnen Zutrauen und schlossen einen Vertrag mit ihm, denn sie brauchten den Schutz des Reiches.“ In diesem Augenblick überquerte ein Mann in weitem Umhang die Zugbrücke, kam näher und stellte sich neben Kornak. „Was tust du hier, Mughairom?“ fragte dieser unwillig. „Ich habe dich nicht zur Besprechung eingeladen.“ „Gut, dass ich es dennoch erfuhr!“ erwiderte der Ankömmling in dem besonderen Tonfall, woran man die Einwohner Agras erkannte. „Ich muss wissen, was vorgeht! Keinesfalls dürft ihr euch von diesem jungen Glücksritter an der Nase herumführen lassen!“ Die anderen Perleks murrten, und Kornak drückte aus, was sie fühlten: „Wir brauchen keinen Rat von Fremden, nicht einmal wenn er der Bote des Grafen von Agra ist.“ „Dort sitzt unser Feind!“ Mughairom zeigte auf Sorla. „Er ist euch ausgeliefert. Nützt die Gelegenheit, dann wird der Graf euch
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belohnen!“ „Schweig still!“ herrschte ihn Kornak an. „Dies ist eine Besprechung, kein Hinterhalt!“ Er funkelte Mughairom so lange an, bis dieser sich setzte. Und da ihm keiner seinen Hocker anbot, musste er auf dem Boden Platz nehmen. Psudi stand auf. „Es stimmt, wir Perlek-Leute lieben das Reich nicht sehr, auch wenn wir es eine Zeit lang brauchten. Es stimmt auch, dass wir den Grafen nicht aus Liebe unterstützen, sondern weil er versprach, unsere Unabhängigkeit zu gewährleisten. Doch wohin hat uns das geführt? Ich bitte euch anzuhören, was Sorle-a-glach zu sagen hat.“ Mughairom sprang auf. „Dies ist ein Abtrünniger, ein Hund des Kaisers – hört nicht auf ihn!“ Kornak wandte sich wütend zu ihm: „Schweig, Mughairom! Wenn Psudi Tadel verdient, dann sagen wir ihm das selbst. Kein Ausländer soll einen Perlek beleidigen!“ Der Zurechtgewiesene trat hinter Kornak zurück, blieb aber stehen. Sein Gesicht verriet keine Regung, unter seinem Umhang kreuzte er die Arme. Sorla stand auf. Oh Atne, dachte er, nun gilt es! „Das Dritte, weshalb ich hier bin, hat mit euren Ahnen zu tun und mit eurer Zukunft zugleich. Ich verspreche dir, Kornak, es wird dich interessieren, also unterbrich mich nicht wieder.“ Er wandte sich an Soslak, den bedächtigen Perlek: „Eure Überlieferungen sind mir nicht bekannt; aber was du erwähntest, hat mit der Geschichte meiner Familie zu tun. Weit im Nordwesten von hier, im fernen Batiflim, gab es ein blühendes Tal, ähnlich diesem hier, wahrscheinlich aber noch schöner und fruchtbarer. Dort herrschten Friede und Wohlstand, und die Menschen lebten einträchtig zusammen mit dem Volk der Zentauren – beeindruckende, kluge Wesen, deren menschliche Oberkörper von Pferdeleibern getragen wurden.“ Ein Raunen ging durch die Reihe der Perleks. „Zentauren!“ flüsterte Vortelik. „Was weißt du über sie?“ „Das sind Märchen“, wehrte Kornak ab. „Unsere Herkunft ist im Nebel der Vergangenheit verborgen, da haben sich die Alten etwas ausgedacht.“ Aber es klang nicht sehr überzeugend.
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Sorla lächelte; er wusste nun, dass Anod ihm den richtigen Weg gewiesen hatte. „Es gibt sie noch immer, diese Zentauren“, sagte er. „Ich habe sie gesehen.“ „Das kann nicht sein!“ warf Soslak ein, aufgeregt gegen seine bisherige bedächtige Art. „Die geheimen Überlieferungen sagen, das Tal Hemherbate sei verschwunden, weil ...“ Er unterbrach sich und blickte auf Sorla. Dieser nickte. „Das stimmt. Aber ich will mit dem Anfang beginnen – dem Anfang meiner Familie und eures Schicksals. Auch mein Vorfahr Sinn-he Fala der Leuchtende stammte aus jenem Tal, das es heute nicht mehr gibt.“ „Dann wären wir ja verwandt“, murrte Kornak. „Das kann ich nicht glauben.“ „Hör zu, Kornak. Jener Vorfahr war ein großer Zauberer, vielleicht unterrichteten ihn die Zentauren, aber das vermute ich nur. Vom Ehrgeiz getrieben, verließ er die Heimat, jenes abgeschiedene Tal im Herzen von Batiflim, und ging an den Königshof in der Stadt Hernoste. Dort sah er Zusnild, die Königstochter, in ihrer Schönheit. „Die Schlangenhexe!“ flüsterte Vortelik. „Die Schlangenfee, ja. Viele kamen und wollten sie freien, doch Zusnild ließ verkünden, sie würden nur denjenigen zum Mann erwählen, der die Wasser Batiflims nach Hernoste brächte.“ „Der Bato fließt doch durch Hernoste hindurch“, wunderte sich Soslak. „Damals nicht. Hernoste lag in einer trockenen Gegend. Es gab einen kleinen Fluss, der nur im Winter Wasser führte. Im Sommer war Hernoste auf seine Brunnen angewiesen. Ob Zusnild ihre Forderung aus Liebe zur Heimat stellte oder um sich die Freier vom Hals zu halten, ist aber ungewiss. Natürlich konnte niemand ihre Bedingung erfüllen – bis Sinn-he Fala kam. Er war von ihrer Schönheit so betört, dass er beschloss, alles zu wagen, auch wenn er dabei seine Heimat zerstörte.“ Jetzt hatte er die Aufmerksamkeit der Perlek-Leute. Sie lauschten mit offenen Mündern. Nur Mughairom aus Agra stand mit unbewegter Miene dabei, unter seinem Vorhang bewegten sich langsam die Arme, als bereite er etwas vor.
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Sorla sprach weiter, während er Mughairom insgeheim im Auge behielt: „Mein Vorfahr schloss Verträge mit den Zwergen aus den Weißen Bergen östlich von Batiflim und den Gnomen des Hurkoll weit im Südosten. Mit ihrer Hilfe und ihrem Wissen um die Kraft und das Wesen der Berge schuf er drei Hebel der Macht und hob das Tal eurer Vorfahren an, höher als die es umgebenden Berge. Bisher war von den Bergen das Wasser in das Tal geflossen, hatte sich dort in einem See gesammelt und gelangte dann nach Norden in die Dusa. Nun floss es nach Süden in den Fluss Bato, so dass dieser zu einem mächtigen Fluss wurde, der nicht mehr bei Hernoste versickerte, sondern diese Stadt das ganze Jahr hindurch mit Wasser versorgte und als Schiffsstraße mit dem Meer verband. Das ehemalige Tal aber verkam zu einer dürren Hochebene, auf der Geister hausen. Natürlich ging es nicht in Tagen vonstatten, sondern in Monaten; und eure Vorfahren hatten Zeit genug zu fliehen.“ Die Zuhörer seufzten tief. „Dies bestätigt unsere Überlieferungen“, flüsterte Soslak. Vortelik meinte erschüttert: „Es ergänzt die Lücken; endlich wird mir vieles klar!“ Kornak sagte heiser: „Mein Bruder, du hast recht. Mit Tatsachen kann man besser umgehen als mit nebelhaften Vermutungen.“ Und der jugendliche Heißsporn rief: „Zu denken, dass wir mit der Kaiserdynastie verwandt sind ...!“ Sorla nickte ihnen zu. „Ich erzählte diese Geschichte, weil ich ...“ „Du hast genug geschwatzt, du Lümmel!“ rief Mughairom plötzlich mit rotem Gesicht. „Man muss dir das Maul stopfen!“ Damit schlug er seinen Umgang beiseite und stand mit gespanntem Kurzbogen da. Der Pfeil schwirrte los, doch Sorla hatte sich zur Seite geworfen und im Sprung Schlangenzahn geworfen. Der Pfeil verfehlte Sorla knapp, doch Mughairom brach, vom Wurfmesser tödlich getroffen, in die Knie. Alle waren aufgesprungen, ihre Dolche in der Hand, Sorlas Leute auf der einen Seite, Kornaks Leute auf der anderen. Sorla ging zwischen ihnen hindurch zu Mughairom hinüber, der noch röchelte, zog sein Messer mit einem Ruck aus dessen Leib und wischte es an Mughairoms dunklem Umhang sauber. Keiner von Kornaks Leuten
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hinderte ihn, zu seinem Hocker zurückzukehren. „Bei Anod!“ flüsterte Psudi. „Das war knapp!“ „Atne sei Dank!“ erwiderte Sorla, den jetzt erst die Anspannung verließ. „Bei Urgapsch!“ murmelte Kornak. „Ûr-gqâschps“, verbesserte Sorla, ohne nachzudenken, während er Schlangenzahn wegsteckte. „Wie sagtest du?“ fragte Vortelik und versuchte es nachzusprechen. Das war schwierig, denn es galt, gleichzeitig mit dem Kehlkopf Geräusche zu machen, als müsse man brechen. „Ûr-gqâschps“, wiederholte Sorla. „Eine Gottheit, die in Batiflim verehrt wird.“ „Ja, das ist er. Wie du das aussprichst! Ur, Ur ... Ûrg!“ Beinahe hätte Vortelik wirklich gebrochen. Die anderen lachten, dabei lag neben ihnen die Leiche Mughairoms, und begannen ebenfalls den Namen zu üben. Nur der Mann mit der Halbglatze schwieg verärgert. Schließlich fragte Kornak: „Bist du selbst in Batiflim gewesen?“ „Er ist sogar Datasik bei einer Sippe dort!“ verkündete Psudi stolz. „Ach, ein Blutsbruder sogar?“ Der Mann mit der Halbglatze lachte verächtlich. Mit listigem Gesicht wandte er sich an Sorla und redete ihn in der Sprache der Perleks an: „Ich glaube, dass du nie in Batiflim warst, diese Sprache nicht verstehst und ein großer Lügner bist.“ Die anderen Perleks hielten den Atem an. Sorla aber stand auf und sprach Kornak in derselben Sprache an: „Ihr Leute aus dem Perlek-Clan brachtet eure Sprache aus Batiflim mit. Heute spricht dort niemand so, vielmehr ist seit jeher die Sprache der Riesen gebräuchlich. Man würde euch gar nicht verstehen. Ich dagegen kenne beide Sprachen, die der Riesen und die eure, die aus alten Zeiten stammt und nur in den fernen Sidhlanden heute noch gebräuchlich ist. Dieser Mann, der mir seinen Namen nicht genannt hat, weiß von all dem nichts, ist aber so eingebildet , dass er mich der Lüge bezichtigt. So wird der Frieden unseres Treffens zum zweitenmal gestört. Ich fordere Genugtuung.“
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Der Mann mit der Halbglatze war bleich geworden, sein Blick wanderte zwischen Sorla und dem toten Mughairom hin und her. „Ich wusste ja nicht ...“, stotterte er. „Was soll ich ..“ Dann aber bemerkte er, dass die anderen Perleks ihn erwartungsvoll anschauten, seine Haltung straffte sich und er sagte trotzig: „Dass du mich verstanden hast, ist mir nur recht.“ „Sprich in der üblichen Sprache!“ sagte Sorla. „Alle sollen dich verstehen, auch meine Freunde hier.“ Er wies auf Arrhid und die anderen Kriegshunde, die dem Vorgefallenen verständnislos gefolgt waren. „Und nenne deinen Namen, wie es sich gehört.“ „Ich bin Nustek, Priester Urgapschs. Wenn hier einer über Urgapsch Bescheid weiß, dann ich. Und so wie du den Namen aussprichst, ist es nicht richtig.“ „Bei Anod!“ seufzte Psudi und fuhr sich über die Hasenscharte; er schien zu ahnen, was kommen musste. Er ahnte richtig, denn Sorla sagte: „Dann weißt du sicher auch, dass dein Gott in Batiflim weniger von den Menschen als von den Trollen verehrt wird, Nustek. Und ich habe seinen Namen so ausgesprochen, wie es bei Trollen üblich ist.“ „Du beleidigst unseren Gott!“ schrie Nustek. „Ein hergelaufener Lügner bist du!“ Die Männer um Arrhid atmeten scharf ein. Hinter Sorla flüsterte unsichtbar eine Stimme: „Darf ich ihn verprügeln? Das macht Spaß!“ Aber Sorla flüsterte zurück: „Nein, Yipschqô, das geht mich an.“ Zu Kornak sagte er: „Es wird Zeit, dass ich mir Genugtuung hole.“ „Kein Messer!“ sagte Kornak mit einem Seitenblick auf Mughairoms Leiche. „Keine Waffen!“ „Ist mir recht.“ Nustek lachte erleichtert und begann hin und her zu tänzeln, er richtete sich auf einen Faustkampf ein. Arrhid brüllte: „Ich wette zehn Goldstücke, dass unser Kaiser gewinnt! Wer setzt dagegen?“ Zunächst herrschte verblüfftes Schweigen, doch dann lachte Kornak: „Nustek ist unser zweitbester Faustkämpfer! Ich setze
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fünfzig dagegen!“ Sorla und Nustek legten ihre Dolche beiseite und entblößten den Oberkörper – Nustek war massig gebaut und hatte pralle Muskeln. Sein Oberkörper und seine Arme waren dicht behaart, es war schon fast ein Fell. Auch Sorla war so breitschultrig und muskulös, dass selbst die Perleks anerkennend pfiffen. Nun stellten sich die beiden auf, und kaum hatte Kornak das Zeichen gegeben, griff Nustek an. Ein Schlag rechts, einer links – beide daneben, denn Sorla hatte sich fallen lassen, sein Fuß traf von unten Nustek zwischen die Beine. Dieser brüllte auf, fasste sich an die Hoden, zugleich war Sorla aufgesprungen und schlug ihm die Handkante unter die Nase – Nustek brach bewusstlos zu Boden. „Na also!“, murmelte Arrhid und rieb sich die Hände. Kornak murrte: „Das war kein Faustkampf!“ „Nein“, sagte Sorla. „Zahle bitte meinem Gefolgsmann die fünfzig Goldstücke.“ Aber Kornak war noch nicht zufrieden. „Ich verdopple die Wette, wenn du auch gegen mich antrittst.“ „Nein, Kornak. Du hast mich nicht beleidigt, weshalb sollte ich dir schaden wollen?“ „Ich bin der beste Faustkämpfer hier und in Kratos, und mich würdest du nicht übertölpeln, denn ich weiß jetzt, wie du kämpfst. Aber lass‘ uns um die Wette mit dem Bogen schießen, das ist eine ehrliche Sache unter Männern.“ „Gut!“ sagte Sorla. „Wenn es Kurzbögen sind, denn einen anderen habe ich nicht.“ Und Arrhid rief: „Ich nehme die Wette an! Alles oder nichts!“ Psudi mischte sich ein: „Sollten wir uns nicht um Nustek kümmern?“ „Der hat’s verdient, der Narr“, sagte Kornak. „Er wird schon wieder zu sich kommen.“ Das tat Nustek dann auch bald und setzte sich wortlos und mit blutender Nase auf seinen Hocker. Während der blonde Heißsporn über die Zugbrücke in die Stadt eilte, um Kornaks Bogen und Pfeile zu holen, und Psudi im Lager den Bogen Sorlas besorgte, schafften andere die Leiche Mughairoms fort. „Er wird ein angemessenes Begräbnis erhalten“,
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sagte Kornak, „aber niemand weint ihm nach.“ „Er war verzweifelt“, erklärte Vortelik. „Er war dem Grafen gegenüber verantwortlich, dass hier alles in dessen Sinne läuft. Sein ganzes Hab und Gut wäre an den Grafen gefallen, wenn er dessen Unwillen erregt hätte.“ „Gut, dann richten wir dem Grafen aus, Mughairom sei in einem ehrenvollen Kampf gefallen. Das ist nur halb gelogen. Dann behält seine Familie ihr Erbe.“ „Ich bin beruhigt“, sagte Sorla zu Kornak, „dass du Mughairoms Tod nicht zum Anlass nahmst, das Treffen abzubrechen.“ „Ich hatte es erwogen“, sagte Kornak. „Aber er war selbst schuld, das sah jeder.“ Jetzt wurden die Bögen gebracht. Vortelik ritzte in die Rinde einer Birke einen kleinen Kreis, dann stellten Kornak und Sorla sich in fünfzig Schritt Abstand davon auf. „Jeder hat drei Schuss“, sagte Vortelik. „Ihr schießt abwechselnd.“ „Du zuerst!“ sagte Kornak. „Du bist der Gast hier!“ „Dann darf ich wählen. Ich möchte dir den Vorrang lassen. Denn wenn du nach mir schießt und mich übertriffst, dann wäre ich beschämt.“ Kornak nickte. Er spannte die Sehne, ließ fahren, der Pfeil traf. Nun trat Sorla an seine Stelle, schoss, auch sein Pfeil traf. Alle rannten zur Birke hinüber und sahen, dass beide Pfeile innerhalb, wenn auch nicht in der Mitte des kleinen Kreises staken. „Sehr gut für den Anfang, junger Kaiser!“ sagte Kornak unwillig. „Nun werde ich sorgfältiger zielen.“ Das tat er, alle schwiegen, dann schwirrte der Pfeil los. „Getroffen!“ jubelte Kornak. „Genau in der Mitte, besser geht’s nicht!“ Nun zielte Sorla, er atmete ruhig, ließ Ziel und Blick eins werden – der Pfeil zischte hinüber in die Birke und bohrte sich neben Kornaks Pfeil in die Rinde. Wieder rannten alle hin und begutachteten das Ergebnis, doch konnte man keinen Unterschied feststellen – die Pfeilspitzen saßen in der Mitte beisammen, ohne
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dass Luft zwischen ihnen gewesen wäre. „Du schießt gut, Sorle-a-glach“, sagte Kornak. „Das liegt an meinem Bogen. Du bist auch nicht schlecht, Kornak.“ Sie lächelten einander an. „Ein drittes Mal noch!“ sagte Kornak. „Nun wollen wir es wissen!“ „Lass‘ uns zugleich schießen!“ schlug Sorla vor, und Kornak hielt es für einen guten Vorschlag. Also stellte sich Vortelik hinter ihnen auf und zählte langsam auf zwanzig. Quer über die Wiese flatterte eine Elster in unruhigem Flug. Oh Atne, dachte Sorla, lass‘ den blöden Vogel nicht in die Schusslinie geraten! „Zwanzig!“ Beide Sehnen schnellten mit hohem Klang, die Pfeile zischten hinüber, trafen den Vogel, dass die weißschwarzen Federn wirbelten, die Elster flatterte noch wenige Schritte und fiel tot in den Schoß Nusteks. Die Zuschauer lachten. „Unentschieden“, murmelte Kornak enttäuscht und reichte Sorla die Hand. Sorla lächelte, war aber insgeheim beunruhigt. War dies ein Zeichen Atnes? Und was bedeutete es? Kornak versprach Arrhid, die hundert Goldstücke zu zahlen, „denn besser als dein Kaiser bin auch ich nicht, und ich bin sonst der Beste.“ Dann wurden die Bögen zur allgemeinen Besichtigung herumgereicht. Kornaks Kurzbogen war reich verziert, doch auch Sorlas Waffe erregte Bewunderung, so formschön und doch einfach war sie gebaut. Sorla erzählte, wie der Sippenchef Memlik ihm den Bogen schenkte, als Sorla zum Datasik gemacht wurde – zum Dank dafür, dass er Memlik half, seine Tochter gegen Trolle zu verteidigen. „Wollten sie das Mädchen fressen?“ fragte Vortelik. „Nein, schwängern.“ Arrhid lachte, Nustek aber empörte sich: „Wie können Trolle es wagen!“ Sorla erklärte, dass es in Batiflim viele Trollmischlinge gebe. „Ein Mann mit großen, fleischigen Ohren beispielsweise hat wahrscheinlich einen Troll unter seinen Vorfahren. Oder wenn sogar ein Mädchen Haare auf der Brust hat ...“ Er brach ab, als er die
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Gesichter der Perlek-Leute sah. „Soll das heißen“, zischte Nustek, „die beiden dort“ – er wies auf die beiden Perlek-Leute mit den fleischigen Ohren – „sind Trollbälger? Oder unsere Frauen mit ihren schönen, zart behaarten Brüsten, die sie vor allen Frauen der Welt auszeichnen, sind Trolle?“ „Ich wusste nicht, dass eure Frauen diese Vorzüge haben“, verwahrte sich Sorla mit ernstem Gesicht; er hörte aber seine Kriegshunde kichern. „Es ist jedenfalls ein Unterschied zu Frauen anderer Völker – außer manchen Sippen in abgeschiedenen Tälern in Batiflim.“ „Bei Urgapsch, unsere Ahnen haben es nicht mit Trollen getrieben. Außerdem sind Trolle Ausgeburten der Phantasie, noch nie hat jemand einen gesehen!“ Da erklang ein fettes Lachen, und Yipschqô wurde neben Sorla sichtbar. Arrhid und die Kriegshunde begrüßten ihn mit freundlichem Hallo, die Perlek-Leute aber saßen versteinert und begafften das Ungeheuer, das mit seinem aufgeworfenen Schweinsrüssel und den großen, spitz zulaufenden Ohren, dem borstigen Fell, dem wippenden Schwänzchen einem Schwein ähnelte, zugleich aber die hünenhafte Gestalt und die Pranken eines riesigen Mannes hatte. „Mein Freund Yipschqô“, stellte Sorla den Troll vor, „ein großer Verehrer von Ûr-gqâschps.“ „Und Omschjull!“ grinste Yipschqô. „Denn Schweine schwängere ich fast lieber als Menschenfrauen.“ Er kratzte sich im Schritt, wobei er sein Geschlechtsteil, das schwer zwischen den Knien baumelte, beiseite schieben musste. Dann hockte er sich neben Arrhid auf den Boden. Als das überraschte Gemurmel unter den Perleks nachließ, stand Vortelik auf. „Ich bitte alle, hüben und drüben, sich zu erinnern, dass wir uns getroffen haben, um wichtige Dinge zu besprechen. Doch das Treffen nahm einen merkwürdigen Verlauf. Der junge Kaiser hatte begonnen, aus seiner Sicht die Geschichte unserer Ahnen darzustellen. Leider wurde er unterbrochen; seither haben wir uns mit persönlichen Auseinandersetzungen, ja sogar Preiskämpfen beschäftigt. Nun sehen wir einen leibhaftigen Troll vor
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uns. Das bringt uns zu den Ausführungen des jungen Kaisers zurück. Wohl noch nie hat ein Perlek einen Troll gesehen, seit wir in diesem Tale leben. Also haben wir uns angewöhnt zu glauben, es gäbe gar keine Trolle, obwohl die Überlieferungen ...“ Nusteks Kopf fuhr hoch, um etwas dazwischen zu rufen. Doch Vortelik ließ sich nicht unterbrechen: „... obwohl unsere Überlieferungen von Trollen in Batiflim berichten, ja sogar von eigenartigen verwandtschaftlichen Beziehungen. Dies behagte uns nicht, und wir machten aus den Überlieferungen ein großes Geheimnis, nicht wahr, Nustek? Niemand sollte Genaueres wissen. Wir selbst, die wir doch eingeweiht waren, taten alles, was Trolle betraf, als Erfindung ab. Aber es stimmt: Manche von uns haben auffällig fleischige Ohren, viele unserer Frauen haben einen dichten Flaum sogar an den Brüsten, und selbst Nustek, unser Priester hier, ist, wie wir sahen, am Körper so stark behaart, wie es bei Menschen außerhalb dieses Tals nicht üblich ist. Gleichzeitig gibt es im weiten Umkreis nicht solch starke Männer, die sich als Faustkämpfer auszeichnen, wie hier. Lasst uns den Tatsachen ins Auge sehen! Nicht Sorle-a-glach hier dürfen wir zürnen, wenn er von Trollen spricht, sondern wir müssen uns zu unserer Herkunft bekennen. Wir sind Perleks und können stolz auf das Erbe unserer Ahnen sein, einschließlich der paar Trolle, die uns zu unseren Besonderheiten verhalfen.“ Er setzte sich, alle waren still. Schließlich erhob sich Kornak und sprach: „Ich freue mich über die klaren Worte meines Bruders und schließe mich seiner Meinung an. Das war nicht immer so, doch nun wurden wir gezwungen, uns unseres besonderen Wesens bewusst zu werden. Zugleich kommt das Reich in Person des jungen Kaisers zu uns und macht, ich gebe es zu, einen guten Eindruck. Wir müssen alles neu bedenken.“ Sorla erhob sich. „Ich möchte euch weiter über die Hebel der Macht berichten, denn das Wichtigste ist noch nicht gesagt.“ Alle sahen ihn erwartungsvoll an, Nustek legte die tote Elster beiseite. „Vor knapp drei Jahren durchquerte ich mit meinem Vater die Hochebene von Batiflim, wo einst euer Tal war. Es war
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staubtrocken und heiß, wir wären fast verdurstet. Doch mit Atnes Hilfe erreichten wir die Stadt der Geister, wo tief unter den Gebäuden das Herz Batiflims verborgen ruht. Dort unten schlafen die Zentauren und träumen von dem blühenden Tal, das sie einst mit euren Ahnen bevölkerten. Ich habe sie gesehen, Hunderte, Tausende, die dort in ihren Träumen gefangen liegen, stellt es euch vor!“ Sie erschauerten – alle, auch Sorlas Leute. „Einer von ihnen wacht über die Schlafenden“, fuhr Sorla fort. „Sie wechseln sich ab, seit Jahrhunderten. Mit diesem einen habe ich geredet – in eurer Sprache.“ Kornak räusperte sich. „Es scheint, als hofften sie, dass irgendwann ihr Los sich bessert, oder?“ „Nein, sie sind verzweifelt und ohne Hoffnung. Wer wachen muss, beneidet die Träumenden. Als ich dieses Elend sah, schwor ich mir, ihre Lage zu bessern, sollte ich je die Möglichkeit dazu haben.“ „Was kann man tun?“ fragte Vortelik erschüttert. „Sollen wir sie in unser Tal hier umsiedeln?“ „Weshalb sind sie nicht schon damals mit euch gezogen?“ mischte sich Arrhid ein. „Es scheint, dass sie ihr Tal nicht verlassen wollten.“ Alle redeten nun aufgeregt durcheinander, jeder hatte eine Meinung dazu. Sorla hob die Hand. Als alle wieder zuhörten, erklärte er, dass er und seine Freunde einen Weg gefunden hatten, die Hebel der Macht erneut zu bedienen, um das Tal der Zentauren wieder zu senken. Er erklärte, was die Folgen für die anderen Länder wären und welchen Plan sie schließlich – dem Rat des Goldenen Drachen gemäß – gefasst hatten, um behutsam den alten Zustand wieder herzustellen, ohne erneut großes Leid zu verursachen. „Euch habe ich dies erzählt, damit ihr wisst: Das Unrecht, das mein Vorfahr auch eurem Volk antat, wird wieder gutgemacht. Begrabt euren Hass auf das Reich. In wenigen Wochen schon könnt ihr, wenn ihr wollt, in eure alte Heimat Hemherbate zurückkehren.“ Diesmal schwiegen alle lange Zeit und versuchten, das Gesagte zu verstehen und in seinen ungeheuren Ausmaßen zu fassen. Als erster meldete sich Vortelik zu Wort: „Hier werden
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Länder bewegt, Berge gehoben und gesenkt – seit Sinn-he Fala gab es das nicht. Wir leben in erstaunlichen Zeiten!“ Es wurde aber nicht deutlich, ob Vortelik über diese Veränderungen glücklich oder beunruhigt war. Kornak sagte nachdenklich: „Wenn du diese Wunder schaffst, junger Kaiser, dann hast du den Zentauren geholfen und den Gnomen im fernen Hurkoll, von denen du berichtetest. Wir Perleks aber haben uns hier eingerichtet. Auch hier gibt es ein schönes Tal, und viele leben jenseits der Berge in Kriteis und machen gute Geschäfte – ich frage mich, ob mein Volk mit mir nach Hemherbate zurückkehren und wie früher leben will!“ „Ich ja!“ Der rotblonde Heißsporn war aufgesprungen. „Ich bin dabei, Kornak! Wer hier bleiben will, soll es tun! Aber wir Jungen kommen mit dir!“ Dann rannte er über die Zugbrücke in die Stadt, um die Neuigkeiten zu verkünden. „Ich bin zwar nicht jung“, sagte Soslak bedächtig, „aber ich würde mitkommen. Ich möchte die Zentauren sehen und mit ihnen über unsere Überlieferungen reden. Auch braucht man dort Leute mit Erfahrung und Weitsicht, denn vieles ist zu tun, um das Tal wieder bewohnbar zu machen.“ Immer mehr meldeten sich, auch ein paar Kriegshunde fragten, ob sie gegebenenfalls mitkommen dürften – sie würden sich gerne als neue Perleks anschließen. Da stand Nustek auf. „Hört auf zu schwatzen!“ rief er. „Lasst euch nicht blenden!“ Alle schauten ihn verblüfft und verärgert an. Aber er ließ sich nicht beirren: „Ihr seid leichtgläubig wie Kinder! Lasst euch schöne Märchen auftischen und vergesst alles, was bisher galt: das schwere Schicksal unserer Ahnen, die ihre Heimat verloren; der lange Marsch durch feindliche Gebiete; der Hass auf das Hernostische Reich! Glaubt ihm nicht, er kann es nicht beweisen!“ Ernüchtert blickten die anderen einander an. „Was sagst du, Sorle-a-glach?“ fragte Kornak. „Gibt es eine Stelle, von der aus man das Meer sehen kann?“ fragte Sorla. „Ach, wegen der kaburischen Inseln, die du anheben
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willst?“ mischte sich Vortelik ein. „Vom Pass aus kann man das Meer sehen, aber nicht die Inseln, die sind zu klein. Ja, wenn wir auf der Spitze von Urgapschs Thron ständen, dann könnten wir sie sehen. Aber es ist eisig kalt, niemand hält es dort oben aus.“ „Dann reiten wir zum Pass!“ antwortete Sorla und dachte: Oh Atne, gib, dass dies die richtige Entscheidung ist! „Holt eure Pferde!“ rief Kornak. Kurz darauf jagte eine Gruppe von mindestens fünfzig Reitern – Perleks, Kriegshunde, Soldaten – die Straße zum Pass nach Kratos entlang. Es dauerte Stunden, irgendwann fiel die Gruppe in Trab, um die Pferde zu schonen, doch die Spannung ließ nicht nach. Dann erreichten sie die Berge, nun gingen die Pferde im Schritt aufwärts und erreichten nachmittags den Pass. Der Himmel war wolkenlos klar, vor ihnen lag die Provinz Kratos mit ihren winzigen Dörfern und der fernen Hafenstadt Kriteis, dahinter glitzerte in der nachmittäglichen Sonne das Meer, und am Horizont, vom Dunst halb verschleiert, ragten neu und erschreckend hoch die kaburischen Inseln. * Nun gab es zwei Perlek-Völker. Die Perleks vom Südtal blieben, wo sie waren, unter der Führung Vorteliks, der so seinen früheren, angestammten Rang wieder einnahm. Bei ihnen blieb auch Hurak und seine Sippe, und das war Sorla recht, denn diese Provinz musste auch weiterhin von kampferprobten Männern verteidigt werden, damit die Völker umliegender Gegenden sich nicht zu Beutezügen hinreißen ließen. Die Hemherbate-Peleks dagegen, vorwiegend Jugendliche und kinderlose Erwachsene, bereiteten ihren Umzug zum fernen Heimattal in Batiflim vor. Ihr Anführer war Kornak, und zu aller Überraschung schloss sich Nustek ihnen an. „Es ist besser, am Unglaublichen zu zweifeln“, verteidigte er sein voriges Verhalten. „Doch nun bin ich überzeugt und will das Unglaubliche auch
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sehen!“ Auch Yipschqô wollte sie begleiten. „Ihr versteht ja kein Wort in Batiflim“, grinste er. „Da braucht ihr mich dummen Troll!“ Aber erst als er versprach, sich nicht unerlaubt an ihren Frauen zu vergreifen, durfte er mit. Beide Völker bekräftigten durch ihre Anführer Vortelik und Kornak die alten Verträge mit dem hernostischen Reiche neu. Vortelik schüttelte Sorla die Hand, Kornak schlug ihm auf die Schulter, Yipschqô umarmte ihn so herzlich, dass er husten musste.
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Viertes Kapitel:
TUL-UGLURS QUELLE Sorla saß auf der Hafenmauer von Kriteis. Um ihn standen Dutzende von Leibwachen, welche ihre Blicke über die Dächer und Fenster der umliegenden Gebäude wandern ließen – es mochten ja dort feindliche Scharfschützen lauern. In den letzten beiden Wochen hatten seine Truppen die Provinz Kratos einschließlich ihrer riesigen Hauptstadt zurück erobert. Die Besatzungstruppen des Grafen waren vorgewarnt und hatten Sorlas Leuten verlustreiche Gefechte geliefert, doch nun war alles vorüber, die Feinde waren tot, gefangen, übergelaufen oder geflohen. Der Rat der Stadt beeilte sich, dem Kaiser einen ehrenvollen Empfang zu bereiten und ihn der immerwährenden Treue und Dankbarkeit der Stadt zu versichern. Sorla hatte die Huldigungen und den Schlüssel der Stadt mit unbewegtem Gesicht entgegen genommen. Nun saß er hier und atmete die Seeluft, denn ihm war ein wenig schlecht geworden. Später traf er sich im Stadtpalast mit seinen Vertrauten – Arrhid natürlich, dann der ehemalige Hauptmann Orlan von Sorlas erstem Begleittrupp und jetzige General einer beeindruckenden Streitmacht, und schließlich Hurak. Psudi gehörte zwar auch zu diesem Kreis, war aber unterwegs, um für sich und sein Priesteramt einiges zu regeln. „Wie geht es weiter, Herr?“ fragte General Orlan. „Wir werden die kaiserlichen Kasernen in Kratos neu bemannen und nach Möglichkeit verstärken, General.“ „Jawohl, Herr!“ „Numter soll das in die Wege leiten.“ Das war jener Soldat, der Sorla im Tal des Asami die versprengten kaiserlichen Soldaten aus Kratos zugeführt hatte. „Jawohl, Herr!“ „Dann müssen wir uns um den Hauptgegner kümmern“, zählte Sorla weiter auf. „Wir haben ihm zwar seine Verbündeten genommen und seine Truppen dezimiert, aber er ist noch immer die
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Hauptgefahr.“ „Fragt sich bloß, wo seine restlichen Truppen sind“, murrte Arrhid. „Wir wissen ja nicht mal, wo er selbst ist. Hurak, du hattest doch Verbindung zu ihm, weißt du etwas?“ Hurak wollte eben antworten, da meldete ein Soldat, der Priester des hiesigen Anod-Tempels wolle den Kaiser sprechen. Herein tappte mit unsicherem Gang, gestützt auf seinen Stab, ein ärmlich gekleideter Greis. Als Sorla seine abgerissene Kleidung sah, fiel ihm der erbärmliche Zustand ein, in welchem auch in Ekritmea der Anod-Tempel bis vor kurzem war. Natürlich; hier war die Lage nicht anders: Lange war unter dem Einfluss der Sechs Familien die Staatsreligion im ganzen Hernostischen Reiche vernachlässigt und gedemütigt worden. Das sollte sich jetzt ändern! „Tritt näher, ehrwürdiger Vater, und setze dich!“ Der Alte tastete nach dem angebotenen Stuhl und hockte sich ächzend hin. Erst jetzt sah Sorla, dass er einen kleinen Käfig trug, in welchem ein kleiner Kauz hockte. Der Vogel blinzelte missmutig aus halboffenen Augen umher und schloss sie dann, um wieder zu schlafen. „Sieh da, der junge Kaiser“, krächzte der Alte. „Du heißt Sorle-a-glach, nicht wahr? Hab‘ viel von dir gehört, mein Junge. Ich bin Chaddam Muhab, ein ungewöhnlicher Name für Kriteis, nicht? Ich stamme aus Tuneg-la, genau wie dein Lehrer Hasmasu, den du in Brindhal hattest, als du noch bei deiner Mutter lebtest. Der war mal mein Schüler, damals in Tuneg-la. Ist jetzt auch schon fünfundsiebzig. Hat mir viel von dir erzählt, bin mit ihm befreundet. Deine Mutter lässt dich grüßen, sie ist stolz auf dich. Soll immer noch eine sehr schöne Frau sein, Fürstin Taina, hat Hasmasu geschrieben. Am liebsten hätte sie dich natürlich wieder in Brindhal, denn einer soll mal dort den Thron erben. Aber eigentlich komme ich aus persönlichen Gründen, ich hab ‘ne Bitte.“ Er beugte sich vor und sah Sorla eindringlich aus seinen grauen Augen an. „Geht es um den Anod-Tempel, verehrter Vater? Er wird wieder hergerichtet werden.“ „Junge, versuch nicht mit mir zu reden. Bin stocktaub. Wenn du was fragen willst, schreib es auf. Dieser Vogel hier“,
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Chaddam Muhab schüttelte den Käfig auf seinem Schoß, dass der Kauz die Augen aufriss und flügelschlagend um sein Gleichgewicht bemüht war, „verzeih, Hughu, dieser Vogel flog mir vor vielen Jahren zu, als ich eine heimliche Andacht für Anod abhielt. Damals war die Verehrung Anods ganz besonders streng verboten, davon hast du vielleicht gehört, und wir trafen uns in dunklen Verstecken. Kannst du dir das vorstellen: wir waren gezwungen, dem Sonnengott in dunklen Winkeln zu huldigen! Aber das zeigte auch unsere Hoffnung, dass aus der tiefsten Nacht einmal wieder ein Morgen entsteht. Dort also wohnte dieser Vogel und schloss sich mir an. Und wenn ich jetzt die Straßen entlang gehe, rufen die Leute: Seht, der alte Chaddam Muhab und sein Kauz!“ „Wie passt ein Vogel der Nacht zum Sonnenpriester?“ fragte Sorla, der die Taubheit des Alten ganz vergessen hatte. Der aber sprach unbeirrt weiter: „Ich nenne ihn Hughu. Du wirst dich sicher fragen, mein Junge, wie ein Kauz zu mir, dem Sonnenverehrer, passt. Ein Nachtvogel! Gar nicht natürlich! Tagsüber schläft er, wenn er kann, nachts fliegt er rum, da schlafe dann ich. Aber was hilft‘s? Und nun sag‘ ich dir was: Das ist ein besonderer Vogel! Er hat die hellseherische Gabe! Aber nur tags, wenn er schläft. Nachts fängt er Mäuse. Er weiß es selbst nicht mal, was er Besonderes kann. Er träumt wohl was und spricht dann drüber. Man kann ihn also auch nichts fragen. Man muss still da sitzen und warten, ob er was sagt. Jetzt fragst du dich, denke ich: wie versteht man, was ein Kauz so redet, nicht wahr? Er kann kein Hernostisch oder so, er macht Huhu oder klappt mit dem Schnabel, oder er sträubt die Federn – und das alles im Schlaf. Aber ich verstehe ihn, das ist ein Wunder Anods. So ein Kauz hat ja Ahnung von Sachen, die nicht im hellen Licht der Sonne liegen, sondern im Dunkeln verborgen sind; da haben wir beide uns wunderbar ergänzt. Aber leider ...“ Wieder beugte sich der Alte vor, diesmal vorsichtiger, damit der Käfig nicht von seinem Schoß fiel, „leider bin ich mittlerweile stocktaub, oder hab‘ ich das schon gesagt? Und nun die Bitte ...“ Er stach Sorla seinen mageren Zeigefinger in die Brust. „Von dir heißt es, du kannst die Vogelsprache. Sonst kenne ich
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keinen außer uns beiden. Also hör‘ zu, was Hughu redet, und schreib’s mir auf.“ „Ehrwürdiger Vater ...“, wollte Sorla abwehren, dann fiel ihm ein, dass jener taub war. Er nahm die Schiefertafel, auf welcher sie zuvor die Mannschaftsstärken zusammengerechnet hatten, und schrieb: „Ich habe wenig Zeit. Setze dich an die Wand, dann kann ich hören, wenn der Kauz redet.“ Der Alte las das, nickte erfreut und rückte seinen Hocker ans Fenster, von wo er den Hafen von Kriteis überblicken konnte. Dort döste er in der Nachmittagssonne und verhielt sich still, damit sein Kauz schlafen konnte. Leider war der Vogel sehr unruhig, vielleicht wegen der ungewohnten Umgebung, so dass vorläufig wenig Hoffnung bestand, dass er einschlafen und dann wahrsagen würde. Einmal schrie der Kauz , dass alle zusammenzuckten. Sorla verstand es als „Freiheit ist das höchste Gut!“ Doch das ergab keinen Sinn, und da der Kauz wach war, konnte es auch keine Weissagung sein. Hurak kam wieder auf die Frage Arrhids zurück: nein, er wisse nicht, wo der Graf sei, denn er habe nur mit dem Befehlshaber des kleinen Heeres zusammengearbeitet, das gegen Sorla marschiert war. Unten auf der Straße war der übliche nachmittägliche Lärm entstanden, wie er in der warmen Jahreszeit einsetzt, wenn die Hitze des Mittags nachgelassen hat. Esel schrien, Gassenjungen pfiffen sich zu, Fuhrleute schimpften. Da Sorla aber mit seinen Leuten im dritten Stockwerk beisammen saß, wurden sie nicht ernsthaft gestört. Einmal hörte Sorla einen besonderen Pfiff heraus, den er in seiner Lehrlingszeit als Dieb kennen gelernt hatte. Die Luft sei rein, bedeutete er. Sorla runzelte die Stirn, hier in Kriteis schienen die Diebe noch frei schalten und walten zu können. Das bedeutete, dass es hier noch zu viele korrupte Beamte gab. Er würde sich auch darum kümmern müssen. In den nächsten beiden Stunden ging es vorwiegend darum, militärische Fragen zu besprechen und in allen Einzelheiten festzulegen. Hurak und seine Kämpfer beispielsweise sollten mit in Kratos bleiben, bei ihren Familien und Geschäften. So konnten sie
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dazu beitragen, die Bevölkerung wehrhafter zu machen. Nicht alles durfte von den kaiserlichen Soldaten abhängen. „Schlimm, hier zu hocken“, murrte Arrhid. Er packte seine langstielige Axt mit beiden Fäusten und ließ die Muskeln an den Unterarmen spielen. „Immer reden, reden, reden – ich möchte mal wieder richtig zuschlagen!“ „Ich verstehe dich, Freund“, sagte Hurak. „Diese Zeit kommt wieder – sobald wir auf den Grafen treffen.“ Es dämmerte, die Zeit war schnell vergangen. Der alte Anodpriester stand auf und gähnte. „War wohl nichts heute. Mein Vogel ist zu unruhig. Ich komme morgen wieder.“ Er sprach einen flüchtigen Segen und verließ das Zimmer. Kurze Zeit später erschien Psudi und verkündete, Kriteis sei eine herrliche Stadt. Hier würde er gerne bleiben, wenn er nicht nach Ekritmea zurückberufen würde. „Der Oberpriester hier heißt Chaddam Muhab und hat mich sehr freundlich empfangen.“ „Der war schon da“, sagte Arrhid, „mit seinem komischen Vogel.“ „Ja, er wollte Sorla sprechen, hat er mir gesagt. Und wisst ihr, was mir eben zustieß? Eine Gruppe Jugendlicher, wohl zehn oder zwölf, hielten mich an und wollten unbedingt gesegnet werden. Ich wusste gar nicht, dass ich als Priester solch eine Ausstrahlung habe!“ „Schau mal nach deinem Geldbeutel“, bemerkte Sorla trocken. Der war weg – glatt abgeschnitten; ein Zipfel des Riemens, mit dem er am Gürtel befestigt war, ragte anklagend weg. Psudi fuhr sich über die Hasenscharte. „Es war sowieso kaum was drin.“ Dann wechselte er schnell das Thema: „Sorla, von den Sechs Familien hast du nun fünf zur Rechenschaft gezogen; was ist mit der sechsten?“ „Du meinst die Tuchusdes? Ich habe mich erkundigt, die gibt’s nicht mehr.“ „Aber sie haben doch in Ekritmea einen Palast!“ „Den haben die Illmani vor Jahrzehnten übernommen, weißt du das nicht? Die Sippe der Tuchusdes ist erloschen.“
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In diesem Augenblick meldete der Soldat, der an der Türe wachte, draußen stehe Chaddam Muhab und wolle Sorla sprechen. „Schon wieder? Er soll hereinkommen.“ Chaddam Muhab trat ein, ohne Kauz. Auf seinem abgetragenen Gewand trug er jetzt einen kleinen Anhänger, der die Sonne darstellte. „Ist dein Kauz unterwegs, Mäuse fangen?“ fragte Arrhid. Der alte Priester aber nickte Psudi freundlich zu, tappte mit seinem Stab auf Sorla zu und begrüßte ihn, als habe er ihn noch nie gesehen. Er wies Sorla darauf hin, dass er taub sei, und sagte, er habe eine Bitte. Sorla hob die Hand, um seinen Redefluss zu unterbrechen, gab ihm einen Hocker, damit er sich setzen konnte, und schrieb auf die Schiefertafel: „Das mit dem Kauz hast du heute Mittag schon erklärt.“ Der Alte las das und runzelte die Stirn: „Ich hab‘ Psudi nichts von meinem Kauz erzählt, oder doch? Ich werd‘ vergesslich. Hughu kam heut früh nicht zurück, ich frag mich, wo er ist. Wird sich verflogen haben, war schön öfters ein, zwei Tage weg. Ihr könnt mir da nicht helfen. Aber dieser junge Priester hier“, er wies auf Psudi; „gefällt mir. Klug und ehrlich. Und daher hab‘ ich ‘ne Bitte.“ Er beugte sich zu Sorla hinüber und sah ihn eindringlich aus seinen braunen Augen an: „Ich bin dreiundneunzig, lange mach‘ ich’s nicht mehr. Wenn Psudi hier bliebe, hätt‘ ich ‘nen Nachfolger, denn außer mir gibt’s in Kriteis keinen Anodpriester mehr.“ „Anod sei gepriesen!“ jubelte Psudi, bevor Sorla das Gesagte richtig überdenken konnte. Also blieb Sorla nichts übrig als zu nicken, „sofern Plosek in Ekritmea nichts dagegen hat.“ Aber eigentlich war es eine gute Idee, und er beeilte sich zu sagen: „Sowieso müssen wir den Anod-Kult wieder stärken!“ „Junge, ich bin stocktaub, sagte ich schon.“ Also schrieb Sorla es auf die Schiefertafel und fügte hinzu: „Wenn beim Wettkampf mit dem Bogen beide zugleich versehentlich eine Elster erschießen, hat das eine Bedeutung?“ Chaddam Muhab runzelte die Stirn. „Schreib das mal genau auf, und mach ‘ne Zeichnung, Junge.“
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Das tat Sorla; der Alte bedachte sich lange, dann sagte er: „Elstern sind Vögel der Göttin Atne. Die Frage ist, habt ihr Atnes Vogel gemordet oder hat sie den Vogel geschickt, um euren Pfeil aufzuhalten? Im ersten Fall wird sie euch zürnen, im zweiten Fall, was weiß ich, frag ‘ne Atne-Priesterin.“ Psudi hatte schon einige Zeit stirnrunzelnd dagesessen, jetzt mischte er sich ein: „Ich will ja nicht blöde erscheinen, aber ich verstehe das mit dem Kauz noch immer nicht. Was hat der ehrwürdige Vater mir erzählt?“ „Nichts“, sagte Arrhid. „Uns hat er das erzählt, nämlich der Kauz kann weissagen.“ „Wann war das? Er saß den ganzen Tag im Tempel; heute hat er doch Sprechstunde. Er macht das wunderbar, ich war bei ihm. Und dann, ach ja, sollte er noch zu einer kranken Frau, aber wir fanden das Haus nicht.“ Sorla, Hurak, Arrhid sahen einander an. Ich könnte mich ohrfeigen wegen meiner Dummheit, dachte Sorla. Ähnliches mochten auch die anderen denken, nach ihren betroffenen Mienen zu schließen. Chaddam Muhab mischte sich ein: „Kinder, seid nicht so beunruhigt wegen der erschossenen Elster, vielleicht bedeutet sie gar nichts.“ Sorla schrieb auf die Schiefertafel: „Heute Mittag war jemand hier, der sich Chaddam Muhab nannte. Er hatte einen Kauz im Käfig.“ Der Alte las das und schüttelte den Kopf. „Unmöglich, das wüsst‘ ich noch, so verkalkt bin ich nicht. Und Hughu – der hasst Käfige.“ Sorla machte ihm klar, dass niemand ihn für verkalkt halte; irgend jemand habe sich für ihn ausgegeben, täuschend echt samt Kauz, und offensichtlich all ihre Gespräche belauscht. „Der Schuft – er hat meinen Hughu!“ rief Chaddam Muhab mit zornrotem Kopf. „Möge Anod die Wandler verderben!“ Sorla hob fragend die Brauen, da erklärte er: „Ja, die kennt kaum jemand, aber ich weiß Bescheid! Harmlose Leute scheinbar, in Wahrheit wechseln sie das Aussehen wie andere das Hemd. Überall erschleichen sie sich Zutritt, belauschen geheime Gespräche, treffen
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Entscheidungen zum eigenen Vorteil ... Selbst im hellsten Tageslicht verdunkeln sie die Wahrheit, sie sind eine Brut, wie Anod sie hasst!“ „Ich habe noch nie von Wandlern gehört“, sagte Hurak verwundert, „dabei lebe ich in Kriteis seit meiner Kindheit.“ „Kann sein, der Alte hat Verfolgungswahn“, meinte Arrhid. Aber Sorla, nachdenklich geworden, schrieb auf die Schiefertafel: „Kann man Wandler erkennen?“ und gab sie dem Alten. „Die grauen Augen, mein Lieber. Das Dumme ist, es gibt auch normale Menschen mit solchen Augen. Man darf nicht voreilig zuschlagen.“ Sorla schrieb: „Arbeiten die Wandler mit der hiesigen Diebesgilde zusammen?“ Denn die Pfiffe auf der Straße, auch wie Psudi von der Kinderbande aufgehalten wurde, oder dass Chaddam Muhab zu einem Haus gelockt wurde, das es nicht gab, legten das nahe. Chaddam Muhab hielt es für möglich, wusste aber nichts Genaues. Dann verabschiedete er sich; es war dunkel geworden und er hoffte, dass Hughu wieder frei war. Psudi begleitete ihn zum Tempel zurück, auch die übrigen beendeten ihre Unterredung und aßen gemeinsam zu Abend. Danach blieb Sorla alleine zurück; er war müde und ging früh schlafen. * Die Wolken jagten über den Nachthimmel. Wenn sie den Mond erreichten, leuchteten sie an den Rändern hell auf, dann aber verdeckten sie den Mond, alles wurde dunkel, bis sie vorbei gezogen waren. Zwischen den Binsenbüscheln glucksten Blasen, weiter vorne strömte nachtschwarz der Norfell-Fluss. Jetzt wallte das Wasser auf, wirbelte durcheinander – ein riesiger dunkler Leib tauchte aus der Flut und glänzte nass im Mondlicht. Der Schlangenkopf ragte schwarz gegen die Wolken. Die Zunge fuhr
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heraus und berührte Sorlas Gesicht. „Kleine Schlange, du bist mächtig geworden.“ Sorla nickte stolz: „Ich hatte viel Glück und großen Erfolg, Schlange!“ „Dann nehme ich dir die Giftzähne.“ „Aber ...“ „Lerne, eine große Schlange zu sein – ohne Gift. Hier ist das Wort!“ Und sie zischte ihm den Schlüssel zum Schlangenwesen zu, doch bevor er es wiederholen konnte oder etwas fragen, stieß sie ihn zurück in die Binsen und verschwand. * Am nächsten Morgen ließ Sorla Dostonoides zu sich rufen, den Gildenmeister der „Vorurteilsfrei Nehmenden“, wie die Diebe von Kriteis sich nannten. Ein schlanker Mann in mittleren Jahren meldete sich, seine schwarzen Augen blickten in einer Mischung aus Höflichkeit und Spott auf den jungen Kaiser vor ihm. Sorla hielt sich nicht lange mit Vorreden auf, sondern beschuldigte die Gilde, sogenannte Wandler zu beschäftigen oder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Der Gildenmeister hob empört die Hände und beteuerte bei Ak‘men, er habe erstens keine Ahnung, wer oder was Wandler seien, zweiten würde er nie mit ihnen zusammenarbeiten. Nur mit Mühe gelang es Sorla, seine ernste Miene zu behalten. Aus seiner Zeit bei den ‚Verteilern des Reichtums‘ in Seedorf wusste er, dass man straflos bei Ak’men, dem Gott der Diebe, falsch schwören darf, wenn es der Gilde nützt. „Wenn ich einen Wandler bei euch finde, Dostonoides“, sagte er, „dann beschlagnahme ich das Haus sowie alles weitere Vermögen eurer Zunft, auf das ich meine Hand legen kann.“ „Wir hörten, Herr, dass ihr selbst gelernter Dieb seid. Wieso diese Härte jetzt?“ „Weil ihr mir gestern einen Wandler auf den Hals geschickt habt, um mich auszuhorchen.“
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Dostonoides blickte betroffen. „Herr, davon weiß ich nichts. Wir hofften auf gute Zusammenarbeit mit Euch.“ „Wir werden sehen. Ich kann die Gilde nur dulden, wenn sie sich auf Aufträge beschränkt, die dem Gesetz nicht zuwider laufen: Beratung, Erkundung, Personenschutz, Beschaffung verlorener Güter beispielsweise. Ich selbst habe einen Auftrag.“ „Ja?“ „Wo ist der Graf von Agra?“ Das wisse er nicht, antwortete der Gildenmeister, aber er wolle nachforschen lassen, kostenlos, um den jungen Kaiser von seinen guten Absichten zu überzeugen. Sorla nickte und ließ ihn gehen. Am folgenden Tag erschien Dostonoides wieder und verkündete, die Gilde wisse von keinem Wandler in ihren Reihen, aber nicht alle Diebe seien Mitglieder der Gilde. „Noch nie habe ich von einer Diebesgilde gehört“, entgegnete Sorla unwillig, „die so etwas in ihrem Bereich duldet.“ Dostonoides blickte ihm ins Gesicht, und zum erstenmal hatte Sorla den Eindruck, der Mann meine es ehrlich: „Herr, dies ist ein Ärgernis für uns. Seit zehn, fünfzehn Jahren hat sich eine zweite Gruppe breitgemacht, über die wir keine Macht haben. Im Gegenteil, wir müssen dankbar sein, in deren Auftrag zu arbeiten.“ „Wie heißt die Gruppe?“ „Wir nennen sie ‚Die vom Hügel‘, denn auf dem AejopHügel haben sie ihren Sitz.“ „Wandler“, vermutete Sorla. Sorla trug Dostonoides auf, täglich vorzusprechen und zu berichten, was es Neues gebe. Als der Gildenmeister gegangen war, erzählte Hurak, der zugehört hatte, er sei als Jugendlicher wegen einer Mutprobe auf den Aejop-Hügel geschlichen und über die Parkmauer des alten Herrenhauses geklettert. Dort spuke es nämlich. Er habe jedoch nichts Besonderes erlebt, Atne sei Dank. Später, da war Hurak gegangen, kam Psudi. Am Arm führte er Chaddam Muhab, auf dessen Schulter der Kauz saß. Der Vogel blinzelte und machte „Huhuu!“ Das verstand Sorla als „Derselbe Ort zu einer anderen Zeit ist nicht derselbe!“ Dann schloss der Kauz die
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Augen. Bevor Sorla den Mund zum Gruß öffnete, vergewisserte er sich, dass der alte Mann braune und nicht graue Augen hatte. Chaddam Muhab bemerkte es und lächelte: „Ja, Junge, sei nur vorsichtig! Anod sei Dank ist Hughu zurückgekehrt. Er hat viel erzählt, aber ich versteh’s nicht. Jetzt hör‘ gut zu: Ich kenn‘ ‘ne Atnepriesterin, der hab ich die Elstergeschichte erzählt. Sie meint, es sei ‘ne Warnung oder‘n Ratschlag, nenn‘ es wie du willst. Dein Ziel sei nicht, wo du‘s vermutest, sondern ganz woanders, und erreichen kannst du‘s nur zu zweit. Ach ja, und jemand stirbt dabei, das ist klar.“ „Das sind ja schöne Aussichten“, murmelte Sorla. Der Alte legte ihm die Hand auf die Schulter: „Ich versteh‘ nicht, was du sagst, aber kann’s mir denken. Sie hat noch ‘n paar Sachen vermutet, war aber unsicher, da richt‘ ich’s dir besser erst gar nicht aus.“ In diesem Augenblick zuckte der Kauz im Schlaf zusammen, drehte mit geschlossenen Augen den Kopf hin und her und schrie mehrmals „Huhu!“ Sorla schrieb auf die Schiefertafel: „Dein Kauz sagte etwas vom Tor zum Tod.“ Chaddam Muhab las das und antwortete: „He, Junge, kannst du das verstehen? Anod sei gepriesen! Endlich erfahr‘ ich wieder, was Hughu träumt!“ Er tätschelte dem Kauz den Kopf, dass dieser erwachte und verstört den Lehrsatz „Zärtlichkeit zur falschen Zeit schafft nur Unbehaglichkeit!“ von sich gab – natürlich in der Sprache der Vögel. Sorla schrieb auch das auf und fügte hinzu, der Wandler habe gewusst, dass Sorla die Vögel verstehe. ‚Die vom Hügel‘ seien offenbar bestens informiert. „Unterschätz‘ die nie!“ mahnte der alte Priester. „Und was das Verwandeln angeht, das tun die nicht bloß so oberflächlich; ich glaub‘, es macht denen Spaß, so echt wie möglich falsch zu sein, wenn du verstehst, was ich mein‘.“ Der Soldat an der Tür meldete, ein Brief sei abgegeben worden. Er hielt eine kleine Rolle, die mit Schnüren verschlossen und versiegelt war, in seiner Rechten.
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Sorla schnitt die Schnüre entzwei und las: „An Sorle-aglach. Hukari ist in unseren Händen. Komme heute bei Sonnenuntergang alleine in den Tempel der Göttin Mala, dann wird Hukari leben.“ Am unteren Ende der Schriftrolle war ein kleiner silberner Ring befestigt, woran ein winziger Bergkristall glitzerte. Daneben stand: „Den Ring kennst du, sagt sie.“ Sorla sprang auf und schrie den Soldaten an: „Wo kommt der Brief her?“ Dieser stammelte: „Eine Frau gab ihn mir, Herr!“ „Wie sah sie aus? Wieso hast du sie gehen lassen?“ „Aber Herr, sie wollte nicht stören. Sie sagte, ich muss den Brief nicht sofort abgeben, aber das ist eine halbe Stunde her, da dachte ich ...“ Seine grauen Augen schauten verwirrt. „Wie sah sie aus?“ wiederholte Sorla. „Es war eine Priesterin aus dem Mala-Tempel, Herr. Verschleiert und mit einem schwarzweißen Umhang, Herr, wie alle dort.“ Der alte Priester trat zu Sorla. „Was ist, Junge? Du bist so aufgeregt!“ Sorla gab ihm die Schriftrolle zu lesen, auch Psudi schaute hinein. Inzwischen zwang sich Sorla ruhig zu bleiben und betrachtete den Ring genauer. Auf der Innenseite war etwas graviert. Dies war der Ring, den Sorla einst Hukari schenkte, ohne sich viel zu denken – ein hübsches Geschenk für ein Mädchen. Durch diesen unscheinbaren Ring wies sich jedoch, wer „mit dem Drachen spricht“, bei dem grauen Drachen dort aus. Das wussten die Mitglieder aus Hukaris Sippe, aber war es auch denen bekannt, welche Hukari gefangen hielten? Er steckte den Ring an den kleinen Finger; erst jetzt merkte er, dass Psudi und Chaddam Muhab ihn anstarrten. „Junge“, sagte der Alte, „Psudi hat mir aufgeschrieben, was dir diese Hukari bedeutet. Es ist ‘ne Falle, vielleicht haben sie das Mädchen gar nicht. Mir ist auch rätselhaft, was der Tempel der Mala damit zu schaffen hat. Es sind sonst ordentliche Leute.“ „Der Ring ist echt“, sagte Sorla zu Psudi. „Ich muss gehen, möge Atne mir helfen!“ Da sah er, dass der Soldat noch immer in der Tür stand und auf Anweisungen wartete. Er winkte ihm, zu
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gehen und seinen Posten wieder einzunehmen. Wer steckte dahinter? Bei dem doppelten Chaddam Muhab war der Graf der wahrscheinlichste Drahtzieher, denn er musste ein Interesse an Sorlas weiteren Plänen haben. Jetzt aber gab es mehrere Möglichkeiten: den Grafen, rachsüchtige Mitglieder der Sechs Familien, bestechliche Beamte, die um ihre Pfründe bangten ... „Also, was tun wir?“ fragte der Alte, grimmig den Stab schüttelnd. Der Kauz auf seiner Schulter riss erschreckt die Augen auf. „Wir?“ staunte Sorla. Doch Psudi nickte ihm entschlossen zu: „Da können wir dich nicht alleine lassen, bei Anod!“ Chaddam Muhab bot an, jetzt gleich zum Tempel der Mala zu gehen und sich umzusehen. Psudi wollte Dostonoides aufsuchen, er sollte verdeckten Personenschutz für Sorla vorbereiten. Sorla aber saß da, die Augen geschlossen, und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Oh Atne, dachte er, eben noch kam ich mir groß und stolz vor; ich glaubte die Dinge im Griff zu haben. Jetzt zeigst du mir deine Macht und ich spüre, wie unsicher alles ist – was soll ich nur tun? Da hörte er den Kauz jämmerlich rufen: „Die Elster soll auf dem Hügel geschlachtet werden! So helft ihr doch!“ Sorla schaute hinüber – der Kauz schlief fest. Sorla schrieb auf, was er gehört hatte, aber Chaddam Muhab konnte damit nichts anfangen. * Mala die Furchtbare – die bleiche Göttin des Todes und der Ruhe ist sie, eine der vier Töchter Atnes. Mit Urskal, dem Fürst der Nebligen Tiefen, herrscht sie über das Reich der Toten. Selbst Anod, den Gott der Sonne und des Lebens, bezwang sie einst. Nur die Fürsprache ihrer Schwestern Dana, Frena und Tara bewirkten, dass Atne ihrer Tochter befahl, Anod freizugeben. Seither durchquert der Sonnengott tagtäglich den Himmel und darf die Erde nicht mehr
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berühren, sonst zerfiele er zu Staub. Die Sonne sank blutrot dem Meer entgegen, Sorla schritt auf den Zypressenhain zu, welcher Malas Tempel umgab. Er fror. Unter seinem Kittel schmiegte sich Murlingirs Kettenhemd an seinen Körper, im Stiefelschaft steckte Schlangenzahn, das musste reichen. Viele Menschen überquerten den Platz vor dem Zypressenhain, standen im Gespräch beieinander oder warfen mit großen Steinbällen nach einer kleinen Holzkugel – in Kriteis ein beliebtes Spiel unter Männern. Sorla vermutete, dass er beobachtet wurde, sowohl von Dostonoides‘ Leuten, die ihn schützen sollten, als auch von jenen Unbekannten, die ihn hierher gelockt hatten. Aber selbst wenn er die Verbrecher erkannt hätte, was nützte es, solange sie Hukari als Geisel hatten? Jetzt stieg er die drei weißen Marmorstufen mit den Inschriften „Tod“, „Nachruhm“, „Vergessen“ hinauf und betrat den Hain. Kühle Luft wehte ihm entgegen. Das Gras lag im Schatten der hochragenden Zypressen, es roch nach Erde und Jasmin. Zum Tempel führte zwischen weiß blühenden Büschen ein breiter Weg aus weißen Marmorplatten; eingemeißelt waren die Namen reicher oder verdienter Bürger von Kriteis, die darunter begraben lagen. Hier und da wandelten verschleierte Priesterinnen in ihren schwarzweißen Gewändern. Außer Sorla schien es nur wenige Besucher zu geben: ein dicker Mann, der, geführt von einem dunkelhäutigen Diener, ächzend den Weg entlang schlurfte; eine ältere Frau, welcher Tränen übers Gesicht rannen; ein streunender Hund. Sorla erreichte die offene Vorhalle des Tempels. Decke und Wände bestanden aus dunklem Granit, bedeckt mit schwer leserlichen Inschriften. Sorla schaute sich um, außer ihm war hier niemand. Der Hain draußen lag im Dämmerlicht, denn die Sonne ging eben unter. Sorla öffnete die Tür. Der Saal war hell erleuchtet von Kerzen und Öllämpchen, duftende Schwaden verbrannter edler Harze schwängerten die Luft. Weiter vorne trugen zwei Priesterinnen einen eintönigen Sprechgesang vor, unterbrochen vom dumpfen Klang großer Trommeln. Offensichtlich fand eine Andacht statt, und Sorla
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erinnerte sich, dass dem Sonnenuntergang im Mala-Kult eine besondere Bedeutung zukam. Viele Menschen drängten sich um die hell erleuchtete Statue von Mala der Furchtbaren. Schwarz war sie gekleidet, tief hing ihr das Kopftuch über die Augen; nur die bleichen Lippen und den Andächtigen entgegen gestreckten weißen Hände waren zu sehen. „Ich gebe Trost, den sonst niemand gibt!“ stand in silbernen Lettern am Rande des Baldachins über ihr. Eine hochgewachsene Priesterin, unverschleiert und mit strengem Gesicht, kam auf Sorla zu. „Bist du der junge Kaiser?“ flüsterte sie. „Chaddam Muhab war vor einer Stunde hier. Er erzählte von einem Brief. Aber sei versichert, wir vom Tempel haben mit diesem schlechten Scherz nichts zu tun.“ „Ein schlechter Scherz?“ wiederholte Sorla erbost. Er versuchte ihre Augenfarbe festzustellen: vielleicht grau, vielleicht blau, im Licht der Kerzen war es schwierig zu sagen. „Sprich leise, du störst die Andacht. Was sonst? Wir halten niemanden gefangen, und Morde begehen wir auch nicht.“ „Aber ...“ „Und lerne, das Leben nicht so wichtig zu nehmen. Wir alle begegnen Mala früher oder später, das allein ist sicher.“ Mit einem aufmunternden Lächeln ließ sie ihn stehen. Aber Sorla war nicht überzeugt. Er ging im Tempel umher und blickte sich um. Niemand hier sah verdächtig aus. Die weinende Frau, die ihm im Zypressenhain begegnet war, saß auf einer Marmorbank zwischen zwei Kindern, die ihre Hände hielten. Die Oberpriesterin stand jetzt vorne bei Malas Statue, sie murmelte Gebete für eine einbalsamierte Leiche, die vor ihr auf einer mit weißen Lilien geschmückten Bahre lag. Schwarzweiß gewandete Priesterinnen gingen mit Körbchen umher und nahmen Opfergaben entgegen. Vier näherten sich Sorla, und dieser wich an die Wand zurück. Jetzt haben sie mich, dachte er, die Hand am Messer. „Sorla!“ hörte er eine lieb vertraute Stimme. Die Priesterinnen hatten ihre Schleier zurückgeworfen – alle schauten ihn mit Hukaris Gesicht lächelnd an. „Mein Liebster, ich habe mich so gesehnt!“ Acht graue Augen strahlten vor Freude, ihn
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wiederzusehen. Vier junge Frauenkörper schmiegten sich verlangend an ihn, zarte Lippen flüsterten Zärtlichkeiten in sein Ohr. Ihr warmer Atem duftete. Sorla nahm die Hand vom Messer und wehrte die Liebkosungen unbeholfen ab. „Mir wär’s lieber“, sagte er, „ihr würdet nicht wie Hukari aussehen.“ Sie sahen ihn entsetzt an: „Bin ich nicht mehr hübsch genug für dich?“ „Doch, aber ihr seid nicht echt.“ Die grauen Augen funkelten wütend. Eine der Hukaris entblößte sogar ihre Brüste: „Nicht echt, sagst du?“ Sorla blickte sich um, ob das jemandem aufgefallen war. Aber so dicht standen die vier in ihren weit wallenden Priestergewändern um ihn, dass sogar er selbst vor den Blicken der Tempelbesucher verborgen war. Der Zorn der vier schien sich gelegt zu haben. Eine holte aus ihrem Körbchen ein zusammengefaltetes schwarzweißes Gewand. „Zieh das über, mein Liebster“, sagte sie. „wir müssen jetzt fortgehen, ohne Aufsehen zu erregen. Nur so kannst du mich retten, verstehst du?“ Das verstand er und streifte das Gewand über. Etwas in ihm schrie auf: Tu’s nicht! Aber wichtiger war, die echte Hukari zu retten, wo immer sie sei. Um sich selbst wollte er sich dann, mit Atnes Hilfe, schon kümmern. Die vier halfen ihm, rückten fürsorglich die Falten des Gewandes zurecht und senkten danach erst sich selbst, dann ihm den dünnen Schleier vor das Gesicht; er konnte gut hindurch sehen, aber von außen wirkte er wohl wie eine der vielen namenlosen Mala-Priesterinnen. „Atne sei mit euch, ihr vier!“ hörte er sich sagen – etwa einen Schritt rechts neben sich. Da, wo eben noch eine Hukari behilflich war, ihn als Priesterin zu verkleiden, stand jetzt er selbst. Dass die Augen grau waren, machte kaum einen Unterschied. „Wann werde ich die echte Hukari sehen?“ fragte Sorla sein Ebenbild. „Sobald du dort angekommen bist, wo Hukari auf dich wartet“, lächelte der andere Sorla beruhigend. „Also beeilt euch.“ Tatsächlich nahmen zwei der schwarzweißen Gestalten ihn
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am Arm, und zu viert verließen sie den Tempel durch den Haupteingang. Der Zypressenhain lag schon im Dunkeln, doch war der weiße Marmorweg hell genug, um den Weg hinaus zum Platz zu finden, wo ein unauffälliges Pferdefuhrwerk auf sie wartete. Dass jemand sich als Sorla ausgeben konnte, war schlimm. Dies musste unterbunden werden, bevor das Reich durch einen weiteren falschen Kaiser Schaden nahm. Sorla versuchte sich noch einmal genau an sein Ebenbild zu erinnern, wie es so selbstsicher an der Wand des Tempels lehnte. Irgend etwas hatte nicht gestimmt, dessen war sich Sorla im Nachhinein sicher – scheinbar eine Kleinigkeit war anders oder fehlte, nur was? Dann aber richtete er sein Augenmerk auf die Straße; er wollte wissen, wohin er gebracht wurde. Es ging zunächst durch die belebte Straße der zwei Himmel, welche vom Platz der Mala nach Norden führt, dann weiter durch Wohnviertel, Gärten hinaus vor die Stadt. Vor ihnen lag ein mit Pinien bewaldeter Hügel. Zwischen den Baumkronen war das Dach eines großen, alten Gebäudes zu sehen. „Der Aejop-Hügel“, murmelte Sorla. Die falschen MalaPriesterinnen lächelten mit Hukaris Lippen und streichelten ihn beruhigend. Worauf musste er sich gefasst machen? Die Pferde gingen jetzt langsamer, ihre Hufeisen klapperten auf dem Pflaster des steil ansteigenden Wegs. Tief hängende Äste der alten Zedern streiften die Seiten des Wagens. Nun erreichten sie das Tor; es stand offen. Zwei freundliche ältere Männer winkten sie durch. Sorla achtete auf ihre Augenfarbe: grau. Das Gebäude wirkte wie eine Festung; es stammte aus alter Zeit, als es in Kriteis noch nicht üblich war, Fassaden mit Säulen zu schmücken. Die Mauern waren aus riesigen Quadern gefügt, die winzigen Fenster durch schmiedeeiserne Gitter verschlossen. Durch das offene Portal rollte der Wagen in den Innenhof. Hinter ihnen schlugen die Torflügel zu. „Hukari wartet schon“, flüsterte eine der verschleierten Gestalten neben Sorla. Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu einem der dunkel drohenden Eingänge. Alles in Sorla sträubte sich, zu folgen, aber er sagte sich, dass es keinen anderen Weg gab, zu Hukari zu gelangen. „Oh Atne“, flüsterte er wieder.
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Es ging einen schmalen Gang abwärts, um mehrere Kehren und Ecken, auf flachen, abgetretenen Steinstufen, die Sorla mit den Füßen ertasten musste, weil es stockdunkel war. Die Luft roch dumpf nach Rattenkot und Moder. Eine der Gestalten ging vor Sorla, die anderen hinter ihm – Sorla hörte die leichten Schritte ihrer nackten Mädchenfüße. Dann aber änderten sich die Geräusche, statt der Schritte vernahm Sorla ein merkwürdiges Gleiten und Scharren, das er sich nicht erklären konnte. Er griff nach seinem Messer – es war verschwunden. Wann hatten sie es ihm gestohlen? Es gab viele Gelegenheiten, bereits im Tempel der Mala, als sie ihn in Hukarigestalt umringten und verwirrten. Er, der gelernte Dieb, hatte sich ausnehmen lassen wie ein Narr. „Oh Ak’men!“ flüsterte er. „Verzeih meine Dummheit!“ Dabei war ihm noch aufgefallen, dass seinem Doppelgänger etwas fehlte – der Dolch! Wo waren seine Gedanken gewesen! Fast wäre er gestolpert, als die Stufen unerwartet aufhörten. Es ging jetzt im Dunkeln geradeaus. Der Widerhall klang gedämpfter – die Wände waren weiter entfernt, vielleicht befanden sie sich in einer Halle, aber leer war sie nicht, dazu klangen die Geräusche zu vermischt. Plötzlich flammten Lichter auf; Sorla war einen Augenblick geblendet, dann sah er, dass er tatsächlich in einem großen Raum stand. In weitem Kreis um ihn herum standen oder bewegten sich merkwürdige graue Gestalten; sie ähnelten menschengroßen Kraken, die auf den Enden ihrer Tentakel tänzelten. Es fiel Sorla schwer, sie genauer ins Auge zu fassen – ständig veränderten sie Form und Erscheinung. So also sahen Wandler aus, wenn sie sich nicht auf eine Gestalt festlegten! Sorla blickte sich nach seinen Begleiterinnen um; da standen vier dieser Wandler, neben sich die abgestreiften Gewänder der Mala-Priesterinnen. Eine davon hielt seinen Dolch in ihren Tentakeln. „So sehen wir uns endlich!“ sagte jemand höhnisch. Ein Mann in rotschwarzer Robe drängte sich durch die Menge der Wandler. „Der kleine Dieb wollte sich als Kaiser aufspielen, nicht wahr? Nun ist er mir ins Netz gegangen!“ „Ich will Hukari sehen!“ entgegnete Sorla.
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Der Mann lachte. „Sie ist hübsch, nicht wahr? Eine kleine Kratzbürste vielleicht, aber wenn ich Kaiser bin, nicht wahr, besinnt sie sich vielleicht.“ „Wo ist sie?“ rief Sorla. „Das war schlau von dir“, fuhr der Mann fort, ohne auf Sorlas Frage zu achten, „denn Batiflim ist der Schlüssel zum Kaiserreich. Jetzt habe ich diesen Schlüssel, nicht wahr?“ „Und wer bist du?“ fragte Sorla. Er überlegte, wie er unauffällig näher an seinen Dolch gelangen konnte. „Das wagst du zu fragen, du Balg eines hergelaufenen Diebes? Dein Vater hat mich beraubt, du hast meinen Sohn ermordet ... Nicht wahr, jetzt weißt du es?“ „Du hast mehrere Söhne, Graf, aber Korraghom gehörte nicht dazu. Er war mein Bruder, ich liebte ihn.“ „Du hast ihn getötet!“ „Er wollte mich töten, damit dir verborgen blieb, dass du nicht sein Vater bist.“ Der Graf begann zu lachen, mit hoher, gepresster Stimme. Dann plötzlich war er wieder beherrscht, fuhr sich über den Mund und sagte leise: „Du verspritzt Gift, nicht wahr, ich höre gar nicht zu.“ Dieser Mann war wahnsinnig. Früher, so erinnerte sich Sorla, sammelte er Bücher und hübsche Frauen und sperrte sie als seinen Besitz weg; vielleicht war das der Anfang. Und dann brach Tok-aglur in seine Bibliothek ein, vergriff sich an seinem Besitz ... „Gebt mir seinen Dolch!“ hörte Sorla den Grafen sagen. „Damit tötete er meinen geliebten Sohn, also soll er dadurch sterben!“ Sorla wollte sich auf den Wandler werfen, der Schlangenzahn hielt, doch Dutzende von Tentakeln hatten sich bereits um ihn geschnellt, hilflos hing er in deren Griff. Der Graf nahm das Wurfmesser entgegen und trat ein paar Schritte zurück. „Ich kann dich abstechen“, sagte er mit hoher, aufgeregter Stimme. „Oder ich werfe es. Es soll ja immer treffen, nicht wahr?“ Er fuhr sich über den Mund. Sorlas Leib war von Murlingirs Kettenhemd geschützt, doch
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Schlangenzahn würde sich den verwundbarsten Punkt suchen; das wäre Sorlas Hals. Er räusperte sich und sagte: „Besinne dich, Graf! Deine Verbündeten hast du längst verloren. Lass‘ uns Frieden schließen, das ist auch für Agra das Beste, diese wunderschöne Stadt. Wenn wir uns einigen, atmen alle auf, der Handel blüht ...“ „Jetzt winselst du, nicht wahr“, höhnte der Graf. „In Agra gibt es keinen Krieg und hat es auch nie gegeben. Es ist das verrottete Ekritmea, das jetzt zusammenbricht. Und deinen Hals rettest du nicht durch dein Friedensgeschwätz.“ Da, mit einem Knall, füllte gleißendes Licht den Raum, so schmerzhaft hell, dass Sorla beide Hände vor die Augen hielt. Selbst dann noch schimmerte es hellrot in den Augen. Ein paar Atemzüge später ließ das Licht nach, Sorla schaute sich um. In der Mitte des Saals standen Chaddam Muhab, der alte Priester, und Psudi, schwarzweiß als Mala-Priesterinnen gewandet wie Sorla. Unbemerkt waren sie hereingekommen, jetzt hatten sie die Kapuzen zurückgeworfen und hieben mit ihren Stäben auf die geblendeten, verwirrten Wandler ein, um sich zu Sorla durchzukämpfen. Mit einem Ruck befreite sich Sorla aus den Tentakeln und entriss dem Grafen das Messer. Dieser schrak auf, drehte sich um und flüchtete. Sorla sah, wie er sich durch die Wandler drängte und in einer Öffnung der jenseitigen Wand verschwand. „Hinterher!“ rief Sorla. Psudi nickte und zerrte Chaddam Muhab am Ärmel mit sich. Der Kauz flatterte, um das Gleichgewicht auf der Schulter des alten Priesters zu halten. „Schnell!“ drängte Sorla. Die Wandler waren aus ihrer Benommenheit erwacht und rückten von allen Seiten gegen sie vor. Ihre Tentakeln peitschten; eine traf Sorla am Bein, dass das Blut spritzte. Rechts und links um sich schlagend, bahnten Psudi und Chaddam Muhab den Weg zur jenseitigen Wand, wo der Graf verschwunden war. Kaum hatten sie dort den Eingang erreicht, wandte sich der alte Priester um, die nachdrängenden Wandler mit kräftigen Stockhieben fernhaltend. Bei jedem Hieb stoben Blitze aus dem Stab. „Geht weiter!“ keuchte er; man sah, dass ihn bald die Kräfte verlassen würden. „Geht weiter, ich decke euch!“
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„Ehrwürdiger Vater“, stammelte Psudi, während er versuchte, ebenfalls seinen Stab einzusetzen, doch da war kein Platz, denn Chaddam Muhab hatte sich so in den Eingang gestellt, dass niemand an ihm vorbei konnte. „Es würde dein Tod sein!“ Doch der alte Priester war ja taub, er rief Psudi zu: „Nimm Hughu an dich, sorge für ihn!“ Dann, zwei Stockhiebe später, die schon schwächer ausfielen: „Nun rennt, bei Anod! Zehn Atemzüge, ein Dutzend vielleicht noch ...“ „Er will es so!“ flüsterte Psudi. „Er beschwört Anods Zorn!“ Er riss den Kauz von Chaddam Muhabs Schulter und stieß Sorla ins Kreuz: „Schnell, bei Anod. Sonst gehen wir mit drauf!“ Was meinte er? Doch Sorla wurde weiter gezerrt; Psudi schien von irrer Angst getrieben zu sein. Fünf Atemzüge später schrie er: „Hinwerfen!“ und drückte Sorla zu Boden. Da flammte von dort, wo sie herkamen, ein Blitz auf, heiße Luft fauchte über sie hinweg. Dann krachte es irgendwo, Steinbrocken rumpelten, und plötzlich war alles finster. „Er hat sie alle mit in Urskals Reich genommen“, hörte Sorla Psudi murmeln, „und uns gerettet.“ Sorla nickte mit feuchten Augen. Er hatte den alten Priester schätzen gelernt. „Bei Anod!“ flüsterte er. „Ein würdiger Tod!“ Aber nach und nach kehrten seine Gedanken zu ihrer Lage zurück. Wo waren sie? Was konnten sie jetzt tun? Das Rumpeln, das sie gehört hatten, bedeutete, dass der Eingang zusammengebrochen war, vielleicht sogar die ganze Halle. Wie sollten sie je wieder herauskommen? Da glomm ein zartes blaues Licht auf – der Glygi schwebte vor ihnen und beleuchtete die Gangwände mehrere Dutzend Schritte weit. „Oh wie schön!“ staunte Psudi und streichelte dem armen Kauz über die versengten Rückenfedern. „Hast du diesen Zauber gewirkt?“ Sorla erklärte ihm, was es mit seinem Gnomenstein auf sich hatte. „Befehlen kann ich ihm nichts“, fügte er hinzu. „Er tut, was er will.“ Dann fragte er, wie Psudi und der alte Priester ihn gefunden hätten. „Ihr kamt gerade noch rechtzeitig, Atne sei Dank!“ „Es war Hughu, der dich rettete.“ Psudi lächelte, er hielt die Hand vor die Hasenscharte.
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„Der Kauz?“ Sorla blickte ungläubig auf den Nachtvogel, der damit beschäftigt war, sein angesengtes Federkleid zu ordnen. „Du erinnerst dich, wie er rief, die Elster wird auf dem Hügel geschlachtet, oder? Als wir dich im Tempel nicht fanden, fiel es Chaddam Muhab wieder ein. Überall waren die MalaPriesterinnen in ihren schwarzweißen Gewändern; irgendwie sehen sie aus wie Elstern, findest du nicht? Die Leute, die Dostonoides im Tempel postiert hatte, berichteten, du seist von diesen Elstern umringt gewesen, dann aber alleine zurück geblieben. Plötzlich warst auch du weg, unauffindbar, und da dachten wir, es hat was mit diesen Wandlern zu tun. Also eilten wir zum Aejop-Hügel – gerade noch rechtzeitig. Und du siehst ja tatsächlich aus wie eine Elster.“ Er wies auf die schwarzweiße Tracht, welche Sorla noch immer trug. Sorla drückte ihm dankbar den Arm, der junge Priester lächelte verlegen. Als Elster wollte Sorla nicht länger herumlaufen, er zog sein Priesterinnengewand aus. Psudi folgte seinem Beispiel, doch das Gewand blieb an etwas Sperrigem auf seinem Rücken hängen. „Ach du liebe Güte Anods!“ entfuhr es Psudi. „Hab‘ ich ja ganz vergessen!“ Das sperrige Ding entpuppte sich als Sorlas Kurzbogen samt gefülltem Köcher. „Ich dachte, ich bring’s mit, wer weiß ...“ Dankbar nahm Sorla seine Waffe entgegen. Als er aufstand, fiel ihm auf, wie sehr sein Bein schmerzte, wo ihn die Tentakelpeitschen getroffen hatten. Er ließ sein Regenszepter erscheinen und wirkte eine Heilung; die blutenden Striemen schlossen sich, die Schmerzen verstummten. Inzwischen faltete Psudi die beiden Gewänder zusammen und stopfte sie in seinen Rucksack. Sie gingen vorsichtig tiefer in den Gang hinein, der Gnomenstein schwebte voraus. Die Wände bestanden aus nacktem Fels, den Boden bedeckten ausgetretene Steinplatten. Die Luft war kühl und feucht. Der Kauz knappte mit dem Schnabel, was Sorla verstand als: „Weht Kühle um den Hintern, kann es den Schmerz mir lindern.“ Dennoch schien Hughu keine Lust zu spüren umherzufliegen, sondern verharrte auf Psudis Schulter und drehte
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den Kopf nach allen Seiten, um mit großen, gelben Augen misstrauisch umher zu spähen. Halb hatte Sorla gehofft, den Grafen hier zu finden, doch niemand war da. Der Gang mündete in eine Treppe, die sie ein paar Dutzend Stufen abwärts führte, dann standen sie vor einer schweren, bronzenen Tür. Im Felsen darüber war eine Inschrift eingemeißelt. Sorla entzifferte den Namen seines Vorfahren Tul-uglur und ein paar unzusammenhängende Silben, die ihm nichts sagten, der Rest war unleserlich, weil jemand versuchte hatte, mit einem groben Werkzeug die Inschrift zu zerstören. In der Mitte der Tür ragte ihnen als Knauf ein Schlangenkopf entgegen. Sorla zog daran; zu seiner Überraschung ließ sich die schwere Tür mühelos öffnen – jemand hatte die Riegel zurückgeschoben und verkeilt. Dahinter war zunächst nichts zu sehen; der Schimmer des umher schwebenden Glygis verlor sich im Dunkel. Als Sorla vorsichtig durch die Tür trat, empfand er, dass dies ein großer Raum war. „Kannst du nicht ein Licht wirken?“ fragte er Psudi. „Der Glygi alleine reicht hier nicht.“ „Aber dann sieht man auch uns!“ Psudi fuhr sich über die Hasenscharte. „Es macht uns zur Zielscheibe!“ „Solange mein Glygi munter umher schwirrt, besteht keine Gefahr, Psudi. Der würde sie spüren.“ „Ich will’s versuchen, aber viel Übung habe ich nicht.“ Nach ein paar vergeblichen Bemühungen und Anrufungen Anods erstrahlte schließlich auf der Spitze von Psudis Stab ein weißes Licht. Psudi lächelte erleichtert: „Immerhin bin ich jetzt der dienstälteste Anod-Priester in Kriteis, da muss ich auch Wunder wirken können.“ Nun sahen sie eine große, runde Halle mit niedriger, gewölbter Decke. Statt eines Bodens lag vor ihnen ein tiefes, leeres Becken, um welches ein schmaler Steg an der Wand entlang herumführte. Die gegenüberliegende Seite konnte man aber nicht sehen, denn die Luft war feucht und dunstig. Tief unten spiegelte sich das Licht in ein paar Wasserpfützen zwischen den großen, vergitterten Abflussöffnungen, ansonsten war das Becken leer.
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„Was ist denn das?“ fragte Psudi und hielt sich vorsichtig vom Rand des Beckens entfernt. „Eine Zisterne?“ Sorla nickte. „Mein Vorfahr Tul-uglur war sehr bemüht, die Wasserversorgung zu verbessern. Diese Zisterne legte er wohl auf dem Aejop-Hügel an, um durch das Gefälle zur Stadt hinunter genug Druck zu erreichen, damit die Brunnen sprudeln.“ „Seit Monaten sprudeln die Brunnen nicht mehr“, warf Psudi ein. „Ich hörte, dass der Stadtrat böse hernostische Machenschaften als Grund anführt.“ „Irgend jemand hat hier was verpfuscht.“ Sorla begann auf dem schmalen Steg das Becken zu umrunden. Es gab kein Geländer; Psudi folgte mit zaghaften Schritten und rief leise Anod um Beistand an. Bald konnten sie den Eingang, durch den sie gekommen waren, durch den Dunst nicht mehr erkennen. Doch vor ihnen tauchte eine schmale Eisenleiter auf, die in die Tiefe des leeren Beckens hinab führte. Als Sorla sich anschickte hinabzuklettern, seufzte Psudi: „Ich wollte, ich wäre Hughu, der kann fliegen“, stieg aber entschlossen hinterher. Nun sahen sie, dicht unter dem überhängenden Steg, eine große Öffnung in der Wand, wohl zwei Klafter breit und hoch. Von der Leiter aus konnte man leicht hinübersteigen; schon stand Sorla drinnen und schaute in die dunkle Röhre hinein. Den Boden bedeckte Schlamm, dazwischen rieselte ein wenig Wasser als dünnes Rinnsal zur Öffnung, von wo es ins Becken hinab tropfte. Im Schlamm waren viele Fußspuren zu sehen. Sorla bückte sich, um sie zu untersuchen, und bemerkte, dass alle dieselbe Größe und dasselbe Muster hatten. Dieselbe Person war hier mehrfach hin und her gegangen. Die oberste Spur, welche die anderen überlagerte und folglich die frischeste war, führte ins Innere der Röhre. „Der Graf!“ flüsterte Sorla. „Wir haben ihn!“ Seine Stimme hallte, so leise er sprach, als zischelndes Echo in der Röhre fort. Psudi sah sich zweifelnd um. „Oder er uns. Mir kommt’s wie eine Falle vor.“ Diese Röhre diente offensichtlich dazu, das große Becken mit Wasser zu versorgen. Jemand, wohl der Graf, hatte das Wasser irgendwie abgestellt, um die Röhre als Gang zu nutzen, Er konnte
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das Wasser aber auch wieder anstellen. Die Folgen für denjenigen, der sich hier gerade aufhielt, konnte Sorla sich gut ausmalen. „Trotzdem“, sagte er. „Wir müssen hier durch, einen anderen Weg gibt’s nicht.“ „Ich versteh’s nicht“, murmelte Psudi. „Wir sind im AejopHügel, nicht wahr?“ Sorla nickte geistesabwesend, er lauschte auf Zeichen irgendeiner Gefahr. „Wie kommt das Wasser hierher?“ beharrte Psudi auf seiner Frage. „Es ist der höchste Punkt weit und breit! Es müsste bergauf fließen“ Sorla zuckte die Schultern. Tul-uglur hatte das irgendwie eingerichtet, das sollte jetzt nicht ihre Sorge sein. Der Glygi hatte sich schon weit vorgewagt, aus der Ferne zeigte sein hellblauer Schimmer den Weg und gab ihnen Mut. Hughu, in plötzlichem Entschluss, spreizte die Flügel, sprang von Psudis Schulter und schwebte mit leisem, mehrfachem „Huhuhu“ dem Licht des Glygis hinterher. Das hieß, verstand Sorla: „Ich folge dem schönen Licht, so spür‘ ich den Hunger nicht!“ „Dein Kauz hat Hunger“ teilte Sorla Psudi mit, während sie den beiden folgten. „Ich wollte, ich könnt‘ ihn verstehen. Aber es ist ein Nachtvogel, wie soll das zu Anod passen? Der wird mir dieses Wunder nicht gewähren.“ Sorla erinnerte sich an die Sage von dem Nachtmädchen Duna, so schön wie das Leben selbst, für welche Anod in Liebe entbrannt war. Nie kann er mit ihr zusammensein, doch sie, so heißt es, rettete ihn vor den Ränken der Schwarzen Dreiheit. Dies erzählte Sorla dem jungen Priester. „Diese Sage kannte ich nicht, Sorla.“ „Und bedenke – Anods Vater ist Urskal, der Fürst der Finsternis. Denn aus der Finsternis entsprang das Licht.“ „Das weiß ich – doch das Licht muss gegen die Dunkelheit kämpfen!“ „Gegen die Schwarze Dreiheit – ja. Aber die Nacht ist die Schwester des Tages. Als Vertreter Anods in Kriteis wirst du lernen,
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in großen Zusammenhängen zu denken, Psudi.“ „Du als Kaiser musst natürlich so denken – alles zum Ganzen zusammenführen. Aber für mich ist solches Denken ungewohnt, Sorla – vielleicht bin ich zu jung und unerfahren. Ich wünschte, Chaddam Muhab wäre noch da!“ Psudi seufzte. Sie mussten stehenbleiben, denn vor ihnen saß Hughu auf dem Boden, genüsslich eine kleine Fledermaus zerrupfend. „Schmeckt‘s?“ fragte Psudi. Der Kauz, eben bemüht, ein Stück Gedärm hinunterzuschlingen, verharrte kurz und gab eine dumpfen Laut von sich. Sorla verstand das, trotz des vollen Schnabels, als „Oh danke, gut!“ Es dauerte zwei Atemzüge, bis er die Tragweite des Geschehenen begriff. „Dein Kauz hat dich verstanden, Psudi!“ rief er aufgeregt und wiederholte dessen Antwort. Jetzt begann ein reges Versuchen und Fragen – immer im Dreieck, denn Hughu verstand, was Psudi sagte, dieser verstand den Kauz nicht, was aber Sorla vermochte. Was jener wiederum sagte, konnte Hughu nicht verstehen. Also stellte Psudi die Frage, und Sorla teilte ihm mit, was der Kauz geantwortet hatte. Dies war oft gereimt und selten hilfreich. Sie fanden aber heraus, dass Hughu bereits Chaddam Muhab verstanden hatte, nur wusste dieser nichts davon. Nun war die Fähigkeit, sich dem Kauz mitzuteilen, auf Psudi übergegangen. Auch bekamen sie bestätigt, dass die Wandler den armen Vogel eingefangen hatten, um ihn zur Tarnung zu missbrauchen. „Und ich habe geträumt“, vertraute Hughu Sorla an. „Ich blieb im Wasser stecken und konnte mich nicht mehr regen. Und später aß ich vier Pflaumen. Ekelhaft!“ „Wie kann man im Wasser feststecken?“ fragte Psudi, als Sorla ihm das übersetzt hatte. Sie fragten ihn weiter nach Einzelheiten, bis Hughu entnervt davonflog, tiefer hinein in den Schacht, die restliche Fledermaus in den Fängen. „Wir haben viel Zeit verloren“, sagte Sorla, indem er rascher ausschritt.
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„Der Graf ist sowieso über alle Berge“, entgegnete Psudi, der Mühe hatte nachzukommen. „Den kriegen wir nicht mehr.“ „Aber wo er ist, da finden wir auch Hukari.“ Von weiter vorne erklang ein dumpfer Schlag. „Hughu!“ flüsterte Psudi. „Ihm ist was zugestoßen!“ Sorla schaute sich nach seinem Glygi um – der war verschwunden, wer weiß, wie lange schon, denn Psudis weißes Licht strahlte nach wie vor, so dass man den zarten Schimmer des Gnomensteins nicht vermisste. Wieder ertönte ein dumpfer Schlag, lauter als zuvor. Es klang, als sei ein schwerer Schrank umgestürzt oder eine Tür zugefallen. „Soll ich mein Licht löschen?“ Psudi fuhr sich ängstlich über seine Hasenscharte. „Dass man uns nicht sieht?“ Sorla schüttelte den Kopf; sie würden dann ja selbst nichts erkennen. Er hielt den Bogen schussbereit. Psudi war aus Sorge um seinen Kauz ein paar Schritte vorausgegangen. Weiter vorne war der Schacht an einer Stelle von einem metallenen Ring eingefasst, der rundherum einen halben Schritt in den Raum hinein ragte. Psudi stieg über das Hindernis weg, plötzlich ertönte entsetzlich laut ein dumpfer Knall, es war stockdunkel. „Psudi?“ flüsterte Sorla in die Finsternis. Keine Antwort. Sorla tastete sich an der Wand entlang vor, bis er den metallenen Ring spürte. Dort suchte er den Boden nach Psudis Körper ab. Aber er fand nichts außer schlammigem, kaltem Steinboden. Als er den metallenen Ring abtastete, spürte er einen Sog – umso stärker, je näher er zum Innenrand des Ringes kam. Erschreckt zog er die Hand zurück und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Etwas wollte ihn durch den Ring ziehen, doch wohin? Was war der Zweck der ganzen Vorrichtung? Was war mit Psudi, Hughu, dem Glygi geschehen? Wenn er jetzt durch diesen Ring stieg, würde er sie wohlbehalten wiedersehen oder mit ihnen vernichtet sein? Hatte er überhaupt eine Wahl? Zurück konnte er nicht, denn die Halle der Wandler war eingestürzt, die Abflussöffnungen der
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Zisterne waren vergittert. Vor ihm aber lag die Aussicht, nicht nur seine Gefährten wiederzusehen, sondern den Grafen, der diesen Weg ja auch genommen hatte – und mit ihm vielleicht Hukari. Sicherlich hatte sich der Graf nicht absichtlich ins Verderben gestürzt, sondern wusste, wohin dieser Weg führte. Oh Atne, sei gnädig! flüsterte Sorla und stieg durch den Ring. Der Sog wirbelte ihn davon. * Sorla überschlug sich, rutschte haltlos über feuchten Steinboden und prallte in etwas Weiches, das war glitschig kalt. Im selben Augenblick durchzuckte ihn ein Schmerz, als habe ihn ein Knüppel getroffen. „Aough!“ schrie etwas in seinem Schädel. „Aaoough!“ Sorla wälzte sich weg, bis er harten Boden unter sich spürte, und sprang auf. Der Schmerz ebbte ab. „Wer hat geschrien?“ flüsterte Sorla, doch alles blieb still. Von hoch oben schimmerte schwaches Licht über den Rand einer senkrechten Mauer. In seinem Widerschein sah Sorla, wie die Masse vor ihm in langsamen Wellen erbebte. Er trat vorsichtig ein paar Schritte zurück und sah sich um. Auch dies war eine leere Zisterne, aber erheblich kleiner als jene auf dem Aejop-Hügel. Die riesige bebende Masse, in die er gestolpert war, bedeckte ein Drittel der Wand vor ihm. Hinter ihm war eine Öffnung, eingefasst mit einem metallenen Ring. Von dort war er offensichtlich gekommen. Einen weiteren Ausgang sah er nicht, auch keine Leiter. Nur eine rostige Eisenstange lag herum – und ein paar kleine Knochen, von Ratten oder Fledermäusen. „Psudi?“ flüsterte er. „Hughu?“ Keine Antwort. „Glygi?“ Da schmiegte sich der Gnomenstein in seine Hand – nur kurz, dann verschwand er wieder. Atne sei Dank, wenigsten ihm war nichts zugestoßen! Sorla nahm die Eisenstange und stocherte in der glitschigen
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Masse. Stechende Schmerzen durchzuckten ihn. „Aaough!“ schrie die Stimme in seinem Kopf. Sorla zog den Eisenstab zurück – der Schmerz ließ nach. Aber wenn Psudi in dieser Masse gefangen war, gerade erstickte, dann war keine Zeit zu verlieren! Wieder schlug er auf die bebende Masse ein, die Schmerzen betäubten ihn fast, doch er drosch weiter, stach blindlings auf dies ungeheure Ding ein. In seinem Kopf brüllte es, dass er nicht mehr denken konnte, doch weiter und weiter stach und hieb er in seiner Verzweiflung. Die Masse zitterte und wallte, an einigen Stellen löste sie sich zu Wasser auf, das in kleinen Rinnsalen davon floss, sie wich aber keinen Schritt. So ging es nicht. Das umher spritzende Wasser brachte Sorla, trotz Schmerz und Geschrei in seinem Kopf, auf einen Einfall. Er ließ die nutzlose Eisenstange fallen, beschwor sein Regenszepter und stach damit in die bebende Masse. Da brandeten die Schmerzen in Sorla hoch, dass er laut aufschrie. Doch im nächsten Augenblick brach das Geschrei ab, die Schmerzen waren verschwunden, die riesige Masse spülte als Wasser über ihn hinweg. Rasch ließ Sorla das Regenszepter verschwinden; er stemmte sich gegen die Strömung, doch vergebens. Gerade noch konnte er die Eisenstange packen. Um und um wirbelte es ihn in den zunehmenden Wassermassen, doch er hielt die Eisenstange mit beiden Händen quer vor sich. Schon erreichte er die Öffnung, aus der er gekommen war. Wenn das Wasser ihn mitzog, würde er bei der Zisterne am Aejop-Hügel ankommen und dort hinab auf den Boden der leeren Zisterne stürzen und zerschmettert werden! Doch die Eisenstange legte sich quer vor die Öffnung. Mit verzweifelter Kraft hielt er sich fest, während das Wasser an ihm zerrte und sog. Dann, auf einmal, war das Wasser verschwunden. Doch noch immer fühlte er, wie etwas an ihm zog; der metallene Ring! Mühsam zog Sorla sich an der Eisenstange aus dem Ring heraus, kam auf die Beine und kroch erschöpft zurück, wo eben noch sich die bebende Masse vor ihm aufgetürmt hatte. Dort am Boden lag Psudi, reglos, seinen Stab noch immer in der Hand. Wenige Schritte von ihm entfernt ragte ein zerfledderter Flügel aus dem Schlamm. Hastig zerrte Sorla den Vogelkörper heraus und legte ihn
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beiseite, dann wandte er sich Psudi zu. Er hob ihn an, Kopf nach unten, bis Psudi das Wasser aus Mund und Nase rann. „Oh Anod!“ flüsterte er. „Gib, dass dein treuer Diener lebt!“ Er drückte und bearbeitete ihn, wie er es bei den Feuerreitern gelernt hatte. Ab und zu horchte er; einmal schien ihm, dass ein Augenlid zuckte. Das ermutigte ihn, er bemühte sich weiter, horchte immer wieder voller Hoffnung, und schließlich sah er, dass Psudis Augenlider flackerten und er aus eigener Kraft atmete. Erschöpft setzte sich Sorla neben ihn. Dann fiel ihm der Kauz ein, aber der war tot. Jetzt erst konnte sich Sorla um eigene Belange kümmern. Sein Bogen hing noch über seiner Schulter – Atne sei Dank! Auch der Köcher war ihm geblieben, doch die Pfeile hatte das wirbelnde Wasser heraus und davon gespült. Er goss seine Stiefel aus und trocknete Schlangenzahn, dann zog er die Kleider vom Leib, wand sie aus und zog sie klamm und kalt wieder an. * Er wachte auf, als etwas gegen sein Bein rollte. „Verzeih, Sorla“, flüsterte Psudi. „Hab‘ ich dich geweckt?“ Statt einer Antwort drückte Sorla ihn an sich. Psudi rieb sich verlegen die Hasenscharte. „Was ist geschehen? Ich weiß nur noch, dass ich in was reingefallen bin und furchtbar Schmerzen hatte.“ „Du bist ohnmächtig geworden und dann fast erstickt, vielleicht auch ertrunken.“ Sorla berichtete, was geschehen war. „Anod sei gepriesen! Aber der arme Hughu ... Und wieso konntest du dich retten, Sorla?“ „Ich denke, ich war schnell genug draußen, bevor die Schmerzen mich lähmten. Oder Atne ... ich weiß nicht.“ Sorla brach ab, denn wichtig war jetzt nur, hier wegzukommen. Also standen sie auf, Psudi packte den toten Hughu am Flügel („Ich kann ihn doch nicht einfach so liegen lassen!“) und sahen sich um. Jetzt, nachdem das riesige Wasserwesen verschwunden war, entdeckten sie den riesigen Spalt an der rückwärtigen Wand. „Das ist der Zufluss“,
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sagte Sorla, denn er hatte vor Jahren etwas Ähnliches in der alten Zisterne von Bishoumat gesehen. „Irgendwo dort oben muss es ein Rad geben, mit dem man ihn öffnet.“ Er deutete zu dem Mauerrand hoch über ihnen. „Damit in Kriteis die Brunnen wieder sprudeln.“ „Richtig. Aber der Graf muss einen anderen Weg genommen haben – sonst hätte es ihn ja ebenfalls nach Kriteis gespült.“ „Und er würde in den Brunnen sprudeln“. Traurig schlenkerte Psudi seinen toten Kauz. Sorla sah sich die Wände genauer an, Stück für Stück. An einer Stelle ragte ein kurzes, von Grünspan überzogenes Rohr aus der Mauer hervor. Das Ende war abgebrochen. Dies mochte einmal ein langer Hebel gewesen sein und hatte sicher einen Zweck. Versuchsweise rüttelte Sorla daran. Das Rohr bewegte sich ein bisschen, aber die vereinte Kraft von Sorla und Psudi reichte nicht aus, es wirklich zu verschieben. Sorla fiel die Eisenstange ein. Sie war nicht das abgebrochene Ende, dafür war sie zu schmal; aber man konnte sie in das Rohr stecken. Sorla tat das und drückte den so verlängerten Hebel nach unten. Hoch über ihnen knirschte etwas, Wasser rauschte und gurgelte hinter der Wand, dann begann ein langsam mahlendes Geräusch. „Oh, sieh doch!“ rief Psudi. Von oben senkte sich an einer rasselnden Kette ein Korb herab – alles aus Bronze und mit Grünspan überzogen. Schnell stiegen die beiden in den Korb und Sorla ließ die Eisenstange los. Der Hebel schlug nach oben, die Eisenstange fuhr heraus und fiel klappernd zu Boden. Der Korb aber ruckte an, und während hoch über ihnen irgendwelche Räder und Walzen mahlten und knirschten, schwebten sie an der senkrechten Wand entlang in die Höhe, bis der Korb am Mauerrand zum Stehen kam. Hier war es weit heller, denn eine Seite dieser Halle, in deren Mitte das tiefe Becken lag, war mit kleinen Fenstern versehen. Sorla blickte über ein breites Tal hinweg auf die Flanke eines
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bewaldeten Berges. Zur Seite hin sah man eine gebirgige Landschaft. Im Tal mischte sich junges Grün der Laubbäume zwischen das dunklere Grün der Tannen und Fichten. Kühle Luft wehte herein, die würzig nach feuchter Erde und Nadelbäumen roch. „Wo sind wir?“ fragte Psudi beeindruckt. Sorla wusste es auch nicht. Er sah sich in der Halle um. Die Wände waren mit Mosaiken geschmückt, die Waldtiere, auch Drachen und Jagdszenen aus längst vergessener Zeit zeigten. Ein mäanderndes Band umschloss die ganze Halle; es stellte in grünen und blauen Steinchen eine Schlange dar, die sich durch die Wiesen und Wälder der Jagdszenen wand. Auch die Decke war reich geschmückt, die Mitte bildete ein blaues Herz. „Wieso ein Herz?“ fragte Psudi. Sorla fiel ein, was sein Vater ihm einst erklärte. „Du musst es anders herum betrachten, Psudi.“ „Gut, ein Lindenblatt, aber weshalb blau?“ „Es sind zwei Wassertropfen, die aus einem Tropfen entstehen – das Zeichen Tul-uglurs. Es zeigt das Wunder der Wasservermehrung.“ „Dann ist dies ein Ort Tul-uglurs?“ „Alle alten Zisternen sind es. Aber dies ist die erste, die nicht in einer Stadt liegt.“ „Klar“, sagte Psudi und rieb sich nachdenklich die Hasenscharte. „In den Städten kommt das Wasser an, und hier ist der Ort, wo es herkommt.“ „Dann wären wir an der Quelle von Tul-uglurs Macht. Aber das Wasser führt von hier nur zu den Brunnen von Kriteis, wie wir wissen. Wo kommt das übrige Wasser her?“ Dann schob er diese Überlegungen beiseite und sagte: „Ich frage mich, was der Graf hier sucht!“ Sie gingen weiter, kamen an Nischen und Türen vorbei – und an einem alten, klafterbreiten Rad. Die darüber eingemeißelte Inschrift besagte in altem Hernostisch: „Drehe mich nach links, um die Quelle zu versiegeln.“ „Ich glaube, das ist schon geschehen“, murmelte Psudi. „Sonst würden die Brunnen in Kriteis sprudeln.“ Er griff in die
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Speichen des Rades, um es nach rechts zu drehen, da hörten sie von der anderen Seite der Halle undeutliche Geräusche. Schnell eilten sie in die nächstgelegen Nische und kauerten sich dort nieder. Jetzt hörten sie Stimmen und sich nähernde Schritte, die durch den Raum hallten. „Sie sind gewiss tot. Wahrscheinlich schon verdaut, nicht wahr.“ Sorla erkannte die Stimme des Grafen. Eine andere Stimme antwortete in langgezogenem Näseln: „Der Dunkle Fürst wird sich freuen, das zu hören. Aber ich muss Gewissheit haben.“ „Ich bin mir sicher. Hier oben stand ich und sah mit an, wie sie in das Ungeheuer gerieten, das Ihr aus Wasser beschwort. Dann eilte ich zu euch, um den Erfolg zu melden.“ „Du hattest in letzter Zeit nicht viel Erfolg, Graf. Der Dunkle Fürst braucht jedoch deine Erfolge im Westen; damit wir hier ...“ Jetzt war es kurz still. Dann hörten sie die näselnde Stimme wieder: „Ich kann nichts sehen. Vielleicht sind sie tot, vielleicht auch nicht. Du bist zu voreilig weggegangen.“ „Es ist zu dunkel, nicht wahr. Wenn Ihr wollt, steige ich hinunter und sehe nach“, bot der Graf an. Wie tief war der Graf gesunken, dachte Sorla. Aus einem stolzen Herrscher über ein schönes Land wurde er ein rachsüchtiger Unruhestifter und Kriegstreiber und nun, nachdem er seine Verbündeten sämtlich verloren hatte, musste er anderen zu Willen sein, um den Rest seiner Macht zu retten. „Ich komme mit“, näselte der andere. Kurz darauf hörte Sorla ein metallisches Knirschen, dann das schon vertraute Rasseln der Kette, und als er vorsichtig hinüber schaute, sah er, wie der Korb in der Tiefe verschwand. „Sorla!“ wisperte Psudi. „Das ist die Gelegenheit!“ „Wegzulaufen?“ Doch dann sah Sorla das Glitzern in Psudis Augen, und er nickte. Sie schlichen zum Rand und beobachteten, wie der Korb tiefer und tiefer hinab rasselte. Es war dunkel dort unten, aber sie konnten erkennen, wie der Korb aufsetzte und die beiden Gestalten ausstiegen. Da eilten sie zum Rad, gemeinsam griffen sie in die Speichen und begannen es nach rechts zu drehen. Es war nicht leicht, doch sie schoben und wuchteten die Speichen mit aller Kraft,
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da hörten sie das Wasser brausen, von unten ertönte Geschrei. Sie rannten zum Rand zurück. Eben kehrte der Korb zurück; er war leer. Unten aber strömte durch den offenen Spalt das aufgestaute Wasser mit Macht durch das Becken, wirbelte in die jenseitigen Öffnung davon und riss in seinen Strudeln alles mit sich fort. Einen Augenblick lang sah Sorla noch die schwarzrote Robe des Grafen, dann war auch sie verschwunden. „Jetzt sprudeln die Brunnen in Kriteis wieder“, murmelte Psudi zufrieden. „Und der Graf ...“ Sorla wartete, dass er noch etwas Ergänzendes sagte, aber Psudi rieb sich nur die Hasenscharte. Tatsächlich würde der Graf so schnell nicht in den Brunnen sprudeln – da waren die Gitter am Boden der Zisterne davor. Es würde noch viel Arbeit kosten, den Zugang durch die eingebrochene Halle wieder herzustellen und alles, was inzwischen angespült wurde, aus der Zisterne zu fischen. * Vorsichtig näherten sich Sorla und Psudi dem Ausgang aus der Halle. Als sie von draußen nichts hörten, schlichen sie hinaus und sahen sich um. Dies war ein langer Gang, der sich rechts wie links in weiter Rundung in der Ferne verlor. Er war in helles Licht getaucht, doch waren keine Lampen oder Fenster zu sehen. Die Wände waren blau gekachelt und mit silbernen Friesen von Fischen und Schlangen geschmückt, ähnlich den uralten Räumen, die Sorla unter der Geisterstadt von Batiflim gesehen hatte. Die Inschrift über der Tür, durch sie gekommen waren, besagte: „Damit die Brunnen in Kriteis sprudeln.“ „Na also“, murmelte Psudi zufrieden. Sie wandten sich nach links. Ein paar Dutzend Schritte weiter fanden sie eine Nische, blaugolden ausgekleidet, in deren Mitte auf einem Sockel eine Brunnenschale stand. Auf dem Boden davor fand sich als Mosaik die Inschrift: „Leben und Gesundheit den
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Bürgern von Kriteis!“ Auf dem Boden der Schale war das blaue umgedrehte Herz eingelegt. „Was ist das?“ fragte Psudi. „Es gib in der alten Zisterne von Kriteis eine Brunnenstube mit besonderem Wasser“, erinnerte sich Sorla. „Es wirkt heilend und belebend.“ „Aber wie kommt es dort hin? Ich sehe kein Rohr.“ Sorla zuckte die Achseln. „Irgendein Zauber, denke ich. Vielleicht ist das Tropfenzeichen ein Brückenzeichen.“ „Du meinst das blaue Herz hier drin?“ Psudi tunkte einen Finger in die Schale und leckte ihn misstrauisch ab, dann schöpfte er sich eine Handvoll Wasser. „Mmh, erfrischend!“ „Danke Tul-uglur“, entgegnete Sorla in alter Gewohnheit. Sie folgten weiter dem sanft nach rechts gebogenen Gang, bis sie nach wieder ein paar Dutzend Schritten zu einer Tür kamen, deren Inschrift besagte: „Fülle den großen Speicher in Kriteis.“ „Die alte Zisterne“, flüsterte Sorla. „Die große unter der Stadt.“ Psudi nickte, er wusste es ja. „Dann gibt es wohl viele solcher Türen und Hallen – für jede Zisterne im Hernostischen Reiche eine“, gab er leise zurück. „Und sie werden alle von derselben Quelle gespeist“, mutmaßte Sorla. „Die befindet sich wohl im Mittelpunkt dieses Rundgangs.“ Sie lugten durch die Tür in die Halle; diese sah genauso aus wie jene, aus der sie gekommen waren. Niemand war dort zu sehen – im Notfall ein gutes Versteck, falls ihnen jemand im Gang entgegenkam. Aber zum Gang mussten sie zurück, wenn sie Hukari finden wollten. Sie hasteten weiter und kamen wieder zu einer Nische, ähnlich der vorigen. Die Inschrift auf dem Boden vor der Brunnenschale lautete: „Meine Tränen für das verratene Batiflim!“ Psudi war ganz aufgeregt: „Immer abwechselnd! Mal eine Halle, mal eine Nische, immer in gleichen Abständen!“ Er fuhr sich begeistert über die Hasenscharte. „So ergibt sich ein riesiger Kreis. Wie Anods Sonne mit Strahlen! Bloß dass sie aus Wasser sind und
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die Erde erfrischen!“ Aber Sorla dachte an Batiflim und die Brunnengrotte dort oben. Dort wuchs auch die kleine Buche seiner Tochter Mirre-wyn, zumindest hoffte er, dass sie nicht verdorrt, zerstört, abgefressen war. Er musste unbedingt hin, bevor die Perlek-Leute dort ankamen und vor allem bevor die Zentauren zurückkehrten. Das hatte er ihr versprochen. Der Gedanke, dass Dutzende von Leuten den Platz vor der Brunnengrotte zertrampelten, hungrige Pferde nach jedem grünen Blatt gierten ... Ein Geräusch riss ihn aus seinen Befürchtungen. Weiter vorne, noch jenseits der Biegung des Ganges, hallten Schritte. Sorla und Psudi wandten sich um und flohen – so leise wie möglich – vorbei an den Nischen und Hallen, die sie schon kannten. Die Schritte blieben bald hinter ihnen zurück. Nach der Halle für die Brunnen von Kriteis folgte eine Nische mit Heilwasser für einen Küstenort, von dem Sorla kaum gehört hatte. Wieder hörten sie Schritte, die ihnen entgegenkamen. Rasch schlüpften sie in die Tür zur folgenden Halle – „Fülle den Speicher in Ekritmea!“ – und hindurch. Atne sei Dank, die Halle war leer! Sie eilten zu einem Mauervorsprung und kauerten sich dahinter. Während sie warteten, nahm sich Sorla vor, wenn er wieder in Ekritmea war, dort nach der Zisterne zu suchen. Er hatte sie nie gesehen, auch bei der Bevölkerung schien sie ganz in Vergessenheit geraten zu sein. Es würde die Arbeit der Feuerreiter sehr erleichtern, wenn ... Draußen kamen die Schritte näher, zwei Gestalten verdunkelten im Vorbeigehen die Tür, dann verloren sich die Geräusche in der anderen Richtung. Sorla und Psudi atmeten auf. Vorsichtig verließen sie die Halle und schlichen weiter. Wie Psudi vorhergesagt hatte, wechselten sich Hallen und Nischen in regelmäßigen Abständen ab. Manche Namen und Begriffe, die in den Inschriften erwähnt wurden, kannte Sorla gar nicht. Auch Psudi zuckte oft ratlos die Achseln: „Auch Städte können sterben, Sorla. Oder sie heißen heute ganz anders.“ Noch einmal wichen sie jemandem aus, der den Gang
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entlang kam, bevor er sie sah. Aber auch sie hatten bisher noch keinen der Bewohner gesehen. Was waren das für Leute? Dann, ein paar Türen und Nischen weiter, die wie immer rechter Hand abgingen, öffnete sich zum ersten Mal ein Gang nach links, zum Mittelpunkt des Kreises hin. Sorla suchte vergebens nach einer Inschrift oder sonst einem Hinweis darauf, was sie hier zu erwarten hatten. Vielleicht gab es zur Mitte hin nur diesen einen Zugang, dann brauchte man das nicht. Die Tür war breit, eher ein Portal. Entsprechend breit führte von da eine Treppe in den Berg hinauf. Auch sie war hell erleuchtet, so dass man die Mosaikbilder gut sehen konnte, die in bunten, fröhlichen Farben lange Reihen von arbeitenden Menschen und Zwergen zeigten. Wie sollten sie sich da verstecken, falls jemand kam? Es gab keine Nischen, keine Türen, nur diese breiten, flachen Stufen hinauf zu einem verschlossenen Tor. „Es hilft nichts“, flüsterte Sorla. „Dies scheint der Weg zu sein, den uns Atne bestimmt hat.“ „Dann werden wir ihn mit Anods Hilfe gehen“, gab Psudi tapfer zurück. So schnell wie möglich huschten sie die Stufen hoch und erreichten den Absatz, an dessen hinterer Wand das große Tor war. Sorla sah weder Griff noch Schloss, mit dem es sich öffnen ließ. Er rief sich die Kenntnisse ins Gedächtnis, die er einst als Dieb erworben hatte, und drückte, rieb, schob .... ohne Erfolg. Psudi legte seinen toten Kauz beiseite und half nach bestem Wissen mit, das Tor zu untersuchen, doch auch er fand keine Lösung. Da hörten sie das Geräusch von Schritten. Jeden Augenblick konnten sie entdeckt werden! Wütend zischte Sorla: „Öffne dich, bei Tul-uglur!“ und das Tor schwang auf. Das kam so überraschend, dass Sorla sich erst fassen musste, dann packte er Psudi, zog ihn hinter sich durchs Tor und schloss dieses wieder leise. Sie sahen sich um: Dies war ein runder Saal mit vielen kleineren Ausgängen und einem Hauptgang, der geradeaus weiterführte. Reihen von steinernen Tischen und Bänken füllten den Raum. Entlang den Wänden standen Statuen, die Menschen und
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Zwerge darstellten. Sie trugen Werkzeuge, Pläne, Zirkel und wurden so in ihren Berufen gezeigt. Gerne hätte Sorla die Inschriften mit den Namen und Würdigungen gelesen, aber dazu war keine Zeit. Schon begann sich das Tor zu öffnen, durch das sie gekommen waren, da eilten sie zur nächsten Wand und versteckten sich hinter den Statuen. Herein kamen drei Menschen in langen hellgrauen Kutten. Aber waren es wirklich Menschen? Sie waren sehr groß, sehr dünn, ihre fahlen Gesichter blickten mit regloser Miene umher. An ihren Stirnen hatte jeder eine Warze hängen, so groß wie eine Pflaume und von derselben grauen Farbe wie die Kutten und Gesichter. Der vorderste trug den toten Hughu an der Flügelspitze vor sich her, ein anderer sagte mit näselnder Stimme: „Sollen wir den Dunklen Fürst mit einem toten Vogel belästigen?“ „Dies ist vielleicht ein schlimmes Zeichen“, näselte der andere zurück. „Eine tote Eule sitzt am Eingang unseres Reiches – lassen wir den Dunklen Fürsten entscheiden, was davon zu halten ist.“ Der dritte wandte sich wortlos zurück, hob den Arm und deutete mit drei Fingern auf das noch geöffnete Tor. Da schoss ein Blitz aus den Fingern, das Tor fiel zu. Die drei gingen weiter und verschwanden im jenseitigen Ausgang. „Hast du das gesehen?“ flüsterte Psudi, als ihre Schritte nicht mehr zu hören waren. „Der macht sich nicht mal die Mühe, das Tor von Hand zu schließen; so leicht fällt denen das Zaubern!“ Sorla nickte. „Schlimmer finde ich fast, dass sie das Tor öffnen konnten. Ich glaube nicht, dass sie sich auf Tul-uglur berufen haben.“ Sie beschlossen, zunächst die kleineren Türen zu erkunden. Hinter der ersten Tür, die sie öffneten, lagen, durch einen Flur verbunden, viele verlassene Kammern, die vielleicht einmal als Werkstätten und Wohnkammern dienten. Aber es fand sich kein Ausgang. Bei der nächsten Tür war es ähnlich, hinter der dritten lagen reihenweise Kämmerchen, die ganz deutlich als Abtritt dienten. „Wo floss das hin?“ fragte sich Psudi laut. „Würdest du es als Fluchtweg nützen wollen?“
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„Nein“, schüttelte sich Psudi. „Wahrscheinlich geht es magisch irgendwo in die Erde, das würden wir sowieso nicht überleben.“ Eine der Türen führte in einen großen Raum, der noch Töpfe, Bratspieße, Geschirr und dergleichen enthielt. Die Kupferkessel waren von Grünspan zerfressen, die silbernen Becher schwarz angelaufen, die hölzernen Messergriffe seit langem zerfallen. Der Kamin einer riesigen Feuerstelle war noch immer rußig, es gab Steintische mit Abflussrinnen sowie eine Brunnenschale, die nach wie vor frisches Wasser enthielt. Dies hatte offensichtlich einmal als Küche für viele hungrige Arbeiter gedient. „Ich glaube, es waren Zwerge“, meinte Psudi. „Hast du gesehen, wie kurz die Bettnischen sind?“ „Und wie groß die silbernen Bierkrüge!“ fügte Sorla hinzu. Auch die übrigen Türen führten zu keinem Ausgang. Also blieb nur der Hauptgang, den die drei merkwürdigen Gestalten eine Stunde zuvor genommen hatten. Es fiel auf, dass hier die Beleuchtung düsterer war. Die Wände waren mit schwarzem Tuch verhängt. Als Sorla einen Blick dahinter warf, sah er die gleichen bunten Mosaike wie zuvor. Irgend jemandem schien der Wandschmuck nicht zu gefallen. Sorla und Psudi hasteten den Gang entlang, lauschten aber immer wieder auf Geräusche. Nach vielleicht fünfzig Schritten gingen rechts wie links je eine große, geschlossene Tür ab. Sorla und Psudi folgten jedoch weiter dem düsteren Gang zu einer riesigen Halle, hell beleuchtet und schmucklos. Hier lagerten Marmorblöcke und zu Pyramiden geschichtete metallene Barren – Bronze, Silber, Gold. Auch gab es verschlossene Tiegel, Stapel von Erzstangen und verschiedenen Blechen. Daneben Haufen von Mosaiksteinchen, nach Farben sortiert. Man hatte sie wohl früher in Säcken gestapelt, doch waren diese längst verrottet. Und schließlich Schubkarren, um all das umherzufahren, leider weitgehend zerfallen. „Baustoff ohne Ende!“, flüsterte Psudi beeindruckt. „Was für herrliche Tempel könnte man ...“ „Gute Möglichkeiten, sich zu verstecken, Psudi! Aber wir müssen weiter!“ Er deutete auf die Tür gegenüber. Dieser Gang wirkte mit seinen dunklen Tüchern so düster
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wie der, aus dem sie in die Halle gelangt waren. Nach ein paar Dutzend Schritten kamen sie wieder an zwei geschlossenen Türen vorbei, die rechts und links abgingen. Von vorne ertönte plötzlich Stimmengewirr, auch von hinten hörten sie Schritte; rasch öffnete Sorla die linke Tür und zog Psudi hinein – gerade rechtzeitig, denn noch im Schließen der Tür hörten sie jemanden wenige Schritte entfernt näseln, der Dunkle Fürst habe eine Versammlung angesetzt. „Ein Glück, dass der Gang so düster ist!“ wisperte Sorla und sah sich um. Die Helligkeit des kleinen Raumes blendete ihn fast. Die Wände waren leuchtend blau bemalt, grüne und goldene Schlangenmuster waren in endlosem Band verwoben. Am anderen Ende des Raumes führte eine Treppe abwärts. Psudi deutete auf ein Fries mit Schriftzügen: „Kannst du das lesen, Sorla?“ Zunächst runzelte Sorla ratlos die Stirn, bis ihm die langweiligen Stunden einfielen, als er im Schloss seiner Mutter lernen sollte, die alte Sprache der Sidh zu schreiben. Er war sehr unaufmerksam gewesen, denn sprechen konnte er sie ja. Und schreiben, so dachte er, nun ja, dafür gibt es Schreiber am Hof. „Das da?“ Er lachte verlegen. „Das ist doch die alte Sprache des Perlek-Clans, Psudi. Kannst du das nicht selbst lesen?“ „Ach? Wir haben sie normal geschrieben, mit hernostischen Zeichen. Ich find‘ es toll, dass du diese Schrift kennst!“ Jetzt, unter den neugierigen Blicken Psudis, musste sich Sorla abmühen, diesen unvertrauten Schriftzeichen einen Sinn abzugewinnen. „Irgend was mit Leben. Warte mal, Tochter kommt vor. Kann das sein: Unsere Tochter lebt weiter?“ „Welche Tochter?“ fragte Psudi beeindruckt. „Hier: Zu ... Zus ... – es heißt Zusnild!“ „Die Schlangenfee?“ Sorla nickte. „Lass‘ uns da runter gehen!“ drängte er. Die Treppe führte zu einem kleinen Brunnenraum. Vor ihnen breitete sich von Wand zu Wand ein gekacheltes Becken, gefüllt mit klarem, bläulichem Wasser, in das vier breite Stufen einladend führten. Dann aber ging es senkrecht hinab; das Becken schien weit tiefer zu sein, als ein Mensch stehen konnte.
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„Da sind wieder Schriftzüge“, sagte Psudi, auf die Wand gegenüber deutend. „Da steht: Besuche die Jungfrau der Brunnen, wie es ihr gebührt.“ „Das ging jetzt flott“, lobte Psudi. Sorla nickte stolz: „Ja, man kommt wieder rein. Aber was bedeutet das Ganze?“ Dann fiel ihm die Brunnenjungfrau ein, zu deren Tempel in den Wäldern nahe Ekritmea das Volk alljährlich wallfahrte, und er erzählte Psudi von jener Begebenheit. Die Priesterin hatte die Brunnenjungfrau Zusnild genannt, was ihm damals keine Kopfzerbrechen gemacht hatte. „Es scheint“, sagte er, „dass meine Vorfahrin Zusnild, die Schlangenfee der Legenden, als Brunnenjungfrau eine größere Bedeutung hatte, als ich dachte.“ „Der mythisch-symbolische Zusammenhang von Schlangen und Wasserläufen ist bekannt“, warf Psudi altklug ein. Sorla nickte, denn Entsprechendes war ihm schon mehrfach gesagt worden. „Aber wie besuche ich meine Urahnin gebührend?“ rätselte er. „Was hast du denn damals gemacht – in Ekritmea?“ „Da waren Priesterinnen, die leiteten das Ganze. Eine hielt eine Rede. Und ich war damit beschäftigt, meinen Vater zu retten.“ Psudi blickte enttäuscht. Sorla ergänzte nachdenklich: „Ich musste durch den Teich gehen, unter Wasser, da war ein geheimer Gang ...“ „Wieso bist du nicht ertrunken?“ Sorla schlug ihm auf die Schulter: „Du hast’s erraten!“ Und zu Psudis Verblüffung stieg er die Stufen ins kalte Wasser hinab. „Warte auf mich!“ sagte er noch, bevor er sich sinken ließ. Das Wasser stieg ihm kalt in den Hosen hinauf, höher, höher, und schlug über ihm zusammen. Er atmete weiter, als wäre es Luft. Ihm fiel ein, dass er auch vor kurzem, als er die Eisenstange quer vor den Abfluss zu den Brunnen in Kriteis hielt, um nicht fortgespült zu werden, lange unter Wasser ausharren musste – es war ihm gar nicht aufgefallen. Als er sich tiefer sinken ließ, sah er, dass hinter ihm ein Tunnel wegführte, unter den Stufen verborgen und von außen nicht
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zu erkennen. Diesem folgte er, kam zu Treppen, die hinunter führten, hinauf, um Ecken ... Niemand konnte dermaßen lange die Luft anhalten. Der Tunnel endete schließlich in einer kleinen Kammer. Auch sie war hell erleuchtet, doch im Wasser wirkte alles etwas gedämpfter. Die hintere Wand war geschmückt mit dem hübschen Mosaikbild eines Wesen, halb Mädchen, halb Schlange – Zusnild. Auf dem Boden war in der Alten Sprache die Inschrift zu lesen: „Besuche mich, oh Schlangenkaiser!“ Nun, er war doch schon da! Sorla sah sich ratlos um. Hier war sonst nichts zu sehen außer dem Loch, durch welches das Wasser hereinströmte. Sorla hielt die Hand hin, konnte aber keine Strömung fühlen. Er streckte den ganzen Arm hinein – nichts, keine Strömung. Wozu auch, es gab ja keinen Abfluss. Er hatte den deutlichen Eindruck, dass die Lösung zum Greifen nahe, jedoch er zu begriffsstutzig war. Noch einmal ging er die Anweisungen durch, es blieb das Problem, dass er zum Besuchen aufgefordert wurde, obwohl er schon ... „Schlangenkaiser!“ sagte Sorla. Dieser Zufluss war gerade breit genug, dass eine Schlange sich hindurch schlängeln konnte! Natürlich nicht die riesige Schlange vom Norfell-Fluss, aber er durchaus, wenn es ihm gelang, Schlangenform anzunehmen. Bisher war das zufällig geschehen, bei Vollmond und besonderen Anlässen. Da fiel ihm der letzte Traum ein, in dem ihm die riesige Schlange erschienen war. Sie hatte ihm das Gift genommen, denn er sei keine kleine Schlange mehr, die dergleichen braucht. Und sie brachte ihm das WORT bei. Nun fiel es ihm wieder ein und er sprach es leise, aber deutlich aus. Als das Schwindelgefühl sich legte, schwebte die Schlange im Wasser, suchte die Öffnung des Zuflusses mit dem Kopf und schlüpfte hinein. Tiefer ging es, als ein Mensch mit dem Arm tasten kann, dann aufwärts und wieder lange geradeaus, dann war sie im freien Wasser und tauchte auf. Langsam schlängelte sie, den Kopf über Wasser, um sich umzusehen. Dies war eine riesige, dunkle Grotte, von Höhlenwand zu Höhlenwand mit einem unterirdischen See angefüllt. In der Mitte ragte eine kleine Insel aus dem dunkel glänzenden Wasser, von dort
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leuchtete ein winziges, grünblaues Licht und zeigte den Weg. Als die Schlange näherkam, sah sie jemanden neben dem Licht sitzen, eine junge Frau. Doch beim zweiten Hinsehen war es nur Nebel, oder die unklare Form einer Schlange. Doch dann war es wieder die Frau, und sie sah der schwimmenden Schlange ruhig entgegen. Diese kam näher, erreichte das felsige Ufer und kroch hinauf. „Komm her“, sagte die junge Frau freundlich und hob die Schlange hoch und in ihren Schoß, wo diese sich vertrauensvoll zusammenrollte. „Lange musste ich warten. Endlich hast du den Weg gefunden.“ Die Schlange wollte ein paar passende Begrüßungsworte sagen, doch nur Gezisch kam aus ihrem Maul. Die Frau lächelte. „Schlangengezisch verstehe ich gut, sprich nur, was du auf dem Herzen hast!“ „Du bist Zusnild, nicht wahr?“ Die junge Frau wiegte den Kopf. „Zusnild starb, als sie ein hohes Alter erreicht hatte. Ich bin die Erinnerung an sie; die Brunnenjungfrau, wie sie in den Tempeln verehrt wird. Deine Ahnfrau, wie sie im Gedächtnis der Schlangendynastie fortlebt. Auch die Schlangenfee, die von den Vertriebenen Batiflims gehasst wird – das alles bin ich, und doch bin ich nicht wirklich hier. Hier bündelt sich die Kraft des Wassers, und ich bin – sozusagen – seine Seele.“ Sie lächelte und fuhr der Schlange behutsam den Rücken entlang. „Nun erzähle von dir, junger Schlangenkaiser!“ Die Schlange begann zu berichten, Namen, Herkunft, Kindheit. Dann ging es zunehmend schneller, sie fühlte sich verstanden wie nie zuvor. Sie berichtete über die schwierigen Verhältnisse und die Bemühungen, alles wieder ins rechte Lot zu bringen. Zuletzt erzählte sie, wie sie hierher in diesen Berg gekommen war und welch merkwürdige Wesen hier herrschten. Als sie fertig war, schwieg die junge Frau kurz, während sie gedankenvoll die Schlange streichelte. „Von diesen grauen Wesen mit ihren Warzen hat vor dir noch niemand berichtet. Sie sind also noch nicht lange hier. Aber ich spüre, dass etwas die Kraft des Ortes
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stört. Sie saugen an meiner Macht. Und deshalb ...“ – plötzlich bäumte sie sich als riesiges Schlangenwesen hoch auf, gleißendes Licht umzuckte sie, und sie rief mit Donnerstimme: „Fort mit ihnen! Verjage sie, töte sie!“ Dann saß da wieder die junge Frau und sagte zornig: „Ich kann sie nicht vertreiben, es ist deine Aufgabe, Sorle-aglach!“ Die Schlange war zu Boden gefallen und zischelte nun: „Ich will es tun, aber ich weiß nicht wie.“ „Du hast die Macht! Nütze sie! Und nun ...“ Sie stand auf. „Nun geh!“ Da glitt die Schlange zurück ins dunkle Wasser und schwamm zurück, wo sie hergekommen war. Kurz hatte sie Angst, sie könne den Rückweg in dieser riesigen Höhle nicht finden. Doch wie im Traum fand sie den Ausgang, schlängelte hindurch, gelangte durch das enge Rohr in die helle Kammer und nahm wieder menschliche Gestalt an. Nun ging Sorla durch die hellen Tunnel bis zur Brunnenstube, wo Psudi warten sollte, und tauchte auf. Psudi stand da, umringt von einem halben Dutzend grauer Gestalten. „Zurück vom Ausflug?“ näselte der Anführer. Die Warze an seiner Stirn baumelte unruhig. „Kommt mit, der Dunkle Fürst will euch sehen!“ * Eine der grauen Gestalten ging voraus, je zwei hielten Sorla und Psudi gepackt. Sie waren die Stufen zum düsteren Gang hoch gegangen und wandten sich nach links. Gerne hätte Sorla seine Stiefel ausgegossen, doch er wollte die Grauen nicht auf sein Wurfmesser aufmerksam machen. So tappte er mit Wasser in den Schuhen und auch sonst tropfnass mit. „Ich konnte nichts tun“, wisperte Psudi. „Die kamen die Treppe runter, und ich saß in der Falle.“ „Und weshalb haben sie auf mich gewartet?“ flüsterte Sorla zurück. „Hast du ihnen gesagt ...?“
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„Nein, Sorla. Ich glaube, die lesen Gedanken.“ Der Anführer drehte sich zu ihnen um und näselte mit unbewegter Miene: „So ist es. Eure einfachen Gemüter sind leicht zu durchschauen. Also versucht gar nicht erst, uns Schwierigkeiten zu machen.“ Da sie schon am Reden waren, sagte Sorla: „Eure Warzen sind wirklich abscheulich. Gibt es kein Mittel dagegen?“ Einer der grauen Gestalten wandte sich ihm zu: „Das sind keine Warzen, du Narr. Diesen Hirnzecken verdanken wir unsere Macht!“ „Hirnzecken?“ wiederholte Psudi. „Zecken am Gehirn?“ Er schüttelte sich. Aber der Anführer näselte: „Jede Zecke erweitert unsere Zauberkraft und unser Wissen. Wir Tuchusdes sind durch sie die auserwählte Rasse geworden!“ Tuchusdes! „Die sechste Familie“, flüsterte Sorla. Die Gestalt neben ihm näselte mit unbewegter grauer Miene: „Ja, hier ist dein Siegeszug zu Ende, junger Kaiser.“ Was würde geschehen, wenn man ihnen die Zecken von der Stirn risse, überlegte Sorla. Dann fiel ihm ein, dass die Tuchusdes Gedanken lesen konnten. Zumindest behaupteten sie es; auf seine Überlegungen mit den Zecken hatten sie jedenfalls nicht reagiert. Auch als er an sein Messer dachte, war ihnen nicht aufgefallen! Sollten sie versuchen zu fliehen? Wenn, dann sofort! Sorla stieß dem Tuchus neben sich den Kopf vor die Stirn. Völlig überrumpelt ließ dieser Sorla los und befühlte seine Zecke. Im selben Augenblick ließ Sorla sich fallen, riss den anderen Tuchus, der ihn noch festhielt, mit sich und trat ihm in den Bauch. „Los!“ rief er Psudi zu. Der wand sich halbwegs frei, doch da hob der Anführer den Arm, richtete drei Finger auf sie, ein Blitz zuckte heraus, und Sorla sackte neben Psudi gelähmt zusammen. „Ihr Narren!“ näselte der Anführer mit unbewegter Miene. „Jetzt müssen wir euch tragen!“ Während Sorla hochgehoben wurde, merkte er, dass seine Bewegungsfähigkeit bereits zurückgekehrt war. Er ließ sich das aber nicht anmerken. Zweierlei hatte er nun gelernt: Erstens konnten die
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Tuchusdes zumindest seine Gedanken nicht lesen, und auch mit ihrer Zauberkraft war es nicht weit her – was ihn betraf. Ob Zusnild ihn schützte? Oder sein Regenszepter? Psudi hing aber offensichtlich hilflos im Griff zweier Tuchusdes, der Anführer hatte Psudis Stab aufgehoben und trug ihn selbst. Seinen Freund konnte Sorla nicht im Stich lassen. Also wollte er auf Atne vertrauen und sehen, was auf sie zukam. Gleichzeitig freute er sich, dass nun endlich das Wasser aus seinen Stiefeln lief. All das hatte auf der kurzen Strecke zwischen der Tür zum Brunnenraum und der Halle stattgefunden, die sich nun vor ihnen öffnete – ganz ähnlich der Halle der Zwerge auf der anderen Seite. Hier aber waren alle Tische besetzt mit grauen Gestalten, die ihnen unbewegt entgegen starrten. Sorla achtete darauf, den Kopf scheinbar gelähmt herabhängen zu lassen, doch sah er in der Mitte des Saales eine einzelne Gestalt in schwarzem Umhang sitzen. Neben ihm auf dem Boden lag der tote Körper Hughus. Als sie die Mitte des Saales erreicht hatten, hob der Schwarzgewandete den Arm und schnippte mit den Fingern. Psudi begann sich zu regen und stellte sich hin, Sorla beeilte sich, es ihm nachzutun. „Sorle-a-glach!“ näselte der Schwarzgewandete mit unbewegter Miene. An seiner Stirn schaukelten vier Hirnzecken. „Du kannst uns bei ein paar kleineren Fragen helfen, dann lassen wir dich laufen.“ „Und mein Freund?“ „Meinetwegen auch der.“ „Und Hukari?“ „Wenn sie noch lebt.“ „Wo ist ...“ Ein Blitz aus der Hand des Schwarzgewandeten traf ihn, er krümmte sich vor Schmerz. „Die Fragen stelle ich. Wie hast du uns gefunden?“ „Atne half mir“, stieß Sorla zwischen den Zähnen hervor. Noch immer wütete der Schmerz in seinem Körper. Der Schwarzgewandete winkte gleichgültig ab. „Die Götter
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werden überschätzt. Es war also die Schwarze Dreiheit, die dich uns auslieferte.“ „Das ist deine Sicht; sie wird dich vernichten. Wer bist du überhaupt?“ Doch wenn Sorla gehofft hatte, sein Gegenüber wütend zu machen und zu unbedachtem Tun hinzureißen, hatte er sich geirrt. „Ich bin der Dunkle Fürst, durch mich wird die Dunkle Macht zurückkehren.“ „Das wird Anod verhüten!“ rief Psudi wütend. Der Dunkle Fürst hob den Arm, und aus den ausgestreckten drei Fingern züngelte ein Blitz auf Psudi; dieser brach mit einem Schmerzenslaut zusammen. „Auch möchte ich wissen, was mit dem Graf von Agra geschehen ist“, fuhr der Dunkle Fürst fort, als sei nichts geschehen. „Wir haben ihn fortgespült“, entgegnete Sorla, und etwas trieb ihn zu sagen: „So wie wir auch euch fortspülen werden.“ „Starke Worte, junger Kaiser“, näselte der Tuchus. „Und wie gelangt man zur Innersten Quelle Tul-uglurs?“ „Damit ihr an der Kraft Zusnilds saugen könnt?“ Der Dunkle Fürst nickte und legte abwartend die Hände zusammen. „Das werde ich dir nicht sagen.“ Zum ersten Mal zeigte sich auf dem Gesicht des Dunklen Fürsten ein schmallippiges Lächeln. „Du wirst!“ näselte er. Seine Augen begannen zu glühen, Sorla fühlte sich von ihnen eingesogen, hilflos zappelte sein Geist. „Wie gelangt man zur Quelle?“ wiederholte der Tuchus. „Man schwimmt“, hörte Sorla sich mit seltsam hoher Stimme sagen. „Immer weiter, immer weiter!“ In ihm bäumte sich trotzig etwas auf: Nein, er wird es nicht erfahren. Ich muss Zusnild schützen! Ich muss an andere Dinge denken! Er zwang sich, an Wasser zu denken, während er am Boden lag und sich in Krämpfen schüttelte. Wasser, die Kraft des Lebens – aber nein, das war zu dicht an der Antwort, die der Dunkle Fürst wollte. Schon drängten die Worte hinter seinen Lippen – sie auszusprechen würde ihn von diesem schrecklichen Druck befreien, von dem glühenden Blick erlösen! Sorla knirschte mit den Zähnen
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und wand sich am Boden. Keinesfalls durfte er an Schlangen denken! Er hörte den Tuchus etwas sagen, aber das war weit weg. Sorla dachte an Hughu, der da lag, das war unverfänglich, hatte nichts mit Wasser zu tun, nichts mit Schlangen. Der arme Hughu, wenn er nur am Leben wäre! Ihn mit der Kraft füllen! Genügend davon war hier im Raum, man musste sie nur nutzen! Ihn zurückholen! In diesen unsinnigen Gedanken biss Sorla sich fest: den Vogel mit der Kraft füllen! Sorla stellte sich vor, wie Hughu durch den Raum flog. Hughu flog durch den Raum, setzte sich auf den Kopf des Dunklen Fürsten, rief: „Ah, die Pflaumen!“, und mit seinem kleinen Krummschnabel riss er ihm die vier Zecken von der Stirn. Ein schriller Schrei ertönte, der Dunkle Fürst fuchtelte mit den Armen. Doch Hughu war mit den Worten „Der Geschmack von Pflaumen wird überschätzt!“ außer Reichweite geflogen. Psudi war aufgestanden, vom Bann befreit, und griff nach seinem Stab, um die grauen Gestalten abzuwehren, die sich langsam von allen Seiten näherten. Der Dunkle Fürst richtete drei Finger auf ihn, doch nichts geschah. „Beim Schwarzen Woul!“ kreischte er. „Meine Zauberkraft, ihr habt sie mir genommen!“ Außer sich vor Zorn sprang er auf und rief: „Großer Woul! Hier biete ich dir ein Opfer!“ Das hatte Sorla schon erlebt, im dunklen Saal unter Irkansels Turm. „Jetzt gilt es!“ flüsterte er Psudi zu. „Du musst Anods Licht mit aller Macht beschwören, dann überlebst du vielleicht!“ „Und du?“ Psudi leckt sich erschrocken über die Hasenscharte. „Ich halte mich an meine Ahnen – wir haben hier den Heimvorteil!“ „Großer Woul!“ schrie der Dunkle Fürst wieder, und ein drittes Mal: „Großer Woul! Komm herauf! Dir verdanken wir unsere Macht! Mit unserem Leben stehen wir in deiner Schuld! Wir bitten dich unterwürfig, hole dir dein Opfer!“ Da erscholl ein Brausen, dumpf und grässlich. Aus den Ecken waberte Finsternis heran, das Licht im Saal wurde schwächer
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und erstarb. Aber Psudi beschwor mit lauter Stimme Anods Macht und Güte; an der Spitze seines hochgereckten Priesterstabes erglomm weiß ein strahlendes Licht. Näher rückte die Finsternis heran, lauter betete Psudi. Irgendwo in der Finsternis lachte der Dunkle Fürst und näselte: „Ihr Narren, was kann euer kurzlebiges Lichtlein ausrichten gegen die ewige Finsternis!“ Sorla hatte sein Regenszepter beschworen und hielt es vor sich. „Wasser!“ murmelte er. „Kraft des Wassers, auch in der Finsternis wirkst du, komme und schwemme diesen Unrat fort!“ Aber nichts geschah. Zusnild hatte doch gesagt, er solle die Macht nützen, und jetzt? Sogar den Kauz hatte er wiederbelebt! Was hatte er da besser gemacht? Noch einmal versuchte er es, dabei stellte er sich näher zu Psudi, in den Kreis von Anods Licht. „Im Namen Zusnilds!“ rief er. „Hilf uns, Wasser, gegen diese Schmarotzer deiner Kraft!“ Nichts geschah, wieder nichts. Die Finsternis waberte um Sorlas Füße, Psudis Licht wurde schwächer, als würde es von einer unsichtbaren Faust zusammengedrückt. Von irgendwo klang das irre, näselnde Lachen des Dunklen Fürsten. Die Finsternis kroch an Sorlas Beinen hoch, er fühlte, wie seine Kraft schwand, und brach zu Boden. Aber er ließ das Szepter nicht los, er ließ den Gedanken nicht los: Eine Wand aus Wasser – er sah es schon beinahe vor sich – strömte durch den Saal, flutete um ihn und Psudi herum und begrub alles andere im Wirbel der kalten, gleichgültigen Wogen. * „Lebst du, Sorla?“ Sorla öffnete die Augen und blickte hoch in das besorgte Gesicht Psudis. „Was ist geschehen?“ „Alles in Ordnung, Anod sei gepriesen!“ Der kleine Priester strahlte. Sorla richtete sich auf und sah sich in dem hell erleuchteten
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Saal um. Niemand war da außer ihnen beiden. „Wo sind die Tuchusdes?“ fragte er. „Ich weiß nicht. Da kam eine riesige Wasserwand, das sah ich. Aber alles andere, wo die Tuchusdes waren, lag ja im Dunkeln.“ Er rieb sich die Hasenscharte. „Die schrien nur kurz, dann waren sie unter Wasser.“ „Und wo sind sie jetzt?“ „Das ist ja das Seltsame – fort! Als die Finsternis verschwand, war das Wasser weg und auch alle Tuchusdes, samt ihren Zecken.“ „Nun, entweder hat sich der Schwarze Woul ...“ „Der Besser Ungenannte!“ verbesserte Psudi. „Wie du willst. Entweder er hat sich seine Anhänger als Opfer geholt, wenn er schon uns nicht kriegen konnte ...“ „Gemein eigentlich!“ Sorla lachte. „Oder das Wasser hat sie beseitigt, wie wir es ja wollten.“ „Wie du das geschafft hast, Sorla! Schon bei meinem Hughu hast du ein Wunder gewirkt.“ Auf dieses Stichwort kam der Kauz herbei geschwebt und ließ sich auf Psudis Schulter nieder. „Der Tod im Wasser macht Leichen nasser!“ sagte er beiläufig. „Na, der muss es wissen“, meinte Psudi, als Sorla es ihm übersetzt hatte. Frag‘ ihn, wie Totsein sich anfühlt!“ Aber Sorla hatte es eilig: „Wir müssen Hukari finden, Psudi! Deshalb kamen wir überhaupt hierher.“ „Ja schon, doch es war gut, dass wir hier aufgeräumt haben, oder?“ Sorla drückte Psudi die Hand: „Du hast recht, mein Freund!“ * Da alle Tuchusdes zur Versammlung erschienen waren und
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dort umkamen, brauchten Sorla und Psudi jetzt keine Sorge mehr zu haben, ihnen überraschend in die Quere zu kommen. So konnten sie rasch ausschreiten und alles, was ihnen bisher entgangen war, erkunden. Auch dieser Saal, ähnlich dem der Zwerge, hatte einen zweiten Ausgang. Er führte durch eine breite Tür, dann Treppen hinab, und schon standen sie in einem Gang, der sich in sanfter Linkskrümmung rechts und links verlor. „Aha!“ sagte Psudi. „Der Hallen- und Nischengang!“ Versuchsweise folgten sie ihm ein Stückchen nach links und stießen bald auf „Meine Tränen für das verratene Batiflim“. Damit war das geklärt, und sie kehrten zurück in den Saal der Tuchusdes. Die Nebenkammern, die von diesem Saal abgingen, entsprachen dem des Saales der Zwerge, allerdings waren die Bettnischen erheblich länger und die zierlichen Trinkgefäße weniger geeignet, sie sich gegenseitig über die Schädel zu schlagen. Hier hatten also die menschlichen Arbeiter gewohnt. Kein Wunder, dass es den Tuchusdes hier besser gefiel. Ihre Habseligkeiten lagen noch in den Schlafkammern, aber Sorla hatte weder Lust noch Zeit, sich damit abzugeben. Ein anderes Mal, nahm er sich vor. Aber in der Küche fanden sie frische Lebensmittel und merkten erst jetzt, wie lange sie nichts mehr gegessen hatten. Nachdem sie – auch Hughu – sich satt gegessen und getrunken hatten, versorgten sie sich mit reichlich Vorrat für die nächsten Tage und fanden sogar zwei Rucksäcke, in denen sie all das tragen konnten. Sie verließen den Saal und kamen an die Stelle, wo es rechts zur Brunnenkammer Zusnilds ging. Sie öffneten die gegenüberliegende Tür und fanden vor sich einen dunklen Gang. Bevor Psudi ein kleines Lichtwunder wirken konnte, erglomm der Glygi in hellblauem Schimmer und schwebte ihnen voran. Sie folgten ihm und kamen zu einer breiten Wendeltreppe, die in einer linksgerichteten Spirale abwärts führte, Hunderte von Stufen, so dass ihnen fast schwindlig wurde, und gelangten schließlich vor eine Felswand. Hier roch es feucht und erdig. „Und nun?“ fragte Psudi. „Öffne dich, im Namen Tul-uglurs!“ rief Sorla, und die
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Felswand schwang knirschend beiseite. Das Tageslicht blendete sie. Hughu gab erbitterte Laute von sich und drehte den Kopf nach hinten. Als ihre Augen sich gewöhnt hatten, erkannten sie vor sich das Tal, das sie schon aus den Fenstern der Halle für die Brunnen von Kriteis gesehen hatten. Es duftete nach Gras, das in der Sonne stand, und würzigen Kräutern. „Schön“, seufzte Psudi. „Ja“, entgegnete Sorla. „Jetzt wissen wir, wo der Ausgang ist. Also zurück und die Treppe hoch, wir müssen Hukari finden!“ Psudi stöhnte. Sorla gab ihm insgeheim recht, denn all die Stufen wieder hinaufzusteigen war kein Vergnügen. Nur Hughu, der es sich auf Psudis Schulter gemütlich gemacht hatte, meinte, dass zuviel Sonne nicht gesund sei, Bewegung aber schon. Schließlich kamen sie oben im düsteren Gang an, der Glygi verschwand. Sorla riss einige der dunklen Tücher herunter, schon wurde der Gang heller. Die Wände, die zum Vorschein kamen, waren bunt bemalt, alle paar Schritte unterbrochen von kleinen Nischen mit Statuen. „Psen-galur“ stand unter einer von ihnen, und Sorla warf einen Blick auf dessen Füße, um die Zehen zu zählen, doch Psen-galur trug Stiefel. Dann fiel Sorla ein, dass Psen-galur der vierzehnte Schlangenkaiser war, also erst lange nach Tul-uglur auf den Thron kam – wer also hatte hier die Statue angebracht? Offensichtlich kümmerten auch spätere Kaiser sich darum, dass Tul-uglurs Anlage erhalten und ergänzt wurde. Es sah so aus, als würde das auch zu Sorlas späteren Aufgaben gehören. „Was heißt: Tul-uglurs Anlage?“ entgegnete Psudi, dem Sorla seine Gedanken mitteilte. „Erinnerst du dich, dass in der Brunnenkammer Zusnild als Tochter erwähnt wurde? Zumindest ein Teil ist also noch viel älter!“ „Aber Zusnild wurde sehr alt“, entgegnete Sorla. „Das ergibt keinen Sinn.“ „Gut, dann war es ein Geschenk zu ihrem sechzehnten Geburtstag.“ Psudi zuckte die Achseln. „Oder sie hatte unsterbliche Eltern.“ Sie gingen weiter zur großen Halle mit den Baustoffen. Beim ersten Mal waren sie nur hindurch geeilt, jetzt schauten sie
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sich gründlicher um. Sorla fiel auf, dass auf den Goldbarren kein Staub lag, der die anderen Vorräte bedeckte. „Jemand hat das Gold abgestaubt“, sagte er zu Psudi, „oder umgeschichtet.“ „Vielleicht waren die Tuchusdes so goldgierig?“ mutmaßte Psudi. „Es hat ihnen nichts genützt.“ Sie verließen die Halle durch den anderen düsteren Gang, der zum Saal der Zwerge führte: Auf halbem Wege gingen rechts und links zwei Türen ab, die sie auf dem Herweg nicht untersucht hatten. „Links oder rechts?“ fragte Sorla. „Rechts!“ entgegnete Psudi aufs Geratewohl. Sorla öffnete die Tür und brach zusammen, denn etwas Schweres hatte ihn mit Wucht an der Stirn getroffen. Nur undeutlich nahm er wahr, dass jemand ihn ansprang. Er drehte sich weg, um weiteren Angriffen zu entkommen, und verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, hatte er Schwierigkeiten, die Augen zu öffnen, denn sie waren vom Blut verklebt, das von seiner Stirne sickerte. „Du bist selbst schuld!“ hörte er durch das schmerzliche Pochen in seinem Kopf eine Frau sagen. „Hättest du angeklopft ...“ Dies war die Sprache Batiflims, und er erkannte Hukaris Stimme. Im nächsten Augenblick warf sie sich über ihn: „Es tut mir so leid, Geliebter!“ Sie wollte ihn streicheln und geriet an die Platzwunde; er drehte sich stöhnend beiseite. „Verehrte Hukari!“ hörte er Psudi sagen. „Wir sollten ihn ein wenig ruhen lassen, er hat viel durchgemacht.“ „Ach, und ich nicht?“ kam es zurück, nun ebenfalls in Hernostisch. „Dieser Graf – tagtäglich kam er mir mit seinen Anträgen! Auf Sorla kann ich nicht mehr zählen, sagte er. Er, der Graf, sei bald der neue Kaiser. Mit unerfahrenen Jüngelchen soll ich mich nicht abgeben, sagte er.“ Sie holte tief Luft. „Ich könnt‘ ihm in die Eier treten – zweimal hab‘ ich’s getan!“ Trotz seiner Schmerzen musste Sorla lächeln. „Hukari!“ flüsterte er und versuchte sie durch die verklebten Augen zu erkennen. Aber er nahm nur einen undeutlichen Umriss wahr. „Psudi“, sagte er. „Welche Farbe haben ihre Augen?“
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„Dunkelbraun, fast schwarz. Wieso? Ach so!“ Erleichtert atmete Sorla auf, da hörte er Hukaris erboste Stimme: „Was soll das wieder heißen, bei Ûr-gqâschps!“ „Es gibt Leute, verehrte Hukari“, erklärte Psudi, „die sich für euch ausgaben. Diese Wandler sahen wohl sehr echt aus, bis auf die Augenfarbe.“ „Ich bin echt, am ganzen Körper!“ Argwöhnisch fragte sie: „Du hast dich doch nicht mit denen abgegeben, du Troll?“ Sorla richtete sich vorsichtig auf und sagte: „Nicht einmal, als sie mir ihre Brüste zeigten.“ Gleichzeitige begann er, seine Augen vom verkrusteten Blut freizuwischen, damit er Hukari sehen konnte. „Ach ja?“ Um abzulenken, fragte er: „Womit hast du zugeschlagen, meine Geliebte?“ Er fand, dass sie schöner war als je zuvor. „Mit einem Hocker“, antwortete sie stolz. „Die Fesseln hatte ich endlich ab. Schade, dass du kamst, ich hätte ihn so gern erschlagen!“ „Er ist schon tot“, mischte sich Psudi ein und begann zu erzählen, wie der Graf umkam. Sorla beschwor sein Regenszepter und wirkte ein kleines Wunder des Heilens, so dass sich die Platzwunde an seiner Stirn schloss und die pochenden Schmerzen aufhörten. Jetzt war ihm wieder wohl. „Psudi“, unterbrach er dessen anschaulichen und nur wenig übertriebenen Bericht, „gehe bitte zur großen Halle zurück und zähle die Gold- und Silberbarren!“ „Das dauert aber mindestens eine halbe Stunde, Sorla!“ „Nun geh schon.“ „Wieso? Ach so!“ Als Psudi die Türe hinter sich geschlossen hatte, fielen Sorla und Hukari übereinander her und erkundeten jeder den anderen wie einen verloren geglaubten und endlich wiedergefundenen Schatz. *
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Nach einer guten Stunde hörten sie verhaltenes Räuspern hinter der Tür, dann mehrfach den Ruf eines Käuzchens. Hukari seufzte unwillig. Sorla verstand aber die Mahnung in Hughus „Wer stundenlang schnäbelt, fängt keine Mäuse!“ und erhob sich, um die beiden hereinzulassen. Nun erst sahen sie sich die Räumlichkeiten, in denen Hukari gefangen gehalten wurde, genauer an. Dies waren Gemächer für eine Kaiserin oder Prinzessin – weiträumig und behaglich, in hellen Farben gehalten. Es gab auch Räume für die Dienerschaft und eine Küche. In den meisten Gemächern waren die Möbel mit Tüchern verhängt, um sie vor Staub zu schützen. Hukaris war im Schlafgemach mit einem langen Seil ans Bett gefesselt gewesen, nachdem man ihr die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden hatte. So konnte sie schlafen, aber auch ein paar Schritte umhergehen und für die Notdurft einen Eimer benutzen. „Wie hast du dich dann ausgezogen?“ wollte Sorla wissen. „Ich war sowieso nackt!“ fauchte Hukari, noch im Nachhinein vor Zorn zitternd. „Diese Schweine zogen mich aus und gaben mir die Decke da zum Einwickeln!“ „Welche Schweine?“ „Mala-Priesterinnen!“ „Wandler!“ verbesserte Psudi. „Kein Wunder, dass sie wussten, wie du aussiehst – einschließlich deiner Brüste!“ lachte Sorla. Sie funkelte ihn an. „Zunächst wollte ich dem Grafen diesen Eimer über den Kopf stülpen. Dann entschied ich mich für den Hocker.“ „Atne sei Dank!“ sagte Sorla. Hier war nichts mehr zu tun, entschieden Sorla und Psudi und wollten gehen. Aber Hukari widersprach: „Das kann man nicht so lassen!“ Sie leerte den Eimer aus und säuberte ihn. Auch machte sie das Bett und bedeckte es mit einem Tuch. „Immerhin sind das die Gemächer einer Kaiserin!“ erklärte sie, während sie den Hocker an seinen Platz stellte. „Das sagt ein Mädchen aus Batiflim?“ spottete Sorla.
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Sie umarmte ihn. „Nicht alles am Hernostischen Reich ist schlecht, mein Geliebter!“ Dann ließ sie ihn los, sah sich noch einmal um, ob alles ordentlich aufgeräumt sei, und sagte, jetzt könnten sie gehen. Sorla hatte ungeduldig dabeigestanden, doch als er die Art sah, wie sie sich abschließend umschaute, spürte er: Dieses Mädchen hält es für möglich, wieder hierher zu kommen, und dann will sie ihre Gemächer ordentlich vorfinden. Da fiel ihm etwas ein. Er nestelte den kleinen Beutel heraus, den er an einem Riemen unter seinem Kittel trug, und fischte hervor, was die Wandler ihrem erpresserischen Brief beigefügt hatten – den kleinen silbernen Ring, woran ein winziger Bergkristall glitzerte: „Hier, Hukari, da hab‘ ich was für dich!“ Sie schrie auf vor Wiedersehensfreude: „Mein Ring! Sie griff danach, unterbrach sich und flüsterte: „Ich will, dass du ihn mir ansteckst!“ Das tat er gerne, und sie küsste ihn dafür. Im nächsten Augenblick schob sie Sorla und Psudi samt Hughu aus der Tür mit der Begründung, jetzt, wo sie den Ring wiederhabe, müsse sie was Wichtiges regeln, aber alleine. „Was mag das sein?“ rätselte Sorla, als sie so ausgestoßen im düsteren Gang standen. Verärgert riss er ein paar schwarze Tücher von den Wänden. Psudi fuhr sich über die Hasenscharte. „Ist das ein besonderer Ring?“ „Ihre Sippe hat den Beinamen Drachenfreunde. Und sie hat das Amt als Die mit dem Drachen spricht. Denn in den Bergen dort haust ein mächtiger Drache, mit dem kann sie reden, wenn sie den Ring vorweist.“ „Beeindruckend! Sie redet mit Drachen? Kein Wunder, dass sie bei den Stämmen in Batiflim solch großen Einfluss hat. Obwohl, das mit den Drachenfreunden hab‘ ich gehört. Das hättest du den Perlek-Leuten erzählen können. Aber hier ist nicht Batiflim, oder?“ „Deshalb weiß ich auch nicht, was sie tut. Frauen!“ „Oder sie freut sich noch ein bisschen über den Ring“, schlug Psudi vor. „Und dass du ihn ihr angesteckt hast. Vor mir als
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einem Priester ist das schon fast wie Heiraten.“ „Das verhüte Atne!“ erschreckte sich Sorla. „Du musst dich an den Gedanken gewöhnen. Auf Dauer ist das nichts – du in Ekritmea, sie in Batiflim, und alle Jahre mal seht ihr euch zufällig.“ „Öfter!“ verwahrte sich Sorla. „In der letzten Zeit wesentlich öfter!“ Misstrauisch betrachtete er seinen kleinen Freund: „Sag‘ mal, habt ihr beiden euch heimlich abgesprochen?“ Bevor Psudi antworten konnte, trat Hukari aus der Tür und verkündete, jetzt sei sie fertig. Der kleine Silberreif mit dem winzigen Bergkristall glitzerte an ihrer Hand. * Sie standen vor der anderen Tür. „Hier müssten dann die Gemächer des Kaisers sein“, mutmaßte Sorla. „Du meinst, sie schliefen getrennt?“ Hukari zog einen Schmollmund. „Würdest du das wollen?“ Sorla öffnete diese Türe wesentlich vorsichtiger, obwohl mit einem zweiten Hocker nicht zu rechnen war. Sie standen in einem eindrucksvoll ausgestatteten Vorraum; Wandteppiche kündeten von Schlachten und großen Taten, davor luden Bänke und Sessel zum bequemeren Warten ein, bis man vorgelassen wurde. Der Boden bestand aus edlem Holz mit eingelegten Mustern. Leider lagen überall leere Bierkrüge und abgenagte Knochen herum. In einer Ecke lag ein unordentlicher Haufen von Fellen und Decken, die wohl als Schlafplatz dienten. Es roch streng. „Männer!“ sagte Hukari abfällig. Aber Sorla runzelte die Stirn. „Das stammt nicht vom letzten Kaiser.“ „Vielleicht hat der Graf ...?“ schlug Psudi vor. Sorla durchquerte den Raum und klopfte an der gegenüberliegenden Tür. „Graf?“ dröhnte von drinnen eine tiefe Stimme.
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„Nein. Hier steht Sorle-a-glach und will sehen, wer der Freund des Grafen ist!“ „Sorle-a-glach?“ kam es überrascht zurück. „Der junge Kaiser?“ Irgend etwas rumpelte zu Boden und rollte davon. „Eben der!“ „Beim Barte Brothenfimpirs, das höre ich gerne! Warte kurz, dann wirst du gebührend empfangen!“ Es rasselte, schepperte, schwere Schritte gingen hin und her, dann öffnete sich die Tür. Heraus trat ein Zwerg, breitschultrig und größer als die meisten seiner Rasse. Sein Harnisch war blutrot bemalt, darüber wölbte sich der pechschwarze Bart. Über der Schulter trug er zwei Schwerter; eines davon war ungewöhnlich schmal und glühte schwach. Jetzt kam der Zwerg einen Schritt näher, und das Schwert leuchtete noch stärker. Der Zwerg blinzelte Sorla unter buschigen Brauen an. „Ruslingir bin ich“, dröhnte er in der Guten Sprache der Berge, „einziger Sohn Orthunins des Gewaltigen, der König war unter den Weißen Bergen, bevor du Hurmothin dem Schlächter halfst, ihm den Bart zu stutzen, worauf er König wurde an Stelle meines Vaters.“ „Sei gegrüßt in meinem Haus, Ruslingir, auch wenn ich böse Absichten ahne“, erwiderte Sorla in derselben Sprache. Dieses Schwert kam ihm irgendwie bekannt vor, es war mit unguten Erfahrungen verknüpft. Ruslingir nahm die Waffen von der Schulter; das eine Schwert ließ er, Griff voraus, zu Sorla über den Boden rutschen: „Hier, damit du dich an was festhalten kannst, wenn du stirbst!“ Das andere, glühende, aber hielt er mit beiden Händen vor sich: „Wisse, dies ist Schlangenjäger. Es hasst Schlangen noch mehr als ich dich.“ Das Schwert, nur wenige Schritte vor Sorla, zitterte vor hellglühender Wut. „Der Graf hat keine Kosten und Mühen gescheut, mir diese Waffe zu beschaffen.“ Jetzt erinnerte sich Sorla. Das Schwert hatten die Gnome einst geschmiedet, um die gefürchteten Grottenschlangen aus ihren Stollen zu vertreiben. Es spürte die Gegenwart von Schlangen und erglühte dann in wildem Zorn. Und, darauf waren die Gnome stolz, seine tödlichen Hiebe trafen immer. Sorla hatte nicht die geringste
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Aussicht, einen Schwertkampf zu überleben. „Hohoho!“ unterbrach Ruslingir lachend Sorlas Gedanken. „Willst du den Kampf wagen, Schlangenkaiser?“ „Ruslingir! Wem soll ich deinen Tod vermelden? Da du keine Brüder hast?“ Der Zwerg lachte bärbeißig. „Nicht übel geredet, junger Kaiser. Doch dazu wird’s nicht kommen!“ Er machte einen Ausfallschritt. „Auf dem Schlachtfeld im Osten hoffte ich dich zu treffen, junger Kaiser, so war’s mit dem Grafen ausgemacht. Sein zweiter Plan, dir eine Falle zu stellen, ging wohl schief, sonst wärst du nicht da. Also habe ich doch die Freude, dich zu erschlagen. Wir müssen ja nicht bis zur Schlacht im Osten warten!“ Er ließ das Schwert vor sich kreisen, es durchschnitt die Luft mit sirrendem Ton. „Ruslingir, besinne dich! Willst du sterben, so dass dein Vater keinen Erben hinterlässt?“ „Du Narr!“ höhnte Ruslingir. „Dein Köcher ist leer, das sah ich gleich! Also heb‘ das Schwert auf! Oder soll ich dich als Feigling erschlagen?“ „Wenn dies dein letztes Wort ist ...“ „Beim Barte Brothenfimpirs!“ „So grüße deinen Vater in Urskals Nebligen Tiefen!“ Sorla bückte sich, scheinbar um das angebotene Schwert aufzuheben. Dann aber, blitzschnell, mit fließender Bewegung zog er sein Wurfmesser aus dem Stiefelschaft und schleuderte es gegen Ruslingir. Schlangenzahn fuhr oberhalb des Randes von Ruslingirs Harnisch in dessen Hals, so tief, dass selbst der Griff im schwarzen Bart verschwand. Der Zwerg brach mit ungläubigem Blick in die Knie. Er wollte etwas sagen, konnte aber nur röcheln. Dann sickerte rotes Blut durch seinen schwarzen Bart und floss in immer stärkerem Rinnsal daran herab. Er versuchte wieder auf die kurzen Beine zu kommen. Seine Knie zitterten, er fiel vornüber. Das glühende Schwert schlug mit lautem Klang auf den Boden, das edle Holz darunter begann zu verkohlen. Doch Ruslingir stemmte sich wieder hoch. Mit einer
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Hand auf den Boden gestützt, mit der anderen das Schwert haltend, kroch er auf Sorla zu. Die Luft roch brenzlig, so hell glühte Schlangenjäger in seiner Wut. Hukari schrie, Psudi murmelte Gebete – aber einzugreifen fiel ihnen nicht ein, so gebannt waren sie vom Anblick des sterbenden Zwerges. Mit lang ausgestrecktem Arm versuchte Ruslingir einen Hieb gegen Sorla, der längst außer Reichweite war. Der Kopf des Zwerges fiel vornüber, doch weiter kroch er und schlug blindlings um sich. Sein Bart geriet unter das Knie, er fiel vornüber aufs Gesicht, aber noch einmal drückte er sich hoch und kroch weiter, leere Bierkrüge beiseite rollend, bis er in der Ecke des Raumes gegen die Wand stieß. Dort mühte er sich vorwärts in erschreckender Hartnäckigkeit, merkwürdige Geräusche rasselten in seiner zerstörten Kehle, in der Schlangenzahn steckte. Dann, endlich, brach er zusammen, Schlangenjäger entfiel seiner Faust. Dank dir, Atne, dachte Sorla erschüttert. „Anod sei Dank!“ murmelte Psudi. „Der Arme!“ seufzte Hukari, und im nächsten Augenblick lachte sie: „Du fragst, dein letztes Wort? Und es war sein letztes.“ Sorla aber schaute auf das gleißende Schwert. Es hatte sich schon einen Fingerbreit in den Holzboden eingebrannt. Rauchwölkchen stiegen auf und kräuselten sich in der Luft. Da ging er hin, packte es mit beiden Händen am Griff und hob es noch. Das Schwert begann zu toben, schlug hin und her, wollte sich seinen Händen entwinden und gegen ihn kehren, doch er hielt es mit aller Kraft fest. Sorla spürte den Hass des Schwertes in seinem Kopf, ihm wurde ganz schlecht davon, doch er ließ nicht los. Immer heller glühte es auf, immer wütender schlug das Schwert um sich – er konnte es nicht mehr lange bändigen. „Helft mir!“ keuchte er. Hukari und Psudi sprangen herbei und legten ihre Hände um die seinen am Schwertgriff. Nun tanzten sie zu dritt, das Schwert in die Höhe gereckt und von ihm hin und her gezerrt, durch den Raum. Schlangenjäger loderte jetzt wie eine Fackel und zitterte so stark, dass die Luft selbst sirrte und sang. Plötzlich gab es einen Knall, kristallhell und ohrenbetäubend,
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Splitter prasselten gegen die Wände ringsum – das Schwert war zerborsten. Vorsichtig nahmen Hukari und Psudi ihre Hände weg und traten zurück. Nur Sorla hielt jetzt den reglosen, kühlen Griff. „Dies war das berühmteste Schwert in den Gnomlanden“, stellte er fest. „Ich kenne es aus meiner Kindheit.“ Nach kurzem Zögern legte er den Griff beiseite, neben Ruslingirs Leiche. Psudi hob einen der glashellen Splitter hoch: „Das ist kein Eisen. Merkwürdig!“ „Kristall“, sagte Sorla, er war auf einmal ganz erschöpft. „Schlangenjäger wurde einst von Zwergen aus Kristallen und Feuer gefertigt, das lernte ich als Kind von einem gnomischen Lehrer.“ Er musste sich setzen und schloss die Augen.
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Fünftes Kapitel:
DIE ZENTAUREN KEHREN ZURÜCK Die Leiche Ruslingirs legten sie auf zwei zusammengeschobene Bänke, die als vorläufige Bahre dienen mussten. Auf seiner Brust lag der Griff Schlangenjägers neben dem anderen Schwert, zum Zeichen, welch bedeutender Kämpfender Zwerg hier liege. Dann hängten sie eines der schwarzen Tücher darüber. Auf ein Pergament, das sie im kaiserlichen Schreibtisch gefunden hatten, schrieb Psudi nach längerer Beratung: „Hier liegt Ruslingir, Sohn Orthunins des Gewaltigen, des ehemaligen Königs unter den Weißen Bergen. Er stand zu seinem Entschluss und kämpfte tapfer.“ „Später“, sagte Sorla, „wenn ich Zeit für so was habe, sorge ich dafür, dass er einen richtigen Sarg kriegt, aus Stein natürlich, und eine passende Gruft, vielleicht beim Saal der Zwerge.“ Bevor sie gingen, bestand Hukari darauf, dass Psudi und Sorla die Bierkrüge und Essensreste zumindest aus dem Raum entfernten, wo Ruslingir aufgebahrt lag. Sorla entgegnete, es sei Teil von Ruslingirs Leben gewesen, weshalb also ...? „Du Troll!“ kanzelte sie ihn ab, und den Männern blieb nichts übrig, als ihrem Wunsch nachzukommen. * Sowohl die kaiserlichen Gemächer als auch die, in denen Hukari gefangen saß, hatten Fenster, aus denen man die Gegend überschauen konnte. Nun war es später Nachmittag, das Tal lag im Schatten der Berge, an den kühlsten Stellen verschleierte schon der Abendnebel die Auwiesen. Sie beschlossen, die kommende Nacht in „Hukaris Gemächern“, wie Sorla es ausdrückte, zu verbringen. Hukari lächelte und sagte, nichts anderes sei ihre Absicht gewesen.
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Der nächste Morgen fand die drei Gefährten schlecht gelaunt. Psudi hatte verstanden, alle drei, also auch er, würden in „Hukaris Gemächern“ übernachten. Hukari aber wollte, „Bei Marushu!“, mit Sorla alleine sein. Psudi solle in den kaiserlichen Gemächern bleiben, jenseits des Ganges. Nein, sagte Psudi, bei der Leiche Ruslingirs wolle er nicht schlafen – womöglich fange die wieder an zu kriechen, da könne er kein Auge zumachen. Es gebe noch andere Räume in den kaiserlichen Gemächern, wo keine Leichen herumkriechen, entgegnete Hukari. Da habe Ruslingir gehaust und sie zugemüllt, entgegnete Psudi, und stinken würde es auch. Sorla unterstützte Psudis Haltung, worüber sich Hukari erboste: „Ja, weil er dein Freund ist, du Troll!“ Sorla bat sie, vernünftig zu sein, und wies darauf hin, dass auch „Hukaris Gemächer“ aus mehreren Räumen bestünden, also wäre da auch Platz für Psudi. Das machte Hukari erst richtig wütend, denn über ihre Räume wolle sie alleine bestimmen. Jetzt ärgerte sich Sorla: „Was heißt denn deine Räume? Sind wir verheiratet?“ Worauf Hukari schrie, ihn würde sie schon gar nicht heiraten, selbst wenn sie von ihm schwanger wäre, und er könne sich seine Räume sonstwo hinschieben. Dazu wussten Sorla und Psudi nichts zu sagen; sie sahen sich betroffen an. Das Ende vom Lied war, dass Hukari alleine in ihren Gemächern schlief und vermutlich weinte, während Sorla und Psudi, in die kaiserlichen Gemächer verbannt, abwechselnd bei Ruslingirs Leiche Totenwache hielten. „Meinst du, sie ist schwanger?“ flüsterte Psudi. „Wer weiß?“ Zuletzt hatte Sorla Hukari im Winter gesehen, bei den Rungegi im Norden Hernostes, das waren jetzt drei, vier Monate her. „Denkbar wär’s schon.“ „Schwangere Frauen sollen ja unberechenbar sein“, sagte Psudi und fuhr sich über die Hasenscharte. „Das sind Frauen sowieso. Denk nur an Atne, die Schicksalsgöttin.“ „Ja, und Anod in seinem verlässlichen Sonnenlauf – das kann nur ein Mann sein!“ So schön bestätigt in ihrem Wissen um die Unterschiede zwischen Mann und Frau schwiegen sie eine Weile. Sorla überlegte,
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was eine mögliche Schwangerschaft Hukaris für sie beide und das Hernostische Reich bedeuten mochte. Das brachte ihn auf seine kaiserlichen Pflichten zurück: „Erinnerst du dich, was Ruslingir sagte? Er habe mich erst auf dem Schlachtfeld im Osten erwartet – was bedeutet das?“ „Im Osten – was ist da schon?“ überlegt Psudi. „Die Elulmavni in den Sümpfen, die hast du besiegt, und bald trocknen ihre Sümpfe aus. Die Gnome im Hurkoll, die sind dir ewig dankbar. Mehr gibt’s nicht.“ „Doch, Psudi. Die Sümpfe und der Hurkoll liegen im Nordosten von Ekritmea. Aber dahinter beginnt die Taipalsteppe.“ „Ja, Sorla, dort leben die Ramtasi, mit denen bist du befreundet. Vor allem Kirguls Sippe verehrt dich, und die hast du in deinen Briefchen aufgefordert, im Osten des Reiches nach dem Rechten zu sehen – was also soll da noch geschehen?“ Das traf alles zu, dennoch war Sorla beunruhigt. Wieso redete Ruslingir von einem Schlachtfeld im Osten? Schade, dass er ihn nicht mehr fragen konnte. Damit schlief er ein. Als Psudi ihn wachrüttelte, damit er die Totenwache eine Weile übernehme, erinnerte er sich an einen merkwürdigen Traum: Ruslingir und der tropfnasse Graf saßen rittlings auf den zusammengeschobenen Bänken, das schwarze Tuch hatten sie auf den Boden geworfen. Sie zogen sich gegenseitig an der Nase, und als Sorla sie über das Schlachtfeld im Osten befragte, lachte der Zwerg: „Das wird ein blutiger Spaß! Hohoho!“ Und der Graf ergänzte: „Spannend, nicht wahr?“ Wegen der zugeklemmten Nase klang das wie das Näseln des Dunklen Fürsten. Nun schlief Psudi und zuckte unruhig mit den Beinen. Hughu schien auch lebhaft zu träumen, einmal kreischte er „Blut, Blut, Blut!“ und sträubte die Federn. Dann aber steckte er wieder den Kopf unter seinen Flügel und schlief weiter. Kein Wunder, dass sie am Morgen schlecht ausgeschlafen waren, als Hukari kam und ihnen eröffnete, sie habe keine Lust, hier unnötig länger herumzusitzen. Also nahmen sie rasch ein lieblos zubereitetes Frühstück ein, Psudi bemühte sich erfolglos, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, während Hukari und Sorla
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einander anschwiegen. * Es war kalt, vom Rauhreif glitzerten die kleinen Gebüsche vor dem Ausgang in stumpfem Weiß. Noch immer hatte Sorla keine Ahnung, wo sie sich befanden, und vertraute dies auch den anderen an. „Dies sind die Grauen Berge“, sagte Hukari. „Und da mittendrin eines der höchsten Hochtäler.“ „Woher weißt du das?“ wunderte sich Psudi. Sie schwieg. Sorla vermutete, sie habe das mit den Grauen Bergen auch nur aus Schadenfreude nicht für sich behalten, denn um von hier nach Ekritmea oder Kriteis zu kommen, das konnte Wochen dauern, vielleicht Monate. Sie stiegen den Abhang hinunter. Einmal, um Sorla zu helfen, von einem steilen Felsbrocken herunterzuspringen, griff Hukari in alter Gewohnheit nach seiner Hand, danach aber ließ sie wieder los. Sorla erinnerte sich, dass er schon bei ihrem ersten Kennenlernen erstaunt war, wie behende sie in den Bergen zu Fuß war; für ihn hatte sie damals nur freundlichen Spott übrig. Auch jetzt sprang sie voraus wie eine Bergziege, dabei sah sie sich um, als suche sie etwas Bestimmtes. Plötzlich blieb sie stehen, neben einem riesigen grauen Felsblock. Sorla und Psudi, noch Dutzende von Schritten weiter oben, sahen, wie sich der graue Felsen entrollte und riesige, hautbespannte Flügel entfaltete. Ein zackenbewehrter Schwanz schlug zur Seite, dass ein paar Gebüsche entwurzelt durch die Gegend flogen. Dann reckte sich ein Haupt furchterregend in die Höhe, die goldenen Augen schienen zu lodern. „Das Liedchen!“ fauchte der Drache. Also sang Hukari mit ihrer zarten Stimme ein einfaches Liedchen mit merkwürdigem Text, das Sorla aus Batiflim kannte – ebenso wie den Drachen, der dem Gesang auch jetzt mit
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geschlossenen Augen lauschte. „Wie schön!“ fauchte der Drache anschließend. Seine heißen Augen richteten sich auf Sorla: „Nun, junger Kaiser, was macht die Höflichkeit?“ „Ehrwürdiger Grauer vom Berg!“ sagte dieser. „Verzeiht meine Überraschung ...“ „Sie hat dir nichts gesagt?“ „Unsere Pläne haben sich über Nacht geändert“, sagte Hukari. „Ich reise alleine nach Batiflim zurück.“ „Nach Batiflim?“ rief Sorla. „Da muss ich ebenfalls hin!“ „Dann sieh zu, wie du das schaffst.“ Hukari entrollte ihre mitgebrachte Decke und wickelte sie fest um sich herum. „Dort oben wird es sehr kalt“, sagte sie leichthin zu Psudi. „Ohne Wolldecke holt man sich eine tüchtige Erkältung. Aber ihr geht ja zu Fuß.“ „Es ist mir gleich“, schnob der Drache. „Nur warten mag ich nicht länger.“ Er packte Hukari mit einer seiner riesigen Klauen, entfaltete seine Schwingen zu voller Spannweite und flog mit mächtigen Flügelschlägen davon. „Frauen!“ sagte Psudi und fuhr sich über die Hasenscharte. * „Wenn Atne uns wohl will“, sagte Sorla, „dann finden wir in ein paar Tagen eine menschliche Ansiedlung und können vielleicht Maultiere kaufen. Vielleicht auch erst in zwei Wochen, wenn wir wirklich so tief in den Grauen Bergen sind, wie Hukari behauptet. Mit den Maultieren kommen wir rascher vorwärts; Hauptsache, wir finden einen Fluss, den Eldran zum Beispiel, oder den Fregnas, oder auch den Norfell-Fluss. Dann kommen wir schnell nach Ailat ans Meer und nehmen ein Schiff nach Ekritmea.“ „Gut, dass du dich hier auskennst, Sorla.“ Während sie sich so gegenseitig Mut zusprachen, mühten sie sich durch Brombeerranken, junge Brennnesseln und vorjähriges verdorrtes Gestrüpp. Dann kamen sie in einen lichten Wald, dessen
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Boden mit Moos und Farnkraut bewachsen war. Dazwischen, vor allem an etwas höheren, besonnten Geröllhügeln, wuchsen vereinzelt auch Ebereschen und Buchen. Überall lagen Felsblöcke, die wohl einmal von den Bergen herab gekollert waren. Dazwischen vermoderten umgestürzte Fichtenstämme. Während Psudi durchs nasse Moos stapfte und mühsam über die umgestürzten Stämme stieg, zog Sorla es vor, in großen Schritten von Stamm zu Stamm zu gehen. Nur manchmal war der Abstand zu breit, dann musste auch er ins nasse Moos hinab. Einmal blieb sein Fuß hängen – es hatte sich in den morschen Rippen eines Tierskeletts verfangen – von einem Reh, wie er auf den zweiten Blick feststellte. Zehn, zwölf Schritte weiter stand eine kleine Buche und glänzte in der Sonne. Er blieb stehen. Diese Gegend kannte er: den lichten Wald, das Rehgerippe, die Buche ... Er rief: „Mynnenlete, bist du’s?“ Keine Antwort. Er drehte sich nach Psudi um, denn vor ihm war er nicht. Aber hinter ihm auch nicht. „Psudi?“ Keine Antwort. „Mynnenlete!“ sagte er streng. „Gib sofort Antwort! Und tu meinem Freund Psudi nichts an!“ Im nächsten Augenblick fand er sich in einem hellen Raum wieder. Wände waren nicht zu sehen, kein Boden, keine Decke, nur sanfte Helligkeit. Obwohl Sorla genau das erwartet hatte, brauchte er kurz, um sich zurechtzufinden. Vor ihm stand Mynnenlete, schlaksig mit glatten, hellen Haaren. Ihr Gesicht war ernst, doch ihre Augen strahlten vor Wiedersehensfreude. „Ich habe dich draußen herum stolpern gesehen! Aber dein Hasenfreund war so lustig, den musste ich mir gleich herholen.“ „Hasenfreund?“ „Na, guck ihn doch an, er hat eine Oberlippe wie ein Hase.“ Sorla sah sich um, da stand Psudi und hielt sich die Hand vor den Mund. Seine Augen blickten entsetzt und verwirrt. „Ach, ist dir das peinlich, was ich sage? Ich mag Hasen eigentlich nicht, sie wollen immer an meiner Buche knabbern. Im Herbst muss ich Steine um den Stamm aufschichten, um die Rinde
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zu schützen, denn im Winter schlafe ich, und wer passt dann auf die Buche auf? Aber sie sind süß und kuschelig; ich hab schon welche hereingeholt; zum Streicheln – schau!“ Plötzlich lagen im Raum fünf, sechs Hasenfelle herum, ungegerbt natürlich und an der Unterseite mit vertrockneten Fleischfasern behaftet. „Was heißt Gerben? Ach so! Ich mag sie trotzdem streicheln.“ Die Hasenfelle verschwanden wieder. „Ja, du hast draußen keine Hasengerippe gefunden, weil die Wölfe sich die frischen Hasen holen.“ „Mynnenlete!“ versuchte Sorla ihren Wortschwall zu stoppen, doch sie sprach unbeirrt weiter: „Ich weiß, Vater, aber ich kann deine Fragen beantworten, ehe du sie aussprichst. Und dein Hasenfreund, der denkt mal verwirrtes Zeug! Er grübelt noch jetzt über die Hasen nach! Und über seine Eule, die draußen hockt. Aber du bist auch nicht besser; erst wolltest du nach Ekritmea, aber eigentlich musst du nach Batiflim zu Mirre-wyn, weil du dich sorgst; zu den Zentauren solltest du auch irgendwann, aber das eilt nicht so; am liebsten aber würdest du möglichst schnell dieser Hukari nachreisen, und ich soll dich zu Dha-sy-Bato schicken. Also streichle mich und ordne derweil deine Gedanken!“ Sie unterbrach sich und blickte auf Psudi: „Ja, ich habe kein Hemdchen an, weil mein Herr Vater mir nichts mitgebracht hat!“ Da kramte Psudi in seinem Rucksack und zog eines der schwarzweißen Gewänder aus dem Mala-Tempel heraus. „Oh, wie hübsch!“ jubelte Mynnenlete und riss es an sich. „Nur ein bisschen sehr lang!“ Aber schon streifte sie es über und band vorne einen dicken Knoten hinein, damit sie nicht über den Saum stolperte. „Danke, Psudi“, sagte Sorla und nahm Mynnenlete in den Arm. „Jetzt sieht meine Tochter richtig ansehnlich aus!“ „Sorla!“ meldete sich Psudi zaghaft. „Wieso nennt dieses Wesen dich Vater? Bitte erkläre mir endlich, was hier los ist.“ Doch das übernahm Mynnenlete, froh, dass sie wieder etwas zum Reden hatte. Abschließend sagte sie: „So, und wenn du mich gekämmt hast, dann schicke ich euch weiter zu Mirre-wyn, denn das ist es, was du willst, Vater. Ja, deine Eule kommt auch mit, keine Sorge, Hasenfreund!“
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* Wieder umgab sie sanfte Helligkeit, vor ihnen stand Mirrewyn, mit dem gleichen glatten, blonden Haar wie Mynnenlete. Sorla war erstaunt, wie sie sich seit dem letzten Mal verändert hatte. Sie war ein, zwei Jahre jünger als ihre Schwester, aber das ehemals schwächliche Kind hatte im Wachstum so aufgeholt, dass sie nur einen halben Kopf kleiner war. Zudem strahlte sie ein solches Maß an Lebenskraft aus, dass Sorla sie bewundernd angaffte. „Das kommt von dem besonderen Wasser in der Grotte, Vater“, erklärte sie ungefragt und fiel ihm um den Hals. „Das hast du gut ausgesucht! Und jetzt will ich auch so ein Elstergewand wie Mynnenlete.“ Sie wandte sich an Psudi: „Du hast noch eines!“ Rot bis über die Ohren, kramte dieser sein zweites Priesterinnengewand heraus, und Mirre-wyn streifte es mit Schreien des Entzückens über. Statt einen Knoten in den Saum zu machen wie ihre Schwester, schlug sie den Saum um und steckte das Ende durch ihren Gürtel, so dass sich die Länge fast halbierte und sie kniefrei herum tänzelte. „Kaum flügge, schon so eitel!“ meinte Hughu entrüstet. Mirre-wyn schnellte zu ihm herum: „Halt den Schnabel, du zerrupfter Federbalg! Wenn dir was nicht passt, werf‘ ich dich den Dörrern vor!“ Und zu Sorla: „Klar verstehe ich, was dieser Kauz denkt! Aber mich versteht er nicht; dein Hasenfreund muss ihm das mal übersetzen!“ Doch bevor Psudi dazu kam, fragte sie ihn: „Findest du das toll, mit einem Hasengesicht herumzulaufen? Mynnenlete findet auch, dass du blöd aussiehst. Da hat doch keiner Achtung vor dir, und du willst ein Priester sein!“ Psudi lief wieder rot an, da lachte sie: „Ach so, du machst das nicht absichtlich? Du würdest Anod danken, wenn du keine Hasenscharte hättest? Na, dann danke Anod mal, wenn dich das freut!“ Sie fasste ihn derb ins Gesicht und quetschte ihm die
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Oberlippe zusammen: „Ich frage mich, ob das dann besser aussieht!“ Sie ließ Psudis Kopf los und betrachtete das Ergebnis: „Na ja, vorher war es zumindest schlimmer. Was meinst du, Vater?“ Sorla sah Psudi an, ohne ihn zunächst zu erkennen. So sehr war er an die Hasenscharte gewöhnt, nur auf Psudis Augen hatte er geachtet; jetzt aber blickte Sorla in das ebenmäßige Gesicht eines jungen, hübschen Mannes. Eine winzige, kaum sichtbare Narbe führte von der Nasenwurzel herab zur Oberlippe, vom Flaum des Schnurrbarts beinahe ganz verdeckt. „Was guckst du mich so an?“ fragte Psudi besorgt. „Ist da was?“ „Geh raus und guck dich selber an, im Wasserspiegel bei der Grotte!“ sagte Mirre-wyn und bewegte ihren Arm – da war er verschwunden. Sie bewegte wieder ihren Arm, aber diesmal so, als schöbe sie eine Wand beiseite, da blickte Sorla hinaus und sah Psudi vor dem Wassertrog stehen. Jetzt beugte er sich vornüber, blickte ins Wasser hinab, fasste sich ungläubig ins Gesicht, tastete an seiner Oberlippe herum und sank nach hinten ins Gras. Er weinte bitterlich. „Der sieht nicht sehr froh aus“, bemerkte das Kind. „Ich mach es wohl besser wieder rückgängig. Das tut dann aber weh!“ Sorla hob abwehrend die Hand und setzte zu einer Erklärung an, da lachte sie: „Weiß ich doch, mein lieber, dummer Vater! Der muss das erst mal verdauen, das viele Glück!“ Sie lächelte: „Er sieht jetzt richtig süß aus, nicht?“ Sorla nickte. Diese erstaunliche Fähigkeit – ob seine Tochter sie mit dem heilkräftigen Wasser aus Tul-uglurs Grotte eingesogen hatte? Sein Blick schweifte von Psudi weg zu dem Gras – immerhin Gras, letztes Mal war hier nur Staub! Dann schaut er weiter in die Ferne. Dies war keine Hochebene mehr; am fernen Horizont ringsum erhoben sich Berge, an ein paar Stellen hingen Regenwolken. Viel Grün war aber noch nicht zu sehen. Für die Perlek-Leute, die in den nächsten Wochen eintreffen sollten, würden harte Zeiten anbrechen, mit reichlich Arbeit. „Ich weiß“, unterbrach Mirre-wyn seine Gedanken, „du möchtest bald weiter zu Dha-sy-Bato, damit du Hukari treffen kannst. Du hoffst, wenn du dich beeilst, bist du vielleicht sogar vor
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ihr da – dann wird sie aber Augen machen! Ich glaube, wer sich verliebt, ist selbst schuld, aber du musst es ja wissen, wenn du dich zum Narren machen willst. Jetzt streichle mich erst mal und kämme meine Haare, danach hab ich was für dich.“ „Ich streichle dich auch so!“ Sorla ärgerte sich über ihre Ansichten zur Liebe; schließlich liebte er ja auch Mirre-wyn. „Das weiß ich, Vater!“ Sie schmiegte sich an ihn und schloss die Augen. Eine halbe Stunde später war die letzte Strähne gekämmt, das Mädchen erhob sich seufzend. Auf einmal hielt sie in ihren Armen ein längliches Bündel. „Das da hat mir eine Frau gebracht. Du hattest es bei ihr liegen lassen. Sie sagt, du wirst es bald brauchen, denn sie kann in die Zukunft sehen: Große Gefahren und schreckliche Kämpfe – ich hoffe, du überlebst das, Vater!“ Misstrauisch beäugte Sorla das Bündel. „Und wie kam sie her, zu Pferd?“ „Nein, sie war einfach da, mit dem Stier, auf dem sie saß. Und hinterher – schwupp – war sie wieder weg. Aber erst schaute sie sich um, wie weit die Hochebene abgesunken war, ob schon Wasser von den Bergen herbei strömt und so. Die wusste echt Bescheid!“ Flüsternd fuhr sie fort: „Unheimlich war die! Ich glaube, sie war stärker als ich! Ich konnte ihre Gedanken nicht hören; ich hätte sie auch nicht in die Buche zwingen können!“ Das Bündel lag schwer in Sorlas Händen. Vorsichtig rollte er es auseinander. Zunächst fiel ihm ein Brief entgegen: „An den jungen Kaiser! Vastouris schwingt ihre Geisel wieder und gefährdet das Hernostische Reich aus dem Nordosten. Ob es aufblüht oder untergeht, entscheidet sich jetzt. Wecke die Zentauren. Wral ist dir wohlgesonnen, mögen es auch die anderen Götter sein!“ Sorlas Gedanken wirbelten durcheinander. Er erinnerte sich an die Nacht, als er die Stimme der Göttin Wral hörte, und er danach plötzlich im Stall der Rungegi auftauchte – „schwupp“, wie es Mirre-wyn ausdrückte. Er rollte das Bündel weiter auseinander. Es war ein rotgrünes Banner, mit Goldtroddeln am Rand versehen und bunten Stickereien verziert, die ihm nichts sagten. Die hernostische Fahne
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war es jedenfalls nicht. Irgend etwas Hartes lag in der Mitte der Rolle, und als er die Fahne ganz auseinander geschlagen hatte, sah er sein Schwert Hekfir-hul – das war ja bei der Priesterin Wrals liegen geblieben. Als er es anpackte, spürte er, wie das Schwert bebte. Oh Atne! dachte er, denn er hätte es in den vergangenen Unternehmungen und Feldzügen gut gebrauchen können. „Wie lange hast du das schon, Mirre-wyn?“ „Ein Dutzend Tage vielleicht“, antwortete das Mädchen. „Die Frau meinte, du brauchst es jetzt dringender als je zuvor. Du darfst auch keine Zeit verlieren.“ Sorla nickte. „Ich habe verstanden, mein Liebes. Hukari muss warten.“ * Diesmal gab es keine Maultiere, um die Ebene zu durchqueren. Sorla und Psudi wanderten durch unwegsames Gelände, schwer bepackt mit Rucksack, Waffen, dem zusammengerollten Banner und ihren Wolldecken. Psudi war dennoch fröhlich wie nie, immer wieder betastete er seine Oberlippe und lächelte. „Ich konnte deiner Tochter gar nicht mehr danken“, sagte er wohl zum zwanzigsten Mal. „Du hattest es so eilig.“ Sorla nickte geduldig. Eigentlich aber grübelte er noch immer über den Brief nach. Die Zentauren schienen wichtig. Und die Gefahr im Nordosten, das passte zu der Schlacht im Osten, von der Ruslingir gesprochen hatte. Doch was war die Geisel der Vastouris? Auch Psudi hatte ihm nichts sagen können. Es war windig, doch nicht heiß und trocken wie damals, sondern feucht. Über den blauen Himmel jagten einzelne dunkle Wolken, hier und da fiel ein kurzer Schauer, dann strahlte wieder die Sonne. Schlechte Zeiten für Dörrer, dachte Sorla schadenfroh. Einmal hatte er welche gesehen – unter einer überhängenden Felswand, wohin der Regen nicht traf. Aber auch dort würden sie
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sich nicht mehr lange halten können. Der Staub hatte sich durch den Regen nicht in Erde verwandelt, sondern in Matsch. Überall glitzerten Schlammpfützen, weil das Wasser noch nicht seinen Weg gefunden hatte. Auch das würde seine Zeit brauchen, doch schon jetzt keimte und spross es überall. Und die paar Dornbüsche, die es schon vorher auf der Hochebene gegeben hatte, waren bedeckt von Blüten. Eine Schar Enten hatten den Weg hierher gefunden und schwammen in einem der größeren Tümpel herum. „Keine Schnecken“, quakte die eine. „Keine Würmer, nichts zum Fressen!“ „Friss Gras, du Dummchen!“ schnatterte eine andere zurück. „Das ist Neuland hier, da muss man sich einschränken.“ „Sehr wahr, sehr wahr!“, quackelten mehrere. „Was dieses Jahr nicht ist, kommt nächstes Jahr!“ Dann schwiegen sie und schauten misstrauisch zu Sorla und Psudi hinüber. Für das Nachtlager fanden sie ein halbwegs trockenes Plätzchen, wickelten sich in ihre Decken und verzehrten einen Teil ihres mitgebrachten Proviants. Hughu flog auf Jagd aus, kam aber bald enttäuscht und verärgert zurück. „Ein Land ohne Mäuse ist eine Zumutung!“ schimpfte er, während er an einem Streifen Trockenfleisch zerrte, den Psudi ihm anbot. Bevor Sorla einschlief, dachte er an das letzte Mal, als er hier war. Schaurig hatten die Klagen der Geister von der fernen Stadt geklungen, und als sie am nächsten Tag eintrafen, galt es, verzwickte, tödliche Fallen zu überwinden, um zu den Zentauren zu gelangen. Was würde der kommende Tag bringen? Dann fiel ihm wieder das Zerwürfnis mit Hukari ein; der Kummer begleitete ihn in seine Träume. * Sie schliefen bis zum Morgen, ungestört von Dörrern oder klagenden Geistern. Nach einem raschen Imbiss und Psudis
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Morgengebet an Anod machten sie sich wieder auf den Weg. Es war nicht leicht, denn entweder stolperten sie über Felsbrocken, die von jahrhundertelangen Winden freigeweht worden waren, oder sie mühten sich durch Matsch, der an sich in dicken Klumpen an ihre Sohlen heftete. „In wenigen Jahren“, machte Sorla sich und Psudi Mut, „gibt es hier eine bequeme Straße!“ „Aber so lange können wir nicht warten“, entgegnete Psudi verdrossen; er fuhr sich über die Oberlippe, stutzte, erinnerte sich und lächelte: „Ach, Sorla, es ist alles wunderbar!“ In der Ferne sahen sie die Mauern und Türme der verlassenen Stadt. Noch immer wehten die Winde ungehindert über die baumlose Ebene; statt wie früher Staub aufzuwirbeln, jagten sie Sorla und Psudi feinen Nieselregen ins Gesicht. Hughu meinte: „Weht mir Regen in die Augen, kann der ganze Tag nichts taugen!“ Bald aber schien wieder die Sonne aus dem blauen Himmel, und der Wind trocknete Sorlas und Psudis Kleider. Vier Stunden später, zur Mittagszeit, kamen sie bei der Stadt an. Sorla bemühte sich, die Mulde zu finden, in welcher er und sein Vater damals übernachtet hatten, aber es gab viele Mulden hier – vor allem gab es noch immer die Haufen morscher Knochen überall. „Die hätten ein Begräbnis verdient“, meinte Psudi, „wer immer das war!“ Sorla nickte – eine der Aufgaben, um die er sich später kümmern musste. Er näherte sich dem großen, geschlossenen Stadttor. Es bestand aus Bronze und Eichenholz und war gut erhalten. Ein Klopfer in Form eines Apfels, so groß wie zwei Fäuste, war in der Mitte des rechten Torflügels befestigt. Versuchsweise hob Sorla ihn an und ließ ihn mit lautem Knall auf die Bronzeunterlage herabsausen. Dann warteten sie einige Zeit, doch nichts regte sich. „Hätte ja sein können“, sagte Sorla und wandte sich der kleinen Seitentür zu. Damals hatte sein Vater das Schloss mit einem besonderen Schlüssel geöffnet, den er eigens zu diesem Zweck die ganze Reise mit sich geführt hatte; so etwas hatte Sorla jetzt nicht, und was immer er auch versuchte, dem Schloss kam er nicht bei.
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„Bei Ak’men!“ schimpfte er, sich den Schweiß aus den Augen reibend. „Dann müssen wir eben klettern.“ Er blickte an der Stadtmauer hoch – es würde schwierig werden, vielleicht unmöglich sein. „Vielleicht sollten wir uns erst mal umsehen?“ schlug Psudi vor. „Bloß weil du damals durch diese Tür gegangen bist, musst du jetzt nicht ...“ Sorla nickte. Also begannen sie die Stadtmauer zu umrunden und suchten nach kleinen Pforten, versteckten Eingängen, Fensterluken und ähnlichen Möglichkeiten, Zugang zur Stadt zu gewinnen. Doch die Stadtmauer schien lückenlos geschlossen. Nach zwei Stunden waren sie wieder beim Stadttor angekommen. Es stand offen. Auf der Straße dahinter stand ein wildbärtiger Zentaur, den Bogen schussbereit; ein Huf scharrte nervös. „Bei Anod!“ flüsterte Psudi und beäugte das Wesen aus Pferdeleib und muskelbepacktem menschlichem Oberkörper. „Wie in unseren Überlieferungen!“ Der Zentaur trabte ein paar Schritte vorwärts. „Ich bin Enaiphalos. Azluthos bat mich, ich möge das Tor öffnen für wichtigen Besuch. Wenn ihr das seid, so kommt herein!“ Das taten sie. „Er spricht die Sprache der Perlek-Leute!“ staunte Psudi. „Nein“, widersprach der Zentaur, während er den einen Torflügel, der ihn um die doppelte Körpergröße überragte, schloss, ohne dabei Pfeil und Bogen aus der Hand zu legen. „Die PerlekLeute sprechen die Sprache, die sie von uns einst lernten!“ Dann machte er sich an den zweiten Torflügel, und Sorla und Psudi halfen ihm, ihn zu schließen. Danach fand Sorla es an der Zeit, sich vorzustellen. „Mein Name ist Sorle-a-glach, Kaiser des Hernostischen Reiches. Dies ist mein Gefährte Psudi, Anodpriester in Kriteis. Ich grüße dich, Enaiphalos, und bedaure, dass du unsretwegen warten musstest. Wir dachten, niemand käme auf unser Klopfen hin, und suchten einen anderen Zugang.“ „Das Warten schert mich wenig, Sorle-a-glach, denn auf
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den Besuch des Kaisers warten wir Zentauren schon seit Jahrhunderten.“ „Ich weiß“, antwortete Sorla. „Arphelos sagte es mir.“ „Arphelos schläft; ich habe ihn vor einem Jahr abgelöst und wache jetzt statt seiner.“ Der Zentaur wandte sich um und winkte ihnen zu folgen. Es ging die breite Straße entlang, an zerfallenen Gebäuden entlang. Hier links waren Sorla und Tok-aglur damals abgebogen, doch Enaiphalos trabte geradeaus weiter bis zu einem gut erhaltenen Prachtbau zu Ehren Sinn-he Fala des Leuchtenden. Zwei breite Treppen, rechts und links, führten zum Eingang hinauf, doch Enaiphalos blieb neben der leeren Wand zwischen den Treppen stehen. „Was siehst du hier?“ fragte er Psudi. „Ich? Na, die Wand mit dem Fries zwischen den Treppen, mit Blumen und so.“ „Und du, Sorle-a-glach?“ Sorla sah unterhalb des Frieses eine Inschrift, verschwommen und unwirklich, als schwebe sie einen Fingerbreit vor der Mauer. Er las: „Tritt ein mit deinem Regenszepter!“ „Probe bestanden, Kaiser!“ sagte Enaiphalos zufrieden. Jetzt endlich steckte er den Pfeil wieder in den Köcher auf seinem Rücken und hängte sich den Bogen über die Schulter. „Dann tretet ein!“ Sorla berührte die Wand unter der Schrift, drückte ein wenig, und eine Tür, die noch eben nicht zu sehen war, schwang zur Seite. Nach Sorla trat Psudi ein, mit Hughu auf der Schulter, hinter ihnen schloss der Zentaur die geheime Tür. Vor ihnen führte ein schwach beleuchteter Gang schräg nach unten. Die Hufe des Zentauren klapperten voran, sie folgten im Laufschritt. Nach ein paar Dutzend Schritten erreichten sie eine kleine Halle. Enaiphalos wandte sich um und sah Sorla mit merkwürdigem Lächeln an: „Azluthos gewährte uns Zuflucht in den geheimen kaiserlichen Räumen unterhalb des Palastes. In all den Jahrhunderten seitdem war kein Kaiser hier, um sich daran zu stören.“ „Auch mich stört es nicht, Enaiphalos. Azluthos handelte richtig. Wo sonst hättet ihr Zuflucht finden können?“ Wozu die kleine Halle ursprünglich diente, war nicht ganz
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ersichtlich. In der einen Ecke war Stroh aufgeschüttet, auf dem eine schwere, mit Stickereien versehene Decke lag, die ursprünglich als Teppich oder Wandbehang gedient haben mochte. Deutlich zeichnete sich in der Mitte dieses Lagers eine Kuhle ab; hier pflegte ein schwerer Körper zu ruhen. In der Mitte des Raumes stand ein kleiner Springbrunnen mit Trinkbecken, der leise vor sich hin plätscherte. Daneben lagen auf einem Tischchen Früchte, Nüsse und gekochte Eier. „Wo kommt das her?“ wunderte sich Sorla. „Doch nicht aus Batiflim!“ Der Zentaur lächelte. „Das Wunder der allbereiten kleinen Mahlzeit ist Teil dieses Raumes seit jeher. Mag sein, dass Sinn-he Fala der Leuchtende sich hier gelegentlich zurückzog – mit seiner Zusnild oder ohne sie, wer weiß? Allerdings hat Azluthos, als er uns herbrachte, das Zuckergebäck durch Nüsse ersetzt. Die sind auf jeden Fall gesünder.“ Er machte eine einladende Geste: „Setzt euch auf mein Lager, esst und trinkt!“ Dann stand er dabei und sah zu, wie Psudi und Sorla dankbar etwas frisches Obst aßen. Hughu hackte vergnügt mit seinem Krummschnabel an einem gekochten Ei herum und meinte: „Selten war die Jagd so einfach und die Beute so leicht zu rupfen!“ Nachdem sie den Imbiss beendet hatten, bot der Zentaur an, ihnen weitere Räumlichkeiten zu zeigen, beispielsweise einen Ruheraum, wo sie rasten konnten. Sorla schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht gekommen, um meine kaiserlichen Gemächer zu besichtigen, sondern ich kam wegen euch Zentauren.“ Enaiphalos stand regungslos, die Arme vor den Brustmuskeln verschränkt. „Ich höre.“ „Mein Vorfahr Sinn-he Fala der Leuchtende hob einst dieses Tal an und verwandelte es so in eine dürre Hochebene. Bei meinem ersten Besuch hier zeigte mir Arphelos euer schlafendes Volk. Ich bekam eine Ahnung von seinem Leid und von der verzweifelten Hoffnung, alles könne wieder werden, wie es einst war. Es ist mir nun gelungen, die Tat meines Vorfahren rückgängig zu machen. Dies ist wieder ein Tal, Regen fällt und die Bäche
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werden von den umgebenden Bergen herabfließen und die Erde fruchtbar machen.“ „Ich habe die neuen Veränderungen gesehen“, sagte der Zentaur. „So war unsere verzweifelte Hoffnung nicht vergebens. Und Azluthos sagte mir, dass es dein Werk sei, Sorle-a-glach. Aber es wird Jahre dauern, bis dieses Tal uns wieder ernähren kann. So lange müssen die Zentauren noch schlafen. Weshalb also kommst du jetzt schon?“ Sorla lächelte. „Erstens: Eine Tagesreise von hier befindet sich eine Grotte, die mein Vorfahr Tul-uglur baute. Sie dient der Erfrischung der Reisenden, welche die Hochebene Batiflims durchqueren wollten.“ „Ich kenne die Grotte nicht, von der du sprichst“, warf der Zentaur ein. „Sie wurde erbaut, lange nachdem ihr euren Schlaf angetreten hattet. Mehr als diese Grotte zu bauen gelang meinem Vorfahren jedoch nicht, um das Leid dieser Gegend zu lindern. Bei jener Grotte wächst nun eine kleine Buche – und dieses Bäumchen darf nicht verletzt werden, darum bitte ich euch!“ Enaiphalos hob erstaunt die buschigen Brauen. „Welch unnötige Bitte! Wir Zentauren lieben die Buchen! Nichts wünschen wir uns sehnlicher, als dichte Laubwälder zu durchstreifen, frei und ungebunden! Wir werden diese Buche in hohen Ehren halten als den ersten Baum, der hier wieder wächst und uns Hoffnung gibt, dass andere Bäume sich dazu gesellen und ein Wald entsteht!“ „Das höre ich gerne. Doch wisse den eigentlichen Grund meiner Bitte: in jener Buche lebt eine Dryade, die mir als meine Tochter sehr am Herzen liegt!“ Der Zentaur lächelte ungläubig. „Eine Dryade? Sorle-aglach, dies wäre zu schön! Noch nie gab es Dryaden in unserem Tal. Unser Ältester reiste einst in ferne Gegenden und berichtete von diesen märchenhaften Wesen.“ „Es gibt sie wirklich“, mischte sich Psudi ein. „Sie hat mir die Hasenscharte weggezaubert!“ Enaiphalos bedachte das eine Zeitlang, nickte und wandte sich wieder Sorla zu: „Und deine Tochter, sagst du? Wie kann das
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zugehen?“ Sorla war gezwungen, die Geschichte seiner Liebschaft mit Ysalde und die der Bucheckern zu erzählen. Der Zentaur lauschte andächtig, wobei er sich bedächtig den Bart strich. „Am liebsten würde ich hin traben und mir das Bäumlein ansehen. Aber dann würde ich meinen Wachposten zwei Tage verlassen, das darf nicht sein.“ Er seufzte tief. Sorla fuhr fort: „Es werden auch Menschen in dieses Tal kommen. Die Leute vom Perlek-Clan wollen es wieder bewohnbar machen, und ich möchte, dass ihr Zentauren Bescheid wisst.“ „Die Perlek waren gute Leute, vor Hunderten von Jahren. Ich hoffe, dass sie auch jetzt friedlich mit uns zusammenleben können!“ entgegnete Enaiphalos. „Wenn sie kommen und uns nicht sehen, werden sie denken, das Tal gehöre ihnen allein!“ „Bei Anod!“ entfuhr es Psudi. „Ich bin selbst ein Perlek! Wir erinnern uns der Freundschaft mit den Zentauren!“ Er wollte sich über die Hasenscharte fahren, besann sich aber. Der Zentaur nickte. „Das mag alles sein. Wir werden bei der kleinen Buche wachen müssen, dass ihr nichts geschieht. Denn bei der Grotte wird jeder vorbei kommen. Dann wissen wir auch, wer ins Tal kommt.“ Er sah Sorla an. „Dies waren zwei gute Gründe, hierher zu kommen, Sorle-a-glach.“ „Es gibt leider noch einen, Enaiphalos. Und dieser ist nicht erfreulich. Es schien der Göttin Wral – oder einer ihrer Priesterinnen – wichtig, dass ich euch aufsuche.“ „Wral? Eine gute Göttin, sie kümmert sich um Wälder und Weiden. Wir haben sie immer sehr verehrt, solange es hier noch Wiesen und Wälder gab.“ Sorla nickte verständnisvoll. „Es gibt aber einen besonderen Grund, weshalb sie mich her schickte. Ich wurde vor der Geisel der Vastouris gewarnt; hast du je davon gehört?“ Enaiphalos beugte sein Haupt zu Sorla herab, seine Stimme zitterte vor Wut: „Hast du die Knochen vor der Stadtmauer gesehen? Das war die Geisel der Vastouris; Hunderte von ihnen haben es mit dem Leben bezahlt, dass sie Batiflim überfielen. Aber neben ihnen liegen auch Hunderte von Perlek-Kriegern und Zentauren,
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unbestattet und ein Spiel der Geier und der Winde – dabei waren sie heldenhaft gestorben, um die Stadt vor diesem Abschaum der Vastouris zu bewahren!“ „Weshalb hat sie niemand begraben?“ fragte Psudi. „Weil die Einwohner geflohen waren, all die hernostischen Speichellecker und Liebediener des Kaisers! Nur die mit Ehrgefühl und Heimatliebe waren geblieben. Nun kämpften sie, schlugen die Angreifer zurück und bewahrten die Stadt vor der Plünderung. Doch wer jenen Kampf überlebte, den besiegte bald die Dürre. Die Perlek zogen über die Berge davon, uns Zentauren gewährte Azluthos Zuflucht im Herzen von Batiflim.“ „Eine traurige Geschichte“, flüsterte Psudi. „Doch wer ist das, die Geisel der Vastouris?“ „Sie folgen der bösen Göttin Vastouris. Wie die Ramtasi sind sie ein Reitervolk der Taipal-Steppe, doch sie ziehen umher, um zu plündern und zu morden. Sie arbeiten nicht, bebauen nicht den Boden, sie züchten nicht einmal ihre eigenen Pferde, sondern alles stehlen sie von anderen. Und wenn eine Landschaft durch sie ausgeblutet ist, ziehen sie weiter.“ „Ich habe bisher nie von ihnen gehört“, sagte Sorla. „Weil sie sich in fernen Ländern umhertreiben. Für mich aber, der ich die Jahrhunderte verschlief, ist es wie gestern, dass sie kamen, die Bewohner erschlugen und alles verwüsteten.“ „Sie kommen zurück, Enaiphalos. Ich brauche eure Hilfe, denn es wird erneut zum Kampf kommen!“ „Bist du sicher, junger Kaiser?“ „Noch sind sie nicht hier in Batiflim“, sagte Sorla, „doch dem Brief der Wral-Priesterin zufolge bedrohen sie das Hernostische Reich vom Nordosten her.“ „Nun, vielleicht kommen sie auch hierher – doch sie werden nichts finden und wieder abziehen. Uns Zentauren betrifft es also nicht. Es besteht kein Grund, dass ich die anderen wecke.“ „Sie werden die Perlek-Leute vorfinden.“ „Die müssen sich nur verstecken oder ausweichen; noch haben sie nichts, was sie verteidigen müssten.“ Sorla überlegte. Er konnte Enaiphalos nicht zwingen, seine
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Artgenossen zu wecken. Aber wenn sie nicht mit ihm in den Kampf gegen diese Eindringlinge zogen, dann war das Reich verloren – so wenigstens hatte er den Brief verstanden. Er zwang sich, ruhig zu denken. „Enaiphalos“, sagte er behutsam. „Ist dies eine Sache, die du alleine entscheiden kannst? Oder ist sie so groß, dass du dich mit anderen Zentauren beraten solltest?“ Der Zentaur runzelte die Stirn und scharrte mit den Hufen. Man sah, dass er gekränkt war. Dann aber nickte er und sagte: „Du hast recht, Sorle-a-glach. Ich werde unseren Ältesten wecken. Kommt mit!“ Sorla atmete auf und dankte im Stillen Atne. Enaiphalos durchquerte die Halle und verschwand in einem von mehreren Ausgängen. Die Wände dieses hell erleuchteten Ganges waren blau gekachelt und mit Friesen mit silbernen Fischen und Schlangen geschmückt. „Den Gang kenne ich!“ sagte Sorla. Von weiter vorne dröhnte die Stimme des Zentauren: „Diese Gänge sehen alle ähnlich aus. Du warst in einem, der vom Herzen Batiflims abgeht; das ist aber weiter drüben!“ Ein paar Hufschläge später ergänzte er: „Aber auch dieser führt hinunter zu unserer Schlafstelle!“ Und schon öffnete sich vor ihnen eine weite Halle. Sie war in dämmriges Halbdunkel getaucht, von weit oben drang ein wenig Licht. Dicht beieinander, soweit man sehen konnte, lagen Zentauren und schliefen. Die Bäuche hoben sich in langsamem Atem, manchmal zuckte ein Huf. „Bei Anod“, flüsterte Psudi überwältigt. „Das sind Tausende!“ „Über achttausend“, bestätigte Enaiphalos leise. „Ungefähr dreitausend davon Krieger, die übrigen Stuten, Fohlen oder alte Leute.“ Er bedeutete ihnen, am Rande der Halle zu warten, er selbst bewegte sich, vorsichtig seine Hufe setzend, zwischen den Schlafenden hindurch ungefähr zweihundert Schritt weit in die Halle hinein. Dort beugte er sich über einen der Schlafenden. Nach kurzer Zeit hob dieser den Kopf. In der Entfernung war nur zu erkennen,
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dass er weiße, wirre Haare trug. Er rappelte sich mühsam auf, Enaiphalos half ihm dabei. Endlich stand er schwankend auf seinen vier Hufen und erholte sich von der Anstrengung. Hughu betrachtete den Vorgang mit verdrehtem Kopf, dann äußerte er mitfühlend: „Das Alter ist ein Beschiss!“ Sorla gab ihm in Gedanken recht und hatte fast schon schlechtes Gewissen, dass der greise Zentaur seinetwegen geweckt wurde. Nun kamen die beiden Zentauren näher – der alte voraus, Enaiphalos ehrfürchtig hinterher. Der Alte blieb ein paar Schritte vor Sorla und Psudi stehen. Die weißen Haare standen wirr nach allen Seiten, auch der Bart war vom langen Schlafen verlegen. Er sagte mit heiserer Stimme: „Lasst uns hinaufgehen, damit wir die anderen nicht wecken!“ Damit trabte er allen voran den Gang hoch; er ächzte ein bisschen, wurde aber nicht langsamer. In der kleinen Halle angekommen, trank der Alte etwas Wasser, dann trabte er wortlos weiter. Enaiphalos hob die Hand, dass Sorla und Psudi hier warten sollten. Sorla verstand, dass der Alte hinaus auf die Straße ging, um sein Wasser abzuschlagen. Kurz darauf kehrte der Alte zurück und wandte sich den anderen zu. „Ich bin der Älteste, und so werde ich angeredet. Enaiphalos weckte mich, denn, so sagte er, der Kaiser brauche Hilfe gegen die Geisel der Vastouris.“ Er blickte auf Sorla und Psudi herab. „Wer von euch beiden ist der Kaiser?“ Sorla neigte den Kopf, begrüßte den Ältesten und erzählte noch einmal, was er schon Enaiphalos auseinandergesetzt hatte. Als er fertig war, wandte sich der Älteste an Enaiphalos und sagte: „Ich übernehme die Wache für dich. Trabe zu der Grotte im Westen, von welcher dieser junge Mensch sprach, und sieh nach dem Rechten. Ich werde morgen eine Ablösung schicken.“ Enaiphalos nickte, nahm sich zwei Äpfel auf Vorrat mit und verschwand durch den Ausgang. Der Älteste lagerte seinen ausgemergelten Pferdeleib auf dem teppichbedeckten Strohhaufen und aß in Ruhe einen Apfel. „Ihr könnt stehenbleiben, wenn ihr mögt“, schlug er vor, „oder setzt euch auf den Boden.“ Also entrollte Sorla das Banner und legte es auf den Boden,
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damit sie weicher sitzen konnten. „Wo habt ihr das her?“ fragte der alte Zentaur. „Das hat uns die Wral-Priesterin zusammen mit dem Brief und meinem Schwert geschickt“, antwortete Sorla. Der Älteste nickte gedankenverloren und murmelte vor sich hin. Die beiden setzten sich auf das Banner und warteten ab, wann der greise Zentaur endlich mit ihnen ihr Anliegen besprechen würde. Nachdem der Apfel verzehrt war, räusperte sich der Älteste und fragte: „Welcher Falke wühlt gerne im Schlamm?“ Dies schien ein Rätsel zu sein, doch da keiner die Antwort wusste, schwiegen die beiden. Der Zentaur sprach weiter: „Welches Schwein mag beschimpft werden, weil es nicht fliegen kann?“ Sorla und Psudi sahen einander ratlos an. Der Älteste schloss die Augen und begann zu erzählen: „Dies ist die Geschichte von Taras Tochter Vastouris. Hört zu. Einst warf Tara die Falkenäugige ihr Federkleid über und flog über Land, um zu sehen, ob irgendwo ein Held dabei sei, durch Tapferkeit zu siegen oder kämpfend zu sterben. Denn nichts erregt ihr Blut so stark wie der Anblick von Helden im Angesicht des Todes. Mit ihren Falkenaugen sah sie tief unter sich einen Mann, der ihr zuwinkte, und sie flog hinab, um zu hören, was er wolle. Dieser Mann war aber Omschjull, der Gott der Schweinehirten. Erst als sie vor ihm stand, nahm er seine Kapuze ab und gab sich zu erkennen, denn er wusste, dass sie ihn verachtete. ‘Was willst du?‘ fragte sie. Er antwortete: ‘Ich begehre dich, du Schöne mit dem goldenen Haar und den Falkenaugen!“ Da lachte sie und spottete, er habe nutzlose Träume. Omschjull aber begehrte sie noch stärker, wie sie so stolz vor ihm stand, und rief: ‘Was soll ich tun, um mich deiner würdig zu erweisen?“ Da wollte sie ihm eine Lehre erteilen und sagte: ‘Sieh dort jene Höhle! In ihrem Inneren lebt ein ungeheurer Riese, wenn du den besiegst, dann will ich glauben, dass du mutig bist.‘ Aber sie wusste nicht, ob dort tatsächlich ein Riese hause, und auf keinen Fall gedachte sie sich Omschjull hinzugeben. Dieser aber nahm ein Seil und ging in die Höhle hinein. Weil er dort keinen Riesen antraf, machte er sich ein Feuer und wartete darauf, dass der Riese erscheine. Um sich die Zeit zu vertreiben, nahm er sein Seil und
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übte, wie er damit den Riesen fesseln wollte. Tara war zunächst draußen geblieben, nun hörte sie ihn schreien. Das erstaunte sie, dass doch ein Riese in der Höhle wohnte, und sie ging ebenfalls hinein, um den Kampf zu beobachten. Sie sah Omschjull, der vor dem Feuer herumsprang, sich duckte, hochsprang, sein Seil in Schlingen warf und schrie; und sie sah an der Höhlenwand seinen riesigen schwarzen Schatten, der ebenfalls herumsprang, sich duckte, hochsprang und ein Seil in Schlingen warf. Und weil ihre Falkenaugen in der düsteren Höhle die Dinge nicht so gut wahrnahmen, dachte sie, das sei der Riese und er sei dreimal so groß wie Omschjull. Und die Schreie Omschjulls hallten als schauriges Echo von den Höhlenwänden wider, so dass Tara glaubte, der Riese schreie so fürchterlich. Da war sie erstaunt über Omschjulls Mut und Geschicklichkeit, und sie rief: „Weiter so, mein Vetter!“ Dieser glaubte, sie lobe, wie er tüchtig übe, und sprang noch wilder hin und her in waghalsigen Sprüngen, er rief auch: ‘Ergib dich, du Schurke!‘ und ‘Ich werde nicht weichen!‘ Plötzlich aber geriet er in die Schlingen des eigenen Seils und fiel zu Boden, wo er sich die Stirne blutig schlug und vor Schmerzen schrie. Da war auch der Schatten an der Höhlenwand verschwunden, und Tara glaubte, Omschjull habe ihn mit letzter Kraft vertrieben. Sie eilte zu ihm, warf sich über ihn und bedeckte ihn mit bewundernden Küssen. Da wusste er gleich, was zu tun war. So wurde Tara schwanger und gebar eine Tochter, die sie Vastouris nannte, das heißt ‘Fehler‘ oder ‘Dummes Missgeschick‘, denn Omschjull hatte ihr lachend erzählt, was wirklich geschehen war. Als Vastouris größer wurde, begann sie ihre Eltern zu hassen. Denn von ihrer Mutter wurde sie missachtet, und ihr Vater war ihr widerlich. Sie beschloss, anders zu sein als Tara und ihre Schwestern. Frena fördert Ordnung und Wohlstand, Vastouris aber will zerstören und Unfrieden säen. Aber wie ihre Mutter sieht sie gerne, wie Helden starben, daher treibt sie ihre Anhänger von einem Gemetzel zum anderen und zerstört einen Landstrich nach dem anderen.“ Der greise Zentaur öffnete die Augen und blickte auf Sorla und Psudi. „Wir verstehen das Wesen dieser Göttin, aber wir können es nicht ändern. Was uns zu tun übrig bleibt, ist, ihre Anhänger – die
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Geisel der Vastouris – so vernichtend zu schlagen, dass sie sich die nächsten Jahrhunderte nicht mehr davon erholen. So taten wir es vor Batiflim unter Wrals Banner, auf dem ihr sitzt, so müssen wir es nun wieder tun, wo immer wir sie antreffen. Wir Zentauren werden an deiner Seite kämpfen, junger Kaiser – nicht unter der Fahne des Hernostischen Reiches, wohl aber unter dem Wahrzeichen Wrals, der Herrin der Wälder und Weiden.“
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Sechstes Kapitel:
DIE ZEIT DES SCHWERTES Vor vier Monaten hatte Kirgul von den Ramtasi im blauen Himmel über sich den Schrei eines Falken gehört. Er zügelte sein Pferd, hob den Arm und rief: „Komm runter, Bote Sorlas!“ Da stieß der Falke herab und ließ sich auf seinem Lederhandschuh nieder. Kirgul nestelte das winzige Briefchen ab und las: „Edle Ramtasi! Bleibt im Osten des Reiches und seht nach dem Rechten, denn ich kann nicht überall sein! So Atne will, werde ich zu euch stoßen!“ „Bringt dem kleinen Boten etwas rohes Fleisch!“ schrie er, dann berief er den Stammesrat ein. Zwanzig Ramtasi, darunter der alte Schamane Surte, hockten im Kreis um das Feuer in Kirguls Zelt und berieten über Sorlas Anliegen. Kirgul schwitzte in seinem Bärenfell, der Schweiß rann ihm unter den verfilzten, blonden Haarsträhnen hervor über Stirn und Nacken. Er hätte das Bärenfell ablegen können, doch war es das Zeichen seiner Würde. Wenn es zu schlimm wurde, wischte er die Tropfen mit der Hand weg und wischte sie an der Lederhose ab. Ansonsten verhielt er sich still, denn er wollte die Meinung der anderen einholen. Ein älterer Ramtasi räusperte sich, spuckte ins Feuer und sagte: „Vor einem halben Jahr folgten wir der ersten Bitte des hernostischen Kaisers. Wir ließen unsere Familien in der Taipalsteppe zurück und kamen hierher zurück, wo wir schon früher nicht glücklich waren, als wir für Girrhol ritten. Bei Ramlok, dies ist nicht unser Land, mein Herz schlägt fern von hier in der Steppe!“ Mit Nachdruck blickte er mit seinem einzigen Auge in die Runde; in das andere hatte ihn einmal ein Pfeil getroffen, und er musste diesen samt Auge heraus ziehen. Ein anderer, weit jüngerer Ramtasi beugte sich vorwärts. „ Kublak spricht mir aus der Seele! Meine Frauen waren beide schwanger, als ich sie verließ; ich möchte gerne meine Kinder sehen! Welche Verpflichtung haben wir gegen den hernostischen Kaiser?“ Zwei, drei Ramtasi erhoben lautstark Einspruch und riefen
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durcheinander. Schließlich konnte sich ein junger Mann, der durch seine langen schwarzen Zöpfe und breiten Schultern auffiel, Gehör verschaffen: „Wir alle sehnen uns nach der Steppe zurück, Tschakim. Doch wir beschlossen, dem Ruf des Kaisers zu folgen, da er ein Liebling Ramloks ist und eine gerechte Sache vertritt. Wir wollten ihm sogar in den Westen nachfolgen. Nun schreibt er, dass dies nicht notwendig ist, da unsere Stärke hier im Osten, wo wir sowieso sind, gebraucht wird. Wir haben uns verpflichtet und müssen dazu stehen!“ Der neben ihm, ein Hüne mit braunem Zottelhaar, sagte: „Ich sehe es wie mein Freund Russuk. Auch sind wir hier unser eigener Herr. Wären wir weiter in den Westen gezogen, hätten wir uns dem kaiserlichen Befehl unterordnen müssen.“ Ein paar johlten zustimmend. Ein grauhaariger Ramtasi, dessen bloße Arme mehrere vernarbte Wunden aufwiesen, sagte: „Orluk hier hat uns aus dem Herzen gesprochen, auch wenn es nicht das Thema war. Die Frage ist, ob wir hier bleiben und den Frieden des Landes sichern, wie es der Kaiser wünscht, oder heim reiten zu unseren Familien. Ich bin wie Russuk dafür, zu bleiben. Einer von uns sollte aber zu unseren Familien reiten und ihnen Bescheid geben.“ „Gut gesprochen, Herte!“ sagte Kirgul und wischte sich ein letztes Mal den Schweiß von der Stirne. „Wir bleiben also hier, und einer wird unsere Familien in der Taipalsteppe benachrichtigen. Wer macht das? Gut, Russuk!“ * Vier Wochen danach war Russuk noch nicht zurückgekehrt, dabei war er ein hervorragender Krieger und galt als zuverlässig. Einige begannen zu munkeln, er nütze wohl die Gelegenheit, denn die Frauen hätten schon lange keinen Mann mehr gesehen. Dies war aber nur als Scherz gemeint, denn sonst hätten sie für ihre Unterstellung mit ihrem Leben einstehen müssen, wenn Russuk
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davon erfuhr. Schlimm waren die Stechmücken, die zu Tausenden von den naheliegenden Sümpfen herbei schwärmten und über die Ramtasi herfielen. Alles Fluchen half nichts, manch einer beneidete insgeheim die Frauen und Kinder in den Bergen. Surte bereitete aus Kräutern, Ruß und Talg eine Salbe, mit der sie sich Gesicht und Arme einrieben. Das stank und verursachte Hautreizungen, doch die Mückenstiche wurden weniger. Böse Zungen behaupteten allerdings, das sei nicht der Salbe zu verdanken, sondern sie hätten sich einfach an die Stiche gewöhnt. Dann, nach ungefähr zwei Monaten, erschien Russuk – jedoch nicht allein. Die erstaunten Ramtasi sahen eine riesige Schar von Reitern und Packpferden heranziehen. Es waren die Frauen und Kinder ihrer Sippe sowie drei weitere Ramtasi-Sippen samt deren Männer und der gesamten Habe. Nun rannten alle durcheinander, begrüßten sich, und die Luft schwirrte von ängstlichen Fragen und schrecklichen Nachrichten. Kirgul begrüßte Attul, Khalim und Bursuk, die Anführer der drei anderen Sippen. Attul war hochgewachsen und sehnig, seine dunklen Augen blitzten unter buschigen Brauen hervor, und wenn er redete, pflegte er zur Bekräftigung die rechte Faust in die linke Handfläche zu schlagen. Khalim war kleiner und untersetzt, im Umgang freundlich; wer sich aber davon zu der Meinung verführen ließ, er sei harmlos, wurde schnell eines Besseren belehrt. Bursuk, ein großer, massiger Mann mit Glatze, fiel durch seine Lautstärke auf, und wenn er sich bewegte, brauchte er viel Raum. Nun saßen sie zusammen in Kirguls Zelt. Der Schamane Surte saß wie üblich schweigend dabei und nippte an seinem berauschenden Getränk. Russuk berichtete, dass kleinere Reiterhorden – „Dies sind keine Ramtasi!“ – die Taipalsteppe mordend und plündernd durchstreiften. Zunächst traf es Angehörige von Attuls Sippe. Mehrere Familien, deren Zelte weit verstreut auf der Steppe standen, waren ausgelöscht worden. Die übrigen Familien brachen ihre Zelte ab und zogen einige Tagesritte weiter zur benachbarten Sippe von Khalim. Dort trafen sie auf die Überlebenden von Bursuks Sippe, die aus dem Norden geflüchtet
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waren und von entsetzlichen Grausamkeiten berichteten. Alles in allem waren jetzt rund fünfhundert Krieger versammelt. Aber da die Gerüchte von vielen Hunderten jener grausamen Plünderer sprachen, und da diese stets überraschend aus den Weiten der Steppe angriffen und es zudem hieß, dies sei nur die Vorhut einer weit größeren Anzahl beutegieriger Mörder, die vom Norden her über den Fluss Dusa setzten, war die Stimmung gedrückt. Eben da traf Russuk bei den Familien der Sippe Kirguls ein. Khalims Boten hatten sie vor den plündernden Horden gewarnt und eingeladen, sich ihnen anzuschließen. Dies bedeutete allerdings eine Schwächung der versammelten Sippen, denn da in Kirguls Zelten nur Frauen und Kinder waren, hätten sie bei einem Kampf nicht helfen können, sondern die Kämpfer eher behindert. „Wir hätten unsere Familien nicht im Stich lassen sollen“, murmelte Kirgul. Attul legte ihm die Hand auf die Schulter: „Damit war nicht zu rechnen, Kirgul. Seit Jahrhunderten herrschte Friede zwischen unseren Sippen, weshalb solltest du Befürchtungen hegen?“ Er schlug mit der Faust in die Hand. „Auch der Kaiser fürchtet um den Landesfrieden hier; eben deshalb bat er uns, an seiner Stelle hier nach dem Rechten zu sehen.“ „Ja, hier im Osten seines Reiches“, berichtigte Russuk. „Er befürchtet Machenschaften des Grafen und der Sechs Familien. Von der Steppe sagte er nichts.“ Er warf die schwarzen Zöpfe zurück. Kirgul nickte: „Was geschah dann, Russuk?“ „Ich ritt mit Khalims Boten zurück zu den drei versammelten Sippen. Sich zusammenzuschließen war klug, wenn ein Angriff unmittelbar bevorstand, doch lange war dieses riesige Lager nicht zu halten; es gab nur zwei Brunnen und wenig Futter für die Pferde.“ „Da hatte er recht“, mischte sich Bursuk ein. „Er riet uns, dieses riesige Lager abzubrechen und stattdessen mit ihm zu kommen, nach Süden über die Grenze zum Hernostischen Reich. Er sagte, der Kaiser wäre einverstanden. Stimmt das?“ Kirgul sah Russuk fragend an, und dieser wurde rot. „Der Kaiser sagte, wir sollten hier bleiben – er sagte nicht, wie viele von
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uns.“ Was die drei Sippenchefs letztlich überzeugte, waren die Vorteile, die das Gelände bot. „Zwischen der Taipalsteppe und dem Hernostischen Reich“, erklärte Russuk die Lage jetzt noch einmal für Kirgul, „liegen die Höhenzüge Batiflims und östlich davon die Hurknischen Sümpfe. Es gibt nur einen schmalen Landstrich zwischen den steilen Berghängen und den tiefen Sümpfen, den Reiter benützen können. Ihr alle kennt die Stelle; wer diesen Landstrich besetzt, beherrscht den Zugang.“ Er nahm einen Ast aus dem Feuer und zeichnete die Lage auf dem Boden des Zeltes auf. „Fünfhundert Krieger sind heute zu uns gekommen, mit uns sind das ungefähr sechshundertfünfzig. Damit können wir jenen Landstrich besetzen und gegen einen Angriff halten. In der Steppe hätten sie uns von allen Seiten angreifen können, hier aber nur von vorne. Unsere Familie aber sind hinter uns in Sicherheit.“ „Klingt gut“, murrte Kirgul, sein Bärenfell zurechtrückend. „Bei Ramlok, das machen wir. Die Familien sollen sich aber zudem in die Seitentäler dieser Berge zurückziehen, da haben sie genug Wasser und sind versteckt.“ * Sie hatten fast vier Wochen Zeit für die notwendigen Vorbereitungen. Die Familien wurden in versteckten Lagern sicher untergebracht, ein paar alte Krieger blieben bei ihnen – zu ihrem Schutz und um Wildbret zu erlegen. Gleichzeitig wurde die Stellung, die sie zwischen den Bergen von Batiflim und den Sümpfen verteidigen wollten, ausgebaut; sie errichteten Mauern und Palisaden, hoben Fallgruben aus, auch Latrinen, befestigten zugespitzte Baumstämme schräg im Boden, legten Nahrungsvorräte an, errichteten Unterstände und Verstecke und beschworen Ramloks Beistand. Oft beriet sich Kirgul mit den Anführern der anderen drei Sippen, obwohl sie ihm fast selbstverständlich die Gesamtführung
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überließen, denn als hervorragender Anführer und Kämpfer trug er sein Bärenfell zu Recht und hatte viele Erfahrungen gesammelt. Sie überlegten, ob die Vorbereitungen ausreichten. Wollten sie nur die Stellung halten oder wollten sie verhindern, dass die Angreifer an ihnen vorbei ins Hernostische Reich eindrangen? Und war es besser, verschanzt hinter den Palisaden Pfeile zu verschießen, oder sollten sie einen Ausfall machen und den offenen Kampf zu Pferd wagen, worauf sie sich am besten verstanden? Dann, eines Morgens, kehrte ein Kundschafter namens Turuk zurück, mit einer fast leblosen jungen Frau, die quer vor ihm auf dem Pferd hing. Er hatte in der Ferne eine Reiterhorde, vielleicht zwanzig Mann stark, am Lagerfeuer beobachtet. Sie hatten eine Frau bei sich, die sie der Reihe nach missbrauchten und dann für tot liegen ließen, als sie aufbrachen. Nachdem sie hinter dem Horizont verschwunden waren, näherte sich Turuk dem Lager, löschte das Feuer und nahm die bewusstlose Frau mit. Der Schamane nahm sich ihrer an; als sie wieder zu sich kam, schrie sie und schlug um sich. Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte, dann berichtete sie schluchzend, dass sie am Ufer der Dusa beim Ausschlagen der Wäsche von den fremden Reitern überrascht wurde. Sie spießten ihr Kind auf eine Reiterlanze, ihren Mann, der herbeieilte, erschlugen sie. Sie sprach gebrochen und mit merkwürdiger Färbung der Wörter; auch war sie, soweit man an ihren Armen und am Hals sehen konnte, stark behaart. Offenbar gehörte sie einem anderen Volksstamm an. Kirgul schickte Turuk mit der Frau in die Berge, damit sie dort unter die Obhut der Ramtasi-Frauen kam. Zu Surte sagte er: „Es scheint, dass wir bald Gelegenheit bekommen, dem jungen Kaiser den Landesfrieden zu wahren!“ Dieser schwieg und nippte an seinem Getränk. Zwei Tage später erschien eine Horde von wohl fünfzig zerlumpten Reitern. Sie trugen lange Lanzen, an denen sie die abgeschlagenen Köpfe ihrer Opfer – oder wenigstens Teile davon – befestigt hatten. Als sie die kampfbereiten Reihen der Ramtasi sahen, johlten sie „Vastouris!“ und griffen mit gesenkten Lanzen an. Ein Pfeilhagel empfing sie, einer fiel tödlich getroffen aus dem
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Sattel. Die anderen drehten ab und verschwanden mit höhnischem Gelächter. „Bei Huredho, es wird ernst!“ sagte Kirgul düster und wischte sich die verfilzten Haarsträhnen aus der Stirn. Hundertfünfzig Ramtasi unter Bursuks Führung verließen die befestigte Stellung und folgten den Angreifern nach Nordosten in Richtung Taipalsteppe. Als sie sicher waren, dass diese außer Sichtweite waren, bogen sie links ab und versteckten sich im Wald der steilen Berghänge. Eine Kette von versteckten Wachposten wurde entlang der Bergflanke eingerichtet. Die übrigen Ramtasi warteten kampfbereit hinter den Befestigungen. Doch nichts geschah in den nächsten zwei Tagen. Vor der Morgendämmerung des dritten Tages jedoch kam ein Wachposten und meldete, eine größere Schar Reiter nähere sich der Stellung. „Wie viele?“ fragte Kirgul. „Ich weiß nicht, Hetman. Es ist noch zu dunkel, wir sahen nur die Lanzenspitzen im Mondschein glänzen, aber fünfhundert Reiter sind es auf jeden Fall.“ „Fünfhundert? Das wird hart!“ „Oder mehr!“ Kirgul schickte Attul mit hundert Reitern vor die Palisaden; sie sollten, wie verabredet, als Köder die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich lenken. Also tänzelten die Pferde der Reiter Attuls fünfzig Schritte vor den Palisaden herum und erwarteten den Angriff. Hundert Schritte weiter war, tief im Gras versteckt und quer zum erwarteten Angriff, zwischen vielen niedrigen Pflöcken ein Seil gespannt. Sie warteten, den Blick gegen Osten gerichtet. Allmählich schob sich dort am Horizont ein grauer Schimmer hoch und verdrängte den Nachthimmel. Jetzt konnte man undeutlich das Gras sehen – und dort in der Ferne drängten die feindlichen Reiter heran. Attuls Leute erhoben ein Geschrei und schossen Pfeile ab; die Gegner brüllten und stürmten mit gesenkten Reiterlanzen heran. Noch immer verharrten Attuls Leute, obwohl sie hoffnungslos in der Minderzahl waren, und die Feinde spornten ihre Pferde an in der Gewissheit, diese kleine Gruppe im nächsten Augenblick
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niederzureiten. Da, kurz vor dem Zusammenprall, verfingen sich die Hufe der Angreifer im gespannten Seil – die meisten stolperten, viele stürzten, wälzten sich, begruben ihre Reiter unter sich und brachten auch die nachfolgenden Reiter zum Stürzen. Teilweise bohrten die nachfolgenden Reiter ihre Lanzen in die gestürzten Pferde vor sich – es war ein Durcheinander von sich wälzenden Tieren und fluchenden Reitern. Die Hälfte der Angreifer aber hatte schnell das Hindernis überwunden und stürmten mit umso größerer Wut auf Attuls Leute los, die noch immer verharrten, als wüssten sie nicht, wie hoffnungslos unterlegen sie waren. Erst im letzten Augenblick preschte Attuls Gruppe nach rechts und links auseinander und ließ die Angreifer an sich vorbei galoppieren – nicht ins Leere, sondern in die schrägen, zugespitzten Pfähle. Vierzehn von Attuls Reitern schafften es nicht, rechtzeitig zu entkommen; sie wurden von den langen Lanzen aufgespießt oder von Krummsäbeln in Stücke gehauen. Doch mindestens doppelt so viele Gegner starben, als ihre Tiere in die Pfähle rannten und sie sich zu Tode stürzten oder, gleich nachdem sie zu Boden gefallen waren, von Kirguls Leuten niedergemacht wurden. Attuls Leute machten, die einen rechts, die anderen links vom Gegner, eine Kehrtwendung und griffen die jeweilige Flanke der Gegner an. Von vorne schossen Kirguls Leute Pfeil um Pfeil in die dicht gedrängte Masse. Und jetzt kamen von hinten auch Bursuks Reiter herangestürmt und hatten ein leichtes Spiel, die überraschten Gegner vom Pferd zu hauen. Bevor die Sonne am Horizont erschien, waren die Gegner ausnahmslos gefallen – sechshundertachtundneunzig, wie die Ramtasi später nachzählten. Von den eigenen Leuten hatte es Attuls Truppe mit dreiundzwanzig Gefallenen am härtesten getroffen, aus Bursuks Sippe starben nur sechs, von Kirguls Leuten, die hinter den Palisaden verschanzt waren, war nur einer von einem Wurfspeer tödlich getroffen worden. Dies war ein großer Erfolg; und falls es ein nächstes Mal geben sollte, so wurde ausgemacht, würden sie die Rollen tauschen. Dies verlangten nicht etwa Attuls Leute – sie waren voll Stolz über
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ihre Taten und fanden, wer in einem solchen Kampf starb, sei zu beneiden – sondern Kirguls Männer, die sich auch einmal im Reiterkampf bewähren wollten statt nur langweilig hinter den Palisaden zu sitzen. * Die eigenen Gefallenen wurden zu den Frauen im Bergwald gebracht und nach gebührender Trauerzeit dort bestattet. Die riesige Zahl der gefallenen Gegner dagegen stellte ein Problem dar. Schließlich kamen die Ramtasi auf den Gedanken, sie in die Sümpfe zu schaffen. Sie banden lange Stangen zusammen, deren eines Ende sie am Sattelgurt ihrer Tiere befestigten, während das andere Ende am Boden nachschleifte. Auf diesen Vorrichtungen banden sie jeweils fünf bis sechs Leichen fest und brachten so die ganze Zahl innerhalb eines Tages vom Schlachtfeld fort. Dabei fiel ihnen auf, dass die Palisaden nicht mehr bis zum Rand des eigentlichen Morastes reichten. Der Sumpf war zumindest an dieser Stelle ausgetrocknet. Zur Verteidigung ihrer Stellung war dies allerdings unerheblich, denn auch der trockene Sumpf war für Berittene unpassierbar. Aber sie hatten Mühe, die Leichen weiter hinein in den Sumpf zu zerren, bis sie endlich offenes Wasser fanden, wo sie sie versenken konnten. Dann feierten sie ein Fest zu Ehren Ramloks und der Gefallenen. Sie waren vorsichtig genug, Wachen aufzustellen und sich mit dem Trinken berauschender Getränke zurückzuhalten. Doch nichts geschah in dieser Nacht, auch nicht in den folgenden. „Vielleicht haben wir alle erwischt? Vielleicht hatten sie sich vorher gesammelt, weil sie hier durchbrechen wollten“, rief Bursuk und kratzte sich am kahlen Schädel. „Ich bin froh, dass wir diese Verbrecher ausgetilgt haben!“ „Ich trau‘ dem Frieden nicht“, meinte Attul. „Es wäre zu einfach.“ Tatsächlich sahen sie am zehnten Tag nach dem Gefecht
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zwei Reiter in der Ferne, die aber sofort abdrehten, als sie der Ramtasi ansichtig wurden. Dies erhöhte wieder ihre Wachsamkeit und sie bereiteten sich in ähnlicher Weise vor wie das letzte Mal. Am nächsten Morgen erschienen aus den Bergen fünf Männer auf Maultieren und wollten den Anführer sprechen. Es waren Leute aus Batiflim, und sie hatten erfahren, dass in der Steppe nördlich und östlich ihrer Berge bisher unbekannte Horden ihr schlimmes Unwesen trieben. Nun hatten sie ein Versteck der Ramtasi-Frauen entdeckt und dort auch die Frau gesehen, welche Turuk mitgebracht hatte „Das ist eine von uns“, sagten sie mit derselben merkwürdigen Färbung der Wörter. „Wir sind dankbar und werden euch helfen.“ Die Hilfe wurde gerne angenommen, schwierig wurde es allerdings, als die Männer aus Batiflim eröffneten, sie würden zur Verstärkung auch ein paar Trolle mitbringen. Schließlich ließ Kirgul sich überreden, wenn er auch nicht wirklich überzeugt war, dass Trolle angemessene und verlässliche Kampfgefährten seien. Dann gingen die fünf Männer wieder, um ihre Vorbereitungen zu treffen. Der junge Tschakim wäre gerne mitgegangen, denn seine beiden Frauen sollten bald niederkommen. Doch er war für die folgende Nacht als Wache eingeteilt und musste sich für den nächsten Tag gedulden. Mitten in der Nacht brach ein Geschrei los, fremde Reiter tummelten sich mitten in Kirguls Lager und stachen mit ihren Lanzen auf alles ein, was sich schlaftrunken bewegte. Schon brannten Zelte. Unter Russuks Führung sammelten sich die Ramtasi zur Gegenwehr, hatten aber keine Zeit aufzusitzen, sondern mussten zu Fuß gegen die berittenen Eindringlinge kämpfen. Russuk hatte einen der Krummsäbel ergattert und nützte ihn, die Lanzen beiseite zu schlagen und es dann den Gegnern in den Unterleib zu hauen – höher konnte er sowieso nicht reichen. Bald hatte er einen zweiten Krummsäbel erbeutet, nun wirbelte er in einem irren Tanz durch die Angreifer; rechts wie links von ihm rutschten aufgeschlitzte Gegner schreiend vom Pferde. Auch die übrigen Ramtasi kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, und nach kurzer Zeit waren die Gegner tot oder vertrieben.
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Aber die Zahl der eigenen Gefallenen war erschreckend hoch; innerhalb des Lagers zählten sie vierundsechzig, die den Kampf nicht überlebten. Und als sie vor den Palisaden nachsahen, hingen da ihre drei Wachen aufgespießt, auch der junge Tschakim – enthauptet und grauenhaft verstümmelt. Offensichtlich waren die Leichen hierher geschafft worden, um deren Angehörige und Freunde in Mutlosigkeit und Grauen zu versetzen. Viele Pferde waren verschwunden, und über ein Dutzend lag qualvoll verendet mit aufgeschlitzten Bäuchen. Zwar hatten die Ramtasi ungefähr vierzig Pferde der gefallenen Angreifer einfangen können, doch war dies ein herber Verlust und schwächte ihre Möglichkeiten, als Reiter zu kämpfen. Dies war kein Tag, um frohgemut Ramlok zu ehren, sondern eher, um sich der Grausamkeit Taras der Falkenäugigen zu erinnern. Wieder schleiften sie die gefallenen Feinde hinüber zum Sumpf, und sie hatten den Eindruck, als sei der Sumpf noch weiter zurück gewichen. „Sieh mal den Hügel dort“, sagte Kublak. „An den kann ich mich nicht erinnern! Oder sollte mein eines Auge mich täuschen?“ „Die Gegend ist verhext!“ antwortete Orluk, der zottelhaarige Hüne, und schüttelte sich. Als sie beim Wegreiten sich noch einmal zurückwandten, sahen sie, wie seltsame Ungeheuer, halb Frosch, halb Mensch, aus dem Morast krochen und sich an den Leichen zu schaffen machten. „Die Gegend ist verhext!“ wiederholte Orluk. * Drei Tage später traf die Verstärkung aus Batiflim ein, fast hundert Männer, mit Kurzbogen und Dolchen bewaffnet, die freudig begrüßt wurden. Misstrauische Aufmerksamkeit aber erregten die sieben Trolle: hässliche nackte Gestalten mit überlangen Armen und riesigen, krallenbewehrten Fäusten. Sechs von ihnen waren zottelig
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behaart, der siebte und größte aber hatte eine dunkelgraue, glatte, froschähnliche Haut. Trotz des Felles war bei den anderen deutlich zu erkennen, dass zwei von ihnen weiblich waren. Ihre tiergelben Augen blickten ruckartig in alle Richtungen, dabei grinsten sie und unterhielten sich untereinander in gutturalen Lauten, während sie auf die Ramtasi zeigten. Am meisten schienen es ihnen aber die Pferde angetan zu haben; einer leckte sich die Lippen und rieb sich die Magengegend, was bei den Ramtasi für weiteres Befremden sorgte. „Mein Name ist Hamik“, sagte der auffällig untersetzte Anführer der Batiflim-Leute. Seine Handrücken waren stark behaart, und sein Haupthaar begann knapp über den buschigen Brauen. „Wir gehören zur Sippe Morseks; dieser ist zu alt, um selbst zu kämpfen, er sendet euch aber Gruß und Dank. Was unsere Trolle betrifft, so haben sie bei ihrem Gott Ûr-gqâschps geschworen, keinen von euch zu behelligen oder gar zu fressen. Aber wenn ein Pferd tot herumliegt, das würde ihnen schmecken.“ Kirgul berief den Rat ein; diesmal nahm auch Hamik mit zwei seiner Männer teil. „Mir ist nicht klar“, begann Bursuk mit seiner üblichen lauten Stimme, „wie ihr uns helfen könnt. Wir sind Reiter, auch die Eindringlinge sind geübte Kämpfer zu Pferd. Mit euren Maultieren könnt ihr da nichts ausrichten.“ Hamik schien nicht beleidigt zu sein. Seine braungelben Augen blickten gelassen unter den buschigen Brauen hervor. „Ihr Leute aus der Steppe“, erklärte er, „denkt und kämpft anders als wir aus den Bergen. Da aber hundert Schritt von hier sich die Berge erheben, können wir vielleicht von Vorteil sein. Vielleicht wären unsere Wachen nicht so leicht überwältigt worden wie eure vor vier Tagen.“ Das saß. Eine Zeitlang schwiegen alle. Schließlich sagte Kirgul: „Ich glaube nicht, dass Hamik uns Nachlässigkeit vorwerfen wollte. Was er sagt, ist richtig. Also sollen seine Leute die Wachen übernehmen und bei Kämpfen uns von der Bergflanke her mit Pfeilen unterstützen. Wir können versuchen, unsere Angreifer dorthin zu locken, um seinen Scharfschützen bessere Ziele zu bieten.“ Er stand auf, rückte sein Bärenfell zurecht; damit war die
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Beratung beendet. In derselben Nacht bezogen Hamiks Leute Posten; den Ramtasi war das schon deshalb angenehm, weil auch die Trolle mit ihnen das Lager verließen – nicht ohne eines der beim letzten Überfall verendeten Pferde mitzuschleppen. Schon am Morgen kam einer von Hamiks Männern zurück ins Lager; hinter ihm schlurften zwei grinsende Trolle, die je einen Gefangenen am Bein nachschleiften. Die Gefangenen waren übel zugerichtet, aber der Mann aus Batiflim versicherte, die Trolle seien so schonend mit ihnen umgegangen, dass sie die nächste halbe Stunde auf jeden Fall überleben würden. Er nickte den Trollen zu, da ließen diese die Gefangenen fallen. „Sprecht schnell und verschweigt nichts“, herrschte Kirgul sie an. „Vielleicht überlebt ihr!“ Die Gefangenen wanden sich stöhnend am Boden, aber schwiegen. Einer der Trolle hob sie am Nacken hoch und schüttelte sie. Da schrie einer von ihnen: „Soll Vastouris euch verderben!“ „Wer ist Vastouris?“ fragte Kirgul erstaunt. „Sie ist die Göttin“, keuchte der Gefangene, „und wir sind ihr Heer!“ „Wie viele seid ihr?“ „Wir werden euch überrennen! Wie die Heuschrecken werden wir über euer Land kommen!“ Kirgul blickte unbeeindruckt unter seinen verfilzten Locken hervor. „Wann wird das geschehen, du Heuschrecke?“ „Schon bald! Vielleicht schon ...“ Er brach mit einem gurgelnden Aufschrei zusammen – und mit ihm auch der andere Gefangene. Diesem war es, als alle Aufmerksamkeit sich auf den Verhörten richtete, gelungen, einem Ramtasi den Dolch aus dem Gürtel zu ziehen. Das hatte der Mann aus Batiflim beobachtet, zog den eigenen Dolch und stieß ihm diesen in den Rücken. Im Sterben aber stach der Gefangene noch zu, bevor der Verhörte antworten konnte, und riss diesen mit in den Tod. „Viel haben wir jetzt nicht erfahren“, sagte Kirgul enttäuscht. „Aber du hast schnell gehandelt, bei Ramlok!“ Der Mann aus Batiflim wischte seinen Dolch ab und steckte
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ihn ein. „Wir haben viel erfahren“, sagte er dann sachlich. „Sie planen einen Überraschungsangriff – sonst hätte der seinen Kumpel nicht umgebracht, aus Angst, dass der den Zeitpunkt ausplaudert.“ „Richtig“, sagte Attul und schlug mit der Faust in die Handfläche. „Und es müssen sehr viele sein – wie eine Heuschreckenplage.“ „Und“, führte Kirgul fort, „sie streifen nicht nur herum, wie es ihnen so einfällt, sondern sie wollen unbedingt an uns vorbei ins Hernostische Reich.“ „Bei Tara!“ murmelte einer. Alle nickten; sie ahnten, dass ihnen schlimme Zeiten bevorstanden. * Zwei Nächte später erschien Hamik und meldete, ungefähr zweihundert Reiter seien im Anmarsch, dazu ein paar Dutzend Männer zu Fuß. „Was soll das?“ wunderte sich Kirgul. „Wir haben schon größere Gruppen geschlagen. Und die Leute ohne Pferd – was wollen die ausrichten? Aber wir werden sie empfangen wie gewohnt.“ Diesmal wartete Attul mit seinen Reitern versteckt in den Bergwäldern, Bursuks Leute lagen mit ihren Bögen verschanzt hinter den Palisaden, und Kirgul machte sich bereit, um mit hundert seiner Männer die Angreifer in die Seilfalle zu locken. Im frühen Morgengrauen sahen sie die Reihen der Angreifer aus dem Nebel auftauchen. Kirguls Reiter ritten vor den Palisaden auf und ab und forderten die Gegner mit höhnischem Geschrei zum Angriff heraus – doch diese verharrten reglos außer Bogenschussweite. „Was soll das?“ knurrte Kirgul und ritt einen Scheinangriff, wobei er darauf achtete, mit seinen Männern nicht selbst in die Nähe des versteckt gespannten Seiles zu kommen. Wurfspeere flogen ihnen entgegen, viele trafen. Aber die Reihen der Gegner blieben
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unverändert stehen. Plötzlich stieg aus der Mitte der gegnerischen Schar ein rotleuchtender Feuerball empor, ein zweiter und ein dritter folgten ihm und standen als feuriges Dreigestirn im nachtdunklen Himmel. Im nächsten Augenblick fuhren sie fauchend herab auf Kirguls Reiterschar, zerbarsten in deren Mitte und breiteten sich als glutheiße Welle nach allen Seiten aus. Kirgul, der vorne ritt, spürte, wie sich das Feuer in seinen Rücken brannte, er hörte das Wehgeschrei der Reiter von allen Seiten, doch in der Mitte seiner Schar blieb es still – dort lagen nur noch verkohlte Reste am Boden. Wieder stiegen zwei Feuerbälle hoch, Kirguls Schar sprengte entsetzt auseinander, doch die glühenden Geschosse galten nicht ihnen, sondern fauchten über sie hinweg in die Zelte hinter den Palisaden und zerstörte sie. Atne sei Dank befand sich dort niemand, denn alle Männer waren einer der drei Gruppen zugeteilt. Jetzt griffen Attuls Reiter von den Berghängen her an, Kirguls Schar sammelte sich wieder und ritten einen Angriff gegen die Flanken der gegnerischen Reiter, doch diese hatten einen Ring gebildet, ihre Lanzen starrten nach außen. Aus der zweiten Reihe prasselten die Pfeile gegen die überraschten Ramtasi, und von der Mitte her stiegen die schrecklichen Feuerbälle empor. Bursuk fluchte lautstark, denn er konnte nichts tun – das Ganze geschah außerhalb der Reichweite der Kurzbögen seiner Leute, während die Feuerkugeln ungehindert heranfauchten. Zwei schlugen zwischen den Palisaden ein, fünf von Bursuks Leuten waren sofort zu Asche verbrannt, andere wanden sich schreiend in ihren Schmerzen. Die Nächststehenden ließen ihre nutzlosen Bögen fallen und beeilten sich, zu löschen, Wunden zu verbinden, Sterbende zu trösten. Hier nichts tun zu können war schrecklich. Bursuk knirschte die Zähne. „Dort ist ein Zauberer, oder vielleicht sogar mehrere, und wir kommen nicht an sie ran!“ „Das ist was für unsere Trolle“, sagte Hamik. Bursuk sah ihm überrascht in die braungelben Augen: „Wie meinst du das?“ „Wart‘s ab.“ Fast im selben Augenblick wurde es still. Nur das Stöhnen
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der Verletzten hinter Bursuk war zu hören, doch von vorne, vom Schauplatz des Kampfes, drang kein Laut. Und keine Feuerkugel stieg mehr empor. „Was ist da los?“ fragte Bursuk und fasste sich an die Glatze. „Die Trolle“, erklärte der Mann aus Batiflim. „Sie haben die Stille gemacht. Jetzt sind die Zauberer lahmgelegt, denn sie können nichts sprechen.“ Bursuk begann böse zu lächeln, als er verstand. „Es wird Zeit für uns!“ rief er. „Auf die Pferde, Männer! Wir machen einen Ausfall!“ Jetzt waren die Gegner von allen Seiten umringt und hoffnungslos in der Minderzahl. „Ergebt euch!“ wollte Kirgul den Gegnern zurufen, doch kein Laut kam aus seinem Mund. Da blieb nichts übrig, als die vorderste Reihe der lanzenstarrenden Reiter aus kürzester Entfernung mit Pfeilen zu beschießen, bis sie sich sterbend am Boden wälzten. Aus der zweiten Reihe wurden zwar Speere geworfen und ebenfalls Pfeile versandt, doch die Ramtasi ritten hin und her und boten im Dunkel der Nacht kein gutes Ziel. Es war unheimlich, dachte Kirgul; weder Hufgetrappel noch das Geschrei der Verwundeten und Sterbenden waren zu hören – und er wusste noch immer nicht den Grund dafür. Bursuk, im Vorbeireiten, wies zwar auf seinen offenen Mund und schien zu lachen, aber das war auch keine Erklärung. Was die Gegner schrien – oder vielmehr schreien wollten – war ebenfalls nicht zu verstehen. Einer schwenkte ein Banner hin und her, was vermutlich schwarz war, doch konnte man das in der Dunkelheit nicht genau erkennen. Kirgul sah, wie einer, auf den er den Pfeil richtete, seine Waffen fortwarf; doch ob er das tat, bevor Kirguls Pfeil seine Brust traf oder erst danach, konnte er nicht sagen. Nur fünf der gegnerischen Reiter gelang es durch unmissverständliche Gesten und mit viel Glück, sich zu ergeben und dabei am Leben zu bleiben, alle anderen waren nach kurzer Zeit erschossen oder erschlagen. Aber in der Mitte standen noch drei Männer zitternd in ihren roten Gewändern. Zwei weitere Zauberer lagen, von verirrten Pfeilen getroffen, tot am Boden.
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Kirgul winkte Orluk, er solle den überlebenden Zauberern die Stäbe abnehmen, die sie krampfhaft an sich hielten. Danach brachen auf einmal die Geräusche wieder über sie herein: Geschrei der Verwundeten, Schnauben der Pferde, lautstarke Erklärungen Bursuks, woher die Stille kam. Auch die Trolle tauchten auf und nahmen grinsend den johlenden Beifall der Ramtasi entgegen. Plötzlich warfen sich vier von ihnen nach vorne und griffen mit ihren langen Armen nach etwas, das keiner sehen konnte. Jetzt hielten sie scheinbar ein Stück Luft gepackt, das sich heftig, aber erfolglos wehrte. „Was ist da los?“ rief Orluk und stocherte mit einem der eingesammelten Stäbe in die Richtung des gefangenen unsichtbaren Etwas. „Au! Vorsicht mit dem Zauberstab!“ rief das unsichtbare Wesen, und gleich darauf stand vor ihnen, von acht Trollfäusten gehalten, ein weiterer Zauberer, dick und in eindrucksvoller blauer Robe, einen langen Stab in der Linken. Mit einem Griff entwand ihm Orluk den Stab und rief: „He! Wir haben hier noch einen!“ Der Dicke warf sich in Pose, was ihm, obwohl die Trolle ihn noch immer gepackt hielten, eindrucksvoll gelang: „Zeigt Ehrfurcht, ihr ungehobelten Barbaren!“ Alle lachten. Den Gefangenen, fünf Reiter und vier Zauberer, wurden die Hände auf dem Rücken gefesselt, dann wurden je zwei oder drei mit den Füßen aneinander gebunden. Jetzt kamen auch Kirgul und viele weitere Ramtasi herbei. „Wer bist du?“ fragte Kirgul den blaugewandeten Zauberer, denn dieser sah am wichtigsten aus. „Ich bin Abchandru!“ schnaufte der Dicke. „Erster Kampfmagier und Zweiter Vorsitzender der Zaubernden Gilde von Kriteis! Und dies hier sind meine Gehilfen, soweit sie überlebt haben!“ Kirgul baute sich genauso eindrucksvoll auf; breitbeinig stand er da, in sein Bärenfell gehüllt, seine harten Oberschenkel spannten sich in den speckigen Lederhosen, die verfilzten blonden Haare hingen in Zotteln um sein Gesicht. „Abchandru“, sagte er, „du hast auf der Seite der Verlierer gekämpft.“
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Der Zauberer lächelte, als wisse er es besser. Doch Kirgul fuhr fort: „Wieso kommst du den weiten Weg von Kriteis in die weite Taipalsteppe? Was hat dich in die Fremde gelockt, samt deinen Gehilfen?“ Abchandru lächelte und schwieg. Da humpelte der alte Surte herbei. „Bei Ramloks Stärke!“ murmelte er. „So geht das nicht!“ Er begann die Kleidung von Abchandru und seinen Gehilfen zu durchsuchen und legte alle Fundstücke auf einen Haufen ins Gras: Dutzende von Goldstücken, drei edle Kämme, einen Talisman. Dann nahm er Ketten und Anhänger von den Hälsen der Zauberer. Sie wehrten sich, bekamen aber derbe Stöße und Stiche von den sie bewachenden Ramtasi, da mussten sie sich fügen. Zuletzt sah er sich die Hände an und zog einem der Gehilfen einen schweren Goldring mit einem Rubin ab, an Abchandrus Hand fand er einen schmalen Ring, so völlig unscheinbar, dass man ihn gar nicht bemerkte, wenn man nicht gezielt danach suchte. „Nein, den nicht!“ jammerte Abchandru. Surte scherte sich nicht um das Gezeter, sondern steckte sich den Ring selbst an und drehte ein wenig daran herum – auf einmal war der Schamane verschwunden. „He, Surte!“ rief Kirgul besorgt. „Wo bist du?“ Da erschien der alte Schamane wieder und grinste: „Ein schöner Ring ist das; den möchte ich behalten.“ Nun nahm er von seinem Gürtel die Lederflasche mit seinem berauschenden Getränk und hielt es Abchandru an die Lippen: „Trink!“ Dabei grinste er. „Als Dankeschön für den Ring!“ „Ist das Gift?“ fragte dieser mit zusammengepressten Zähnen. „Ich trinke das täglich!“ Zum Beweis nippte Surte ein wenig. „Also los, oder du beleidigst meinen Gott!“ Abchandru wollte einen winzigen Schluck nehmen, doch Surte hielt ihm die Flasche so hin, dass ein ganzer Schwall in seinen Mund schwappte. Dann wandte er sich seinem Hetman zu: „So, Kirgul. Jetzt kannst du ihn fragen!“ Dieser wiederholte seine Frage: „Was brachte dich in die
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Taipalsteppe, Abchandru?“ Dieser stierte ihn benommen an. „Ich wurde bezahlt“, sagte er mit schläfriger Stimme. „Der Graf von Agra hat mich angeheuert.“ „Was will der Graf in der Steppe?“ Der Zauberer schüttelte langsam den Kopf: „Nein, nein. Der Graf von Agra trifft uns im Hernostischen Reich, östlich von Bishoumat.“ „Was soll dort geschehen?“ „Wir sammeln uns, dann erobern wir Hernoste und zerstören es; als nächstes kommt Ekritmea dran, das sollen wir aber nur erobern, nicht zerstören. Der Graf will ja Kaiser werden.“ „Und wird Sorle-a-glach sich nicht wehren?“ „Der ist im Westen beschäftigt. Vielleicht hat der Graf ihn schon erwischt. Und wenn nicht, haben wir eine Überraschung für ihn, ein schönes Schwert.“ Der Zauberer kicherte. „Wer ist das, wir?“ „Der Graf mit den verbündeten Familien und die Geisel der Vastouris.“ Sein Kopf fiel vornüber und er begann zu schnarchen. * Als die Ramtasi wie üblich die getöteten Gegner in den Sumpf schaffen wollten, stellten sie fest, dass es keinen Sumpf mehr gab. Stattdessen hatten sich Erhebungen und größere Hügel gebildet, bedeckt von verdorrenden Binsenbüscheln und braunem Schilf. Scharen von Wasservögeln saßen auf dem Trockenen und schienen nicht recht zu wissen, wo sie jetzt hin sollten. „Die Gegend ist verhext“, befand Orluk. „Wohin jetzt mit den Leichen?“ Sein Gefährte wies auf ein paar Weidengebüsche in hundert Schritt Entfernung, zwischen denen Scharen dunkler Gestalten kauerten – die merkwürdigen Froschkerle: „Die werden sich drum kümmern, Orluk.“
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„Das sind viel mehr als letztes Mal. Ich sage, die Gegend ist verhext!“ Im Lager waren die Verhöre der Gefangenen weitergegangen. Nachdem Abchandru in seinem Rausch das Wichtigste verraten hatte – was zu großer Empörung, aber auch ratloser Verwirrung bei den Ramtasi führte - gaben seine Gehilfen wesentlich bereitwilliger weitere Einzelheiten preis. Auch die Reiter der Vastouris redeten, denn sie empfanden Schadenfreude dabei. Jetzt erfuhren die Ramtasi Genaueres über die Geisel der Vastouris; es war ein Reitervolk aus dem Norden der Taipalsteppe; sie arbeiteten nicht, bauten nichts an, sondern überfielen Dörfer und Karawanen, und wenn ein Landstrich leergeplündert war, zogen sie weiter. Je grausamer sie vorgingen, desto mehr fühlten sie sich als Geisel der Vastouris, und das machte sie stolz. Gewöhnlich traten sie in kleineren Scharen auf, doch jetzt folgten sie der Einladung des Grafen, denn dieser hatte ihnen große Beute und viele wehrlose Opfer zum Ruhm ihrer Göttin Vastouris versprochen, und so strömten sie alle dem Hernostischen Reich zu, um sich mit dem Grafen zu treffen. Sie selbst seien eine Art Vorhut; die Zauberer sollten mit ihren Feuerbällen die störenden Ramtasi erledigen, damit die Hauptmasse ungehindert durch den Engpass zwischen Bergen und Sümpfen ziehen könne. „Da kommen noch mehr?“ stöhnte Attul und schlug mit der Faust in die Handfläche. „Bei Ramlok, das wird über unsere Kräfte gehen!“ „Wir werden standhalten!“ rief Bursuk, dass allen die Ohren gellten. Kirgul nickte. „Wir müssen diese Stellung halten, nicht nur für das Hernostische Reich, sondern um unsere eigenen Familien zu schützen!“ „Aber beim letzten Angriff haben wir hundertfünfzig Leute verloren“, sagte Khalim. „Mehr als bei allen Angriffen zuvor!“ Er packte Abchandru am Kragen seiner prächtigen Robe und zischte: „Weshalb sollte ich dich nicht umbringen, du fettes Schwein?“ „Wieso ... was ... ich habe doch nichts getan!“ stotterte der Zauberer überrascht.
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„An deinen Feuerbällen starben fast hundert unserer Leute, doppelt soviel wie im Kampf gegen die Vastouris-Reiter!“ Khalim hielt seinen Dolch unter das Doppelkinn des Zauberers. „Leben gegen Leben, das ist das Gesetz der Steppe!“ „Aber das war nicht ich allein!“ schnaufte Abchandru mit hochgerecktem Kinn. „Meine Gehilfen haben fast die Hälfte ...“ „Meister!“ jammerte einer der rotgewandeten Zauberer. „Zerrt uns nicht mit ins Verderben!“ Auch die anderen beiden Gehilfen blickten sehr besorgt. „Leben gegen Leben!“ wiederholte Khalim und lächelte böse. „Haltet ein, edler Ramtasi!“ rief Abchandru. „Eben habe ich einen glänzenden Einfall!“ Khalim hielt den Dolch noch dichter an dessen Kinn: „Das muss aber ein sehr guter Einfall sein, wenn ich nicht wirklich böse werden soll!“ „Oh ja! Wie wäre es, wenn wir Zauberer auf eurer Seite gegen die anstürmenden Horden kämpfen würden? Wenn wir also eure Leben schützen und die eurer Feinde nehmen? Dann haben wir das Gesetz der Steppe – Leben gegen Leben – doch auch erfüllt?“ Seine Augen rollten eindringlich. Khalim ließ den Dolch ein wenig sinken. „Ich bin zwar gegen solch billige Wiedergutmachungsversuche, doch vielleicht zeigt sich Kirgul gnädiger.“ Er zwinkerte diesem zu, aber so, dass es die Zauberer nicht sehen konnten. Kirgul stellte sich breitbeinig hin und zog sein Bärenfell zurecht. „Der Stammesrat wird darüber entscheiden, ob diese Übeltäter ihr Unrecht ungeschehen machen dürfen, indem sie auf unserer Seite für die gerechte Sache streiten und mit ihren Kampfzaubern unsere Feinde vernichten.“ Dann wandte er sich den fünf Vastouris-Reitern zu: „Und was ist mit euch?“ Er hielt den Krummsäbel bereit. Diese sahen einander an, schließlich fauchte einer: „Vastouris wird euch vernichten, ihr Tölpel! Würden wir auf eurer Seite kämpfen, würden wir mit euch sterben und hätten zugleich unsere Ehre verloren. Also schlachtet uns ab, denn Mitleid haben wir
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nie gewährt und wollen es auch nicht haben!“ „Ich achte deine Entscheidung“, sagte Kirgul und schlug ihm den Kopf ab. „Und du?“ fragte er den nächsten. „Das war unser Vastouris-Priester“, stammelte der Angesprochene. „Der musste so reden, aber wir einfachen Leute lieben unser Leben, sofern es Kampf und Abenteuer bietet.“ „Also auch Kampf auf unserer Seite gegen eure Stammesbrüder?“ Alle fünf schüttelten den Kopf. „Dachtet ihr also“, fuhr Kirgul fort, „wir lassen euch einfach laufen?“ „Man hat schon gehört“, sagte der vorige Sprecher, „dass die Ramtasi Mitleid gewähren. Sie haben Familien, so was macht einen Mann weich und milde.“ Über sein Gesicht huschte ein Grinsen, das er aber rasch unterdrückte. Orluk trat herbei. Er schaute von seiner hünenhaften Größe auf die Vastouris-Reiter herab und sagte: „Ich brauche eine Handvoll Leute, die mit mir den Sumpf bewachen!“ „Wieso denn das?“ fragte Kirgul erstaunt. Es war bekannt, dass Orluk nicht sehr hell im Kopf war. „Der Sumpf ist verhext! Eigentlich gibt’s gar keinen Sumpf mehr! Jetzt kriechen Ungeheuer aus dem Morast, sie werden hierher kommen.“ „Das stimmt!“ meldete sich einer von denen, die Orluk geholfen hatten, die Leichen wegzuschaffen. „Da sind sogar schon Hügel!“ „Na gut,“ meinte Kirgul. Man sah ihm an, dass er starke Zweifel am Verschwinden eines ganzen Sumpfes hatte. „Wie viele brauchst du?“ Orluk kratzte sich hinter den Ohren und zog ein Gesicht. „Bei Ramlok, wie soll ich’s wissen? Aber gib mir mal zwanzig Leute, und die Vastouris-Kerle hier, falls sie sich nicht zu schade dafür sind.“ Die Vastouris-Reiter beteuerten, sie würden liebend gerne mit Orluk den Sumpf bewachen. Zwei von ihnen konnten sich das Grinsen nicht verkneifen, weil sie so billig aus der Klemme
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herausgekommen waren. Sie waren allerdings unangenehm überrascht, als sie feststellten, dass sie ihre Pferde nicht zurück erhielten. Und die Zauberer mussten vorläufig auf ihre Zauberstäbe verzichten, das Gold landete in der Kriegskasse der Ramtasi, und den schmalen Ring Abchandrus behielt Surte sowieso. Während also die Ramtasi sich wie gewohnt gegen Eindringlinge aus der Steppe wappneten und Hamiks Leute ihre Wachposten auf den östlichen Berghängen bezogen, stellte Orluk seine eigenen Wachposten am ehemaligen Sumpf auf und hielt seine kleine Truppe bereit, falls von dort die Ungeheuer kämen. Diese kamen aber nicht. Orluk war fast schon enttäuscht; er wollte nicht dumm dastehen, also führte er seine Truppe tiefer hinein zwischen die neugebildeten Hügel, ob nicht vielleicht doch ein paar Ungeheuer angriffen. In der dritten Nacht hörten sie hinter dem nächsten Hügel Kampflärm. Sie ritten näher und sahen eine Horde Reiter, umzingelt von Froschkerlen, die mit Keulen auf sie eindroschen. „Sind das unsere?“ fragte Orluk verdutzt, doch dann hörten sie deutlich den Kriegsruf „Vastouris!“ aus dem allgemeinen Geschrei heraus und beschlossen, sich vorläufig zurückzuhalten und zuzusehen. Die Froschkerle hatten schon mehrere Männer von ihren Pferden gehauen, bald waren die Reiter hoffnungslos unterlegen und suchten ihr Heil in ungeordnetem Rückzug, während die Froschkerle sich über die am Boden Liegenden hermachten. „Ich glaube, wir werden hier nicht gebraucht“, meinte Orluk und führte seine Truppe zurück, um Kirgul Meldung zu machen. Dass die Schar der gegnerischen Reiter fast doppelt so groß war wie seine eigene und dennoch gegen die Ungeheuer unterlag, schien ihm allerdings kaum der Rede wert. Kirgul dagegen war sehr besorgt, verdoppelte Orluks Truppe und befahl, sie sollten nicht mehr so tief in den ehemaligen Sumpf eindringen. Es reiche zu wissen, dass auch die Gegner dort nicht durchkonnten. Die nächsten beiden Tage regnete es heftig, außerhalb der großen Zelte erloschen alle Lagerfeuer. Orluks Wachtruppe ritt missmutig im strömenden Regen den gewohnten Weg durch die
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Hügel, da stellten sie fest, dass sich die Landschaft erneut geändert hatte. Der Regen wusch nämlich die Reste des früheren Sumpfes von den Hügelkuppen herab; jetzt ragten kahle Felsen empor – sie waren inzwischen höher als die Hügel vor zwei Tagen und schienen immer noch zu wachsen – und in den Tälern dazwischen sammelte sich der angeschwemmte Schlamm und bildete erneut unwegsamen Morast, vor dem die Pferde zurückscheuten, weil sie nicht versinken wollten. Orluk bestimmte zehn seiner Leute und die vier ehemaligen Vastouris-Reiter dazu, den Ausgang des Tales zwischen den beiden nächstgelegenen Hügeln zu bewachen; fünfzehn Männer durften zum Schlafen in die Zelte, mit den übrigen fünfzehn ritt Orluk am Rande des ehemaligen Sumpfes hin und her, wobei er stündlich bei den Wachen in der Mitte vorbeikam, einmal vom Norden, einmal vom Süden. Als er sich zum zweiten Mal dem mittleren Tal näherte, hörte er Geschrei und das Wiehern entsetzter Pferde. „Bei Ramlok!“ rief er, „die brauchen unsere Hilfe!“ Doch als sie endlich eintrafen, irrten dort acht Pferde verstört umher, ansonsten war kein Lebewesen zu sehen. Der Schlamm war allerdings aufgewühlt und schwappte an einigen Stellen langsam hin und her, als bewege sich darunter ein riesiges Wesen. „Der Sumpf ist verhext!“ erklärte Orluk in Kirguls Zelt, dennoch war allen Anwesenden unbegreiflich, wie er vierzehn Leute an ein Wesen im Schlamm verlor, das er nicht einmal gesehen hatte. Als Hamik davon erfuhr, kam ein Leuchten in seine braungelben Augen. „Bei Ûr-gqâschps!“ sagte er, „Das ist was für Tq’olschpâschq!“ und schickte einen Boten in die Berge. Drei Stunden später kam einer von Hamiks Trollen angeschlurft, der besonders große mit der dunkelgrauen, haarlosen Haut. Seine gelben Tieraugen blickten gleichmütig in die Runde der versammelten Ramtasi. „Tq’olschpâschq“, stellte Hamik vor, „stammt aus den fernen Sümpfen im Norden, wo die Dusa sich an den Felsen Riesenheims staut. Als einziger von uns beherrscht er die Sprache der Sumpfvölker, das Glucksen bedeutsamer Blasen. Auch sonst kennt er sich in allem aus, was Sümpfe betrifft. Und solange er keinen Hunger hat, ist er recht umgänglich.“
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„Wie reden wir mit ihm?“ fragte Kirgul. „Er versteht sonst nur Trollisch, was ich aber – Ûr-gqâschps sei Dank – leidlich beherrsche, also muss ich übersetzen.“ „Den hätten wir schon früher gebraucht!“ murrte Orluk und beäugte neugierig den kahlköpfigen Sumpftroll. Versuchsweise lächelte er, da grinste Tq’olschpâschq zurück. „He, der versteht mich!“ rief er und reichte dem Troll die Hand. Der packte sie, leckte versuchsweise daran und schüttelte sie, dass Orluk, so groß und stark er gebaut war, hinfiel. Der Ramtasi ließ aber nicht los, sondern schüttelte seinerseits die Pranke des Trolls, dass dieser in einem halben Kreis herumgewirbelt wurde. Jetzt grinste der Troll noch breiter und rief etwas in einer gutturalen Sprache, das klang, als müsse er gleich brechen. „Was sagt er?“ fragte Orluk Hamik. „Dass es ihm Spaß macht.“ „Das weiß ich auch so!“ lachte Orluk und schlug dem Troll auf die Schulter, dass dieser in die Knie ging. Nun ritten sie zurück zu der Stelle, wo das unbekannte riesige Wesen hauste. Das heißt, Orluks Leute ritten und Hamik mit ihnen, der Troll aber rannte auf allen Vieren nebenher. Am Rande des sumpfigen Tales, aber im gebührenden Abstand von zwanzig Schritten, zügelten sie ihre Pferde. Tq’olschpâschq trat ein paar Schritte vor, hielt die gewölbten Hände vor sein breites Maul und begann seltsam zu glucksen und zu gurgeln. Orluk stieg ab, ging besorgt zu ihm und fragte: „Was gurgelst du?“ In diesem Augenblick fuhr eine riesige Tentakel aus dem Morast und schlang sich um den Troll. Doch schon hatte Orluk sie mit seinem Krummsäbel durchtrennt. Zwei weitere Tentakeln schlängelten sich heran, doch Tq’olschpâschq sprang beiseite, sein Glucksen klang laut und ärgerlich. Als eine der Tentakeln Orluk zu nahe kam, hieb dieser auch sie in Stücke. Die übrigen Ramtasi schossen ihre Pfeile in den Morast, in der Hoffnung, dort irgend etwas zu treffen. Plötzlich stiegen aus dem Schlamm große Blasen auf, ein riesiger Krakenkopf wölbte sich halb aus dem Schlamm und gluckste dumpfe Geräusche. Ein flaches Auge, so groß wie die Hinterbacke
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eines Pferdes, glotzte sie an. Tq’olschpâschq gluckste und gurgelte zurück, dann sprach er mit Hamik in der Sprache Batiflims, während die Ramtasi gespannt dabei standen. „Das ist eine alte Sumpfkrake“, erklärte ihnen Hamik, als der Troll geendet hatte. „Sie meint, sie sei hier die Königin, sozusagen, und müsse auf niemanden hören. Aber Orluk hat ihr deutlich auf die Finger geklopft, jetzt ist sie bereit, sich anzuhören, was wir wollen.“ „Sag ihr“, rief Orluk, „das waren meine Männer, die sie gefressen hat. Ich bin sehr wütend!“ Dann verbesserte er sich: „Ich meine natürlich, dieser Tq’olschpâschq hier soll’s ihr sagen!“ Kurz darauf wurde ihm die Antwort des Sumpfungeheuers übersetzt: „Dieser Orluk ist klein, aber gefährlich. Er soll mich in Ruhe lassen.“ „Ich klein?“ rief Orluk und reckte seine hünenhafte Gestalt. „Bei Ramlok!“ Hamik riet ihm, Bedingungen zu stellen oder ähnliches zu tun. „Sonst kommen wir nicht weiter.“ Orluk nickte und hatte sogar einen Einfall. „Gut, wenn ich in dieses Horn blase“, er nahm das kleine Signalhorn vom Gürtel und blies einmal kräftig hinein, „dann weiß sie, ich bin’s mit meinen Leuten, und sie bleibt schön im Schlamm sitzen. Wenn ich aber dreimal blase“, er machte es vor, „dann habe ich ihr Futter gebracht.“ Das wurde übersetzt und von der riesigen Krake anscheinend auch verstanden, wie die Rückfrage durch Tq’olschpâschq ergab. Orluk rieb sich freudig die Hände: „So können wir die gefallenen Feinde wieder leicht loswerden!“ Danach klopfte er dem Troll auf die Schulter: „Gut gemacht, mein Freund!“ Dieser grinste und schulterte ein Stück abgehackte Tentakel – zwei Klafter lang und so dick wie ein Pferdehals – als Fressen für später. An den nächsten Abenden sah man Orluk und Tq’olschpâschq oft am Lagerfeuer beisammen sitzen; sie maßen sich im Armdrücken oder wetteiferten im Biertrinken. Wenn sie genügend getrunken hatten und sich Arm über Schulter aneinander
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festhielten, versuchte Orluk ernsthaft, wenn auch erfolglos, dem Troll anzügliche Lieder über die Liebe in der Steppe beizubringen, während dieser – etwas erfolgreicher – den Ramtasi in die Grundlagen der Trollsprache einführte. Oft kam es dann vor, wenn sie einander gutturale Brechgeräusche ins Gesicht grunzten, dass hilfreiche Hände in verständlichem Irrtum ihnen Eimer unters Kinn hielten. * Vier Nächte später, kurz nach Mitternacht, kam Hamik in Kirguls Zelt. Der Mond schien im sternenklarem Himmel, da hatten seine Leute von den östlichen Berggipfeln aus in der fernen Steppe eine riesige Heerschar gesehen; eine schwarze Masse, die das Grasland verdunkelte, dazwischen Hunderte von Lagerfeuern. Der Nachtwind wehte betrunkenes Gelächter herüber und einzelne Schmerzensschreie. „Jetzt wird es ernst!“ murmelte Kirgul und ließ die anderen Sippenchefs wecken. Als alle in seinem Zelt eingetroffen waren, wiederholte Hamik ihnen seine Meldung. „Mindestens viertausend haben sich dort versammelt“, schloss er. „Wir können uns denen nicht entgegenstellen“, sagte Attul und schlug mit der Faust in die Hand. „Denn wir Ramtasi zählen nur noch fünfhundert Krieger, dazu kommen die hundert Männer aus Batiflim. Wir werden aufgerieben werden.“ „Dies ist die Zeit, tapfer zu sein“, rief Bursuk. „Wir müssen unsere Familien vor einem schlimmen Schicksal bewahren. Hamik sprach von den Schmerzensschreien – da wurde jemand misshandelt, geopfert, vielleicht geschlachtet. Stellt euch vor, das wären unsere Frauen, unsere Kinder!“ „Wir sind nicht ganz hilflos“, sagte Khalim. „Immerhin haben wir die Zauberer auf unserer Seite.“ „Ja!“ rief Bursuk. „Und angreifen müssen wir! Das ist besser als da zu hocken wie Enten, bis man uns abschießt!“
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„Und noch etwas!“ sagte Kirgul. „Diese Sumpfkrake ...“ Er setzte ihnen seinen Plan auseinander. Vor Morgengrauen bekam Orluk Kirguls Plan erklärt – mehrfach, damit er gewiss alles verstand. Er nickte und rief die fünfzig ihm zugeteilten Männer zusammen. Dann saßen sie auf und ritten in die Steppe hinaus. Vor ihm waren bereits andere Gruppen aufgebrochen. Bei einer befanden sich die vier Zauberer. Sie hatten ihre Stäbe zurück erhalten, wurden aber scharf bewacht, dass sie nicht plötzlich ihre Meinung änderten. Es war noch tiefe, stille Nacht, als sie in Sichtweite des riesigen Lagers kamen. Die meisten schienen zu schlafen. Die Ramtasi stiegen ab und näherten sich, die Pferde am Zügel haltend, leise auf Bogenschussweite dem Lager. Noch hatte man sie nicht entdeckt. Da stiegen Feuerbälle auf – Abchandru und seine Gehilfen hatten ihren Angriff begonnen. Höher stiegen die Feuerbälle, vier, fünf, sechs von ihnen, und jetzt erst rief im Lager jemand etwas Unverständliches. Da sausten die Feuerbälle hinab in das Lager, eine Glutwelle breitete sich nach allen Seiten aus, vielstimmiges Geschrei gellte, dunkle Gestalten rannten überrascht und ziellos umher. Nur diesen einen Überraschungsangriff führten die Zauberer, dann zogen sie sich schnell zurück. Jetzt war die Reihe an den anderen Gruppen der Ramtasi; sie schossen einen Pfeilhagel in die aufgeschreckt umher irrenden Gestalten, dann verschwanden sie ebenfalls wieder im Schutz der Nacht. Nur Orluks Schar war noch zu sehen; sie ritten am Rande des Lagers hin und her, schossen Pfeile und riefen wüste Beschimpfungen. Sie sahen, wie im Lager zwei- oder dreihundert auf ihre Pferde sprangen – wohl ohne sie gesattelt zu haben – und ihnen entgegen ritten. Jetzt erst hob Orluk den Arm: „Zurück, Männer!“ und sie rasten über die dunkle Steppe davon, die johlenden Verfolger dicht hinter ihnen. Es ging im Galopp nach Süden, doch nicht zu der Stellung, wo die Ramtasi den Durchgang zwischen den Bergen und den ehemaligen Sümpfen bewachten, sondern mitten zwischen die neu entstandenen Hügel. Orluks Männer kannten den
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Weg schon, sie fanden ihn auch im Dunklen. Sie hielten sich dicht am Rand der Hügel, wo der Boden fest war. Ein paar Verfolger versuchten, auszuschwärmen und sie im Bogen zu überholen, und gerieten in den Morast. Die übrigen ließen sich jedoch nicht von ihrer Verfolgung abhalten und jagten weiter Orluks Männern hinterher, sicher, sie bald einzuholen, zu stellen und durch ihre große Überzahl schnell niederzumetzeln. Jetzt umrundeten sie einen Hügel und gelangten in das nächste Tal. Hier nahm Orluk das Signalhorn an die Lippen und blies einmal gellend laut hinein, während er das Pferd weiter antrieb. Sie jagten am schmalen Rand zwischen Sumpf und Hügel entlang, auch die Verfolger waren gezwungen, in langer Reihe hinter einander her zu reiten, damit nicht wieder ein paar von ihnen versanken. Der Mond spiegelte sich auf dem Sumpf; Orluk sah sehr wohl, wie sich der Morast hob und senkte, und er lächelte böse. Nun erreichten sie das andere Ende, Orluk galoppierte noch ein Stück weiter, um seinen Leuten Platz zu machen, blies dreimal sein Horn, dann wandten sie sich und stellten sich den Verfolgern zum Kampf – besser gesagt, den wenigen, die rechtzeitig hinter ihnen den Rand des Sumpfes erreicht hatten. Denn nun schäumte der Morast auf, Fangarme schnellten heraus, schlangen sich um die Reiter und zogen sie hinab in den brodelnden Sumpf. Die nachfolgenden Reiter versuchten entsetzt ihre Tiere zu wenden, dabei gerieten die meisten vom schmalen, festen Rand ab und versanken hilflos im Sumpf. Ungefähr dreißig Gegner hatten sich außer Reichweite der Fangarme retten können und sahen sich nun Orluks Schar gegenüber; aber sie kämpften schlecht, denn hinter ihnen gurgelte der Sumpf und ihre eigenen Leute schrien verzweifelt um Hilfe, bevor sie in den Morast hinab gezogen wurden. Außerdem waren sie gegenüber Orluks fünfzig Reitern hoffnungslos in der Minderheit und wurden rasch niedergemacht. *
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Orluks Gruppe erledigte auf diese Weise zwei- bis dreihundert Gegner, durch die Feuerbälle der Zauberer kamen mindestens ein halbes Tausend Vastouris-Reiter um, da sie in ihrem Lager so dicht gedrängt beieinander lagen, und dem Pfeilhagel der Ramtasi, welcher den Feuerbällen folgte, fielen auch mindestens zweihundert zum Opfer. Alles in allem hatte sich so die Zahl der Feinde um ein gutes Tausend verringert. Doch die Ramtasi fanden keine Zeit, sich darüber zu freuen, denn nun stürmten die übrigen Gegner heran – dreitausend waren es gewiss, wie Kirgul im Dämmerlicht des Morgengrauens schätzte. Die gespannten Seile halfen nur wenig, denn wenn auch Dutzende von Pferden sich am Boden wälzten und ihre Reiter unter sich begruben, die übrigen setzten einfach über sie hinweg. Abchandru und seine Gehilfen sandten einen Feuerball nach dem anderen den heranbrandenden Reihen der Angreifer entgegen und töteten erneut Hunderte von ihnen, doch sie ermüdeten schnell und mussten aufgeben. Hundert Bogenschützen der Ramtasi saßen hinter den Palisaden verschanzt und mähten mit ihren Pfeilen Reihe um Reihe der vordersten Angreifer nieder – doch bald ging ihr Vorrat an Pfeilen zur Neige und sie mussten sich zu den übrigen Ramtasi gesellen, die vor den Palisaden die angreifenden Reiter abwehrten. „Bei Ramlok!“ schrien die Ramtasi, doch dieser Schlachtruf ging unter in dem gellenden „Vastouris!“ aus dreitausend Kehlen siegesgewisser Angreifer. Im Kampf zu Pferde waren die Gegner mit ihren Lanzen im Vorteil; denn bevor die Krummsäbel der Ramtasi sie erreichen konnten, stachen diese die Ramtasi oder ihre Pferde nieder. Russuk, dessen Pferd schon bald mit drei Lanzen im Leib zusammenbrach, wirbelte mit zwei Krummsäbeln durch die Reihen der Gegner, stach zu, schlug Lanzen und Schwerter beiseite, duckte sich unter den Pferden durch und tauchte überraschend drüben wieder auf; seine schwarzen Zöpfe schwangen im Gleichtakt mit den Säbeln. Über fünfzig Gegner tötete er alleine, dann stellten sie ihn; zu acht standen sie um ihn herum und stachen mit ihren Lanzen auf ihn ein, so schnell konnte er sich nicht drehen und sie beiseite
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schlagen, eine Lanze traf ihn im Rücken, er brach vornüber, da nagelten sie ihn am Boden fest. „Oh Tara!“ gurgelte er und starb. Orluk watete durch Blut und Gedärme erschlagener Gegner und Ramtasi. Er hatte den Anführer der Vastouris-Reiter gesichtet, einen Hünen, noch größer als er selbst, der, in graue Wolfsfelle gehüllt, einen Morgenstern schwang. „Bei Ramlok!“ schrie Orluk, und eingedenk des letzten Unterrichts in Trollisch auch: „Bei Ûrgqâschps!“ Ein Gegner war ihm zu nahe gekommen, er spaltete ihm den Schädel und hob dessen hölzernen Rundschild auf. Noch fünf weitere Gegner musste er aus dem Weg räumen, bis er endlich deren Anführer erreichte. „Ich bin Orluk von Kirguls Sippe!“ schrie er. „Mach dich bereit zu sterben!“ Dieser ließ seinen Morgenstern auf Orluks Schild niedersausen, dass er zerbarst. Dann lachte er: „Ich bin Hestrumer; solche wie dich fresse ich zum Frühstück!“ Wieder schwang er seine Waffe, Orluk wehrte den Schlag mit dem zersplitterten Schild ab und taumelte noch von der Wucht des Schlages, dann warf er die nutzlosen Bruchstücke des Schildes beiseite. „Bei Ramlok!“ schrie er wieder und griff mit dem Krummsäbel an. Doch Hestrumer wich durch eine kleine Bewegung zur Seite aus, scheinbar mühelos, wirbelte seinen Morgenstern im Kreis und schlug Orluk den Säbel aus der Faust. Die Waffe flog kreiselnd durch die Luft und blitzte in der Morgensonne. Lachend hob Hestrumer seinen Morgenstern und begann ihn beidhändig langsam zu schwingen. Da rannte eine graue, nackte Gestalt herbei, in seltsam schlaksigen Sprüngen, erhaschte mit überlangen Armen den Krummsäbel mitten im Flug und warf ihn Orluk zu. Der sprang vor und hieb Hestrumer den rechten Arm ab. Hestrumer brüllte auf, doch noch hielt er den Morgenstern in der Linken, ließ ihn niedersausen und hätte Orluks Schädel gespalten, wenn nicht seine abgetrennte Rechte am Waffengriff geklammert gewesen wäre und den Schwung behinderte. So schrammte die eiserne Stachelkugel an Orluks Flanke entlang und grub sich tief in dessen Schenkel. Das Blut spritzte aus Hestrumers Armstumpf, doch erneut wirbelte er den Morgenstern, um Orluk den Rest zu geben. Da
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sprang ihn der Sumpftroll von hinten an und griff in die Kette des Morgensterns. So rettete er Orluk erneut das Leben, doch die Kugel schlug im Halbkreis herum und traf ihn selbst in den Rücken, dass seine Rippen krachten. Hustend ließ der Troll los und fiel zu Boden. Gleichzeitig war Orluk nach vorne getaumelt, den Säbel mit beiden Händen vor sich haltend, und stolperte direkt in Hestrumer hinein. Der Säbel fuhr tief in dessen Unterleib, beide Gegner brachen, sich aneinander festhaltend, in die Knie. Im Sterben noch flüsterte Hestrumer: „Vastouris wird euch pfählen!“ Seine blauen Augen starrten aus nächster Nähe in Orluks Gesicht. „Das möge Ramlok verhüten!“ keuchte Orluk. Er ließ Hestrumers Leiche fahren und setzte sich erschöpft ins zerstampfte Gras. Da spürte er eine Hand auf seiner Schulter, er fuhr herum und blickte in Tq’olschpâschqs gelbe Tieraugen. Der Troll murmelte eindringlich etwas in seiner gutturalen Sprache. Das verstand Orluk nicht, aber er war überrascht, seinen froschhäutigen Freund so wohlbehalten zu sehen – eben noch war er schwer verletzt gewesen! Jetzt fuhr ihm dieser mit seinen dunkelgrauen Pranken über den Körper, das kribbelte und zwickte, da begannen sich die Wunden zu schließen, zunächst die tiefen Schrammen an seiner Seite, dann auch die klaffende Wunde am Oberschenkel. „Bei Ûr-gqâschps!“ staunte Orluk, haute dem Troll dankbar auf die Schulter, zog seinen Säbel aus Hestrumers Leiche und mischte sich wieder ins Kampfgetümmel. Herte, narbenübersät und grauhaarig, stand Rücken an Rücken mit Kirgul auf einem Haufen Leichen. So viele Gegner hatten sie niedergemacht, so hoch und breit war der Leichenhaufen angewachsen, dass die Pferde zurück scheuten und ihre Reiter nicht ihre Lanzen gegen die beiden Ramtasi einsetzen konnten; sie mussten absteigen und den Leichenberg hinaufklettern, wenn sie die Ramtasi angreifen wollten. „Meine Arme werden müde“, flüsterte Kirgul Herte zu, während er einem Angreifer den Kopf abschlug. „Dies ist nicht der Reiterkampf, wie ich ihn liebe!“ „Nein“, gab Herte über die Schulter zurück. „Es ist ein
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eintöniges Abschlachten!“ Er stieß einem Vastouris-Reiter den Säbel in die Brust, dass dieser gurgelnd zurücksank. „Und höre, Kirgul! All das nützt uns nichts, denn es sind zu viele!“ Kirgul wehrte einen heranfliegenden Wurfspeer mit seinem Schild ab und blickte sich um: In dem wogenden Gewimmel von Vastouris-Reitern wirkten die versprengten Ramtasi wie kleine Inseln, an denen sich die Wellen der Angreifer brachen. Als er vorhin nachgesehen hatte, waren es noch weit mehr gewesen. Eben sprengte Bursuk auf einem erbeuteten Pferd vorbei. „Kirgul!“ rief er, während er zwei Gegner abwehrte. „Die Hälfte meiner Männer ist gefallen! Noch eine halbe Stunde, und wir sind alle in Urskals Reich!“ Da traf ihn ein Wurfspeer in die Brust, und er fiel tot vom Pferd. So können wir nicht weitermachen, dachte Kirgul. Wir haben tapfer gekämpft, aber die Götter sind nicht mit uns. Laut sagte er zu Herte: „Wenigstens Tara hat sich gefreut, uns kämpfen zu sehen, das ist sicher!“ „Ich weiß, was du denkst, Kirgul!“ rief dieser zurück. „Hier aufzugeben ist keine Feigheit!“ „Aber für einen Rückzug ist es zu spät!“ Denn sie waren umringt, es gab keine Möglichkeit mehr, zu den Palisaden oder gar in die Berge zu gelangen. Laut rief er, dass alle Ramtasi es hörten: „Männer! Ihr kämpft als Helden, und wenn wir uns in Urskals Reich wiedersehen, werden wir unseren Ahnen stolz entgegentreten!“ Alle wussten, was das hieß. Auch Herte nickte grimmig und sagte: „So sei es! Bis zum bitteren Ende!“ Aber es tat weh, dass ihr Tod sinnlos sein sollte, denn schon begannen die Massen der Vastouris-Reiter an ihnen vorbei zu strömen, als wäre ein Damm gebrochen, in Richtung des Hernostischen Reiches, in Richtung auch ihrer Familien. Mit all ihrer Tapferkeit hatten sie es nicht verhindern können, dies war bitter. „Ihr Schufte!“ rief Herte ins Hufgetrappel der Vorbeireitenden. „Bleibt hier und kämpft!“ Gleichzeitig wehrte er zwei Angreifer ab, die zu ihm auf den Leichenhaufen geklettert waren. Einen stieß er mit dem Schild zurück, dem anderen schlug er
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den Kopf ab. Auch seine Arme wurden müde, doch er gab es nicht zu. Von ferne hörten sie neues Hufgetrappel – von Tausenden von Reitern. „Oh Atne!“ seufzte Kirgul. „Will es gar kein Ende nehmen?“ Da hob auch Herte den Kopf. „Hörst du das, Kirgul?“ „Ja, noch mehr Vastouris-Reiter!“ „Nein, hör doch, die kommen von ...“ In diesem Augenblick der Unaufmerksamkeit fuhr ihm die Lanze desjenigen, den er zuvor weggestoßen hatte, unterm Schild hindurch in den Unterleib. Er brach sterbend in die Knie und flüsterte noch: „Von den Bergen herab!“ Jetzt stand Kirgul ohne Rückendeckung, er wirbelte umher, schlug mit schmerzenden Armen die Angreifer zurück, die mit neuem Mut zu ihm hochkletterten; gleichzeitig dachte er: „Es hat doch keinen Zweck mehr!“ Dann aber sah er sie: eine riesige Reiterschar war die Berge herab gekommen und donnerte heran, ganz vorne flatterte ein rotgrünes Banner. Daneben ritt einer, das blitzende Schwert erhoben, die blonden Haare wehten neben dem Banner im Wind. „Sorle-a-glach!“ rief Kirgul. Seine Gegner vergaßen ihn anzugreifen; mit offenen Kinnladen starrten auch sie der heranbrandenden Streitmacht entgegen. Der Boden dröhnte von den Hufen, und immer neue Reiter erschienen unter den Bäumen des Berghangs. Nun sah Kirgul, dass es gar keine Reiter waren; Hunderte, Tausende von Zentauren galoppierten in breiter Front heran, mit wilden, wutverzerrten Gesichtern. „Bei Wral!“ schrien sie, und: „Bei Huredho!“ Jetzt waren die vordersten auf fünfzig Schritt an die Vastouris-Reiter herangekommen und schossen ihre Pfeile, dass sie wie eine Wolke den Himmel verdunkelten. Diese wichen zurück, doch hinter ihnen drängten die übrigen, da waren sie gezwungen, sich zum Kampf zu stellen. Die Zentauren schwärmten aus und griffen mit gezogenen Schwertern an. Mit ihnen kämpfte Sorla; sein Schwert Hekfir-hul wütete unter den Feinden – so kampfbegierig und grimmig, dass die Vastouris-Reiter tödliches Entsetzen packte.
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Es schien, dass es alleine kämpfe, Sorlas Hiebe schon ausführe, bevor er sie beabsichtige, so dass er stets allen zuvorkam, alle Angriffe parierte, alle Schwächen in der gegnerischen Deckung im selben Augenblick tödlich nützte. Mehrfach – so erzählten Ramtasi, die es gesehen hatten, später ihren ungläubig staunenden Zuhörern – habe dieses verhexte Schwert die Hand des Besitzers verlassen, um seinen tödlichen Streich oder Stoß zu führen, und sei anschließend wieder in die Hand zurückgeschnellt. Es dauerte keine halbe Stunde, da war die Geisel der Vastouris bis auf den letzten Mann niedergemacht.
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Siebtes Kapitel:
KAISERLICHE PFLICHTEN Ganz unten in Sorlas Rucksack lag zusammengeknüllt sein altes Halstuch. Es war mittlerweile ziemlich zerschlissen, das ursprünglich blaurote Muster war zu einem diffusen Braungelb ausgebleicht. Schon mehrmals war er versucht, es wegzuwerfen, hatte sich aber doch nie davon trennen können. Denn lange hatte er es getragen; meist um den Hals, oft – vor allem auf der Schnellen Susla – als Stirnband. Mehrmals musste er damit Wunden verbinden, es hatte als Beutel für Edelsteine gedient und unterwegs häufig genug als Tischtuch. Vor acht Jahren hatte er es als Andenken an ein Mädchen mitgenommen, das ihn liebte – nicht wie ein unreifes Ding jemanden anhimmelt, sondern sie schien trotz ihrer knapp zwölf Jahre sicher zu sein, dass sie für einander bestimmt waren, und verzweifelte daran, dass er dies nicht begriff. Er sah dank Ramloks Segen so groß und stark aus wie ein Vierzehnjähriger, doch war er selbst erst zwölf, fast noch ein Kind, viel zu jung, um das Geschenk zu verstehen, welches das Mädchen ihm mit ihrer aufrichtigen Zuneigung machte. Dazu war sie sehr hübsch, hatte damals braunrote, dicke Zöpfe und große, blaue Augen. Aber sie war stumm. Jetzt nutzte er den alten Lappen, um sein bluttriefendes Schwert blank zu wischen. Noch immer bebte und zuckte es, er hätte sich fast daran verletzt. Sorla warf den Lappen fort und herrschte es an: „Gib Ruhe, Hekfir-hul! Der Kampf ist vorbei!“ „Herr, das gehört euch!“ sagte ein junger Ramtasi und hielt ihm das blutbefleckte Tuch hin. Er blickte abwechselnd ehrfürchtig auf Sorla und misstrauisch auf das wutbebende Schwert. „Danke!“ entgegnete Sorla, dann zögerte er: „Es ist schmutzig, wirf es weg!“ „Ich wasche es euch!“ sagte der junge Krieger eifrig und eilte davon.
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* Wenige Wochen später traf Sorla in Ekritmea ein und wurde von der begeisterten Bevölkerung als siegreicher Feldherr empfangen. Plosek hielt eine mehrstündige Dankesfeier im AnodTempel ab. Auch der alte Zanolphis aus Kaharad war gekommen. Danach wurde Anods Bildnis von seinen Priestern in einem feierlichen Zug den Alten Wall hinunter bis zum Hafen getragen, und Sorla schritt mit den versammelten Würdenträgern der Stadt hinterher, während die Leute jubelnd den Straßenrand säumten. Später, in einem ruhigen Augenblick, umarmten sich Sorla und Psudi zum Abschied, denn der junge Priester wollte möglichst rasch sein Amt als Oberster Anodpriester in Kriteis antreten, das ihm der alte Chaddam Muhab vor seinem Tode anvertraut hatte. Sein Schiff wartete schon im Hafen. „Es wird nicht leicht werden, mein lieber Psudi!“ Dieser fuhr sich gewohnheitsmäßig über die Oberlippe und lächelte. „Plosek und Zanolphis haben mich ihres Beistandes versichert. Und ich spüre schon, wie dank Anods Güte meine Kraft mit der Schwere der Verantwortung zunimmt.“ Hughu, der sich lange zurückgehalten hatte, würgte einen Batzen Gewölle auf die Fliesen des Palastbodens, drehte den Kopf hin und her, um dieses unverdaute Gemenge aus Mäusefellen und Knöchlein aus allen Blickwinkeln zu beäugen, und befand: „Noch unverdaulicher ist der Abschied unter Freunden, und muss doch geschluckt werden!“ * Tara-engus Falke bekam den versprochenen Nistplatz am höchsten Turm des Tara-Tempels. Dieser Tempel lag in den Wäldern nördlich von Ekritmea und war wenig besucht, da
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Tapferkeit im Angesicht des Todes zwar bewundernswert ist, aber nicht zu den üblichen Eigenschaften des durchschnittlichen Einwohners Ekritmeas gehörte. Dort lag der tapfere Tara-engu begraben. Sorla kam manchmal vorbei, denn er war ausgerechnet in der Nacht der Tara geboren worden, in der Tag-und-Nacht-Gleiche im Vorfrühling, wo die Göttin auf Jagd geht. Er wusste, dass sein Leben in ihrem Zeichen stand, dass Tapferkeit das Mindeste war, das die Götter von ihm verlangten. In diesem Tempel fanden auch Huldigungen an die falkenäugige Göttin statt, im Andenken an die Ramtasi-Krieger, die sich für ihre Familien bis zum Tod in die Bresche warfen und so zugleich das Hernostische Reich vor Plünderung und Verderben bewahrten. Die Ramtasi fanden es aber noch wichtiger, Ramlok, den Gott der Pferde, des Winds und der männlichen Kraft, zu ehren. Das hatten sie zwar schon auf dem Schlachtfeld getan, nachdem der Sieg errungen war, doch Kirguls Schar hatte es sich nicht nehmen lassen, Sorla zum zweiten Male nach Ekritmea zu begleiten, und nun entzündeten sie – ausgerechnet auf dem Platz „Ehrt die Sonne“ – einen riesigen Scheiterhaufen und führten der staunenden Bevölkerung vor, wie Steppenbarbaren jeden Herbst das Ehrenfest Ramloks des Mächtigen feierten. Surte, zusammen mit einigen Helfern, braute mit eigentümlichen Kräutern gewürztes Bier und buk körbeweise kleine, seltsam duftende Kuchen. Dies wurde auch an die Zuschauer verteilt, die nun berauscht und benommen dem Schauspiel folgten. Zunächst dankte Surte für ein erfolgreich verlaufenes Jahr, die Gesundheit der Sippe und die Hilfe im Kampf gegen die Geisel der Vastouris. Das verstanden die Zuschauer. Als ein Fohlen herbeigebracht und von Surte als Kirgul angeredet wurde, blickten sie allerdings verständnislos. Als ihm der Kopf abgeschlagen wurde, schrien sie auf, doch viele folgten dem Beispiel der Ramtasi und ließen sich mit dem Blut einen Streifen auf die Stirn malen. „Ramlok!“ schrien auch sie und jubelten, als der Kopf des Fohlens im großen Scheiterhaufen verbrannte, denn sie verstanden und fühlten nun, dass das Tier zu Ramlok auf die weiten Ebenen des Windes gesandt wurde.
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Hengste besprangen heiße Stuten, und Kirgul machte es den Hengsten nach, wobei drei junge Frauen, die nur zu diesem Zweck mit nach Ekritmea gekommen waren, die Rolle der Stuten übernahmen, um Ramloks Segen auch fürs neue Jahr auf die Sippe der Ramtasi zu lenken. „Aber das ist doch tierisch!“ meinte Plosek, der es abgelehnt hatte, von den Küchlein zu essen oder Bier zu trinken. Sorla hörte es aus weiter Ferne, er lachte. Anod und Ramlok, Sonne und Wind, sie waren keine Gegner! Er spürte den heißen Wind auf seiner Haut; er sah das Geschehen von weit oben, dann blickte er sich um auf den endlosen Ebenen. Das gelbe Gras duckte sich unter den Böen, in der Ferne ballten sich dunkle Wolken. Nun erschienen die Pferde am Horizont und jagten donnernd näher, verharrten und sahen ihn an. „Heril!“ rief Sorla. „Kennan-glai!“ Der riesige, blondmähnige Hengst, der die Herde anführte, hob den Kopf und wieherte. Ein graubraunes Fohlen mit dunkler Mähne trabte heran und legte sein weiches Maul in Sorlas Hand. Mir geht es gut, und dir? sagte es in Sorlas Kopf. Dieser nickte. * Natürlich ehrten auch die übrigen Tempel in oder bei der Stadt ihre jeweilige Gottheit in Dankbarkeit oder Ehrfurcht. Großen Zulauf fand die Feier für Enduhal, den Gott der streitbaren Gerechtigkeit, was in Anbetracht der jüngsten Ereignisse kein Wunder war. Seinem Hund Huredho, dem Gott des Krieges, der bislang fast nur in der Provinz Horadh verehrt wurde, wurde unter Anleitung der Kriegshunde aus Semendhol ein eigener Tempel errichtet. Von der göttlichen Pfotenspur hatten diese einen Abguss erstellt und als Reliquie hergeschafft. Das führte anfangs zu eifersüchtigem Unmut bei den wenigen Verehrern Balyrgs, ebenfalls ein Kriegsgott, der aber eher in Ailat bekannt war, aber letztlich nutzte die siegreiche Schlacht bei den wieder entstandenen
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Hurknischen Hügeln auch ihnen. Auch Mala die Furchtbare wurde geehrt, denn auf dem Schlachtfeld hatte sie ihre Macht eindrucksvoll gezeigt und Tausende in die Nebligen Tiefen geholt. Sorla nahm an der Feier jedoch nicht teil; von Mala-Priesterinnen, echt oder falsch, hatte er vorläufig genug. Dass er Wral einen Tempel in Ekritmea erbaue, hatte Sorla schon den Bauern im Norden Hernostes versprochen. Einen geeigneten Ort zu finden war nicht einfach, denn Wral ist eine Göttin der Natur, nicht der Stadt. Zunächst dachte Sorla daran, den Tempel außerhalb Ekritmeas zu errichten; auch die Tempel Taras und der Brunnenjungfrau lagen ja in den bewaldeten Hügeln nördlich der Stadt. Dann aber ermahnte er sich, sein Versprechen wörtlich zu erfüllen: in der Stadt. Vom alten Park, in dem die Kaiserliche Bibliothek und die Hochschule der Wissenschaften standen, wurde ein Drittel durch hüfthohe Gitter abgetrennt. Man konnte den Bereich nach Belieben betreten und verlassen, doch die Hirsche und Rinder durften sich nur innerhalb der Gitter bewegen. Mitten in diesem Tierpark errichteten die Bauleute einen kleinen Tempel und davor einen Opferstein. Wer aber sollte dem Tempel vorstehen, das jährliche Tieropfer vollziehen, den Neugierigen Rede und Antwort stehen? Sorla schickte einen Eilboten zur Wral-Priesterin nahe Kaharad; inzwischen eröffnete er selbst den Tierpark und brachte Wral ein Dankopfer dar. Eigenhändig hob er ein Kalb auf den Opferstein und schnitt ihm den Hals durch. Die Zuschauer erschauerten, nur die Ramtasi jubelten. Selbst Marushu, Göttin des Mondes und der Liebe, wurde mit besonderen Feiern bedacht, denn ihr Tempel war nun, seit die Sechs Familien entmachtet wurden, wieder der Liebe und den körperlichen Freuden geweiht, statt nur als Ort zu dienen, wo versklavte Frauen gezwungen waren, jedwedem, der ihren Besitzern Geld gab, zu Willen zu sein. Die Ehrwürdige Mutter des Heilbades zu Kaharad hatte es sich nicht nehmen lassen, mit einigen ihrer Mädchen anzureisen und dafür zu sorgen, dass die Feier ein gelungenes Fest wurde. Sie brachte nicht nur Pläne für ein Bad und
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ein Mondobservatorium mit, sondern auch entsprechende Geldmittel, diese zu bauen, und richtete Sorla Grüße von seiner kleinen Tochter Syrte aus; das Mädchen sei gewachsen und noch hübscher und klüger geworden. „Und du, Sorle-a-glach“, fragte sie, „hast du von deiner Hukari gehört?“ „Ja natürlich“, log er. Sie sah ihm freundlich prüfend in die Augen. „Es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist.“ Ein großes Ereignis war das Fest der Brunnenjungfrau; es hatte zwar wie üblich im Vorsommer stattgefunden, wurde aber nun wiederholt, denn Zusnild ließ mit neuer Kraft die Quelle sprudeln – für die Bevölkerung, die in hellen Scharen herauf gepilgert war, das deutlichste Zeichen des neuen Aufschwungs. Ihnen entging aber, wie Sorla im inneren Garten des Tempels auf eine kleine Buche zu ging, und plötzlich von dort ihm seine Tochter Myrna in die Arme gerannt kam. Auch Vinesha, Oberpriesterin in Frenas Tempel, feierte ein großes Fest. Denn wenn Recht und Ordnung herrschen, Handel und Wandel aufblühen, dann können auch Wohlstand und Familienglück gedeihen. Alle Kinder des tempeleigenen Waisenhauses wurden herausgeputzt und nahmen am Umzug teil; es folgten die Feuerreiter unter ihrem Anführer Agish – nicht nur weil sie vom Frena-Tempel mit Geldmitteln unterstützt wurden, sondern auch weil sie wussten, dass ihre Arbeit, Häuser vor Schaden zu bewahren, im Sinne dieser Gottheit war. Neben Agish, dessen Gesicht vor Stolz und Glück fast so rot war wie sein Haarschopf, ritt Sorla wie ehemals, als er selbst bei den Feuerreitern war. „Und weißt du, Sorla“, sagte Agish, „auf deine Weise bist du ein Feuerreiter geblieben!“ „Wie meinst du?“ „Nicht nur, wie du mit Tausenden von Zentauren geritten kamst, um die Ramtasi zu retten, da war es natürlich am offensichtlichsten. Nein, auch schon vorher bist du von einem Brandherd zum nächsten geeilt, sozusagen, und hast sie alle gelöscht.“ Seine grüngelben Augen strahlten Sorla an. „Einen Kaiser hatte ich mir anders vorgestellt – immer würdevoll, und die anderen zum Gefahrenherd schicken. Aber so einen wie dich, den kann man
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gut brauchen!“ Sorla lächelte. Das Lob dieses jungen Mannes bedeutete ihm mehr als all die Lobreden der Würdenträger, die er in den vergangenen Tagen über sich ergehen lassen musste. * Atne zu danken lag Sorla besonders am Herzen. Ihr Tempel war überraschend klein und lag nahe dem Hafen, in Sichtweite des weit größeren Tempels von Wendualo, dem Gott der Meere. Als Sorla den kleinen Vorraum betrat, in dem außer zwei Holzbänken nur eine Topfpflanze stand, hörte er, wie drinnen eine alte Männerstimme ein kaburisches Lied sang – zittrig, schwach, doch wunderschön. Es handelte – Sorla verstand genug Kaburisch, um dem Text zu folgen – von einer Frau, deren Geliebter zur See ging und seit vielen Jahren verschollen war. Der Refrain lautete: „Und bind‘ ihn, wenn er wiederkehrt, mit meinem roten Haar!“ Erst als das Lied beendet war, öffnete Sorla die Tür zum eigentlichen Tempel. Dort stand ein alter Mann vor einem großen, bunten Rad, das er mit einem Federwisch abstaubte. Er wandte sich überrascht nach Sorla um und sagte: „Die Andacht beginnt in einer Stunde.“ Dann schaute er genauer hin. „Oh, der junge Kaiser! Ich bin Delasko, der Priester in diesem unscheinbaren Tempel.“ „Weshalb ist Atnes Tempel so unscheinbar, Delasko? Sie ist doch die mächtigste Göttin überhaupt!“ Der alte Priester nickte. „Natürlich, aber sie wirkt nicht staatstragend. Sie ist unberechenbar, durch kein Opfer zu beeinflussen. Und der Kaiser kann sie nicht – wie etwa Anod – als Bild für seine Vorstellungen von dem einen, der alles überstrahlt, gebrauchen.“ Er blickte Sorla spöttisch an. „Also kriegen wir kein Geld aus öffentlichen Mitteln. Und wenn sich nicht die Seeleute hierher verirren würden, käme kaum jemand vorbei.“ „Auch in Agra ist der Tempel Atnes recht prunklos“, sagte Sorla.
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„Ja, der alte Zletschko hat dieselben Schwierigkeiten. In großen Städten fühlt man sich dem Schicksal nicht so ausgeliefert, man glaubt, dass alles geregelt sei. Und wenn dann was geschieht, gibt man die Schuld dem Kaiser.“ Er blickte belustigt zu Sorla auf. „Nur in der Wildnis oder bei uns zu Hause auf den kaburischen Inseln weiß man, dass immer alles möglich ist. Dort wird Atne noch verehrt.“ Sorla lächelte. „Als ich dich singen hörte, ahnte ich schon, wo deine Heimat liegt. Auch dein Name ist kaburisch.“ „Ja, neben Sardellenpaste führen wir vor allem Priester Wendualos und Atnes aus. Der alte Zletschko zum Beispiel wohnte als Kind nur zwei Häuser von meinem Onkel entfernt.“ Jetzt stellte er sich vor Sorla hin und sagte in ernsterem Ton: „Du hast unsere Heimat sehr verändert, junger Kaiser. Zletschko warnte uns zwar vor, aber es hat unser Volk doch vor schreckliche Herausforderungen gestellt. Alle Häfen wurden nutzlos, das war das Schlimmste!“ „Die kleinen Fischerboote kann man auf den Strand ziehen. Aber die Seeräuber können jetzt ihre Schiffe nicht mehr so leicht verstecken!“ Der Alte schüttelte den Kopf. „Mit der Seeräuberei ist es weitgehend vorbei. Die blutsaugerischen Steuereintreiber hat S’lambo hinter Gitter gebracht; jetzt lohnt es sich wieder, ehrlich zu arbeiten. Und es stimmt schon, unser Grundbesitz hat sich verdreifacht durch das Land, das aus dem Meer auftauchte. Deshalb verzeihen wir dir, was du mit unseren Inseln angestellt hast, Solur.“ „Solur?“ So hatten die kaburischen Seeräuber Sorla genannt, und es hieß so viel wie Dieb oder Schelm. Der Alte lächelte. „Natürlich wissen wir, dass du auf der Schnellen Susla mitgefahren bist, so was spricht sich unter Kaburen herum.“ Das machte Sorla verlegen, denn als Pirat und rechtmäßig zum Tode Verurteilter wollte er nicht unbedingt bekannt sein, doch Delasko winkte ab, er sagte: „Es bleibt unter uns. Wir Kaburen singen, aber schwatzen nicht.“ Dann legte er endlich seinen Federwisch beiseite. „Weshalb bist du gekommen, junger Kaiser?“
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„Ich wollte Atne danken für die Gunst, welche sie mir erwiesen hat.“ Delasko schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass Atne dich durch außergewöhnliche Höhen und Tiefen geführt hat. Andere wären froh, sie hätten all die Gefahren nicht durchstehen müssen. Du hast überlebt und warst erfolgreich – zum Wohle des Kaiserreiches – dafür können wir dankbar sein. Aber Atne kann man nicht danken, indem man ihr Opfer bringt. Man kann sich ihre Macht nur immer wieder neu bewusst machen.“ Er wandte sich zu einer kleinen Tür und winkte: „Komm mit!“ Sie kletterten eine schmale Wendeltreppe hoch. Sorla erinnerte sich, von außen einen Turm neben dem Tempel gesehen zu haben; und tatsächlich traten sie jetzt durch eine Falltür auf diesen Turm hinaus. Über ihnen war noch ein Dach, getragen von vier Säulen, ansonsten gab es keine Mauern oder Fenster, nur den freien Blick über die Wälder im Norden, davor die riesige Stadt und den Hafen, und dann das weite Meer. „Schau!“ sagte der alte Priester. „Die Menschen, die Wellen, die Wälder, die Wolken – all das lebt und webt, immer neu, immer anders, und ist stets Atne unterworfen.“ Er lächelte. „Dies zu betrachten bedeutet mir mehr als unten im Tempel das alte Schicksalsrad zu drehen.“ Sorla versenkte sich in den Anblick der Wellen, die außerhalb der Brandungsmauern des Hafens heranrollten, wie sie es seit undenklichen Zeiten getan hatten: aus der dunkelblauen Ferne sich nähernd, erhoben sie sich, wurden steiler, überschlugen sich, rollten heran und donnerten gegen die Mauer. Und sicher war dies noch nie auf genau die gleiche Weise geschehen, sondern immer wieder als ein erstes Mal und war doch eine ewige Wiederkehr. Wer stand dahinter, schuf und lenkte all dies? Das war nicht Anod, der Sonnengott, auch keine der anderen Götter und Göttinnen, denen er in den letzten Tagen gehuldigt hatte, und ganz gewiss nicht die Schwarze Dreiheit – es war Atne selbst, das allgewaltige Schicksal. Er seufzte und nickte verstehend. Da hörte er jemand sagen: „Den kenne ich!“ „Wirklich, Tschjerk?“ antwortete eine zweite Stimme.
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„Woher?“ Sorla sah sich um. Neben ihm stand Delasko, schweigend in den Anblick der Wolken vertieft. Der konnte es nicht gewesen sein. Doch unter dem Dach waren Stangen und Bretter befestigt, dort saßen zwei Elstern und kakelten. „Weit weg von hier, eine kleine Menschensiedlung an einem Fluss, da sah ich ihn vor – wart‘ mal – acht, neun Jahren.“ „So alt bist du schon, Tschjerk?“ krächzte die andere Elster. Die andere hackte verweisend mit dem Schnabel. „Du bist selbst schon dreizehn, Tschak!“ Beide lachten keckernd. „Ist das vielleicht Sorle-a-glach, Tschjerk? Die Haarfarbe jedenfalls stimmt!“ „Ja, so hieß er!“ „Wir sollten den Tauben Bescheid geben, Tschjerk! Die suchen ihn doch!“ „Schau mal, Tschak, der guckt uns an! Als ob er versteht, was wir reden!“ „Ach Quatsch!“ Beide Elstern flogen davon. * Sorlas Vater Tok-aglur hatte bei allen Feierlichkeiten seinen Sohn begleitet. Dem Sohn wurde gehuldigt, während der Vater zuschaute. Welche Gefühle ihn bewegten, konnte Sorla sich nur vorstellen, da in dem klugen Gesicht Tok-aglurs nichts zu lesen war als das dem Anlass gemäße freundliche Wohlwollen. Wie brennend gerne wäre Tok-aglur selbst Kaiser geworden! Zwar beriet er seinen Sohn und half ihm, wo er konnte, auch betonte er stets, das einzig Wichtige sei, dass das Hernostische Reich wieder gesunde, doch in der zweiten Reihe zu stehen war nicht die Erfüllung seines Lebens. Wozu hatte er alles gelernt, das man braucht, um zu herrschen und dem Land zugleich zu dessen Wohl zu dienen? So vieles hatte er geopfert, hatte sein ganzes Leben diesem einen Ziel geweiht und sogar auf die Liebe seines Lebens
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verzichtet; und dass er mit Taina einen Sohn gezeugt hatte, hatte er erst viel später durch Zufall – oder Atnes Wirken – erfahren. Sorla besprach sich mit seinem Freund Horell, der seine Studien in Irkansels Turm längst abgeschlossen hatte und nur auf das Ende der Feierlichkeiten wartete, um auf seinen eigenen Turm nördlich des Elfenwaldes von Rhosmea zurückzukehren. Dieser hörte sich Sorlas Anliegen an, leicht vorgebeugt, und nickte freundlich: „Natürlich, mein Lieber, das ist fast kein Umweg.“ „Vater“, sagte abends Sorla zu Tok-aglur. „Morgen früh möchte ich mit dir meine Mutter Taina in Brindhal besuchen. Ist es dir recht?“ Dieser sah ihn nachdenklich aus seinen dunklen Augen an. Dann nickte er und verließ rasch den Raum. Brindhal, Hauptstadt der Sidhlande, liegt in der Bucht von Rodnag. Über Land dauert es Monate, um von Ekritmea dorthin zu reisen, auch auf dem Seeweg vergehen einige Wochen. Sorla und Tok-aglur jedoch begaben sich in den geheimen Nebenraum hinter dem Thronsaal. Dort drückte Sorla auf das fünfeckige Zeichen, das unauffällig im Wandfries versteckt war. Eine Tür schwang auf, sie betraten die dunkle Kammer mit dem ihnen inzwischen vertrauten Muster auf dem Boden und schlossen die Tür hinter sich. Sorla, dann Tok-aglur traten auf das Muster und fanden sich im Raum der fünf Ecken wieder, hell erleuchtet von Anods ewigem Licht. Durch eine der fünf Türen gelangten sie in Irkansels Turm und stiegen die Treppen hoch zum Dach, wo Horell bereits wartete. Seine Reiserobe flatterte im Wind und bauschte sich zwischen den Beinen. Lamponu kam schnatternd angerannt, sprang an Sorla hoch und bedeckte sein Gesicht mit feuchten Küssen. „Ihr könnt mir helfen, das da zu verfrachten!“ sagte Horell statt einer Begrüßung. Vor ihm lag ein mannshoher Stapel dicker, alter Bücher. „Wenn jeder von uns unter jeden Arm ein paar Bücher klemmt, können wir es schaffen!“ Tatsächlich mussten die drei auch noch zwischen die Beine einige Bücher klemmen, bevor der Stapel verteilt war. Dann stellten sie sich dicht nebeneinander, Lamponu setzte sich auf Horells Schulter, dieser schwenkte – mit eng angelegtem Ellbogen, damit
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ihm kein Buch entglitt – seinen Stab und murmelte einen langen unverständlichen Spruch. Da wölbte sich um sie eine durchsichtige goldene Kugel, wie eine Luftblase im Wasser stieg sie hinauf in die Wolken und noch höher, bis die Wolken als weißer Flaum unter ihnen schwebten. „Ihr könnt die Bücher jetzt loslassen“, sagte Horell. Sorla sah tief unter sich das riesige Ekritmea als kleine weißbraune Verkrustung zwischen dem blauen Meer und dem braungrünen Land, das unter ihnen jetzt davon glitt. Dies war noch besser als mit dem DRACHEN zu fliegen, dachte Sorla; die Luft strömte nicht kalt vorbei, auch ging es viel geschwinder. Schon lag Batiflim hinter ihnen, sie schwebten über die Weißen Berge, die Grauen Berge und sahen tief unten die Flüsse Ailats sich zum großen Eldran versammeln und nach Süden dem Meer zu fließen. Doch weiter westlich lag das riesige, herbstlich rotgelbe Waldgebiet von Rhosmea, das überflogen sie jetzt und sahen vor sich in der Morgensonne die Bucht von Rodnag glitzern. „Wie kann das sein?“ staunte Sorla. „Wir flogen am Vormittag los, und hier ist es früher Morgen!“ „Wir waren schneller als die Sonne auf ihrer Bahn nach Westen“, sagte Horell freundlich. „Diese Kugel reist so schnell, wie ich denke und vorausschaue.“ „Also hast du bei den Weißen Bergen schon an die Grauen ...“ „Nein! Wenn ich einfach an das Ziel denke, dann rammen wir es, das wollen wir doch nicht!“ „Also schrittweise?“ Doch Horell winkte ab. „Jetzt darfst du mich nicht stören. Die Landung ist immer etwas heikel!“ Tatsächlich sanken sie durch die Wolkendecke hindurch – kurz wirbelten Nebel um sie her und flogen nach oben weg – dann sahen sie schon die Stadt Brindhal mit ihren herrlichen weißen Gebäuden und Palästen unter sich. Sorla erkannte den großen Vorplatz der Burg Brindhal. Winzige Gestalten reckten ihre Hälse hoch und rannten beiseite. Im nächsten Atemzug schwebten sie auf der Höhe der Palmen und streiften fast deren Wedel, dann sanken sie
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vollends hinab. „Einwandfrei gelandet“, murmelte Horell in berechtigtem Eigenlob. Die goldene Kugel verschwand, sie standen auf dem weißen Platz, überall lagen ihre Bücher verstreut. Fünf Palastwachen näherten sich, ihre Gesichter mit dem feierlichen Blau des Himmels bemalt, einer trat vor und fragte barsch: „Fremde! Wer seid ihr, woher kommt ihr, was wollt ihr hier?“ Wie schön, die Sprache der Sidh zu hören, dachte Sorla, selbst von einem argwöhnischen Soldaten! Er antwortete: „Melde der Fürstin, Prinz Tok-aglur aus Hernoste und sein Sohn Prinz Sorlea-glach von den Liarstil sind hier, zusammen mit dem berühmten Zauberer Horell!“ „Prinz Sorle-a-glach?“ stammelte der Soldat, riss sich zusammen und eilte davon. Inzwischen halfen Sorla und Tok-aglur Horell, die Bücher auf einem Stapel zusammenzutragen. Dann setzte sich Lamponu oben drauf, Horell stellte sich mit Stab und Reisetasche daneben. „Halt, Horell!“ rief Sorla. „Willst du schon weiter?“ Dieser fuhr sich durch die dünnen Haarsträhnen und erwiderte verlegen: „Ich sehe eine große Familienzusammenkunft voraus, da will ich nicht stören. Du weißt doch, meine eigenen Kindheitserinnerungen begeistern mich nicht fürs Familienglück! Richte deiner Mutter meine besten Grüße aus!“ Im nächsten Augenblick, noch bevor Sorla oder Tok-aglur ihm danken konnten, war er in einer goldenen Kugel verschwunden und schwebte durch die Wolken davon. * „Mein Sohn!“ flüsterte Taina. Sie war so schön wie vor fünf Jahren, als Sorla aus dem Schloss verschwand. Nein, sie war schöner als je, denn das Glück strahlte aus ihren grünen Augen, der verbitterte Zug um die Mundwinkel war verschwunden.
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„Mein Geliebter!“ flüsterte sie dann und schmiegte sich an Tok-aglur. Sie saßen auf einer der prächtigen Terrassen und blickten in den Abendhimmel. Ein paar Glöckchengeckos huschten über die weißen Mauern. Sorla betrachtete von der Seite seine Eltern. Beide hatten graue Strähnen, doch bei Tainas blondem Haar fiel es nicht auf, und bei seinem Vater war er es schon gewöhnt, auch wenn sie sich in den letzten Monaten deutlich vermehrt hatten. Er atmete tief durch. Was ihm hier gelungen war, erschien ihm, zumindest im Augenblick, fast wichtiger als das Wohl des ganzen Kaiserreiches befördert zu haben. Nun ging der sechste Tag zu Ende, seit sie in Brindhal eintrafen. Viel war geschehen und besprochen worden. Sorla hatte zusammen mit Tok-aglur den alten Hasmasu aufgesucht, der sie beide einst unterrichtete, wenn auch zu verschiedenen Zeiten und mit unterschiedlichem Erfolg. Dann zeigte ihnen Taina die Stadt Brindhal, abends zog sie sich mit Tok-aglur in ihre Privatgemächer zurück. Am dritten Tag schon eröffnete Tok-aglur seinem Sohn, er werde in Brindhal bleiben. „Bei deiner Mutter, sie ist die schönste Frau der Welt. Aber auch, weil ich ihr helfen kann, dieses Land zu regieren.“ Er lächelte. „Dann ist meine Ausbildung als Prinz doch noch zu etwas gut.“ Taina schob ihre Hand unter seinen Arm. „Und vielleicht ...“, flüsterte sie, und er setzte ihren Satz fort: „Nun ja, vielleicht sind wir noch nicht zu alt, und Frena erfreut uns mit neuem Kindersegen.“ „Mit einem Erben für den Thron der Liarstil“, verbesserte sie, und fügte hastig hinzu: „Das ist dir doch recht, Sorla, oder?“ „Ein Thron reicht mir, Mutter“, beruhigte er sie. Aber diese Nachricht beschäftigte ihn doch für den Rest des Tages. Sorla ging es ein bisschen wie Horell, er kam sich bei so viel Glück zwischen seinen Eltern überflüssig vor. Er war ja selbst schuld, hielt er sich vor, denn er hatte es ja gewollt, er hatte die beiden Turteltauben zusammengeführt! Jetzt aber, so machte er sich klar, wäre er sicher gelassener, wenn Hukari sich nicht von ihm getrennt hätte. So aber tat es weh, fremdes Glück mit anzusehen, wenn das eigene darnieder lag.
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Nun, am sechsten Abend, war es beschlossene Sache: er würde am kommenden Morgen ein Schiff nach Agra besteigen, dort bei günstigen Winden in einer Woche ankommen, die kleine Buche der Ildryste aufsuchen und diese bitten, ihn zu Myrna in Ekritmea weiterzureichen; dann konnte er wieder seinen kaiserlichen Verpflichtungen nachgehen. * Es kam anders. Denn die Herbststürme hatten früh und heftig eingesetzt, das Schiff konnte erst drei Tage später als geplant den Hafen verlassen, musste in einem geschützten Hafen auf der Halbinsel Spakjo, wo der Wein süß und schwer, der Ziegenbraten reichlich und preiswert, aber die Unterkunft voller Bettwanzen war, Zuflucht suchen, bis die Stürme nachließen, und erreichte der widrigen Winde wegen den Bestimmungshafen Agra erst nach drei Wochen. Dort war es bitter kalt, die Bäume hatten – was sonst in Agra selten vorkam – ihr Laub abgeworfen; Ildryste in ihrer kleinen Buche schlief dem nächsten Frühling entgegen. Sorla ärgerte sich über sein Missgeschick, aber nützte wenigstens die Gelegenheit und besuchte – die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, damit ihn niemand erkannte – den blinden Atne-Priester Zletschko. Dieser fütterte gerade seine Tauben, erkannte ihn aber sofort an der Stimme. „Bei Atne, wie schön und unerwartet, Sorla! Delasko aus Ekritmea hat eine Taube geschickt und mir von deinen Erfolgen berichtet.“ Er tastete nach Sorlas Hand und zog ihn auf die Bank neben sich. „Komm, setz dich. Ich muss dir auch sagen, dass sich seit dem Verschwinden des Grafen hier einiges geändert hat. Seine Söhne konnten sich halbwegs gütlich über ihr Erbe einigen; der älteste, Resthourrom, hat den Grafentitel geerbt. Er weiß, dass Agra eine hernostische Provinz ist, und will dir demnächst in Ekritmea seine Aufwartung machen.“ „Hört sich gut an.“ „Ja, Atne sei Dank. Was S’lambo betrifft, man sieht ihn
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jetzt seltener in Agra. Er macht den hernostischen Schwestergilden Druck, dass sie sich seiner Aufgabe anschließen, die Korruption zu bekämpfen – mit einigem Erfolg bereits.“ „Ich hoffe, er selbst ...“ Der Alte lächelte. „Keine Sorge, mein Junge. Immer wenn er herkommt, besuchen wir Ildryste. Sie sagt, er sei ehrlich und gehe in seiner neuen Aufgabe auf. Ach, da fällt mir ein: Eine Frau hat nach dir gefragt.“ „Wer war sie? Hieß sie Hukari?“ Der Alte zuckte die Schultern. „Ich kenne sie nicht. Sie stammt jedenfalls nicht aus Agra; sie sprach stockend und klang wie jemand aus nördlichen Ländern.“ „Welche Farbe hatten ihre Haare?“ Der Alte lachte. „Sorla! Wie soll ich’s wissen? Aber sie duftete gut, wie jemand, der gesund und stolz ist.“ Das war bestimmt Hukari, dachte Sorla und lächelte. „Sie sagte“, fuhr Zletschko fort, „ich sei der Taubenmann, die Tauben hätten ihr erzählt, dass du mal hier warst – als Schlange.“ Das passte allerdings nicht zu Hukari. „Was hast du ihr gesagt, Zletschko?“ „Nun, dass sie dich am ehesten in Ekritmea findet, wo du auf dem Thron sitzt.“ Der Alte lachte und schlug Sorla auf den Rücken. „Das wollte sie mir nicht glauben – du seist ein einfacher Dorfjunge.“ Wer war das? Sorla runzelte die Stirn und schob die Frage als unlösbar beiseite. Er verabschiedete sich und ging zum Hafen, denn ihm blieb nichts übrig, als mit dem Schiff nach Ekritmea weiterzureisen, und das konnte weitere Wochen dauern. * Als Kaiser hätte er es natürlich bequem gehabt, und Zletschko hätte seinen Stand bezeugen können, damit man ihn nicht für einen Hochstapler hielt, doch er fühlte sich sicherer, wenn ihn
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keiner kannte, und gewohnt war er es sowieso. So buchte er, wie schon auf dem vorigen Schiff, als einfacher Passagier eine Fahrt auf der Rose von Bretjeka. Der Kapitän musterte misstrauisch seine Waffen, nahm aber das Goldstück entgegen und steckte es ein. „Die Reise kostet nur ein halbes Goldstück!“ wandte Sorla ein, als kein Wechselgeld zurückkam. Der Kapitän glotzte finster und brummte: „Kein Essen, auf‘m Deck schlafen – willst du das wirklich?“ Sorla bezog ohne weitere Widerrede eine Koje in einer der drei Kajüten. In der zweiten schlief der Kapitän, in der dritten, nahe dem Bug, die Mannschaft. Es gab noch zwei weitere zahlende Passagiere an Bord: einen Mann, kaum älter als Sorla und ebenso blondgelockt, doch mit dunklen Augen, und dessen Begleiter, einen stämmigen Mann mittleren Alters, der stets aufmerksam umherblickte und die Hand nahe an seinem Dolch hielt. Noch in derselben Nacht liefen sie aus, nach einem hastigen Opfer für Wendualo, und nutzten den gleichmäßigen Nordwind für eine rasche Fahrt. Auf Deck war es zu stürmisch, ständig schwappten Brecher über die Reling, daher wies der Kapitän die Passagiere an, in ihrer Kajüte zu bleiben und die Mannschaft nicht zu behindern. Sorla hätte ihm fast gesagt, dass er selbst ein halbes Jahr zur See fuhr, dann hätte er aber auch das Schiff nennen müssen, also schwieg er. So saßen sie zu dritt in der Kajüte, spielten Karten oder erzählten sich Geschichten. Sorla stellte sich als Daful vor, indem er den alten Decknamen seines Vaters wählte, und sagte, er habe geschäftlich in Ekritmea zu tun. „Das mag sein oder auch nicht“, murmelte der Ältere der beiden. „Warum sollte es nicht stimmen?“ fragte Sorla. „Du bist ein wandelndes Waffenlager, Daful oder wie du heißt. Deine Geschäfte kann ich mir vorstellen!“ „Und wer seid ihr?“ fragte Sorla gleichmütig. Der Jüngere lächelte. „Das ist Oluf, ich heiße Borschko.“ Ein kaburischer Name, dachte Sorla, und als Deckname schlecht gewählt; der Mann stammt aus Agra! Laut sagte er: „Und
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ihr seid auch in Geschäften unterwegs, nicht wahr?“ „Genau!“ lächelte Borschko über Sorlas Scherz. Sein Begleiter blickte misstrauisch. Als Sorla zum Schlafen seine Koje aufsuchte, blieb er angezogen und legte sein Schwert unter sich. Kurzbogen und Köcher verstaute er am Fußende der Koje, der Rucksack diente als Kopfkissen. Er schlief lange nicht ein, denn die Rose von Bretjeka rollte im schweren Seegang und Oluf schnarchte. Mitten in der Nacht wachte er auf, denn Hekfir-hul bebte wütend unter ihm. Er rollte zur Seite, sah eine dunkle Gestalt, die sich über ihn beugte, und hieb ihr Schlangenzahn in den Arm. Diese taumelte schreiend zurück, schon sprang Hekfir-hul wie von selbst in Sorlas andere Hand. „Was ist los?“ fragte Borschko aus seiner Koje und schraubte den Docht im Öllämpchen höher. Jetzt sah Sorla Oluf, der sich den blutenden Arm hielt und ihn wütend anstarrte. Sorlas Kurzbogen lag hinter ihm auf dem Boden. „Das möchte ich auch wissen!“ gab Sorla zurück, noch immer eine Waffe in jeder Hand. „Was machst du dir an meiner Koje zu schaffen?“ „Ich wollte ... Ich musste ...“, stotterte Oluf, dann riss er sich zusammen. „Ich wollte dir die Waffen wegnehmen, denn ich halte dich für gefährlich!“ „Du übertreibst, Oluf!“ tadelte ihn Borschko sanft. „Das hast du jetzt davon!“ Sorla steckte sein Messer zurück in den Stiefelschaft. „Sei still!“ murmelte er dem noch immer bebenden Schwert mehrfach zu, bis es sich beruhigte. „Du sprichst mit deinem Schwert?“ staunte Borschko. „Es ist recht eigensinnig“, antwortete Sorla. „Es will Olufs Blut.“ „Siehst du, Herr!“ Oluf schaute Sorla böse an. „Der Mann ist gefährlich!“ Er ließ sich aber von Sorla den Arm verbinden – mit dem alten Halstuch, das ganz unten in dessen Rucksack lag. „Du musst Oluf verstehen, Daful“, erklärte Borschko. „Er hat Gründe, um mein Leben besorgt zu sein, denn schon einmal
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wurde ein Anschlag auf mich verübt, den er aber abwehren konnte. Wir befürchten, dass auch auf dieser Reise jemand versucht, mich zu ermorden.“ „Du solltest dein Aussehen verändern“, schlug Sorla vor. „Zum Beispiel die Haare färben oder dich als Frau verkleiden, dann wird ein gedungener Mörder dich nicht erkennen.“ Das hielten die beiden für eine gute Idee, und Borschko fand es zudem sehr spaßig; er färbte zwar nicht die Haare, aber band sie unter einem Kopftuch zusammen. Oluf rasierte ihm den kurzen Bart, nun konnte er mit seinem hübschen Gesicht als Frau durchgehen. Als er sich jetzt noch eine Schärpe um die Hüfte wand, pfiff Sorla anerkennend durch die Zähne. Borschko lächelte und ging hüftwiegend auf und ab. „Eigentlich ist es hier an Bord völlig unnötig“, meinte er, „da uns jeder schon kennt, aber ich kann schon mal üben.“ Sie näherten sich den kaburischen Inseln. Sonst pflegte die Rose von Bretjeka dort anzulegen und ein, zwei Tage Aufenthalt zu machen, aber den Hafen gab es nicht mehr. „Vor ‘nem Jahr waren die Inseln waren kaum halb so groß“, schimpfte der Kapitän. „Irgendein verdammtes Erdbeben hat sie aus dem Meer gehoben. Jetzt gibt’s auch viele neue Inseln und Untiefen, die auf keiner Karte verzeichnet sind.“ Er spuckte verächtlich über die Reling. „Früher war hier weites Meer, jetzt ist‘s ‘ne verdammte Meerenge.“ Er umschiffte weiträumig die Gegend des ehemaligen Hafens und steuerte behutsam zwischen den kleinen kaburischen Inseln, die nahe dem kratolischen Festland lagen, und der Hauptinsel, die hoch und drohend aus dem Meer aufragte, weiter nach Südosten. Mannschaft und Passagiere vertröstete er auf einen Landurlaub im Hafen von Kriteis – in ein paar Tagen. Als diese Stadt im Morgengrauen vor ihnen auftauchte, war Sorla hingerissen wie damals schon, als er auf der Kriteischen Seewacht Eins in den Hafen einlief. Vom Meer aus wirkten die Reihen der mächtigen Gebäude besonders eindrucksvoll; man spürte die jahrhundertealte Geschichte einer großen Handelsmacht. Im Hafen angekommen, nutzte Sorla die Gelegenheit, Psudi wiederzusehen und Dostonoides aufzusuchen, den Gildenmeister der
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Vorurteilsfrei Nehmenden. Borschko und Oluf zogen es dagegen vor, an Bord zu bleiben. Kurz vor der Abfahrt erschienen drei dunkelhäutige Männer aus Nireg-la oder Tuneg-la am Kai; mit Turban und weiten Gewändern, den Krummdolch im Gürtel. Einer kam an Bord und verhandelte in gebrochenem Hernostisch mit dem Kapitän wegen einer Fahrt nach Ekritmea. Dieser kassierte das Geld und wies auf die Kajüte der zahlenden Passagiere hin – da seien noch drei Kojen frei. Das stimmte, doch hatten Sorla und seine beiden Reisegenossen sich längst mit ihrem Gepäck in allen sechs Kojen ausgebreitet. Nun eilten sie in die Kajüte, um die nicht belegten Schlafstätten freizuräumen. Die Tür öffnete sich, zwei dunkelhäutige Männer griffen Sorla mit gezogenem Dolch an, der dritte ging auf Oluf los. Sorla ließ sich fallen, zog Schlangenzahn und stach es dem einen, der über ihn hinwegstolperte, in den Leib. Schon war Hekfir-hul in seine Hand gesprungen, bebend vor Kampfgier. Damit wehrte er den Dolch des zweiten ab, rollte nach vorne, sprang wieder auf, wirbelte herum und stieß es dem Gegner bis zum Heft durch den Leib. Beide Gegner lagen tödlich verletzt und schreiend vor Schmerzen am Boden. Er sah sich nach Oluf um; der hatte mit seinem verletzten Arm einen schweren Stand, hatte sich aber eine gerollte Decke gegriffen und bis jetzt alle Angriffe des dritten Gegners notdürftig abgewehrt. Sorla schwang Hekfir-hul und schlug diesem den Kopf ab, dass er mit ungläubig aufgerissenen Augen über die Planken kollerte. Borschko hatte dem ersten Angreifer den Turban abgerissen – rotblonde Haare kamen hervor. „Noghourrom!“ flüsterte er, „Mein Bruder!“ und wischte ihm behutsam die dunkle Farbe von der Stirn. Der Sterbende grinste: „Nun hast du doch gewonnen, Resthourrom. Atne war nicht mit mir.“ Dann stöhnte er, murmelte noch: „Du siehst affig aus in deiner Verkleidung!“ und starb. Der Kapitän kam in die Kajüte gestürzt, um wegen des Lärms und der Schmerzensschreie nachzusehen. „Verdammt!“ fluchte er. „Immer Scherereien mit den Passagieren!“ Wütend stapfte
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er hinaus, um die Hafenpolizei zu benachrichtigen – es bedeutete, dass er die Abfahrt um Stunden verschieben musste. Sorla wischte seine Waffen ab, ihm war übel – nicht wegen des Kampfes soeben, sondern weil er nun wusste, wer Borschko wirklich war – Resthourrom, Sohn des Grafen von Agra – und zugleich jüngerer Halbbruder von Korraghom, der ihn selbst, Sorla, einst mit derselben tödlichen Eifersucht verfolgt hatte, welche den tot hier liegenden Noghourrom getrieben hatte. Er seufzte. „Es tut mir leid, Resthourrom, dass ich deinen Bruder tötete.“ Dieser blickte hoch, Tränen liefen ihm übers Gesicht. „Du bist nicht schuld, Daful. Er griff ja dich an.“ Bitter fügte er hinzu: „Er hielt dich für mich. Ich muss dir wohl danken, dass du mein Leben gerettet hast.“ Das stimmte, Sorla stand über die Koje gebeugt, als die Angreifer hereinkamen, und von hinten sah er mit seinen blonden Locken dem jungen Grafen sehr ähnlich. Oluf sagte: „Unser beider Leben, Herr!“ Er beäugte seine verschiedenen Schnittwunden am Arm. „Ein Wundarzt wäre nicht schlecht.“ * Hundert Meilen südlich ließ die Rose von Bretjeka die Meerenge zwischen den kaburischen Inseln und der kratolischen Halbinsel endlich hinter sich und segelte ins offene Meer hinaus. Die Stürme hatten nachgelassen; bei herrlich blauem Herbsthimmel wehte ein gleichmäßiger Wind von Norden und gab dem Schiff gute Fahrt. „Na also!“ sagte Resthourrom zum Kapitän. „So holen wir das Versäumnis bald wieder ein!“ Der glotzte finster und murmelte: „Man soll den Tag nich vorm Abend loben, Graf. Ich hab‘ ein ungutes Gefühl!“ Er spuckte nachdrücklich über die Reling. Tatsächlich kamen am späten Nachmittag dunkle Wolken
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auf, türmten sich zu schwarzen Bergen am Himmel und verfinsterten ihn schließlich. Der Kapitän ließ das Hauptsegel reffen, denn er befürchtete einen Wetterumsturz mit gefährlichen Böen, aber im Gegenteil, der Wind ließ nach, schließlich rollte die Rose von Bretjeka bei völliger Flaute in der Dünung. „Das ist nich‘ normal!“ murmelte der Kapitän. „Nich‘ um diese Jahreszeit!“ So mussten sie warten. Nach vielleicht einer Stunde kam wieder etwas Wind auf, die Segel blähten sich .... aber das Schiff nahm keine Fahrt auf. „Wir sitzen fest!“ rief der Kapitän. „Verdammte Untiefen!“ Er ließ ein Bleilot an der Leine ins Wasser, doch soviel er abspulte, da war kein Grund, also auch keine Untiefe. Die ganze Mannschaft, auch die Passagiere, schauten über die Reling, um herauszufinden, weshalb das Schiff festsaß. Doch es war zu dunkel, um Einzelheiten auszumachen. Da erschien ein Stück voraus ein bleiches Licht, das sich rasch näherte. Sie sahen nun, dass das Meer selbst es war, das im Umkreis einer klafterbreiten Fläche schwach leuchtete. Diese Fläche trieb näher heran, bis dicht an die Reling bei Steuerbord. Alle schauten gebannt dorthin. Plötzlich schrie einer der Seeleute auf: „Bei Wendualo! Schaut dort!“ Nun sahen sie es alle: Aus der Mitte der leuchtenden Fläche blickte sie ein grausiges Haupt an. – mit nur einem Auge, das halb aus der Höhle hing; die andere Augenhöhle war leer. Ein paar Haarsträhnen trieben im Wasser. „Ein Ertrunkener!“ flüsterte Resthourrom. „Seht, wie verquollen und angefault!“ Doch da hob sich das Haupt höher aus dem Wasser, alle schrien auf. Denn es saß auf einem riesigen, blaugrünen Körper, mit Schultern dreimal so breit wie die eines starken Mannes. Nun hob sich ein Arm aus dem Wasser, und die massigen Muskeln glänzten nass im Widerschein des Lichtes. „Ihr seid die Rose von Bretjeka!“ stellte das Ungeheuer mit dumpf rasselnder Stimme fest. „Jawohl!“ antwortete der Kapitän. „Aber wir haben Wendualo geopfert, wie sich‘s gehört!“
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„Das ist richtig!“ rasselte es dumpf. Das Auge rollte suchend hin und her. „Doch einen habt ihr an Bord, den muss ich holen!“ Sein Blick richtete sich auf Sorla, auch sein mächtiger, blaugrüner Arm zeigte jetzt auf ihn: „Du da, Solur! Komm!“ „Ich hab‘s geahnt, Skrut!“ rief Sorla, denn er hatte seinen früheren Schiffskameraden erkannt. Er drehte sich um, holte seine Sachen aus der Kajüte und behängte sich damit; dann sahen die anderen mit Entsetzen, wie er über die Reling sprang und im Meer versank. * Es ging tief hinab, doch als es ganz finster war, leuchtete vor ihnen in hellblauem Schimmer der Glygi auf. „Ach ja“, rasselte Skrut dumpf, „dein kleiner Gnomenstein, Solur.“ „Was habt ihr mit mir vor, Skrut?“ Die mächtigen blauen Schultern zuckten. „Das weiß nur Wendualo.“ Bedächtig rückte er sein eines Auge in der Höhle zurecht. Weiter hinab sanken sie, plötzlich verschwand der Glygi. Doch unter ihnen leuchtete der Meeresboden in schwachem Grünblau; hell genug, dass Sorla ein riesiges, dunkles Wesen erkannte; halb Krake, halb Krebs, doch größer als die Rose von Bretjeka. „Ist das Wendualo?“ flüsterte Sorla Skrut zu, doch der schüttelte den Kopf – behutsam, damit das Auge in der Höhle blieb. „Dies ist ein Sprecher Wendualos. Ich kenne seinen Namen nicht, oder er hat gar keinen“, rasselte er dumpf. Dann schob er Sorla nach vorne: „Hier ist er.“ Lange geschah nichts, und Sorla beschäftigte sich damit, einzelne Luftblasen aus seinen Kleidern zu befreien und ihnen zuzusehen, wie sie nach oben ins Dunkel verschwanden. Als sich plötzlich fremde Gedanken in seinem Kopf formten, erschrak er,
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denn darauf war er nicht gefasst: „Auf dein Regenszepter darfst du nicht hoffen. Regenwasser, Süßwasser – das gilt hier nichts!“ Sorla fühlte sich ertappt, doch schon ging es weiter: „Wieso hast du dir angemaßt, die kaburischen Inseln anzuheben?“ Sorla setzte zu einer langen Erklärung an, wurde aber unterbrochen: „Das wissen wir alles. Es sind Angelegenheiten des Landes, nicht der Meere.“ „Die Meere sind unermesslich groß“, entgegnete Sorla, „und ich habe nichts gestohlen.“ „Du hast verändert, eingegriffen – ohne um Erlaubnis zu fragen.“ Sorla senkte den Kopf – das Wesen hatte ja recht. Schon kam die nächste Frage: „Wieso hast du dich nicht bedankt?“ „Ich habe doch alle ...“ begann Sorla, dann brach er ab. Es stimmte, allen Göttern des Landes hatte er gedankt, geopfert, sogar Tempel erbaut, nur Wendualo hatte er vergessen. Warum? Weil er nur noch an den Sieg auf dem Schlachtfeld dachte, nicht aber an die Veränderungen durch die Hebel der Macht! Er senkte schuldbewusst den Kopf. „Wie fühlst du dich mit so viel Macht und Erfolg?“ Eigentlich ganz gut, dachte Sorla, und er sagte es. „Bist du ein Gott geworden?“ „Nein“, sagte er. „Vielleicht ein kleiner Gott? Oder wenigstens ein unsterblicher Held?“ „Bestimmt nicht. Ich hatte viel Glück. Und ich habe gute Freunde.“ Eine Zeitlang beschäftigten ihn diese Gedanken. Auch wusste er, wie verletzlich er war. Schon spürte er die nächste Frage des Wesens: „Wer ist die mächtigste Gottheit?“ „Atne!“ antwortete Sorla. Dann fiel ihm ein, wie unscheinbar der Atne-Tempel in Ekritmea war. Doch das, hatte Delasko einleuchtend erklärt, lag an den Menschen, welche ihre Macht nicht erkannten. „Atne ist nicht die mächtigste Gottheit“, sagte das Wesen.
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Sicher sollte er jetzt sagen: Wendualo. Das wäre höflich und in seiner Lage hilfreich, dachte Sorla. Aber er schwieg. Dann fiel ihm ein, dass Delasko Atne und Wendualo nebeneinander erwähnt hatte, auch standen die beiden Tempel nahe zusammen am Hafen – von ihnen beiden hing die Seefahrt ab. „Die mächtigste Gottheit“, sagte das Wesen, „ist Wendualo. Er war da, bevor es das Land gab. Er wird noch da sein, wenn alles Land verschwunden ist. Auch Atne ist mächtig, denn sie ging aus Wendualo hervor.“ Sorla ließ das auf sich wirken. „Also ist Wendualo Atnes Vater?“ „Wendualo ist nicht männlich und nicht weiblich. Wendualo ist der Ursprung, das Ewig Eine. Dein Priester Delasko kam dieser Erkenntnis nahe.“ „Ich kann Atne nicht undankbar sein!“ „Du nimmst ihr nichts, wenn du ihren Ursprung ehrst.“ Sorla senkte den Kopf. Nach einiger Zeit formten sich in seinem Kopf die Worte: „Wendualo war mit der Erhebung der kaburischen Inseln einverstanden. Ohne sein Wohlwollen wären deine Hebel machtlos gewesen. Ihm gefallen deine Gründe. Dass auch andere Stimmen für dich gesprochen haben, ist unerheblich. Du aber vergiss nie seine Macht. Skrut wird dich nach Ekritmea bringen.“ * Die Dankesfeier für Wendualo war beeindruckend. Es fing schon damit an, dass am hellen Vormittag Skrut am Hafenbecken dem Meer entstieg, ein blaugrüner Riese, dreimal so groß wie ein Mensch, mit dem tropfnassen jungen Kaiser auf seinen Schultern, und seine riesigen Schritte quer über den Platz zum Tempel Wendualos lenkte, wo er Sorla absetzte. Schrecklich wirkte sein einäugig glotzendes Haupt auf die Zuschauer, aber auch sein unmäßiges blaugrünes Glied, das zwischen den Knien pendelte,
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beeindruckte sie sehr. Binnen kürzester Zeit hatte sich ein Menschenauflauf vor den Toren des Tempels gebildet, sie wisperten sich die Einzelheiten des Ereignisses zu. Dann erschien der Priester Wendualos, ein dicker Kabure namens Krvos, und hob die Arme. Schnell kehrte Ruhe ein, und er verkündete, dass das Wunder Wendualos, das alle gesehen hatten, ein Anlass sei, die folgenden drei Tage ein besonderes Fest des Meeres abzuhalten – mit Umzügen, Musik, Gedenkfeiern der Opfer der See, Fischbratereien und weiteren öffentlichen Speisungen aus der kaiserlichen Schatulle sowie der Grundsteinlegung eines Heimes für alte Seeleute. So geschah es und erhöhte Sorlas Beliebtheit beim Volk noch mehr. Nun aber waren anderthalb Wochen vergangen, der normale Alltag der kaiserlichen Pflichten hatte Sorla wieder eingeholt, und er saß in seinem Thronsaal, um Besucher zu empfangen. Als Sorla diese Besuchszeiten neu einführte, kam zunächst überhaupt niemand, denn die Bevölkerung war derlei nicht gewöhnt. Dann aber sprach es sich herum, die Besucherzahlen schwollen an. Manche kamen, um sich zu beklagen, manche aus purer Neugier. Die Wartezeiten wurden immer länger, viele übernachteten in den Vorräumen, um ihren Platz nicht zu verlieren, und ließen sich von den Verwandten Essen bringen. Schließlich verteilte man kleine Papiere mit Nummern. Aber das führte dazu, dass geschäftstüchtige Menschen sich solche Briefchen besorgten und meistbietend weiter verkauften. Jetzt wurden Listen mit den Namen der Besucher und Bittsteller eingerichtet, so wussten diese, an welchem Tage sie sich morgens im Vorraum einfinden sollten, um am selben Tage noch den Kaiser sprechen zu können. Diese Regelung galt natürlich nicht für Staatsgäste und andere wichtige Besuche. Die Tür ging auf, die Wache führte den angekündigten Staatsgast herein: den jungen Grafen von Agra, der am Tag zuvor mit der Rose von Bretjeka eingetroffen war. Resthourrom sah Sorla auf seinem Thron sitzen, stutzte, schaute noch einmal hin ... „Das kann nicht sein!“ stammelte er. „Diese Ähnlichkeit!“
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„Seid gegrüßt, Graf Resthourrom!“ sagte Sorla und erhob sich. „Wir kennen uns ja vom Schiff her, können wir die Förmlichkeiten lassen?“ „Ja, natürlich, aber, wie könnt ihr schon hier sein? Ich meine, wie könnt ihr überhaupt hier sein, ihr seid doch ins Meer gesprungen!“ „Ein Diener Wendualos brachte mich her, aber das kann ich ein anderes Mal erzählen. Jetzt geht es um das Verhältnis zwischen dem Hernostischen Reich und der Grafschaft Agra – und zwischen uns beiden als deren Vertretern.“ Resthourrom nickte. „Mein Vater war größenwahnsinnig. Ich weiß, dass die Grafschaft zum Hernostischen Reich gehört, auch wenn ein gewisses Maß an Selbständigkeit ihr schon immer gut tat. Hier gibt es also keine Schwierigkeiten. Und was uns beide betrifft, ich schulde dir, ich meine euch, mein Leben.“ „Wir waren auf dem Schiff nicht so förmlich!“ „Du hast recht, Daful – Sorle-a-glach!“ „Resthourrom, ich habe etwas auf dem Herzen, was ich dir mitteilen muss, auch wenn es schwer fällt.“ Nun erzählte er, wie er in Agra Korraghom kennenlernte, den ältesten Sohn des Grafen, und wie sie die besten Freunde waren. Wie sie dann herausfanden, dass sie beide das Mal des umgekehrten Herzens am Gesäß hatten, dass also auch Korraghom in Wirklichkeit ein Sohn Tok-aglurs war, der sich einst in die Burg des Grafen eingeschlichen hatte. Korraghom war also Sorlas Halbbruder. Resthourrom folgte der Erzählung mit halboffenem Mund, doch sagte er nichts. Sorla erzählte weiter, wie Korraghom ihm eine Falle stellte und ihn zu Tode bringen wollte. „Er wollte den Grafentitel erben und fürchtete enterbt zu werden, wenn sein Vater, ich meine der Graf, durch mich herausfindet, dass er gar nicht Korraghoms Vater ist.“ Dann berichtete er, wie Korraghom ihn verfolgte und schließlich aus dem Hinterhalt auf ihn schoss und Sorla, ohne zu sehen, wer es war, sein Wurfmesser auf ihn schleuderte und so seinen Halbbruder tötete. „Und auf dem Schiff erschlug ich Noghourrom. Ich habe dir also zwei Brüder genommen, Resthourrom.“
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Dieser saß noch immer schweigend da und blickte nachdenklich auf seine Hände. Schließlich schaute er Sorla ins Gesicht und sagte langsam: „So ein umgekehrtes Herz habe ich auch, Sorla. Auf der rechten Hinterbacke, wie Korraghom. Unser Vater war in jener Nacht sehr aktiv, nicht wahr? Sorla schwieg eine Weile. „Dann musst du so alt sein wie Korraghom, nicht wahr?“ „Seine Mutter entband zuerst, meine kam zwei Tage später nieder. Der Graf war sehr stolz über das doppelte Vaterglück.“ Er versuchte ein Lächeln, es misslang. „Demnach war Noghourrom gar nicht mein Bruder; er wurde zwei Jahre später geboren, von Korraghoms Mutter.“ „Korraghom liegt hier in der kaiserlichen Gruft begraben“, flüsterte Sorla. „Du kannst ihn besuchen.“ Resthourrom nickte. „Ich habe ihn sehr geliebt, wir alle taten es.“ Sorla nickte – ihm ging es ja ebenso, trotz allem. Er schenkte gesüßten Tee in zwei Schalen, um Zeit zum Überlegen zu gewinnen. „Ich freue mich, einen Bruder gefunden zu haben, Resthourrom. Aber du bist der ältere von uns beiden, würde es dich nicht reizen, statt meiner Kaiser zu sein?“ Resthourrom setzte die Schale ab, aus der er noch gar nicht getrunken hatte. „Ich bin der Graf von Agra, das ist, was ich immer wollte. Agra ist die schönste Stadt, das Land ist wunderbar, und keine Menschen sind so liebenswert wie die von Agra.“ Sorla lächelte. „Ich weiß das.“ „Du bist der Kaiser“, fuhr Resthourrom fort, „und das mit großem Erfolg. Außerdem ...“, er lächelte mit aufrichtigem Vergnügen, „du hast die Kämpfe und Schwierigkeiten und Verpflichtungen – ich habe den Spaß. Wenn du Urlaub brauchst von deinen Geschäften – besuche mich in Agra!“ Sorla nickte. „Dann sind wir Brüder, die einander helfen und sich nicht aus Missgunst nach dem Leben trachten.“ Resthourrom reichte ihm die Hand, Sorla drückte sie. Sie sahen einander prüfend in die Augen.
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* Nun ging es mit der üblichen Reihenfolge der Besucher weiter. Eine junge Frau trat ein, wunderschön, mit großen, blauen Augen und langem rotbraunem Haar. Jede ihrer Bewegungen zeigte Anmut und gebändigte Kraft zugleich. Ihr folgte ein Luchs dicht auf den Fersen, der sich misstrauisch umsah und die Pinselohren spitzte. Die Wache verbeugte sich: „Verzeihung, oh Herr, die Frau wollte das wilde Tier nicht im Vorraum zurücklassen. Da verwehrte ich ihr den Zutritt, aber sie sagte, ich solle mir keine Sorgen machen!“ „Es ist in Ordnung“, beruhigte ihn Sorla und betrachtete die Fremde näher. In der Rechten hielt sie einen Stab, der einem Krückstock ähnelte, doch hielt sie ihn wie eine Waffe, lässig, aber jederzeit bereit. Sie war wirklich atemberaubend schön. Er hatte das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Vielleicht in Agra, bei einem von Korraghoms Festen, wo immer viele schöne Mädchen verkehrten. Aber was sollte der Krückstock, und gar der Luchs? Auch hätten ihre grünen Fransentücher und der ländliche Wickelrock nicht gut auf solch ein Fest gepasst. „Was willst du?“ fragte er. Sie sah ihn ernst aus ihren blauen Augen an und öffnete den Mund, aber nichts war zu hören. Da runzelte sie wütend die Brauen, packte den Krückstock mit beiden Händen und atmete einmal durch. „Na also“, sagte sie in der Sprache Ailats. „Ich kann doch sprechen!“ Es klang ein wenig stockend, als müssten ihre Worte ein Hindernis überwinden. Jetzt schaute sie Sorla wieder an: „Wegen dir war ich so aufgeregt, da blieb mir die Sprache weg.“ Sorla wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und wartete ab. Sie lächelte und schien ebenfalls abzuwarten, was er jetzt sagen würde. Also schwiegen sie beide eine Zeitlang und sahen sich an. Wie ihr rotbraunes Haar glänzte, wie zart ihre Haut war, wie voll ihre Lippen prangten! Und erst ihre großen, blauen Augen! „Sag mal, Sorla“, beendete sie das Schweigen, „weißt du
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nicht, wer ich bin?“ Fast ärgerlich strich sie ihre Haare über die Schulter zurück. Er schüttelte den Kopf. „Ich bin Aistiken, Sorla!“ Sie sah ihn eindringlich an. „Erkennst du mich nicht?“ Sorla erinnerte sich an ein kleines Mädchen mit rotbraunen Zöpfen, das in Stutenhof bei einer alten Frau namens Kräuter-Liska lebte und stumm war. Sie hatte auch große blaue Augen, das stimmte. „Aistiken ist stumm“, sagte er. „Ja. Aber Kräuter-Liska half mir, und ich lernte sprechen. Das war, nachdem wir Stutenhof verließen.“ Wieder sah sie ihn an, als sei es seine Sache, das Entscheidende zu tun. Aber ihm fiel nur ein, dass schon viele Besucherinnen gekommen waren und schön getan hatten, weil allgemein bekannt war, dass ihm eine Frau fehlte. An Aistiken hatte er nur unklare Erinnerungen, nach Mädchen stand ihm damals nicht der Sinn. Er war ja erst zwölf. Diese Frau hier mochte Aistiken sein oder auch nicht. „Ich spüre, dass du Angst hast“, sagte sie mit ihrer stockenden Stimme. „Vielleicht traust du mir nicht. Ich komme nicht aus Berechnung. Ich wusste bis vor zwei Monaten nicht, dass du hier als Kaiser sitzt – aber gesucht habe ich dich schon vorher.“ „Warst du es, der sich in Agra nach mir erkundigte?“ fiel Sorla plötzlich ein zu fragen. Sie nickte, ihre Augen strahlten. „Ja, bei dem alten Priester. Meine Tauben erzählten von einer Schlange in seinem Taubenschlag, die sich in einen blonden Jungen verwandelte. Da wusste ich, das bist du!“ Das konnte stimmen, dachte Sorla. Denn Kräuter-Liska wusste von seinen Verwandlungen und mochte es Aistiken erzählt haben. Andererseits, eine einfallsreiche Diebin konnte das auch herausfinden. Sorla erhob sich von seinem Thron, sofort spitzte der Luchs die Pinselohren und fauchte. Aber die junge Frau wandte sich ihm zu, da beruhigte sich die Raubkatze. Sorla ging zu dem kleinen Tisch mit gesüßtem Tee und
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Gebäck hinüber: „Setz dich zu mir!“ Wieder kam ihm das kleine Mädchen von damals in den Sinn. Er erinnerte sich, wie sie durch ihre bloße Gegenwart einen aufgebrachten Bären besänftigte. Sollte dies hier wirklich Aistiken sein? „Es ist schön, alte Bekannte zu sehen“, sagte er. „Wie geht es Kräuter-Liska?“ „Lass diesen Unsinn!“ fauchte sie unerwartet. Auch der Luchs war wieder aufgesprungen, hatte fauchend die Ohren angelegt. „Ich bin hierher gekommen, weil ich nicht anders konnte. Und du wimmelst mich wie eine deiner Bittstellerinnen ab.“ Sie atmete schwer, mit geblähten Nüstern. Allmählich aber fasste sie sich; der Luchs hörte auf zu fauchen, ging noch zweimal unruhig hin und her und legte sich murrend wieder hin. „KräuterLiska ist tot“, sagte sie so ruhig wie zuvor, sie trank sogar etwas Tee aus ihrer Schale. „Sie hat mir diesen Stock vererbt, ihre Schere, ihr gesamtes Wissen. Aber ich bin nicht Kräuter-Aistiken geworden. Ich mag nicht in einem Häuschen wohnen und warten, dass die Leute mit ihren Krankheiten kommen. Ich bin zu unruhig, um irgendwo lange zu bleiben. Ich habe Frena gedient, dann Wral.“ Sie lächelte. „Ich habe deinen neuen Wral-Tempel besucht und von deinen Schwierigkeiten gehört. Ich könnte dir als Priesterin aushelfen – ein halbes Jahr vielleicht. Dann muss ich weiter.“ Diese junge Frau war schön, zugleich spürte Sorla die Kraft, von der sie erfüllt war; keine Kraft, die bebt und sich entladen will, sondern sie ruhte im Gleichgewicht und war doch da. Sorla fühlte sich wohl in ihrer Gegenwart. Immer mehr wurde ihm auch körperlich bewusst, dass diese Frau nicht nur schön war, sondern dass er sie begehrte. Er atmete den Duft ihres Körpers. „Nur die Opfer für Wral“, plauderte sie weiter, und sie schien den Wandel seiner Gefühle nicht zu merken, „das mussten zunächst andere machen. Es kostete mich viel Überwindung, zu begreifen, dass auch der Tod in unsere Welt gehört. Als Kind wollte ich es nicht wahrhaben. Ich litt stumm mit den armen Geschöpfen und wollte jedes einzelne am Leben erhalten.“ Sie sah ihm in die Augen. „Jetzt kann ich jagen wie mein Luchs, heilen wie KräuterLiska und ...“ Sie brach ab.
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„Aistiken“, hörte Sorla sich sagen, „ich bin voller Liebe für eine Frau namens Hukari, doch sie hat mich verlassen.“ Ihre blauen, großen Augen blickten ernst in die seinen. „Endlich bist du ehrlich, Sorla. Sei mutig und gehe noch einen Schritt weiter, damit ich nicht umsonst hergekommen bin.“ * Eine Woche schon lebte Aistiken in Sorlas Privatgemächern. Tags streifte sie alleine durch Ekritmea oder ließ sich von Sorla die Umgebung zeigen. Wie die Frauen in Ekritmea sich kleideten, gefiel ihr, doch ihre eigene Tracht fand sie praktischer. „Ja, wenn ich länger hier wäre ...“ Nachts lag sie an Sorla geschmiegt und war glücklich. Einmal hörte Sorla, wie sie selbstvergessen seufzte: „Wir sind füreinander bestimmt!“ Ihm fiel sein altes Halstuch ein, er holte es aus dem Reiserucksack und zeigte es ihr. Sie strich es auf den Knien glatt und betrachtete das Muster. Da lächelte sie: „Mein Kopftuch! Du hast es also doch gefunden!“ „Wieso? Hattest du es absichtlich liegen lassen?“ Sie schaute ihn nachdenklich an. „Ich hoffte, es erinnert dich, dass du zu mir zurückkehren musst. Ich wartete auf dich. Auch als ich zu wandern begann, hoffte ich, du suchst mich. Für mich war das ganz klar. Ich dachte, Dana wird dich leiten. Aber später erkannte ich, du warst noch ein Kind, ich erwartete zuviel. Auch war es Atne, die dich leitete, nicht Dana. Da musste ich lernen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.“ Sie hauchte einen Kuss hinein, faltete das Tuch zusammen und gab es ihm zurück: „Hier, behalte es!“ Ihr Luchs streifte durch den Park, lag dort versteckt im Geäst der alten Bäume oder sonnte sich auf der obersten Terrasse des Palastes. Ab dem dritten Tage gewöhnte er sich an, bei Besuchszeiten neben Sorlas Thron zu sitzen und aufmerksam das Geschehen zu verfolgen.
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Einmal zog ein Bittsteller unvermittelt den Dolch aus dem Gürtel und rannte quer durch den Saal auf Sorla zu. Die Wachen rannten hinterher, holten ihn aber nicht ein. Dennoch war dies keine ernsthafte Gefahr; Sorla machte sich bereit, ihn, sobald er herankam, zu entwaffnen. Doch schon vorher hatte sich der Luchs auf den Angreifer gestürzt, ihn bäuchlings zu Boden geworfen und hielt dessen Hals in seinen starken Zähnen. Die Wachen fesselten den Mann und führten ihn ab. Abends kam Aistiken von ihren Streifzügen zurück und sagte: „Dieser Mann ist verwirrt. Er gehört nicht ins Gefängnis, ich kann ihn heilen.“ „Woher weißt du?“ staunte Sorla. Sie erklärte ihm, dass sie es durch die Augen des Luchses gesehen habe. „Er ist ein bisschen von mir, und ich bin ein bisschen von ihm. In den Wäldern ist es ein großer Vorteil, zu zweit und doch wie einer zu sein.“ „Sehnt sich dein Luchs zurück in die Wälder?“ Sie nickte wortlos. „Und würdest du ihn gehen lassen?“ Zögernd antwortete sie: „Nein, mein Lieber. Wenn es Zeit ist, gehen wir zusammen. Ich liebe dich mehr als alles, doch ich kann nicht immer bleiben.“ Das konnte er sich aber nicht vorstellen, so bedingungslos liebte sie ihn, und so sehr begann er sie zu lieben. Ab der zweiten Woche kümmerte sie sich um den WralTempel. Wenn sie über die Wiesen ging, begrüßten die Rinder sie mit frohem Gebrüll, die Hirsche legten ihre Köpfe auf Aistikens Schulter. Die Vögel schienen in ihrer Nähe mit besonderer Freude zu singen. Und wenn sie die Hand hob, senkten sich zwei, drei Tauben aus den Wolken herab und gurrten ihr aufgeregt zu. Die Besucher des Tierparks erzählten, jetzt erst spürten sie den besonderen Geist des Ortes. Auch wachse das Gras hier grüner und die Bäume stünden stattlicher als zuvor. Dann kam eine Frau mittleren Alters in Sorlas Palast. Sie brachte eine Empfehlung von der Wral-Priesterin nördlich von Kaharad, daher musste sie nicht warten. „Ich bin her geschickt
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worden“, sagte sie, „weil es hieß, der Wral-Tempel bedürfe der Leitung. Herr, ich schäme mich meiner Anmaßung!“ Sorla war verwundert. „Was willst du damit sagen? Du wurdest doch für diese Aufgabe bestimmt, oder?“ „Nie kann ich mich mit Aistiken der Wandernden messen!“ sagte sie unglücklich. „Sie ist begnadet und wird weit und breit verehrt. Ich werde hingehen und tun, was sie mir aufträgt – vielleicht kann ich von ihr lernen!“ Das war das erste Mal, dass Sorla auf den Gedanken kam, Aistiken könne mehr sein als seine schöne, anschmiegsame Geliebte – so wie er als Kaiser mehr war als nur ihr Geliebter. Diese Einsicht beunruhigte ihn sehr. * Ein Eilbote brachte einen Brief: „Mein Geliebter! Ich bin auf dem Weg nach Ekritmea, denn ich habe dir Wichtiges zu sagen. Ich freue mich und kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Hukari.“ Oh Atne! dachte Sorla. Er versuchte das Gelesene in seiner Tragweite zu erfassen. Den Boten fragte er: „Wann wird Hukari eintreffen?“ „Schon morgen, Herr! Sie schickte mich voraus, damit Ihr nicht zu überrascht seid und euch schon freuen könnt.“ „Das ist sehr lieb von ihr“, stammelte Sorla. Er war so verwirrt, dass er vergaß, den Boten wie üblich zu belohnen. Nachdem er eine Zeitlang sich die Haare zerwühlte, ohne zu einem Entschluss zu kommen, suchte er Aistiken im Tempel Wrals auf und zeigte ihr den Brief. Sie strich sich die rotbraunen Haare aus der Stirn. „Und was denkst du?“ „Ich liebe sie“, platzte es aus ihm heraus, „obwohl ich wütend bin, wie sie mich verließ. Doch dich liebe ich genauso; ich weiß nicht, was ich tun soll!“ „Da hat Dana dir ein Rätsel aufgegeben – oder Marushu,
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wie sie hierzulande genannt wird.“ Sie lächelte, als ob es sie nicht berühre. Den restlichen Tag ging sie mit Sorla am Ufer des Flusses Bato spazieren. Der Luchs trottete hinterher. Sie hielten sich an der Hand, er erzählte von Hukari. Meist blickte er weit über den Fluss Bato oder vor sich hin auf den Weg. Als er sich ihr einmal überraschend zuwandte, sah er, dass sie weinte. Nachts drückte sie sich verzweifelt und stumm an ihn. Am nächsten Morgen sagte sie: „Ich will sie sehen.“ „Aber Hukari wird ...“ Sie blickte ihn forschend an. „Willst du mich verheimlichen, Sorla?“ Er zuckte zusammen. „Nein, aber ich mag sie nicht verletzen.“ „Sie hat dich schon lange verletzt“, gab Aistiken zurück. „Und jetzt eben verletzt du mich.“ Sorla entschloss sich, im Palastgarten auf Hukari zu warten. So saß er mit Aistiken im Schatten einer Zeder auf der breiten Mauer, die den Palasthügel einfasste und noch von der früheren Festungsanlage übrig war. Nachmittags sahen sie, wie eine Gruppe Reiter die Straße heraufkam, dann bei den Treppen abstieg und die Pferde am Zügel führte. Sie trugen die in Batiflim üblichen Kittel und Lederhosen, über der Schulter hingen Kurzbögen und Köcher. Zwei große Hunde mit dunklem Zottelfell, wie man sie in Batiflim für die Bärenhatz züchtete, trotteten nebenher, und nun konnte Sorla Hukari erkennen: sie ging als vorderste, anmutig in Gestalt und Bewegung, sie scherzte mit den anderen, sie fuhr sich durch die dunklen Haare. Jetzt geriet die Schar hinter der Palastmauer außer Sicht, würde aber bald am Eingang des Palastgartens wieder erscheinen. Sorla stand auf und ging ihnen langsam entgegen. Sein Herz zog sich zusammen. Er war erst zwei, drei Dutzend Schritte gegangen, da eilte ihm Hukari entgegen, neben ihr fröhlich bellend die beiden großen Hunde. Kurz vor ihm aber stockte sie, schaute ihn an, wie er so abwartend stand, und sagte: „Was ist?“ „Du hast uns auf gemeine Weise im Stich gelassen, Hukari!“
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„Ja, das war dumm von mir, ich weiß!“ Sie lächelte und hakte sich bei ihm ein. „Das kommt auch nicht mehr vor. Du höre mal, ich muss dir was Wichtiges sagen.“ Sorla aber schüttelte den Kopf. „Lass mich zuerst reden, Hukari. Ich liebe dich, aber du hast mich verlassen. Jetzt ist Aistiken da ...“ Sie machte sich mit einem Ruck von ihm los. „Also stimmt das Gerücht?“ Ihre dunklen Augen blitzten. „Wo ist dieses Miststück? Bei Ûr-gqâschps, sie soll mich kennenlernen!“ Da kam von der Burgmauer her Aistiken, ihren Stock locker in der Rechten. „Ist sie das?“ zischte Hukari. „Die da mit dem Krückstock? Was Besseres hast du nicht gefunden?“ „Lass das!“ wollte Sorla vermitteln, doch Hukari stieß ihn beiseite. „Du Hure“, schrie sie und schüttelte die Faust. „Krallst dir meinen Geliebten! Meinst du, du kommst damit davon?“ Sie schüttelte ihren Kopf, dass die dunklen Locken flogen, und ging mit gespreizten Fingern auf Aistiken los. Der Luchs hatte sich aber vor seine Herrin gestellt, legte die Pinselohren nach hinten und fauchte. „Ach so ist das?“ schrie Hukaris. „Das kann ich auch!“ Sie pfiff ihren Hunden: „Krot! Luki! Packt die Katz!“ Die beiden Hunde rasten bellend auf den Luchs zu, aus ihren weißen Fängen flog der Geifer. Die Raubkatze wischte dem vorderen der Hunde mit der Tatze über die Schnauze und wich dem zweiten durch einen Luftsprung aus. Da trat Aistiken stumm dazwischen, die Hunde blieben stehen, schauten ein bisschen verwirrt und legten sich hin. Der Luchs kletterte am nächsten Baum hoch und verzog sich murrend ins Geäst. „He, Krot, Luki!“ schrie Hukari fassungslos und zeigte auf Aistiken: „Auf, packt sie!“ Die Hunde hoben ihre Köpfe und hechelten ergeben, ohne aber zu gehorchen. Einem tropfte Blut von der aufgerissenen Schnauze. „Du Hexe! Was hast du mit meinen Hunden gemacht?“ Wieder versuchte Sorla zu vermitteln, beschwörend rief er: „Hukari, Liebste, lass das!“
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Sie achtete nicht auf ihn; Fäuste schwingend stürzte sie sich auf Aistiken. Diese schlug mit ihrem Stock die Arme Hukaris beiseite und trat ein paar Schritte zurück. Hukari schrie auf vor Wut und Schmerz. „Ûr-gqâschps!“ rief sie. „Ûr-gqâschps! Hilf mir gegen diese Hexe!“ Sie atmete tief durch und stemmte die Fäuste in die Seite. Jetzt stand sie ganz still und wippte nur leicht auf den Zehen. „Pass auf, du Luder!“ zischte sie, ihre dunklen Augen blitzten. „Bei allen Trollen Batiflims, ich mach‘ dich jetzt so fertig, dass du nur noch als Hundefutter taugst!“ Plötzlich schnellte sie sich vorwärts, mit einem Satz, wie kein Mensch ihn vollbringen kann, überschlug sich in der Luft und sprang Aistiken mit beiden Füßen in den Magen. Diese taumelte zurück und fiel zu Boden. Bevor sie beiseite rollen oder den Stock schützend vor sich halten konnte, hatte Hukari sich auf sie geworfen und drückte ihr den Hals zu. Aistiken brachte ihre freie Linke hoch und presste sie in Hukaris Augen, dass diese aufschreiend losließ. „Du mieses Stück Scheiße!“ zischte sie und schlug Aistiken ins Gesicht, dass deren Kopf zur Seite flog. Doch diese kam hoch und umklammerte Hukari mit beiden Armen, wobei ihre Rechte noch immer den Stock hielt. Nun rollten die beiden in verbissenem Ringkampf durchs Gras. Rotbraune Haare, dunkle Haare wirbelten durcheinander, Arme und Beine verschränkten sich in schrecklicher Umarmung, doch Sorla sah, dass Aistiken der unnatürlichen Stärke Hukaris nicht mehr lange gewachsen war. Mit letzter Kraft rammte sie dieser die Spitze ihres Stockes in den Rücken. Aufschreiend ließ Hukari los, drückte Aistikens Arme zur Seite und packte den Stock, um ihn Aistiken in den Unterleib zu stoßen. Da sprang ihr von oben aus dem Baum der Luchs ins Kreuz und riss sie mit sich zu Boden. Hukari wirbelte herum, trat der Raubkatze in den Leib, dass sie einige Schritte beiseite flog. Das nützte Aistiken, um aufzuspringen, doch schon hatte Hukari sie angesprungen und griff mit beiden Händen nach dem Stock, den Aistiken hoch über sich hielt. Aistiken ließ sich nach hinten fallen, zog die Beine an und trat, den Schwung nützend, Hukari mit solcher Wucht in den Leib, dass diese sich über Aistikens Kopf hinweg überschlug – über den Rand der Burgmauer hinweg schreiend ins Leere.
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Aber sie hielt noch Aistikens Stock gepackt, und diese ließ nicht los. Aistiken lag auf der Mauer, die Arme halb ausgerenkt von Hukaris Gewicht, und rutschte langsam dem Rande näher. Sorla sprang hinzu und warf sich auf sie, mit beiden Händen griff auch er nach dem Stock. Zu zweit hielten sie so Hukari über dem Abgrund, stückchenweise gelang es Sorla, den Stock näher zum Rand zu ziehen, bis Hukari mit einem Fuß Halt in einer Mauerritze fand, so dass es den beiden leichter fiel, sie ganz über die Mauer in Sicherheit zu ziehen. * Die drei aßen zusammen in einem der kleineren Gemächer. Vorwiegend wurde geschwiegen. Der Luchs und die Hunde lagerten in sicherem Abstand voneinander und beäugten sich oder gähnten scheinbar gelangweilt, wobei sie ihre weißen Reißzähne zeigten. Hukaris Augen gingen zwischen Sorla und Aistiken hin und her, sie presste die Lippen zusammen. Sorla drückte es die Brust zusammen, wie er die beiden Frauen sah, die er beide liebte. Aistiken blickte vor sich hin, die rotbraunen Haare fielen ihr übers Gesicht. Als die Diener abräumten, wusste Sorla noch immer nichts Kluges zu sagen. Da blickte Aistiken auf, mit ihrer stockenden Stimme fragte sie Hukari: „Du möchtest also hier einziehen, Hukari, und Sorlas Kaiserin sein?“ Diese nickte. „Ich bin seine Frau, bei Marushu!“ „Wo warst du dann die ganze Zeit?“ Hukari richtete sich auf. „Ich bin Die mit dem Drachen spricht! Ich muss mich um meine Leute in Batiflim kümmern! Gerade jetzt gibt es dort große Veränderungen ...“ „Aber in Zukunft bist du hier und wärmst sein Bett?“ „Ja, schon“, antwortete Hukari zögernd. „Natürlich nicht dauernd, aber er ist mein Mann, den kriegst du nicht!“ „Und wenn du nicht da bist? Es gibt viele Frauen, die sind
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schön und falsch!“ „Hört mal!“ unterbrach Sorla diese Unterhaltung. „Ihr redet hier über mich! Habe ich da nichts zu entscheiden?“ Aistiken blickte auf und sagte langsam: „Sorla, gibt es hier noch ein zweites Schlafgemach?“ „Ja, natürlich. Wenn Hukari ...“ „Nein“, sagte Aistiken. „Für dich – heute nacht.“ Hukari blickte rasch auf, in Aistikens große, blaue Augen. „Findest du das klug?“ fragte sie. „Ich kam wegen Sorla her!“ „Wir haben uns viel zu sagen, Hukari.“ * Sorla saß auf der kleinen Terrasse vor seinem Schlafgemach – er war zu aufgewühlt, um sich hinzulegen. Zwei Frauen liebte er, und keine hatte er. Dabei liebten sie auch ihn, ja, sie hatten um ihn gekämpft! Und was sollte das bedeuten, dass er alleine war, während sie ... Der Park lag dunkel und ruhig unter ihm, der Nachthimmel war schwach bewölkt. Es duftete nach herbstlich feuchtem Laub und Gras im Abendnebel, in der Ferne bellte ein Hund. „Prinz Sorle-a-glach!“ flüsterte eine Stimme. Da sah er wenige Schritte vor sich eine schwach schimmernde Gestalt. In einen weißen Mantel gehüllt, stand dort eine ältere Frau. Sie schien über dem Boden zu schweben, auch konnte man die dunklen Bäume durch ihren Körper erkennen. „Frau Maren!“ sagte er überrascht. „Du stehst vor einer wichtigen Entscheidung, Prinz Sorle-aglach“, wisperte die Geistergestalt. „Die Schlangendynastie braucht nicht nur einen Kaiser, sondern auch Erben. Ohne Frau hast du keine Zukunft!“ „Ich weiß, Frau Maren“, sagte er unglücklich. „Da gibt es zwei Frauen; beide sind wunderbar, ich kann mich nicht entscheiden!“
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„Aistiken liebt dich bedingungslos und ist treu, Sorle-aglach. Sie hat Frenas Segen und Wrals Kraft – sie ist gut für dich und kann dir helfen, wo du nicht weiter weißt. Auch ist sie schön für die Augen des Mannes und eine Geliebte, die dir das Leben versüßt. Sie wird dir gesunde Kinder gebären.“ „Ihr habt recht, Frau Maren, ich werde ...“ Die weiße Gestalt hob die Hand. „Warte! Hukari liebt dich mit gleicher Kraft und Treue. Sie hat Marushus Segen und die Kraft der Berge. Sie ist gut für dich und bringt dir die Unterstützung der Sippen von Batiflim. Auch sie ist schön und gesund, eine Geliebte, wie sie kein Mann schöner sich denken kann, und wird dir gesunde Kinder gebären.“ „Frau Maren, wie soll ich da ...“ „Warte! Beide Frauen sind stark und stolz, ungeduldig und voll eigener Ziele. Du wirst keine besitzen können.“ Sorla ballte die Fäuste. „Frau Maren! Sie lieben mich so stark, sie wollten sich sogar gegenseitig umbringen! Die geisterhafte Erscheinung schien zu lächeln, doch konnte Sorla es nicht genau erkennen. „Prinz Sorle-a-glach, wo hast du deine Augen? Hat Hukari vielleicht ihren Dolch benützt? Oder Aistiken ihre Schere? Siehst du! Sie lieben dich, aber sie würden sich gegenseitig nicht töten.“ Sorla fand, dass es durchaus gefährlich aussah, wie die beiden miteinander umgesprungen waren, konnte aber nicht wirklich widersprechen. Jetzt hatten sie ja sogar ihn aus seinem eigenen Schlafgemach ausgesperrt! Damit war er wieder am Anfang seiner im Kreis gehenden Gedanken, und Frau Maren war verschwunden. Am anderen Morgen erschienen Aistiken und Hukari auf Sorlas kleiner Terrasse, wo dieser gerade frühstückte. Sie waren hungrig und aßen ihm, ohne groß zu fragen, fast alles weg. Es herrschte jedoch eine angespannte Stimmung, wie am Abend zuvor wollte keiner anfangen, über Wichtiges und Naheliegendes zu reden. Stattdessen wurden die Hunde und der Luchs gefüttert und dann in den Park geschickt, der Diener musste einen Sonnenschirm aufstellen und dergleichen mehr. Schließlich schaute Hukari Sorla direkt an. „Was ich dir
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sagen wollte – bloß hast du mich unterbrochen – ist, dass ich von dir schwanger bin.“ Sie sprang auf und umarmte ihn. „Verstehst du, was das heißt?“ Sorla nickte betäubt – er als Vater, welch unvorstellbarer Gedanke! Er drückte sie an sich, etwas hilflos, und stammelte über ihre dunklen, duftenden Locken hinweg: „Wann ...?“ „Jetzt im Vorsommer, als du mich befreitest, als Psudi draußen warten musste!“ Aistiken sagte: „Daher haben wir beschlossen, dass ich gehe.“ „Wir?“ wiederholte Sorla. „Ja, wir.“ Sie strich ihre rotbraunen Haare aus der Stirne. „Hukari soll ihr Kind bei dir bekommen, hier in Ekritmea. Das wird im Frühjahr sein.“ „Und wenn ich reisefähig bin“, mischte sich Hukari ein, „dann geht’s nach Batiflim, denn mein Kind gehört in die Berge!“ Sie strahlte Sorla an. „Und Aistiken kommt zu dir!“ Sorla glaubte sich verhört zu haben. Aistiken sah mit ihren großen, blauen Augen auf zu Sorla: „Dann habe ich lange genug gewartet, oder?“ Außerdem, auch ich bin dann im fünften Monat!“ Sorla setzte sich hin. Er wusste, er sollte jetzt Aistiken in die Arme nehmen, doch seine Knie zitterten. Diese aber kniete sich neben ihn und küsste ihn. „Du Armer!“ sagte sie mit ihrer stockenden Sprache. „Das ist viel für dich, mein Liebster. Es stimmt, seit einer Woche weiß ich es.“ „Ist das nicht toll?“ fragte Hukari und kniete sich auf die andere Seite neben Sorla. Sie nahm seine Hände und flüsterte: „Du musst jetzt ganz stark sein, mein Liebster!“ Oh Atne, dachte Sorla, was kommt jetzt noch? Hukari erklärte: „Aistiken und ich haben uns gestern nacht ausgesprochen. Keine von uns beiden hat genug Zeit für dich. Du weißt, sie muss immer wandern, wegen ihrer Heilkunst und so, und ich muss zwischen den Sippen umherreisen, da können wir nicht nur in Ekritmea hocken – bei aller Liebe nicht. Daher haben wir gedacht, wir wechseln uns ab, jedes halbe Jahr ungefähr.“
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„Aha!“ murmelte Sorla. „Und wir sind beide schwanger, da wäre es doch gemein ...“ „Habt ihr euch nicht erst gestern fast zu Tode geprügelt?“ Hukaris Augen blitzten. „Ja, das hat Spaß gemacht!“ Aistiken lächelte versonnen. „So dicht war ich einer Frau noch nie zuvor. Zärtlichkeiten, ja, aber nie so an der Grenze. Hukari ist wie ein wildes Tier!“ „Selbst wildes Tier“, lächelte diese und zwinkerte Aistiken zu. Aistiken wurde rot und sagte sachlich: „Wir nehmen einander nichts weg, im Gegenteil. Wenn ich wandere, will ich nicht, dass irgendeine Schöne aus Ekritmea sich in unser Bett legt. Bei Hukari weiß ich, woran ich bin.“ „Ja“, nickte diese heftig. „Und mir ist klar, dass Aistiken dir gut tut, damit du gesund bist, wenn ich wieder komme!“ Langsam dämmerte es Sorla, dass diese Abmachung auch für ihn ihren Reiz hatte. Er stand auf, räusperte sich, versuchte nicht vor Übermut zu grinsen und sagte: „Dann habe ich also zwei Kaiserinnen.“ „Genau!“ sagte Hukari und hängte sich rechts ein. Aistiken hängte sich links ein und erklärte beiläufig: „Wir haben außerdem ausgemacht, dass wenn eine von uns beiden zurückkommt, wir zwei Tage zusammen verbringen. Ohne dich.“ „Weil wir viel zu besprechen haben“, ergänzte Hukari lachend. Die beiden zogen Sorla mit sich, bevor er Gelegenheit hatte, über die letzte Mitteilung groß nachzudenken. * Die Wolken zogen unter dem Mond hindurch und verfinsterten die Binsenbüschel, dann aber gaben sie ihn wieder frei, und das schwarze Wasser des Norfell-Flusses glitzerte jenseits des Schilfgürtels. Von irgendwo glucksten verschlafene Blässhühner. Sorla mühte sich, die alte, zu eng gewordene Haut
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abzustreifen. Er wand sich durch tief hängende Erlenäste, zwängte sich zwischen dicht stehenden Weidenbüschen durch, doch immer noch hingen und juckten die schuppigen Reste der letzten Jahre an ihm. „Du schaffst es, oder du erstickst!“ zischte es. Über ihm schwankte der riesige Schlangenkopf, von vorne sah das hartkantige Maul böse aus, nach unten gezogen, von der Seite schien es grimmig zu lächeln. Die gespaltene Zunge fuhr Sorla über den Rücken, der war empfindlich unter der neuen Haut. Sorla wand sich weiter und riss sich vom letzten Fetzen los. * An diesem Vormittag fand die große Krönungszeremonie statt. Es war Frühling. Sorla saß feierlich gewandet auf dem Schlangenthron. Rechts neben ihm saß Hukari, ihr Töchterchen stolz auf dem Arm. Links von ihm saß Aistiken, denn sie war gegen die Abmachung schon vorher angereist, um Hukari bei der Entbindung beizustehen. So war Sorla auf schönste Weise eingerahmt, und die Anwesenden nahmen es staunend zur Kenntnis. Anwesend waren die Obersten Priester und Priesterinnen aller maßgeblichen Tempel von nah und fern, Gesandte befreundeter Länder und aller Provinzen des Hernostischen Reiches, Ramtasi aus der Taipalsteppe, Abordnungen der Stände und Gewerbe, außerdem mehrere Gruppen von Besuchern, die auf die übrigen Anwesenden merkwürdig, wenn nicht gar befremdlich wirkten: Zwerge, Gnome, Trolle und Halbtrolle, Zentauren, Elfen, der blaugrüne Skrut mit Grüßen vom Sprecher Wendualos, sogar eine Riesin namens Ifarbirre war her gewandert und kauerte mit eingezogenem Kopf, obwohl zwischen diesem und dem Gewölbe durchaus noch ein paar Klafter Luft waren. Trotz ihrer Schwangerschaft hatte es sich auch die Fürstin Taina aus den Sidhlanden nicht nehmen lassen, mit ihrem Prinzgemahl Tok-aglur zur Krönung des gemeinsamen Sohnes zu
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kommen, und saß neben Hukari, mit der sie sich über Geburten im allgemeinen und besonderen austauschte. Memlik, Hukaris Vater, Sorlas Blutsbruder und Sippenchef in Batiflim, saß neben Tok-aglur. Auch Horell war ein Ehrengast, er saß in einer mit Sternchen übersäten Festrobe neben Aistiken, die er von Stutenhof her kannte, aber wagte kaum, sie anzureden. Drei Männer, die zunächst unbeachtet dabeistanden und mit ihren goldenen Augen das Treiben verfolgten, wurden bald zum Mittelpunkt erregter Neugier, als sich herumsprach, wer sie wirklich waren: Drachen in Menschengestalt. Einer trug einen blauschwarzen Panzer, der nicht so richtig zum festlichen Anlass passte. Auch der zweite wirkte mit seinem zottigen Umhang, seinem eisgrauen Bart und den struppigen Brauen, als hätte er sich zufällig hierher verlaufen. Der dritte, in bodenlangem, weißem Leinenhemd, hielt eine kleine, schimmernde Kugel in der Linken. Neben ihm stand, mit ihrem nackten Arm bei ihm eingehakt, eine zarte und doch frühreife Mädchengestalt, in goldfarbene Seide gehüllt und mit zierlichen grünen Sandaletten – Syardra. Als Sorla dieser Gruppe ansichtig wurde, beeilte er sich, ihnen die gebührenden Ehrenplätze einzuräumen. Dann, als er Zeit fand, fragte er sein Töchterlein: „Liebes, wie konntest du deine Buche im Stich lassen?“ „Aber Vater!“ flötete sie und wies auf ihren Begleiter. „Der liebe, alte Drache hat meinen Baum extra mitgebracht – schau, in dieser praktischen Kugel! So kann ich alles sehen und meinen Schwestern berichten. Die werden neidisch sein!“ Sie lächelte unschuldig und hauchte ihm, ihr eines Bein zierlich angewinkelt, einen Kuss auf die Stirn. „Ich freue mich ja so für dich, Vater!“ Dann begannen die Festreden, feierlichen Treuegelübde, Verlesungen der wieder in Kraft tretenden Verträge aus alten Zeiten, und nun sollte der eigentliche Höhepunkt folgen: die Krönung Sorlas zum neuen Kaiser des Hernostischen Reiches. Plosek trat vor, die Kaiserkrone in beiden Händen vor sich her tragend. Hinter ihm schritt Zanolphis aus Kaharad, älter an Jahren und würdiger im Rang, doch Plosek stand dem Tempel in Ekritmea vor, also war dies nun seine Stunde, obwohl er die Ehre
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gerne an Zanolphis übertragen hätte. Sorla stand, seiner Festrobe entledigt, in einfachem Gewand auf dem Podest neben dem Marmorrand des Brunnens, der die Mitte der Krönungshalle bildete, und wartete, dass Plosek die Stufen heraufsteige und ihm die Krone aufsetze. Nun hatte auch er das Podest erklommen, hinter ihm Zanolphis. Näher traten die beiden Priester, von den Rängen stimmten Musikanten eine feierliche Weise an. „Im Namen Anods!“ rief Plosek und hob die Krone, dass alle sie sehen konnten. „Im Namen Anods und zum Wohle des Volkes kröne ich dich, Prinz Sorle-a-glach, zum neunzehnten rechtmäßigen Kaiser des Hernostischen Reiches!“ Und leise fügte er hinzu: „Viel Glück, junger Kaiser!“ Er setzte ihm die Krone der Schlangenkaiser aufs gesenkte Haupt. Donnernder Beifall brach los. Plötzlich verfinsterte sich die Halle, ein gewaltiges Rauschen ertönte, dann sahen sie im wieder erstarkenden Licht eine riesige blaugrüne Gestalt mit weit sich spannenden Hautflügeln – Azluthos, der Hüter des Herzen von Batiflim, entstieg dem Brunnen. „Sorle-a-glach!“ dröhnte seine tiefe Stimme. „Die Menschen hier haben getan, was ihrem Brauch entspricht. Nun bist du ihr Kaiser. Aber wir wollen auch wissen: Bist du ein Schlangenkaiser, wie es Ugalur war, Sohn der Zusnild? Dann zeige es uns jetzt!“ Sorla sah sich um. Alle sahen ihn erwartungsvoll an. Was sollte er tun? Was zeichnete einen Schlangenkaiser aus? Eben dass er auch eine Schlange war! Da nickte er und sprach das Wort.
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GLOSSAR Abchandru: Erster Kampfmagier und Zweiter Vorsitzender der Zaubernden Gilde in Kriteis. Er ist dick und trägt eine eindrucksvolle blaue Robe. Er kämpfte bei den aufständischen Truppen des Perlek-Clans. Aedh-Hiloiadh: Der alte Elfenname für Ailat. Früher lebten dort Elfen. Aejop-Hügel: Ein mit Zypressen bestandener Hügel am nördlichen Rand der Stadt Kriteis. Dort soll es spuken. Agish „IV“: Ein Feuerreiter, jung und begeisterungsfähig. Sein Vater ist Hoglesh aus der Familie der Illmani in Ekritmea. Er hat rotes Haar und grüngelbe Augen. Agla Schlangenfreund: Der achtzehnte und letzte hernostische Kaiser. Er wurde ungefähr vier Generationen vor Sorlas Geburt ermordet. Agra: Hafenstadt in der kaburischen Bucht, an der Ostküste von Spakjo. Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft. Man spricht dort einen Dialekt des Hernostischen. Ailat: Ein kleineres Land, benannt nach der Stadt Ailat. Es erstreckt sich von der Ailat-Bucht (mit der Hauptstadt) mit dem Fluss Eldran als Hauptverkehrsachse nach Norden bis zu den Grauen Bergen, die es nach Westen hin vom hernostischen Kaiserreich trennen. Aistiken: Vollwaise, ihr Vater war Tannes aus Walddorf im Norden Ailats. Lebte bei ihrer Tante Kräuter-Liska in Stutenhof. Sie ist in Sorlas Alter, vielleicht etwas jünger. Ak'men: Gott der Diebe und Akrobaten. Neffe der Göttin Atne. Akritiles: Ein hernostischer Gelehrter der Geschichte, der wegen Veröffentlichung unliebsamer Wahrheiten enthauptet wurde. Alter Wall: Eine Prachtstraße in Ekritmea, die vom Anod-Tempel zum Hafen führt. Sie ist mit Platanen gesäumt. Amulett Tainas: Ein winziger Schild aus silberhellem Metall. Leuchtet im Dunkeln. Es schützt vor untoten Wesen. Anlur: Einer der Soldaten, die Sorla während seiner Strafaktionen begleiten. Er ist charakterlich nicht sehr gefestigt. Anod: Der Sonnengott. Während er in ländlichen Gegenden verehrt
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wird, weil er die Dunkelheit vertreibt, scheint er im Kaiserreich eher eine staatstragende Rolle zu spielen. Argslokir: Ein berühmter Zwerg, der sein Leben bei dem Versuch verlor, einem Ungeheuer dessen Schätze abzunehmen. Arphelos: Ein Zentaur. Arrhid: Oberpriester im Tempel der Kriegshunde. Asadhoan: Fürstin von Horadh. Asami: Fluss in der Provinz Horadh. Asing: Winzige Kupfermünze; siehe Münzsystem. Asnuk: Angehöriger von Murnaks Sippe. Atelbe: Ehemaliger Machthaber in Brindhal. Er hatte das Geschlecht der Liarstil mit üblen Methoden entmachtet und mit seinem Heer von Untoten Angst und Schrecken verbreitet. Sorlas Freund Horell gelang es, ihn unschädlich zu machen. Atne: Göttin des Glücks. Ihre Töchter sind Dana, Frena, Tara und Mala. Attul: Ein Hetman der Ramtasi. Hochgewachsen und sehnig, mit buschigen Brauen. Auge der Berge: Ein Felsblock mit besonderen Fähigkeiten, wird von einem Riesen umhergetragen und bedient. Azluthos: Hüter des Herzen von Batiflim; eine Art Dämon. Balyrg: ein Kriegsgott, der vor allem im Herzogtum Ailat verehrt wird. Batiflim: Gebirgige Region im Norden des Hernostischen Kaiserreichs, dem sich die Bewohner allerdings nicht sehr verbunden fühlen. Die Bäche der seitlichen Hochtäler münden alle in den Fluss Bato. Es soll auf einer Hochebene dort eine Schatzkammer geben, zu der Sorlas goldener Anhänger den Zugang ermöglicht. Bato: Der Fluss, nach welchem die ganze Region von Batiflim ihren Namen hat. Er fließt nach Süden ins Meer und versorgt dabei das Kaiserreich mit seinem Wasser. Benili: Studentin der hernostischen Geschichte. Bergtroll: Größer als gewöhnliche Trolle, fast schon riesengroß, hausen die Bergtrolle oberhalb der Baumregion zwischen den Felsen. Zum Schlafen bedecken sie sich mit Geröll, sie werfen Felsen und ernähren sich von Steinböcken oder was sonst in ihre Pranken fällt. Zum Glück kommen sie nur selten vor.
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Besser Ungenannte („Die Besser Ungenannten“): uralte, schlimme Gewalten aus der Zeit vor den Göttern. Birgen: Fürst Slutrs Geliebte stammte aus einer großbäuerlichen Familie. Ihr Sohn ist Ruman. Bishoumat: Stadt im Norden Hernostes, am Flusse Bato gelegen. Hat viel ihrer früheren Bedeutung und Größe verloren, ist aber noch immer ein bedeutendes Handelszentrum. Bisum Oslan: Ein Mitarbeiter des hernostischen Geheimdienstes. Bitterwurzel: Eine entsetzlich bittere Wurzel, die man in den Sümpfen findet; wer sich vor Blutsaugern aller Art schützen will, nimmt sie allerdings freiwillig zu sich. Blume von Kriteis: Kratolisches Frachtschiff, das den Fehler beging, der Schnellen Susla zu begegnen. Boflu: Einer der Seeräuber auf der „Schnellen Susla“, kämpft am liebsten mit dem Säbel. Borletgar: Eine rotzöpfige jüngere Zwergin in den Weißen Bergen. Borschko: Deckname Resthourroms. Bratschnecken: Sorlas Leibgericht bei den Pelkoll-Gnomen. Bretjeka: Eine Insel, westlich der Spakjo-Halbinsel vorgelagert. Brindhal: Hauptstadt von Sidhland, am östlichen Teil der Bucht von Rodnag gelegen. Brothenfimpir: ein Zwergenkrieger aus den Weißen Bergen, lebte vor undenklichen Zeiten und ist vielleicht nur eine Sagengestalt. Er raubte die Elfenfürstin Dheanfiol und tat ihr Gewalt an; so zeugte er Gemenkinnen, den Stammvater der Gnome. Brückenzeichen: Von den Zwergen verwendete Rune, mit deren Hilfe man weite Strecken magisch überbrücken kann. Brunnenjungfrau: Als diese wird Zusnild nördlich Ekritmeas in einem Tempel geehrt. Das Fest der Brunnenjungfrau findet alljährlich im Vorsommer statt. Burk: Hukaris Hund. Leider wurde er von einem Troll gefressen. Jetzt hat Hukari zwei andere Hunde. Burothrir: Zwerg aus den Grauen Bergen. Sein roter Bart ist gegabelt, die Zipfel sind mit Knoten geschmückt. Sorla kennt ihn aus seiner Kindheit. Bursuk: Ein Hetman der Ramtasi. Ein großer, massiger Mann mit
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Glatze. Chaddam Muhab: Ein alter Anod-Priester in Kriteis, über neunzig Jahre alt. Auf seiner Schulter sitzt ein Kauz, was zu einem Verehrer des Sonnengottes eigentlich nicht passt. Chastoides: Besitzer eines Mietstalles in Ekritmea. Dass der Name eigentlich „Bescheidener Diener der Wahrheit“ bedeutet, ist so unpassend, dass Chastoides selbst darüber lachen muss. Daful: Ein Deckname, den Tok-aglur gelegentlich gebrauchte. Dana die Liebreizende: Göttin der Liebe und des Frühlings. Eine der vier Töchter Atnes, schlank wie eine Birke, mit langem Haar, weißer Haut und rotem Mund. Die weißrote Apfelblüte ist ihr Zeichen. Datasik: Das erste Wort, das Sorla bei Memliks Sippe lernt. Es heißt „Blutsbruder”. Delasko: Der alte Priester des Atne-Tempels in Ekritmea. Er stammt von den kaburischen Inseln. Dha-sy-Bato: Eine kleine dunkelhaarige Dryade mit grünen Augen, Kind von Ysalde und Sorla. Ihre Buche steht nahe einer Furt durch den Oberlauf des Flusses Bato. Die Sippe Memliks, zwei Tagesreisen entfernt, gehört zu ihren nächsten Nachbarn. „Dha-sy-Bato“ bedeutet in der in Batiflim geläufigen Sprache „Wächterin der Furt über den Bato“. Man darf sie aber auch Dhasy nennen. Dheanfiol: eine Elfenfürstin aus längst vergangener Zeit. Mutter von Gemenkinnen. Die vom Hügel: Eine Gruppe, die von zwielichtigen Machenschaften lebt und auf dem Aejop-Hügel in Kriteis ihren Sitz hat. Dörrer: Unsichtbare kleine Wesen, die auf den trockenen Hochebenen von Batiflim umher geistern und Wasser vernichten. Allzu feuchte Orte werden von ihnen jedoch gemieden. Je mehr sie ihre Opfer schädigen, desto sichtbarer werden sie für diese. Dostonoides: Gildenmeister der „Vorurteilsfrei Nehmenden“. DRACHE: Sorla kennt zunächst nur diesen einen, und falls er einen Namen haben sollte, hat er ihn Sorla nicht preisgegeben. Der DRACHE hat schillernd schwarzblaue Schuppen, seine Augen leuchten in hartem Gelb. Sein Atem ist heiß, und wenn der
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DRACHE will, kann er Feuer spucken. Von Kopf bis Schwanzende misst er etwa 15 Schritt. Die Elfen sagen aber, mit seinen vierhundert Jahren sei er noch recht jung, es gebe weit ältere und riesigere Drachen. Drachenfreunde: So heißt Memliks Sippe, und zwar aus gutem Grund. Dremke: Schmaler Silberring; siehe Münzsystem. Dryaden: Weibliche Baumgeister. Manche Bäume sind von ihnen bewohnt bzw. beseelt. Dryaden können einen Menschen zu sich in den Baum hineinziehen, um ihn zu töten, zu lieben oder aus welchem Grund auch immer. Dryaden entwickeln sich anfangs sehr schnell. Nach zwei Jahren sind sie wie ein vierjähriges Menschenkind, nach vier wie ein achtjähriges. Mit zehn Jahren sind sie voll erblüht und bleiben jung und schön, solange ihr Baum wächst und gedeiht. Duna: Das Mädchen, in welches Anod in Liebe entbrannt ist, doch da sie nur nachts unterwegs ist, kann er mit ihr nie zusammensein. Man sagt, sie sei so schön wie das Leben. Es gibt eine Erzählung, in der sie Anod vor den Ränken der Schwarzen Dreiheit hilft. Durethin: Zwerg aus den Grauen Bergen. Sein brauner Bart ist nicht geflochten, aber unter den Gürtel geklemmt. Sorla kennt ihn aus seiner Kindheit. Dusa: Die Dusa ist ein großer Strom, dessen Quellen nördlich von Batiflim entspringen. Er durchfließt die großen Steppen nach Norden. Easmil: Ein Fürstensohn vom Volke der Minhiol. Sorla trifft ihn im Zwergenreich in den Weißen Bergen. Edsighla: Ein geschicktes und sehr hübsches Mädchen aus Agra. Eflem: Goldmünze; siehe Münzsystem. Egelwurz: Eine riesige Pflanze in den Großen Sümpfen, die den arglos Vorbeikommenden festhält und aussaugt. Ehrt die Sonne: Ein großer Platz in Ekritmea. In der Mitte steht der alte Anod-Tempel, von hier führt der Alte Wall zum Hafen. Eidwon der Blinde: einflussreiches Mitglied der Diebesgilde in Seedorf. Innerhalb der Gilde wird er Meister Eidwon genannt. Ekritmea: Die hernostische Kaiserstadt. Bedeutende Hafenstadt im
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Mündungsgebiet des Flusses Bato. Elbenwald von Rhosmea: Siehe Rhosmea. Eldran: Ein großer Fluss, der in den Grauen Bergen entspringt, bei Fellmtal die Flüsse Norfell und Fregnas aufnimmt und im Süden bei Ailat-Stadt ins Meer mündet. Sein Wasser ist kalt und grau. Elemente: Feuer (Drachen), Wasser (Schlangen), Luft (Pferde), Erde (Bäume) Elfen: Eine menschenähnliche Rasse, doch zierlicher gebaut und von großer Schönheit. Die spitzen Ohren sind das deutlichste Unterscheidungsmerkmal. Es gibt noch alte Elfenstraßen und Denkmale aus der Zeit, bevor sich die Elfen vor dem sich rasch ausbreitenden Geschlecht der kurzlebigen Menschen in tiefe Wälder zurückzogen. Elfensicht: Die Gabe der Elfen und Gnome, im Dunkeln besser zu sehen, als es Menschen möglich ist. Eine Ausnahme bilden die Sidh, da sie Elfenblut in sich haben. Die mit Elfensicht Begabten sehen auch bei Tage besser und schärfer als normale Menschen. Elulmau: Ein Angehöriger der Elulmavni. Elulmavni: Eine menschenähnliche Rasse, die abgeschieden in den Hurknischen Sümpfen lebt. Sie haben rote Haare und grüngelbe Augen. Um „tlofen“ zu können, müssen sie ab und zu „zlenken“. Außerdem singen sie wunderschön, wobei sie Obertöne mitschwingen lassen. Emarso: Ein kaiserlicher Soldat. Enaiphalos: Ein Zentaur. Enduhal: Gott der streitbaren Gerechtigkeit. Erlaubtes Licht *IV: Damit die Anhänger der Schwarzen Dreiheit bei ihren dunklen Zusammenkünften etwas sehen können, ist ein düsteres, fahlgelbes Licht erlaubt, denn man nimmt an, dass dieses Licht den Schwarzen Gewalten nicht zuwider sei. Das Erlaubte Licht wird durch dunkle Magie erzeugt. Ers: Siehe Münzsystem im Hernostischen Reich. Esxofi: Prinzessin der Elulmavni. Fellmtal: Ort, wo Eldran, Fregnas und Norfell zusammenfließen. Der
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alte Teil liegt am Ostufer des Eldran, dort ist der große Pferdemarkt. Der neue Teil liegt am Westufer an der Alten Straße. Hier gibt es Gasthäuser etc. Fenruthin: Ein berühmter Forschender Zwerg. Murlingir ist sein Sohn. Feuerreiter: Eine Gruppe von Männern, die in Ekritmea Brände bekämpfen, Menschen aus den Flammen retten etc. Flasse: im Sommer meist nackt, im Winter mit wunderlicher Pelzkleidung bedeckt. Hat langes, zotteliges braungraues Haar. Lebt einsam auf der Weideninsel des Eldran-Flusses. Er kann gut heilen und hat noch andere überraschende Qualitäten. Flusstrollweib: Es gibt nur eines; siehe Squompahin-laschre. Fregnas: Dieser Fluss entspringt in den Grauen Bergen und fließt bei Fellmtal mit den Flüssen Eldran und Norfell zusammen. Sein Wasser ist trüb und braun. Frena die klug Waltende: Göttin, Schützerin der Frauen und des Hauses. Tochter Atnes. Sie wird mit weiblichen Formen dargestellt. Ihr Zeichen ist der reife Apfel. Furoltin: Zwerg in den Grauen Bergen, Sohn des Hurmothin. Fuska: Vorsteher eines kleinen Dorfes im Asami-Tal. Geheimes Gewölbe: die versteckte Schatzkammer im Palast der Liarstil in Brindhal. Geisel der Vastouris: Reitervolk aus dem Norden der Taipalsteppe. Sie arbeiten nicht, züchten nicht, bauen nichts an, sondern überfallen Dörfer, Karawanen etc. und wenn alles leer geplündert ist, ziehen sie weiter. Gelbauge: eine von zwei neugierigen Krähen auf der Hochebene von Batiflim. Gemenkinnen: nach einer Sage der erste Gnom, Sohn der Elfenfürstin Dheanfiol und des Zwergenkriegers Brothenfimpir. Er bekam von seiner Mutter das Schwert Schlangenjäger. Giaruron: Der Oberste Priester im Anod-Tempel der Kaiserstadt Ekritmea. Gilse die Hilfreiche: Gnomfrau im Pelkoll, half Taina bei der Geburt Sorlas. Gimkin der Vielseitige: Gnom aus dem Pelkoll und Tainas besonderer Freund.
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Girrhol: Arbeitet im Auftrag der Sechs Familien, ungefähr in Tokaglurs Alter, denn sie wuchsen zusammen auf. Girsu der Dunkle: Gnom aus dem Pelkoll. Er und Sorla erlebten gemeinsame Abenteuer südlich vom Kirsatten. Glöckchengecko: Solche Geckos kommen in den Sidhlanden und anderen warmen Gegenden vor. Sie lassen hin und wieder ein silberhelles „Pling“ ertönen, was zu ihrem Namen führte. Glucksen bedeutsamer Blasen: Dies ist die Sprache der L’fumpai und einiger anderer Wesen in den Großen Sümpfen. Glygi: Jeder Gnom bekommt bei seiner Geburt einen Gnomenstein, der ihn begleitet und mit seltsamen Eigenschaften versehen ist. In der Guten Sprache der Berge heißen sie Glygi. Einen solchen bekam Sorla als kleines Kind geschenkt. Gmyndars: Eine junge, wissensdurstige Dryade, Tochter von Sorla und Ysalde. Sie lebt in einer kleinen Buche, die auf der Waldlichtung nahe dem Gnomfluss wächst, wo der Frena geweihte Elsbeerenstrauch steht. Gneli der Gewaltige: Sippenchef der Pelkoll-Gnome. Gnomberge: Der Pelkoll, der Ofkoll, der Persatten, der Rück und viele mehr. Sie befinden sich östlich des Eldran am Gnomfluss. Hier leben die Gnome, mit welchen Sorla vertraut ist. Natürlich gibt es auf dieser Welt noch viele andere Berge mit anderen Gnomenvölkern. Gnome: Eine menschenähnliche Rasse, halb menschengroß, lebt z.B. in den Gnombergen östlich des Eldran. Braunes, faltiges Gesicht, helle, blitzende Augen, meist weißes Haar. Die zugespitzten Ohren verraten elfische Verwandtschaft. Gnomenstein: Siehe Glygi Gnomfluss: Ein kleinerer Fluss, der bei Stutenhof in den Fluss Eldran mündet. Er entspringt im Bereich der Gnomberge Rück, Ralkoll und Persatten. Gobil der Meisterschleifer: ein Pelkoll-Gnom, selbst für Gnome sehr schmächtig gebaut, aber ein Edelstein-Kenner. Golbi der Schreiber: ein Pelkoll-Gnom, Experte für Bücher, Schriften und Sprachen. Sein zweites Interesse ist die Wissenschaft vom Auffinden edler Steine im Berg.
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Gonli der Waffenmeister: Gnom aus dem Pelkoll. Er bewahrt das Schwert "Schlangenjäger". Goul (Der Schwarze Goul): Ein Dämon, wird zur Schwarzen Dreiheit gerechnet. Er treibt sein Unwesen im Totenreich. Graf von Agra: In seiner Bibliothek brach Tok-aglur einst ein, dabei schwängerte er mindestens eine der Gespielinnen des Grafen. Graue Berge: Gebirgskette im Norden des Landes Ailat. Dort entspringen die Flüsse Eldran, Norfell und Fregnas. Grauer vom Berg: Ein merkwürdiges Männlein, das in einer einsamen Berggegend Batiflims lebt und gelegentlich Wanderer in Unterhaltungen verstrickt. Große Sümpfe: befinden sich eine Tagesreise östlich der Sidhlande und grenzen westlich davon, an die Ausläufer der Grauen Berge. Großzügig Nehmende: der Name der Diebeszunft in Agra. Grottenschlangen: Große Schlangen, die in Höhlen und im Bergesinneren leben. Sie wurden von den Gnomen in ihrem Gebiet ausgerottet. Dabei half ihnen das Schwert Schlangenjäger, das ihnen Gemenkinnen hinterließ. Grutli der Ungebärdige : Ein Hurkoll-Gnom, der bereits in der Halle der Helden lag. Gselbe die Schützin : Eine Hurkoll-Gnomin, die bereits in der Halle der Helden lag. Gulris die Heilerin : Eine Hurkoll-Gnomin, mit ihren achtzig Jahren noch recht jung. Gute Sprache der Berge: Gemeinsame Sprache der Gnome und Zwerge. Kehlig und wohlklingend. Gwerdele : Eine Gnomin vom Hurkoll. Als sie starb, musste sie den Sargdeckel über sich zuziehen, da sonst keiner mehr lebte. Gwimlin der Wandelbare: ein Pelkoll-Gnom, wuchs mit Sorla zusammen auf. Sie erlebten gemeinsam viele Abenteuer. Hamik: gehört zu Morseks Sippe. Er hat braungelbe Augen und ist untersetzt und stark behaart. Hasmasu: Sorlas Privatlehrer im Palast zu Brindhal. Eigentlich ist er Tainas Oberschreiber und schon siebzig Jahre alt. Er stammt vom heißen Tuneg-la jenseits des Meeres Milat. Hebel der Macht: Ein Hebel wird vom Zwerg Murlingir bewacht, ein
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zweiter findet sich in Irkansels Turm. Es soll aber drei Hebel geben. Hef’glidsh: Eine tapfere L’fumpai aus den Hurknischen Sümpfen. Hefterides: Ein älterer Kaufmann aus Kaharad. Vielleicht ist er aber auch ein Spitzel und heißt ganz anders. Hekfir-hul: Das Schwert, das Sorla im Hurkoll findet. Es wurde von Zwergen geschmiedet. Der Name stammt aus der Guten Sprache der Berge und bedeutet Wegfinder. Hemherbate: Das Heimattal des Perlek-Clans, das einst durch die Machenschaften Sinn-he Falas des Leuchtenden in eine trockene Hochebene verwandelt wurde. Die einstige Hauptstadt ist als Ruinenstadt noch heute erhalten und wird Stadt der Geister genannt. Dort befindet sich auch das Herz von Batiflim. Hende-raska: das fliegende Pferd Anods, ein Geschenk Urskals. Hense: Ein falscher Name, den sich Sorla gelegentlich zulegt. Heril der Hengst: Ein Barbar aus der Taipal-Steppe, den es an den Fluss Eldran verschlug, wo er auf einem entlegenen Gehöft den Ramlok-Kult einführte. Lange blonde Haare, in Zöpfen geflochten, kräftiges Aussehen. Nach seinem Tod wurde er in die unsterbliche Herde Ramloks aufgenommen. Hernoste: Dieses Land bildet das Zentrum des von ihm geschaffenen Hernostischen Kaiserreiches. Es grenzt im Süden ans Meer, im Norden an die Provinz Batiflim. Der Fluss Bato ist einer der wichtigsten Transportwege und liefert einen Großteil des Wassers für das ausgeklügelte Bewässerungssystem der fruchtbaren Ebenen von Hernoste. Die Hauptstadt Hernostes liegt im Landesinneren am Bato und heißt ebenfalls Hernoste. Hernoste-Stadt: Eine alte Stadt am Fluss Bato im Landesinneren. Sie war ursprünglich die Hauptstadt des Landes Hernoste, aber als das hernostische Kaiserreich entstand, verlor sie ihre Bedeutung. Hernostisch: Diese Sprache wird im Hernostischen Kaiserreich gesprochen – außer in Batiflim – und auch in den umliegenden Ländern zumeist verstanden. Einen hernostischen Dialekt spricht man in Agra.
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Hernostische Dynastie: Begründet von Sinn-he Fala dem Leuchtenden. Die Herrscher dieser Dynastie tragen den Titel Schlangenkaiser. Er zeugte mit Zusnild den Sohn Ugalur. Ebenfalls bekannt sind Tul-uglur und Psen-galur. Die Dynastie wurde durch die Ermordung von Agla Schlangenfreund und seiner Familie beendet, doch überlebte Tok-aglur, Sorlas Vater. Hernostisches Kaiserreich: Weit im Osten von Ailat gelegen. Mehr weiß Sorla zunächst nicht, außer dass sich dort vielleicht sein Vater Tok-aglur aufhält. Herr des Gartens: Damit ist ein mächtiger goldener Drache gemeint, in dessen Obhut Syardra lebt, eine von Sorlas Töchtern. Herte: Ein älterer, grauhaariger Ramtasi aus der Horde Kirguls. Seine Oberarme sind von vielen Narben aus früheren Kämpfen gezeichnet. Hestrumer: Anführer der Geisel der Vastouris. Er kämpft mit einem Morgenstern. Hetman: Anführer einer Horde reitender Steppenbarbaren. Hirrendhyl: Eine kleine rothaarige Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sie wohnt in Nachbarschaft mit Noondhyl. Sorla hatte, als der DRACHE ihn zu den Grauen Bergen trug, ein paar Bucheckern verstreut, aus denen die Buchen dieser beiden hervorgingen. „Hirrendhyl“ gehört zur Sprache der Sidh und bedeutet „Haar wie Himbeeren“. Hoglesh : Vater von Agish und Familienoberhaupt der Illmani. Hokatoudes: Ein hernostischer Beamter mit einer Vorliebe für erotische Skulpturen. Hon: Der Herrscher in den Sümpfen östlich der Sidhlande. Horadh: Provinz des hernostischen Reiches; an dessen westlicher Grenze zum Fürstentum Agra gelegen. Hier herrscht die Familie der Hreddeshi. Die Hauptstadt ist Semendhol. Horell: Ein Freund Sorlas und ehrgeiziger, schon recht erfolgreicher Zauberer. Hreddeshi: Eine der Sechs Familien. Sie herrschen in der hernostischen Provinz Horadh. Fürstin Asadhoan ist das weibliche Oberhaupt.
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Hubarik : Eines von Irkansels Opfern. Immerhin durfte er kurz vor seinem Tod noch einmal Mensch sein. Hügel von Hurknos: Eine Hügelkette, die sich vor langer Zeit östlich der Berge von Batiflim befand. An ihrer Stelle erstrecken sich jetzt dort die Hurknischen Sümpfe. Hughu: Ein kleiner Kauz mit besonderen Fähigkeiten, der sich dem kriteischen Anodpriester Chaddam Muhab angeschlossen hat. Hukari: Memliks hübsche Tochter. Sie hat dunkle Haare und ist sehr selbstbewusst. Hurak *IV“: Berühmter Krieger des Perlek-Clans, lebt in Kriteis. Huredho: Gott des Krieges. Er gilt als Hund Enduhals und wird im Tempel der Kriegshunde in Semendhol verehrt. Hurglok: Hurgloks sind unförmige trollähnliche Wesen, die in den Tiefen der Berge leben. Ihre Hände sind riesig und können einen Zwerg umfassen und zerquetschen. Man sagt, ein Hurglok kommt durch jede Spalte, durch die seine Hände passen. Hurknische Sümpfe: Im Nordosten des Hernostischen Reiches gelegen, erstrecken sich diese Sümpfe über ein riesiges Gebiet. Man weiß nur wenig darüber, was dort vorgeht. Hurknos: siehe „Hügel von Hurknos“. Hurkoll: Die höchste Erhebung der ehemaligen Hügel von Hurknos. Er ragt auch jetzt noch aus den Hurknischen Sümpfen empor. Ob aber dort noch Gnome leben wie früher, ist unbekannt. Hurmothin: Zwerg in den Grauen Bergen, Vater Furoltins und berühmt wegen seiner Heldentaten. Sein weißer Bart, die langstielige Streitaxt und sein Beiname 'Der Schlächter' sagen alles. Allerdings hat er inzwischen aus seinen Fehlern gelernt und ist nun wesentlich besonnener geworden. Er ist Ygrottirs älterer Bruder. Hurtin: Dienender Zwerg in den Weißen Bergen. Hwendeloi: Wandelnde Bäume mit besonderen Fähigkeiten. Sie genießen bei den Elfen große Hochachtung. Hyldol: Eine kleine dunkel gelockte Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sorla hatte in einem Tal nördlich von Agra eine Buchecker gesetzt und ihr Wohl dem befreundeten Völkchen
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der Minhiol anvertraut. Diese verehren sie unter dem Namen „Hyldol“, das bedeutet „Seele des Baumes“. Ifarbirre: Eine riesige Ziegenhirtin; sie lebt am Rande der Hochebenen von Batiflim. Ildryste: Eine kleine schwarzhaarige Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sorla hatte im Garten seines Halbbruders Korraghom in Agra eine Buchecker gesetzt, weil ihm das gepflegte Anwesen und der Blick auf die Meeresbucht so gefiel. Ildryste hat allerhand Schlimmes durchgemacht, hat aber im Obersten Priester des Atne-Tempels in Agra einen Berater. „Ildryste“ ist ein kaburischer Name und bedeutet „Die alles merkt“. Illmani: Altes hernostisches Adelsgeschlecht. Eine der „Sechs Familien“. Das derzeitige Familienoberhaupt ist Hoglesh. Irkansel: Ein hernostischer Zauberer, der mit den Sechs Familien zusammenarbeitet. Jakkatum: Hauptstadt von Nireg-la. Sie liegt an der Mündung des Flusses Sedeb. Jelthon: Oberhaupt der mächtigen Familie Wesdhasi in Ekritmea. Kaburen: Die Bevölkerung der kaburischen Inseln; überwiegend Fischer. Sie sind arm und lieben den Gesang, ihr Stolz ist sprichwörtlich. Kabures: Insel, der Kaburischen Bucht weit vorgelagert, politisch aber von Agra unabhängig und dem Hernostischen Reich tributpflichtig. Kabures bildet mit einigen kleineren Inseln die kaburische Inselgruppe. Kaburische Bucht: liegt östlich von der Halbinsel Spakjo. Der bedeutendste Hafen ist Agra. Kaharad: Eine Stadt im nördlichen Hernoste, etwa einen Tagesritt südlich von Bishoumat und wegen ihrer Heilbäder berühmt. Kaiser-Goldstück: Siehe Münzsystem im Hernostischen Reich. Kaiserliche Bibliothek: Ein prächtiges Gebäude in Ekritmea mit vielen schönen Büchern und dunklen Geheimnissen. Kaiserstadt: Gemeint ist Ekritmea, die Hauptstadt des Hernostischen Reiches. Kalender: Bei den Menschen und menschenähnlichen Rassen gilt, zumindest im Bereich zwischen Ailat am Meer und dem
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fernen Nordland, folgender Kalender: das Jahr hat dreizehn Monate mit je vier siebentägigen Wochen. Das sind 364 Tage. Dazu kommt der „Tag zwischen den Jahren“. Die Monate werden bei den Gnomen mit Steinen, bei den Menschen, sofern sie naturverbunden leben, mit Bäumen in Verbindung gebracht. Dieser Baumkalender kennt die Monate Birke, Eberesche, Esche, Erle, Schlehe (Sorlas Geburtsmonat), Weißdorn, Eiche, Ilex, Apfel, Brombeere, Efeu, Schilf und als jahresletzten den Holunder. Kalinfarre: Eine sagenhafte Riesin. Karlek-hanan: Die „blonden Steine“, Kinder des Flusstrollweibs Laschre, gezeugt von Heril dem Hengst. Das Mädchen heißt Tek („Kleine“), ihre beiden Brüder Hunk-ho („Der eine“) und Hunk-ha („Der andere“). Man merkt, ihre Mutter ist recht einsilbig und direkt. Kennan-glai: Sorlas Hengstfohlen, welches er von Raghairom bekam. Durch Ramloks Segen lernte Sorla mit diesem Fohlen zu reden. Später opferte sich Kennan-glai auf, um Sorlas Leben zu retten, und wurde in die unsterbliche Herde Ramloks aufgenommen. Kerosi: Silbermünze; siehe Münzsystem. Kesnik: Hukaris Großvater. Er war bis zu seinem Tode „Der mit dem Drachen spricht“. Khalim: Ein Hetman der Ramtasi. Etwas untersetzt, freundlich, aber gefährlich. Kiarsti: Eine hübsche Zauberin aus Kaharad. Tok-aglur kennt sie recht gut. Kirgul: Ein Hetman der Ramtasi. Stattlicher Mann mit blonden, verfilzten Haarsträhnen, trägt eine lange Lederhose und ist in ein Bärenfell gehüllt. Er überbrachte Taina ein Pferd als Geschenk seines Stammes. Später trifft Sorla ihn wieder. Klabautermann: Meist unsichtbar oder in Gestalt zum Beispiel einer Ratte; lebt auf Schiffen. Erscheint in Menschengestalt nur, wenn er vorhat, dieses Schiff zu verlassen. Da er die Zukunft der nächsten Tage und damit auch Schiffsunglücke vorhersehen kann, betrachten die Seeleute es zu Recht als
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schlechtes Vorzeichen, wenn sie ihn sehen. Ein Klabautermann setzt alles, auch seine Windzauber und ähnliche Fähigkeiten, ein, um auf einem seetüchtigen Schiff zu leben. Kleines Volk: Siehe Minhiol. Kornak: Derzeitiges Oberhaupt des Perlek-Clans. Eigentlich gebührt seinem älteren Bruder Vortelik dieses Amt. Korraghom: Der älteste Sohn des Grafen von Agra, einige Jahre älter als Sorla. Kraftwasser: Wird von Memliks Sippe im Herbst aus bestimmten Wurzeln und anderen Zutaten gebraut. Angeblich stammt das Rezept von befreundeten Trollen. Kratolen: Einwohner der Provinz Kratos. Kratos: westliche Provinz des hernostischen Reiches. Die kratolische Hauptstadt ist Kriteis. Kräuter-Liska: heilkundige Frau in Stutenhof. Kreskar: Einer der Seeräuber auf der „Schnellen Susla“. Krewe: Sauhirt in Stutenhof. Krick: Kein Name, sondern eine Anrede unter den kenntnisreichen Krebsen aus den Sümpfen bei Brindhal. Wann immer zwei Krebse zusammentreffen, um sich zu unterhalten, heißt der eine Krick und der andere Schnick. Vielleicht ist Krick der Ranghöhere, doch streiten sich da die Gelehrten. Wenn ein dritter Krebs hinzukommt, vertreiben die beiden stärkeren den schwächsten oder fressen ihn auf. Deshalb reichen zwei Anreden. Kriegshunde: Der Tempel der Kriegshunde steht in Semendhol und ist Huredho gewidmet, dem Gott des Krieges. Kriteis: Hauptstadt von Kratos (westliche Provinz des hernostischen Reiches), berühmter Seehafen mit sehr alter Geschichte. Krot: Hukaris Hund. Krummkralle: eine von zwei neugierigen Krähen auf der Hochebene von Batiflim. Krvos: Ein Priester Wendualos in Ekritmea. Er ist dick und stammt von einer der kaburischen Inseln. Kublak: Ein älterer Ramtasi aus der Horde Kirguls. Ein Auge verlor er
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durch einen Pfeilschuss. Kunil: Dieses Mädchen lebt mit einem Köhler im Norden des hernostischen Kaiserreiches zusammen. Kurno: Siehe Münzsystem im Hernostischen Reich. Kurtis: Ein Mitglied der Sechs Familien. Er ist hager und trägt einen schwarzen Bart. Lamponu: Ein Äffchen, das Horell hilfreich und verständig zur Hand geht und ihn überallhin begleitet. Lamponu weiß mehr über Zauberei, als man denkt, denn er ist sehr belesen. Laschre: Siehe Squompahin-laschre. Letko: Einer der Seeräuber auf der „Schnellen Susla“. Er ist jung und recht hübsch. L'fumpai: Eine L'fumpai ist ein harmloses Geschöpf, das im Sumpf lebt. Wenn es das Wasser verlässt, macht es sich unsichtbar, weil es so schüchtern ist. Die L’fumpai nennen sich selbst Kinder des Hon. Liarstil: Das von Atelbe entmachtete Fürstengeschlecht Sidhlands. Die letzte Überlebende ist Taina, die als rechtmäßige Erbin die Herrschaft in Brindhal wieder übernommen hat. Libelfe: Hübsches Wesen in den Großen Sümpfen, zwei Handspannen lang, ein Mädchen mit grünen Libellenflügeln. Hat viel Sinn für Humor, ist aber trotz ihres kindlichen Gebarens alles andere als harmlos. Natürlich heißt sie nicht wirklich Libelfe, damit hat sie bloß Sorla abgespeist. Luki: Hukaris Hund. Mala die Furchtbare: Göttin des Todes und der Ruhe. Eine der vier Töchter Atnes. Sie ist schwarzgekleidet und verschleiert, nur ihre bleichen Lippen sind zu erkennen. Sie herrscht mit Urskal über das Reich der Toten. Ihr Baum ist die immergrüne Eibe. Maren, genannt Frau Maren: Eine Ahnfrau der hernostischen Dynastie, die als halb durchsichtiger Geist gelegentlich nachts auftaucht und Mahnungen oder Prophezeiungen von sich gibt. Marushu: im Hernostischen Reich verehrte Mond- und Liebesgöttin. Matrista: Auf der Insel Kabures ist der Matrista eine Art Clanchef und, da die Kaburen Seefahrer sind, auch zugleich der Kapitän eines Schiffes.
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Melfas: Ein Spitzel im Auftrag der Sechs Familien. Er ist jung und stolz auf seine öligen Locken. Memlik: Anführer einer Sippe des Bergvolkes von Batiflim. Meret: Ein Richter in der nordhernostischen Stadt Bishoumat. Mesegi: Ein Handlanger der Familie Wesdhasi und Neffe von deren Oberhaupt Jelthon. Milat: So heißt das Meer, das im Norden von Rodnag, Ailat, Kratos und Hernoste, im Süden von Nireg-la und Tuneg-la und im Westen von Wolpodyn begrenzt wird. Minhiol: Einer der vielen Stämme des 'Kleinen Volkes'. Die Minhiol sind menschen- oder elfenähnlich, aber von Kopf bis Fuß nur fingerlang. Sie haben Schmetterlingsflügel und können sich unsichtbar machen. Ihre Sprache ist ein Zirpen, das Unkundige mit dem von Grillen verwechseln. Ihr Anführer ist Easmil. Mirre-wyn: Eine kleine Dryade mit blonden Haaren, Tochter von Ysalde und Sorla. Ihre Buche wächst neben einer alten, noch von Tul-uglur geschaffenen Wassergrotte auf den Hochebenen Batiflims. Der Name „Mirre-wyn“ entstammt der Sprache Batiflims und heißt „Hoffnung fürs Tal“. Molghq’âspûn: Ein kräftiges Trollweib in einem Hochtal Batiflims, wo Memliks Sippe lebt. Hukari ist mit ihr befreundet. Molkaspen: So wird Molghq’âspûn von Leuten genannt, die Schwierigkeiten mit der Sprache der Trolle haben. Mughairom: Abgesandter des Grafen von Agra in der Hauptstadt des Perlek-Clans. Münzsystem im Fürstentum Ailat: --- 1 Asing (Kupfer, winzig). Drei Asing zahlt man z.B. für ein Kräuterbündel, eine Handvoll Möhren etc. Die kleinste Scheidemünze ist der viertel Asing. --- 1 Polk (Kupfer, groß) = 60 Asing. Dafür bekommt man eine gute Flasche Wein oder im Gasthaus eine gute Mahlzeit. Der halbe Polk ist eine halbierte Kupfermünze derselben Größe. --- 1 Dremke (schmaler Silberring) = 10 Polk = 600 Asing. Soviel verlangt eine gute Hure in Ailat-Stadt. Die Männer von Stutenhof tragen ihn als Wohlstandsbeweis und Sippenzeichen am Finger.
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--- 1 Kerosi (Silbermünze massiv) = 5 Dremke = 50 Polk = 3000 Asing. Soviel kostet ein Esel oder ein Monat im Gasthaus mit Essen. Der halbe Kerosi ist eine kleinere Silbermünze. --- 1 Eflem (Goldmünze) = 2 Kerosi = 10 Dremke = 100 Polk = 6000 Asing. Abgegriffene Eflem werden nachgewogen und sind vielleicht nur 9 Dremke wert. Ein gutes Pferd kostet etwa einen Eflem. Münzsystem im Hernostischen Reich: --- 1 Ers (runde Bronzemünze). Dafür bekommt man ein halbes Brot, eine Handvoll Möhren etc. Entspricht ungefähr dem in Ailat gebräuchlichen Asing. Die kleinste Scheidemünze ist der halbe Ers, für den man beim Wasserträger einen Becher Wasser trinken darf. --- 1 Sul (Messing, dreieckig) = 100 Ers. Dafür kann man ein billiges warmes Essen kaufen. Es gibt auch kleinere Messingmünzen, die zehn oder fünfzig Ers wert sind. --- 1 Kurno (runde Silbermünze mit Mondmotiv) = 5 Sul = 500 Ers. Der behördlich festgelegte Liebeslohn für einfache Straßendirnen. Der Zusammenhang zwischen dem Liebeslohn und dem Mondmotiv entspringt dem alten Kult der hernostischen Mond- und Liebesgöttin Marushu. Der Kurno ist fast soviel wert wie der in Ailat für den gleichen Dienst bezahlte Dremke. --- 1 Kaiser-Goldstück = 20 Kurno = 100 Sul = 10000 Ers; wird meist einfach Goldstück genannt. Entspricht im Wert ungefähr dem in Ailat gebräuchlichen Eflem. Man kann dafür auf dem Land je nach Zustand ein bis zwei Maultiere kaufen, in den Städten kostet soviel die Monatsmiete in den besseren Mietshäusern. Es gibt auch ein kleineres Goldstück, das den halben Wert hat. Murlingir: Ein Dienender Zwerg, der südlich von Batiflim lebt. Sohn des Fenruthin. Murnak: Anführer einer Sippe des Bergvolkes von Batiflim. Morsek: Der alte Anführer einer Sippe des Bergvolkes von Batiflim. Diese Sippe lebt am Ostrand des Gebirge, nahe der
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Taipalsteppe. Musrel: Die ältere Magd auf Rumans Hof. Ihr Vater war Fürst Slutr, aber das weiß nur sie selbst, daher erhebt sie auch keine Erbschaftsansprüche. Mutterglück: Sorlas Lieblingspferd in Brindhal, eine geduldige, ältere Stute. Mynnenlete: Eine kleine Dryade, Kind von Sorla und Ysalde. Sie ist ein bisschen mager, ihr hellblondes Haar hängt glatt auf die Schultern. Sie redet gerne viel, wenn sie einmal Gelegenheit dazu hat. Ihre Buche wächst irgendwo in einem lichten Wald in einer unzugänglichen, einsamen Gegend – wo genau, weiß sie selbst nicht. Ihr Name bedeutet „Kleiner Wasserfall“, was sich eher auf ihre Redegewohnheiten bezieht. Myrna: Eine kleine Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sorla hatte in den Parkanlagen Ekritmeas eine von Ysaldes Bucheckern gesetzt, später aber das Bäumchen umgepflanzt und der Brunnenpriesterin in den nahen Wäldern anvertraut. Der Name „Myrna“ entstammt der Sprache Ailats und bedeutet „Sie wird wachsen“. Myrna hat blonde Locken. Myrna ist Sorla jüngste Dryadentochter, da er ihre Buchecker als letzte einpflanzte. Manche ihrer Schwestern sind bis zu zwei Jahren älter. Neblige Tiefen: Das Totenreich, in dem Urskal und Mala herrschen. Nireg-la: Heißes Land an der südlichen Küste des Meeres Milat, östlich von Tuneg-la. Die Hauptstadt ist Jakkatum. Nofheli: Ein Elfenmädchen aus den Wäldern von Aedh-Hiloiadh, das Sorla bei Markreske kennenlernte. Sie hat ein braungebranntes Gesicht unter flachsblonden Haaren, die Augen sind grün. Sie ist nicht hochmütiger als andere Elfen, aber das reicht bereits. Noghourrom: drittältester Sohn des Grafen von Agra. Noondhyl: Eine kleine schwarzhaarige Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sie wohnt in Nachbarschaft mit Hirrendhyl. Sorla hatte, als der DRACHE ihn zu den Grauen Bergen trug, ein paar Bucheckern verstreut, aus denen die Buchen dieser beiden hervorgingen. „Noondhyl“ gehört zur Sprache der Sidh und bedeutet „Haar wie Brombeeren“. Nordlandgnome: Gnome im fernen Norden.
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Norfell: Dieser Fluss entspringt in den Hohen Auen der Grauen Berge und strömt bei Fellmtal mit den Flüssen Eldran und Fregnas zusammen. Sein Wasser ist grün. Norfell-Auen: Dort haust eine riesige Schlange, welche Sorla in gewisser Weise als ihr Kind betrachtet. Numter: Ein kaiserlicher Soldat, der nach dem Sieg des Grafen von Agra in Kratos die versprengten Soldaten sammelt und Sorla im Tal des Asami zuführt Nustek: Ein Ûr-gqâschps-Priester des Perlek-Clans. Odhumel: Der verstorbene König der Minhiol, Vater von Easmil. Ogluskshaddena: Ein Ungeheuer in den Tiefen der Weißen Berge. Ohkxepe: Eine riesige Krake. Sie bewohnt eine tiefe Grotte in der Steilküste südlich von Ekritmea. Sorla konnte sie zum AnodKult bekehren. Oldasthom: Ein Ratsherr der Stadt Agra, der in mindestens einem Fall sich als Aufschneider erwies. Olghûrq: Ein Wassertroll, der den geheimen Zugang zur Tempelgrotte in den Bergen bei Ekritmea bewacht. Oltop der Kahle: Anführer einer Bande von skrupellosen Glücksrittern. Sorla tötete ihn (ohne zu wissen, dass er damit zugleich die Misshandlungen seines Vaters rächte) und eignete sich sein Wurfmesser an. Oluf: Leibwächter Resthourroms. Omschjull: ein tierhafter Neffe Atnes, zuständig für Gedeih und Vermehrung der Schweine. Omschjulls Stunde: Die heiße Mittagsstunde, wenn die Trägheit regiert und unerwartete Dinge geschehen. Örbülwats: Ein wandlungsfähiges Wesen aus den Sümpfen östlich von Brindhal. Es hat viele Brüder und großen Appetit. Orfhane: Die Frau von Fürst Slutr, daher Fürstin Orfhane genannt. Sie entstammt dem Geschlecht der Hreddeshi. Orgslingir: Zwerg in den Grauen Bergen, Sohn des Ygrottir. Orlan: Hauptmann der kleinen Soldatenschar, die Sorla in die westlichen Provinzen begleiten. Orluk: Ein hünenhafter Ramtasi aus der Horde Kirguls. Er hat braunes Zottelhaar und ist eher stark als klug.
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Orthunin der Gewaltige: Zwerg in den Weißen Bergen, war dort König vor Hurmothin. Ostarfindis: Einer der Priester im Anod-Tempel der Kaiserstadt Ekritmea. Paso: Hafenstadt im Süden Spakjos. Pelkoll: Ein Gnomberg, liegt nahe der Mündung des Gnomflusses in den Eldran. Dort lebte Sorla einige Zeit bei den Gnomen. Perkan: Angehöriger von Memliks Sippe; hat rotblonden Bart und wirkt verkniffen. Perlek-Clan: Eine der Sechs Familien. Sie stammt ursprünglich aus Batiflim. Petairik-Gebirge: Gebirge nahe der kriteischen Küste, also im Südosten des hernostischen Reiches. Platanenplatz: Ein großer Platz in Ekritmea. Dort ist auch der FrenaTempel mit dem Waisenhaus. Platz der Mala: Großer Platz in Kriteis, mit Blick auf den Hafen. Dort ist auch der Tempel von Mala der Furchtbaren. Plosek: Einer der Priester im Anod-Tempel der Kaiserstadt Ekritmea. Polk: Große Kupfermünze; siehe Münzsystem. Prande: Der jüngste Sohn von Fürst Slutr und dessen Gemahlin Orfhane. Prato: Einer der Seeräuber auf der „Schnellen Susla“, ein älterer Mann mit grauen Zöpfen. Psen-galur: Der vierzehnte Schlangenkaiser. Wie viele Zehen er hatte, ist ein wohlgehütetes Geheimnis. Psudi: Ein junger Anod-Priester in Ekritmea mit klugen, braunen Augen. Er gehört dem Perlek-Clan an, wird aber – auch seiner Hasenscharte wegen – dort nicht sehr geachtet. Quöschtlutze: Sorla nennt sie auch Froschkerle, denn so sehen sie aus: menschen- und froschähnlich zugleich. Sie leben in Sümpfen. Raghairom: Stammt aus Agra, guter Freund von Sorla. Er ist jetzt auf Herils Hof der neue Hengst. Raijinke: Meister Eidwons hübsche Tochter. Rako: Einer der Seeräuber auf der „Schnellen Susla“, führt mit Hilfe von Schmucknarben Buch über die von ihm Getöteten. Ramlok: Gott der Pferde und der Winde, aber auch der männlichen
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Kraft und überhaupt der körperlichen Gesundheit, wird vorwiegend von den Reiterbarbaren in der Taipalsteppe verehrt, hat aber auch sonst verstreute Anhängerschaften. Normalerweise ein Männergott, wird aber in extremen Kulten (z.B. auf Herils Hof) zum Mittel einer Frauenherrschaft. Die Ulme ist ihm geweiht. Ramtasi: Reitervolk der Taipalsteppe. Rasathir: Ein berühmter Zwerg, der sein Leben bei dem Versuch verlor, einem Ungeheuer dessen Schätze abzunehmen. Regenszepter: Das Wahrzeichen der hernostischen Kaiser. Resthourrom: zweitältester Sohn des Grafen von Agra, und nach dem Tod Korraghoms der Erbe des Grafentitels. Rhosmea: Ein großes Waldgebiet zwischen Ailat und der Bucht von Rodnag. Dort leben noch heute Elfen. Riesenheim: einsames Bergland nördlich der Weißen Berge. Rodnag: Eine Bucht und das daran angrenzende Land westlich von Ailat und dem Elbenwald. Rose von Bretjeka: Ein Schiff. Rübenkönig: Das Kind von Hukaris Schwester und einem Troll. Ruman: Der zweitälteste Sohn von Fürst Slutr. Rungegi: Altes hernostisches Adelsgeschlecht und eine der „Sechs Familien“. Das Oberhaupt ist Fürst Slutr. Ruslingir: Ein Kämpfender Zwerg, einziger Sohn Orthunins des Gewaltigen. Russuk: Ein jüngerer Ramtasi aus der Horde Kirguls. Er ist breitschultrig und hat lange, schwarze Zöpfe. Salta: Eine Hafenstadt an der südöstlichen Küste von Wolpodyn. Salta-Busen: Der westlichste Teil des Meeres Milat. S’lambo: Der Gildenmeister der „Großzügig Nehmenden“. Schlangengezisch: Diese Sprache verwenden Schlangen untereinander. Schlangenjäger: ein berühmtes Schwert der Gnome, das gewöhnlich von Gonli dem Waffenmeister im Pelkoll aufbewahrt wird. Schlangenkaiser: Titel der Herrscher des hernostischen Reiches. Der letzte starb jedoch schon lange vor Sorlas Geburt. Siehe auch „Hernostische Dynastie“. Schlangenzahn: so nennt Sorla das Wurfmesser, das früher Oltop dem
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Kahlen gehörte. Schnelle Susla: Ein kaburisches Seeräuberschiff. Schnick: siehe Krick. Schrate: Entfernt menschenähnliche Wesen, zottig, langarmig, dumm und gewalttätig. Schwarze Dreiheit: Auch die Dreiheit der Dunklen Gewalten genannt: der Schwarze Woul, der Schwarze Goul, die Schwarze Shurloum. Sie zählen zu den „Besser Ungenannten“: uralten Gewalten aus der Zeit vor den Göttern. Es geht über sie die folgende Sage (s. Band II): Als Anod, der Sonnenheld, seinen Vater Urskal besiegte, zog dieser sich mürrisch in die Nebligen Tiefen zurück. So schuf sich Urskal ein zweites Reich ewiger Dämmerung - das erste hatte er an Anod verloren - und vor ihm floh die Dreiheit der Dunklen Gewalten, die zuvor hier hausten: Woul, Goul und Shurloum. Die Schwarze Shurloum sank weiter hinab in Tiefen, wo seit Anbeginn das Finstere Feuer lodert. Kein Mensch, kein Riese, kein Gott wird je Shurloum dort stören. Der Schwarze Goul wich Urskal aus und blieb. Wehe dem Reisenden ins Reich der Toten, der das Licht nicht in sich trägt, den Weg nicht findet! Ihm lauert Goul auf, um sich zu mästen. Woul aber floh hinauf und erschrak vor dem Licht Anods. Nichts blieb ihm, als sich zu verkriechen; überall ist er und nirgends. Unversöhnlich erwartet er das Ende der Götter, das Erlöschen jeglichen Lebens. Manche erhoffen sich Macht, wenn sie ihm dienen. Welch schrecklicher Irrtum! Denn keine Dankbarkeit kennt der Schwarze Woul! Wie sie ihm dienen, sind sie die ersten Opfer; sie selbst töten das Licht in sich und werden auf ihrer Letzten Reise ein Raub des Schwarzen Goul. So arbeiten Woul und Goul zusammen daran, das Licht zu ersticken, um dann, vereint mit Shurloum, erneut zu herrschen. Sechs Familien (Die sechs Familien): Sie hatten sich gegen die Dynastie der Schlangenkaiser verbündet und die Kaiserfamilie fast restlos ausgerottet. Seither geht es ihnen gut, dem Reich
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aber schlecht. Erwähnt werden (in dieser Reihenfolge) die Illmani, die Wesdhasi, die Rungegi, die Hreddeshi, der PerlekClan, die Tuchusdes. Sedeb: Ein großer Fluss, der Tuneg-la und Nireg-la trennt und bei Jakkatum ins Meer fließt. Seedorf: eine Siedlung nördlich von Stutenhof, an einem See gelegen, dessen Ausfluss schließlich in den Eldran mündet. Sorla war Lehrling der dortigen Diebesgilde. Semendhol: Hauptstadt der hernostischen Provinz Horadh, am Fluss Asami gelegen. Setoq: Ein unsterblicher Held, der für seine Redlichkeit berühmt ist. Shurloum (Die Schwarze Shurloum): Eine dämonische Gewalt, wird zur Schwarzen Dreiheit gerechnet. Sidh: Elfenmischlinge; ein altes, mit den Elfen befreundetes Volk von hoher Kultur, aber wie die Elfen in ihrer Verbreitung in den letzten tausend Jahren sehr zurückgegangen. Am Ostrand der Bucht von Rodnag gibt es, angrenzend an den großen Elbenwald, das Königreich Sidhland. Sidhland, auch Sidhlande: Siehe Sidh. Sinn-he Fala der Leuchtende: Der erste hernostische Kaiser und Vater von Ugalur. Skagengerg: Geheimnisvoller Seemann, den Sorla in Korraghoms Bootshaus kennenlernt. Skrut: Einer der Seeräuber auf der „Schnellen Susla“. Er heißt eigentlich anders. Nach seiner Hinrichtung dient er Wendualo auf dem Meeresgrund. Slendale: Die jüngere Magd auf Rumans Hof. Slutr: Das Oberhaupt der Familie Rungegi. Er ist einer der Fürsten im Hernostischen Reich. Smisilla: Wurtos Frau, sie steht aber seiner Mutter näher als ihm. Im Grunde verbietet ihr katzenhaftes Wesen, überhaupt jemandem nahezustehen. Solur: So heißt Sorla bei den Männern der „Schnellen Susla“. „Solur“ heißt im Kaburischen eigentlich Dieb oder Abenteurer. Sorla: Siehe Sorle-a-glach. Sorle-a-glach: So lautet Sorlas eigentlicher Name und bedeutet „Molch
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ohne Vater“. So nannte ihn Laschre in der Guten Sprache der Berge. Er ist der Sohn Tainas und Tok-aglurs. Soslak: Ein Angehöriger des Perlek-Clans, der sich in den geheimen Überlieferungen auskennt. Er geht alles eher bedächtig an. Spakjo: Eine Halbinsel, welche die Bucht von Ailat von der kaburischen Bucht trennt. Spakjo-Wein: kräftiger gewürzter Süßwein von der Halbinsel Spakjo. Squompahin-laschre (d.h. „alter, einsamer Fisch“): Das Flusstrollweib am Oberlauf des Gnomflusses. Die Eltern waren ein Felsentroll und eine Flussnixe. Squompahin-laschre ist weit über hundert Jahre alt, was aber bei ihr nicht viel bedeutet. Srixnes: Schamane und Oberhaupt der Werrax. Stiousto: Ein zwielichtiger Zauberer, inzwischen verstorben, in dessen Turm Horell jetzt lebt. Straße der zwei Himmel: Eine belebte Straße in Kriteis; sie führt vom Platz der Mala nach Norden. Stutenhof: Befestigte Siedlung an der Mündung des Gnomflusses in den Eldran. Hier werden Pferde und Schweine gezüchtet, auch kommen Flößer, Köhler und Holzfäller vorbei. Bekannt sind die Pferde von Stutenhof: robust, kleine Pferde mit grauem Fell. Sul: Siehe Münzsystem im Hernostischen Reich. Surte: Ein Schamane der Ramtasi. Sorla trifft ihn mit seiner Reiterhorde irgendwo zwischen Kaharad und Hernoste, wo sie eigentlich nicht zu Hause sind. Syardra: Eine kleine Dryade mit goldbraunem Haar, Kind von Ysalde und Sorla. Sie lebt im Garten eines zauberkräftigen goldenen Drachens und wird von diesem eher verwöhnt als erzogen. „Syardra“ stammt aus der Drachensprache und bedeutet „Die hier herrscht“. Es ist eine Koseform des eigentlichen Namens „Ila-Syar-Dracunn-Dicheiensochamerur-komouma“. Das heißt „Sie ist so klein und sitzt in des Drachen Nacken“. Syrte: Eine kleine Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sorla hatte in den Parkanlagen des Heilbades zu Kaharad eine von Ysaldes Bucheckern gesetzt. Syrte wird von den Priesterinnen Marushus verwöhnt und von der dortigen Bevölkerung als
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„Kind im Baum“ verehrt. Sie ist deshalb sehr auf ihre Schönheit bedacht und lässt sich ihr dunkles Haar in kunstvollen Zöpfen flechten. „Syrte“ ist Hernostisch und bedeutet „Hübsche“. Taheget: ein abtrünniger Anodpriester aus Kaharad. Taina: Die jetzige Fürstin von Sidhland und Sorlas Mutter. Sie entstammt dem Geschlecht der Liarstil und hat Elfenblut in den Adern, wie man an den leicht zugespitzten Ohren erkennen kann. Sie hat hellblondes Haar, grüne Augen und gilt weit und breit als eine wunderschöne Frau. Tainas Amulett: silberhell, in der Form eines winzigen Schildes. Schützt vor Untoten, ist vor allem aber das Herrschaftssymbol der Liarstil. Taina bekam es als Kind, als ihre Mutter sie einst auf dem Meere aussetzte, um sie dem Zugriff Atelbes zu entziehen. Taipalsteppe: weites Grasland nördlich der Weißen Berge, östlich von Riesenheim. Takilis: Ihn haben die Sechs Familien als Ersatzkaiser im Palast oberhalb der Stadt Hernoste untergebracht. Tanz der Diebe: Sorla lernte diese Art der waffenlosen Selbstverteidigung bei den ‚Verteilern des Reichtums‘ in Seedorf. Tanzende Eserdha: Schiff aus Agra, das den Fehler beging, der Schnellen Susla zu begegnen. Tara die Falkenäugige: Göttin der Jagd und des Heldenhaften Untergangs. Sie hat goldenes Haar und hüllt sich in ein Federkleid, wodurch sie als Falke fliegen kann. Besonders fürchtet man die „Nacht der Tara“, vom sechzehnten zum siebzehnten Tag des Schlehenmonats. Sie ist eine Tochter Atnes. Tara-engu: Ein Tara-Priester, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen den Kult des Schwarzen Woul vorzugehen. Theonfiorel: Ein Liebhaber Ysaldes, dessen unglückliches Schicksal Sorla vermeiden will. Thorandir: Zwerg aus den Grauen Bergen. Sein roter Bart ist kunstvoll geflochten. Sorla kennt ihn aus seiner Kindheit.
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Tiefe Mysterien des Urgrundes: Gnomisches Geheimwissen. tlofen: Eine Fähigkeit der Elulmavni. Sie werden beliebig unsichtbar und können sich dann dreimal so schnell bewegen wie sonst. Tok-aglur: ein Dieb, zugleich Prinz des Kaiserreichs von Hernoste. Trägt vorzugsweise dunkle Kleidung, hat schwarze Locken, mittlerweile mit grauen Strähnen, und auf dem Gesäß ein Mal, das einem umgekehrten Herz ähnelt .genau wie sein Sohn Sorla. Tq’olschpâschq: Ein Troll aus den Sümpfen im fernen Norden, wo sich der Fluss Dusa vor den Felsen Riesenheims staut. Als Sumpftroll hat er eine dunkelgraue, haarlose Haut wie ein Frosch. Traumblüten: Blau blühende Schwimmpflanzen in den Seen der Großen Sümpfe. Sie verströmen einen süßen, betäubenden Duft. Trilk: Ein Waldwicht im Wald von Rhosmea. Trolle: Es gibt sehr verschiedene Arten von Trollen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zwar menschenähnlich, zumeist aber sehr hässlich sind und in der Wildnis hausen. Üblicherweise fressen sie auch Menschen. Trolslingir: Zwerg in den Grauen Bergen, Sohn des Ygrottir. Tschak: Eine Elster. Tschakim: Ein jüngerer Ramtasi aus der Horde Kirguls. Seine Frauen sind beide schwanger. Tschjerk: Eine weitgereiste Elster. Tsyrryfx: Eine kleine Dryade, Kind von Ysalde und Sorla. Sorla hatte auf der Reise mit dem DRACHEN eine von Ysaldes Bucheckern auf einer weiten Ebene neben einem Holzapfelbaum in den Boden gesteckt. Dort ist das Land der Werrax. Aus ihrer Sprache ist der Name „Tsyrryfx“ und bedeutet „Hartnäckig“. Tuchusdes: Eine der berüchtigten Sechs Familien. Sie verschwanden vor einiger Zeit aus Ekritmea. Tul-uglur: Ein früherer Kaiser des Hernostischen Reiches. Wenn man den Sagen Glauben schenkt, war er nicht nur der zwölfte Kaiser des Reiches, sondern zugleich der zehnte echte
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Schlangenkaiser. Er legte viele Zisternen an. Tuneg-la: Heißes Land an der südlichen Küste des Meeres Milat. Tunnelflechte: Schmeckt bitterfad, wird aber von Gnomen als gesundes Lebensmittel empfohlen. Turuk: Ein Ramtasi aus der Horde Bursuks. Tusdik: Ein Krieger des Perlek-Clans. Sein Vater ist Hurak aus Kriteis. Uftar: Ein Staatsanwalt in der nordhernostischen Stadt Bishoumat. Ugalur: Der Sohn von Sinn-he dem Leuchtenden und der hernostischen Königstochter Zusnild. Wenn man den vielen Sagen über ihn Glauben schenkt, war er nicht nur ein guter Herrscher, sondern zudem der erste echte Schlangenkaiser. Uglamesk: ein alter Atne-Priester in Fellmtal, einem Ort in Ailat. Ulfhon: Vom Volk der böse Ulfhon genannt. Ein Angehöriger der Familie Hreddeshi, der sich durch besondere Grausamkeit auszeichnet. Uolghq’âpsch: Ein Troll in den Bergen Batiflims. Er ist geschickt darin, sein Aussehen zu ändern. Beispielsweise verwandelt er sich in Sorla, um damit Hukaris Liebe zu gewinnen. Urgapsch: Der Perlek-Clan verehrt diesen Gott, ohne zu ahnen, dass es sich um die Trollgottheit Ûr-gqâschps handelt. Urgapschs Thron: Ein Berggipfel im Petairik-Gebirge. Das Wissen, dass er ursprünglich Ûr-gqâschps‘ Thron hieß, ging im Laufe der Generationen verloren – ebenso wie die Bedeutung dieses Namens. Ûr-gqâschps: Eine Trollgottheit; verantwortlich für Wohlergehen und Vermehrung der Trolle. Die Laute û und â in seinem Namen sind schwierig auszusprechen; es gilt dabei, gleichzeitig mit dem Kehlkopf ein Geräusch zu machen, als müsse man brechen. Urskal: Fürst der Nebligen Tiefen, Gott des Totenreichs und der Dunkelheit. Er ist Malas Gemahl. Anod ist sein Sohn und vertrieb ihn einst von der Oberfläche der Erde. Uush: Eine Art sprachbegabter Riesenwels; lebt im Fluss Asami. Vastouris: Eine chaotische Göttin, angeblich die verstoßene, verleugnete Tochter von Omschjull und Tara. Besonders mit Frena legt sie sich ständig an, denn sie stiftet Unruhe und
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richtet Schaden an, wo sie nur kann. Ruhiges Wachstum, Frieden und Verlässlichkeit sind ihr ein Greuel. Verteiler des Reichtums: der Name der Diebesgilde in Seedorf. Sorla macht dort seine Gesellenprüfung. Vinesha: Die Oberste Frena-Priesterin in der hernostischen Kaiserstadt Ekritmea. Unter anderem leitet sie das Waisenhaus. Vinumon: Elfenfürst von Rhosmea. Vortelik: Das Oberhaupt des Perlek-Clans, allerdings wurde ihm dieses Amt wegen seiner Ansichten entzogen. Vorurteilsfrei Nehmende: Der Name der Diebesgilde in Kriteis. Wandler: Wie sie wirklich aussehen, weiß man nicht. Sie nehmen nach Belieben die Gestalt fremder Menschen an und erschleichen sich so ihre Vorteile. Alle haben graue Augen, was aber kein untrügliches Merkmal ist, da auch bei normalen Menschen diese Augenfarbe vorkommt. Weiße Berge: Ein Gebirgskamm, der sich nördlich der Grauen Berge und parallel zu ihnen erstreckt. Wendeschi: Ein einfacher hernostischer Bauer nahe der Grenze zur Provinz Horadh. Er versucht mit Einfallsreichtum und Mut die Seinen durch die Wirren des Bürgerkriegs zu retten. Seine Nichte nennt ihn Onkel Weni. Wendualo: Gott der Meere. Wendualo opfern heißt oft nur, den Mageninhalt ins Meer entleeren, wie es Seekranke oder Betrunkene gelegentlich tun. Werrax: Ein Volk von menschengroßen Rattenwesen, das irgendwo östlich der Grauen Berge haust. Ihr Oberhaupt ist der Schamane Srixnes. Wesdhasi: Altes hernostisches Adelsgeschlecht und eine der „Sechs Familien“. Das Oberhaupt der Wesdhasi heißt Jelthon. Woul (Der Schwarze Woul): Ein Dämon, der von manchen Anhängern der Schwarzen Magie verehrt wird. Wird zur Schwarzen Dreiheit gezählt. Wral: Eine in ländlichen Gebieten Hernostes verehrte Göttin. Sie beschützt Wälder, Ställe und Weiden, will aber zum Jahreswechsel ein Opferlamm. Wurto: Der älteste Sohn von Fürst Slutr und dessen Gemahlin Fürstin
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Orfhane. Ygrottir: Zwerg in den Grauen Bergen, ein berühmter Kämpfer mit dem Streithammer und Hurmothins jüngerer Bruder. Er starb beim Kampf gegen die Ogluskshaddena. Yipschqô: Ein Troll, der sich in Fuskas Dorf als Omschjull ausgab. Ysalde: Eine Dryade, die eine Buche im Wald von Rhosmea bewohnt. Zanolphis: der Oberste Priester des Anod-Tempels in Kaharad. Zentauren: Auf einem Pferdeleib tragen sie einen menschlichen Oberkörper. Sie sind muskelbepackt und vor allem ausgezeichnete Bogenschützen. Sie sprechen von alters her eine altertümliche Sprache, wie sie auch in den Sidhlanden und beim Perlek-Clan noch überliefert ist. Zlapo: Der Schiffskoch auf der „Schnellen Susla“. zlenken: Die Elulmavni saugen ihren Feinden, dahergelaufenen Fremden oder anderen menschlichen oder menschenähnlichen Wesen das Blut und die Lebenskraft aus. Das nennen sie „zlenken“. Zletschko: der Oberste Priester des Atne-Tempels in Agra; ein alter, blinder Mann, der sich mit Hilfe seiner Brieftauben über das Weltgeschehen informiert. Er stammt von den kaburischen Inseln. Zusnild: Jene sagenhafte hernostische Königstochter, die zugleich eine Schlangenfee war und sich deshalb keinem Manne hingeben wollte. Erst Sinn-he Fala gelang es, ihre Bedingungen zu erfüllen, indem er durch mächtige Zauberei die Wasser von Batiflim in den Fluss Bato und so nach Hernoste lenkte. Sie gebar den sagenhaften Kaiser Ugalur. An verschiedenen Orten des Hernostischen Reiches wird sie als Brunnenjungfrau verehrt. Zwerge: Jeder glaubt zu wissen, was Zwerge sind, doch wird beispielsweise auch hier über die weiblichen Zwerge (Was tun sie, wie sehen sie aus?) nur wenig berichtet, außer dass es nicht nur gezähmte, sondern auch die sogenannten Wilden Zwerginnen gibt. Die männlichen Zwerge werden nach ihren vorwiegenden Tätigkeiten eingeteilt. So gibt es Schürfende Zwerge, Forschende Zwerge, Dienende Zwerge, Kämpfende
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Zwerge und viele andere mehr. Die meisten Dienenden Zwerge waren früher Forschende Zwerge, die meisten Kämpfenden haben zunächst geschürft. Auch ein Forschender Zwerg muss kämpfen können, und ein Dienender Zwerg wird das Schürfen nie verlernen.