NANCY KRESS
Schädelrose Roman Deutsche Erstausgabe Aus dem Amerikanischen übersetzt von PETER ROBERT
WILHELM HEYNE VE...
13 downloads
213 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
NANCY KRESS
Schädelrose Roman Deutsche Erstausgabe Aus dem Amerikanischen übersetzt von PETER ROBERT
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 0605154 Titel der amerikanischen Originalausgabe
BRAINROSE Deutsche Übersetzung von Peter Robert Das Umschlagbild malte Karel Thole
Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1990 by Nancy Kress Erstausgabe by Avon Books, New York Copyright © 1994 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1994 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: Manfred Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-07771-7
Für Marcos, mit meiner Liebe
Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne. Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: »Sieh, das ist neu?« Es ist längst vorher auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind. PREDIGER SALOMO, 1, 9-10
PROLOG: ROBBIE Juni 2022 Das Haupttor des Instituts war durch eine Demonstration von Gaisten blockiert, durch die der Taxifahrer nicht fahren wollte oder konnte. Robbie Brekke bezahlte den Fahrer, nahm seinen alten blauen Dufflecoat in die eine Hand und die Lederreisetasche in die andere und stieg aus, um sich die Sache anzusehen. Es sah ganz spaßig aus. Ein bißchen spießig, aber trotzdem spaßig. Männer und Frauen in kurzen weißen Gewändern mit andeutungsweise orientalischem Schnitt bildeten drei unregelmäßige Kreise. Jede Gestalt drehte sich langsam um sich selbst und beschirmte dabei mit einer Hand eine brennende weiße Kerze. Es war noch eine Stunde bis zur Dämmerung; die Kerzenflammen waren kaum zu sehen. Das störte keinen. Im Mittelpunkt jedes Kreises kniete eine Frau – immer eine Frau – und bediente eine Soundbox, die so eingestellt war, daß jeder Ton mit einem unheimlichen
Geheul herauskam. Alle lächelten. Ein Mädchen vom äußeren Rand des nächsten Kreises kam zu Robbie herüber und hielt ihm eine blaugrüne Rose hin, deren geflammte Blütenblätter er von tausend elektronischen Reklametafeln kannte. »Die Welt ist eine lebende Rose, Bruder.« »Genau wie du«, sagte Robbie und lächelte sie an. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich; die professionelle Glückseligkeit verschwand, die Augen unter den dicken schwarzen Wimpern blitzten auf, und sie begann gekonnt mit ihm zu flirten. Die Augen waren leuchtend violett und sahen unverschämt teuer aus. Junge Gaisten waren oft reich. Die alten auch, aber die interessierten Robbie nicht. »Du bist ein Teil der Welt, Bruder, ein Teil der Rose. Nichts, was du tun kannst, ist Mutter Gaia fremd.« »Wir könnten’s ja mal ausprobieren«, schlug Robbie leise vor. »Bist du mit Mutter Gaia vertraut, Bruder?« »Nicht so vertraut, wie ich’s gern wäre.« Sie zeigte ihre Grübchen. Die sahen ebenfalls teuer aus. Teuer und durchsichtig. Robbie beschloß, noch einen draufzusetzen. »In bezug auf die Gaisten hab ich mich zum Beispiel immer gefragt…« »Ja?« Als er nicht antwortete, sondern nur weiter lächelte, kam sie einen Schritt näher. »Ja?« »Stimmt es, daß ihr alle unter euren Gewändern nackt sein müßt?« Das Mädchen stieß ein entzücktes kleines Lachen aus. Sie wandte sich von ihm ab und stolzierte zu ihrem Kreis
zurück. Robbie grinste und wartete. Auf halbem Weg blieb das Mädchen stehen, warf einen Blick über die Schulter zurück und schlug das Hinterteil ihres Kimonos bis zur Taille hoch. Auf ihrem glatten, rosigen Po glänzte eine holographische Rose. Robbie lachte. Das Mädchen verschwand zwischen den Tänzern. Wirklich schade, dachte er, daß er einen so wichtigen Termin hatte. Aber so war es nun mal. Und nein, es war nicht schade. Dies war seine große Chance. Es war in der Tat geradezu wunderbar. Ein weiteres Taxi fuhr am Tor des Instituts vor. Ein Mann in den Dreißigern stieg aus, eine Aktentasche in der Hand. Er hinkte. Das Taxi fuhr davon, und der Mann blieb stehen und musterte die Gaisten mit finsterer Miene, als seien sie Scheiße an seinen Schuhen. Robbie lachte. Manche Leute hatten einfach keinen Sinn für spaßige Sachen. Oder für Abenteuer. Mit der blaugrünen Rose in der Hand watete Robbie in die fröhlich kreiselnden Gaisten hinein und schenkte jedem von ihnen sein Lächeln. Sie lächelten alle zurück. Das Meer der weißen Gewänder teilte sich für ihn, und er gelangte an das unter Strom stehende und mit Stacheldraht bewehrte Tor des mit offizieller Genehmigung der Stadt Rochester, New York, betriebenen Instituts für die Operative Erschließung Früherer Leben.
1. CAROLINE Jemand hatte eine Vase mit gelben Dahlien auf die nüchterne, praktische Frisierkommode gestellt, und daneben ein leeres Namensschild mit einem blauen Rand um die weiße, glänzende Vorderseite. Ein Namensschild! Caroline spürte, wie das hysterische Gelächter in ihr hochstieg, als sie ihre Handtasche aufs Bett warf und zur Frisierkommode hinüberging, gefolgt von einer dicken und allzu ernsten >HostessHallo – wer sind Sie?< Linke Spalte, dritter von unten – können Sie’s nicht lesen?« Und schon gackerte sie wieder los, wie ein kleines Kind. D a s mußte aufhören. Die Hostess – die Schwester, das Zimmermädchen, was immer sie war – stand steif da, die Hände an den Seiten, und die weiße Uniform spannte sich über einen unübersehbaren Hängebusen. Armes Ding. Caroline richtete den Blick auf den linken Ohrring der Schwester: eine goldfarbene Helix, die einen Splitter aus b la ue m Kunststoff umschloß. Ein alter Trick, aber er funktionierte: Man konnte keinen Lachkoller kriegen, während man sich mit aller Macht auf einen Ohrring konzentrierte; es w a r zu langweilig. Das manische Gelächter hörte auf. Caroline streckte der Hostess die Hand hin. Diese ergriff sie widerstrebend. »Tut mir wirklich leid. Bitte entschuldigen Sie. Ich bin nicht verrückt, ehrlich nicht. Ich fand nur das Namensschild einfach komisch.« »Nun, ich… wenn Sie sonst noch etwas brauchen, der
Bildschirm des Terminals läßt sich von der Wand ausfahren, und zwar so… Sie können ihn über dem Schreibtisch oder über dem Bett plazieren. Nur die OEFL-Programme sind akustisch abrufbar. Standardbanken werden manuell angewählt. Hier ist die Liste mit den Rufcodes des Instituts. Sie können auch das Telefon benutzen. Zimmerservice gibt es nur bis dreiundzwanzig Uhr, aber ich bin sicher, daß der Portier für Sie…« »Ich verspreche, daß ich Ihnen keine zusätzliche Arbeit machen werde«, sagte Caroline lächelnd. Sie merkte, wie sie alles hineinlegte, um eine Reaktion zu erreichen. Nada. Die Frau ließ ihre Hand los, als ob diese ein totes Ding wäre. »Wenn Sie sich dann einrichten möchten…« »Sie können mir ruhig sagen, daß ich nicht ganz dicht bin, wenn Sie wollen. Oder einfach nervös. Na los – hinterher fühlen Sie sich bestimmt viel besser.« »Ich bin sicher, daß die Ergebnisse Ihrer psychologischen Voruntersuchung in Ordnung sind, Miss Bohentin«, sagte die Hostess steif. »Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte Caroline, weiterhin lächelnd; sie versuchte es immer noch. Die Frau antwortete nicht. Sie machte die Tür betont leise zu. Blöde Kuh! Na ja, nein, wahrscheinlich nicht. Man mußte fair bleiben. Wahrscheinlich war sie bloß abgestumpft von zu vielen merkwürdigen Leuten, die hier durchgingen. Durch dieses Zimmer, durch das Institut, durch die Zeit. Durch den Spiegel. Trotzdem – es war auch komisch gewesen. Ein Namensschild. »Du Tarzan – ich Jane / Messalina / Nagako /
Maria / Bootsie und Og.« Immer noch grinsend, begann Caroline die Koffer auszupacken, die das Personal aufs Bett gehäuft hatte. Wie alle Krankenhauszimmer, die Caroline je gesehen hatte – und dies war ein Krankenhaus, ganz gleich, wie man hier die Schwestern zu titulieren beliebte, und auch wenn es angeblich eine gemütliche kleine Bar im obersten Stock gab –, erweckte auch dieses den Eindruck der Ignoranz gegenüber d e r fortgeschrittenen Technologie, für die es da war. Ein antikes Bett, eine Frisierkommode, ein eleganter japanischer Schreibtisch, zwei bequeme Stühle, zweitklassige gerahmte Drucke und ein ganz normaler Bildschirm. Das Zimmer war zwar kleiner, als sie erwartet hatte, aber der Schrank war viel größer. Was war das alte Gebäude gewesen, bevor es zum Institut für die Operative Erschließung Früherer Leben umgewandelt worden war? Vielleicht benötigte man für dieses doch recht extreme Abenteuer auch eine umfangreiche Garderobe. Brauchte man neue Kleider für frühere Leben? Brauchte man frühere Leben? Brauchte man überhaupt irgendwas? »Wie Fische Geschrei / Wie Motoren Blei / Wie Binärzahl’n die Drei – so brauche ich dihihich.« Gott, was für schreckliche Songs Jeremy für diese Show geschrieben hatte. Und sie hatte sie genauso schrecklich gesungen. Kein Wunder, daß nach drei Tagen Schluß gewesen war. Konnte das wirklich schon fünfzehn Jahre her sein? In ein paar Tagen würden ihr fünfzehn Jahre wie ein winziger Bruchteil ihrer Erinnerungen vorkommen, anstatt fast wie die Hälfte.
Wie klein war der Bruchteil? Fasziniert ließ Caroline das blaue Lederkleid fallen, das sie gerade ausgepackt hatte, und schaltete den Bildschirm ein. Wenn sie sich am Ende beispielsweise bis 2000 vor Christus zurückerinnerte – um einfach ein willkürliches Datum zu nehmen –, dann waren das 4022 Jahre; davon waren fünfzehn Jahre gleich 0,0.037.294 Prozent. Nur siebenunddreißig Zehntausendstel ihres Lebens würden vergangen sein, seit sie Jeremys dämliche Texte gesungen, sich von ihm scheiden lassen, Charles geheiratet und Catherine bekommen hatte und so weiter. Ein unbedeutender Prozentsatz. Kaum der Rede wert. Die letzten fünfzehn Jahre würden kaum zählen. Caroline starrte die Zahlen auf dem Bildschirm an. Dann schaltete sie ihn aus, ging zum Fenster hinüber und riß die Vorhänge auf. Strahlend blaues Licht vom Wasser und vom Himmel flutete ins Zimmer. Der Ontariosee dehnte sich ohne Unterbrechung bis zum Horizont, ein sanft wogender Spiegel für die Junisonne. Sonnenschein in Rochester, New York: ein Omen. Im Durchschnitt waren es nur 103 Tage pro Jahr, erinnerte sie sich. Wo hatte sie das gelesen? Dies war keine Art, sich an etwas zu erinnern; solche kleinen, eigentlich nutzlosen Informationen blieben wie Fusseln an ihr haften. »Dein Hirn ist nun mal so konstruiert«, hatte ihr Charles mit der melodiösen Stimme mitgeteilt, mit der er seine Grausamkeiten vom Stapel ließ. »Entweder fürs Theatralische oder fürs Triviale.« Das stimmte. Aber das hieß nicht, daß sie Charles etwas verzeihen mußte. Nicht das geringste.
Ein diskretes Klopfen ertönte. Ohne sich vom Fenster umzudrehen, rief Caroline: »Herein.« Ein junger, weiß uniformierter Zimmerkellner mit dem kompletten Namen des Instituts auf seinem Stirnband kam mit einem dampfenden Tablett herein. Er stellte einen kleinen Tisch auf und arrangierte die Speisen mit förmlicher Sorgfalt. Caroline erkannte die Imitation des japanischen Service, der in den N e w Yorker Speiseclubs gegenwärtig populär war. Sie lächelte ihn amüsiert an. Der Junge verbeugte sich steif, wobei sein blonder Schopf die orientalischen Nuancen vermasselte. Das Abendessen roch verblüffend gut; Lamm in Thymiansauce, vermutete sie. Aber sie wußte, daß sie nichts hinunterbekommen würde. Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee aus der antiken silbernen Kanne ein, die mit einer optisch kontrollierten Warmhaltevorrichtung ausgestattet war, und kehrte ans Fenster zurück. Ihr Zimmer war im obersten, im vierten Stock. Im Norden fi e l eine grüne, von Walnußbaumkronen und Steinbänken gesprenkelte Rasenfläche vom Institut zum Ontariosee ab. D i e östliche Grenze wurde von einem Wald gebildet. Im Westen lag ein Gewirr von Dächern, das durch einen sehr hohen Zaun vom Institut getrennt war. Und außerdem durch e i n e n unsichtbaren elektronischen Schirm, vermutete Caroline. Das Institut war anscheinend eine gut geschützte Enklave. Plötzlich erinnerte sie sich, daß Rochester den ersten städtischen Friedhof in den gesamten Vereinigten Staaten gehabt hatte. Sie blieb am Fenster stehen und sah zu, wie zuerst die
Sonne am westlichen Ende des Sees unterging und wie danach der schieferblaue Abend über dem Horizont dunkelte, bis es an der Zeit war, ihr glänzendes Namensschild anzulegen und zu dem Empfang für die Kandidaten der operativen Erschließung früherer Leben hinunterzugehen. Im Rosenzimmer des Instituts standen drei Dutzend Leute mi t Gläsern in der Hand. Eine Verandatür führte auf eine Terrasse mit Seeblick, auf der noch mehr Leute in der Junidämmerung an einem schmiedeeisernen Geländer lehnten. Caroline fand, daß der Raum schizophren aussah: an der Nordwand glatte, schwere Samtvorhänge, die mit Schnitzereien verzierte Verandatür und die Terrasse; an der Südwand ein riesiger, hochauflösender Bildschirm mit einer Konsole von geradezu dreister Nüchternheit, wie ein Flugzeug-Cockpit. Imitierte Eleganz des neunzehnten Jahrhunderts, übertrumpft von echter zeitgenössischer Sachlichkeit. Ihre Laune hob sich im Nu. »Eins zu null für den toten Fernseher«, sagte sie zu dem Barkeeper, der ihr ein Glas Wein gab. Er machte ein verblüfftes Gesicht. »Pardon?« »Hab ich mein Namensschild richtigrum an?« »Ja, Ma’am.« »Gut.« Sie lächelte ihn an. Er wandte sich ab und fuhr fort, Limonen in Scheiben zu schneiden. Jemand auf der Terrasse lachte laut. Caroline nippte an ihrem Wein und beäugte die Leute. Sie hatte ein gutes Auge; das war es, was ihr Vater am meisten an ihr gemocht hatte,
die Quelle der schönsten Zeiten, die sie miteinander verbracht hatten. »DBase den da, Prinzessin.« Und schon mit dreizehn oder vierzehn war sie dazu fähig gewesen, hatte C haraktere beurteilen, Einzelheiten extrapolieren, das Dramatische, das Lächerliche oder das Absonderliche spielerisch aufbauschen können, bis sie beide in das köstliche, berauschende Gelächter ihrer eigenen, privaten, nicht enden wollenden frenetischen Party gehüllt waren. Und als die Party vorbei war – nach Jeremy, nach Charles, nach Catherine –, war ihr das Auge geblieben. Eine Erbschaft. Der Mann und die Frau am anderen Ende des Zimmers waren beide Ärzte: Sie standen so entspannt da, als ob sie hier zu Hause wären, und sonderten unbeteiligte Höflichkeit ab wie einen zarten Duft. Die dicke Frau mit dem angsterfüllten Blick war natürlich eine Operationskandidatin. Sie trug ein rüschenbesetztes rotes Kleid und ein rotes Stirnband. Zu prächtig und zu schlampig. Sie wäre am liebsten sonstwo gewesen, aber nicht hier – also, wieso war sie dann hier? Möglicherweise hatte sie eine dieser Nervenkrankheiten, Alzheimer oder multiple Sklerose, deren Heilung nur ein Nebeneffekt des Eufelns war. Der Mann in dem schäbigen Jackett und mit dem schlichten Stirnband war ein Akademiker – vielleicht auch ein Dichter, obwohl das eher unwahrscheinlich war –, der die Ersparnisse seines Lebens für eine romantische Idee von seiner Vergangenheit ausgab. Die hinreißende Frau, die in der Ecke Hof hielt – offensichtlich eine Schauspielerin. Älter, als sie aussah, nicht
so gut zu erkennen, wie sie es sich wünschte. Caroline zuckte die Achseln und wandte den Blick ab. Sie war mit Schauspielern aufgewachsen. Aber den Teenager in dem teuren Anzug mit japanischem Schnitt, mit dem Stirnband aus Seide – den konnte sie nicht unterbringen. Geeufelt zu werden war nichts für Kinder. War es nicht sogar illegal? Der Junge hatte glatte, dunkle Züge. Ein Indianer? Ein Araber? Während sie ihn beobachtete, durchquerte er das Zimmer, um mit den Ärzten zu reden, und unterbrach ihre Konversation mit einer gebieterischen, vage fremdartigen Geste, die beide veranlaßte, sich ihm respektvoll zuzuwenden. Das wurde ja immer besser! Eine weitere Lachsalve explodierte auf der Terrasse. Caroline ging durch die Verandatür hinaus. Vier Personen standen am anderen Ende des Geländers, Silhouetten vor d e m dunkler werdenden Himmel. Der jüngere der beiden Männer redete gerade, »…und dann durfte man natürlich auch den liberianischen Sicherheitsdienst nicht auslassen, also tauchten die am nächsten Abend im Bootshafen auf«, und die beiden Frauen lachten. Der junge Mann schaute an ihnen vorbei, fing Carolines Blick auf und forderte sie mit einer Geste auf, zu ihnen zu kommen. Sie merkte, wie sie sein Lächeln erwiderte, obwohl das, was er war, nicht augenfälliger oder uninteressanter sein konnte. Hochgewachsen, blond, mit einem guten, aber schäbigen Jackett bekleidet und mit einem knallbunten, in verwegenem Winkel gebundenen – nicht gehefteten – Stirnband. An der Art, wie er am Geländer lehnte und den Kopf neigte, an der lockeren Art, wie er sie taxierte, konnte
Caroline seine gesamte Geschichte dBasen. Ein kleiner Gauner, ein sozialer Aufsteiger, genug Charme, aber nicht genug Hirn, um das Geld anzuziehen, das er zweifellos haben wollte. Ein buntschillernder Pilotfisch, immer sehr unterhaltsam, immer seine Kreise ziehend. Wer hatte ihm den Aufenthalt hier wohl bezahlt? Sein Händedruck war nur eine Sekunde zu lang. »Robbie Brekke.« »Caroline Bohentin.« »Das sehe ich«, sagte Robbie und tippte auf das Namensschild über ihrer linken Brust. Seine blauen Augen funkelten. Auf seinem Namensschild stand WIRD NOCH BEKANNTGEGEBEN. »Das sind Jane Fexler, Sandy Ochs und Joe McLaren.« »Ich bin eigentlich gar nicht hier«, sagte Jane Fexler mit hoher, hauchiger Stimme. »Ich meine, ich werde nicht geeufelt. Ich bin nur hier, um mich von meinem Mann zu verabschieden. Er ist… äh… da drüben.« Sie machte eine vage Handbewegung zum anderen Ende der Terrasse und hängte sich bei Robbie ein. Sandy Ochs, eine pummelige junge Frau mit plumpen Zügen in einem dunkelblauen Segeltuchoverall, machte plötzlich einen niedergeschlagenen Eindruck. Belustigt sagte Caroline: »Ihr Mann läßt sich operieren.« »Ja«, sagte Jane. Und dann, mit jäher Wildheit: »Vielleicht macht die Operation einen besseren Menschen aus ihm.« »Vielleicht macht sie aus uns allen bessere Menschen«, sagte Caroline. »Aus mir nicht«, sagte Robbie mit einer derart gespielten
Ernsthaftigkeit, daß Caroline lachte. »Was wird sie aus Ihnen machen, Caroline Bohentin?« »Wer weiß?« wehrte sie die leise Herausforderung ab, immer noch lächelnd. Aber ihren Worten folgte ein kurzes Schweigen. Sandy Ochs brach es. »Ich weiß, was ich sein werde«, sagte sie plötzlich mit unnötiger Heftigkeit. »Ich weiß es bereits. Ich war Königin von Ägypten, und ich brauche diese Operation nur, um den Rest meiner blöden Verwandtschaft davon zu überzeugen, daß ich die Kräfte auch wirklich habe, von denen ich immer rede.« O Gott, dachte Caroline. So eine mußte es natürlich geben. Es gab immer so eine. Aber warum mußte es der zweite Mensch sein, mit dem sie redete? »>Kräfte