Satellit „Beta 83“ Zukunftsroman von Roy Chester Roy Chester. Alle Freunde unserer UTOPIA-Zukunftsromane lesen diesen N...
53 downloads
800 Views
5MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Satellit „Beta 83“ Zukunftsroman von Roy Chester Roy Chester. Alle Freunde unserer UTOPIA-Zukunftsromane lesen diesen Namen heute zum ersten Mal. Ein unbekannter Autor also? Vorläufig noch. Der vorliegende Roman – sein Erstlingswerk – verspricht, daß er es nicht mehr lange bleiben wird. Roy Chester ist aus unserem Wettbewerb, in dem wir in erster Linie der jüngeren Generation eine Chance boten, hervorgegangen. Er ist einer der jüngeren Generation, einer von denen, die zwischen zwei Weltkriegen aufwuchsen. Seine Sprache – beeinflußt von amerikanischen Vorbildern – wirkt daher unmittelbar stark, und er ist allen Problemen unserer Zeit gegenüber aufgeschlossen. Man kann ihm mit ruhigem Gewissen prophezeien, daß seine Romane sich bald viele begeisterte Anhänger schaffen werden. Doch mehr soll an dieser Stelle nicht über ihn gesagt werden. Wer sich näher mit seinen Lebensdaten und der Aufgabe, die Roy Chester in der Science Fiction sieht, vertraut machen will, der beachte bitte die Seite 56. Und nun noch einige Worte zum vorliegenden Band: Auch Sie werden der Ansicht sein, daß ein künstlicher Satellit für die wissenschaftliche Erforschung der Raumverhältnisse nur nützlich ist. Kann man daher verstehen, daß dieselben Männer, die Satellit „Beta 83“ auf seine Kreisbahn brachten, alles daransetzten, ihn zu vernichten? – Wie es dazu kam, das lesen Sie in den folgenden Kapiteln.
3
1. Kapitel „Worauf es bei der Sache ankommt“, hämmerte Brooks den Männern ein, „ist, daß uns keiner hineinschaut. Ihr wißt, wie die Polizei heutzutage arbeitet. Sie schnappen einen, bevor er überhaupt sein Ding gedreht hat.“ Dabei drückte er einen Rufknopf. Im Lautsprecher meldete sich eine Frauenstimme. Dann ging die Polstertür auf, und die Sekretärin erschien. Den Knopf des Diktiergeräts trug sie noch im Ohr. Sie mußte sehr tüchtig sein, denn hübsch war sie gar nicht. „Jenny“, sagte Brooks, „zahlen Sie den Gentlemen Geld aus. Jedem tausend Pfund. Nehmen Sie die neuen Noten. Keine Quittung!“ Die Sekretärin nickte und verschwand. Brooks musterte noch einmal die Gestalten, die sich in seinen Clubsesseln räkelten. Sie mochten Anfang dreißig sein. Beide trugen die gleichen Konfektionsanzüge aus dunkelgrauer, metallisch schimmernder Kunstfaser, die gleichen Socken mit Schlangenmuster, die gleichen Slippers mit Nylonsohlen. Sie waren sich überhaupt sehr ähnlich. „Noch etwas!“ fuhr Brooks fort. „Der Rest des Honorars folgt vereinbarungsgemäß nach Durchführung des Auftrags. Sollte irgend etwas schiefgehen …“ Der eine seiner Besucher fiel ihm ins Wort. „Sollte etwas schiefgehen, dann wissen wir nicht, wer unser Auftraggeber ist. Wir wissen überhaupt nichts. Wir haben die Sache nur zu unserem privaten Vergnügen gemacht, aus Spaß gewissermaßen.“ Brooks lächelte. „So ist es, genau.“ Einer der Männer drückte seine Zigarette aus. „Reichlich geheimnisvoll, Mr. Brooks. Wir wissen tatsächlich nicht, wer dahintersteht.“ Er wandte sich in dem Büroraum um, als fiele ihm Brooks solide Ausstattung erst jetzt auf. Brooks nahm seine Brille ab. 4
„Mein Auftraggeber hat seine Gründe. Ob Sie es glauben oder nicht, mir ist er auch nicht bekannt, und das ist gut so. Wir sind den Fahndungsmethoden der internationalen Polizei nicht mehr gewachsen. Ich kenne Leute mit Nerven aus C2a-Stahl. Unter dem Lügendetektor sind sie in einem halben Tag weich geworden wie alte Semmeln.“ Während sie sich so unterhielten, schwieg der dritte Mann beharrlich. Ein Firmenbogen in Brooks’ Postkorb fesselte seine Aufmerksamkeit. Er machte sich an die Entzifferung des Briefkopfes, was nicht ganz einfach war, denn der Bogen lag verkehrt herum und das Licht war schlecht. Zudem saß er beinahe zwei Meter von Brooks’ Schreibtisch entfernt. Sein Genosse mußte wohl diese Bemühungen erkannte haben, denn er verwickelte Brooks eifrig in Gespräche über Geschäft und Politik. Der andere stand auf, bot Brooks eine von seinen Zigaretten an und hielt das Elektrofeuerzeug so geschickt, daß es den Briefbogen beleuchtete. Die zwei Männer in den grauen Anzügen waren so aufeinander eingespielt, daß sie sich ohne Worte verstanden. Aus der befriedigten Miene seines Kompagnons erkannte der Ältere, daß eine weitere Ablenkung Brooks nicht mehr nötig war. „Alsdann!“ erhob er sich. „Bis morgen.“ Sie griffen ihre Hüte. Im Vorzimmer drückte Jonny jedem von ihnen ein Bündel Pfundnoten in die Hand. Der Jüngere musterte das Geldpaket und dann sie. „Aus Ihnen wird noch was, Jenny, machen Sie weiter so!“ Im Erdgeschoß des Bürohauses sprangen sie aus dem Paternoster, traten auf die Straße und pfiffen ein Taxi heran. Langsam schob sich ein Wagen durch den Nebel. Es war ein zwanzig Jahre alter Sunbeam, eines von den Automobilen mit Benzinmotor, wie sie in den sechziger Jahren modern waren. „Zum Flughafen Kent Road!“ Der Fahrer ordnete sich in den Kreisverkehr am Piccadilly ein 5
und nahm die Straße am St. James Park entlang, hinunter zur Themse. Über die Westminster Bridge dirigierte er den Wagen durch den Nachmittagsverkehr in die Südstadt. Jim deutete nach vorne zum Fahrer. Sein Bruder Fresno nickte. Sie hatten gesehen, daß der Wagen mit Radiotelefon ausgerüstet war. Jim klopfte an die Trennscheibe. Der Chauffeur verstand und schaltete das Gerät auf den Fondraum. Fresno wählte eine Nummer. Der Flugwetterdienst meldete sich. Fresno verlangte die Vorhersage für Frankfurt/Main und Aschaffenburg in Deutschland. Sie hörten das Ticken des Wetterrechners, dann kam eine Stimme: „Gedulden Sie sich bitte fünf Minuten!“ „Wir melden uns später“, antwortete Fresno und hängte ein. Der Nebel machte dem Verkehr nicht viel zu schaffen. Sobald er dichter wurde, schalteten sich die Rotoren ein, jene schnellaufenden Propeller, die auf den Dächern montiert waren und, von starken Elektromotoren getrieben, den Dunst aus den Straßen in die Höhe saugten. Jenseits des Flusses ging es flotter voran. Nach einer Viertelstunde erreichten sie den Sportflughafen. Sie ließen sich von der Taxe zu den Hangars hinausbringen, wo ihre Maschine stand. Ein Monteur kam heran und grüßte sie. „Alles klar, Mister!“ wandte er sich an Jim. „Aufgetankt. Turbine ist probegelaufen!“ Fresno unterzeichnete das Werkstattbuch, während Jim in den bequemen Sesseln der Zweisitzer-Avro 707C-Vulcan Platz nahm. Die Maschine, ein ehemaliger Düsentrainer der Royal-Airforce, war nicht das modernste und schnellste, was es gab. Aber sie erreichte beinahe Schallgeschwindigkeit, was den Brüdern für ihre Unternehmungen vollauf genügte. Sie hatten den Vogel billig aus den Beständen der Luftflotte erworben, das war ihnen wichtiger als die Tatsache, daß die Maschine durch ein Turbinenaggregat und nicht durch ein Super-Jonentriebwerk bewegt wurde. Sie waren konservativ wie alle Engländer. 6
Jim zündete die Rolls-Royce Turbine und rollte aus der Halle. Fresno stieg zu. Sie nahmen den Taxiweg hinüber zur Flugleitung. Während Jim die Maschine abmeldete und um Startzeit bat, besorgte sein Bruder die Wetterunterlagen. Der Meteorologe speiste seine Hollerithautomaten noch mit einlaufenden Werten. Die ratternden Apparate standen mit einem zimmergroßen Elektronenrechner in Verbindung, der das Wetter für jeden Ort der Erde und für jede gefragte Zeit über einen Maschinenschreiber auswarf. Der Angestellte riß einen Papierstreifen ab, der sich aus der Öffnung schob und reichte ihn Fresno hinüber. „Das Wetter für Aschaffenburg: Sicht gut. Bedeckung drei Zehntel. Wind nordost, Temperatur zweiundzwanzig Grad, Sonnenuntergang neunzehn Uhr fünfzig MEZ. Gegen Mitternacht im Maintal aufkommender Nebel.“ ,.Danke!“ sagte Fresno. „Das genügt.“
2. Kapitel Der Zeiger der Borduhr rückte auf achtzehn Uhr dreißig. Die Hydraulik schloß das Kabinendach. Jim schob den Gashebel auf Startleistung. Sofort heulte die Turbine singend auf. Der Schub preßte die Männer in die Luftkissen der Sitze. Schnell kletterte das Tacho auf 140 Meilen. An der grünen Marke zog Jim die Maschine hoch. Das Fahrwerk wurde eingezogen. Zehn Minuten später tauchte im Osten schon die Küste Frankreichs auf. London mit seinem Nebel war am Horizont verschwunden. Jim ging auf zweitausend Meter. Er wandte sich an seinen Bruder Fresno. „Brooks hält uns für Konfirmanden. Es kennt den Auftraggeber nicht? Daß ich nicht lache!“ 7
Dabei fingerte er nach seiner dunklen Brille, weil die Sonne von hinten in die Kabine leuchtete. „Der Fall ist klar wie das Lächeln der Mona Lisa. Hör zu! Der alte Herr, den wir in wenigen Stunden besuchen werden, heißt Dr. Suhr, Professor, Doktor Suhr. Ein internationaler Experte für Hochfrequenztechnik. Zehn Jahre lang Dozent an der Technischen Hochschule München. Vor einigen Jahren zog er sich in sein Laboratorium im Spessart zurück. Warum wohl?“ „Um Wildschweine zu jagen!“ lachte Fresno. Unter ihnen zog eine Düsenverkehrsmaschine nach Süden. Sie flog mindestens mit Machzahl 1,8 Richtung Rom. Der Metallrumpf, mit den V-Flügeln leuchtete im goldenen Abendlicht. Sie hatten den Kontinent erreicht und hielten auf Brüssel zu. Da setzte Jim das unterbrochene Gespräch fort. „Professor Suhr ist Spezialist für Magnetbandaufzeichnungen von Mikrosignalen. Er erzielte bedeutende Forschungsergebnisse auf dem Gebiet elektronischer Chiffriergeräte.“ Fresno schüttelte den Kopf. „Mattscheibe! Kannst du das nicht volkstümlicher darlegen?“ Jim nahm eine kleine Kurskorrektur vor und reduzierte die Turbinendrehzahl. Gemütlich, mit achthundert Stundenkilometern, hielten sie die Richtung Köln – Frankfurt. Jim nahm sich einen Kaugummi. „Ganz einfach, Fresno. Man läßt beispielsweise den Inhalt eines Buches, also den gesamten Buchtext, von einem Elektronengerät abtasten und in sogenannte Mikrosignale aufteilen. Das nennt man ‚programmieren’. Dieses Programm wird auf Magnetbänder gespeichert und kann in Sekundenschnelle über Funk an jeden beliebigen Ort übertragen werden. Dort wird es wieder auf Band gespeichert und von einem Gerät in Maschinenschrift übertragen.“ „Und?“ fragte Fresno. „Wozu soll das gut sein?“ Jim erklärte weiter. „Man kann dadurch kilometerlange Texte im Bruchteil der frühe8
ren Zeit durchgeben. Er brachte es fertig, diese drahtlosen Übertragungen noch zu chiffrieren.“ „Mit der Hand?“ feixte Fresno. „Dummkopf! Du wirst noch dahinterkommen, welche Bedeutung die Sache hat. Nimm an, ein amerikanischer Industriekonzern will seine Niederlassung in Westeuropa über neue Werbetechniken unterrichten. Nehmen wir weiter an, die Sache sei streng vertraulich. Dann wird diese Instruktion durch eine simple Methode für jeden bis zur Unverständlichkeit zerhackt, der in seinem Gerät nicht einen bestimmten Zahlenschlüssel eingestellt hat. Für Geheimdienste, die Polizei, die Hochfinanz, die Generalstäbe ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten.“ Fresno brannte sich eine Zigarette an. „Dafür finde ich aber zweitausend Pfund sehr minimal.“ „Man bezahlt uns nicht für die Wichtigkeit der Sache, sondern dafür, daß wir sie dem Professor aus der Nase ziehen.“ „Aus dem Tresor, meinst du!“ „Wie schlau du bist, Junge!“ Eine Stunde später standen sie über Frankfurt. Auf dem RheinMain-Flughafen gingen sie herunter und stellten ihre „Vulcan“ im Hangar eines Clubs ab. Um nicht durch unchristliche Hast aufzufallen, nahmen sie im Clubhaus ein heißes Sandwich zu sich und spülten es mit ein paar Steinhägern hinunter. Dazwischen telefonierte Fresno nach einem Mietwagen, der prompt eine halbe Stunde später eintraf.
3. Kapitel Das deutsche Raketenzentrum in Ostfriesland, zwischen Westerhold und der Küste, empfing die letzten Strahlen der untergehenden Sonne; sie stand schon am Horizont über dem Meer. Seitdem die europäische Raketenforschung in den letzten zehn Jahren die überseeische Welt weit hinter sich gelassen hatte, war in den 9
Ebenen des Dreiecks Aurich – Norden – Esens eine Stadt aus dem Boden gewachsen. Eine Stadt, die den Namen Neu-Peenemünde trug und schon mehr als hunderttausend Einwohner zählte. Eine Stadt, die zur Hälfte so aussah, wie jede andere moderne Stadt. Wohnblocks, Anlagen, Kaufstraßen, Kirchen, ein Rathaus, Schulen, Lokale, Clubs, Tennisplätze, Schwimmbäder, Kinos dienten der Unterhaltung. Die andere Hälfte der Stadt jedoch, hatte auf dem ganzen Kontinent kaum ein Gegenstück. Das war der Teil, der sich weit bis zur Küste hinzog und alles auf sich konzentrierte, was zu einer Raketenbasis notwendig war. Angefangen von chemischen Werken für die Herstellung von Treibstoffen, Anlagen zum Bau von Raketen, Raumschiffen und Außenstationen, über Forschungsstätten bis zu Instituten für Astrophysik und Raummedizin. Trainingslager des Boden- und Flugpersonals sowie Observatorien für astronomische Beobachtungen standen zur Verfügung. Das ganze Gelände war überzogen von Werkhallen, Raffinerien, Kraftwerken. Ein künstlicher Hafen an der Küste gestattete Tankern bis zu hunderttausend Tonnen, ihre Ladungen über Pipelines direkt in unterirdische Leitungen zu pumpen. Ein riesiges Atomkraftwerk erzeugte den enormen Energiebedarf der Aluminium- und Titanwerke. Verstreut lagen die Abschußrampen mit ihren turmhohen Gittergerüsten. Jede Abschußstation war mit einem Steuerbunker und eigenem Funksender kombiniert. Im Norden von Neu-Peenemünde lag ein Flugplatz für Düsenmaschinen des Kontinentverkehrs. Ein Netz breiter Betonstraßen verband die Schwerpunkte des Zentrums miteinander. Die Kurven, flach genug, daß die schweren Zwölfachser mit den mächtigen Raketenstufen ungehindert schwenken und einander passieren konnten, gaben den Straßen ein großzügiges Gepräge. Im Hafen lag eine Flotte schneller Bergungsschiffe, die nach den Starts die wertvollen Brennsektionen aus der Nordsee fischten. Wenn ein Start oder ein Versuch mißglückte, holten sie auch Menschen aus der deutschen Bucht herein. Ein buntes Bild bot sich dem Betrachter, der im Flugzeug über 10
die Stadt flog. Im Westen breitete sich das Meer. Im Osten die Weiden und Wiesen Frieslands. Dazwischen türmte sich gebändigter Stahl und geformter Beton. Die Kühler, Reiniger und Reaktoren der Chemiewerke glänzten silbern. Das farbenfrohe Röhrensystem hob sich vom Weiß der Gebäude ab. Alle Leitungen waren in Normfarben gestrichen. Wasserleitungen, von den Tiefbrunnen her, grün. Luftzuführung blau. Dampfkreislauf rot, Gasrohre gelb. Über allem ragte das Hochhaus. Ein vierzigstöckiges Gebäude aus Glas und Beton. Das Gehirn von Neu-Peenemünde. Thomas Brauer stand vor dem riesigen Fenster, das die ganze Front seines Arbeitszimmers im neunzehnten Stockwerk einnahm. Neben ihm blickte sein Assistent hinunter in die Tiefe, wo soeben zwei Turbinenschlepper einen Zwölfachser aus der Montagehalle der Zellenfertigung bugsierten. „In einer Woche wissen wir es“, sagte Brauer mehr zu sich selbst als zu seinem Assistenten. „Dann besteht Klarheit darüber, ob achtzig Millionen beim Teufel sind, oder auf der Kreisbahn. Haben Sie die Werte für die Startgewichte?“ Der junge Mann an seiner Seite blätterte in einem umfangreichen Hefter. Er reichte seinem Chef ein Blatt mit Maschinenzahlen. „Der Satellit wiegt nach letzten Messungen eintausendachthundertundvier Kilo. Die Sonnenbatterien sind etwas schwerer als ursprünglich angenommen.“ „Aber sie sind um die Hälfte leichter als ein Atomgenerator gleicher Leistung. Die Dinger bauen immer noch zu schwer. Gewicht einsparen, das ist das Hauptproblem unserer ganzen Arbeit. In sechs Jahren Entwicklungsarbeit haben wir die Startgewichte der Jonenantriebe um ganze zwanzig Prozent verringern können. Ein kümmerliches Ergebnis im Vergleich zu den Kosten. Zwanzig Prozent Gewichtsersparnis, für mehr als eine Milliarde Mark.“ „Die Menschheit läßt sich den Raumflug was kosten, Herr Direktor!“ 11
Brauer zog an seiner Shagpfeife. „Natürlich läßt sie sich die Sache etwas kosten. Es hat auch wenig Sinn darüber zu grübeln. Ich habe mir aber erlaubt nachzurechnen, was Neu-Peenemünde gekostet und seit seiner Gründung im Jahre 1964 an Geld verschlungen hat. Es ist mehr als sämtliche Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts zusammengenommen.“ Der Assistent kannte seinen Chef und wußte, daß Menschen, die mit einer Unterschrift über Millionen verfügen, oft sehr sparsam sind. „Dafür haben wir allerhand erreicht“, versuchte er Brauer abzulenken. „Wir haben Versuchsstationen auf dem Mond, bereiten die Wega-Schiffe für eine Marsexpedition vor …“ Brauer unterbrach ihn. „Und werden mit der Leukämie nicht fertig und mit den Hungerepidemien in China. Trotz Algenkotelett und Rekordernten. Wir müssen es anders ausdrücken. Nicht die Menschheit läßt sich den Raumflug etwas kosten, sondern der Raumflug läßt die Menschheit bezahlen. Arbeiten, schuften, darben, wofür?“ Brauer schwieg. Dann schien er es wieder überwunden zu haben. „Wir müssen es schaffen. Dazu sind wir Menschen, Lebewesen mit Verstand.“ Manchmal überfiel es ihn; wenn sie jahrelang suchten, testeten, vergebens an einem winzigen Problem arbeiteten. An einem Problem, das nicht nur Geld, sondern auch Männer verschlang. Gesunde Männer, die vom Tode gezeichnet aus dem Weltraum zurückkamen, bis endlich die Strahlungsprobleme am Rande der Stratosphäre gelöst waren, die Probleme der Grenzschichten in hundert Kilometer Höhe. Und jetzt hatten sie sich in die Abschirmung der Zerfallstrahlung bei Photonenantrieben verbissen. Brauer riß sich los. Er sah die Blumen vor seinem Fenster, wie sie in den gleichmäßigen Temperaturen der Klimaanlage tropisch wucherten. Ihr Duft ließ ihn seine Sorgen vergessen. Außerdem stand ein bedeutendes Ereignis bevor, das all seine Kräfte verlangte. Der Start des Telegraphensatelliten. 12
Nach dem mißglückten ersten Start, bei dem die zweite Stufe nicht gezündet hatte, mußte es diesmal klappen. Alles war vorbereitet. In einer Woche würde „Beta 83“ auf seiner Kreisbahn ziehen. Ein weiterer großer Schritt der Menschheit auf dem Wege in die Zukunft. Brauer beschloß, noch einmal einen Blick in das Manuskript seines Artikels zu werfen, den er nach dem Start der Weltpresse übergeben wollte. Da dröhnte eine Stimme aus dem Lautsprecher der Rufanlage. „Der Triebwerkprüfstand vom Turbinenwerk vier bittet Dr. Brauer in Halle eins. Unregelmäßigkeiten in der neuen Dreiachsensteuerung.“ Brauer legte sein Manuskript zur Seite. Er wußte, daß es brannte, wenn man ihn rief. „Schnell meinen Wagen!“ befahl er seinem Assistenten und war schon auf dem Wege zum Lift.
4. Kapitel Ein Scheinwerfer fraß sich über das Band der Autobahn Frankfurt – Würzburg. Die Brüder Jim und Fresno Elliot hatten die Fenster geöffnet und rauchten. Jim, der seinem Bruder das Steuer überließ, besah sich gelangweilt die Darbietung auf dem Fernsehschirm im Armaturenbrett. Ein Quizmaster, der vor einem Vierteljahrhundert schon nicht beliebt war, trieb im karierten Hemd seine antiquierten Späße. Deshalb schaltete Jim ab. Die Ausfahrtsschilder Offenbach – Hanau rasten auf sie zu. Vorbei. „Noch dreißig Kilometer!“ Fresno fuhr langsamer. Sie mußten die Nacht abwarten. Das kaum hörbare Singen der Turbine wurde noch leiser. Der Wagen rollte jetzt mit einhundertdreißig Stundenkilometern dahin. 13
Fresno nickte seinem Bruder zu. „Es ist Zeit!“ Jim nahm den Hörer vom Radiotelefon. Er wählte eine Nummer, die er im Clubhaus aus dem Buch abgeschrieben hatte. Draußen fuhr die Antenne aus der Karosserie. Dann meldete sich eine Bandstimme. „Hier Aschaffenburg, bitte weiterwählen. Hier Aschaffenburg, bitte weiterwählen.“ Jim Elliot wählte weiter. Seit Ende der siebziger Jahre konnte man vom Auto aus praktisch jeden Teilnehmer des europäischen Fernsprechnetzes direkt wählen. Die Verbindung kam. Es klickte ein paarmal in der Leitung, und die Dezimeterstrecke vom Fernamtsender bis zum Wagen brummte etwas. Aber dann hörte Jim die Stimme, auf die er wartete. „Hier Laboratorium Professor Suhr!“ Jim hängte ein. „Der Alte ist zu Hause!“ Befriedigt fuhren sie weiter. Fresno Elliot warf seine Zigarette aus dem Fenster. Ein Knopfdruck schloß die Scheibe. „Der Professor ist zu Hause!“ wiederholte er noch einmal. „Was du mir von ihm erzählt hast, läßt vermuten, daß er ein ziemlich gebildeter Eierkopf ist. Soweit habe ich das kapiert. Jetzt möchte ich aber wissen, wer sich für seine kleinen Apparätchen interessiert. Meiner Schätzung nach, werden die Dinger in Neu-Peenemünde längst gebaut. Dort starten sie nämlich demnächst einen Satelliten.“ „Weiß ich“, unterbrach Jim. „Die ganze Welt weiß, worum es sich dabei handelt. Es ist der neue Telegraphensatellit. Ein fliegendes Welttelegraphenamt. Mehrere solcher Satelliten arbeiten im Verbundsystem und regeln den gesamten Nachrichtenverkehr der Erde.“ „Aha!“ antwortete Fresno. „Und wie soll das marschieren, wenn ich fragen darf?“ Jim versuchte, es mit wenigen Worten zu erklären. 14
„Die Außenstation erhält vier Hauptteile: Einen Magnetbandschreiber, einen Sender, den Empfänger und als Stromquelle Sonnenbatterien, damit sie eine unabhängige Stromversorgung besitzt. Kapiert?“ „Bis hierher schon.“ „Der Rest ist noch leichter zu verstehen. Während der Satellit über New York hinwegzieht, gibt der Sender der New Yorker Bodenstelle alle vorliegenden Telegramme für London, Frankfurt, München, Wien, Istanbul auf das Magnetofonband in den Satelliten.“ „Weiter?“ Fresno wurde interessiert. Jim streckte die Beine aus und fuhr fort. „Wenige Minuten später erscheint der Satellit über London, wo er auf ein Signal der Bodenstation hin die für London bestimmten Botschaften herunterspielt und sein Band wieder für weitere Aufnahmen von Telegrammen öffnet.“ Fresno war ehrlich begeistert. Trotzdem schien er noch nicht voll überzeugt. „Und wo liegt da der Witz?“ Jim holte tief Luft. „Es soll keine Beleidigung sein, Fresno, aber du warst schon immer ein mittelmäßiger Schüler. Der Erfolg liegt doch auf der Hand. Schau, Bruderherz, jeder Satellit umkreist die Erde täglich sechzehn bis achtzehnmal. Da genügt ein halbes Dutzend solcher Stationen, um den Nachrichtenverkehr der ganzen Welt zu bewältigen. Wenn man als Preis nur einen Pfennig pro Wort verlangt, dann finanzieren sich die Dinger bis unter die Arme, und man könnte noch die ganze Raumfahrt damit bezahlen.“ Fresno sah seinen Bruder an. Man merkte, wie er überlegte. „Was machen sie aber mit den alten Funkstationen, was machen die Kabelgesellschaften mit ihren Kabeln, der ganze Plunder wird dann wertlos?“ Jim nickte. „Vielleicht kommst du allmählich dahinter, wer es sich 2000 Pfund kosten läßt, daß wir bei dem alten Suhr unauffällig guten Abend sagen.“ 15
5. Kapitel Sie verließen die Autobahn. Als sie durch Aschaffenburg fuhren, zeigte die Borduhr einundzwanzig Uhr fünfzehn. Hinter der Stadt zog die Straße stark an. Zehn Kilometer weiter begannen die Spessarthöhen. Da sich der Hauptverkehr über die Autobahn abwickelte, begegneten sie kaum einem Fahrzeug. Hinter der Einmündung der Obernburger Landstraße stoppte Fresno. Jim Elliot zog ein Kartenblatt im Maßstab 1:100 000 aus dem Jackett und brachte es mit der Straßenrichtung überein. Dann suchte er mit seiner Leuchtlupe darauf den Spessart ab. „Hier!“ Er deutete auf eine Abzweigung westlich von Rohrbrunn. „Von diesem Straßenkreuz aus sieben Kilometer durch den Wald, Richtung Main. Beim Forsthaus durch das Seitental nach Osten. Hinter der Brücke stellen wir den Wagen ab.“ Fresno ließ den Wagen wieder anrollen. Gespannt beobachtete er durch den Rückspiegel, ob ihnen ein anderer Wagen folgte. Sie legten Wert darauf, daß niemand beobachtete, wenn sie von der Bundesstraße 8 abbogen. Nach wenigen Minuten hatten sie den Punkt erreicht. Ein Wegweiser deutete nach rechts. „Klingenberg 19 Kilometer.“ Darunter hing ein Hinweisschild. Schlechte Waldstrecke. Fresno wendete mit einem Satz in die Harnadelkurve, und sie tauchten im Laubwald unter. „Scheinwerfer aus!“ rief Jim, der gesehen hatte, wie hinter ihnen zwei Lichtfinger aufgeleuchtet waren. Aber der andere zog droben auf der Hauptstraße seine Bahn. In langsamer Fahrt tasteten sie sich durch eine Moraststrecke, dann zog der Weg wieder in die Höhe. Fresno hatte sich bei der Bestellung des Wagens vorgesehen und zur Bedingung gemacht, daß man ihm einen Wagen mit Geländebereifung brachte. 16
Leise brummte die Turbine im Heck, als sich der Wagen immer tiefer in die Wälder hineinschob. Es ging bergauf, dann wieder talwärts. Durch sumpfige Furten und über holprige Knüppelwege, wo die Wurzeln der Baumriesen fußhoch über die Fahrbahn liefen. Im Osten ging der Mond auf. Sein gelber Schein warf lange Schatten. Fresno schaltete auf Standlicht. Schweigend saßen die Brüder und warteten darauf, daß das Forsthaus auftauchte. Endlos dehnten sich die sieben Kilometer. Aber plötzlich weitete sich der Wald zu einer Rodung. Sie sahen im Aufblitzen der Lichthupe das Fachwerk des Forsthauses. Dann bogen sie nach Osten in das Seitental. Der Weg wurde besser. Vermutlich hatte ihn der Professor anlegen lassen, um den Lastwagen, die seine Instrumente lieferten, die Anfahrt zu erleichtern. Die Brücke kam in Sicht. Sie rumpelten darüber hinweg. Unter ihren Rädern sprang eine Bohle hoch und fiel dumpf zurück. Fresno bugsierte den Wagen rückwärts in eine Schneise. Er stellte die Räder eingeschlagen in Richtung Brücke. Dann verließen sie das Fahrzeug. Unhörbar schritten sie über den Waldboden. Nur der kleine Fluß gluckste und gurgelte neben ihnen in der Schlucht. Irgendwo rief ein Käuzchen. Der Mond war wieder hinter Wolken verschwunden. Jim fluchte, weil er mit dem rechten Bein in ein Loch geraten war. „Hast du alles?“ flüsterte Fresno. Jim tastete seine Taschen ab. Nachschlüssel, Pistole, Lampe und Nylonseil. Er hatte alles. Kaum einen Kilometer waren sie marschiert, als eine Mauer in Sicht kam. Fresno fühlte sie ab. Er schätzte sie zwei Meter hoch, leicht besteigbares Natursteingemäuer. Sie liefen weiter, bis zu dem Schatten des Wohnhauses. Es war ein langgestrecktes, einstöckiges Gebäude, das mit seiner Westfront an die Umfassungsmauern anschloß. „Hier liegt der Haupteingang und die Zufahrt zu den Garagen“, flüsterte Fresno. 17
Da sie nicht wagen konnten, das Haus auf dem üblichen Weg zu betreten, kletterten sie über die Mauer und suchten im Garten nach einer anderen Möglichkeit. Bevor sie aber die Mauer nahmen, ließ Jim seine Finger über die Oberkante gleiten. Er fand nichts, was auf eine geheime Warnanlage hingedeutet hätte. Leichtsinn, überlegte er. Mutterseelenallein im Wald, ließe sich jeder halbwegs vorsichtige Mann eine Signalanlage einbauen. Im Garten verharrten sie einige Minuten bewegungslos. Sie hörten nichts, bis auf ein feines, helles Singen. „Keine Freileitung zu sehen“, sagte Fresno leise. „Ich vermute, er gewinnt seinen Strom selbst, der Herr Professor. Was da singt, sind die Reaktorturbine und der Generator.“ Jim nickte. Er stand einen Meter von seinem Bruder entfernt und schon so weit im Garten, daß er die Rückseite des Wohnhauses beobachten konnte. Die Fensterläden waren verschlossen. Kein Licht drang nach außen. Jim deutete in den Garten hinein, der parkähnliche Ausmaße hatte. Der Mond kam für kurze Zeit heraus, und sie sahen die Laboranlage. Sie hätte einem Industriebetrieb alle Ehre gemacht. Die langen, modernen Gebäude lagen in Hufeisenform um einen Sendemast, der beinahe hundert Meter in den Nachthimmel ragte. Zwischen den Labors und dem Wohnhaus breitete sich ein schönes Schwimmbecken mit Sprungbrett und Liegewiese aus. „Kein armer Mann“, bemerkte Jim. Sie warteten, bis der Mond verschwand und schlichen sich dann tiefer in die Anlage hinein. An der geöffneten Seite des Hufeisens gelangten sie zwischen die Gebäude. Wie sie vermutet hatten, brannte hier in einem der Zimmer noch Licht. Mit dem Rücken zur Hauswand tasteten sie sich Schritt für Schritt näher, bis sie vor dem großen Fenster standen, dessen Sims kniehoch über dem Erdboden begann. Aber die Sicht durch die Scheibe wurde von einem Vorhang verdeckt. Der Stoff ließ zwar Licht hindurch, erlaubte jedoch keinen Blick in das Innere. 18
Fresno legte sein Ohr an die Scheibe. Er vermochte kein Geräusch zu unterscheiden. „Doppelte Thermophonscheiben“, flüsterte er. Sie legten sich auf den Boden, krochen unter dem Fenstersims entlang und fanden eine Tür. Ein Geräusch ließ sie erstarren. Aus dem Fundament des Labors, an das sich ihre Körper preßten, klang gedämpftes Rasseln. Jim überlegte einen Augenblick. Dann kroch er neben seinen Bruder. „Eine Wasserpumpe. Unter dem Labor muß ein Tiefbrunnen liegen. Weiter!“ Sie richteten sich auf. Was sie dann vorfanden, hatten sie nicht erwartet. Die Stahltür war nur angelehnt. Mit ein paar Schritten standen sie im Haus. Jim fingerte nach seiner Spezialbrille, und als er sie aufgesetzt hatte, schaltete er die Ultraviolettlampe ein. Mit diesem Gerät konnte er in einem völlig verdunkelten Raum alles erkennen, als wäre es heller Tag. Die Spezialbrille machte ihrem Träger das Ultralicht der Lampe sichtbar. Für einen Menschen, der sie nicht trug, blieb das Dunkel weiterhin undurchdringlich. Jim sah einen langen Gang vor sich und eine Flügeltür am Ende, dort, wo er in eine andere Richtung abbog. Sie schoben sich Meter um Meter voran. An der Ecke des Korridors ließ Jim seinen Bruder als Sicherung zurück. Mit wenigen Schritten stand er vor der Tür, die in das erleuchtete Arbeitszimmer führen mußte. Jim streifte seine Handschuhe über. Sie verhinderten nicht nur Fingerabdrücke, sondern schützten ihn gegen Strahlungsschäden und Spannungen bis zu einer Million Volt. Er fand den Türgriff und drückte ihn Millimeter für Millimeter herunter. Dann schob er mit der freien Hand die Brille hoch. Er benötigte sie nicht mehr. Als der Schließkeil aus dem Schloß gezogen war, 19
schwang die Tür leicht und geräuschlos auf. Jim zog seine Pistole und trat ein. – Was er sah, war ein Chaos. Es erschreckte ihn zutiefst. Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht. Der Professor lag mit ausgebreiteten Armen über seinem Schreibtisch – leblos. Aus einer Stirnwunde sickerte Blut. Die Fächer und Türen des Schreibtisches waren geöffnet, der Inhalt in wahnsinniger Hast ausgeschüttet und über den Teppich verstreut. Bücher, Notizblöcke, Zeichnungen, Diagramme, Bilder, eine Walther-Pistole, technische Zeitschriften lagen umher. Jim Elliot wandte sich um. An der Rückwand des Zimmers, die von einem mächtigen Panzerschrank fast völlig eingenommen wurde, war das Durcheinander noch größer. Die mächtigen Tresortüren standen weit geöffnet. Die Innenfächer gähnten leer. Was noch an Blaupausen herumlag, war vermutlich wertlos. Jemand war den Brüdern Elliot zuvorgekommen.
6. Kapitel Lautsprecher dröhnten im Steuerbunker der Abschußrampe vier durch alle Räume. „Achtung! X-Zeit minus vier Stunden!“ Jeder Großstart beherrschte alle Menschen, die mit ihm zu tun hatten. Seit achtundvierzig Stunden gab es für die Männer nichts anderes auf der Welt, als den Start der „Beta 83“. Mit einer mächtigen Dreistufenrakete würde man den Satelliten auf die Kreisbahn schießen. Man mußte ihn bis zu einer Geschwindigkeit von 28 000 Stundenkilometern beschleunigen, damit man eine Umlaufzeit von etwa neunzig Minuten erreichte. Das bedeutete, daß ihn die letzte Stufe mit einer Sekundengeschwindigkeit von 7,7 Kilometern ausstieß, der dreiundzwanzigfachen Schallgeschwindigkeit. 20
21
Mit schweren Tiefladern, hatten sie die fertig montierten Stufen herangefahren. Die Krane an den Starttürmen hatten die Stufen gefaßt, aufgerichtet und mit ihren Heckflossen über die Brennkanäle der Abschußplattform gehievt. Auf Stufe eins waren die weiteren Sektionen gekommen, bis die Rakete in den Himmel ragte, hinreißend schön in ihrer Schlankheit. Achtundvierzig Meter hoch, silbrig glänzend, mit roten Kontrollstreifen. Die einzelnen Stufen gingen nahtlos ineinander über. Durch Schnellverschlüsse wurden sie zusammengehalten, die sich erst bei Brennschluß der jeweiligen Stufen automatisch voneinander lösten. In Tag- und Nachtarbeit hatten die Ingenieure und Techniker mit den Kontrollen begonnen. Jeweils Spezialisten für die Brennöfen, die Turbopumpen, die Steuerventile, die Tanks. Rohrleitungen wurden überprüft, Kontrollinstrumente, Kreiselsteuerungen, Fernmeldegeräte nachgesehen. Jeder der Monteure stand mit dem Hauptbunker in Funksprechverbindung. Überall waren die Kontrolluken geöffnet, steckten Kabel und Schläuche in ihren Anschlüssen. Es roch nach Metall, nach Nitrofarben, nach Chemie. Der Assistent Brauers stand auf der Bedienungsbrücke der zweiten Stufe und blickte durch das Luk in das Innere der Turbinenabteilung. „Alles klar?“ Ein Maschineningenieur in weißem Overall hob die Hand und nickte. Da kam ein weiterer Befehl über UKW. Die Kontrollen waren beendet. Alle Mann verließen die Rakete. Um sechs Uhr morgens meldete man die Rakete klar zum Betanken. Die Mannschaften bekleideten sich mit säurefesten Anzügen und nagellosen Gummischuhen. Die Umgebung der Rakete wurde abgesperrt. Man öffnete die Entlüftungen und schloß die Leitungen zu den unterirdisch verlaufenden Treibstoffleitungen an. Um sechs Uhr dreißig begannen die Pumpen zu arbeiten. Zwei Stunden später war das Tanken beendet. Die Rakete, die „Beta 83“ auf die Kreisbahn tragen sollte, hatte 22
für Stufe eins 560 Tonnen Treibstoff übernommen, für Stufe zwei neunzig Tonnen und für Stufe drei zwölf Tonnen. Um zehn Uhr waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Die Startfreigabe lautete auf elf Uhr. „X-Zeit minus sechzig Minuten“, gab der Lautsprecher durch. Im Steuerbunker warteten mehr als vierzig Personen an ihren Geräten auf die Startsekunde. Sie saßen vor ihren Fernsehschirmen. Magnetbildkameras richteten ihre Teleobjektive aus den Bunkeröffnungen auf die Startgrube. Im Verlauf der letzten sechzig Minuten wurden alle Schaltungen nach der Checkliste durchgeführt. Die Funkgeräte waren klar. Jedes gesprochene Wort, jeder Befehl wurde auf Band festgehalten. Leise liefen die Ventilatoren und drückten frische Luft in den Bunker. Brauer stand am Zentralleitstand. Bei ihm mündeten alle Einzelheiten. Niemals ließ er es sich nehmen, den Start einer Rakete selbst zu leiten. Vom Steuerbunker betätigt, fuhren die Krane an der Rakete auseinander. „Fernspeisung auf Bordnetz umschalten!“ „Ist umgeschaltet!“ Damit versorgte sich die Rakete aus ihren Batterien. Nach dem Start lieferte ein Aggregat, welches vom Turbopumpensatz 3 der ersten Stufe angetrieben wurde, den Strom. Weit über zweihundert Anzeigegeräte mußten im Steuerbunker überwacht werden. Der Start einer Rakete war um ein vielfaches schwieriger als der des kompliziertesten Großbombers mit Strahltriebwerken. Die Checkliste allein trug über fünfhundert Anmerkstellen. Jede mußte einzeln aufgerufen und abgezeichnet werden. Von den Druckanzeigern der Treibstofftanks bis zu den Drehzahlmessern der Turbopumpen, von den Steuerkreiseln bis zu den automatischen Navigationsgeräten, wurde alles noch einmal überprüft. Die Litanei der Kontrolliste wurde von einem Ingenieur verlesen. „Kühlmantel Stufe eins?“ „In Ordnung!“ 23
„Bildaufzeichner Stufe drei?“ „Läuft!“ „Zündautomatik Stufe zwo? „Auf Relais geschaltet!“ „Bremsfallschirm Stufe drei?“ „In Ordnung!“ So ging es schon seit Stunden. Im Nebenraum verglichen die Meteorologen noch einmal ihre Temperaturen in den Höhenschichten. Die Windverhältnisse in Bereichen über zehntausend Meter, mit ihren Jetstreams. Wenn sie von „Beta 83“ auch in Sekundenbruchteilen durcheilt wurden, so hatte man bei früheren Versuchen doch festgestellt, daß die Jetstreams zu gefährlichen Pendelerscheinungen führen konnten, welche die Feinsteuerung für Augenblicke außer Kontrolle brachte und zu Kursabweichungen von 0,2 bis 0.4 Grad führten. Eine Kursabweichung von einem Zehntel Grad aber wirkte sich in der Umlaufbahn verheerend aus.
7. Kapitel „X – minus fünfzehn Minuten!“ gab der Lautsprecher durch. Fünfzehn mal sechzig Sekunden. Dann würden sich achtzig Millionen in die Luft erheben. War alles sorgsam berechnet und überprüft, oder zerplatzte das Menschenwerk, ehe es sich vom Boden abgehoben hatte? Ein kleiner Materialschaden in den selbstschmierenden Pumpenlagern, ein winziger Steuerfehler in den Ventilen, Versagen eines Druckreglers, der in der Serienfabrikation nicht mehr als zehn Mark kostete, dies alles konnte verhängnisvoll werden. Wenn die Brennöfen ungleich zündeten, war die Katastrophe unaufhaltsam. Dann explodierten siebenhundert Tonnen hochbrisanten Treibstoffes. „X – minus zehn Minuten!“ Warnlichter blinkten in allen Farben. Blau, rot, gelb, grün, weiß. 24
Brauer saß an seinem Steuerpult. Die Hand auf dem Hauptschalter, mit dem er, wenn es notwendig war, in letzter Sekunde die ganzen Startbefehle unterbrechen konnte. Vor ihm lag sein Rechenschieber, den er trotz aller Großrechenautomaten ständig mit sich führte. Bei „X – minus fünf Minuten“ lief die Startprogrammaschine an. Die Einzelschaltungen, die im Augenblick des Starts notwendig wurden, waren so vielfältig und mußten mit so hoher Präzision durchgeführt werden, daß man sie neuerdings einem Magnetband überließ. Lange vor dem Start wurde dieses Magnetband mit Programmbefehlen versehen. Im Augenblick des Starts lief es mit einer Genauigkeit ab, die Menschen niemals erreichen konnten. Das Startprogrammband wurde von Magnetköpfen abgetastet, die über Verstärker und Relais entsprechende Schaltungen ausführten. „X – minus sechzig Sekunden!“ Längst waren die Kurskreisel in der Rakete angelaufen. Alle Verbindungen bis auf ein einziges Kabel, die Nabelschnur, waren gelöst. Kontrollampen zeigten an, daß sich die Kreisel mit über zwanzigtausend Sekundentouren parallel zur Erdachse eingesteuert hatten. Die Kurskreisel steuerten die schwenkbaren Raketenmotoren. Die Männer im Steuerbunker hatten nichts mehr zu tun, als auf den Ablauf der letzten Sekunden zu warten. „Achtung, minus 30 – 29 – 28 .. Eine Warnsirene heulte auf. „15 – 14 – 13 …“ Wunderbare Stille. Die Sonne bestrahlte den Fischleib der Rakete, die ihr bald entgegenfliegen würde. „7 – 6 – 5 – 4 …“ Die Vorstufe setzte ein. „3 – 2 – 1 – null!“ Gelbe Feuerstöße drängten aus den Öffnungen der Stufe III in die Startgrube. Die Turbopumpen jagten die Treibstoffe aus den Tanks in die 25
Düsen der Raketenmotoren. Sie zündeten. Zweitausend Meter in der Sekunde zeigten die Anzeigegeräte für Ausströmgeschwindigkeiten. Die Rakete schwankte ein wenig. Dann hob sie ab. „Uhrzeit?“ „Elf Uhr null zwo!“ Fünfzig Meter, hundert. Von den Sehschlitzen des Bunkers aus war „Beta 83“ nicht mehr zu sehen. Die Nachführautomatik der Magnetbildkameras zog die Teleobjektive langsam hoch. Vierhundert, achthundert Meter. Im Steuerbunker atmeten sie auf. Aber nur halb. Noch war der Start nicht vollends gelungen. Würde sich Stufe I bei Brennschluß programmgemäß lösen? Siebzig Sekunden Flugzeit. Der Assistent stand neben Brauer. Ein Signal flammte auf, zuckte, blieb. „Stufe eins hat getrennt.“ Brauer starrte auf die Stoppuhr. „Um vier Sekunden zu früh!“ Er wandte sich a‹n den Ingenieur der Radarauswertung. „In welcher Höhe hat Stufe drei getrennt?“ Die Männer rechneten noch. „Neununddreißigtausend, Herr Doktor.“ Brauer, der nie fluchte, sah seinen Assistenten an. „Verdammt, das ist zu wenig Höhe!“ Er verglich mit seinen Tabellen. „Brennschluß von Stufe drei bei 42 000 Meter.“ Noch war nicht Zeit, nach der Ursache der Unregelmäßigkeit zu forschen. Aber sie bewegte die Gehirne der Verantwortlichen. Warum setzte der Brennschluß zu früh ein? Stimmten die Abhebegewichte nicht? Wo lag die Ursache? In welchem der hunderttausend Einzelteile. „Brennschluß Stufe II“, meldete einer. Sie verfolgten auf den Radarschirmen die letzte Stufe mit dem Satelliten. 26
Jetzt mußte das Steuerprogramm in Stufe I einsetzen, mußte die Kurskreisel in ihren Achsen verschieben. Die Trägheit der Kreisel betätigte die Steuerung der Raketenmotoren, bis die Spitze die neue Richtung im Raum, den Kurs parallel zur Erdoberfläche, eingenommen hatte. „Höhe sechshunderttausend!“ „Kreisbahnkurs wird eingesteuert!“ „Ist eingesteuert!“ „Vorbetriebsbeschleunigung für Endgeschwindigkeit zündet!“ Jetzt steigerte sich die Geschwindigkeit der Stufe I auf Kreisbahntempo. Auf 7,7 Kilometer in der Sekunde. Eine Geschwindigkeit, die groß genug war, um Fliehkraft und Erdanziehung auszugleichen. Wenn die Geschwindigkeit zu groß wurde, dann enteilte der Satellit auf Nimmerwiedersehn in den Weltraum. Nur wenn Kurs und Endgeschwindigkeit genau stimmten, konnte man damit rechnen, daß die Außenstation für Jahrzehnte – oder Jahrhunderte – gleichmäßig ihre Bahn zog. Gegen zwölf Uhr fünfzig stand Stufe I nach Vollendung eines Kreisbahnumlaufes wieder über Neu-Peenemünde. Als die Radarschirme „Beta 83“ erfaßt hatten, löste Brauer die Absprengvorrichtung des Satelliten über Funk. Nach einem weiteren Umlauf, gegen vierzehn Uhr dreißig, wußte man endgültig, daß das Unternehmen geklappt hatte. Planmäßig hatte sich die Spitze von Stufe I geöffnet und die Treibladung den Satelliten ausgeworfen. Etwa vier Kilometer vor der letzten Stufe eilte er auf der Kreisbahn dahin.
8. Kapitel Fernseh- und Filmkameras surrten in Brauers Büro. Im Schein tausendwattiger Scheinwerfer, die man in seinem Hochhausbüro installiert hatte, saß der Direktor und gab Antwort auf alle Fragen der Reporter und Interviewer. 27
Ganz Europa, bis hinein in den Osten, erlebte über Eurovision die Lifesendung vom Start des Telegraphensatelliten. Zwischen den Gesprächen, die Sachverständige mit dem Raketendirektor führten, mischten die Stationen Bildaufzeichnungen von den Startvorbereitungen, dem Abheben und Verschwinden von „Beta 83“. Als einer der Fernsehreporter sein Gespräch mit Doktor Brauer zu Ende führte, fragte er ihn abschließend: „Werden der Bau, der Start, und die bisherigen Meßergebnisse ihres Projekts ein einwandfreies Funktionieren gewährleisten, oder tauchen ihrer Meinung nach doch noch Probleme auf, die Unregelmäßigkeiten erwarten lassen?“ Da fuhr sich Brauer über die hohe Stirn und antwortete bedeutungsvoll: „Wir sind Menschen und nicht unfehlbar. Deshalb können wir nicht sagen, was morgen sein wird. Es gibt Dinge, die man nicht berechnen kann. Man freut sich nur, wenn alles funktioniert.“ Der Reporter erhob sich, und nach einer Verbeugung schloß er: „Herr Doktor Brauer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.“ Die Regiezentralen schalteten auf die Regionalprogramme um. Die Scheinwerfer erloschen. Als Brauer endlich allein war, ließ er seinen Assistenten kommen. Der junge Ingenieur erschien mit Tabellen und langen Rechenstreifen. Brauer sah ihn neugierig an. „Na, Sie Rechenkünstler, schon was gefunden?“ Der Assistent verneinte. „Wir haben alles noch einmal auf der Großanlage durchgeprüft. Abhebegewichte, Brennschlußzeiten, Flugparabel, Wetterverhältnisse. Alles in Ordnung. Bis auf die Dezimalstelle.“ Brauer erhob sich und begann seinen üblichen Marsch auf den Diagonallinien des Teppichs. „Und?“ fragte er. „Was jetzt?“ „Die Differenz bleibt. Stufe drei hat dreitausend Meter unter Sollhöhe getrennt.“ Brauer unterbrach seine Wanderung. „Das läßt nur einen Schluß 28
zu, nämlich den, daß die Gewichte nicht in Ordnung waren. Sie wissen, daß Unterschiede von hundert Kilogramm schon manchen Versuch scheitern ließen. Im großen und ganzen hatten wir Glück. Die Fehler glichen sich in den Brennzeiten von Stufe zwo und eins aus. Trotzdem müssen wir dahinterkommen.“ Nach einer kurzen Unterbrechung fuhr er fort: „Schon Meldungen von Stufe III?“ Der Assistent entnahm seinem Ordner eine Funknotiz. „Stufe drei ist vor einer knappen Stunde in der deutschen Bucht gewassert. Die Fangboote haben auf Position östlich Helgoland das Niedergehen beobachtet. Fangboot ‚Fritz’ und ‚Olga’ sind dabei, die Stufe einzuschleppen. Nach ihren Meldungen ist sie unbeschädigt.“ „Wann können sie hier sein?“ „Es hat aufgebrist, dadurch wird das Einschleppen verzögert. Die Kapitäne rechnen bis morgen früh. Brauer entließ ihn. „Danke, Müller. Ich wünsche, daß kein Unbefugter an die Stufe rangeht. Lassen Sie notfalls durch den Werkschutz sichern. Rufen Sie mich sofort, wenn die Boote einlaufen!“
9. Kapitel Im Schnellrestaurant des Flughafens Kent Road, südöstlich von London, saß Fresno Elliot und wartete. Es war schon Spätnachmittag, und es begann zu dunkeln. Er bestellte den dritten Kaffee. Seit Stunden blickte er durch das Aussichtsfenster auf das Rollfeld. Jedesmal, wenn am Ende der Startbahn ein Punkt auftauchte, niederging und landend heranrollte, hoffte er, es wäre Jim mit der „Vulcan“. Fresno bewunderte seinen Bruder Jim, der ihm an Wissen und Bildung überlegen war. Er fühlte sich in der Rolle des Vaters, ob29
wohl er nur zwei Jahre älter war als Jim. Diese Vaterrolle rührte vielleicht daher, daß Fresno der Stärkere von beiden war. Bei allen Jobs, wo es auf Muskelkräfte ankam, führte Fresno. Bei Aufträgen, die Hirn verlangten, wo man gerissen sein mußte, da managte der jüngere Jim. Diesmal hatte Jim darauf bestanden, allein loszugehen. Die Aufgabe war schwierig, und er fühlte sich durch seinen nicht so wendigen Bruder gehemmt. Nach langem Zögern hatte ihn Fresno allein starten lassen. Es war der zweite undankbare Auftrag innerhalb von einem Monat gewesen. Zuerst hatten die Brüder Bedenken, ihn überhaupt zu übernehmen. Aber Brooks zahlte zehntausend Pfund. Da der Besuch bei Professor Suhr mißlungen war, hatten sie schließlich eingewilligt. Brooks rückte wie üblich die Hälfte Vorschuß raus. Ein junges Mädchen, das Zigaretten und Zeitungen verkaufte, riß Fresno aus seinen Gedanken. Der Blick des Mannes fiel auf die Abendausgabe des „Daily Expreß“. Er nahm ein Blatt. Nervös überflog er den Bericht. „Neu-Peenemünde. Heute vormittag elf Uhr zwo MEZ, startete von Abschußrampe vier eine Dreistufenrakete mit dem neuen Telegraphensatelliten ‚Beta 83’. Der Start verlief programmgemäß.“ Ein Bild zeigte die abhebende Rakete. Verlief programmgemäß, dachte Fresno Elliot. „Verdammt!“ entfuhr es ihm. Er blickte auf die Uhr. Es ging auf achtzehn Uhr. Seit Mittag wartete er auf seinen Bruder. Er trat in die Telefonzelle und wählte die Nummer der Flugleitung. „Hier Fresno Elliot. Habt ihr noch keine Meldung von meinem Bruder?“ „Noch nichts, Fresno.“ Elliot überlegte einen Augenblick. 30
„Ich fahre in mein Hotel. Ruft mich an, wenn er landet!“ „Wird gemacht, Fresno!“ Elliot ging langsam stadteinwärts. Er hatte seinen Hut abgenommen. Der kühle Wind, der von See hereinblies, tat ihm gut. Er dachte an Jim. Was konnte vorgefallen sein? Jim, der noch nie unpünktlich gewesen war, Jim, auf den er sich felsenfest verlassen konnte, sein kleiner Jim, für den es keine Situation gab, die er nicht beherrschte, wo blieb er nur? Seit einem halben Tag wußte er nicht, wie das waghalsige Unternehmen abgelaufen war. Er betrat eine Bar und trank schnell zwei Whiskys. Dann rief er eine Taxe. Sie brachte ihn in sein Hotel. Er wartete den Abend und die Nacht vergebens.
10. Kapitel Doktor Brauer stand in der riesigen Montagehalle, wohin man die erste Stufe mit dem Tieflader geschleppt hatte. Wie der Kessel eines Kleinstadtgaswerks ruhte sie auf den Lagerböcken. Zwei der mächtigen Heckflossen waren verbogen. Verbrannt und schwarz ragten sie bis unter die Decke der Halle, die in ihren Ausmaßen größer war, als die Zeppelinwerften der dreißiger Jahre. An den Brenntrichtern waren die Keramikauflagen abgebröckelt. Material, das einige tausend Grad aushielt, war morsch wie altes Mauerwerk. Der Rest der Stufe war kaum beschädigt. Man würde die Verschleißteile ausbauen, die Zelle überholen und für einen neuen Start herrichten. Aber das geschah erst dann, wenn jedes der Teile überprüft war. Aus Fehlerquellen und Verschleißmessungen erhielt man wertvolle Hinweise. Hatten die Pumpenlager gehalten? Waren die Leitungen aus dem 31
neuen Material so dicht geblieben, wie auf den Prüfständen? Arbeiteten die Steuergeräte unter Start-Belastung genauso, wie in den Simulatoren? Hielten die neuen Isolationsstoffe? Welche Werte zeigten die Wärmefühler an der Außenhaut, in den Zwischenschichten, im Inneren der empfindlichen Rechengeräte? War die Leistung der Kühlanlage konstant geblieben? Wie reagierten die Thermostaten? Ein Stab von Mitarbeitern umstand den Chef. Brauer gab seine Anweisungen. „Wir untersuchen zuerst die Magnetbildaufzeichner. Vielleicht erhalten wir durch sie Hinweise auf den vorzeitigen Brennschluß. Dann überprüfen wir die Treibstofftanks auf Entleerung! Danach sind die Leitungen auf eventuelle Treibstoffreste zu kontrollieren. Anschließend sofortiger Ausbau der Turbopumpen. Wir nehmen jedes Aggregat einzeln auf die Prüfstände, zur Messung der Fördermengen. Vielleicht liegt darin die Differenz. Eine Mehrförderung von nur einem halben Prozent, könnte die Ungenauigkeit erklären.“ Brauer wies noch eine Gruppe von Spezialmonteuren an, die Zündautomatiken zu testen. Einige Ingenieure beauftragte er mit der Untersuchung der Einspritzdüsen. Inzwischen arbeiteten die Hochfrequenzleute schon am Ausbau der Kameras. Die Luken wurden geöffnet. An jedem Quadratmeter der Außenhaut nahm man Strahlenmessungen vor. Brauer ließ seinen Assistenten zur Überwachung der Arbeiten zurück und begab sich m das Labor der Forschungsabteilung. Zuerst überprüften Wissenschaftler die Magnetbänder mit den Aufzeichnungen der Kontrollgeräte. Sie stimmten völlig mit den errechneten Werten überein. Dann sahen sie sich die Magnetbandbilder auf dem Großprojektor an. Sie zeigten die Funktion der Apparate während des Fluges. Die Aufnahmen ließen keinen Schluß zu. Sie bewiesen einwandfreies Arbeiten aller Teile. „Damit wären wir am Ende mit unserem Latein“, bemerkte Brauer. 32
Er erwog mit den Wissenschaftlern noch einmal alle Möglichkeiten, aber es fand sich keine Begründung für den frühzeitigen Brennschluß der Stufe III. „Wieder eines jener Probleme, das wir nicht lösen können“, sagte der Direktor. Keiner von ihnen wußte, wie nahe die Aufklärung war. Brauer verfolgte stumm den Rauch seiner Pfeife, als sein Assistent Müller eintrat. Er flüsterte Brauer etwas zu, was die anderen Herren nicht verstanden. Verdutzt sah der Direktor seinen Mitarbeiter an. Schnell faßte er sich. „Kommen Sie mit, meine Herren. Ich glaube, wir haben des Rätsels Lösung. Aber es wäre unglaublich, einfach unausdenkbar.“ Sie folgten Brauer. In der weiten Werkhalle war es plötzlich still geworden. Mit grellweißem Licht beleuchteten Montagescheinwerfer das Innere von Stufe drei. Brauer bestieg den hydraulischen Montagekran und fuhr mit dem schwenkbaren Ausleger zu der großen Hauptluke hinauf. Dort erreichte er, über eine Aluminiumleiter absteigend, die Trennwand zwischen Tank- und Turbinenabteilung. Ein Geruch von chemischen Stoffen schlug ihm entgegen. Er tastete sich durch das Gewirr der Rohrleitungen, zwischen den AluBehältern hindurch, in die Zentralschaltstelle. Bevor er im Mannloch untertauchte, fiel sein Blick zurück in das Turbinenhaus. Zwischen den Kabelknäueln und den Fangarmen der halbmeterweiten T-Leitung hing etwas, das aussah wie ein auseinandergezerrtes Kleiderbündel. Etwas, das sich im ungeheuren Druck der Startbeschleunigung in die Leitungen verknotet hatte. Der Anblick zeichnete Entsetzen in Brauers Antlitz. Er ahnte, was es war. Unerschrocken trat er näher. War das einmal ein Mensch gewesen? Brauer stand vor der Lösung des Rätsels. Jetzt konnte er berech33
nen, warum bei dieser Stufe dreitausend Meter zu früh Brennschluß einsetzte. Die Stufe hatte Übergewicht. Vielleicht fünfundsiebzig Kilo. Das genügte. Alles andere war Arbeit der Ärzte und der Polizei. Der Direktor veranlaßte alles Nötige. Die Raummediziner würden versuchen, den Körper des Toten zu identifizieren. Es war für sie nicht uninteressant, einen Körper zu untersuchen, der ohne Schutzanzug und Atemgerät eine Gipfelhöhe von vierzigtausend Metern erreicht hatte. Ein solches Experiment, das den sicheren Tod bedeutet, durfte niemals durchgeführt werden. Schwieriger, das wußte Brauer, würde die Arbeit der Polizei werden. Viele Fragen galt es zu klären. Wer war der Tote? Wie war es ihm gelungen, die Absperrungen zu durchbrechen und in die Raketenstufe einzudringen? Was hatte er beabsichtigt? War es ein Wahnsinniger? Oder ein Selbstmörder? Der Direktor besprach die Einzelheiten des Fundes mit seinen Abteilungschefs. Dann fuhr er hinüber in sein Büro.
11. Kapitel Inspektor Hunter von der „Terrapol“ hatte den Fall übernommen. Seitdem die Weltraumfahrt in ein Stadium der Verwirklichung gerückt war, hatte die „Interpol“ erkannt, daß man ihrer Organisation eine neue Abteilung zufügen mußte, eine Spezialgruppe, die sich mit allen Kriminalfällen befaßte, die mit der Raumfahrt in Zusammenhang standen. Diese Sondereinheit, „Terrapol“ genannt, wurde aus den fähigsten Beamten der internationalen Polizei gebildet. Ihre Mitglieder bedurften eines zusätzlichen Fachstudiums und verfügten über alle nur denkbaren technischen Mittel, um die teilweise äußerst komplizierten Fälle klären zu können. Inspektor Hunter, ein mittelgroßer Mann, der mehr einem Wis34
senschaftler glich, als einem Sportler, war genau der Typ des Beamten, den man für solche Fälle brauchte. Auf Muskelkräfte konnte man in diesem hochtechnisierten Zeitalter weitgehend verzichten. Die Beamten der „Terrapol“ mußten gesund und körperlich leistungsfähig sein. Was für sie aber weitaus wichtiger war als Boxen, Gewichtheben und Hundertmeterzeiten um elf Sekunden herum, das waren technisch-physikalische Kenntnisse. Jeder der Männer besaß den Pilotenschein für Düsenmaschinen, hatte Lehrgänge im Raumtraining hinter sich, besaß ein Funkpatent, verstand etwas von Astronavigation und war ein halber Mediziner. Daß er Jiu-Jitsu und mit einer Pistole umgehen konnte, war selbstverständlich. Der Inspektor hatte sich Dr. Brauers Bericht angehört. Die Fakten ließen noch keinen Schluß zu. Deshalb begab sich der Beamte hinüber in das Institut für Raumfahrtmedizin, wo der Tote auf dem Sektionstisch lag. Hunter nahm Fingerabdrücke von ihm und unterzog die Kleidungsstücke einer genauen Untersuchung. Anzug und Wäsche trugen die Herstellungszeichen italienischer Konfektionsfabriken. Die Schuhe waren deutsche Maßarbeit. Von Peenemünde aus kabelte Hunter die Fingerabdrücke über Bildfunk zu seiner Zentrale Hamburg. Nach einer halben Stunde lag die Antwort vor. Die Abdrücke waren in der Hauptkartei unbekannt. Daraufhin setzte sich Hunter mit der „Terrapol“ Rom in Verbindung. In kurzer Zeit lief dort die Fahndung nach den Textilwerken. Im Laufe des Nachmittags ergab sich, daß Anzüge dieser Ausführung und Qualität vornehmlich nach England verkauft wurden. Hunter fuhr zum Flugplatz. In seinem Gepäck führte er die Habseligkeiten des Toten mit. Um siebzehn Uhr landete seine Maschine auf dem Londoner Polizeiflughafen. In der Zentralkartei von Scotland Yard fand man Hinweise. Die Fingerabdrücke stammten von einem Engländer. 35
Sein Name war Jim Elliot. Beruf: Detektiv. Hunter besah sich lange das Karteiblatt. Zur Unterstützung war ihm ein Beamter des „Yard“ zugeteilt worden. „Beruf Detektiv? Gibt es heute noch so etwas?“ Der andere grinste. „Detektiv ist übertrieben, Herr Kollege. Die Brüder Elliot befassen sich mit undurchsichtigen Aufträgen aus Kreisen der Industrie und der Hochfinanz. Immer hart am Gesetz entlang. Nachzuweisen war ihnen bisher nichts. Sie wissen ja, solche Dinge werden meistens in anderen Schranken ausgetragen. Nicht vor Gericht. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Wenigstens nicht in der Öffentlichkeit!“ Hunter überlegte. „Sie sagten Brüder Elliot?“ „Ja. Sie arbeiten immer zusammen. Deshalb wundert mich, daß nicht alle beide die Luftreise mitgemacht haben.“ „Wie heißt der zweite?“ „Fresno. Fresno Elliot.“ „Wo wohnt er?“ „Sie besitzen ein Haus an der Küste.“ Hunter steckte die Karte in den mächtigen Stahlkasten zurück. „Lassen Sie sofort die Fahndung einleiten!“ Die Fahndung lief an. Stunden später trug jeder Polizist, der auf der Insel Streife fuhr, ein Bild von Fresno Elliot in der Tasche. Großraumstationen kämmten alle in Frage kommenden Punkte durch. Die Flugleitung am Kent Road bestätigte, daß die „Vulcan“ der Brüder Elliot vor zwei Tagen gestartet war, mit Jim am Steuer. Ein Angestellter erinnerte sich, am darauffolgenden Tag mit Fresno gesprochen zu haben. Er wußte noch den Namen des Hotels, wo Fresno auf eine Nachricht wartete. „Da kann er warten, bis er schwarz wird“, sagte der Yard-Beamte. „Nur eins ist bedauerlich. Sie hingen sehr aneinander.“ Die Funkstreife faßte wenig später Fresno in seinem Hotelzimmer. 36
Sie brachte ihn sogleich zum Yard, wo Hunter ein erstes Verhör vornahm. Fresno Elliot schien verstört. Die Sorge um seinen Bruder setzte ihm zu. Deshalb war er gesprächiger, als Hunter erwartet hatte. „Was ist los mit meinem Bruder?“ drängte er. Der Inspektor machte eine Kunstpause. Er stellte sich schnell auf Fresno ein. Er wußte, daß er alles von ihm erfahren konnte, wenn er es richtig anpackte, wenn er ihn mit der Auskunft über seinen Bruder hinhielt. „Elliot, eines steht hier fest. Nicht Sie fragen, sondern ich!“ Der Schweiß rann Fresno herunter. „Bitte, fragen Sie!“ „Wohin startete ihr Bruder vorgestern nachmittag?“ Fresno sah sich hilfesuchend um. „Nach Neu-Peenemünde, stimmt’s?“ beantwortete Hunter selbst die Frage. Der Verhörte nickte. „In wessen Auftrag?“ Wenn er darauf antwortete, gab Elliot eines seiner gehüteten Geschäftsprinzipien preis. Das Prinzip, niemals über einen Auftraggeber zu sprechen. Er wußte, daß er erledigt war, wenn das bekannt wurde. Deshalb zögerte er. „Na, wird’s schon?“ fragte Hunter bohrend weiter. Elliot dachte an seinen Bruder und begann zu reden. „Der Auftrag kam von Brooks.“ Der Beamte vom Yard klärte Hunter auf. „Brooks betreibt ein Ingenieurbüro in der City.“ „Wie lautete der Auftrag?“ nahm Hunter das Verhör wieder auf. Elliot zuckte mit den Schultern. „Die technischen Sachen macht Jim. Ich habe keine Ahnung davon! Ich weiß nur, daß sich ein Konzern die Sache viel Geld kosten ließ!“ „Welcher Konzern?“ „Keine Ahnung!“ Hunter war überzeugt, daß er hier nicht viel weiter kam. Der Mann mochte ein guter Schläger sein, sonst war nicht viel los mit ihm. 37
„Ihr Bruder Jim kam bei der Sache ums Leben!“ erklärte er schonungslos. Fresno wurde kalkweiß. Er schluchzte verzweifelt auf, als sie ihn abführten. „Könnte einem leid tun, aber sie sind Verbrecher“, bemerkte der Inspektor, als er mit dem Kollegen allein war.
12. Kapitel Brooks, der Auftraggeber, war nicht zu erreichen. Nach Angaben seiner Sekretärin war er über das Wochenende zur Erpeljagd nach Italien geflogen. Hunter wollte den Aufwand vermeiden, die ganze Po-Mündung nach einem Erpeljäger abzusuchen. Deshalb flog er um Mitternacht nach Neu-Peenemünde hinüber. Er veranlaßte bei Scotland Yard, daß man Brooks gleich bei der Landung kassierte, damit er nicht noch rechtzeitig gewarnt wurde und durch die Maschen ging. Das Wochenende brachte auch in Neu-Peenemünde etwas Ruhe. Die Produktionsstätten hatten 48 Stunden Pause. Nur die Beobachtungsstationen arbeiteten in ununterbrochenen Schichten. Auch Dr. Brauer war jederzeit erreichbar. Hunter parkte den Wagen, den er auf Brauers Anweisung bekommen hatte, und betrat die angenehm klimatisierte Vorhalle. Der Schnellift brachte ihn in Brauers Büro. Mit wenigen trockenen Sätzen schilderte er dem Direktor seine Untersuchungen. Seine Vermutungen über die Drahtzieher behielt er noch für sich, da sie noch nicht bewiesen waren. Wenig später stand jedoch alles unter einem anderen Aspekt, nämlich von dem Augenblick an, da Dr. Brauer seinerseits mit einer Neuigkeit herausrückte. „Hören Sie gut zu, Hunter“, sagte er mit Bitterkeit in der Stimme. „Unsere ganzen Bemühungen waren vergebens!“ „Wie ist das zu verstehen?“ fragte der Inspektor. 38
„Ich meine den Raketenstart.“ Brauer war aufgestanden und begann seine Teppichwanderung. „Wie Sie wissen, galt der Start einzig und allein dem Unternehmen, einen Telegraphensatelliten auf die Kreisbahn zu schießen.“ „Und? Das ist doch gelungen!“ warf Hunter ein. Brauer lächelte mühsam. „Ja, es ist gelungen. Trotz des geheimnisvollen Mannes in Stufe drei. Der Satellit kreist. Präzise wie die Sonne.“ „Na also!“ Der Raketendirektor war stehengeblieben. Er nahm die Pfeife aus dem Mund. Sie war kalt geworden. „,Beta 83’ kreist. Die Sonnenbatterien arbeiten. Die Sender und Empfänger sind klar für die ersten Tests. Aber ‚Beta 83’ schweigt auf alle unsere Versuche, ihn in Funktion zu setzen. Seit achtundvierzig Stunden versuchen wir mit allen uns bekannten Hilfsmitteln, die Empfänger und Magnetspeicher zur Aufnahme unserer Signale zu bewegen. Sie arbeiten nicht.“ „Wie ist das möglich?“ wollte Hunter wissen. Die Nachricht versetzte auch ihm einen harten Schlag. Dr. Brauer zuckte die Schultern. „Wie das möglich ist? Es gibt nur eine Lösung. Das Chiffriergerät spricht nicht auf unsere Funksignale an. Den Antennen ist jeweils ein solches Sperrgerät nachgeschaltet, damit jede Störung durch Amateure oder anderer Mißbrauch vermieden wird. Die Chiffriergeräte geben die Anlage nur auf ein vorher eingestelltes geheimes Funksignal frei.“ „Wie viele Kombinationen sind möglich?“ „Unsere Rechenautomaten haben etwa eine Milliarde Möglichkeiten errechnet. Bis wir sie alle durchtesten, benötigen wir dreißig Jahre. Vorausgesetzt, daß wir jeden Tag etwa tausend Kombinationen durchfunken. Selbst mit Maschinensendern läßt sich die Zeit kaum nennenswert verkürzen.“ „Gibt es keine Notlösung?“ „Sie war nicht vorgesehen!“ 39
Die Männer schwiegen. Hunter durchdachte die Sache kriminalistisch, und der Direktor finanziell. Plötzlich sahen sie sich an. „Kann es eine zufällige Störung sein?“ fragte der Inspektor. „Möglich ist alles.“ „Oder sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem blinden Passagier Jim Elliot und dem Fehler im Chiffriergerät?“ Brauer verneinte. „Der Mann in Stufe drei war ein kleiner Saboteur, der mit einfachen Mitteln versuchte, den Start zu stören. Im Auftrag von wer weiß wem. Aber eine Fehleinstellung in den Chiffremaschinen ist unmöglich! Das ist höchste Hochfrequenzmathematik. Auf der ganzen Welt versteht das nur eine Handvoll Männer.“ „Untersuchen wir die Handvoll Männer!“ Brauer wehrte ab. „Es sind untadelige Wissenschaftler. Ihre Zuverlässigkeit steht außer jedem Zweifel.“ „Können Sie mir ein paar Namen nennen?“ Brauer verneinte. Er schien gewillt, die Unterredung zu beenden. „Bemühen Sie sich nicht, Inspektor Hunter. Diese Leute sind unter meinem persönlichen Schutz. Sie genießen mein Vertrauen. Es gibt noch Dinge auf der Welt, die fernab von Machtbedürfnis und Geld liegen. Die Gemeinschaft der Forschung.“ Hunter bezweifelte die Anschauung Brauers. Er hatte seine Erfahrungen. Gut, er würde zunächst Brauers Wünsche berücksichtigen. Aber niemand hinderte ihn daran, seine Augen offen zu halten. Sein Instinkt wies ihm immer den richtigen Weg. „Noch eine Frage, Herr Direktor!“ sagte er und erhob sich. „Wie weit war der Satellit von Stufe drei entfernt?“ „Beinahe vierzig Meter. Die Kammer mit der Ausstoßvorrichtung liegt innerhalb der Raketenspitze. Unmittelbar hinter der Bugantenne. Sie wurde bei der Endkontrolle nicht mehr geöffnet. Die Siegel waren bis zum Start unverletzt.“ 40
Hunter blickte zum Fenster hinaus, wo die Sonne über dem Flachland stand. „Hatten Sie schon ähnliche Schwierigkeiten mit der Chiffriermaschine?“ „Noch nie, nicht einmal während der Entwicklung.“ „Wo wurde der Satellit gebaut?“ „In unseren feinmechanischen Werken.“ Brauer fand die Fragen jetzt lästig. Hunter lächelte. „Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende, Doktor!“ Brauer verzog sein Gesicht. „Danke, der Braten wird mir nicht schmecken, wenn ich daran denke, was diese Woche alles schiefgelaufen ist.“ „Ja eben“, erwiderte Hunter, „vergessen Sie nicht, es steht noch eine Menge Porzellan im Fenster.“ Der Inspektor fuhr ins Casino hinunter und bestellte einen starken Kaffee. Der Fall schien doch verwickelter, als Hunter zunächst angenommen hatte.
13. Kapitel Brooks war überrascht, als ihn zwei Yard-Beamte unauffällig baten, seinen roten Sportwagen stehen zu lassen und dafür ihren Dienstwagen zu benützen. Im Bewußtsein seiner Unschuld folgte er ihnen. Er hielt alle Polizisten für Barbaren und benahm sich dementsprechend. Erst als er Hunter gegenüberstand, dämmerte ihm einiges. Die Erscheinung des Inspektors war absolut zivil, trotzdem fühlte jeder, der mit ihm zu tun hatte, den lauernden Verstand und die geschärften Sinne des Kriminalisten. „Hatten Sie eine gute Jagd, Brooks?“ fragte Hunter. 41
Brooks bejahte. „Wir auch!“ antwortete der Inspektor und brannte sich eine Zigarette an. Dann fuhr er fort: „Wir haben zwei fette Erpel erlegt. Fresno und Jim Elliot!“ Die Namen gab er mehr eindringlich flüsternd als laut preis. Brooks fuhr zusammen, und Hunter bemerkte es. „Sie sollten in Ihrem Auftrag den Start von ‚Beta 83’ stören. Nennen Sie uns Ihren Hintermann, wir wissen sowieso wer es ist.“ Brooks wurde frech. „Wenn Sie ihn schon kennen, ist es nicht nötig, daß ich Sie langweile.“ „Wir möchten die Bestätigung aus Ihrem Munde hören.“ Brooks war nicht von gestern. „Sie bluffen, Inspektor!“ Aber Hunter hielt dem völlig überraschten einen Firmenbogen unter die Nase. Einen Bogen, den er in Brooks Geheimablage gefunden hatte. „Sie kennen die Atlantik-Kabel-Gesellschaft?“ „Ich hatte hin und wieder für sie zu tun“, bekannte er zögernd. „Was waren das für Aufträge?“ bohrte Hunter. „Die Entwicklung von Transistorenverstärkern für das neue Amerikakabel.“ Als das Verhör so weit war, fuhr Hunter sein größtes Kaliber auf. Seine Stimme wurde vertraulich, und er setzte sich vor Brooks auf die Schreibtischkante, als begänne ein gemütliches Plauderstündchen. Er zog seine Knie an, umfaßte es mit den Händen und schaukelte leicht hin und her. „Mein lieber Mister Brook. Es ist erwiesen, daß die Brüder Elliot in Ihrem Auftrag einen Sabotageversuch an ‚Beta 83’ durchführten. Wir kennen sogar die Summe, die Sie dafür vereinbarten. Andererseits ist uns aber nur ein einziger Konzern bekannt, den die Telegraphensatelliten stören. Es ist die Atlantik-Kabel, deren Unternehmen dadurch wertlos werden. Hier ist ein Brief der Atlantik-Kabel. Sie streiten auch die Geschäftsverbindung mit der Gesellschaft nicht ab. 42
Die Sache ist so verdächtig, wie ein Jagdhund mit Hühnerfedern an der Schnauze. Geben Sie es zu, daß der Auftrag von der Atlantik kam!“ Brooks zermarterte sich sichtlich das Hirn nach einem Ausweg. Er befolgte den Grundsatz aller Leute, die in eine Klemme geraten sind. Der Grundsatz, erst mal abzustreiten. „Ihre Kombination ist phantasievoll aber falsch, Inspektor.“ „Schön“, reagierte Hunter. „Wir finden die Beweise. Es kann Wochen oder Monate dauern, aber wir finden sie. So lange werden wir Sie in Haft behalten.“ Brooks wollte protestieren. Er drohte mit seinem Anwalt. Die Polizisten lächelten darüber. „Allerdings“, beendete Hunter das Verhör, „wenn Sie uns bestätigen, daß der Auftrag von der Atlantik-Kabel kam, dann können Sie nach Hause gehen. Ihr Wagen steht in der Garage von Scotland Yard.“ Er zog einen Kugelschreiber aus der Jackettasche und hielt ihn Brooks entgegen. Gleichzeitig deutete er auf ein vorgefertigtes Protokoll. „Das ist Nötigung!“ schrie Brooks. „Das andere war ein Verbrechen!“ konterte Hunter. Brooks schüttelte den Kopf. „Abführen!“ befahl Hunter hart. Doch Brooks hob abwehrend die Hände, griff zum Kugelschreiber und unterzeichnete das Protokoll. „Halten Sie sich zu unserer Verfügung!“ sagte Hunter, als er ging. * Einen Tag später flog Hunter über den Nordatlantik nach Philadelphia, um die Leiter der Atlantik-Kabel auseinanderzunehmen. Mit Polizeiaufgebot betrat er das Bürohaus. Aber im Kreise der Konzerndirektoren versetzte man ihm einen unerwarteten Tiefschlag. 43
Der Generaldirektor hielt ihm einen in feines Schweinsleder gebundenen Vertrag entgegen. Hunter studierte ihn erst einmal gelassen, und nach einer Viertelstunde wußte er Bescheid, daß da nichts zu machen war. Der Vertrag war zwischen den Regierungen Großbritanniens und der USA einerseits und der Atlantik-Kabel, Irish Poolfunk und Island Radio-Nachrichtengesellschaft andererseits, geschlossen. Der Vertrag sicherte diesen Gesellschaften die alleinigen Rechte der Nachrichtenvermittlung zwischen den Kontinenten für die Dauer von dreißig Jahren zu. Ausgestellt am 4. Oktober 1960! Also noch für sieben Jahre gültig, rechnete Hunter. „Aber meine Herren“, hielt er dagegen, „das vereinigte Europa ist nicht Vertragspartner. ‚Beta 83’ ist ein Unternehmen der europäischen Kontinentalstaaten. Sie werden sich mit der Konkurrenz abzufinden haben.“ Da ergriff der Generaldirektor das Wort. „Mein lieber Hunter!“ salbte er den Inspektor ein. „Wir finden uns auf unsere Weise damit ab. Nach alter Väter Sitte. Prozessieren hat gar keinen Sinn.“ Der Generaldirektor war ein Kerl mit Vierkantkinn, gewohnt, in Kolonistentour seine Befehle durchzusetzen. „Wir wußten von vornherein, daß die Sache nach anderen Spielregeln ausgetragen werden muß. Unsere Auffassung ist folgende: Der Start von ‚Beta 83’ bedeutet einen gewaltsamen Eingriff in unsere vertraglichen Rechte. Wir beantworten sie mit gewaltsamer Verteidigung.“ Hunter sah langsam ein, daß dieser Fall auf eine andere Ebene abglitt. Wenn es politisch wurde, dann hatte die Polizei hier nichts mehr zu suchen. Aber er konnte sich nicht verkneifen, den versammelten Managern eine Neuigkeit zu unterbreiten. „Wie Sie die Probleme entwirren, meine Herren, ist Ihre Sache. Eines steht für mich als Kriminalist fest. Ein Mensch wurde sinnlos 44
geopfert. Was Jim Elliot in Ihrem Aufträge zu erreichen versuchte, nämlich den Start zu sabotieren, gelang auf andere Weise.“ „Wie … wie ist das zu verstehen?“ fragten sie durcheinander. Hunter genoß ihre Neugier. „Der Telegraphensatellit arbeitet nicht.“ „Unsinn … ein übles Manöver … Quatsch … Sand in die Augen …“, waren die Meinungen der Herren. Sie glaubten es nicht. Aber Hunter bekräftigte seine Nachricht. „Ich habe die Mitteilung direkt von Dr. Brauer.“ „Sabotage oder technischer Fehler?“ fragte der Generaldirektor. „Ich fürchte Sabotage!“ „Verdammt!“ erblaßte der Amerikaner. „Ich versichere Ihnen, Inspektor, daß wir mit der Sache nichts zu tun haben.“ „Um so schlimmer“, antwortete Hunter. „Dann steckt eine andere Machtgruppe dahinter.“ „Aber wer?“ „Das zu erfahren, ist meine Aufgabe. Vielleicht weiß der Konstrukteur des Satelliten, Professor Suhr, eine Lösung.“ Als Hunter den Namen des Wissenschaftlers erwähnte, trat mit einem Schlag beklemmende Stille ein. Man hörte den Zeiger der elektrischen Uhr weiterzucken, das leise Summen der Klimaanlage. Hunter sah die Direktoren erstaunt an. Sie wichen seinen Blicken aus. Da erhob sich der Generaldirektor. Er goß sich und dem Inspektor einen Whisky ein. Leise begann er zu sprechen. „Wissen Sie nicht, daß Suhr ermordet wurde?“
14. Kapitel „Wir sind gewohnt, alle technischen Probleme systematisch zu meistern“, erklärte Brauer. „Wir erobern jeden Tag Neuland. Jeden 45
Tag beenden wir den Kampf um irgendein Einzelgeheimnis der Natur. Aber wir sind nicht die Polizei!“ „Dann unterstützen Sie wenigstens meine Arbeit!“ erwiderte Hunter ärgerlich, weil Brauer seine Tätigkeit als Herumschnüffelei betrachtete. „Gerne!“ fuhr Brauer fort. „Aber Sie sollten inzwischen erkannt haben, daß die Lösung nicht in Neu-Peenemünde liegt. Vielleicht führen die Vorgänge in Suhrs Laboratorium auf eine Spur.“ „Ich werde mir das Labor genau ansehen, aber erst möchte ich hier fertig sein.“ „Dann tun Sie mir einen Gefallen, Inspektor, und beeilen Sie sich.“ Hunter ging schweigend. Verdammte Dickköpfe diese Wissenschaftler, dachte er. Er fuhr hinunter in die Espressobar. „Einen Cointreux!“ Er schwang sich auf den Hocker. Das Mädchen stellte den Likör vor ihn hin. Ein junger Techniker der Abhörstation kam herein, sah sich um und setzte sich neben den Beamten. Er hatte schon ein paarmal mit Hunter zu tun gehabt. Er gehörte zu den Menschen, die einen Kriminalisten immer noch für etwas Besonderes hielten. „Wie geht’s, Inspektor?“ Hunter brummte etwas. Aber er wollte nicht unhöflich gegen seinen Bewunderer sein. „Noch einen Cointreux!“ Er sah dem Jungen an, daß er etwas auf Lager hatte. „Na, was möchten Sie denn wissen, junger Mann?“ Der Radartechniker sah sich um. „Im Gegenteil, ich habe etwas für Sie, Inspektor. Brandneu!“ „Na, schießen Sie los!“ „Ich wurde soeben abgelöst. Aber um sechzehn Uhr hatten wir unbekannte Mikrosignale.“ . „Woher?“ 46
„Von ‚Beta 83’. Wir sind ziemlich sicher. Unsere Station in Japan hat sie aufgefangen. Der Satellit arbeitet seit heute vormittag. Aber nur über Ostasien.“ „Auf welche Chiffrebefehle?“ „Das ist uns ein Rätsel!“ gestand der Techniker. Hunter bezweifelte diese Mitteilung. „Ehe ich Sie belüge, mache ich den Dreißigjährigen Krieg noch mal mit!“ erklärte der junge Mann todernst. „Ein Lorbeerkranz ist Ihnen sicher, wenn es stimmt!“ „Ein Nußkranz wäre mir lieber!“ Hunter tat dem blonden Jungen die Freude. „Einen Nußkranz. Eine doppelte Portion!“ bestellte er. * Er nahm seinen Wagen und fuhr hinaus zu den Radiostationen. Zwischen hohen Gittermasten und Betontürmen hingen die Antennen wie Spinnweben. Mächtige Radargeräte kreisten lautlos. Riesenreflektoren mit Spiegeldurchmessern von einigen hundert Metern schwenkten nach unsichtbaren Sternen. Hier war das Ohr und der Mund von Neu-Peenemünde. Alle Verbindungen zu den Raumschiffen, zu den Außenstationen, zu den Transportraketen, zu den startenden und landenden Düsenclippern liefen über die Funkstation. Mit ihren Sendehallen, Kraftstationen, Freiluftschaltanlagen, Antennenwäldern glich sie einer Stadt für sich. Hunter parkte vor Halle sieben und traf unter der Eingangstür mit Brauer zusammen. Der Direktor nickte nur stumm, als wolle er damit seine Behauptung von vorhin zurücknehmen. Es sah aus wie eine Entschuldigung. „Sie wissen schon?“ „Ungefähr.“ Sie schritten nebeneinander über die roten Nylonteppiche. Die Mittelhalle wirkte wie die Schaltzentrale eines Atomkraftwerkes. 47
Um die Wände verliefen Schaltpulte mit Anzeigegeräten. Die Voltmeter, Spannungsregler, Radar- und Fernsehschirme wurden alle vom Mittelpunkt der Halle ferngesteuert. Dort saßen sechs Ingenieure in weißen Mänteln und bedienten ihre Sektionen über verwirrende Tastaturen. Hin und wieder leuchteten Signallampen auf und zeigten Anfang oder Ende eines Funkverkehrs an. Farbige Leuchtzahlen wanderten über Skalen und meldeten die Arbeitswerte der Anlagen. Jedes eingehende und auslaufende Wort oder Bild wurde zur Kontrolle auf Magnetband festgehalten. Brauer wandte sich an einen Ingenieur. „Überspielen Sie die Mikrosignale von ‚Beta 83’ in Kabine sechs.“ Er nahm mit Hunter in der schalldichten Kabine Platz. Gleich darauf kamen aus dem Lautsprecher rasend schnell abgespielte Morsezeichen. Sie lagen so dicht, daß man nur einen hellen Sington vernahm. Danach kamen die Impulse auf Zeitlupe gedehnt. Man konnte nichts verstehen. Der Ingenieur verlangsamte das Signal um das Viertausendfache. Jetzt endlich glich es einem Morsespruch im Tempo einhundertzwanzig. Aber die Nachricht blieb unverständlich. „Wir haben versucht, das mit der modernsten Dechiffriermaschine zu entschlüsseln. Es ist unmöglich. Wir können uns nur auf weitere Beobachtungen beschränken.“ „Bitte, halten Sie mich auf dem laufenden“, bat Hunter. „Natürlich, Inspektor!“ „Wie ist Ihre private Meinung darüber?“ konnte sich Hunter die Frage nicht verkneifen. Brauer nahm seine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie umständlich. „Ich wage nicht, den Gedanken auszusprechen. Es liegt immerhin der Verdacht nahe, daß der Maschinencode in ‚Beta 83’ von unbe48
kannten Leuten beherrscht wird. Die Möglichkeiten sind unvorstellbar. Aber wir müssen die Sache erst noch weiter beobachten. Noch wissen wir zu wenig.“ Hunter, der beabsichtigt hatte, nach Frankfurt zu fliegen, um dem Labor Suhrs einen Besuch abzustatten, beschloß, noch einen weiteren Tag in Neu-Peenemünde zu bleiben.
15. Kapitel In einem Raum, dessen niedere Decke mit grauen Kunststoffplatten verkleidet war, saßen Männer in verschwitzten Hemden. Auf den Geräten, die sie bedienten, hatte sich die Feuchtigkeit ihres Atems niedergeschlagen. Die Temperatur in der zwölf Meter langen Röhre, die kaum einem großgewachsenen Mann aufrechtes Stehen erlaubte, betrug über vierzig Grad Celsius. Die Männer liefen barfuß über die glitschigen Stahlplatten des Bodens, und ihre Shorts waren viel zu lang und viel zu weit. Meistens jedoch saßen sie in primitiven Drehstühlen und bedienten ihre Apparate. Neben ihnen standen tassenähnliche, mit grünem Getränk angefüllte Gefäße. In einer Ecke des Raumes liefen Umformer. Transformatoren und Widerstände hingen unverkleidet an Wandschirmen. Vor einem Gerät in den Abmessungen drei mal zwei Meter saß ein älterer Mann. Er hatte weißes Haar und trug eine randlose Brille. Das Gerät, das er bediente, mochte als einziges in dem Baum die Bezeichnung „modern“ verdienen. Es war ein Maschinensender, der vorbereitete Sendeprogramme in Mikroimpulse verrechnete und verschlüsselt in die Sendeverstärker jagte. Bei Schaltung auf Empfang arbeitete er umgekehrt. Dann entzerrte er Signale und zeichnete sie über Ton- und Bildköpfe auf ein Magnetband. 49
Alle in diesen Kaum gepreßten Geräte dienten einzig und allein dazu, jenes Elektronengehirn mit Energie und Signalwerten zu versorgen. Die einzige Kühlanlage des Raumes lief in Höchstdrehzahlen, um die Temperaturen des Automaten konstant zu halten. Der Weißhaarige trank schlürfend seinen grünen Tee. Ein Geräusch am Ende der Röhre ließ ihn aufblicken. Durch eine halbkugelförmige Stahltür kroch gebückt ein Offizier. Er trat näher. „Wie steht es, Yang?“ fragte er. Der Angesprochene drehte an einem Schalter. Die Trommel mit dem Magnetband begann zu rotieren. Kreiselnde Köpfe tasteten das Band ab. Der Mann neben dem Grauhaarigen regulierte den Kontrast eines Bildschirmes. Synchronstreifen zitterten über die fluoreszierende Glasscheibe. Dann tauchte eine Landschaft auf, die aus großer Höhe gefilmt war, als ob ein schnelles Flugzeug über sie hinwegzöge. Trotzdem erkannte man deutlich Felder, Berge, Brücken, Straßen, eine kleine Stadt. Dann wieder Prärien, mit grasenden Rinderherden. „Können Sie nicht näher ran, Yang?“ Der Weißhaarige schaltete die Vergrößerung ein. Jetzt sah man nur noch einen Ausschnitt. Aber der Ausschnitt war unerhört interessant. Er zeigte die Startpositionen von Raketen. „Interkontinentraketen“, preßte der Offizier durch die Zähne. „Wiederholen Sie noch einmal.“ Das Band stoppte, lief zurück, ruckte wieder an. Noch einmal kam das Bild mit den in den Himmel ragenden Atomraketen. „Wie heißt die Stadt?“ Ein Auswerter verglich seine Tabellen und übertrug die Werte auf das Koordinatennetz einer Karte Nordamerikas. „Sacramento, Kalifornien, Oberst!“ Der Offizier kniff die Augen zu schmalen Schlitzen. 50
51
Seine gelbe Gesichtsfarbe trug hektische Flecken. „Ich wußte, daß sie dort eine Basis haben.“ Er wandte sich an einen der Techniker. „Wann haben wir den nächsten Durchgang?“ „In dreißig Minuten, Oberst!“ Er verließ den Raum. Mit unbewegten Gesichtern beugten sich die Asiaten weiter über ihre Arbeit. Plötzlich ging Bewegung durch den Raum. Eine Stimme scholl aus dem Lautsprecher. Hastig schalteten die Männer ihre Geräte ab. Der Umformer verstummte. Das Summen der Trafos hörte auf. Die Männer hielten sich an den Stühlen fest. Die Tassen klirrten. Dann sah man am Spiegel der Teefüllung, daß sich der ganze Raum neigte. Er neigte sich immer mehr, bis eine der Tassen ins Rutschen kam und ihren Inhalt über den Boden ergoß. Dann begann der Raum sich pendelnd aufzurichten. Der Luftdruck wechselte, daß die Männer ihre Hände auf die schmerzenden Ohren preßten. Sie lehnten sich zurück, tief atmend und jede andere Bewegung vermeidend. Wie um Kräfte zu sparen. Auf ihren Stirnen standen Schweißperlen. * Bevor Hunter zum Flugplatz fuhr, führte er noch eine Unterredung mit Brauer. Sie bestätigte die Katastrophe. „Wir wissen zuverlässig“, erklärte der Direktor, „daß ‚Beta 83’ über dem amerikanischen Kontinent Signale empfängt, die ihn in Funktion setzen. Über Ostasien tritt er wieder in Tätigkeit, nachdem er auf seiner Reise über den Pazifik für etwa fünfzehn Minuten schweigt. Die Funkschlüssel liegen in Händen einer fremden Machtgruppe. Sie betreiben mit ‚Beta 83’ eine ideale Spionage. Sie haben sich unseren Satelliten zunutze gemacht, weil sie selbst technisch noch unterentwickelt sind und unfähig, einen eigenen künstli52
chen Mond abzuschießen. Durch irgendeinen Trick verwenden sie die Station zur Übertragung von Telebildern.“ „Wie ist das möglich, Doktor?“
16. Kapitel Brauer schüttelte den Kopf. „Wir wissen auch nicht, wie es möglich war, die Chiffreeinstellung zu ändern!“ „Sie glauben also, daß es ihnen sogar gelang, den Empfänger mit einer Telekamera zu koppeln?“ „Fragen Sie Professor Suhr. Suhr war in seinen Forschungen immer eine Nasenlänge voraus. Er könnte Antwort geben, wenn er noch leben würde.“ Hunter erkannte, daß es darauf noch keine Antwort gab. Er wußte auch, daß die ganze westliche Welt, deren Gebiet der Satellit im Rhythmus von neunzig Minuten überflog, den Atem anhielt. Daß die Generalstäbe fieberten, weil jedes Land, alle Industriewerke, die gesamten Verteidigungsanlagen jeden Tag ungehindert gefilmt werden konnten. Die Geheimdienste arbeiteten mit Hochdruck an einer Abwehrmöglichkeit. „Haben Sie gar kein Mittel dagegen?“ wollte Hunter wissen. „Es gibt eine Möglichkeit. Natürlich, aber sie macht ‚Beta 83’ für alle Zeiten wertlos. Achtzig Millionen beim Teufel.“ „Welches Mittel?“ „Den Satelliten abzuschießen!“ Hunter lächelte über diese Antwort. „Die Chancen stehen eins zu tausend, daß Sie ihn treffen.“ „Wir werden es versuchen müssen.“ Der Kriminalbeamte hatte einige Kenntnisse über die Treffsicherheit von Fernraketen. Er konnte sich ausrechnen, daß die mit beinahe achttausend Metern in der Sekunde dahinrasende Station schwerer zu treffen war als eine Mücke mit der Gummischleuder. „Wann soll es losgehen?“ 53
Der Direktor mäßigte die Lautstärke seines Dozentenorgans. „Es ist noch geheim. Aber ich erwarte heute nacht eine Batterie von zwölf Wotan-Raketen. Das Modernste, was die Armeen der westlichen Welt zur Verfügung haben.“ „Dann wünsche ich Ihnen, daß Sie den Teufelsbraten da droben gehörig versaften.“ „Danke!“ sagte Brauer. „Es wird ein teures Feuerwerk!“ Hunter raste zum Flugplatz hinüber. Die Monteure hatte seine „Hammersmith“ angewärmt und an den Start gerollt. Die Flugleitung gab frei. Grüßend schob der Inspektor die Gasknöpfe ein. Die Turbinen heulten auf. Die „Hammersmith“ rollte auf Startbahn zwo, wurde schneller, hob ab. Das Dreibeinfahrwerk klappte in den Rumpf. Hunter zog hoch. Noch liefen die Turbinen in Startleistung. Da flammte ein Rotlicht auf. Die Manometer für Brennstoffdruck zeigten auf null. Die Turbinen unterbrachen schlagartig den Schub. Schräg hing die Maschine in kaum fünfzig Meter Höhe. Hunter wußte, daß es nur noch eine kleine Chance gab, zu überleben. Er riß mit beiden Händen die Auslösung des Schleudersitzes über seinen Kopf herunter. Das Dach sprang ab, und der Sitz schoß aus der taumelnden Maschine. Hunter preßte es in die Gurte. Steil jagte es ihn hoch. Dann stürzte er, an den schweren Sitz gefesselt, ab. Kaum zwanzig Meter über dem Boden erfolgte ein harter Ruck. Der Fallschirm hatte sich geöffnet. Er pendelte zu Boden und schlug auf. Fünfhundert Meter weiter zerschellte die „Hammersmith“ auf dem Rollfeld. Mit Glutwolken explodierten Treibstofftanks und Turbinen. Die heranjagenden Sankas befreiten Hunter aus dem Sitz. Sie legten den Bewußtlosen auf eine Bahre. Aber in der Unfallstation stand er schon wieder auf eigenen Füßen. 54
Wenn auch benommen, so verlangte er sofort ein Ferngespräch zur Zentrale Hamburg. Er forderte eine Ersatzmaschine an und den Spezialisten für Flugsabotagen. Zwei Dinge waren für ihn klar: Daß sein Absturz nicht auf einen normalen Defekt zurückzuführen war und daß er so schnell wie möglich in den Spessart mußte. In Suhrs Laboratorium lagen noch Hinweise verborgen. Nicht umsonst hatte man versucht, seinen Flug zu verhindern.
17. Kapitel Auf überschweren Selbstfahrlafetten waren die Wotan-Raketen über die neue Autobahn aus der Eifel heraufgekommen. Jedes dieser rollenden Ungetüme brachte ein Gewicht von hundert Tonnen auf die Räder. Zwei Verbundturbinen von je sechshundert PS waren nötig, um den Lafetten eine Marschgeschwindigkeit von siebzig Stundenkilometer zu verleihen. Zwischen zwei Schleppern hingen die Lafetten aufgesattelt. Das war nötig, um sie einigermaßen kurvengängig zu machen. Trotz modernster Druckknopflenkung schwitzten die Fahrer Blut, bis sie die Batterie an der Küste in Stellung hatten. Als Mitternacht herankam, standen zwölf Geschosse bereit. Sie warteten auf den Durchlauf von „Beta 83“. Er sollte genau 0.47 Uhr erfolgen. Die Wotan-Raketen waren sogenannte Strahlreiter. Man nannte sie so, weil sie – bildlich gesprochen – auf einem lenkbaren, elektromagnetischen Strahl ans Ziel ritten. Vor den Raketen standen die Senderlafetten. Sie sandten einen sehr scharf gebündelten Strahl kurzer Funkwellen aus, der genau auf das Ziel gerichtet wurde. Diese Senderlafetten wurden durch Verfolgungsradar gesteuert. Ein elektronisches Rechengehirn, der „Pallax-Rechner“ kuppelte die Geräte. Die „Wotans“ hingen in ihren 55
Abschußgestellen, steil gen Himmel gerichtet. Vier Deltaflügel im hinteren Drittel verliehen ihnen die nötige Flugstabilität. Ihre Antriebsaggregate erzeugten einen Schub von je sechstausend Kilo, für die Zeit von einhundertachtzig Sekunden. Bis in Höhen von 700 Kilometern war sie steuerbar. Dr. Brauer hatte sich mit seinem Assistenten zu der Leitstelle der Wotan-Batterie begeben. Schweigend begrüßten sich die Männer. Mit Ausnahme von knappen technischen Anweisungen wurde wenig gesprochen. Sie warteten alle auf das Auftauchen von „Beta 83“ am Nachthimmel. Sie beobachteten die Schirme ihrer Geräte, auf denen sich die anfliegende Station früher erkennen ließ als mit dem besten Nachtglas. Sie hüllten sich in ihre mit Perlonpelz gefütterten Regenmäntel, denn der Wind brachte von Grönland herüber Kühle und Schneegeruch. Hauptsächlich schwiegen sie, weil die Größe der Verantwortung auf ihnen lastete. Alle wußten sie, welche Gefahr „Beta 83“ für den Weltfrieden bedeutete. Sie wußten ebenso, daß es nur mit der Wotan-Rakete gelingen konnte, den Satelliten herunterzuholen. Sie waren sich klar darüber, daß es kein irdisches Mittel mehr gab, den Satelliten zu vernichten, wenn ihre zwölf Geschosse das Ziel verfehlten. „Wie hoch schätzen Sie die Kreisbahn über uns?“ wandte sich ein Hauptmann an Dr. Brauer. Es war der Chef der Rechenstelle. „Etwa neunhundertfünfzig Kilometer.“ Der Offizier nickte nur und verschwand wieder in dem großen Vierachser, der die Rechenstelle trug. Stromaggregate ratterten hinter Dünen. Kabel liefen kreuz und quer. Von den Lafetten zu den Reflektoren. Von den Reflektoren zu den Rechengeräten. Von dort zu den Stromgeneratoren. Die Tankwagen mit Kerosin und rauchender Salpetersäure hatten ihre Vorräte in die Behälter der Wotan-Raketen gepumpt und waren dröhnend abgefahren. 56
Alles wartete auf den Start. Plötzlich kam Bewegung in die Männer. „Beta 83“ war am Osthorizont aufgetaucht. Rasend schnell kam der Satellit näher. Die Richtkanoniere ließen ihn nicht mehr von den Leuchtschirmen. In wenigen Sekunden berechneten die Roboterhirne die Schußwerte. Höhe, Kurs, Vorhaltewinkel. Dann lösten sich fauchend die ersten drei Raketen. Zweizehntel Sekunden nach der Zündung hatten die Raketenmotoren ihren vollen Schub aufgebaut. In den ersten fünf Sekunden nach dem Start wurden die Wotans ausschließlich durch Kreisel stabilisiert. Dann gerieten sie in den Leitstrahlbereich. Weitere vier Raketen lösten sich mit donnerndem Feuerschweif aus den Lafetten. Der Fächer der letzten fünf folgte. Jetzt waren sie unterwegs. Auf ihren steilen Flugbahnen jagten sie ihre verderbenbringende Ladung in den Himmel. Die Hoffnung der freien Welt begründete sich auf sie. „In neun Minuten wissen wir es“, bemerkte der Batteriechef, ein Oberst, zu Brauer. Langsam wanderten die Sekundenzeiger der Stoppuhren. Die Beobachter ließen kein Auge von den Schirmen des Verfolgungsradars. 700 Kilometer betrug die steuerbare Reichweite der „Wotan“. Mit den verbesserten Geräten vielleicht noch zehn Prozent darüber. Würden sie die letzten hundert Kilometer, die sie dann noch von „Beta 83“ trennten, mit Hilfe der Suchautomatik überwinden? Würden die eigenen Geräte der „Wotan“ in dieser Höhe noch zuverlässig arbeiten. Auf dem Raketenschießplatz in Alomogordo, drüben in den USA hatten sie es mehrmals getan. Aber die Bedingungen waren heute anders. 57
Die Raketen zogen ihre Bahn. Näher rückten auf den Beobachtungsschirmen die Punkte zueinander. Die zwölf Punkte der Raketen und der Satellit. Würden sich ihre Flugbahnen kreuzen? Und das noch zur gleichen Sekunde? Eine monotone Stimme wurde hörbar. „Brennschluß Rakete 1, 2 und 3.“ Die Brennschlußzeiten der übrigen folgten. Jetzt trieben sie antriebslos aber mit Höchstgeschwindigkeit durch den Raum. Brauer sah auf seine Stoppuhr. Achteinhalb Minuten. In wenigen Sekunden mußten die Einschläge erfolgen. Die Meßfunker gaben ihre letzten Korrekturen in die Leitstrahlsender. „Sollzeit!“ rief eine Stimme in das UKW-Gerät. Auf den Schirmen lagen die Punkte zusammen. Sie schienen in eins verschmolzen. „Sprengköpfe ausgelöst!“ bellte wieder die Stimme. Immer noch der geschlossene Punkt auf den Radarschirmen. Wie sah es da oben aus, in der unendlichen Höhe? Hatte Menschenwerk das andere Menschenwerk vernichten können? Oder ging es ihnen so wie dem Zauberlehrling, der seine Geister nicht mehr los wurde? Auf den Schirmen waren die Punkte zerstoben. Ein Beweis, daß die Explosionen die „Wotans“ atomisiert hatten. Hatten sie auch „Beta 83“ zerstört? War die Welt von der Gefahr befreit? Minuten später wußten sie es. Auf den grünschimmernden Beobachtungsschirmen zog ein einsamer Punkt weiter seine unendliche Bahn. Die zwölf Wotan-Raketen waren umsonst verfeuert. Trotz Streuung hatten ihre Explosionen nichts angerichtet. Sie waren zu tief, zu hoch, zu weit voraus oder zurück explodiert. „Beta 83“ kreiste. 58
18. Kapitel Inspektor Hunter erfuhr von dem Mißerfolg, als er durch das Spessarttal auf Suhrs Laboratorium zuhielt. Brauer hatte versprochen, ihn anzurufen. Als das Blinksignal seines Radiotelefons ein Gespräch anzeigte, hatte er schon das unbestimmte Gefühl gehabt, daß die Sache vergebens war. Brauers Schilderung bestätigte seine Vorhersage. Die Raketenleute waren zu optimistisch gewesen. Sie hatten sich von ihren Apparaten zuviel versprochen. Verschwendung, dachte Hunter. Zwölf Wotan-Raketen zu sechshunderttausend Mark das Stück, macht einen ganzen Haufen Geld. Aber was spielte das Geld für eine Rolle, gegen die Hungerstrecke, auf der sie sich alle befanden. Was konnte alles geschehen, wenn es nicht gelang, die Sache mit dem Satelliten zu korrigieren? Schon war der Start des nächsten Telegraphenmondes herangerückt. Konnte bei dem zweiten Start nicht dieselbe Panne unterlaufen? Hunters Kriminalistenhirn arbeitete. Eines war für ihn klar, er würde den Satelliten vor dem Start nicht mehr aus dem Auge lassen. Seitdem er den Fall übernommen hatte, fühlte er sich verantwortlich. Der ganzen freien Welt gegenüber. „Für zwölfhundert Mark Monatsgehalt“, brummte er vor sich hin. Sein Wagen erreichte das Forsthaus, und er bog links ab. Trotz aller Romantik vermochte das enger werdende Tal nicht seine Gedanken aus den Fesseln der Aufgabe zu befreien. Die Mauer tauchte auf, welche Suhrs Anlage umschloß. Hunter stoppte den Wagen vor der Einfahrt. Auf sein Läuten hin öffnete eine alte Dame. „Mein Name ist Hunter.“ „Ich bin die Haushälterin. Kommen Sie, Inspektor!“ Sie lebte seit dem Tod des Professors sehr ungern in dem einsamen Waldlabor. Aber Hunter hatte sich angemeldet. 59
Es war ihm nicht entgangen, wie ihn die Frau vorher durch einen Türspion beobachtet hatte. Ohne Umschweife kam Hunter auf den Grund seines Besuches. „Und Sie möchten wirklich keine Tasse Kaffee?“ fragte die Haushälterin. „Danke. Aber wenn Sie mich in die Labors führen wollen?“ Sie traten in den Garten. Ein Weg aus Solnhofner Platten führte zwischen Blumenbeeten zu der hufeisenförmigen Anlage. Das Bassin war ausgelassen. Der blau gekachelte Boden lag voller Laub. „Wie erfuhren Sie vom Tod des Professors?“ Hunter kannte das Protokoll der Mordkommission genau, trotzdem fragte er die Dame. „Der Professor hatte mich zwei Wochen vorher beurlaubt, weil ich noch Urlaub von vier Jahren gut hatte. Ich fuhr zu meiner Schwester nach Regensburg. Als ich zurückkam, war der Professor schon begraben.“ Ein Schluchzen begleitete ihre Schilderung. Sonderbar, dachte Hunter. Suhr entließ erst seine sämtlichen Mitarbeiter, dann schickte er die Haushälterin in Urlaub. Demnach paßte die Schilderung Fresno Elliots, das der Londoner Scotland Yard aufgenommen hatte, nicht zu den Ermittlungen der Frankfurter Mordkommission. Die Frankfurter Kripo hatte das Arbeitszimmer Suhrs in einwandfreiem Zustand vorgefunden. Keine Spur von Raubmord. Deshalb nahm man an, Suhr habe sich selbst getötet. Fresno Elliot konnte allerdings nur berichten, was sein Bruder Jim ihm erzählt hatte, und Jim war mit der Stufe III umgekommen. Wo lag die Wahrheit? Warum hatte Jim Elliot den Zustand des Zimmers anders geschildert, als die Polizei es zehn Tage später vorfand? Hatte Elliot irgend jemanden bei der Arbeit überrascht? Hunter untersuchte noch einmal die Tresorschlüssel. Ihr Zustand 60
ließ nicht auf Gewaltanwendung schließen. An den Schlüsseln und Ziehgriffen hatte man noch die Fingerabdrücke Suhrs gefunden. Deutliche Abdrücke, die nicht durch Handschuhe verwischt waren. Stundenlang beschäftigte er sich mit den Aufzeichnungen, Briefschaften und schriftlichen Unterlagen Suhrs. Er fand keinen Hinweis. Der Haushälterin war sein Suchen längst langweilig geworden, weshalb sie sich zurückzog. Ungehindert streifte Hunter durch alle Räume des Labors. Die Funkstation war dem letzten Stand der Entwicklung angepaßt. Allein die Spezialanlagen, die Suhr für seine Satellitenforschung benötigt hatte, wogen viele Tonnen und mochten Millionen gekostet haben. Der Inspektor stand vor den Geräten, die alle in einem neuen Anbau installiert waren. Er pfiff leise durch die Zähne, als er den Aufwand sah. „Donnerwetter!“ entfuhr es ihm. Aber damit kam ihm ein Einfall. Eine solche Anlage konnte man nicht einfach klauen oder mitnehmen. Ihre Bauzeit beanspruchte sicherlich Monate. Der ganze Coup mit Suhr mußte folglich auf lange Zeit vorbereitet gewesen sein. Das konnte nur eine Macht, hinter der ein Staatsapparat stand. Eine Großmacht. Bestenfalls ein Großkonzern. Er öffnete seinen Handkoffer. Das Gepäckstück sah aus, als enthalte es Schlafanzug, Waschzeug und ein frisches Hemd. Als der Koffer aufsprang, wurde ein hochempfindliches Meßgerät erkennbar. Hunter entnahm dem Koffer zwei Hülsen, die Geiger-Zählrohren glichen. Er schaltete Heizbatterien ein. Gleich darauf begann ein kleiner Bildschirm in den Abmessungen 15 x 20 cm aufzuleuchten. Der Inspektor hielt die Hülsen gegen eines der Geräte. Sofort wurde dessen Oberfläche in tausendfacher Vergrößerung sichtbar. Glattes Alublech wurde so stark vergrößert, daß seine Oberfläche das Aussehen von Gebirgen erhielt. 61
Aber noch mehr konnte man auf dem Bildschirm erkennen. Fremde Schichten, stofffremde Auflagen zeichneten sich in Kontrastfarben ab. Das Gerät war ein Isotopentester. Ein Apparat, der mit Hilfe von Radioisotopen selbst unsichtbare Oberflächenmerkmale sichtbar machte. Hunter tastete mit dem Gerät die ganzen Armaturen des Laboratoriums ab. Es war eine mühevolle Arbeit. Aber hin und wieder tauchte auf dem kleinen Bildschirm ein Fingerabdruckmerkmal auf. Dann verringerte Hunter die Vergrößerung und fixierte den Abdruck auf Magnetband. Erst am späten Nachmittag hatte er seine Arbeit beendet. Als er das Labor verließ, trippelte ihm wieder die alte Dame entgegen. Aus dem Wohnhaus schlug dem Inspektor ein belebender Kaffeeduft entgegen. Er wandte sich an die Haushälterin. „Wenn es nicht unbescheiden ist, Madame, aber jetzt ließe ich mich zu einem Kaffee überreden.“ Kaum saß er in einem der niederen Clubsessel und knabberte prächtiges Mürbgebäck, da summte das Telefon. Der Bericht des Experten für Flugzeugunfälle lag in Hamburg vor. „Ich bin bis neunzehn Uhr zurück. Legen Sie den Akt auf meinen Schreibtisch“, gab er durch. Er hängte ein und wollte sich seinem Kaffee zuwenden. Da fiel sein Blick auf eine schlicht gerahmte Fotografie. Sie hing von zwei anderen flankiert über dem Kamin. Sie zeigte einen jungen Corpsstudenten in Couleur. Das Gesicht kam Hunter bekannt vor. Er wußte, daß er diesem Mann schon einmal begegnet war. Beiläufig horchte er seine Gastgeberin aus. Als er sich verabschiedete, wußte er, daß der junge Mann einer der ehemaligen Assistenten Suhrs war. 62
19. Kapitel Die Zentrale Hamburg wertete sofort die Aufzeichnungen des Isotopentesters aus. Die Fahndungsabteilung programmierte die Einzelwerte der Fingerabdrücke auf Lochkarten und ein Hollerithautomat tastete sie mit der Zentralkartei ab. Der Durchlauf nahm mehrere Stunden in Anspruch. Danach lag das Ergebnis vor. Keiner der von Hunter aufgespürten Abdrücke war mit kriminell Belasteten irgendwie identisch. „Natürlich!“ brummte Hunter, als man ihm den Bericht vorlegte. „Glück ist etwas, was ich noch nie hatte. Mein Erfolg war leider immer nur Arbeit.“ Er studierte gerade den Bericht des Flugexperten. Die Geschichte war zwar interessant, aber sie ergab kaum Anhaltspunkte. Der Absturz war infolge plötzlichen Leistungsabfalls der Düsentriebwerke erfolgt. Ursache: Verschleiß in den Förderpumpen. Wie man aus den Trümmern ersehen hatte, waren die Umlenkzapfen der Hauptförderpumpen bei Vollast abgebrochen. Ehe die Automatik den Reservekreislauf betätigt hatte, war die „Hammersmith“ auf dem Beton der Rollbahn zerschellt. Die Maschine war kaum ein Jahr alt. Die Triebwerke hatten hundertzehn Flugstunden. Materialschaden? Lächerlich! Da hatte einer Salzsäure statt Graphit in den Nippel gepreßt. Zu beweisen war nichts, das wußte Hunter, aber er fühlte, daß er mit seinem Verdacht wieder einmal richtig lag. * Am nächsten Abend landete Hunter nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Rollfeld von Neu-Peenemünde. Er verließ die Maschine an den Hangars und nahm eine der Taxis für den etwa zwölf Kilometer weiten Weg. „Zu den Marconi-Werken!“ 63
Er machte es sich im Fondsessel des Taxis bequem. Sein einziges Gepäckstück, einen kleinen Handkoffer, stellte er neben sich. „Marconi-Werke!“ wiederholte der Chauffeur. Jeder in Neu-Peenemünde Beschäftigte wußte, daß in den Marconi-Werken die Satelliten gebaut wurden sowie alle elektrischen Anlagen für Raketen und Raumschiffe. Sie gehörten in den Verband des Forschungszentrums und trugen den Namen des Erfinders der Funktelegraphie. Wie man die Turbinenwerke auch nach Professor Walther und die Atomviertel „Hahnstadt“ getauft hatte. Die Nyloncordreifen sangen über die schnurgerade Autobahn. Alle zweihundert Meter wuchs der Viertelkreis eines Betonmastes aus dem Dunkel. Tiefstrahler hingen an den Masten. Sie verbreiteten schattenfreies Licht. Richtungsschilder tauchten an Kreuzungen auf. Zur Küste, Hydrazinwerk I, Abschußrampe zwo. Sie fuhren weiter. Die Straße durchquerte das Forschungszentrum wie eine NordSüd-Achse. Bald tauchten die Werke auf. Neonlicht bestrahlte die Anlage, obwohl nachts nicht gearbeitet wurde. Nur hinter den Fenstern des Portiers war noch Licht. Hunter betrat den Haupteingang. Sein Schatten streifte jedoch über eine Fotozelle, die sofort den Zugang durch eine Panzertür in das Innere der Anlage sperrte. Verschlafen kam der Portier heraus. Hunter zeigte den Ausweis der „Terrapol“ vor. Wortlos ließ ihn der Mann ein. Der Inspektor ging durch die weiten Werkhallen. Sie lagen wie ausgestorben. Kein Laut ringsum. Nicht einmal eine Katze strich jagend durch die Fabrik. Nur weit entfernt summte irgendwo die Klimaanlage. Sie sorgte dafür, daß in den Räumen ständig die gleiche Temperatur und Luftzusammensetzung herrschte. Sommer und Winter, Tag und Nacht. Durch die Hallen liefen lange Montagebänder, auf denen die Se64
riengeräte aufgelegt waren. Hier baute man die genormten Transistorenverstärker, die Magnetaufzeichner, die Spezialröhren, die Sendeund Empfangsanlagen für Lang- und Kurzwellen, die Dezimetergeräte, bis hinunter zu den UKW-Anlagen. Die Automaten für gedruckte Schaltungen schlossen sich daran an. Das alles interessierte Hunter kaum. Die letzte Halle war sein Ziel. Dort, wo Wissenschaftler, unterstützt von hochqualifizierten Facharbeitern, die neuen Geräte bauten. Einzelstücke, die noch in Handarbeit verfertigt wurden. Darunter der neue Satellit „Gamma 83“. Hunter wußte, daß hier ein entscheidendes Kapitel der Fahndung nach dem Satellitenrätsel begann. Er musterte die Versuchsabteilung. Auf gepolsterten Lagerböcken ruhten die tonnenschweren Kugelschalen, die nach ihrer Fertigstellung die Telegraphenanlagen auf nehmen sollten. „Gamma 83“ und „Delta 83“. Teilweise waren sie schon in der Endmontage. Der Inspektor zog dünne Wildlederhandschuhe an, öffnete seinen Koffer und setzte den Isotopentester in Gang. Die Arbeit einer langen Nacht lag vor ihm.
20. Kapitel In einem Bunker, nahe der Meeresküste, versammelten sich zu dieser Stunde mehrere hohe Offiziere. Ihre Uhren zeigten jedoch eine andere Zeit, auch schien über der Festungsanlage noch die Sonne. Daraus war zu schließen, daß sich der Landstrich auf der anderen Erdhälfte befand. Der Weg von Neu-Peenemünde bis in diesen Bunker mochte etwa zwanzigtausend Kilometer betragen. Die Hälfte des Erdumfanges. Zehn Flugstunden für einen Düsenclipper vom Typ Boeing 909. 65
Vier Flugstunden für einen der hypermodernen Raketenabfangjäger. Aber die Herren beschäftigten sich mit anderen Problemen. Über sich eine vierzig Meter dicke Decke aus Stahlbeton, die sie gegen jeden Atomangriff schützte, tranken sie starken Tee. Ein weißgekleideter Pantrygast schenkte immer neue Mengen des heißen duftenden Getränks ein. Zufriedenheit spiegelte sich auf den gelbhäutigen Gesichtern der Asiaten. Einer der Offiziere ergriff ein Rohrstöckchen, trat an die Wandkarte und begann einen Vortrag über strategische Fragen. Dabei deutete er wiederholt auf einen breiten, gestrichelten Streifen, der quer über den nordamerikanischen Kontinent verlief und sich jenseits des Atlantiks nach Europa fortsetzte. „Dieser Sektor, meine Herren“, berichtete seine harte Stimme, „ist das Ergebnis unserer bisherigen Bemühungen. Alle Gebiete, die Sie hier schraffiert erkennen, wurden von dem Telesatelliten in seiner Spiralbahn überflogen, aufgenommen, gesendet und von uns ausgewertet. Auf den neuen Luftbildkarten sind Einzelheiten bis zur Größe eines Spaziergängers erkennbar.“ Beifall unterbrach den Vortrag des Generalstabsoffiziers. Unbeirrt fuhr er fort: „Was Sie sehen, ist der Erfolg einer Auswertung von etwa siebzehn Tagen. Siebzehn Tage oder 272 Umläufe.“ Einer der anwesenden Generale hatte eine Zwischenfrage. „Wie lange benötigen wir, um den gesamten Festlandbereich nördlich des Äquators aufzuzeichnen?“ „Etwa zweitausend Umläufe. Also einhundertfünfundzwanzig Tage.“ Die Anwesenden diskutierten die Möglichkeiten. Ein anderer hoher Offizier der Runde meldete sich. „Halten Sie es für möglich, daß wir so lange, das heißt, bis zum Abschluß der Aufzeichnungen, im Besitz des Telegraphenmondes bleiben werden?“ Da ging ein Lächeln über das Gesicht des Sprechers an der 66
Wandkarte. Seine kleinen, fettgepolsterten Augen blitzten erheitert in die Gegend. „In Neu-Peenemünde wurden zwölf Wotan-Raketen abgeschossen, um ‚Beta 83’ zu vernichten. Das Unternehmen blieb ergebnislos. Es gibt zur Zeit noch keine technische Möglichkeit, Kreisbahnstationen auf die Erde zurückzuholen, wenn sie außer Kontrolle geraten sind.“ Nach dieser optimistischen Vorhersage machte der Offizier jedoch einen kleinen Vorbehalt. „Wie Sie wissen, wird der Satellit durch eine bewegliche Impulsstation ausgelöst. Zur Zeit wandert unsere Station mit der Umlaufbahn nach Norden. Diese Impulsstation, die den künstlichen Mond jeweils ein- und ausschaltet, ist der einzig empfindliche Punkt des ganzen Unternehmens. Aber ich möchte Sie beruhigen. Nur wenige Menschen außerhalb dieses Raumes kennen ihre Existenz. Ihr Standort wechselt täglich. Sie wird von unseren fähigsten Offizieren befehligt, und es besteht kaum die Möglichkeit von Überraschungen in dieser Richtung.“ Ein Soldat betrat das Lagezimmer und überbrachte einen Funkspruch. Der Offizier verlas ihn. „Wie soeben gemeldet wurde, beabsichtigt Europa, den Start des nächsten Satelliten innerhalb von vier Tagen.“ „Was haben wir unternommen, ihn ebenfalls für unsere Zwecke brauchbar zu machen?“ fragten die Generale. Der Stabsoffizier hieb mit seinem Rohrstock durch die Luft, daß es pfiff. „Wir haben alles unternommen, was erforderlich ist!“ * Das Roboterhirn des Hollerithautomaten tastete die Merkmale der Lochkarten ab. Seit Stunden schon lief es surrend und schob die geprüften Karten in langen Paketen aus. 67
Bisher lag noch kein Ergebnis vor. Keine übereinstimmenden Merkmale zwischen den Fingerabdrücken der Zentralkartei und den von Inspektor Hunter in der Forschungsabteilung der Marconi-Werke fotografierten. „Rufen Sie mich an, wenn doch noch etwas passieren sollte“, brummte der Inspektor. Aber noch ehe Hunter in seinem Büro angelangt war, hörte er schon das Telefon läuten. „Kommen Sie schnell, Hunter. Soeben hat der Automat eine Identität ausgeworfen!“ Er lief, als hätte er Rollschuhe an den Füßen. Sie hielten die Lochkarten in den Händen und verglichen die Nummern mit den Bildern der Abdrücke. „Beide Bilder habe ich in der letzten Woche aufgenommen“, bemerkte Hunter überrascht. „Das erste im Labor Suhrs, das zweite in Neu-Peenemünde. Eines steht fest, in den Marconi-Werken arbeitet ein Mann, der früher bei Suhr tätig war.“ „Ist das überraschend?“ fragte der Kollege. „Absolut nicht. In den Marconi-Werken werten sie ja die Erfindungen des Professors aus. Ich wußte nur nicht, daß da persönliche Verbindungen bestehen. Der Abdruck in Suhrs Labor ist etwa fünf Wochen alt. Der im Marconi-Werk kaum einen Tag. Ich werde die Sache weiter verfolgen.“ Hunter machte sich seine eigenen Vorstellungen. Wenn nur Dr. Brauer etwas zugänglicher wäre, dachte er. Der Raketendirektor hütet seine engsten Mitarbeiter wie leibliche Kinder. Jeder Versuch, sie zu durchleuchten, scheitert an seinem Einspruch. Aber ich werde ihm das klarmachen, überlegte er. Der Start von „Gamma 83“ steht bevor. Man muß ihn scharfmachen. Ich werde ihm solange zureden, bis er selbst davon überzeugt ist. Ich muß so tun, als wäre der neue Start schon schiefgegangen. * 68
69
Als Hunter nach einem ergebnislosen Versuch das Chefbüro verließ und durch eines der Vorzimmer in die Halle des neunzehnten Stockwerkes gelangen wollte, fiel ihm ein Gesicht auf. Es gehörte einem jungen Mann in weißem Arbeitsmantel. Er saß in einem Sessel und sprach Anweisungen in ein Diktaphon. Er sah auf, als Hunter durch das Büro ging und nickte ihm zu. In Hunters Gehirn schaltete es dreimal. Das Bild dieses jungen Mannes hing in Suhrs Laboratorium. Dann erkannte er in ihm Brauers Assistenten Müller, und schließlich ließ er einen Vierfarbenstift fallen. Nach ein paar Schritten kehrte er um, sah prüfend zu Boden, hob den Patentstift vorsichtig an der Spitze auf und reichte ihn dem jungen Mann. „Ist das Ihr Stift?“ Müller nahm den Metallschreiber, musterte ihn von allen Seiten und reichte ihn zurück. „Nein, Inspektor, danke; noch nie gesehen.“ Der Assistent fuhr in seinem Diktat fort. Als falle ihm plötzlich etwas ein, rief er Hunter nach: „Fundsachen nimmt der Portier ab.“ Hunter grüßte und war schon aus der Tür. Er dachte nicht daran, seinen goldenen Vierfarbenstift beim Portier abzugeben. Dem Assistenten war auch nicht aufgefallen, daß der Beamte den Stift vorsichtig in sein Taschentuch gewickelt hatte. In seinem Wagen bestäubte Hunter das Beweisstück sorgfältig mit Aluminiumpulver. Unter der Lupe wurden die Fingerabdrücke Müllers sichtbar. Der Daumen trug eine winzige Narbe, in Form eines Hahnenfußes. Dieselbe Narbe, wie auf den zwei Fotografien, die Hunter aus seiner Brieftasche förderte. Er pfiff durch die Zähne. „Warum nicht gleich? Der Knabe in Schlauchhosen also!“ Die Stunde bis Büroschluß verbrachte er in der Espresso-Bar. Dann richtete er es so ein, daß er mit Brauers Assistenten beinahe am Haupteingang zusammenstieß. 70
Als Müller ein Taxi herbeiwinken wollte, sprach ihn der Beamte an. „Wohin wollen Sie denn, Doktor?“ „Nach Emden!“ „Dann steigen Sie bei mir ein. Ich nehme Sie ein Stück mit.“ „Donnerstags bin ich immer bei Verwandten zum Abendessen“, erzählte der junge Mann unaufgefordert. „Man muß mal raus aus der Tretmühle“, bekräftigte Hunter. Nach einer Weile, als sie schon durch die Wohnstadt fuhren, nahm der Inspektor das Gespräch wieder auf. Dabei betätigte er unauffällig das Tonaufnahmegerät in seiner Jacketttasche. „Wie lange sind Sie schon bei Dr. Brauer?“ „Über ein Jahr!“ „Keinen Urlaub gehabt?“ „Nein, keine Zeit dazu!“ Sonderbar, dachte Hunter, seine Fingerabdrücke im Spessartlabor sind kaum zwei Monate alt. „Na, übers Wochenende machen Sie sicher auch die üblichen Ausflüge?“ „Nein, nie!“ Der Assistent versuchte seiner Stimme Sicherheit zu geben, aber Hunter hörte heraus, daß sie unsicher war. „Warum nicht? Keine Lust?“ „Auch das.“ Die Antworten wurden einsilbig. Hunter ließ den jungen Mann an der Fernbusstation aussteigen. Allein im Wagen, spielte er zur Kontrolle das Gespräch noch einmal ab. Eines wußte der Inspektor sicher: Müller hatte ihn belogen.
21. Kapitel Zwei Tage vor dem Start von „Gamma 83“ erkundigte sich Hunter beiläufig bei Brauer, wer die Chiffreeinstellung in der Apparatur des Satelliten vornehmen würde. 71
Er erfuhr, daß dies durch einen Hochfrequenzingenieur gemacht wurde. Die verantwortliche Endkontrolle hatte Müller. Daraufhin ließ sich der Inspektor nicht mehr blicken. Zwar hatte er noch keine Beweise, aber seine Anwesenheit sollte niemanden hindern, das zu tun, was er tun mußte. Die Arbeiten an der Fertigstellung des Satelliten nahmen noch zwei Tage und die dazwischenliegende Nacht in Anspruch. Hunter hatte erfahren, daß Müller bis zum Start das MarconiWerk nicht mehr verließ. Der Assistent schlief im Gästehaus von Neu-Peenemünde. Deshalb fuhr der Inspektor nach Emden hinüber. Die Fahndung hatte ergeben, daß Müller bei einer Tante logierte. Die Dame schien bestürzt, als Hunter seinen Durchsuchungsbefehl für Müllers Zimmer vorzeigte. Wie er erwartet hatte, fand er nichts, was seinen Verdacht bestätigt hätte. Im Schreibtisch lagen nur private Briefe, ein Sparbuch mit etwas über tausend Mark Einlage und wissenschaftliche Bücher. Er war schon versucht, die Durchsuchung abzubrechen, als er in einer Schale ungeöffnete Post fand. Ein Kuvert zeigte den Stempel des Vortages. Der Absender machte ihn stutzig. Es war die Bank of London. Sollte der kleine Müller dort ein Konto unterhalten? Hunter öffnete den Umschlag. Ein Auszug flatterte zu Boden. Hunter traute seinen Augen nicht. Der Saldo wies eine unglaubliche Summe aus. Eine sechsstellige Zahl in englischen Pfunden. Hunter multiplizierte mit elf. Der Betrag in Mark war neiderregend. Er wandte sich an die Tante. „Ist Ihnen bekannt, ob Ihr Neffe in letzter Zeit eine größere Erbschaft erhielt?“ Die Dame verneinte. „Leider nein. Wir waren immer mittellose Leute. Das Studium 72
meines Neffen beanspruchte seine Eltern aufs äußerste. Auch ich habe meine ganzen Rücklagen geopfert. In letzter Zeit allerdings begann mein Neffe mit Rückzahlungen.“ „Das fiel ihm leicht“, sagte Hunter. * Der Start war für die Abendstunden festgesetzt. Zehn Stunden vorher beendete man die letzten Einstellungskontrollen an „Gamma 83“, verschraubte die Kugelhälften und hievte das komplette Telegraphenamt auf den Tieflader. Der Schlepper hatte die tonnenschwere Kugel in die Raketenbauanstalt zu ziehen, wo man schon darauf wartete, den Satelliten in die Raketenspitze einzusetzen. In diesem Augenblick, als keines Menschen Hand mehr in der Lage war das Innere der Kugel zu berühren, schlossen sich auf einen Befehl Hunters die Tore. Die Werkpolizei umgab das Versuchslabor mit einem dichten Ring. An jedem Ausgang stand ein Doppelposten. Brauer, der Zeuge dieses Vorgangs war, protestierte heftig. Er drohte, sich sofort mit dem Forschungsministerium in Verbindung zu setzen, wenn Hunter sein Vorhaben durchführte. Aber der Inspektor hatte sich gesichert. Er ging aufs Ganze. „Sie können telefonieren, Herr Direktor, selbstverständlich. Aber erst in einer Stunde.“ „Was soll das?“ brauste Brauer auf. „Sie sind sofort frei, wenn ich ‚Gamma 83’ geöffnet habe!“ Brauer tobte. Er verbat sich die Einmischung, weil das ganze Startprogramm dadurch in Frage gestellt war. Hunter blieb unberührt. Die Kugel wurde vom Tieflader gehievt. Monteure begannen, sie zu zerlegen. Brauer stand bebend dabei. Müller beherrschte sich meisterhaft, wie Hunter verstohlen beobachtete. Regungslos starrte der Assistent auf die auseinanderklaffenden Kugelhälften. 73
Als der Satellit freigelegt war und die obere Kugelhälfte unter dem Deckenkran hing, trat Hunter heran. Vor ihm häufte sich eine verwirrende Fülle von Technik. Die Eingeweide der Außenstation, Sonnenbatterien, Verstärker, Umformer, Gleichrichter, Antennen, Kreisel. Zwei Sender, zwei Empfänger, im Zentrum das Magnetaufzeichnungsgerät. Ein Aderwerk von Verdrahtung in allen Farben. Kondensatoren, winzige Elektromotoren, Magnetschalter, Transistoren. Dicht neben einer Antennendurchführung saß ein Metallgehäuse, dessen Oberseite Kühlschlitze trug. Hunter wußte, daß es das Chiffregerät war. Ein Wunderwerk an Präzision. Ein Kombigerät, Feinmechanik und Elektronik in letzter Vollendung. „Prüfen Sie die Einstellung!“ Müller wollte sich über das Gerät beugen. „Nicht Sie!“ Hunter schob ihn beiseite und winkte den Spezialisten heran. Der Deckel wurde abgehoben. Der Ingenieur prüfte mit einer Lupe die Einstellung. Dann zog der Mann seinen Kopf aus der Tiefe. Ungläubig sah er sich um. „Der Schlüssel ist geändert!“ Brauers Blicke trafen sich mit denen des Inspektors. Aber er las keinen Triumph darin. Nur harten Ernst. Müller erblaßte. Auf seine Stirn traten Schweißperlen. „Ich habe die Einstellung vor einer Stunde überprüft!“ stammelte er. Hunter unterbrach ihn. „Verstellt! wollten Sie wohl sagen.“ Hunter deutete auf ein Gerät, das wie eine Thermosflasche aussah. „Was ist das?“ „Der Antennenverstärker!“ antwortete ein Mechaniker. „Bauen Sie das Gerät aus!“ Schnell waren die Anschlüsse gelöst. Die Ingenieure untersuchten das Teil. 74
75
Sie drehten es in den Händen. „Halten Sie das immer noch für einen Antennenverstärker?“ wollte der Inspektor wissen. Entsetzt starrten alle auf Müller. „Ich will Ihnen sagen, was es ist. Eine Magnetbildkamera. Mit ihr sollten Luftbildaufzeichnungen gemacht werden, genau wie bei ‚Beta 83’!“ rief Hunter. Mit einem Aufschrei war Müller davongestürzt. Er rannte auf den Ausgang zu. Als er ihn verschlossen fand, versuchte er, in den Werkhof zu gelangen. Als ihn auch hier Posten hinderten, sah er sich verzweifelt um. Dann sprang er, alles was sich ihm entgegenwarf niederschlagend, hinüber in die Schaltzentrale für Hochspannungen. Dort riß er einen Ölschalter herunter. Er öffnete eine der Türen in der Anlage und griff mit beiden Händen hinein. Als sein Körper mit der Hochspannung Kontakt hatte, verkrampften sich seine Glieder und veränderten die Farbe. Erst als Brauer den Ölschalter getrennt hatte, fiel der Körper Müllers zusammen. Die Amperemeter schwenkten zurück auf Nullage. Auf einer verhüllten Bahre trug man ihn hinaus.
22. Kapitel Über einem Punkt des Nordatlantiks kreiste seit Tagen ein treibstoffunabhängiger Stratosbomber mit Atommotoren. Der Punkt, dem seine Aufmerksamkeit galt, lag zwischen Kap Hatteras und den Bermudas auf 36 Grad 19 Minuten nördlicher Breite und 277 Grad 11 Minuten östlicher Länge. Die Besatzungen lösten sich im Rhythmus von vier Stunden ab. Das ununterbrochene Kreisen und Beobachten dauerte schon über siebzig Stunden. „Zum Wahnsinnigwerden!“ sagte der Copilot zum Flugzeugführer. 76
Der Kapitän antwortete nicht. Verbissen beobachtete er die Anzeigegeräte im Cockpit und nahm eine Kurskorrektur am Autopiloten vor. Stunde um Stunde drehte die Maschine ihre programmgesteuerten Runden in vierzehntausend Meter Höhe. Hinter den Piloten saß der zweite Ingenieur. Er prüfte seine Reaktortemperaturen, die Strahlenintensität, den Kühlmittelkreislauf, das Arbeiten der Turbinen. Die Flugdauer des Bombers war unbegrenzt. Wenn nötig dreihundertundsechzig Tage, oder noch länger. Bis die Uranstäbe im Atombrenner verbraucht waren. Da kann einer alt werden und weiße Haare kriegen, dachte er und gähnte. Er sah auf die Uhr. Da fiel ihm ein, daß der Inspektor von der „Terrapol“, den sie an Bord hatten, geweckt werden wollte. Als er sein Schapp verließ, um in die obere Rumpfetage zu steigen, kam ihm Hunter schon entgegen. „Der nächste Durchgang von ‚Beta 83’ ist in fünfzehn Minuten!“ „Danke, Hauptmann!“ Hunter sah aus dem Beobachtungsfenster. Trotz der drei Glasschichten im Bulley der Überdruckkabine sah man den Himmel unverzerrt. Am Horizont war er klar und blau. Senkrecht hatte er die Farbe von tiefem Indigo. Obwohl die Sonne versank, war es noch nicht Nacht. Die Dämmerung kam von unten. Noch lag Zwielicht über der Maschine. Fast unhörbar zog der Bomber seine Kreise. Das Dröhnen seiner Turbinen blieb zurück, weil er doppelt so schnell wie der Schall flog. Wenig später ging der Bomber tiefer. Gleichzeitig verminderte er die Geschwindigkeit unter Machzahl I. Je mehr er eintauchte, um so dunkler wurde es. In fünftausend Meter Höhe schüttelten Riesenböen die schwere Maschine. Näher kam das unendliche Meer. Schaumstreifen an seiner Oberfläche kündeten von Sturm. Hunter setzte sich neben den Radarfunker und beobachtete den Kontrollschirm. Da meldete sich der Kapitän über die Bordsprechanlage. 77
„Standort unverändert, gehe auf zwotausend Meter.“ Vierzigmal hatten sie das gleiche Manöver schon durchgeführt. Immer wenn „Beta 83“ über ihnen stand, alle neunzig Minuten, gingen sie hinunter, um mit Gläsern und Radar die See abzusuchen. Bisher ohne Erfolg. Aber Hunter wußte, daß sie ausharren mußten. Er fühlte den Notizzettel in der Tasche seiner Kombination. Den Zettel, den man in Müllers Schreibtisch im Werk gefunden hatte. Nur sechs Zahlen waren auf dem Zettel vermerkt gewesen. Sechs Zahlen und ein paar Buchstaben. Aber sie hatten genügt. Sie gaben einen Punkt im Atlantik an, der unweit der amerikanischen Ostküste lag. Dieser geographische Ort brachte Hunter weiter. Ein neuer Stein im Mosaik um „Beta 83“. Manches war klar geworden, aber die Kette schloß sich noch nicht. Fest stand, daß Müller mit einer unbekannten Gruppe zusammengearbeitet hatte. Er war gut bezahlt worden, damit er die Chiffre änderte. Außerdem hatte er den Satelliten mit einer Telekamera versehen. Zutiefst erschüttert hatte es sogar Dr. Brauer glauben müssen. Aber wer war die fremde Gruppe? Wo gab sie die Auslösekommandos? Im Radarschirm tauchte als ferner Punkt der Satellit auf. Er kam näher, überholte sie, zog im Westen weiter. Die See unter ihnen blieb tot. Nichts war zu sehen. Auch die Abhörgeräte schwiegen. Kein Funkverkehr. Der Bomber zog wieder hoch in Warteposition. Alle eineinhalb Stunden wiederholte sich das gleiche Manöver. Herunterstoßen, Radarbeobachtung, Abhören, Kontrolle der Wasseroberfläche, hochziehen. Der nächste Tag brachte Bewölkung. Bodensicht war nicht mehr möglich. Es war der erste Durchgang, ohne daß der Beobachter in der Rumpfwanne die Wasseroberfläche sah. Die Bedeckung reichte bis auf fünfzig Meter Höhe. 78
Die Piloten fluchten, weil sie nicht riskieren konnten, so tief zu gehen. Aber plötzlich zeigte das Bodenradar einen Punkt in der Tiefe. „Da!“ schrie der Funker und winkte Hunter heran. Der Punkt tauchte in der Sekunde auf, als der Satellit genau über ihnen stand. Im Abhörgerät gellte ein langgezogener Ton auf. „Sie senden!“ Der ganze Zauber dauerte kaum eine halbe Minute. Dann verklang der Ton, und der Punkt auf dem Radarschirm verblaßte. Das Warten hatte sich gelohnt. Über eine Sonderfrequenz gab der Kommandant Alarmstufe I. In den Küstenhäfen der USA, Kanadas, Grönlands, Islands, bis hinunter nach Westindien und nach Island gingen mit Höchstfahrt Jagdverbände in See. Noch nie, in keinem der Kriege, auf kein Objekt, wurde jemals eine solche Meute losgelassen. „Aber er ist auf Draht“, sagte Hunter, „er hat abgewartet, bis die Bedeckung aufkam. Er dachte, wir hätten abgedreht.“ Der Kommandant nickte. „Daß es so sture Leute gibt, hat er nicht vermutet.“ Er grinste und nahm Kurs auf den europäischen Kontinent. Die Flieger freuten sich auf die Rückkehr. Auf die Kasinos, die Bars, die Mädchen. Hunter hatte andere Sorgen. Neue Geheimnisse waren aufgetaucht. Wer war der Kerl in der Tiefe? Wie brachte er es fertig, immer wieder seinen Standort zu ändern. Unbemerkt zu entkommen und zu verschwinden? Mit der Riesenapparatur, mit dem Bedienungspersonal, das er benötigte? Hunter fühlte sich nahe am Ziel und doch weit davon entfernt.
79
23. Kapitel Die Suche nach dem unbekannten Objekt lief auf Hochtouren. Von seiten der USA, der Mittelamerikastaaten, Großbritanniens und des vereinigten Europas beteiligten sich insgesamt sechshundertachtzig Marineeinheiten daran. Fregatten, U-Boot-Jäger, Zerstörer, Torpedoboote, kleine Kreuzer und schwere Einheiten. Von Boston und Norfolk gingen zwei Flugzeugträger in See. Die „Saratoga“ wurde aus der Karibischen See in den Atlantik beordert. Die britischen Atom-Träger „Hood“ und „Invincible“ eilten mit Höchstfahrt aus der Baffin See nach Süden, um die Davis Straße zwischen Grönland und Labrador zu schließen. In der Dänemarkstraße wachten Teile der Home-Fleet. Aus der Deutschen Bucht näherten sich die Flottillen der hochseefähigen Tragflügelboote. Den Fluchtweg in den Südatlantik versuchten alle verfügbaren Schiffseinheiten der USSA (Vereinigte Staaten von Südamerika) zu kontrollieren. Ihnen kamen aus dem Mittelmeerraum die Flotten Europas zu Hilfe. Mehr als ein halbes Tausend Schiffskiele pflügten durch die Wogen. Beinahe eine Viertelmillion Soldaten waren an dem Unternehmen beteiligt. Seeleute, Flieger, Radarbeobachter, Unterwasserhorcher, Maschinenpersonal, Funker und die Männer in den Landstationen. Zur Vereinfachung der Operation hatte die britische Admiralität es übernommen, die Aktion zu koordinieren. Nicht allein wegen der günstigen Lage der Insel im Suchgebiet, sondern unzweifelhaft wegen der besonderen Erfahrungen der Engländer in der Seekriegführung. Eine amerikanische Fregatte meldete am nächsten Morgen Kontakt mit unbekanntem Unterwasserfahrzeug. Eine Stunde später ergab sich, daß es ein japanisches U-Boot war, das den Panama-Kanal anlief. Ein britisches Schlachtschiff war nördlich von Jan Mayen im 80
Nebel ebenfalls auf Kontakt gestoßen. Die Radarschirme zeigten deutlich einen unbekannten Schiffstyp. Als sich der Nebel lichtete, trieb am Horizont ein Eisberg nach Süden. Auch die Einheiten des Südriegels meldeten Erfolge. Aber es waren vom Sargasso Meer abgetriebene Grasinseln, die den Radarstrahl reflektiert hatten. In den Gewässern um Island narrte ein dichter Heringsschwarm einen Tag lang zwei Korvetten. Nur ein einziger Funkspruch ließ sich nicht klären. Das deutsche Tragflügelboot „Siegfried“ hatte nahe der Faröer Inseln eine Ortung im Horchgerät. Sofort wurde mit Unterwasserradar die Verfolgung aufgenommen. Die „Siegfried“ vermochte mit überlegener Geschwindigkeit dem schnell ablaufenden Objekt zu folgen. Der Kontakt wurde von der Dämmerung an die ganze Nacht über aufrecht erhalten. Am Morgen wurde er so stark, daß sich der Kommandant von „Siegfried“ zum Wasserbombenangriff entschloß. Beim ersten Anlauf wurde auf die „Siegfried“ ein Torpedofächer abgeschossen. Infolge der hohen Geschwindigkeit befanden sich von der „Siegfried“ jedoch nur die Tragflügel in der See, so daß die Torpedos unter dem Rumpf des Bootes hindurchliefen. Daraufhin lief die „Siegfried“ einnebelnd ab. Dabei ging der Kontakt verloren. Trotz größter Bemühungen und sofortiger Beorderung aller nahen Einheiten in den kritischen Seeraum, blieb die weitere Suche ergebnislos. Nachdem sechs Tage verstrichen waren, beschloß die Admiralität, die Operation einzustellen. Sie war ergebnislos verlaufen. – Doch dann kam die entscheidende Wendung. * 81
In der Zentrale Nord der „Terrapol“ herrschte Aufregung. Thule hatte unbekannte Signale geortet. Mikroimpulse, wie sie seit Wochen erfolglos gepeilt wurden. „Wo erfolgten die Signale?“ Einer der Beamten trat an die Weltkarte. „Halten Sie sich fest, Hunter. Die Peilungen kreuzen sich über dem Packeis der Polarzone. Etwa neunhundert Kilometer nördlich von Spitzbergen.“ An dieser Stelle dehnte sich die unendliche Einsamkeit der tödlichen Eiswüste. „Glauben Sie, daß unsere Freunde mit Hundeschlitten aufgebrochen sind?“ warf Hunter ironisch ein. Aber er studierte trotzdem die Funknachricht genau. „In diesen Breiten hatten wir schon häufig Nordlichtreflexionen! Ist es überhaupt ausgemacht, daß die Signale identisch sind?“ Es war anzunehmen, daß die Station in Thule die Sache genau überprüft hatte, ehe sie Alarm schlug. Die Zeit verstrich. Die Entscheidung drängte. Hunter drehte die Funkmeldung unschlüssig in den Händen. „Fragen Sie bei ‚Terrapol’ in Washington, was anliegt. Ich schlage vor, erst einmal ein paar schnelle F 106 hinaufzuschicken. Sie sollen den angepeilten Ort untersuchen.“ Der Funkspruch ging schnellstens hinaus. Nach kaum zwanzig Minuten lag die Rückantwort vor. „Erwarten Hunter bis 04 Uhr MEZ. Flugplatz Reykjavik Island.“ Der Inspektor sah auf die Uhr. „Rufen Sie den Flugplatz an. Sie sollen den Transatlantik Clipper zehn Minuten aufhalten. Ich fahre sofort hinaus.“ Mit heulender Sirene raste ein Streifenwagen mit Hunter zum Flughafen, wo der Amerika-Clipper schon die Turbinen anwärmt?. In Reykjavik erwartete den Inspektor ein Marineoffizier an der Rollbahn. Hunter war der einzige Passagier, der den Clipper verließ. Die Riesenmaschine lag im grellen Licht der Scheinwerfer und füllte ihre Treibstofftanks. 82
Als Hunter in einem Marinechevrolet zum Hafen hinunterfuhr, zog sie schon wieder in den Nachthimmel. „Was gibt es Neues?“ wandte sich der Inspektor an seinen Begleiter. „Eine Staffel F 106 ist vor zwei Stunden Richtung Nordpol gestartet.“ Im Osten begann es zu grauen. „Sie müssen jetzt über dem Ziel stehen.“ Der Seeoffizier sah aus dem Fenster, als schnuppere er nach dem Wetter. „Wird ein schöner Tag heute. Bei der Waffe, welcher ich angehöre, freut man sich über jeden Sonnenaufgang und jede Lunge voll frischer Luft.“ Hunter musterte ihn unauffällig. „Ist es ein so schlechter Job?“ Der Junge grinste. „Schlecht nicht, Inspektor, aber verdammt ungesund!“ Sie erreichten die Hafenanlagen. Über eine Gangway bestiegen sie den Zerstörer, der mit singenden Lüftern am Kai lag. Unter Dampf, klar zum Auslaufen. Der junge Seeoffizier gehörte nicht zu der Besatzung des Zerstörers. Er war nur von seinem Boot umgestiegen, um Hunter in Reykjavik abzuholen. Als Hunter an Bod war, zogen die Matrosen die Gangway ein und lösten die Leinen von den Pollern. Eine Signalpfeife schrillte durch den Morgen. Kommandos gellten. Dann ging der Zerstörer mit den Maschinen rückwärts an. Langsam löste er sich vom Pier. Sobald er von der Hafenmauer frei war, drehte er mit gegenläufigen Schrauben langsam die Back auf die Hafeneinfahrt zu. Als die Mole querab stand, lief er schon mehr als zwanzig Meilen. Mit Kurs auf die Dänemark Straße ging er nach Norden. Eis83
meerdünung setzte zwischen Island und Grönland ein. Brecher fegten über das Schiff. Hunter saß mit dem Kommandanten im Funkraum. Der Korvettenkapitän reichte ihm die eingehenden Meldungen hinüber. Das Polareis war in den kritischen Planquadraten überflogen worden. Die Reihenbildaufnahmen lagen noch in der Auswertung. Eine neue Staffel hatte die ersten F 106 abgelöst und blieb auf Position. Hunter hüllte sich in einen Pelzmantel und verließ die Funkzentrale. Eiswind schlug ihm entgegen, als er aufs Oberdeck trat. Graupelschnee bedeckte die Aufbauten. Böen hieben ihm das nasse Zeug ins Gesicht. Das Schiff arbeitete sich stampfend weiter. Da packte ihn eine vermummte Gestalt am Arm. „Kommen Sie, Inspektor, zu einem Grog in die Messe.“ Es war der junge Seeleutnant. Hunter folgte ihm in das Innere des Achterschiffes. Sie wärmten sich die klammen Finger an den heißen Gläsern. „In zwei Stunden ist es soweit. Haben Sie Ihre Angehörigen verständigt?“ Hunter lächelte. Was wußte der junge Mann von seinen Abenteuern. Was bedeutete ein Übersetzen auf See gegen die Dinge, die er bei „Terrapol“ erlebt hatte. Obwohl er zugeben mußte, daß es diesmal neu war, was ihn erwartete. Noch nie hatte er ein Atom-U-Boot betreten. Aber es würde kaum aufregender sein als eine gute Skatpartie. Die Dinge an sich waren überhaupt nur aufregend, wenn man sie so empfand. Der Leutnant nahm einen tiefen Schluck. „Ich sage Ihnen, Inspektor, eine verteufelte Sache so ein UKreuzer. Ausgesprochener Treffpunkt für Kunstfreunde.“ „Wir werden es überstehen“, tröstete Hunter den Seemann. Gegen Mittag tauchte neben dem Zerstörer ein Turm aus der bewegten See. Er hielt mühelos die hohe Geschwindigkeit des Überwasserfahrzeugs. 84
Der mächtige Turm kam höher, ein glattes Deck folgte, und schließlich schob sich unter schäumender Welle der Bug aus dem Wasser. Der U-Kreuzer lief parallel neben dem Zerstörer her. Da keine Zeit zu verlieren war, exerzierten beide Besatzungen das Übernehmen von Passagieren auf See, ohne die Fahrtstufe zu verringern. Ein paar Köpfe tauchten auf dem U-Boot-Turm auf. Sie traten über UKW-Gerät in Sprechverbindung. Dann schossen die Zerstörerleute eine Leine hinüber. Die U-Boot-Männer zogen sie ein. Eine Elektrowinsch hievte das daran befestigte Nylontau an Bord. Jetzt steuerten die Ruderautomaten beide Schiffe genau ein. Eine geringfügige Veränderung des Abstandes ließ das Nylontau durchhängen. Es mußte aber gestreckt sein, damit Hunter und der Seeoffizier mit dem Transportgeschirr hinüberrollen konnten. Sie stiegen in die hosenförmigen Segeltuchbeutel, rollten los, schwebten über dem Wasser und wurden drüben aufgenommen. Die Trossen lösten sich. Mit heulender Sirene drehte der Zerstörer ab. Hunter schälte sich aus dem Ölzeug. Der Atem des Atom-U-Kreuzers empfing ihn. Trotz seiner blitzenden Sauberkeit und der Stille, die ihn an die Zentrale eines Großkraftwerkes erinnerte, trug das Boot einen eigenartigen Geruch. Es war wie bei einem Gewitterregen, nachdem der Blitz eingeschlagen hatte; man glaubte, die elektrische Ladung zu riechen. Das war der Grundgeruch des Bootes. Darüber schwirrte eine Vielzahl von Düften nach Farbe, heißen Instrumenten und Bohnenkaffee. Der Kommandant begrüßte den Inspektor. Ein glattrasierter, kaum vierzig Jahre alter Stabsoffizier. „Fühlen Sie sich wie zu Hause“, sagte er gleichmütig. Hunter sah sich um. „Gehört allerhand Phantasie dazu, Kapitän!“ 85
„Oh, das gibt sich.“ Er quartierte Hunter in seine eigene Kammer. „Denken Sie, Sie sitzen auf einer Atombombe, die jeden Augenblick in die Luft gehen kann, dann wird es Ihnen schon bei uns gefallen!“ Hunter nahm erst einmal einen Schluck zur Begrüßung. „Ich bin immer gern irgendwo zu Gast“, bedankte er sich. „Ich werde Ihnen nicht zur Last fallen. Sobald ich über die Burschen klarsehe, sind Sie mich wieder los, Kapitän. Sie wissen ja, worum es sich handelt. ‚Terrapol’ schickt mich nicht zum Spaß hierher.“ Der Korvettenkapitän nickte. „Ich bin ungefähr im Bilde.“ „Sind die Auswertungen der Aufklärer schon durch?“ „Soeben eingetroffen!“ antwortete der Kommandant. „Noch ganz warm!“ Er reichte Hunter die Funkbilder. Die Arktiserfahrung des Kommandanten kam ihm sehr zustatten. Hunter hätte ohne Brown aus den Reihenaufnahmen wenig erkannt. „Diese Linien hier“, erklärte der Kapitän, „sind Schatten von Eisbrüchen oder Eisschüben. Für uns uninteressant. Aber sehen Sie hier.“ Dabei deutete er auf einen dunklen Fleck, einen grauen Punkt in der Eiswüste. „Was ist das? Ein Wasserloch?“ „Richtig, Inspektor. Ein Luftloch mitten im Packeis.“ „Ist das möglich, gibt es so etwas?“ Der Kommandant schob sich die Mütze ins Genick. Dann fuhr er fort: „Es gibt zweierlei davon. Natürliche Eislöcher entstehen im Sommer allenthalben. Aber was Sie hier sehen, ist kein natürliches Loch. Dieses Loch wurde mit Torpedos von unten aus dem Eispanzer herausgeschossen. Sie wissen, das die Poldecke schwimmt. Sie ist zwischen drei und sieben Meter dick. Eine Stelle zu finden und sie mit Torpedos frei zu schießen, ist nicht schwierig. Das Boot in Schräglage gebracht, dann einen Viererfächer gegen die Zimmerdecke, und sie können mitten in der Polarlandschaft auftauchen. Zumindest den Turm herausstecken.“ 86
„Oder die Antennen“, fügte Hunter hinzu. „Oder die Füße“, grinste der Kapitän. „Nur verdammt kalt.“ Hunter hatte noch eine Frage an den Kommandanten. „Woraus schließen Sie, daß es sich hier um ein künstliches Atemloch handelt?“ Der Offizier deutete auf die Schattenränder. „Die Sprengtrümmer kommen wieder herunter. Sie werfen Schatten. In der Polarzone sind die Schatten lang, weil die Sonne sehr weit südlich steht.“ Einer der Ingenieure nahm die routinemäßige Strahlenmessung vor. Er las die Werte am Zählrohr der Kommandantenkammer ab und verschwand wieder. „Was sind Ihre nächsten Pläne, Kapitän?“ erkundigte sich Hunter. Der Kommandant schlug ein Kartenblatt auf. „Uns trennen noch sechshundert Meilen vom Packeis. Wir laufen Höchstfahrt. Ich denke, daß wir gegen Morgen unter das Eis tauchen werden.“ Für Hunter war nichts zu tun. Er lag in der Kommandantenkammer und verfolgte die Bewegungen des Deckenkompasses. Gegen Abend brachte ein Pantrygast Kaffee und Donuts. Da merkte der Inspektor erst, daß er eingeschlafen war. Die Nacht verschlief der Inspektor wie im besten Hotelbett. Nach dem Frühstück ging das Boot noch einmal an die Wasseroberfläche. Hunter stieg mit auf die Brücke, weil ihn der Kapitän darauf aufmerksam machte, daß es die letzte Gelegenheit sei, echte Naturluft zu atmen. Was ihnen die nächsten Tage geboten wurde, war nur Konservenozon. Mit unverändert hoher Fahrt preschte das Boot Kurs Nord. Zwischen dem Nullmeridian und dem dreihundertneunundfünfzigsten Längengrad wollten sie unter das Eis schlüpfen. Im Radar war die Packeiszone schon sichtbar. Langsam verdichtete sich auch die Zahl der südlich treibenden Eisberge. 87
Erst waren es nur vereinzelte Stücke gewesen, dann tauchten immer mehr auf. Schließlich mußten sie ganzen Gebirgen ausweichen. Schollen trieben vorbei, ganze Eisflächen, so groß wie Fußballplätze. Schon schob der Steven einen Eisstau vor sich her. „Es wird Zeit, daß wir tauchen“, sagte der Commander zu seinem ersten Wachoffizier. „Sind die letzten Funksprüche durch?“ „Alles durch.“ „Gut, dann melden Sie das Boot beim Admiral ab.“ Es war immer noch das große Problem, wie zu Zeiten der ersten Polunterquerung im Jahre 1958. Ein Boot, das sich unter dem Eis befand, war nachrichtentechnisch abgeschnitten. Es gab noch keine befriedigende Funkbrücke. Erst wenn es jenseits der dreitausend Kilometer weiten Eisdecke wieder auftauchte, dann war es wieder in der Lage, Funkverkehr aufzunehmen. Dreitausend Kilometer unter dem Eis, immer noch ein Abenteuer, stellte Hunter fest. Die Klimaanlage lüftete noch einmal das Boot von vorn bis hinten durch. In jede Ecke fegte zum letzten Male der Eishauch des Polarwindes. Dann wurden die Luken geschlossen, und die Sauerstoffanlage schaltete auf Eigenversorgung. Der helle, jäh aus dem Meer steigende Rand der Packeiszone tauchte am Horizont auf. „Einsteigen!“ Das Brückenpersonal verschwand im Turm. Als letzter verließ der Commander seine Nock. Hinter sich schloß er die Hydraulik des Turmschotts. Die Tauchtanks gaben ihren Auftrieb ab und füllten sich mit Wasser. Die Tiefenruder zogen das Boot hinunter. Als sie die Packeisgrenze unterschritten, war plötzlich Stille und Einsamkeit um sie. Der Kommandant überprüfte die Vielzahl der zuletzt noch eingegangenen Funksprüche. Was für Hunter interessant war, reichte er ihm hinüber. Eine Meldung bestätigte, daß Funkpeiler weiterhin die Position des unbekannten Gegners verfolgten. Sie blieb unverändert. 88
„Der Kerl hat unwahrscheinliche Nerven“, brummte der Kapitän. „Er muß damit rechnen, daß wir ihn anpeilen und versuchen, an ihn heranzukommen. Ich an seiner Stelle hätte meine Position längst verändert.“ „Vielleicht hat er Befehle“, gab Hunter zu bedenken. „Er weiß mit Sicherheit, daß er irgendwann einmal in unser Netz geht. Er versucht deshalb, aus ‚Beta 83’ herauszuholen, was nur geht. Vielleicht hat er auch einen Defekt, der ihn hindert, seinen Standort zu wechseln.“ „In fünfzehn Stunden wissen wir Bescheid“, antwortete der Commander. Dann beugte er sich über seine Karten und maß mit dem Stechzirkel die Entfernung. „Noch siebenhundert Meilen bis zu seiner Position. Jetzt haben wir elf Uhr MEZ. Legen Sie sich aufs Ohr, Inspektor. Morgen früh gegen zwei Uhr ist es so weit.“
24. Kapitel Ein Junge in weiten Kulihosen trug Reis auf. Seine gelbe Haut war in den letzten Monaten grau geworden. Grau wie die Gesichter aller Männer um ihn herum. Sein Zopf wippte bei jeder Kopfbewegung. Aber jede Bewegung war eine Marter in dieser feuchtheißen, sauerstoffarmen Luft. Die Lungen der Männer atmeten in harten Stößen. Die Anstrengung, sich am Leben zu erhalten, zeichnete ihre Gesichter. Ihre Glieder glänzten von Schweiß. Ein bulliger Offizier, den sie voll Ehrerbietung Fu nannten, winkte den Jungen heran. Er goß in seine halbgeleerte Reisschüssel von einer rosa Soße, steckte zwei Eßstäbchen hinein und befahl dem Jungen mit einem Wink, es fortzutragen. Als der Junge wieder in der Messe erschien, blickte ihn der Offizier forschend an. 89
„Was macht der Gefangene?“ bellte seine Stimme heiser. „Er schläft, Oberst!“ „Und warum ißt er nicht?“ Der lauernde Blick des Offiziers verschärfte sich. „Er nimmt seit Tagen keine Speise zu sich. Ich glaube, er kann nicht mehr.“ „In seinem Alter“, bemerkte ein Mann der Tischrunde, der am Arm seiner Lederjacke den Äskulapstab des Arztes trug, „in seinem Alter ist es ein Wunder, daß er noch lebt.“ Da wandte sich Fu an den Doktor. „Sie sind verantwortlich für ihn, Sing. Wenn er abgeht, bevor wir fertig sind, dann werden Sie keinen Fuß mehr auf heimatlichen Boden setzen.“ Im Gesicht des Asiaten verzog sich kein Muskel. „Bleiben wir bei den Tatsachen“, verteidigte er sich. „Der ständige Druckwechsel ist für uns gesunde Leute schon eine Qual. Ein alter, verbrauchter Organismus übersteht das einfach nicht. Ich habe ihm gestern die letzte Herzspritze gegeben und vor vier Tagen die Traubenzuckerinjektion. Ich kann nichts mehr tun. Und wenn Sie mich vor ein Kriegsgericht stellen, spätestens in drei Tagen ist der Mann tot.“ Er erhob sich vom Tisch der Offiziere und verließ den Raum durch das Kugelschott. Der Oberst sah ihm nach. „Sing ist ein Reaktionär!“ bemerkte er. „Er behauptet, der Mangel an Medikamenten sei schuld. Es ist nicht der Mangel an Medikamenten. Sing ist verweichlicht. Er bringt es nicht fertig, den alten Mann immer wieder mit Injektionen am Leben zu halten. Er nennt es Quälerei. Ich frage Sie, was schert uns ein alter Mann, wenn es um den Bestand unserer Nation geht?“ Sein Gesicht überzog sich mit kalter Brutalität. „Sing ist human. Humanität gegen einen Feind ist Verrat. Verräter müssen sterben!“ Der Oberst wandte sich zur Seite, nahm ein Handmikrophon und sprach etwas hinein. 90
Ein Soldat erschien. Er trug Kopfhörer über das schwarze Haar gestülpt. „Wie ist die Funkverbindung?“ „Solange die Sonne über dem Horizont steht, schlecht. Ich vermute, daß unbekannte Reflexe den Verkehr stören. Erst nach der Dämmerung ist die Verbindung normal.“ „Gut, dann Meldung an Admiralstab: Reparatur an Turbinen bis Mitternacht beendet. Nehmen anschließend Positionswechsel vor.“ Danach begann der Offizier einen Kontrollgang durch sein Boot. In jedem Raum lagen Männer. Ausgemergelt, erschöpft, müde. Pfeifend ging ihr Atem. Wie sie von Wache gekommen waren, legten sie sich hin und schliefen, bis die vier Stunden vorüber waren. In der großen Beobachtungszentrale hingen sie in ihren Sitzen. Als der Oberst eintrat, strafften sich für einen Augenblick ihre Körper. „Wann ist der nächste Durchgang?“ „In vier Minuten!“ „Und warum bedient ihr nicht eure Geräte?“ fuhr die Stimme des Kommandanten sie an. „Der Spannungsabfall in der Batterie ist zu groß. Wir können seit drei Tagen nicht mehr aufladen, seit die Turbinen ausgefallen sind.“ „Und Unterwasserradar?“ Der Mann am Radarschirm verneinte nur stumm. Der Oberst fluchte. Die Lampen verlöschten. Der Ingenieur schaltete alle Stromverbraucher des Bootes ab. „Wir müssen die Radarbeobachtung durchhalten. Sie sind uns auf der Fährte. Ohne Radar sind wir blind.“ Einer der Ingenieure kontrollierte die Batteriespannung. „Wir können das Radar nur in Betrieb nehmen, wenn wir jede andere Stromentnahme verhindern. Aber dann können sie an den Turbinen nicht arbeiten.“ 91
Unschlüssig biß sich der Oberst auf die Lippen. „Fahren Sie das Radar jede Stunde einmal aus. Auch wenn die Reparatur dadurch unterbrochen wird.“ Dann ließ er den Umformer anlaufen. Die Geräte bekamen Spannung. Hellgrün leuchtete der Radarschirm auf. Unter dem Kiel fuhr der Signalgeber aus. Der Zeiger wanderte. „Nichts! Nichts zu sehen!“ Die Borduhr zeigte 18 Uhr, als das Licht wieder anging. * Commander Brown stand in der Zentrale seines Bootes. Je weiter sie in das Eis eindrangen und je näher sie an die Position des Gegners gelangten, um so schweigsamer wurden die Männer. Kaum gab es ein Wort zwischen ihnen, das nicht mit der Bedienung des Bootes zu tun hatte. Das Echolot zeigte sechzig Meter Wassertiefe. Auf dem Fernsehschirm, vor dem der Wachoffizier saß, tauchten gespenstische Eisfalten auf. Wie die Zähne eines riesigen Kiefers hingen von der Eisdecke über ihnen Wellen, Zacken, Pfeile, Vorhänge herunter. Es war märchenhaft, die funkelnde Pracht des ewigen Eises von unten zu betrachten. Es war aber auch gefährlich. Ein Zusammenstoß mit solchen Eisvorhängen konnte für die Besatzung tödlich sein. Deshalb warnte das Radar schon auf große Entfernungen vor solchen Hindernissen. In der Polarnacht, wenn die Sonne hinter dem Horizont versunken war und nicht mehr auf das Eis schien, waren sie alle restlos dem Radar ausgeliefert. Nur wenn es nötig war, traten die großen Unterwasserscheinwerfer in Tätigkeit und beleuchteten den gefährlichen Weg, der verschlungen wie durch eine wassergefüllte Tropfsteinhöhle führte. 92
Mit Hilfe der „inaktiven Navigation“ tastete sich der U-Kreuzer immer tiefer unter das Eis. Hunter studierte schweigend den Kurs auf der Polarkarte. Sie würden den Pol nicht aufspießen, sondern ihn mit einem Abstand von sechzig Meilen an Steuerbord liegen lassen. Um zwanzig Uhr löste ein Radarsignal plötzlich Alarm aus. Eine Riesenfalte hing von der Eisdecke herunter und versperrte den Weg. Die Scheinwerfer gingen an. Der Commander beobachtete, langsam mit dem Boot auf der Stelle drehend, über das Fernsehauge die Runde. Plötzlich waren sie auf allen Seiten von tiefhängenden Hindernissen umgeben. Das Echolot zeigte nur achtundfünfzig Meter Wassertiefe. Es blieb ihnen eine kaum zwanzig Meter hohe Spalte zum Durchschlüpfen. Der Kommandant gang langsam mit den Maschinen zurück, gab dem Boot soviel Untertrieb, daß es kaum spürbar abwärts schwebte, und tastete sich dann an das Loch heran. Er visierte mit dem ganzen Boot. Meter für Meter schob es sich durch den grünen Schlund. Kein Mensch konnte sagen, was dahinter kam, ob es weiterging in freies Fahrwasser, oder ob der Schlund das Boot ausweglos festhielt. Das Radar zeigte noch längere und tiefer reichende Eisfalten. Mit den Schleichmotoren kroch der U-Kreuzer über den Grund des Polarmeeres. Kein anderer Ausweg blieb. Es mußte hindurch. Der Kiel streifte schon über tote Sände. Unwirklich huschten die Schrammlaute durch das Boot. Da erschütterte ein Schlag die Wandplatten des Turmes. Irgendwo war das Boot mit dem Eis kollidiert. „Frage Wassereinbruch?“ rief Commander Brown durch die Bordsprechanlage. Minuten vergingen. „Kein Wassereinbruch!“ 93
Ein Aufatmen ging durch die Männer. Weiter schlich das Boot dahin. Es machte kaum Fahrt und hielt sich nur mühsam in den Tiefenrudern. Da ein neuer Schlag aus dem Achterschiff. Der Kommandant schwenkte das Fernauge herum. Der hintere Tiefenruderschutz hing in einer mächtigen Eisnadel. „Maschine stop! Tausend Kilo nach achtern trimmen.“ Die Trimmung lief. Das Boot legte sich mit dem Heck auf den Grund. Langsam löste es sich aus der Eisnadel. Dann bekam es wieder Fahrt. Endlich hörten die tiefen Eisfalten auf. Auch der Meeresboden fiel ab und gab neuen Raum. Der Commander blieb noch am Fernsehschirm bis kein Hindernis mehr zu sehen war. Er löschte die Suchscheinwerfer und übergab das Ruder dem Radarpiloten. „Wecken Sie mich bei besonderen Vorkommnissen!“ wandte er sich an den ersten Wachoffizier, „spätestens jedoch um Mitternacht.“
25. Kapitel Kurz nach Mitternacht reagierte das Unterwasserhorchgerät. Noch ehe im Radar Impulse aufgenommen wurden, zeichnete das hochempfindliche Lauschgerät mehrere kurze Schläge auf, die aus großer Entfernung abgegeben waren. Der Spezialist am Horchgerät ließ die Signale noch einmal vom Tonband laufen. „Klack … klack … klack“, klang es wie ferne Hammerschläge. „Er muß es sein, Sir!“ sagte der Beobachter fest. „In dieser Gegend gibt es kaum Fischschwärme. Und ein Heringsschwarm hört sich anders an.“ Das Radar gab immer noch keine Position. Die Eisfalten warfen das Radarsignal zurück und hinderten die Impulse daran, sich weiter auszubreiten. 94
95
Deshalb ging Commander Brown tiefer. Der Grund lag hier über hundert Meter, und er konnte hoffen, daß ihm das Radar bald ein Ergebnis brachte. Gegen 0.30 Uhr zeigte der Beobachtungsschirm einen Punkt. Er lag etwa zehn Meilen ab und mußte dicht unter dem Eis hängen. Alle Augen starrten gebannt auf den Radarschirm. Der Punkt blieb. Er veränderte sich nicht. „Das ist er. Wenn er nicht schläft, hat er uns ebenfalls im Gerät. Alle Mann auf Gefechtsstationen!“ Das Fernauge trat in Tätigkeit. Browns Kommandos schallten durch das Boot. „An Bugraum! Steuerbord Torpedofächer klarmachen!“ Die Bahnrechner wurden eingeschaltet. Sie wärmten an und verarbeiteten die Unterwasserschußwerte. Hydrauliken öffneten die sechs Torpedoklappen. Die Rohre waren klar, ihre Aale auszustoßen. Aber Commander Brown wußte, daß er nur im Notfall zu diesem Mittel greifen durfte. Auch dann, wenn der Gegner in günstiger Schußposition und von Eisfalten ungedeckt vor ihm lag. Aber würde es überhaupt gelingen, unbemerkt so dicht heranzukommen? Wenn er schoß, dann vernichtete er den Gegner, und das Rätsel um „Beta 83“ blieb ewig ungelöst. Deshalb lautete sein Operationsbefehl, den Gegner zu stellen. Wer würde schneller handeln? Er oder der andere? Brown versuchte sich in die Lage des Feindes zu versetzen. Versuchte, in den Gedanken des Gegners zu lesen. Der andere hatte ein Geheimnis zu hüten. Er würde alles versuchen, ihn zu vernichten. Der Gegner hatte aber auch ein wertvolles Boot zu verlieren. Deshalb war es nicht ausgeschlossen, daß er den Kampf gar nicht annahm, sondern die Flucht vorzog. Dann konnte eine Jagd beginnen, wie es noch keine gegeben hatte. Eine Jagd unter dem Eis, auf Leben und Tod. 96
„Verdammt, jetzt muß er uns doch haben!“ sagte Brown. „Oder er hat einen Defekt!“ meinte Hunter. Sie hatten sich dem unbekannten Fahrzeug auf eine Meile genähert. Noch war es nicht zu sehen. Es verbarg sich hinter den Eisvorhängen. Die Geräusche im Horchgerät hatten aufgehört. „Es klang, wie wenn Maschinisten mit schweren Werkzeugen hantieren“, erklärte Brown. Der Commander fragte nach Gegenortung. „Noch keine Gegenortung!“ „Er hat uns immer noch nicht!“ Sie fuhren mit dem unhörbaren Schleichmotor. Jedes Geräusch vermeidend, näherten sie sich dem Gegner, Meter um Meter. Die Uhr zeigte die volle Stunde. „Jetzt Gegenortung!“ kam die Meldung aus der Radarzentrale. Hunter wußte, daß sie der andere auf dem Radar erkennen mußte, wenn er nicht blind war. Im gleichen Augenblick meldete auch der Horcher eine Beobachtung. „Geräusch anlaufender Turbinen zwo Strich mehr achtern als voraus.“ „Sie versuchen abzuhauen“, fluchte der Wachoffizier. „Maschinen Halbe Fahrt voraus!“ gab Brown. Der Abstand verringerte sich schnell. Er betrug noch fünfhundert Meter. „Scheinwerfer an!“ Die Lichtbündel flammten auf und leuchteten das Wasser taghell auf. Blendender Glast hüllte den Gegner ein. Jetzt, in dieser Sekunde, wurde der Schleier erstmals gelüftet. Auf dem Fernsehschirm tauchte sein Bild auf. Hunter empfand es, als stünde er einem lange gesuchten Verbrecher gegenüber. Es war eines der alten U-Boote, die man versuchsweise mit Reaktoren ausgerüstet hatte. Technisch unzulänglich, machten diese alten Kisten der Besatzung das Leben zur Hölle. Sie waren von Defekten heimgesucht, und die Besatzungen trugen ständig Strahlungsschäden davon. Brown kannte den Typ. Man 97
hatte nach der Außerdienststellung mehrere Boote davon nach Asien verkauft. Aber der Commander wußte auch, daß dieser Bootstyp sehr gefährliche Hecktorpedos abschießen konnte. Solange er den Gegner jedoch mit seinen Scheinwerfern blendete, konnte dieser keinen gezielten Schuß abgeben. Der U-Kreuzer kam näher. Man sah im Fernsehschirm deutlich die wirbelnden Schrauben des anderen, wie sich seine Tiefenruder bewegten und wie er versuchte, in der Wirrnis des Eises zu entkommen. Da gellte ein Kommando Browns durch das Boot. „Maschinen äußerste Kraft voraus. Tiefenruder hart unten!“ Das Boot kippte ab. Es war allerhöchste Zeit gewesen. Vom Gegner her näherten sich in rasender Fahrt vier dunkle Punkte. Torpedos …! Er hatte es tatsächlich riskiert, ins Ungewisse hinein einen Fächer zu lösen. Auf den Schirmen sah man die heranschwirrenden Pfeile. Sie kamen immer näher. Noch lag das Boot in ihrer Fahrtrichtung. Es ging nur träge tiefer. Die Turbinen brauchten ein paar Sekunden, um auf Touren zu kommen. Würde es ausreichen? Dicht am Turm vorbei und knapp über das Deck hinweg sirrten die tödlichen Aale. Aber sie liefen ab. Irgendwo weit achteraus detonierten sie an einer Eisfalte. „Jetzt hat er die Heckrohre leergeschossen“, bemerkte der Commander kühl. „Du entkommst mir nicht mehr, Bursche!“ 98
Roy Chester unter diesem Pseudonym wird ein junger derzeit in München lebender Journalist in unserer UTOPIA-Serie Zukunftsromane veröffentlichen. Wir möchten ihn unseren verehrten Lesern hier an dieser Stelle vorstellen: Roy Chester wurde 1926 in Berlin geboren. Sein Vater arbeitete als Dramaturg an einem Berliner Theater. Roy besuchte ein naturwissenschaftliches Gymnasium. Schon früh regte sich bei ihm das Interesse für Fragen und Probleme des technischen Fortschritts. Er richtete sich in der elterlichen Villa am Wannsee ein kleines Laboratorium ein, in dem er seine gesamte Freizeit, die ihm neben seinen Pflichten als Gymnasiast verblieb, verbrachte. Er selbst beschreibt sein Labor sehr amüsant als „ein Tohuwabohu an Reagenzgläsern und Retorten“. 1944 erging es ihm wie so vielen seiner Schulkameraden – er mußte die Büchertasche gegen ein Gewehr eintauschen. Als er nach Kriegsende mit einer leichten Verwundung heimkam, stand er vor völlig verwandelten Verhältnissen. Das Elternhaus zerbombt, der Vater gefallen. Mühsam und verbissen, aber von einem energischen Willen getrieben, holte er das Abitur in Abendkursen nach. Das Physikstudium verdiente er sich als Werkstudent. Bereits in diese Zeit fallen seine ersten publizistischen Arbeiten. Mit der Zeit wächst er in den Journalismus hinein. Er nimmt an Vorlesungen über Zeitungswissenschaft teil. Als ihm eine große Tageszeitung eine Chance bietet, greift er zu. Seit 1954 lebt er in München.
99
„Ich habe mich über Ihren Wettbewerbsaufruf sehr gefreut“, schrieb er uns. „Es ist schön, wenn man spürt, hier werden Manuskripte sorgfältig und objektiv geprüft. Viel mehr Verlage sollten jungen Autoren eine solche Gelegenheit bieten.“ Der Wettbewerb ist inzwischen abgeschlossen worden. Wir sagen allen, die sich daran beteiligt haben, unseren herzlichen Dank. Leider ist es uns nur möglich, die besten Arbeiten zu veröffentlichen, zu denen auch der vorliegende Roman von Roy Chester gehört. Lassen Sie abschließend Roy Chester noch selbst einige Worte sagen. „Ich bin überzeugt“, meinte er, als er mir hier im Verlag gegenübersaß, ‚daß das, was man heute noch als utopisch bezeichnet, schneller Wirklichkeit sein wird, als sich so mancher träumen läßt. Science Fiction soll der Zeit nicht vorweggreifen, aber sie soll uns ein Bild der Zeit geben, die jeder von uns noch erleben kann. Dieses Bild kann furchtbar werden, wenn es nicht von verantwortungsbewußten Händen gestaltet wird. Ich hoffe fest, daß das Bild allen Menschen gefallen möge“.
26. Kapitel Die Verfolgung dauerte schon achtzehn Stunden. Sie mutete an wie das Spiel einer Katze mit einer müden Maus. Der U-Kreuzer hatte sich hinter den Gegner gehängt. Ständig lief sein Radar, und sein Horchgerät ließ den Unbekannten nicht aus den Fängen. Der andere versuchte alle geläufigen Tricks, den Verfolger abzuschütteln. Brown blieb ihm hart auf den Fersen. Er spielte mit ihm. 100
Seine überlegene Geschwindigkeit und seine vollendete technische Ausrüstung besiegelten das Schicksal des Gegners. Es wäre für den Commander ein leichtes gewesen, ihm den Fangschuß zu geben, aber das war nicht sein Auftrag. Er sollte den Feind stellen und nicht vernichten. Um das zu erreichen, hatte man ihm das modernste Boot in die Hand gegeben, das die westliche Welt nach dem Stand der Technik überhaupt zu bauen in der Lage war. Trotzdem erfaßte die Männer das Jagdfieber. Zu gut kannten sie die tausend Behinderungen, die sich einem Jäger entgegenstellen konnten. Wenn eine Spalte auftauchte, die sie wegen ihrer dreifachen Größe an der Verfolgung behinderte? Wenn sie in einen Irrgarten von Eisvorhängen gerieten, den der andere an irgendeinem Loch durchbrach? Wenn sie gezwungen waren, vor einem Hindernis den Kurs zu ändern, das der andere gerade noch überwinden konnte? Dann mochten Stunden vergehen, ehe sie ihn wieder gefaßt hatten. Erreichte er aber weit vor ihnen das Ende der Eiskappe bei Kap Barrow und floh in das freie Meer, dann wäre die Jagd vergebens gewesen. Doch Commander Brown wußte etwas, was keinem der Männer an Bord bekannt war. Er hatte die Meldung erhalten, daß in der Bering Straße ein dichter Riegel von U-Jägern aufgefahren war. Das hinderte den Gegner zumindest daran, in den Pazifik zu entwischen. Daß er es wagen würde, einen der sibirischen Eismeerhäfen anzulaufen, um dort Schutz zu suchen, war zweifelhaft. Vierundzwanzig Stunden, nachdem sie den Gegner zum ersten Male gesichtet hatten, standen sie dreihundert Meilen vor dem Ende der arktischen Eisdecke. Um sieben Uhr WEZ hatten sie den Rand des Eises erreicht. Der Wachhabende meldete das Ende der Durchquerung. Die langen Eisfalten wurden seltener, die Meerestiefe größer. Die durchlaufende Decke über ihnen bekam Risse und Löcher. Eine Stunde später leuchtete die aufgehende Sonne bis auf zwanzig Meter hinunter. 101
Hin und wieder zog der Schatten eines Eisberges gleich einem Riesenfisch über sie hinweg. Das alles wäre ein wunderbares, nie geschautes Naturerlebnis für Hunter gewesen, wenn die Jagd nicht all seine Sinne beansprucht hätte. Sie trieben das Wild vor sich her durch die grüne See. Meile um Meile hetzten sie ihn in die warmen Meere hinein. An einer Kursänderung glaubte Commander Brown zu erkennen, daß es der Gegner darauf anlegte, nach Westen abzudrehen. Er näherte sich ihm von Steuerbord und vereitelte seine Absicht, indem er ihn damit nach Süden abdrängte. „An seiner Stelle würde ich es auch versuchen“, erklärte der Commander dem Inspektor. „Er hat nur eine Chance, wenn er am Rande des Packeises bleibt. Die Chance, irgendwo unter das Eis zu schlüpfen. Um die russischen Hoheitsgewässer bei den sibirischen Inseln anzulaufen, ist er zu langsam. Sein Pech!“ Der U-Kreuzer lief kaum zwei Drittel seiner Marschgeschwindigkeit. Aber vierzig Meilen unter Wasser, das war für den anderen schon alles, was seine Maschinen hergaben. Gegen Mittag rückte der U-Kreuzer näher an seinen Gegner heran. Sie standen jetzt fast am Polarkreis. Die Wrangel-Insel lag schon dreihundert Seemeilen achteraus. „Wir werden ihn noch eine Stunde lang in die Bering Straße hineindrücken, dann ist es soweit.“ Sie verringerten den Abstand immer mehr. In der Treibeiszone hatte er noch zwei Meilen betragen, auf diese Entfernung war es mühelos, dem Gegner zu folgen und seinen Manövern zuvorzukommen. Jetzt ging Brown auf eine halbe Meile heran. Sorgfältig traf er seine Vorbereitungen. Es lag sogar ein gewisser Genuß darin. Ein Genuß, der vielleicht mit der sorgfältigen Abendtoilette einer Frau zu vergleichen war, die sich für einen Opernbesuch schönmacht. Der Commander saß vor dem Beobachtungsschirm in der Zentrale und winkte Hunter neben sich. 102
„Zwanzig Umdrehungen mehr“, befahl er dem Maschinenleitstand. Kaum hörbar schwoll der Turbinenton an. Gebannt beobachtete Brown den Fernsehschirm. „Frage Radarabstand?“ „800 Meter.“ Die Sonne fiel von Süden in das Wasser vor ihnen, hellte es auf wie ein beleuchtetes Aquarium. Hunter sah Fische auftauchen und erschreckt davonschießen, ein mächtiger Rochen taumelte zur Seite. Schillernde Heringsschwärme zogen südwärts. Weit vor ihnen tauchte ein dunkler Punkt auf. „Was ist das? Ein Hai?“ Der Commander verneinte. „Ein Hai aus Stahl mit einem Atomreaktor im Bauch. Unser Gegner.“ Der Abstand verringerte sich auf siebenhundert Meter. Laufend meldete der Radarbeobachter die Entfernung.
103
„Swortfish-Raketen klarmachen!“ Im Turm des U-Kreuzers begannen sie zu arbeiten. Motoren liefen an, stoppten. Druckluft strömte pfeifend in ein Ausstoßrohr. Dann klickte ein Verschluß, und elektrische Schalter bewegten sich. „Swortfish-Raketen sind klar.“ Trotz der Konzentration, die jetzt von ihm verlangt wurde, erklärte Brown dem Inspektor mit wenigen Worten, was er vorhatte. „Die Swortfish-Raketen sind speziell für den Unterwasserkampf von U-Booten, wenn keine Absicht besteht, den Gegner völlig zu vernichten. Wir beschädigen ihn so, daß er gezwungen wird, aufzutauchen.“ „Wie schaffen Sie das, Commander?“ „Ganz einfach. Die Raketen ziehen ein Kabel hinter sich her, über das sie steuerbar sind. Wir rasieren ihm achtern die Schrauben weg. Dann muß er hoch!“ Ein junger Mann der Besatzung war neben den Kommandanten getreten. Er hielt ein Kästchen vom Format einer
104
Sardinen büchse in der Hand. Aus dem Kästchen ragte ein verstellbarer Stift, wie der verkleinerte Steuerknüppel eines Flugzeuges anzusehen. Von dem Kästchen lief ein Kabel hinauf in den Turm. Der junge Soldat war Spezialist für Raketensteuerung. Commander Brown räumte ihm seinen Platz ein. Die Borduhr zeigte vierzehn Uhr dreißig. „Abstand vierhundert Meter.“ „Raketen Achtung!“ „Abstand dreihundertfünfzig.“ Der Gegner war jetzt deutlich sichtbar. Seine Ruder, die quirlenden Schrauben, die Kanone hinter dem Turm. Sein Sehrohr. Sogar die Antennenverdrahtung war zu erkennen. „Abstand dreihundert.“ Der Kommandant zündete die Startladung der Raketen durch einen Knopfdruck. Ein Fauchen drang aus dem Turm herunter. Dann erschienen die Swortfishs auf dem Bildschirm. Deutlich erkannte man, wie sie dünne Steuerkabel hinter sich herzogen. Der junge Mann betätigte die Dreiachsensteuerung. Er ließ die Raketen etwas höher gehen, korrigierte die Seitenruder. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann waren sie drüben am Heck des Gegners. Noch eine Korrektur, und sie fuhren zwischen Schrauben und Hauptruderblatt. – Detonation! Die Druckwellen waren bis in den U-Kreuzer spürbar. Der Commander hatte sein Boot auf Backbord gelegt, um nicht in die Trümmer des anderen zu geraten. Das war kunstvoll, dachte Hunter, aber keine Kunst. Dann sahen sie, wie der andere hochzog und die Meeresoberfläche durchstieß. Sie tauchten neben ihm auf. Kaum eine Kabellänge von dem bewegungsunfähigen Feind, der immer noch geheimnisvoll war. Man sah, wie sie drüben aus dem Turmluk krochen, über die Steigleiter an Deck sprangen und versuchten, an die Kanonen zu kommen. 105
„Feuer frei!“ gab Commander Brown. „Sie dürfen nicht bis zur Kanone. Erst mal eine Warngarbe!“ Die vollautomatische 3,7-cm des U-Kreuzers schoß mit ihren Vierlingsrohren eine Serie Leuchtspur hinüber. Dort trieb einer die Geschützbedienungen an die Waffen. „Zielwechsel auf den Turm!“ Die Vierling richtete sich gegen die Kommandobrücke. Das Rattern der ausgeworfenen Magazine schepperte herunter in die Zentrale des U-Kreuzers. Auf dem Fernsehschirm beobachteten sie die erste Wirkung. Fetzen flogen von der Verkleidung. Matrosen sprangen ins Wasser. Immer mehr Gelbe kamen aus den Luken. Sie versuchten keinen Widerstand mehr. Hunter konnte sich vorstellen, wie es nach den zwei Raketentreffern im Inneren des Bootes aussah und daß die Männer drüben bedient waren. Einer hinter dem anderen verließen sie das Boot. Sie bliesen ihre Schwimmwesten auf und sprangen ins Wasser. „Gehen Sie näher ran!“ befahl der Commander seinem Wachoffizier. Er selbst nahm sich eine Maschinenpistole und eilte hinauf in den Turm. Ein Knopfdruck setzte die Hydraulik des Turmschotts in Betrieb. Langsam öffnete sich die schwere Stahltür. Als erster war Brown draußen. Ihm folgten Hunter und weitere bewaffnete Seeleute. „Halten Sie das Deck unter Beobachtung“, gab der Kommandant an die Bedienung der Vierling. „Wenn Sie etwas Auffälliges wahrnehmen, drücken Sie auf die Tube.“ Er selbst ließ das Schlauchboot klarmachen. Näher schob sich der U-Kreuzer an den Gegner heran. Noch fünfzig Meter dünende See mochten sie trennen. Immer mehr Matrosen schwammen im Wasser. Unschlüssig trieben sie umher. Erst als sich einem von ihnen helfende Hände entgegenstreckten, wagten sich auch die anderen heran. 106
Das war ein Zeichen für die, welche drüben noch gezögert hatten. Reihenweise suchten sie an Deck des U-Kreuzers Rettung. In der Zwischenzeit pullten ein paar Matrosen Hunter und den Commander hinüber zu dem sinkenden Gegner. Als erster kletterte Brown an Deck und bestieg mit angeschlagener MPi den Turm. Die Brücke war leer. Er ließ sich ins Turmluk hinab. Aus der Zentrale gurgelte Wasser herauf. „Sie haben die Flutventile geöffnet. Es kann nur noch Minuten dauern“, schrie er Hunter zu. Trotz der Gefahr, von dem plötzlich wegsackenden Boot in die Tiefe gerissen zu werden, folgte der Inspektor dem Commander. Seine Witterung sagte ihm, daß noch etwas auf ihn wartete. Da gellten zwei Pistolenschüsse vielfach verstärkt aus dem Inneren. Hunter, der zuerst befürchtet hatte, der Commander wäre getroffen worden, fand ihn unverletzt über den sterbenden Körper eines Mannes gebeugt. „Der Kommandant des Bootes. Der übliche Selbstmord eines Asiaten, wenn er besiegt ist.“ Das Wasser stieg immer höher. Sie wateten schon bis zu den Knien darin. Hunter versuchte, in das Achterschiff zu gelangen, aber das Kugelschott klemmte. Deshalb stürzte er auf die andere Seite der Zentrale, um es dort zu versuchen. Da öffnete sich wie von Geisterhand der Vorreiber. Ein Junge versuchte, durch den Spalt zu wischen. Hunter faßte ihn am Handgelenk. Der weite Hemdsärmel rutschte zurück. Der Junge sah den Inspektor ängstlich an. Aber Hunters Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem gefesselt. Am Handgelenk des Kulis sah er etwas, was nie und nimmer dem Jungen gehören konnte: eine goldene Herrenarmbanduhr, eines der wertvollsten Schweizer Modelle, die es überhaupt gab. Hunter streifte sie ab. Er hielt den Deckel ans Licht und fand eine Gravierung. Sie war deutlich lesbar. 107
„Unserem verehrten Rektor, die Technische Hochschule München.“ Hunter brüllte den Jungen an. „Wo ist er?“ Der Kuli deutete nach dem Vorschiff. Das Wasser strömte aus den Flutventilen herein. Dauerte es noch Sekunden, oder länger? Hunter überlegte nicht. Es gab keinen Zweifel über das, was er zu tun hatte. Den Jungen nachzerrend, tastete er sich durch das Dunkel des Bootskörpers. Hinter sich hörte er den Commander rufen. Es war sein Name, den er rief. Sank das Boot schon? Sie wateten durch den Mannschaftsraum, durch die Kombüse. Überall stießen sie an, fielen sie und stürzten. Irgendwo gurgelte es. Eine Wasserfontaine sperrte ihren Weg. Hunter schob sich daran vorbei. Dann standen sie vor einem Schapp. Der Inspektor warf sich gegen die Tür. Sie sprang auf. Hunter tastete sich in das Dunkel. Er fühlte eine Koje, Bettzeug, den Körper eines Menschen, der schon im Wasser lag. Seine Hände fuhren unter ihn, rissen ihn hoch, zerrten ihn aus dem Verlies. Er preßte den Menschen an sich. Er war unglaublich leicht. Kann ein Mensch überhaupt so wenig Gewicht haben, fuhr es Hunter durch den Kopf. Aber zu seiner Beruhigung fühlte er den stoßenden Atem des anderen. Er kämpfte sich den Weg zurück. Das Wasser spülte schon um seine Hüften. Ein Schott war zugefallen. Der Kuli riß daran. Hunter stemmte sich dagegen. Ein Schlag. Die Schultern schmerzten. Noch ein Schlag. Endlich ging es gegen den Druck des schwarzen Wassers auf. Hunter bückte sich, schob sich hindurch. Endlos lang war der Weg bis zur Zentrale. Das Boot nahm schon Schlagseite ein, neigte sich Grad um Grad. Hunter ergriff die Turmleiter. Die Anstrengung ließ ihn taumeln. Aber da fühlte er, wie ihm jemand seine Last abnahm. 108
Der Commander hatte das Menschenbündel aus seinen Armen gehoben. Mit letzter Kraft glitt er durch das Turmluk in die rettende Freiheit. Als er hinter Brown in das Schlauchboot sprang, versank das Deck schon unter seinen Füßen. Mit kraftvollen Ruderschlägen hielten die Matrosen das Schlauchboot vom Sog des U-Bootes frei, das sein letztes Tauchmanöver in die Tiefe antrat. * Nach einer Reise von drei Tagen lief der U-Kreuzer durch das „Golden Gate“ in den Hafen von San Franzisko ein. Der unermüdlichen Pflege des Bordarztes, der Tag und Nacht an der Koje des Schwerkranken wachte, war es zu verdanken, daß sich Professor Suhr etwas erholt hatte. Er war sogar in der Lage, gestützt von zwei Sanitätern, selbst die Gangway zu überschreiten. Ein Wagen brachte ihn in ein Sanatorium. Die Besatzung des versenkten U-Bootes wurde durch harte Verhöre geschleust, bis ihre Aussagen ein genaues Bild ergaben. Der Inspektor nahm an diesen Verhören teil. Noch in San Franzisko beendete er einen ausführlichen Bericht für „Terrapol“. Ein kurzer Auszug aus diesem Bericht etwa war die Unterhaltung, die Hunter mit Commander Brown anläßlich seines Abschiedsbesuches auf dem U-Kreuzer führte. „Im Grunde genommen, war es ein hochpolitisches und perfektes Gangsterstückchen“, begann Hunter. „Zuerst machten sie sich an den ehemaligen Assistenten Suhrs heran. Auf die Summe, die man ihm bot, biß er schließlich zu. Er versorgte sie mit Einzelheiten. Eines Tages, fuhren sie auch bei Suhr vor, überwältigten den alten Mann und brachten ihn mit einem Flugzeug nach Asien. Suhr fand auf dem U-Boot alle nötigen Geräte vor. Zwar primitiv, aber sie funktionierten. Die Gelben bearbeiteten den Forscher solange, bis er sie in der Bedienung der Anlage unterwies. Mit Injektionen machten sie ihn langsam zum willenlosen Werkzeug. Sie kennen si109
cher diese asiatischen Gifte, die einem Menschen jeden eigenen Willen nehmen und ihn völlig in die Hand dessen geben, der ihn ausbeutet. Nach dem Start des Satelliten nun, dessen Chiffrefunktion Suhrs ehemaliger Assistent veränderte, trat das U-Boot als bewegliche Kommandostation auf. Erst mit der Entlarvung Müllers kamen wir auf die Spur.“ Commander Brown hob das Whiskyglas und prostete Hunter zu. „Eine Frage habe ich noch, Inspektor. Wie konnten Sie so sicher annehmen, daß Professor Suhr tot war? Als wir ihn fanden, waren Sie doch ebenso überrascht wie wir.“ Hunter nickte. „Stimmt. Die Gelben sind bei der Sache verdammt gerissen und brutal vorgegangen. Als sie hörten, daß die Atlantik-Kabel gegen Suhr etwas plante, täuschten sie einen Raubüberfall vor. Die Brüder Elliot fielen darauf herein, und die Polizei merkte auch nichts.“ „Aber die Leiche?“ Hunter konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als Brown den klassischen Kriminalistenausdruck benutzte. „Die Leiche, mein Lieber, die war echt. Mit asiatischer Präparierkunst dem Professor täuschend nachgemacht. Es war zwar nur irgendein Körper aus einem Leichenhaus, aber so zugerichtet, daß nicht einmal beim Begräbnis etwas auffiel.“ Der Kommandant schüttelte sich und nahm noch einen Skotch. „Gäbe das nicht einen guten Zeitungsartikel, Inspektor?“ Hunter drückte seine Zigarette aus und erhob sich. „Kaum Commander. Leichenfälschungen sind uralt. Nichts Neues.“ Sie reichten sich die Hände. Der Kommandant geleitete seinen Gast an den Pier. „Da fällt mir ein, ich habe noch eine Nachricht für Sie, Inspektor. Die Atlantik-Kabel hat den Kampf aufgegeben. Sie beteiligt sich mit einer runden Summe an ‚Gamma 83’.“ „Das beste was sie tun können.“ Der Wachhabende pfiff die übliche „Seite“, als der Inspektor den U-Kreuzer verließ. 110
Das Zeremoniell stand zwar nur Marineoffizieren zu, man gewährte es aber auch besonders geehrten Gästen. Hunter schlenderte hinüber zu seinem Taxi. Die Sonne stand hoch über dem Goldenen Horn. Als der Wagen wendete, um in die Stadt hinaufzufahren, sah Hunter, daß am Mast des U-Kreuzers ein Flaggensignal hochging. Es waren drei Flaggen des internationalen Alphabets. Die Flaggen P … Y … U. Hunter kannte ihre Bedeutung. Das Signal hieß: Gute Reise.
UTOPIA-Zukunftsroman 170 bringt in der nächsten Woche
ALARM AUF STATION 169 (Meuterei im Kosmos) Seit einiger Zeit ist das Raumschiff Saturn II überfällig. Aber die Raumabteilung von Scotland Yard darf nicht eingreifen, ehe Beweise vorliegen. Erst als ein zweites Raumschiff auf geheimnisvolle Weise abhanden kommt und Inspektor Watson eine wichtige Entdeckung macht, kann das Polizeischiff zur Rettung der Saturn II starten. Während auf der Erde wertvolle Zeit vertrödelt wurde, kämpfen die Männer der Saturn II um ihr Leben. UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag. Rastatt (Boden). Pabel-Haus (Mitglied des Remagener Kreises e.V.). Einzelpreis DM 0,60. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr 7 Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich – Verbik & Pabel KG., Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 01/2011
111