Jonathan Kellerman
SATANS BRUDER
Aus dem Amerikanischen von Bernd Seligmann
Buch Dr. Woodrow Wilson Moreland, ein hoc...
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Jonathan Kellerman
SATANS BRUDER
Aus dem Amerikanischen von Bernd Seligmann
Buch Dr. Woodrow Wilson Moreland, ein hoch geachteter Wissenschaftler, hat den Psychologen Alex Delaware zu sich auf die kleine Pazifikinsel Aruk gebeten, damit er ihm bei der Aufarbeitung seiner Forschungsergebnisse für eine Reihe von Veröffentlichungen hilft. Eine recht lockere Arbeit, die Delaware viel Raum für eine romantische Freizeit mit seiner Lebensgefährtin Robin Castagna lässt. Schon bald trüben allerdings seltsame Vorfälle die Idylle aus blauem Wasser und weißem Strand. Und die Fälle, die Moreland für seine Veröffentlichungen aussucht, geben Delaware mehr als zu denken: ein Mann, der durch eine unaussprechliche Tat in den Wahnsinn getrieben wurde, ein anderer Mann, der nach einer atomaren Explosion vor vierzig Jahren an radioaktiver Verseuchung starb, zwei junge einheimische Frauen, die vor sechs Monaten ermordet und deren auf kannibalische Weise verstümmelte Leichen am Strand von Aruk gefunden wurden. Delaware und Robin beschließen einmütig, Aruk so schnell wie möglich zu verlassen. Doch Moreland hat andere Vorstellungen und hält die beiden auf der Insel fest. Zusammen mit seinem Freund Milo Sturgis von der Polizei von Los Angeles, der ihm aus der Ferne hilft, stellt
Delaware Nachforschungen an. Als er jedoch die einzelnen Zusammenhänge durchschaut, muss er mit Entsetzen feststellen, dass die Wahrheit viel schlimmer ist als alles, was er sich in seiner Fantasie hätte ausmalen können. Und fast scheint es, als sei die Welle der Gewalt nicht mehr zu stoppen, die die kleine scheinbar romantische Insel bedroht ...
Autor Jonathan Kellerman ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Kriminalautoren. Seine Bücher sind berühmt für psychologisch einfühlsam entwickelte Figuren und eine raffinierte Handlung, die Hochspannung garantieren. Dafür ist der Ehemann von Krimikönigin Faye Kellerman unter anderem mit dem »Edgar Award» ausgezeichnet worden, Amerikas bedeutendstem Krimi-Preis. Von Jonathan Kellerman außerdem bei Goldmann erschienen: Die Tote im Griffith Park. Roman (45123), Monster. Roman (44818), Gnadentod. Roman (45087), Fleisch und Blut. Roman (45370); Das Buch der Toten. Roman (geb. 54557)
GOLDMANN Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »The Web« bei Bantam Books, New York.
Umwelthinweis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. Deutsche Erstausgabe Juli 2003 Copyright © der Originalausgabe 1996 by Jonathan Kellerman Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagfoto: Photonica/Vojnar Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck: Elsnerdruck, Berlin Titelnummer: 45460 Redaktion: Alexander Groß BH • Herstellung: Heidrun Nawrot Made in Germany ISBN 3-442-45460-3 www.goldmann-verlag.de 1 3 5 7 9 10 8 6 4 2
FÜR MEINE TOCHTERN ALIZA.
1
Der Hai war alles andere als ein Monstrum. Er war kaum einen Meter lang, doch seine toten Augen wirkten immer noch bedrohlich, und er hatte reichlich nadelspitze Zähne im Kiefer, der für die beiden Männer mit den blutigen Händen eine schöne Trophäe abgeben würde. Die Männer auf dem Kai waren Weiße: nackte Oberkörper, sonnenverbrannt, fett- und muskelbepackt. Der eine hielt den Hai bei den Kiemenschlitzen und der andere war mit seinem Messer am Werk. Schleim floss aus dem Kadaver auf die grauen Planken. Robin hatte am Bug gesessen, während die Madeleine in den Hafen einlief, doch als sie das Schlachtfest sah, wandte sie sich ab. Ich hielt Spike an der Leine. Spike ist unsere französische Bulldogge, ein 28-pfündiges, fledermausohriges, schwarz geschecktes Muskelpaket mit einer so platten Nase, dass er in jeder Pfütze ersaufen könnte. Als Welpen hatte man ihm deshalb beigebracht, Wasser zu meiden, und nun verabscheute er es. Robin und ich hatten größte Bedenken wegen der sechsstündigen Überfahrt von Saipan, doch dann gewöhnte sich Spike schneller daran als wir. Nachdem er das Teakdeck der alten Yacht erkundet hatte, war er bald eingeschlafen und hatte sich die freundliche Pazifiksonne auf den Pelz scheinen lassen. Sein Wohlergehen auf der Reise war unsere Hauptsorge gewesen. Die sechs Stunden in einem Käfig im Gepäckraum auf dem Flug von L. A. nach Honolulu hatten ihm ziemlich zugesetzt, doch nach einigem guten Zureden und einem Hackbraten hatte er sich bald erholt. Und das Appartement, wo wir für dreißig Stunden Rast machten, schien ihm auch zu behagen. Danach ging es weiter nach Guam, fast acht Stunden Flug, und dann folgte eine Stunde in einer
Abflughalle, Schulter an Schulter mit Soldaten, Seeleuten und Beamten in Safarijacken. Im Anschluss waren es noch vierzig Minuten nach Saipan. Dort hatte uns Alwyn Brady in Empfang genommen, für die letzte Etappe, die uns mit der üblichen Fracht, die Brady alle zwei Monate beförderte, nach Aruk brachte. Brady hatte das 25-Meter-Boot sicher durch die Riffe in den Hafen manövriert und nun klopfte es mit seinen Gummipuffern sanft an den Pier. Das Tiefblau des Wassers ging, wo es auf den sahnig weißen Strand plätscherte, in ein silbriges Grün über - das Cadillacgrün der fünfziger Jahre. Von oben sahen die Riffe aus wie Kohlehaufen, umschwärmt von kleinen, in allen Farben funkelnden Fischen. Hinter dem menschenleeren Strand standen einzelne Palmen und der Sand war mit Kokosnussschalen besprenkelt. Noch ein sanfter Stoß und Brady schaltete den Motor ab. Ich blickte über den Kai hinweg zu den schwarzen Gipfeln, die sich in der Ferne erhoben: Vulkangebirge, das von der Geschichte der Insel zeugte. Näher am Wasser überragten sanfte, braune Hügel kleine, gekalkte Häuser und enge Straßen, die sich die Hänge hochschlängelten. Richtung Norden war ein Industriegebiet zu sehen, ein paar Schindelbaracken und eine Autowerkstatt mit einer einsamen Tanksäule. Blechdächer funkelten in der Sonne. Das einzige Ladenschild, das ich entdecken konnte, warb für TANTE MAE'S. Über dem Schild hing eine klapprige Satellitenschüssel. Einer von Bradys Seeleuten, ein magerer, schwarzhaariger Junge, machte das Boot fest und Robin sagte: »Da wären wir also.« Ein paar Sekunden später rief Brady der Mannschaft zu, mit dem Abladen zu beginnen. Dann schob er sich die Mütze aus der Stirn und kam zu uns. Er war um die fünfzig und sein Gesicht war fast so platt wie das von Spike. Er war sehr stolz auf seine halb irische, halb pazifische Abstammung und erinnerte mich mit seiner Geschwätzigkeit an die Discjockeys, die die Nachtprogramme daheim in L. A. bevölkerten. Mehrmals auf der Reise hatte er das Steuerrad einem
seiner Leute überlassen, um uns über Yeats, Joyce, Vitamine, Navigation ohne Instrumente, Sportfischerei, die wahre Tiefe des Marianengrabens, die Weltpolitik und die Geschichte der Insel zu belehren. Und über Dr. Moreland. »Ein echter Heiliger. Er hat dafür gesorgt, dass die Insel sauberes Trinkwasser hat und dass die Kinder geimpft wurden; genau wie dieser Deutsche, Albert Schweitzer, nur dass Dr. Bill keine Orgel spielt oder sonst einen Quatsch. Dafür hat er keine Zeit, nur für seine Arbeit.« Brady streckte sich und grinste in die Sonne, wobei er die paar gelben Zähne zur Schau stellte, die er noch im Mund hatte. »Fantastisch, nicht wahr? Ein Himmel wie Gottes Geschenkpapier - hey, Orson, Vorsicht! Zerbrechlich! Zuerst die Sachen vom Doktor und seiner Frau! Es wird jeden Moment jemand hier sein, um Sie abzu-holen. Wer sagt's denn, da kommt er schon.« Er zeigte auf einen schwarzen Jeep, der den Hügel herunterkam. Er hielt kurz an, um eine Frau die Strandpiste überqueren zu lassen, und fuhr direkt auf uns zu. Er parkte dicht bei der Stelle, wo gerade der Hai zerlegt wurde, von dem bald nur noch ein trauriger, schlaffer Fleischklumpen übrig war. Der Mann mit dem Messer schaute sich die Zähne an. Er war etwa Ende zwanzig und hatte ein großes, weiches Gesicht; viel Fleisch um dicht zusammenstehende Augen, Nase und Mund. Das blasse gelbe Haar fiel ihm in die Stirn und seine Arme waren mit Tätowierungen bedeckt. Er fuhr mit einem Finger über das Zahnfleisch des Hais und gab das Messer seinem Kumpel, einem kleineren und etwas älteren Mann mit dichten Bartstoppeln und kupferroten, wilden Locken auf Kopf und Brust. Er nahm das Messer an sich und machte sich schweigend an der Rückenflosse zu schaffen. Brady kletterte auf den Kai und rief dem Fahrer des Jeeps etwas zu, der daraufhin ausstieg. Er hatte etwas Dunkles, Haariges auf der Schulter.
Spike zerrte an seiner Leine. Das haarige Etwas, ein kleiner Affe, bleckte die Zähne und boxte in die Luft. Der Mann schien sich nicht darum zu kümmern und gab zuerst Robin die Hand und dann mir, nachdem er Brady begrüßt hatte. »Ich bin Ben Romero. Willkommen auf Aruk.« Er war zwischen dreißig und fünfunddreißig und hatte ein glattes, gebräuntes Gesicht und schwarzes, präzise gescheiteltes Haar. Auf seiner fein geschnittenen Nase saß eine Fliegerbrille. Augen wie gebrannte Mandeln. Er trug eine gebügelte, blaue Baumwollhose und ein makellos weißes Hemd, auf dem nicht einmal die Fußabdrücke des Äffchens eine Spur hinterlassen hatten. Der Affe schrie und zeigte auf Spike. »Beruhige dich, Kiko, es ist doch nur ein Hund«, sagte Romero. »Das glaube ich jedenfalls.« »Wir sind da auch nicht ganz sicher«, erwiderte Robin. Romero nahm den Affen von seiner Schulter, drückte ihn sich an die Wange und streichelte sein Gesicht. »Sonst magst du Hunde doch, Kiko. Wie heißt er denn?« »Spike.« »Dr. Moreland hat gesagt, er verträgt keine Hitze. Wir haben deshalb eine tragbare Klimaanlage in Ihr Zimmer gestellt, obwohl ich bezweifle, dass Sie die brauchen werden. Der Januar ist einer der schönsten Monate hier. Es gibt manchmal einen Wolkenbruch, doch es hat stets um die 25 Grad.« »Herrlich«, sagte Robin. »Das ist es hier immer, jedenfalls auf der Leeseite. Lassen Sie mich Ihre Sachen holen.« Brady und seine Leute brachten unser Gepäck zum Jeep und Romero und ich luden es ein. Der Affe stand inzwischen neben Spike, tätschelte dessen Kopf und schnatterte lustig vor sich hin, während Spike noch nicht ganz zu wissen schien, woran er hier war. »Guter Junge«, lobte ihn Robin und kniete sich neben ihn. Hinter uns lachte jemand und wir drehten uns um. Die Haischlächter schauten in unsere Richtung. Der kleinere hatte seine Hände in die Hüften gestützt. Das Messer
klemmte hinter seinem Gürtel. Er wischte sich die blutigen Hände an seinen Shorts ab und zwinkerte dem größeren Mann zu, der wieder zu lachen begann. Spike spitzte seine Fledermausohren und der Affe stieß ein wütendes Zischen aus. Romero runzelte die Stirn und hob ihn wieder auf seine Schulter. »Kommen Sie, fahren wir los. Sie sind bestimmt erschöpft.« Wir kletterten in den Jeep und Romero fuhr in einem großen Bogen zu der Strandpiste zurück, der FRONT STREET, wie auf einem hölzernen Straßenschild zu lesen war. Dann ging es die Straße hinauf, auf der Romero gekommen war, und ich schaute zum Hafen zurück. Die Mannschaft der Madeleine stand auf dem Pier und die Männer mit den blutigen Händen waren auf dem Weg ins Dorf, mit ihrer Beute in einer rostigen Schubkarre. Von dem Hai war nur ein schleimiger Fleck übrig geblieben.
2 »Ahuma na ahap - das ist altes Pidgin für >Willkommen in unserem Hauserheblich giftiger als die meisten Spinnen